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German Pages 561 [563] Year 2015
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 306 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Eva Lein
Die Verzögerung der Leistung im europäischen Vertragsrecht
Mohr Siebeck
Eva Lein: Studium der Rechtswissenschaft und Referendariat in Bayreuth; Herbert Smith Freehills Senior Research Fellow am British Institute of International and Comparative Law; 2010 Promotion.
e-ISBN 978-3-16-154071-4 ISBN 978-3-16-150711-3 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2015 Mohr Siebeck, Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2010 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen. Seitdem befindet sich das europäische Vertragsrecht in ständigem Wandel. In die Druckfassung musste neben der Neufassung der Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7/EU vom 16. Februar 2011 und der Richtlinie 2011/83/EU vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher insbesondere der Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (KOM(2011) 635 endg.) eingearbeitet werden, der erst kürzlich wieder zurückgezogen wurde. Da sich die vorliegende Arbeit auf die Idee eines allgemeinen Vertragsrechts stützt, wird der Entwurf eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts allerdings nur zum Vergleich herangezogen. Rechtsprechungs- und Literaturnachweise befinden sich im Übrigen im Wesentlichen unverändert auf dem Stand des Jahres 2010. Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich bei allen bedanken, die zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Mein besonderer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater Prof. Stefan Leible. Dank schulde ich auch dem leider viel zu früh verstorbenen Prof. Hannes Unberath für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Viel Unterstützung habe ich von meinen früheren Kollegen und Freunden am Institut suisse de droit comparé in Lausanne erfahren. Besonders erwähnen möchte ich Alberto Aronovitz, Alfredo Santos, Sadri Saieb und Prof. Gian Paolo Romano. Dank schulde ich auch der Direktion des British Institute of International and Comparative Law für die Zeit, die ich mir zur Erstellung der Druckfassung nehmen durfte, sowie Christoph Schmon und Alexander Kamp für ihre Hilfe beim Korrekturlesen. Mein herzlicher Dank für aufschlussreiche Diskussionen geht auch an Prof. Matthias Lehmann, Prof. Fritz Sturm, Prof. Oliver Remien und Prof. Bénédicte Fauvarque-Cosson. Schließlich möchte ich meiner Familie und ganz besonders meinen Eltern danken, die mich immer unterstützt und motiviert haben. London, März 2015
Eva Lein
Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis ........................................................................................... XI Abkürzungsverzeichnis ............................................................................... XXI
Einführung und Grundlagen ...................................................................... 1 Kapitel 1: Einführung ..................................................................................... 1 Kapitel 2: Grundlagen .................................................................................... 8
Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht ? . 39 Kapitel 3: Konzept „Leistungsverzögerung”: PECL, DCFR und CESL im Licht von UPICC und CISG .................................................... 40 Kapitel 4: Konzept „Leistungsverzug”: Code Européen des Contrats ........ 137
Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts................ 165 Kapitel 5: Unionsprivatrechtliches Leistungsstörungsrecht ........................ 166 Kapitel 6: Historisches Einheitsrecht .......................................................... 251 Kapitel 7: Nationale Leistungsstörungsrechte ............................................. 306
Teil 3: Bewertung: Europäisches Vertragsrecht versus mora Quo vadis? ................................................................................. 437 Kapitel 8: Kompromisslösung für ein europäisches Vertragsrecht ............. 438 Kapitel 9: Abschied vom Verzug im deutschen Recht ? ............................. 484
Fazit ..... ....................................................................................................... 497
X
Inhaltsübersicht
Literaturverzeichnis .......................................................................................499 Sachverzeichnis .............................................................................................527
Inhaltsverzeichnis Inhaltsübersicht ............................................................................................... IX Abkürzungsverzeichnis ............................................................................... XXI
Einführung und Grundlagen ...................................................................... 1 Kapitel 1: Einführung ....................................................................................... 1 Kapitel 2: Grundlagen ....................................................................................... 8 § 1 PECL, DCFR und CESL............................................................................. 8 § 2 Code Européen des Contrats .................................................................... 13 § 3 Kontrollmaßstäbe ..................................................................................... 15 I. Unionsprivatrecht ............................................................................ 16 II. Historisches Einheitsrecht ............................................................... 20 III. Nationale Leistungsstörungsrechte .................................................. 24 1. Westeuropa .................................................................................. 24 a. Deutschland ............................................................................. 24 b. Niederlande .............................................................................. 25 c. Frankreich ................................................................................ 26 d. Italien ....................................................................................... 27 e. England .................................................................................... 28 f. Österreich ................................................................................. 29 g. Schweiz .................................................................................... 30 2. Mittel-und Osteuropa ................................................................... 31 a. Tschechien ............................................................................... 32 b. Ungarn ..................................................................................... 33 c. Litauen ..................................................................................... 34 d. Estland ..................................................................................... 35
Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht? .... 39 Kapitel 3: Konzept „Leistungsverzögerung“: PECL, DCFR und CESL im Licht von UPICC und CISG .................................................... 40
XII
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Rechtsfolgenorientiertes Konzept ..............................................................40 § 2 Gläubigerorientierte Haftungsvoraussetzungen .......................................44 I. Leistungsverzögerung ohne Mahnung .............................................45 1. Leistungszeit................................................................................. 45 a. Vereinbarung der Leistungszeit ................................................45 b. Vereinbarung eines Leistungszeitraums ...................................46 c. Leistung innerhalb angemessener Frist ....................................47 2. Fehlendes Mahnungserfordernis ..................................................48 3. Rechtzeitigkeit der Leistung .........................................................52 4. Leistungsverzögerung und Unmöglichkeit ..................................54 II. Objektive Haftung ..........................................................................55 1. Grundsatz strenger Haftung......................................................... .55 2. Entschuldigungsgrund ..................................................................56 3. Obligations de moyens .................................................................61 4. Gläubigerfehlverhalten .................................................................64 § 3 Gläubigerfreundliche Rechtsfolgenregelung.............................................65 I. Erfüllungsanspruch mit Ausnahmen ...............................................66 1. Wegfall der Leistungspflicht ........................................................71 2. Schuldnerschützende Ausnahmen ................................................72 a. Unangemessene Kosten und Anstrengungen............................72 b. Leistungen persönlichen Charakters.........................................73 c. Zeitliche Begrenzung ................................................................76 3. Gläubigerbegünstigende Ausnahme: Deckungsgeschäft............. 76 II. Kein normativer Vorrang des Erfüllungsanspruchs......................... 80 III. Eingeschränkter Vorrang durch schuldnerschützende Korrektive... 81 1. Auf Initiative des Gläubigers ........................................................81 a. Nachfrist als reine Option .........................................................81 b. Nachfrist als Vorstufe eines zusätzlichen Rechtsbehelfs .........83 2. Auf Initiative des Schuldners: cure ..............................................84 IV. Ökonomisches System einseitiger Rechtsbehelfe ............................90 1. Zurückbehaltungsrecht .................................................................90 2. Vertragsaufhebung........................................................................92 a. Subjektivierter Wesentlichkeitsbegriff .....................................93 b. Objektives Schuldnerschutzelement: Art. 7.3.1. Abs. 2 lit. e UPICC....................................................100 c. Sonderfall Leistungsverzögerung ...........................................101 d. Geringe Gläubigerkontrolle ....................................................103 e. Wirkung der Vertragsaufhebung ............................................108 3. Gläubigerfreundliche Schadensersatzregelung...........................114 a. Recht auf Schadensersatz und réparation intégrale ...............114 b. Verzögerungs- und Nichterfüllungsschaden? .........................117 c. Begrenzungen des Schadensersatzanspruchs..........................121
Inhaltsverzeichnis
XIII
d. Erleichterte Schadensberechnung .......................................... 126 e. Liquidated damages und Vertragsstrafen............................... 128 4. Minderung.................................................................................. 129 5. Verzögerte Erfüllung der Zahlungspflicht................................. 131 a. Erfüllungsanspruch ................................................................ 131 b. Zinsanspruch............................................... ..... ......................132 c. Höhe des Zinssatzes ............................................................... 134 d. Weitere Rechtsbehelfe ........................................................... 136 Kapitel 4: Konzept „Leistungsverzug“: Code Européen des Contrats ......... 137 § 1 Tatbestandsorientiertes Konzept ............................................................ 137 § 2 Schuldnerorientierte Haftungsvoraussetzungen ..................................... 140 I. Verzugselemente............................................................................ 140 1. Leistungszeit........................................................................... ... 141 2. Mahnungserfordernis ................................................................. 141 3. Verzug und Verschulden ........................................................... 144 II. Dualer Haftungsmaßstab ............................................................... 144 1. Obligations de résultat et de moyens ......................................... 144 2. Haftungsverschärfung im Verzug .............................................. 146 3. Gläubigerfehlverhalten .............................................................. 146 § 3 Schuldnerfreundliche Rechtsfolgenregelung .......................................... 146 I. Weitgehender Erfüllungsanspruch ................................................ 147 1. Erfüllungsanspruch mit Modalitäten ......................................... 147 2. Sicherung des Erfüllungsanspruchs ........................................... 149 II. Kontrolliertes System einseitiger Rechtsbehelfe ........................... 150 1. Leistungs- und Annahmeverweigerungsrecht ........................... 150 2. Vertragsauflösung.......................................................................151 a. Wesentlichkeitsbegriff und unflexible Nachfrist ................... 151 b. Nachfrist und „Mahnungs“frist ............................................. 156 c. Eingeschränkte Vertragsauflösung ohne Nachfrist................ 157 d. Einseitige Vertragsauflösung und optionale gerichtliche Kontrolle ........................................................... 157 e. Wirkungen der Vertragsauflösung ......................................... 158 3. Minderung...................................................................................160 4. Schadensersatz ........................................................................... 160 a. Haftungsmaßstab.................................................................... 161 b. Schadensumfang und -begrenzung ........................................ 161 5. Verzögerte Erfüllung der Zahlungspflicht ................................. 162
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Inhaltsverzeichnis
Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts ..................165 Kapitel 5: Unionsprivatrechtliches Leistungsstörungsrecht ..........................166 § 1 Systembildung aus „sektoriellen“ Regeln und ihre Schranken ...............166 I. Verbraucher- und Unternehmerrecht..............................................169 1. Verallgemeinerungsfähigkeit unternehmerrechtlicher Bestimmungen ............................................................................171 2. Verallgemeinerungsfähigkeit verbraucherrechtlicher Bestimmungen ............................................................................173 II. Marktorientiertheit und Solidarität .................................................176 III. Sektorspezifik................................................................................. 177 IV. Mindestharmonisierung ..................................................................179 § 2 Grundbegriffe und -prinzipien des Leistungsstörungsrechts in Rechtsakten der EU............................................................................. 180 I. Verzug als Leistungstörungskategorie?..........................................183 1. Einheitlicher Leistungsstörungstatbestand .................................183 2. Verzugs- und Verspätungsbegriff ..............................................184 a. Verzug.....................................................................................184 b. Verspätung ..............................................................................186 II. Leistungszeit................................................................................... 188 1. Leistungszeitvereinbarung ..........................................................188 2. Gesetzliche Festlegung der Leistungszeit...................................189 a. Bei Leistungspflichten ............................................................189 b. Bei Zahlungspflichten.............................................................191 3. Berechnung von Fristen und Terminen ......................................195 4. Rechtzeitigkeit der Leistungshandlung oder des Leistungserfolges? ................................................................196 5. Leistung vor Fälligkeit................................................................198 III. Mahnungserfordernis......................................................................198 1. Bei Leistungspflichten ................................................................198 2. Bei Zahlungspflichten.................................................................199 IV. Rechtsbehelfe im Leistungsstörungsrecht der EU..........................201 1. Erfüllungsanspruch .....................................................................202 a. Einschränkungen des Erfüllungsanspruchs ............................206 b. Vorrang des Erfüllungsanspruchs ...........................................206 c. Modalitäten der Nachfrist .......................................................208 2. Minderung...................................................................................209 3. Zurückbehaltungsrecht ...............................................................211 4. Vertragsaufhebung......................................................................211 a. Rücktrittsrecht.........................................................................211 b. Rücktrttserklärung ..................................................................216 c. Rückabwicklung .....................................................................217
Inhaltsverzeichnis
XV
5. Schadensersatz und Zinsen ........................................................ 219 a. Schadensersatz wegen Nichterfüllung und wegen Verzögerung .......................................................................... 219 b. Schadensumfang .................................................................... 225 c. Vertragliche Einschränkungen des Schadensersatzanspruchs ....................................................... 227 d. Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz...................... 228 6. Zinsanspruch...............................................................................229 7. Ersatz der Beitreibungskosten und weitergehender Schadensersatz ........................................................................... 232 8. Haftung und Haftungsbefreiung ............................................... 233 a. Haftungsmaßstab beim Schadensersatzanspruch ................... 234 b. Haftungsmaßstab beim Zinsanspruch .................................... 238 c. Entlastungstatbestände ........................................................... 243 9. Vertragstreue des Gläubigers ..................................................... 248 Kapitel 6: Historisches Einheitsrecht ........................................................... 251 Unterkapitel 1: Klassisches römisches Recht – Ursprung des Verzugstatbestands ................................................................. 251 § 1 Römisches Obligationenrecht und mora debitoris ................................. 251 § 2 Gläubigerfreundliche Voraussetzungen der mora debitoris .................. 258 I. Rolle der Leistungszeit .................................................................. 259 II. Interpellatio und culpa .................................................................. 260 1. Verzug ohne Verschulden.......................................................... 260 2. Zentrale Rolle der interpellatio ................................................. 266 3. Ausnahmen vom Mahnungserfordernis ..................................... 268 III. Schuldnerschützende Korrektive ................................................... 271 § 3 Ausgleich von Gläubiger- und Schuldnerinteressen in den Rechtsfolgen der mora debitoris............................................................. 272 I. Haftung für Zufall...........................................................................273 II. Haftungsumfang............................................................................. 274 1. Geldersatz................................................................................... 274 2. Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen bei Sachleistung .... 276 3. Zinsanspruch bei Geldleistung .................................................. 277 § 4 Mora und Elemente einer Nichterfüllungshaftung ................................. 279 I. Erfüllungsanspruch......................................................................... 279 II. Nachfrist......................................................................................... 280 III. Schadensersatz................................................................................ 281 IV. Rücktrittsrecht................................................................................ 282
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Inhaltsverzeichnis
Unterkapitel 2: Ius commune – Wandel des Verzugstatbestands..................285 § 1 Ius commune und mora debitoris ............................................................285 § 2 Schuldnerfreundliche Interpretation der Verzugsvoraussetzungen ........288 I. Vermutetes Verschulden ................................................................288 II. Leistungsfähigkeit.......................................................................... 289 III. Mahnungserfordernis......................................................................290 1. Förmlichkeit der Mahnung .........................................................291 2. Ausnahmen vom Mahnungserfordernis......................................291 § 3 Abgeschwächte Rechtswirkungen der mora debitoris .............................293 I. Zufallshaftung mit Kausalitätserwägungen ....................................294 II. Erweiterung des Haftungsumfangs ................................................295 III. Zinsanspruch...................................................................................297 § 4 Mora und allgemeine Nichterfüllungshaftung.........................................299 I. Erfüllungsanspruch......................................................................... 299 II. Schadensersatz................................................................................300 III. Rücktritt ..........................................................................................302 IV. Nachfrist .........................................................................................305 Kapitel 7: Nationale Leistungsstörungsrechte ...............................................306 § 1 Einheitliches Nichterfüllungskonzept und Sonderrolle des Verzuges..... 306 I. Verzicht auf Leistungsstörungstatbestände? ..................................306 II. Sonderrolle des Verzugs .................................................................313 § 2 Verzugsvoraussetzungen..........................................................................320 I. Verzug und Unmöglichkeit ............................................................320 II. Leistungszeit ...................................................................................321 1. Leistungszeitvereinbarung ..........................................................321 2. Konkretisierung der Leistungszeit bei fehlender Leistungszeitbestimmung ...........................................................321 3. Kontrolle der Leistungszeit bei fehlender Leistungszeitbestimmung ...........................................................323 III. Erfordernis und Funktionen der Mahnung .....................................325 1. Mahnung als Fälligkeitsbestimmung ..........................................326 2. Erinnerungsfunktion ...................................................................328 3. Rechtssicherheit..........................................................................329 4. Schuldnerschutz..........................................................................330 5. Vertragliche Zusammenarbeit ....................................................331 IV. Formalia der Mahnung ...................................................................332 1. Vorausmahnung..........................................................................332 2. Formerfordernisse .......................................................................334 V. Ausnahmen vom Mahnungserfordernis .........................................336
Inhaltsverzeichnis
XVII
1. Fixgeschäft, dies interpellat und kalendermäßige Berechenbarkeit ......................................................................... 336 2. Klageerhebung ........................................................................... 340 3. Weitere Ausnahmen vom Mahnungserfordernis ....................... 341 a. Erfüllungsverweigerung ........................................................ 342 b. Natur der Verpflichtung ........................................................ 342 c. Besondere Gründe ................................................................. 343 d. Vertraglicher Ausschluss ...................................................... 344 VI. Verschulden als Voraussetzung des Verzugseintritts .................... 345 VII. Geldforderungen ............................................................................ 349 VIII. Verzug und Fehlverhalten des Gläubigers .................................... 352 § 3 Rechtsfolgen verspäteter Leistung ......................................................... 353 I. Spezifische Verzugsfolgen ............................................................ 353 1. Zufallshaftung............................................................................ 353 2. Zinsanspruch und weitergehender Schaden............................... 357 II. Leistungsverzögerungen und Nichterfüllungssanktionen ............. 371 1. Garantie- und Verschuldenshaftung .......................................... 371 2. Vertragserfüllung ....................................................................... 383 a. Anspruch auf Erfüllung.......................................................... 383 b. Ausnahmen vom Erfüllungsanspruch und von seinem Vorrang ..................................................................... 393 c. Erfüllungszwang bei fortbestehender Säumnis ...................... 396 3. Vertragsaufhebung ..................................................................... 398 a. Schwere der Vertragsverletzung ............................................ 398 b. Jüngere Tendenzen zur einseitigen Vertragsaufhebung ........ 411 c. Antizipierte Vertragsaufhebung ............................................. 414 d. Wirkung der Aufhebung ........................................................ 415 4. Minderung ................................................................................. 416 5. Schadensersatz ........................................................................... 417 a. Verzögerungs- und Nichterfüllungsschaden .......................... 417 b. Grundsatz: réparation intégrale ............................................ 424 c. Beschränkungen der Ersatzpflicht ......................................... 427 d. Schadensersatz und Rücktritt ................................................. 434
Teil 3: Bewertung: Europäisches Vertragsrecht versus mora – Quo vadis? .................................................................................... 437 Kapitel 8: Kompromisslösung für ein europäisches Vertragsrecht .............. 438 § 1 PECL/DCFR als Ausgangsmodell .......................................................... 438 I. International erprobte Vorbilder .................................................... 439 II. Einfache Struktur ........................................................................... 439
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Inhaltsverzeichnis
III. Anerkennung in der Vertrags- und Schiedspraxis ..........................440 IV. Anerkennung durch nationale Gesetzgeber ....................................442 V. Anerkennung durch die europäische Rechtswissenschaft ..............444 VI. Anerkennung durch die EU-Institutionen ......................................444 VII. Inhaltliche Legitimation .................................................................447 § 2 Inhaltliche Grundentscheidungen einer europaweiten Regelung ..........448 I. Einheitstatbestand versus Verzugstatbestand .................................449 II. Leistungszeit versus Mahnung .......................................................450 1. Negative Folgen des Verzichts auf ein Mahnungserfordernis ...450 2. Änderung des Art. 7:102 Abs. 3 PECL/ Art. III.-2:102 Abs. 1 DCFR ......................................................453 3. Leistungszeit bei Entgeltforderungen .........................................456 III. Verschuldenshaftung versus Garantiehaftung ................................457 1. Als „Verzugs“voraussetzung ......................................................457 2. Als allgemeiner Haftungsmaßstab ..............................................458 3. Zufallshaftung ............................................................................462 4. Enthaftung vom Zinsanspruch ....................................................463 IV. Rechtsbehelfssystem ......................................................................465 1. Erfüllungsanspruch .....................................................................465 a. Recht auf Erfüllung trotz Leistungsstörung ............................465 b. Ausnahmen vom Erfüllungsanspruch .....................................466 2. Vertragsaufhebung und Vorrang des Erfüllungsanspruchs ........470 a. Wesentlichkeitsbegriff ............................................................471 b. Nachfrist und Vorrang des Erfüllungsanspruchs ....................474 c. Modalitäten der Nachfrist .......................................................477 d. Einseitige Vertragsaufhebung.................................................479 e. Alternativlösungen ..................................................................480 3. Minderung ..................................................................................480 4. Schadensersatz............................................................................481 5. Zinsanspruch und Zinshöhe ........................................................482 Kapitel 9: Abschied vom Verzug im deutschen Recht? ................................484 § 1 Verzug und Pflichtverletzung ..................................................................484 § 2 Leistungszeitregelung ..............................................................................486 § 3 Erfüllungsverweigerung ..........................................................................490 § 4 Verschulden .............................................................................................490 § 5 Zufallshaftung ..........................................................................................492 § 6 Zinsanspruch ...........................................................................................493 § 7 Rücktritt und Schadensersatz wegen Nichterfüllung ...............................494
Fazit............................................................................................................. .497
Inhaltsverzeichnis
XIX
Literaturverzeichnis ...................................................................................... 499 Sachverzeichnis ............................................................................................ 527
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. ABGB ABl. abl. Abs. A.C. AcP Act. dr. ADC a.E. AEUV a.F. Afr. AGB All E.R. ALR Am.J.Comp.L. Anh. Anm. AnwK-BGB Ariz.J.Int’l & Comp.L. Art. BB Bd. begr. BGB BGBl. BGE BGH BGHZ B&M BR-Drs. BYIL BT-Drs. Bull.Civ. Bull.Trimest.Soc.Leg. Comp.
anderer Ansicht am angegebenen Ort Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Amtsblatt ablehnend Absatz Law Reports, Appeal Cases Archiv für die civilistische Praxis Actualités du droit Anuario de Derecho Civil am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Africanus Allgemeine Geschäftsbedingungen All England Law Reports Preußisches Allgemeines Landrecht American Journal of Comparative Law Anhang Anmerkung AnwaltKommentar BGB Arizona Journal of International and Comparative Law Artikel Betriebs-Berater Band begründet Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizer Bundesgerichts Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Baker & Milsom, Sources of English Legal History: Private Law to 1750 Bundesrats-Drucksache British Yearbook of International Law Bundestags-Drucksache Bulletin des Arrêts de la Chambre Civile de la Cour de Cassation Bulletin Trimestriel de la Société de Législation Comparée
XXII BW BYIL bzw. Cah. Dr. Aff. Cass. Cass. civ. Cass. com. Cass. req. Cass Sez. un. Cass. soc. C.B. CC CE CESL Ch., Ch.D. Ch. civ. Ch. com. ChinVG Ch. mixte chron. CISG CIV C.L.P. Comm. COTIF D. D. act. DB DCFR ders. d.h. D.H. DJZ DNotZ DP DRiZ E&B EBLR EBLJ EJCL EG EGBGB EJLR endg. ERCL ERPL
Abkürzungsverzeichnis Burgerlijk Wetboek British Yearbook of International Law beziehungsweise Cahier du Droit des Affaires Cour de cassation (Frankreich); Corte (Suprema) di Cassazione (Italien) Cour de cassation, chambre civile Cour de cassation, chambre commerciale Cour de cassation, chambre des requêtes Corte di Cassazione, Sezioni unite Cour de cassation, chambre sociale Common Bench Code Civil Code Européen Proposal for a Common European Sales Law Chancery Division Chambre civile Chambre commerciale Chinesisches Vertragsgesetz Chambre mixte chronique United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (1980) Convention internationale pour le transport des voyageurs Current Legal Problems Tribunal de commerce (Belgien) Convention relative aux transports internationaux ferroviaires Digesten; Recueil Dalloz Dalloz Action Der Betrieb Draft Common Frame of Reference derselbe das heißt Dalloz, Recueil Hebdomadaire de Jurisprudence Deutsche Juristenzeitung Deutsche Notar-Zeitschrift Dalloz Périodique Deutsche Richterzeitung Ellis and Blackburn’s Queen’s Bench Reports European Business Law Review European Business Law Journal Electronic Journal of Comparative Law Europäische Gemeinschaft; Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch European Journal of Law Reform endgültig European Review of Contract Law European Review of Private Law
Abkürzungsverzeichnis estSRG et al. EuLF Eur Dir Priv EuZW EvBl EVÜ Ewgr. EWS f., ff. F&F FS Fn. Foro Pad. Foro it. Ga.J.Int’l&Comp.L Gaz.Pal. gem. German L.J. GG Giust. Civ. GIW griechZGB GURI Halbs. Harv.Int’l.L.J. Herm. HGB HL hM hrsg., Hrsg. Hs. I.B.L.J. i.d.F. IHR InDret insb. Inst. Int. Encyc. Comp. L. Int’l Trade & Bus.L.A. Int’l Trade & Bus.L.J. IPRax i.S.d. i.S.v. italCC i.V.m. JbJZivRWiss JbPrSchiedsger JBl.
Estnisches Schuldrechtsgesetz et alii (und andere) European Legal Forum Europa e Diritto Privato Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Evidenzblatt Römisches Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (1980) Erwägungsgrund Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende Foster and Finlason’s Nisi Prius Reports Festschrift Fußnote Foro Padano Foro italiano Georgia Journal of International and Comparative Law Gazette du Palais gemäß German Law Journal Grundgesetz Giustizia Civile Gesetz über die internationale Wirtschaft der DDR Griechisches Zivilgesetzbuch Gazzetta Ufficiale della Repubblica Italiana Halbsatz Harvard International Law Journal Hermogenian Handelsgesetzbuch House of Lords herrschende Meinung herausgegeben, Herausgeber Halbsatz International Business Law Journal in der Fassung Internationales Handelsrecht Revista para el Análisis del Derecho insbesondere Institutionen International Encyclopedia of Comparative Law International Trade and Business Law Annual International Trade and Business Law Journal Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts im Sinn des im Sinne von Codice Civile in Verbindung mit Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit Juristische Blätter
XXIII
XXIV JCL JCP JherJB J.I.T.L. & P. J.J.P. J.L. & Com. J.L.H. J.L.M.B JLS J.P. J.T. JURA Juridica Int. JuS Just. JZ K.B. KG Koord. krit. lit. litZGB La.L.Rev. L.J.Q.B. LMCLQ L.Q.R. L.R. LS M.B. MDR Mot. MüKo-BGB MüKo-HGB m.w.N. NBW neubearb. n.F. NILR NJ NJW NJW-RR Nr. NTBR ObchZ ObčZ öGBl.
Abkürzungsverzeichnis Journal of Contract Law La Semaine Juridique : Juris Classeur Periodique; Journal of Consumer Policy Jahrbuch für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, begr. v. Rudolf v. Jhering Journal of International Trade Law and Policy Journal des juges de paix Journal of Law and Commerce Journal of Legal History Revue de Jurisprudence de Liège, Mons et Bruxelles Journal of Legal Studies Justice de Paix Journal des Tribunaux (Belgien) Juristische Ausbildung Juridica International Juristische Schulung Justinian Juristenzeitung Law Reports, King’s Bench Kammergericht Koordinator kritisch littera Litauisches Zivilgesetzbuch Lousiana Law Review Law Journal, Queen’s Bench Lloyd’s Maritime and Commercial Law Quarterly Law Quarterly Review Law Reports Legal Studies Moniteur Belge Monatsschrift fur Deutsches Recht Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch mit weiteren Nachweisen Nieuw Burgerlijk Wetboek neubearbeitet neue Fassung Netherlands International Law Review Nederlandse Jurisprudentie Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport Zivilrecht Nummer Nederlands Tijdschrift voor Burgerlijk Recht Obchodní zákoník (tschechisches Handelsgesetzbuch) Občanský zákoník (tschechisches Zivilgesetzbuch) Bundesgesetzblatt (Österreich)
Abkürzungsverzeichnis OLG OR O.R. Orient.giur.lav. Pace Int’l L.Rev. Paul. Pap. Pas. PC PECL polnKC Pomp. portCC Q.B. RabelsZ RDAI RDC Resp. civ. et assur. RG R.G.D.C. RGZ RIDC RiL RIW Riv.Dir.Civ. Riv.Dir.Comm. Riv.dir.nav. Riv.dir.priv. RJ RJDA RKGO Rn. RRa RRJ Rs. Rspr. RTDCiv RTDCom RussZGB RvdW R.W. S. Sab. Scot Law Com sec. SJZ SLR
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Oberlandesgericht Schweizerisches Obligationenrecht Official Records (CISG) Orientamenti della giurisprudenza del lavoro Pace International Law Review Paulus Papinian Pasicrisie belge Projet Catala Principles of European Contract Law polnischer Kodex Cywilny Pomponius portugiesischer Código Civil Queen’s Bench Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue de droit des affaires internationales Revue des Contrats Responsabilité civile et assurance Reichsgericht Revue général du droit civil belge Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revue Internationale de Droit Comparé Richtlinie Recht der Internationalen Wirtschaft Rivista di Diritto Civile Rivista del Diritto Commerciale Rivista del diritto della navigazione Rivista di Diritto Privato Rechtshistorisches Journal Recueil général de jurisprudence de droit administratif et du Conseil d’Etat Reichkammergerichtsordnung Randnummer Reiserecht aktuell Revue de la Recherche Juridique Rechtssache Rechtsprechung Revue Trimestrielle de Droit Civil Revue Trimestrielle de Droit Commercial et de Droit Économique Russisches Zivilgesetzbuch Rechtspraak van de Week Rechtskundig Weekblad Satz, Seite, Sirey Sabinus Scottish Law Commission section Schweizerische Juristen-Zeitung Scottish Law Reporter
XXVI spanCC SR Stellenbosch LR st. Rspr. SZ SZGerm SZRom T.H.R.H.R. T.P.R. TR TranspR Tryph. Tul.Eur.Civ.L.F. Tul.L.Rev. u. u.a. UCC ULIS Ulp. UNCITRAL UNCITRAL YB UNIDROIT Unif.L.Rev UPICC v. verb. Rs. VersR vgl. VuR VJ VO WiRO W.L.R. WM Yale L.J. z. z.B. ZEuP ZfRV ZGB ZGS ZHR ZIP ZNR ZRP
Abkürzungsverzeichnis spanischer Código Civil Systematische Sammlung des Bundesrechts (Schweiz) Stellenbosch Law Review ständige Rechtsprechung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollands Reg Tijdschrift voor Privaatrecht Durnford & East’s Term Reports, King’s Bench Zeitschrift für Transportrecht Tryphonius Tulane European and Civil Law Forum Tulane Law Review und unter anderem Uniform Commercial Code Uniform Law on the International Sale of Goods Ulpian United Nations Commission on International Trade Law UNCITRAL United Nations Commission on International Trade Law Yearbook International Institute for the Unification of Private Law Uniform Law Review (Revue de droit uniforme) UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts vom, von verbundene Rechtssachen Versicherungsrecht vergleiche Verbraucher und Recht Vanderbilt Journal Verordnung Wirtschaft und Recht in Osteuropa Weekly Law Reports Wertpapier-Mitteilungen Yale Law Journal zu zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zivilgesetzbuch Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte Zeitschrift für Rechtspolitik
Abkürzungsverzeichnis ZSR ZSS ZVglRWiss ZVR ZPO
Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift der Savigny-Stiftung Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verkehrsrecht Zivilprozessordnung
XXVII
Einführung und Grundlagen
Kapitel 1
Einführung Et n’est-ce pas une chose absurde et affreuse que ce qui est vrai dans un village se trouve faux dans un autre? Par quelle étrange barbarie se peut-il que des compatriotes ne vivent pas sous la même loi? […] Il en est ainsi de poste en poste dans le royaume; vous changez de 1 jurisprudence en changeant de chevaux. (Voltaire)
In der Europäischen Union werden unzählige Verträge geschlossen. Die Vertragsgestaltung ist zunehmend komplexer und immer häufiger stammen die Vertragspartner nicht aus dem gleichen Land. Der elektronische Geschäftsverkehr trägt weiter dazu bei, dass die Grenzen des eigenen Rechts überschritten werden. Verträge sind der Gefahr der Störung des Leistungsaustauschs durch spätere Ereignisse, durch Nachlässigkeit des Schuldners und günstigere Geschäftsmöglichkeiten mit Dritten ausgesetzt. Die Verzögerung der Leistung ist hierbei ein häufiges Problem. Sie kann sowohl in Form der Leistungs- als auch der Zahlungsverzögerung zu bedeutenden wirtschaftlichen Nachteilen führen. Diese Risiken müssen Vertragsparteien einkalkulieren. Kleinere Unternehmen und Verbraucher treffen jedoch eher selten umfassende vertragliche Vorkehrungen für Störungen des Leistungsaustauschs. Sie müssen sich meist auf normative Vorgaben verlassen, die für einen angemessenen Interessenausgleich sorgen. Vom Anwendungsbereich internationalen Einheitsrechts abgesehen, treffen im Fall grenzüberschreitender Tätigkeit allerdings zwei oder mehrere Rechte aufeinander. Die Lösung von Leistungsstörungsfällen wird dadurch erschwert. Tatsächlich finden sich auf der Ebene nationaler Sachrechte teils erhebliche konzeptuelle und inhaltliche Unterschiede. So hängen bereits die Grundfragen, wie sich eine Leistungsverzögerung definiert, ab wann sie Rechtsfol1
VOLTAIRE, Dialogue entre un plaideur et un avocat, in Œuvres complètes de Voltaire, Mélanges II (1738 - 1753), S. 11.
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gen auslöst oder sogar Nichterfüllungssanktionen begründet, vom jeweiligen Rechtssystem und dessen historischem und gesellschaftlichem Kontext ab. Der jeweilige Gesetzgeber kann entweder einer schnellen Befriedigung der Gläubigerinteressen oder einem weitestmöglichen Schuldnerschutz den Vorrang geben.2 Systematisch kann die Leistungsverzögerung im jeweiligen System einen Unterfall der Nichterfüllung darstellen oder über einen Verzugstatbestand „einen Platz unter den Erfüllungstatbeständen“ einnehmen.3 Auch das Element der Verantwortlichkeit des Schuldners spielt in den verschiedenen Rechtsystemen als Auslöser der Haftung eine mehr oder weniger weitreichende Rolle.4 Das anwendbare Sachrecht ist zudem in der jeweiligen Rechtstradition gewachsen, wird dem speziellen Charakter grenzüberschreitender Verträge nicht unbedingt gerecht5 und trägt der längeren Zeitdauer der Transaktion, längeren entfernungsbedingten Lieferfristen und ungleichen Transportrisiken nicht notwendig Rechnung.6 Diesen Divergenzen kann auch das Kollisionsrecht nicht ausreichend abhelfen. Es schafft nur begrenzt Rechtssicherheit, indem es den Sachverhalt grundsätzlich einem nationalen System unterwirft.7 Handelt es sich nicht um Verbrauchergeschäfte, können die Parteien das anwendbare Recht in den Grenzen zwingender Normen und des ordre public nach Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO8 zwar frei wählen und damit das auf ihren Fall anwendbare Leistungsstörungsrecht steuern. Sie können sich auch auf ein „neutrales drittes“ Recht beziehen,9 das nach bislang h.M. allerdings ausschließlich ein staatlich legitimiertes Recht sein muss.10 Um die Rechtswahl2
Dies ist ökonomisch gesehen ein bedeutender Unterschied. VON BAR, Internationales Privatrecht II, § 4, Rn. 546. 3 BUCHER, in DUFOUR et al., Mélanges Schmidlin, S. 407 (415). 4 Man denke nur an den breach of contract des englischen Rechts, der die Verantwortlichkeit bereits begrifflich indiziert. „Breach of contract in the common law sense is nonexcused non-performance […]”, FURMSTON, Am.J.Comp.L. 40 (1992), S. 671. 5 GOLDŠTAJN, in SCHMITTHOF, The Sources of the Law of International Trade, S. 103 (111); VON HOFFMANN, in MUSIELAK/SCHURIG, Festschrift Kegel, S. 215 (225); BERMAN/ KAUFMAN, 19 Harv.Int‘l.L.J. (1987), S. 221 (254 f.); BONELL, Le regole oggettive del commercio internazionale, S.100 ff., 120 ff. 6 Vgl. auch MARELLA, La nuova lex mercatoria, S. 164; STEIN, Lex mercatoria: Realität und Theorie, S. 28. 7 Vgl. insb. TAUPITZ, Privatrechts- oder Kollisionsrechtsvereinheitlichung in Europa, S. 28 ff. 8 Verordnung 593/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. L 177, 4.7.2008, S. 6 ff., zitiert als Rom I-VO. 9 Die weite Rechtswahlmöglichkeit erlaubt den Parteien einen gewissen Gestaltungsspielraum. VON HOFFMANN/THORN, Internationales Privatrecht, § 10, Rn. 27. 10 Vgl. für Deutschland die Diskussion um den früheren Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EGBGB („Recht“) und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 EGBGB („Recht des Staates“); MICHAELS, RabelsZ 62
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möglichkeit praktisch wirklich zu nutzen, müssen die Parteien die in Frage kommenden Rechte jedoch auch kennen. Die praktische Umsetzung der Parteiautonomie gestaltet sich daher eher schwierig. Treffen die Parteien keine Rechtswahl, gilt über Art. 4 Rom I-VO regelmäßig das Recht des Aufenthalts- oder Sitzstaats der Partei, die die vertragscharakteristische Leistung erbringt.11 Die Ermittlung und Anwendung des jeweils relevanten Sachrechts hängt zusätzlich vom Forum und den dort vertretenen Ansichten ab. So besteht beispielsweise Unklarheit hinsichtlich des auf Verzugszinsen anwendbaren Rechts.12 Können sich die Parteien nicht auf eine Rechtsordnung einigen und soll nach objektiver Anknüpfung z.B. das estnische, polnische oder ungarische Leistungsstörungsrecht anwendbar sein, kann ein französischer Kleinunternehmer die Risiken seiner Geschäftstätigkeit mit dem ausländischen Vertragspartner eher schwer abschätzen und misstraut – möglicherweise sogar ganz zu Unrecht – dem weitgehend unbekannten und häufig in Eile geschaffenen dortigen Recht.13 Es befindet sich daher in grenzüberschreitenden Fällen regelmäßig eine Partei im Nachteil, da sie das anwendbare nationale Recht weder kennt noch sprachlich versteht14 und dessen Auslegung in Lehre und Recht-
(1998), S. 592 f; LORENZ, RIW 1987, S. 569 (573 ff.); BERGER, ZVglRWiss 94 (1995), S. 217 (223); MANKOWSKI, RIW 2003, S. 2 ff. (12); siehe für Frankreich ANCEL/LEQUETTE, Grands arrêts de la jurisprudence de droit international privé 2001, n° 22: „Tout contrat est nécessairement rattaché à la loi d’un État.“ Vgl. allerdings nun Erwägungsgrund 14 Rom IVO: “Sollte die Gemeinschaft in einem geeigneten Rechtsakt Regeln des materiellen Vertragsrechts, einschließlich vertragsrechtlicher Standardbestimmungen, festlegen, so kann in einem solchen Rechtsakt vorgesehen werden, dass die Parteien entscheiden können, diese Regeln anzuwenden.” 11 Handelt es sich um Verbraucherverträge, unterstellt Art. 6 der Rom-I-Verordnung diese generell dem Aufenthaltsstatut des Verbrauchers oder gestattet eine eingeschränkte Rechtswahl. Der Unternehmer, der in mehreren Mitgliedstaaten tätig ist, muss sich also entweder mit den verbraucherschützenden Normen des Staates auskennen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder sogar mit der gesamten Verbraucherrechtsordnung. 12 Vgl. hierzu die Diskussionen zum EGBGB a.F.: Nach h.M. folgten die Entstehung und Höhe des Anspruchs auf Fälligkeits- und Verzugszinsen ebenfalls dem Vertragsstatut, so Staudinger/MAGNUS, Art. 32 EGBGB, Rn. 57; MüKo/SPELLENBERG, Art. 32 EGBGB, Rn. 35; REITHMANN/MARTINY, Internationales Vertragsrecht, Rn. 275, 277. Nach anderer Ansicht sollte das Recht der gewählten Vertragswährung über die Verzugszinshöhe entscheiden, so Palandt/HELDRICH, Art. 32 EGBGB, Rn. 5; BERGER, RabelsZ 61 (1997), S. 326 ff. Nach einer dritten Ansicht sollte letzteres nur für spezielle Fallgestaltungen gelten: SANDROCK, JbPrSchiedsger 3 (1989), S. 81 ff. 13 Ebenso wird sein Anwalt kaum „exotischere“ Rechtsordnungen der mittlerweile 28 EUStaaten kennen. 14 Zur problematischen Entwicklung europäischer Rechtsbegriffe bei fehlender Spracheinheitlichkeit auch HELLWEGE, Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge als einheitliches Problem, S. 11, m.w.N.
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sprechung eher schwer abschätzen kann.15 Kommen Verträge deshalb nicht zustande, ist dies gesamtökonomisch für einen exportorientierten Mitgliedstaat ein Wirtschaftsnachteil.16 Zwar wird behauptet, die europäische Rechtsvielfalt halte den auf praktische Lösungen vertrauenden Markt nicht vom Abschluss grenzüberschreitender Verträge ab.17 Die Teilnehmer am Rechtsverkehr ließen sich schließlich auch durch die eigene interne Rechtsvielfalt, durch ständige Rechtsprechungsänderungen und Rechtsunkenntnis nicht schrecken18 und Unternehmer würden ohnehin teils „blind mit ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen herumfuchteln.“19 International tätige Unternehmen könnten die geschilderten Probleme zudem durch Rechtsberatung und Abwehrstrategien gegen die Anwendung staatlichen Rechts umgehen, wichtige Rechtsfragen „unter Ausschaltung der vielen nationalen Gesetzgeber“ selbst regeln und auf die Schiedsgerichtsbarkeit ausweichen.20 Selbst Verbraucher würden nicht davon absehen, mit Unternehmern anderer Staaten Verträge zu schließen, nur weil sie das dortige Recht nicht kennen. So meint GOODE: „Perhaps in the interest of legal science the scholar who espouses this view should take his wife shopping in the Via Condotti and see what happens.“21 Wenn er mit diesem Beispiel auch durchaus Recht haben mag, bewegt sich die tatsächliche Situation doch zwischen 15
So auch EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution du contrat et les Principes UNIDROIT, S. 47, 48; REPGEN, JbJZivRWiss 1997/1998, S. 27 f. 16 Hinzu kommt noch ein weiteres Problem: Das gewählte oder nach objektiver Anknüpfung anwendbare Recht gilt gem. Art. 12 lit. b und c Rom I-VO für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen und im Fall gestörter Vertragsbeziehungen für die Folgen der vollständigen oder teilweisen Nichterfüllung. Allerdings stellt sich, wie Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-VO selbst zeigt, vorab ein Qualifikationsproblem in Bezug auf die einzelnen Sanktionen, die entweder materiellrechtlich oder prozessrechtlich qualifiziert werden können. Das Problem betrifft insbesondere den Anspruch auf specific performance im Lichte des kontinentalen und des angloamerikanischen Rechts, denn nach letzterem liegt die Gewährung des Erfüllungsanspruchs im Ermessen des englischen Richters und damit „im Rahmen der dem Gericht eingeräumten Befugnisse“ iSd. Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-VO. Vgl. BGH 14.7.1993, BGHZ 123, 200, 207; OLG München, 9.1.1996, IPRspr. 1996, Nr. 26; VON BAR, Internationales Privatrecht II, Rn. 557; REITHMANN/MARTINY, Internationales Vertragsrecht, Rn. 265; ERMAN/HOHLOCH, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch II, Art. 32 EGBGB, Rn. 9. Vgl. auch COLLINS, Dicey & Morris, The Conflict of Laws, S. 1265; MUIRWATT, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 789 (793 ff.). 17 GOODE, Contract and Commercial Law: the Logic and Limits of Harmonisation, S. 13. 18 JANSEN, Binnenmarkt, Privatrecht und europäische Identität, S. 8, 9; RAISER, Das lebende Recht, S. 342 ff. 19 HELDRICH, AcP 86 (1986), S. 74 ff. (114); JANSEN, Binnenmarkt, Privatrecht und europäische Identität, S. 10. 20 RABEL, Das Recht des Warenkaufs, S. 37 ff.; SCHILF, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, S. 6; GROSSMANN-DOERTH, Recht des Überseekaufs, S. 42 f. 21 GOODE, Contract and Commercial Law, II 3.
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beiden Extremen: Das Misstrauen gegenüber einem fremden Sachrecht besitzt keine pure „anekdotische Evidenz.“22 Die Rechtsvielfalt wird weder nie von grenzüberschreitender Geschäftstätigkeit abhalten, noch stets bedeutungslos sein, denn für den normalen Rechtsanwender und insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen können Rechtsunkenntnis teuer und finanzielle Verluste existenzvernichtend werden.23 Sie müssen sich auf ein gut funktionierendes „Ersatz“-Recht verlassen können.24 Da internationales Einheitsrecht wie die CISG25 nur für bestimmte Vertragstypen eine Lösung bieten kann, wurden Vorschläge für ein nicht auf bestimmte Vertragstypen beschränktes einheitliches und spezifisch europäisches „Alternativ“-Recht gemacht.26 Diese Arbeiten sind als Vorarbeiten zu einem „optionalen Vertragsrechtsinstrument“, d.h. einem einheitlichen wählbaren Vertragsrechtsregime in Europa zu verstehen, von welchem Vertragspartner, rechtsberatende Berufen und Gerichte präzisere Kenntnis erlangen können, als 22
Hiervon spricht JANSEN, Binnenmarkt, Privatrecht und europäische Identität, S. 7. ZIMMERMANN, JZ 1995, S. 478. 24 Vgl. hierzu SHAVELL, Foundations of Economic Analysis of Law, S. 299-301. 25 Die United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (CISG) vom 11. April 1980, Nachfolgemodell der Convention relating to a Uniform Law on the International Sale of Goods (ULIS) von 1964, ist eines der praxisrelevantesten internationalen Einheitsprivatrechtsmodelle. Das Übereinkommen zählt 78 Vertragsstaaten und kann, vorbehaltlich eines opt-out gem. Art. 6 Alt. 1 CISG, theoretisch über zwei Drittel des gesamten grenzüberschreitenden Warenverkehrs abdecken. Das Übereinkommen ist Gegenstand umfassender wissenschaftlicher Auseinandersetzung sowie umfangreicher nationaler Rechtsprechung. Es hat nicht nur PECL und UPICC, sondern auch die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG und die Rechtssysteme osteuropäischer Staaten stark beeinflusst. 26 Erste historische Rechtsvereinheitlichungsversuche gab es in Europa bereits 1927. Von LARNAUDE und SCIALOJA wurde ein Projekt eines Code des Obligations et des Contrats initiiert (ROTONDI, The Proposed Franco-Italian Code of Obligations, Am.J.Comp.L. 3 (1954), S. 345 ff.). Die Initiative beruhte teils auf dem politischen Zusammenhalt Italiens und Frankreichs im Ersten Weltkrieg und führte zu einem bilateralen Vereinheitlichungsmodell, das allerdings wenige Elemente des germanischen Rechtskreises aufnahm und das common law aussparte. Gleichwohl galt dieses Gesetzeswerk nach seinen Verfassern als erster „essai sérieux de ce qui pourra être, dans un avenir plus ou moins proche, le nouveau droit commun privé de l’Europe, ou tout au moins d’un grand nombre d’Etats européens et même peut-être d’Etats d’outre les mers.“ Den fehlenden multilateralen Ansatz dieses Modells versuchte COSENTINI auf der Basis eines wesentlich breiteren rechtsvergleichenden Ansatzes in seinem 3115 Artikel umfassenden Code International des Obligations aus dem Jahr 1937 auszugleichen. Er übernahm Ideen des Scialoja-Code, berücksichtigte aber nicht nur das deutsche, schweizerische und angelsächsische Recht stärker, sondern auch viele außereuropäische Rechtsordnungen, insbesondere die lateinamerikanische Rechtstradition und das Zivilrecht kleinerer Staaten, denen er eine besondere Innovationsfreudigkeit zuschrieb (z.B. Montenegro, Albanien, Rumänien und Polen). Das Gesetzeswerk beschränkt sich nicht nur auf das Zivilrecht im engeren Sinn, sondern schloß auch alle damit assoziierten Rechtsgebiete wie das Arbeitsrecht und vor allem das Handelsrecht ein. Der Ansatz war insofern ausgesprochen progressiv. 23
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von einer Vielzahl potentiell anwendbarer nationaler Rechte. Ein solches Regelwerk kann daher einen Ausweg aus dem oben geschilderten Dilemma bieten.27 Europaweit einheitliche Lösungen der Problematik der Leistungsverzögerung sollen daher im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehen. Folgende europäische Regelungsmodelle werden analysiert und verglichen: die Principles of European Contract Law (PECL),28 der im hier interessierenden Be-
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Nach mehrfachen Ansätzen zur Vertragsrechtsvereinheitlichung wurde das Konzept eines „optionalen europäischen Vertragsrechtsinstruments“ aufgebracht, als dessen Vorreiter der DCFR gesehen werden muss. Auf ein solches Regelungsmodell zielt Erwägungsgrund 14 Rom I-VO ab. Die Kommission hat am 1. Juli 2010 ihr Grünbuch „Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen“ (KOM(2010) 348 endg.) veröffentlicht, in dem sie verschiedene Optionen vorschlägt, die von einer “toolbox” für den Gesetzgeber bis hin zu einer Verordnung in Form eines optionalen Instruments bzw. eines Europäischen Zivilgesetzbuchs reichen. Auf EU-Ebene wird derzeit ein optionales Instrument bevorzugt. Nach der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. Juni 2011 zu Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen (2011/2013(INI)) und den Arbeiten der Expertengruppe für einen gemeinsamen Referenzrahmen im Bereich des europäischen Vertragsrechts (Kommissionsbeschluss 2010/ 233/EU, 26. April 2010), die sich weitgehend auf den in der vorliegenden Arbeit analysierten DCFR stützen, wurde der Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (KOM(2011) 635 endg.) in Fom eines optionalen Instruments veröffentlicht. Letzterer ist jedoch auf Kaufverträge und damit zusammenhängende Dienstleistungsverträge beschränkt. Die Diskussionen um die Textfassung und die praktische Notwendigkeit des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts sind derzeit in vollem Gange. In einzelnen Mitgliedstaaten, insbesondere in Großbritannien, stößt der Vorschlag auf massive Kritik. Trotz aller Negativstimmen wurde allerdings schon vor einiger Zeit in Schätzungen aufzeigt, dass sowohl KMU als auch größere Unternehmen die Unterschiede zwischen mitgliedstaatlichen Rechtssystemen und die daraus resultierenden Rechtsberatungskosten durchaus als Hindernis für eine grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit ansehen. Von jeweils 80-100% der pro Land Befragten (mit Ausnahme der britischen Unternehmer mit doch immerhin 63%) wurde ein optionales europäisches Vertragsrechtsinstrument befürwortet. (S. CLIFFORD CHANCE, Stellungnahme bei der Anhörung des EP „Common Frame of Reference: What next in European Contract Law“, 21.11.2006, Tabellen 2 und 3). Der einheitsrechtliche Ansatz bietet also eine durchaus realistische Möglichkeit, die eingangs geschilderten Probleme zu lösen. 28 Auch Lando Principles, im folgenden zitiert als PECL; LANDO/BEALE, Principles of European Contract Law, Parts I and II; deutsche Übersetzung von DROBNIG/ ZIMMERMANN/ WICKE, ZEuP 2000, S. 675 ff. und von VON BAR/ZIMMERMANN, Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Teile I und II; französische Übersetzung von ROUHETTE/DE LAMBERTERIE/TALLON/WITZ, Principes du droit européen du contrat; italienische Version von CASTRONOVO, Principi di diritto europeo dei contratti, Parte I/II; vgl. auch BEALE, in ANDERSEN et al., Festskrift til Ole Lando, S. 21 ff.; DÍEZ-PICAZO/ROCA TRÍAS/MORALES MORENO, Los principios del Derecho europeo de contratos; BUSCH/ HONDIUS, The Principles of European Contract Law and Dutch Law; HONDIUS/NIEPER et al., NTBR 17 (2000), S. 428 ff.; HESSELINK/DE VRIES, Principles of European Contract Law; CLIVE, in SANTIAGO
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reich weitgehend auf den PECL beruhende Draft Common Frame of Reference (DCFR)29 und der Code Européen des Contrats (CE) der Akademie von Pavia.30 Am Rande und zum Vergleich wird auch auf den Entwurf eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts (CESL)31 eingegangen, der allerdings auf das Kaufrecht beschränkt ist und kein allgemeines Vertragsrecht darstellt. Die Frage ist, wie die genannten Regelwerke die Leistungsverzögerung systematisch einordnen, wie sie den Begriff definieren, wie sie die Interessen von Gläubiger und Schuldner ausgleichen. Unterstellt man sie also den Regeln einer speziellen Verzugs- oder denen einer allgemeinen Nichterfüllungshaftung? Welche Voraussetzungen bestehen, und welche Rechtsfolgen? Kann etwa nach einer Verzögerung der Leistung weiterhin Erfüllung oder nur Schadensersatz verlangt werden? Wie streng haftet der Schuldner? Ab wann besteht die Möglichkeit der Vertragsaufhebung und unter welchen Rückabwicklungsmodalitäten? Um die Zusammenhänge und Gegensätze zwischen den untersuchten europäischen Vereinheitlichungsmodellen besser zu verstehen, sollen diese Regelwerke einleitend kurz erläutert werden. Es wird sich zeigen, dass diese Modelle völlig unterschiedliche Lösungen enthalten, obwohl sie sich alle als Kompromiss europäischer Rechtstraditionen verstehen. Um deren Lösungen inhaltlich zu bewerten und um zu identifizieren, welches Modell den Kern eines europäischen Rechts der Leistungsverzögerung besser trifft, werden „Kontrollmaßstäbe“ herangezogen. Diese sind das Unionsprivatrecht, das römische Recht als historisches Einheitsrecht und nationale Leistungsstörungsrechte. Auch das Interesse an ihrer Untersuchung soll nachfolgende Darstellung kurz aufzeigen.
ESPIAU ESPIAU/ANTONI VAQUER ALOY, Bases de un derecho contractual europeo, S. 543 ff.; ALPA, Tul.Eur.Civ.L.F. 15/16, 2000-2001, S. 43 ff. 29 VON BAR/CLIVE/SCHULTE-NÖLKE, Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference, Outline Edition. 30 Auch Codice Gandolfi, zitiert als CE, Accademia dei Giusprivatisti Europei (Coordin. G. GANDOLFI), Code Européen des Contrats, Avant-projet, Livre Premier; VATTIER/DE LA CUESTA/CABALLERO, Código europeo de contratos I und II. 31 Nachweis in Fn. 27.
Kapitel 2
Grundlagen § 1 PECL, DCFR, CESL Die Principles of European Contract Law (PECL) wurden mit nur einigen Änderungen im allgemeinen Vertragsrecht des Draft Common Frame of Reference (DCFR) übernommen. PECL und DCFR werden daher zusammen erläutert, weil sie sich inhaltlich weitgehend decken. Beide Modelle bilden die Basis für die derzeitigen Arbeiten an einem optionalen Instrument, die wiederum gerade im Entwurf eines Common European Sales Law (CESL) eine Konkretisierung erfahren haben.1 Sie sind daher praktisch von großer Bedeutung. Die Arbeiten an den Principles of European Contract Law wurden auf Initiative des dänischen Professors LANDO aufgenommen. Als spiritus rector der Commission of European Contract Law wollte er ein allgemeines Vertragsrecht schaffen, das den common core der wichtigsten europäischen Rechtsfamilien berücksichtigt.2 Die Arbeiten begannen etwa zeitgleich mit der Tätigkeit der UNIDROIT Working Group für die Principles of International Commercial Contracts (UPICC).3 Inhaltlich zeigen die PECL eine sehr weit1
Siehe hierzu SCHULZE, Common European Sales Law; EIDENMÜLLER et al., JZ 2012, S. 269 ff.; REMIEN/HERRLER/LIMMER, Gemeinsames Europäisches Kaufrecht für die EU?; SCHMIDT-KESSEL, Ein einheitliches europäisches Kaufrecht?; FELTKAMP/VANBOSSELE, ERPL 2011, S. 873 ff.; DI MATTEO, J.I.T.L.&P. 2012, S. 222 ff.; HESSELINK, ERCL 2012, S. 342 ff.; LECZYKIEWICZ, ERCL 2012, S. 47 ff.; MICKLITZ/REICH, EUI Working Paper Law, No. 2012/04; BASEDOW, ERCL 2012, S. 82 ff; SMITS, Maastricht Faculty of Law Working Paper, No. 2012/13. 2 LANDO, RabelsZ 56 (1992), S. 265; Ole Lando gehörte auch der UNIDROIT Working Group an, wodurch die Arbeiten beider Kommissionen bis zu einem gewissen Grad koordiniert werden konnten. Siehe auch BONELL, An International Restatement of Contract Law, S. 86 und DERS., ZEuP 8 (2000), S. 391 ff. 3 UNIDROIT, Principles of International Commercial Contracts 2010, in mehreren Sprachfassungen unter http://www.unidroit.org. Die UPICC sind ein häufig gebrauchtes soft law-Instrument transnationalen Wirtschaftsrechts im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Als Quellen dienten neben der CISG nationale und internationale Rechtsvorschriften, u.a. das neue bürgerliche Gesetzbuch der Niederlande, der UCC, das Gesetz der Volksrepublik China über Außenwirtschaftsverträge von 1985, aber auch „exotischere“ Zivilrechtsordnungen sowie die Incoterms und die aus Handelsbräuchen und allgemeinen Rechtsgrundsätzen gebildete lex mercatoria. Die UPICC dienen zudem als Modell-
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gehende, meist wörtliche Ähnlichkeit mit den allein auf Handelsverträge zugeschnittenen UPICC,4 obwohl ihr sachlicher Anwendungsbereich auch Verbraucherverträge einschließt.5 Die Unterschiede zwischen handelsrechtlichen und verbraucherrechtlichen Regelungen verlieren hierdurch an Bedeutung. Die PECL kommen zudem in Grundidee, Struktur und Wortlaut auch der CISG sehr nahe, die durch Integration der Leistungsverzögerungsproblematik in die Vertragsverletzungshaftung und Verzicht auf einen eigenständigen Verzugstatbestand als Grundmodell diente. Es wird daher auch von einem „common core of concepts and solutions in these attempts at unification of the law of obligations“ gesprochen.6 In der Untersuchung des Leistungsstörungsrechts der PECL wird deshalb auch auf UPICC und CISG Bezug genommen. Die PECL als spezifisch europäisches Instrument kranken allerdings an einer mangelnden inhaltlichen Abstimmung mit dem Unionsprivatrecht.7 Zwar lässt sich dies mit der erst während und nach ihrer Abfassung8 zunehmenden und meist sektoriellen Tätigkeit des europäischen Gesetzgebers auf dem Gebiet des Privatrechts begründen, bleibt jedoch gleichwohl ein inhaltliches Manko. Aufgefangen wurde diese fehlende Koordination mit dem Unionsprivatrecht im DCFR und CESL. Der Entwurf eines gemeinsamen Referenzrahmens, der sich an der Restatement-Technik des American Law Institute orientiert,9 wurde 2009 in einer vollständigen Fassung mit Kommentierung
gesetz und beeinflussten einige osteuropäische Rechtsordnungen ganz entscheidend. Vgl. zu den UPICC BONELL, An International Restatement of Contract Law; FONTAINE, Bulletin de la Cour international d’arbitrage de la CCI, Supplément spécial 2002, S. 101 ff.; BONELL, UNIDROIT Principles 2004, Unif.L.Rev. 2004, S. 5 ff.; BERGER et al., ZVglRWiss 101 (2002), S. 12 ff.; FRICK, RIW 2001, S. 416 ff.; BERGER, Am.J.Comp.L. 46 (1998), S. 129 ff.; CANARIS in BASEDOW, Europäische Vertragsrechtsvereinheitichung und deutsches Recht, S. 5, 13 f. 4 Ähnlich auch JANSEN, Binnenmarkt, Privatrecht und europäische Identität, S. 6. 5 Zur Abgrenzung von den UNIDROIT Principles siehe BONELL, An International Restatement of Contract Law, S. 86. 6 SCHLECHTRIEM, Juridica Int. 6 (2001), S. 16 (19). 7 So auch WURMNEST, ZEuP 2003, S. 729 ff.; BASEDOW, Legal Studies 18 (1998), S. 138 ff. 8 1995 wurde eine erste Version von Teil I der Lando Principles veröffentlicht. Im Jahr 1992 begannen die Arbeiten an Teil II unter gleichzeitiger Überarbeitung des Teils I. Die Arbeiten der dritten Kommission (Teil III) wurden 2003 veröffentlicht. LANDO/BEALE, Principles of European Contract Law, Part I; DIES., Principles of European Contract Law, Parts I and II und DIES., Principles of European Contract Law, Part III; vgl. auch ZIMMERMANN, ZEuP 2000, S. 392. 9 Diese sind ein unverbindliches Regelwerk, das in einem Raum mit mehreren Teilrechtsordnungen der Rechtsvielfalt durch das Aufzeigen gemeinsamer Grundlinien abhelfen und zugleich ermöglichen soll, rechtsvergleichend Zugang zu den nationalen Besonderheiten
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Einführung und Grundlagen
veröffentlicht.10 In Auftrag gegeben wurde er von der Europäischen Kommission, nach mehrfachen mehr oder weniger weitgehenden Forderungen nach einem europaweit einheitlichen Vertragsrecht.11 Über den eigentlichen, der einzelnen Rechtsordnungen zu erhalten; SCHULTE-NÖLKE, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, S. 26-29. 10 VON BAR/CLIVE/SCHULTE-NÖLKE, Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference, Outline Edition, und mit umfangreicher Kommentierung als VON BAR/CLIVE, Draft Common Frame of Reference (DCFR), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Full Edition. Siehe auch die Interimsfassung VON BAR/CLIVE/SCHULTE-NÖLKE, Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference, Interim Outline Edition. 11 Ein unionsrechtlicher Regelungsrahmen wurde seit langem in verschiedenen Varianten angeregt. Ein gemeinschaftsweites Zivilgesetzbuch war hierbei die weitreichendste Forderung, die von CONSTANTINESCO bereits im Jahr 1960 geäußert wurde: „Au marché commun européen doit correspondre un droit privé communautaire“ (CONSTANTINESCO, in Marché commun, Institutions communes, Deuxième congrès de l’Association des universitaires d’Europe, S. 155 ff. (159)). Die EU-Institutionen diskutieren ein europäisches Vertragsrecht seit 1989 (s. die Resolutionen des Europäischen Parlaments vom 26. Mai 1989 (ABl. C 158, 26.6.1989, S. 400) und 6. Mai 1994 (ABl. C 205, 25.7.1994, S. 518), die ein Europäisches Zivilgesetzbuch forderten, die „Mitteilung zum Europäischen Vertragsrecht“ der Kommission vom 11.7.2001 (ABl. C 255, 13.9.2001, S. 1), die weitere Resolution des Parlaments zu einem Aktionsplan zur Herausbildung und Schaffung eines Europäischen Vermögensrechts vom 15.11.2001 (ABl. C 140, 13.6.2002, S. 538) und die Forderung des Wirtschafts- und Sozialausschusses nach einer an internationalen Rechtsvereinheitlichungsprojekten (UNIDROIT oder UNCITRAL) orientierten Vertragsrechtsvereinheitlichung im Jahr 2002 (Stellungnahme vom 17.7.2002 zur Kommissionsmitteilung 2001, dort unter 1, 2.3.4 und 2.4 lit. b). Auf die Kommentare zur Initiative des Jahres 2001 reagierte die Kommission 2003 mit ihrer zweiten Mitteilung „Ein kohärentes europäisches Vertragsrecht. Ein Aktionsplan“ (ABl. C 63, 15.3.2003, S. 1; zu den Kommentaren zu dieser Stellungnahme siehe exemplarisch STAUDENMAYER, EuZW 2003, S. 165; FAUVARQUE-COSSON, D. 2003, S. 1171-1173; SCHMIDT-KESSEL, RIW 2003, S. 481-489). Die Kommission wählte den kleinsten gemeinsamen Nenner: die Revision des vertragsrechtlichen acquis und die Schaffung eines Instruments mit dem unverfänglichen wie unpräzisen Namen Gemeinsamer Referenzrahmen/ Common Frame of Reference. Die Schimäre eines bindenden Europäischen Vertragsgesetzbuchs schien sich insbesondere zur Erleichterung der Juristen napoleonischer Tradition verflüchtigt zu haben (s. hierzu LEQUETTE, Quelques remarques à propos du projet de Code civil européen de M. von Bar, D. 2002, chron., S. 2202; HUET, Nous faut-il un «euro» droit civil?, D. 2002, chron., S. 2611). In einer Mitteilung vom 11. Oktober 2004 (KOM(2004) 651 endg.) konkretisierte die Kommission das weitere Vorgehen zum europäischen Vertragsrecht und zur Überarbeitung des acquis, betonte die Notwendigkeit kohärenter Verbraucherschutzrichtlinien, die zukünftige Rolle des Gemeinsamen Referenzrahmens als Richtschnur bei der Richtlinienumsetzung, seine eventuelle Verwendung in Schiedsverfahren sowie seine Rolle zur Ergänzung nationalen Rechts (s. KOM(2004) 651 endg., unter 2.1.2.). Nach dem Europäischen Rat schwenkte auch der Rat auf diese neue Linie ein und forderte eine Verbesserung und Konsolidierung der unionsprivatrechtlichen Vertragsrechtsnormen und eine Systematisierung verschiedener Rechtsbereiche mit dem möglichem Endziel eines optionalen Vertragsrechtsinstruments (vgl. Europäischer Rat, 4./5.11.2004, Ratsdok. 14292/04, S. 41. Haager Programm, Anh. I zum Ratsdok. 14292/04 und Rat, ABl. C 246,
Kapitel 2: Grundlagen
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von der Kommission gesteckten Rahmen des Vertragsrechts hinaus behandelt dieses Werk auch Interferenzbereiche zum Sachenrecht sowie zum außervertraglichen Haftungsrecht.12 Das Werk versteht sich als Prinzipienkatalog, der Definitionen, Grundkonzepte und Rechtsregeln enthält und durch Kommentare, rechtsvergleichende Erläuterungen und wirtschaftliche wie philosophische Erwägungen ergänzt wird. In den vertragsrechtlichen Teil des DCFR floss neben den PECL auch der acquis communautaire ein. Die PECL wurden in zwar teils modifizierter Form, jedoch ohne tiefgreifende Überarbeitung in das allgemeine Vertragsrecht des DCFR „eingeklebt“.13 Sie bestehen jedoch nach wie vor auch als eigenständiger Text fort.14 Die Elemente des acquis entnimmt der DCFR den Arbeiten der Acquis Group.15 Deren Ziel ist die Systematisierung und Bildung von Grundregeln aus dem acquis heraus. Auch erste eigenständige Versionen 14.10.2003, S. 1). Die Ausarbeitung der wissenschaftlichen Basis dieses Projekts oblag einem im Mai 2005 gegründeten Netzwerk, das verschiedene an einem europäischen Vertragsrecht arbeitende Gruppen einbezog (Joint Network on European Private Law – CoPECL: Study Group on a European Civil Code; Research Group on the Existing EC Private Law (Acquis Group); Project Group on a Restatement of European Insurance Contract Law; Association Henri Capitant; Société de Législation Comparée; Common Core Group; Research Group on the Economic Assessment of Contract Law Rules (Economic Impact Group; TILEC - Tilburg Law and Economics Center; "Database Group" und Academy of European Law (ERA); siehe auch http:// www.copecl.org). Der zeitliche Rahmen dieses Projekts wurde zunächst bis 2008 gesteckt. Nach einem ersten jährlichen Fortschrittsbereicht der Kommission (KOM(2005) 456 endg., 13. 9. 2005) hat das Parlament 2006 zwei Resolutionen erlassen, die das unklare Ziel der CFR-Initiative bemängelten und die Form und Kompetenzgrundlage in Frage stellten, auf die der Referenzrahmen gestützt werden soll. (Resolution vom 23.3.2006 und vom 4.9.2006, B6-0464/06). Das Parlament sieht im CFR ein Standardvertragsklauselwerk, das unter der Prämisse eines kohärenteren Verbraucherrechts mit hohem Verbraucherschutzniveau zu einem optionalen Instrument in den Bereichen Verbraucherverträge und Versicherungsrecht und letztlich eventuell zu einem verbindlichen Instrument wird (Europäisches Parlament 2.9.2003, ABl. C 76, 24.3.2004, S. 95). In der Resolution vom 4.9.2006 unterstrich das Parlament nochmals die Notwendigkeit einer Vereinheitlichung des Zivilrechts insgesamt. Vgl. hierzu auch Kap.1, Fn. 28. 12 Vgl. zum Inhalt auch VON BAR, Juridica Int. 10 (2005), S. 17; DERS. in MANSEL et al., Festschrift Jayme II, S. 1217 (1221 ff.) sowie SCHULZE/VON BAR/SCHULTE-NÖLKE, Der akademische Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen, Kontroversen und Perspektiven. Hinsichtlich des Eigentumsvorbehalts, der Sicherungsübereignung oder der Fungibilität von Grundpfandrechten soll ein praktisches Bedürfnis sowie ein Wunsch nach Vereinheitlichung ausdrücklich belegt sein, siehe VON BAR, a.a.O., S. 1223. 13 Zur Kritik hieran vgl. Teil 1 dieser Arbeit. 14 Von französischer Seite wird im Übrigen als eine Art Gegenmodell zum DCFR eine Änderung der PECL vorgeschlagen. S. FAUVARQUE-COSSON/MAZEAUD (Koord.), Principes Contractuels Communs. Siehe dazu auch Fn. 18. 15 RESEARCH GROUP ON EXISTING EC PRIVATE LAW (ACQUIS GROUP), http:// www.acquisgroup.org; SCHULTE-NÖLKE, ZEuP 2002, S. 893. Für Ergebnisse siehe auch Acquis Group, Contract I – Precontractual Obligations, Formation of Contract, Unfair Terms.
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Einführung und Grundlagen
der Acquis Principles (ACQP) in Restatement-Form wurden bereits veröffentlicht.16 Der DCFR verbindet und systematisiert PECL und privatrechtlichen acquis in einem einzigen Text. Inhaltlich problematisch ist jedoch vor allem das Zusammenfügen der nur wenig modifizierten PECL als allgemeines Vertragsrecht mit den Vorarbeiten der Acquis Group im besonderen Vertragsrecht und zu Verbraucherschutzfragen. Hierdurch entstand eine zuweilen unausgegoren wirkende Vermischung. Eine tiefergehende Koordination europäischer Vertragsrechtsprinzipien mit dem acquis scheint im Bereich des allgemeinen Vertragsrechts nicht stattgefunden zu haben und hat daher an Notwendigkeit gewonnen.17 Im Bereich des Leistungsstörungsrechts folgen PECL wie DCFR einem rechtsfolgenorientierten Konzept, das auf einen eigenen Verzugstatbestand völlig verzichtet. Die Regelungen der Leistungsverzögerung legen ein Schwergewicht auf die Interessen des Gläubigers. Die Arbeiten an einem optionalen Instrument nahmen PECL und DCFR als Ausgangspunkt. Ab Mitte 2010 arbeitete die Expert Group on a Common Frame of Reference in the Area of European Contract Law auf der Basis des DCFR an der Ausarbeitung eines optionalen Instruments.18 Deren Arbeiten dienten wiederum als Vorarbeiten für den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über ein Gemeinsames Euro-päisches Kaufrecht, ein Common European Sales Law (CESL).19 Da das CESL im Wesentlichen auf das Kaufrecht beschränkt ist, orientiert es sich zudem stark an der Struktur der CISG. Das CESL gibt wertvolle Hinweise darauf, welche Strukturen und Vorschriften von den Europäischen Institutionen befürwortet werden und sich am besten in der Praxis umsetzen lassen.
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Neben den genannten Initiativen gibt es noch weitere, z.B. die Study Group on a European Civil Code, die Common Core Group, die Association Henri Capitant etc., alle auch Teil des CoPECL-Netzwerks (DCFR). 17 Dass die Kombination des verbraucherrechtlichen acquis mit den PECL und die thematische Ausweitung des DCFR weit über das Vertragsrecht hinaus Zweifel aufwirft, scheint auch durch Gegenentwürfe innerhalb des CFR-Netzwerks bestätigt: Eine französische Teilgruppe unter der Leitung von Denis MAZEAUD und Bénédicte FAUVARQUE-COSSON, die zur Kommentierung der DCFR-Arbeiten berufen war, hat unter dem Titel Principes Contractuels Communs einen eigenen Vorschlag für ein europäisches Vertragsrecht veröffentlicht. Es handelt sich um eine Version der Principes du droit européen du contrat révisé, eine korrigierte Aktualisierung der PECL, die mit dem DCFR nicht übereinstimmt und sich allein auf das allgemeine Vertragsrecht beschränkt. FAUVARQUE-COSSON/MAZEAUD (Koord.), Principes Contractuels Communs. S. auch FAUVARQUE-COSSON, ERA Forum 9 (2008), S. 51 ff. 18 Commission Decision 2010/233/EU. 19 KOM(2011) 635 endg.
Kapitel 2: Grundlagen
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§ 2 Code Européen des Contrats Der Entwurf eines Code Européen des Contrats – Livre Premier20 (Vorentwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs – Buch 1: Verträge im Allgemeinen) ist in mehrerlei Hinsicht das Gegenmodell zu PECL und DCFR. Bereits der Ansatz ist weitergehend: Im Unterschied zu den Verfassern der Principles glaubte die 1992 in Pavia gegründete und von G. GANDOLFI geleitete Accademia dei Giusprivatisti Europei21 daran, eine Kodifikation formulieren zu können, die künftig die EU-Mitgliedstaaten durch ihre Rechtsnormqualität binden, an die Stelle nationaler Kodifikationen treten22 und so zu einer effektiven Vereinheitlichung führen könnte, die durch präzise Regeln eine national gefärbte Auslegung vermeidet. Geregelt wurde – abgesehen von einigen Anklängen an das Prozessrecht23 – ausschließlich das Schuldvertragsrecht, da man in dieser Materie ein vorrangiges Bedürfnis nach Vereinheitlichung erkannte. Das Endprodukt, der in französischer Sprache verfasste und in vier Sprachen übersetzte Code Européen, verfolgt ein hehres Ziel, setzt sich durch seinen weniger elastischen und anpassungsfähigen24 Kodifikationsstil aber auch höheren inhaltlichen Anforderungen aus als die PECL. Den Arbeiten liegt in erster Linie das verhältnismäßig junge vierte Buch des italienischen Obligationenrechts zugrunde25, das Elemente des deutschen BGB und des französischen Code civil26 in sich trägt.27 Dieses relativ moderne und als Kompromiss großer kontinentaleuropäischer Kodifikationen verstan20
ACCADEMIA DEI GIUSPRIVATISTI EUROPEI (Coordinateur G. GANDOLFI), Code Européen des Contrats, Avant-projet, Livre Premier; deutsche Übersetzung: SCHULZE/ZIMMERMANN, Basistexte zum Europäischen Vertragsrecht, S. 473 ff.; siehe auch GANDOLFI, ZEuP 2002, S. 1, 2; DERS, Riv.Dir.Civ. 1993, S. 415 und Riv.Dir.Civ. 2001, S. 455 ff. sowie L’attualità del quarto libro del codice civile nella prospettiva di una cosificazione europea, in VATTIER/DE LA CUESTA/CABALLERO, Código europeo de contratos, I und II; DE LOS MOZOS, Foro Padano 1992, S. 46; GRIDEL, Gaz. Pal. 2003, n° 52, S. 3; ZIMMERMANN, in MANSEL et al., Festschrift Jayme II, S. 1401 ff. Vom zweiten Buch („Einzelne Verträge“) wurde eine deutsche Version des ersten Titels in ZEuP 2009, S. 624 ff. veröffentlicht. 21 Die Kommission bestand aus Wissenschaftlern verschiedener westeuropäischer Staaten, die die Lösungen ihres nationalen Rechts sowie ihre Ansichten in die Textform des 11 Kapitel und 173 Artikel umfassenden Code einbrachten; GROSSI, Riv.Dir.Civ. 1997, S. 183; SONNENBERGER, RIW 2001, S. 409 (416). 22 SONNENBERGER, RIW 2001, S. 409 (410). 23 Zum Erfüllungsanspruch: Art. 111 Abs. 1 und 2 CE, zur astreinte: Art. 111 Abs. 3 CE, zur Schiedsgerichtsbarkeit: Art. 173 CE. 24 PATTI, ZEuP 2004, S. 118 (119). 25 Der Codice Civile stammt aus dem Jahr 1942; verarbeitet wurden von Buch IV Titel I Codice Civile: obbligazioni in generale; Titel II Codice Civile: contratti in generale. 26 Livre III Titre III: Des contrats ou des obligations conventionelles en général. 27 ACCADEMIA DEI GIUSPRIVATISTI EUROPEI (Coordinateur G. GANDOLFI), Code Européen des Contrats, Avant-projet, Livre Premier.
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Einführung und Grundlagen
dene nationale Regelwerk28 wurde mit dem englischen Entwurf eines Contract Code von MCGREGOR verschmolzen, der englisches und schottisches Vertragsrecht vereint.29 Da man im schottischen Recht als Mischrechtssystem bereits einen „point of reconciliation and a model of the symbiosis of legal systems“ sah, versprach die Kombination mit dem McGregor Code eine Art vertragsrechtliches Idealsystem,30 eine Symbiose aus common und civil law. Ein dem nationalen Sachrecht vergleichbares Normengefüge sollte verhindern, dass sich nationale Rechtsordnungen in alle Zukunft weiterhin behaupten.31 Erklärtes Ziel war es dabei, den Code zur Sicherung größtmöglicher Akzeptanz von allen europäischen Ländern ausführlich, verständlich und leicht auslegbar zu formulieren.32 Diesem Ziel zum Trotz sind die Regelungen des Code Européen von ihrer Systematik und Detailliertheit her selbst für den Juristen schwer zu durchdringen. Es wird daher die nicht unbegründete Kritik erhoben, das Werk stelle „hohe Ansprüche an dogmatisches und systematisches Einfühlungsvermögen.“33 Auch die doch deutliche Zentrierung auf das Modell des italienischen Codice Civile erweist sich möglicherweise als Krux. Bislang ist das relativ junge italienische Obligationenrecht nur wenig modernisiert worden, da es den Reformbedarf vieler älterer Kodifikationen34 bereits in seiner ersten Fassung berücksichtigt hat. Da die Regelung des Miet- oder Konsumentenschutzrechts außerhalb des Codice jedoch zu einem gesetzgebungstechnisch unbefriedigenden „Dekodifizierungsprozess“ führte, werden hinsichtlich des Obli-
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GANDOLFI, in UNIVERSITÀ DEGLI STUDI DI MILANO, I cinquant’anni del codice civile, S. 735 ff.; FERRI, Considerazioni intorno all’ipotesi di un progetto di codice europeo dei contratti, Quadrimestre 1991, S. 367. 29 MCGREGOR, Contract Code drawn up on behalf of the English Law Commission, Studi sulla fenomenologia negoziale nell’area europea. Der zwischen 1965 und 1972 erarbeitete Entwurf kann als eine Vorstudie zu einer Vereinheitlichung des englischen und schottischen Vertragsrechts bezeichnet werden und damit als eine Mischung von common law und dem kontinentalen Systemen näherstehenden schottischen Recht. Seine weitere Ausarbeitung wurde jedoch von der English Law Commission als zu ambitiös aufgegeben. Die Veröffentlichung des Textes wurde von GANDOLFI angeregt, der diesen als Arbeitsgrundlage für den Entwurf des Code européen des contrats herangezogen hat. 30 ÖRÜCÜ/ATTWOOLL/COYLE, Studies in Legal Systems: Mixed and Mixing, S. 350; vgl. auch DU PLESSIS, Stellenbosch LR 3 (1998), S. 343: “[I]t can be argued that mixed legal systems have the potential of being legal battlefields where rules from different systems have to fight for their survival so that only the fittest or best rules survive.” 31 GANDOLFI, ZEuP 2002, S. 1 (2). 32 A.a.O. 33 SCHWENZER, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37 (39). 34 Beispielsweise im Hinblick auf die Normierung der vorvertraglichen Haftung oder Regelungen zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Kapitel 2: Grundlagen
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gationenrechts Reformüberlegungen angestellt35, im Zuge derer auch das Verhältnis zwischen dem allgemeinen und besonderen Vertragsrecht neu bestimmt werden soll. Der Code Européen des Contrats geht damit in eine unsichere Zukunft und wird von einigen schon als „tot“ bezeichnet.36 Im Leistungsstörungsrecht differenziert das Werk nach Leistungsstörungskategorien und verfolgt damit ein tatbestandsorientiertes Konzept. Die Regelung der Leistungsverzögerung zeigt eine deutliche Entscheidung zugunsten eines „Mehr“ an Schuldnerschutz und steht damit im auffallenden inhaltlichen Gegensatz zu PECL und DCFR.
§ 3 Kontrollmaßstäbe In ihren inhaltlichen Details werfen die europäischen Projekte jedoch noch mehr Fragen auf, als ein bloßer Vergleich der untersuchten europäischen Regelwerke untereinander beantworten kann. Sowohl PECL und DCFR als auch der Code Européen sehen sich als Kompromiss europäischer Rechtstraditionen, verfolgen aber in ihrer Regelung der Leistungsverzögerungsproblematik einen derart unterschiedlichen Ansatz, dass man sich die Frage stellen muss, welche Konzepte nun als europäische Rechtstraditionen betrachtet werden können. Der DCFR will zudem Prinzipien des Unionsprivatrechts enthalten, kopiert aber in sein allgemeines Leistungsstörungsrecht überwiegend fast wörtlich die PECL. Unionsprivatrecht scheint jedenfalls bei der Leistungsverzögerung nicht ausreichend reflektiert zu werden. Um zu beurteilen, ob die untersuchten Regelwerke unionsprivatrechtliche Grundprinzipien und europäische Rechtstraditionen ausreichend berücksichtigen und um zu bewerten, welches Vereinheitlichungsprojekt strukturell und sachlich die überlegene Lösung bietet und im Fall der Leistungsverzögerung die Interessen von Gläubiger und Schuldner am besten zum Ausgleich bringt, ist die Untersuchung auf das Unionsprivatrecht, auf das historische Einheitsrecht, d.h. römisches Recht und ius commune als Ursprung des Verzugstatbestands, und auf Besonderheiten nationaler Rechtstradition auszudehnen, die hier als „Kontrollmaßstäbe“ bezeichnet werden.
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Atti del Convegno “Il diritto delle obbligazioni e dei contratti: verso una riforma? Treviso 23-25 marzo 2006“, fascicolo n. 5/2006, in Riv.Dir.Civ. 2006. 36 So PATTI in seinem Vortrag auf der Würzburger Tagung „Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht“, 27. und 28.10.2006.
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Einführung und Grundlagen
I. Unionsprivatrecht Das Unionsprivatrecht37 wird häufig noch als fragmentarisches, systemloses Flickwerk gesehen. Ein richtlinienübergreifendes Gesamtsystem im Sinn eines einheitlichen Ansatzes zu einer über einzelne Sektoren und die Grenzen des personellen und sachlichen Anwendungsbereichs unionsprivatrechtlicher Normen hinausgehenden übergreifenden Privatrechtsharmonisierung wird nicht auf den ersten Blick erkennbar.38 Im Gegenteil folgte das Sekundärrecht vielmehr politischen Ideen und Notwendigkeiten. Es untergrub hierdurch teils die gewachsenen Privatrechtsordnungen.39 Das fehlende Gesamtprogramm wurde durch Begriffsinkohärenzen in den verschiedenen unionsprivatrechtlichen Regelwerken verschärft.40 Meint ein common lawyer ohnehin „[t]he most ingenious way of becoming foolish, is by a system“,41 scheint es anderen absurd, strukturprägende Grundentscheidungen gerade im bestehenden Richtlinienrecht finden zu wollen. Trotz seines pointillistischen Charakters lassen sich aber gerade im Leistungsstörungsrecht verallgemeinerungsfähige Grundstrukturen erkennen.42 Das Unionsprivatrecht besteht überwiegend aus Richtlinien43, die sich zunächst im Wesentlichen auf vordringlich regelungsbedürftige Teilgebiete des Privatrechts, insbesondere auf das Verbraucherschutzrecht, beschränkten.44 In 37
Den Versuch einer Begriffsdefinition des „Gemeinschaftsprivatrechts“ (nun „Unionsprivatrecht“) machte MÜLLER-GRAFF, der hierunter alle Normen des Privatrechts subsumiert, die die Regelung des Rechtsverkehrs Privater zum Gegenstand haben und kraft Gemeinschaftsrechts Geltung in allen oder für alle EU-Mitgliedstaaten beanspruchen; MÜLLERGRAFF, Privatrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht – Gemeinschaftsprivatrecht, S. 27. 38 Siehe die Skizze des Vorgehens der Europäischen Kommission bei der Privatrechtsangleichung in REMIEN, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, S. 99. 39 Staudinger/COING/HONSELL, Einleitung, Rn. 113, 113a. Siehe auch ANCEL, in PIGNARRE, Forces subversives et forces créatrices en droit des obligations, S. 139: „[…] procédant sans esprit de système (il faut le rappeler), dans le respect des compétences attribuées (il faut le reconnaître), les directives souffrent d’un manque de coordination et de cohérence.“ S. auch JUNG, in CASHIN RITAINE/LEIN, The UNIDROIT Principles 2004, S. 77 (79). 40 So selbst KOM(2003) 68 endg., S. 9. 41 LORD SHAFTESBURY, Soliloquy, or Advice to an Author, S. 132, zitiert in AYRES, Characteristics of Men, Manners, Opinions, Times, S. 85 (151). 42 Vgl. zur Problematik auch SCHMIDT-KESSEL, JbZvRWiss 2000, S. 61 ff. (61), ebenso LANDO, RabelsZ 56 (1992), 263; LEIBLE, EWS 2001, S. 471; MÜLLER-GRAFF, NJW 1993, S. 13; Staudinger/COING/HONSELL, Einleitung, Rn. 113, 113a. 43 Ein Beispiel bietet etwa die Verordnung 261/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46, 17.2.2004, S. 1-8). 44 TIMME, ZRP 2000, S. 302.
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jüngerer Zeit berührten diese jedoch immer häufiger auch das besondere, teils sogar das allgemeine Schuldrecht,45 so etwa die Richtlinien über grenzüberschreitende Überweisungen46, Fernabsatzverträge47 und E-commerce,48 die Klauselrichtlinie 93/13/EWG49, die Pauschalreiserichtlinie 90/314/EWG50 und die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG,51 und zuletzt die Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU,52 die einige der vorgenannten Rechtsakte in abgeänderter Form in einem einzigen Text zusammenführt. Insbesondere die Pauschalreiserichtlinie und die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie enthalten weitreichende Vorgaben für das Leistungsstörungsrecht. Durch erstere wurde ein 45
MÜLLER-GRAFF, NJW 1993, S. 13 (23). Richtlinie 97/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über grenzüberschreitende Überweisungen, ABl. L 043, 14.2.1997, S. 25-30. Die Richtlinie wurde durch Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG, ABl. L 319, 5.12.2007, S. 1 ff., aufgehoben. Sie bleibt jedoch für die vorliegende Arbeit von Bedeutung, da ihr Wortlaut und dessen Auslegung insbesondere im Vergleich zur Zahlungsverzugsrichtlinie wichtige Hinweise für die Prinzipienbildung im Unionsprivatrecht lieferten. 47 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Fernabsatzverträgen, ABl. L 144, 4.6.1997, S. 19-27 geändert durch Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. L 271, 9.10.2002, S. 16-24. Die Richtlinie 97/7/EG wurde jüngst in die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/ 44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 304, 22.10.2011, S. 64 ff., integriert. 48 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. L 178, 17.6.2000, S. 1-16. 49 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. L 95, 21.4.1993, S. 29-34, jüngst geändert durch Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, ABl. L 304, 22.10.2011, S. 64 ff. 50 Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen, ABl. L 158, 23.6.1990, S. 59-64. 51 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. L 171, 7.7.1999, S. 12-16. 52 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 304, 22.11.2011, S. 64 ff. 46
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Einführung und Grundlagen
Vertragstyp insgesamt harmonisiert,53 durch letztere wurde die Struktur nationaler Gewährleistungsrechte auf die Probe gestellt. Auch in der Zahlungsverzugsrichtlinie 2000/35/EG, neugefasst durch Richtlinie 2011/7/EU,54 setzt sich der europäische Gesetzgeber gezielt mit einem Teilbereich der Leistungsverzögerungsproblematik auseinander, der in der Praxis zu einem erheblichen Geschäftsrisiko führt.55 Er harmonisierte ihn zwar nur für Unternehmensgeschäfte, dies aber immerhin sektorübergreifend für alle Zahlungsansprüche. Es hat sich also bereits ein vertragsrechtliches „Richtliniennetz“ herausgebildet, wie auch die Acquis Principles belegen,56 und es wird vertreten, die kritische Masse des acquis zur System-, Prinzipien- und Regelbildung aus sich selbst heraus sei bereits erreicht.57 Mit dem Grünbuch zur Überprüfung des Besitzstandes im Verbraucherschutz58 und der Ausarbeitung eines „Gemeinsamen Referenzrahmens“ sollte weiter zur Systematisierung und Überarbeitung des acquis beigetragen werden. Tatsächlich präsentierte sich das Unionsprivatrecht in jüngerer Zeit auch durchaus systematischer und umfassender, wie etwa die Zahlungsverzugsrichtlinie59 oder die in die Leistungs53
Dazu SIEHR, in CANARIS/ZACCARIA, Die Umsetzung von zivilrechtlichen Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft in Italien und Deutschland, S. 69 (71). 54 Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.6.2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl. L 200, 8.8.2000, S. 35 ff., neugefasst in Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl. L 48, 23.2.2011, S.1 ff. Die Vorgeschichte der Richtlinie reicht bis ins Jahr 1992 zurück. Vgl. bereits das Commission Staff Working Paper on the problem of the time taken to make payments in commercial transactions, Dok. SEC(92) 2214, 18.11.1992, die Empfehlung der Kommission vom 12.5.1995 über die Zahlungsfristen im Handelsverkehr, ABl. L 127, 10.6.1995, S. 19, das Explanatory Memorandum in ABl. C 144, 10.6.1995, S. 3, den Bericht über Zahlungsverzug im Handelsverkehr vom 17.7.1997, ABl. C 216, 17.7.1997, S. 10, die nachfolgenden Richtlinienvorschläge KOM(1998) 126 endg. vom 28.4.1998 (ABl. C 168, 3.6.1998, S. 13) sowie KOM(1998) 615 endg. vom 29.10.1998 (ABl. C 374, 3.12.1998, S. 4) und schließlich nach den Reaktionen des Rates (ABl. C 284, 6.10.1999, S. 1) und des Europäischen Parlaments (ABl. C 296, 18.10.2000, S. 173-181) auf den zweiten geänderten Vorschlag KOM(2000) 133 endg., 8.3.2000. 55 Durch eine negative Zahlungsmoral und unterschiedliche Zahlungsfristen im europäischen Vergleich kam es zu Außenständen in astronomischer Höhe. Viele Unternehmen verloren durch verzögerte Zahlungen Liquidität. Eine von vier Insolvenzen war auf die wirtschaftlichen Folgen des Zahlungsverzugs zurückzuführen. Besonders betroffen waren naturgemäß kleine und mittelständische Unternehmen, so der Bericht über den Zahlungsverzug im Handelsverkehr vom 17.7.1997, ABl. C 216, 17.7.1997, S. 10; SCHULTE-BRAUCKS, NJW 2001, S. 105. 56 Vgl. zum Stand der Arbeiten unter http://www.acquis-group.org und RESEARCH GROUP ON THE EXISTING EC PRIVATE LAW (AQUIS GROUP), Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles), Contract I. 57 PFEIFFER, EWS 2004, S. 98 (102). 58 KOM(2006) 744 endg., 8.2.2007. 59 Nachweis in Fn. 56.
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störungssystematik stark eingreifende Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/ EG zeigen.60 Eine grundsätzliche Fähigkeit zur Systembildung belegen auch die Versuche einiger nationaler Gesetzgeber, im Unionsprivatrecht nicht nur einen unkoordinierten Angriff auf das nationale Zivilrecht zu sehen, sondern darin vertragsrechtliche Systemansätze oder einen cadre de référence für nationale Zivilgesetzbücher zu erkennen.61 Die Implementierung der durch Rechtsangleichungsmaßnahmen geschaffenen Spezialgesetzgebung und die Zulassung eines spill over-Effekts62 auf das allgemeine Leistungsstörungsrecht führte etwa zu einer weit stärkeren Europäisierung des deutschen Schuldrechts und zugleich einer stärkeren internen Systematisierung des Rechts.63 Hieran zeigt sich zugleich, dass Unionsprivatrecht gerade auch im hier interessierenden Bereich des Leistungsstörungsrechts durchaus zur Systembildung taugt. Dort, wo das Unionsprivatrecht verallgemeinerungsfähige Vorgaben zum allgemeinen Vertragsrecht enthält, gibt es zudem einen länderübergreifenden Harmonisierungsmaßstab vor. Unionsprivatrecht ist nicht nur berücksichtigungswürdig, sondern berücksichtigungsbedürftig, weil es supranationale Grundprinzipien64 als Maßstab in den Raum stellt. Eine Abstimmung der untersuchten Regelwerke mit dem Unionsprivatrecht ist daher nicht nur wissenschaftlich interessant, sondern rechtstechnisch und inhaltlich geboten, um ein widersprüchliches und unkoordiniertes Nebeneinander unterschiedlich strukturierter Regelungskomplexe zu vermeiden. In einem europäischen Vertragsrecht müssen Grundentscheidungen des acquis daher, soweit möglich, auf systematische Weise integriert werden. „Ihre Systematisierung, Inbeziehungsetzung zu den Principles und Fruchtbarmachung für die Rechtsfortbildung im Bereich des Vertragsrechts ist eine vordringliche Aufgabe […].“65 Diese Grundentscheidungen sollen in Teil 2, Kapitel 5 dieser Arbeit identifiziert werden. 60
Nachweis in Fn. 52. Vgl. unten Teil 2 Kap. 5, sowie die Arbeiten der Acquis Group, hierzu oben Fn. 16. 62 Vgl. zu diesen Effekten in nationalen Privatrechtssystemen WILHELMSSON, in WILHELMSSON, Twelve Essays on Consumer Law and Policy, S. 133 ff.; LURGER, in FISCHER-CZERMAK/HOPF/SCHAUER, Das ABGB auf dem Weg in das 3. Jahrtausend, S. 111 (123); LEIBLE, German L.J. 4 (2003), S. 1266. 63 Vgl. zum deutschen Recht die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drs. 6857; LEIBLE, in BADOSA COLL/ARROYO AMAYUELAS, La Armonización del Derecho de Obligaciones en Europa, S. 125 (128 ff.); zum niederländischen Recht SMITS, Handelingen Nederlandse JuristenVereniging, S. 57 ff. und DERS., in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, S. 117 (129): „[T]he Dutch were led by their desire to keep private law consistent and intelligible and not turn it into patchwork.” 64 GOODE, Ius Commune Lectures on European Private Law 8, S. 9: „But these rules represented a superstructure imposed on foundations of general contract law […].” 65 So in Bezug auf das Verbrauchervertragsrecht HEISS, ZfRV 1995, S. 54 (60). 61
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II. Historisches Einheitsrecht Die europäische Rechtstradition im Bereich der Leistungsverzögerung hat ihren Ursprung im römischen Recht. Es ist zugleich der Ursprung nationaler Verzugsregeln und historisches „europäisches“ Einheitsrecht. In der Literatur wird eine Bestandsaufnahme des klassischen römischen Rechts und seiner späteren Fortentwicklung als ius commune im Zusammenhang mit der europäischen Privatrechtsvereinheitlichung dringend angemahnt, um das moderne Recht historisch zu erklären und die Ursprünge gemeinsamer europäischer Rechtskultur66 zu identifizieren.67 Obgleich das römische Recht wesentliche Anhaltspunkte im Rahmen europäischer Vereinheitlichungsbestrebungen geben kann, wird dieser Ansatz nicht einhellig begrüßt68 und als „amusette de savant“69 betrachtet. Dabei liegt das Interesse am historischen Einheitsrecht eigentlich auf der Hand: „[I]l ne faut pas oublier, que cette histoire est très instructive même pour la formation d’un nouveau code. Il n’y a pas meilleur moyen pour nous rendre modeste que de nous apercevoir que l’intelligence par sa propre force ne peut que très peu s’élever au-dessus du savoir de nos ancêtres.“70 Wie bereits zur Zeit des ius commune und damit immerhin 600 Jahre nach Schaffung des corpus iuris civilis erkannt wurde,71 kann ein Bemühen um eine Weiterentwicklung des Rechts in eine gemeinsame Richtung nur von der Suche nach gemeinsamen Grundlagen und gegebenenfalls auch nach historischen Fehlentscheidungen getragen sein. Eine rechtsvergleichende und rechtsinnovative Forschung gewinnt durch einen Blick in die gemeinsame Vergangenheit und durch das Verstehen gemeinsamer Ursprünge an dogmatischer Kontur.72 Die vereinheitlichende Wirkung des römischen Rechts ist noch in den gegenwärtigen kontinentaleuropäischen Kodifikationen wahrnehmbar.73 Dies
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Es geht um die Beantwortung einer von ZIMMERMANN formulierten Frage: „Inwieweit sind die modernen Privatrechtsordnungen gewissermaßen Varianten eines einheitlichen Themas? Wo liegen die Gemeinsamkeiten, die auch für ein künftiges europäisches Privatrecht tragfähig sind?“, JZ 1992, S. 8 (10); COING, Die ursprüngliche Einheit der europäischen Rechtswissenschaft. 67 Vgl. ZIMMERMANN, AcP 202 (2002), S. 243 ff. 68 Siehe etwa WIEGAND, RJ 12 (1993), S. 277; BRAUNEDER, ZNR 15 (1993), S. 225 ff.; BALDUS/WACKE, ZNR 17 (1995), S. 287. 69 MEIJERS, Bull.Trimest.Soc.Lég.Comp. 1948, S. 199. 70 A.a.O.; siehe auch MARTIALIS: „Hoc est vivere bis, vita posse priore frui.“ 71 ZIMMERMANN, AcP 202 (2002), S. 243 (252). 72 KNÜTEL, ZEuP 1994, S. 244 (248). Die Dogmengeschichte zeigt, dass das Recht teilweise wieder zu ursprünglichen Rechtsfiguren und Lösungen zurückfindet. HONSELL, Römisches Recht, § 2, S. 3. 73 „[…] che ha trovato la sua espressione più significativa nell’idea di un sistema omogeneo ed unitario capace di ridurre ad unità la molteplicità delle realtà giuridiche particolari“,
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gilt insbesondere für das Obligationenrecht, „the greatest and most perfect creation of the Roman legal genius“74 und überzeugendstes Exportprodukt seiner Zeit.75 „In all the codifications of the 19th and 20th centuries there is a unity: The Modern Codes may be regarded as republications, to a large extent, of Justinian’s monumental codification of Roman Law – but adapted to modern times and garbed into modern linguistic dresses.”76 HONSELL spricht hier sogar von Mutter- und Tochterrechtsordnungen.77 Der Begriff römisches Recht hat jedoch viele Gesichter. Das römische Recht, welches Justinian im Jahr 533/534 im corpus iuris civilis zusammenfassen ließ,78 ist ein im Vergleich zum klassischen Recht bereits verändertes Recht. Die Digestenquellen sind also nicht zwingend „klassisch“. Genauso wenig entspricht die Auslegung im ius commune der Rechtsanwendung zur Zeit Justinians. Zudem wies sie regionale Unterschiede auf, da die Reaktivierung des römischen Rechtsstoffs nicht zeitgleich und in unterschiedlichem Umfang geschah und durch verschiedene Auslegungen in neue und unterschiedliche Richtungen beeinflusst wurde. Trotz der inhaltlichen Veränderung, Fortentwicklung und Durchmischung mit anderen Elementen erstreckte sich der Rezeptionsprozess auf fast ganz Europa, und die Rückkehr des römischen Rechts ab dem Ende des 11. Jahrhunderts schuf eine intellektuelle europäische Einheit.79 Im 16. Jahrhunderts galt römisches Recht in weiten Teilen desjenigen Europas, das sich gerade zu einer erweiterten EU zusammengefügt hat:80 „[…] The whole of educated Europe formed a single unCARAVALE, Alle origini del diritto europeo, ius commune, droit commun, common law – Nella dottrina giuridica della prima età moderna, S. 4. 74 SCHULZ, Classical Roman Law, S. 462, unter Berufung auf die Äußerungen GIERKES. 75 „Tam evidens […] est ejus juris in plerisque partibus, iis maxime, quae ad contractus aut damnum injuria datum pertinent, aequitas, ut, ad quos popululos Romana arma pertingere nunquam potuerunt […]“, STRYK, Usus Moderni Pandectarum vol. 14, De usu et auctoritate juris romani, § 42. 76 SHERMAN, Roman Law in the Modern World, S. 5; SCHULZ, Classical Roman Law, S. 462. 77 HONSELL, Römisches Recht, § 2, S. 3. Vgl. auch SCHULZ: „[It can] influence presentday thinking in that, contrary to another tradition and present day experience, namely the legal thinking moulded by one nation-state, it contributes from a historical standpoint to a consciousness of a shared European identity”, J.Leg.Hist. 13 (1992), S. 270-295. 78 ZIMMERMANN, AcP 202 (2002), S 243 (252) beschreibt das corpus iuris als einen gigantischen Torso des römischen Rechts, der in bunter Mischung Fallentscheidungen, Rechtsgutachten, Rechtsregeln, Kommentarstellen, Disputationen, Auszüge aus Lehrbüchern und Monographien – insgesamt Fragmente aus etwa 2000 Büchern – enthält. 79 Vgl. ZIMMERMANN, JZ 1992, 10 ff.; COING, Die ursprüngliche Einheit der europäischen Rechtswissenschaft. 80 Zur Illustration: Das Werk GROTIUS’ De jure belli ac pacis existierte zum Ende des 17. Jahrhunderts in 40. Auflage in Deutschland, Holland, Italien und der Schweiz und wurde zehnmal ins Französische, siebenmal ins Englische, sechsmal ins Deutsche und einmal ins Italienische übersetzt. Die Mobilität der Professoren wie Studenten war bemerkenswert. Sie
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differentiated cultural unit.”81 Dieses damalige europäische Rechtsbewusstsein entsteht gegenwärtig erst langsam wieder.82 Gefördert wurde dies auch durch den gemeinsamen Gebrauch des Lateinischen,83 das die Herausbildung gemeinsamer Systeme und Begrifflichkeiten ermöglichte.84 Heutige osteuropäische Staaten wie Polen oder Tschechien teilen also nicht erst über die Rezeption des BGB, des ABGB oder des Code civil ein gemeinsames Erbe mit Westeuropa. Selbst England blieb vom römischen Recht nicht gänzlich unverschont, da die Chancellors der Courts of Equity mit römischrechtlichen Regeln, Kategorien und Denkfiguren vertraut waren.85 Diese gemeinsame Basis verschleierte sich mit dem Rückzug der lateinischen Sprache, dem Einflussverlust der Kirche und dem Niedergang des Heiligen Römischen Reiches. Lokale Coutumes86 und das völkerrechtliche Natur- und Vernunftrecht mit seinem Ideal einer Gemeinschaft von an bestimmten Grundätzen und Prinzipien orientierten souveränen Staaten mit
lehrten oder studierten an verschiedenen über das heutige Europa verstreuten Universitäten. Diese wissenschaftliche Einheit entsteht heute sowohl in Lehre als auch Gesetzgebung nur zögerlich. 81 KNOWLES, The Evolution of Medieval Thought, S. 80 f. 82 GÖNCZI, forum historiae juris 2003, Rn. 2. 83 STEIN, J.Leg.Hist. 25 (2004), S. 161 (162); STURM, Rivista per la formazione nelle professioni giuridiche 2005, S. 815-824. 84 GEORGIADES, in SCHÜTZE, Festschrift Geimer, S. 213 (227). 85 Römisches Recht wirkte dort jedoch mehr über die Lehre als über die Rechtsanwendung, SAMUEL/RINKES, in MÜLLER-GRAFF, Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, S. 109 (119 ff.); siehe auch ZIMMERMANN, a.a.O., S. 47 ff., 51 ff.; IBBETSON, A Historical Introduction to the Law of Obligations, S. 1: „The Common law of obligations grew out of the intermingling of native ideas and sophisticated Roman learning.“ Teils mag dies aber auch darin begründet liegen, dass in Großbritannien durch William the Conquerer die Coutume Normande eingeführt wurde, die selbst auf römischen Einflüssen beruhte. Es zeigen sich jedoch interessante strukturelle Parallelen zwischen actiones stricti iuris - bona fidei iudicia und common law - equity, der formulae des Prätors und der writs des Chancellor. Zudem basiert das angloamerikanische Recht etwa auf dem eigentlich römischrechtlichen Grundsatz der condemnatio pecuniaria bei gleichzeitigem Ausschluss eines Naturalerfüllungsanspruchs. Nicht umsonst wurde geäußert, dass England zur Zeit der Beschäftigung der Glossatoren und Kommentatoren Kontinentaleuropas mit dem römischrechtlichen Erbe dieses praktisch reproduzierte. Auch die Rolle der Präzedenzfälle war im ius commune entscheidend und entsprach der Rolle in England vor Geltung der stare decisisDoktrin. Vgl. zu letzterem ZIMMERMANN, AcP 202 (2002), S. 243 (304 ff.) und HARRIS, Precedent in English Law, S. 24 ff., sowie allgemein ZWEIGERT/KÖTZ, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 183; DUCK, De Usu et authoritate Juris Civilis Romanorum in dominiis principium Christianorum II sowie die Übersetzung von HINRICHS, Über Gebrauch und Geltung des ius civile der Römer; KNÜTEL, ZEuP 1994, S. 244 ff.; ZIMMERMANN, in LUDWIG, Die Antike in der europäischen Gegenwart, S. 163. 86 Die Coutumes waren insbesondere in Frankreich bedeutend, wo sie in Statuten einflossen, STEIN, J.Leg.Hist. 25 (2004), S. 161 (165).
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eigener Sprache und eigenem Recht87 bereiteten den Boden für nationale Kodifikationen des 18. und 19. Jahrhundert wie das Allgemeine Preußische Landrecht oder den Code Napoléon. Hierdurch sanken Recht und Rechtsprechung zur Landesrechtskunde ab „und fielen die wissenschaftlichen Grenzen des Rechts mit den politischen“ zusammen.88 Trotz des Siegeszugs des Naturrechts und des aufklärerischen rechtspolitischen Ideals der Kodifikation im Zeitalter der Nationalismusbewegungen setzte sich römisches Gedankengut beharrlich weiter durch. Es floss in das BGB von 1900,89 in das Schweizer Obligationenrecht,90 den Code civil und das ABGB ein und mischte sich mit anderen Einflüssen, z.B. den Pariser Coutumes oder dem Naturrecht. Das ius commune gilt zudem teils noch heute: nicht nur in Form des südafrikanischen oder botswanischen Roman-Dutch Law, sondern inmitten Europas – in San Marino.91 Die Nutzung „der gemeinsamen systematischen, begrifflichen, dogmatischen und ideengeschichtlichen Grundlagen unserer Rechtsordnungen […], die unter den verwirrenden Verästelungen von zweihundert Jahren jeweils nationaler Rechtsfortbildung verborgen sind“,92 drängt sich gerade bei der Leistungsverzögerungsproblematik auf. Die römischrechtlichen Regeln zur mora debitoris sind als Ursprung des kontinentaleuropäischen Verzugskonzepts für das Verständnis der Leistungsverzögerung von entscheidender Bedeutung. Sowohl der germanische als auch der romanische Rechtskreis und durch den Export kontinentaler Rechtstradition auch eine Vielzahl anderer nationaler Leistungsstörungsrechte wurden nachhaltig durch die Sonderrolle der mora debitoris gezeichnet. Aus Ursprung und Entwicklung dieser Rechtsfigur lassen sich für die Problematik der Leistungsverzögerung in einem europäischen Einheitsrecht wichtige Erkenntnisse gewinnen.93
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Vgl. PUFENDORF, De jure naturae et gentium und DERS., De officio hominis ac civis. KÖTZ, Europäisches Privatrecht I, VI. 89 STEIN, J.Leg.Hist. 25 (2004), S. 161 (166). 90 ZIMMERMANN, in LUDWIG, Die Antike in der europäischen Gegenwart, S. 151 (153). 91 Vgl. REINKENHOF, Die Anwendung von ius commune in der Republik San Marino. 92 ZIMMERMANN, in LUDWIG, Die Antike in der europäischen Gegenwart, S. 168. 93 Dass einer „Bestandsaufnahme des integrativen Basisanteils von Gemeinsamkeiten des droit privé romain“ (Staudinger/COING/HONSELL, Einleitung, 2004, Rn. 113, 113a) häufig entgegengehalten wird, das römische Recht sei aufgrund der völlig verschiedenen Anforderungen der heutigen Gesellschaft praktisch nicht nutzbar oder das ius commune sei weder zeitlich noch räumlich real ein einheitliches europäisches Recht gewesen (WIEGAND, RJ 12 (1993), S. 277 (281); BALDUS/WACKE, ZNR 17 (1995), S. 287; BRAUNEDER, ZNR 15 (1993), S. 225 ff.), ist kein Argument gegen eine genauere Analyse seiner Grundstrukturen, die zweifellos einen entscheidenden Einfluss auf die heutigen nationalen Rechtsordnungen hatten. 88
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III. Nationale Leistungsstörungsrechte Als weiterer Maßstab eines europäischen Vertragsrechts sollen leistungsstörungsrechtliche Elemente nationaler Rechtstraditionen aufgezeigt werden. Diese sollen nach den Verfassern von PECL, DCFR und Code Européen eine wesentliche Grundlage ihrer europäischen Vertragsrechtsmodelle bilden. Da diese Modelle aber im Leistungsstörungsfall ganz unterschiedliche Lösungen vorsehen, soll eine „filternde Umschau“ im geltenden Recht europäischer Mitgliedstaaten94 illustrieren, welche nationale Rechtsüberzeugung in Leistungsverzögerungsfällen vorherrscht und welche Elemente nationaler Rechte in welchem europäischen Vertragsrechtsmodell übernommen oder übergangen werden, obgleich sie der gewählten Lösung vielleicht überlegen wären.95 Die Darstellung beschränkt sich dabei auf einen thematischen Rechtsvergleich nationaler Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Bereich der Verzugs- und Nichterfüllungshaftung. Neben traditionellen Kodifikationen sollen kürzlich oder derzeit reformierte west- und osteuropäische Rechtsordnungen betrachtet werden. Da CISG, PECL, UPICC und Code Européen bereits einige Jahre existieren, haben sie in jüngeren Reformen nationaler Vertragsrechte bereits eine mehr oder weniger große Vorbildfunktion erlangt.96 1. Westeuropa a. Deutschland Das deutsche Leistungsstörungsrecht wurde 2001 unter dem strukturgebenden Einfluss des Gemeinschaftsprivatrechts und des internationalen Einheitsrechts modernisiert. Das „Herzstück des deutschen Zivilrechts“ gilt mittlerweile als „maßgeblich von internationalen Modellen geformt“.97 Auch die Folgen der Leistungsverzögerung bleiben hiervon nicht verschont, wobei sich spezifische Verzögerungsfolgen, der eigentliche „Verzug“ i.e.S., in die Neukodifikation hinüberretteten. Ähnlich wie die nordischen Staaten, die vertragsrechtlichen Prinzipien für Vertragsverletzungen aus stark von der CISG beeinflusstem harmonisierten Kaufvertragsrecht ableiten,98 sah das BGB in seiner Neufas94
HEISS, ZfRV 1995, S. 54 (57). Die Darstellung folgt auch nicht der üblichen und teils umstrittenen Einteilung nach Rechtskreisen. ZWEIGERT/KÖTZ, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 64 ff., weisen insbesondere auf die zeitliche Relativität der Rechtskreiseinteilung hin. So können Kodifikationen zwar verschiedenen Rechtskreisen zugeordnet werden, stehen aber in Wirklichkeit im gleichen zeitlichen Zusammenhang, entspringen daher auch einem ähnlichem Rechtsdenken und wurden von ähnlichen Quellen beeinflusst. 96 S. etwa das estnische oder litauische Recht, die spanischen Vertragsrechtsreformbestrebungen und die französischen Reformentwürfe. 97 GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 40 (41). 98 TAXELL, Avtalsrättens normer, II; WILHELMSSON, Perspectives of Critical Contract Law, S. 21; GÖRITZ, Zur wesentlichen Vertragsverletzung beim Warenkauf. Wechsel95
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sung nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz99 in der von der CISG inspirierten Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht nur einen Anlass für eine Komplettrevision des Kaufrechts, sondern eine Inspirationsquelle für das allgemeine Schuldrecht.100 Auch die für Unternehmergeschäfte geltende Zahlungsverzugsrichtlinie integrierte das BGB in verallgemeinerter Form.101 Es ist daher ein aufschlussreiches Beispiel für die bereits angesprochene Verallgemeinerungsfähigkeit europäischen Richtlinienrechts und internationaler Vorgaben der CISG in eine nationale Zivilrechtskodifikation. Andererseits behält das deutsche Recht trotz dieses modernen Ansatzes in den §§ 286 ff. BGB n.F. Verzugsregeln bei, die zur neuen Systematik nicht recht passen wollen. Wie verschiedene Vorschriften102 zeigen, ist dem BGB keine konsequente Schaffung eines einheitlichen Pflichtverletzungstatbestands geglückt. Die traditionellen Leistungsstörungskategorien des BGB a.F. „still rule us from their graves.“103 b. Niederlande In den Niederlanden ermöglichte der lange Kodifizierungsprozess des neuen Burgerlijk Wetboek eine gegenseitige Einflussnahme mit den internationalen Rechtsvereinheitlichungsprojekten der UPICC und PECL.104 Dies fällt nicht nur im gemeinsamen Verzicht auf überkommene Strukturen des französischen Rechts wie der cause105 auf, sondern zeigt sich auch in der weitgehend parallelen Struktur der Rechtsbehelfe im Fall der Nichterfüllung beziehungs-
beziehungen zwischen dem nordischen und dem international einheitlichen Recht, S. 56 ff.; SCHLECHTRIEM, Juridica Int. 6 (2001), S. 16 (19). 99 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I 3138). 100 Vgl. die Nachweise in der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drs. 6857, in CANARIS, Schuldrechtsmodernisierung, S. 569 ff. Zum harmonisierenden Wirkung der CISG auf nationnale Gesetzgeber siehe SCHLECHTRIEM, Juridica Int. 6 (2001), S. 16 (19): „[T]he Convention on the International Sales of Goods has not only bearing on the development of modern and harmonised sales laws in Europe but also on the so-called general part of the law of obligations.” 101 „[…] it was decided to use the implementation of the directive as a kind of tug boat to pull the super cargo ship of a reform of the law of obligations through the treacherous waters of public debate and the legislative process”, SCHLECHTRIEM, Juridica Int. 6 (2001), S. 16 (19). 102 Vgl. nur die §§ 311a Abs. 2 Satz 1, 280 Abs. 2, 286, 280 Abs. 3, 281 BGB oder die §§ 282 und 324 BGB. 103 SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, S. 123, unter Berufung auf F.W. MAITLAND. 104 A.a.O.; ebenso HARTKAMP, in HOFMANN, Festschrift Brunner, S. 137; BONELL, Am.J.Comp.L. 40 (1992), S. 644. 105 Vgl. die Art. 3:33 NBW und 3.1 UPICC.
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weise tekortkoming.106 Auffallend ist, dass das niederländische Recht dennoch nicht auf den Verzug verzichtet, jedoch eine andere Regelungsstruktur wählt als das deutsche Recht. Der 1947107 begonnene Kodifikationsprozess, durch den das großteils vom französischen Recht beeinflusste und durch die rasanten gesellschaftlichen Entwicklungen und die niederländische Rechtspraxis weitgehend überholte108 Gesetzbuch aus dem Jahr 1838109 ersetzt werden sollte,110 führte zu einer sehr weitgehenden Modernisierung des niederländischen Rechts.111 Wie in PECL und UPICC wurden weitestmöglich allgemeine Bestimmungen geschaffen, die für alle Rechtsverhältnisse gelten und notfalls um spezielle Regeln ergänzt werden.112 Auch Sprache und Regelungstechnik sind einheitsrechtlichen Modellen vergleichbar.113 c. Frankreich In Frankreich versuchen mehrere Reformkommissionen, das seit 1804 weitgehend unangetastete114 Livre III titre 3 (Art. 1101 ff. CC) zu modernisieren und Frankreich nicht nur ein Zivilrecht „adapté à son époque“ bescheren, sondern auch „une voix dans le concert européen.“115 Das erste Projekt war das sog. Avant-projet de réforme du droit des obligations (Projet Catala).116 Auch wenn es an altbewährten Konzepten wie der cause festhält,117 sieht es im Recht der inexécution jedoch strukturelle wie inhaltliche Änderungen vor, die 106
Art. 6:74, Art. 6:265 NBW, Art. 9:501 Abs. 1, Art. 9:301 Abs. 1 PECL und Art. 7.3.1 Abs. 1, Art. 7.4.1 UPICC. 107 Koninklijk Besluit vom 25.4.1947, n° 20. 108 HARTKAMP, La.L.Rev., 1974-1975, S. 1060. 109 MEIJERS, Bull.Trimest.Soc.Lég.Comp. 1948, S. 199. 110 Das in diesem Zusammenhang interessierende Buch 6 („Algemeen gedeelte van het verbintenissenrecht“) trat zum 1.1.1992 in Kraft; vgl. hierzu auch HONDIUS, NILR 1982, S. 348 ff.; HARTKAMP, in CHORUS et al., Introduction to Dutch Law, S. 123 ff. 111 So wurde z.B. die im germanischen wie romanischen Rechtskreis traditionelle Unterscheidung zwischen Handelsrecht und Bürgerlichem Recht nach dem Modell des Schweizer Obligationenrechts aufgegeben. KUNST, Korte vorgeschiedenis van het Nederlands Burgerlijk Wetboek, S. 35 f.; MEIJERS, Bull.Trimest.Soc.Lég.Comp. 1948, S. 208. 112 Vgl. hierzu bereits MEIJERS, a.a.O., S. 209. 113 LANDO, ERPL 1993, S. 158. 114 Gravierende Änderungen betrafen ganze 12 von 281 Artikeln des 3. Buchs des Code civil, MESTRE, in Le Code civil 1804-2004, Livre du bicentennaire, S. 231 ff. 115 Auch vor dem Hintergrund europäischer Vertragsrechtsbestrebungen auf EG-Ebene und der konkurrierenden Kraft modernisierter nationaler Vertragsrechtssysteme stünde es außer Frage für das französische Schuldrecht „qu’il s’endorme sur les lauriers de Napoléon.“ ANCEL, in PIGNARRE, Forces subversives et forces créatrices en droit des obligations, S. 121 (141). 116 CATALA, L’avant- projet de réforme du droit des obligations (Art. 1101 à 1386 du Code civil) et du droit de la prescription (Art. 2234 à 2281 du Code civil), zitiert als Projet Catala. 117 Art. 1131 CC und Art. 1124 Projet Catala.
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im Zusammenhang mit der Vertragsaufhebung auch die Leistungsverzögerungsproblematik betreffen. Dies gilt insbesondere für die gestaltende Rolle des Richters bei Vorliegen einer Leistungsstörung, die anhand der Rechtsprechungspraxis nun auch gesetzlich neu umrissen werden soll. Die Reform erfolgt jedoch unter weitgehendem Verzicht auf rechtsvergleichende Ansätze und ohne Berücksichtigung EU-weiter Vereinheitlichungsbestrebungen wie der PECL oder einheitsrechtlicher Modelle wie der CISG.118 Anders ist dies in einem alternativen Reformentwurf, der von der Chancellerie vorgelegt wurde. Dieser wurde in einer Erstfassung im Juli 2008 und nochmals in geänderter Fassung im Mai 2009 veröffentlicht. 119 Die vorgeschlagenen Regelungen sind gegenüber den PECL etwas offener. Einen noch radikaleren Wandel schlägt das „Projet Terré“ vor, um einen „Wandel durch Bruch mit der Tradition“ zu bewirken. 120 Behandelt wird vorliegend nur das am umfassendsten diskutierte Projet Catala. d. Italien Auch zum relativ jungen italienischen Obligationenrecht gibt es Reformüberlegungen. Das Verhältnis des allgemeinen Vertragsrechts zu den besonderen Verträgen, insbesondere zu den im Codice del Consumo enthaltenen Vorschriften, soll neu definiert werden.121 Systematisierungs- und Verallgemeinerungsbestrebungen des Codice Civile betreffen insbesondere das 4. Buch aus dem Jahr 1942, das Hauptinspirationsquelle des Code Européen war.122 Als Modell der derzeitigen Reformansätze sollen vorwiegend nationale 118
ANCEL, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, S. 48: Sicher ist, dass in den meisten Untergruppen des Projekts die Arbeitsmethode nicht rechtsvergleichend war. Man habe nicht „[…] die Lösungen der verschiedenen nationalen Rechte, der PECL oder der UNIDROIT-Prinzipien, die der Gandolfi-Gruppe, die des Wiener Übereinkommens usw. verglichen, um die beste auszuwählen.“ Die Reform soll anders als in Deutschland auch keine Integration schuldrechtlicher EG-rechtsbedingter Spezialgesetzgebung in den Code civil bewirken, sondern konzentriert sich auf die Bedürfnisse der internen Rechtspraxis. Die Reform präsentiert sich eher als kodexinterne Restrukturierung durch Systematisierung und Anpassung des Gesetzestextes an die Rechtsprechung. Zum Vergleich mit der deutschen Schuldrechtsmodernisierung siehe auch LEHMANN, RDC 2007, S. 14271444. 119 Ministère de Justice, Projet de Réforme du Droit des Contrats, Version Mai 2009 (Erstfassung 2008). 120 TERRÉ (Koord.), Pour une réforme du droit des contrats. 121 PATTI, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, S. 105 ff. Zu den Koordinationsproblemen bei der übereilten Schaffung eines Codice del Consumo siehe ALPA/ROSSI CARLEO, Commentario al codice del consumo. 122 Vgl. hierzu auch den Tagungsband Il diritto delle obbligazioni e dei contratti: verso una riforma?, Atti del convegno per il cinquantenario della Rivista di Diritto civile. Der Codice Civile vereinigt im 4. Buch Aspekte des römischen Rechts mit den Vorerfahrungen des Code civil und des BGB. Er konnte aufgrund seiner französischen, österreichischen, schweize-
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Rechte in Kombination mit dem EU-Recht dienen. Da europäische Vertragsrechtsmodelle weniger Vorbild sind, wird das Recht der Leistungsverzögerung, das auf dem römischrechtlich beeinflussten Konzept der mora beruht, vermutlich beibehalten werden. Ähnlich gibt es auch Reformpläne zum Leistungsstörungsrecht im spanischen Handelsgesetzbuch,123 das ein eigenes an den UPICC orientiertes allgemeines Vertragsrecht erhalten soll, sowie zum Código civil, dessen Komplettüberholung in einem 2009 veröffentlichten Projekt vorgeschlagen wird.124 e. England Das englische Vertragsrecht125 ist aufgrund seiner Gläubigerfreundlichkeit in der Praxis beliebt und beeinflusste maßgeblich auch internationales Einheitsrecht. Ohne den Hintergrund des englischen Rechts ließen sich einige Lösungen internationalen wie europäischen Vertragsrechts nicht erklären, die insoweit einen ähnlichen Balanceakt zwischen civil law und common law vollzogen haben, wie ihn das schottische Recht in gewisser Ähnlichkeit zu den Principles absolviert.126 Das der deliktischen action of assumpsit127 entrischen oder deutschen Vorreiter die Erfahrungen aus der praktischen Erprobung großer nationaler Kodifikationen Westeuropas bereits einbeziehen. So wurden viele der in anderen älteren Zivilgesetzbücher „fehlenden“ Rechtsinstitute wie etwa die culpa in contrahendo kodifiziert und Regeln über Allgemeine Geschäftsbedingungen von Beginn an in das Zivilgesetzbuch eingeführt. Hierzu Schlesinger/PATTI/PATTI, Codice Civile, Commentario, Responsabilità precontrattuale e contratti standard. 123 Ein Entwurf des Justizministeriums aus dem Jahr 2004 wurde im Boletín de Información del Ministerio de Justicia 2006, S. 203- 216 veröffentlicht. 124 Comisión General de Codificación, Propuesta de Modernización del Código Civil en materia de Obligaciones y Contratos, 2009. 125 Wenn auch die Ursprünge der englischen Jurisprudenz an den römischen Aktionenprozess erinnern, blieb das sich seit 1066 entwickelnde common law immun gegen römischrechtliche Rezeptionstendenzen. Es musste sich ab dem 14. Jahrhundert nur in „Konkurrenz“ zur equity, der Billigkeitsjustiz des Chancellor, begeben. Die equity gestattet Ausnahmen von den strengen common law rules. Im gegenwärtigen Leistungsstörungsrecht zeigt sich dies insbesondere an der Gewährung des Erfüllungsanspruchs in Ausnahme zum Grundsatz des Schadensersatzes. Immun blieb das englische Recht auch gegen Tendenzen zur umfassenden Kodifizierung eines kompletten Rechtsgebietes. Selbst der Ansatz Benthams war eher auf codifying statutes im Sinn eines restatement und auf handelsrechtliche Materien beschränkt. Noch heute gibt es nach dem gescheiterten Versuch des McGregor Contract Code kein allgemeines Vertragsrecht, sondern nur Teilregelungen in Spezialmaterien wie den Sales of Goods Act. ZWEIGERT/KÖTZ, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 197; MCGREGOR, Contract Code drawn up on behalf of the English Law Commission. 126 Vgl. hierzu insb. MACQUEEN, 54 C.L.P. 2001, S. 205 ff.; TETLEY, Unif.L.Rev. 1999, S. 591 zu „mixed jurisdictions“ als „ideal systems of the future.“ 127 CHESHIRE/FIFOOT/FURMSTON, Law of Contract, S. 7, 15; siehe auch SIMPSON, A History of the Common Law of Contract – The Rise of the Action of Assumpsit.
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springende Konzept der strengen Vertragshaftung für breach of contract mit der zentralen Bedeutung des Schadensersatzes, das auch im Leistungsverzögerungsfall greift, scheint sich im Zuge der Richtlinie 1999/44/EG durch sec. 52 Abs. 1 des Sale of Goods Act 1979128 und der durch die Sale and Supply of Goods to Consumers Regulations 2002129 eingeführten sec. 48 B gegenüber den kontinentaleuropäischen Systemen zu öffnen, die dem Erfüllungsanspruch eine relativ zentrale Rolle einräumen.130 f. Österreich Das österreichische ABGB von 1811 ordnet die Verzögerung der Leistung weit mehr als das deutsche BGB in eine allgemeine Nichterfüllungshaftung ein und kommt europäischen und internationalen Modellen hierdurch wesentlich näher. Gleichwohl kennt es Elemente einer spezifischen Verzugshaftung. Trotz seines Alters entkommt es der Flut an Reformbestrebungen, rechtsvereinheitlichenden Tendenzen und dem Einfluss des EU-Rechts weitgehend unbehelligt131 und kann mit dem Trend des modernen Vertragsrechts der CISG oder der PECL Schritt halten. Der „schuldrechtliche Schuh“ drückt in Österreich nicht.132 Dies scheint unter anderem durch die stark naturrechtliche Prägung des ABGB bedingt zu sein.133 Das Leistungsstörungsrecht wird mit den modernen Rechtsentwicklungen auf europäischer Ebene weitgehend als kompatibel betrachtet. Auch die Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie konnte in weitgehender Harmonie zum unangetasteten Leistungsstörungsrecht erfolgen.134
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Dies gilt allerdings nur für die Nichtlieferung: Art. 52 Sales of Goods Act 1979: „In any action for breach of contract to deliver specific or ascertained goods the court may, if it thinks fit, on the plaintiff’s application, by its judgement or decree direct that the contract shall be performed specifically, without giving the defendant the option of retaining the goods on payment of damages.” 129 Die Sale and Supply of Goods to Consumers Regulations 2002, 10.12.2002 (SI 2002, 3045), sind seit 31.3.2003 in Kraft, vgl. SOBICH, RIW 2003, S. 740. 130 Vgl. auch REYNOLDS, 119 L.Q.Rev. 2003, S. 541 und WEIR, ZEuP 2004, S. 595 (600). 131 Mit einer Ausnahme - die auch das Leistungsverzögerungsrecht betreffende Änderung im Jahr 1917. 132 Nach WELSER, in FISCHER-CZERMAK/HOPF/SCHAUER, Das BGB auf dem Weg in das 3. Jahrtausend, S. 63 (64), der den Reformbedarf in Reform des österreichischen Leistungsstörungsrechts analysiert, sollte eine Reform nicht um ihrer selbst willen erfolgen, also nicht nur deshalb, weil Bewahrung schlecht und Änderung gut ist. 133 BUCHER, Begriff und Geschichte der Gewährleistung in Österreich und anderswo, S. 15, Fn. 32. 134 Vgl. RV 422 BlgNR 21.GP 5; WELSER/JUD, 14. ÖJT II/1, 2000, S. 36 ff.; BUCHER, Begriff und Geschichte der Gewährleistung in Österreich und anderswo, S. 1-16.
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g. Schweiz Das Schweizer Obligationenrecht von 1881 gilt wegen seiner mehrsprachigen Fassung und seiner klaren Terminologie als praxisgerechtes Regelwerk. Es ist speziell bei grenzüberschreitenden Sachverhalten erprobt, da es häufig in der Schiedsgerichtsbarkeit durch Rechtswahl zur Anwendung kommt.135 Das Obligationenrecht nahm kontinentaleuropäische Rechtsordnungen zum Vorbild136 und vereinheitlicht zugleich die früheren kantonalen Rechte.137 Im Zuge der deutschen Schuldrechtsmodernisierung und unter dem Einfluss des europäischen Privatrechts wird jüngst Reformbedarf gesehen, der sich auch auf das um den Verzug konstruierte Rechtsbehelfssystem der Art. 107 ff. OR bezieht.138 Seit kurzem wird auch aktiv an einer Obligationenrechtsnovelle gear135
DESSEMONTET, in CASHIN RITAINE/LEIN, The UNIDROIT Principles 2004, S. 159 ff. Es basiert u.a. auf einem Rechtsvergleich des Dresdner Entwurfs zum BGB und des Code Napoléon. KRAMER, ZSR 102 (1983), S. 241; MERZ, in BERNSTEIN et al., Festschrift Zweigert, S. 667; DERS. in PETER et al., Das schweizerische Obligationenrecht von 1881, S. 3; LIVER, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, S. 193 ff.; SCHNEIDER, Das Schweizerische Obligationenrecht. 137 Die Privatrechtsgeschichte der Schweiz ist exemplarisch für die Entwicklung der EU und die aktuellen Diskussionen um ein europäisches Vertragsrecht. Die Auswirkungen wirtschaftlicher, sozialer und gesellschaftlicher Entwicklungen führten durch die Bundesverfassung von 1848 zur Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraums aller Kantone, um den Bedürfnissen des Marktes Rechnung zu tragen. Binnenzölle wurden abgeschafft, die Münz-, Maß- und Gewichtssysteme vereinheitlicht, die Niederlassungsfreiheit ermöglicht. Die Rechtseinheit auf Verfassungsebene schlug sich jedoch nicht sofort im Bereich des Zivilrechts nieder. Mehrfache erfolglose Initiativen zur Schaffung einer Bundeskompetenz für ein einheitliches Handelsrecht seit 1847 scheiterten wegen des Arguments, Kaufleute würden sich selbst organisieren und auf ein auf ihre jeweiligen Bedürfnisse abgestimmtes Gewohnheitsrecht stützen. Die kantonalen Zivilrechtsgesetzbücher folgten, sofern vorhanden, entweder französischem, österreichischem oder einem eigenen Konzept, wie etwa der Kanton Zürich, der durch Schüler Savignys ein eigenständiges Gesetzbuch schaffen ließ. Aufgrund des Wandels in eine industrielle, mobile und wirtschaftsorientierte Gesellschaft konnte das zersplitterte kantonale Recht keine befriedigenden Antworten mehr geben. Anläßlich der Haftung für Transportfragen und dem Bedarf nach einer einheitlichen Regelung von Preisen wurde 1874 eine Bundeskompetenz im Handels- und Obligationenrecht geschaffen, da dieses „bereits kosmopolitischer Natur sei und deshalb ohne weitere Verluste vereinheitlicht werden könne.“ Vgl. auch KÖLZ, Neue schweizerische Verfassungsgeschichte, Ihre Grundlinien von Ende der alten Eidgenossenschaft bis 1848, S. 245, 274 f. Die Schweiz unterschied wegen dieser Kompetenz das „bewegliche Verkehrs- bzw. Handelsrecht“ vom „unbeweglichen“ Zivilrecht (Sachen-, Erb- und Familienrecht). Aus einem früheren Entwurf eines einheitlichen Handelsrechts entstand ein einheitliches Obligationenrecht, das am 1.1.1883 in Kraft trat. Die Schwierigkeit der Abgrenzung der Materien des Zivil- und Obligationenrechts führten 1898 letztlich zu einer Kompetenz des Bundes für das gesamte Zivilrecht. Motor der Vereinheitlichung des Schweizer Obligationen- und Zivilrechts war also neben praktischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten die „kosmopolitische Natur“ nichtlokaler, überregionaler oder grenzüberschreitender Tätigkeit. 138 MORIN, ZSR 124 (2005), S. 349 ff. 136
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beitet. Umgekehrt wurde das schweizerische Recht in den Rechtsvereinheitlichungsmodellen auf europäischer Ebene wohl aus politischen Gründen nicht als Modell herangezogen.139 Konzeptionell, inhaltlich und terminologisch hätte es allerdings aufgrund seiner Rolle im grenzüberschreitenden Vertragsleben und insbesondere der mehrsprachigen Fassungen eine weit zentralere Rolle spielen können. 2. Mittel- und Osteuropa Das Recht mittel- und osteuropäischer Transformationsstaaten ist für die Regelung der Leistungsverzögerung von besonderem Interesse. Zwar haben einige Staaten140 wegen vorrangiger Aufgaben im Transformationsprozesses und dem erheblichen Zeitaufwand keine Neukodifikationen oder extrem umfangreichen Änderungen vorgenommen, sondern existierende westeuropäisch geprägte Privatrechtskodifikationen aus vorsozialistischer Zeit141 wiederaufgegriffen oder geltendes Privatrecht „entsozialisiert“, ohne auf Kohärenz und Systematik zu achten. Der CISG-Beitritt vieler Staaten142 hatte jedoch Einfluss auf die Struktur einiger interner Regelungen wie z.B. auf das tschechische Handelsgesetzbuch von 1991143 und in einigen Staaten wie z.B. Litauen und Estland waren UPICC und PECL von entscheidendem Modellcharakter. Deren Regelungen wurden teils wörtlich in das nationale Vertragsrecht übernommen, teils einem Selektionsprozess unterzogen,144 wenn deren pauschale Übernahme nicht überzeugte. Es kam dort bereits zu einer kritischen Auseinandersetzung mit verschiedenen Modellen des modernen internationalen und europäischen Vertragsrechts und zur Erprobung dieser Modelle in der Praxis. Diese Entwicklung belegt nachdrücklich die Not139
Von bedeutendem Einfluss war das Schweizer Recht nur für das Zivilgesetzbuch des EU-Bewerbers Türkei, dessen Recht es weiterhin nachhaltig prägt. Vgl. beispielsweise bereits: Die neuere Entwicklung des Privatrechts in der Türkei und der Schweiz: Referate der türkisch-schweizerischen Juristentage von 1985. Auch in der Türkei soll das Obligationenrecht reformiert werden, und zwar in Anlehnung and internationale und europäische Modelle, vgl. hierzu MINISTRY OF JUSTICE, General Statement of Reasons of the Draft Turkish Code of Obligations, http://www.inisiyatif.net/document/tanitim /BKTasari2007/, S. 1-2. 140 Z.B. Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn. 141 HORN, Die Neugestaltung des Privatrechts in Mittelosteuropa und Osteuropa (Polen, Russland, Tschechien, Ungarn), S. 14. In Ungarn gab es allerdings vor 1959 keine Kodifikation, sondern nur Kodifikationsentwürfe nach den Modellen des ABGB, des BGB und des ZGB der Schweiz, die dann aber, abgesehen vom Sachenrecht, als Kodifikationsgrundlage dienten, BARTA/SCHILLER, Erste Fassung des Entwurfs eines ungarischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs. SZÁSZY, RabelsZ 26 (1961), S. 553 ff. 142 Ungarn (1.1.1988); Slowenien (25.6.1991); Tschechien (1.1.1993); Slowakei (1.1.1993); Estland (1.10.1994); Litauen (1.2.1996); Polen (1.6.1996); Lettland (1.8.1998). 143 SCHLECHTRIEM, in BASEDOW, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 162. 144 Vgl. ZUKAS, in CASHIN-RITAINE/LEIN, The UNIDROIT Principles 2004, S. 231 ff.
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wendigkeit einer inhaltlichen Untersuchung einheitsrechtlicher Vertragsrechtsmodelle. a. Tschechien Tschechien145 folgt im Leistungsstörungsrecht teils einem traditionellen Verzugskonzept, teils einer von der CISG inspirierten „modernisierten“ Lösung. Die Ursprünge des heutigen tschechischen Rechtssystems sind vielschichtig. Die zunächst vom römischen Rechts geprägten böhmischen Länder standen später unter dem Einfluss des österreichischen ABGB von 1811, das nach Entstehung der Tschechoslowakei 1918 weitgehend übernommen wurde.146 Versuche einer eigenen Kodifikation, deren Entwurfsfassung im Jahr 1937 fertiggestellt wurde, scheiterten.147 Der kommunistische Umsturz führte 1950 zu einem die bisherige Rechtskultur deformierenden sozialistischen Zivilgesetzbuch und zur Aufhebung des Handelsgesetzbuchs. Eine spätere Kodifikationswelle in den 60er Jahren restrukturierte das Zivilrecht und spaltete es in ein Handels-, ein Wirtschafts-, ein Arbeits-148, und ein Bürgerliches Gesetzbuch.149 Diese Trennung in Rechtsgebiete ist derart ausgeprägt, dass für alle eine jeweils eigene Rechtsgeschäftslehre entwickelt wurde. Der „Torso“150 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Občanský zákoník)151 wurde nach der Wende mehrfachen Überarbeitungen unterzogen, die überhastetes Stückwerk blieben.152 Umfangreichere Reformansätze scheiterten bislang und wurden erst in 145
Für die Slowakische Republik gelten im Grundsatz ähnliche Vorschriften, da ihre Rechtsordnung aus der Zeit der Tschechoslowakei stammt und seither mit Ausnahme des Arbeitsrechts keine wesentlichen Änderungen erfahren hat. 146 Rezeption durch Gesetz Nr. 11/1918 Sb. 147 VERY, in HORN et al., Die Neugestaltung des Privatrechts in Mittelosteuropa und Osteuropa, S. 89 (90). 148 Zákoník práce, Nr. 65/1965 Sb. 149 Letzteres regelte neben dem Erbrecht und Fragen des sozialistischen Personeneigentums nur noch das Verbrauchervertragsrecht der Planwirtschaft. ELIÁŠ, Osteuropa-Recht 2000, S. 427 (430). 150 ELIÁŠ, Osteuropa Recht 2000, S. 427 (430). 151 Občanský zákoník, Zivilgesetzbuch, Gesetz Nr. 40/1964 Sbírka Zákonů (Sb.) vom 26. Februar 1964, novelliert am 1.1.1992; im Folgenden zitiert als OčZ. Siehe dazu VON BERNSTORFF, RIW 1998, S. 831, 832. Das Zivilgesetzbuch wurde seit 1992 mehr als zehnmal überarbeitet. Im Vorwort der Übersetzung von WEBER, Tschechisches Bürgerliches Gesetzbuch aus dem Jahr 1995 heißt es, dass „es für die tschechische Legislative in diesen Zeiten des geschäftlichen Wandels zu enormen Arbeitsbelastungen kommt, die sich naturgemäß stellenweise auf die sprachliche Prägnanz und Systematik der Normen auswirken.“ 152 Nach ELIÁŠ, Osteuropa Recht 2000, S. 427 (431, 434) wurden lediglich „auf dem Stamm des kommunistischen Gesetzbuchs von 1964 einige neue Äste unterschiedlicher Stärke verpflanzt.“ Auch mangelte es in der Gesetzgebungskommission an der nötigen personellen Besetzung. Viele Experten waren in die Privatwirtschaft gewechselt und das
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den letzten Jahren wiederaufgenommen. Sie mündeten in einen Reformentwurf,153 der ein einheitliches fünfteiliges Zivilgesetzbuch schaffen will,154 das in einem vierten Buch ein kommerzialisiertes Obligationenrecht enthält155 und durch ein Leistungsstörungsrecht unnötige Parallelregelungen vermeidet.156 Inhaltlich spielt das modernere Schuldrecht des Obchodní zákoník157 (Handelsgesetzbuch) eine große Rolle, das 1991 umfassend neu kodifiziert wurde. Seine Normen über handelsrechtliche Vertragsbeziehungen und das Leistungsstörungsrecht wurden durch die CISG und durch EU-Recht beeinflusst.158 Die Verabschiedung des neuen Zivilgesetzbuchs ist jedoch noch nicht erfolgt. b. Ungarn Auch in Ungarn ist seit einiger Zeit ein Reformprozess des Zivilrechts im Gang. Obwohl es außer dem Handelsgesetzbuch von 1875 vor dem sozialistischen Gesetzbuch von 1959 keine eigene Kodifikation des Vertragsrechts gab, konnte das ungarische ZGB zunächst fortgelten, da das dort maßgebend eingeflossene ungeschriebene Recht eine Mischung aus in frühen Entwürfen159 vereinigten Ideen des ABGB und weiterer kontinentaleuropäischer Kodifikationen wie des BGB und des schweizerischen Zivilrechts war.160 Im Leistungsstörungsrecht war der österreichische Einfluss maßgebend. Dies zeigte
Arbeitspotential zumeist schlecht bezahlter oder im westeuropäischen Recht unzureichend geschulter Hochschullehrer und Richter hatte seine Grenzen. 153 ELIÁŠ/ZUKLÍNOVÁ, Princpy a východiska novélho kodexu soukromého práva; BOHATA, WiRO 1995, S. 296; ELIÁŠ, Osteuropa-Recht 2000, S. 427 (431). 154 1. Allgemeiner Teil, 2. Familienrecht, 3. absolute Güterrechte, 4. relative Güterrechte, 5. allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen. Das Familiengesetz soll vermutlich vollständig in den Zivilrechtskodex einfließen. 155 Vgl. dazu die Erläuterungen in ELIÁŠ/ZUKLÍNOVÁ, Princpy a východiska novélho kodexu soukromého práva. 156 So war etwa der gutgläubige Erwerb nach dem ObchZ möglich, nach dem ObčZ unzulässig. Das neue Zivilgesetzbuch soll stärker an den Grundsätzen westeuropäischen Zivilrechts, der Vertragsfreiheit und dem Schutz der schwächeren Vertragspartei ausgerichtet sein. Es nimmt unter anderem Vorarbeiten zum Vorbild, die die Gesetzgebungskommission des Jahres 1937 vorgeschlagen hatte. BOHATA, WiRO 2001, S. 295. 157 Obchodní zákoník, Handelsgesetzbuch, Gesetz Nr. 513/1991 Sb. vom 15. November 1991, im Folgenden ObchZ. 158 Die letzte große ObchZ-Änderung stammt aus dem Jahr 2001 und diente dem Ziel, den Kodex dem EU-Recht anzugleichen; Gesetz Nr. 370/2000, Sb. vom 25.10.2000, am 1.1.2001 in Kraft getreten. 159 ZEHNTBAUER, Einführung in die neuere Geschichte des ungarischen Privatrechts; BARTA/SCHILLER, Erste Fassung des Entwurfs eines ungarischen allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs. 160 GÖNCZI, Forum historiae juris, Rn. 2.
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sich auch anlässlich der Umsetzung der Richtlinie 1999/44/EG, die keinen bedeutenden Reformbedarf auslöste.161 c. Litauen Während in Lettland das ZGB aus dem Jahr 1937 im Jahr 1993 erneut in Kraft gesetzt wurde, war Litauen mangels eigener Vorkriegskodifikation Anfang der neunziger Jahre zu einem Neuentwurf eines Zivilgesetzbuchs gezwungen, das das Gesetzbuch aus dem Jahr 1964 ersetzte.162 Trotz der Berühmtheit Litauens für seine Statuten aus dem Jahr 1529 als erster neuzeitlicher Kodifikation,163 konnte es nach Ende der Zarenherrschaft kein eigenes Zivilgesetzbuch verabschieden. Das neue litauische Zivilgesetzbuch ist seit 1.7.2001 in Kraft und eines der ersten umfassend reformierten Zivilgesetzbücher des osteuropäischen EU-Raums. Es umfasst zugleich das Handelsrecht und nahm im zweiten Teil des Obligationenrechts (Art. 6.154 - 6.228) über „vertragliche Schuldverhältnisse“ sehr weitgehend die UPICC zum Vorbild, die den Verfassern derart überzeugend schienen, dass sie zum Teil wörtlich in das neue litauische Zivilgesetzbuch einflossen.164 Vor allem V. MIKELENAS, einer der Väter des neuen ZGB, stand Harmonisierungs- und Rechtsvereinheitlichungsprojekten sehr offen gegenüber und wollte neue, moderne und effektive Regeln schaffen, die der geänderten wirtschaftlichen Situation Rechnung tragen: „[…] contract law is an institution of private law in which the ideas of unification and harmonisation of law are realised in the broadest manner. Thus, the creation of new national rules for contracts means in fact the transformation of results of the regional or transnational unification and harmonisation of contract law at the level of the national legal system.”165 Neben internationalem Einheitsrecht und Rechtsvereinheitlichungsprojekten spielten auch die Vorschriften des niederländischen NBW, des Zivilgesetz161
VÉKÁS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, S. 210. 162 Vgl. zu den baltischen Staaten LOEBER, Kontinuität im Zivilrecht nach Wiederherstellung staatlicher Unabhängigkeit – Zu den Zivilgesetzbüchern von Lettland (1937), Estland (1993) und Litauen (2000), in BASEDOW et al. (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, S. 943 ff. 163 Die Statuten des Großherzogtums Litauen aus den Jahren 1529, 1566 und 1588, die vom damaligen Großherzog ZHYGIMONT mit dem Ziel größerer Rechtssicherheit geschaffen wurden, stellten in Europa den ersten geschriebenen Kodex seit dem corpus iuris civilis dar und galten 250 Jahre bis zu ihrer Außerkraftsetzung durch den russischen Zaren. 164 Dort wurden bereits abgeschlossene Reformarbeiten im Vertragsrecht komplett umgeändert und durch die UPICC ersetzt. ZUKAS, in CASHIN RITAINE/LEIN, The UNIDROIT Principles 2004, S. 231 ff.; MIKELENAS, Juridica Int. 10 (2005), S. 42 ff.; so etwa die Artikel (der UPICC 1994) 1.1 - 1.4 und 1.7, 2.1 - 2.16 und 2.20 - 2.22, 3.10 , Chapter 4, 5.1 - 5.3 und 5.6 - 5.8, 6.1.1 - 6.1.6 und 6.1.14 - 6.1.17, Chapter 6 Section 2 und Chapter 7 Sections 1, 2 und 3. 165 See MIKELENAS, Juridica Int. 10 (2005), S. 42, 43.
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buchs von Québec, des BGB und des russischen Zivilgesetzbuchs eine Rolle, das von internationalen Rechtsvereinheitlichungstendenzen ebenfalls nicht unberührt blieb.166 Auch EU-Recht wurde weitgehend in das Zivilgesetzbuch inkorporiert. Insbesondere im Bereich des Leistungsverzögerung gibt das litauische Gesetzbuch zu einigen Überlegungen Anlass, da es zwar die UNIDROIT Principles relativ wortgetreu in seinen 2. Teil Kapitel XI, Art. 6.154 ff (Verträge) aufnimmt und deren Nichterfüllungsvorschriften folgt, diesen jedoch allgemeine Bestimmungen voranstellt, die eine eigene Verzugsregelung enthalten.167 d. Estland Auch Estland entschied sich bereits 1992 für die Ersetzung des sowjetischen Rechts durch ein eigenes modernes Privatrecht.168 Als Arbeitsgrundlage lag bereits ein Entwurf aus dem Jahr 1936 vor, dessen Verabschiedung durch die politischen Ereignisse im Jahr 1940 verhindert wurde.169 Durch die eigene Zivilrechtsgeschichte von der Zarenzeit bis 1940 und unter dem Einfluss des großen kodifikatorischen Vorbildes des BGB beschloss Estland eine systematische Gesamtkodifikation des Zivilrechts, auch wenn diese etappenweise in einzelnen Büchern realisiert wurde.170 Das HGB, das auf jeglichen Dualismus zum Schuldrecht verzichtet und die Regelung der Handelsgeschäfte dem Schuldrecht vorbehielt, wurde 1995 als Teilgesetz verabschiedet. Das Gesetz zum Allgemeinen Teil des ZGB enthielt bereits einige wenige Bestimmungen zum Schuldrecht. Letzteres wurde aufgrund der Komplexität des Regelungsgegenstandes als eines der letzten Teilgesetze erst vergleichsweise 166
SKALA, in CASHIN RITAINE/LEIN, The UNIDROIT Principles 2004, S. 119 (120); vgl. auch KOMAROV, Unif.L.Rev. 1996, S. 247 ff. 167 Vgl. Art. 6.63 litZGB - Cases in which a debtor is considered to be in default. 168 MIKK, Grundbuch- und Notartage 1999, S. 284 f. 169 Bis zum Jahr 1940 galt noch das als höchst unsystematisch geltende, dem ALR in seiner Kasuistik vergleichbare sog. Zarische Provincialrecht der Ostseegouvernements, Dritter Theil: Privatrecht von 1864/1865 mit beeindruckenden 1693 Vorschriften allein zum Recht der Forderungen. Der Entwurf aus dem Jahr 1936 war ein dem BGB vom Konzept her vergleichbarer Fünf-Bücher-Kodex, jedoch in anderer Reihenfolge und mit zum Teil wesentlich anderem Inhalt; SCHARLEMANN, in BAUER/WELKER, Europa und seine Regionen – europäische und regionale Rechtskultur, S. 657 ff.; LUTS, in OKSAAR/VON REDECKER, Deutsch-Estnische Rechtsvergleichung und Europa, S. 51 (52 f. und 61 ff.); KAERDI, in HEISS, Brückenschlag zwischen den Rechtskulturen des Ostseeraums, S. 77. 170 Begonnen wurde mit der einzelgesetzlichen Rekodifizierung des bereits 1993 in Kraft getretenen Sachenrechtsgesetzes, das mittlerweile bereits mehrfach modernisiert wurde. Ihm folgten 1994 das Gesetz zum Allgemeinen Teil des ZGB sowie weitere Einzelgesetze, die sich allerdings in ein kodifikatorisches Gesamtkonzept einbetten. Vgl. hierzu im Einzelnen die Darstellung der Gesetzgebungsgeschichte Estlands bei LUTS, in OKSAAR/VON REDECKER, Deutsch-Estnische Rechtsvergleichung und Europa, S. 51 (58 ff.).
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spät im sog. Schuldrechtsgesetz vom 6.9.2001171 geregelt, das Anfang Juli 2002 in Kraft trat. Zugleich wurde auch das Gesetz zum allgemeinen Teil des ZGB nochmalig geändert und insbesondere in neuerer Zeit um diverse Einzelregelungen gekürzt. Das BGB war dabei insbesondere für die ersten Neukodifikationen und in erster Linie das Sachenrecht richtungsweisend.172 Später überwogen die Einflüsse der innereuropäischen und internationalen Harmonisierungsmodelle der Principles, was letztlich sogar zu einer bewussten Loslösung vom deutschen Leitmodell führte, um diesem im Hinblick auf Modernität und Zukunftsorientiertheit ein Stück weit voraus zu sein: „Seitdem sich für Estland die konkrete EU-Perspektive eröffnet hat, hat sich der Faktor Europa für die Träger der estnischen Privatrechtsreform einerseits von einer europäischen innerstaatlichen Rechtsordnung (Deutschland) auf mehrere europäische Rechtsordnungen erweitert, andererseits v.a. die europäischen inter- und supranationalen Harmonisierungstendenzen und Erneuerungen mitumfasst.“173 Das Schuldrechtsgesetz stützt sich daher nur auf die Reformdiskussionen zur Modernisierung des deutschen Schuldrechts und die jüngeren Entwicklungen in Deutschland und bezieht vor allem PECL, UPICC und CISG ein, die als „[…] zukunftsweisender als die etwas zurückhaltenden Lösungen des deutschen Schuldrechtsreformgesetzes oder der anderen europäischen Privatrechtsgesetzgebungen“174 angesehen wurden. Es ändert wortwörtlich übernommene Regelungen der Principles jedoch dort ab, wo die Gewichtung von Schuldner- und Gläubigerinteressen nicht vollkommen schien. Ob die Übernahme von Principles in das estnische Schuldrechtsgesetz in der Rechtsanwendung durch Privatrechtsakteure und Gerichte überzeugt, wird zudem von manchen generell in Frage gestellt.175 Gleichwohl ist Estland einer der Staaten, die Modelle eines einheitlichen Vertragsrechts zu gelebtem Recht gemacht haben und den dort entwickelten Konzepten hierdurch nicht nur inhaltliche Überzeugungskraft bescheinigen, sondern zugleich eine „staatliche“ Legitimation geben. Bemerkenswert ist auch, dass Estland das EU-Richtlinienrecht in das Schuldrechtsgesetz eingearbeitet hat, es dort also bereits zu einer ansatzweisen Vermischung von vertragsrechtlichen Principles, EU-Richtlinienrecht, nationalem Zivilrecht und eigenen Ideen des estnischen Gesetzgebers kam. Dieser präsentiert sich wie der litauische Gesetzgeber als reformorien-
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Võlaõigusseaduse (Schuldrechtsgesetz) vom 6.9.2001 (1.7.2002 - RT I 2002, 53, 336). Vgl. auch VARUL, Juridica Int. 5 (2000), S. 107 ff. 173 LUTS, in OKSAAR/VON REDECKER, Deutsch-Estnische Rechtsvergleichung und Europa, S. 51 (58 ff.); MIKK, Grundbuch- und Notartage 1999, S. 296. 174 LUTS, a.a.O., S. 67; siehe auch KÄERDI, in HEISS, Brückenschlag zwischen den Rechtskulturen des Ostseeraums, S. 75 (76); GÖTTIG, ZfRV 2006, S. 138 (139). 175 Vgl. etwa LUTS, a.a.O., S. 67 und 68. 172
Kapitel 2: Grundlagen
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tiert, zukunftsbegeistert und mutiger als seine früheren Vorbilder im Westen Kontinentaleuropas.
Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht? If there is no unity of laws, then the terrible and odious practice of the conflict of laws will arise […] so that in their intercourse the poor subjects will be stuck and suffocated in such a constant maze of uncertainty and shock that their worst enemies could not advise them worse. Unity would, however, make smooth and safe the road of the citizen from one state to the other and wicked lawyers would no longer have the opportunity to sell their legal secrets and 1 thereby to extort and maltreat the poor foreigners.
Betrachtet man die Modelle für ein europäisches Vertragsrecht, fällt ein wesentlicher Unterschied sofort auf: PECL und DCFR gliedern die Leistungsverzögerung in ein einheitliches Nichterfüllungsregime ein. Hierin lehnen sie sich an UPICC und CISG an. Auch das CESL übernimmt diese Struktur. Obgleich sie auf europäischen Rechtstraditionen aufbauen, wird man das Rechtsinstitut des Verzugs mit seinen Elementen wie Mahnung oder Zufallshaftung in diesen Regelwerken vergeblich suchen. Der Schwerpunkt liegt hier nicht auf Leistungsstörungstatbeständen und ihrer Definition und Abgrenzung, sondern auf den Rechtsfolgen der Leistungsverzögerung. Zugleich entscheiden sich PECL und DCFR für einen weitgehenden Schutz der Gläubigerinteressen und schaffen für diesen günstige Rechtsfolgenregelungen. Der Code Européen hingegen folgt dem aus nationalen Rechten bekannten Verzugskonzept. Er versucht zugleich, Rechtsfolgenregelungen zu treffen, die die Interessen des säumigen Schuldners wahren. Der moderne Ansatz von PECL und DCFR wirft Fragen auf: Ist die Entwicklung der Sonderbehandlung des Verzugs hin zu einer fast völligen Assimilierung der Leistungsverzögerungsfolgen mit anderen Leistungsstörungen unter dem Dach eines einheitlichen Nichterfüllungskonzeptes problemlos möglich? Oder ist der völlige Verzicht auf einen eigenen Verzugstatbestand eine Lücke, die es besser zu schließen gilt?
1
THIBAUT, zitiert von HATTENHAUER, Thibaut und Savigny: Ihre programmatischen Schriften, S. 33.
Kapitel 3
Konzept „Leistungsverzögerung“: PECL, DCFR und CESL im Licht von UPICC und CISG § 1 Rechtsfolgenorientiertes Konzept PECL und DCFR kennen keine Leistungsstörungstatbestände mit eigenen Rechtsfolgen und vor allem keinen Verzugstatbestand.1 Sie vermeiden hierdurch ein komplexes Gefüge aus Vorschriften zur Unmöglichkeit, zum Verzug, zur Gewährleistung oder sonstigen Vertragsverletzungen.2 Das Beispiel des BGB a.F. hat gezeigt, zu welchen unbedachten Lücken und systematischen Schwierigkeiten die tatbestandliche Unterscheidung nach der Art der Leistungsstörung führen kann. Hinsichtlich aller Pflichtverletzungen jenseits von Unmöglichkeit und Verzug und der im besonderen Vertragsrecht geregelten Schlechtleistung enthielt es eine Regelungslücke, die durch das auf eine Gesamtanalogie gestützte Rechtsinstitut der positiven Vertragsverletzung geschlossen werden musste.3 Im BGB-Entwurf war hingegen eine Einheitslösung erwogen worden.4
1
Vgl. insbesondere das tschechische Recht, das Schweizer Obligationenrecht oder das BGB in seiner alten und im Hinblick auf den Verzug auch in seiner neuen Fassung. In römischrechtlicher Tradition zentrierte sich die a.F. zudem um die heute praktisch am wenigsten relevante Unmöglichkeit. Das Leistungsstörungssystem des BGB a.F. wurde als lückenhaft und rechtspolitisch verfehlt angesehen. Insbesondere die Sonderbehandlung der Unmöglichkeit in § 306, 307 BGB a.F. und das Aussparen einer gesetzlichen Regelung für Pflichtverletzungen außerhalb der „Trias der Leistungsstörungen“, die wegen der Formulierung des § 276 BGB im BGB a.F. als nicht vorhanden galt, wurde als unzureichend angesehen (siehe hierzu aber RG, 13.6.1902, RGZ 52 18 (19); RG, 9.7.1907, RGZ 66, 289 (291); RG, 29.11.1922, RGZ 106, 22 (25); daraus, dass der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten habe, folge auch seine Schadensersatzpflicht bei Vertragsverletzung. So auch HUBER, Leistungsstörungen, § 3 II 3; STOLL, AcP 136 (1932), S. 257 (283 f.)); vgl. MEDICUS, AcP 188 (1988), S.168 (173); MüKo/EMMERICH, Vor § 275, Rn. 10. 2 Vgl. nur §§ 306, 307, 323 ff., 286 Abs. 1, 2, 326 BGB a.F. 3 So bereits das RG, allerdings auf der Basis des als Haftungsanordnung statt Haftungsmaßstab mißverstandenen § 276 BGB a.F.; der BGH stützte sich dann auf eine Analogie zu den §§ 280, 286, 325, 326 a.F. 4 Vgl. § 224 Abs. 1 BGB-Entwurf, Mot. II, 27, der eine allgemeine Anspruchsgrundlage für vorsätzliche und fahrlässige Nichterfüllung vorsah.
Kapitel 3: Konzept „Leistungsverzögerung“
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Die Frage nach der häufig eher dogmatisch wirkenden Einordnung nach Vertragstyp und Leistungsstörungskategorie hat für die Betroffenen zudem weit geringere Bedeutung als die Erwägung, ob im Fall der Nichterfüllung aus Gläubigersicht praktikable Rechtsbehelfe und aus Schuldnersicht vertretbare Rechtsfolgen zur Verfügung stehen. Diese Zentrierung auf die Rechtsfolgen wird nun auch zunehmend von den nationalen Gesetzgebern erkannt.5 Die Principles6 schaffen in dieser Hinsicht konsequent rechtsfolgenorientierte Regeln7 und halten nicht die dogmatisch korrekte Einordnung der Vertragsstörung für wesentlich, sondern die dem Beschwerten zur Verfügung stehenden remedies. Über ein einheitliches Regelungskonzept vermeiden sie, dass bestimmte Konstellationen ungeregelt bleiben und es einer ergänzenden Rechtsfortbildung bedarf. In Letzterem folgt ihnen auch der DCFR8 und – auf das Kaufrecht beschränkt – auch das CESL. Die Ablehnung einer Unterscheidung nach Leistungsstörungskategorien auf der Tatbestandsebene bedeutet jedoch nicht zwingend, dass verschiedene Nichterfüllungsfälle vollständig einheitlich behandelt werden müssen und eine sachgerechte Behandlung einer pauschalen Betrachtung zu weichen hätte. Für die im Einzelfall interessengerechte Lösung stufen die Principles nach der Einstandspflicht des Schuldners und der Intensität der Nichterfüllung ab, wobei auch die Art der Leistungsstörung durchaus eine Rolle spielen kann (moderate remedy approach).9 Sie grenzen die Rechtsbehelfe bei Nichterfüllung anhand mehrerer Korrektive ein, die die Einheitlichkeit in Tatbestand und Rechtsfolgen überhaupt erst ermöglichen: zunächst durch die Unterscheidung in entschuldigte und nicht entschuldigte Nichterfüllung,10 dann durch die Schwere der Nichterfüllung, wie dies beispielsweise Art. 9:301 Abs. 1 PECL oder III.-3:502 DCFR zeigen.11 Nur dort, wo zwingend erforderlich, unterscheiden sie schließlich auch nach der Art der Leistungsstörung, wobei insbesondere die Verzögerung der Leistung eine Son5
So jedenfalls im Ansatz insbesondere das BGB n.F., das NBW oder neue baltische Kodifikationen (estSRG). 6 Der Text bezieht sich gelegentlich in allgemeiner Form auf die Principles. In diesem Fall treffen die Ausführungen auf beide Regelwerke – PECL und UPICC – zu. 7 STORME, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 26. Vgl. LANDO/BEALE, Principles of European Contract Law, Parts I and II, S. 123. Der Kommentar ist in mehreren Übersetzungen erschienen, ROUHETTE/DE LAMBERTERIE/TALLON/WITZ, Principes du droit européen du contrat; CASTRONOVO, Principi di diritto europeo dei Contratti, Parte I e II; zum remedy approach auch LANDO/BEALE, a.a.O., Art. 8:101 unter A und B. 8 Er ergänzt allerdings die allgemeinen vertragsrechtlichen Regeln durch ein Vertragstypenrecht, siehe Book IV („[…] a series of model rules on so-called „specific contracts“ and the rights and obligations arising from them.“), vgl. DCFR, Introduction, S. 19 unter 37. 9 TEICHMANN, ZEuP 2004, 193 f. 10 Art. 8:101 Abs. 1 und 2 PECL, III.-3:101 DCFR. 11 Siehe auch Art. 7.3.1. Abs. 1 UPICC.
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Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht?
derrolle spielt. Hier erweitern Art. 9:301 Abs. 2, 8:106 Abs. 3 PECL12 und Art. III.-3:503, III.-3:507 Abs. 2 DCFR die Vertragsaufhebungsmöglichkeiten des Gläubigers im Fall der Verzögerung der Leistung. Und hier regeln Art. 9:508 PECL13 sowie Art. III.-3:708 DCFR die Folgen des Zahlungsverzugs. In Anlehnung an den Vertragsverletzungsbegriff der CISG folgen PECL und DCFR einem einheitlichen Begriff der Nichterfüllung (non-performance), der als Blankettbegriff14 im Rahmen seines jeweiligen Bezugssystems zu verstehen ist, das ihn mit Inhalt füllt.15 Die Principles wie der DCFR definieren die Nichterfüllung als „jede Form mangelnder Erfüllung“ einer vertraglichen Verpflichtung, „egal ob sie entschuldigt oder nicht entschuldigt ist.“16 Im Zentrum des Nichterfüllungsbegriffs der Principles steht also das Forderungsrecht des Gläubigers, nicht die Vertragsverletzung des Schuldners. Wurde objektiv ein Forderungsrecht verletzt, greift trotz Vorliegens eines Entschuldigungsgrundes der Haftungstatbestand der Nichterfüllung.17 Damit ist die non-performance auch nicht völlig mit anderen Einheitstatbeständen wie dem breach of contract des englischen Rechts18 gleichzusetzen, der Fälle der frustration nicht umfasst.19 Sie unter12
Art. 7.1.5 Abs. 3, 7.3.1 Abs. 3 UPICC. Art. 7.4.9 UPICC spricht auch in der deutschen Übersetzung nicht von dem national und EU-rechtlich vorgeprägten Begriff Zahlungsverzug, sondern von „Zinsen bei Nichtzahlung von Geld“. 14 HUBER, ZIP 2000, S. 2279. 15 LANDO/BEALE, S. 123. Art. 1:301 Abs. 4 PECL: „In these Principles except where the context otherwise requires: … (4) ‘non-performance’ denotes any failure to perform an obligation under the contract whether or not excused, and includes delayed performance, defective performance and failure to co-operate in order to give full effect to the contract. Vgl. auch Art. 7.1.1 UPICC: „Non performance is failure by a party to perform any of it obligations under the contract, including defective performance or late performance.“ Vgl. auch nationale Rechte: der Begriff „Nichterfüllung“ kann alle Störungsfälle umfassen oder die der „Schlechterfüllung“ gerade aussparen, vgl. etwa die Überlegungen in PALANDT, Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts, Ergänzungsband 2002, § 280 Rn. 3. Vgl. zur Verwendung eines Einheitstatbestands im nationalen Recht: Code civil: inexécution, Codice Civile: inadempimento, Código civil: incumplimiento, niederländisches NBW: tekortkoming, skandinavische Rechtsordnungen: kontraktsbrott, BGB und estnisches Schuldrechtsgesetz: Pflichtverletzung. 16 Art. 1:301 Abs. 4 PECL, Art. 7.1.1 UPICC, Art. III.-1:102 Abs. 3 DCFR sowie Annex „Non performance“, S. 560, der allerdings (unverständlicherweise) nicht ganz dem Wortlaut des Art. III.-1:102 Abs. 3 DCFR folgt. Die Legaldefinition in III.-1:102 Abs. 3 DCFR hätte auch wörtlich in den Annex übernommen werden können. 17 LANDO/BEALE, Kommentar zu Art. 1:301 Abs. 4 PECL, S. 123; UNIDROIT Principles 2010, Kommentar zu Art. 7.1.1 UPICC; STORME, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 27. 18 „Breach of contract in the common law sense is non-excused non-performance […]”, FURMSTON, Am.J.Comp.L. 40 (1992), S. 671; LANDO/BEALE, zu Art. 1:301, S. 124. 13
Kapitel 3: Konzept „Leistungsverzögerung“
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scheidet sich auch von der Pflichtverletzung des deutschen BGB, die zwar, anders als der Begriff es zunächst vermuten lässt,20 auch den Fall eines nicht zu vertretenden Fehlverhaltens des Schuldners umfasst, sich jedoch nicht auf vertragliche Schuldverhältnisse im engeren Sinn beschränkt.21 Wegen des universellen Anwendungsbereichs der Principles, der sich auf alle Vertragstypen erstreckt, reicht der Begriff naturgemäß weiter als der Vertragverletzungsbegriff der auf das Kaufrecht beschränkten CISG22 und des CESL. Im Fall der PECL und des DCFR schließt er grundsätzlich neben allen Vertragstypen auch jede mögliche Parteienkonstellation und nicht wie die UPICC ausschließlich B2B-Verträge ein.23 Nach Art. 1:301 PECL24 ist „jede Form mangelnder Erfüllung einschließlich der verspäteten Erfüllung, der mangelhaften Erfüllung sowie der Verweigerung der für die volle Wirkung des Vertrags erforderlichen Zusammenarbeit“ eine Nichterfüllung.25 Auch die Verletzung von Nebenpflichten fällt unter den Nichterfüllungsbegriff.26 Ähnliches gilt für den DCFR.27 Die weite 19
DAVID/PUGSLEY, Les contrats en droit anglais, S. 289. Dies entspricht allerdings der Tradition des BGB, das etwa in § 823 Abs. 1 BGB die Schadensersatzpflicht objektiv an eine Verletzung und subjektiv an ein Verschulden knüpft. Der Tatsache, dass der Pflichtverletzungsbegriff eigentlich ein Fehlverhalten des Schuldners impliziert, wird allerdings durch die Annahme eines vermuteten Verschuldens in § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB Rechnung getragen. 21 Vgl. DIEDERICHSEN, AcP 182 (1982), S. 101, (117 ff.). Zur Kritik des Begriffs der Pflichtverletzung gegenüber der Nichterfüllung siehe Regierungsbegründung, BTDrs. 6857 = 14/6040, in CANARIS, Schuldrechtsmodernisierung, S. 569 (668). Zum Begriff auch ANDERS, ZIP 2001, S. 184, 185; KREBS, DB Beilage 14/2000, S. 10. 22 Vgl. zum Begriff des breach of contract unter der CISG auch KOCH, The Concept of Fundamental Breach of Contract under the United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (CISG), S. 34, http://cisgw3.law.pace.edu/cisg/biblio/koch.html. 23 LANDO/BEALE, Einführung XXVII; der DCFR geht allerdings in seinem sachlichen Anwendungsbereich noch darüber hinaus. 24 Ähnlich Art. 7.1.1 UPICC. 25 Siehe Art. 1: 202 PECL. 26 LANDO/BEALE S. 123; vgl. auch LANDO, RabelsZ 56 (1992), S. 269. 27 In Art. III.-1:101 Abs. 3 DCFR heißt es: „Non-performance of an obligation is any failure to perform the obligation, whether or not excused, and includes delayed performance and any other performance which is not in accordance with the terms regulating the obligation.“ Allerdings ist die Definition im Annex S. 560 abweichend formuliert: „Nonperformance in relation to an obligation means any failure to perform the obligation, whether or not excused. It includes delayed performance and defective performance.“ Die Verletzung von Nebenpflichten scheint hier nicht umfasst. Siehe allerdings die auf das Kaufrecht bezogene Definition des Art. 87 Abs. 1 CESL: „1. Non-performance of an obligation is any failure to perform that obligation, whether or not the failure is excused, and includes: (a) non-delivery or delayed delivery of the goods; (b) non-supply or delayed supply of the digital content; (c) delivery of goods which are not in conformity with the contract; 20
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Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht?
Nichterfüllungsdefinition räumt die Gefahr einer engen Begriffsauslegung aus und verhindert Missverständnisse, die eine solche mit sich bringen könnte.28 Eine warranty hinsichtlich des Vorliegens bestimmter Genehmigungen oder Umstände kann also ebenso zu einer Nichterfüllung führen.29 „Intermediäre Begriffe“30 wie „Verzug“, „Schlechtleistung“ und „Unmöglichkeit“ sind potentielle Ursachen einer Nichterfüllung, für deren Behandlung grundsätzlich der gleiche Maßstab gilt. Im Hinblick auf die Verzögerung der Leistung folgen die Principles damit der bereits im ius commune aufgekommenen Idee von der Verzögerung der Leistung als „Nichterfüllung in Ansehung der Zeit:“31 „La demeure n’est […] qu’un cas d’inexécution parmi d’autres. Dans la mesure où sa survenance a des répercussions sur le moyen utilisé pour remédier à l’inexécution, il en est tenu compte dans le mécanisme.”32 Dies nähert sich letztlich in der Idee (nicht aber in den Rechtsfolgen)33 auch dem common law: „[D]efendants who have breached are, by definition, no longer able to perform their primary contractual obligation – it is too late.”34 Ist die Verzögerung der Leistung bereits als solche eine Nichterfüllung, können die Principles um eine zentrale Institution des BGB und anderer Rechtsordnungen leichter werden: den Verzugstatbestand.
§ 2 Gläubigerorientierte Haftungsvoraussetzungen Der Zugang zum Rechtsfolgenkatalog der PECL und des DCFR wird dem Gläubiger bei Säumnis des Schuldners relativ leicht gemacht. Anders als beim Verzug im nationalen Recht, der in der Regel einer Mitwirkungshandlung des Gläubigers bedarf, kennen PECL und DCFR kein (d) supply of digital content which is not in conformity with the contract; (e) non-payment or late payment of the price; and (f) any other purported performance which is not in conformity with the contract.“ 28 MEDICUS, in BASEDOW, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 182. 29 Zu Klärungsbedürftigkeit der Frage des Vorliegens eines breach of contract im Zusammenhang mit warranties im schottischen Vertragsrecht siehe SCOTTISH LAW COMMISSION, Discussion Paper 109, April 1999, S. 6. 30 STORME, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 26. 31 HARKE, Schuldnerverzug, S. 116. Vgl. Teil 2, Kap. 6, Unterkap. 2. 32 So zu den parallel strukturierten UPICC EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution du contrat et les Principes UNIDROIT, S. 167. 33 Der Ablehnung der specific performance im Fall des breach of contract im common law folgen die PECL nicht. 34 „If performance was meant to happen on May 1, then ordering the defendant to perform on September 1 is ordering her to do something different than she was originally obliged to do.“, SMITH, Contract Theory, S. 399, 400.
Kapitel 3: Konzept „Leistungsverzögerung“
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Mahnungserfordernis. Nach den Principles und dem DCFR genügt ebenso wie nach der CISG und dem CESL35 grundsätzlich die Überschreitung der Leistungszeit, um (erste) Rechtsfolgen auszulösen. Der Grundsatz des französischen Rechts wie anderer nationaler Rechte – „Delay in itself is not enough. It must be a delay officially noted” 36 – greift im Konzept des europäischen Vertragsrechts nicht. Irrelevant sind damit auch die besonders im deutschen Recht ausgeprägten systematischen Unterschiede zwischen dem Leistungsverzug und den an ihn knüpfenden spezifischen Verzugsfolgen37 und den vom eigentlichen Verzug unabhängigen Nichterfüllungsfolgen.38 Zudem stützen sich PECL und DCFR wie CISG und CESL39 auch nicht auf eine Verschuldenshaftung, sondern kennen eine strenge Haftung mit Entlastungstatbeständen. Die Annahme einer rechtsfolgenauslösenden Leistungsverzögerung ist damit von nur zwei Prämissen abhängig: der grundsätzlichen Erbringbarkeit der Leistung und dem unentschuldigten Verstreichen der Leistungszeit. Ist das Verstreichenlassen der Leistungszeit als solches Nichterfüllung, muss allerdings in allen Fällen präzise bestimmbar sein, wann dieser Moment eintritt. Dies gelingt, wie sich nachfolgend zeigt, jedoch nicht durchweg. I. Leistungsverzögerung ohne Mahnung 1. Leistungszeit Hinsichtlich der Leistungszeit sehen die Art. 7:102 PECL, Art. III.-2:102 DCFR wie Art. 6.1.1 UPICC mehrere Bestimmungsalternativen vor: Die Vereinbarung der Leistungszeit oder eines Leistungszeitraums durch die Parteien und, in Ermangelung einer Parteiabsprache, die Leistung binnen angemessener Zeit.40 Die gleichen Grundsätze gelten auch für auf Geld gerichtete Ansprüche, d.h. für die Bestimmung der Zahlungszeit.41 35
Art. 87 Abs. 1 lit. a CESL. AMOS/WALTON, Introduction to French Law, S. 183. 37 § 280 Abs 2 i.V.m. Abs. 1 und § 286, § 287 Satz 2, § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB. 38 §§ 281 und 323 BGB. 39 Art. 88 CESL. 40 Art. 7:102 PECL (Art. 6.1.1 UPICC ist wortgleich): „A party has to effect its performance: (1) if a time is fixed by or determinable from the contract, at that time; (2) if a period of time is fixed by or determinable from the contract, at any time within that period unless circumstances indicate that the other party is to choose the time; (3) in any other case, within a reasonable time after the conclusion of the contract.“ 41 Anders löst dies die nicht „rollenneutrale“ CISG, die eine Sondervorschrift für die Fälligkeit des Kaufpreiszahlungsanspruchs enthält und diese an die Lieferung der Kaufsache knüpft, da die Zahlungsproblematik in das Kapitel „Pflichten des Käufers“ fällt. S. Artikel 58 CISG. Anders löst dies aus demselben Grund auch das CESL, siehe dort Art. 95 Abs. 1 und 2 sowie Art. 126. 36
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Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht?
a. Vereinbarung der Leistungszeit Nach Art. 7:102 Abs. 1 PECL und 6.1.1 lit. a UPICC können die Parteien die Leistungszeit ausdrücklich auf den jeweiligen Vertrag abstimmen, indem sie entweder ein konkretes Leistungsdatum angeben oder sich auf ein bestimmtes Ereignis beziehen.42 Die Regelwerke gehen von dem in der Praxis häufigsten Fall aus, dass eine Leistungszeit durch die Parteien vertraglich vereinbart wurde oder aufgrund des Vertrags jedenfalls bestimmbar ist. Dies entspricht auch Art. 33 lit. a CISG oder Art. 19 1. Alt. CMR, kehrt jedoch die klassische Reihenfolge nationaler Kodifikationen um: Statt vom Grundfall der Mahnung und dem Ausnahmefall des dies interpellat auszugehen, ist die Leistungszeitvereinbarung in den PECL zugleich Grundprinzip und Ausgangspunkt der Verzögerungsfolgen. Dies ist im Lichte der Integrierung der Leistungsverzögerung in die Nichterfüllungshaftung konsequent:43 Die Leistungszeit wird so zum Teil der Leistungspflicht und ihre Missachtung zur Nichterfüllung.44 Zugleich entspricht diese Systematik den Gegebenheiten der Praxis. Der gesetzliche „Ausnahmefall“ des dies interpellat im nationalen Recht hat sich längst zum praktischen Grundfall entwickelt. Beide Parteien wissen in der Regel, dass die Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erbringen ist, und es darf hier von einer Rechtsverletzung ausgegangen werden, ohne dass es eines weiteren Zutuns des Gläubigers bedarf. Art. III.-2:102 DCFR beschränkt sich allerdings ausschließlich auf die Vereinbarung einer period of time. Zudem kehrt er die Reihenfolge der PECL um und regelt zunächst den Fall fehlender Leistungszeitbestimmung. An dieser Stelle wäre man aus den genannten Gründen besser dem Vorbild der PECL gefolgt. b. Vereinbarung eines Leistungszeitraums Art. 7:102 Abs. 2 PECL45 ergänzt die Vereinbarung eines Leistungstermins um die Vereinbarung eines Leistungszeitraums, binnen welchem die Leistung erfolgen muss, und der auch lediglich aufgrund des Vertrags bestimmbar sein kann. Dabei gehen die PECL davon aus, dass der präzise Leistungszeitpunkt innerhalb dieses Zeitraums der Wahl des Schuldners obliegt, wenn sich nicht aus den Umständen des Vertrages ein Gläubigerwahlrecht ergibt, so 42
LANDO/BEALE, zu Art. 7:102, S. 401. Undeutlicher ergibt sich dies auch aus Art. 95 CESL. 43 Vgl. oben § 1. 44 Vom Grundfall der Mahnung auszugehen und von diesem Ausnahmen zu gestatten, entspricht zwar römischrechtlicher Tradition, erklärt sich jedoch auch nur durch sie, und wirkt aufgrund der geringeren Praxisrelevanz der Verträge ohne Leistungszeitvereinbarung auch in nationalen Rechtsordnungen schief. 45 Ebenso wie Art. 6.1.1 lit. b UPICC und Art. 33 lit. b CISG.
Kapitel 3: Konzept „Leistungsverzögerung“
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Art. 7:102 Abs. 2 PECL.46 Dem folgt auch der bereits genannte Art. III.-2:102 Abs. 2 DCFR. Dass PECL wie DCFR auch die lediglich bestimmbare Leistungszeit als ausreichend erachten, ist ebenfalls schlüssig. In nationalen Rechten, in welchen die Mahnung das ausschlaggebende Moment für den Beginn einer Verzögerungshaftung bildet, ist der dies interpellat Grundsatz eine Ausnahme, wie dies insbesondere das französische oder italienische Recht zeigen.47 Entsprechend eng muss diese Ausnahme gefasst sein. Dieses Motiv fällt bei den PECL weg. Der DCFR enthält im Übrigen in Art. I.-1:11048 eine Regelung zur genauen Bestimmung von Fristen. c. Leistung innerhalb angemessener Frist Haben die Parteien keine Leistungszeitvereinbarung getroffen, wird dem Schuldner gem. Art. 7:102 Abs. 3 PECL wie auch gem. Art. 6.1.1 lit. c UPICC oder gem. Art. 33 lit. c CISG und Art. III.-2:102 Abs. 1 DCFR eine angemessene Frist nach Vertragsschluss (reasonable time) eingeräumt, binnen welcher er seine Leistung erbringen muss49 Vergleicht man diese Regelung mit anderen internationalen Texten, fällt auf, dass der Text des Art. 19 CMR etwas präziser ist: „Delay in delivery shall be said to occur, when […], failing an agreed time-limit, the actual duration of the carriage having regard to the circumstances of the case, […] exceeds the time it would be reasonable to allow a diligent carrier.“ Wann eine Frist angemessen ist, soll jedoch auch nach den Principles und dem DCFR im jeweiligen Einzelfall je nach Natur und Begleitumständen des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages und gegebenenfalls nach den jeweiligen Usancen und Geschäftspraktiken und einem objektiven Maßstab zu entscheiden sein, so die in Art. 1:302 PECL und Annex I des DCFR enthaltene allgemeine Definition der reasonableness.50 Diese Regelung ist z.B. bei Erbringung einer Werkleistung an sich durchaus sinnvoll, da der Schuldner eine bestimmte Zeit braucht, um seine Leistung 46
ERNST, in BASEDOW, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 135. 47 Vgl. unten Teil 2, Kap. 7, § 2 V 1. 48 In der Interim Outline Edition war diese Vorschrift noch in einem Annex 2 enthalten. Hier wurde zu Recht nachgebessert. 49 Ähnlich auch andere Instrumente des Transportrechts, wie etwa Art. 5 Abs. 2 der Hamburg Rules. 50 Art. 1:302 PECL: „Under these Principles, reasonableness is to be judged by what persons acting in good faith and in the same situation as the parties would consider to be reasonable. In particular, in assessing what is reasonable the nature and purpose of the contract, the circumstances of the case and the usages of and practices of the trades or professions involved should be taken into account.” Annex DCFR, S. 564: “What is “reasonable” is to be objectively ascertained, having regard to the nature and purpose of what is being done, to the circumstances of the case and to any relevant usages and practices.“
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vorzubereiten.51 Die flexible Bestimmung des Art. 7:102 Abs. 3 PECL und Art. III.-2:102 Abs. 1 DCFR entspricht also offensichtlich einer Tendenz im modernen Einheitsrecht.52 Dass der Schuldner in vielen nationalen Rechten mangels Parteivereinbarung einer Leistungszeit im Grundsatz einer „sofortigen“ Leistungspflicht unterliegen soll,53 erscheint nur vordergründig als abweichende Lösung. Tatsächlich wird die sofortige Leistung vom Gesetz regelmäßig als subsidiärer Fall betrachtet und nur mit der Maßgabe gefordert, dass sich nicht aus der Natur des Vertrages, den Umständen des Geschäfts oder dem Leistungsort ein anderes ergibt. Ein Unterschied zwischen Einheitsrecht und mitgliedstaatlichen Regelungen besteht daher häufig nicht, denn das Konzept nationaler Rechte führt im Ergebnis ebenso zu einer Bestimmung der im jeweiligen Vertragsverhältnis angemessenen Leistungszeit: diese bewegt sich auf einer nach oben offenen Zeitskala, beginnend mit einer sofortigen Leistungspflicht, wobei das nationale Recht die Betonung auf den frühesten Moment legt. Unproblematisch ist der Begriff der reasonable time in den Principles und im DCFR jedoch nicht. Seine Konkretisierung im Einzelfall hängt von der Sicht des Betrachters ab und ist in seinem jeweiligen Kontext sowie aus Sicht der jeweiligen Partei variabel: „[R]easonableness always includes an intersubjective element.“54 Hier kommt verschärfend hinzu, dass über Art. 1:301 Abs. 4 PECL und Art. I.-1:103 Abs. 1 DCFR auch im Fall der Art. 7:102 Abs. 3 PECL und Art. III.-2:102 Abs. 1 DCFR bereits das Verstreichen der Leistungszeit Rechtsfolgen auslöst. Das CESL hat hier eine andere Lösung gewählt und geht wie viele nationale Rechtsordnungen im Grundsatz davon aus, dass eine Lieferung unverzüglich nach Vertragsschluss zu erfolgen hat.55 Für Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher darf die Lieferzeit 30 Tage nach Vertragsschluss nicht überschreiten. Dies hat gegenüber dem unklaren Begriff der reasonable time zwar den Vorteil, dass für die Lieferzeit eine Obergrenze fixiert wurde, kann aber dazu führen, dass die Unternehmer diese Zeitspanne auch dort völlig ausschöpfen, wo eine viel kürzere Frist angebracht wäre. 2. Fehlendes Mahnungserfordernis Ist die Regelung der Leistungszeit in PECL, DCFR oder UPICC daher auch für sich allein betrachtet noch nicht ungewöhnlich, unterscheiden sich die Konsequenzen des Überschreitens der Leistungszeit jedoch deutlich von dem, 51
ERNST, in BASEDOW, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 135. 52 Zusammenfassend FLESSNER, ZEuP 1997, S. 255 ff. (281). 53 Vgl. im Einzelnen unter Teil 2, Kap. 7, § 2 II. 54 KELLER, http://cisgw3.law.pace.edu/cisg/principles/uni37.html. 55 Art. 95 Abs. 1 CESL.
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was den säumigen Schuldner nach kontinentaleuropäischem Recht erwartet. An das Überschreiten des Fälligkeitstermins als solchen knüpfen die nationalen Rechte jedenfalls bei nicht auf Geld gerichteten Ansprüchen56 häufig noch keine unmittelbaren Rechtsfolgen. Dies zeigt recht plastisch das Beispiel des BGB: Zwar liegt in einer nicht rechtzeitigen Leistung, d.h. im bloßen Verstreichen der Leistungszeit noch keine Nichterfüllung, wohl aber eine Pflichtverletzung i.S.d. § 280 BGB.57 Dem Gläubiger, dessen Schuldner wegen einer Leistungszeitüberschreitung eine Pflichtverletzung begeht, wäre an sich sofort wegen der die Pflichtverletzung begründenden Verzögerung ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB zu gewähren. Verzögerungsschadensersatz kann der Gläubiger jedoch erst und „nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286“ verlangen. Die Verzögerung, obgleich Pflichtverletzung, soll nach § 280 Abs. 2 BGB allein nicht ausreichen, um Rechtsfolgen herbeizuführen. Es bedarf vielmehr der weiteren Voraussetzungen des § 286 BGB und bei fehlender Leistungszeitbestimmung insbesondere der Mahnung.58 Regelungstechnisch erklärt das Gesetz damit eine verzögerungsbedingte Pflichtverletzung nur unter zusätzlichen Voraussetzungen für bedeutsam und damit in Ausnahme zu § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB „vorerst für irrelevant“.59 Die Transformation der Leistungsverzögerung in eine folgenschwere Pflichtverletzung scheint daher im BGB auch nur unter gewissen logischen Brüchen möglich. In den Principles hingegen ist die Verzögerung Nichterfüllung. Eine Sonderbehandlung dieses Typus der Vertragsstörung ist den Rechtsfolgen der Nichterfüllung vorbehalten. Wo es der deutschen Lösung an klarer Systematik fehlt, mangelt es den Principles jedoch an Rechtssicherheit. Die Leistungszeit entscheidet nicht nur darüber, ab wann der Gläubiger die Leistung des Schuldners fordern kann, sondern zugleich über den Zeitpunkt, bis zu welchem der Schuldner ohne drohende Rechtsfolgen zu leisten hat. Nach kontinentaler Rechtstradition hingegen muss dem Schuldner grundsätzlich durch eine Mahnung bewusst gemacht werden, dass er seiner vertraglichen Verpflichtung nachzukommen hat. Erst ihr Zugang gibt dem Gläubiger ein rechtliches Instrumentarium an die Hand, um gegen die Säumnis des Schuldners vorzugehen. Dieser Moment ist klar bestimmbar.60 Welche Tragweite die Mahnung hat, hängt dann von der Dimension des Rechtsbehelfsspektrums ab, das sie im jeweiligen nationalen
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Vgl. nur § 270 und § 286 BGB, Art. 75 und 102 Abs. 1 OR. Vgl. auch PALANDT, § 280 Rn. 12. 58 § 286 Abs 1 BGB. Vgl. auch ANDERS, ZIP 2001, S. 187 und unten Teil 3, Kap. 9. 59 Vgl. hierzu die Ausführungen in Teil 3, Kap. 9 § 1 zur - trotz der im Ergebnis nachvollziehbaren Wertung - verunglückten Systematik der Vorschrift. 60 Vgl. auch BUCHER, in DUFOUR et al., Mélanges Schmidlin, S. 413. 57
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Recht eröffnet.61 In diesem Licht scheint der Begriff der angemessenen Leistungszeit in Art. 7:102 Abs. 3 PECL und Art. III.-2:102 Abs. 1 DCFR in seiner jetzigen Form zweifelhaft. Man kann den Principles zugutehalten, dass auch andere Regelwerke des internationalen Rechts, wie etwa Art. 19 2. Alt. CMR beim Gütertransport, den Begriff der reasonable time verwenden, falls die Parteien keine Leistungszeitvereinbarung getroffen haben. Sie stützen sich zur Auslegung des Begriffs auf eine ex-ante-Prognose aus der Sicht eines ordentlichen Schuldners.62 Anders als die Principles gleichen sie aber den Umstand, dass Überschreitungen der Leistungsfrist zu erheblichen Schäden führen können, durch eine Beschränkung des Haftungsrisikos wieder aus: Nach Art. 23 Abs. 5 CMR ist die Haftung für einen nachweislich wegen Überschreitung der Lieferfrist entstandenen Schaden auf die Höhe der Fracht begrenzt.63 So weit gehen weder PECL noch DCFR.64 Für den Gläubiger bringt das Konzept der PECL und des DCFR durch den Wegfall des „formellen“ Aktes der Mahnung eine praktische Erleichterung. Letztlich trifft zudem er die Entscheidung über die Angemessenheit und die mögliche Wahrnehmung teils einseitiger Rechtsbehelfe. Er könnte die angemessene Leistungszeit für verstrichen halten und Schadensersatz fordern, obwohl der Schuldner sich nicht bewusst war, dass sein Vertragspartner die Leistungszeit als verstrichen ansah. Für den Schuldner bedeutet die Regelung der PECL daher den Wegfall eines wichtigen Schutzelementes. Nationale Rechte würden ihm nicht nur zu einer Warnung und Erinnerung an seine Leistungspflicht durch Mahnung 61
Vgl. hierzu im Einzelnen Teil 2, Kap. 7, § 2 III. Unterschiede zeigen sich etwa im Vergleich der mise en demeure des französischen Rechts mit der Mahnung des deutschen Rechts, welche zunächst nur den Zugriff auf einen beschränkten Rechtsfolgenkatalog eröffnet, der zentral darauf ausgerichtet ist, neben den Erfüllungsanspruch zu treten, also darauf gründet, dass die Leistung noch nachträglich erfolgen wird. Die Mahnung fixiert nicht den Moment, ab welchem Nichterfüllungsfolgen eintreten. In Deutschland ist die Mahnung nur Voraussetzung für die Verzugsfolgen des Verzögerungsschadensersatzes, des Zinsanspruchs und der verschuldensunabhängigen Haftung nach § 287 BGB. Für Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280, 281 BGB oder den Rücktritt vom Vertrag ist eine Mahnung an sich nicht erforderlich, sondern nur eine Nachfristsetzung. Nach der a.F. brauchte es hierzu nach dem Gesetzeswortlaut sowohl eine Mahnung als auch eine Fristsetzung. Letztere umfasst jedoch regelmäßig auch erstere. 62 Dabei sollen die Sorgfalt der Branche, die Art des vertraglich vereinbarten Fahrzeugs und in einem vernünftigen durch Erfahrung oder konkrete Einzelfallvorgaben bestimmten Rahmen auch Transporthemmnisse einkalkulierbar sein. HERBER/PIPER, Internationales Straßentransportrecht, Art. 19 CMR, Rn. 14, KOLLER, Transportrecht, Art. 19 CMR, Rn. 5. 63 Allerdings gilt hier eine Ausnahme gem. Art. 29 CMR, der die Schadensbegrenzung bei Vorsatz und nach der lex fori dem Vorsatz gleichgestelltem Verschulden ausschließt. 64 Zur Begrenzung auf den vorhersehbaren Schaden vgl. allerdings Art. 9:503 PECL und Art. 7.4.4 UPICC.
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verhelfen, sondern auch zur klaren Fixierung eines Haftungsbeginns.65 Der PECL-Gläubiger kann hingegen gleich zur Tat schreiten und den Schuldner mit Schadensersatzansprüchen wegen Verzögerung „überfahren“. Dieses Problem tritt z.B. auf, wenn der Gläubiger mit einer Leistung binnen einer Woche rechnet, der Schuldner jedoch 14 Tage als angemessene Leistungszeit kalkuliert und dem Gläubiger nach 10 Tagen ein verzögerungsbedingter Schaden erwächst. Die Grenze des Angemessenen ist sehr dünn. Hier stehen weder Schuldnerschutz noch Aspekte der Rechtssicherheit im Zentrum. Auch wenn diese Fälle wegen der praktischen Relevanz der Leistungszeitbestimmung praktisch selten sein werden, ist diese Lösung für den Schuldner ein entscheidender Unsicherheitsfaktor. Er wird einem Schweigen des Gläubigers nämlich eher entnehmen, seine Leistung werde noch nicht erwartet. Der Mangel an Rechtssicherheit, den die Lösung von PECL und DCFR hinsichtlich des genauen Beginns von Verzögerungsfolgen schafft, ist wenig befriedigend, zumal die praktisch wichtigste Verzögerungsfolge, der Schadensersatz, nicht an weitere Voraussetzungen wie ein Verschulden des Schuldners gebunden, sondern als strenge Haftung konzipiert ist.66 Zudem ist fraglich, ob nicht der Grundsatz von Treu und Glauben und die Pflicht zur vertraglichen Zusammenarbeit in den Art. 1:201 und 1:202 PECL sowie in Art. III.-1:103 f. DCFR eine Mahnung des Schuldners gebieten. Auch in der nationalen wie internationalen Vertragspraxis scheint die Mahnung fest verankert zu sein.67 Das CESL schafft zwar bei B2C Verträgen insoweit mehr Rechtssicherheit, als es eine 30-Tages-Maximalfrist für die Leistung des Unternehmers vorsieht und diesem damit klar sein muss, dass nach Fristablauf mit Rechtsfolgen zu rechnen ist. Allerdings überzeugt diese Lösung aus anderen Gründen nicht: Nichts hindert den Unternehmer daran, diese Frist voll auszuschöpfen, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, wodurch der Verbraucher gegebenenfalls benachteiligt werden kann. Eine flexible Frist, die an ein Mahnungserfordernis gekoppelt ist, würde demgegenüber ebenfalls Rechtssicherheit schaffen, aber einen angemesseren Interessenausgleich im Einzelfall ermöglichen.
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Vgl. unten unter Teil 2, Kap. 7, § 2 III. Vgl. Art. 8:108 PECL, Art. III.-3:104 Abs. 1, 3, 5 DCFR und die nachfolgenden Ausführungen zum Haftungsmaßstab. 67 Siehe GUTTERIDGE, BYIL XIV (1933), 75, 87; ZWEIGERT/KÖTZ, Einführung in die Rechtsvergleichung, § 36 IV, S. 506. Zudem wird bei vertraglicher Vereinbarung eines Vertragsaufhebungsrechts zwischen den Parteien in der Regel zugleich eine mehr oder weniger kurze Nachfrist vorgesehen, die auch die Modalitäten der Vertragsaufhebung planund kalkulierbar macht, dazu VAN DER MERSCH/ PHILIPPE, in FONTAINE/VINEY, S. 701 (762). 66
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3. Rechtzeitigkeit der Leistung Ein weiteres Problem von PECL und DCFR besteht darin, dass nicht ausdrücklich gesagt wird, welchen Beitrag der Schuldner erbringen muss, um die Leistungszeit einzuhalten. Die Regelwerke präzisieren weder den Begriff late oder delayed performance68 noch den Begriff der performance.69 Eine ausdrückliche Begriffsdefinition, wann eine Verzögerung der Leistung vorliegt, enthalten hingegen andere einheitsrechtliche Instrumente wie etwa die Vorschriften des internationalen Transportrechts, z.B. Art. 5 Abs. 2 der Hamburg Rules, Art. 5.2 der ICC Rules on Multimodal Transport und Art. 21 der UN Convention on Contracts for the International Carriage of Goods Wholly or Partly by Sea (2009).70 Genauer definiert Art. 19 CMR für den Gütertransport den dort verwendeten Begriff der „Überschreitung der Lieferfrist“, indem er darauf abstellt, dass das Gut „nicht innerhalb der vereinbarten Frist“ oder der vernünftigerweise einem sorgfältigen Frachtführer zuzubilligenden Frist „abgeliefert worden ist.“ Entscheidend für die Frage der Rechtzeitigkeit ist hier das Verständnis der Ablieferung, die wiederum selbst undefiniert bleibt. Im Umkehrschluss aus Art. 16 Abs. 2 CMR wird man unter Ablieferung den 68
Art. 1:301 Abs. 4 PECL, Art. III.-1:101 Abs. 3 DCFR, Art. 7.1.1 UPICC. Der DCFR „definiert“ lediglich in Annex 1, S. 338 wenig hilfreich den Begriff der „performance in relation to an obligation” als „the doing by by the debtor of what is to be done under the obligation ort he not doing by the debtor of what is not to be done“. 70 Art. 5 Abs. 2 der UN Convention on the Carriage of Goods by Sea (Hamburg Rules, 1978): „Delay in delivery occurs when the goods have not been delivered at the port of discharge provided for in the contract of carriage by sea within the time expressly agreed upon or, in the absence of such agreement, within the time which it would be reasonable to require of a diligent carrier, having regard to the circumstances of the case.“ Fast wortgleich ist Art. 5.2 der ICC Rules on Multimodal Transport (International Transport Treaties Suppl. 16, August 1992). Art. 21 der Draft UN Convention on Contracts for the International Carriage of Goods Wholly or Partly by Sea, Dok. A/CN.9/WG.III/WP.81, 13.2.2007, definierte den Begriff Verzögerung unter Bezugnahme auf den Vertragsinhalt, die Bräuche, Praktiken und Usancen des Handels und die Umstände des Transports. So lautet Art. 21 der Draft Convention: „Delay in delivery occurs when the goods are not delivered at the place of destination provided for in the contract of carriage within the time expressly agreed upon or, in the absence of such agreement, within the time it would be reasonable to expect of a diligent carrier, having regard to the terms of the contract, the customs, practices and usages of the trade, and the circumstances of the journey.“ Der Entwurf wurde am 24. Januar 2008 angenommen und wurde im Anschluss den Regierungen zur Stellungnahme vorgelegt. Die im Dezember 2008 verabschiedete Endfassung der UN Convention on Contracts for the International Carriage of Goods Wholly or Partly by Sea (Rotterdam Rules, 2009) reduziert den Wortlaut von Art. 21 jedoch auf folgende Vorschrift: „Delay in delivery occurs when the goods are not delivered at the place of destination provided for in the contract of carriage within the time agreed.” S. auch die Referate zum Symposium UNCITRAL’s Attempt towards Global Unification of Transport Law – The CMI Draft Convention on the Carriage of Goods by Sea and its Impact on Multimodal Transport, TransportR 2004, S. 273 ff. 69
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Moment zu verstehen haben, in welchem der Frachtführer den Gewahrsam am beförderten Gut aufgibt und den Empfänger mit dessen Willen und Einverständnis in Stand setzt, die tatsächliche Gewalt über das Gut auszuüben.71 Der Begriff unterscheidet sich von der „Lieferung“ nach Art. 31 lit. a CISG: Die Leistungspflicht des Verkäufers umfasst auch nach Art. 30 CISG die Lieferung der Ware. Entscheidend für die Verzögerung der Leistung ist das Erfüllen dieser Lieferpflicht, die über die Art. 31 lit. a - c CISG konkretisiert wird. Häufig wird ein Beförderungskauf nach Art. 31 lit. a CISG vorliegen. Hier genügt es, dass der Verkäufer seine Ware an den ersten Beförderer übergibt.72 Ansonsten hat er seine Lieferpflicht erfüllt, wenn er die Ware am Ort seiner Niederlassung zur Verfügung stellt (lit. c), vgl. auch die IncotermKlausel exw.73 Etwas anderes gilt nur, wenn die Ware nach Satz 1 „an einen anderen Ort zu liefern“ ist. So reicht etwa in Abweichung zu Art. 31 lit. a CISG eine Lieferpflicht im Fall von cif, fob, oder frei Haus-Verträgen weiter. Auch Art. 94 CESL konkretisiert die Erfüllung der Lieferpflicht ähnlich wie Art. 31 CISG. Anders als im Anwendungsbereich von CISG, CESL und CMR, die auf einen Vertragstyp mit klar umrissenen Leistungspflichten beschränkt sind, ist der Begriff der verspäteten Erfüllung in PECL und DCFR allein über den Inhalt der jeweiligen Leistungspflicht konkretisierbar. Der genauen Festlegung des Inhalts der jeweiligen vertraglichen Verpflichtung kommt daher eine umso tragendere Bedeutung zu. Eine Hilfestellung bietet hier Art. 5.1.4 UPICC, der zwischen erfolgs- und verhaltensbezogenen Leistungspflichten unterscheidet und das Pflichtenprogramm in abstrakter Weise näher umschreibt.74 In den PECL findet er jedoch keine Entsprechung, ebensowenig im 71
So KOLLER, Transportrecht, Art. 17 CMR, Rn. 6; HILL/MESSENT, CMR, Contracts for the international carriage of goods by road, S. 106. Siehe als weiteres Beispiel auch Art. 2.8. der ICC Rules for Multimodal Transport Documents: „2.8.: Delivery means (a) the handing over of the goods to the consignee, or (b) the placing of the goods at the disposal of the consignee in accordance with the multimodal transport contract or with the law or usage of the particular trade applicable at the pace of delivery, or (c) the handing over of the goods to an authority or third party top whom, pursuant to the law or regulations applicable at the place of delivery, the goods must be handed over.” 72 Art. 31 CISG: „ […] his obligation to deliver consists: (a) if the contract of sale involves carriage of the goods - in handing the goods over to the first carrier for transmission to the buyer.“ 73 Im Fall einer ex works-Klausel reicht es wie in Art. 31 lit. c CISG aus, wenn der Verkäufer die Ware in seiner Niederlassung zur Verfügung stellt. Allerdings ist diese Klausel unterschiedlichen nationalen Interpretationen zugänglich, vgl. Bianca/Bonell/LANDO, The Vienna Sales Convention, Art. 31, unter 2.2; SCHROETER, 5 VJ (2001), S. 74 ff. (82). 74 Siehe die Definitionen in Art. 5.1.4 Abs. 1 UPICC: Duty to achieve a specific result; Abs. 2: Duty of best efforts.
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DCFR.75 Eine Art. 5.1.4 UPICC entsprechende Regel in PECL und DCFR aufzunehmen, wäre durchaus sinnvoll.76 Das gleiche Definitionsproblem stellt sich im Übrigen auch im Rahmen der Verzögerung der Zahlung. Hier wird lediglich darauf abgestellt, dass der Geldschuldner einen Geldbetrag bei Fälligkeit nicht zahlt. Darauf, ob es bei der Rechtzeitigkeit der Zahlung auf den Zeitpunkt der Gutschrift des Betrages auf dem Gläubigerkonto oder auf den Zeitpunkt des von dem Schuldner bei ausreichender Kontodeckung oder entsprechendem Kreditrahmen erteilten und von der Bank angenommenen Überweisungsauftrags ankommt, wird nicht präzise eingegangen. Hier helfen allenfalls Art. 7:101 Abs. 1 lit. a PECL, Art. III.-2:101 Abs. 1 lit. a DCFR und Art. 125 Abs. 1 CESL, wonach Geldschulden vorbehaltlich anderweitiger Parteiabsprachen Bringschulden sind.77 Kann die Zahlungspflicht nur am Niederlassungsort des Geldgläubigers erfüllt werden, wird der Schuldner etwa bei Überweisungen daher auch das Verzögerungsrisiko zu tragen haben.78 Eine Hilfestellung für die Rechtzeitigkeit der Zahlung bei Überweisungen gibt die Entscheidung des EuGH in 01051 Telekom, die auf die Gutschrift auf dem Empfängerkonto abstellt.79 4. Leistungsverzögerung und Unmöglichkeit Im deutschen Recht führte die Abgrenzung von Unmöglichkeit und Verzug seit jeher zu Abgrenzungsproblemen, die aufgrund der unterschiedlichen Regelungen auf der Rechtsfolgenseite in den §§ 281, 283 und 286 BGB nach wie vor von größerem Interesse ist. Die Abgrenzung zwischen einer verspäteten und einer unmöglichen Leistung verliert bei konsequenter Konzeption eines einheitlichen Nichterfüllungstatbestands wie in Art. 1:301 (4) PECL, Art. III.-1:101 Abs. 3 DCFR und Art. 87 CESL weit mehr an Bedeutung. Die Leistungsunmöglichkeit führt in PECL und DCFR nach dem den europäischen Rechtsordnungen gemeinen Grundsatz impossibilium nulla est obligatio zum Entfallen des Erfüllungsanspruchs.80 Gleiches gilt auch für die unangemessene Anstrengungen oder Kosten verursachende Erfüllung, das Pendant zur wirtschaftlichen Unmög-
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Dies erweist sich auch im Hinblick auf den Haftungsmaßstab als Manko, vgl. unten § 2 II. 76 Siehe auch Art. 148 CESL, der eine entsprechende Regelung für mit Kaufverträgen verbundene Dienstleistungsverträge enthält. 77 Vgl. auch Art. 6.1.6 Abs. 1 lit. a UPICC und Art. 57 Abs. 1 CISG. 78 Vgl. zur CISG Staudinger/MAGNUS, Art. 57, Rn. 19. 79 EuGH, Rs. C-306/06, 3.4.2008 01051 Telekom, Slg. 2008, I-1923. 80 Vgl. Art. 4:102 PECL, Art. 9:102 Abs. 2 lit. a PECL, Art. III.-3:302 Abs. 3 lit. a DCFR; SCHLECHTRIEM, IHR 2001, S.12 (16).
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lichkeit.81 Die Unmöglichkeit spielt allerdings auch im Rahmen der Haftungsentlastung des Art. 8:108 PECL und der Art. III.-3:104 Abs. 1, 3, 5 DCFR, Art. 110 Abs. 3 lit. 1 CESL eine Rolle, wonach unüberwindbare Hindernisse, sofern vorhersehbar, entlastend wirken können.82 Es wird sich hierbei meist um Fälle handeln, die man als objektive Unmöglichkeitsfälle kategorisieren würde. Allerdings ist ihr Vorliegen für eine Entlastung nicht zwangsläufig erforderlich und eine strikte Kategorisierung gerade nicht gewollt. II. Objektive Haftung 1. Grundsatz strenger Haftung Neben der Leistungszeitregelung ist auch der Haftungsmaßstab von PECL und DCFR für den Gläubiger günstig. Die dem Gläubiger bei Leistungsverzögerungen zur Verfügung stehende Palette allgemeiner Rechtsbehelfe83 wird zwar im Grundsatz nicht nach Leistungsstörungskategorien systematisiert, aber nach bestimmten Kriterien gewichtet, zu welchen die Trennung in Fälle entschuldigter und nicht entschuldigter Nichterfüllung gehört.84 So sieht sich ein säumiger Schuldner bei Vorliegen eines Entschuldigungsgrundes85 gegebenenfalls weder einem Anspruch auf Schadensersatz noch einem Erfüllungsanspruch ausgesetzt, da in force majeure Fällen meist zugleich Unmöglichkeit/Unzumutbarkeit vorliegen, muss aber je nach den Umständen des Falles mit der Zurückbehaltung der Gläubigerleistung, einem Minderungsrecht oder der Vertragsaufhebung durch den Gläubiger rechnen.86 Ähnlich ist dies in Art. 106 Abs. 4 CESL. Aus deutscher Sicht ist hier zunächst das strenge Haftungssystem verwunderlich, dem PECL und DCFR wie die internationalen Vertragsrechtsmodelle folgen.87 Im BGB verpflichtet an sich nach wie vor nicht der Schaden zum Schadensersatz, sondern die Schuld.88 Das Verschulden hat zugleich anspruchsbegründende wie anspruchsbegrenzende Funktion, denn nur ein fahrlässiges oder vorsätzliches Handeln i.S.d. § 276 BGB gibt dem Geschädigten einen Anspruch. Nach den Principles, dem DCFR und CESL (Art. 88 Abs. 1) führt wie bei einer Vertragsverletzung unter der CISG89 hingegen jede 81
Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL, Art. III.-3:302 Abs. 3 lit. b DCFR. Hiervon schwierig abgrenzbar ist jedoch Art. 6:111 PECL, vgl. genauer unter § 3 I 2a. 82 Hierzu bereits oben unter 1. 83 Auch die Minderung ist in den PECL als allgemeiner Nichterfüllungsrechtsbehelf konzipiert, nicht nur als reiner Gewährleistungsrechtsbehelf wie in §§ 437 Nr. 2, 441 BGB. 84 Art. 8:101 Abs. 1 und 2 PECL, Art. III.-3:101 DCFR. 85 Art. 8:101 Abs. 2, 8:108 PECL; Art. III.-3:101 Abs. 2, III.-3:104 Abs. 1, 3, 5 DCFR. 86 Art. 8:101 PECL, Art. III.-3:101 DCFR. 87 Vgl. auch SCHLECHTRIEM, JbJZivRWiss 2001, S. 9; LANDO, RabelsZ 2003, S. 231. 88 VON JHERING, Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, S. 40. 89 Vgl. Art. 79 CISG.
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Nichterfüllung zunächst grundsätzlich zu einer Einstandspflicht des Schuldners, auch wenn diesem kein persönliches Verschulden zur Last gelegt werden kann.90 Diese von der Garantiehaftung des common law inspirierte Lösung91 kommt dem Gläubiger einer verzögerten oder anderweitig gestörten Leistung prinzipiell entgegen, denn im Grundsatz kann er mit Vertragsschluss darauf spekulieren, dass er entweder die Leistung oder zumindest ein Äquivalent derselben erhält und einem geringeren Risiko ausgesetzt ist, etwaige aus der Vertragsbeziehung entstehende Schäden selbst tragen zu müssen. Dies macht den Geschäftsverkehr für ihn kalkulierbarer. Den aus dem deutschen Recht bekannten Grundsatz „kein Verzug ohne Verschulden“ und den Entlastungsbeweis von Verzugs- und Nichterfüllungshaftung bei fehlendem Verschulden des Schuldners92 kennen PECL und DCFR nicht. 2. Entschuldigungsgrund Um Unbilligkeiten zu vermeiden, wird der Grundsatz der strengen Haftung jedoch durch Art. 8:108 PECL und Art. III.-3:104 DCFR relativiert, die eine Entlastung des Schuldners gestatten, wenn ein Entschuldigungsgrund vorliegt.93 Eine ähnliche Lösung sieht auch Art. 106 Abs. 4 CESL vor. In diesem Fall reduziert sich die Einstandspflicht des Schuldners auf die in Art. 8:101 Abs. 2 PECL, Art. III.-3:101 Abs. 2 DCFR und Art. 106 Abs. 4 CESL erwähnten Rechtsbehelfe. Hierbei ergeben sich Abgrenzungsfragen zum Erfüllungsanspruch und den für ihn vorgesehenen speziellen Ausschlussgründen.94 Die Principles und der DCFR arbeiten hier letztlich mit verschiedenen, sich teils überschneidenden Befreiungstatbeständen. Für den Fall der Verzögerung der Leistung ist relevant, dass ein Hinderungsgrund auch nur vorübergehend bestehen kann. Er suspendiert dann die 90
Art. 9:501 PECL, Art. III.-3:701 DCFR, Art. 7.4.1 UPICC. TREITEL, Remedies for breach of contract, Rn. 8 ff. 92 §§ 286 IV, 276 BGB: Der Schuldner haftet für Leistungsstörungen grundsätzlich nur, wenn sein Verursachungs- oder Mitverursachungsbeitrag der Leistungsstörung auf einem ihm vorwerfbaren Verhalten, d.h. auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit beruht. Eine gewichtige Einschränkung des Verschuldensprinzip im deutschen Recht liegt jedoch darin, dass das Verschulden in § 286 IV wie § 280 I 2 BGB zunächst vermutet wird, die Beweislast fehlenden fahrlässigen oder vorsätzlichen Verhaltens also beim Schuldner liegt und er im Fall des non liquet haftet. Zudem gelten seit dem BGB n.F. weitere Einschränkungen bei Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, vgl. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB, und auch ein strengerer Haftungsmaßstab in § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB. 93 Siehe auch 7.1.7 UPICC und Art. 79 CISG. 94 Vgl. Art. 9: 102 Abs. 2 PECL. Sowohl die Regelungen in Art. 8:108 als auch in Art. 6:111 stehen im Zusammenhang mit Art. 9:102 Abs. 2 lit. a und b PECL. In der CISG ist dies anders, da Art. 79 CISG keine Wirkung auf den Erfüllungsanspruch hat und wegen der verhaltenen Lösung in Art. 28 CISG Regelungen zur Beschränkung des Erfüllungsanspruchs nicht getroffen wurden. 91
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Ansprüche des Gläubigers auf Erfüllung und Schadensersatz nur für einen begrenzten Zeitraum, siehe auch Art. 88 Abs. 2 CESL. Während dieser Phase bleibt dem Gläubiger allein ein Minderungsrecht erhalten, das, falls die Verzögerung bereits als wesentliche Nichterfüllung qualifiziert werden kann, durch das Recht ergänzt wird, den Vertrag aufzuheben.95 Im Fall eines Hinderungsgrundes unterliegt der Schuldner einer Mitteilungspflicht.96 Je nach den Umständen des Einzelfalles hat die Mitteilung unverzüglich zu erfolgen.97 Diese Regelung entspringt dem Gutglaubensgedanken und der Pflicht der Parteien zur Zusammenarbeit. Auch die Verletzung der Mitteilungspflicht führt zu einem Schadensersatzanspruch.98 Eine Leistungsverzögerung ist gem. Art. 8:108 Abs. 1 PECL, Art. III.3:104 Abs. 1 DCFR und Art. 7.1.7 Abs. 1 UPICC entschuldigt, wenn sie auf einem außerhalb des Einflussbereichs99 des Schuldners liegenden Hinderungsgrund beruht und von ihm vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsschluss in Betracht zu ziehen oder er ihn weder (vor seinem Eintreten) vermeiden noch (nach seinem Eintreten) überwinden oder seine Folgen vernünftigerweise nicht vorhersehen beziehungsweise überwinden konnte.100 Art. 88 Abs. 1 CESL ist ähnlich formuliert, verzichtet aber auf das Element „vernünftigerweise“. Naturgemäß wird man bei dieser Umschreibung auf den ersten Blick an die force majeure des französischen Vertragsrechts erinnert.101 Auch die Defini95
Art. 8:108 Abs. 2 PECL, Art. III.-3:104 Abs. 3 DCFR, Art. 7.1.7 Abs. 2 UPICC. Art. 8:108 Abs 3 PECL, Art. III.-3:104 Abs. 5 DCFR, Art. 7.1.7 Abs. 3 UPICC und Art. 79 Abs. 4 CISG. 97 LANDO/BEALE, S. 383. 98 Art. 8:108 Abs. 3 Satz 2 PECL, Art. III.-3:104 Abs. 5 DCFR, Art. 7.1.7 Abs. 3 Satz 2 UPICC und Art. 79 Abs. 4 Satz 2 CISG. 99 In der englischen Fassung heißt es “beyond his control”. Daher muss nach ACHILLES, Art. 79, Rn. 5; ENDERLEIN/MASKOW/STROHBACH, Art. 79, Anm. 5.2. der Begriff „außerhalb des Einflussbereichs“ im Sinne der „Unkontrollierbarkeit“ ausgelegt werden. Der Begriff der Unbeeinflussbarkeit hat eine abweichende Bedeutung. 100 Zu den Erläuterungen der Begriffe „impediment“, „outside the debtor’s control“, „could not have been taken into account“ und „insurmountable“, vgl. LANDO/BEALE, S. 379. Ähnlich, aber wesentlich weniger ausführlich hierzu auch Art. 17 Abs. 2 CMR, der unter anderem dann von der Haftung befreit, wenn die Überschreitung der Lieferfrist durch Umstände verursacht worden ist, „die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte.“ Der DCFR definiert den Entschuldigungsgrund in Art. III.-3:104 Abs. 1 etwas kürzer mit: „A debtor’s non-performance of an obligation is excused, if it is due to an impediment beyond the debtor’s control and if the debtor could not reasonably be expected to have avoided or overcome the impediment or its consequences.“ 101 Art. 1148 CC : „Il n'y a lieu à aucuns dommages et intérêts lorsque, par suite d'une force majeure ou d'un cas fortuit, le débiteur a été empêché de donner ou de faire ce à quoi il était obligé, ou a fait ce qui lui était interdit.“ Force majeure im Sinn des Art. 1148 CC wird gemeinhin als „évènement imprévisible, irresistible et extérieur“ verstanden, wobei die Elemente unterschiedlich gewichtet werden. So kommt dem caractère irrestisible nach der 96
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tion von PECL, DCFR und CESL basiert auf den Elementen der Unvermeidbarkeit und der Unvorhersehbarkeit von Leistungshindernissen. Sie ist jedoch mit letzterer nicht völlig gleichzusetzen.102 Was ein für den Schuldner unkontrollierbarer Hinderungsgrund ist, wird offengelassen. Auch werden keine abstrakten Merkmale vorgegeben, an denen sich messen lässt, wann vom Schuldner vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, dass er den Hinderungsgrund oder seine Folgen vermeidet oder überwindet. Die Norm geht in Anlehnung an Art. 79 CISG von einem Verantwortungsbereich des Schuldners aus. Störungen, die in diesen fallen, dürfen nicht dem Gläubiger aufgebürdet werden. Hierdurch werden eine Einzelfallbestimmung der persönlichen Risikosphäre und ihre Abgrenzung zu exogenen Ursachen erforderlich. Sicher unkontrollierbar für den Schuldner sind Naturkatastrophen, staatliche Eingriffe, Embargos und Handlungen Dritter außerhalb seiner Einflusssphäre. In die Risikosphäre des Schuldners fallen hingegen seine Insolvenz, Organisationsmängel, das Beschaffungsrisiko und das Personalrisiko.103 Die dem Schuldner zumutbaren Abhilfemaßnahmen sind einzelfallbezogen zu bestimmen. Dabei sind gegebenenfalls die Art. 6:111 PECL, III.-1:110 DCFR und Art. 89 CESL zu beachten, nach welchen eine Lösung über hardship in Betracht kommt.104
Rechtsprechung der Cour de Cassation (Cass. 1re, 6.11.2002, Bull. Civ. I, n° 258) die tragende Bedeutung zu, denn auch bei Fehlen der extériorité oder der imprévisibilité wurde bereits ein Fall der force majeure bejaht. Vgl. aus der Rechtsprechung Cass. civ. 1re, 10.2.1998, Bull. Civ. I, n° 53, D, 1998, S. 539 und Cass. Com. 1.10.1997, Bull. Civ. IV, n° 240, D. 1998, S. 199 und insb. Cass. civ. 1re, 6.11.2002, Bull. Civ. I, n° 258: „la seule irresistibilité de l’évenément caractérise la force majeure“. 102 Ähnlich die Argumentation zu Art. 79 CISG in AUDIT, Vente internationale, Anm. 180: „[…] une notion autonome d’empêchement laquelle doit être interprétée comme telle.“ Vgl. auch unten Teil 3 Kap. 8, § 2 III. 103 Vgl. auch Schlechtriem/Schwenzer/STOLL/GRUBER, Art. 79 Rn. 15 ff. Eine Art. 79 Abs. 2 CISG entsprechende Vorschrift zur Einstandspflicht bei Handeln von Erfüllungsgehilfen enthalten die Principles nicht. Allerdings greift hier Art. 1:305 PECL (Zurechnung von Kenntnis und Vorsatz). Die Erwähnung typischer Verschuldensmerkmale in Art. 1:305 PECL scheint jedoch wenig konsequent in einem an sich verschuldensunabhängigen System wie den PECL. Art. 79 II CISG ist die folgerichtigere Lösung. 104 Im Lichte der französische Rechtsordnung sind diese Lösungen problematisch, da dort die Theorie der imprévision gilt. Seit der Leitentscheidung Canal de Craponne 1876 wird eine Neuverhandlung des Vertrages nicht erlaubt. Zwar scheinen einige Entscheidungen der Cour de cassation eine Diskussion um die Öffnung der französischen Rechtsordnung gegenüber hardship angeregt zu haben (Cass. com. 3.11.1992, RTD. civ. 1993, 124 ff., Anm. MESTRE, Cass. com. 24.11.1998, Défrenois 1999, 371ff., Anm. MAZEAUD, siehe auch WITZ, in RÉMY-CORLAY/FENOUILLET, Les concepts contractuels français à l’heure des Principes du droit européen des contrats, S. 175 ff.), eine Änderung in der Rechtsprechung zeichnet sich jedoch bislang nicht ab. Der strengen Linie folgt Cass. civ. 3ème, 20.11.2002, Jurisclasseur périodique 2004, S. 31, Anm. GUIDERDONI; WITZ, ZEuP 2004, S. 503 (512).
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Die Unmöglichkeit wird in Art. 8:108 Abs. 1 PECL wie auch Art. 88 CESL bewusst nicht erwähnt, da sie für eine Entlastung von der Haftung keine notwendige Voraussetzung sein soll. Grund dafür ist, dass die PECL eine Kategorisierung von Vertragsstörungen gerade weitgehend vermeiden wollen und die Unmöglichkeitsproblematik nach kontinentaleuropäischer Tradition auch nicht innerhalb der Frage der Verantwortlichkeit des Schuldners relevant wird.105 Bei einer Haftung, bei welcher nur unüberwindbare Hindernisse entlasten, spielt die Unmöglichkeit im Rahmen der Haftungsbefreiungsgründe jedoch de facto eine Rolle. So wird es sich bei außerhalb des Einflussbereichs liegenden, nicht überwindbaren Leistungshindernissen häufig zugleich um Unmöglichkeitsfälle handeln. Dies zeigt auch der gem. Art. 8:101 Abs. 2 PECL und 9:102 Abs. 2 a PECL entfallende Erfüllungsanspruch. Alle Hindernisse, die innerhalb des Einflussbereichs des Schuldners liegen, wird dieser in der Regel auch so kontrollieren können, dass ihm die Leistung möglich bleibt. Im CESL wird dies weniger deutlich gemacht. Der DCFR hingegen macht die Verbindung zur Unmöglichkeit in Art. III.3:104 Abs. 4 selbst deutlich: „Where the excusing impediment is permanent, the obligation is extinguished. Any reciprocal obligation is also extinguished.“ Hinsichtlich der Vorhersehbarkeit des Hindernisses soll darauf abzustellen sein, ob ein normaler Mensch in derselben Situation das Ereignis ohne unangemessenen Optimismus oder Pessimismus vorhergesehen hätte.106 Der Vorhersehbarkeit wohnt ein Element inne, das auch bei der Fahrlässigkeitshaftung im nationalen Recht zum Tragen kommt. Fahrlässigkeit setzt etwa in der Definition des deutschen Rechts Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des vertragswidrigen Verhaltens des Schuldners voraus.107 Hierbei genügt die Vorhersehbarkeit in Bezug auf den Haftungstatbestand, sie muss sich nicht auf die weitere Schadensentwicklung erstrecken. Dies ist jedoch auch nach den PECL und dem DCFR ausreichend, da die Unvorhersehbarkeit der weiteren Schadensentwicklung nicht kumulativ, sondern alternativ zur Unvorhersehbarkeit des Hinderungsgrundes entlastend wirkt. Das in vielen kontinentalen Rechtsordnungen verkörperte Verschuldensprinzip scheint dem Konzept der PECL und des DCFR daher letztlich doch
105
Wobei z.B. auch das italienische Recht in Art. 1218 Codice Civile bei der Frage der Haftungsentlastung diesen Ansatz wählt. Dort heißt es: „Il debitore che non esegue esattamente la prestazione dovuta è tenuto al risarcimento del danno, se non prova che l’inadempimento o il ritardo è stato determinato da impossibilità della prestatzione derivante da causa a lui non imputabile.“ Hier entlastet die Leistungsunmöglichkeit, die dem Schuldner nicht zur Last gelegt werden kann. 106 LANDO/BEALE, Art. 8:108 unter B ii. Ähnlich bereits zur CISG, WITZ/SALGER/ LORENZ/SALGER, Art. 79 Rn. 5 und ENDERLEIN/MASKOW/STROHBACH, Art. 79 Anm. 5.3. 107 Hierzu BGHZ 39, 285; MüKo/GRUNDMANN, § 276, Rn. 53.
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nicht so diametral entgegengesetzt zu sein, wie es zunächst scheint.108 Die strenge Haftung mit Entlastungstatbeständen in Art. 8:108 Abs. 1 PECL, Art. III.-3:104 DCFR und Art. 88 CESL ist von der Haftung wegen Verschuldens gerade im Fall der praktisch häufigen Verschuldensvermutung nationaler Rechtsordnungen im Ergebnis nicht mehr weit entfernt.109 Eine strengere Handhabung der Entlastung bei Übernahme von Garantien oder Beschaf108
Im Übrigen ergeben sich hier auch einige Unterschiede zur United Nations Convention on Contracts for the International Carriage of Goods Wholly or Partly by Sea (Rotterdam Rules, 2009). Die Haftungsentlastung des Beförderers wurde insbesondere nach dem Modell der Hague Visby Rules verfasst. Prinzipiell haftet der Beförderer nach Art. 17 im in Art. 12 bezeichneten Haftungszeitraum für Verluste, Schäden an den transportierten Gütern und für die Verzögerung der Lieferung. Aus Art. 17 Abs. 2-4 ergeben sich jedoch verschiedene Möglichkeiten der Haftungsbefreiung und eine komplizierte Beweislastverteilung zwischen Beförderer und Geschädigtem. So soll der Beförderer nach Art. 17 Abs. 2 ganz oder teilweise von der Haftung befreit werden, wenn er beweist, dass die Ursache oder eine der Ursachen des Verlustes, Schadens oder der Verzögerung nicht auf sein Verschulden oder das Verschulden eines seiner Erfüllungsgehilfen (Art. 18) zurückzuführen ist („not attributable to its fault or to the fault of any person referred to in article 18“). Alternativ besteht die Möglichkeit der Haftungsbefreiung nach Art. 17 Abs. 3, wenn er zwar nicht fehlendes Verschulden nachweisen kann, ihm jedoch der Nachweis gelingt, dass der Verlust, Schaden oder die Verzögerung auf einem der in Art. 17 Abs 3 lit. a bis o aufgelisteten Umstände beruht oder einer dieser Umstände zum Verlust, Schaden oder zur Verzögerung beigetragen hat. Die Liste des Art. 17 Abs. 3 erinnert an Art. 4 Abs. 2 der Hague Visby Rules, unterscheidet sich jedoch teils in den Einzelheiten. (Haftungsbefreiend wirken z.B. „ (a) Act of God; (b) Perils, dangers, and accidents of the sea or other navigable waters; (c) War, hostilities, armed conflict, piracy, terrorism, riots, and civil commotions; (d) Quarantine restrictions; interference by or impediments created by governments, public authorities, rulers, or people including detention, arrest, or seizure not attributable to the carrier or any person referred to in article 18; (e) Strikes, lockouts, stoppages, or restraints of labour; […]“). Kann der Geschädigte allerdings nachweisen, dass ein Verschulden des Beförderers oder seiner Erfüllungsgehilfen (Art. 18) das Ereignis oder den Umstand, auf das oder den sich der Beförderer stützt, verursacht oder mitverursacht hat, oder ein nicht in Art. 17 Abs. 3 genanntes Ereignis den Verlust, Schaden oder die Verzögerung mitverursacht haben, und kann der Beförderer den Beweis fehlenden eigenen Verschuldens oder des Verschuldens seiner Erfüllungsgehilfen nicht erbringen, haftet er. Zudem kann der Geschädigte nach Art. 17 Abs. 5 – ungeachtet des Art. 17 Abs. 3 – auch dann eine Haftung des Beförderers erwirken, wenn er den Beweis erbringen kann, dass der Verlust, Schaden oder die Verzögerung wahrscheinlich durch Nachlässigkeiten (mit)verursacht wurde (hierunter fallen etwa (i) unseaworthiness of the ship; (ii) the improper crewing, equipping, and supplying of the ship […]). Dem Beförderer bleibt zur Haftungsentlastung jedoch der Nachweis möglich, dass keine der in Abs. 5 genannten Nachlässigkeiten den Schaden oder die Verzögerung verursacht haben bzw. dass er die erforderliche Sorgfalt (Art. 14) eingehalten hat. Art. 17 Abs. 6 präzisiert, dass der Beförderer nur in dem Maße haftet, in dem er nach Art. 17 tatsächlich verantwortlich ist. Zum Ausgleich dieser Haftungsnormen wird gem. Art. 22 und 60 der Schadensumfang des verzögerungsbedingten Schadensersatzanspruchs begrenzt. 109 LEIN, in CASHIN RITAINE/LEIN, The UNIDROIT Principles 2004, S. 181; SCHLECHTRIEM, ZEuP 1993, S. 217 (229).
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fungsrisiken ist auch bei prinzipieller Geltung des Verschuldensprinzips häufig.110 Die Grenzen der Fahrlässigkeit und der Entschuldigung aufgrund eines Hinderungsgrundes kommen aufgrund der Elemente der Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit in einer Vielzahl von Fällen zur Deckung.111 So findet man in den in Art. 8:108 PECL, Art. III.-3:104 DCFR und Art. 88 CESL beschriebenen Voraussetzungen für eine Enthaftung Elemente wieder, die auch nach den am Verschuldensprinzip orientierten nationalen Rechtsordnungen zu einer Haftungsbefreiung führen können. Bei Leistungsverzögerungen sind etwa das schweizerische oder deutsche Recht sogar strenger als die PECL und der DFCR, denn sie bürden dem säumigen Schuldner in Art. 103 Abs. 1 OR und § 287 BGB das Zufallsrisiko auf. Gerade im Verzögerungsfall ist die Lösung der Principles oder des DCFR also etwas schuldnerfreundlicher als das nationale Recht.112 Allerdings setzen die europäischen Regelwerke einschließlich des CESL für den Haftungsbeginn, wie erörtert, aber auch keinen Verzugseintritt voraus. Zudem wird auch der Nachweis fehlenden Verschuldens im nationalen Recht streng gehandhabt. Entscheidend für den Vergleich zwischen der Verschuldens- und der strikten Haftung mit Entlastungsmöglichkeit ist nicht allein das jeweilige Haftungsprinzip als solches, sondern vor allem die praktische Frage, wann fehlendes Verschulden tatsächlich entschuldigt. Für das Schweizer Recht führten Untersuchungen zu Art. 97 OR zu dem Schluss, dass fehlendes Verschulden selten vorgetragen wird113 und „praktisch fast nie“ entlastend wirkt.114 3. Obligations de moyens Aus Sicht des germanischen Rechtskreises überrascht das Haftungssystem der PECL und des DCFR vor allem durch seine vordergründige Strenge gegenüber dem Verschuldensprinzip. Aus Sicht des romanischen Rechtskreises erstaunt auch die offenbar undifferenzierte Geltung der strengen Haftung. Die PECL unterscheiden nicht wie etwa das französische Recht zwischen Erfolgsund Handlungspflichten (obligations de résultat und obligations de moyens) – eine Unterscheidung, die sich dort in zwei verschiedenen Haftungsregimes äußert. Bei den obligations de résultat wird die faute des Schuldners vermutet 110
Z.B. § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB. So auch DÜCHS, Die Behandlung von Leistungsstörungen im Europäischen Vertragsrecht, S. 68 unter Berufung auf BYDLINSKI, AcP 204 (2004), S. 309 ff. 112 Vgl. auch Teil 2, Kap. 7, § 3 I 1. 113 THÉVENOZ, Commentaire Romand, Art. 97 N. 58; WIEGAND, Basler Kommentar zum Obligationenrecht, Art. 97 N. 43 m.w.N. 114 Vgl. die Untersuchung von ROUILLER, Les règles non codifiées du droit des obligations et les Principes européens des contrats, S. 676, und BGE 113 II 246, c.7; 115 II 474 c. 2d; 119 II 456, c. 3b; 128 III 22, c. 2c; 124 III 155, c. 3b. 111
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und er entlastet sich nur ausnahmsweise durch force majeure oder cas fortuit.115 Bei den obligations de moyens hat der Gläubiger nachzuweisen, dass sich der Schuldner nicht wie ein bon père de famille um die Erfüllung seiner Handlungspflicht bemüht hat.116 Dass im romanischen Rechtskreis nach der Tragweite ihres Inhalts kategorisierte Pflichten die jeweilige Reichweite der Schuldnerhaftung definieren, reibt sich augenscheinlich mit dem einheitlichen Nichterfüllungs- und Haftungstatbestand der PECL und des DCFR, für den lediglich die „mangelnde Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung“ entscheidend sein soll.117 So verwundert es nicht, dass in den PECL und im DCFR die Unterscheidung zwischen obligations de résultat und obligations de moyens auch nicht ausdrücklich getroffen wird, weder im Rahmen der Vorschriften über den Vertragsinhalt, noch im Rahmen der vertraglichen Haftung. Man kommt offenbar ohne sie aus. Diese Unterscheidung ist auch der CISG unbekannt, allerdings ist deren sachlicher Anwendungsbereich auch auf Verträge beschränkt, bei denen es sich aufgrund ihrer Natur um obligations de résultat und damit auch nach romanischer Tradition um Fälle einer strengen Haftung handelt. Auch im CESL wird die Unterscheidung nach Pflichtentypen nur für mit Kaufverträgen verbundene Dienstleistungsverträge relevant, für die Art. 148 CESL eine entsprechende Konkretisierung enthält. Die UPICC haben sich in Art. 5.1.4 Abs. 2 UPICC ausdrücklich für die Erwähnung dieser beiden Pflichten“typen“ entschieden, dies allerdings systematisch nur bei der Definition der Vertragspflichten.118 Im Rahmen der Haftungsvorschriften kehrt diese Unterscheidung nicht wieder. Die UPICC zeigen jedoch zu Recht, dass die Unterscheidung ausschließlich bei der Bestimmung des Inhalts und Umfangs einer Vertragspflicht zu treffen ist und mithin allein bei der Frage relevant wird, wann eine Nichterfüllung vorliegt. Nach Art. 5.1.4 Abs. 1 UPICC ist eine Partei verpflichtet, einen bestimmten Erfolg zu erzielen, soweit ihre Verpflichtung es einschließt, genau diesen Erfolg herbeizuführen. Abs. 2 trennt hiervon die Verpflichtung einer Partei zum Einsatz aller Kräfte bei der Ausführung einer Tätigkeit. Im letzten Fall ist die Partei nur verpflichtet, solche Anstrengungen zu unternehmen, die von einer vernünftigen Person gleicher Art unter gleichen Umständen unternommen würden, also zu vollem Einsatz ihrer Kräfte nach einem objektivierten Maßstab. Inhalt und Reichweite der Pflicht in concreto sind von den Parteien 115
Siehe Art. 1147 und 1148 Code civil. Vgl. auch Art. 1137 Code civil. 117 Art. 1:301 Abs. 4 PECL, Art. III.-1:103 Abs. 1 DCFR. 118 Kapitel 5 Abschnitt 1 – „Inhalt der Verträge“, das den Inhalt der Erfolgs- und Handlungspflichten umschreibt. 116
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im Einzelfall zu definieren oder werden durch die Natur des Vertrags vorgegeben. Diese Frage ist jedoch unabhängig von den anwendbaren Haftungsvorschriften.119 Soweit es in Art. 1:301 Abs. 4 oder Art. 8:108 Abs. 1 PECL heißt, „wenn eine Partei eine ihr nach dem Vertrag obliegende Verpflichtung nicht erfüllt […]“, meint dies im Ergebnis nichts anderes, nur ergibt sich die Trennung zwischen Handlungs- und Erfolgspflichten in den PECL ohne die gesetzliche Präzisierung des Art. 5.1.4 UPICC aus dem Vertrag selbst. Gleiches gilt für die Frage, wann eine Nichterfüllung der jeweiligen Pflicht anzunehmen ist und wann nicht. Hat der Schuldner die im Rahmen seines konkreten Vertragsverhältnisses vordefinierte Pflicht nicht erfüllt, haftet er, und zwar streng. Der Unterschied liegt allein in der Frage, ob eine Nichterfüllung vorliegt. Es geht nicht zusätzlich auch um die Einstandspflicht. Die Unterscheidung muss also keineswegs zwingend mit einem dualen Haftungssystem einhergehen, für welches sich auch weder die UPICC noch die PECL oder der DCFR entschieden haben. Im Prinzip handelt es sich letztlich allein um ein Beweisproblem in Ansehung der Nichterfüllung. Der Gläubiger hat die Nichterfüllung der jeweiligen Pflicht nachzuweisen, der Schuldner einen Befreiungstatbestand. Zeigt sich der vertraglich vereinbarte Erfolg nicht, wurde also z.B. eine Ware nicht oder nicht vertragsgemäß geliefert, wird dem Gläubiger der Beweis der Nichterfüllung einfacher gelingen. Schwieriger ist es bei einer reinen Handlungspflicht. Hier besteht die vertragliche Pflicht in denjenigen Anstrengungen, die von einer vernünftigen Person gleicher Art unter gleichen Umständen unternommen würden. Hier bereitet der Nachweis Schwierigkeiten, dass diese Pflicht nicht erfüllt wurde, wobei hier Beweiserleichterungen geschaffen werden könnten. Die Unterscheidung dieser beiden Pflichtentypen ist also nicht per se an ein duales Haftungssystem geknüpft. Die PECL und der DCFR sollten den Pflichtendualismus des Art. 5.1.4 UPICC allerdings in den Regeln über den Inhalt der Vertragspflichten, und nur dort, aufnehmen. Die ausdrückliche Präzisierung hat jedoch lediglich eine Klarstellungsfunktion bei der Bestimmung der Vertragspflichten und der Frage der Nichterfüllung. Auf die Struktur des Haftungssystems hätte dies keine Auswirkungen. Der romanische 119
Art. 5.1.5 UPICC enthält zur Bestimmung der Art der übernommenen Pflicht weitere Präzisierungen: „Um festzustellen, in welchem Maße eine Verpflichtung einer Partei eine Pflicht zum Einsatz aller Kräfte bei der Ausführung einer Tätigkeit enthält oder eine Pflicht, einen bestimmten Erfolg zu erzielen, sollen neben anderen Umständen berücksichtigt werden (a) die Art, in der die Verpflichtung im Vertrag ausgedrückt ist; (b) der Vertragspreis und andere Bedingungen des Vertrages; (c) das Ausmaß des Risikos, das normalerweise mit der Erreichung des erwarteten Erfolges verbunden ist; (d) die Fähigkeit der anderen Partei, die Erfüllung der Verpflichtung zu beeinflussen.“
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Ansatz pflichtenabhängiger Haftungsnormen wird von den europäischen Vertragsrechtsmodellen damit ebenso verworfen wie die klassische Verschuldenshaftung. 4. Gläubigerfehlverhalten Nach PECL und DCFR entlastet den Schuldner auch ein Fehlverhalten des Gläubigers. Letzterem wird der Weg zu Rechtsbehelfen versperrt, „soweit“ er die Nichterfüllung des Schuldners selbst verursacht hat. Die Art. 8:101 Abs. 3 PECL, III.-3:101 Abs. 3 DCFR, 7.1.2 UPICC sollen wie Art. 80 CISG und Art. 106 Abs. 5 CESL120 ein Gegengewicht zur strengen Einstandspflicht des Schuldners schaffen und den Garantiecharakter seines Leistungsversprechens dort begrenzen, wo die Verantwortung für eine Leistungsstörung in der Sphäre des Gläubigers liegt.121 Hat der Gläubiger etwa eine rechtzeitige Leistung des Schuldners durch Annahmeverweigerung verhindert, kann er gegen den Schuldner keinen Rechtsbehelf geltend machen. Gleiches gilt, wenn der Gläubiger zur Leistungserbringung erforderliche Mitwirkungshandlungen unterlässt.122 Ob er dies zu vertreten hat oder sich entlasten kann, soll irrelevant sein.123 Dieses Risiko liegt in seinem Verantwortungsbereich. Die Formulierung der jeweiligen Norm, die in allen Regelwerken ähnlich lautet,124 ist jedoch problematisch. Sie scheint nur zu einer teilweisen Befreiung von der Einstandspflicht zu führen, wenn nur ein Fall der Mitverursachung und nicht der Alleinverursachung durch den Gläubiger vorliegt. Die Wirkung des Gläubigerfehlverhaltens scheint nicht zwingend in einen totalen Verlust des Rechtsbehelfs münden zu müssen. 125 Dies ist aber nicht bei jedem Rechtsbehelf stimmig, insbesondere nicht bei der Vertragsaufhebung.126 120
Bei Hinderungsgründen aus dem Einflussbereich des Gläubigers greift nach der CISG nicht Art. 79, sondern Art. 80. Die Norm ist insoweit lex specialis. Unter Berufung auf Art. 74 ULIS ursprünglich noch a.A.: von Caemmerer/Schlechtriem/STOLL, Kommentar zum einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 79, Rn. 25. 121 Zu Art. 80 CISG beruft man sich auf eine spezielle Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben in Art. 7 Abs. 1 CISG, ENDERLEIN/MASKOW/STROHBACH, Art. 80 Anm 1. 122 LANDO/BEALE, Art. 8:101, B iii. 123 So auch die überwiegende Ansicht zu Art. 80 CISG, da dieser keine Gläubigerhaftung regele, sondern die Einstandspflicht des Schuldners begrenze, Staudinger/MAGNUS, Art. 80 Rn. 7; Schlechtriem/Schwenzer/STOLL/GRUBER, Art. 80, Rn. 3. Zum Teil wird die Anwendung des Art. 79 CISG auf den Gläubiger gefordert, so insbesondere Soergel/ Lüderitz/DETTMEIER, CISG, Art. 80, Rn. 3. 124 Vgl. neben Art. 8:101 Abs. 3 PECL, Art. III.-3:101 Abs. 3 DCFR auch Art. 80 CISG und Art. 7.1.2 UPICC. 125 LANDO/BEALE, Art. 8:101, B iii, Beispiel 5: „Die Wirkung kann in einem totalen oder lediglich in einem teilweisen Verlust der Rechtsbehelfe bestehen.“ 126 Die Vertragsaufhebung wird man wohl nur dann nicht zulassen können, wenn der Gläubiger die Nichterfüllung allein verursacht hat. Vgl. hierzu insbesondere unten § 3 IV 2 d und DÜCHS, Die Behandlung von Leistungsstörungen im Europäischen Vertragsrecht, S. 256.
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Die Regelung passt an sich nur auf den Schadensersatz. Im Zusammenhang mit diesem greifen aber bereits Art. 9:504 PECL sowie Art. III.-3:704 DCFR und Art. 162 CESL, die das Mitverschulden des Gläubigers in ähnlicher Weise regeln. Für den Fall der Vertragsaufhebung bedarf es hier einer korrigierenden Abwägung:127 Man wird die Norm im jeweiligen Regelwerk so auslegen müssen, dass eine Nichterfüllung durch den Schuldner den Charakter der Wesentlichkeit verlieren und nicht mehr zum Rücktritt berechtigen kann, wenn der Verursachungsbeitrag des Gläubigers entsprechend groß war. Der Streit um die Beurteilung von Fällen mit beidseitigen Verursachungsbeiträgen ist bereits im Zusammenhang mit Art. 80 CISG bekannt.128 Überwiegend wird dort davon ausgegangen, dass die Norm auch bei beiderseitiger Verursachung greift, da bei Alleinverursachung schon Art. 79 CISG zum Ausschluss der Schuldnerhaftung führt.129 Nach anderer Ansicht soll die Norm zu einem Totalausschluss der Schuldnerhaftung führen und nur im Fall der Alleinverursachung anwendbar sein,130 auch um Schwierigkeiten bei der Vertragsaufhebung zu vermeiden. Gestützt wird dies teils auf § 294 GIW,131 der als Modell des Art. 80 CISG diente.132 Jedoch wäre dann der Wortlaut der Norm missglückt. Die Normen der Art. 8:101 Abs. 3 PECL, Art. III.-3:101 Abs. 3 DCFR und des Art. 106 Abs. 5 CESL befinden sich daher in einem Konfliktverhältnis mit den Regelungen zur Vertragsaufhebung und zum Mitverschulden. Überflüssig sind sie gleichwohl nicht, denn sie spielen insbesondere beim Zinsanspruch eine Rolle, auf welchen weder Art. 8:108 PECL, Art. III.-3:104 DCFR noch die normalen Schadensersatznormen Anwendung finden sollen, und der nur über Art. 8:101 Abs. 3 PECL und Art. III.-3:101 Abs. 3 DCFR eingrenzbar ist.133
§ 3 Gläubigerfreundliche Rechtsfolgenregelung Die allgemeinen Rechtsfolgen der Nichterfüllung, die nach PECL und DCFR auch bei der Verzögerung der Leistung eingreifen, kommen dem Gläubiger 127
Vgl. hierzu insbesondere unten § 3 IV 2 d und LANDO/BEALE, Art. 9:301, unter D. Vgl. nur ENDERLEIN/MASKOW/STROHBACH, Art. 80 Anm. 6; Staudinger/MAGNUS, Art. 80, Rn. 14; PILTZ, Internationales Kaufrecht, § 4, Rn. 214; ACHILLES, Art. 80, Rn. 4. 129 Vgl. O.R. S. 386 f, 393; ENDERLEIN/MASKOW/STROHBACH, Art. 80, Anm. 6; AUDIT, Vente internationale, Anm. 188; Staudinger/MAGNUS, Art. 80, Rn. 14. 130 PILTZ, Internationales Kaufrecht, § 4, Rn. 214; Vgl. auch Schlechtriem/Schwenzer/ STOLL/GRUBER, Art. 80, Rn. 7 m.w.N. 131 Gesetz über die internationale Wirtschaft der DDR. 132 Schlechtriem/Schwenzer/STOLL, Einheitiches UN-Kaufrecht, Art. 80 Rn. 1. 133 LANDO/BEALE, Art. 9:508 unter B. 128
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entgegen. Das Rechtsfolgensystem dieser Regelwerke gibt dem Gläubiger relativ weitreichende Möglichkeiten zur Gestaltung des gestörten Vertragsverhältnisses und verzichtet auf eine zu moralisierende Sicht des Vertrages. Der Rechtsfolgenkatalog von PECL und DCFR entspricht in seiner Grundstruktur noch weitgehend den nationalen Rechten und der CISG, geht aber über diese hinaus: Neben die Erfüllung, Vertragsaufhebung und den Schadensersatz134 und im Fall der Geldleistung die Zinspflicht135 tritt ein allgemein verfügbarer Rechtsbehelf der Minderung.136 Da die Leistungsverzögerung wie jede andere Art der Leistungsstörung bereits als solche eine Nichterfüllung ist, kennen PECL und DCFR bei nicht auf Geld gerichteten Verbindlichkeiten weder Verzugstatbestand noch spezifische Verzugsfolgen wie den Verzögerungsschadensersatz nach §§ 280 Abs. 2, 286 BGB oder die Haftungsverschärfung des § 287 S 2 BGB. Sie halten für die Leistungsverzögerung nur zwei Sondervorschriften bereit: die zu einem Zinsanspruch führende Zahlungsverzugsregelung137, die als verschuldensunabhängiger Fälligkeitszins ausgestaltet ist,138 und die Vertragsaufhebungsoption nach verstrichener angemessener Nachfrist.139 Ansonsten greifen die allgemeinen Rechtsbehelfe. I. Erfüllungsanspruch mit Ausnahmen Zu den möglichen Rechtsbehelfen bei der Leistungsverzögerung zählt auch der Erfüllungsanspruch, der in PECL und DCFR wie auch im CESL als Sekundäranspruch betrachtet wird. Die klassische Diskussion um das Verhältnis von Naturalerfüllungsanspruch und Kompensation in den kontinentaleuropäischen Rechten und im common law findet sich in vertragstheoretischen Überlegungen um die sog. rights based und utilitarian approaches wieder. Danach wird ein Vertrag entweder als Instrument zur Verleihung individueller Rechte und Pflichten (Recht und Pflicht zur Leistung) betrachtet oder auf seine wirtschaftliche Bedeutung abgestellt, bei welcher neben der Befriedung wechselseitiger Bedürfnisse der Vertragsparteien und des Beitrags zu sozialer Wohlfahrt auch
134
Vgl. die Art. 9:101 ff., 9:301 ff., 9:501 ff. PECL und die Art. 7.2.1 ff., 7.3.1 ff. sowie 7.4.1 ff. UPICC. 135 Art. 9:508 PECL, Art. III.-3:708 DCFR, Art. 7.4.9 UPICC. 136 Art. 9:401 PECL und Art. III.-3:601 DCFR. In den UPICC ist der Rechtsbehelf nicht vorgesehen. Im auf das Kaufrecht reduzierten CESL bleibt dieser natürlich sachlich beschränkt. 137 Art. 9:508 PECL, Art. III.-3:708 DCFR, Art. 7.4.9 UPICC. 138 Vgl. nur § 288 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 286 (insb. Abs. 4) BGB. Zu den Einzelheiten und Differenzen der nationalen Rechte vgl. Teil 2, Kap. 7. 139 Art. 9:301 Abs. 2 i.V.m. Art. 8:106 Abs. 3 PECL, Art. III.-3:503 DCFR.
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Effizienzgesichtspunkte zum Tragen kommen.140 In der Praxis äußert sich dies in zwei Problemstellungen: Zum einen geht es um die Frage, ob der Gläubiger bei mangelnder Erfüllung seines Vertragspartners auf der Erfüllung des Vertrages notfalls unter Einsatz von Erfüllungszwang bestehen kann, oder ob er auf die Geltendmachung von Schadensersatz beschränkt ist.141 Zum anderen gilt es zu entscheiden, ob er zwischen diesen beiden Rechtsbehelfen ein Wahlrecht hat, d.h. im Fall der Vertragsstörung auch sofort Schadensersatz verlangen darf, oder ob man ihn zunächst auf den vorrangigen Weg der Naturalerfüllung verweist.142 Wie in vielen Systemen liegt in Deutschland die Betonung bei der Verzögerung der Leistung auf dem Erfüllungsanspruch als zentralem Rechtsbehelf.143 Der „[…] Verzugsbegriff sichert der verspäteten Leistung einen Platz unter den Erfüllungstatbeständen.“144 Die Nachfristpflicht in § 281 Abs. 1 und 323 Abs. 1 BGB sichert den Vorrang des Erfüllungsanspruchs. In Frankreich beharrt man ebenfalls auf der force obligatoire der Verträge und der „vocation de principe à l’exécution en nature de l’obligation.“145 Der Code civil wählt in Art. 1142 CC jedoch insofern einen Mittelweg, als er auf die Art der vertraglichen Verpflichtung abstellt und der force obligatoire nur dort den höheren Stellenwert einräumt, wo es sich nicht um eine obligation de faire oder de ne pas faire handelt. Bei letzteren wird der Schuldner im gestörten Schuldverhältnis von einer persönlichen Einstandspflicht entlastet.146 Bei einer obligation de donner bleibt er hingegen zur Naturalerfüllung verpflichtet. In common law-Rechtsordnungen hingegen führt ein breach of contract prinzipiell zum Schadensersatz, da eine nach Ablauf der Leistungszeit er140
SMITH, Contract Theory, S. 389 ff. und 394 ff. Siehe aber die Vorbehalte auf S. 396 ff. Die Vertragspflicht zur Leistung führt nach dem common law nicht zu einem erzwingbaren Erfüllungsanspruch: „That I have a duty to perform does not, in itself, justify a court in ordering me to perform. I also have a duty to drive carefully, but no one would imagine that this fact justifies a court in ordering me to drive carefully“, SMITH, Contract Theory, S. 390. 391. 142 NEUFANG, Erfüllungszwang als „remedy“ bei Nichterfüllung, S. 35 ff.; STRATHOPOULOS, AcP 194 (1994), S. 543, 554 ff.; SCHWENZER, E.J.L.R. 1999, S. 289 ff.; MÜLLERCHEN, JbJZivRWiss 1996, 1997, S. 770 ff.; SCHAUER, in Festschrift Kramer, S. 627 (630). 143 SZLADITS, Am.J.Comp.L. 4 (1955), S. 208 (216 f.); TREITEL, Remedies for Breach of Contract, S. 48. 144 BUCHER, in DUFOUR et al., Mélanges Schmidlin, S. 413. 145 S. das Avant-projet de reforme du droit des obligations (articles 1101 à 1386 du code civil) et du droit de la prescription (Articles 2234 à 2281 du Code civil), 22 Septembre 2005, S. 19, zu Art. 1154 des Entwurfs, der auch die obligation de faire im Grundsatz der Naturalerfüllungspflicht unterwerfen will, vgl. Im Einzelnen unten Teil 2, Kap. 7, § 3 II 2. 146 Abgesehen von der astreinte als indirektem Weg der Naturalerfüllung; SCHWENZER, E.J.L.R. 1999, S. 289 (290); genauer zur richterrechtlichen Kreation der astreinte REMIEN, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, S. 33 ff. 141
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brachte Leistung das einmal gebrochene Vertragsversprechen dogmatisch gesehen in aller Regel nicht zu heilen vermag.147 Zudem sei das Erzwingen der Naturalerfüllung „intrusive of personal liberty“148 und aus Effektivitätsgesichtspunkten auch nicht geboten. Letzteres wird an Fällen wie Tito v. Waddell149 deutlich, in welchem sich specific performance als ökonomisch nicht sinnvoll erweist. Zudem soll nach Ansicht der praktisch orientierten common lawyers gerade auch bei der Leistungsverzögerung dem Gläubiger mit einer Deckungsgeschäftsmöglichkeit und einer wirtschaftlichen Absicherung durch Schadensersatz im Regelfall besser gedient sein. Specific performance wird „als Ausnahme“ in equity, jüngst allerdings zunehmend gewährt, wenn dies zu „more perfect and complete justice“ führt.150 PECL und DCFR suchten einen Kompromiss zwischen den kontinentaleuropäischen Rechtstraditionen und entschieden sich zugunsten eines Erfüllungsanspruchs „mit Ausnahmen“,151 um dem durch eine Leistungsverzögerung oder andere Vertragsstörung benachteiligten Vertragspartner grundsätzlich die Möglichkeit zu geben, die vertraglich geschuldete Leistung zu erhalten.152 Sie erkennen an, dass dem Gläubiger am besten gedient sein kann, wenn er das erhält, weswegen er den Vertrag geschlossen hat,153 und verweisen ihn nicht grundsätzlich auf einen Schadensersatzanspruch. Vielmehr gilt: “A contract validly entered into is binding upon the parties.”154 Ein Vertrag beschränkt sich nicht auf rein wirtschaftliche Aspekte. Er schafft Rechte, deren Respekt geboten ist.155 Im System von PECL und DCFR basiert der Erfüllungsanspruch anders als in vielen nationalen Rechten systematisch nicht mehr auf dem Vertrag selbst, sondern auf einer ausdrücklichen Spezialnorm im Katalog der Nichterfüllungsfolgen. Da Vertragsstörungen in den PECL und im DCFR sehr weit147
Specific performance kommt nur in Betracht, wo Schadensersatz als ungeeigneter Rechtsbehelf erscheint, BEALE, Chitty on Contracts, S. 1357. 148 SMITH, Contract Theory, S. 401. 149 Tito v. Waddell (Ocean Island No. 1) [1977] 2 WLR 496 (Ch.D.). 150 Zu den Einzelheiten und Hintergründen unter III. Siehe auch Stickney v. Keeble [1915] A.C. 386 (419); zu Langzeitverträgen: Sky Petroleum Ltd v. VIP Petroleum Ltd. [1974] 1 W.L.R. 576; Co-operative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores Ltd. [1996] 3 W.L.R. 27 (C.A.), [1998] A.C. 1, 12 ff. (H.L.); zum Vergleich auch DOBBS, Law of remedies, § 12.8 (2), S. 808. 151 Art. 9:102 PECL und Art. III.-3:302 DCFR. 152 Siehe auch Art. 7.2.2 UPICC, Commentary: „A court or an arbitral tribunal must order performance, unless one of the exceptions laid down in the present article applies.“; TRAKMANN, in Contratacíon internacional – Comentario a los Principios sobre los Contratos Comerciales Internacionales del UNIDROIT, S. 95. 153 TREITEL, Remedies of breach of contract, Rn. 41. 154 LANDO/BEALE, zu Art. 9:102 Abs. 1, S. 478; vgl. auch Art. 1.3 UPICC. 155 HARRIS/TALLON, Contract Laws Today, Anglo-French Comparison, S. 385-386; TALLON, Am.J.Comp.L. 40 (1992), S. 675 (676).
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gehend als Nichterfüllung qualifiziert werden, ist diese Einordnung des Erfüllungsanspruchs konsequent. Gleichwohl bleibt er eine Ausprägung der force obligatoire des Vertrages. Jede Partei ist also auch bei einer Leistungsstörung prinzipiell berechtigt, auf der geschuldeten Leistung in natura zu bestehen. Auch weil sich ein internationaler Vertrag meist in einem komplizierteren Rahmen mit einer aufwandsintensiveren Drittbeteiligung abspielt, kommt dem Grundsatz des favor contractus besondere Bedeutung zu.156 Die Principles und der DCFR weichen damit konzeptionell vom System der CISG ab, die zwar den Erfüllungsanspruch gem. Art. 46 Abs. 1, 62 CISG grundsätzlich gewährt,157 die einheitliche praktische Relevanz des Erfüllungsanspruchs aber sogleich gem. Art. 28 CISG relativiert und eine ausdrückliche territoriale Ausnahme für die Länder anerkennt, in denen der Naturalerfüllungsgrundsatz nicht gilt. Der nationale Richter wird davon entbunden, ein Urteil zu erlassen, das auf Naturalerfüllung lautet, wenn die lex fori diesen nicht zubilligen würde.158 Zudem folgt die CISG gerade keinem System des Erfüllungsanspruchs mit Ausnahmen: Anders als noch Art. 74 ULIS hindert Art. 79 Abs. 5 CISG die Parteien nicht daran, Erfüllung zu verlangen. Art. 79 CISG entlastet im Fall der force majeure nur vom Schadensersatzanspruch, nicht aber vom Erfüllungsanspruch.159 Die Regelung erklärt sich allerdings durch die CISG-Systematik, da wegen Art. 28 CISG das nationale Recht darüber zu entscheiden hat, ob der Erfüllungsanspruch zu gewähren ist oder nicht. Nach seinem Wortlaut ist Art. 28 CISG mehr als nur ein Zugeständnis an den angloamerikanischen Rechtskreis hinsichtlich der Option der Realexekution.160 Er verweist auch für die Fälle auf nationales Recht, in welchen letzteres den Erfüllungsanspruch wegen Unmöglichkeit161 oder Unzumutbar-
156
DRAETTA/LAKE/NANDA, Breach and adaptation of international contracts: an introduction to Lex Mercatoria, S. 3. 157 Die Betonung des Erfüllungsanspruchs zeigt sich auch in Art. 79 Abs. 5 CISG: Ein Hinderungsgrund darf den Schuldner nicht über das Maß hinaus entlasten, in dem er die Erfüllung tatsächlich hindert; Staudinger/MAGNUS, Art. 79 CISG, Rn. 57-60. 158 Erkennt die lex fori den Erfüllungsanspruch an, hat ihn das Gericht im Streitfall unter Geltung der CISG auch zu gewähren; SHEN, Ariz.J.Int’l & Comp.L. 1996, S. 253 (267 ff.); SCHWENZER, E.J.L.R. 1999, S. 289 (292). 159 Eine Erstreckung der Entlastungswirkung auf Erfüllungsansprüche fand bei der Wiener Konferenz keine Mehrheit (vgl. Off Rec 135). Ist der Schuldner in Lieferverzug, kann er sich zwar gem. Art. 79 CISG entlasten, jedoch kann der Gläubiger weiterhin Erfüllung verlangen. Vgl. auch Schlechtriem/Schwenzer/STOLL/GRUBER, Art. 79, Rn. 46. 160 HONNOLD, Uniform law for international sales under the 1980 United Nations Convention, 1999, Rn. 196 ff.; BRUNNER, Kommentar zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den Internationalen Warenkauf, Art. 28 Rn. 1. 161 Vgl. SCHLECHTRIEM, UN-Kaufrecht, Art. 79, Rn. 51, 97; HERBER/CZERWENKA, Art. 79 Rn. 23.
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keit ausschließt. Allerdings ist dann auch der Fall denkbar, dass nach nationalem Recht eine Erfüllungsklage trotz Unmöglichkeit zulässig ist.162 PECL und DCFR hingegen normieren Ausnahmen vom Erfüllungsanspruch, unterscheiden hierbei jedoch zwischen Geldschulden und nicht auf Geld gerichteten Verpflichtungen. Dies ähnelt dem Ansatz des englischen Rechts, das bei Geldleistungen (award of an agreed sum) aufgrund der historischen Trennung in common law und equity anderen Grundsätzen folgt, als bei nicht auf Geld gerichteten Verbindlichkeiten (specific performance).163 Im ersten Fall ist der Erfüllungsanspruch aus in Bezug zur Leistung stehenden Gründen häufig ausgeschlossen.164 Diese ergeben sich entweder wie im Fall der Unmöglichkeit aus der Natur der Sache und stellen ein Korrelat zu Art. 8:108 PECL sowie Art. III.-3:104 DCFR dar, oder sie beruhen auf Wertungsgesichtspunkten und dienen entweder dem Schuldner- oder dem Gläubigerschutz. Letzterer geht dabei in den PECL relativ weit, denn der bloße Bestand einer der normierten Ausnahmen soll zum Wegfall des Erfüllungsanspruchs führen.165 Der DCFR formuliert dies anders: In Abs. 3 heißt es: “Specific performance cannot, however, be enforced where […].” Dies scheint die Erfüllungsklage zu erhalten und lediglich die zwangsweise Durchsetzung der Naturalerfüllung auszuschließen. Das CESL folgt der Grundstruktur von PECL und DFCR, enthält in Art. 109 Abs. 3 CESL aber reduzierte Ausnahmeregelungen. Über Art. 9:102 PECL und Art. 7.2.2 UPICC wird bereits Einfluss auf die CISG ausgeübt und eine Auslegung des Art. 79 Abs. 5 versucht, nach welcher dieser auch den Erfüllungsanspruch ausschließen soll.166 Allerdings ist frag-
162
So z.B. im österreichischen Recht. Vgl. auch UNBERATH, Die Vertragsverletzung, S. 176. 164 Art. 9:102 Abs. 2 lit. a-d, Abs. 3 PECL und Art. III.-3:302 Abs. 3 und 4 DCFR. 165 Vgl. den Wortlaut des Art. 9:102 Abs. 2 PECL: „Erfüllung kann jedoch nicht verlangt werden, wenn […]“. 166 MüKo/HUBER Art. 79 CISG, Rn. 29; SCHLECHTRIEM/SCHWENZER/MÜLLER-CHEN, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 46, Rn. 12; BRUNNER, Kommentar zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den Internationalen Warenkauf, Art. 79, Rn. 42 unter Berufung auf Art. 7. 2. 2 UPICC, da diese Auslegung den Widerspruch zwischen Art. 79 Abs. 1 und Abs. 5 abmildert. Nach MüKo-HGB/MANKOWSKI, Art. 79 CISG, Rn. 10 soll der Erfüllungsanspruch wie in Art. 7.2.2 lit. b UPICC auch im Fall der subjektiven Unmöglichkeit entfallen. Zur Rolle der UNIDROIT Principles zur Interpretation internationalen Einheitsrechts gem. ihrer Präambel, Abs. 5, vgl. auch BONELL, Bulletin de la Cour internationale d’arbitrage de la CCI, Supp. spéc. 2002, S. 29; BURKHART, Interpretatives Zusammenwirken von CISG und UNIDROIT Principles, S. 211; BASEDOW, in Festschrift Drobnig, S. 23 ff.; BRUNNER, Kommentar zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den Internationalen Warenkauf, Art. 7, Rn. 9; SCHLECHTRIEM/SCHWENZER, Kommentar zum Einheitlichen Kaufrecht, Art. 7, Rn. 59 f.; GARRO, Tul.L.Rev. 69 (1995), S. 1149 (1152); MAGNUS, RabelsZ 59 (1995), S. 469 ff. Gegen diesen Ansatz: 163
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lich, ob dies im Lichte des 7 Abs. 2 CISG gerechtfertigt ist. Die Lösung über Art. 28 CISG war mehrheitlich gewollt167 und nach der CISG soll der Hinderungsgrund den Schuldner nicht über das Maß hinaus entlasten, in dem er die Erfüllung tatsächlich hindert. 1. Wegfall der Leistungspflicht kraft Natur der Sache Bei unlawful or impossible performance168 bleibt der Vertrag nach den Principles grundsätzlich bestehen, der Erfüllungsanspruch ist jedoch ausgeschlossen, 169 wenn es sich um einen Fall der dauernden Unmöglichkeit handelt.170 Der Ausschluss umfasst alle Fälle der Unmöglichkeit, insbesondere auch die anfängliche, welche gem. Art. 4:102 PECL dem Zustandekommen eines wirksamen Vertrages nicht wie noch nach § 878 ABGB oder § 306 BGB a.F. entgegensteht. Lediglich die rechtliche Unmöglichkeit ist von Fällen abzugrenzen, in welchen in Art. 6.1.14 UPICC genannte Gründe bereits die Entstehung des Vertrages verhindern können.171 Die wirtschaftliche Unmöglichkeit fällt unter Art. 6:111 PECL und unter Art. III.-1:110 DCFR. Im CESL ist dies in Art. 110 Abs. 3 lit. a geregelt. Ein Problem kann sich hier jedoch im Zusammenspiel von Art. 8:108 und Art. 9:102 Abs. 2 lit. a PECL172 ergeben, wenn die Unmöglichkeit vorübergehend ist. Während Art. 8:108 PECL bei vorübergehenden Hindernissen nur für die Dauer des Hindernisses entlastet, ist diese Einschränkung im Wortlaut des Art. 9:102 PECL Abs. 2 lit. a gerade nicht vorgesehen. Gleiches gilt für DCFR und CESL. Bei einer bloßen Leistungsverzögerung kommt eine Befreiung von der Leistungspflicht nach Art. 9:102 Abs. 2 lit. a PECL an sich nicht in Betracht. Die Abgrenzung zur vorübergehenden Unmöglichkeit kann allerdings im Schlechtriem/FERRARI, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, S. 137 f.; MICHAELS, RabelsZ 62 (1998), S. 580 (606). 167 Vgl. O.R. United Nations Conference on Contracts for the International Sale of Goods, Vienna 10 March-11 April 1980, Documents of the Conference and Summary Records of the Plenary Meetings and the Meetings of the Main Committees, S. 135. 168 Der Begriff „Unmöglichkeit“ wird in den PECL und UPICC nur an dieser Stelle als Ausnahme von den Rechtsbehelfen bei Leistungsstörungen relevant. Die Unmöglichkeit kann zwar auch als ein möglicher Entschuldigungsgrund gem. Art. 8:108 PECL Bedeutung erlangen, wird dort jedoch bewusst nicht genannt, um eine Kategorisierung zu vermeiden; STORME, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 30 (31). 169 Art. 9:102 Abs. 2 lit. a PECL, Art. III.-3:302 Abs. 3 lit. a DCFR und 7.2.2 Abs. 2 lit. a UPICC. Dies gilt nach dem Wortlaut auch, wenn eine Ersatzlieferung oder Nachbesserung einer Sache unmöglich ist, da der Fall der „Abhilfe für mangelhafte Leistung“ ebenfalls von Art. 9:102 PECL bzw. über Art. 7.2.3 UPICC von Art. 7.2.2 umfasst ist. 170 STORME, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 12 (14). 171 So etwa in bestimmten Fallkonstellationen das Fehlen öffentlicher Genehmigungen. 172 Im DCFR Art. III.-3:302 lit. a und Art. III.-3:104.
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Einzelfall Probleme bereiten, da dann Art. 9:102 Abs. 2 lit. a PECL einschlägig sein soll173 und die Principles selbst keine Kriterien für die Unterscheidung Verzug – Unmöglichkeit (gerade die vorübergehende) nennen. Tritt während der Verzögerung tatsächlich Unmöglichkeit ein, greift jedenfalls Art. 9:102 Abs. 2 lit. a PECL.174 Problematisch kann dann allerdings das Schicksal von Nebenansprüchen werden. 2. Schuldnerschützende Ausnahmen Weitere Ausnahmen vom Erfüllungsanspruch dienen in erster Linie dem Zweck, den Erfüllungsanspruch dort auszuschließen, wo dem Schuldner die Naturalerfüllung solche Schwierigkeiten bereitet, dass sie weder praktisch noch wertungstechnisch vertretbar wäre. Beruht die Säumnis des Schuldners auf einem dieser Gründe, muss er keinen Naturalerfüllungszwang fürchten. a. Unangemessene Kosten und Anstrengungen Der erste schuldnerschützende Gedanke basiert auf wirtschaftlichen Erwägungen: Würde die Erfüllung unangemessene Anstrengungen oder Kosten verursachen, soll der Erfüllungsanspruch ausgeschlossen sein.175 Die Vorschrift ist Ausdruck des Grundsatzes von Treu und Glauben.176 Im deutschen Recht fand der gleiche Rechtsgedanke in § 275 Abs. 2 sowie in § 283 Abs. 1 Satz 1 und § 326 Abs. 5 BGB Berücksichtigung. Der Einwand kann dort im Fall des § 275 Abs. 2 BGB dem Erfüllungsverlangen als solchem entgegengehalten werden und hebt in § 283 Abs. 1 Satz 1 und § 326 Abs. 5 BGB den Vorrang des Erfüllungsanspruchs auf, da eine Nachfristsetzung vor der Geltendmachung des Nichterfüllungsschadens entbehrlich und ein sofortiger Rücktritt ermöglicht wird. Von § 275 Abs. 2 BGB unterscheiden sich Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL und Art. III.-3:302 Abs. 3 lit. b DCFR jedoch in mehrerlei Hinsicht: Während das Leistungsverweigerungsrecht des § 275 Abs. 2 BGB als bloße Einrede wirkt, inhaltlich eine Abwägungsentscheidung zwischen dem Leistungsinteresse des Gläubigers und den Leistungserschwernissen des Schuldners fordert und nur im Fall eines groben Missverhältnisses greift,177 kommt es nach den PECL allein auf die Position des Schuldners und die Frage an, ob die Anstrengungen oder 173
LANDO/BEALE, zu Art. 9:102 Abs. 2. Unter der CISG ist der Fall problematischer, da sie Befreiungen vom Erfüllungsanspruch nicht regelt. 175 Art. 9:102 Abs 2 lit. b PECL, Art. III.-3:302 Abs. 3 lit. b DCFR, Art. 7.2.2 lit. b UPICC. 176 Art. 1:201 PECL, Art. III.-1:103 DCFR und Art. 1.7 UPICC. 177 Anders als bei § 439 Abs. 3, 635 Abs. 2, 651c oder 251 Abs. 2 BGB genügen unverhältnismäßige Kosten allein nicht. 174
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Kosten der Erfüllung für ihn aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht zumutbar sind. Ist dies der Fall, entfällt der Erfüllungsanspruch zudem im Sinn einer Einwendung. Das CESL ist hingegen dem deutschen Recht angenähert, da er die Anstrengungen des Schuldners ins Verhältnis zu dem Vorteil setzt, den der Käufer durch die Erfüllung erlangen würde.178 Wie auch § 275 Abs. 2 und § 313 BGB sind Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL und ihr Pendant im DCFR und im CESL von den Regeln zu hardship abzugrenzen.179 Allerdings sind die genannten Vorschriften des deutschen Rechts präziser und vermeiden Abgrenzungsprobleme, die sich bei den europäischen Regelwerken zwangsläufig stellen.180 b. Leistungen persönlichen Charakters Die zweite schuldnerschützende Ausnahme betrifft in der Person des Schuldners liegende Aspekte: Zum einen normieren Art. 9:102 Abs. 2 lit. c PECL und Art. III.-3:302 Abs. 3 lit. c DCFR wie Art. 1142 CC oder § 275 Abs. 3 BGB den Grundsatz des nemo potest cogi ad factum. Hinter dieser Ausnahme verbirgt sich die Unterscheidung zwischen dare und facere Verpflichtungen, die das römische Recht oder der französische Code civil explizit treffen. Gem. Art. 9:102 Abs. 2 lit. c PECL kann der Gläubiger Erfüllung nicht verlangen, wenn sie in Dienst- oder Werkleistungen persönlichen Charakters besteht. Dienst- und Werkleistungen persönlichen Charakters sind hierbei nur solche, die tatsächlich nur vom Vertragspartner selbst, nicht auch durch einen Angestellten ausgeführt werden können, etwa weil sie künstlerischer oder wissenschaftlicher Art sind.181 Es soll vermieden werden, dass ein säumiger Schuldner zur Erbringung einer persönlichen Dienst- oder Werkleistung verpflichtet wird, die er erstens nicht erbringen will und die dann zweitens deswegen möglicherweise nicht zur Zufriedenheit des Vertragspartners ausfällt. Zum anderen soll Erfüllung dann nicht verlangt werden können, wenn sie von einer persönlichen Beziehung abhängt.182 Eine solche Konstellation soll etwa in den Fällen einer Personengesellschaft vorliegen, bei der alle Gesellschafter aktiv engagiert sein müssen.
178
Art. 110 Abs. 3 lit. b CESL. In den UPICC ist die Abgrenzung zwischen Art. 7.2.2. lit. b UPICC und Art. 6.2.3 UPICC eine graduelle, UNIDROIT Principles 2010, Comment to Art. 7.2.2. Zur Abgrenzung im Einzelnen SCHWENZER, E.J.L.R. 1999, S. 289 (296 f). Zur Abgrenzung von Art. 9:102 Abs. 2 b PECL zu Art. 6:111 PECL auch DÜCHS, Die Behandlung von Leistungsstörungen im Europäischen Vertragsrecht, S. 163 f. 180 CANARIS, JZ 2001, S. 505. 181 LANDO/BEALE, zu Art. 9:102 Abs. 2, S. 480. 182 STORME, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 12 (22). 179
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Die UPICC greifen diesen Gedanken in Art. 7.2.2 lit. d auf.183 Die Norm der UPICC ist allerdings enger gefasst und gewährt einen Erfüllungsanspruch nur dann nicht, wenn die Leistung höchstpersönlichen Charakter hat.184 Über Art. 7.2.4 gewähren die UPICC überdies dem Richter die Möglichkeit der Verhängung eines Zwangsgeldes für den Fall, dass die verurteilte Partei dem Urteil nicht nachkommt, um einen vom Gericht gewährten Erfüllungsanspruch praktisch durchzusetzen. Die judicial penalty des Art. 7.2.4 UPICC ähnelt der französischen astreinte185 und verhilft dem bindenden Charakter der Verträge zu praktischer Wirksamkeit. Wie diese ist die judicial penalty unabhängig von einem Schadensersatzanspruch des Gläubigers und wird neben diesem verhängt. Dies gilt insbesondere für einen Anspruch auf Verzugszinsen.186 Das Zwangsgeld kann aber vom Gericht im Rahmen der Schadensersatzhöhe Berücksichtigung finden.187 Bezahlt wird das Zwangsgeld wie nach französischem Recht an den Gläubiger, es sei denn, dem stehen zwingende Vorschriften des Forumstaates entgegen. Die PECL und der DCFR enthalten keine Art. 7.2.4 UPICC entsprechende Vorschrift, die insbesondere der Durchsetzung einer obligation de faire dient. Ein Grund mag darin liegen, dass sie bei Dienst- und Werkleistungen persönlichen Charakters bereits weitgehende Ausnahmen vom Erfüllungsanspruch gewähren. Weiter mag es am Charakter der astreinte liegen, die sich zwischen freiwilliger und zwangsweiser Durchsetzung des Erfüllungsanspruchs bewegt, aber eher zu letzterer zählt und weniger mit dem Rechtsbehelf als mit seiner Durchsetzung zu tun hat. Ihren Platz findet sie an sich nicht in einem Instrument des materiellen Vertragsrechts.188 Die PECL und der DCFR scheinen den Erfüllungsanspruch zudem weitgehender einzuschränken als das französische Recht und entsprechen eher dem angloamerikanischem
183
Die CISG brauchte sich mit dieser Frage aufgrund ihres auf Kaufverträge beschränkten Anwendungsbereichs nicht auseinanderzusetzen, der Verträge nicht umfasst, „in which the preponderant part of the obligations of the party who furnishes the goods consists in the supply of labour or other services“, vgl. Art. 3 Abs. 2 CISG. 184 Exclusively personal character, vgl. UNIDROIT Principles 2010, Comment to Art. 7.2.2. 185 Die astreinte sollte gerade im Fall der obligation de faire die Lücken des französischen Zwangsvollstreckungsrechts füllen, wird jedoch auch in anderen Fällen verhängt, Cass. com. 12.12.1996, Bull. III n° 478; Cass. req., 18.11.1907, 1913.1.386; siehe auch REMIEN, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, S.33 ff. Auch nach den UPICC fließt sie an den Gläubiger, nicht an die Staatskasse. 186 Art. 34 de la loi du 9 juillet 1991; RUSQUEC, La nature de l’astreinte en matière civile, JCP 1993, I, 3699; LARROUMET, Droit Civil, Les obligations, Le contrat III, Rn. 680; Cass. civ. 1re, 28.2.1989 D. 1989.IR.102, JCP 1989.IV.160. 187 UNIDROIT Principles 2010, Comment 4 zu Art. 7.2.4. 188 Vgl. THERY, in RÉMY-CORLAY/FENOUILLET, Les concepts français à l’heure des Principes du droit européen des contrats, S. 235 (238).
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Rechtsdenken, das bei Dienstleistungen generell keinen Erfüllungsanspruch gewährt.189 Allerdings ist der Inhalt dessen, was PECL, UPICC und nationale Rechte unter einer obligation de faire beziehungsweise „services or work with a personal/exclusively personal character“ verstehen, verschieden. Der pauschale Ausschluss des Erfüllungsanspruchs kann in diesen Fällen nicht sachgerecht sein. So können vertragliche Informationspflichten oder obligations de ne pas faire einen exclusively personal character haben, aber allein deren Erfüllung den Gläubiger befriedigen und Schadensersatz für das gesamte Vertragsverhältnis weder von Nutzen noch bezifferbar sein.190 Auch die Antwort auf die Frage, wann die UPICC in ihrer Anwendung eine judicial penalty erlauben, ist in diesem Zusammenhang unklar. Nach französischem Recht wird gerade bei den obligations de faire die astreinte relevant, obgleich der Code civil in Art. 1142 den Erfüllungsanspruch für diese Verpflichtungen ausschließt.191 Eine Naturalerfüllung kann aber etwa dann nicht mittels astreinte durchgesetzt werden, wenn es sich um künstlerische oder wissenschaftliche Leistungen handelt.192 Die UPICC scheinen es ermöglichen zu wollen, alle Verpflichtungen mittels Zwangsgelds abzusichern. Präzisierungen diesbezüglich fehlen jedoch ebenso, wie Regeln zur Berechnung des Zwangsgelds. Die Lösung des Art. 7.2.4 UPICC ist damit zwar gegenüber dem weitergehenden regulativen Ausschluss ohne Möglichkeit der Zwangsgeldverhängung in den PECL und im DCFR flexibler, aber unvollständig. Sie begünstigt zudem zugleich den Gläubiger, da diesem gem. Art. 7.2.4 Abs. 2 Satz 2 UPICC das angeordnete Zwangsgeld zufließt. Praktisch wird sie wohl keinen Konsens finden.193 Interessant ist, dass das CESL die Ausnahme vom Erfüllungsanspruch bei persönlichen Leistungen auch für verbundene Dienstleistungsverträge nicht kennt. Während diese Ausnahme bei Kaufverträgen keine Relevanz hat und 189
So auch SCHWENZER, E.J.L.R. 1999, S. 289 (296 f). A.a.O., S. 300. 191 Art. 1142 CC: „Toute obligation de faire ou de ne pas faire se résout en dommages et intérêts en cas d'inexécution de la part du débiteur.“ 192 THERY, in RÉMY-CORLAY/FENOUILLET, Les concepts français à l’heure des Principes du droit européen des contrats, S. 235 (238). 193 Zum Rechtsvergleich siehe Teil 2 Kap. 7. Zwar übernahmen einige europäische Länder die astreinte, in Deutschland und auch im angloamerikanischen Rechtskreis ist sie jedoch insofern fremd, als Zwangsgelder einen weit engeren prozessualen Anwendungsbereich haben und an die Staatskasse fließen. In Portugal hat man sich für eine Mischlösung entschieden und lässt jeweils den halben Geldbetrag an Gläubiger und Staatskasse fließen. Im Übrigen bliebe im Fall der europäischen Regelwerke bei einer Mischlösung unklar, um welchen Staat es sich handeln soll – um den Wohnsitzstaat des Gläubigers oder den des Schuldners. 190
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daher nicht in den CESL-Text aufgenommen wurde, kann dies bei Dienstleistungen grundsätzlich durchaus anders sein. Dies lässt sich nur mit dem Argument begründen, dass mit Kaufverträgen verbundene Dienstleistungsverträge regelmäßig keinen persönlichen Charakter haben werden. c. Zeitliche Begrenzung Zum Schutz des Leistungserbringers muss der Erfüllungsanspruch innerhalb angemessener Zeit geltend gemacht werden. Art. 9:102 Abs. 3 PECL und Art. III.-3:302 Abs. 4 DFR194 wollen den Schuldner davor schützen, wegen einer späten Entscheidung des Gläubigers zugunsten eines Naturalerfüllungsverlangens Nachteile zu erleiden. Entscheidet sich der Gläubiger nicht innerhalb angemessener Frist, verwirkt er den Erfüllungsanspruch. Welche Frist hierbei als angemessen zu betrachten ist, obliegt einer Einzelfallentscheidung.195 Dieser Gedanke ist dem common law entliehen, dessen doctrine of laches eine solche Verwirkung vorsieht. Das kontinentaleuropäische Recht übernimmt ihn nur sehr eingeschränkt im besonderen Schuldrecht oder im Handelsrecht. Sonst kennt es eine derartige Verwirkung des Erfüllungsanspruchs nur, wenn das Gesetz den Vorrang des Erfüllungsanspruch wie im Fall eines Fixgeschäftes ausdrücklich aufhebt, dem Gläubiger aber die Option gewährt, ihn trotzdem geltend zu machen, sofern er dies rechtzeitig tut.196 Da der Schuldner in diesen Fällen nicht mehr mit einem Naturalerfüllungsverlangen rechnen wird, hat ihn der Gläubiger zu informieren. Auch hier ist die Formulierung des DCFR Art. 9:102 Abs. 3 PECL überlegen: Die Passivität des Gläubigers führt nach dem DCFR dazu, dass der Gläubiger sein Recht „to enforce specific performance“ verliert. In den PECL heißt es „will lose the right to specific performance”. Im CESL fehlt eine solche Bestimmung. 3. Gläubigerbegünstigende Ausnahme: Deckungsgeschäft Hinter dem Ausschluss des Erfüllungsanspruchs gem. 9:102 Abs. 2 lit. d PECL und 7.2.2 lit. c UPICC bei angemessener Deckungsgeschäftsmöglichkeit stehen wirtschaftliche Erwägungen: Da der Gläubiger sehr häufig in der Lage ist, sich die geschuldete Leistung anderweitig zu besorgen, wird die Einhaltung eines etwa durch Säumnis des Schuldners gestörten Vertrages aus Gläubigersicht wirtschaftlich gesehen zu einer sinnlosen Pflichtübung. Ein Interesse an der Leistung gerade durch den Schuldner besteht speziell dann, wenn nur dieser allein die Leistung erbringen kann. Ansonsten wird unter194
Vgl. auch 7.2.2 Abs. 3 UPICC. LANDO/BEALE, zu Art. 9:101 Abs. 3, S. 482. 196 Vgl. etwa § 349 Abs. 3 ObchZ, Art. 1457 Codice Civile, Art. 190 Abs. 2 OR. 195
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stellt, dass es dem Gläubiger auf die Leistung als solche ankommt und nicht darauf, wer sie erbringt.197 Die Principles ziehen daraus eine weitreichende Konsequenz, denn sie verwehren dem Gläubiger die Naturalerfüllung durch den Schuldner, wenn er die Leistung vernünftigerweise aus einer anderen Quelle erlangen kann.198 Es reicht hierfür allerdings nicht allein, dass ein Deckungsgeschäft grundsätzlich möglich ist, vielmehr muss dessen Vornahme zugleich auch nach den tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten reasonable sein, was von der Wertung des Einzelfalles abhängen wird. Die Vorschrift findet eine gewisse Ergänzung in 9:505 PECL, der wie Art. 7.4.8 Abs. 1 UPICC und Art. 77 CISG eine Obliegenheit zur angemessenen Schadensminderung normiert.199 Mag die Regelung auch für den Schuldner erleichternd sein, wenn er sich eine ihm schwierig gewordene Leistung erspart und den Gläubiger auf Schadensersatz verweisen kann, hat sie doch eine Kehrseite. Sie verhindert nicht ausreichend, dass der Gläubiger vorschnell Deckungsgeschäfte vornimmt, wenn ihm das Warten auf die Schuldnerleistung lästig wird. Hinsichtlich der Frage, was ein angemessenes Deckungsgeschäft ist, räumen die Principles dem Gläubiger nämlich ein weites sachliches wie zeitliches Ermessen ein.200 Dies kann zu einer Umgehung der Schuldnerinteressen führen, wenn dem Gläubiger daran gelegen ist, schnellstmöglichst Abstand vom Vertrag zu nehmen.201 Zum Vergleich: Im deutschen Recht situiert sich die Deckungsgeschäftsmöglichkeit des Gläubigers auf der Ebene des Vollstreckungsrechts und beschränkt sich auf bestimmte, auf Vornahme einer vertretbaren Handlung gerichtete vollstreckbare Ansprüche in Form der Ersatzvornahme.202
197
SCHWENZER, E.J.L.R. 1999, S. 289 (291). „[…] may reasonably obtain performance from another source“, vgl. Art. 9:102 Abs. 2 lit. d PECL und 7.2.2 lit. c UPICC. 199 Vgl. beispielhaft insbesondere OLG Hamburg, 28.2.1997, 1 U 167/95 und ENDERLEIN/ MASKOW/STROHBACH, Art. 77, Anm. 2; WITZ/SALGER/LORENZ, Art. 77, Rn. 7 und 8 sowie Schlechtriem/Schwenzer/STOLL/GRUBER, Art. 77, Rn. 9 m.w.N. zur h.M. 200 Siehe hierzu etwa ZAHRAA/GHITH, Unif.L.Rev. 2002, S. 751 (760). 201 Vgl. zu den Problemen des Deckungskaufs bei Verzug im Rahmen der Schadensminderungspflicht auch SCHLECHTRIEM/MAGNUS, Intrernationale Rechtsprechung zu ULIS und EAG, Art. 88 ULIS, Nr. 2 unter Verweis auf LG Heidelberg, 30.1.1979. 202 § 887 Abs. 1 ZPO. Aus Gläubigersicht muss es wirtschaftlich gleichgültig sein, wer die Handlung vornimmt. Zugleich muss es aus Schuldnersicht rechtlich zulässig sein, sie durch einen anderen als durch ihn vornehmen zu lassen; BGH NJW 95, 463, 464; Düsseldorf, NJWRR 99, 1769; ZÖLLER, ZPO, § 887 Rn. 2. 198
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Im schweizerischen Recht kann sie lediglich optional vom Gläubiger verlangt werden.203 Nach Art. 98 Abs. 1 OR kann der Gläubiger sich gerichtlich ermächtigen lassen, die fällige Leistung selbst vorzunehmen oder durch einen Dritten vornehmen zu lassen. Da es sich um eine Form der Durchsetzung des Erfüllungsanspruchs handelt, ist allein die Fälligkeit Voraussetzung für die Anwendung von Art. 98 OR, nicht aber Verzug oder Verschulden des Schuldners. Da die Entscheidung über die Ermächtigung in der Hand des Richters liegt, wird er allerdings stets eine Interessenabwägung vornehmen und berücksichtigen, ob die Interessen des Schuldners oder Dritter unverhältnismäßig beeinträchtigt werden. Das wirtschaftlich orientierte gläubigerfreundliche common law begründet zwar den Grundsatz der damages bei breach of contract seit jeher auch mit der praktischen Häufigkeit von Deckungsgeschäftsmöglichkeiten bei Gattungskäufen, überlässt die Entscheidung über specific performance jedoch auch der Einzelfallentscheidung des Richters.204 Die PECL schließen hingegen den Erfüllungsanspruch pauschal aus und lassen diesen Ausschluss letztlich zudem auf Initiative des Gläubigers erfolgen, der die Durchführung des Deckungsgeschäfts praktisch allein steuern kann.205 Art. 9:102 Abs. 2 lit. d PECL verhindert nicht nur, dass der Gläubiger dem Schuldner die Erfüllung aufbürdet, wenn der Markt praktikable Alternativlösungen bietet, sondern ermöglicht dem Gläubiger zugleich, die Erfüllung gänzlich zu umgehen, obwohl der Schuldner zur verspäteten Erfüllung bereit wäre. Die Regelung birgt die Gefahr des Missbrauchs durch den Gläubiger, der nach Verstreichen einer aus seiner Sicht angemessenen Leistungszeit ohne jegliche Vorwarnung für den Schuldner ein Deckungsgeschäft tätigen und sich hierbei auf den entfallenden Erfüllungsanspruch berufen kann, auch wenn der säumige Schuldner vielleicht kurz vor seiner Leistung steht und bereits entsprechende Aufwendungen getätigt hat, um diese alsbald zu erfüllen. Dass der Gläubiger ihm durch die Vornahme eines Deckungsgeschäfts seinen Geschäftsgewinn nehmen und ihn zudem schadensersatzpflichtig werden lassen kann, wird dabei nicht ausreichend berücksichtigt. Natürlich muss der Gläubiger mit einer nachträglichen Gerichtskontrolle rechnen, die zur Annahme eines voreiligen Deckungsgeschäfts zu seinen Lasten führen kann. Dies macht Art. 9:102 Abs. 2 lit. d PECL jedoch noch lange
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Art. 98 OR. Vgl. HONSELL/VOGT/WIEGAND, Obligationenrecht I, Art. 98 Rn. 5; VON THUR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts II, S. 90 ff.; FELLMANN, recht 1993, S. 116. 204 SAMUEL, Law of Obligations and Legal Remedies, S. 158 ff. 205 So zweifelt etwa SCHWENZER an, dass ein englisches Gericht die Einschränkung seines Ermessens durch Art. 7.2.2. lit. c UPICC (9:102 Abs. 2 lit. d PECL) akzeptieren würde, E.J.L.R. 1999, S. 289 (292).
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nicht zu einer geglückten Regelung. Aus kontinentaleuropäischer Sicht wird der Erfüllungsanspruch nach den PECL daher häufiger ausgeschlossen sein.206 Die CISG folgte diesem Ansatz nicht und nahm damit bewusst von Art. 25 ULIS Abstand, der das Entfallen der specific performance bei einer Deckungskaufmöglichkeit bereits vorsah.207 Auch wenn es selbst in kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen nicht unbedingt häufig zu einem zeitaufwändigen risikobehafteten Erfüllungsverlangen kommt,208 waren die Argumente für den Verzicht der CISG auf eine solche Regelung doch gewichtiger: neben den Kosten für Schadensersatzklagen und dem ungenügenden Schadensausgleich im internationalen Handel209 würde die Vertragsbindung nicht mehr ernst genommen und der Grundsatz pacta sunt servanda obsolet, sobald die Leistung auf dem Markt anderweitig erhältlich ist.210 Dieses Argument hätten auch die PECL berücksichtigen sollen. Eine erfreulichere Regelung enthält hingegen der DCFR. Er reiht das Deckungsgeschäft gerade nicht unter die Ausnahmen in Art. III.-3:302 Abs. 3 ein, sondern wählt einen anderen Ansatz: In seinem Abs. 5 heißt es: „The creditor cannot recover damages for loss or a stipulated payment for nonperformance to the extent that the creditor has increased the loss or the amount of the payment by insisting unreasonably on specific performance in circumstances where the creditor could have made a reasonable substitute transaction without significant effort or expense.” Diese eingeschränkte Sicht auf das Deckungsgeschäft beugt einer einseitigen Interpretation der Deckungsgeschäftsmöglichkeiten zugunsten des Gläubigers vor. Das CESL erwähnt die Deckungsgeschäftsmöglichkeit nur in Art. 132 Abs. 2 CESL für den Fall des Annahmeverzugs des Käufers. Die Möglichkeit des Verkäufers, ohne nennenswerten finanziellen oder sonstigen Aufwand ein angemessenes Deckungsgeschäft zu schließen, steht dem Verlangen des Verkäufers nach Abnahme und Kaufpreiszahlung entgegen.
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Dies wird von einigen Autoren anders bewertet, vgl. STORME, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 30, NEUFANG, Erfüllungszwang als „remedy“ bei Nichterfüllung, 1998, S. 278 ff. 207 Nach Art. 25 ULIS sollte specific performance dann nicht erlaubt sein, wenn „[…] it is in conformity with usage and reasonably possible for the buyer to purchase goods to replace those to which the contract relates […].“ 208 SHEN, 13 Ariz.J.Int’l & Comp.L. (1996), S. 257; TREITEL, Remedies for breach of contract, S. 63; ZAHRAA/GHITH, Unif.L.Rev. 2002, S. 751 (753); FITZGERALD, The Journal of Law and Commerce 1997, S. 291 ff. 209 SCHWARTZ, 89 Yale L.J. (1979), S. 271 (276-277). 210 A/CONF 97/5, O.R., Abs. 58 und 64, 331, abgedruckt in HONNOLD, Documentary History of the Uniform Law for International Sales, S. 552 f.; ZAHRAA/GHITH, Unif.L.Rev. 2002, S. 751 (753) nennt darüberhinaus weitere Argumente.
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II. Kein normativer Vorrang des Erfüllungsanspruchs In PECL und DCFR gibt es keine klare Rechtsbehelfshierarchie. Vom common law haben sie eine gewisse Zentrierung ihres Rechtsfolgenkataloges auf den Schadensersatz übernommen, da sie dem Erfüllungsanspruch normativ keinen ausdrücklichen Vorrang einräumen. Sie versuchen jedoch, das Recht des Gläubigers auf Schadensersatz oder Naturalerfüllung in ein relativ offenes System zu bringen, das Flexibilität im Einzelfall ermöglicht. Anders als im common law kann der Erfüllungsanspruch, von den genannten Ausnahmen abgesehen, vom Gläubiger auch durchgesetzt werden. Seine Gewährung ist nicht wie im angloamerikanischen Rechtskreis auf Ausnahmefälle beschränkt und dem Ermessen des Richters unterworfen, sondern auch im Leistungsstörungsfall der gestaltenden Hand der Parteien überlassen, und zwar in erster Linie der des Gläubigers. Diesem wird prinzipiell die Wahl zwischen Erfüllung und Schadensersatz gestattet. Die Betonung wird durch weitgehende Ausnahmen zum Erfüllungsanspruch und die fehlende Nachfristpflicht für jegliche Form des Schadensersatzanspruchs aber auf letzteren gelegt. Ob die systematischen Unterschiede im Lichte des Art. 9:102 Abs. 2 PECL oder Art. III.-3:302 DCFR in ihren praktischen Auswirkungen wirklich erheblich sind, mag daher bezweifelt werden. Während im civil law dem Vorrang der Naturalerfüllung eine besondere Bedeutung zukommt und er in vielen Systemen als „Rückgrat der Obligation“211 gilt, steht er nach den Principles also weitgehend gleichberechtigt neben dem Schadensersatzanspruch.212 Ein Vorrang wie im deutschen Recht, das dem Gläubiger gem. § 281 Abs. 1 und 323 Abs. 1 BGB bei jeder grundsätzlich behebbaren Vertragsstörung prinzipiell erst nach Nachfristsetzung weitere Rechtsbehelfe eröffnet und dem Schuldner ein Recht zur zweiten Andienung gibt, ist PECL und DCFR unbekannt. 213 Auch das CESL folgt hier der PECL und DCFR-Systematik. Die den obligatorischen Vorrang des Erfüllungsanspruchs ablehnende Lösung wird vielfach positiv bewertet, da ein Vorrang gerade bei internationalen Verträgen wirtschaftlich nicht vertretbar sei und eine sofortige Schadensersatzoption die praktikablere und flexiblere Lösung biete.214 Andererseits kann ein uneingeschränktes Wahlrecht des Gläubigers für den säumigen Schuldner, der bereits erhebliche Aufwendungen zur Leistung getroffen hat, zu einer prekären Situation führen, da er bei einem Schadenser211
STOLL, JZ 2001, S. 589 (590); SCHWENZER, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37 (40). 212 So heißt es in Art. 7.2.2 UPICC: „[…] the other party may require performance […]“, in Art. 9:102 Abs. 1 PECL: „The aggrieved party is entitled to specific performance […].“ 213 Zur Figur der cure siehe aber sogleich unter III 2. 214 So natürlich die Ansicht der common lawyers: FARNSWORTH, Am.J.Comp.L. 27 (1979), S. 247 (249 ff.).
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satzverlangen zudem seinen Geschäftsgewinn verliert. PECL und DCFR sehen daher nachfolgend untersuchte Korrekturen dieses Gläubigerwahlrechts vor, die teils auf Initiative des Schuldners, teils auf der des Gläubigers beruhen, jedoch dem gesetzlich geschaffenen Interessenausgleich des deutschen Rechts nachstehen. III. Eingeschränkter Vorrang durch schuldnerschützende Korrektive 1. Auf Initiative des Gläubigers a. Nachfrist als reine Option Im deutschen Recht spielt die Nachfrist sowohl als Voraussetzung der Vertragsaufhebung als auch des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung eine zentrale Rolle und normiert so indirekt den Vorrang des Erfüllungsanspruchs.215 Der Gläubiger ist dort prinzipiell verpflichtet, dem Schuldner über den eigentlichen Leistungstermin hinaus noch eine „Gnadenfrist“ zur Erfüllung zu gewähren, es sei denn, die Leistung konnte ausdrücklich nur bis zu einem bestimmten Termin erfolgen oder es liegen andere Gründe vor, die nach Abwägung sofort schwerwiegendere Rechtsbehelfe erfordern.216 Ganz anders PECL und DCFR. Dem Ausgleich zwischen dem Leistungserbringungsinteresse des Schuldners und dem Liquidationsinteresse des Gläubigers tragen sie primär dadurch Rechnung, dass sie eine Vertragsaufhebung nur im Fall einer wesentlichen Nichterfüllung gewähren. Das Rechtsinstitut der Nachfrist hat in den europäischen Regelwerken jedoch auf der Basis des Grundsatzes von Treu und Glauben217 gleichwohl Berücksichtigung gefunden. Nach Art. 8:106 Abs. 1 PECL und Art. III.-3:103 Abs. 1 DCFR wird dem Gläubiger wie auch in Art. 7.1.5 Abs. 1 UPICC die Option eingeräumt, dem Schuldner eine formlose Nachfrist zu gewähren.218 Dies ist grundsätzlich bei jeder Art der Nichterfüllung möglich, so auch bei der Schlechterfüllung und der verzögerten Erfüllung von Nebenpflichten219 und prinzipiell bei nicht wesentlichen wie bei wesentlichen Vertragsverletzungen. Zwar hat der Gläubiger im letzten Fall grundsätzlich gemäß Art. 9:301 Abs. 1 PECL und Art. III.-3:502 DCFR das Recht zur direkten Vertragsaufhebung auch ohne Nachfristsetzung, allerdings mag in der Praxis häufig dennoch ein Interesse am Erhalt der Leistung und indirekt an der Bewahrung eines guten Geschäftskontakts mit dem Schuldner bestehen, wenn 215
Vgl. etwa § 281 Abs. 1, § 323 Abs. 1 BGB. Vgl. § 323 Abs. 2 und § 281 Abs. 2 BGB. 217 Art. 1:201 Abs. 1 PECL. 218 Der Begriff „Nachfrist“ ist dort sogar ein terminus technicus. Hierauf weist hin Staudinger/OTTO, 2004, § 323 BGB Rn. A 13. 219 Art. 8:106 Abs.1 PECL „in jedem Fall einer Nichterfüllung“; SCHWENZER, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 40. 216
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diese in absehbarer Zeit erfolgt. Die Entscheidung bleibt nach den PECL und den UPICC allein dem Gläubiger überlassen. Er übernimmt das „Management“ der Leistungszeit.220 Ist eine Nachfrist einmal gesetzt, schützt sie den erfüllungsbereiten Schuldner davor, dass seine Erfüllungsbestrebungen durch einen unerwarteten Gläubigerverzicht auf die Leistung vereitelt werden.221 Ein Gläubiger, der eine Nachfrist setzt, bekundet sein Interesse an der Erfüllung des Vertrages und muss konsequenterweise während des Fristlaufs zur Annahme der Leistung bereit bleiben.222 Während des Fristlaufs stehen ihm daher auch andere Rechtsbehelfe als (Verzögerungs)-Schadensersatz oder der Ersatz sonstiger durch die Nichtleistung kausal verursachter Schäden sowie die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts nicht zu.223 Die Optionalität der Nachfristsetzung des Gläubigers wird bei wesentlicher Vertragsverletzung auch in Anbetracht der Fristlänge konsequent durchgehalten. Denn es bleibt dem Gläubiger dann nicht nur überlassen, ob er dem Schuldner ein Recht zur Leistung gewährt, sondern prinzipiell auch, wie viel Spielraum zur nachträglichen Leistungserbringung er ihm überlassen will. Da der Gläubiger auf die Nachfrist je nach Interessenlage auch völlig verzichten könnte, ist er in der Angabe der Zeitspanne, innerhalb der zu leisten ist, völlig frei. In dieser Konstellation fehlt die aus nationalem Recht und Art. 47 Abs. 1 CISG bekannte Formulierung der „angemessenen Nachfrist“. Ob er bei einer wesentlichen Vertragsverletzung gleich auf seinem Aufhebungsrecht besteht oder dem Schuldner wegen fortbestehenden Interesses an der Leistung noch einige Stunden, Tage oder Wochen zur Nacherfüllung gewährt, obliegt allein dem Gläubiger, da die Nachfristsetzung dann an der Palette möglicher Rechtsfolgen nichts ändert, sondern diese nur suspendiert werden. Im CESL fehlt eine entsprechende Vorschrift. Die Nachfrist wird dort in Art. 115 Abs. 1 und 2 nur im Rahmen der Vertragsaufhebung wegen einer Verzögerung der Leistung erwähnt, die nicht bereits als solche wesentlich ist. Die fehlende Nachfristsetzungsmöglichkeit bei unwesentlicher Schlechtleistung wird durch Art. 111 Abs. 2 CESL geschlossen, der bei Verbraucherverträgen eine angemessene Frist von bis einschließlich 30 Tagen für eine Reparatur oder Ersatzlieferung vorsieht. Damit wird in Schlechtleistungsfällen, die
220
CARRASCO PERERA, ZEuP 2006, S. 552 (571). MÜLLER-CHEN, Folgen der Vertragsverletzung, S. 202. 222 LANDO/BEALE, zu Art. 8:106, S. 453. Der Gläubiger darf keine Vertragsaufhebung erklären, selbst wenn die Nichterfüllung wesentlich ist. Diese steht dem Gläubiger nur dann offen, wenn die gesetzte Nachfrist abgelaufen ist oder der Schuldner während des Laufs der Nachfrist mitteilt, dass er die Leistung innerhalb der Frist nicht vertragsgemäß erfüllen wird, oder er sie bei Fristablauf nicht vertragsgemäß erfüllt hat. 223 Art. 8:106 Abs. 2 PECL, Art. III.-3:103 Abs. 2 DCFR und Art. 7.1.5 Abs. 2 UPICC. 221
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nicht zur Vertragsaufhebung berechtigen, ein gesetzlicher Zeitrahmen zur Nacherfüllung vorgesehen. b. Nachfrist als Vorstufe eines zusätzlichen Rechtsbehelfs Besonderheiten hinsichtlich der Nachfrist gelten allerdings im Fall der nichtwesentlichen Leistungsverzögerung. Die Nachfrist spielt bei Säumnis des Schuldners eine wichtige Rolle, denn hier und nur hier gibt sie dem Gläubiger nach fruchtlosem Ablauf der Frist gem. Art. 9:301 Abs. 2, 8:106 Abs. 3 PECL, Art. III.-3:503 Abs. 1 DCFR auch bei nichtwesentlicher Leistungsverzögerung einen zusätzlichen Rechtsbehelf.224 Dem folgt auch Art. 115 Abs. 1 und 2 CESL. Der Gläubiger hat dann ein Recht zur Vertragsaufhebung, wenn der Schuldner nach fruchtlosem Ablauf einer Nachfrist nicht leistet.225 Zugleich entspricht die Nachfristgewährung an einen säumigen Schuldner internationaler Vertragspraxis.226 Die Schaffung eines zusätzlichen Rechtsbehelfs nach fruchtlosem Fristablauf ist zugleich mit besonderen Anforderungen an die Fristlänge verbunden. Während Art. 8:106 Abs. 1 PECL, Art. III.-3:103 Abs. 1 DCFR und Art. 7.1.5 Abs. 1 UPICC an sich keine zeitliche Länge der Nachfrist vorschreiben, hat die Frist hinreichend bestimmt227 und von angemessener Länge zu sein. Auch dies ist wiederum konsequent, denn die Nachfristsetzung löst in diesem Fall weiterreichende rechtliche Konsequenzen aus. Sie sorgt dafür, dass eine nicht wesentliche Vertragsverletzung zur wesentlichen wird und dem Gläubiger ein zusätzlicher Rechtsbehelf zur Verfügung steht. Im CESL ergibt sich dies aus Art. 115 Abs. 1 und 2. Umstände, die den unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ konkretisieren, sind die vertraglich vorgesehene Leistungszeit, das Interesse des Gläubigers an rascher Erfüllung, die Natur der Leistung und die Gründe für die Nichtleistung.228 In Fällen, in denen ein bekanntermaßen ohnehin kompliziert zu beschaffendes Gut aufgrund von Transportschwierigkeiten, wegen Umwelteinflüssen oder Streik noch nicht beim Schuldner ankam, wird die Nachfrist entsprechend großzügiger bestimmt werden müssen als in Fällen, in welchen die Leistungszeit kurz war und der Schuldner seine vertragliche 224
Vgl. auch Art. 7.3.1 Abs. 3, 7.1.5 Abs. 3 UPICC. Vgl. zu Art. 49 Abs. 1 lit. b CISG auch die Entscheidung des OLG Hamburg, 28.2.1997, 1 U 167/95, und Schlechtriem/Schwenzer/MÜLLER-CHEN, Kommentar zum einheitlichen UN-Kaufrecht (CISG), Art. 49, Rn. 5. 226 Vgl. zur Praxis in internationalen Vertragsgestaltungen: VAN DER MERSCH/PHILIPPE, in FONTAINE/VINEY, S. 701 (704 und 705 f.). 227 LANDO/BEALE, zu Art. 8:106, S. 453. 228 LANDO/BEALE, zu Art. 8:106, S. 454. Vgl. auch Art. 1:302 PECL und die Begriffsdefinition in Annex I des DCFR, S. 340. 225
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Verpflichtung „übersehen“ hat.229 Allerdings ist die Frist nach dem Wortlaut allein Voraussetzung für die Vertragsaufhebung, nicht auch für Schadensersatzansprüche.230 Hierauf wird an späterer Stelle noch zurückzukommen sein.231 2. Auf Initiative des Schuldners: cure Dem Grundsatz des favor contractus und ökonomischen Erwägungen folgen die Principles in Art. 8:104 PECL, 232 der ähnlich wie Art. 34, 37, 48 CISG und Art. 7.1.4 UPICC zugleich den nichterfüllenden Schuldner schützen soll.233 Art. 8:104 PECL gestattet der nichtleistenden Partei die Möglichkeit der cure, der Heilung ihrer Nichterfüllung durch ein vertragsgerechtes Leistungsangebot, und zwar aus eigener Initiative der vertragsbrüchigen Partei. Die Regelung der cure scheint angesichts der bisher gesehenen relativ weitreichenden Gläubigerfreiheiten bei der Wahl von Rechtsbehelfen unter den Principles zunächst paradox: Da cure nicht nur vor, sondern gerade auch nach Fälligkeit möglich sein soll, soweit das Heilungsangebot durch den Schuldner ergeht, bevor die Verzögerung der vertragsgemäßen Erfüllung zu einer wesentliche Nichterfüllung i.S.d. Art. 9:301 Abs. 1, 8:103 PECL wird, kann der Schuldner nach und trotz einer bereits vorliegenden Nichterfüllung dem Gläubiger die Naturalerfüllung aufzwingen. Die Regelung überrascht insofern, als sie den Grundsätzen des Nichterfüllungsrechts zuwiderzulaufen scheint: Der vertragsbrüchige Schuldner soll ein Recht bekommen, seinen Fehler durch Erbringung der Leistung wie ursprünglich geschuldet wiedergutzumachen. Fragen zum Verhältnis zur Vertragsaufhebung oder zu Art. 9:102 Abs. 2 lit. d zu 7:102 (3) PECL drängen sich auf. Im Zusammenhang mit der Verzögerung der Leistung scheint die PECLNorm zur cure zunächst irrelevant zu sein. Ihr Anwendungsbereich ist jedoch mehr als unklar. Gedacht ist die Vorschrift zweifelsohne für die Schlechtleistung, denn in Art. 8:104 PECL heißt es, das Recht zur cure habe eine Partei, deren Angebot der Leistung durch die andere Partei als nicht vertragsgerecht zurückgewiesen worden ist. Die Regelung ist im Wesentlichen dem US-ame229
Vgl. zu den Beispielen: LANDO/BEALE, zu Art. 8:106, S. 454. Hier liegt ein entscheidender Unterschied zum deutschen Recht, das auch in § 281 Abs. 1 BGB den Vorrang der Naturalerfüllung fordert. 231 Vgl. unten unter IV 2. 232 Art. 8:104 PECL lautet: „Eine Partei, deren Angebot der Leistung durch die andere Partei als nicht vertragsgerecht zurückgewiesen wird, kann ein neues, vertragsgerechtes Angebot machen, wenn die Leistung noch nicht fällig oder die Verzögerung nicht derart ist, dass sie eine wesentliche Nichterfüllung darstellt.“ 233 Vgl. zur CISG auch MAGNUS, RabelsZ 59 (1995), S. 469 (477); AUDIT, La vente internationale des marchandises, S. 51; FARNSWORTH, in SWISS INSTITUTE OF COMPARATIVE LAW, The 1980 Vienna Convention on the International Sale of Goods, S. 84 ff.; VAN HOUTTE/WAUTELET, I.B.L.J. 2001, S. 293 (302). 230
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rikanischen Recht234 entlehnt, das die cure erstmals in § 2-508 UCC kodifizierte.235 Sie übernimmt auch den Gedanken von § 34 des schwedischen und § 49 des dänischen Kaufgesetzes, welche ein Recht auf Heilung gestatten, wenn diese bewirkbar ist, bevor der Verkäufer wegen Verzugs zur Vertragsaufhebung berechtigt ist. Auch Art. 37 und 48 CISG dienten als Vorbild, die ebenfalls eine Heilungsmöglichkeit nach Fälligkeit einräumen. Anders als die CISG oder die UPICC sprechen die PECL nicht von der cure im Hinblick auf any non-performance oder any failure to perform,236 so dass der Bezug zur reinen Verzögerung der Leistung in den PECL nicht herstellbar scheint. Streng genommen wäre die einmal eingetretene Leistungsverzögerung ohnehin ein nicht mehr „heilbarer“ Defekt – die logische Konsequenz dessen, dass ein verstrichener Leistungszeitpunkt an sich nicht „repariert“ werden kann.237 In Art. III.-3:201 DCFR heißt es unklar: „This section applies where a debtor’s performance does not conform to the terms regulating the obligation.” Im Folgenden ist dann nur noch von „lack of conformity“ die Rede.238 Das CESL stellt in Art. 109 deutlicher auf eine nicht vertragsgemäß „erfolgte Leistung“ ab. Erfolgt diese vorzeitig, „darf“ der Verkäufer sie erneut anbieten. Andernfalls „kann“ er unverzüglich nach seiner Unterrichtung über die Vertragswidrigkeit die Heilung auf eigene Kosten anbieten. Die Möglichkeiten des Käufers, ein Angebot der cure zurückzuweisen, sind ähnlich wie in Art. III-3:203 DCFR beschränkt, allerdings deckt sich die Vorschrift nicht völlig mit Art. 109 Abs. 4 CESL. In der CISG scheint der Anwendungsbereich der Norm klarer. Nach Art. 48 Abs. 1 CISG kann der Verkäufer jeden Mangel in der Erfüllung seiner Pflichten auch nach dem Liefertermin auf eigene Kosten beheben, wenn dies keine unzumutbare Verzögerung nach sich zieht und dem Käufer weder unzumutbare Unannehmlichkeiten noch Ungewissheit über die Erstattung seiner 234
„Liberty to cure is recognised in the United States […] The effect of the rule is that, in general, cure is still permitted even after the time fixed by the contract for performance, provided that time was not of the essence of the contract, and that the delay was not so long as of itself to constitute a serious breach. These rules are based on the assumption that a breach has occurred which would, if not cured, justify termination: but that the breach can be cured, even after the time for performance. If such cure remains possible or is actually effected, the aggrieved party is not entitled to terminate, though his right to damages for delay is not affected.“ TREITEL, Remedies for breach of contract, § 276, S. 371; siehe auch Borrowman, Phillips & Co. v. Free & Hollis (1878) 4 Q.B.D. 500. Im englischen Recht besteht diesbezüglich größere Zurückhaltung, siehe AHDAR, (1990) LMCLQ 364; GÄRTNER, in Pace Review of the Convention of Contracts for the International Sale of Goods (CISG), S 59 ff.; YOVEL, http://www.cisg.law.pace.edu/cisg/biblio/yovel48.html. 235 Honsell/MAGNUS, Kommentar zum UN-Kaufrecht, Art. 37 Rn. 1. 236 So Art. 48 CISG und Art. 7.1.4 Abs. 1 UPICC. 237 UPICC, Kommentar 1 zu Art. 7.1.5. 238 Vgl. Art. III.-3:202 Abs. 2 DCFR.
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Auslagen durch den Verkäufer verursacht. Auch die Leistungsverzögerung soll hiervon umfasst sein.239 Dem widerspricht auch Art. 37 CISG nicht, der nur von „lack of conformity“ spricht, weil er sich auf die Zeit vor Fälligkeit bezieht, in der eine verzögerte Leistung denknotwendig ausgeschlossen ist. Der weitere Begriff in Art. 48 CISG sollte gerade jede Art der Nichterfüllung umfassen, nicht nur Sach- oder Rechtsmängel.240 Dies gilt jedoch nur „vorbehaltlich des Art. 49 CISG“, der die Bedingungen der Vertragsaufhebung regelt. Sie steht dem Gläubiger bei wesentlicher Vertragsverletzung offen – bei Säumnis also, wenn „time is of the essence“ gilt, oder bei einer durch erfolglose Nachfristsetzung wesentlich gewordenen Säumnis.241 Dies deckt sich auch mit Art. 48 CISG, der nur im Fall „nicht unzumutbarer Verzögerung“ greift. Die Formulierung „vorbehaltlich“ steht einer Interpretation entgegen, der cure Vorrang gegenüber der Vertragsaufhebung einzuräumen,242 sondern spricht für ein Entfallen der Heilungsmöglichkeit, wenn der Gläubiger zur Vertragsaufhebung berechtigt ist. Dies folgt zugleich aus Art. 48 Abs. 2 und 3 CISG, wonach der Gläubiger grundsätzlich frei ist, ein cure-Angebot des Schuldners abzulehnen und auf seine Vertragsaufhebungsmöglichkeit zurückzugreifen. Allerdings gewährt Art. 48 Abs. 2 CISG dem Schuldner jedenfalls die Möglichkeit, die Leistung nachträglich anzubieten. Die Initiative zur Nachleistung kann damit vom Schuldner ausgehen. Er hat dann den Gläubiger darauf hinzuweisen, dass er die Leistung noch erbringen wolle und eine Reaktion des Gläubigers erwartet. Hierfür soll nach Art. 48 Abs. 3 CISG auch die bloße Anzeige des Leistungsvorhabens des Schuldners an den Gläubiger genügen. Dies schützt den Schuldner insoweit, als das Schweigen des Gläubigers zur Suspension von Rechtsbehelfen führt: Weder die Vertragsaufhebung noch ein Deckungsgeschäft sind hier möglich, da dies mit der Erfüllung durch den Schuldner i.S.d. Art. 48 Abs. 2 CISG unvereinbar wäre. Aus den vorgestellten Regelungen wird die besondere Bedeutung der Mitteilungspflichten deutlich: „As cure is inherently uncertain the buyer needs a clue to rely on.“243 Art. 48 Abs. 1 CISG, nach welchem cure nur dann möglich ist, wenn sie keine unzumutbare Verzögerung nach sich zieht und dem Käufer weder unzu-
239
Bei Ablauf des Liefertermins (z.B. 1.6.) findet Art. 48 Abs. 1 CISG bei nachträglicher Lieferung (im Bsp. 15.6.) Anwendung, obwohl die Nacherfüllung (im Bsp. Leistung zum 1.6.) an sich ausgeschlossen ist, BRUNNER, UN-Kaufrecht, Art. 48 Rn. 2; Schlechtriem/ HUBER, Kommentar zum Einheitlichen UN Kaufrecht, Art. 48 Rn. 1, 4. 240 Sekretariatskommentar zum New Yorker Entwurf des CISG von 1978, http://www. cisg-online.ch/cisg/materials-commentary.html, Art. 44 Rn. 12. 241 BRUNNER, UN-Kaufrecht, Art. 48 Rn. 2, Art. 49 Rn. 4, 7 ff. 242 So HONNOLD, kritisiert von YOVEL, siehe http://www.cisg.law.pace.edu/cisg/biblio/ yovel48.html, S. 6. 243 KELLER, http://cisgw3.law.pace.edu/cisg/principles/uni37.html, S. 3.
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mutbare Unannehmlichkeiten244 noch Ungewissheit über die Erstattung seiner Auslagen durch den Verkäufer245 verursacht, gewährleistet die Abwägung der Interessen von Gläubiger und Schuldner im jeweiligen Einzelfall. Eine noch detailliertere Lösung zur cure enthalten die UPICC: Auch dort erstreckt sich die Heilungsmöglichkeit auf „any non-performance.“ Die Regelung der UPICC unterscheidet sich von der CISG jedoch sowohl im Hinblick auf die Mitteilungspflichten als auch auf die für die Zulässigkeit zu beachtenden Abwägungselemente sowie im Hinblick auf das Verhältnis zur Vertragsaufhebung. Nach den UPICC reicht es, wenn der Schuldner die Absicht der Nachleistung unverzüglich anzeigt und die vorgesehene Weise und deren zeitlichen Ablauf mitteilt, ohne dass der Gläubiger zur Reaktion aufgefordert werden müsste. Die Nachleistung ist umgehend vorzunehmen,246 dem Schuldner verbleibt daher weniger zeitlicher Spielraum als nach der CISG, die eine angemessene Frist erlaubt. Die objektiven und subjektiven Abwägungselemente, die für oder gegen die cure sprechen, sind in den UPICC präziser formuliert. Insgesamt scheint sie nur unter ausgesprochen strengen Bedingungen möglich. Objektiv muss die Nachleistung geeignet sein, die Nichterfüllung zu heilen, was sich je nach den Umständen des Vertrages und der Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Nachleistung bemisst, sowie nach Art. 7.1.4 Abs. 1 lit. b UPICC247 danach, ob die Verzögerung, die durch die cure eintreten wird, selbst eine wesentliche Nichterfüllung darstellen würde. Bei Fixgeschäften ist eine Heilung danach genauso wenig möglich, wie in Fällen, in welchen die Heilungsdauer den Rahmen des Art. 7.1.5 Abs. 3 UPICC sprengen würde. Als subjektives Element kommt in Art. 7.1.4 Abs. 1 lit. c UPICC hinzu, dass die benachteiligte Partei kein berechtigtes Interesse an der Zurückweisung der Nachleistung haben darf, was etwa der Fall sein kann, wenn die cure nur in einer Teilerfüllung bestehen oder anderweitigen Schaden verursachen würde.248 Entstandener Verzögerungs- und sonstiger Schaden wird dem Gläubiger über Art. 7.1.4 Abs. 5 UPICC ersetzt. Zu seiner Sicherheit gewährt ihm Art. 7.1.4 Abs. 4 UPICC ein spezielles Zurückbehaltungsrecht. Die cure setzt sich zudem in den UPICC anders als in der CISG auch gegen die Vertragsaufhebung durch: Gem. Art. 7.1.4 Abs. 2 UPICC wird das 244
Z.B. lange Lagerung bei bereits gelieferten, aber nicht vertragsgemäßen Gütern. Wenn etwa keine Sicherheiten hinsichtlich der Zahlung von Schadensersatz für im Zusammenhang mit der cure entstandene Verzögerungsschäden geleistet werden kann, AUDIT, La vente internationale des marchandises, n° 132. 246 Art. 7.1.4 Abs. 1 lit. d UPICC: „cure is effected promptly.“ 247 UPICC, Kommentar 3 zu Art. 7.1.4. 248 UPICC, Kommentar 4 zu Art. 7.1.4. 245
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Recht auf Nachleistung durch eine Vertragsaufhebungserklärung nicht ausgeschlossen. Die Vertragsaufhebung wird in ihrer Wirkung durch eine wirksame Anzeige der Nachleistung für die Dauer der Nachleistungsfrist wie alle anderen der Erfüllung durch den Schuldner entgegenstehenden Rechtsbehelfe suspendiert. Über Art. 48 CISG hinaus kann die Anzeige der Nachleistung selbst nach der Vertragsaufhebungserklärung ergehen. Die UPICC schaffen hierdurch eine sehr weitreichende Möglichkeit des Schuldners, trotz seiner Nichterfüllung seine Leistung doch noch zu erbringen. Für den Gläubiger bedeutet dies allerdings eine Ungewissheit, ob seine einmal erklärte Vertragsaufhebung definitiv ist oder wegen einer Nachleistung durch den Schuldner obsolet wird. Die PECL und der DCFR scheinen die cure als Schuldnerschutzelement vielleicht auch deshalb bewusst nicht auf die Verzögerung der Leistung zu erstrecken. Unklarheiten ergeben sich jedoch aus der Kommentierung der PECL. Nach dieser soll Art. 8:104 PECL auch Fälle umfassen, in welchen ein Schuldner seine Leistung nicht zur Gänze rechtzeitig erbracht hat. Die Norm soll also auch auf Fälle teilweiser Nichtleistung Anwendung finden. Auch hier scheint also jedenfalls bei Verzögerung von Teilleistungen zu gelten: „[The debtor] can take the initiative by himself giving a notice specifying an extended period of time.“249 Ein Schuldner, der die Fertigstellung eines Werks bis zum 1.3. versprach und an diesem Tag bestimmte Teile der Arbeit noch nicht erledigt hat, soll etwa seine fehlenden Leistungen in Anwendung von Art. 8:104 PECL noch erbringen dürfen, soweit es sich nicht um ein Fixgeschäft handelt und solange noch keine Nachfrist durch den Gläubiger gesetzt wurde und erfolglos verstrichen ist.250 Erst dann könnte dem Schuldner nur noch auf Initiative des Gläubigers geholfen werden, was aber in der Regel nicht dessen Interessenlage entsprechen wird. Für eine Anwendung des Art. 8:104 PECL auf Fälle der Leistungsverzögerung spricht im Übrigen auch die Regelung des Art. 9:303 Abs. 3 a und b PECL, da sie gerade auf der Idee basiert, dass die nichtleistende Partei erst nach Fälligkeit ihre Leistung erstmals anbietet. Aufgrund des anderslautenden Normtextes ist es indes weitgehend Spekulation, ob Art. 8:104 PECL auch einem säumigen Schuldner die Möglichkeit gibt, aus eigener Initiative dem Gläubiger seine verspätete Leistung nach249
TREITEL, Remedies for breach of contract, § 276, S. 373; vgl. auch UPICC, Kommentar 1 zu Art. 7.1.4. 250 So auch YOVEL, http://www.cisg.law.pace.edu/cisg/biblio/yovel48.html, S. 5, der sich die Frage stellt: „Is the right to cure under Art. 8:104 reserved to cases where some performance was tendered as opposed to total failure to perform?” und zu dem Schluss kommt „[…] for the time being and until tribunals and cases offer casuistic constructions of Art. 8:104 the conclusion should be that there is no essential difference between ‘tender nonconforming to the contract and any failure to perform […]’, the more overt language of the CISG Art. 48(1).“
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träglich anzubieten und die Leistungszeit über den eigentlichen Leistungszeitpunkt hinaus auszudehnen. Eine Klarstellung des Wortlauts oder zumindest des Kommentars hierzu wäre sinnvoll. Dies gilt auch für den Kommentar zum DCFR. Über das Verhältnis zwischen cure und Vertragsaufhebung in den PECL lassen sich aus Art. 9:303 Abs. 3 PECL zumindest folgende Schlüsse ziehen: In dessen lit. a liegt ein Element der Rechtssicherheit für den Schuldner: Der Gläubiger müsste, wenn ihm die Leistung bei Fälligkeit nicht angeboten wurde, trotz Vorliegen der Voraussetzungen der Vertragsaufhebung eine Aufhebungserklärung zwar nicht sofort abgeben, jedenfalls aber binnen angemessener Frist, wenn ein verspätetes Angebot der Leistung erfolgt, andernfalls verliert er sein Aufhebungsrecht. Der Schuldner soll möglichst rasch erfahren, welche Rechtsbehelfe der Gläubiger ergreift, um seine eigene Geschäftstätigkeit daran ausrichten zu können. Da nach Art. 9:303 Abs. 3 lit. a PECL ein erfolgtes Nachleistungsangebot des Schuldners die Vertragsaufhebung nicht suspendiert, kommt der Mitteilung der Nachleistungsabsicht eine besondere Bedeutung zu. Weiß der Gläubiger jedoch, oder hat er jedenfalls Grund zu wissen, dass die Leistung des Schuldners binnen angemessener Frist doch noch angeboten, die Nichterfüllung also geheilt werden wird, muss er umgehend reagieren und dem Schuldner mitteilen, dass er die Leistung nicht annehmen wird. Andernfalls wird der in angemessener Frist nachleistende Schuldner geschützt und dem Gläubiger die Aufhebung des Vertrags versagt. Sinnvoll ist die Vorschrift nur bei wesentlicher Vertragsverletzung, denn ansonsten hat der Gläubiger ohnehin kein Vertragsaufhebungsrecht. Die PECL hätten so ein ausbalanciertes System entwickelt, bei einer Nichterfüllung die Interessen beider Parteien und den Grundsatz des favor contractus angemessen zu berücksichtigen und beiden Parteien ein Mittel an die Hand zu geben, den Vertrag doch noch wie vereinbart abzuwickeln. Hieran zeigt sich: „Cure and avoidance compete for positions of relative preeminence in the same normative space, while each is operated by a different party.”251 Unklar bleibt allerdings, ob der Gläubiger noch eine Nachfrist setzen muss, wenn der Schuldner binnen einer von ihm selbst vorgeschlagenen Frist die Heilung der Nichterfüllung ankündigt und die Leistung innerhalb dieser Frist tatsächlich nicht erbringt. Gegen eine nochmalige Frist spricht Art. 8:106 Abs. 3, der von „Gewähren“ und nicht „Setzen“ der Nachfrist“ spricht und nach welchem es damit irrelevant sein müsste, von wem diese Frist initiiert wurde. Hier wird time of the essence sein und eine sofortige Vertragsaufhebung nach Ablauf der vom Schuldner selbst gesetzten Frist zur cure ermöglicht, wobei stets das Kriterium der Angemessenheit zu beachten ist. Damit wird deutlich, dass Nachfrist und cure eigentlich zwei Seiten derselben Mün251
YOVEL, http://www.cisg.law.pace.edu/cisg/biblio/yovel48.html, S. 3.
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ze252 sind und neben ökonomischen Erwägungen dem Grundsatz von Treu und Glauben zwischen den Vertragsparteien entspringen und dem Gleichgewicht ihrer Interessen dienen. Im Ergebnis kommen die UPICC im Hinblick auf die Handlungsoptionen des Schuldners der kontinentalen Tradition näher als die an diesem Punkt sehr unklaren PECL, als der DCFR und selbst die CISG. Durch die Suspendierung der Vertragsaufhebung bei angebotener cure räumen sie faktisch der Leistung den Vorrang ein. Allerdings tun sie dies regulativ in einer Weise, die dem Gläubiger zum Nachteil gereichen kann, weil seine Vertragsaufhebungserklärung noch durch spätere cure suspendiert werden könnte. Dem Erfüllungsanspruch kommt damit jedenfalls in den UPICC tatsächlich ein weitergehender Vorrang zu, als man es zunächst vermuten mag. IV. Ökonomisches System einseitiger Rechtsbehelfe Eine wichtige Rolle bei der Verzögerung der Leistung spielen in der Praxis zwei Reaktionsmöglichkeiten des beschwerten Vertragsteils: Einerseits soll sich der Gläubiger eines unzuverlässigen Schuldners seine eigenen Mittel durch Zurückhaltung der Gegenleistung bewahren können. Wurde die Gegenleistung schon erbracht und möchte der Gläubiger sich vom Vertrag mit einem säumigen Schuldner lösen, soll er diese andererseits zügig zurückerlangen und seine Mittel anderweitig einsetzen können. PECL und DCFR gewähren dem Gläubiger weitreichende Möglichkeiten, einseitige Maßnahmen zur weiteren Gestaltung eines durch eine Leistungsverzögerung gestörten Rechtsverhältnisses zu ergreifen. Sie drängen hierdurch nicht nur die Rolle des Schuldners, sondern vor allem auch die Rolle des Richters in den Hintergrund. „Ils promeuvent l’unilatéralisme.“253 Angesichts der Realitäten des Wirtschaftslebens und aus Praktikabilitätserwägungen sollen einseitige Eingriffsmöglichkeiten des Gläubigers erleichtert werden und der Schutz der Schuldnerinteressen durch richterliche Intervention in den Hintergrund treten.254 Dieses System wird auch vom CESL übernommen. 1. Zurückbehaltungsrecht Dass dem Gläubiger im Fall der Nichterfüllung durch den Schuldner gemäß Art. 9: 201 Abs. 1 PECL, Art. III.-3:401 DCFR, Art. 113 CESL und Art. 7.1.3 UPICC eine einseitige Gestaltungsmöglichkeit in Form eines Zurückbehaltungsrechts der eigenen Leistung eingeräumt wird, bis der Schuldner die 252
Vgl. YOVEL, http://www.cisg.law.pace.edu/cisg/biblio/yovel48.html, S. 4. ROCHFELD, in RÉMY-CORLAY/FENOUILLET, S. 213 (217). 254 JAMIN, in DE VAREILLES-SOMMIÈRES, S. 42 und ROCHFELD, in RÉMY-CORLAY/ FENOUILLET, S. 213 (216) sprechen sogar von einer „choix axiologique“ des Vertragsaufhebungsregimes. 253
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Leistung angeboten oder erbracht hat, ist im Lichte nationaler Rechtsordnungen eine noch wenig überraschende Ausprägung des Unilateralismus. Die Regelungen in PECL, DCFR und CESL sind hier jedoch präziser als Art. 7.1.3 UPICC. Bei gleichzeitiger Leistungspflicht kann eine Vertragspartei die eigene Leistung zurückhalten, bis die andere ihre Leistung angeboten oder erbracht hat. Ob sich das Zurückbehaltungsrecht des Gläubigers auf die Leistung insgesamt bezieht, hängt davon ab, ob ein lediglich teilweises oder ein vollständiges Zurückbehalten in Anbetracht der Umstände des Vertrages angemessen erscheint.255 Diese Regelung verhindert ein unverhältnismäßiges Zurückhalten der eigenen Leistung, wenn der Schuldner etwa teilweise leistet. Das Zurückbehaltungsrecht stellt zugleich eine Vorstufe zur Vertragsaufhebung dar. Da es sich jeweils um einseitige Rechtsbehelfe handelt, besteht zwischen ihnen ein fließender Übergang von der vorübergehenden Suspendierung der eigenen Leistung mittels Zurückbehaltungsrechts in eine definitive mittels – auch antizipierter – Vertragsaufhebung.256 Diese mehr graduelle als rechtsqualitative Abstufung überrascht zwar im deutschen Recht wenig, im französischen Recht etwa stellt sich das Verhältnis zur Vertragsaufhebung jedoch ganz anders dar, weil diese dort ex tunc wirkt und prinzipiell nicht einseitig erfolgt.257 Das Zurückbehaltungsrecht kann gem. Art. 9:201 Abs. 2 PECL so lange ausgeübt werden, wie klar ist, dass die Gegenpartei ihre Leistung bei Fälligkeit nicht erbringen wird. Die Formulierung macht zugleich deutlich, dass es auch präventiv geltend gemacht werden kann.258 Im DCFR wird dies in Art. III.-3:401 Abs. 2, im CESL in Art. 133 Abs. 2 deutlich, der das Zurückbehaltungsrecht ausdrücklich bereits dann vorsieht, wenn der Gläubiger vernünftigen Grund zur Annahme hat, der Schuldner werde nicht leisten. In seinem Abs. 3 sieht er in diesem Fall zusätzlich vor, dass der Schuldner hierüber so schnell wie möglich informiert werden muss. Zusätzlichen Schutz erhält der Schuldner durch einen Schadensersatzanspruch bei Verstoß gegen diese Pflicht.259 Die Regelung des Zurückbehaltungsrechts im DCFR ist den anderen Regelwerken durch diese vernünftige Abwägung von Gläubiger- und Schuldnerinteressen überlegen.
255
Art. 9:201 Abs. 1 PECL, Art. III.-3:401 Abs. 4 DCFR und Art. 113 Abs. 3 CESL. Die UPICC gehen hierauf gar nicht ein. 256 Siehe den Vergleich zum französischen Recht bei ROCHFELD, in RÉMY-CORLAY/ FENOUILLET, S. 213 (227 ff.). 257 Siehe Art. 1184 und Art. 1183 Abs. 1 CC. 258 Diese Grundsätze gelten allerdings nicht für eine vorleistungsverpflichtete Partei. Ob ausnahmsweise in Abweichung von der grundsätzlichen gleichzeitigen Leistungspflicht nach Art. 7:104 PECL eine Vorleistungspflicht besteht, ist aus den Umständen des Vertrags zu ermitteln. 259 Art. III.-3:401 Abs. 3 a.E. DCFR.
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In der CISG ist das Zurückbehaltungsrecht nicht geregelt, es wird jedoch als „allgemeines Prinzip des Vertragsrechts“ auch in der Rechtsprechung zur CISG anerkannt.260 2. Vertragsaufhebung Wie bereits angedeutet ist für einige nationale Rechtsordnungen, wie z.B. die französische,261 das System der Vertragsaufhebung in PECL und DCFR ungewöhnlich. Auch das CESL baut auf diesem System auf. Die Vertragsaufhebung liegt allein in den Händen des Gläubigers262 und kann durch rechtsgestaltende Erklärung ohne Eingreifen des Richters bewirkt werden.263 Die Vertragsaufhebung ist nicht nur insofern einseitig, als der Gläubiger sie durch seine Aufhebungserklärung allein steuert, sondern auch deswegen, weil der Schuldner keine Berechtigung hat, den Vertrag aufzuheben, wenn sich die Umstände zu seinen Lasten verändert haben.264 Zwar helfen dem Schuldner neben Ausnahmen vom Erfüllungsanspruch vor allem die hardship-Klauseln der Regelwerke.265 Der Rechtsfolgenkatalog der Vertragsaufhebung in den Art. 9:305 ff PECL, III.-3:502 ff DCFR und 114 ff CESL greift für ihn jedoch nicht. Der DCFR macht dies durch die Bezugnahme auf den Begriff creditor statt a party besonders deutlich. Für den Schuldner gilt pacta sunt servanda in einer verschärften Form. Diesem größeren Unilateralismus wirken neben einer gerichtlichen a posteriori Kontrolle des Gläubigers nur die materiellen Voraussetzungen der Vertragsaufhebung entgegen. Das entscheidende Kriterium ist hier der Begriff der Wesentlichkeit der Nichterfüllung. In diesem Ansatz erinnern PECL, DCFR und CESL an das common law und an Art. 49 Abs. 1 lit. a CISG, da sie nicht auf die Art der Vertragsverletzung oder das Vertretenmüssen des Schuldners abstellen, sondern auf die Bedeutung der Nichterfüllung und auf vertragsökonomische Erwägungen. Überschreitet das Abweichen des Schuldners vom geschuldeten Leistungsprogramm die Schwelle der Wesentlichkeit, wird die Vertragsaufhebung als sofortige, auch antizipierte 260
Siehe ICC, case n° 8547 ; Zurich Chamber of Commerce, case n° 273/95. „[…] les Principes s’inscrivent donc bien dans un mouvement inverse à celui du droit français traditionnel”; ROCHFELD, in RÉMY-CORLAY/FENOUILLET, S. 213 (216). Dies soll sich mit dem Projet Catala ändern, vgl. unten Teil 2, Kap. 7. 262 Vgl. Art. 9:301 Abs. 1 PECL, Art. III.-3:502 Abs. 1 DCFR und 7.3.1. Abs. 1 UPICC. 263 Dem System der Vertragsaufhebung durch einseitige Gestaltungserklärung folgen mittlerweile jedenfalls in Form einer Option die meisten Rechtsordnungen selbst des romanischen Rechtskreises, vgl. etwa den Codice Civile. Siehe auch die kürzliche Abschaffung der richterlichen Vertragsaufhebung in Estland. 264 MÜLLER-CHEN, Folgen der Vertragsverletzung, S. 173; EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution et les principes UNIDROIT, S. 141. 265 Art. 6:111 PECL, Art. III.-1:110 DCFR und Art. 6.2.3 UPICC. 261
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ermöglicht,266 die sich je nach Einzelfall auf den gesamten Vertrag oder auf Teilleistungen erstrecken kann. Das System der PECL, des DCFR und des CESL kennzeichnet damit wie die CISG und die UPICC ein Kernelement: Das Korrektiv der Wesentlichkeit, das sich auf die Bedeutung der Nichterfüllung, nicht auf die Bedeutung der verletzten Pflicht bezieht.267 Die Vertragsaufhebung nach Nachfristsetzung wird lediglich bei einer nicht wesentlichen Leistungsverzögerung des Schuldners vorgesehen. Auch sie ist letztlich nur eine Ausprägung des Grundsatzes, dass allein eine ausreichende Schwere der Leistungsverzögerung die Vertragsaufhebung rechtfertigt. Charakterisiert wird die Schwere der Störung hier durch ihre Dauer, d.h. durch die Betrachtung des Zeitverlaufs. In Konsequenz ihres einheitlichen Nichterfüllungstatbestands folgen die Regelwerke damit auch bei der Vertragsaufhebung unabhängig von der Art und Ursache der Nichterfüllung weitgehend einheitlichen Grundsätzen.268 Nur für die Vertragsaufhebung bei Säumnis des Schuldners sind zwei Fragen relevant: Wann kommt es bei Verzögerung der Leistung bereits bei Verstreichen der Leistungszeit zur Annahme einer wesentlichen Nichterfüllung, die zur sofortigen Vertragsaufhebung berechtigt und wie gestaltet sich letztere, wenn erst eine fruchtlose Nachfristsetzung die Leistungsverzögerung zu einer Vertragsstörung werden lässt, die einer wesentlichen Nichterfüllung gleichsteht? a. Subjektivierter Wesentlichkeitsbegriff Das Kriterium der Wesentlichkeit der Nichterfüllung führt zu Unwägbarkeiten für den Schuldner. Anders als Art. 25 CISG, der primär auf das Interesse des betroffenen Gläubigers abstellt und dies nur durch das Element der Vorhersehbarkeit korrigiert,269 enthalten PECL und DCFR weitere Elemente zur 266
Anders als nationale Systeme, die für diesen Fall häufig keine gesetzliche Regelung bereithalten, sondern Lösungen in der Rechtsprechung entwickelt haben, gestattet Art. 9:304 PECL ausdrücklich die Vertragsaufhebung in antizipierter Form. Vgl. auch Art. 7.3.3 UPICC. 267 Ähnlich die Unterscheidung material term und material breach. Ersterer schreibt sich in die common law Unterscheidung zwischen warranties und conditions ein, letzterer wird insbesondere in Art. 25 CISG verwendet. 268 Ungleich der noch im BGB a.F. gemachten Unterscheidung zwischen mehreren Rücktrittstatbeständen und der Wandelung; ähnlich auch in Art. 108 Abs. 1 OR, 205 Abs. 1 OR und 366 Abs. 1 OR. 269 Art. 25 CISG stellt darauf ab, ob dem Gläubiger im Wesentlichen entgangen ist, was er nach dem Vertrag erwarten durfte; vgl. hierzu Staudinger/MAGNUS, Art. 49 CISG, Rn. 13; SCHLECHTRIEM/SCHWENZER/MÜLLER-CHEN, CISG, Art. 49, Rn. 6. Die Wesentlichkeit entfällt dann, wenn der Schuldner diese Folge seiner Nichterfüllung nicht vorausgesehen hat bzw. wenn eine vernünftige Person der gleichen Art diese Folge unter den gleichen Umständen nicht hätte voraussehen können. Art. 10 EKG hatte eine noch subjektivere Textfassung und lautete: „Eine Vertragsverletzung wird im Sinne dieses Gesetzes immer dann als wesent-
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Konkretisierung einer wesentlichen Nichterfüllung, die eher von subjektiven als objektiven Kriterien geprägt sind. Hierbei stimmen die Konzeption und Definition der Wesentlichkeit in Art. 8:103 PECL, III.-3:502 Abs. 2 DCFR, 87 Abs. 2 CESL und 7.3.1 Abs. 2 UPICC allerdings nicht ganz überein. Während die PECL die drei nachfolgend skizzierten Szenarien nennen, die zu einer wesentlichen Nichterfüllung führen, geben die UPICC fünf nicht abschließende270 Kriterien vor, die bei der Beurteilung der Wesentlichkeit eine Rolle spielen sollen. Letztere überschneiden sich aber zum Teil mit den Definitionen der PECL und können zwar, müssen aber jeweils für sich allein betrachtet noch keine wesentliche Nichterfüllung darstellen. In beiden Fällen muss es sich grundsätzlich nicht um die Nichterfüllung einer Hauptpflicht, sondern kann es sich um vertragliche Nebenpflichten handeln. Der DCFR nennt nur zwei Kriterien, ebenso das CESL, das die DCFR-Fassung in Art. 87 Abs. 2 lit. b sinnvollerweise verallgemeinert hat. aa. Berechtigte Erwartungen des Gläubigers Noch weitgehend im Einklang mit Art. 25 CISG gilt es nach PECL, DCFR und CESL als wesentliche Nichterfüllung, wenn der benachteiligten Partei durch die Nichterfüllung im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag
lich angesehen, wenn die Partei, die sie begangen hat, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gewußt hat oder hätte wissen müssen, dass eine vernünftige Person in der Lage der anderen Partei den Vertrag nicht geschlossen hätte, wenn sie die Vertragsverletzung und ihre Folgen vorausgesehen hätte.“ (UNCITRAL YB II [1971] 47). Die Entwürf zur CISG stellten für die Definition der Wesentlichkeit darauf ab, dass der Gegenpartei ein wesentlicher Nachteil zugefügt wird und dieser voraussehbar war (Art. 9 Genfer Entwurf, Art. 8 Wiener Entwurf, Art. 23 New Yorker Entwurf). Vom Kriterium der „Wesentlichkeit des voraussehbaren Schadens“ kam man im Zuge der Diskussion wieder ab und fokussierte auf die berechtigten Vertragserwartungen als Maßstab der Wesentlichkeit (O.R., S. 295 ff., 302 f. und 329 f.). Bianca/Bonell/WILL, Art. 25, Anm. 1 ff. 270 Art. 7.3.1. Abs. 2 UPICC: „Bei der Feststellung, ob die Nichterfüllung einer Pflicht eine wesentliche Nichterfüllung darstellt, soll insbesondere berücksichtigt werden, ob (a) durch die Nichterfüllung der benachteiligten Partei im wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen, es sei denn, dass die andere Partei diese Folge nicht vorausgesehen hat und vernünftigerweise auch nicht hätte voraussehen können; (b) die genaue Einhaltung der nicht erfüllten Vertragspflicht für den Vertrag entscheidend ist; (c) die Nichterfüllung absichtlich oder leichtfertig geschieht; (d) die Nichterfüllung der benachteiligten Partei Grund zur Annahme gibt, dass sie sich auf die zukünftige Erfüllung durch die andere Partei nicht verlassen kann; (e) die nichterfüllende Partei aufgrund der Vorbereitung oder Erfüllung unverhältnismäßige Einbußen erleidet, wenn der Vertrag aufgehoben wird.“
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erwarten durfte, es sei denn, die andere Partei hat diese Folge nicht vorausgesehen und konnte sie vernünftigerweise auch nicht voraussehen.271 Bei der Beurteilung, wann der benachteiligten Partei im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag erwarten durfte, wird auf das Gewicht der Nichterfüllungsfolgen für den Gläubiger abgestellt. Dass das Gewicht der Nichterfüllung zum Entscheidungskriterium erhoben wurde, soll die Tatsache ausgleichen, dass auch die entschuldigte Nichterfüllung zur Vertragsaufhebung berechtigen kann.272 Allerdings bestimmt sich dieses Kriterium nicht wie in einigen Rechtsordnungen, wie z.B. in Art. 808 Abs. 2 portCC273, rein objektiv, sondern aus der Sicht des Gläubigers und unter Berücksichtigung seiner berechtigten Erwartungen.274 Ein objektiver Maßstab, nach dem es darauf ankäme, ob eine Nichterfüllung auf der Verletzung einer gegenseitigen oder einseitigen Hauptpflicht oder bloßen Nebenpflicht beruht, wird nicht angelegt, weil nicht die Bedeutung der verletzten Vertragspflicht, sondern das Gewicht der Nichterfüllung entscheidend sein soll.275 Die Definition von PECL, DCFR und CESL folgt auch insofern einer subjektivierten Auffassung, 276 als das Ausmaß des drohenden oder entstandenen Schadens bei der Bewertung der Wesentlichkeit kein zentrales Kriterium ist. Dies zeigt aber, dass der ausfüllungsbedürftige Begriff der Wesentlichkeit die Gefahr einer subjektiven Färbung durch denjenigen in sich birgt, dem seine Auslegung bei Vertragsstörungen in erster Linie obliegt: dem Gläubiger. Eine gewisse Kontrolle soll das Element der Vorhersehbarkeit für den Schuldner ermöglichen.277 Dieses schuldnerschützende Korrektiv soll verhindern, dass der Gläubiger, der über die Frage der Vertragsaufhebung zu ent271
Art. 8:103 lit. b PECL, Art. III.-3:502 Abs. 2 DCFR, Art. 87 Abs. 2 lit. a CESL und Art. 7.3.1. Abs. 2 lit. a UPICC. 272 ZIMMERMANN, JZ 1995, S. 484. 273 In Art. 808 portCC (Perda do interesse do credor ou recusa do cumprimento) heißt es: „1. Se o credor, em consequência da mora, perder o interesse que tinha na prestação, ou esta não for realizada dentro do prazo que razoavelmente for fixado pelo credor, considerase para todos os efeitos não cumprida a obrigação. 2. A perda do interesse na prestação é apreciada objectivamente.“ 274 LANDO/BEALE, zu Art. 8:103 lit. b, S. 440; SCHLECHTRIEM, Internationales UNKaufrecht, S. 83 f. 275 Anders als die objektive Beurteilung nach der Art der verletzten Pflicht, vgl. §§ 323, 324 BGB n.F. 276 SCHLECHTRIEM, in BASEDOW, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 164 (165). 277 Art. 8:103 lit. b PECL, Art. III.-3:502 Abs. 2 lit. a DCFR (dort heißt es: „could not reasonably be expected to have foreseen”) und Art. 7.3.1. Abs. 2 lit. a UPICC bzw. Art. 87 Abs. 2 CESL, der allerdings auf das Kriterium der „reasonableness“ verzichtet („could not be expected to have foreseen“). Art. 5 Abs. 2 CESL stellt jedoch klar, dass die Erwartungen an eine Person am Maßstab „vernünftigerweise” ausgerichtet werden müssen.
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Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht?
scheiden hat, den Sachverhalt eher zu seinen Gunsten als wesentliche Nichterfüllung auslegt, wenn ihm eine Vertragsaufhebung wirtschaftlich gelegen kommt.278 Für die Frage, ob der vertragsbrüchige Partner die Folgen seiner Nichterfüllung abschätzen konnte, ist auch auf die Sachkunde und Sorgfalt des nichterfüllenden Vertragsteils im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und die Höhe der Gegenleistung abzustellen.279 Ebenso kann es eine Rolle spielen, ob der Leistungserbringer von seinem Vertragspartner über bestimmte Umstände informiert wurde, die er selbst nicht kennen kann, die aber erkennen lassen, dass eine Nichterfüllung von entscheidender Bedeutung ist.280 Die Vertragspflicht wird so zur condition im Sinn des englischen Rechts. In ihrer Rechtsnatur muss diese schuldnerschützende Einschränkung weniger als Entschuldigungsgrund und mehr als Beweislastregel betrachtet werden, die dem Schuldner den Beweis dafür auferlegt, dass er die Wesentlichkeit seiner Nichterfüllung nicht vorhergesehen hat und vernünftigerweise281 auch nicht vorhersehen konnte.282 Allerdings fehlt PECL, DCFR und CESL ein objektivierendes Element: Anders als in Art. 25 CISG wird auf Seiten der vertragsbrüchigen Partei nicht darauf abgestellt, dass auch eine vernünftige Person der gleichen Art die Folgen der Nichterfüllung für den Gläubiger unter den gleichen Umständen nicht vorausgesehen hätte.283 Dies mag einen gewissen zusätzlichen Schutz vor einer zu leichten Verteidigung des Schuldners bieten.
278
Nach SCHLECHTRIEM, Internationales UN-Kaufrecht, S. 84 geht es hierbei auch um eine Frage des Beweises der Wesentlichkeit; so auch EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution et les principes UNIDROIT, S. 152. 279 ROUHETTE/LAMBERTERIE/TALLON/WITZ, Principes du droit européen du contrat, Kommentar 3 zu Art. 8:103. 280 Von den Verfassern der PECL zitierte Beispiele: Verpflichtung zum Einbau eines Temperaturkontrollsystems in einen Weinkeller; eine fehlerhafte Temperaturkontrolle ist wesentliche Nichterfüllung, weil Weine verderben und der Zweck, den Verderb durch die Kontrolle zu verhindern, für den Leistungserbringer auf der Hand liegt. Dagegen ist eine Nichterfüllung bei Einbau einer defekten Temperaturkontrolle in ein Wohnhaus zur Konstanthaltung der Temperatur auf 20 Grad nicht wesentlich, wenn in ihm ohne Kenntnis des Leistungserbringers Pflanzen gezüchtet werden, die bei Temperaturschwankungen von nur 2 Grad eingehen. LANDO/BEALE, zu Art. 8:103 lit. b, S. 440 f. 281 Zum CESL siehe neben Art. 87 Abs. 2 lit. a auch Art. 5 Abs. 2. 282 So zu Art. 25 CISG etwa SCHLECHTRIEM, E.J.L.R. 1999, S. 305 (309). 283 Art. 25 CISG ist eine Reaktion auf Interpretationsschwierigkeiten im Umgang mit Art. 10 ULIS, der darauf abstellte, dass die vertragsbrüchige Partei wusste oder hätte wissen müssen, dass eine vernünftige Person der gleichen Art „den Vertrag nicht geschlossen hätte,“ was als praktisch schwer feststellbar erschien; die Formulierung einer „vernünftigen Person der gleichen Art“ wurde jedoch beibehalten. Vgl. zum Ganzen auch KOCH, The Concept of Fundamental Breach of Contract under the United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (CISG), S. 35, http://cisgw3.law.pace.edu/cisg/biblio/koch.html.
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Die Parteien sollten aufgrund dieser Regelungen über ihre Erwartungen ausreichende Absprachen treffen.284 Die Abgrenzung zu Art. 8:103 lit. a PECL285 wird hierdurch fließend. bb. Essentialisierung durch die Parteien Wurde durch vertragliche Absprache festgelegt, dass die genaue Einhaltung einer Verpflichtung für den Vertrag entscheidend ist, und verletzt der Schuldner diese Absprache, eröffnet Art. 8: 103 lit. a PECL286 eine im Rahmen der Leistungsverzögerung bedeutsame Vertragsaufhebungsmöglichkeit. Auch hier wird ein subjektivierter Ansatz verfolgt, da über die Vertragsaufhebung letztlich der zuvor erklärte oder konkludente Parteiwille entscheidet. Dieser ergibt sich entweder ausdrücklich aus dem Vertragsinhalt, wenn der Vertrag eine Aufhebungsklausel für den Fall der Nichteinhaltung der Verpflichtung enthält, oder konkludent aus der Natur des Vertrages oder den Umständen, für die auch die Handelsgepflogenheiten und die bisherigen Geschäftsbeziehungen der Vertragsparteien zu betrachten sind.287 Die Wesentlichkeit der Nichterfüllung wird für den Schuldner so am ehesten kalkulierbar sein. Wurde für die Leistung vertraglich ein Termin oder eine Frist bestimmt und hat der Gläubiger den Fortbestand seines Leistungsinteresses im Vertrag an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden, genügt das Nichtbewirken der Leistung zur vorgesehenen Zeit, um den Gläubiger die sofortige Vertragsaufhebung zu ermöglichen. So wird in der Regel in bestimmten Vertragskonstellationen, z.B. im Rahmen von Handelsverträgen (z.B. über Rohstoffe),288 entweder die Lieferzeit eines Produkts entscheidend sein oder eine deutliche Vereinbarung vorliegen, aus der sich ergibt, dass die Parteien ein Fixgeschäft beabsichtigten. Die PECL-Regel vereint in einer Vorschrift eine Norm über das vertragliche Aufhebungsrecht, wie Art. 1183 Code civil, mit einer Norm, die vertraglichen Klauseln über die Wesentlichkeit einer Verpflichtung gewidmet ist, wie Art. 1457 Codice Civile. DCFR und CESL übernehmen diese Regelung nicht, vermutlich weil der Fall auch unter die oben in aa. beschriebene Alternative gefasst werden kann. Die Lösung der PECL ist jedoch der Klarheit halber vorzuziehen.
284
SCHLECHTRIEM, E.J.L.R. 1999, S. 305 (309 f). Dort heißt es: „Wenn die genaue Einhaltung der nicht erfüllten Vertragspflicht für den Vertrag entscheidend ist.“ Hierzu gleich unter bb. 286 Siehe auch Art. 7.3.1. Abs. 2 lit. b UPICC. 287 LANDO/BEALE, zu Art. 8: 103 lit. a, S. 440. 288 So das Beispiel der UPICC, Kommentar 3b zu Art. 7.3.1. lit. b. 285
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cc. In der Person des Schuldners liegende Gründe Anders als in Art. 25 CISG, der allein auf die wirtschaftliche Bedeutung der Nichterfüllung für den Gläubiger abstellt, enthält Art. 8: 103 lit. c PECL einen Kompromiss zu den Rechtsordnungen, in welchen das Schuldnerverhalten bei der Beurteilung der Gründe für eine Vertragsaufhebung eine Rolle spielt.289 So wird auch eine vorsätzliche Nichterfüllung als wesentlich betrachtet, wenn diese der benachteiligten Partei Anlass zu der Annahme gibt, dass sie sich auf die künftige Leistung ihres Vertragspartners nicht verlassen kann. Hier ist also weder die genaue Einhaltung der vertraglichen Verpflichtung entscheidend für den Vertrag, noch entgeht dem Vertragspartner im Wesentlichen, was er nach dem Vertrag erwarten durfte. Hier wird das Verhalten des Schuldners zu einem rein subjektiven Prüfstein für die Bedeutung der Nichterfüllung und zerstört zugleich das Vertrauen in dessen spätere Leistung. Auch der DCFR folgt diesem Konzept, sieht jedoch bereits die leichtfertige Nichterfüllung als relevant an.290 Das CESL stellt in Art. 87 Abs. 2 lit. b nicht auf ein vorsätzliches oder leichtfertiges Verhalten des Schuldners ab, sondern darauf, ob die Nichterfüllung klar erkennen lässt, dass sich die andere Partei nicht auf die künftige Erfüllung verlassen kann. Die UPICC sehen in Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. c und d die Kriterien der vorsätzlichen Nichterfüllung und des Wegfalls des Vertrauens in eine künftige Erfüllung ebenfalls vor, allerdings erfordert die Bejahung der Wesentlichkeit der Nichterfüllung nicht deren kumulatives Vorliegen, sondern sie bilden getrennt voneinander zu betrachtende Abwägungselemente bei der Bewertung der Wesentlichkeit.291 So kann nach den UPICC etwa ein Fall von lit. d vorliegen, wenn der Schuldner einen Teil der Leistung verzögert.292 Zusätzlich messen auch die UPICC in Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. c UPICC bereits der leichtfertigen Nichterfüllung Bedeutung bei der Wesentlichkeitsprüfung zu. PECL und DCFR machen die Vertragsaufhebung bei vorsätzlicher Nichterfüllung zudem zusätzlich stets davon abhängig, dass die verletzte Partei hierdurch Anlass zur Annahme hatte, dass sie sich auf die künftige Leistung ihres Schuldners nicht mehr verlassen kann. Es wird jedoch nicht ausdrücklich geklärt, ob die vorsätzliche beziehungsweise in den UPICC die vorsätzliche oder leichtfertige Nichterfüllung auch dann zu einer Vertragsaufhebung führen soll, wenn deren Folgen für die verletzte Partei nur gering sind. Dass dies nicht geregelt wird, mag insbesondere in den UPICC zu einer 289
VAN DER MERSCH/PHILIPPE, in FONTAINE/VINEY, S. 701 (704 und 705 f.). Art. III.-3:502 Abs. 2 lit. b DCFR. 291 Vgl. den Kommentar zu Art. 7.3.1 UPICC, Nr. 3. Bei Dauerschuldverhältnissen reicht nach den UPICC allein aus, dass das Verhalten des Schuldners das Vertrauen in eine zukünftig ordnungsgemäße Abwicklung des Vertragsverhältnisses zerstört. 292 SCHLECHTRIEM, E.J.L.R. 1999, S. 305 (311). 290
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gewissen Unsicherheit führen, da die absichtliche oder leichtfertige Nichterfüllung allein ausreichen könnte, um den Vertrag aufzuheben. In den PECL wird durch die Verknüpfung zweier subjektiv gefärbter Merkmale jedenfalls der Interpretationsspielraum des Gläubigers leicht verringert. Im Fall der UPICC weist lediglich der Kommentar darauf hin, dass bei nur geringfügiger Bedeutung der Nichterfüllung in diesen Fällen Art. 1.7 UPICC dem Gläubiger eine Vertragsaufhebung nicht gestatten soll. Art. 8: 103 lit. c PECL, Art. III.-3:502 Abs. 2 lit. b DCFR und Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. c UPICC zeigen jedoch zugleich, dass die Verantwortlichkeit des Schuldners nicht zur Voraussetzung jeglicher Vertragsaufhebung erhoben wird.293 Sie kann, muss aber kein Grund sein, der die Auflösung des Vertragsverhältnisses rechtfertigt.294 Das Verschuldensprinzip wird im Rahmen der Vertragsaufhebung damit nur sehr untergeordnet relevant. Im Lichte des strengen Haftungsregimes der Principles wird die Formulierung der 8: 103 lit. c PECL und Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. c UPICC allerdings kritisiert und gefordert, dem Verschuldensprinzip dürfe im Rahmen der Vertragsaufhebung gar keine Bedeutung zukommen.295 Diese Kritik ist berechtigt, denn in Systemen, die vom Verschuldensprinzip abkehren, zeigt ein solcher Gesetzeswortlaut eine gewisse Inkohärenz. Das CESL hat dies in Art. 87 Abs. 2 lit. b korrigiert, indem es auf ein Verschuldenselement verzichtet. Eine Lösung wie § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB, die neutral von „besonderen Umständen“ spricht, „die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen“ und nicht ausdrücklich auf ein „Verschulden“ im technischen Sinn abstellt, wäre eine gelungenere Alternative. Sie könnte die absichtliche oder leichtfertige Nichterfüllung nicht nur von ihrem Wortlaut her umfassen, ohne ausdrücklich auf den Fall vorsätzlicher Nichterfüllung abzustellen,296 sondern würde zugleich eine differenzierte Betrachtung erlau-
293
So etwa noch das rumänische Recht oder das BGB a.F. Vgl. auch SCHLECHTRIEM, E.J.L.R. 1999, S. 305 (306). 295 SCHWENZER, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37 (43). 296 Gemeint sind hier die Interessen beider Parteien an der Durchführung des gegenseitigen Vertrags (zur alten Rechtslage bereits RG JW 1916, 258; Bamberger/Roth/ GROTHE, § 323, Rn. 28). Zwar wird auch weiterhin das Interesse des verletzten Gläubigers im Vordergrund stehen (Begr RegE, BT-Drucks 14/6040 S. 186), die Formulierung des Gesetzes ermöglicht aber zumindest die Berücksichtigung der Schuldnerinteressen in bestimmten Fallkonstellationen. In der Literatur wird eine Auslegung in Annäherung an Art. 25 CISG angeregt: Zu berücksichtigen sei insbesondere, ob der Leistungszweck infolge der Vertragsverletzung nicht mehr verwirklicht werden kann (MüKo/ERNST, § 323, Rn. 122 f.) und ob dem Gläubiger im Wesentlichen entgeht, was er nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen. Dem Schuldner ist in Anlehnung an Art. 25 CISG der Nachweis zu gestatten, dass der Interessewegfall weder ihm noch einer vernünftigen Person in seiner Position voraussehbar waren (MüKo/ERNST, § 323, Rn. 124). Der Wortlaut ermöglicht es aber auch, Vorkehrungen, die der Schuldner bisher getroffen hat, in die Beurteilung einzubeziehen. 294
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ben, ob dem Gläubiger trotz Verschuldens seines Partners zuzumuten ist, die vertragsgemäße Leistung anzunehmen, sofern ihm diese angeboten wird.297 b. Objektives Schuldnerschutzelement: Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC Der Grundgedanke des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB, eine sofortige Vertragsaufhebung nur unter Umständen zu ermöglichen, die dies unter „Abwägung der beiderseitigen Interessen“ rechtfertigen, findet sich in konkreterer Form in Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC wieder, der weder eine Entsprechung in den PECL noch im DCFR oder CESL findet. Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC sieht bei der Beurteilung der Wesentlichkeit der Nichterfüllung auch die Frage für entscheidend an, ob die nichterfüllende Partei aufgrund ihrer Vorbereitung der Vertragserfüllung unverhältnismäßige Einbußen erleidet, wenn der Vertrag aufgehoben wird. Im Gegensatz zu PECL, DCFR, CESL und CISG enthält Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC ein Kriterium, das bei der Beurteilung der Wesentlichkeit neben den Elementen des Interessefortfalls und seiner Vorhersehbarkeit zusätzlich zu beachten ist. Es schützt den Schuldner und bringt zugleich eine Verhältnismäßigkeitskomponente in die Wesentlichkeitsdefinition, die ihr in den anderen Modellen fehlt. Der Schaden des Schuldners, der ihm aufgrund vergeblicher Bemühungen wegen der Beendigung des Vertrages entsteht, relativiert die Schwere der Nichterfüllungsfolgen für den Gläubiger. Diese Norm der UPICC mildert die einseitigen Möglichkeiten des Gläubigers ab, in das Vertragsverhältnis einzugreifen und sich auf einen Interessefortfall zu berufen, wozu er z.B. bei sinkenden Preisen oder fehlenden Absatzmöglichkeiten motiviert sein kann. Sie trägt auch den Interessen des Schuldners Rechnung, die bei einer richterlichen Vertragsaufhebung in eine Abwägungsentscheidung einfließen würden. Dieser Ansatz ist gegenüber PECL und DCFR vorzugswürdig. Wenn dem Gläubiger – aus ökonomischen und Praktikabilitätsgründen völlig zu Recht – eine einseitige Vertragsaufhebung gestattet wird, sollte der normative Rahmen zusätzliche Vorgaben enthalten, die einen weitestmöglichen Respekt der Schuldnerinteressen gewährleisten. Die Literatur zu § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB zieht diese Parallele zu Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC bislang nicht, sondern liest in die deutsche Norm allein die Elemente des Art. 25 CISG, des Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. a UPICC oder des Art. 8:103 lit. b PECL hinein – den Fall des Interessefortfalls des Gläubi297
Durch das Erfordernis der Interessenabwägung in § 323 Abs. 2 Nr. 3 und § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB bringt ein arglistiges Verhalten des Schuldners diesen nicht zwangsläufig um die Möglichkeit, den Anspruch des Gläubigers doch noch binnen einer Nachfrist zu befriedigen. MüKo/ERNST, § 281, Rn. 60. Zu undifferenziert hierzu AnwK-BGB/DAUNER-LIEB, § 281, Rn. 21.
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gers,298 relativiert durch dessen Vorhersehbarkeit für den Schuldner.299 Der Wortlaut des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB umfasst jedoch eine Kombination aus Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. a und e UPICC, die eine Umgehung der Regelvoraussetzungen für die Vertragsaufhebung zu vermeiden hilft. Anders als im deutschen Recht findet Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC allerdings nicht nur im Zusammenspiel mit dem Interessefortfall Anwendung. Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e könnte auch im Zusammenhang mit Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. b UPICC und damit selbst in bestimmten Konstellationen eines präzisen Leistungstermins eine andere Beurteilung rechtfertigen, wenn der Schuldner übermäßige Anstrengungen zur rechtzeitigen Leistung getroffen hat und die Verspätung relativ gering ist. Im deutschen Recht ist die Abwägung auf die Fälle des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB beschränkt und im Fall des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB eine sofortige Vertragsaufhebung ohne Berücksichtigung der Schuldnerinteressen gerechtfertigt. c. Sonderfall Leistungsverzögerung Hat der Schuldner die Leistung nicht bereits endgültig abgelehnt und ist sie noch möglich, kann nicht nur die Bedeutung der Leistungszeit, sondern auch die Dauer der Verzögerung zur Vertragsaufhebung berechtigen. Die Verzögerung der Leistung ist insofern ein Sonderfall, als sich ihre Wesentlichkeit nicht nur im Moment ihres Eintretens (Verstreichen der Leistungszeit) bemessen kann. Auch eine zunächst unwesentliche Vertragsverletzung kann zu einer wesentlichen werden. Nur in Fällen, in welchen der Gläubiger lieber überhaupt keine Lieferung als verspätete Lieferung begehrt, ist der kritische Schweregrad der Leistungsstörung mit dem bloßen Verstreichen der Leistungszeit bereits erreicht. Im „Normalfall“ der Verzögerung kann erst ihr Fortbestand eine Vertragsaufhebung rechtfertigen. Nach PECL, DCFR und CESL wird die Vertragsaufhebung wie in Art. 49 Abs. 1 lit. b CISG über eine vergeblich gesetzte angemessene Nachfrist ermöglicht.300 Der variable Charakter der Leistungsverzögerung zeigt sich auch 298
Wie auch in § 326 BGB a.F., MüKo/ERNST, § 323, Rn. 123. Bamberger/Roth/GROTHE, § 323, Rn. 30; MüKo/ERNST, § 323, Rn. 124. Zum Teil wird unter Berufung auf die Rechtsprechung zu § 326 BGB a.F. selbst die Vorhersehbarkeit nicht gefordert und der Interessefortfall für ausreichend erachtet, vgl. in Fortführung von RGZ 94, 326 f.: BGH, 25. 2. 1971 - VII ZR 102/69, NJW 1971, 798. Danach sollte bei einem gegenseitigen Vertrag, bei welchem der eine Teil mit der ihm obliegenden Leistung im Verzug ist und das Interesse an der Vertragerfüllung infolge des Verzugs für den anderen Teil entfiel, eine Nachfrist nach § 326 Abs. 2 BGB a.F. ohne Rücksicht darauf entbehrlich sein, ob der säumige Teil voraussehen konnte, dass infolge seines Verzugs die Erfüllung des Vertrags für den anderen Teil kein Interesse mehr haben werde. 300 Art. 9:301 Abs. 2, 8:106 Abs. 3 PECL, Art. III.-3:503 DCFR, Art. 115 Abs. 1 CESL und Art. 7.3.1 Abs. 3, 7.1.5 Abs. 3 UPICC. SCHLECHTRIEM, in BASEDOW, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 167. 299
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in den Rechtsfolgen. Dies wird auch in Art. 47 Abs. 2 CISG deutlich.301 Der Gläubiger hat es dabei selbst in der Hand, mittels Fristsetzung über die Wesentlichkeit der Leistungsstörung zu bestimmen. Die durch ständiges Aufschieben der Leistung entstehende Schwebelage würde für den Gläubiger sonst unzumutbar.302 Der Gläubiger bestimmt, ab wann er die Verspätung der Erfüllung für wesentlich hält303 „et il peut jusqu’à un certain point créer l’éclat,“304 wobei ihm noch immer nach seinem Ermessen Verlängerungen der Nachfrist möglich bleiben. Die Fristsetzung gibt zugleich dem Gläubiger Sicherheit. Nach Fristablauf wird sein Vertragsaufhebungsverlangen unabhängig von der Erheblichkeit der Verzögerung im Moment des Verstreichens der Leistungszeit erfolgreich sein.305 Während des Fristlaufs sind die meisten Ansprüche des Gläubigers mit Ausnahme des Zurückbehaltungsrechts und des Schadensersatzes vorübergehend gehemmt.306 Der Schuldner hat hier nicht nur eine Warnung vor den Folgen seiner Verspätung erhalten, sondern auch eine Zeitspanne zum nachträglichen Bewirken der Leistung. Die Gewährung einer zweiten Chance zur Leistung ist zugleich ein wesentliches Schuldnerschutzelement. Allerdings gilt dies nach den UPICC insofern nicht uneingeschränkt, als Art. 7.1.5 Abs. 4 UPICC von dieser Lösung eine Ausnahme macht, wenn die verzögerte Pflicht nur einen untergeordneten Teil der Vertragspflicht der nichterfüllenden Partei darstellt. Ein gewisses Restrisiko der Fehleinschätzung durch den Gläubiger verbleibt daher, andererseits liegt hierin zugleich ein Element der Missbrauchskontrolle gegenüber dem Gläubiger. Diese Einschränkung wird an dieser Stelle weder in den PECL noch in DCFR oder CESL übernommen. Art. 117 Abs. 1 und 3 CESL erfüllen aber eine ähnliche Funktion wie Art. 7.1.5 Abs. 4 UPICC. Das UN-Kaufrecht kennt in Art. 47 CISG eine Vertragsaufhebung nach Nachfristsetzung durch den Käufer nur im Fall der Nichtlieferung.307 Der fruchtlose Ablauf der Nachfrist bedingt allerdings keine ipso facto Vertragsaufhebung, sondern gewährt gem. Art. 49 Abs. 1 lit. b ein Recht, den Vertrag für aufgehoben zu erklären. Nach PECL und DCFR sowie gem. Art. 115 301
Art. 47 Abs. 2 CISG: „Unless the buyer has received notice from the seller that he will not perform within the period so fixed, the buyer may not, during that period, resort to any remedy for breach of contract. However, the buyer is not deprived thereby of any right he may have to claim damages for delay in performance.“ 302 Siehe auch UPICC, Kommentar 1 zu Art. 7.1.5. 303 FLESSNER, ZEuP 1997, S. 255 (283). 304 EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution et les principes UNIDROIT, S. 147. 305 EBERHARD, a.a.O., S. 148 bezeichnet diese qualifizierte Verspätung als super demeure. 306 Art. 8:106 Abs. 2 Satz 1 PECL, Art. 7.1.5 Abs. 2 Satz 1 UPICC, Art. 47 Abs. 2 CISG. 307 MAGNUS, JuS 1995, S. 870 (871 f.); SCHLECHTRIEM, in VON WESTPHALEN/SANDROCK, Festschrift Trinkner, S. 321 (323); NEUMAYER/MING, Convention de Vienne sur les contrats de vente internationale de marchandises, Art. 47 CISG, Rn. 1.
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Abs. 3 CESL wird der Vertrag nach fristlosem Vertstreichen der Nachfrist ohne weitere Mitteilung aufgehoben, wenn dies mit der Nachfristsetzung bestimmt wurde. d. Geringe Gläubigerkontrolle Vorschriften, die bei einseitigen Rechtsbehelfen in der Hand des Gläubigers eine Missbrauchskontrolle vorsehen, gibt es in PECL, DCFR und CESL wenige. Diese stützen sich zudem auf vage Rechtsbegriffe wie etwa die Angemessenheit308, die der beschwerte Gläubiger zunächst nach seinem Ermessen interpretieren kann. Die Position des Schuldners ist eher ungünstig. Der Gläubiger kann über die Frage der Wesentlichkeit der Vertragsverletzung befinden sowie den Vertrag antizipiert aufheben. Die Vertragsaufhebung untersteht nur einer richterlichen à posteriori Kontrolle.309 aa. Anforderungen an die Vertragsaufhebungserklärung Um den Schuldner zu schützen, wird der Gläubiger wenigstens zu einer Entscheidung in angemessener Frist gezwungen,310 binnen derer er die Vertragsaufhebung durch eigene rechtsgestaltende Erklärung zu bewirken hat. Der Gläubiger soll nicht je nach Marktlage mit der Vertragsaufhebung warten können. Dies würde für den Schuldner die eigene Geschäftssituation unkalkulierbar machen. Im Fall der Leistungsverzögerung kann der Gläubiger gem. Art. 8: 106 Abs. 3 PECL, Art. III.-3:503 Abs. 1 DCFR und Art. 115 Abs. 3 CESL zudem eine Vertragsaufhebung durch antizipierte Aufhebungserklärung bewirken, wenn die beschwerte Partei bereits bei Fristsetzung erklärt, dass der Vertrag bei fruchtlosem Verstreichen der Nachfrist ohne weiteres aufgehoben ist.311 Die ipso facto avoidance findet ihre Rechtfertigung in der antizipierten Aufhebungserklärung, wurde aber aus Rechtssicherheitsgründen aus internationalen Vertragsrechtskonventionen entfernt.312 Da die Erklärung der Vertragsaufhebung nicht nur nach Ablauf der Leistungszeit und Eintreten der Nichterfüllung abgegeben werden kann, sondern sie bereits gestattet wird, 308
Art. 1:302 PECL. Im CESL siehe Art. 5 Abs. 1. Art. 9:304 PECL. 310 Art. 9:303 Abs. 2 PECL, Art. III.-3:508 DCFR, Art. 7.3.2 Abs. 2 UPICC und Art. 119 CESL. Zur Konkretisierung der Angemessenheit in diesem Zusammenhang vgl. bereits oben zur cure. 311 Siehe auch Art. 7.1.5 Abs. 3 UPICC. 312 Die in Art. 25, 26 Abs. 1 und 2, Art. 30 Abs. 1 und 2 ULIS vorgesehene ipso facto avoidance wurde als allgemeine Regel abgeschafft, da der Schuldner informiert werden müsse, um eigene Dispositionen über seine Ware zu treffen: „Among the reason favouring this change in policy is the seller’s need to know that he must reship or resell the goods or take other action to prevent their wastage or spoilage.“ Report of the Secretary General: obligations of the seller in an international sale of goods, in UNCITRAL Yb, Vol. IV, S. 41. 309
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wenn offensichtlich ist, dass es zu einer wesentlichen Vertragsverletzung durch den Schuldner kommen wird,313 ist der Aktionsrahmen des Gläubigers auch zeitlich sehr groß, ohne dass zusätzliche Anforderungen an ihn gestellt würden. Nur die Verpflichtung zur Vertragsaufhebung in angemessener Frist wird man auch hier annehmen müssen. Wann die zukünftige wesentliche Nichtleistung offensichtlich ist, obliegt allein der Einschätzung des Gläubigers. Das Potential für einen Missbrauch der relativ starken Gläubigerposition wird zugunsten einer flexiblen Gestaltung des Vertragsverhältnisses hingenommen. Möglich bleibt eine nachträgliche Gerichtskontrolle auf Initiative des Schuldners.314 Der Ausgangspunkt dieser Kontrolle verschiebt sich, denn hier wird nicht über die Auflösung eines existierenden Vertrages befunden, sondern über den eventuellen Fortbestand eines bereits für aufgehoben erklärten Vertrages. Auch die faktische Situation für die Vertragsparteien verändert sich.315 Bei Leistungsverzögerungen wird dies allerdings insofern relativiert, als dort ein antizipierter Vertragsbruch nur dann denkbar ist, wenn sich der Schuldner vor Fälligkeit oder binnen des Laufs der Nachfrist selbst für leistungsunfähig erklärt.316 Eine einmal erklärte Vertragsaufhebung wird aufgrund ihres rechtsgestaltenden Charakters nicht ausdrücklich für rücknehmbar erklärt. Dies wird jedoch teils im Analogieschluss aus den Art. 1:106 Abs. 2, 2:202 PECL oder Art. 1.6 Abs. 2 sowie 2.1.4 UPICC im dort vorgegebenen engen Rahmen abgeleitet.317 Dasselbe dürfte für Art. II.-4:202 DCFR und Art. 32 CESL gelten. Die Vertragsaufhebungserklärung muss auch mit keiner Begründung versehen werden. Eine Begründungspflicht wäre aber wünschenswert, denn je mehr einseitige Eingriffsmöglichkeiten ein Regelwerk einräumt, desto mehr 313
Dies ist auch im nationalen Recht üblich, vgl. etwa TREITEL, Remedies for Breach of Contract, S. 380 f. 314 Dieser Ansatz gibt insbesondere in der französischen Literatur Anlass zur Kritik, da dort unilaterale Mechanismen in den Händen des Gläubigers sich erst langsam in der Rechtspraxis durchsetzen, vgl. BAZIN, R.R.J. 2000, S. 1388 zur Missbrauchsgefahr bei der antizipierten Vertragsaufhebung. Siehe auch die Nachweise bei ROCHFELD, in RÉMY-CORLAY/ FENOUILLET, S. 213 (228 f.). 315 Wiederum sind die romanischen Rechtssysteme hiervon am meisten betroffen: Der Richter, der dort grundsätzlich über die Vertragsaufhebung zu befinden hat und dem hinsichtlich der weiteren Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien ein relativ weitgehender Ermessensspielraum verbleibt, müsste sich unter den Principles an ein System gewöhnen, das ihm nur noch wenige Entscheidungsmöglichkeiten lässt: „soit la résolution est justifiée et elle est entérinée; soit elle ne l’est pas et celui qui agit sera sanctionné.“ ROCHFELD, in RÉMY-CORLAY/FENOUILLET, S. 213 (229). 316 Art. 8:106 Abs. 2 PECL, Art. 7.1.5 Abs. 2 UPICC. 317 SCHLECHTRIEM, unter Berufung auf seine Argumentation zur CISG, in BARFUß et al., Festschrift Neumayer, S. 259.
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Gewicht sollte auf praktikable Kontrollmöglichkeiten gelegt werden, die einerseits der weiteren Gestaltung des Rechtsverhältnisses durch die Parteien die nötige Flexibilität lassen und andererseits einen weitestmöglichen Respekt der Schuldnerinteressen gewährleisten. Dies gilt gerade für eine Vertragsaufhebung wegen wesentlicher Vertragsverletzung, die überwiegend auf der Interpretation der Situation durch den Gläubiger beruht. Wenn der Schuldner um die Gründe weiß, die den Gläubiger hierzu brachten, wird er sich entweder nicht zufrieden geben oder wenigstens gezielt gerichtlich zur Wehr setzen können. Dies würde zumindest teilweise ausgleichen, dass er es ist, der die Initiative der nachträglichen gerichtlichen Kontrolle ergreifen muss, um sich gegen einen einseitigen Akt des Gläubigers zu wehren. Eine derartige Begründungspflicht ließe sich auf dem in Art. 1:201 Abs. 1 PECL, Art. III.1:103 Abs. 1 DCFR und Art. 2 CESL verankerten Gedanken von Treu und Glauben stützen. Sie würde als ausdrückliches Erfordernis jedoch zu mehr Rechtssicherheit beitragen.318 bb. Missbräuchliche Vertragsaufhebungserklärung Die Abgrenzung zwischen der Vertragsaufhebung, insbesondere in antizipierter Form, und den Regeln über hardship kann im Einzelfall ebenfalls problematisch werden. Wenn der Schuldner aus von ihm bei Vertragsschluss nicht vorhersehbaren Gründen nicht in der Lage ist, den mittels Fixabrede festgelegten Termin einzuhalten, kann er sich unter engen Voraussetzungen auf Art. 6:111 PECL, Art. III.-1:110 DCFR oder Art. 89 CESL berufen und den Gläubiger zur Neuverhandlung zwingen wollen. Dieser wäre seinerseits über Art. 9:301, 8:103 lit. a PECL, Art. 7.3.1 Abs. 1, 2 lit. b UPICC und wohl auch Art. III.-3:502 Abs. 2 DCFR und Art. 87 Abs. 2 CESL zur sofortigen Vertragsaufhebung berechtigt. Die Abgrenzung zwischen diesen beiden Aktionsmöglichkeiten kommt in PECL, DCFR und CESL nicht deutlich zum Ausdruck. Ebensowenig wird deutlich, ob der Gläubiger noch zur Vertragsaufhebung schreiten kann, wenn sich der Schuldner auf hardship beruft. Jedenfalls ab Zugang der Vertragsaufhebungserklärung muss die Berufung auf hardship wegen der rechtsgestaltenden Wirkung der Aufhebungserklärung ausgeschlossen sein. Hat sich der Schuldner zeitlich vorher mit der Bitte um neue Verhandlungen an den Gläubiger gewandt, würde das Gläubigerverhalten Treu und Glauben widersprechen, wenn dieser nach Zugang des Neuverhandlungsverlangens den Vertrag aufhebt. Der Schuldner muss also schnell aktiv werden. 318
In diesem Sinn auch LAGARDE, in Travaux de l’Association Henri Capitant, Tome III, S. 78; ROCHFELD, in RÉMY-CORLAY/FENOUILLET, S. 213 (225): „Obligation de motivation et exigence d’inexécution essentielle se rejoindraient alors pour constituer le cadre de la résiliation pour inexécution, opérée de bonne foi et dans un intérêt légitime par le créancier.“
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Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht?
cc. Angemessene Nachfristlänge Ein Ausgleich, den PECL, DCFR und CESL bieten, ist die erwähnte Verlängerung der Leistungszeit über den eigentlichen Zeitpunkt hinaus und eine für die Dauer des Fristlaufs vorübergehende Suspendierung aller Gläubigerrechtsbehelfe mit Ausnahme des Schadensersatzes und des Zurückbehaltungsrechts.319 Da die Fristgewährung im Rahmen der Leistungsstörungsfälle, in denen es sich nicht um eine Verzögerung der Leistung handelt, nur optional ist, steht das Ob und Wie der Fristgewährung sowie die Länge der Frist allein im Ermessen des Gläubigers. Zwar soll die benachteiligte Partei gem. Art. 8:106 Abs. 2 PECL im Fall fruchtlosen Fristablaufs jeden Rechtsbehelf geltend machen können, der ihr nach Kapitel 9 zur Verfügung steht. Die Vertragsaufhebung bleibt ihr jedoch versagt, andernfalls hätte es der Sonderregelung des Art. 8:106 Abs. 3 PECL, 9:301 Abs. 2 PECL und Art. III.-3:503 Abs. 1 DCFR nicht bedurft.320 Die Verweisung des Art. 8:106 Abs. 2 PECL und Art. III.3:103 Abs. 2 DCFR ist als reine Rechtsgrundverweisung zu verstehen.321 Im CESL fehlt eine entsprechende Regelung. Hingegen stellt die Fristsetzung nach Art. 9:301 Abs. 2, 8:106 Abs. 3 PECL, Art. III.-3:503 DCFR und Art. 115 CESL strengere Anforderungen an den Gläubiger.322 Die Nachfrist hat bestimmt und von angemessener Länge zu sein, da eine weitere Rechtsbehelfsmöglichkeit eröffnet wird. Bei der Bemessung der Frist sollen der ursprüngliche Erfüllungszeitraum, das Interesse des Gläubigers an einer schnellen Erfüllung, die Natur der geschuldeten Leistung, die berufliche Stellung der Parteien und das Ereignis, das die Verzögerung verursacht hat, zu berücksichtigen sein.323 Der Gläubiger ist auch hier dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet.
319
Art. 8:106 Abs. 2 PECL, Art. III.-3:103 Abs. 2 DCFR, Art. 7.1.5 Abs. 2 UPICC. Siehe auch 7.1.5 Abs. 3, 7.3.1 Abs. 3 UPICC. 321 Die Norm wird zum Teil so ausgelegt, als wäre auch bei einer Fristsetzung nach Art. 8:106 Abs. 1 PECL bei fruchtlos verstrichener Nachfrist unabhängig von der Frage der Wesentlichkeit einer Vertragsverletzung der Gläubiger zur Vertragsaufhebung berechtigt, weil Art. 8:106 Abs. 2 PECL als Rechtsfolge auf jeden Rechtsbehelf nach Kapitel 9 verweist, so offenbar SCHWENZER, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37 (42). Dem widerspricht jedoch die Sonderregelung des Art. 8: 106 Abs. 3 PECL, die den Fall einer nicht wesentlichen Nichterfüllung speziell und ausschließlich für die verzögerte Leistung aufgreift und nur dort nach Ablauf einer angemessenen Nachfrist eine Vertragsaufhebung vorsieht (i.V.m. Art. 9: 301 Abs. 2 PECL). Auch die Begründung zu den Principles zeigt, dass eine nicht wesentliche Schlechtleistung trotz Nachfristsetzung nicht zu einem Aufhebungsrecht führen soll, weil dieses nicht in Art. 8:106 Abs. 3 PECL geregelt ist. 322 Art. 7.3.1 Abs. 3, Art.7.1.5 Abs. 3 UPICC. 323 LANDO/BEALE, Kommentar E zu Art. 8:106. Siehe im CESL Art. 5 Abs. 1 zur Frage der Angemessenheit. 320
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Zugleich muss sich der Schuldner auf die Rechtsfolgen einstellen können, die ihn erwarten, und eine reelle Möglichkeit bekommen, sie noch zu vermeiden. Die Frist hat so mehrere Funktionen: Sie führt nicht nur zur eigentlichen Rechtfertigung der Vertragsaufhebung im Verzögerungsfall. Sie schafft darüber hinaus auch größere Rechtssicherheit in Bezug auf die drohende Vertragsaufhebung und den Aufhebungszeitpunkt und lässt dem Schuldner eine Reaktionszeit. Sie vereinigt damit der Mahnung und Nachfrist kontinentaler Rechte vergleichbare Funktionen.324 Interessant ist in diesem Zusammenhang Art. 115 Abs. 2 CESL: Danach gilt die von Gläubiger bestimmte Frist als angemessen, wenn der Schuldner (hier Verkäufer) nicht unverzüglich widerspricht. Hier besteht eine direkte Kontrollmöglichkeit des Schuldners bezüglich der Angemessenheit der Frist. Dies weicht von der Lösung anderer Regelwerke ab, insbesondere auch von Art. III-3:503 DCFR.325 dd. Gläubigerfehlverhalten Über Art. 8:101 Abs. 3 PECL, Art. III.-3:101 Abs. 3 DCFR sowie Art. 106 Abs. 5 CESL wird der Schuldner zudem zumindest davor geschützt, dass der Gläubiger bei Verursachung der Nichterfüllung aufgrund eigenen Fehlverhaltens zur Vertragsaufhebung greift.326 Wie bereits angedeutet wird allerdings nicht geregelt, ob die Vorschrift auch dann gelten soll, wenn die Nichterfüllung von Gläubiger und Schuldner verursacht wurde, denn sie versagt dem Gläubiger Rechtsbehelfe nur „soweit“ die Nichterfüllung auf seiner eigenen Handlung beruht.327 Den Vertrag kann er jedoch nur entweder aufheben oder aufrechterhalten. Zwei Argumentationslinien sind möglich: Zum einen kann unter dieser Prämisse eine Nichterfüllung gegebenenfalls als nicht wesentlich zu beurteilen sein, wenn der Nachteil überwiegend auf dem Verhalten des Gläubigers beruht, denn dann entgeht dem Gläubiger, was er nach dem Vertrag erwarten durfte, nicht durch die Nichterfüllung des Schuldners. Auch im Fall der nicht wesentlichen Leistungsverzögerung wird der Verursachungsbeitrag des Gläubigers jedenfalls im Rahmen der Angemessenheit der Nachfrist zu berücksichtigen sein.
324
ROUHETTE/LAMBERTERIE/TALLON/WITZ, Principes du droit européen du contrat, Kommentar 3 zu Art. 8:106. 325 Dort heißt es: „If the period fixed is unreasonably short, the creditor may terminate only after a reasonable period from the time of the notice.” 326 Siehe auch Art. 7.1.2 UPICC. 327 Vgl. hierzu auch DÜCHS, Die Behandlung von Leistungsstörungen im Europäischen Vertragsrecht, S. 256, der in den Art. 8:101 Abs. 3 und 7.1.2 UPICC, die Rechtsbehelfe bei Gläubigerfehlverhalten generell ausschließen, soweit die Nichterfüllung durch den Gläubiger verursacht wurde, ausschließlich eine Antwort für „teilbare“ Rechtsbehelfe sieht.
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Umgekehrt kann die Vertragsaufhebung bei einem geringeren Verursachungsbeitrag des Gläubigers gleichwohl angemessen sein, der Schuldner kann dann allerdings im Wege des Schadensersatzes einen Ausgleich erlangen.328 Klarer wäre allerdings eine Lösung wie in § 323 Abs. 6 BGB: „Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihm zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist […].“ e. Wirkung der Vertragsaufhebung Im Fall der Verzögerung einer Sach- oder Dienstleistung werden in aller Regel außer bei Vereinbarung einer Vorleistungspflicht des Gläubigers329 noch keine Leistungen geflossen sein. Bei Verzögerung einer Geldleistung wurde aber die Sachleistung in der Regel schon erbracht, so dass sich die Frage nach der Rückabwicklung bereits erbrachter Leistungen stellt.330 Art. 9:305 PECL und Art. III.-3:509 DCFR sehen wie auch Art. 7.3.5 UPICC vor, dass die Vertragsaufhebungserklärung des Gläubigers nicht ex tunc, sondern ex nunc331 wirkt. Dies erleichtert insbesondere die Rückabwicklung von Dauerverträgen. Dieser Ansatz entspricht auch der vorherrschenden Ansicht zu Art. 81 Abs. 1 CISG im deutschsprachigen Schrifttum,332 ist allerdings nicht international h.M. zur CISG,333 da sie teils analog einiger nationaler Rechte wie etwa dem französischen ausgelegt wird. Nach letzterem 328
Vgl. LANDO/BEALE, Kommentar D zu Art. 8:101. Vgl. z.B. Art. 58 Abs. 1 Satz 2 CISG. 330 Zur Rückabwicklung von Verträgen in vergleichender Sicht und infolge verschiedener Vertragsstörungen vgl. auch HELLWEGE, Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge als einheitliches Problem, und COEN, Vertragsscheitern und Rückabwicklung. 331 Art. 9:305 Abs. 1 PECL: „[…] befreit beide Parteien von ihrer Verpflichtung, künftige Leistungen zu erbringen und anzunehmen […], berührt aber […] nicht die Rechte und Pflichten, die bis zum Zeitpunkt der Aufhebung entstanden sind.“ 332 Umwandlung in ein Abwicklungsverhältis, vgl. PILTZ, Internationales Kaufrecht, § 5, Rn. 285, 396 und SCHLECHTRIEM/SCHWENZER, Kommentar zum einheitlichen Kaufrecht, Vor Art. 81-84, Rn. 8, m.w.N. 333 In Art. 81 Abs. 1 CISG heißt es unklar: „Die Aufhebung des Vertrages befreit beide Parteien von ihren Vertragspflichten, mit Ausnahme etwaiger Schadensersatzpflichten.“ So wird teils vertreten, die Vertragsaufhebung habe retroaktive Wirkung, AUDIT, La vente internationale des marchandises, n° 191: „La résolution opère donc de manière rétroactive comme en droit interne français.“ Siehe auch Bianca/Bonell/TALLON, Commentary on the International Sales Law, Art. 81, unter 2.5. Bestätigt sieht sich diese Ansicht auch durch Art. 81 Abs. 1 Satz 2 CISG, der Schiedsklauseln u.ä. ausdrücklich von den Aufhebungswirkungen ausnimmt und derer es im Fall der ex nunc Wirkung an sich nicht bedurft hätte. Hiergegen spricht aber der Vergleich mit Art. 7.3.5 Abs. 1 und 3 UPICC, die von der Befreiung von künftigen Leistungen sprechen, jedoch die Fortgeltung von Schiedsvereinbarungen ausdrücklich klarstellen. 329
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beruht die Vertragsaufhebung auf der Idee einer auflösenden Bedingung für den Fall der Nichterfüllung und hat ex tunc-Wirkung.334 Nach den Principles und dem DCFR ist dies ausdrücklich nicht gewollt, um zu verhindern, dass die Vorschriften zur Vertragsaufhebung in einen Konflikt mit der Gewährung des Erfüllungsinteresses geraten.335 Zudem sollen Schiedsklauseln u.ä. unstreitig unberührt bleiben.336 Die Vertragsaufhebung führt damit prinzipiell zum Erlöschen zukünftiger Leistungspflichten, gibt der benachteiligten Partei also ein Ablehnungsrecht für kommende Erfüllungshandlungen ihres vertragsuntreuen Partners. Die Frage, inwieweit die benachteiligte Partei von bereits erbrachten Leistungen befreit oder die Rückgewähr bereits erbrachter eigener Leistungen ermöglicht wird, ist jedoch ungleich komplizierter.337 Das System der Rückabwicklung bei Vertragsaufhebung wegen Nichterfüllung bei bereits erfolgter Leistung oder Teilleistungen ist nach CISG, PECL, DCFR, CESL und UPICC sehr unterschiedlich geregelt. Zwar gestatten alle Regelwerke im Ergebnis eine Rückgewähr der erbrachten Leistungen, die Systematik und der Ausschluss der Rückabwicklung variieren jedoch stark. Im CESL kommt hinzu, dass das Rückabwicklungsregime sowohl für die Vertragsaufhebung als auch für die Rückabwicklung bei angefochtenen Verträgen gelten soll, so dass dort auch keine ausdrückliche ex nunc Wirkung geregelt wurde. Die Regelungen wurden ähnlich wie in der CISG als allgemeines Kapitel am Ende des CESL-Textes eingefügt und nicht im Zusammenhang mit der Vertragsaufhebung geregelt, wie dies in anderen Regelwerken der Fall ist.
334
Art. 1184 mit der Folge der analogen Anwendung von Art. 1183 Code civil: „La condition résolutoire est celle qui, lorsqu’elle s’accomplit, opère la révocation de l’obligation, et qui remet les choses au même état que si l’obligation n’avait pas existée. Elle ne suspend point l’exécution de l’obligation; elle oblige seulement le créancier à restituer ce qu’il a reçu, dans le cas où l'événement prévu par la condition arrive.“ Die analoge Anwendung wird vielfach kritisiert, vgl. GROSSER, Les remèdes à l’inexécution du contrat: essai de classification, S. 406f; die Rückabwicklung erfolgt hier über die condictio indebiti. Siehe Bianca/ Bonell/TALLON, Commentary on the International Sales Law, Art. 81, unter 2.5. 335 Dass hier kein Konflikt entstehen soll, zeigt auch die Grundentscheidung des Art. 8:102 PECL zur Kombinierbarkeit von Vertragsaufhebung und Schadensersatz. Bei retroaktiver Vertragsaufhebung kann an sich nur noch ein Ersatz des reliance interest bzw. des negativen Interesses in Betracht kommen, weil ein Vertrag dann gerade nicht besteht. Vgl. zu diesem Problem insbesondere das schweizerische Recht, unten Teil 2, Kap. 7 § 3 II 5 d. 336 LANDO/BEALE, Art. 9:305, unter B. Vgl. auch Art. 81 Abs. 1 Satz 2 CISG und Art. III.3:509 Abs. 2 DCFR. 337 Art. 9:307, 9:308 PECL; Art. III-3:510 ff. DCFR; Art. 172 ff. CESL.
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Die CISG folgt dem Grundsatz der unversehrten Rückgabe,338 denn sie schließt die Rückabwicklung gem. Art. 82 ganz aus, wenn es dem Käufer unmöglich339 ist, die erhaltene Ware im Wesentlichen in dem Zustand zurückzugeben, in dem er sie erhalten hat. Hiervon lässt sie wiederum aus Wertungsgründen Ausnahmen zugunsten des Käufers zu und kombiniert diese mit einer Wertersatzpflicht, die in Art. 84 CISG, eine Vorschrift zur Vorteilsausgleichung, integriert ist.340 Die Ausnahmen wiederum sind relativ weitreichend und machen bereits den Grundsatz fraglich.341 Die Wertersatzpflicht beschränkt sich jedoch auf den Anwendungsbereich des Art. 82 Abs. 2 CISG, d.h. auf die Fälle, in welchen die an sich unmögliche Rückgabe der Ware in ihrem Ursprungszustand ausnahmsweise die Vertragsaufhebung nicht hindern soll. Der Käufer schuldet dem Verkäufer nach Art. 84 Abs. 2 CISG dann den Gegenwert aller Vorteile, die er aus der Ware oder einem Teil der Ware gezogen hat. Hier sind Regelungen zum Nutzungsersatz und zum Wertersatz vereint worden. Die Risikoverteilung in der CISG, die das Risiko der Verschlechterung der Sachleistung dem Leistungsempfänger aufbürdet, wäre jedoch durch eine generelle Wertersatzpflicht im Fall der unmöglichen Rückgabe des Leistungsgegenstandes besser gelöst.342 Ganz anders die Principles. Während die UPICC nur in Art. 7.3.6 Abs. 2 bei teilbaren Dauerverträgen eine Ausnahme von der Rückabwicklungsmöglichkeit machen und grundsätzlich jeder Partei ein Recht auf Rückgewähr ihrer Leistungen einräumen, sofern sie Zug um Zug alles zurückgibt, was sie erhalten hat,343 erlauben die PECL in Konsequenz der ex nunc Aufhebung nur 338
Schlechtriem/Schwenzer/HORNUNG, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 82 CISG, Rn. 6. 339 Unmöglichkeit der Rückgewähr ist in untechnischem Sinn zu verstehen und meint tatsächliche Hindernisse, Bianca/Bonell/TALLON, Commentary on the International Sales Law, Art. 81, Anm. 1.1. 340 So heißt es in Art. 82 Abs. 2 CISG: „Absatz 1 findet keine Anwendung, a) wenn die Unmöglichkeit, die Ware zurückzugeben oder sie im wesentlichen in dem Zustand zurückzugeben, in dem der Käufer sie erhalten hat, nicht auf einer Handlung oder Unterlassung des Käufers beruht, b) wenn die Ware ganz oder teilweise infolge der in Artikel 38 vorgesehenen Untersuchung untergegangen oder verschlechtert worden ist oder c) wenn der Käufer die Ware ganz oder teilweise im normalen Geschäftsverkehr verkauft oder der normalen Verwendung entsprechend verbraucht oder verändert hat, bevor er die Vertragswidrigkeit entdeckt hat oder hätte entdecken müssen.“ 341 Vgl. auch Schlechtriem/Schwenzer/HORNUNG, Art. 82, Rn. 12; LESER, in SCHLECHTRIEM, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 225 (248 ff.). 342 Vgl. auch HELLWEGE, Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge als einheitliches Problem, S. 580. 343 Art. 7.3.6 Abs. 2 UPICC: „Wenn sich jedoch die Erfüllung des Vertrages über einen Zeitraum erstreckt hat und der Vertrag teilbar ist, so kann Rückgabe nur für die Zeit nach dem Wirksamwerden der Aufhebung verlangt werden.“
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ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen eine Rückabwicklung. Diese berührt grundsätzlich die bis zum Zeitpunkt der Aufhebung zwischen den Parteien entstandenen Rechte und Pflichten nicht. Die Ausnahmevorschriften der Art. 9:306 bis 9:309 PECL regeln sodann den eigentlichen „Normalfall“ der Rückabwicklung synallagmatischer Verträge, die Rückgewähr bereits erbrachter Leistungen.344 Dass diese Regeln Ausnahmecharakter haben, liegt daran, dass Art. 9:305 PECL den ex nunc Charakter überbetont und eine Regelung enthält, die wertungstechnisch auf Dauerverträge zugeschnitten ist.345 Die Rückgewähr erfolgt nach den PECL insofern eingeschränkt, als die Parteien nicht wie nach Art. 7.3.6 Abs. 1 UPICC Rückgabe von allem verlangen können, was sie geleistet haben, sofern sie selbst Zug um Zug Erhaltenes zurückgewähren, sondern im Prinzip nur dann rückabwickeln können, wenn nur einseitig Leistungen geflossen sind: So kann – und dies ist auch für den Fall der Verzögerung der Geldleistung praktisch interessant – gem. Art. 9:308 PECL eine Partei, die Gegenstände geliefert hat, ohne hierfür eine Gegenleistung zu erhalten, diese zurückfordern. Gem. Art. 9:307 PECL kann die Rückerstattung von bereits bezahltem Geld verlangt werden, wenn die Leistung nicht erbracht wurde. Bei teilweise erfolgten Gegenleistungen begegnet das System jedoch Schwierigkeiten.346 Soll dies die Rückabwicklung ausschließen (da ja teils eine Gegenleistung erfolgte) oder nicht (da die Gegenleistung nur teilweise erfolgte)? 347 Abgemildert wird der einseitige und damit eingeschränkte Ansatz der PECL durch Art. 9:306 PECL. Die Rückabwicklung ist auch dann möglich, wenn die erfolgten Leistungen für den Leistungsempfänger aufgrund der nachfolgenden Nichterfüllung einen wesentlich verminderten Wert haben. Dann kann der Leistungsempfänger diese berechtigterweise zurückweisen und im Fall erfolgter Zahlung diese gem. Art. 9:307 PECL zurückfordern. Die Abwägungsentscheidungen, die dies erfordert, machen die Regelung jedoch zu einer kritikwürdigen Lösung. Zudem gilt sie nur für den Sachleistungsgläubiger, nicht auch für den Geldleistungsgläubiger, der z.B. nur eine Ratenzahlung erhielt. Wie ZIMMERMANN zu
344
Vgl. auch ZIMMERMANN, Unif.L.Rev. 2005, S. 719 ff. (723), der darin eine Lösung sieht, die den Spezialfall der Dauerverträge zum Ausgangspunkt des Rückabwicklungsmodells macht. 345 So auch ZIMMERMANN, a.a.O., insb. S. 724. Dies führt im Übrigen auch dazu, dass die Regeln für die Rückabwicklung nach Anfechtung und nach Vertragsaufhebung nicht gleich gestaltet werden können, da die einen rückwirken, die anderen nicht. 346 Vgl. hierzu VIRGO, in JOHNSTON/ZIMMERMANN, Unjustified Enrichment: Key Issues in Comparative Perspective, S. 103 ff. und insb. die Kritik bei ZIMMERMANN, a.a.O., S. 724. 347 Zum unglücklichen Vorbild der „total failure of consideration“ des englischen Rechts und der Problematik der „partial failure“ auch ZIMMERMANN, a.a.O.; SCHLECHTRIEM, Restitution und Bereicherungsausgleich in Europa I, S. 737 ff.
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Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht?
Recht bemerkt, würde dies nicht in das Konzept des Art. 9:306 PECL passen, hier stellt sich jedoch die Frage, inwieweit überhaupt das Konzept passt.348 Die Regelung der PECL ist aufgrund des Ausnahmecharakters der rückwirkenden Rückabwicklung in Art. 9:305 PECL und der differenzierten Ausgestaltung der Rückforderungsrechte der jeweiligen Partei in Abhängigkeit einer einseitigen Leistungserbringung in den Art. 9:306 bis 9:307 PECL wesentlich komplizierter als die Lösung der UPICC. Es hätte sich daher durchaus empfohlen, dem klaren Modell der UPICC zu folgen und eine Ausnahme für Dauerschuldverhältnisse zu regeln.349 Falls eine Leistung nicht zurückgegeben werden kann, ist dies kein Hindernis für die Vertragsaufhebung; die Rückgewährpflicht kann gem. Art. 9:309 PECL zu einer Wertersatzpflicht in angemessener Höhe werden – allerdings wiederum nur unter der Prämisse, dass es sich um eine nur einseitig erfolgte Leistung handelt, für die die Gegenleistung ausblieb. Unklar bleibt der Wortlaut der Regelung jedoch – auch angesichts des Art. 82 CISG – hinsichtlich der Frage, ob die Norm auf Leistungen anwendbar sein soll, die aufgrund ihrer Natur nicht zurückgegeben werden können, oder auch auf solche, deren Rückgabe zwar prinzipiell möglich wäre, jedoch tatsächlich nicht möglich ist. Nach dem Kommentar350 sollen beide Fälle umfasst sein. Andernfalls würde bei einer Vielzahl von Verträgen, insbesondere Bauverträgen, das Recht zur Vertragsaufhebung praktisch abgeschnitten, da dort eine Vertragsaufhebung wegen des in der Regel bereits erfolgten Gebrauchs der Werksbestandteile sonst kaum möglich wäre.351 Wertersatz ist unabhängig vom Grund der fehlenden Rückerstattungsmöglichkeit zu entrichten, d.h. die Partei, die die Sachleistung erhält, trägt grundsätzlich das Risiko für deren Untergang.352 Zur Abmilderung dieses Risikos ist die Rückerstattung in Geld keine absolute Pflicht, sondern vollzieht sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls: In Art. 9:309 PECL heißt es: „may recover a reasonable amount“ oder „whenever reasonable“, was die Berücksichtigung des Verursachungsbeitrages durch die eine oder andere Partei ermöglichen kann. Im Hinblick auf die Wertersatzlösung ist 7.3.6 Abs. 1 Satz 2 UPICC im Ergebnis ähnlich geregelt. Ist also die Gegenseite an einer Unmöglichkeit der Rückgewähr der empfangenen Leistung beteiligt, kann die Risikotragung durch den Leistungs-
348
ZIMMERMANN, a.a.O. Inwieweit die Rückabwicklungslösung der UPICC im Lichte der instrumentsinternen weiteren Rückabwicklungsvorschriften wie Art. 3.17 UPICC überzeugt und einen einheitlichen Rückabwicklungsmodus schafft, soll hier nicht erörtert werden. 350 LANDO/BEALE, Art. 9:309, unter A. 351 Hier wird es sich dann um einen Fall des Art. 9:306 in Kombination mit 9:309 PECL handeln. 352 SCHWENZER, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 47. 349
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empfänger über das Angemessenheitskriterium jedenfalls in das „ob und wie“ des Wertersatzes einfließen.353 Anders als Art. 84 Abs. 2 CISG enthalten die Principles keine zusätzlichen allgemeinen Regelungen zum Nutzungsersatz. Lediglich für Geldleistungen greift mit Art. 9:508 Abs. 1 PECL, 7.4.9 Abs. 1 UPICC eine Regelung über die Verzinsung.354 Der DCFR versucht, den Schwierigkeiten der PECL-Lösung durch eine ausführliche und relativ klare Rückabwicklungslösung in Art. III.-3:511 ff. zu entgehen. Eine Vertragsaufhebung und anschließende Rückabwicklung soll auch dann möglich sein, wenn der Leistungsgegenstand nur unter unangemessenen Anstrengungen oder Kosten herauszugeben wäre oder die Rückgewähr unmöglich ist. Allerdings tritt an die Stelle der Rückgewährpflicht dann stets eine Wertersatzpflicht in Höhe des Wertes des erhaltenen Vorteils,355 der nach Art. III.-3:513 Abs. 2 DCFR näher bestimmt wird. Die Wertersatzpflicht ist eingeschränkt,356 wenn die Rückgabepflicht durch eine Nichterfüllung der anderen Partei bedingt wurde und deshalb der Vorteil z.B. nicht unter den gleichen Bedingungen rückgewährt werden kann, unter denen er erhalten wurde357 oder wenn die Rückgabe nicht möglich ist, weil der Empfänger vernünftigerweise annehmen durfte, dass die Leistung vertragsgerecht erfolgt war und er mit dem Leistungsgegenstand daher nach seinem Belieben verfahren durfte.358 Nach Art. III.-3:514 DCFR hat der Rückgewährpflichtige Nutzungsersatz zu leisten, soweit er wertersatzpflichtig ist. Verbesserungen des Leistungsgegenstandes kann er hingegen außer in Ausnahmefällen wie der Kenntnis oder dem Kennenmüssen der Rückgewährpflicht359 ersetzt verlangen. Die ausführlicheren und klareren Regeln des DCFR sind der Lösung der PECL überlegen.
353
Der Hinweis ZIMMERMANNS und HELLWEGES auf die fehlende Einheitlichkeit der Rückabwicklungsregimes der Art. 3.17 und 7.3.6 UPICC wegen Art. 7.3.6 Abs. 1 Satz 2 a.E. der die Leistung des Wertersatzes nur unter der Prämisse whenever reasonable vorsieht, ist zwar formell berechtigt, inhaltlich ist der Zusatz in der geschilderten Hinsicht jedoch durchaus nicht unnütz, vgl. ZIMMERMANN, Unif.L.Rev. 2005, S. 719 (731). 354 Die sachenrechtlichen Wirkungen der Vertragsaufhebung regelt keines der Regelwerke, sondern das nach dem anwendbaren Kollisionsrecht zur Anwendung berufene nationale Recht. LANDO/BEALE, Art. 9:308 PECL unter B. Je nachdem, ob die lex rei sitae dem Abstraktionsprinzip oder Konsensualprinzip folgt, kommt es dann zu einer automatischen dinglichen Wirkung oder einem Anspruch auf Rückübertragung; SCHMID, Das Zusammenspiel von Einheitlichem UN-Kaufrecht und nationalem Recht: Lückenfüllung und Normkonkurrenz, S. 50. 355 Der DCFR spricht hier von benefit. 356 Art. III.-3:511 Abs. 3 und 4 und Art. III.-3:513 DCFR. 357 Art. III.-3:513 Abs. 3 lit. a DCFR. 358 Art. III.-3:513 Abs. 4 DCFR. 359 Art. III.-3:514 Abs. 2 lit. b DCFR.
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Das CESL enthält in den Art. 172 ff. eine nochmals abweichende Regelung der Rückabwicklung. Diese ist relativ kompliziert, da sie eine gemeinsame Lösung für verschiedene Rückabwicklungsursachen versucht und auch Verträge über digitale Inhalt und verbundene Dienstleistungen umfasst, für diese aber teils spezielle Regelungen vorsieht. Der Versuch, den Verbraucherschutz auch in die Rückabwicklung einzuführen, lässt das Kapitel inkohärent erscheinen.360 Gegenüber dem DCFR stellt es eine deutliche Verschlechterung dar. 3. Gläubigerfreundliche Schadensersatzregelung a. Recht auf Schadensersatz und réparation intégrale Der Gläubiger hat in allen Fällen einer nicht entschuldigten Nichterfüllung das Recht, Schadensersatz zu verlangen, wenn er einen durch die Nichterfüllung kausal verursachten Schaden erlitten hat.361 Eine Unterscheidung nach der Art des Schadensersatzes wird im Gegensatz zu den §§ 280, 281 ff BGB konsequenterweise vermieden. Der Gläubiger hat lediglich die Nichterfüllung und seinen Schaden zu beweisen,362 der Schuldner sich gegebenenfalls wegen Entschuldigung seiner Nichterfüllung zu entlasten. PECL, DCFR und CESL verfolgen dabei den Ansatz der réparation intégrale:363 Jede Nichterfüllung, außer wenn sie entschuldigt ist, gewährt der benachteiligten Partei einen Anspruch, der auf vollen Ersatz des ihr entstandenen Schadens gerichtet ist. Der Gläubiger soll zumindest wirtschaftlich so gestellt werden, wie er stünde, wenn vertragsgemäß erfüllt worden wäre, und für jeglichen Schaden kompensiert werden, der ihm dadurch entsteht, dass der Vertrag nicht wie vereinbart durchgeführt wird. Ihm sind also damnum emergens und lucrum cessans zu ersetzen.364 Im CESL wurde die Bemessungsgrundlage des Schadensersatzes in Art. 160 ausdrücklich klargestellt. Dass sich der Wortlaut von PECL, DCFR und CESL an die Schadensersatznormen des romanischen Rechtskreises anlehnt,365 und weder von reliance interest und expectation interest oder von positivem und negativem Interesse spricht, ist hierbei durchaus von Bedeutung. Dies löst einen insbesondere im deutschen Rechtskreis bekannten Streit um den Ersatz vergeblicher Aufwendungen im
360
So wurden keine Ersatzansprüche des Verkäufers für Schäden an der zurückzugewährenden Sache vorgesehen. Der Verbraucher-Käufer wird damit selbst dann von jeder Haftung freigestellt, wenn er die Sache vorsätzlich beschädigt hat. 361 Art. 9:501 PECL, Art. III.-3:701 DCFR und Art. 7.4.1 UPICC. 362 Zu Beweiserleichterungen in Art. 9:506 und 9:507 PECL, vgl. sogleich unter 4. 363 Siehe auch Art. 7.4.1, 7.4.2 Abs. 1 UPICC. 364 Vgl. auch im DCFR Art. III.-3:702 Satz 2. 365 Vgl. nur Art. 1149 CC: „perte éprouvé“ und „gain manqué“.
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Rahmen des Nichterfüllungsschadensersatzes366 und die Alternativität zwischen dem Ersatz des negativen und positiven Interesses. Letztere herrscht im deutschen Recht über den neuen § 284 BGB ebenso wie im englischen Recht367 noch immer vor. Nach den Principles sind in Anlehnung an den Musterfall des französischen Rechts368 – den nicht zur vereinbarten Leistungszeit auftretenden Künstler, der zur „indemnisation des dépenses faites en vue du spectacle“ und (kumulativ) des „bénéfice net“369 verpflichtet ist – beide Schadensposten als Elemente eines Gesamtschadens zu ersetzen.370 Dies unterscheidet sich von der Idee des in einem Alternativitätsverhältnis stehenden negativen und positiven Interesses. Hierin liegt auch ein Vorteil gegenüber Art. 74 CISG, der nach seinem deutschen Wortlaut den entstandenen Verlust, einschließlich des entgangenen Gewinns ersetzen will und die klare Trennung der Principles in erlittenen Verlust und entgangenen Gewinn verwischt.371 Die Principles gestatten allerdings weder nominellen Schadensersatz noch punitive damages, da letztere in wenigen Rechtsordnungen gestattet und in der internationalen Vertrags- und Schiedsgerichtspraxis nicht als gängiges Instrument anerkannt sind.372 Dem folgen auch DCFR und CESL.
366
Die Einordnung des Ersatzes vergeblicher Aufwendungen unter den Nichterfüllungsschaden war im deutschen oder österreichischen Recht aufgrund der Formel vom positiven Interesse („so zu stellen, wie wenn ordnungsgemäß erfüllt worden wäre“) und die nach dieser Definition fehlende Kausalität vergeblicher Aufwendungen für den Nichterfüllungsschaden (sie wären auch bei Erfüllung angefallen) problematisch. Sie führte nur über die Konstruktion der sog. Rentabilitätsvermutung. (bereits RG 19.2.1930, RGZ 127, 245, 248; in Österreich OGH SZ 59/8, 1986) zu einer Ersatzfähigkeit im Rahmen der Nichterfüllungshaftung und scheiterte im Fall von Verträgen mit immaterieller Zwecksetzung (BGHZ 99, 182 = JZ 1987, 512, Anm. STOLL). Das deutsche Recht gestattet den Ersatz vergeblicher Aufwendungen in § 284 BGB nunmehr ausdrücklich als Option des Gläubigers anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung. 367 FURMSTON, Cheshire, Fifoot and Furmston’s Law on Contract, S. 609 und CCC. Films v. Impact Quadrant Films [1984] Q.B. 16, 3 All E.R. 306 ff. Siehe zum Vergleich auch sec. 249 Restatement 2nd (“As an alternative to the measure of damages stated in § 347, the injured party has a right to damages based on his reliance interest […]”), der weitgehend der Idee des § 284 BGB n.F. entspricht. 368 PLANIOL/RIPERT, Traité Elémentaire de Droit Civil II, Rn. 247. 369 Vgl. auch SCHACKEL, ZEuP 2001, S. 248 (267). 370 Vgl. UNIDROIT Principles, Commentary, Art. 7.4.2, Nr. 4: „A, a singer, cancels an engagement with B, an impressario. A must pay damages to B in respect not only of the expenses incurred by B in preparing the concert but also of the loss of profit resulting from the cancellation of the concert“, ähnlich der Kommentar zu Art. 9:502 PECL. 371 Siehe die Anmerkungen von SCHACKEL, ZEuP 2001, S. 248 (268). 372 LANDO/BEALE, zu Art. 9:501 unter A („Kein Schadensersatz ohne Schaden“) und Anm. 1, UPICC Commentary zu Art. 7.4.2 Nr. 1. Zu nominal und punitive damages auch TALLON, Am.J.Comp.L. 40 (1992), S. 675 (677 f.).
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Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht?
Über den Wortlaut des Art. 74 CISG hinaus und entgegen der Tradition verschiedener nationaler Rechtsordnungen wie etwa der italienischen373 umfasst der ersatzfähige Schaden in den Principles und im DCFR auch Nichtvermögensschäden374 und zudem zukünftige Schäden,375 wenn deren Eintritt vernünftigerweise als wahrscheinlich betrachtet werden kann. Im CESL stellt Art. 2 lit. c des CESL-Verordnungsentwurfs (nicht der CESL Text selbst) klar, dass „Verlust“ auch immateriellen Verlust in Form „erlittener Schmerzen und erlittenen Leides“ umfasst. Die Vorschrift nimmt jedoch andere Formen von Nichtvermögensschäden wie etwa Beeinträchtigungen der Lebensqualität oder entgangene Freude ausdrücklich aus. Die Regelung des 7.4.3 UPICC ist um einiges präziser, da sie sich ausdrücklich dem Grundsatz der Bestimmtheit des Schadens verschreibt.376 Allerdings macht sie hiervon gleich selbst eine Ausnahme, denn kann der Betrag des Schadensersatzes nicht mit hinreichender Bestimmtheit ermittelt werden, so liegt seine Festsetzung im Ermessen des Gerichts. Ebenso umfasst sind Folgeschäden, allerdings nur, soweit sie nach Art. 9:503 PECL und Art. III.-3:701 DCFR vorhersehbar sind.377 Dies wurde auch in Art. 161 CESL übernommen. Der säumige Schuldner wird sich insbesondere mit dem Ersatz von Schäden konfrontiert sehen, die dem Gläubiger dadurch entstanden sind, dass er, gegebenenfalls unter Verwirkung von Vertragsstrafen, Verträge mit Dritten nicht einhalten konnte, die mangelnde Realisierung eigener Projekte nicht möglich war, oder ihm hohe Transaktionskosten entstanden sind. Geleistet wird der Schadensersatz grundsätzlich in Geld.378 Den Juristen des germanischen Rechtskreises mag es irritieren, dass die Regelwerke den Schadensersatz prinzipiell mit dem positiven Interesse gleichstellen. Genausowenig unterscheiden sie wie die §§ 280-283 BGB zwischen verschiedenen Anspruchsgrundlagen für den Ersatz von aufgrund verschiedener Leistungsstörungen entstandenen Schäden und trennen nicht zwischen Haupt- und Nebenpflichtverletzungen379 oder Verzögerungs- und Nicht-
373
Siehe Art. 2059 italCC. Art. 9:501 Abs. 2 lit. a PECL, Art. III.-3:701 Abs. 3 DCFR, Art. 7.4.2 Abs. 2 UPICC. 375 Art. 9:501 lit. b PECL, Art. III.-3: 701 Abs. 2 DCFR und Art. 7.4.3. Abs. 1 und 2 UPICC. 376 Vgl. auch Restatement 2nd Contracts, sec. 352. 377 Vgl. LANDO/BEALE, zu Art.9:501 Abs. 1, S. 529 und UPICC, Kommentar 5 zu Art. 7.4.2. 378 Art. 9:507 PECL, Art. III.-3:707 und 711 DCFR, Art. 7.4.11, 7.4.10 UPICC und Art. 160 CESL sowie Art. 2 lit. g des CESL-Verordnungsentwurfs. 379 Vgl. auch Art. 1.301 Abs. 4 PECL, der auch die Nebenpflichtverletzung als Nichterfüllung ansieht; LANDO/BEALE, Art. 8:101, Kommentar A. 374
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erfüllungsschäden.380 Sie benötigen keine gesonderten Normen, da die Verzögerung der Leistung bereits als solche eine Nichterfüllung ist; zudem kann Schadensersatz grundsätzlich mit anderen Rechtsbehelfen kumuliert werden.381 Der Schadensersatzanspruch tritt also im Fall der Verzögerung der Leistung entweder neben den Erfüllungsanspruch oder an dessen Stelle, je nachdem, welche Rechtsbehelfe dem Gläubiger im Einzelfall offenstehen und für welche er sich entscheidet. Im Ergebnis steht er aber jeweils so wie er stünde, wenn ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Der Schadensersatzanspruch baut nach PECL, DCFR wie auch UPICC, CISG und CESL zudem nicht auf dem Verschuldensprinzip auf, sondern beruht auf dem bereits dargestellten Gedanken der Garantiehaftung mit Exkulpationsmöglichkeit. Abgesehen von der Kausalität des Schuldnerverhaltens und einer etwaigen Mitverursachung durch den Gläubiger und einer eventuellen Haftungsbefreiung ist allein der Haftungsumfang im jeweiligen Einzelfall fraglich. Hier zeigt sich erneut die Gläubigerfreundlichkeit dieser Systeme. b. Verzögerungs- und Nichterfüllungsschaden? Dieser Verzicht auf komplexe nationale Anspruchsgrundlagen wegen unterschiedlicher Formen der Pflichtverletzung, wie man sie aus dem deutschen Recht kennt, wirft jedoch die Frage auf, ob ein System ohne diese Differenziertheit gleich gut funktionieren kann. Insbesondere gilt dies für die Unterscheidung zwischen dem Verzögerungs- und dem Nichterfüllungsschadensersatz der §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 4 und § 281 Abs. 1 BGB. Es braucht in PECL und DCFR an sich kein weiteres Anknüpfungselement für den Schadensersatz als die objektive Verzögerung der Leistung. Eine Mahnung, um den „Verzögerungsschadensersatzanspruch“ zu konkretisieren, oder eine Nachfrist als Voraussetzung des deutschen Schadensersatzes statt der Leistung werden entbehrlich. Kann also der Gläubiger nach den Principles auf „Schadensersatz statt der Leistung“ schon bei Vorliegen einer Leistungsverzögerung zurückgreifen, 380
Vergleiche auch die Begriffe im deutschen und niederländischen Recht: Schadensersatz und Schadensersatz „statt der Leistung“, bzw. „aanvullende schadevergoeding“ und „vervangende schadevergoeding“, Art. 6:87 NBW; ASSER/HARTKAMP, Verbintenissenrecht I, Nr. 356. 381 Art. 8:102 und 9:501 Abs. 1 PECL, Art. III.-3:102 DCFR, Art. 106 Abs. 6 CESL, Art. 7.4.1 UPICC. Die Kombination aus Vertragsaufhebung und Schadensersatz wegen Nichterfüllung ist für manche Systeme nicht nachvollziehbar, vgl. etwa Art. 109 Abs. 2 OR, der bei Rücktritt nur das negative Interesse ersetzen will („Überdies hat er Anspruch auf Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schadens […]“); dies galt vor 2001 auch für das deutsche Recht, das die Kumulation zwischen dem Rücktritt und dem Schadensersatz wegen Nichterfüllung ausdrücklich versagte.
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ohne dem Schuldner eine zweite Chance zur Leistung zu geben, obwohl die Leistungsverzögerung nicht wesentlich war? Kann er ein Deckungsgeschäft vornehmen, sobald der Leistungstermin verstrichen ist, und seinen Nichterfüllungsschaden geltend machen, und den Schuldner mit dieser Rechtsfolge gleichsam überziehen? Obgleich die Antwort der Principles mangels Differenzierung in den Schadensersatznormen und ausdrücklicher Normierung eines Fristsetzungserfordernisses zunächst positiv auszufallen scheint, wird dies aufgrund des Zusammenspiels mehrerer Vorschriften doch nicht ganz durchsichtig. Hat der Gläubiger eine Nachfrist gesetzt, was gem. Art. 8:106 Abs. 1 PECL und Art. III.-3:103 Abs. 1 DCFR optional möglich, und (nur) gem. Art. 9:301 Abs. 2, 8:106 Abs. 3 PECL und Art. III.-3:503 DCFR geboten ist, um die Vertragsaufhebung zu ermöglichen, bleibt die Geltendmachung von Schadensersatz von der Fristsetzung ausdrücklich unberührt. Faktisch allerdings wird die Frist den Nichterfüllungsschadensersatz wohl suspendieren, denn wenn Art. 8:106 Abs. 2 PECL dem Gläubiger während des Fristlaufs verbietet, „einen anderen Rechtsbehelf“ als sein Zurückbehaltungsrecht oder Schadensersatz geltend zu machen, liefe Schadensersatz „wegen Nichterfüllung“, der gerade an die Stelle des Erfüllungsanspruchs tritt, diesem Postulat zuwider. Dass der Gläubiger während des Fristlaufs Schadensersatz verlangen können soll, scheint in diesem Fall also in erster Linie den Verzögerungsschadensersatz zu meinen, wie dies auch die CISG in Art. 47 Abs. 2 Satz 2 eindeutig formuliert. Damit ist allerdings die Frage noch nicht beantwortet, ob die Fristsetzung im Fall der Leistungsverzögerung erfolgen muss, wenn der Gläubiger den Schuldner auf Schadensersatz „statt der Leistung“ in Anspruch nehmen will. Die Frage ist gerade bei der Leistungsverzögerung praktisch sehr bedeutsam. Hier scheint zunächst aus Art. 9:506 PECL wie Art. III.-3:706 DCFR und Art. 7.4.5 UPICC zu folgen, dass ein Schadensersatz „statt der Leistung“ de facto an die Nachfrist des Art. 9:302 Abs. 2, Art. 8:106 Abs. 3 PECL oder des Art. III.-3:503 DCFR gekoppelt ist. In Anlehnung an Art. 75 CISG bestimmen diese Vorschriften, dass im Fall eines durch die geschädigte Partei durchgeführten Deckungsgeschäfts dieses bei der Schadensberechnung zu berücksichtigen ist.382 Allerdings setzt die Norm voraus, dass „die benachteiligte Partei den Vertrag aufgehoben“ hat, also abgesehen vom Fall der wesentlichen Vertragsverletzung auch eine Fristsetzung erfolgt ist. Man könnte daraus tatsächlich schließen, die Frist für die Vertragsaufhebung sei indirekt auch auf die Geltendmachung des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung zu erstrecken und damit an zur Vertragsaufhebung parallele Voraussetzungen ge382
Der Schadensersatz besteht dann im Unterschiedsbetrag zwischen dem vertraglich vereinbarten Preis und dem Preis des Deckungsgeschäfts sowie gegebenenfalls in weiteren Schäden, wie etwa den Zusatzkosten für den Abschluss des Deckungsgeschäftes.
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knüpft, wie dies etwa §§ 281 und 323 BGB vorsehen. Parallelen zeigen sich zudem in den Art. 9:102 Abs. 2 lit. d PECL und § 281 Abs. 4 BGB, da nach Letzterem ebenfalls der Erfüllungsanspruch ausscheidet, sobald Schadensersatz statt der Leistung verlangt wird.383 Unglücklich hieran ist jedoch, dass Art. 9:506 PECL wie Art. III.-3:706 DCFR Normen sind, deren alleiniger Zweck es ist, über eine abstrakte Schadensberechnung die Festsetzung des Schadensumfangs zu erleichtern.384 Soll hierin auch die Normierung einer Pflicht zur Vertragsaufhebung unter Fristsetzung vor Abschluss eines Deckungsgeschäftes zu erkennen sein, ist die Systematik der Regelwerke an dieser Stelle jedenfalls nicht überzeugend. Es ergibt sich aus den PECL und dem DCFR nämlich nirgends, dass der Gläubiger den Vertrag zwingend aufheben muss, wenn er „Schadensersatz statt der Leistung“ verlangt, etwa weil er ein Deckungsgeschäft durchführt. Da wegen Art. 9:102 Abs. 2 lit. d PECL schon die bloße Möglichkeit des Deckungsgeschäftes den Erfüllungsanspruch ausschließen soll, liegt es unter den PECL vielmehr nahe, dass der Gläubiger sich ab objektiver Verzögerung auch für ein Deckungsgeschäft entscheiden kann. Er hat es damit in der Hand, die Erfüllungsmöglichkeit des Schuldners abzuschneiden und Schadensersatz „statt der Leistung“ zu verlangen. Lediglich der Weg der Schadensberechnung über Art. 9:506 PECL scheint ihm versperrt. Faktisch besteht aber die Gefahr, dem Schuldner unter Vorbehalt der Regeln in den Art. 8:104, 9:303 Abs. 3 PECL die Möglichkeit der Erfüllung zu nehmen, ohne ihm eine zweite Chance zur Leistung zu geben. Danach wäre die Fristsetzung tatsächlich nur für die Vertragsaufhebung bei (nicht wesentlicher) Leistungsverzögerung als obligatorisch anzusehen. Klar sind die Art. 9:501 Abs. 1 und 8:106 Abs. 2 und 9:506 PECL jedenfalls nicht. Auch der DCFR löst dieses Problem nicht, denn er folgt an dieser Stelle weitgehend identischen Vorgaben, ebenso das CESL. Wie bereits zum fehlenden Mahnungserfordernis angedeutet, stellt sich ein weiteres Problem im Hinblick auf den Moment, ab welchem ein Schaden der Sphäre des Schuldners zugerechnet wird. Es wurde bereits angesprochen, dass hierbei in den PECL ein Mangel an Rechtssicherheit erkennbar wird: Was passiert, wenn zwischen den Parteien keine Leistungszeitvereinbarung getroffen wird, der Schuldner nach Art. 7:102 Abs. 3 PECL binnen angemessener Zeit zu leisten hat und aus (einseitiger) Sicht des Gläubigers die angemessene Leistungsfrist verstrichen ist und ihm ein „verzögerungs“bedingter Schaden entsteht, während der Schuldner die angemessene Frist noch nicht als erschöpft ansieht? 383
ZIMMERMANN, The German Law of Obligations, S. 53, 54. Im DCFR ist die Problematik anders geregelt, vgl. Art. III.-3:302 Abs. 5 DCFR. 384 Vgl. zu einem entsprechenden Vorgehen im nationalen Recht insbesondere die niederländische Rechtsprechung des Hoge Raad, 6.6.1997, NJ 1997, 612 und HARTKAMP/ TILLEMA/ TER HEIDE, Netherlands, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 179, 204.
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Nach deutschem Recht würde ein Verzögerungsschadensersatz hier eine Mahnung voraussetzen.385 Nach den Principles soll dies ausdrücklich nicht der Fall sein. Im Kommentar heißt es klar, es sei nicht erforderlich, dass die benachteiligte Person eine Leistungsaufforderung vornahm. Darauf, ob diese eventuell aus Treu und Glauben verpflichtet wäre, den Schuldner zu kontaktieren oder aufgrund seiner eigenen Schadensminderungspflicht gehalten ist, den Schuldner davon in Kenntnis zu setzen, dass ihm ein verzögerungsbedingter Schaden droht, geht der Kommentar nicht ein. In der Praxis mag zwar der Gläubiger-Schuldner-Kontakt in solchen Fällen ohnehin weitgehend etabliert sein. Dass ein den Schadensersatzanspruch auslösendes präzises Zeitmoment nicht in allen Fallkonstellationen386 kraft einer Norm vorgesehen ist, scheint jedoch gleichwohl bedenklich. Dem Schuldner ist in dieser Situation auch nicht über andere Vorschriften zu helfen, etwa über die Erwägung, ihm sei ein Schaden in einem solchen Fall überhaupt nicht i.S.d. Art. 9:503 PECL vorhersehbar gewesen. Ihm war nämlich genau genommen eben nicht unvorhersehbar, dass dem Gläubiger ein verzögerungsbedingter Schaden entstehen kann, sondern es war ihm vielmehr unklar, dass bereits eine Verzögerung vorliegt. Ein Mahnungs- oder Fristsetzungserfordernis hätte dieses Problem ausgeräumt. Dass der Gläubiger ab Verzögerung der Leistung also prinzipiell ohne Mahnung und ohne Fristsetzung verlangen kann, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn ordnungsgemäß erfüllt worden wäre, ist der Rechtssicherheit nicht dienlich. Damit sind die PECL wie der DCFR und die UPICC, die sich insoweit an das common law anlehnen, fast päpstlicher als der Papst, denn selbst dort mahnt man den Schuldner in der Praxis.387 Das CESL löst das Problem etwas anders, da es in Art. 95 Abs. 2 für B2C Verträge eine Lieferfrist von längstens 30 Tagen vorschreibt. Es ist davon auszugehen, dass am Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung erst nach Ablauf der Frist zu denken ist, sofern nicht etwas anderes vereinbart wurde. Diese Lösung ist zwar nicht ideal, da die Lieferfrist hierdurch im Einzelfall unangemessen lang sein kann. Sie schafft jedoch zumindest mehr Rechtssicherheit als die Lösung der Principles. Dies gilt jedoch nicht für B2B Verträge. Dort ist „without undue delay“ zu liefern. Ein Mahnungserfordernis fehlt jedoch.
385
§ 280 Abs. 1, 2 i.V.m. § 286 Abs. 1, 4 BGB. Bei der ausdrücklichen Leistungszeitbestimmung stellt sich das Problem nicht, dies zeigt etwa auch § 286 Abs. 2 BGB. 387 Siehe unten Teil 2, Kap. 7, § 2 III 5. 386
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c. Begrenzungen des Schadensersatzanspruchs Abgesehen von diesen Unstimmigkeiten ist das Schadensersatzkonzept der Regelwerke gelungen. Dem sehr weiten Schadensersatzkonzept der réparation intégrale, das auch Nichtvermögensschäden umfasst und den entgangenen Gewinn388 ersetzt, wird durch mehrfache Begrenzungen ein engerer Rahmen gegeben. Wie aus nationalen Rechten bekannt, ist eine Nichterfüllung naturgemäß nur dann kausal für den eingetretenen Schaden, wenn das Unterbleiben der Erfüllung den Schaden verursacht hat. Begrenzungen des Schadensersatzanspruchs folgen in nationalen Rechtsordnungen in der Regel aus der Kausalitätslehre. Die Principles und der DCFR differenzieren und begrenzen den Schadensersatz nicht nur über das Erfordernis der Kausalität der Nichterfüllung, sondern über das Element der Vorhersehbarkeit des Schadens.389 Zudem wirkt auch ein die Nichterfüllung, den Schadenseintritt oder seine Höhe mitverursachendes Fehlverhalten des Gläubigers nicht über die eher vage Lehre der adäquaten Kausalität beschränkend auf den Schadensersatzanspruch, sondern über ausdrückliche präzise Spezialregeln.390 aa. Kausalität Ein Schaden ist vom Schuldner dann zu ersetzen, wenn er durch die Nichterfüllung entstanden ist. Die Kausalität beurteilt sich aus der Perspektive zur Zeit des Schadenseintritts. Ereignisse, die einen Einfluss auf den Vertrag gehabt hätten, wenn die Erfüllung nicht unterblieben wäre, sind bei der Frage der Kausalität begrenzend zu berücksichtigen. So etwa in dem von den Verfassern der PECL zitierten Fall der Lieferung einer Maschine, deren Verzögerung nur insoweit kausal für einen entgangenen Gewinn des Gläubigers war, als das zu liefernde Gerät in dessen Fabrik tatsächlich nutzbar gewesen wäre, was dann nicht der Fall ist, wenn durch den Brand der Fabrik, in welcher sie benutzt worden wäre, eine tatsächliche Benutzung faktisch ausgeschlossen war.391
388
Dass auch die vernünftige Gewinnerwartung als ersatzfähiger Schaden zählt, ist nicht in allen Staaten gleichermaßen als allgemeiner Grundsatz bekannt, da dies eine schwierige Prognoseentscheidung erfordert. Hat beispielsweise ein Unternehmer durch die Verzögerung seiner Leistung die Präsentation eines Werkes seines Vertragspartners verhindert, die diesem möglicherweise einen lukrativen Auftrag beschert hätte, ist die Einschätzung der entgangenen Gewinnchance eine schwierige Aufgabe. 389 EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution et les principes UNIDROIT, S. 198: „Alors que la prévisibilité se réfère au lien qui existe entre les perspectives des parties au moment de la conclusion du contrat et le fait dommageable, le lien de causalité concerne le lien qui existe entre la violation du contrat et le fait dommageable.“ 390 Hierzu sogleich unter bb. 391 LANDO/BEALE, zu Art. 9:501 Abs. 1.
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Indirekte Schäden, die teils aufgrund von Spezialvorschriften des nationalen Rechts wie Art. 1151 CC von einer Ersatzfähigkeit ausgeschlossen werden, sind nach allgemeinen Kausalitätserwägungen zu beurteilen, da die Principles hierzu wie auch die CISG keine Sondervorschrift vorsehen.392 Ähnlich ist dies in DCFR and CESL. bb. Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts Von der Kausalität ist die Frage nach der Vorhersehbarkeit des Schadens393 zu unterscheiden, welche den Anspruch des Gläubigers begrenzt. Sie ist gem. Art. 9:503 PECL, Art. III.-3:705 DCFR und Art. 161 CESL einer ex ante Beurteilung durch die Parteien im Moment des Vertragsschlusses unterworfen.394 Das Kriterium der Vorhersehbarkeit, das nicht erst seit Hadley v. Baxendale395 im common law, sondern im Grundsatz bereits im justinianischen Recht bekannt war, verhindert auch angesichts der strengen Einstandspflicht des Schuldners eine zu weitreichende Schuldnerhaftung. Hat der Schuldner den Schadenseintritt nicht bereits bei Vertragsschluss als wahrscheinliche Folge der Nichterfüllung vorausgesehen oder konnte er ihn vernünftigerweise nicht voraussehen, hat er für ihn nicht einzustehen. Die Begrenzung des Schadensersatzes auf den vorhersehbaren Schaden bezieht sich jedoch anders als im römischen Recht nicht allein auf den Umfang des Schadens. Entscheidender Ansatzpunkt der Vorhersehbarkeit ist wie nach der CISG weder die Art der Pflichtverletzung noch der konkrete Schadensumfang,396 noch allein die Schadensart,397 sondern der Schadenseintritt, wobei Erwägungen zum Schadensumfang jedoch durchaus eine Rolle spielen sollen.398 Relevant wird dies insbesondere im Hinblick auf den entgangenen Gewinn. Wurde also dem Gläubiger ein Gerät versprochen, das zu spät geliefert wird, haftet der Lieferant auf den Ersatz des nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit dem rechtzeitig gelieferten Gerät erzielten Gewinns, nicht aber auf den Ersatz
392
Vgl. auch PHILIPPE, RDAI 1995, S. 171, der auf die Beurteilung nach der Vorhersehbarkeit des Schadens abstellt. 393 Die deutsche Übersetzung der PECL spricht von „Voraussehbarkeit“. 394 Siehe für die CISG Staudinger/MAGNUS, Art. 74, Rn. 38; Schlechtriem/Schwenzer/ STOLL/GRUBER, Art. 74, Rn. 37. 395 Hadley v. Baxendale (1854) 9 Ex 431. Allerdings stellt die englische Rechtsprechung mehr auf den wahrscheinlichen Schaden und die Sicht beider Parteien ab, vgl. Czarnikow v. Koufos [1969], 1 A.C., 350. 396 Vgl. zur CISG insb. OGH 14.1.2002, 7 Ob 301/01t, IHR 2002, 76, 80 und Staudinger/MAGNUS, Art. 74, Rn. 34, ENDERLEIN/MASKOW/STROHBACH, Art. 74, Rn. 8. 397 So aber der Kommissionsbericht I (1977) zur CISG in YB VIII (1977), S. 59 Nr. 474478: „loss of such a nature which the party could not reasonably have forseen,“ zitiert bei Schlechtriem/Schwenzer/STOLL/GRUBER, Art. 74, Rn. 140. 398 A.a.O.
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eines aufgrund einer außergewöhnlichen Gewinnmöglichkeit entgangenen Gewinns.399 Das Kriterium wird teils als zu vage kritisiert.400 Die Begrenzung auf den vorhersehbaren Schaden gilt nach den PECL und dem DCFR allerdings nur unter dem Vorbehalt, dass das Verhalten des Schuldners nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich war. Durch die Einfügung des Vorbehalts des Verschulden, der bereits in den frühesten Kodifikationen wie dem APLR enthalten war,401 unterscheidet sich die Regel der PECL und des DCFR vom rein objektiven Ansatz der Art. 74 S 2 CISG, 7.4.4 UPICC sowie 161 CESL, nach welchem generell und unabhängig vom Verschuldensgrad der Schadensersatz den Verlust nicht übersteigen darf, den die vertragsbrüchige Partei bei Vertragsabschluß als wahrscheinliche Folge der Vertragsverletzung vorausgesehen hat oder vernünftigerweise hätte voraussehen können. 402 Dass der Verschuldensgrad für den Schadensumfang entscheidend sein soll, ist im nationalen Recht bekannt und dem französischen oder italienischen Recht entlehnt.403 Dort ist der Vorbehalt an sich auf den Vorsatz beschränkt, jedoch mit Auslegungsdifferenzen hinsichtlich der Einordnung der groben Fahrlässigkeit, die im französischen Recht dem dol gleichsteht, was im italienischen Recht jedoch streitig ist.404 Diese Problematik ausgerechnet in den PECL und im DCFR wiederzufinden, die eine verschuldensunabhängige Haftung kennen, mag im Ergebnis sachgerecht sein: Die Vorhersehbarkeitsregel gleicht die strenge verschuldensunabhängige Haftung aus; wo das Verhalten des Schuldners aber diese Strenge verdient, besteht für eine Beschränkung kein Anlass.405 Um Abgrenzungen zwischen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit wie im italienischen Recht zu vermeiden, führen beide Verhaltensmaßstäbe 399
LANDO/BEALE, Art. 9:504, Anm. 1. HONSELL, SJZ 1992, S. 361 (363). Siehe zum vagen Charakter des Kriteriums der Vorhersehbarkeit auch FARNSWORTH, Damages and Specific Relief, Am.J.Comp.L. 27 (1979), S. 247 (253). 401 MUGDAN, Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich II, S. 10. 402 Zur Diskussion und Ablehnung einer Ergänzung des Art. 7.4.4 UPICC im Hinblick auf den „Verschuldensbeitrag“ (man sprach dort systemadäquat von „good or bad faith“) vgl. TALLON, Am.J.Comp.L. 40 (1992), S. 675 (679). 403 Vgl. Art. 1150 und 1151 CC sowie Art. 1225 itCC: „Se l’inadempimento o il ritardo non dipende da dolo del debitore, il risarcimento è limitato al danno che poteva prevedersi nel tempo in cui è sorta l’obbligazione“; siehe dazu Cass 24 .3.1966, n. 781; Cass. 26. 11.1998, n. 11992. 404 Vgl. hierzu etwa Cass. 9.2.1956, n. 399; Cass. 24.3.2004, 5910 „le conseguenze giuridiche della colpa grave sono trattate allo stesso modo di quelle proprie della condotta dolosa.“ Vgl. auch PESCATORE/RUPERTO, Codice Civile I, Art. 1225, Rn. 3. 405 Neben moralischen Erwägungen spielt bei der Regel auch eine Rolle, dass der ökonomisch kalkulierende professionelle Schuldner vorhersehbare Schäden versichert. TALLON, Am.J.Comp.L. 40 (1992), S. 675 (679). 400
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zur vollumfänglichen Haftung des Schuldners. Allerdings bleibt hierdurch im Ergebnis die Prüfung der subjektiven Vorwerfbarkeit nicht gänzlich erspart, sondern verschiebt sich lediglich von der Frage, ob der Schuldner überhaupt haftet, zur Frage, in welchem Umfang er haftet. Sinnvoller wäre es wohl, wenn Art. 9:503 PECL und Art. III.-3:703 DCFR wie die CISG und die UPICC über eine weitere Auslegung des Vorhersehbarkeitsbegriffs406 oder eine Beurteilung des Schuldnerhandelns nach den Begriffen good and bad faith auf die ansonsten aus den PECL verbannten subjektiven Vorwerfbarkeitselemente verzichteten, da hierdurch Auslegungsprobleme entstehen werden.407 Dies hat das CESL in Art. 161 besser gelöst. Die Frage der Vorhersehbarkeit erlaubt durch das Element des „Vorhersehenmüssens“ eines Schadens aber jedenfalls eine objektive Betrachtung der Situation.408 cc. Gläubigerfehlverhalten Neben dem bereits angesprochenen Vorliegen eines Hinderungsgrundes außerhalb des Einflussbereichs der in Anspruch genommenen Partei in Art. 8:108 PECL, Art. III.-3:104 DCFR, Art. 7.1.7 UPICC und Art. 88 CESL.409 gibt es von dieser strengen Haftung Ausnahmen, die sich an ein Fehlverhalten des Gläubigers knüpfen: Bereits Art. 8:101 Abs. 3 PECL, Art. III.-3:101 Abs. 3 DCFR und Art. 106 Abs. 5 CESL410 stellen klar, dass eine Nichterfüllung nicht zu Rechtsbehelfen führt, soweit diese durch eine eigene Handlung der benachteiligten Partei selbst verursacht wurde. Art. 9:504 PECL und Art. III.-3:704 DCFR präzisieren dies wie Art. 7.4.7 UPICC und Art. 162 CESL im Rahmen des Schadensersatzanspruchs. Art. 7.4.7 UPICC zeigt allerdings etwas exakter, dass die Vorschrift mehr auf die Frage der Mitverantwortlichkeit des Gläubigers für die Nichterfüllung und ihre Folgen abzielt und nicht allein auf die Mitverursachung.411 Die Schadens-
406
Allerdings werden sich dann größere Unterschiede in der nationalen Beurteilung ergeben: „A French judge may consider that it is contrary to public policy to allow a party having committed a deliberate breach to resort to foreseeability in order to limit his ability“, TALLON, Am.J.Comp.L. 40 (1992), S. 675 (679), zu Art. 7.4.4 UPICC. 407 Zum Ganzen kritisch auch DÜCHS, Die Behandlung von Leistungsstörungen im Europäischen Vertragsrecht, S. 197, der ebenso die Lösung des UN-Kaufrechts für vorzugswürdig hält und eine weite Auslegung des Vorhersehbarkeitsbegriffs fordert. 408 Ein Art. 44 Abs. 2 OR oder Art. 6:109 NBW vergleichbares Ermessen des Richters, den Schadensumfang aufgrund von Billigkeitserwägungen einzuschränken, enthalten die Principles nicht. 409 Vgl. oben § 2 II 2. 410 Vgl. auch Art. 80 CISG. 411 Art. 7.4.7 UPICC: „Beruht der Schaden teilweise auf einer Handlung oder Unterlassung der benachteiligten Partei oder auf einem anderen Ereignis, für das diese Partei das Risiko trägt, so wird der Betrag des Schadenersatzes in dem Umfang herabgesetzt, als diese
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ersatznormen der Art. 74 ff CISG verzichten hingegen ganz auf diese Regelung und sehen Art. 80 CISG als ausreichende Lösung an. Art. 9:505 PECL betrifft wie Art. III.-3:705 DCFR, Art. 7.4.8 UPICC und Art. 163 CESL allein den Fall, in welchem der Schuldner den Schaden allein verursachte, der Gläubiger diesen aber nicht vermieden oder vermindert hat. Sein Anwendungsbereich beschränkt sich wie Art. 9:504 PECL, Art. III.3:704 DCFR und Art. 77 CISG allein auf den Schadensersatzanspruch. 412 Ein Fehlverhalten des Gläubigers kann danach zwei Gründe haben: Einmal kann der Gläubiger bei der Schadensentstehung aktiv mitgewirkt haben, weil er entweder an der Nichterfüllung oder an der Entstehung des aus ihr entstehenden Schadens beteiligt war (contributory negligence).413 Zum anderen kann sein Fehlverhalten in seiner Passivität liegen, nämlich darin, keine ausreichenden Maßnahmen getroffen zu haben, um den Schaden zu vermindern (avoidance of loss).414 Der erste Fall betrifft etwa eine verzögerte Lieferung, die ihre Ursache auch darin haben kann, dass der Gläubiger eine falsche Lieferadresse angab oder dem Schuldner nicht alle notwendigen Unterlagen zur rechtzeitigen Leistungserbringung wie etwa Zollpapiere zur Verfügung stellte. Hier ist dann der Schadensersatzanspruch des Gläubigers im entsprechenden Verhältnis herabzusetzen.415 Ein Fall der failure to mitigate betrifft folgendes Beispiel: Begehrt ein Hauseigentümer eine Reparatur seiner Wasserleitung, die langsam den Wohnbereich überschwemmt, und kommt der zu Hilfe gerufene Installateur nicht wie ausdrücklich vereinbart am selben Tag, sondern erst am nächsten, kann der Geschädigte zwar den in der Nacht entstandenen Schaden dem Unternehmer aufbürden, darf jedoch nicht bis Ablauf des Tages untätig bleiben und der Ausweitung des Schadens tatenlos zusehen, um diesen vom Unternehmer Umstände zu dem Schaden beigetragen haben, wobei das Verhalten der Parteien berücksichtigt wird.“ 412 ACHILLES, Kommentar zum UN-Kaufrechtübereinkommen, Art. 77, Rn. 2; SCHLECHTRIEM/SCHWENZER, Kommentar zum einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 77, Rn. 4. 413 Art. 9:504 PECL, 7.4.7 UPICC. 414 Art. 9:505 Abs. 1 PECL, 7.4.8 Abs. 1 UPICC. Vgl. auch LANDO/BEALE, Art. 9:505, Anm. 1. 415 So ein Fall zu Art. 7.4.7 UPICC, der vom International Arbitration Court of the Chamber of Commerce and Industry of the Russian Federation, 225/1996, 2.9.1997 entschieden wurde: Ein internationaler Warenkaufvertrag sah eine Vorleistungsplicht des Gläubigers vor. Dieser erhielt die Warenlieferung des Schuldners wegen beim Grenzübertritt aufgetretenen Problemen nicht rechtzeitig. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Probleme an der Grenze zum Teil darauf zurückzuführen waren, dass der Käufer die notwendigen Unterlagen nicht vollständig zur Verfügung gestellt hatte. Das Schiedsgericht reduzierte unter Berufung auf Art. 7.4.7 UPICC den Schadensersatzbetrag um die Hälfte, vgl. BONELL, The UNIDROIT Principles in practice, S. 495; EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution et les principes UNIDROIT, S. 214, 215.
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ersetzt zu verlangen. Er hat zur Schadensminderung einen anderen Unternehmer zu beauftragen, kann aber die hierbei entstandenen Zusatzaufwendungen ersetzt verlangen.416 Hierunter kann also typischerweise auch der Abschluss eines Deckungsgeschäftes fallen417, allerdings mit den bereits zuvor geäußerten Vorbehalten aufgrund der Gefahr einer zu schnellen Umgehung des pacta sunt servanda-Grundsatzes.418 Die Pflicht zur mitigation in Art. 9:505 PECL, Art. III.-3:705 DCFR und Art. 7.4.8 UPICC lehnt sich an Art. 77 CISG419 an und ist eine Obliegenheit, keine Vertragspflicht.420 Anders als Art. 77 CISG ist sie jedoch nicht mit der gleichen Schärfe formuliert, da der benachteiligte Gläubiger nach dem CISG aktiv alle den Umständen nach angemessenen Maßnahmen zur Verringerung des aus der Vertragsverletzung folgenden Verlusts einschließlich des entgangenen Gewinns zu treffen hat. Verletzt der Gläubiger seine Schadensminderungspflicht, kann die vertragsbrüchige Partei jedoch nach allen Modellen ausschließlich Herabsetzung des Schadensersatzes in Höhe des Betrags verlangen, um den der Verlust hätte verringert werden sollen. Zum Teil wird aufgrund dieser relativ milden Rechtsfolge eine Gefahr des Missbrauchs der mitigation-Regel durch den Gläubiger gesehen.421 In der Praxis wird ein Verstoß des Gläubigers gegen die Schadensminderungspflicht unter Art. 77 CISG nur sehr selten bejaht.422 d. Erleichterte Schadensberechnung Die Principles und der DCFR verlangen wie die CISG und nun das CESL grundsätzlich einen konkreten Schadensnachweis.423 Sie gestatten dem Gläubiger jedoch wie die Art. 75 f. CISG in zwei Fällen eine erleichterte Schadensberechnung: Wenn der Leistungsgegenstand einen Marktpreis hat (dann in Form der abstrakten Schadensberechnung) und wenn der Gläubiger zu 416
Vgl. das ähnliche Beispiel 3 zu Art. 9:505 in LANDO/BEALE. Zur Vermeidung von Haftungsschäden oder Gewinnverlusten vgl. insb. auch OLG Düsseldorf, 13.9.1996, 17 U 18/96. 418 Vgl. oben § 3 I 3. 419 Die Regelung des Art. 77 CISG war in sehr ähnlicher Form bereits in Art. 88 ULIS vorgesehen. Zu den Unterschieden zwischen den Normen vgl. ENDERLEIN/MASKOW/ STROHBACH, Internationales Kaufrecht, Art. 77, Anm. 2; Staudinger/MAGNUS, Art. 77, Rn. 8. 420 ACHILLES, Kommentar zum UN-Kaufrechtübereinkommen, Art. 77, Rn. 1; WITZ/ SALGER/LORENZ, International einheitliches Kaufrecht, Art. 77, Rn. 1. 421 So EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution et les principes UNIDROIT, S. 216 f. unter Berufung auf BONELLI, in BONELL/BONELLI, Contratti commerciali internazionali e Principi UNIDROIT, S. 307 (316). 422 Z.B. OLG Düsseldorf, 17 U 146/93, 14.1.1994. 423 Vgl. insbesondere die insoweit klarstellende Norm des Art. 7.4.3. Abs. 1 UPICC und zu Art. 74 CISG SCHNEIDER, Pace Int’l L.Rev. 9 (1997), S. 223 (229 f.): „Damages under the CISG must be proved with reasonable certainty.“ 417
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einem Deckungsgeschäft greifen musste. Voraussetzung ist allerdings jeweils, dass die benachteiligte Partei den Vertrag aufgehoben hat. Der benachteiligte Gläubiger kann gem. Art. 9:506 PECL, Art. III.-3:706 DCFR und Art. 164 CESL den Unterschied zwischen der vereinbarten Gegenleistung und einem angemessenen Deckungsgeschäft verlangen, wobei der Begriff der Angemessenheit nicht nur den Umfang des dafür betriebenen Aufwands424 umfassen, sondern auch dessen zeitliche Komponente betreffen soll.425 Die Regelung ergänzt insbesondere die Vorschriften zum Ausschluss des Erfüllungsanspruchs, der den Gläubiger wie bereits angesprochen in das Deckungsgeschäft und damit in den „Schadensersatz treibt“. Zusätzlich führt sie zu einer erleichterten Schadensberechnung. Auch die Kosten eines sehr eiligen Deckungsgeschäfts können nach den Umständen angemessen und ersetzbar sein.426 Hat die benachteiligte Partei kein Deckungsgeschäft vorgenommen, kann sie gem. Art. 9:507 PECL, Art. III.-3:707 DCFR und Art. 165 CESL als Schadensersatz den Unterschied zwischen dem Preis und dem Marktpreis verlangen, der zur Zeit der Vertragsaufhebung gilt. Die Regel folgt in moderater Form einem allgemeinen Trend zu pauschaliertem Schadensersatz im internationalen Vertragsrecht.427 Insbesondere kann der Schuldner hier nicht einwenden, der Gläubiger habe kein Deckungsgeschäft geschlossen.428 Daneben bleibt der Ersatz weiterer Schäden unberührt.429 Hier ist jedoch eine konkrete Darlegung des entstandenen Schadens erforderlich. Sinn der Vorschriften ist es, dem Gläubiger, der seinen Vertrag aufhebt und seine Gegenleistung zurückerhält, eine vereinfachte Schadensberechnung zu ermöglichen. Die abstrakte Methode der Schadensberechnung ist auch im nationalen Recht als praktische Hilfe bekannt,430 wird dort jedoch nicht für unproblematisch gehalten431 und ist keinesfalls als Grundregel, sondern als eine aus vertragsökonomischen Überlegungen praktische Variante der Schadensbe424
Vgl. den Schiedsspruch ICC n° 5865 (1989) in JARVIN/DERAINS, Recueil des sentences arbitrales de la CCI I, S. 493 ff., in welchem die Angemessenheit verneint wurde. 425 BERGER, RDAI 2004, S. 427 (434). 426 So jedenfalls in der internationalen Schiedspraxis, Schiedsspruch ICC n° 5865 (1989), zitiert in JARVIN/DERAIN, Recueil des sentences arbitrales de la CCI I, S. 376-381. 427 Da der Schadensnachweis oft schwierig und zeitaufwändig ist, wird in der internationalen Vertragspraxis auf vertragliche Vereinbarungen pauschalierter Schadenssummen (liquidated damages) zurückgegriffen. Bei vertraglicher Absprache erlauben dies auch Art. 9:509 PECL und Art. 7.4.13 UPICC. Dazu BERGER, RDAI 2004, S. 427 (429 f.). 428 Vgl. zu Art. 76 CISG auch Schlechtriem/Schwenzer/STOLL/GRUBER, Art. 74 CISG, Rn. 29. 429 Art. 9:506 und 9:507 jeweils a.E. sowie Art. III.-3:706 und 707 a.E. 430 Vgl. insbesondere die niederländische Rechtsprechung, Hoge Raad, 6.6.1997, NJ 1997, 612. 431 Vgl. unten Teil 2, Kap. 7, § 3 II 5 c dd.
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rechnung gedacht, auf die die benachteiligte Partei bei Vorliegen der Voraussetzungen zurückgreifen kann, aber nicht muss.432 Sie ist damit im Grunde eine reine Beweiserleichterung und spielt an sich keine Rolle für die Frage der Voraussetzungen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung. e. Liquidated damages und Vertragsstrafen Eine weitere bei Leistungsverzögerung interessante Regelung enthalten die Art. 9:509 PECL, Art. III.-3:710 DCFR und Art. 7.4.13 UPICC, die im Unterschied zur CISG für den Fall der Nichterfüllung vorsehen, dass die Parteien die Zahlung einer pauschalierten Summe vereinbaren können. Im CESL fehlt eine entsprechende Vorschrift. Diese Vereinbarung hat zugleich Steuerungsfunktion auf das Schuldnerverhalten. Die Regelung ist in den Principles allerdings nicht als gesondertes Vertragsstrafeversprechen neben dem Schadensersatz konzipiert, sondern zielt vor allem auf liquidated damages ab, deren Vereinbarung den Parteien eine möglicherweise komplizierte Schadensberechnung erspart.433 Für die benachteiligte Partei soll sich hierdurch der Schadensbeweis erübrigen, denn sie erhält den vereinbarten Betrag ohne Rücksicht auf den tatsächlich entstandenen Schaden. Im internationalen Vertragsrecht ist dies dort von besonderer Bedeutung, wo der Schadensbeweis die Preisgabe von vertraulichen Geschäftsdaten erforderte oder die Schadensbemessung durch Expertengutachten etc. zeitaufwändig wäre.434 Nach dem Wortlaut der genannten Vorschriften haben die Parteien im Fall der liquidated damages eine a priori Einschätzung des möglicherweise entstehenden Schadens vorzunehmen und es dann auch bei einem höheren Schaden bei der Vereinbarung zu belassen. Nach dem Kommentar zu den PECL soll der benachteiligten Partei jedoch nicht versagt bleiben, ihren Schaden statt über die Parteiabrede im Weg des Schadensersatzes geltend zu machen, wenn sie diesen höher einschätzt, sofern ihr der Beweis gelingt.435 Die Vorschrift der PECL nimmt auch den Fall der entschuldigten Nichterfüllung nicht aus. Im Fall der Verzögerung der Leistung kann es sich hierbei um eine Vereinbarung handeln, die Betragshöchstgrenzen vorsieht und für den Fall deren Erreichens mit einer Abrede verbunden werden sollte, die dem Gläubiger die Vertragsaufhebung ermöglicht.436 432
So zu Art. 74 Satz 2 CISG auch SCHECHTRIEM/SCHWENZER, Art. 74, Rn. 29; Staudinger/MAGNUS, Art. 74, Rn. 25. 433 Vgl. hierzu LANDO/BEALE, Art. 9:509 unter A; UPICC Kommentar 1 zu Art. 7.3.14; BERGER, RDAI 2004, S. 427 (432). 434 BERGER, RDAI 2004, S. 427 (428). 435 Vgl. LANDO/BEALE, zu Art. 9:509 unter A. 436 DRAETTA/LAKE/NANDA, Breach and adaptation of international contracts: an introduction to Lex Mercatoria; EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution et les principes UNIDROIT, S. 160.
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Die Höhe der vereinbarten Zahlung des Schuldners unterliegt jedoch einer nachträglichen Gerichtskontrolle437 und wird insbesondere dann, wenn es sich um eine kumulative Vertragsstrafe handelt, auf ihre Exzessivität hin zu überprüfen sein. So wurde etwa in einem russischen Schiedsverfahren zu Art. 7.3.14 UPICC entschieden, dass eine kumulative Vertragsstrafe neben Verzugszinsen angesichts des real entstandenen Schadens stark438 überhöht war.439 Das richterliche Ermessen zielt hier jedoch nur in eine Richtung: zu geringfügige Vereinbarungen ermächtigen die benachteiligte Partei zum Nachweis eines höheren Schadens, nicht aber den Richter zur Festlegung einer höheren Schadenspauschale.440 In der CISG ist die Inhaltskontrolle nicht vorgesehen, da die Wirksamkeit von Vertragsklauseln gem. Art. 4 Satz 2 lit. a CISG aus ihrem Anwendungsbereich ausdrücklich ausgenommen wurde.441 4. Minderung PECL und DCFR gehen durch die Generalisierung des Rechtsbehelfs der Minderung nicht nur über die actio quanti minoris hinaus, der traditionell in den kontinentaleuropäischen Kodifikationen nur eine auf das Gewährleistungsrecht beschränkte Rolle zukommt. Anders als in der nationalen Rechtstradition ist die Minderung gem. 9:401 PECL und Art. III.-3:610 DCFR ein möglicher Rechtsbehelf bei allen Formen nicht vertragsgemäßer Leistung, der auch im Fall der Entschuldigung gilt und auch dann eine Rolle spielen kann, wenn die Leistung im Hinblick auf die Lieferzeit nicht vertragsgemäß ist. Eine Partei, die vorübergehend wegen force majeure an der Leistung verhindert ist und ihre Lieferungen verspätet erbringt (etwa weil Rohmaterial wegen Überflutung ihrer Lagerhalle unbrauchbar wurde, was sie dazu zwingt, sich neue Ware zur Verarbeitung zu beschaffen), muss für den Zeitraum des Vorliegens eines Entschuldigungsgrundes dem wartenden Vertragspartner keinen Schadensersatz leisten, wohl aber bei nachträglich erfolgender Leistung eine Preisminderung hinnehmen. Dass die Minderung über die actio quanti minoris des Gewährleistungsrechts hinaus zum allgemeinen Rechtsbehelf erhoben wurde, ist vor allem der trotz 437
Art. 9:509 Abs. 2 PECL, Art. III.-3:710 Abs. 2 DCFR und 7.3.14 Abs. 2 UPICC In Art. 9:509 Abs. 2 PECL heißt es „gröblich“ überhöht. 439 International Arbitration Court of the Chamber of Commerce and Industry of the Russian Federation, Entscheidung 229/1996 vom 5.6.1997, wiedergegeben in BONELL, Principles in Practice; ebenfalls erwähnt bei EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution et les principes UNIDROIT, S. 162. 440 Vgl. den Wortlaut der Art. 9:509 Abs. 2 PECL und 7.4.13 Abs. 2 UPICC. 441 WITZ/SALGER/LORENZ, International Einheitliches Kaufrecht, Art. 4, Rn. 29. Sind die Klauseln Bestandteil eines der CISG unterliegenden Vertrages, bemisst sich nur ihre inhaltliche Gültigkeit nach nationalem Recht, nicht jedoch die Frage ihres Zustandekommens (Art. 4 Satz 1 CISG), Staudinger/MAGNUS, Art. 4, Rn. 61; ACHILLES, Art. 4, Rn. 11. Vgl. aus der Rechtsprechung: Gerechtshof Arnhem, 94/305, 22.8.1995. 438
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Beschränkung auf das Kaufrecht bestehenden Vorbildfunktion der CISG,442 aber auch nationalen Rechtsordnungen zu verdanken, die die Minderung für eine Mehrzahl besonderer Vertragstypen vorsehen und ihr daher verallgemeinerbares Potential zuschreiben, wie etwa das dänische oder griechische Mietrecht443, das portugiesische Werkvertragsrecht444 oder unter Berufung auf entsprechende Usancen das französische Handelsrecht.445 Da sich die Minderung nach dem Verhältnis des verminderten Wertes der Leistung zur Zeit des Leistungsangebotes gegenüber dem Wert der vertragsgerechten Leistung zu diesem Zeitpunkt bemisst, wohnt ihr eine für den Schuldner im Voraus berechenbare Komponente inne, die die Minderung zu einem kalkulierbareren Instrument macht als den Schadensersatz. Für den Gläubiger kann sie sich nach den PECL und dem DCFR auch als gleichberechtigte Alternative zum Schadensersatz darstellen.446 Allerdings kann sie zu einer anderen Anspruchshöhe führen, da die Berechnungsmethode der Minderung auf der Basis einer verhältnismäßigen Reduktion des Wertes der erfolgten Leistung im Einzelfall den tatsächlich entstandenen Schaden übersteigen kann. Dies erscheint allerdings als eine Erschwernis für den Schuldner, da dem Gläubiger außer bei entschuldigter Nichterfüllung die Wahl zwischen Minderung und Schadensersatz obliegt, er sich also die für ihn günstigere Variante entscheiden wird. Umgekehrt ist letztere anders als im Unionsprivatrecht447 weder Vorstufe noch ein vorrangig geltend zu machender Rechtsbehelf, wird also dann, wenn sie für den Gläubiger ungünstiger ist, nicht zur Anwendung kommen. Auch hierdurch wird die Position des Gläubigers gestärkt. Über Art. 9:401 Abs. 3 PECL wird ein Schadensersatzanspruch wegen der Wertminderung der Leistung ausgeschlossen, wenn der Gläubiger Minderung wählt. Auch der DCFR stellt in Art. III.-3: 601 Abs. 3 klar, dass Schadensersatz und Minderung nicht kumulativ möglich sind, soweit es sich um den durch die Minderung kompensierten Nachteil handelt. Darüber hinausgehende Schäden werden hiervon jedoch nicht berührt. Im Gegensatz hierzu ist die Minderung im auf das Kaufrecht beschränkte CESL nur für die Fälle vorgesehen, in welchen ein Käufer eine nicht vertragsgemäße Leistung annimmt. Auch die UPICC enthalten keinen generalisierten Rechtbehelf der Minderung. 442
Siehe Art. 50 CISG. § 11 Abs. 2, §§ 15, 16 Abs. 2 dänisches Mietgesetz, Art. 576 griechZGB. 444 Art. 1222 portCC. 445 Dieser auf Handelsbräuchen beruhende Grundsatz scheint nach Cass. civ. 15.12.1993, D 1994.462 auch auf nicht-handelsrechtliche Verträge verallgemeinerbar zu sein. 446 Siehe etwa das Beispiel 2 zu Art. 9:401 bei LANDO/BEALE. 447 Vgl. Art. 3 Abs. 2, 3 und 5 der RiL 1999/44/EG. 443
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5. Verzögerte Erfüllung der Zahlungspflicht a. Erfüllungsanspruch Geldschulden sind Zahlungsverpflichtungen jeder Form, unabhängig von der Währung, Zahlungsform und ihrem Verpflichtungsgrund.448 Nach Art. 9:101 Abs. 1 PECL, Art. III.-3:301 Abs. 1 DCFR, Art. 7.2.1 UPICC und Art. 132 Abs. 1 CESL kann der Gläubiger einer fälligen Geldschuld grundsätzlich deren Erfüllung verlangen. Entsprechend des Grundsatzes „Geld hat man zu haben“ sind Einschränkungen des Erfüllungsanspruchs im Hinblick auf eine Geldschuld, die in der Art der Leistung oder der Person des Schuldners begründet sind, nicht denkbar. Zugleich sind nur wenige eine Einschränkung rechtfertigende Fälle vorstellbar, die sich aus einem Ungleichgewicht des vertraglichen Synallagmas ergeben können. Dies gilt etwa dann, wenn der Gläubiger der Geldleistung seine (Sach-)Leistung noch nicht erbracht hat, weil der Sachleistungsgläubiger und zugleich Schuldner der Geldleistung nicht bereit ist, diese entgegenzunehmen, da er an ihr kein Interesse mehr hat. Dieser Fall wird entsprechend in Art. 9:101 Abs. 2 PECL und Art. III.-3:301 Abs. 2 DCFR als Ausnahme vom Grundsatz der specific performance bei Geldleistungen zitiert. Hier soll der Erfüllungsanspruch des Geldleistungsgläubigers eingeschränkt werden, wenn er ohne Anstrengungen oder Kosten ein angemessenes Deckungsgeschäft, also etwa einen Deckungsverkauf hätte vornehmen können (jeweils lit. a) oder wenn seine Sachleistung den Umständen nach unangemessen war (jeweils lit. b).449 Dem Gläubiger verbleibt dann die Möglichkeit, den Unterschiedsbetrag zwischen dem vertraglich vereinbarten Preis und dem Preis des Deckungsgeschäfts sowie darüber hinausgehenden Schadensersatz zu verlangen.450 Eine ähnliche Regelung wie lit. a enthält auch Art. 132 Abs. 2 CESL. Von SCHWENZER wird zu beiden Alternativen des Art. 9:101 Abs. 2 PECL das Beispiel eines Arbeitnehmers angeführt, dessen Arbeitgeber noch vor Arbeitsbeginn feststellt, dass er den Angestellten nicht wird beschäftigen können oder ihm dessen Arbeitsleistung keinen Nutzen bringen wird, jener aber anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten hätte.451 In beiden Alternativen hilft die flexible Lösung der PECL, die eine Interessenabwägung im Einzelfall ermöglicht und statt der Erfüllung der Geldschuld (Zahlung des Arbeitslohnes) 448
LANDO/BEALE, zu Art. 9:101 Abs. 1, S. 473. LANDO/BEALE, zu Art. 9:101 Abs. 2, S. 475. 450 Art. 9:506 PECL und Art. III.-3:706 DCFR. Auf die Nützlichkeit dieser Regel wurde auch von HUET, Les principaux contrats spéciaux, n° 11761 hingewiesen: „On peut s’interroger sur l’avantage que le vendeur peut trouver à rechercher le paiement du prix. Le plus souvent, en fait, son intérêt sera de revendre à un tiers la marchandise dont il n’a pas obtenu le règlement par l’acquéreur et de demander à ce dernier la différence de prix.“ 451 SCHWENZER, E.J.L.R. 1999, S. 289 (293). 449
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lediglich einen Schadensersatzanspruch gewährt, der sich zwar in der Art der Leistung (in Geld) nicht von der ursprünglich geschuldeten Leistung unterscheidet, wohl aber in seiner Höhe anders ausfallen kann.452 In den UPICC gibt es diese Ausnahmeregel nicht, die zwar die Interessen der Parteien berücksichtigt, aber zugleich die bindende Wirkung der Verträge stark relativiert. Der Schuldner der Geldleistung kann gegenüber dem Gläubiger und zugleich Schuldner der vertraglich geschuldeten Sach- oder Dienstleistung gegebenenfalls ein Zurückbehaltungsrecht gem. Art. 7.1.3 UPICC geltend machen.453 Um die Lücke in den UPICC auszugleichen, wird die Einschränkung des Erfüllungsanspruchs des Geldleistungsgläubigers über die Grundsätze der Schadensminderungspflicht in Art. 7.4.8 UPICC erwogen. Hiergegen bestehen jedoch dogmatische Bedenken, da der Grundsatz der mitigation ausschließlich im Schadensersatzrecht verankert ist, aber an sich keine Einschränkung des Erfüllungsanspruchs begründen kann. b. Zinsanspruch Art. 9:508 PECL, der in seiner deutschen Fassung irritierenderweise den Begriff Zahlungsverzug verwendet,454 hat mit dem deutschen Verständnis des Zahlungsverzugs nichts gemein, da er den Zinsanspruch wie Art. 78 CISG und Art. 7.4.9 Abs. 1 UPICC als verschuldensunabhängigen Fälligkeitszins ausgestaltet. Art. III.-3:708 DCFR folgt diesem Konzept. Die Lösung der auf Unternehmensverträge ausgerichteten Zahlungsverzugsrichtlinie floss in die europäischen Regelwerke nicht ein.455 Im Fall der Nichtzahlung einer Geldschuld kann die benachteiligte Partei auf den geschuldeten Geldbetrag „from the time when payment is due,“456 d.h. ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit einer Geldleistung bis zur Zahlung, Zinsen verlangen, und zwar unabhängig von ihrem Verpflichtungsgrund. Art. 9:508 PECL betrifft wie Art. III.-3:708 DCFR nicht nur die vertragliche Gegenlei-
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Art. 9:103 PECL. Eine Parallelregelung enthält Art. III.-3:303 DCFR. Je nach Fall kann unter Umständen Art. 6.2.2 (hardship) in Betracht kommen, wenn die Forderung der Geldleistung und die damit zusammenhängende „Aufdrängung“ der Sachleistung zu einer unbilligen Härte führen, so EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution et les principes UNIDROIT; aA: SCHWENZER, E.J.L.R. 1999, S. 289 (295). 454 Im Gegensatz zu den UPICC („Zinsen bei Nichtzahlung von Geld“ – „Interest for failure to pay money“); in der englischen Originalversion der PECL heißt es „delay“. Der deutsche Begriff wurde vermutlich aufgrund der Zahlungsverzugsrichtlinie gewählt, ist aber rechtstechnisch mit dem Begriff des Verzugs nach deutschem Rechtsverständnis nicht gleichzusetzen, sondern als Synonym für die Verzögerung einer Geldleistung zu verstehen. 455 Vgl. hierzu genauer in Teil 2, Kap. 5, § 2 II 2b. 456 Vgl. aus der Rechtsprechung zur CISG jüngst die belgische Rechtbank van Koophandel te Hasselt, A.R.98/02598, 31.1.2005: unter der CISG braucht es keine ingebrekestelling zur Geltendmachung eines Zinsanspruchs. 453
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stung, sondern etwa auch den Anspruch auf Rückgewähr einer Geldleistung,457 jedoch keine sekundären Zahlungsverpflichtungen.458 Dies steht im Gegensatz zu Art. 7.4.10 UPICC, der ausdrücklich auch eine Schadensersatzforderung für verzinsbar erklärt. Dem liegt die Idee zugrunde, dass auch hier das Äquivalent in Geld der ursprünglich geschuldeten Sachleistung für den Gläubiger „arbeiten“ soll.459 Für einen Zinsanspruch bedarf es also nicht des „Verzugs“ im deutschen Sinn einer subjektiv zu vertretenen Leistungsverzögerung nach Mahnung. Die bloße Nichtleistung bei Fälligkeit genügt.460 So besteht der Anspruch des Art. 9:508 Abs. 1 PECL, wie auch Art. 8:101 Abs. 2 PECL zeigt, bei Entschuldigung des Schuldners fort, denn er ist gerade kein Unterfall der Schadensersatzpflicht.461 Dies übernimmt Art. III.-3:708 DCFR. Das Fehlen der Mahnung führt aber im Fall des Art. 7:102 Abs. 3 PECL und des Art. III.2:102 Abs. 1 DCFR zur schon zum Verzögerungsschadensersatz dargestellten Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die Konkretisierung des Fälligkeitstermins. Die Folgen mögen insofern weniger drastisch sein, als der Schuldner der Geldleistung „nur“ einem Zinsanspruch und nicht einem möglicherweise hohen Verzögerungsschadensersatzanspruch ausgesetzt ist. Zudem wurde in aller Regel die vertragscharakteristische Leistung bereits erbracht, wodurch in gewisser Weise zugleich ein Zahlungs“appell“ erfolgt ist. Art. 7:102 Abs. 3 PECL bleibt wie Art. III.-2:102 Abs. 1 DCFR aber in dieser Hinsicht eine misslungene Norm, da die Bestimmung des Anknüpfungspunkts „Fälligkeit“ unpräzise ausgestaltet ist. Das CESL enthält in den Art. 166 ff. CESL weitgehende Bestimmungen zum Zinsanspruch. Auch hier gilt im Grundsatz, dass der Gläubiger bei verspäteter Zahlung einer Geldsumme vom Zeitpunkt der Fälligkeit bis zum Zahlungszeitpunkt Anspruch auf Verzugszinsen hat, ohne dass es einer vorherigen Mitteilung bedarf. Fällig ist die Zahlung gem. Art. 126 Abs. 1 CESL bei Lieferung. Die Vorschriften des CESL gliedern sich in einen Abschnitt „allgemeine Bestimmungen“ und in spezielle Regelungen für B2B Verträge. Deren Struktur ist jedoch relativ unglücklich. Zinsen bei Verbrauchergeschäften sind nämlich im Abschnitt „allgemeine Bestimmungen“ integriert (Art. 167 457
In der CISG regelt dies Art. 84 Abs. 1. Angesichts der Kontroversen um Art. 78 CISG sah man sich auf der Wiener Konferenz gezwungen, den Verzugszinsanspruch und die Verzinsung von Kaufpreisforderungen parallel zu diskutieren, Official Records, S. 137 f., Art. 69, Nr. 1 ff. und S. 223, Art. 73, Nr. 51 ff. 458 LANDO/BEALE, Art. 9:508, unter B. 459 UPICC Commentary, zu Art. 7.4.10. 460 Vgl. für eine Entscheidung zur CISG auch Cour d’appel de Grenoble, Ch. Comm., 93/4879, 26.4.1995: „tout retard de paiement donne lieu à paiement des intérêts moratoires, sans qu’une mise en demeure soit nécessaire.“ 461 LANDO/BEALE, S. 451.
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Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht?
CESL), während die Zinsregelung bei B2B Verträgen in einem gesonderten Abschnitt geregelt ist, dessen Verhältnis zu den allgemeinen Bestimmungen dadurch unklar wird. Inkohärenzen zeigen sich etwa an Art. 167 Abs. 1 CESL. Im Gegensatz zu Art. 166 Abs. 1, der „allgemeinen Zinsvorschrift“, verlangt Art. 167 Abs. 1 eine Mitteilung, um die Verzinsung beginnen zu lassen, welche Art. 166 Abs. 1 gerade für entbehrlich erklärt. Beide Vorschriften stehen aber im Abschnitt „allgemeine Bestimmungen“. Hier hätte dann konsequenterweise ganz zwischen einer Zahlungsverzögerung bei B2C-Verträgen und bei B2BGeschäften getrennt werden sollen, oder eine Regelung auf der Basis der Zahlungsverzugsichtlinie geschaffen werden sollen, die für beide Hypothesen gilt, und bei der nur die Zinssätze variieren. Die Verzinsung beginnt für Verbraucher zudem gem. Art. 167 Abs. 2 CESL erst nach Ablauf von 30 Tagen, nachdem der Verbraucher in einer Mitteilung auf die Zinspflicht hingewiesen wurde. Da die Mitteilung aber gem. Art. 167 Abs. 2 Satz 2 CESL auch vor Fälligkeit erfolgen kann, heißt dies, dass die Zinspflicht im Extremfall mit Fälligkeit beginnen kann, wodurch der Verbraucher weit schlechter stehen kann als ein Unternehmer. Auch der Wortlaut der Vorschriften ist teils unklar. Aus Art. 167 Abs. 1 sowie Art. 168 Abs. 1 CESL ergibt sich, dass Zinsen nicht geschuldet sind, wenn die Nichterfüllung entschuldigt ist. Hierfür werden allerdings bei B2Cund B2B-Verträgen unterschiedliche Formulierungen verwendet. Man versuchte offenbar, die Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7/EU für B2B Verträge zu integrieren und eine Sondervorschrift für B2C Verträge zu schaffen. Dies wirkt jedoch komplex und missglückt, zumal dem Text der Zahlungsverzugsrichtlinie leider ohnehin nicht exakt gefolgt wird.462 c. Höhe des Zinssatzes Die Regelung zur Zinshöhe in Art. 9:508 Abs. 1 PECL, Art. 7.4.9 Abs. 2 UPICC und Art. III.-3:708 Abs. 1 DCFR ist eine Neuheit gegenüber der CISG. Auf der Wiener Konferenz konnte hinsichtlich des Zinssatzes keine Einigung erzielt werden.463 Anders als noch Art. 81, 83 ULIS464 beschränkt sich Art. 78 CISG daher auf die bloße Gewährung des Zinsanspruchs ohne Präzisierung der Zinsberechnung.465 Man streitet sich hinsichtlich der Frage des auf die Zinshöhe anwendbaren Rechts unter der CISG noch immer zwi462
Zu Details der Vorschriften zum Zahlungsverzug im CESL siehe REMIEN, in BONELL et al., Liber Amicorum LANDO S. 335 ff. und WENDEHORST, in REMIEN/HERRLER/LIMMER, Gemeinsames Europäisches Kaufrecht für die EU?, S. 189 ff. 463 Vgl. aber noch die Art. 81, 83 ULIS und Yb. VII, 1976, Art. 58, S. 136 f. 464 Nach Art. 83 ULIS war der Zinsanspruch als Schadensersatzanspruch konzipiert, DÖLLE, Kommentar zum einheitlichen Kaufrecht, Art. 81 ULIS, Rn. 3 m.w.N. 465 Zu den Diskussionen um den Verzugszins siehe O.R. Art. 73, S. 223, Nr. 51 ff.
Kapitel 3: Konzept „Leistungsverzögerung“
135
schen dem Niederlassungsort des Gläubigers466, dem Aufenthaltsort des Schuldners467 oder der lex fori468 und überlegt mittlerweile über Art. 7 Abs. 1 CISG die Ergänzung der CISG über die Regelung des Art. 7.4.9 Abs. 2 UPICC, der Art. 9:508 Abs. 1 PECL entspricht.469 Die Regelungen der Principles sehen wie der DCFR einen variablen Zinssatz vor, dessen Variabilität jedoch insofern moderat ist, als sie sich nach dem am vereinbarten Zahlungsort ortsüblichen „durchschnittlichen Bankensatz von Geschäftsbanken für kurzfristige Kredite“ richtet.470 Die Lösung über einen variablen Zinssatz entspricht auch überwiegender internationaler Praxis.471 Gerade in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit werden häufig Zinsen nach IBOR Sätzen,472 d.h. nach täglich festgelegten Referenzzinssätzen im Interbankengeschäft verhängt, die sich durch eine starke Variabilität auszeichnen.473 Hier wirkt die Lösung der Principles trotz ihrer Variabilität bereits stabilisierend. Zugleich wirkt sie auf Einheitlichkeit in einem Bereich hin, für welchen es in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit keine klaren Vorgaben gibt.474 Die UPICC setzen darüber hinaus zusätzliche Möglichkeiten fest, wie der Zinssatz alternativ bestimmt werden kann, wenn es am Zahlungsort keinen derartigen Satz gibt. Im Rahmen der EU-weit geltenden PECL schienen letztgenannte Regelungen entbehrlich.
466
STOLL, in SCHLECHTRIEM, Einheitliches Kaufrecht und nationales Obligationenrecht, S. 257 (279 f); HONNOLD, Uniform Law for international Sales under the 1980 United Nations Convention, Rn. 421. Vgl. zur Diskussion um Art. 78 CISG auch ENDERLEIN/ MASKOW/STROHBACH, Art. 78, Rn. 1; HUBER, RabelsZ 43 (1979), S. 413 (494). 467 BAMBERGER/ROTH/SAENGER, Art. 78, Rn. 5; STOLL, in Festschrift Ferid, S. 510; VAN DER MERSCH/PHILIPPE, in FONTAINE/VINEY, S. 701 (721). 468 Chicago Prime Packers, Inc v Northam Food Trading Co, IHR 2004, 156 [161 f]; Delchi Carrier, SpA v Rotorex Corp, 1994 WL 495787 [N.D.N.Y. 1994]. 469 BRUNNER, Art. 78, Rn. 12; vgl. hierzu auch BONELL, in Bullletin de la Cour internationale d’arbitrage de la CCI, Supp. spéc. 2002, S. 33. 470 Vgl. hierzu Cour internationale d’arbitrage de la CCI, JDI 1996, S. 1024. 471 BERGER, RDAI 2004, S. 427 (433). 472 Dabei häufig unter Berufung auf den LIBOR-Satz. „[W]e currently observe a predominant tendency emerging in international arbitration, which would retain for interests on overdue payments some defined short term rates, especially or mainly of the IBOR type […],“ BERGER, RDAI 2004, S. 427 (433). 473 Vgl. etwa die Entscheidung des Schiedsgerichts der CCI, No. 6653, 26.3.1993 (1Jahres LIBOR-Satz): „This solution, which is in the eyes of the Arbitral Tribunal the most logical one from the economic point of view, leads to retaining the percentage that operators of international commerce apply to settlements made in Eurodollar, i.e., the one-year percentage of LIBOR“ (hinsichtlich der Zinshöhe aufgehoben durch die Cour d’appel de Paris, 6.4.1995, Clunet 1995, S. 971). 474 PINSOLLE, RDAI 2003, S 583 ff.; DERAINS, in Etudes offertes à P. BELLET, S. 101 (120), der auf S. 101 von einer „légèreté déconcerntante“ im Umgang mit der Festlegung der Zinshöhe spricht.
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Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht?
Das CESL orientiert sich an der Struktur der Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7/EU, nicht aber an ihrem Wortlaut. Es sieht in Art. 166 einen Zinssatz in Höhe von 2% über einem Referenzzinssatz vor. Für Unternehmergeschäfte gilt gem. Art. 168 Abs. 5 jedoch ein Zinssatz von 8% über dem Referenzzinssatz, entsprechend Art. 3 Abs. 3 lit. a, b iVm. Art. 2 Abs. 5 bis 7 der Richtlinie 2011/7/EU. d. Weitere Rechtsbehelfe Art. 9.508 Abs. 2 PECL, Art. III.-3:708 Abs. 2 DCFR, Art. 7.4.9 Abs. 3 UPICC und Art. 166 Abs. 3 CESL stellen ausdrücklich klar, dass die Rechte des Gläubigers nicht auf den Zinsanspruch beschränkt sind. Er kann neben dem Zinsanspruch für jeden erlittenen Verlust einen Schadensersatzanspruch geltend machen, sofern er nach den allgemeinen Schadensersatznormen ersatzfähig ist. Die Regelung löst das im nationalen Recht teils noch umstrittene Problem des Ersatzes von Anlage475- und Kreditzinsen oder den Fall des inflationären Verfalls des Geldwertes zwischen Fälligkeitstermin und Zahlung476 und wird dem Gedanken der réparation intégrale gerecht. Hat der Gläubiger der Geldschuld wegen der ausbleibenden Zahlung seines Vertragspartners einen Kredit zu hohen Zinsen aufnehmen müssen, kann er verlangen, dass ihm die höheren Zinsen erstattet werden. Er muss auch eine Preissteigerung nicht hinnehmen, die er nicht hätte tragen müssen, wenn der Geldschuldner rechtzeitig bezahlt hätte, sondern kann insoweit ebenfalls Schadensersatz verlangen. Hinsichtlich der Vertragsaufhebung gelten beim Zahlungsverzug die bereits zur Leistungsverzögerung dargestellten Grundsätze.
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Dies kann z.B. den entgangenen Gewinn aus einem Geschäft umfassen, das die benachteiligte Partei mit einem Dritten abgeschlossen hätte […]; LANDO/BEALE, Art. 9:508 unter C. 476 Vgl. zu den nationalen Besonderheiten dieser Problematik in Teil 2, Kap. 7, § 3 I 2.
Kapitel 4
Konzept „Leistungsverzug“: Code Européen des Contrats § 1 Tatbestandsorientiertes Konzept Der Code Européen des Contrats1 stellt in vielerlei Hinsicht ein Gegenmodell zum System der Principles dar. Zwar definiert er wie die Principles in Art. 89 CE einen Kernbegriff der Nichterfüllung: Eine vertragliche Verpflichtung gilt als nicht erfüllt, wenn „eine der Vertragsparteien beziehungsweise ihre Mitarbeiter oder Beauftragten sich anders als vertraglich vereinbart verhalten, oder wenn sich eine rechtliche oder tatsächliche Situation einstellt, die von derjenigen abweicht, die man als versprochen ansehen kann.“ Darauf, ob vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten verletzt werden, kommt es (zunächst) nicht an.2 Das auf den ersten Blick einheitliche Konzept der Nichterfüllung täuscht jedoch über das eigentliche System hinweg. Tatsächlich unterscheidet das Vertragsgesetzbuch in den Art. 90 ff.3 verschiedene Tatbestände, die Unterfälle einer Nichterfüllung darstellen. Vorbild waren die forms of breach in den Art. 301 - 305 des Contract Code McGregor.4 Die einzelnen Artikel umschreiben jeweils genau, wann der jeweilige Typus der Leistungsstörung eine Nichterfüllung darstellt und wann nicht. Die Bedeutung des Nichterfüllungsbegriffs in Art. 89 CE wird also insofern relativiert, als sie nur „vorbehaltlich“ der ihr nachfolgenden Leistungsstörungstatbestände gilt. Sinn dieser Präzisierungen soll es sein, den Parteien leichter erkennbar zu machen, wann ein Verhalten eine Nichterfüllung darstellt, und dadurch die Rechtssicherheit zu erhöhen.5 Das Resultat ist eher verwirrend. Der Code Européen zergliedert 1
ACCADEMIA DEI GIUSPRIVATISTI EUROPEI (Coordinateur G. GANDOLFI), Code Européen des Contrats, Avant-projet, Livre Premier, im folgenden zitiert als CE; dazu GANDOLFI, ZEuP 2002, S. 1 (2); VATTIER/DE LA CUESTA/CABALLERO, Código europeo de contratos I und II, Madrid; GANDOLFI, Riv.Dir.Civ. 2001, S. 455 ff.; DE LOS MOZOS, Foro Pad. 1992, S. 46; GRIDEL, Gaz. Pal. 2003, n° 52, S. 3; ZIMMERMANN, in MANSEL et al., Festschrift Jayme II, S. 1401 ff. 2 Die Wahl eines Kernbegriffes der Nichterfüllung oder inexécution erfolgte auch in Anlehnung an die PECL, die UPICC und die CISG, SONNENBERGER, RIW 2001, S. 414. 3 Vgl. die Art. 90 ff. CE. 4 MCGREGOR, Contract Code drawn up on behalf of the English Law Commission. 5 ACCADEMIA DEI GIUSPRIVATISTI EUROPEI, Code Européen des Contrats, Avant-projet, Livre Premier, S. 287; SONNENBERGER, RIW 2001, S. 415.
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Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht?
sich entgegen seines ausdrücklichen Ziels der Klarheit für den Rechtsanwender in ein komplexes System von 13 verschiedenen Tatbeständen. Diese gehen über die als Leistungsstörungstrias bekannten Kategorien von Unmöglichkeit, Verzug und Schlechtleistung hinaus und umschreiben jede mögliche Vertragsstörung, z.B. die Nichterfüllung einer Spezies- und Gattungsschuld6, einer Verpflichtung zu einem Tun oder Unterlassen7, die Erfüllungsverweigerung8 und den hier interessierenden Schuldnerverzug, der in Art. 96 CE eine gesonderte Regelung erfährt.9 Die Rechtsfolgen im Fall eines gestörten Vertragsverhältnisses regelt der Code im Weiteren jedoch für die diversen Unterfälle weitgehend einheitlich. Er trennt lediglich kapitelweise die Wirkungen der Nichterfüllung10 von den Modalitäten der Rechtsbehelfe ab. Inspiriert wurde dies von kontinentaleuropäischen Kodifikationen wie insbesondere dem italienischen Codice Civile. 11 Der Verzugstatbestand des Code Européen knüpft an kontinentaleuropäische Rechtsordnungen und römischrechtliche Einflüsse an, unterscheidet sich in seiner Ausgestaltung jedoch von diesen Vorbildern.12 Einem ähnlichen Konzept folgte bereits der Code International des Obligations Cosentinis, der den Verzug zu einer zentralen Leistungsstörung machte. 13 Der CE umschreibt in seinem Art. 96 Abs. 1 Fälle des Verzugs, in dessen Absatz 214 Folgen des Verzugs. Eine ausdrückliche Definition des Verzugsbegriffs gibt der Code Européen nicht, sondern grenzt vielmehr negativ Fälle ab, in denen sich der Schuldner nicht in Verzug befinden soll. Nach Art. 96 Abs. 1 CE gilt dies einmal dann, wenn ihm für die Erfüllung weder ein Endtermin noch eine Frist gesetzt wurde und er nicht zuvor schriftlich gemahnt wurde, seine Verpflichtung innerhalb angemessener Frist zu erfüllen,15 oder dann, wenn der Gläubiger oder das Gericht dem Schuldner zuvor eine zu6
Art. 92 f. CE. Art. 94 f. CE. 8 Art. 90 CE. 9 Hier scheint die für das deutsche BGB hinsichtlich der auch im neuen BGB mitnichten gänzlich verschwundenen Leistungsstörungstatbestände der a.F. geäußerte Bemerkung „Die Kategorien werden nicht nur aufrecht erhalten, sondern sehr viel klarer nebeneinander gestellt“ sehr passend, LORENZ, JZ 2001, S. 742. Der Code Européen sieht dies jedoch als „praktischen Ratgeber“ für die Rechtsanwender an, der genau aufzeigt, welche Rechtsprobleme aus einer Vertragsbeziehung entstehen können, und diesem dadurch eine selbständigere Handhabung seiner Vertragsverhältnisse ermöglichen sollen, vgl. Accademia dei Giusprivatisti Europei, Code Européen des Contrats, Avant-projet, S. 215, 216. 10 Insbesondere: Wesentliche Nichterfüllung, Einrede des nichterfüllten Vertrages, Leistung in besonderer Form, Vertragsauflösung und Schadensersatz. 11 Art. 156 und insbesondere Art. 160, 162 ff. (Rückabwicklung und Schadensersatz). 12 Hierzu gleich unter § 2 I. 13 COSENTINI, Code International des Obligations en 3115 articles. 14 Bis auf Art. 96 Abs. 2 Satz 1 CE. 15 Art. 96 Abs. 1 lit. a CE. 7
Kapitel 4: Konzept „Leistungsverzug“
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sätzliche Frist zur Erfüllung gewährt haben16 und diese Frist jeweils noch nicht abgelaufen ist.17 Ferner ist der Schuldner auch dann nicht in Verzug, wenn bei gegenseitigen Verträgen die vom Gläubiger geschuldete Leistung bereits fällig und dieser seinerseits mit der Erfüllung im Rückstand ist, 18 oder wenn dem Gläubiger zur richtigen Zeit die volle Leistung so angeboten wurde, dass der Schuldner ihn damit zur Annahme aufgefordert hat.19 Art. 96 Abs. 2 CE präzisiert zunächst, dass jede Leistungsverzögerung dann einen Verzug und damit zugleich ein Abweichen von der „vertraglich vereinbarten oder als versprochen ansehbaren“ Situation und folglich eine Nichterfüllung i.S.d. Art. 89 VE darstellt, wenn die Voraussetzungen des Art. 96 Abs. 1 CE nicht vorliegen. Diese umgekehrte Regelungstechnik scheint zunächst ungewöhnlich, unübersichtlich und kompliziert. Sie ermöglicht aber eine schlüssigere Einbeziehung der exception d’inexécution und der mora creditoris als weitere Ausschlussgründe für das Vorliegen des Verzugs in ein und derselben Norm. Allerdings hätte der erste Satz des Abs. 2 wohl eher in Abs. 1 gehört. Die Nichterfüllungsdefinition in Art. 89, die Vorschrift des Art. 96 Abs. 2 a.E. und insbesondere Art. 97 CE, der eine Nichterfüllung trotz Verzugs nur ausnahmsweise für ausgeschlossen hält, zeigen, dass der Verzug zwar ein Spezialfall der Leistungsstörung ist, sein Vorliegen aber zugleich auch eine Nichterfüllung bedeutet. Allerdings tauchen bei der praktischen Anwendung des Pavia-Textes insbesondere in diesen Rechtsfolgenregelungen doch einige Unklarheiten hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den Störungstatbeständen der Art. 90 ff CE und dem Nichterfüllungsbegriff in Art. 89 CE auf. Während es in den Art. 89 und 90 ff noch so scheint, als seien die Leistungsstörungskategorien jeweils Unterfälle der Nichterfüllung, spricht der Code in den Rechtsfolgenbestimmungen wie etwa in Art. 162 CE zum Schadensersatz wohl in Anlehnung an die französische Unterscheidung zwischen inexécution und retard d’exécution20 unklar von „Nichterfüllung, nicht ordnungsgemäßer Erfüllung und Verzug“, setzt die Begriffe also als Alternativen nebeneinander.21 Auch andere Vorschriften tragen nicht zu einem logischen Bild bei. So etwa Art. 97 CE, der eine eigenwillige Regelung enthält, die auf den ersten Blick wie eine Mischung aus Entschuldigungsgrund und hardship-Klausel anmutet, und nach seinem Wortlaut bei Bejahung des Verzugs nur ausnahms16
Art. 96 Abs. 1 lit. b CE. Art. 96 Abs. 2 Satz 1 CE. 18 Art. 96 Abs. 1 lit. c CE. Die Regelung erinnert an Art. 3 Abs. 1 lit. c i) RiL 2000/35/EG. 19 Art. 96 Abs. 1 lit. d CE. 20 Art. 1147 Code civil. 21 Vgl. auch die Anmerkungen von CABALLERO LOZANO, in VATTIER FUENZALIDA, Comentarios en homenaje al prof. D. José Luis de los Mozos y de los Mozos, S. 393 (396). 17
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Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht?
weise die Nichterfüllung ausschließt. Verzug ist danach also Nichterfüllung, aber eben nicht immer.22 Da sich die „Leistungsstörungskategorien“ in Art. 90 ff CE zum Teil inhaltlich überschneiden,23 konkurrieren bei einer Leistungsverzögerung nicht nur Verzug und Unmöglichkeit,24 sondern je nach Vertrag auch die Normen über die Nichterfüllung einer Gattungsschuld oder einer Verpflichtung zu einem Tun mit den Verzugsvorschriften. Dies kann zu Verständnisproblemen und Unklarheiten bei der Anwendung führen. Die praktische Handhabung dieser Regeln bringt für den Rechtsanwender nicht die Erleichterung, die sie eigentlich bezwecken. Die Konsequenz und Klarheit, mit der die PECL den Begriff der Nichterfüllung gebrauchen, ist dem CE nicht gelungen.
§ 2 Schuldnerorientierte Haftungsvoraussetzungen Der Code Européen hat im Fall der Nichterfüllung im Gegensatz zu den pragmatischen, auf eine schnelle gläubigerfreundliche Lösung orientierten Principles ein anderes Ziel: Eine Vertragsstörung soll zunächst unter Aufrechterhaltung des Vertrages behoben und der Gläubiger befriedigt werden, ohne den Schuldner zu schädigen.25 Die Parteien sollen auf dem Verhandlungsweg zu einer gemeinsamen Lösung finden, die den Schuldner nicht zu stark belastet. Dieses Bestreben wird bei der Behandlung von Leistungsverzögerungen vielfach deutlich. I. Verzugselemente Bereits beim ersten Blick auf die Systematik des Code Européen fällt auf, dass dieser anders als die PECL sehr präzise Vorgaben dazu macht, wann eine Verzögerung der Leistung rechtsrelevant ist. Dies löst der Code Européen nicht ausschließlich über Vorgaben zur Leistungszeit, sondern über einen Verzugstatbestand, in welchem das Erfordernis der Mahnung eine zentrale Rolle spielt. 1. Leistungszeit Isoliert betrachtet entsprechen die Regeln zur Leistungszeit im Wesentlichen der Leistungszeitregelung der PECL und des DCFR. Gem. Art. 83 Abs. 1 22
„Selbst wenn sich der Schuldner mit der Erfüllung der geschuldeten Leistung in Verzug befindet […] liegt kein Fall der Nichterfüllung vor […];“ zu den Details der Vorschrift siehe sogleich unter I. 23 Etwa Art. 93 im Verhältnis zu Art. 96 bzw. Art. 94 Abs. 1 zu Art. 96 CE. 24 In Art. 91, Art. 96 Abs. 2 , 97 Abs. 2 CE. 25 GANDOLFI, ZEuP 2002, S. 1 (2).
Kapitel 4: Konzept „Leistungsverzug“
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Satz 1 CE sind die vertraglichen Verpflichtungen zu der im Vertrag „ausdrücklich oder implizit“ vorgesehenen Zeit zu erfüllen. Nur wenn eine Regelung auch nicht als implizit vereinbart angesehen werden kann, greift eine gesetzliche Leistungszeitregelung: Die Leistung ist zu der Zeit zu erbringen, die sich aus der Verkehrssitte und den Umständen ergibt, wobei hier die Natur der geschuldeten Leistung und der Erfüllungsort zu berücksichtigen sind. Im Grunde handelt es sich um eine konkretisierte Version der „angemessenen Frist nach Vertragsschluss“ in den Principles.26 Interessant ist die ausdrücklich angeordnete Relevanz des Erfüllungsortes, da die Regelung für grenzüberschreitende Verträge gelten soll und der Entfernung des Erfüllungsortes vom Sitz des Schuldners durchaus eine bedeutende Rolle bei der Leistungszeitbestimmung zukommen kann. Lediglich dann, wenn eine Zeitspanne27 weder vertraglich bestimmt noch nach den genannten Kriterien bestimmbar ist und zudem das Vorsehen einer angemessenen Zeitspanne zur Vorbereitung und Überwachung der Erfüllung für den Schuldner im konkreten Einzelfall auch nicht geraten ist, gilt gem. Art. 83 Abs. 1 Satz 2 CE der Grundsatz der sofortigen Fälligkeit. Art. 83 Abs. 2 CE präzisiert den Erfüllungszeitpunkt noch dahingehend, dass er die Leistung zu einer „vernünftigen“ Tageszeit vorschreibt, oder aber im Fall der Unternehmereigenschaft des Gläubigers zu den gewöhnlichen Geschäftszeiten.28 2. Mahnungserfordernis Scheint auch die Leistungszeitregelung als solche der Norm der Principles zunächst vergleichbar, so gilt dies nicht hinsichtlich der Frage, ab welchem Moment ein Überschreiten der Leistungszeit Rechtsfolgen für den Schuldner zeitigen soll. Der Code Européen knüpft im Gegensatz zu den Principles Sanktionen der Leistungsverzögerung erst an den Verzug und nicht an das Überschreiten der Leistungszeit als solchem.
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Art. 7:102 Abs. 3 PECL, Art. III.-2:102 Abs. 1 DCFR. Hinsichtlich der Fristberechnung sind Art. 83 Abs. 6 i.V.m. Art. 58 CE anzuwenden. 28 Der Entwurf geht prinzipiell von der Vermutung aus, dass ein Erfüllungszeitpunkt zugunsten des Schuldners besteht und dieser darum auch vor dem vereinbarten oder gem. Art. 83 Abs. 1 bestimmbaren Erfüllungszeitpunkt leisten kann. Wurde der Erfüllungszeitpunkt zugunsten des Gläubigers oder zugunsten beider Vertragsparteien bestimmt, kann der Gläubiger eine vorzeitige Erfüllung hingegen ablehnen, außer die Erfüllung kann ihrer Natur nach seinen Interessen nicht schaden. Für den umgekehrten Fall des „Verlangens“ der Leistung durch den Gläubiger vor einem Erfüllungszeitpunkt, der nicht zu seinen Gunsten bestimmt wurde, sieht Art. 83 Abs. 4 CE vor, dass diesem Verlangen nur dann nachzukommen ist, wenn der Schuldner zahlungsunfähig geworden ist oder wenn er selbst die von ihm gegebenen Sicherheiten vermindert oder nicht gewährt, obwohl er sie zugesagt hat. 27
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Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht?
Von ihrer Systematik her ist die Verzugsregelung des Code Européen durchaus interessant. Durch die bereits eingangs erwähnte Negativdefinition in Art. 96 Abs. 1 lit. a CE wird ermöglicht, alle Fälle, die verzugsbegründend wirken, auf eine Ebene zu stellen: So konstruiert der CE sein Verzugsrecht nicht nach dem Modell des römischen Rechts oder vieler nationaler Rechte um den Grundfall der Mahnung,29 sondern schließt den Verzug unter mehreren Hypothesen aus, nämlich insbesondere dann, wenn dem Schuldner bei Vertragsschluss weder Endtermin noch Frist zur Erfüllung seiner Pflichten gesetzt wurden und dieser auch nicht zuvor schriftlich gemahnt wurde, seine vertragliche Verpflichtung innerhalb einer angemessenen Frist zu erfüllen. Systematisch erscheint die Mahnung hier als eine nachträgliche Leistungszeitbestimmung, die eine Kontrolle einer angemessenen Leistungsfrist und die Fixierung eines konkreten Leistungszeitrahmens ermöglicht. Haben die Parteien also einen Leistungstermin oder eine Leistungsfrist vereinbart, markiert deren Verstreichen zugleich Fälligkeit und Verzugseintritt und eröffnet – da Verzug zugleich inexécution ist – den Katalog der Nichterfüllungsrechtsbehelfe. Nur wenn diese Vereinbarung fehlt, bedarf es der Mahnung mit Fristsetzung. Diese Lösung hat gegenüber kontinentalen Rechten wie dem deutschen einen systematischen Vorteil (Mahnung als nachträgliche Leistungszeitbestimmung) und vermeidet die Rechtsunsicherheit, die PECL und UPICC bei fehlender Leistungszeitvereinbarung bewirken. Das Mahnungserfordernis im Code Européen kommt dem Schuldner entgegen. Im Gegensatz zu den Principles sieht Art. 96 Abs. 1 lit. a CE nicht nur vor, dass der Schuldner schriftlich zu mahnen ist, seine vertragliche Verpflichtung innerhalb einer angemessenen Frist zu erfüllen, wenn bei Vertragsschluss keine Leistungszeit bestimmt wurde; er verlangt als zwingende Voraussetzung neben der Mahnung außerdem, dass diese mit einer angemessenen Fristsetzung für die Erfüllung zu verbinden ist. Da Art. 96 Abs. 2 CE für den Verzugseintritt den Ablauf der mit der Mahnung gesetzten Frist des Abs. 1 lit. a voraussetzt, kommt der Schuldner nicht bereits mit Zugang der Mahnung in Verzug, sondern erst mit Fristablauf. Es läuft also für den Schuldner eine Gnadenfrist, innerhalb derer er von Rechtsfolgen verschont bleibt und seine Leistung noch erbringen kann. Es handelt sich letztlich um eine Koppelung aus Mahnung und Nachfrist, wie sie teils auch im nationalen Recht vorgenommen wird.30 Der Gläubiger kann also Schadensersatzansprüche grundsätzlich erst dann in Betracht ziehen, wenn die mit der Mahnung des Schuldners gesetzte Frist verstrichen ist. Im Unterschied zu Art. 7:102 Abs. 3 PECL schafft die Regelung 29
Vgl. Teil 2, Kap. 7, § 2 III. Dies entspricht z.B. dem Ansatz des niederländischen Rechts in Art. 6:82 NBW, der eine „schriftelijke aanmaning“ in Kombination mit einem „redelijke termijn voor nakoming“ verlangt. Vgl. zu den Einzelheiten unten Teil 2, Kap. 7, § 2 III. 30
Kapitel 4: Konzept „Leistungsverzug“
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Rechtssicherheit im Hinblick auf eine Einstandspflicht des Schuldners und den Eintritt von Rechtsfolgen seiner Verzögerung. Die Koppelung von Mahnung und Fristsetzung bewirkt eine reelle Chance des Schuldners, seine Leistung auch tatsächlich nachträglich erbringen zu können und zwar, bevor jeglicher Schadensersatz zu gewähren ist. Mit dem Ziel eines größtmöglichen Schutzes der force obligatoire des Vertrages und der Bewahrung der Möglichkeit des Schuldners zur Leistungserbringung ist der Kontakt zwischen Gläubiger und Schuldner und die Gewährung einer zweiten Chance des Schuldners zur Leistung ein grundliegendes Anliegen des gesamten Gesetzeswerkes. So fügt sich das Mahnungs- und Fristsetzungserfordernis im Code Européen in ein System, dem es trotz der schuldnerseitigen Leistungsstörung um den Schutz der Schuldnerinteressen und die Vermeidung von Sekundäransprüchen geht und das der Vertragserfüllung größtmögliche Chancen einräumen will. Fristsetzungserfordernisse und Korrespondenzpflichten zwischen den Parteien finden sich für verschiedene Arten der Nichterfüllung über den Code verstreut. In vielen Fällen muten sie übertrieben und praxisfremd an. Ein illustratives Beispiel ist Art. 90 Abs. 1 CE, wonach sich der Gläubiger selbst im Fall der Erfüllungsverweigerung des Schuldners durch eine Bestätigung der Nichterfüllung absichern muss. Andernfalls müsste er eine gleichwohl erfolgende Erfüllung des Schuldners akzeptieren. Bestätigt der Gläubiger die Nichterfüllung, kann der Schuldner jedoch aktiv werden. Art. 90 Abs. 2 CE normiert eine komplizierte Schriftwechselpflicht zwischen den Parteien, um der Erfüllung durch den Schuldner eine Chance zu geben. Fristsetzungen suspendieren das Vorliegen einer Nichterfüllung: In Art. 92 und 93, jeweils lit. a, genauso wie 96 Abs. 1 lit. b CE wird die Bedeutung der Nachfristen und in Art. 96 Abs. 1 lit. a CE und Art. 114 Abs. 1 CE ihr verpflichtender Charakter deutlich. Mögen diese Pflichten auch in einigen Fällen wie dem erwähnten Art. 90 CE wirklichkeitsfremd und umständlich anmuten, sind sie jedoch im Grundsatz ein Kontrollmittel missbräuchlichen Verhaltens seitens einer Partei und bringen insbesondere bei der Mahnung eine Mehr an Rechtssicherheit. Denn wenn es in Art. 96 Abs. 2 heißt „[…] so befindet sich der Schuldner im Verzug. Demzufolge ist er nicht befreit und haftet gemäß Art. 162 ff. […],“ ist der Moment, ab welchem dem Schuldner eine Haftung aufgebürdet werden kann, im Gegensatz zu den PECL klar umrissen. Die Betonung des Rechtssicherheitsaspektes und des Schuldnerschutzgedankens zeigt sich auch bei den Formanforderungen an die Mahnung. Art. 96 Abs. 1 lit. a CE sieht ausdrücklich ein Schriftformerfordernis vor. Das mag zu förmlich erscheinen, jedoch wird die Schriftform aus Gründen der Beweissicherheit ohnehin überwiegend praktiziert.
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3. Verzug und Verschulden Obgleich der Code Européen dem Verzug einen eigenen Leistungsstörungs„tatbestand“ mit speziellen Voraussetzungen wie etwa der Mahnung nach Art. 96 Abs. 1 lit. a CE widmet, wird ein subjektives Element des Verschuldens des Schuldners für den Verzugseintritt31 nicht positiv vorausgesetzt. Rechtsfolgen treten grundsätzlich bereits ein, wenn die objektivierten Voraussetzungen des Art. 96 Abs. 2 Satz 1 CE vorliegen, d.h. ein präziser Moment verstrichen ist, ab welchem die Leistungsverzögerung als rechtsrelevant gilt. Eine subjektive Verantwortlichkeit des Schuldners spielt allenfalls im Rahmen der Rechtsbehelfe und dem dort angeordneten Haftungsmaßstab eine Rolle, also dort, wo sie eigentlich auch zu erwarten ist. Damit löst sich der Verzug im Code Européen von einem Vorverständnis der mora und der culpa nach römischem Recht, das insbesondere das deutsche Verzugsrecht noch immer beeinflusst, wie § 286 Abs. 4 BGB zeigt. II. Dualer Haftungsmaßstab 1. Obligations de résultat et de moyens Die Haftung nach dem Code Européen kennzeichnet sich durch die gleiche Grundfrage wie die Principles: „[…] faut-[il] tenir compte du contenu du rapport obligatoire, selon que le débiteur garantisse un résultat ou au contraire […] de la diligence nécessaire?“32 Der Code weicht von den UPICC, die die Unterscheidung zwischen obligations de résultat und obligations de moyens nur zur Bestimmung des Inhalts der Vertragspflichten ausdrücklich aufnehmen und damit die Feststellung erleichtern, wann eine Pflicht nicht erfüllt ist, ebenso ab, wie von den PECL, die auf eine ausdrückliche Unterscheidung ganz verzichten. Die Abgrenzung nimmt er zunächst in Art. 75 Abs. 3 Satz 1 CE vor, indem er umschreibt, wann die Erfüllung einer Handlungspflicht angenommen werden kann, nämlich dann, wenn der Schuldner mit der erforderlichen Sorgfalt alle Handlungen ausführt, die nötig sind, um den vorgesehenen Erfolg zu erreichen.33 Der Code Européen trifft diese Unterscheidung jedoch auf der Ebene der Vertragspflichten in Art. 75 CE und der Einstandspflicht in Art. 162 Abs. 1 und 3 CE und wählt somit auch ein duales Haftungssystem. Gem. Art. 162 Abs. 1 Satz 2 CE soll der Schuldner einer Erfolgspflicht nur dann nicht haftbar sein, wenn er den Beweis erbringt, dass sein Zurückbleiben 31
Es geht hier ausschließlich um die Frage des Verschuldens als Verzugsvoraussetzung, nicht als eine Voraussetzung einer etwaigen Schadensersatzhaftung. 32 Einer der diskutierten Punkte der Stellungnahmen der Akademiker, GANDOLFI, Code Européen des Contrats, S. 188. 33 Allerdings beschränkt sich der CE bei der Abgrenzung in Art. 75 Abs. 3 auf Handlungspflichten „beruflicher Art“, was nicht ganz einleuchtend ist.
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hinter dem vertraglich vereinbarten Leistungsprogramm nicht seinem Verhalten zuzurechnen ist, sondern durch ein unvorhersehbares und unabwendbares äußeres Ereignis verursacht wurde, also einen Fall der force majeure. Die Befreiung wegen force majeure kreist um drei Voraussetzungen: ein 1. nicht in der Person des Schuldners liegendes Leistungshindernis, das 2. unvorhersehbar und 3. unabwendbar ist. Der gleiche Haftungsmaßstab gilt auch für Dritte, derer sich der Schuldner zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten bedient.34 Dieser Maßstab wird über Art. 162 Abs. 3, Art. 75 Abs. 3 CE modifiziert, wenn die verletzte Pflicht keine Erfolgspflicht ist: Sieht der Vertrag eine Handlungspflicht beruflicher Art vor, kann sich der Schuldner entlasten, wenn er nachweist, dass er die von ihm geschuldeten Handlungen mit der nach den Umständen des Falles erforderlichen Sorgfalt ausgeführt hat. Die Beurteilung der erforderlichen Sorgfalt hängt gem. Art. 75 Abs. 2 CE entscheidend von der Natur der geschuldeten Leistung und damit vom jeweiligen Einzelfall ab. Damit greift Art. 162 Abs. 1 Satz 2 CE nur dann ein, wenn der Schuldner das Erreichen eines Erfolges schuldet. Wenn die Haftungsfrage und insbesondere die Beweislastverteilung im Gegensatz zu den Principles auch wesentlich deutlicher scheinen, ist auch diese Regelung nicht ganz schlüssig. Sie zeigt vielmehr genau das bereits im Rahmen der PECL-Grundsätze angesprochene Problem der verschiedenen Haftungsmaßstäbe für die obligations de moyen und die obligations de résultat auf: Sieht der Vertrag eine Handlungsverpflichtung vor, gilt diese als erfüllt, wenn der Schuldner „mit der erforderlichen Sorgfalt alle Handlungen ausführt, die nötig sind, um den vorgesehenen Erfolg zu erreichen“, ohne den Erfolg selbst herbeiführen zu müssen. Hat er die erforderliche Sorgfalt angewendet, muss bereits eine Nichterfüllung verneint werden.35 Das Problem der Handlungs- und Erfolgspflicht ist eigentlich ein Problem auf der „ersten Ebene“ der Nichterfüllung und nicht auf der „zweiten Ebene“ des im Fall der Nichterfüllung anzuwendenden Haftungsmaßstabs.
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Art. 162 Abs. 5 CE. Eine Handlungspflicht gilt damit im Umkehrschluss aus Art. 75 Abs. 3 CE in folgenden drei Konstellationen als nicht erfüllt: a) der Schuldner nimmt alle notwendigen Handlungen vor, aber nicht alle mit der gebotenen Sorgfalt, b) der Schuldner nimmt schon gar nicht alle Handlungen vor c) der Schuldner nimmt nicht alle Handlungen und diese ganz oder teilweise nicht mit der gebotenen Sorgfalt vor. In Fall a) haftet der Schuldner, weil er sich nicht entlasten kann. Im Fall b) haftet er auch, denn er hat Teile seiner Handlungspflicht schlichtweg nicht wahrgenommen. Im Fall c) haftet er ebenso, denn eine Entlastung ist ihm nicht möglich. 35
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2. Haftungsverschärfung im Verzug Ähnlich wie die Haftungsverschärfung zu Lasten des Schuldners in § 287 S. 2 BGB bewirkt der Verzug gem. Art. 96 Abs. 2 Satz 2 CE die Haftung des Schuldners „même si la perte de la chose due ou l’impossibilité survenue en cours d’exécution ne sont pas liées à des causes qui lui sont imputables.“ Die deutsche Übersetzung „nicht von ihm verschuldet“ ist allerdings insofern unglücklich, als sie zum eben geschilderten Haftungskonzept nicht recht zu passen scheint. In der Mehrzahl der Fälle wird es sich hier ohnehin um eine obligation de résultat handeln („perte de la chose due“…), so dass eine strenge Haftung greift. Die Haftungsverschärfung, die bei mora debitoris des römischen Rechts aufgestellt wurde,36 wird jedoch wie in § 287 S. 2 BGB dadurch eingeschränkt, dass sie nur dann gilt, wenn das Leistungsobjekt den selben Schaden auch erlitten hätte, wenn es dem Gläubiger rechtzeitig zur Verfügung gestanden hätte.37 3. Gläubigerfehlverhalten Auch der Code Européen entlastet den Schuldner von der Haftung, wenn der Gläubiger an der Verursachung der Leistungsstörung beteiligt war. Anders und insoweit gelungener als die Principles trifft der CE die Entscheidung, wie sich der Verursachungsbeitrag des Gläubigers auswirkt, jedoch für jeden Rechtsbehelf gesondert. So kann das eigene Fehlverhalten die Vertragsaufhebung nur dann ausschließen, wenn es allein kausal für die Nichterfüllung war.38 Auch für den Schadensersatz trifft Art.167 CE eine ausdifferenzierte Lösung im Fall der Mitverursachung durch den Gläubiger.39
§ 3 Schuldnerfreundliche Rechtsfolgenregelung Der Code Européen hat sich für ein System entschieden, das beiden Parteien auch im Störungsfall möglichst weitgehende Selbstgestaltungsmöglichkeiten einräumt, sich jedoch zugleich tendenziell eher günstiger für den Schuldner auswirkt, da die Reaktionen des Gläubigers teils relativ weitgehenden Kontrollmechanismen unterliegen.
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Vgl. unten Teil 2, Kap. 6, Unterkap. 1, § 3 I. Zur historischen Entwicklung dieser Einschränkung vgl. unten Teil 2, Kap. 6, Unterkap. 2, § 3 I. 38 Art. 114 Abs. 6 Satz 1 CE. 39 Vgl. unten § 3 II 4. 37
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I. Weitgehender Erfüllungsanspruch Auch im Code Européen stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Erfüllungsanspruchs und nach seinem Vorrang. Über Art. 111 CE nimmt er eine zentrale Rolle im Gefüge der Rechtsbehelfe ein. Der Gläubiger kann von einem Schuldner, der die geschuldete Leistung nicht erbracht hat, sog. Erfüllung „in besonderer Form“ verlangen, wenn dies objektiv möglich ist, gleich welcher Form die Nichterfüllung ist.40 Dass der McGregor Contract Code ebenfalls ausdrücklich das Recht auf specific performance vorsieht, bestärkte nur die Entscheidung für die Schlüsselrolle des Erfüllungsanspruchs: das Konzept der Naturalerfüllung erwies sich offensichtlich auch für einen englischen Juristen als akzeptabel, als es auf den ersten Blick scheint. 1. Erfüllungsanspruch mit Modalitäten Die Erfüllung in besonderer Form scheint die Problematik des Erfüllungsanspruchs in den prozessualen Bereich zu verlagern. Art. 111 Abs. 1 CE nimmt in seinem Abs. 1 Hs. 1 anders als die PECL ausdrücklich nur einen einzigen Fall vom Erfüllungsanspruch aus, nämlich den der objektiven Unmöglichkeit. Die Fälle, die die Art. 9:102 PECL und 7.2.2 UPICC als Ausnahmen zum Erfüllungsanspruch auffassen, werden zwar weitgehend ebenfalls als Sonderfälle behandelt, allerdings nicht durch einen materiellrechtlichen Ausschluss des Erfüllungsanspruchs. Zum Vergleich: Ein eingeklagter Erfüllungsanspruch nach deutschem Recht unterliegt vor allem den präzise auf die verschiedenen Fälle der vertretbaren, nicht vertretbaren, persönlichen etc. Leistungen abgestimmten Vorschriften des Zwangsvollstreckungsrechts. Diese nimmt der Code Européen vorweg und betitelt sie als „Erfüllung in besonderer Form“. Er gewährt damit den Erfüllungsanspruch materiellrechtlich an sich weit über die Principles hinaus. Inhaltlich sind die Regelungen des Code in Art. 111 Abs. 1 lit. a - c CE weitgehend Modalitäten der Ausnahmen zum Erfüllungsanspruch in den PECL. Da sich diese Ausnahmen vom Erfüllungsanspruch traditionellerweise meist auf vollstreckungsrechtlicher Ebene zeigen, soll hierüber im Rahmen eines Verfahrens entschieden werden. Innerhalb dieser Ausnahmen unterscheidet der Code systematisch nach dem Inhalt der jeweiligen Leistungspflicht zwischen Fällen, in denen es um die Erfüllung einer Pflicht zur Sachlieferung (lit. a und b) und Pflicht zur Erbringung sonstiger Leistungen (lit. c), Unterlassungspflichten (lit. d) und der Verpflichtung auf Abschluss eines Vertrages (lit. e) geht. Im Vergleich zu den PECL ist insbesondere interessant, dass der Gläubiger im Fall einer obligation de donner nicht nur je nach Schuldinhalt die Liefe40
Der Entwurf unterscheidet zwischen der (noch) Nicht-Leistung (Art. 111 CE) und der ganz oder teilweisen Nichterfüllung wegen Mangels einer Sache (Art. 112 CE).
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rung der geschuldeten Sache(n) verlangen kann41, sondern sich vom Gericht ermächtigen lassen kann, die Leistung auf Kosten des Schuldners von Dritten zu fordern,42 also ein Deckungsgeschäft vorzunehmen. Die Entscheidung über die Vornahme eines Deckungsgeschäfts bleibt hier ausdrücklich dem Gericht vorbehalten. Dies ist ein im Vergleich zu den Principles insoweit positiver Aspekt, als der Code die durch Art. 9:102 Abs. 2 lit. d PECL geschaffene Gefahr einer einseitigen Ausnutzung einer Deckungsgeschäftsmöglichkeit durch den Gläubiger vermeidet. Der Gläubiger kann weiter verlangen, den Schuldner zur Leistung (hier auch zu einem Tun) zu verurteilen, soweit dies möglich ist, oder deren Selbstoder Ersatzvornahme begehren.43 Auch hier findet sich nochmals die „kontrollierte“ Deckungsgeschäftsmöglichkeit wieder, diesmal für die obligations de faire. Die Formulierung des Leistungsverlangens in Art. 111 Abs. 2 lit. c 1. Alt. CE „que le débiteur soit condamné à exécuter son obligation, dans la mesure du possible […]“ spielt nicht auf den Fall der Unmöglichkeit an, die gem. Abs. 1 vom Erfüllungsanspruch ausgenommen ist, sondern auf die reelle Verurteilungsmöglichkeit, also die prozessuale Seite, die gerade bei den obligations de faire im französischen Recht in Art. 1142 CC zur Verneinung des Erfüllungsanspruchs führt. Über Art. 111 Abs. 1 Hs. 2 CE soll ein Anspruch auf Schadensersatz gegeben sein. Allerdings ist die Regelung im Hinblick auf persönlich zu erbringende Leistungen nicht sehr präzise. Die Ausnahme vom Erfüllungsanspruch in Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL und 7.2.2 lit. b UPICC44 wurde allerdings nicht in den Code Européen aufgenommen. Die wirtschaftliche Unmöglichkeit findet lediglich in Art. 97 CE in Form einer hardship-Klausel eine Regelung. Damit erübrigt sich auch die in den PECL schwierige Abgrenzung zwischen Art. 7.2.2 lit. b, 9:102 Abs. 2 lit. b PECL und den hardship-Regeln der Principles. Art. 97 Abs. 1 CE sieht vor, dass trotz Vorliegens der Verzugsvoraussetzungen des Art. 96 CE eine Nichterfüllung gem. Art. 97 CE dann ausgeschlossen sein soll,45 wenn „zuvor außergewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse eingetreten sind, die die Erfüllung übermäßig belastend haben werden lassen“, und zwar selbst dann, wenn sich der Schuldner mit der Erfüllung der geschuldeten Leistung in Verzug befindet oder er die Leistung nur teilweise erbracht hat. Der Schuldner kann dann gem. Art. 157 CE die Neuverhandlung des Vertrages verlan41
Art. 111 Abs. 2 lit. a CE. Art. 111 Abs. 2 lit. b CE. 43 Art. 111 Abs. 2 lit. c CE. Der Entwurf trennt nach Inhalten der Leistungspflicht zwischen Fällen, in denen es um die Erfüllung einer Pflicht zur Sachlieferung (lit. a und b), einer Pflicht zur Erbringung sonstiger Leistungen (lit. c), um Unterlassenspflichten (lit. d) und um eine Verpflichtung auf Abschluss eines Vertrages (lit. e) geht. 44 „Performance would cause the obligor unreasonable effort or expense.“ 45 Der Schuldner soll hier unter bestimmten Modalitäten erneute Aushandlung des Vertrags verlangen können, vgl. Art. 157 CE. 42
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gen, muss dieses Begehren aber vor Ablauf der für die Erfüllung vorgesehenen Frist beziehungsweise vor Mahnung des Gläubigers nach Art. 96 Abs. 1 lit. a CE an den Gläubiger richten. Art. 97 bereitet allerdings Auslegungsschwierigkeiten. Es ist bereits terminologisch unklar, wie der säumige Schuldner sein Recht auf Neuverhandlung geltend machen soll, bevor die für die Erfüllung vorgesehene Frist abgelaufen oder die Mahnung des Gläubigers erfolgt ist, denn nach Art. 96 Abs. 2 CE soll dann ja gerade noch kein Verzug vorliegen. Zudem stellt sich ein schwieriges Abgrenzungsproblem zur Enthaftung wegen force majeure.46 Man muss die Vorschrift wohl so lesen, dass nur dann keine Nichterfüllung vorliegt, wenn sich der Schuldner zeitig mit der Bitte um Neuverhandlung an den Gläubiger gewandt hat.47 Denn wäre die übermäßige Belastung der Erfüllung durch außergewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse bereits automatisch keine Nichterfüllung, müsste der Schuldner auch nicht auf eine Neuverhandlung des Vertrages pochen, sondern könnte untätig bleiben, ohne sich Rechtsbehelfen des Gläubigers ausgesetzt zu sehen. Das kann nicht bezweckt sein.48 Der Schuldner muss also zwar nach Fälligkeit, aber vor Verzugseintritt an den Gläubiger herantreten,49 auch wenn Art. 97 Abs. 2 Satz 1 CE von Verzug spricht. Hier wäre wohl besser von Verzögerung die Rede. Hingegen findet sich im Code Européen keine Regelung, die wie Art. 7.2.2 lit. e UPICC oder 9:102 Abs. 3 PECL den Gläubiger verpflichtet, sein Erfüllungsbegehren binnen angemessener Frist nach Kenntnis oder Kennenmüssen der Nichterfüllung geltend zu machen. Allerdings ergibt sich diese Verpflichtung bei einer Leistungsverzögerung nach dem CE bereits über das Mahnungserfordernis in seinem Art. 96 Abs. 1 lit. a. 2. Sicherung des Erfüllungsanspruchs Die Erfüllung in Natur kann gem. Art. 111 Abs. 3 zudem mittels Zwangsgelds durchgesetzt werden. Diese Regelung ist dem französischen Recht entlehnt,50 stellt jedoch inhaltlich eine verschärfte Form der astreinte dar, da sie auf alle Arten vertraglicher Verpflichtungen Anwendung finden kann. Sie findet in
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Siehe etwa auch die Auslegung bei DÜCHS, Die Behandlung von Leistungsstörungen im Europäischen Vertragsrecht, S. 229 ff. 47 „Le débiteur doit néanmoins avoir communiqué au créancier son intention de faire recours à ce droit […].“ 48 Anders DÜCHS, a.a.O., S. 229 ff. und S. 258, der einen unauflösbaren Widerspruch zwischen Art. 97 und Art. 162 Abs. 1 Satz 2 CE sieht. 49 Art. 97 Abs. 2 Satz 2 CE. 50 Art. 5 ff. der Loi 72/626 vom 6.7.1972.
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den PECL keine Entsprechung, wohl aber in Art. 7.2.4 UPICC, dort allerdings in inhaltlich anderer Form.51 Im Code Européen wird dem Gericht jedoch hinsichtlich der Höhe des Zwangsgeldes ein Rahmen vorgegeben, an welchen es sich zu halten hat. Wird der Schuldner zu specific performance verurteilt, wird jegliche Verspätung pro Verzugstag oder als fester Einmalbetrag mit einem Zwangsgeld geahndet, das jedoch das Dreifache des Wertes der geschuldeten Leistung nicht überschreiten darf. Als Kompromisslösung sieht der Code auch nicht vor, dass die astreinte allein an den Gläubiger fließt, sondern wählt wie das portugiesische Recht52 eine Mischlösung: 30% des vom Schuldner entrichteten Zwangsgeldes sollen an den Staat fallen. Mag die Lösung auch sinnvoll sein, bleibt doch unklar, welcher Staat gemeint ist. II. Kontrolliertes System einseitiger Rechtsbehelfe 1. Leistungs- und Annahmeverweigerungsrecht Ein Leistungsverweigerungsrecht des Gläubigers auch im Code Européen zu finden ist nicht überraschend, wohl aber seine Ausgestaltung. Es reicht im Fall der Nichterfüllung des Schuldners insofern weit, als es ihm unabhängig vom Umfang der Nichterfüllung zusteht. Bei dessen Ausübung ist zwar der Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten. Ungewöhnlich ist jedoch, dass Art. 108 Abs. 2 CE mehrere Präzisionen zur Konkretisierung des Grundsatzes enthält, um zu gewährleisten, dass der Schuldner vor einer vorschnellen Ausübung des Zurückbehaltungsrechts geschützt wird. Als Widerspruch gegen Treu und Glauben betrachtet es der Code, wenn die Gegenpartei außerordentlich belastet wird oder Grundrechte verletzt werden. Insbesondere der erste Aspekt ist bedeutsam, weil er die wirtschaftlichen Folgen des Gläubigerverhaltens für den Schuldner ausdrücklich als Kriterium nennt. Auch wenn der Schuldner seine Leistung nicht erbringt und hierdurch eine Verzögerung verursacht, die den geplanten Leistungsaustausch zwischen den Parteien stört, muss seine ökonomische Situation in die Betrachtung einfließen. Als Gegenstück zum Leistungsverweigerungsrecht sieht Art. 109 Abs. 2 CE im Fall eines Fixgeschäftes ein Annahmeverweigerungsrecht des Gläubigers vor. Problematisch an der Vorschrift ist allerdings ihr Verhältnis zu Art. 114 Abs. 1 und 2 CE, d.h. zur Vertragsaufhebung auf der Basis einer entsprechenden Parteiabrede.53 Die Mitteilung der benachteiligten Partei, dass sie sich auf die Klausel berufen will, führt bereits zu einer automatischen Ver51
Hierzu SCHWENZER, E.J.L.R. 1999, S. 289 (302 f.); CARBONNIER, Droit Civil, Obligations, S. 587. 52 Art. 829-A Abs. 3 portCC. Allerdings fließen dort jeweils 50% an Staat und Gläubiger. 53 „Une clause en vertu de laquelle l’inexécution d’une certaine prestation […] confère à l’autre partie le droit de résoudre le contrat.“
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tragsaufhebung. Ob die bloße Fixabrede im Rahmen des Art. 114 Abs. 2 CE ausreicht, um diesen Mechanismus der sofortigen Vertragsaufhebung auszulösen, wird aus Art. 114 Abs. 2 CE nicht deutlich. Die Regelung des Art. 109 Abs. 2 CE spricht allerdings dagegen, denn ein spezielles Annahmeverweigerungsrecht des Gläubigers zu normieren ist wenig sinnvoll, wenn er ohnehin die sofortige Vertragsaufhebung bewirken kann. 2. Vertragsauflösung Damit wurde bereits die entscheidende Frage angesprochen, ab wann der Code Européen eine Verzögerung als so schwerwiegend einstuft, dass sie die Vertragsauflösung rechtfertigt, und wann diese mit sofortiger Wirkung vollzogen werden kann. a. Wesentlichkeitsbegriff und unflexible Nachfrist Eine zentrale Voraussetzung für eine Vertragsauflösung ist auch nach dem CE eine wesentliche Nichterfüllung.54 Die Definition einer wesentlichen Nichterfüllung nach dem CE ist jedoch eine andere als in den Principles oder der CISG. Der CE stellt insbesondere auf die Bedeutung der verletzten Vertragspflichten ab und betont im Unterschied zu den Principles objektive Elemente zur Bestimmung der Wesentlichkeit. Das Vorliegen einer wesentlichen Nichterfüllung allein berechtigt jedoch nur ausnahmsweise zur Vertragsaufhebung, denn der CE kombiniert die Voraussetzung der Wesentlichkeit der Vertragsverletzung mit einer Nachfristpflicht.55 Als wesentlich definiert Art. 107 Abs. 1 CE eine Nichterfüllung, die eine Hauptleistungspflicht des Vertrages betrifft, oder die auch unter Berücksichtigung der Eigenschaften der Parteien und der Art der Leistung für den Gläubiger einen solchen Nachteil bedeutet, dass sie ihm im Wesentlichen das vorenthält, was er auf Grund des Vertrages erwarten darf.56 Ausdrücklich nicht ausreichend für die Annahme einer wesentlichen Nichterfüllung ist nach Abs. 1 eine Verletzung von Nebenpflichten.57 Letztere werden als Pflichten definiert, deren Erfüllung unter Rücksicht auf das Wesen des Vertrages und das Interesse des Gläubigers von geringer Wichtigkeit sind.58 Damit sind wenig bedeutsame Pflichten gemeint, nicht alle Nebenpflichten nach deutschem
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Im Originaltext: „Inexécution d’importance notable.“ Vgl. Art. 114 Abs. 1 und 2 CE. 56 Der deutsche Wortlaut der Norm „und darüber hinaus, wenn“ ist etwas missverständlich. Gemeint ist eine Alternative. 57 Anders die Principles und die CISG, die insofern keine Einschränkungen vorsehen, vgl. Art. 1:301 Abs. 4, 8:103 PECL, Art. 25 CISG. 58 Art. 107 Abs. 3 CE. 55
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juristischem Verständnis.59 Anders als Art. 8: 103 lit. b PECL stellt Art. 107 Abs. 1 CE zum einen auf die Bedeutung der verletzten Pflicht ab, die nach den PECL gerade keine Rolle spielen soll. Zum anderen nimmt er auf das objektivere Kriterium des Nachteils für den betroffenen Gläubiger Bezug.60 Der Entwurf enthält allerdings in Art. 107 Abs. 1 CE im Unterschied zu Art. 8:103 lit. b PECL kein Element, das die Kontrolle ermöglicht, ob die vertragsbrüchige Partei vorausgesehen hat oder ob sie vernünftigerweise voraussehen konnte, dass der benachteiligten Partei im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag erwarten durfte.61 Die Vorhersehbarkeit als wesentliches Korrektiv in den Principles62 hat jedoch insofern weniger Bedeutung, weil der Code Européen durch eine kumulative Nachfristsetzung für einen stärkeren Schuldnerschutz sorgt.63 Auch gilt es stets als wesentliche Nichterfüllung, wenn die Parteien ausdrücklich vertraglich vereinbart haben, dass die Nichterbringung einer bestimmten Leistung ein Recht zur Vertragsauflösung gewähren soll. Dies folgt aus Art. 114 Abs. 2 CE, ähnlich wie aus Art. 8:103 lit. a PECL, wird jedoch aus Art. 107 CE selbst nicht deutlich. Den Fall einer vorsätzlichen Nichterfüllung64 oder den einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Nichterfüllung65 nennt der Code Européen nicht, enthält sich also im Gegensatz zu den Principles konsequent jeglicher Verknüpfung der Vertragsauflösung mit einem Verschuldenserfordenis. Art. 107 Abs. 2 CE nennt darüber hinaus beispielhaft Fälle einer wesentlichen Nichterfüllung. Er führt einerseits die vollständige Nichterfüllung, andererseits eine teilweise Nichterfüllung an, sofern letztere das Interesse des Gläubigers an der übrigen Leistung nach verständiger Würdigung des Falles entfallen ließ, wie dies etwa im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen der Fall sein kann.66 Der Interessefortfall ist damit bei nur teilweiser Nichterfüllung ein zusätzliches Element des Wesentlichkeitsbegriffs. Wegen des Er59
SONNENBERGER, RIW 2001, S. 409 (415). Die Norm verbindet den objektiven Begriff des Nachteils des Gläubigers mit der subjektiven Formulierung des Art. 8:103 lit. b PECL („[…] durch die Nichterfüllung der benachteiligten Partei im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag erwarten durfte […]“). Vgl. bereits Art. 25 CISG: „[…] wenn sie für die andere Partei einen solchen Nachteil zur Folge hat, dass ihr im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen […]“. 61 Anders auch Art. 25 CISG. 62 Vgl. neben Art. 8:103 lit. b im Übrigen auch Art. 9:503 PECL. 63 Hierzu sogleich unter II 2 a. 64 Wie etwa in Art. 8:103 lit. c PECL. 65 So Art. 7.3.1. Abs. 2 lit. c UPICC. 66 Der Entwurf folgt hier dem Beispiel des Contract Code MCGREGOR. In dessen Art. 306 Abs. 2 heißt es: „A breach of contract is substantial either where there is total non-performance by a contracting party or where there is such other failure to perform as to make it unreasonable to require the other party to continue with his own performance.“ 60
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fordernisses der verständigen Würdigung des Falles erfordert er eine objektivierte Betrachtung. Das Zusammenspiel von Art. 107 Abs. 1 und Abs. 2 CE und Art. 114 CE bleibt jedoch unklar. Bei Art. 107 Abs. 2 mag dies unter anderem daran liegen, dass er wörtlich dem McGregor Code entnommen und in einer eher gekünstelt anmutenden Weise an Abs. 1 angehängt wurde.67 Auch im Verhältnis zu Art. 114 CE stellen sich einige Kohärenzprobleme. Dies zeigt sich insbesondere beim bereits erwähnten Fixgeschäft: Wendet man Art. 107 Abs. 1 und 2 CE auf den Fall der Leistungsverzögerung an, ist nach dem Wortlaut des Art. 107 Abs. 1 und 2 lit. a CE anders als nach den Principles eine Nichtlieferung der geschuldeten Ware zum vereinbarten Leistungszeitpunkt stets eine wesentliche Nichterfüllung, da eine Hauptleistung nicht zur Leistungszeit erbracht wurde. Diese strenge Handhabung des Wesentlichkeitsbegriffs und das Fehlen des Vorhersehbarkeitselements fängt der Code Européen dadurch auf, dass die Wesentlichkeit einer Nichterfüllung allein nicht dieselben Rechtsfolgen auslöst wie die Principles oder die CISG. Zur Vertragsaufhebung berechtigt sie erst, wenn eine Nachfrist gesetzt wurde, oder ausnahmsweise dann, wenn eine Vertragsklausel bei Nichterfüllung einer bestimmten Leistung ein Vertragsaufhebungsrecht einräumt. Über Art. 107 Abs. 1 und 109 Abs. 2 CE wird man beim Fixgeschäft jedenfalls einen Fall der wesentlichen Nichterfüllung i.S.d. Art. 114 Abs. 1 CE annehmen dürfen, denn Art. 109 Abs. 2 CE spricht vom Überschreiten einer nach dem Vertrag als wesentlich bezeichneten Frist. Es scheint allerdings absurd, stets die Frist des Art. 114 Abs. 1 CE einhalten zu müssen. Die Regelung in Art. 114 Abs. 2, die eine Ausnahme vom Fristerfordernis vorsieht, greift aber die Formulierung des Art. 109 Abs. 2 CE gerade nicht wieder auf, sondern spricht allein von „une clause en vertu de laquelle l’inexécution d’une certaine prestation de la part de l’une des parties confère à l’autre partie le droit de résoudre le contrat“. Dies stellt auf die Vereinbarung eines ausdrücklichen Vertragsaufhebungsrechts ab, nicht aber auf ausdrücklich als wesentlich bezeichnete Umstände. Ob man beim Fixgeschäft von einer stillschweigenden Vereinbarung einer sofortigen Vertragsaufhebungsmöglichkeit mit Verstreichen der Leistungszeit ausgehen kann, bleibt fraglich. Hier wäre es besser gewesen, in Anlehnung an Art, 8:103 lit. a PECL und 7.3.1 Abs. 2 lit. b UPICC die Formulierung des Art. 109 Abs. 2 CE zu wiederholen68 und (auch) auf die Vereinbarung der Bedeutung der Pflicht für den Fortbestand des Vertrages
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Die Kombination des Code Européen von eigenen Konzepten mit übernommenen Ideen aus dem Contract Code trägt nicht zur Übersichtlichkeit des Werkes bei. Insbesondere fehlt manchen Regeln dadurch die Kohärenz, wie gerade Art. 107 Abs. 1 im Verhältnis zu Abs. 2 CE zeigt. 68 „Echéance d’un terme dont la nature essentielle a fait l’objet d’une convention.“
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abzustellen, als allein auf die Vereinbarung des Aufhebungsrechts. Der CE wird hier durch eine komplizierte Regelung zugleich unpräzise. Dass man dem Gläubiger mehrere Hinweise zur Definition der Wesentlichkeit an die Hand geben will, liegt allerdings auch aus einem inhaltlichen Grund nahe: Der Code enthält keine Möglichkeit, eine nicht wesentliche Nichterfüllung durch eine Fristsetzung zu einer wesentlichen zu machen, wie die Principles im Fall der Leistungsverzögerung. Er gestattet die Vertragsauflösung nur bei Vorliegen beider Elemente: wesentliche Nichterfüllung und Nachfrist. Dies mag zwar die Folgen einer Fehlinterpretation des Wesentlichkeitsbegriffs mindern, die derzeitige Fassung ist aufgrund ihrer Missverständlichkeit jedoch insgesamt nicht geglückt. Die Nachfrist hat zudem angemessen, aber „mindestens 15-tägig“ zu sein. Zugleich mit Fristsetzung muss der Gläubiger erklären, dass der Vertrag nach fruchtlosem Ablauf der Frist von Rechts wegen als aufgelöst gilt. Auch hierin liegt ein entscheidender Unterschied zur Konzeption der Principles, die eine Nachfrist gerade nicht neben der Wesentlichkeit voraussetzen, sondern (nur) als eine Option vorsehen oder bei der Leistungsverzögerung als ein Tor zur Vertragsaufhebung konzipieren, wenn die Wesentlichkeit der Nichterfüllung nicht ohnehin vorliegt.69 Nach dem Code Européen hat der Gläubiger von vornherein kein Recht zur Vertragsaufhebung in Fällen, in denen die Nichterfüllung nicht wesentlich ist. Sie kann auch nicht wie über Art. 8:103 Abs. 3 PECL zu einer solchen gemacht werden. Im Fall der Verzögerung der vertragscharakteristischen Leistung wird aber nach der Definition des Art. 107 Abs. 1 und 2 lit. a CE ohnehin stets eine wesentliche Nichterfüllung vorliegen. Dieser Nachfristzwang – kombiniert mit einer starren Mindestnachfristdauer – ist eine extreme Form des Schuldnerschutzes. Die Nachfristpflicht mag zwar im Grundsatz begrüßenswert sein, weil sie die Durchführung des Vertrages favorisiert und klar die Positionen der beiden Parteien definiert, indem sie einerseits den Schuldner, der meist bereits Anstrengungen zur Erfüllung unternommen hat, vor einer vorschnellen Abstandnahme vom Vertrag schützt, und andererseits unmissverständlich verdeutlicht, dass der Gläubiger keine über die Frist hinausgehende Verzögerung toleriert. Die vom Code Européen gewählte Ausgestaltung ist jedoch eine unflexible Lösung, weil sie als alleinige Ausnahme die vertraglich vereinbarte Vertragsaufhebung ansieht. Dies wird den Anforderungen der Praxis nicht gerecht. So ist beispielsweise aus Art. 114 Abs. 2 Satz 1 CE nicht klar ersichtlich, ob das Fixgeschäft umfasst ist, bei welchem lediglich eine Fixabrede, aber kein ausdrückliches Vertragsaufhebungsrecht für den Fall der
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Terminsüberschreitung vereinbart wurde.70 Nur Art. 109 Abs. 2 CE spricht das Fixgeschäft deutlich an und verleiht dem Gläubiger das Recht die Leistungsannahme zu verweigern „qui lui est offerte ou qui est effectuée après l’échéance d’un terme dont la nature essentielle a fait l’objet d’une convention.“ Man sollte Art. 114 Abs. 2 Satz 1 CE jedenfalls so auslegen, als ergäbe sich auch aus der Vereinbarung eines „terme essentielle“ implizit ein Vertragsaufhebungswille, denn warum sollte ein vorleistungspflichtiger Gläubiger bei einem Fixgeschäft 15 Tage warten, bevor er die Rückgewähr seiner Leistung realisieren kann? Der Wortlaut des Art. 114 Abs. 2 CE ist allerdings denkbar undeutlich. Die Unflexibilität des CE zeigt sich gerade auch in der Nachfristlänge. Die Frist hat angemessen zu sein, aber „nicht weniger als 15 Tage“ zu betragen. Natürlich bezweckt die Regelung die Vermeidung eines einseitigen Missbrauchs des Angemessenheitsbegriffs durch den Gläubiger und gleicht aus, dass die Vertragsauflösung durch seine Initiative und nicht durch das Gericht erfolgt. Die Regelung ist jedoch so nicht praxisgerecht und ein Widerspruch in sich, denn sie enthält die Wertung, dass eine 15-tägige Mindestfrist in allen Fällen angemessen ist. Dies mag zwar dem Schuldnerschutz dienen, ist jedoch im schnelllebigen Geschäftsleben sehr hinderlich. Diese starre Untergrenze für eine angemessene Nachfrist, die vom italienischen Recht inspiriert ist, lässt wenig Flexibilität bei der Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles. Im italienischen Recht heißt es in Art. 1454 Abs. 2 Codice Civile jedoch im Gegensatz zum CE wenigstens „il termine non può essere inferiore a quindici giorni, salvo diversa pattuizione delle parti o salvo che, per la natura del contratto o secondo gli usi, risulti congruo un termine minore”. Die italienische Inspirationsquelle bietet also weit mehr Spielraum, weil sie, abgesehen von der deklaratorischen Erwähnung der Dispositionsbefugnis der Parteien, der Natur des Vertrages und den Gebräuchen Beachtung schenkt, die im Einzelfall kürzere Fristen rechtfertigen können. Diese Lösung überzeugt noch eher, denn die Vorgabe wird hier zum bloßen Richt- und nicht zum Pflichtwert. Der Codice Civile bewirkt dann tatsächlich eine gewisse Missbrauchskontrolle, weil jegliches Abweichen nach unten möglich bleibt, aber einen höheren Begründungsaufwand des Gläubigers erfordert. Im Fall der Gewährung einer längeren Frist soll der Richtwert dem Richter eine Angemessenheitsprüfung ersparen.71 Auch die Tatsache, dass die Fristsetzung mit einer Aufhebungsandrohung zu verknüpfen ist und der Vertrag mit Fristablauf unvermeidbar aufgehoben 70
Nach SCHWENZER, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 41. sind damit jedoch die Fälle gemeint, in denen der Vertrag kraft Vereinbarung mit der Erfüllung dieser Pflicht „steht und fällt“, so etwa beim Fixgeschäft. 71 Cass. 17.5.1949, n. 1220, Giur. Compl. Cass. Civ. 1949, II, 312. PESCATORE/RUPERTO, Codice Civile I, Art. 1454, Nr. 8.
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wird, ohne dem Gläubiger die Option eines Wechsels des Rechtsbehelfs zu belassen, weicht vom Konzept der Principles ab. Nach Art. 114 Abs. 1 CE entfällt bei fruchtlosem Fristablauf der Erfüllungsanspruch automatisch, weil die aufschiebend bedingte Gestaltungserklärung der Vertragsauflösung dann zur Wirkung kommt. Fristsetzung und Aufhebungsandrohung müssen dem Schuldner trotz ihrer besonderen Bedeutung jedoch im Gegensatz zur Mahnung72 nicht schriftlich erklärt werden. Zugleich ist dem Schuldner mitzuteilen, dass der Vertrag nach fruchtlosem Fristablauf ipso facto aufgelöst wird.73 Bis zum Ablauf der gesetzten Nachfrist kann der Schuldner keinen Rechtsbehelf geltend machen. Der Code Européen gibt dem Gläubiger jedoch das Recht, Sicherheitsmaßnahmen zu verlangen oder vom Gericht Vorkehrungen androhen zu lassen.74 Um den nationalen Rechtssystemen gerecht zu werden, in denen die force obligatoire des Vertrages seiner Auflösung durch einseitige Parteierklärung entgegensteht, sieht der Code Européen jedoch auch die Option einer gerichtlichen Vertragsauflösung vor. Gem. Art. 158 CE können die Vertragsauflösungserklärungen nach Art. 114 Abs. 1 und 2 CE auch im Wege der Klageerhebung geltend gemacht werden. b. Nachfrist und „Mahnungs“frist Angesichts der Verpflichtung zur Setzung einer „Mahnungs“frist bei fehlender Terminsvereinbarung stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der beiden Fristsetzungen. Ist die Nachfristpflicht ein kumulatives Erfordernis oder kann die Länge der mit der Mahnung gewährten Nachleistungsfrist im Rahmen der Nachfristlänge Berücksichtigung finden? Da der CE keine entsprechende Regelung vorsieht, muss davon ausgegangen werden, dass die Mahnungsfrist zur Herbeiführung des Verzugs und die Nachfrist als Voraussetzung der Vertragsaufhebung „nacheinander“ nötig sind. Die bei Mahnung gesetzte Frist muss in der Kalkulation der Nachfrist jedoch insofern zu berücksichtigen sein, als die Gesamtfristenlänge ebenfalls dem Grundsatz der Angemessenheit unterliegt. Einen Gläubiger, der dem Schuldner bereits mit der Mahnung eine großzügige Frist einräumte, nochmals zu einer Fristsetzung von mindestens 15 Tagen zu verpflichten, kann im Einzelfall zu einer unangemessen langen Frist führen. Das Kriterium der Angemessenheit in Art. 114 Abs. 1 CE würde eine solche Beurteilung an sich erlauben, nur wird eine solche Interpretation der Fristen in 72
Art. 96 Abs. 1 lit. a CE. Dies ist Art. 1454 Abs. 1 Codice Civile entlehnt: „Alla parte inadempiente l’altra può intimare per iscritto di adempiere in un congruo termine, con dichiarazione che, decorso inutilmente detto termine, il contratto s’intenderà senz’altro risoluto.“ Die Vorgehensweise des CE der Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung erinnert auch an § 326 BGB a.F. 74 Art. 110 Abs. 1 Satz 2 CE. 73
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Art. 96 Abs. 1 lit. a und 114 Abs.1 CE durch die starre 15-Tage-Regel und die Formulierung des Art. 114 Abs. 1 CE etwas erschwert. c. Eingeschränkte Vertragsauflösung ohne Nachfrist Ohne eine Nachfrist kommt eine Vertragsaufhebung nur dann in Betracht, wenn eine Nichterfüllung vorliegt, die kraft Parteivereinbarung zur Vertragsauflösung berechtigt.75 Diese gilt zugleich als wesentliche Nichterfüllung. Hier genügt eine Mitteilung an die Gegenpartei, dass sich die beschwerte Vertragspartei auf die vereinbarte Vertragsklausel beruft, damit der Vertrag kraft Gesetzes als aufgelöst gilt.76 Die Mitteilungspflicht vermeidet einen Fall der ipso facto avoidance. Auf die Problematik der Auslegung, wie die vertragliche Abrede gestaltet sein muss, um ein Auflösungsrecht anzunehmen, wurde bereits hingewiesen.77 d. Einseitige Vertragsauflösung und optionale gerichtliche Kontrolle Die einseitige Vertragsauflösungsmöglichkeit des Gläubigers wird im Code Européen zwar nicht durch das kontrollierende Erfordernis der angemessenen Frist zur Erklärung ergänzt. Durch Art. 114 Abs. 6 Satz 3 CE wird jedoch eine ähnliche Kontrolle gewährleistet, denn das Vertragsauflösungsrecht des Gläubigers erlischt, wenn er bei seinem Vertragspartner die Überzeugung hervorgerufen hat, dass er sich nicht auf sein Auflösungsrecht berufen werde.78 Neben der einseitigen Vertragsaufhebungsmöglichkeit durch den Gläubiger sieht der CE in Art. 158 auch eine Option der gerichtlichen Vertragsauflösung oder der gerichtlichen Kontrolle einer einseitigen Aufhebungserklärung vor. Das Zusammenspiel der Regelungen in Art. 114 Abs. 1 und 158 CE wird vor dem Hintergrund der italienischen Rechtsordnung besser verständlich, die wie die französische die Vertragsaufhebung lieber in der Hand des Gerichts als in der des Gläubigers sieht.79 So enthält Art. 1453 italCC Präzisionen zur Vertragsaufhebungsklage (wie im französischen Recht), während Art. 1454 italCC ausnahmsweise (wie das deutsche Recht) eine ex lege Vertragsaufhebung nach Fristablauf gewährt.80 Auf diese Weise erklärt sich die komplexe Regelung des Art. 158 CE, die dem Gläubiger freistellt, die Vertragsauflösung durch „sentenza constitutiva della risoluzione“ zu ver75
Art. 114 Abs. 2 CE. Art. 114 Abs. 2 Satz 2 CE. 77 Siehe oben unter a. 78 Der Nachsatz in Art. 114 Abs. 6 Satz 3 CE, „[…] selbst wenn es sich um eine wesentliche Nichterfüllung handelt,“ ist allerdings insofern unklar, als die Vertragsaufhebung ohnehin nur bei wesentlicher Vertragsverletzung zugelassen ist. 79 Dies soll sich jedoch nach dem Avant-Projet Catala ändern. 80 Vgl. zum Verhältnis der Normen auch Cass., 21.7.1980, n. 4776; zur gerichtlichen Vertragsaufhebung auch Cass. 28.8.2003, n. 12644. 76
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langen oder dieses Begehren in einer Klage auf Rückgewähr geflossener Leistungen oder auf Schadensersatz zu formulieren. Die Entscheidungs- und Überprüfungsbefugnisse des Gerichts werden in Art. 92, 158 Abs. 3 CE näher eingegrenzt. Der Weg der einseitigen Vertragsaufhebung birgt jedoch für beide Parteien eine Gefahr: Gem. Art. 158 Abs. 2 soll für eine bestimmte (im CE offensichtlich noch unklare)81 Zeitdauer nach Fristsetzung und Ablehnungsandrohung nach Art. 114 Abs. 1 CE oder der Berufung auf eine vertragliche Aufhebungsvereinbarung nach Art. 114 Abs. 2 CE keine Klage möglich sein, um die Parteien zur außergerichtlichen Einigung anzuhalten. Vorläufiger Rechtsschutz bleibt ihnen jedoch vorbehalten.82 e. Wirkungen der Vertragsauflösung Eine relativ gelungene Lösung sieht der Code Européen hingegen für die Rückabwicklung nach Vertragsaufhebung vor. Auch nach dem Code Européen wirkt die Vertragsauflösung ex nunc (Art. 114 Abs. 5). Er enthält in Art. 160 CE gleichwohl eine einheitliche Rückabwicklungsregelung für alle Formen fehlgeschlagener Verträge, d.h. nichtige, angefochtene oder aufgehobene Verträge83, die über Art. 128 CE wirkungslos werden, sowie solche, die etwa dissensbedingt nicht zustande kamen.84 Entsprechend verweist auch Art. 115 CE im Fall der Vertragsauflösung wegen Nichterfüllung auf diese Vorschrift. Das Bemühen um eine Einheitslösung für die Rückabwicklung im Code Européen ist grundsätzlich zu befürworten, da sie die Probleme ungleicher Rückabwicklungsregime für verschiedene Formen gestörter Verträge zu vermeiden sucht, die sich in nationalen Rechten wie in den PECL zeigen.85 Inhaltlich ist das Konzept der Regelung ebenso klar und stimmig, wenngleich die Kompliziertheit des Textes auch hier negativ auffällt. Die Grundregel ist im Gegensatz zu Art. 9:305 PECL die Rückgewähr der geflossenen Leistungen. Grundsätzlich haben die Parteien das Erhaltene wechselseitig zurückzugewähren, können die Rückgewähr jedoch verweigern, solange die Gegenseite dazu nicht im Stande ist oder nicht anbietet, dies zu tun. Geflossene Leistungen sind nach Abs. 3 vorrangig in der „besonderen Form der jewei81
In Art. 158 Abs. 2 heißt es „[…] avant que soient écoulés six (trois) mois à compter de la réception des déclarations indiquées dans les al. 1 et 2 de l’art. 114 […].“ 82 Vgl. Art. 172 CE. 83 Vgl. hierzu die Art. 137 Abs. 2 lit. c, Art. 140 Abs. 1 lit. a, Art. 146 Abs. 2 lit. b und Art. 107 CE. 84 Art. 140 Abs. 1 lit. a, 146 Abs. 2 lit. b, 107 und 137 Abs. 2 lit. c CE. 85 Siehe nur die Diskussionen um ein Nebeneinander einer Rückabwicklung über bereicherungsrechtliche Normen im Fall angefochtener Verträge und über spezielle Normen des Nichterfüllungsrechts für aufgehobene Verträge im deutschen Recht (§§ 346 ff. und 812 ff.). Siehe m.w.N. zur Problematik ZIMMERMANN, Unif.L.Rev. 2005, S. 719 ff. (insb. S. 728 f.).
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ligen Leistung“86 zurückzugewähren, es sei denn, die Rückgewähr in natura ist tatsächlich oder rechtlich unmöglich, für den Rückgewährverpflichteten im Verhältnis zum Rückgewährinteresse seines Vertragspartners unverhältnismäßig aufwändig oder für den Vertragspartner im Hinblick auf den Zustand der Sache ungünstig. Dann schuldet der Rückgewährschuldner Wertersatz, der einen angemessenen Ausgleich für die Leistung darstellt. Das Angemessenheitskriterium ermöglicht eine flexible Betrachtung des Falles, in welchem die Unmöglichkeit der Rückgewähr von der Gegenseite verursacht wurde: Zwar trägt der Leistungsempfänger das Risiko des Untergangs, da er Wertersatz leisten muss, jedoch ermöglicht die Angemessenheitsklausel zumindest einen wertmäßigen Ausgleich dieses Risikos, wenn der Gläubiger am Untergang des Leistungsgegenstandes beteiligt war. Die Regelung des Art. 160 Abs. 3 CE versucht eine gerechte Abwägung zwischen Rückgewähr in Natur und Wertersatz, indem sie im Gegensatz zu Art. 82 Abs. 1 CISG problematische Rückabwicklungsfälle weder generell von der Vertragsaufhebung ausnimmt, noch der die Sachleistung empfangenden Partei zu große Mühen abverlangt, den Leistungsgegenstand zurückzugeben. Von dieser Regelung sind die Leistungen ausgenommen, die nicht zurückzugeben sind, weil sie in einer „zulässigen Handlung“ bestehen; für diese sieht Art. 160 Abs. 7 CE eine „Vergütungspflicht“ vor. Die Regelung hätte jedoch an sich in Art. 160 Abs. 3 CE einfließen können, denn zunächst scheint unklar, ob letztere Vorschrift den Fall mitumfasst, in welchem die Rückgewähr wegen der Natur der Leistung (etwa Dienstleistungen) nicht möglich ist. Unklar ist weiter, wie Art. 160 Abs. 1 und Abs. 3 CE zusammenspielen, denn der Unterschied zwischen dem Fall des Abs. 187 und Abs. 388 und die Lösung der Verweigerung der eigenen Rückgewähr des Empfangenen oder der Forderung von Wertersatz scheinen sich zu widersprechen. Besser wäre es, den zweiten Halbsatz des Abs. 1 zu streichen.89 Dass Abs. 4 entgegen dem Grundsatz der Rückgewähr „sous forme spécifique“ in den Grenzen der „bonne foi“ ein Wahlrecht des Rückgewährgläubigers einräumt, ist zwar eine innovative Lösung, macht jedoch den Grundsatz des Abs. 3 gleich wieder zunichte. Im Fall der Rückgewähr einer Geldsumme ist diese grundsätzlich ab dem Tag des Rückgewährverlangens nach Maßgabe des Art. 169 Abs. 3 CE zu verzinsen und eine Wertanpassung vorzunehmen.90 86
So Art. 160 Abs. 3 CE: „La restitution doit s’effectuer en principe sous forme spécifique[…].“ Der gleiche Begriff wird in Art. 112 CE verwendet. 87 Dort heißt es „la contrepartie n’est pas en mesure [de restituer].“ 88 „La restitution doit s’effectuer en principe sous forme spécifique, à moins que cela soit matériellement ou juridiquement impossible.“ 89 ZIMMERMANN, Unif.L.Rev. 2005, S. 719 ff. 90 Nur bei Bösgläubigkeit des Empfängers greift die Zinspflicht gem. Art. 160 Abs. 5 Satz 1 Hs. 2 CE bereits vom Tag der Geldleistung an.
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3. Minderung Der Code Européen löst ähnlich wie Art. 9:401 PECL91 die Minderung insofern aus dem reinen Vertragstypenrecht, als er diese als allgemeinen Rechtsbehelf in den allgemeinen Teil des Vertragsrechts eingliedert. Anders als die Principles sieht er die Minderung jedoch gleichwohl nicht als generellen Rechtsbehelf an, der auch im Fall der Annahme einer verzögerten Leistung zum Tragen kommen kann, sondern behandelt ihn in Art. 113 CE traditionell als typischen Gewährleistungsrechtsbehelf im Fall der Schlechtleistung. Allerdings kann die Minderung für alle Arten von Verträgen in Betracht kommen.92 Die Lösung der PECL trägt dem Rechnung und ist daher vorzugswürdig. 4. Schadensersatz Die Bedeutung des Schadensersatzes wird im CE an einigen Stellen deutlich. Der Halbsatz „sous réserve des dommages-intérêts“ in vielen Vorschriften des Code wirkt teils fast schon übertrieben. Der Gläubiger kann Schadensersatz in jedem Fall der Nichterfüllung ungeachtet ihrer Wesentlichkeit verlangen.93 Dies entspricht zunächst der Regelung der PECL. Die Art und Weise der Schadenshaftung regeln die Art. 162 ff CE. In der Norm zeigt sich erneut der „cause approach“ des CE. Hier kehren als Voraussetzung des Schadensersatzanspruchs die verschiedenen Ursachen der Nichterfüllung wieder.94 Der Schuldner hat so im Fall der Nichterfüllung, der nicht ordnungsgemäßen Erfüllung oder des Verzugs die Schäden zu ersetzen, die vernünftigerweise als deren Folge zu betrachten sind.95 Die leider etwas verwirrende kumulative Erwähnung des eigentlichen Oberbegriffs der „inexécution“ (Art. 89 CE) neben der „exécution inexacte“ und dem „retard“ ist offenbar als Klarstellung gedacht, denn anders als das deutsche Recht in den § 280 Abs. 1, § 280 Abs. 2 i.V.m. § 286, § 280 Abs. 3 i.V.m. §§ 281-283 BGB ordnet der Code den verschiedenen Nichterfüllungsformen nicht auch verschiedene Anspruchsgrundlagen für Schadensersatz zu, sondern regelt diesen in einer einzigen Norm. Es bräuchte die Unterscheidung daher im Grunde nicht. 91
Anders die UPICC, die die Minderung aus dem Kreis möglicher Rechtsbehelfe ausneh-
men. 92
Während Art. 9:401 Abs. 1 PECL die Minderung im Fall „nicht vertragsgemäßer Leistung“ gewährt, beschränkt Art. 113 CE die Preisminderung auf die „Lieferung einer anderen, minderwertigen Sache oder die Lieferung einer geringeren Menge von Sachen als geschuldet“ bzw. auf eine „andere Werkleistung als die geschuldete oder eine fehlerhafte Werkleistung“. 93 Art. 116 CE. 94 Zum Überleben des „cause approach“ auch SCHWENZER, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37 (39 f.). 95 Art. 162 Abs. 1 Satz 1 CE.
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In Art. 96 Abs. 2 Satz 2 CE wird die Anordnung eines Verzögerungsschadensersatzes neben der Möglichkeit der Geltendmachung des Nichterfüllungsschadens nach Art. 162 Abs. 1 CE und des Schadensersatzes wegen nicht vertragsgemäßer Erfüllung ausdrücklich wiederholt. Bei einer verzögerten Leistung hat der Schuldner also grundsätzlich alle Schäden zu ersetzen, die vernünftigerweise Verzögerungsfolgen sind, auch wenn der Gläubiger weiter Erfüllung verlangt. Der Gläubiger kann gem. Art. 162 Abs. 1 CE aber auch Schadensersatz „wegen Nichterfüllung“ verlangen. Die Frage ist allerdings, ab wann dies gelten soll. Anders als nach den Principles ist der Moment, ab welchem Schadensersatz wegen einer Leistungsverzögerung verlangt werden kann, nach dem CE klar fixiert: Gem. 96 CE muss der Schuldner in Verzug sein, was entweder durch Verstreichenlassen einer ausdrücklichen Terminsbestimmung geschieht oder durch Ablauf einer mit einer Mahnung gesetzten angemessenen Leistungsfrist. Der CE vermeidet so das Problem der PECL, die im Fall fehlender Terminsbestimmung diese Rechtssicherheit nicht schaffen. Fraglich bleibt jedoch, unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger Schadensersatz „wegen Nichterfüllung“ verlangen kann. Auch im CE gibt es keine dem § 281 BGB entsprechende Vorschrift, die den Schadensersatz „statt der Leistung“ als nachrangigen Rechtsbehelf ansieht und seine Voraussetzungen parallel zur Vertragsaufhebung und der dortigen 15-Tages-Frist gestaltet. Die spezielle Regelung in Art. 111 CE zum Erfüllungsanspruch vermeidet jedoch den praktisch häufigsten Fall des Deckungsgeschäfts: Da der Gläubiger nach dem Code Européen das Gericht um die Vornahme eines Deckungsgeschäftes ersuchen muss, wird die Gefahr vermieden, dass der Schuldner mit einem Deckungsgeschäft überzogen wird. Zudem wurde ihm bereits über die „Mahnungs“frist nach Art. 96 Abs. 1 lit. a CE eine Nachleistungsfrist gesetzt. Auch hier zeigt sich wieder, dass der CE wesentlich schuldnerfreundlicher ist als die Principles. a. Haftungsmaßstab Im Verzug verschiebt sich der bereits geschilderte Haftungsmaßstab insofern, als während seiner Dauer eine Entlastung des Schuldners für den entstandenen Schaden nicht möglich sein soll. Dies gilt allerdings unter der beschriebenen Einschränkung, dass der Schaden nicht auch bei rechtzeitiger Leistung beim Gläubiger eingetreten wäre. b. Schadensumfang und -begrenzung Der Schuldner haftet prinzipiell auf den unmittelbaren Vermögensschaden in Höhe des erlittenen Verlustes. Dabei kann es sich auch um einen künftigen Schaden handeln, wenn hinreichend sicher ist, dass noch nicht alle Verzugs-
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Teil 1: Abschied vom Verzug im europäischen Vertragsrecht?
folgen eingetreten sind, und wenn die Parteien diesbezüglich nichts anderes vereinbart haben.96 Der erstattungsfähige Vermögensschaden umfasst auch den entgangenen Gewinn, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, nach den Umständen des Falles und der vom Gläubiger getroffenen Maßnahmen für diesen berechtigterweise zu erwarten war. Auch der Verlust einer hinreichend sicheren Gewinnchance, die in Relation zum Zeitpunkt des Verzugseintritts zu bewerten ist, berechtigt zum Ersatz.97 Nichtvermögensschäden sind in den in Art. 164 Abs. 1 lit. a - c genannten Grenzen ersatzfähig. Die strenge Haftung wird insofern abgemildert, als Art. 162 Abs. 4 CE die Haftung des Schuldners außer im Fall seines Verschuldens begrenzt. Die Formulierung in Abs. 4, welche die zu ersetzenden Schäden auf diejenigen begrenzt, die bei Vertragsschluss vernünftigerweise von einer durchschnittlich umsichtigen Person zu erwarten waren, entspricht der Begrenzung auf vorhersehbare Schäden in den PECL. Art. 166 CE regelt die Details des Umfangs des Schadensersatzes. Schadensersatz wegen Verzugs hat dessen schädigende Wirkungen zu beseitigen und damit grundsätzlich den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der Verzug nicht eingetreten wäre.98 In Art. 166 Abs. 3 lit. a CE wird präzisiert, dass dem Gläubiger im Fall der Nichterfüllung grundsätzlich das positive Interesse inklusive der Aufwendungen zu ersetzen ist, die kausal durch den Verzug entstanden sind. Grundsätzlich soll dies durch Leistung in natura, gegebenenfalls in Kombination mit einer Geldentschädigung, erfolgen, und nur dann durch Wertersatz, wenn Leistung in natura dem Schuldner unmöglich oder unzumutbar ist.99 5. Verzögerte Erfüllung der Zahlungspflicht Nach Art. 169 Abs. 1 CE führt die Nichterfüllung, nicht ordnungsgemäße Erfüllung oder der Verzug einer Geldschuld zu einem Schadensersatzanspruch, ohne dass der Gläubiger den Schadensbeweis zu führen hat und ohne dass sich der Schuldner über Art. 162 Abs. 1 CE entlasten könnte. Für den Verzug mit einer Geldschuld haftet der Schuldner streng. Allerdings besteht der Schadensersatz gem. Art. 169 Abs. 2 CE ausschließlich in einer Zinszahlung, deren Modalitäten Abs. 3 vorgibt. Der Zinsanspruch wird ausdrücklich als eine Form des Schadensersatzes angesehen. Durch die generelle Beschränkung des 96
Art. 163 Abs. 1 lit. a und 165 Abs. 1 CE. Bei nur wahrscheinlichen künftigen Schäden, im Hinblick auf welche die Grenze der hinreichenden Gewissheit des Schadenseintritts nicht überschritten ist, kann der Betroffene gem. Art. 172 CE bei Gericht einstweilige Maßnahmen zu seinem Vermögensschutz beantragen. 97 Art. 163 Abs. 1 lit. b CE. 98 So ausdrücklich Art. 166 Abs. 1 Hs. 2 CE. 99 Art. 166 Abs. 2 CE.
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Schadensersatzes auf den Zinsanspruch lässt Art. 169 CE jedoch keinen Raum für den Ersatz eines weitergehenden Schadens. Der Anspruch des Art. 169 CE knüpft ähnlich wie § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB bezüglich § 286 BGB an den Verzugstatbestand des Art. 96 CE an. Unklar und riskant scheint in Absatz 1 allerdings die Erwähnung der Leistungsstörungskategorien „inexécution“, „exécution inexacte“ und „retard,“ vor allem die Nennung der Nichterfüllung, denn es kann nicht sachgerecht sein, dass sich der Schadensersatz bei vollständiger Nichterfüllung einer Geldleistung allein auf einen Zinsanspruch reduzieren würde. Interessant ist, dass der CE ausdrücklich den besonderen Bestimmungen des Handelsverkehrs den Vorrang einräumt. Er trennt damit zwischen B2Bund sonstigen Geschäften. Erstere will er prinzipiell nicht umfassen. Damit sichert er zugleich auch die Beachtung der Zahlungsverzugsrichtlinie. Der Umfang des Ersatzanspruchs ergibt sich aus Art. 169 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 und Art. 86 Abs. 5, Art. 86 Abs. 3 Satz 2 sowie Art. 169 Abs. 4 CE. Erstens umfasst er Zinsen, deren Höhe entweder der Parteivereinbarung zu entnehmen ist oder dem Zinssatz der Europäischen Zentralbank folgt. Privatpersonen oder Unternehmen geschuldete Zinsen sind im Hinblick auf die Durchschnittserträge beziehungsweise Durchschnittskosten des Geldes zu berechnen. Zu diesem Zins hinzu kommt gem. Art. 169 Abs. 2, Art. 86 Abs. 5 CE noch eine Ersatzpflicht im Hinblick auf den Schaden, der auf einer während der Säumnis eingetretenen Geldentwertung beruht: Der säumige Geldschuldner haftet dem Gläubiger, ohne sich auf die Begrenzung der Einstandspflicht im Fall der Geldentwertung berufen zu können, die in Art. 86 Abs. 3 Satz 2 CE normalerweise vorgesehen ist. Die Vorschrift des Art. 169 CE unterliegt jedoch ausdrücklich der Disposition der Parteien.100
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Vgl. Art. 169 Abs. 6 CE.
Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts Die Vor- und Nachteile der Leistungsverzögerungsregelungen der PECL, des DCFR und des Code Européen wurden in Teil 1 der Arbeit erörtert. Alternativlösungen für die kritisierten Lösungen europäischer Regelwerke oder zu beachtende Wertentscheidungen, die als eventuelle Kontrollmaßstäbe der europäischen Regelwerke im Raum stehen, ergeben sich aus drei Bereichen: aus Prinzipien des Unionsprivatrechts (Kapitel 5), aus dem historischen Ursprung des Verzugstatbestands im römischen Recht (Kapitel 6) sowie aus traditionellen oder modernen Grundentscheidungen nationaler Leistungsstörungsrechte (Kapitel 7).
Kapitel 5
Unionsprivatrechtliches Leistungsstörungsrecht Die Prinzipiensuche im Unionsprivatrecht ist in der Lehre nicht nur Gegenstand der Untersuchungen der Acquis Group. Parallel ist bereits im Sinn des hier vertretenen Ansatzes von mehreren Autoren wie RIESENHUBER1, LEIBLE2 und REMIEN3 untersucht und teils bejaht worden, dass in Vorgaben des EUPrimärrechts und des Richtlinienrechts auch Leitlinien für ein allgemeines EU-Vertragsrecht gesehen werden können.4 Dass dies noch weitgehender möglich ist, soll nachfolgend gezeigt werden.
§ 1 Systembildung aus „sektoriellen“ Regeln und ihre Schranken Problematisch an der Suche nach leistungsstörungsrechtlichen Grundsätzen des Unionsprivatrechts sind vor allem zwei Punkte: Zum einen verleitet die Art der Analyse dazu, Richtlinienrecht in bereits existierende vertragsrechtliche Schemata zu pressen, an die der europäische Gesetzgeber selbst nicht gedacht hat. Zum anderen ist fraglich, ab wann bei Regeln, die konkrete Probleme spezifischer Zielgruppen lösen sollen, von einem allgemeinen „Konzept“ gesprochen werden kann.5 Bereits wenn zwei Instrumente ähnliche Lösungen enthalten? Erst bei dreien, bei allen, bei einem? Schon vor einer inhaltlichen Detailanalyse einzelner Regelwerke spricht allerdings eine ganze Reihe von Elementen für Strukturvorgaben im Unionsprivatrecht. Wie bereits erwähnt, zeichnet sich in den jüngeren Richtlinien ein
1
RIESENHUBER, System und Prinzipien des europäischen Vertragsrechts, § 17 Leistungsstörungen. 2 LEIBLE, in SCHULTE-NÖLKE/SCHULZE, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, S. 154. 3 REMIEN, a.a.O., S. 139. 4 Vgl. insbesondere MICKLITZ, in BURKHARDT, Recht und Gesetz im deutsch-französischen Dialog, S. 173 f.; DERS., ZEuP 1998, S. 253 (262 ff.); RIESENHUBER, System und Prinzipien des europäischen Vertragsrechts, § 17 Leistungsstörungen; REMIEN, a.a.O., S. 139. 5 So auch REMIEN, a.a.O., S. 139 (148 f.); In dieser Hinsicht positiver: AUBERT DE VINCELLES/ROCHFELD, L’acquis communautaire, Les sanctions de l’inexécution du contrat, S. 35, 36.
Kapitel 5: Unionsprivatrechtliches Leistungsstörungsrecht
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neuer Ansatz zu weitreichenderer Harmonisierung ab.6 Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die ursprünglich einen noch weiteren Anwendungsbereich bekommen sollte,7 wirkt bewusst stark auf ein „gemeinsames Element der verschiedenen einzelstaatlichen Rechtstraditionen“,8 da sie über die zentralen Begriffe der Vertragsgemäßheit und -widrigkeit der Kaufsache Einfluss auf den Vertragsbegriff an sich und über die in ihr vorgegebene Hierarchie von Rechtsbehelfen auf die nationalen Rechtsbehelfssysteme ausübt.9 Dies zeigt sich insbesondere im englischen Recht, das dem Erfüllungsanspruch eine veränderte Rolle zuschreiben musste.10 Die inhaltliche Nähe der Richtlinie zum UN-Kaufrecht eröffnet die Perspektive zu einer umfassenden Angleichung eines Rechtsgebiets, die sich von personellen wie sachlichen Anwendungsbereichsbeschränkungen der Richtlinie zu lösen scheint.11 „[D]ie Kaufrechts-Richtlinie ist nicht primär Verbrauchervertragsrecht. Sie ist jedoch auch nicht primär Handelsrecht. Vielmehr ist sie genuin allgemeines Privatrecht.“12 Dass das europäische Recht nicht nur „Eindringling“, sondern auch Strukturvorgabe ist, wurde bereits am Beispiel des deutschen Schuldrechts aufgezeigt, das sich am Modell der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie orientierte, um nicht nur verbraucherspezifische oder kaufrechtliche Grundsätze generalzuüberholen, sondern zugleich das allgemeine Schuldrecht.13 Diese Reform stützt die Theorie einer Verallgemeinerungsfähigkeit unionsprivatrechtlicher Vorgaben. Die überschießende Umsetzung der Richtlinie in das allgemeine Kaufrecht über den Bereich des Verbrauchsgüterkaufs hinaus betrachteten im Übrigen
6
HUET, Petites affiches 1997 (21.3.), S. 8: „[…] les sources communautaires du droit des contrats sont importantes“. 7 Vgl. insb. den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf, Garantien und Kundendienst, KOM(1992) 11 endg. und das Grünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst, KOM(1993) endg. 8 Erwägungsgrund 7 der Richtlinie 1999/44/EG. 9 Vgl. auch LURGER, Grundfragen, S. 79 f. 10 Vgl. hierzu Teil 2, Kap. 7, § 3 II 2 a. 11 Vgl. unten und insb. GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 40 (44 ff.); KOM(1995) 520 endg., S. 6, 12 f. und 15 f. zum Modellcharakter des UN-Kaufrechts für die Einzelbestimmungen der Richtlinie 1999/44/EG. 12 GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 40 (43). 13 Allerdings war die Richtlinie nicht allein ausschlaggebend für die Reform. Ihr gingen langjährige Diskussion über die Struktur des Vertragsrechts voraus, das aus einem unstrukturierten Nebeneinander des allgemeinen Leistungsstörungsrechts und des kauf- und werkvertraglichen Gewährleistungsrechts bestand. Siehe dazu BT-Drucksache 14/6040, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts; ROLLAND, Vorschläge für ein neues Schuldrecht in Deutschland; Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts.
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
auch andere Staaten als naheliegend.14 Verschiedene Haftungsregime für verschiedene Arten von Käufen zu schaffen, würde zu einer unverständlichen Verkomplizierung des Rechts führen. So fragt sich auch die spanische Doktrin im Zuge von Reformüberlegungen des Kauf- und Schuldrechts „¿por qué no se generaliza?“15 Dabei ist allein die Diskussion um die Behandlung von aliud und Schlechtleistung Grund genug für die Überlegung, ob das allgemeine Vertragsrecht tatsächlich einen anderen Weg gehen kann und sollte als das Kaufrecht. Ähnlich zeigt auch die bereits genannte Umsetzung des Art. 3 der Richtlinie 2000/35/EG in das BGB die Verallgemeinerungsfähigkeit unionsprivatrechtlicher Regelungen im Hinblick auf den personellen Anwendungsbereich von Instrumenten des Unionsprivatrechts. Anlässlich einer Untersuchung der Wirkung spezialgesetzlicher belgischer Regelungen mit unionsprivatrechtlichem Ursprung auf vertragsrechtliche Grundprinzipien des belgischen Code civil umschrieb WÉRY die Rolle des Unionsprivatrechts treffend: „Peut-on les analyser comme de simples attaques désordonnées qui ne mettent pas en péril la cohérence d’ensemble du droit des contrats? Ou faut-il, au contraire considérer que ces lois préfigurent l’émergence d’un nouveau droit commun, qui serait appelé à supplanter le cadre de référence du Code civil?“ Auch die vielkritisierte Arbeitsmethode des europäischen Gesetzgebers schmälert seine Berechtigung zum Treffen leistungsstörungsrechtlicher Grundsatzentscheidungen nicht. Wie bei den Vertragsrechtskommissionen Landos und Gandolfis arbeiten Expertenkommissionen an der Ausarbeitung der jeweiligen Regelungsmaterie, gegebenenfalls werden über ein Grünbuch Stellungnahmen der mit der Materie vertrauten Rechtswissenschaftler und -praktiker eingeholt. Natürlich bereitet die Sekundärrechtssetzung wegen des Mitentscheidungsverfahrens gem. Art. 251 EG (nun Art. 294 AEUV) und des Angleichungswiderstands im Laufe der Gesetzgebungsverfahren formale Schwierigkeiten. Die Richtliniensetzung wird trotz intensiver Vorarbeiten und gelegentlich unkoordinierter Fluten von Stellungnahmen dadurch negativ beeinflusst, dass der endgültige Text durch politische Zwänge, mitgliedstaatlichen Druck und geschickte Lobbyarbeit gezeichnet und letztlich von einer sehr kleinen Gruppe als Gesetzestext formuliert wird,16 deren nationale
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So etwa Griechenland und Österreich. In eine ähnliche Richtung gehen die spanischen Reformüberlegungen. Zur Umsetzung in das nationale Recht vgl. ERPL 2001, S. 157-480. 15 ALBIEZ-DORMANN, Los Modelos Europeos en la Proyectada Reforma de la Compraventa en el Código Civil Español, S. 18; MARCO MOLINA, in BADOSA COLL/ARROYO AMAYUELAS, La armonización del Derecho de obligaciones en Europa, S. 179. 16 So auch SCHLECHTRIEM, Juridica Int. 6 (2001), S. 16 (18).
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Vorprägung dem Text gelegentlich anzusehen ist.17 Probleme der teils inkohärenten Redaktion in den verschiedenen Rechtsakten18 sind aber kein prinzipieller Ausschlussgrund für die Frage, inwieweit das unionsprivatrechtliche Leistungsstörungsrecht Systemansätze erkennen lässt. Dass mögliche Schranken einer Prinzipienbildung aus unionsprivatrechtlichen Vorgaben für den vorliegend eingeschränkten Untersuchungsgegenstand des Leistungsstörungsrechts relativiert werden können, soll im Folgenden noch genauer aufgezeigt werden. I. Verbraucher- und Unternehmerrecht Der europäische Gesetzgeber greift im Bereich des Unionsvertragsrechts einerseits zu Harmonisierungsmaßnahmen für B2B-Geschäfte, um EU-weite Handelsbeziehungen nicht durch nationale Rechtsunterschiede zu hemmen. Andererseits formte die EU ein beachtliches Netz an verbraucherrechtlichen Richtlinien, die dem Schutz der in einer Vertragsbeziehung schwächeren Partei und der Garantie eines vertraglichen Gleichgewichts zwischen den Parteien dienen, also bestehendem nationalen allgemeinem oder besonderem Vertragsrecht eher Schranken setzen, als es konstruieren. Hier sind wiederum B2B Geschäfte nicht umfasst, genauso wenig wie C2C-Verträge, die das Unionsrecht mangels hinreichenden Binnenmarktbezugs regelmäßig völlig ausspart. Eine Generalisierung sektorieller Regeln des unionsprivatrechtlichen vertragsrechtlichen acquis begegnet daher insofern größeren inhaltlichen Bedenken, als dessen Anwendungsbereich entweder rein auf Unternehmensverträge oder Verbraucherverträge begrenzt ist. Was zwischen Unternehmern gilt, mag einem angemessenen Interessenausgleich zwischen Unternehmern und Verbrauchern eher entgegenstehen. Umgekehrt vermutet man hinter dem Verbrauchervertragsrecht ein im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern nicht nur überflüssiges, sondern hinderliches Regelwerk. Diese Sichtweise wäre indessen gerade im Bereich des reinen Leistungsstörungsrechts in die eine wie die andere Richtung zu formalistisch. Zu einer Leistungsstörung wie der Verzögerung der Leistung oder der Schlechtleistung kommt es regelmäßig erst dann, wenn der Zweck der verbraucherschützenden Normen, die auf die Aufhebung des strukturellen Verhandlungsungleichgewichts zwischen Unternehmern und Verbrauchern vor und bei Vertragsschluss abzielen (Informationspflichten, Inhaltskontrolle von Verträgen oder Widerrufsrechte) bereits weitgehend erreicht ist. Die Grundlagen des „reinen“ 17
„[…] and sometimes one can detect traces of their background in their respective domestic legal systems in the end product […]“, SCHLECHTRIEM, a.a.O. 18 Die weithin fehlende einheitliche Begriffswelt des Sekundärrechts gilt teils als einer Systematisierung hinderlich, BEHRENS, EuZW 1994, S. 289.
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Vertragsrechts sind hingegen sowohl dem Zivil- als auch dem Handelsrecht weitgehend gemein. Ein gemeinsamer Grundmechanismus dominiert nicht nur die Phase des Vertragsschlusses und die Durchführung des Vertrags, sondern auch Störungen der Vertragsverhältnisse. Vom Grundsatz her handelt es sich zudem bei Unternehmern und Privaten zunächst insofern nicht um Parteien, die einander über- oder untergeordnet sind, als beide „Private“ und keine öffentlichen Gewaltträger sind und auf der Basis ihrer Privatautonomie tätig werden. Dass in dieser Konstellation gleichwohl eine Partei als die Schwächere angesehen wird, bedeutet zwar, dass es für bestimmte Phasen des Vertragsverhältnisses Spezialregelungen bedarf. Dies ändert an sich aber nichts an der Tatsache, dass sich im Bereich des reinen Leistungsstörungsrechts die meisten auf Unternehmens- oder Verbrauchergeschäfte anwendbaren Normen decken werden. Auch Verbraucherrecht ist zumindest einseitiges Unternehmensrecht. Eine Rechtsangleichung folgt daher auch im Verbrauchervertragsrecht einer doppelten Zielsetzung.19 Der Schutz des aktiven Verbrauchers dient zugleich der Vereinheitlichung des Handlungsrahmens für die Unternehmer.20 Daher wird auch plausibel vertreten, Verbraucher- wie Unternehmensrecht seien strukturell vergleichbar und beide seien integrierender Teil eines Wirtschafts- oder Transaktionsrechts. Die Legislativakte sollten daher besser unter dieser Bezeichnung zusammengefasst werden.21 Bester Beleg für diese These sind im Übrigen die Principles: Die PECL beziehen sich – anders die UPICC – nicht nur auf commercial contracts, sondern umfassen jegliche Vertragsbeziehung, auch B2C- und C2C-Geschäfte. Gleichwohl wenden im Bereich der Nichterfüllungshaftung die UPICC meist inhalts- und wortgleiche Regeln auch auf Geschäfte an, in welchen eine Partei als die „schwächere“ angesehen wird, ohne hier generelle inhaltliche Unterscheidungen zwischen Verbraucher- oder Unternehmergeschäften zu treffen. Umgekehrt sind personelle Begrenzungen des Anwendungsbereichs von Richtlinien nicht zwingend auch sachlich bedingt. Ähnlich äußert sich auch GRUNDMANN: „Solch eine Beschränkung im persönlichen Anwendungsbereich mag realistisch sein, vielleicht sogar nötig aus Subsidiaritäts- und Kompetenzgründen. Wissenschaftliche Betrachtung ist hieran jedoch nicht gebun-
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So die Erwägungsgründe verbrauchervertragsrechtlicher EG- und EU-Instrumente: Siehe etwa Erwägungsgründe 1 und 5 der Richtlinie 1999/44/EG: „Die Schaffung eines gemeinsamen Mindestsockels von Verbraucherrechten, die unabhängig vom Ort des Kaufs der Waren in der Gemeinschaft gelten, stärkt das Vertrauen der Verbraucher und gestattet es ihnen, die durch die Schaffung des Binnenmarkts gebotenen Vorzüge besser zu nutzen.“ 20 Zum Ganzen REICH, Verbraucherrecht; RIESENHUBER, System und Prinzipien des europäischen Vertragsrechts, S. 227 ff. 21 GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 68 ff.; DERS., in GRUNDMANN/MEDICUS/ROLLAND, Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 281 (284 ff.).
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den.“22 Eine leistungsstörungsrechtliche Regel ist also nicht deshalb verallgemeinerungsunfähig, weil sie Teil einer verbraucherschützenden Richtlinie ist. 1. Verallgemeinerungsfähigkeit unternehmerrechtlicher Bestimmungen Das Beispiel der Zahlungsverzugsrichtlinie23 belegt obige These, dass Regelungen handelsrechtlicher Instrumente inhaltlich nicht zwingend auf das reine Unternehmerrecht beschränkt sein müssen. Als horizontales Instrument ist sie in ihrem Anwendungsbereich bereits relativ weit. Sie gilt wie die meisten jüngeren Richtlinien24 für grenzüberschreitende Geschäfte und innerstaatliche Geschäftsvorgänge, da die grundsätzliche Beibehaltung dieser Unterscheidung in einem Raum ohne Binnengrenzen widersinnig wäre und durch die Gleichbehandlung der jeweiligen Geschäftstätigkeiten der Unterschied zwischen kleinen und großen Mitgliedstaaten relativiert wird, von denen erstere primär eine grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit ausüben.25 Die Richtlinie beschränkt sich sachlich allein auf das Problem des Verzugs bei Geldforderungen, die das Entgelt aus gegenseitigen Verträgen darstellen.26 Ihr Geltungsbereich ist personell gem. Art. 1 und 2 Nr. 1 auf Geschäftsvorgänge beschränkt, die zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen stattfinden, und deren Inhalt eine entgeltliche Lieferung von Gütern oder Erbringung von Dienstleistungen ist.27 Begründet wird die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf zweiseitige Unterneh22
GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 40 (43). Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl. L 200, 8.8.2000, S. 35, neugefasst durch Richtlinie 2011/7/EU vom 16. Februar 2011, ABl. L 48, 23.2.2011, S. 1 ff. . 24 So die Klauselrichtlinie 93/13/EWG, die Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG, die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG und die e-commerce-Richtlinie 2000/31/EG, was sich bereits damit begründen lässt, dass diese Unterscheidung in einem Binnenmarkt zwangsläufig obsolet werden muss. 25 SCHULTE-BRAUCKS, NJW 2001, S. 103 ff. (104). 26 Die Richtlinie bezieht sich nicht auf die Zahlung von Zinsen im Zusammenhang mit anderen Zahlungen, etwa im Scheck- und Wechselrecht oder auf Schadensersatzzahlungen, z.B. von Versicherungsgesellschaften, vgl. Erwägungsgrund 13 der RiL 2000/35/EG, die missverständlicherweise von „Handels“geschäften spricht, obwohl sie auch die Freiberufler umfassen will. Dies zeigen Art. 2 Ziffer 1 letzter Absatz a.E. und Erwägungsgrund 14. 27 Unter den Begriff des „Unternehmens“ fällt gem. Art. 2 Nr. 1 letzter Absatz der RiL 2000/35/EG (nun Art. 2 Abs. 3 RIL 2011/7/EU) jede im Rahmen ihrer unabhängigen wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit handelnde Organisation, auch wenn die Tätigkeit von einer einzelnen Person ausgeübt wird. Mit „öffentlicher Stelle“ ist jeder öffentliche Auftraggeber oder jeder Auftraggeber im Sinne der Richtlinien über das öffentliche Auftragswesen gemeint (RiL 2000/35/EG verweist auf RiL 92/50/EWG; RiL 93/36/EWG; RiL 93/37/EWG; RiL 93/38/EWG. RiL 2011/7/EU nimmt nun auf RiL 2004/17/EG und 2004/18/EG Bezug). 23
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mensgeschäfte mit dem Argument, dass die Richtlinie dem Schutz der Unternehmen vor geschäftlichen Verlusten aus Schuldbeitreibungsverfahren dienen solle, die das finanzielle Gleichgewicht von Verbrauchern in aller Regel nicht in einem solchen Umfang berührten und diese nicht mit einem Insolvenzrisiko belasteten.28 Besonderes schutzbedürftig seien hierbei die kleinen und mittelständischen Unternehmen, da deren finanzielle Stabilität unmittelbarer und gravierender beeinträchtigt werden könne. Nur im Bereich der Unternehmenstätigkeit ergäbe sich daher ein relevantes Hindernis für das einwandfreie Funktionieren des Binnenmarktes, das eine EU-weite Regelung erforderte.29 Da laut damaligen Statistiken EU-weit zwischen 21 und 48% aller Unternehmen bei geänderter Zahlungsmoral der Geschäftskunden aus dem Ausland eine größere Exportquote aufgewiesen hätten,30 bestand ein dringendes Regelungsbedürfnis.31 Diese Gründe für die Einschränkung des Geltungsbereichs stehen einer Verallgemeinerungsfähigkeit der Richtliniengrundsätze nicht entgegen. Unterschiede zwischen B2B- und B2C-Geschäften sind zwar kompetenzrechtlich erklärbar, aus der Perspektive des Unternehmerrisikos jedoch nicht in der Sache begründbar. Denn Unternehmer, die im B2C-Bereich tätig werden, sind nicht deshalb einem geringeren finanziellen Risiko bei verspäteten Zahlungen ausgesetzt, weil ihr Geschäftspartner Verbraucher ist. Zwar hat ein Verbraucher in der Regel kein zahlungsverzugsbedingtes Insolvenzrisiko und ist daher nicht im gleichen Maße schützenswert wie ein Unternehmer. Allerdings ist der ihm gegenüberstehende Unternehmer in gleichem Maße schützenswert, ob sein Vertragspartner nun ebenfalls ein Unternehmer oder ein Verbraucher ist. Die zudem auf der Grundlage von Art. 95 EG (nun Art. 114 AEUV) geschaffene Richtlinie betrifft daher in einem weiteren Sinn den Konflikt zwischen Parteiautonomie und Schwächerenschutz.32 Auch hier zeigt wiederum das deutsche Recht, dass spezielles Richtlinienrecht generalisiert werden kann. In der Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wurde zur Umsetzung der Zahlungsverzugsrichtlinie ausge28
RIESENHUBER, § 17 Leistungsstörungen, S. 468. Aus dem Richtlinienvorschlag KOM (1998) 126 endg., S. 2 ergibt sich, dass eine von vier Insolvenzen durch Zahlungsverzug verursacht wurde, was zu enormen Arbeitsplatzverlusten und Außenständen in Milliardenhöhe führte. 29 Mitteilung der Kommission, Bericht über Zahlungsverzug im Handelsverkehr (97/ C 216/07), ABl. C 216, 17.7.1997, S. 10. 30 So der Richtlinienvorschlag KOM(1998) 126 endg., S. 3. 31 Der Anwendungsbereich der Richtlinie ist zudem insoweit beschränkt, als den Mitgliedstaaten gewisse abweichende Regelungen gestattet werden. So können sie gem. Art. 6 Abs. 2 RiL 2000/35/EG (nun Art. 12 Abs. 3 RiL 2011/7/EU) Vorschriften beibehalten oder erlassen, denen eine noch stärker gläubigerschützende Wirkung zukommt, als den Richtlinienvorgaben. 32 Vgl. auch SCHULTE-BRAUCKS/ONGENA, 4 ERPL (2003), S. 519 (521).
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führt: „Dennoch sollte es Ziel des deutschen Gesetzgebers sein, im Interesse der Übersichtlichkeit und besseren Anwendbarkeit des deutschen Verzugsrechts und der Tradition folgend in möglichst weitgehendem Umfang für jedermann geltende Regelungen beizubehalten und von der Schaffung eines Sonderverzugsrechts abzusehen.“33 Ohnehin implementiert man in neueren Gesetzen bevorzugt handelsrechtliche Prinzipien in nationale Zivilgesetzbücher und konzipiert unter Auflösung des klassischen dualistischen Systems von HGB und BGB mehr und mehr ein einziges Vertragsrecht.34 Dies zeigen die PECL, die den UPICC als unternehmensrechtliche Grundregeln parallel strukturiert und an der CISG orientiert sind. Für die Trennung von Handels- und Privatrecht spräche nach Stimmen in der Literatur allein die Gewohnheit und nicht die ratio.35 CHLOROS vertrat bereits 1968: „I believe that the future lies in a unitary system as in England, Switzerland or Italy.”36 2. Verallgemeinerungsfähigkeit verbraucherrechtlicher Bestimmungen Das unionsprivatrechtliche Verbraucherrecht bezweckt zwar durch besondere Pflichten und Verhaltensgrundsätze in der Phase um den Vertragsschluss die Schaffung eines Gleichgewichts zwischen Verbrauchern und Unternehmern, und weniger eine gewollte Konstruktion erfüllungsbezogener Vertragspflichten. Auch hier zeigt sich aber, dass es nicht nur allgemeine Vertragsrechtsprinzipien modifiziert und zum Schwächerenschutz in Sinn einer re-regulation37 in bestehende nationale Vertragsrechtssysteme eingreift. Da es eines der erklärten Ziele der EU ist, im Bereich des Verbraucherschutzes tätig zu werden, ist der europäischen Gesetzgebung auch eine dy-
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BT-Drs. 14/6040, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, S. 82. Ob dies im Fall des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes im Detail durchwegs gelungen ist, mag hier dahinstehen. 34 Vgl. neben dem common law etwa die Beispiele des Schweizer Obligationenrechts, des italienischen Codice Civile, der Zivilgesetzbücher Litauens oder Estlands, des Niederländischen Burgerlijk Wetboek und des Reformprojekts zum tschechischen Zivilrecht. Das neue ungarische Zivilgesetzbuch wählte ebenfalls einen monistischen Ansatz, VÉKÁS, in FISCHERCZERMAK /HOPF/SCHAUER, S. 213 (215 ff.). Vgl. bereits GROSSCHMID, in Magánjogi tanulmányok, S. 719 (723), der für die Trennung des Handels- und des allgemeinem Privatrechts keine inhaltlichen Gründe sah. Im skandinavischen Recht gelten die Kaufgesetze wie das allgemeine nordische Vertragsrecht für Unternehmer wie Verbraucher gleichermaßen, ein daneben bestehendes eigenes Handelsrecht gibt es nicht, vgl. ZWEIGERT/KÖTZ, S. 277. Aktuelles Gegenbeispiel ist allerdings das österreichische Unternehmensgesetzbuch, vgl. hierzu das Handelsrechts-Änderungsgesetz (öBGBl I 2005/120). 35 WOLFF, Commercial Law, Manual of German Law I, S. 210 f.. 36 CHLOROS, 17 ICLQ (1968), S. 849 (866). 37 WEATHERHILL, 5 ERPL (2004), S. 633 (639).
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namische, rechtsentwickelnde Komponente eigen.38 Auch die Gewährleistung eines funktionierenden Marktes ist entscheidende Basis des Richtlinienprivatrechts. Ein funktionierender Markt schafft sich nicht nur durch Einschränkungen nationaler Regeln, sondern auch durch das Treffen grundsätzlicher Entscheidungen. Da sich der Bereich des Verbraucherschutzes durch einheitliche Politik und rege Legislativtätigkeit auszeichnet, trägt es zu einer gewissen einheitlichen Linie der ansonsten „wenig planvolle[n] und befriedigende[n] Rechtssetzungspraxis der EU im Privatrecht“39 bei und ist prädestiniert für das Finden unionsrechtlicher Grundprinzipien. Neben der zielgerichteten Förderung bestimmter Verbraucherinteressen und der Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus greift die Legislativtätigkeit des europäischen Gesetzgebers allgemeine Thematiken des klassischen Vertragsrechts auf40 und betrifft gerade auch die Sanktionen der Nichterfüllung. Betrachtet man die gesetzgeberische Tätigkeit in diesem Bereich als eine eher ungewöhnliche Intervention, verdient sie nur umso mehr Aufmerksamkeit.41 Natürlich kann sich das bipolare Verhältnis von Vertragsfreiheit und dem Streben nach Gleichgewicht zwischen den Parteien eines Verbrauchervertrags auf Inhalt und Tragweite bestimmter privatrechtlicher Institutionen auswirken. Dieser Aspekt relativiert sich bei der Suche nach unionsprivatrechtlichen Regelungen für Leistungsverzögerungen jedoch aus zwei Gründen:42 Erstens ist der Verbraucher im EU-Recht ein mündigerer als der Verbraucher aus nationaler, jedenfalls deutscher Sichtweise.43 Viele Instrumente, die ihm das EU-Recht an die Hand gibt, dienen letztlich der Durchsetzung seiner Vertragsfreiheit und sollen sein sorgloses Kontrahieren ermöglichen.44 Gerade dieser Gedanke greift für den Rechtsverkehr zwischen Unternehmen jedoch oft ebenso Platz. 38
Siehe vormals das in Art. 3 lit. t EG ausdrücklich normierte Ziel, eine Verbesserung des Verbraucherschutzes zu erwirken. Siehe hierzu nun Art. 4 Abs. 2 lit. f AEUV. Vgl. auch HEISS, ZfRV 1995, S. 54 (59). 39 RITTNER, JZ 1995, S. 849 (851). 40 MÜLLER-GRAFF, NJW 1993, S. 13 (23). 41 So auch USUNIER/VEILLARD, in AUBERT DE VINCELLES/ROCHFELD, L’acquis communautaire, Les sanctions de l’inexécution du contrat, S. 95 (118): „Les interventions communautaires en matière d’effet des contrats n’en méritent que plus d’attention: s’agissant d’une question traditionnellement écartée de l’action du législateur communautaire, son intervention signale l’importance particulière des enjeux en cause.“ 42 Das sehr hohe Verbraucherschutzniveau ist bei der Suche nach allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen zu bedenken. 43 Hierfür spricht u.a. Art. 2 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die für die Frage der Vertragsmäßigkeit der Leistung keine objektive Sichtweise anlegt, sondern die Parteiabrede in den Vordergrund stellt. Der Vorrang der Vertragsfreiheit an dieser Stelle zeigt, dass der Verbraucher nicht so betrachtet wird, als sei er grundsätzlich in einer schwachen Position. 44 HEIDERHOFF, Gemeinschaftsprivatrecht, S. 87 m.w.N.
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Zweitens wird an mehreren Beispielen deutlich, dass sich die Unterschiede zwischen Verbrauchern und Unternehmern gerade im Bereich des Leistungsstörungsrechts relativieren, so insbesondere an der bereits erwähnten Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Sie gilt nur für Verbrauchergeschäfte, folgt aber weitgehend dem Modell der CISG45, die wiederum ausschließlich für Handelsgeschäfte konzipiert ist. Wäre Verbraucherrecht im Binnenmarkt nicht zugleich auch ein Recht der einseitigen Unternehmensgeschäfte46 und könnten die gleichen Grundsätze nicht für Verbraucher- wie Unternehmerverträge teils gleichermaßen zu praxisgerechten Ergebnissen führen, hätte der europäische Gesetzgeber in der Richtlinie 1999/44/EG keine Grundentscheidungen der CISG übernehmen dürfen. Dass die Richtlinie ein über den Verbrauchsgüterkauf hinausreichendes Konzept enthält und strukturgebend sein will, erwähnt auch ihre Begründung: Die Richtlinie sollte sich am UN-Kaufrecht orientieren, um die Rechtslage auf einem der wichtigsten Gebiete des Vertragsrechts nicht zu verkomplizieren, und als Motor für Reformvorhaben der veralteten nationalen Gewährleistungsrechte dienen.47 Die Entstehungsgeschichte der Richtlinie trägt also eine verallgemeinernde Komponente bereits in sich. Wären dem nicht kompetenzrechtliche Schranken gesetzt,48 hätte sie auf eine weit breitere Basis gestellt werden können, um ein Auseinanderfallen nationaler Kaufrechte in UN-Kaufrecht, B2B-, C2C- und Verbrauchsgüterkaufrecht zu vermeiden.49 Im Übrigen ist eine Allgemeingültigkeit verbraucherschützender Instrumente über das Verbraucherrecht hinaus jedenfalls nicht dem Problem mangelndem Schutzniveaus ausgesetzt.50 Dass es möglich ist, den im Richtlinien45
Vgl. KOM(1995) 520 endg., insb. unter 6, 13 und 15; DE NOVA, Riv.dir.priv. 1997, S. 25 (32); GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 40 (44); LODOLINI, Europa e diritto privato 1999, S. 1275 (1284); MICKLITZ, EuZW 1997, S. 229 (230); MAGNUS, in GRUNDMANN/ MEDICUS/ ROLLAND, S. 79, 83 ff. 46 Siehe auch GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 40 (43 f.). „Auch die KaufrechtsRichtlinie ist nicht primär Verbrauchervertragsrecht. Sie ist jedoch auch nicht primär Handelsrecht. Vielmehr ist sie genuin allgemeines Privatrecht“, SCHLECHTRIEM, JZ 1997, S. 441 (444) und BEALE/HOWELLS, JCL 12 (1997), S. 21 (28) erheben keine Einwendungen gegen den Modellcharakter des UN-Kaufrechts für ein europäisches Verbrauchsgüterkaufrecht. 47 KOM(1995) 520 endg., 18.6.1996, S. 5 f. 48 Vgl. insb. zu den Grenzen des Art. 95 EG (nun Art. 114 AEUV), LURGER, Grundfragen, S. 104 ff. 49 BASEDOW, Europäisches Vertragsrecht für europäische Märkte, S. 15 f. Die Umsetzung erfolgte etwa in Spanien, Portugal und Frankreich außerhalb der Zivilgesetzbücher, vgl. für Spanien Gesetz 23/2003, 10.7.2003, für Portugal Dekret 67/2003, 8.4.2003, für Frankreich Ordonnance vom 17.2.2005. 50 Vgl. hierzu auch die Entscheidung des EuGH zur Richtlinie 85/577/EWG in der Rechtssache Di Pinto, 14.3.1991, C-361/89, Slg. 1991, I-1189. Die Richtlinie 85/577/EWG wurde nun in Richtlinie 2011/83/EU vom 25.10.2011 integriert.
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recht vorgesehenen Verbraucherschutz im nationalen Recht auf Gewerbetreibende zu erstrecken, wurde vom EuGH letztlich auch in der Rechtssache Di Pinto zur Richtlinie 85/577/EWG bestätigt: Die Richtlinie sei zwar an sich in ihrem Anwendungsbereich beschränkt, einer Ausweitung des Richtliniengedankens durch mitgliedstaatliches Recht im Zuge ihrer Implementierung stehe jedoch nichts entgegen. Sie kann auch zum Schutz der Gewerbetreibenden Wirkung entfalten, für welchen sie an sich nicht konzipiert wurde. Verbraucherschützende Normen bedeuten in der Regel allenfalls ein Zuviel an Unternehmerschutz und in der Beziehung zwischen Großunternehmen und den durchaus schutzwürdigen Kleinunternehmern teils nicht einmal dies.51 Gerade im Kern des Leistungsstörungsrechts, in welchem es um einen Interessenausgleich zwischen den Parteien geht, nachdem ihr Handlungsgleichgewicht durch beim Vertragsschluss schützendes Verbraucherrecht bereits hergestellt wurde, sind umgekehrt auch fehlende Regeln ein Hinweis: Wird im Verbraucherschutzrecht auf einen Grundsatz bewusst verzichtet, lässt dies darauf schließen, dass im Unternehmerverkehr selbiger Schutz erst recht entbehrlich ist. So ist GRUNDMANNS These auch in dieser Richtung plausibel: Verbraucherrecht ist zugleich Unternehmens- und Marktrecht und formt mit dem Recht der Unternehmensverträge „nahezu identische Stücke eines allgemeinen Privatrechts.“52 II. Marktorientiertheit und Solidarität Einer Generalisierung richtlinienrechtlicher Inhalte als Richtschnur eines allgemeinen Vertragsrechts könnte auch entgegengehalten werden, dass die Richtlinien und Verordnungen des EU-Rechts prinzipiell am Funktionieren des Marktes ausgerichtet sind.53 Hingegen schafft ein wirkliches Zivilrechtssystem grundsätzlich einen Boden für die Entfaltung der Privatautonomie, eine sozialstaatlich geprägte Solidarität setzt ihr jedoch auch durch Loyalitätserwägungen Grenzen. Dem Unionsprivatrecht wird zuweilen vorgehalten, es diene nicht der Sicherung der Parteiautonomie, sondern nutze diese nur als Mittel zur Schaffung des idealen Binnenmarktes.54 Das Prinzip vertraglicher Solidarität trete hinter dem marktfördernden Gedanken des Verbraucherrechts zurück.55 Andererseits wird dem Unionsprivatrecht zum Teil abgesprochen, überhaupt zum Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich zu sein. 51
So auch der Ansatz der UPICC, vgl. BONELL, ZfRV 1996, S. 155; FURMSTON, 10 JCL (1996), S. 11. 52 GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 40 (57). 53 Manifeste pour une justice sociale en droit européen des contrats, RTD civ. 2005, S. 713 ff. 54 HEIDERHOFF, Gemeinschaftsprivatrecht, S. 79. 55 A.a.O., S. 84.
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Gerade im Verbrauchervertragsrecht zeigt sich aber, dass neben der Binnenmarktförderung im Sinn des Art. 95 EG (nun Art. 114 AEUV) das Prinzip vertraglicher Solidarität sehr wohl im Unionsprivatrecht verankert ist.56 Es geht vorwiegend um Wahrung und Förderung der Verbraucherinteressen und den Schutz der schwächeren Partei.57 Dies zeigt auch Artikel II-98 der Grundrechtecharta, der den Verbraucherschutz ausdrücklich unter den Titel „Solidarität“ stellt. Umso mehr müsste dann eigentlich für eine Prinzipienbildung aus Verbraucherrichtlinienrecht sprechen. Der Gedanke der Solidarität verbirgt sich losgelöst von den Kernfragen des Verbraucherschutzrechts im Übrigen gerade auch in leistungsstörungsrechtlichen Bestimmungen, da diese per se auf die Verteilung von Rechten und Pflichten und die Zuweisung von Risiken, also auf gerechten Interessenausgleich gerichtet sind, und ihnen daher ein Gedanke der gegenseitigen Rücksichtnahme immanent ist. Gerade jenseits des Vertragsschlusses ist von der Prämisse her kein Vertragspartner mehr in einer grundsätzlich schwächeren Position. Ist der Verbraucher hinreichend informiert, was durch diverse Informationspflichten des Unionsprivatrechts vorab garantiert werden soll, kann ihm eine ähnliche Rationalität unterstellt werden wie dem Unternehmer. Hier schafft der Gesetzgeber für den Fall der Vertragsverletzung Lösungen für rational handelnde und auf gleicher Ebene stehende Parteien.58 Das Leistungsstörungsrecht des Handels- und des Verbrauchervertrages weist damit keine grundsätzlichen gravierenden Unterschiede auf.59 Neben der Schaffung eines strukturellen Gleichgewichts und einer Verhaltenskontrolle der Parteien durch Loyalitäts- und Kooperationspflichten ist auch die Erreichung eines Interessengleichgewichts dem Unionsprivatrecht nicht fremd. III. Sektorspezifik Auch die Tatsache, dass unionsprivatrechtliche Instrumente meist sektorspezifisch sind und zum Teil sogar nur ausschnittsweise eng abgegrenzte Materien des besonderen Schuldrechts betreffen, wie etwa die Pauschalreiserichtlinie 90/314/EWG60 und die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG,61 dass 56
Vgl. zur Thematik auch LURGER, Vertragliche Solidarität – Entwicklungschance für das allgemeine Vertragsrecht. 57 Art. 153 Abs. 1, 3 i.V.m. Art. 95 EG (nun Art. 169 Abs. 1, 2 i.V.m. Art. 114 AEUV). 58 Mit Ausnahmen, wie etwa der Frage nach Fristsetzungserfordernissen im Rahmen des Rücktrittsrechts, vgl. unten § 2 IV 1 c. 59 GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 40 ff.; GRUNDMANN/HOERNING, Leistungsstörungsmodelle im Lichte der ökonomischen Theorie – nationales europäisches und internationales Recht, S. 7. 60 Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen. 61 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter,
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es sich also um problemorientierte (Teil-)Regelungen bestimmter Vertragstypen handelt,62 steht einer Prinzipienbildung nicht grundsätzlich entgegen. Wie bereits erwähnt, konnte der europäische Gesetzgeber aufgrund seines durch Art. 5 EG (nun Art. 5 Abs. 3 EUV) eingeschränkten Aktionsradius nur in bestimmten Bereichen und nur insoweit tätig werden, als er einen akuten Handlungsbedarf und eine Binnenmarktrelevanz sah. Hierdurch wurde ein umfassendes Harmonisierungsbestreben verhindert.63 Daher sind dogmatische Überlegungen nicht das eigentliche Interesse und geschaffene Regeln inhaltlich keineswegs zwingend nur für einen einzigen Vertragstyp konzipiert. Sie können sehr wohl allgemeinere Indikatoren sein. So können bestimmte für einen Vertragstyp geschaffene Regeln gleichermaßen oder „erst recht“ für einen anderen gelten oder jedenfalls gewisse Schlüsse zulassen. Am Beispiel Fernabsatz: Wenn die Fernabsatzrichtlinie eine Fälligkeit der Leistung nach spätestens 30 Tagen vorsieht, liegt es jedenfalls nicht nahe, beim Verkauf von vergleichbaren Gütern außerhalb des Fernabsatzes von einer längeren Zeitspanne auszugehen. Die Regelung kann auch für andere Vertragstypen einen Anhaltspunkt liefern, geht also insofern bereits über ihren eigenen „Sektor“ hinaus. Auch dieser Aspekt zeigt, dass einer Bildung von Grundprinzipien, Institutionen und typischen Rechtsschutzinstrumenten des Unionsprivatrechts ABl. L 171, 7.7.1999, S. 12-16, geändert durch Richtlinie 2011/83/EU vom 25. Oktober 2011. Siehe zur Richtlinie TROCHU, D. chron. 2000, S. 119 ff. 62 REICH, Europäisches Verbraucherschutzrecht, S. 250. 63 Zu Fragen der Kompetenzgrenzen der EU siehe auch C-376/98, 15.6.2000, Deutschland gegen Parlament und Rat, Rn.82-84 (zur Tabakwerberichtlinie): „Under Article 3(c) of the EC Treaty (now Article 3(1)(c) EC), the internal market is characterised by the abolition, as between Member States, of all obstacles to the free movement of goods, persons, services and capital. Article 7a of the EC Treaty (now Article 14 EC), which provides for the measures to be taken with a view to establishing the internal market, states in paragraph 2 that that market is to comprise an area without internal frontiers in which the free movement of goods, persons, services and capital is ensured in accordance with the provisions of the Treaty. Those provisions, read together, make it clear that the measures referred to in Article 100a(1) of the Treaty are intended to improve the conditions for the establishment and functioning of the internal market. To construe that article as meaning that it vests in the Community legislature a general power to regulate the internal market would not only be contrary to the express wording of the provisions cited above but would also be incompatible with the principle embodied in Article 3b of the EC Treaty (now Article 5 EC) that the powers of the Community are limited to those specifically conferred on it. Moreover, a measure adopted on the basis of Article 100a of the Treaty must genuinely have as its object the improvement of the conditions for the establishment and functioning of the internal market. If a mere finding of disparities between national rules and of the abstract risk of obstacles to the exercise of fundamental freedoms or of distortions of competition liable to result therefrom were sufficient to justify the choice of Article 100a as a legal basis, judicial review of compliance with the proper legal basis might be rendered nugatory. The Court would then be prevented from discharging the function entrusted to it by Article 164 of the EC Treaty (now Article 220 EC) of ensuring that the law is observed in the interpretation and application of the Treaty.“
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nichts Grundsätzliches entgegensteht. Zwar mögen einige Regeln inhaltlich tatsächlich ausschließlich bereichsspezifisch sein, andere können aber durchaus allgemeine vertragsrechtliche Prinzipien und damit allgemeingültige Grundentscheidungen des europäischen Gesetzgebers enthalten, die aufgrund seiner begrenzten Einzelermächtigung jedoch nur in spezifischen Fällen zum Tragen kommen.64 Dass dem so ist, zeigt sich wiederum daran, dass die nationale Umsetzung des Sekundärrechts teils über das eigentliche Umsetzungserfordernis hinausgeht und Konsistenz zwischen dem nationalen Zivilrechtskorpus und dem importierten EU-Recht schafft. Als Beispiel wurde die Übernahme von Kernelementen der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie genannt, die „[…] zur Verallgemeinerung geeignet waren und in verallgemeinerter Form, teils auch überobligatorisch eine wahre Kodifizierung und eine echte inhaltliche Reform ermöglicht haben.“65 Wäre dies sachlich undenkbar, gäbe es auch keine überschießende Richtlinienumsetzung. IV. Mindestharmonisierung Einer Verallgemeinerung unionsprivatrechtlicher Grundsätze auf der Ebene des allgemeinen Vertragsrechts widerspricht auch nicht die Tatsache, dass europäische Rechtsakte bislang meist nur einen Mindestharmonisierungsrahmen vorgaben und prinzipiell ein strengeres nationales Schutzniveau zulassen.66 Dieser Befund ist eher theoretischer Natur, denn einem Abweichen von den Richtlinienvorgaben nach oben verbleibt wegen des bereits relativ hohen unionsrechtlichen Schutzniveaus wenig Raum.67 Zudem erlaubt Art. 95 EG (nun Art. 114 AEUV) zwar ein „opting up“ der Mitgliedstaaten zur Beibehal64
So im Ergebnis auch HEISS, ZfRV 1995, S. 54 (60). Vgl. zum Einfluss der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auf das ungarische Leistungsstörungsrecht VÉKÁS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, S. 212. 66 Vgl. etwa Art. 8 der Richtlinie 85/577/EWG über außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge, Artikel 15 der Richtlinie 87/102/EWG über den Verbraucherkredit, Artikel 8 der Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen, Artikel 11 der Richtlinie 94/47/EG über Teilzeitnutzungsrechte, Artikel 14 der Richtlinie 97/7/EG über Vertragsabschlüsse im Fernabsatz, Art. 8 der Richtlinie 1999/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf und Art. 8 der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln. Durch Richtlinie 2011/83/EU wird der Mindestharmonisierungsansatz für die in ihr integrierten Richtlinien 85/577/EWG und 97/7/ EG allerdings aufgegeben, siehe Erwägungsgrund 2 und Art. 4 Richtlinie 2011/83/EU. Art. 4 lautet: „Sofern diese Richtlinie nichts anderes bestimmt, erhalten die Mitgliedstaaten weder von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichende innerstaatliche Rechtsvorschriften aufrecht noch führen sie solche ein; dies gilt auch für strengere oder weniger strenge Rechtsvorschriften zur Gewährleistung eines anderen Verbraucherschutzniveaus.“ Es bleibt den Mitgliedstaaten jedoch gem. Erwägungsgrund 2 vorbehalten, „innerstaatliche Rechtsvorschriften in Bezug auf bestimmte Aspekte beizubehalten oder einzuführen“. 67 Vgl. Art. 95 Abs. 3 EG (nun Art. 114 Abs. 3 AEUV). 65
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tung höherer nationaler Schutzstandards. Dies gilt jedoch nur in den engen Grenzen des Art. 95 Abs. 4-6 EG (Art. 114 AEUV). In der Regel wird also für die Mitgliedstaaten eine Sperrwirkung greifen. Im Übrigen ist das Problem des Harmonisierungsumfangs für die Frage nach einheitlichen leistungsstörungsrechtlichen Grundsätzen im Unionsprivatrecht auch nicht unbedingt entscheidend, denn jedenfalls ist ein Abweichen nach unten nicht möglich. Aus dem Richtlinienrecht ergibt sich damit jedenfalls ein vertragsrechtlicher Mindestrahmen. Dieser enthält innerhalb seines Anwendungsbereichs zudem zwingende Vorgaben. Letzteres gibt zwangsläufig auch der Ausstrahlungswirkung für eine Regelbildung über den eigentlichen Anwendungsbereich hinaus ein bedeutenderes Gewicht.68
§ 2 Grundbegriffe und -prinzipien des Leistungsstörungsrechts in Rechtsakten der EU Strukturelle Erwägungen stehen wie gezeigt einer Analyse von Grundprinzipien des Unionsprivatrechts jedenfalls im Bereich des Leistungsstörungsrechts nicht von vornherein entgegen. Inwieweit eine Generalisierung über die den jeweiligen Richtlinien immanenten sachlichen und personellen Grenzen hinweg inhaltlich möglich ist, bleibt mit einigen Vorbehalten zu prüfen, will man nicht dem Vorwurf unterliegen, dass der „Wille zum System ein Mangel an Rechtschaffenheit sei“69. Da es vor allem um einen Vergleich zu den Regeln des Code Européen und der PECL geht, die von einem einheitlichen Nichterfüllungstatbestand ausgehen, kann die Untersuchung vorliegend nicht auf „Verzugs“regeln im engeren Sinn und nach nationalem Verständnis beschränkt bleiben, sondern muss in einem weiteren Sinn die Grundprinzipien des Nichterfüllungsrechts umfassen, die im Rahmen europäischer Vertragsrechtsregelwerke bei der Leistungsverzögerung von Bedeutung sind. In einigen Richtlinien finden sich Regelungen, die die Frage präzisieren, ab wann eine Verzögerung einer Leistung bejaht werden kann. Nach traditioneller Betrachtung würde man diese zum Tatbestand des Verzugs, oder besser zu den Voraussetzungen zählen, unter welchen die Leistungsverzögerung Folgen zeitigt. Sie umfassen die Teilaspekte der Fälligkeit von Leistungen oder charakterisieren den Umstand des „in Verzug seins“. Betrachtet werden hierzu
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GRUNDMANN, Europäisches Schuldvertragsrecht 1, Rn. 72 ff., S. 87-90; RIESENHUBER, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S. 218. 69 NIETZSCHE, Götzendämmerung, I. 26.
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die Handelsvertreterrichtlinie 86/653/EWG70 als erster Versuch der Kommission zur Vereinheitlichung von Teilen des Vertragsrechts, die Richtlinie 97/7/EG (nun Richtlinie 2011/83/EG)71 die Überweisungsrichtlinie 97/5/EG72, die Verbraucherkreditrichtlinie73 und die Zahlungsverzugsrichtlinie 2000/35/ EG (nun 2011/7/EU), die den Spezialfall der Verzögerung einer Geldleistung sehr umfassend regelt. Erörtert wird in diesem Zusammenhang auch die Flug-
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Richtlinie 86/653/EWG des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter vom 18.12.1986, ABl. 1986, L 382/17. 71 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. 1997, L 144/19 nun integriert in Richtlinie 2011/83/EU. 72 Richtlinie 97/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.1.1997 über grenzüberschreitende Überweisungen, ABl. 1997, L 43/25. Die Überweisungsrichtlinie wurde durch die Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG mit Wirkung vom 1. November 2009 aufgehoben, da die in ihr enthaltenen Fristregelungen als nicht ausreichend streng betrachtet wurden. Der Wortlaut der Richtlinie 97/5/EG und ihre Auslegung in der Rechtspraxis gaben jedoch entscheidende Hinweise insbesondere auf die Auslegung der Zahlungsverzugsrichtlinie, weshalb die Verweise auf den ursprünglichen Richtlinientext in dieser Arbeit noch immer von Interesse sind. Die ursprünglichen Richtlinienbestimmungen galten für grenzüberschreitende Überweisungen bis zu einem Betrag von 50.000 € und betrafen daher vorwiegend Verbraucher und kleine und mittlere Unternehmen. Zweck der Richtlinie war es, die Bearbeitung von grenzüberschreitenden Überweisungen zu verbessern und die dem Kunden angebotenen Vertragskonditionen zu garantieren. Da beim konkreten Zahlungsvorgang die Einflussnahmemöglichkeit des Kunden auf das Kreditinstitut beschränkt ist, enthielt die Richtlinie Mindestharmonisierungsvorschriften über Fristen und über die Rechtsfolgen bei deren Nichteinhaltung. Die Richtlinie betraf alle Rechtsbeziehungen im Rahmen einer Überweisung, die den Geldtransfer betreffen, d.h. den Girovertrag zwischen Auftraggeber und seinem Institut, zwischen Begünstigtem und seinem Institut und diesen Instituten mit anderen sog. zwischengeschalteten Instituten gem. Art. 2 lit. e RiL 97/5/EG. Sie unterschied mehrere Verantwortungssphären: Die des beauftragten Instituts und der ihm zugerechneten zwischengeschalteten Institute, die des Instituts des Begünstigten und jeweils die des Auftraggebers und des Begünstigten. Als „Auftraggeber“ galt dabei gem. Art. 2 lit. h RiL 97/5/EG eine natürliche oder juristische Person, die eine grenzüberschreitende Überweisung an einen Begünstigten veranlasst; als „Begünstigter“ der Endempfänger einer grenzüberschreitenden Überweisung, deren entsprechender Betrag ihm auf einem Konto zur Verfügung gestellt wird, über das er verfügen kann, Art. 2 lit. i RiL 97/5/EG. Vgl. OHLER, Europäische Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, Art. 6 ÜberweisungsRiL, Rn. 1. Vgl. zur Richtlinie 97/5/EG auch HOFFMANN, Globale und regionale Vereinheitlichung des Rechts der grenzüberschreitenden Überweisung: Ansätze, Prinzipien und Stand der Harmonisierung, in JbJZivRWiss 2000, 2001, S. 247 ff. (262). 73 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbraucherkreditverträge und zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates, KOM(2005) 483 endg.
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verspätungsverordnung 261/2004/EG74 und neben dem reinen Sekundärrecht das Übereinkommen von Montreal, das ebenfalls zum acquis communautaire zählt.75 Gleiches gilt für die COTIF (CIV)76, die durch die Verordnung 1371/ 2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbanverkehr ergänzt wurde.77 74
Verordnung 261/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung 295/91/EWG ABl. L 046, 17.2.2004, S. 1 ff.. Die Verordnung 261/2004/EG ersetzt mit Wirkung ab dem 17.2.2005 die Flugüberbuchungsverordnung 295/91/EWG vom 4.2.1991 (ABl. L 036, 8.2.91, S. 5 ff.) und enthält ebenfalls Vorschriften in Fällen von Leistungsverzögerungen seitens der Fluggesellschaften. Sie umfasst jedoch rechtlich nur einen speziellen eng umgrenzten Teilbereich. Ergänzt wird sie durch die Verordnung 2027/97/EG des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen (ABl. L 285, 17.10.1997, S. 1-3), die allerdings allein den Bereich der außervertraglichen Haftung bei Unfällen betrifft. 75 Das Übereinkommen von Montreal über den Abschluss des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (MontrealÜ) wurde am 9. Dezember 1999 auf der Basis von Art. 300 Abs. 2 EG (nun Art. 218 Abs. 2 AEUV) von der Gemeinschaft unterzeichnet, durch Ratsbeschluss vom 5. April 2001 genehmigt (Ratsbeschluss 2001/539/EG vom 5. April 2001, ABl. L 194, 18.7.2001, S. 39) und trat für sie am 28. Juni 2004 in Kraft. Die Bestimmungen dieses Übereinkommens bilden einen integralen Bestandteil der EU-Rechtsordnung (vgl. auch EuGH, Rs. C-181/73, Haegeman, 30.4.1974, Slg. 1974, 449, Rn. 5; Rs. C-12/86, Demirel, 30.9.1987, Slg. 1987, 3719, Rn. 7 und zum MontrealÜ Rs. C-344/04, IATA, 10.1.2006, Slg. I-403, Rn. 36). Das Verhältnis des Übereinkommens zur Verordnung 261/2004/EG wurde viel diskutiert, nach Ansicht des EuGH ergänzen sich die Regelwerke jedoch weitgehend (vgl. insb. zu Art. 6 der VO, EuGH, Rs. C-344/04, IATA, 10.1.2006, Slg. I-403, Rn. 46). 76 Siehe KOM(2003) 696 endg. zu Art. 300 Abs. 2 EG (nun Art. 218 Abs. 2 AEUV). 77 Ursprünglich KOM(2004) 143 endg., vgl. weiter den Gemeinsamen Standpunkt des Rates, COD 2004/0049, sowie die Änderungen des Parlaments in der Legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr P6_TA(2007) 0005, 18.1.2007. P6_TA (2007) 0005, KOM(2007) 79, und zum Ausgang des Vermittlungsverfahrens C/07/149, 22. Juni 2007. Das Verhältnis zwischen CIV und Sekundärrecht wurde häufig diskutiert. Da die geplante Verordnung mehr oder weniger beziehungslos neben die COTIF treten und wesentliche Materien nochmals und abweichend regeln sollte, wurde der Entwurf wegen fehlender Bezugnahme und mangelnder Vereinbarkeit mit dem internationalen Einsenbahnrecht bereits mehrfach geändert. Erst im Juni 2007 einigten sich Parlament und Rat auf einen gemeinsamen Text. Begründet mag dies in Art. 62 CIV a.F. liegen, der dem internationalen Eisenbahnrecht keinen Vorrang vor dem Sekundärrecht einräumte. Anders ist dies jedoch nach Art. 3 § 2 COTIF 1999, der den Vorrang des EU-Rechts nun nicht mehr ausdrücklich anspricht. Die Verordnung sollte zudem durch eine Verordnung über Entschädigungen bei Nichterfüllung vertraglicher Qualitätsanforderungen im Schienengüterverkehr (KOM(2004) 144 endg.) ergänzt werden, die jedoch vom Parlament abgelehnt
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Diese Richtlinien geben teils auch Hinweise zu Rechtsfolgen von Leistungsstörungen, so die Zahlungsverzugsrichtlinie, die Handelsvertreterrichtlinie und die Flugverspätungsverordnung. Andere Regelwerke sind im hier untersuchten Bereich ausschließlich wegen ihrer Rechtsbehelfskataloge interessant, insbesondere die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG,78 die Pauschalreiserichtlinie 90/314/EWG,79 die Timesharingrichtlinie 94/47/EG80 und im Ansatz auch die – nicht das Vertragsrecht im engeren Sinn betreffende – Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG.81 I. Verzug als Leistungstörungskategorie? 1. Einheitlicher Leistungsstörungstatbestand Da der punktuelle vertragsspezifische Ansatz des Unionsprivatrechts eine Trennung nach Vertragstypen und Leistungsstörungstatbeständen vorgibt, scheint die Suche nach Anhaltspunkten für einen einheitlichen Nichterfüllungstatbestand im acquis von vornherein aussichtslos. Man denke nur an die Zahlungsverzugsrichtlinie, die sich nicht nur auf die Problematik der Verzögerung der Leistung beschränkt, sondern allein den Aspekt des Zahlungsverzugs betrifft. Hinweise in Richtung einer Bevorzugung weitgehend einheitlicher Lösungen für verschiedene Vertragsstörungen finden sich dennoch. So enthält etwa die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie Ansätze für einen leistungsstörungsrechtlichen Einheitstatbestand, weil sie sich in Anlehnung an die CISG auf ein umfassendes Konzept der nicht vertragsgemäßen Leistung der Ware stützt.82 Zwar ist aus ihr keine ausdrückliche Weichenstellung jenseits der Schlechtleistung zu entnehmen, denn zur Vertragsverletzung durch Nichtleistung oder nicht rechtzeitigen Leistung spricht sie sich gerade nicht aus. Allerdings kann dem breiten Konzept, das die Richtlinie im Hinblick auf die nicht vertragsgemäße Leistung wählt, durchaus ein zugunsten eines Einheitstatbestands sprewurde. Mittlerweile ist die Verordnung als Verordnung 1371/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr erlassen worden (ABl. L 315, 3.12.2007, S. 14-41). 78 Nachweis in Fn. 61. 79 Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen, ABl. 1990 L 158/59. 80 Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, ABl. 1994 L 280, S. 83–87. 81 Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. L 210, 7.8.1985, S. 29. 82 Grundmann/Bianca/BIANCA, EU-Kaufrechtsrichtilnie, Kommentar, Art. 3 Rn. 3: „Die Richtlinie geht also von einem einheitlichen Vertragsbruchtatbestand aus.“
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chender Hinweis entnommen werden. Gem. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 1999/ 44/EG ist der Verkäufer verpflichtet, dem Verbraucher dem Kaufvertrag gemäße Güter zu liefern. Wie Erwägungsgrund 6 der Richtlinie klarstellt, wurde die Terminologie der Richtlinie eigens sehr weit gewählt, um Konflikte mit den Verkäufern zu vermeiden, die ihre Ursache vor allem in der Vertragswidrigkeit von Waren haben.83 Die verschiedenen Verstoßtatbestände des nationalen Gewährleistungsrechts sollen grundsätzlich einheitlich behandelt werden.84 Wie sich am Beispiel des Begriffs der „Vertragsmäßigkeit“ zeigt, geht die Tendenz daher zu einer weiten Fassung eines einheitlichen Oberbegriffs hinsichtlich „Störungen“, die den Vertragsgegenstand betreffen. Dies soll Abgrenzungsprobleme vermeiden, die durch die römischrechtlich beeinflussten Unterscheidungen von aliud, Sachmangel und verstecktem Mängeln im nationalen Recht entstanden sind. Die Richtlinie strebt nach einer einheitlichen und effizienten Lösung, die eine Sonderbehandlung verschiedener Leistungsstörungsuntertypen gerade zu vermeiden sucht. Zugleich schreibt sie sich in den weiteren Kontext der Definition dessen ein, was „vertragsgemäß“ ist. Einen weiteren Hinweis in Richtung einer Präferenz von Lösungen, die verschiedene Typen von Vertragsverletzungen umfassen, gibt die Pauschalreiserichtlinie, die in ihrem Art. 5 Abs. 1 von der „Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung“ spricht und in Abs. 2 die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um zu sichern, dass der Veranstalter und/oder Vermittler der Reise für die aus „Nichterfüllung und mangelhafter Erfüllung“ entstehenden Schäden haften. Nicht- und Schlechtleistung stehen auf einer Ebene, der Richtlinienwortlaut deutet auf eine Präferenz einer Haftung nach einheitlichen Grundsätzen und spricht jedenfalls nicht gegen sie. Dass eine zeitliche Verzögerung einer Sachleistung und sachliche Leistungsmängel einander im Sinn eines unter einen Einheitstatbestand zu subsumierenden Verletzungstatbestands generell gleichgeordnet werden sollen, ergibt sich aus dem Unionsprivatrecht zwar nicht, das Gegenteil – von der Sonderbehandlung des Zahlungsverzugs abgesehen – hingegen auch nicht. 2. Verzugs- und Verspätungsbegriff a. Verzug Im Rahmen von nicht auf Geld gerichteten Leistungen spricht sich das Unionsprivatrecht zum „Verzug“ nicht deutlich aus, sondern lediglich zu Teilaspekten wie insbesondere der Leistungszeit. Dafür widmet das Unionsrecht 83
Vgl. nur die Einbeziehung von Hilfspflichten über Art. 2 Abs. 5 RIL 1999/44/EG, der selbst die durch unsachgemäße Montage entstehenden Mängel als Vertragswidrigkeit betrachtet, sofern diese seitens des Verkäufers nach dem Kaufvertrag geschuldet war. 84 RAYNARD, RTD civ 1997, S. 1020 (1021 f.); DE NOVA, Riv.dir.priv. 1997, S. 24 (32).
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dem Zahlungsverzug85 ein eigenes Regelwerk. Die hierdurch entstehende Sonderkategorie des Zahlungsverzugs scheint zwar zunächst auf eine gesonderte Behandlung der Verzögerungsproblematik im Unionsrecht hinzudeuten. Die Sonderstellung des Zahlungsverzugs beruht allerdings auch auf der beschränkten Kompetenz des europäischen Gesetzgebers und der vorrangigen Regelungsbedürftigkeit dieses Teilbereichs der Verzugsproblematik.86 Die Zahlungsverzugsrichtlinie basiert in der deutschen Fassung auf dem Begriff des Zahlungsverzugs. In den fremdsprachigen Versionen der Fassung 2000/35/EG wird jedoch nicht der vom nationalen und insbesondere vom deutschen Recht vorgeprägte Begriff „Verzug“, sondern eher der Ausdruck „verspätete Zahlung“ verwendet.87 Mit einem national geprägten Begriff des Zahlungsverzugs ist der unionsrechtliche Begriff bereits wegen des Erfordernisses autonomer Auslegung, im Übrigen aber auch inhaltlich, nicht gleichzusetzen. Die Legaldefinition des Begriffs in Art. 2 Ziff. 2 der Richtlinie 2000/35/EG umschreibt den Zahlungsverzug als „Nichteinhaltung der vertraglich oder gesetzlich vorgesehenen Zahlungsfrist“.88 Da diese Fristen genau vorgegeben werden, setzt der Zahlungsverzug nach der Richtlinie weder im Grundsatz noch als Ausnahme eine Mahnung voraus.89 Weitere Voraussetzun85
Nachweis in Fn. 23. Die Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung innerhalb einer vereinbarten oder gesetzlichen Zahlungsfrist wurde in den nationalen Zivilrechtssystemen mit vergleichsweise milden Rechtsfolgen belegt: Aufgrund niedriger Verzugszinsen und/oder langwieriger Beitreibungsverfahren wurden die Verzugsfolgen von den Schuldnern in den meisten Mitgliedstaaten hingenommen. Der Zahlungsverzug konnte sich damit als mehr oder minder geduldete betriebswirtschaftliche Taktik zu einer Art günstigen Kreditgeschäfts entwickeln. Die weitgehend lockere Zahlungsmoral ließ das Verzugsproblem europaweit wirtschaftlich bedeutende Dimensionen annehmen, die einer einheitlichen Problembehebung bedurften. Der europäische Richtliniengeber weist in den Erwägungsgründen 7 bis 9 der Richtlinie 2000/ 35/EG (siehe auch Erwägungsgrund 3 Richtlinie 2011/7/EU) auf die gravierenden Folgen des Zahlungsverzugs insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen und die Binnenmarktrelevanz der unterschiedlichen Zahlungspraktiken hin (vgl. den Bericht über Zahlungsverzug im Handelsverkehr, ABl. C 216, 17.7.1997, S. 10). Die Richtlinie sollte durch relativ scharfe Zinsregeln die Schuldner von ihrer bisherigen Praxis abschrecken und durch eingeschränkte Abdingbarkeit vor Manipulationen mächtigerer gegenüber kleineren Unternehmen schützen. Vgl. dazu SCHULTE-BRAUCKS, NJW 2001, S. 103 ff., der unter Bezugnahme auf den Kommissionsbericht ABl. C 216, 17.7.1997, S. 10 (13) Portugal und Griechenland als Negativbeispiele anführt (Zahlungseingang im Durchschnitt erst nach 90 Tagen). 87 „Retard de paiement“ (demeure), „late payment“, „ritardi di pagamento“, „betalingsachterstand“, „opožděnou platbou“ (verzögerte Zahlung), allerdings: „mora de pagamento.“ 88 Die Definition enthält im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 1 lit. a und b RiL 2000/35/EG (nun Art. 4 Abs. 3 lit. a und b RiL 2011/7/EU) nicht auch den Begriff des „Zahlungstermins“, aus Gründen der Kohärenz wäre es jedoch wünschenswert gewesen, eine einheitliche Terminologie zu verwenden. 89 Vgl. sogleich unter III. 86
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gen für den Eintritt von Rechtsfolgen, nach dem Wortlaut der Richtlinie nicht aber für die Annahme des Zahlungsverzugs als solchem, folgen aus Art. 3 Abs. 1 lit. c i und ii der Richtlinie 2000/35/EG. Insbesondere die Frage des Vertretenmüssens ist kein Bestandteil der Begriffsdefinition des Verzugs, sondern ein Element des Zinsanspruchs.90 Der Verzug präsentiert sich damit als ein objektives Konzept und dem Begriff der Verspätung vergleichbar, der in mehreren anderen Regelwerken verwendet wird. In Art. 2 Nr. 4 der Richtlinienfassung 2011/7/EU wird Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen als Zahlung definiert, „die nicht innerhalb der vertraglich oder gesetzlich vorgesehenen Zahlungsfrist erfolgt ist, sofern zugleich die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 [...] erfüllt sind“. Art. 3 Abs. 1 regelt den eigentlichen Zinsanspruch. Die Vorschrift stellt klar, dass dieser, ohne dass es einer Mahnung bedarf, besteht, wenn der Gläubiger seinerseits alle gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen erfüllt hat und den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten hat, es sei denn, der Schuldner ist für den Zahlungsverzug nicht verantwortlich. Diese Regelung unterscheidet sich von der Fassung 2000/35/EG durch den Verweis auf die Vertragstreue des Gläubigers und die Verantwortlichkeit des Schuldners in der Begriffsdefinition des Zahlungsverzugs. Es ist allerdings systematisch missglückt, dass die Begriffsdefinition des Zahlungsverzugs auf eine Vorschrift verweist, die selbst den Begriff des Zahlungsverzugs verwendet. b. Verspätung Im Transportrecht wird insbesondere in den Art. 19 des Montrealer Übereinkommens vom 28.5.1999,91 Art. 6 VO 261/2004/EG oder Art. 3 Nr. 12 der Verordnung 1371/2007/EG über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr92 statt des Verzugsbegriffs der Begriff der Verspätung gebraucht, an welchen sich bestimmte Rechtsfolgen knüpfen. Wiederum ist die Frage des Vertretenmüssens der Verspätung rein ein Problem der Rechtsfolgenebene, losgelöst vom eigentlichen Verspätungsbegriff. Dieser wird allerdings nur teilweise durch eine regelwerksbezogene 90
Vgl. im Einzelnen unter IV 8 b. Das zum acquis zählende Montrealer Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 9. Dezember 1999 (MontrealÜ, ABl. L 194, 18.7.2001, S. 39) ist in Bezug auf die EU seit 28. Juni 2004 in Kraft. Das MontrealÜ wird zwar häufig dem Bereich der außervertraglichen, wenngleich vertragsnahen, Haftung zugeordnet, weil seine Haftungsregeln nicht ausdrücklich daran anknüpfen, dass sich der Geschädigte in einer Vertragsbeziehung befand. Sein Art. 19, der eine rein für Verspätungsschäden konzipierte Sonderregelung enthält, normiert jedoch einen eigenständigen und an sich typisch vertraglichen Verspätungsschadensersatzanspruch. Vgl. hierzu insbesondere Art. 29 MontrealÜ und SCHMIDT-KESSEL, Reform des Schadensersatzrechts, S. 35. 92 Siehe oben Fn. 77. 91
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Präzisierung oder Definition ergänzt und im Übrigen nicht einheitlich verstanden. Während Art. 6 VO 261/2004/EG ohne ausdrückliche Definition der Verspätung in den Begriffsbestimmungen der Verordnung93 auf die „Überschreitung der planmäßigen Abflugzeit“ Bezug nimmt, der Überschreitung jedoch je nach ihrer Dauer eine unterschiedliche Rechtsrelevanz einräumt und unterschiedliche standardisierte Rechtsfolgen daran knüpft, 94 enthält Art. 19 MontrealÜ keine Begriffsbestimmung. Allerdings wurde zur Auslegung seiner Vorgängervorschrift in Art. 20 WarschA 195595 im Gegensatz zu Art. 6 VO 261/2004/EG darauf abgestellt, dass das befördernde Luftfahrzeug „nicht rechtzeitig am Zielort eintrifft.“96 Im Grunde handelt es sich hier um die klassische Problematik der Verspätung der Leistungshandlung oder des verspäteten Eintritts des Leistungserfolges. Art. 3 Nr. 15 des Vorschlags zur Verordnung 1371/2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr sah zunächst eine gemischte Begriffsdefinition der Verspätung vor und verstand hierunter „die Zeit zwischen der planmäßigen Abfahrt und/oder Ankunft gemäß Netzfahrplan oder veröffentlichtem Fahrplan, einschließlich gemäß 93
Dies führt, wie die Kommission in ihrer Mitteilung vom 4. April 2007 an das Europäische Parlament und den Rat gemäß Artikel 17 der Verordnung 261/2004/EG über die Anwendung und die Ergebnisse der Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen unter 5.4. bemerkte, zu Abgrenzungsproblemen zur Annullierung, die unterschiedliche Rechtsfolgen auslöst: „In der Verordnung 261/ 2004/EG wird der Begriff Verspätung nicht näher definiert. Es besteht Unklarheit über die Verpflichtung der Luftfahrtunternehmen gegenüber den Fluggästen bei langen Verspätungen über 24 Stunden, was zu größeren Konflikten führen könnte.“ Vgl. auch die Art. 5 Abs. 1 lit. c und Art. 6 der VO 261/2004/EG. 94 Art. 6 VO 261/2004/EG enthält eine abgestufte Regelung zur Rechtsrelevanz der Verzögerung je nach ihrer Dauer: So unterscheidet Art. 6 die Verzögerung des Abflugs a) bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger um zwei Stunden oder mehr oder b) bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 km und 3500 km um drei Stunden oder mehr oder c) bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen um vier Stunden oder mehr. 95 Abkommen vom 12.10.1929 zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Warschauer Abkommen) in der Fassung des Haager Protokolls vom 28.9.1955 (BGBl. 1958 II 292) und Zusatzabkommen von Guadalajara vom 18.9.1961 (BGBl. 1963 II 1160). 96 Nach der deutschen Rechtsprechung zu Art. 19 MontrealÜ gilt etwa wie zur Vorgängervorschrift des Art. 20 WarschA 1955, dass eine Verspätung dann anzunehmen ist, wenn das befördernde Luftfahrzeug „nicht rechtzeitig am Zielort eintrifft“, wobei sich die Rechtzeitigkeit nach dem zugrunde liegenden Vertragsverhältnis bemisst (i.d.R. flugplanmäßige Zusagen); vgl. hierzu OLG Frankfurt, TranspR 1984, 21; und TranspR 1993, 103 ff.
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den Fahrgästen zur Verfügung gestellten Unterlagen, am Abfahrts- oder Ankunftsbahnhof einerseits und der tatsächlichen Abfahrt und/oder Ankunft des grenzüberschreitenden Verkehrsdienstes oder grenzüberschreitenden Hochgeschwindigkeitsverkehrsdienstes andererseits.“ Nach den Änderungen durch den Gemeinsamen Standpunkt wurde die entsprechende Norm an die Auslegung des MontrealÜ angepasst: „Verspätung“ bezeichnet nach Art. 3 Nr. 12 der Verordnung 1371/2007/EG nun die Zeitdifferenz „zwischen der planmäßigen Ankunftszeit des Fahrgasts gemäß dem veröffentlichten Fahrplan und dem Zeitpunkt seiner tatsächlichen oder erwarteten Ankunft.“ Eine einheitliche Definition des Verspätungsbegriffs kennt also weder das internationale noch das zukünftige europäische Transportrecht: Art. 6 VO 261/2004/EG und 3 Nr. 12 der Verordnung 1371/2007/EG zum europäischen Eisenbahnrecht definieren den Verspätungsbegriff bereits unterschiedlich. Gemeinsam ist jedoch allen Regelwerken, die die Problematik der Verzögerung aufgreifen, dass sie eher am Eintritt des Leistungserfolges orientiert sind97 und eine objektive Betrachtung anlegen. II. Leistungszeit 1. Leistungszeitvereinbarung Erwägungen zur Leistungszeitbestimmung finden sich in mehreren sekundärrechtlichen Instrumenten. Diese gehen einheitlich vom Grundfall der parteiautonomen Leistungszeitbestimmung aus. So etwa die Bestimmungen zum Fernabsatz, nun enthalten in RiL 2011/ 83/EU. Nach Art. 18 Abs. 1 und Erwägungsgründen 51 und 52 obliegt es grundsätzlich den Parteien, sich über eine Frist zur Erfüllung des Fernabsatzvertrages zu einigen.98 Aufgrund der Spezifika von Fernabsatzgeschäften wird die Leistungsfrist in der Regel einseitig vom Lieferer vorgegeben werden. Die Einzelheiten hinsichtlich der Vertragserfüllung und der Gegenleistung, also auch die Fristen innerhalb derer sich diese zu vollziehen haben, müssen dem Verbraucher daher bereits rechtzeitig vor Abschluss des Vertrages bekannt sein. REICH spricht auch hier vom Informationsparadigma des unionsrechtlichen Verbraucherschutzrechts.99 Im Grunde liegt hierin jedoch nur eine Basisregel des Vertragsrechts, denn die Leistungszeit kann im Rahmen des Fernabsatzes nur auf diese Weise „vereinbart“ und damit ausdrücklich Vertragsinhalt werden.
97
Hierzu sogleich genauer unter II 4. Vgl. zur RiL 97/7/EG MICKLITZ, in REICH/MICKLITZ, Europäisches Verbraucherrecht, § 15 Fernabsatz, S. 598; REICH, EuZW 1997, S. 581 (585). 99 REICH, EuZW 1997, S. 581 (584). 98
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Ähnliches ergibt sich im Übrigen auch aus der planmäßigen Abflugzeit im Transportrecht (Art. 6 VO 261/2004/EG). In beiden Fällen wird allerdings regelmäßig eine Partei aktiv und schlägt die Leistungszeit vor. Dies gilt ebenso, soweit es um die Leistungszeit bei einer Zahlungspflicht geht. Auch die RiL 2000/35/EG (nun RiL 2011/7/EU) betont die Vertragsfreiheit bei der Vereinbarung von Zahlungsfristen. Zwar spricht sie sich nicht ausdrücklich zur Fälligkeit von Entgeltforderungen aus, ihr Art. 3 Abs. 1 a RiL 2000/35/EG (nun Art. 3 Abs. 3 a RiL 2011/7/EU) basiert jedoch auf einer Parteivereinbarung eines Zahlungstermins oder einer Zahlungsfrist und damit auf dem Vorrang der parteiautonomen Konkretisierung der Leistungszeit. 2. Gesetzliche Festlegung der Leistungszeit a. Bei Leistungspflichten Die Handelsvertreterrichtlinie 86/653/EWG kennt zwar keine eigenständige Regelung zum Leistungsstörungsrecht, trifft jedoch eine Regelung hinsichtlich des Entstehens und der Fälligkeit des Provisionsanspruchs des Handelsvertreters. Der Provisionsanspruch ist gem. Art. 10 Abs. 3 RiL 86/653/ EWG spätestens am letzten Tag des Monats fällig, der auf das Quartal folgt, in welchem der Anspruch auf Provision erworben wurde, d.h. der Anspruch nach Art. 10 Abs. 1 entstanden ist.100 Für das Entstehen des Provisionsanspruchs nennt Art. 10 mehrere Alternativen.101 Art. 10 regelt sowohl hinsichtlich der Entstehung des Provisionsanspruchs als auch hinsichtlich seines Fälligkeitszeitpunkts einen Spezialfall, zeigt aber, und dies ist insbesondere im Vergleich zur vagen Vorschrift des Art. 7:102 Abs. 3 PECL interessant, dass die Fälligkeit binnen eines präzisierten Zeitraums nach Entstehen des Anspruchs eintreten soll. Dieses Präzisionsstreben bestätigt sich auch in der Richtlinie 2011/83/EU. Art. 18 Abs. 1 RiL 2011/83/EU enthält wie etwa der frühere Art. 7 der Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG eine Bestimmung zur Leistungsfrist des Lieferers bei Verbraucherverträgen. Nach Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83/ EU liefert der Unternehmer die Waren „unverzüglich, jedoch nicht später als dreißig Tage nach Vertragsabschluss“, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart 100
FRAIKIN, in PASCHKE/ILIOPOULOS, Europäisches Privatrecht, S. 247 (257). Gem. Art. 10 Abs. 1 lit. a RiL 86/653/EWG entsteht der Provisionsanspruch, sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat; dies ist der Normalfall. Alternativ entsteht er gem. Art. 10 Abs. 1 lit. b, sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft nach dem Vertrag hätte ausführen müssen oder gem. Art. 10 Abs. 1 lit. c, sobald und soweit der Dritte das Geschäft ausführt. Gem. Art. 10 Abs. 2 entsteht der Anspruch spätestens, wenn der Dritte seinen Teil des Geschäfts ausgeführt hat oder ausgeführt haben müsste, falls der Unternehmer seinen Teil des Geschäfts ausgeführt hätte. Abs. 2 ist gem. Abs. 4 eine zwingende Vorschrift, von der nicht zum Nachteil des Handelsvertreters abgewichen werden darf. 101
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haben. Auch hier bestimmt sich die Fälligkeit der vom Lieferer geschuldeten Leistung durch Vorgabe einer konkreten Zeitspanne nach Vertragsschluss, auf der Basis der ursprünglichen 30-Tage-Frist der Richtlinie 97/7/EG. Auch die Überweisungsrichtlinie 97/5/EG regelte die Fälligkeit im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Überweisungsaufträgen durch präzise Fristvorgaben. Art. 6 Abs. 1 Ua. 2 betraf die Ausführungsverpflichtung des Instituts des Auftraggebers, Art. 6 Abs. 2 Ua. 2 die des Instituts des Begünstigten. Aus beiden Normen folgte, dass die Überweisung spätestens am Ende des fünften Bankgeschäftstags nach dem Tag der Auftragsannahme seitens der Auftraggeberbank dem Konto des Instituts des Begünstigten gutzuschreiben ist. Gem. Art. 6 Abs. 2 musste dann der Betrag dem Konto des Begünstigten am Ende des Bankgeschäftstages nach dem Tag gutgeschrieben werden, an dem der Betrag auf dem Konto des Instituts des Begünstigten einging. In der Richtlinie 2007/64/EG über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, die u.a. Richtlinie 97/5/EG ersetzt hat, wurden diese Fristen wesentlich verkürzt. Gem. Art. 69, 64 Richtlinie 2007/64/EG hat die Gutschrift auf dem Konto des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers spätestens am Ende des auf den Eingangszeitpunkt des Zahlungsauftrags folgenden Geschäftstages zu erfolgen.102 Die Entscheidung für präzise Fristvorgaben zeigt sich im Übrigen auch bei Betrachtung der Erstattungsansprüche in Art. 8 Abs. 1 lit. a der VO 261/2004/ EG und Art. 14 Nr. 1 lit. a Satz 2 i.V.m. Art. 15 Abs. 2, die den Erstattungspflichtigen jeweils zur Handlung binnen eines ausdrücklichen Zeitrahmens zwingen (Erstattung vom Leistungsempfänger entrichteter Beträge binnen 7 Tagen beziehungsweise innerhalb eines Monats).103 Den unionsprivatrechtlichen Vorschriften zur Leistungszeit ist damit jedenfalls ein wichtiger Grundsatz gemein: Die Leistungszeit bestimmt sich mangels Parteivereinbarung regelmäßig mittels einer an den Vertragsschluss anknüpfenden Frist und lässt sich hierdurch immer an einem für beiden Seiten präzise bestimmbaren Moment festmachen. Der Begriff der reasonable time der PECL und UPICC ist im Zuge der Fälligkeit eines Primäranspruchs ungebräuchlich und spielt eher bei Sekundäransprüchen im Rahmen eines Nachfristerfordernisses eine Rolle, so z.B. in Art. 4 Abs. 3 RiL 90/314/EWG, sofern man reasonable notice als reasonable period auslegt.104 Es ist eine Ten102
Bis 1.1.2012 war diese Frist durch Parteivereinbarung verlängerbar, allerdings konnten ein Zahler und sein Zahlungsdienstleister nur eine Frist von maximal drei Geschäftstagen vereinbaren, siehe Art. 69 Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2007/64/EG. 103 Ähnlich war dies auch in Art. 8 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 97/5/EG (binnen 14 Bankgeschäftstagen). 104 Der Begriff führte jedoch zu gewissen Schwierigkeiten in der nationalen Umsetzung. So wurde er in einigen nationalen Rechten als „angemessene Frist“ übernommen, in anderen wurde eine bestimmte Fristdauer festgesetzt. Die Niederlande, Frankreich und Portugal gehen etwa von mindestens 7 Tagen vor Abreise aus, vgl. Art. 99 der Décret-loi 94-490, Art. 24
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denz erkennbar, die Leistungszeit bei fehlender vertraglicher Leistungszeitvereinbarung durch gesetzliche Rahmenvorgaben zu präzisieren. Die Bedeutung der Bestimmtheit der Leistungsfrist unterstreichen im Übrigen auch Überlegungen zur Klauselrichtlinie. So wurde in formularmäßigen Vereinbarungen im Anwendungsbereich der RiL 93/13/EWG, die von der 30tägigen Frist für die Erfüllung eines Fernabsatzvertrages nach Art. 7 Abs. 1 der RiL 97/7/EG (nun Art. 18 Abs. 1 RiL 2011/83/EU) abweichen, indem sie die Frist wesentlich überschreiten oder die Lieferfrist völlig unbestimmt lassen, ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 der RiL 93/13/EWG gesehen, da insbesondere letzterer Fall dem Verbraucher jegliche Klarheit darüber nimmt, wann seine Ware geliefert wird. 105 b. Bei Zahlungspflichten Dieses Ergebnis bestätigt sich auch in Ansehung der Zahlungszeit, da die Zahlungsverzugsrichtlinie (in der Fassung 2000/35/EG wie auch 2011/7/EU) mangels Parteivereinbarung sehr klare Vorgaben für den Eintritt von Rechtsfolgen bei verspäteter Zahlung enthält.106 Zwar konkretisiert die Richtlinie Abs. 1 und 2 des Decreto-Ley 198-93; Finnland von 48 Stunden, vgl. Art. 10 des Gesetzes 1079/1994 über Pauschalreisen vom 28.11.1994; Spanien von 15 Tagen, so Art. 5 Abs. 2 der Ley 21/1995 und Italien von 4 Werktagen, vgl. Art. 89 Abs. 1 des Codice del Consumo. Vgl. hierzu auch SCHULTE-NÖLKE/MEYER-SCHWICKERATH, in SCHULTE-NÖLKE/TWIGGFLESSNER/EBERS, Consumer Law Compendium – Comparative Analysis, Version 12.12.2006, S. 279 f. 105 MICKLITZ, in REICH/MICKLITZ, § 15 Fernabsatz, S. 598. 106 Auch hier sind abweichende Vereinbarungen zwar grundsätzlich möglich, allerdings mit Einschränkungen. In der Richtlinienfassung 2000/35/EG dürfen abweichende Vereinbarungen nach den Umständen des Falles, der guten Handelspraxis und der Art der Ware und unter Berücksichtigung der Motive des Schuldners gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 RiL 2000/ 35/EG nicht als grob nachteilig für den Gläubiger anzusehen sein. Eine Fristverlängerung ist nach Erwägungsgrund 19 dann grob nachteilig, wenn sie in erster Linie dem Schuldner Kredit auf Kosten des Gläubigers zu verschaffen sucht. Eine vertragliche Vereinbarung des Zahlungstermins oder der Zahlungsfrist nach Art. 3 Abs. 1 lit. a muss also diesen Kriterien entsprechen. Im Falle eines groben Nachteils kann sich der Schuldner nach Satz 1 entweder nicht auf die Vereinbarung berufen oder macht sich schadensersatzpflichtig. Satz 3 regelt noch eine weitere Folge: Im Fall einer für den Gläubiger grob nachteiligen Vereinbarung greifen die gesetzlichen Bestimmungen ein, es sei denn, das nationale Recht sieht die Möglichkeit vor, dass das Gericht andere faire Bedingungen festsetzt. Das Verhältnis der Sätze 1 und 3 ist jedoch unklar, insbesondere, warum es in Satz 1 heißt, kann die Vereinbarung „entweder nicht geltend gemacht werden oder Schadensersatz verlangt werden“. Gesetzt den Fall, eine Vereinbarung ist grob nachteilig und der Gläubiger verlangt Schadensersatz, könnte streng genommen die Vereinbarung vom Schuldner nach Satz 1 geltend gemacht werden. Nach Satz 3 sind aber die gesetzlichen Bestimmungen anzuwenden oder gerichtlich festgelegte faire Bedingungen zugrunde zu legen. Hier fehlt es an Kohärenz. Die Richtlinienfassung 2011/7/ EU verdeutlicht und verschärft dies in ihrem Art. 7, der eine spezielle Schutzregelung vor nachteiligen Vertragsklauseln und Praktiken enthält.
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nicht ausdrücklich den Fälligkeitszeitpunkt einer Geldleistung, setzt diesen aber im Rahmen der Richtlinienvorgaben über die Festlegung der Zinspflicht voraus.107 Ein Rechtsfolgeneintritt wird mit einem für beide Parteien konkret messbaren Moment verknüpft. Ursprünglich sah der erste Richtlinienvorschlag108 eine klarere Regelung zur Fälligkeit einer Zahlungspflicht vor. Dort war eine dispositive Zahlungsfrist von 21 Tagen ab Rechnungsdatum vorgesehen.109 Alternativ sollte bei mangelnder Rechnung, bei unsicherem Rechnungsdatum oder im Fall der Rechnung vor Lieferung ab dem Lieferdatum der geschuldeten Güter oder dem Datum der Erbringung der geschuldeten Dienstleistung greifen. Zweck der Regelung sollte es sein, bei unklaren Abreden über den Fälligkeitstermin von Geldleistungen Rechtssicherheit zu schaffen. An diesen knüpfte dann ein Fälligkeitszins an. 110 Dieser ausdrückliche Fälligkeitszins wurde in der Richtlinie zu einem Verzugszins ausgestaltet: So spricht Art. 3 Abs. 1 lit. b i) - iv) der Fassung 2000/ 35/EG (Art. 3 Abs. 3 lit. b i) - iv) der Fassung 2011/7/EU) nicht mehr von der Fälligkeit der Zahlungspflicht, sondern enthält zum Zweck des Gläubigerschutzes lediglich dispositive Regelungen zum Eintritt des Zahlungsverzugs und zum Beginn der Zinspflicht.111 Außer im Fall einer anderweitigen vertraglichen Vereinbarung soll sich am mitgliedstaatlichen Grundprinzip der sofortigen Fälligkeit durch die Richtlinie nichts ändern.112 Da jedoch bei Zahlungsverzug Zinsen nur dann geltend zu machen sind, wenn der Schuldner den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten hat,113 lassen sich aus den Regelungen zum Beginn der Zinspflicht gleichwohl Rückschlüsse hinsichtlich der Fälligkeit von Geldleistungen ziehen: Es wird regelmäßig Zahlungsverzug vorliegen, wenn der Schuldner eine 30-tägige Zahlungsfrist verstreichen lässt; die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 1 lit. b RiL 2000/35/EG (Art. 3 Abs. 3 107
Art. 3 lit. c ii) RiL 2000/35/EG (nun Art. 3 Abs. 1 lit. b RiL 2011/7/EU) setzt für einen Zinsanspruch voraus, dass „der Gläubiger den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten hat“. 108 KOM(1998) 126 endg. 109 Art. 3 Abs. 1 lit. a und b des Vorschlags (KOM(1998) 126 endg.) lauteten: „(a) Der Fälligkeitstermin für die Forderungen darf 21 Tage ab Rechnungsdatum nicht überschreiten, sofern nach dem Vertrag oder den allgemeinen Geschäftsbedingungen nichts anderes bestimmt ist. (b) Liegt keine Rechnung vor, kann das Rechnungsdatum nicht mit Gewißheit bestimmt werden oder liegt das Rechnungsdatum früher als das Lieferdatum, so ist der Fälligkeitstermin ab dem Lieferdatum der Güter oder dem Datum der Erbringung der Dienstleistungen zu errechnen.“ 110 Vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. d des Richtlinienvorschlags (KOM(1998) 126 endg.); KNAPP, RabelsZ 63 (1999), S. 295 (324); PAHLKE, ERPL 4 (2000), S. 689 (695). 111 RIESENHUBER, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, § 17 Leistungsstörungen, S. 470. 112 SCHULTE-BRAUCKS, NJW 2001, S. 103 (105); LEIBLE in SCHULTE-NÖLKE/SCHULZE, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, S. 151 (155, 157). 113 Art. 3 Abs. 1 lit. c ii) RiL 2000/35/EG (Art. 3 Abs. 1 lit. b RiL 2011/7/EU).
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lit. b RiL 2011/7/EU) übernehmen damit zugleich die Rolle der Fixierung eines spätestmöglichen Fälligkeitszeitpunktes.114 Dass in der Zahlungsverzugsrichtlinie zugleich eine Fälligkeitsregelung gesehen wird, zeigen auch Ausführungen zum Verhältnis von Art. 3 Abs. 1 lit. b RiL 2000/35/EG (Art. 3 Abs. 3 lit. b RiL 2011/7/EU) zu Art. 58 CISG: 115 Grundlage der Richtlinienbestimmung ist eine 30-Tage-Frist, die sich an den durchschnittlichen Zahlungsfristen in den EU-Mitgliedstaaten orientierte, die im Mittel 39 Tage betrugen.116 Diese Frist kann zugleich als eine Art Konkretisierung einer Verpflichtung zur Geldleistung binnen „angemessenen Frist“ nach Rechnungseingang oder Lieferung der Güter verstanden werden. Sie fixiert die Obergrenze eines angemessenen Fälligkeitszeitpunkts. Die 30-Tage-Frist kann ab vier verschiedenen alternativen Zeitpunkten zu laufen beginnen: Art. 3 Abs. 1 lit. b i) RiL 2000/35/EG (Art. 3 Abs. 3 lit. b i) RiL 2011/7/EU) betrifft den Normalfall, in dem zunächst eine Leistung erfolgt und daran anschließend die Rechnung versandt wird. Entscheidend für den Fristbeginn ist der Eingang der Zahlungsaufforderung einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufforderung beim Schuldner der Geldleistung. Die Regelung des Art. 3 Abs. 1 lit. b ii) RiL 2000/35/EG (Art. 3 Abs. 3 lit. b ii) RiL 2011/7/EU) basiert auf dem Zeitpunkt des Empfangs der Sach- oder Dienstleistung bei unsicherem Zeitpunkt des Eingangs einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufforderung. Im Hinblick aus den „unsicheren Zeitpunkt“ des Rechnungseingangs bleibt die Bestimmung unpräzise. Gemeint ist der Fall, in dem der Eingang der Zahlungsaufforderung beim Schuldner entweder nicht erfolgt oder bestritten ist, Anknüpfungspunkt soll dann der Empfang der Güter oder Dienstleistungen sein. Es ist aber nicht nachvollziehbar, warum etwa dann, wenn der Zeitpunkt des Rechnungseingangs zwar streitig ist, unstreitig aber nach (und unter Umständen weit nach) Erbringung der Leistung lag, auf die Leistungserbringung abgestellt wird. Wie KREBS und NETH zeigen, könnte ein Schuldner dann mangels Klarheit über den genauen Zeitpunkt einer zeitlich weit nach der Leistungserbringung liegenden Eingangs einer Rechnung plötzlich rückwirkend seit mehreren Wochen in Verzug sein.117 Es wird daher vertreten, die Vorschrift teleologisch zu reduzieren und 114 115
SCHMIDT-KESSEL, ZNotP 1999, S. 95 (96). SCHLECHTRIEM/SCHWENZER, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 58
Rn. 1. 116
Die durchschnittlichen Zahlungsfristen betrugen in den skandinavischen Ländern im Mittel zwischen 19 und 27 Tagen, in den südlichen Ländern zwischen 65 und 94 Tagen, vgl. Europäisches Parlament, A5-0099/1999 endg., 13.12.1999, S. 1, 13, Bericht über den Zahlungsverzug im Handelsverkehr, ABl. C 216, 17.7.1997, S. 10, 13; SCHULTE-BRAUCKS, NJW 2001, S. 103 (104). 117 Beispiel: eine Lieferung erfolgt am 1.12.2000 und der Gläubiger kann nachweisen, dass der Schuldner eine Rechnung erhalten hat, allerdings ist unsicher, ob der Rechnungs-
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auf den Zeitpunkt des Empfangs der Sach- oder Dienstleistung nur dann abzustellen, wenn der Schuldner nicht nachweisen kann, dass der Eingang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufforderung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte.118 Weiter kann gem. Art. 3 Abs. 1 lit. b iii) RiL 2000/35/EG (Art. 3 Abs. 3 lit. b iii) RiL 2011/7/EU) auf den Zeitpunkt des Empfangs der Sach- oder Dienstleistung abzustellen sein, wenn die Rechnung oder gleichwertige Zahlungsaufforderung vor Leistungsempfang zuging. In diesem Fall soll ebenfalls auf den Empfang der Sachleistung abzustellen sein. Die Regelung begünstigt den Zahlungsschuldner, für den erst der Leistungserfolg eine Zahlungsaufforderung darstellt, nicht bereits die vor Leistung versandte Rechnung,119 sonst würde faktisch eine Vorleistungspflicht des Schuldners begründet. Die Regelung zeigt auch, dass eine Fälligkeit der Geldleistung vor Empfang der Leistung in der Regel nicht möglich sein wird. Entscheidender Anknüpfungspunkt für den Beginn der 30-Tage-Frist und damit letztlich den Verzugsbeginn ist die Leistungserbringung. Schließlich kann nach Art. 3 Abs. 1 lit. b iv) RiL 2000/35/EG (Art. 3 Abs. 3 lit. b iv) RiL 2011/7/EU) der Fristbeginn mit der Abnahme oder Überprüfung der Sach- oder Dienstleistung zusammenfallen, wenn ein solches Verfahren gesetzlich oder vertraglich vorgeschrieben ist und die Rechnung oder gleichwertige Zahlungsaufforderung dem Schuldner vor dem Zeitpunkt der Abnahme oder Überprüfung zugegangen ist. Findet eine Abnahme oder Überprüfung der Sachleistung, d.h. eine Feststellung der Vertragsmäßigkeit der geleisteten Güter, statt, kann eine Zahlungsaufforderung konsequenterweise erst dann ergehen, wenn das vorgeschriebene Verfahren bereits durchgeführt worden ist. Die Frist läuft hier ab dem Zeitpunkt, ab dem der Schuldner die Kontrolle über die Leistung ausüben konnte. Problematisch ist, was geschieht, wenn der Schuldner die Abnahme oder Überprüfung der Sachleistung verzögert. Nach einhelliger Meinung ergibt sich aus dem Zweck der Richtlinie, den Gläubiger vor wirtschaftlich belastenden Zahlungsverzögerungen zu schützen, dass in diesem Fall die Vorschrift keine Anwendung finden kann.120 Dies folge aus dem unionsrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbot, das seit den Entscheidungen Kefalas und Diamantis auch auf Richtlinien
eingang am 13. oder 14.3.2001 erfolgte. Bei wörtlicher Richtlinienauslegung wäre der Rechnungseingang unsicher und es wäre auf den Zeitpunkt der Lieferung der Ware, nämlich den 1.12.2000, abzustellen. Der Schuldner wäre dann seit 1.12.2000 in Verzug. Beispiel zitiert aus KREBS, DB 2000, S. 1769 (1700); vgl. auch NETH, Effizienz der EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, S. 61. 118 NETH, S. 62. 119 RIESENHUBER, § 17 Leistungsstörungen, S. 471. 120 SCHMIDT-KESSEL, NJW 2001, S. 97 (98); SCHULTE-BRAUCKS, NJW 2001, S. 105.
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Anwendung findet.121 Der Schuldner soll den Verzugseintritt nicht dadurch verzögern können, dass er seine erforderliche Mitwirkungshandlung unterlässt oder hinausschiebt.122 Es muss daher auf nationaler Ebene sichergestellt sein, dass die Abnahme beziehungsweise Kontrolle der Leistung innerhalb einer bestimmten Frist zu erfolgen hat und nach deren Ablauf fingiert wird.123 Es wird in den Regelwerken, die Ausführungen zur Leistungszeit machen, eine deutliche Tendenz zu einer präzisen Leistungszeitbestimmung erkennbar. Diesen Vorschriften lässt sich jedoch keine einheitliche Regel hinsichtlich einer Höchstfrist zur Leistung ableiten, wenngleich die 30-Tage-Frist in mehreren Regelwerken für die Zahlungsfrist und teils sogar für die Leistungsfrist verwendet wird.124 Die Höchsfrist hielt im Übrigen – als 1-Monats-Frist – auch in die Verbraucherkreditrichtlinie Einzug.125 Verzugszinsen kommen dort nur in Betracht, wenn der Gesamtkreditbetrag für die Dauer von mehr als einem Monat erheblich überschritten wird (Art. 18 Abs. 2). 3. Berechnung von Fristen und Terminen Die Fristberechnung für Leistungszeitbestimmungen wird vom europäischen Gesetzgeber in den entsprechenden Rechtsakten mitgeregelt, wie etwa in Art. 3 Abs. 1 lit. a RiL 2000/35/EG (Art. 3 Abs. 3 lit. a RiL 2011/7/EU; Zinszahlungspflicht „ab dem Tag […], der auf den vertraglich festgelegten Zahlungstermin oder das vertraglich festgelegte Ende der Zahlungsfrist folgt“). Auch in Art. 7 Abs. 1 der RiL 97/7/EG hieß es „ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der Verbraucher seine Bestellung aufgegeben hat.“ Gem.
121
EuGH, Rs. C-373/97, Diamantis, 23.3.2000, ZIP 2000, 663; EuGH, Rs. C-367/96, Kefalas, 12.5.1998, Slg. 1998, I-2843. „Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht gestattet (…)“, siehe Rn. 20. Ob das Verbot des Rechtmissbrauchs als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts eingeordnet werden kann, ist umstritten; pro: EuGH, Rs. C-367/96, Kefalas, 12.5.1998, Slg. 1998, I-2843, GA LA PERGOLA in Rs. C 217/97, Centros, 9.3.1999, Slg. 1999, I-1459, Rn. 20. Dazu im Einzelnen: SCHMIDT-KESSEL, JbJZivRWiss 2000, 2001, S. 61 ff. 122 SCHMIDT-KESSEL, JbJZivRWiss 2000, 2001, S. 61 ff. (80). 123 SCHMIDT-KESSEL, NJW 2001, S. 97 (98). 124 Selbst die für den Entschädigungsanspruch nach Art. 14 der Verordnung 1371/ 2007/EG über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr im ursprünglichen Entwurf KOM(2004) 143 und im Gemeinsamen Standpunkt des Rates, COD 2004/0049 vorgesehene 14-Tages Frist wurde im Art. 15 Abs. 2 der Legislativen Entschließung des Parlaments Dok. P6_TA (2007) 0005, KOM(2007) 79 auf eine einMonats-Frist erhöht. Dies wurde in Art. 17 Abs. 2 der Endfassung übernommen. 125 Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. L 133, 22.5.2008, S. 66 ff.
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Art. 18 Abs. 1 RiL 2011/83/EU berechnet sich die 30-Tage-Frist nun „nach Vertragsschluss“. Ähnliches bestimmt als allgemeinen Grundsatz auch Artikel 3 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung 1182/71/EWG126, nach dem bei der Berechnung einer nach Tagen bestimmten Frist der Tag nicht mitgerechnet wird, in den das Ereignis oder die Handlung fällt.127 Der Verordnung 1182/71/EWG lassen sich im Übrigen weitere Grundregeln für die Festlegung von Fristen und Terminen entnehmen. So folgt etwa aus Art. 3 Abs. 2 lit. b der Verordnung, dass eine nach Tagen bemessene Frist am Anfang der ersten Stunde des ersten Tages beginnt und mit Ablauf der letzten Stunde des letzten Tages der Frist endet. 4. Rechtzeitigkeit der Leistungshandlung oder des Leistungserfolges? Die klassische Problematik, ob es bei der Verzögerung einer Leistung auf die Verspätung der Leistungshandlung oder des Leistungserfolges ankommt, wird, wie eingangs angesprochen, besonders im Transportrecht deutlich: Während Art. 6 VO 261/2004/EG für die Annahme einer Verspätung auf die Überschreitung der „planmäßigen Abflugzeit“ abstellt, soll nach Art. 19 MontrealÜ128 und Art. 3 Nr. 15 des geänderten Verordnungsvorschlages über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr129 darauf ankommen soll, dass der Reisende „nicht rechtzeitig am Zielort eintrifft“. Nach Art. 7 Abs. 1 Fernabsatzrichtlinie hatte der Unternehmer die Bestellung in spätestens 30 Tagen auszuführen. Unter Ausführung fiel auch die Übergabe an ein Speditonsunternehmen.130 Hier wurde die Unterscheidung zwischen Leistungshandlung und Leistungserfolg wie auch in der CISG relativ, denn Inhalt der Leistungspflicht war grundsätzlich nicht die Übergabe des geschuldeten Gegenstandes, sondern die Lieferung.131 Wie in der CISG ist – in der Terminologie des deutschen Rechts – der Leistungserfolg bereits eingetre-
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VO 1182/71/EWG des Rates zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine (ABl. 1971, L 124, S. 1). 127 Vgl. auch ABl. C 51, 29.4.1970, S. 25. Die Verordnung wurde für die Rechtsakte des Rates und der Kommission konzipiert, enthält aber allgemeingültige Grundregeln über Fristen, Daten oder Termine. 128 Nach der deutschen Rechtsprechung zu Art. 19 MontrealÜ gilt etwa wie zur Vorgängervorschrift des Art. 20 WarschA 1955, dass eine Verspätung dann anzunehmen ist, wenn das befördernde Luftfahrzeug „nicht rechtzeitig am Zielort eintrifft,“ wobei sich die Rechtzeitigkeit nach dem zugrunde liegenden Vertragsverhältnis bemisst (i.d.R. flugplanmäßige Zusagen); vgl. hierzu OLG Frankfurt, TranspR 1984, 21; und TranspR 1993, 103 ff. 129 Nachweis oben Fn. 77. 130 MICKLITZ, in REICH/MICKLITZ, § 15 Fernabsatz, S. 598. 131 Mit Ausnahme der Lieferung „an einen anderen Ort“, Art. 31 CISG.
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ten, wenn die geschuldete Ware dem Spediteur übergeben wird.132 In Art. 18 Abs. 1 RiL 2011/83/EU ist dies nun anders. Hier heißt es, der Unternehmer liefert die Waren, „indem er den physischen Besitz an den Waren oder die Kontrolle über die Waren dem Verbraucher überträgt“. Auch die Frage, ob für die Nichteinhaltung der Zahlungsfrist und mithin die Annahme des Zahlungsverzugs auf den Nichteintritt der Leistungshandlung oder des Leistungserfolges ankommt, scheint im letzteren Sinn geklärt. Betrachtet man den Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 c ii) der RiL 2000/35/EG, dann heißt es dort: „Der Gläubiger ist berechtigt, bei Zahlungsverzug Zinsen insoweit geltend zu machen, als er […] ii) den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten hat […].“ Auch Art. 3 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/ 7/EU bestätigt dies; dort heißt es: „[...] der Gläubiger hat den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten [...]“. Der Verzugseintritt setzt danach einen Nichteintritt des Leistungserfolgs, hier konkreter des Zahlungserfolgs, voraus, und Rechtsfolgen in Form eines Zinsanspruchs greifen dann, wenn der Zahlungserfolg nicht rechtzeitig eingetreten ist. Die Frage, ob die rechtzeitige Vornahme der Leistungshandlung die Zahlungsverzugsfolgen verhindern kann, ist in jüngerer Zeit vom EuGH entschieden worden. Das Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Köln vom 14. Juli 2006 betraf die Frage, ob eine nationale Norm mit Art. 3 Abs. 1 lit. c ii) der Richtlinie 2000/35/EG in Einklang steht, nach welcher der Zeitpunkt der Erteilung eines Überweisungsauftrags statt des Zeitpunkts der Gutschrift den Verzugseintritt vermeiden oder einen bereits eingetretenen Schuldnerverzug beenden kann.133 Der EuGH legte Art. 3 Abs. 1 lit. c ii) der Richtlinie 2000/ 35/EG so aus, dass bei einer Zahlung durch Banküberweisung der geschuldete Betrag dem Konto des Gläubigers rechtzeitig gutgeschrieben sein muss, wenn das Entstehen von Verzugszinsen vermieden oder beendet werden soll. Eine Verspätung liegt also dann vor, wenn der Gläubiger nicht rechtzeitig über den geschuldeten Betrag verfügt, wie die Verwendung der Begriffe „erhalten“, „reçu“,
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Vgl. zum Begriff der Lieferung im UN-Kaufrecht auch SCHMID, Der Schuldnerverzug,
S. 95. 133
Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Köln vom 14. Juli 2006, Rechtssache C-306/06 (01051 Telekom GmbH gegen Deutsche Telekom AG) mit folgender Vorlagefrage: „Steht eine nationale Regelung, dass es für die den Eintritt des Schuldnerverzugs vermeidende oder den eingetretenen Schuldnerverzug beendende, per Banküberweisung abgewickelte Zahlung nicht auf den Zeitpunkt der Gutschrift des Betrages auf dem Gläubigerkonto, sondern auf den Zeitpunkt des von dem Schuldner bei ausreichender Kontodeckung oder entsprechendem Kreditrahmen erteilten und von der Bank angenommenen Überweisungsauftrags ankommt, in Einklang mit Art. 3 Abs. 1 lit. c ii) der Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.06.2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr?“
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
„ricevuto“ zeigt.134 Dies lässt sich auch mit dem Zweck der Richtlinie erklären, die den Gläubiger schützen und ihm seinen Anspruch sichern will.135 Auch aus der Überweisungsrichtlinie 97/5/EG, die ebenfalls die Voraussetzungen eines Zinsanspruchs regelte, ließ sich schließen, dass es für die Annahme einer Nichtleistung auf den Nichteintritt des Leistungserfolges ankommen sollte.136 Eine Nichtleistung war zum einen aus der Sicht des Auftraggebers gem. Art. 6 Abs. 1 die Nichtausführung der Überweisung durch sein Institut auf das Konto des Instituts des Begünstigten innerhalb der vereinbarten Frist oder innerhalb des in Art. 1 genannten Fünf-Tage-Zeitraums, und zum anderen aus der Sicht des Begünstigten gem. Art. 6 Abs. 2 die fehlende Gutschrift des Überweisungsbetrags innerhalb der vereinbarten Frist seitens seines Instituts auf seinem Konto. Deutlich zeigte sich dies in Art. 6 Abs. 1 und 2 der RiL 97/5/EG: Wurde „die vereinbarte Frist nicht eingehalten oder ist der Betrag, sofern keine Frist vereinbart wurde, […] dem Konto […] noch nicht gutgeschrieben worden,“137 so hatte das Institut eine Entschädigung in Form von Zinsen zu zahlen. Für dieses Ergebnis spricht im Übrigen auch die Rechtsprechung des EuGH, wenn es darum geht, ob Mitgliedstaaten ihrer Verpflichtung nachkamen, einen bestimmten Geldbetrag an die Kommission zu zahlen. Auch hier kommt es auf den Zahlungseingang an.138 5. Leistung vor Fälligkeit Aus Art. 16 der Verbraucherkreditrichtlinie139 kann ferner der Hinweis entnommen werden, dass eine Leistung vor Fälligkeit jedenfalls dann möglich ist, wenn es sich um eine auf eine Geldzahlung gerichtete Leistung handelt. Art. 16 sieht ausdrücklich die gänzliche oder teilweise vorzeitige Rückzahlung der Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag vor. III. Mahnungserfordernis 1. Bei Leistungspflichten Bislang enthielt das Unionsprivatrecht kein ausdrückliches Mahnungserfordernis. Dies war kaum verwunderlich, denn die Regelwerke beruhten weitgehend auf konkreten Vorgaben zur Leistungszeit und knüpften daher Rechts134
EuGH, Rs. C-306/06, 01051 Telekom, 3.4.2008, Slg. 2008, I-1923, Rn. 33, 23. A.a.O., Rn. 26. 136 Zur fortbestehenden Bedeutung der mittlerweile aufhebobenen Richtlinie 97/5/EG für die Prinzipienbildung im Unionsprivatrecht siehe bereits oben, § 2, Fn. 72. 137 STAUDER, in Liber amicorum REICH, S. 585 (593); OHLER, Art. 6 ÜberweisungsRiL, Rn. 6. 138 EuGH, C-363/00, Kommission/Italien, 12.6.2003, Slg. 2003 I-5767, Rn. 42 f., 46. 139 Nachweis oben Fn. 126. 135
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folgen an eine Leistungszeitvereinbarung oder einen Fall des dies interpellat, die auch im nationalen Recht die Mahnung regelmäßig entbehrlich machen.140 Teils wurde in Art. 7 Abs. 1 der Fernabsatzrichtlinie sogar ein Mahnungsverzicht bei Leistungspflichten gesehen. Die Vorschrift verpflichtete den Lieferer, die Bestellung des Verbrauchers spätestens 30 Tage nach dem Tag auszuführen, der auf den Tag folgt, an dem der Verbraucher dem Lieferer seine Bestellung übermittelt hat. Zwar konnte hier wie bei der Zahlungspflicht angenommen werden, dass mit Ablauf der 30-Tage-Frist eine rechtsrelevante Verzögerung eintreten soll.141 Der Schluss auf einen Mahnungsverzicht war indes spekulativ, denn erstens ging es auch hier um einen Fall gesetzlich bestimmter Lieferfrist, mithin um einen Fall des dies interpellat, für den traditionell auch nach nationalen Rechten ein Mahnungserfordernis entfällt. Zudem enthielt die Richtlinie in dieser Hinsicht keine weitergehenden konkreteren Regelungen oder Hinweise zum „Verzug“, die einen solchen Schluss zuließen. Die Richtlinie 2011/83/EU hat dies nun ausdrücklich anders geregelt. Die Lieferung hat hier, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nach Art. 18 Abs. 1 unverzüglich, jedoch nicht später als 30 Tage nach Vertragsschluss zu erfolgen. Ist der Unternehmer seiner Lieferpflicht nicht innerhalb der vereinbarten oder in Art. 18 Abs. 1 geregelten Frist nachgekommen, „fordert ihn der Verbraucher auf, die Lieferung innerhalb einer den Umständen angemessenen zusätzlichen Frist vorzunehmen“. Hier handelt es sich zwar um eine Nachfristsetzung als Voraussetzung späterer Vertragsaufhebung im Fall fortbestehender Nichtleistung, diese beinhaltet jedoch zugleich eine an den Lieferer gerichtete Mahnung, seine Leistung zu erbringen. 2. Bei Zahlungspflichten Auch aus der Zahlungsverzugsrichtlinie lässt sich nicht generell ein Verzicht auf ein Mahnungserfordernis ableiten, da dort Rechtsfolgen an eine Leistungszeitvereinbarung oder einen genau vorgegebenen gesetzlichen Zeitrahmen anknüpfen. Eine Mahnung als Voraussetzung für den Eintritt von Rechtsfolgen wird hierdurch ohnehin entbehrlich.142 Zahlungsverzug tritt also nach
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Siehe nur das Beispiel des § 286 Abs. 2 BGB. Zu den nationalen Unterschieden insbesondere im französischen Rechtskreis vgl. aber unten Teil 2, Kap. 7, § 2 II, V. 141 LEIBLE, in SCHULTE-NÖLKE/SCHULZE, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, S. 151 (155 f.). 142 Siehe Art. 3 Abs. 1 lit. b RiL 2000/35/EG und nun Art. 3 Abs. 1 RiL 2011/7/EU. Ziel der Richtlinie ist es gerade, regelmäßig dann automatisch Verzug anzunehmen, wenn der Schuldner die Zahlungsfrist von 30 Tagen verstreichen lässt; HÄNLEIN, EuZW 2000, S. 680 (682).
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Ablauf der 30-Tage-Frist143 und bei vereinbartem Zahlungstermin144 mit dessen Ablauf ein, ohne dass hierfür eine Mahnung erforderlich ist.145 Das Gleiche gilt für den pauschalen Beitreibungskostenersatz in der Neufassung der Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7/EU. Deren Art. 6 Abs. 1 gewährt einen Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrags von 40 Euro zur Abgeltung von Beitreibungskosten, der grundsätzlich „ohne Mahnung“ zu zahlen ist, wenn ein Anspruch auf Verzugszinsen besteht.146 Der Begriff Mahnung ist hier ohnehin eher untechnisch zu verstehen, d.h. nicht im Sinn eines rechtsfolgenauslösenden Akts. Vielmehr soll der Gläubiger ohne weitere Handlung seinerseits automatisch den Pauschalbetrag erhalten. Ähnliche Erwägungen zum Mahnungsverzicht lassen sich auf der Basis der Überweisungsrichtlinie 97/5/EG anstellen.147 Art. 6 Abs. 1 Satz 2 RiL 97/5/EG sah vor, dass die Bank des Auftraggebers diesen zu entschädigen hatte, wenn entweder die vereinbarte Frist nicht eingehalten wurde oder die Überweisung am Ende des fünften Bankgeschäftstags nach Auftragsannahme noch nicht der Empfängerbank gutgeschrieben wurde. In gleicher Weise hatte auch die Empfängerbank den Begünstigten gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 bei Fristversäumnis zu entschädigen. Der Anspruch auf Entschädigung entstand nach Art. 6 Abs. 1 oder 2 mit fruchtlosem Fristablauf ohne Mahnung. Allerdings wäre in diesen Fällen eine Mahnung praktisch kaum möglich gewesen, denn Überweisender und Überweisungsempfänger haben wenig Einblick in bankeninterne Vorgänge. Aus den genannten Richtlinienbestimmungen lässt sich daher nicht auf eine überwiegende Tendenz zu einem Mahnungsverzicht im Falle einer nicht festgelegten Leistungsfrist schließen. Abgesehen von der Tatsache, dass die Fälle der bestimmten und bestimmbaren Leistungszeit die Bedeutung der Mahnung ohnehin mindern, ist der Verzicht auf eine Mahnung in den genannten Fällen auch in Anbetracht der 143
In den Fällen des Art. 3 Abs. 1 lit. b i)-iv) RiL 2000/35/EG (jetzt Art. 3 Abs. 3 lit. b i)-iv) RiL 2011/7/EU). 144 Art. 3 Abs. 1 lit. a RiL 2000/35/EG (jetzt Art. 3 Abs. 3 lit. a RiL 2011/7/EU). 145 In der Fassung 2000/35/EG wurde der Verzicht auf das Mahnungserfordernis nur in Art. 3 Abs. 1 lit. b erwähnt („Ist der Zahlungstermin oder die Zahlungsfrist nicht vertraglich festgelegt, so sind Zinsen, ohne dass es einer Mahnung bedarf, automatisch zu zahlen“), galt aber nach überwiegender Ansicht gleichermaßen bei Versäumung des vereinbarten Zahlungstermins nach lit. a, SCHMIDT-KESSEL, NJW 2001, S. 97 ff. (98); SCHULTE-BRAUCKS, NJW 2001, S. 103 (105). A.A. jedoch offenbar HÄNLEIN, a.a.O. Dies wurde in der Richtlinienfassung 2011/7/EU nun klargestellt. 146 Siehe die anderen Sprachfassungen des Art. 6 Abs. 1 RiL 2011/7/EU: „sans qu’un rappel soit nécessaire“, „without the necessity of a reminder“, „senza che sia necessario un sollecito“, „sin necesidad de recordatorio“. 147 Zur fortbestehenden Bedeutung der mittlerweile aufgehobenen Richtlinie 97/5/EG zur Prinzipienbildung im Unionsprivatrecht siehe bereits oben § 2, Fn. 72.
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möglichen Rechtsfolgen in die richtige Relation zu setzen: Die Zahlungsverzugsrichtlinie regelt nur den Anspruch auf Zinsen und Beitreibungskosten, nicht das Verzugsrecht im Allgemeinen, d.h. den Liefer- und Leistungsverzug.148 Ähnliches galt für die Überweisungsrichtlinie. Der Zins ist hier in Gegenüberstellung zu dem aus dem kaufmännischen Verkehr bekannten und in nationalen Rechten häufig üblichen Fälligkeitszins zu sehen.149 Die Funktion der Mahnung, als dem vielgerühmten „humanen Element“ des Leistungsstörungsrechts150 kommt im Rahmen des Verzugs mit einer Geldzahlung ohnehin weniger zum Tragen, da im Allgemeinen der Grundsatz „Geld hat man zu haben“ gilt.151 Ein Mahnungsverzicht lässt sich auch nicht aus Art. 18 der Verbraucherkreditrichtlinie152 ablesen. Im Gegenteil sprechen die Informationspflichten bei erheblicher Überschreitung eines laufenden Kontos für die Dauer von mehr als einem Monat eher für ein Mahnungserfordernis. Der Kreditgeber hat das Vorliegen der Überschreitung, den betreffenden Betrag, den anwendbaren Sollzins sowie etwaige Vertragsstrafen, Entgelte oder Verzugszinsen unverzüglich und zudem schriftlich oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger mitzuteilen.153 Es handelt sich hier allerdings nicht um eine Mahnung im eigentlichen Sinn, sondern um eine bloße Schuldnerinformation, da an die Mitteilung selbst keine Rechtsfolgen geknüpft sind. Will man aus den Vorgaben des Unionsprivatrechts einen allgemeinen Verzicht auf eine Mahnung ableiten, ist daher Vorsicht geboten. Allerdings deuten die untersuchten Regelungen darauf hin, dass jedenfalls in einem Fall des dies interpellat die Mahnung entfällt. Weiter wird vom Unionsprivatrecht bei den ausführlich behandelten Zahlungsansprüchen kein Mahnungserfordernis vorgesehen. IV. Rechtsbehelfe im Leistungsstörungsrecht der EU Im Unionsprivatrecht finden sich in verschiedenen Regelwerken Normen zu allen bei Leistungsstörungen in Betracht kommenden Rechtsbehelfen. Teils betreffen sie unmittelbar Fälle der Leistungsverzögerung, teils sind sie im Zu148
So auch RIESENHUBER, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, § 17 Leistungsstörungen, S. 475, unter Berufung auf die von BUCHER, in DUFOUR et al., Mélanges Schmidlin, S. 407, (409) formulierte Beschreibung der Mahnung als „humanem Element“ des Vertragsrechts. 149 RIESENHUBER, a.a.O. 150 BUCHER, zitiert in Fn. 150. 151 Vgl. z.B. für das italienische Recht: „genus numquam perit“, Cass. 17.5.1980, n. 3256. Der Grundsatz „in illiquidis non fit mora“ wurde nicht in das italiensiche Recht übernommen, Cass. 20.5.1976, n. 1813; PESCATORE/RUPERTO, Codice Civile I, Art. 1219 Rn. 7. 152 Richtlinie 2008/48/EG vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102 des Rates. 153 Art. 18 Abs. 2 lit. a - d.
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sammenhang mit anderen Vertragsstörungen wie der Schlechtleistung geregelt. Ihnen können Grundentscheidungen zum Erfüllungsanspruch, zur Minderung, zum Rücktritt und zum Schadensersatzanspruch sowie zum Zinsanspruch bei verzögerter Geldleistung entnommen werden. 1. Erfüllungsanspruch Eine bedeutende Rolle kommt in vielen Regelwerken dem Erfüllungsanspruch zu. Dies überrascht nicht unbedingt, ist doch das Funktionieren des Marktes und die Förderung grenzüberschreitender Geschäftsvorgänge erklärtes Ziel des europäischen Gesetzgebers.154 Die Wirtschaftsteilnehmer sollen den Binnenmarkt nutzen und tun dies am effektivsten, wenn sie grenzüberschreitende Verträge schließen und diese auch tatsächlich durchführen.155 Die Präferenz des europäischen Gesetzgebers für den Erfüllungsanspruch tritt am deutlichsten in Art. 3 Abs. 2 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zutage, die bei mangelhaften Sachen in erster Linie dafür sorgen will, dass der Gläubiger der Sachleistung eine mangelfreie Leistung erhält.156 Diese Richtlinie ist insofern von zentralem Rang im unionsprivatrechtlichen acquis, als in ihr ausdrücklich ein einheitliches Rechtsbehelfssystem im Fall der Vertragsverletzung erkannt wird157, das über das eigentliche Verbraucherrecht hinaus wirkt: „[D]ie Kaufrechts-Richtlinie ist […] allgemeines Privatrecht.“158 Der Richtlinientext bestimmt die Rangfolge der bei Vertragswidrigkeit der Kaufsache zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe. Der Verbraucher hat zunächst entweder Anspruch auf unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist.159 Erst dann steht dem Verbraucher ein Recht auf angemessene Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung zu, wie Art. 3 Abs. 5 RiL 1999/44/EG zeigt.160 154
Ebenso, wenn auch im Ergebnis keinen allgemeinen Grundsatz des Erfüllungsanspruchs anerkennend: RIESENHUBER, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S. 537. 155 Auf eine ähnliche Begründung stützt sich GANDOLFI: „Im Interesse […] der Sicherung der Versorgung im europäischen Binnenmarkt haben wir sowohl bei ursprünglichen als auch bei später eintretenden Unregelmäßigkeiten verschiedene Arten der Heilung vorgesehen, um die Aufrechterhaltung des […] Vertrages zu ermöglichen“, Der Vorentwurf eines europäischen Vertragsgesetzbuchs, S. 1 f.. 156 Vgl. hierzu auch Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 1999/44/EG. 157 Mitteilung der Kommission zum Europäischen Vertragsrecht, Anhang 1, § 1.1., Anhang 3, § 2.1.4. 158 GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 40 (43). 159 Vgl. hierzu sogleich unter a. 160 Der Verbraucher kann aber eine angemessene Minderung des Kaufpreises oder eine Vertragsauflösung verlangen, wenn er weder Anspruch auf Nachbesserung noch auf Ersatzlieferung hat.
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Diese Regelung enthält nicht allein eine verbraucherschützende Komponente, denn für den Verbraucher wäre vielfach die schnelle Loslösung vom Vertrag die günstigere Variante. Die Richtlinie gestattet ihm dies gerade nicht, sondern lässt ihn auf Nachbesserung und Nachlieferung angewiesen sein, weil diese Ansprüche, „wenn sie in adäquatem Zeitraum erfüllt werden, dem Käufer all das geben, was er aushandelte, dem Verkäufer aber die Gewinnmarge aus dem Geschäft“ belassen und die Gewährleistungskosten reduzieren.161 Hinzu kommt auch ein marktrelevantes Argument: Ist eine Lösung für beide Parteien ökonomisch sinnvoll, ist sie es auch für den Markt. Umgekehrt führt eine Lösung, die nur für eine Partei günstig, für die andere jedoch auffallend nachteilig ist, durch die wirtschaftlichen Nachteile dieser Partei letztlich auch zu einer nachteiligen Marktsituation. Der Rechtsbehelfshierarchie der Richtlinie wohnt damit eine allgemeine leistungsstörungsrechtliche Grundentscheidung jenseits des Verbraucherschutzes inne. Zwar betrifft die Richtlinie nur solche „Vertragswidrigkeiten“, die im Zusammenhang mit der Beschaffenheit der Sache stehen162 und schafft damit per se auch keine generelle Regel für alle Formen der Leistungsstörung. Sie ist aber einer Generalisierung insofern zugänglich, als sich der gleiche Gedanke auch in anderen sektorspezifischen Instrumenten wiederfindet, allerdings dort eher in Form der Erfüllung durch Ersatzleistung. Die Bedeutung des Erfüllungsanspruchs zeigt sich nun auch in Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2011/83/EU, der bei Nichtlieferung ausdrücklich eine Nachfristsetzung vorschreibt. Wenn der Unternehmer seiner Lieferpflicht zum vereinbarten Zeitpunkt oder innerhalb der in Art. 18 Abs. 1 vorgesehenen Frist nicht nachkam, hat der Verbraucher ihn aufzufordern, binnen einer „angemessenen zusätzlichen Frist“ zu liefern. Bleibt die Lieferung weiter aus, kann der Verbraucher vom Vertrag zurücktreten. Eine Ausnahme von der Fristsetzungspflicht besteht nach Art. 18 Abs. 2 Ua 2 RiL 2011/83/EU nur, wenn „die Lieferung innerhalb der vereinbarten Frist unter Berücksichtigung aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände wesentlich ist oder wenn der Verbraucher dem Unternehmer vor Vertragsabschluss mitteilt, dass die Lieferung bis zu einem bestimmten Datum oder an einem bestimmten Tag wesentlich ist.“163
161
GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 40 (50). Vgl. zur ökonomischen Analyse der Richtlinie auch PARISI, Am.J.Comp.L. 52 (2004), S. 403 ff.; GÓMEZ, InDret 2001, n° 66. 162 Vgl. Art. 2 RiL 1999/44/EG. 163 Auch Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 97/7/EG, nach dem den Mitgliedstaaten im Rahmen des Fernabsatzes die Option belassen wurde, bei mangelnder Verfügbarkeit von Waren oder Dienstleistungen unter bestimmten Modalitäten vorzusehen, dass der Verbraucher eine qualitätsmäßig und preislich gleichwertige Ware oder Dienstleistung erhält, unterstrich bereits die Bedeutung, die das Unionsprivatrecht dem Erfüllungsanspruch zuschrieb.
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Ähnliches ergibt sich aus Art. 8 Abs. 1 lit. b und c der Flugverspätungsverordnung, der dem Reisenden bei Annullierung seines Fluges die Möglichkeit einer schnellstmöglichen Ersatzbeförderung gewährt. Die Fluggäste sollen nach Erwägungsgrund 12 der Richtlinie eine zumutbare anderweitige Beförderungsoption erhalten, wenn ihr Flug nicht wie vereinbart durchgeführt werden kann. Entsprechend sieht Artikel 8 alternativ neben einem Anspruch auf Erstattung in Art. 8 Abs. 1 lit. b und c einen Anspruch auf anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen entweder zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder vorbehaltlich verfügbarer Plätze zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes vor. Die besondere Rolle des Erfüllungsanspruchs zeigen auch die Vorschriften des Art. 4 Abs. 5 und 7 der Pauschalreiserichtlinie, die bei verschiedenen Vertragsstörungen sowohl vor als auch nach Abreise eine Präferenz für die Durchführung der Reise erkennen lassen: Vertragsstörungen in der Phase zwischen Vertragsschluss und Abreise, die durch erhebliche nachträgliche Änderungen164 an einem wesentlichen Bestandteil des Reisevertrages bedingt sind165, geben dem Verbraucher jeweils die Option, die Leistung unter geänderten Bedingungen oder eine zumindest gleichwertige Ersatzleistung zu erhalten. Gem. Art. 4 Abs. 5 Satz 1 Spiegelstrich 2 kann der Verbraucher über eine Zusatzklausel zum Vertrag, die die vorgenommenen Änderungen und ihre Auswirkung auf den Preis angibt, die eigentlich gebuchte Reise gleichwohl weitgehend erhalten.166 Bei Vertragsstörungen nach Abreise, die den Fall betreffen, in welchem der Veranstalter nicht in der Lage ist, einen erheblichen Teil der vorgesehenen 164
Gegen einseitige Änderungen des Vertrages bietet im Übrigen der Anhang der Klauselrichtlinie unter 1. lit. k durch eine Kontrolle von Leistungsänderungsvorbehalten zusätzlichen Verbraucherschutz: Ein Gewerbetreibender kann sich nicht standardmäßig vorbehalten, Merkmale der zu erbringenden Dienstleistung einseitig ohne triftigen Grund zu ändern. 165 Art. 4 Abs. 5 RiL 90/314/EWG. 166 Zudem hat der Verbraucher selbst im Fall der Stornierung der Reise durch den Veranstalter vor dem vereinbarten Abreisetag (Art. 4 Abs. 6) bzw. selbst nach Rücktritt gem. Art. 4 Abs. 5 einen Anspruch auf Teilnahme an einer gleichwertigen oder höherwertigen anderen Pauschalreise, wenn der Veranstalter bzw. Vermittler in der Lage ist, ihm eine solche anzubieten. Systematisch ergibt sich dieser Anspruch auf eine gleich- oder höherwertige Ersatzreise im erstgenannten Fall der erheblichen Änderung wesentlicher Vertragsbestandteile zwar erst nach Rücktritt des Verbrauchers vom ursprünglichen Reisevertrag und im Fall der Stornierung. Es handelt sich daher nicht um einen Anspruch auf Erfüllung des ursprünglichen Vertrages. Art. 4 Abs. 6 lit. a RiL 90/314/EWG zeigt jedoch gleichwohl die Bedeutung, die der europäische Gesetzgeber der vertraglichen Bindung der Parteien selbst in diesen Fällen einräumt: Wählt der Verbraucher diese Option, kommt es nämlich nicht zu einer Rückabwicklung durch Erstattung der vom Verbraucher aufgrund des ursprünglichen Vertrages gezahlten Beträge. Durch die Ausgleichspflicht des Veranstalters bei einem Abweichen des Qualitätsstandards der Ersatzreise nach unten bekommt er weitgehend die Leistung, die ihm im ursprünglichen Reisevertrag versprochen worden war.
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Leistungen zu erbringen, ist dieser jedenfalls verpflichtet, angemessene andere Vorkehrungen zu treffen, um für die weitere Durchführbarkeit der Pauschalreise zu sorgen. Dabei handelt es sich um einen Fall der Ersatzleistung. Nur wenn solche Vorkehrungen nicht getroffen werden können oder vom Verbraucher aus triftigen Gründen nicht akzeptiert werden, ist an Beendigung des Vertragsverhältnisses und Rücktransport des Reisenden zu denken. Auch aus dem Konzept der Klauselrichtlinie ergibt sich, dass das Unionsprivatrecht die vertragliche Bindung erhalten will.167 Da gem. Art. 6 der Klauselrichtlinie missbräuchliche Klauseln nicht automatisch zur Unwirksamkeit des Vertrages führen sollen, sondern nur zur Unbeachtlichkeit der jeweiligen Klausel, soll das vertragliche Band zwischen den Parteien trotz der Schwere illoyaler Vertragselemente erhalten werden, vorausgesetzt, er kann ohne die Klauseln Bestand haben. Erkennbar wird also ein ziemlich deutliches Bestreben des europäischen Gesetzgebers, bei Störungen des Vertragsverhältnisses der Vertragsbindung zwischen den Parteien und dem Erfüllungsanspruch eine zentrale Rolle einzuräumen: „[L]e maintien du contrat s’avère à n’en pas douter être une priorité.“168 a. Einschränkungen des Erfüllungsanspruchs Aus einigen Rechtsakten ergibt sich jedoch zugleich, dass der Erfüllungsanspruch nur unter der Einschränkung gewährt wird, dass die Erfüllung dem Schuldner auch möglich und verhältnismäßig ist. Aus Art. 3 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie folgt zunächst, dass der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen kann, sofern dies nicht „unmöglich oder unverhältnismäßig“ ist. Eine Abhilfe gilt nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 RiL 1999/44/EG nur dann als unverhältnismäßig, wenn dem Verkäufer Kosten verursacht würden, die in Anbetracht des Werts des Verbrauchsguts ohne Vertragswidrigkeit, unter Beachtung der Bedeutung der Vertragswidrigkeit und Erwägung alternativer Abhilfemöglichkeiten ohne
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Art. 6 Abs. 1 Hs. 2 RiL 93/13/EWG: „[Die Mitgliedstaaten] sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“ Der Grundsatz der Teilnichtigkeit gilt im Übrigen auch in den Bestimmungen zum EU-Wettbewerbsrecht, vgl. bereits EuGH, Rs. C-56/65, MBU, 30.6.1966, Slg. 1966, 281, 304 und EuGH, Rs. C-234/89, Delimitis, 28.2.1991, Slg. 1991, I-935. MICKLITZ, in REICH/MICKLITZ, Europäisches Verbraucherrecht, § 13 Missbräuchliche Vertragsklauseln, S. 518. 168 AUBERT DE VINCELLES/ROCHFELD, L’acquis communautaire, Les sanctions de l’inexécution du contrat, S. 36.
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher im Vergleich mit der alternativen Abhilfemöglichkeit unzumutbar wären. Eine weitgehende Ähnlichkeit zu Art. 3 Abs. 3 der RiL 1999/44/EG weist auch Art. 4 Abs. 7 Satz 2 1. Alt. der Pauschalreiserichtlinie auf: Ist dem Veranstalter weder die Erbringung eines erheblichen Teils der Leistungen nach Abreise noch das Treffen angemessener anderen Vorkehrungen zur weiteren Durchführung der Reise möglich, hat der Veranstalter für den Rücktransport des Reisenden zu sorgen und gegebenenfalls Schadensersatz zu leisten. Der Primäranspruch auf Vertragserfüllung ist dann ausgeschlossen. Eine in diese Richtung gehende Einschränkung enthält auch Art. 4 Abs. 6 der Pauschalreiserichtlinie, die etwa in dem Fall, in dem der Veranstalter die Reise vor dem vereinbarten Abreisetag storniert, den Anspruch auf Reiseteilnahme an einer andern gleich- oder höherwertigen Pauschalreise davon abhängig macht, ob der Veranstalter oder Vermittler ihm „tatsächlich eine solche anbieten können.“ b. Vorrang des Erfüllungsanspruchs Interessant ist zudem, dass das Unionsprivatrecht den Erfüllungsanspruch nicht nur als Option neben die Rückabwicklung des Vertrages stellt, sondern in Art. 3 Abs. 3 RiL 1999/44/EG eine deutliche Entscheidung zugunsten eines Vorrangs des Erfüllungsanspruchs getroffen hat. Der Verbraucher muss bei Mangelhaftigkeit der Kaufsache zunächst die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung in Form der Nachbesserung oder Ersatzlieferung verlangen. Weitere Rechtsbehelfsmöglichkeiten eröffnen sich dem Verbraucher allein unter dieser Prämisse.169 Grenze dieser Beschneidung der Schuldneroptionen bei Vertragsverletzung ist allein die Unmöglichkeit oder Unverhältnismäßigkeit der Naturalerfüllung.170 Für die (nachträgliche) Erbringung der Leistung, so wie diese im Vertrag vorgesehen war, bleibt dem Schuldner nach dem Nachfristmodell des Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44/EG grundsätzlich noch eine gewisse Zeitspanne, aber auch nur diese. Die Regelung sieht eine Nachbesserung oder Ersatzlieferung innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher vor. Wie eingangs erwähnt, ist diese Regelung kein Spezifikum des Verbraucherschutzrechts, da sie für den Verbraucher letztlich fast weniger vorteilhaft ist als für den Unternehmer: Aus seiner Sicht muss er dem Verkäufer zunächst einen Erfüllungsanspruch in Form der Nachbesserung oder Nachlieferung gewähren, obgleich er in vielen Fällen eher an der Vertragsaufhebung und 169
Art. 3 Abs. 5 RiL 1999/44/EG. Der Verbraucher kann danach eine angemessene Minderung des Kaufpreises oder eine Vertragsauflösung verlangen, wenn er weder Anspruch auf Nachbesserung noch auf Ersatzlieferung hat. 170 CARRASCO PERERA, ZEuP 2006, S. 552 (573).
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einem schnellen Erwerb bei einem anderen Unternehmer interessiert sein wird. Er hat in Kauf zu nehmen, dass seine Interessen primär durch nachträgliche vertragsgemäße Erfüllung befriedigt werden, statt durch Vertragsaufhebung, weil diese Variante zugleich den Verkäufer schützt, ihm seinen Geschäftsgewinn erhält171 und dies zugleich der Vertragserhaltung dient.172 Selbst innerhalb des Erfüllungsanspruchs, der dem Käufer nach seiner Wahl in Form der Nachbesserung oder Nachlieferung gewährt wird, ist das Wahlrecht des Käufers zugunsten des Verkäufers insoweit beschnitten, als die Wahl nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 RiL 1999/44/EG nicht unverhältnismäßig oder unzumutbar für den Verkäufer sein darf. Dies zielt insbesondere auf die Fälle ab, in welchen eine Rücknahme der Ware und ein Verkauf als „gebrauchte Ware“ zu erheblichen Verlusten des Verkäufers führen würden, eine Nachbesserung dieses Problem jedoch ohne Nachteil für den Käufer vermeidet.173 Der Vorrang des Erfüllungsanspruchs ist zudem gem. Art. 7 Abs. 1 RiL 1999/44/EG zwingendes Recht, von dem nicht durch Parteiabreden abgewichen werden kann. Die Regelung der Richtlinie trägt dem gegenüber der CISG neuen Gedanken Rechnung, dass eine Ersatzlieferung wegen der heutigen vereinfachten Transportmöglichkeiten und niedrigeren Transportkosten auch im grenzüberschreitenden Bereich wesentlich unproblematischer ist, als dies noch bei Schaffung des UN-Kaufrechts der Fall war.174 Diese Änderungen wirken sich auch auf die Rolle und Stellung der Rechtsbehelfe aus. Dass der Vorrang des Erfüllungsanspruchs das Potential zu einem auf eine abstraktere Ebene gehobenen unionsprivatrechtlichen Grundsatz hat, zeigte sich am Modellcharakter der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie für das allgemeine Leistungsstörungsrecht im deutschen Recht oder im reformierten ungarischen Zivilgesetzbuch.175 Weitere Staaten setzten die Richtlinie in das allgemeine Kaufrecht um176 und die Integration von Verbraucherrecht in das Privatrecht wird auch in anderen Staaten praktiziert.177 Diese Entscheidung für eine überschießende Richtlinienumsetzung beruht nicht nur auf einer Vermeidungsstrategie gegenüber der desintegrativen Wirkung des Richtlinienrechts für das 171
Vgl. oben unter 1 und GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 40 (50 f.). Grundmann/Bianca/BIANCA, EU-Kaufrechtsrichtlinie, Art. 3 Rn. 55. 173 GRUNDMANN, in GRUNDMANN/MEDICUS/ROLLAND, Europäisches Kaufgewährleistungsrecht – Reform und Internationalisierung des deutschen Schuldrechts, S. 281 (295 f.) 174 So SCHULZE, ZHR 2006, S. 155 (158). 175 Vgl. dort § 298 Abs. 1 ZGB. 176 Zur Umsetzung in das nationale Recht vgl. ERPL 2001, S. 157-480. 177 Vgl. etwa das Beispiel der Niederlande und skandinavischer Staaten; siehe insb. das niederländische Gesetz vom 6.3.2003 zur Anpassung des Nieuw Burgerlijk Wetboek an die Richtlinie 1999/44/EG; HONDIUS, VuR 1996, S. 295 ff. und DERS., in HEUSS, Neues Europäisches Vertragsrecht und Verbraucherschutz - Regelungskonzepte der Europäischen Union und ihre Auswirkungen auf die nationalen Zivilrechtsordnungen, S. 19 ff. 172
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
allgemeine Privatrecht,178 sondern durchaus auf bewussten Wertentscheidungen. Zudem gilt die Richtlinie für die zahlenmäßig am häufigsten geschlossenen Verträge in der EU,179 ihre Systematik wird hierdurch zur einer der am häufigsten angewandten im Binnenmarkt. Die strukturgebende Rolle des Kaufrechts ist im Übrigen nicht neu: Seit der bonae fidei iudicia des klassischen römischen Rechts entwickelt sich das gesamte Vertragsrecht am Beispiel des Kaufs fort.180 An dieser Vorgabe müssen sich auch einheitsrechtliche europäische Modelle messen lassen. Ein weiteres Argument für den Vorrang des Erfüllungsanspruchs im Unionsprivatrecht lieferte jüngst auch die Richtlinie 2001/83/EU. Nach ihrem Art. 18 Abs. 2 setzt die Vertragsaufhebung bei verzögerter Lieferung voraus, dass dem Lieferer vom Verbraucher eine angemessene Nachfrist gesetzt wurde. c. Modalitäten der Nachfrist Art. 3 Abs. 3 Satz 3 RiL 1999/44/EG schreibt wie auch Art. 18 Abs. 2 RiL 2011/83/EU das Angemessenheitserfordernis der Nachleistungsfrist im Unionsprivatrecht fest. Der Gebrauch dieses flexiblen Begriffs der „Angemessenheit“ entwickelt sich in vielen Regelwerken zu einem allgemeinen Grundsatz.181 Die Handhabung der Nachfrist in der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie unterscheidet sich jedoch insoweit von den gewohnten Pfaden, als dem Verbraucher keine Fristsetzungspflicht auferlegt wird. So sollte zwar auf nationaler Ebene zwingend abgesichert werden, dass die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt, der Verbraucher wurde aber nicht zum Akt der Fristsetzung verpflichtet. Anders ist dies in Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2011/83/EU. Hier hat der Verbraucher den Lieferer ausdrücklich „aufzufordern“, die Lieferung innerhalb einer angemessenen zusätzlichen Frist vorzunehmen. Auch in den nationalen Rechten wird dem Verbraucher die Setzung einer Frist meist zugemutet.182 178
Vgl. zu den desintegrativen Wirkungen des Unionsprivatrechts auf das nationale, insbesondere das österreichische Recht, LURGER, in FISCHER-CZERMAK/HOPF/SCHAUER, Das ABGB auf den Weg in das 3. Jahrtausend, S. 111 (insb. S. 121 ff.). 179 GRUNDMANN spricht hier von „fast 100%“ aller Kaufverträge, da die Richtlinie nicht nur für den grenzüberschreitenden Verkehr gilt, sondern für das Kaufrecht der Verbraucherkaufverträge insgesamt, AcP 202 (2002), S. 40 (45). 180 Aus der emptio venditio des römischen Rechts entwickelte sich überhaupt erst das auf dem Konsens der Parteien beruhende heutige Vertragsrechtssystem, ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 230 ff. Vgl. hierzu auch MAYER-MALY, in Mélanges Cannata, S. 327 ff. 181 Vgl. zu PECL und UPICC oben Teil 1, Kap.1, § 3 III 1b. 182 Vgl. §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 und 437 Nr. 3, 281 Abs. 1 BGB. Die §§§ 474 ff. BGB sehen insoweit keine Sonderbestimmung vor. Im österreichischen Recht wird hingegen auf-
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2. Minderung Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie enthält auch die deutlichste Regelung zur Minderung. In ihrem Art. 3 Abs. 2 und 5 gewährt sie dem Verbraucher ein Recht auf „angemessene Minderung“ des Kaufpreises in Bezug auf das betreffende Verbrauchsgut. Die Minderung ist nach dem Konzept der Richtlinie dem Erfüllungsanspruch nachrangig und steht, wie Art. 3 Abs. 5 zeigt, auf einer Ebene mit der Vertragsaufhebung. Sie ist als gleichrangige Alternative zum Rücktritt eine weitere Möglichkeit, den Vertrag in seiner ursprünglichen Form aufrechtzuerhalten und dabei den Nachteil des Sachleistungsgläubigers auszugleichen.183 Die Minderung kommt in Betracht, wenn der Verbraucher weder Anspruch auf Nachbesserung noch auf Ersatzlieferung hat oder der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat. Im Umkehrschluss aus Art. 3 Abs. 6 ist sie auch dann möglich, wenn die Vertragswidrigkeit des Verbrauchsgutes geringfügig ist. Aus Art. 3 Abs. 5 Spiegelstrich 3 ergibt sich allerdings, dass sie auch neben der Nacherfüllung möglich ist, wenn der Verkäufer nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher Abhilfe geschaffen hat. Eine Regelung zur Minderung wird zu Recht auch in Art. 4 Abs. 7 Satz 1 der Pauschalreiserichtlinie erkannt184, die jeweils für die Fälle, in denen eine Reisedienstleistung nicht in der vereinbarten Weise durchgeführt wurde, anordnet, dass dem Verbraucher gegebenenfalls eine Entschädigung zu zahlen ist, deren Höhe dem Unterschied zwischen dem Preis der vorgesehenen und der erbrachten Dienstleistungen entspricht. Die Terminologie „Entschädigung“ täuscht über den Charakter dieses Rechtsbehelfs, der in seinen Wirkungen dem der Minderung entspricht: Es geht dort um eine einseitige Ausgleichsverpflichtung des Schuldners wegen seines Zurückbleibens hinter dem geschuldeten Leistungsprogramm, deren Höhe durch den Preis der vorgesehenen Dienstleistung beschränkt ist.185 Unklar bleibt jedoch, ob Art. 4 Abs. 7 Satz 1 der Richtlinie eine eigene Haftungsnorm darstellt oder im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 2 zu sehen ist und die Möglichkeiten der Haftungsbefreiung nach Art. 5 Abs. 2, insbesondere der Fall der force
grund der Konzeption des § 932 ABGB keine Nachfristsetzung verlangt. § 932 ABGB unterscheidet sich von § 918 AGBG und dem Rücktritt bei Nichtleistung und sichert den Vorrang der Naturalerfüllung vor der Minderung und dem Rücktritt durch folgende Formulierung in seinem Abs. 3: „die Verbesserung oder der Austausch ist in angemessener Frist und mit möglichst geringen Unannehmlichkeiten für den Übernehmer zu bewirken“. 183 So auch AUBERT DE VINCELLES/ROCHFELD, L’acquis communautaire, Les sanctions de l’inexécution du contrat, S. 15. 184 So REMIEN, in SCHULTE-NÖLKE/SCHULZE, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, S. 139 (145). 185 A.a.O.
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majeure, auch hier greifen.186 Dies wird weder aus dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 7 Satz 1 und 2 noch aus Art. 5 Abs. 2 wirklich deutlich, ist jedoch ein entscheidender Unterschied. Entsprechend unterschiedlich ist die Umsetzung: Während beispielsweise das österreichische Recht bei fehlender Möglichkeit anderer Vorkehrungen i.S.d. Art. 4 Abs. 7 Satz 1 RiL 90/314/EWG auf die allgemeinen Vorschriften zur Schadensersatzhaftung verweist, geben andere Rechte einen ausdrücklichen Anspruch auf „Minderung“, wie etwa das finnische oder das deutsche Recht in § 651d Abs. 1 BGB. 187 Dabei ist im Fall des Art. 4 Abs. 7 Satz 1 RiL 90/314/EWG überdies interessant, dass eine Minderung auch dann in Betracht kommt, wenn ein erheblicher Teil der vertraglich vereinbarten Leistungen schlichtweg nicht erbracht wird und anders als nach kontinentaleuropäisch-römischer Tradition nicht nur dann, wenn die Erbringung der Leistung mangelhaft ist. Dem Unionsprivatrecht ist mit Art. 4 Abs. 7 Satz 1 RiL 90/314/EWG daher nicht nur die Minderung wegen mangelhafter Leistung, sondern auch wegen teilweiser Nichtleistung bekannt. Der generalisierende Ansatz des Art. 9:401 PECL ist auch im Richtlinienrecht angelegt. Weiter zeigt sich in Art. 4 Abs. 7 Satz 1 RiL 90/314/EWG wie bereits in Art. 3 Abs. 5 Spiegelstrich 3 RiL 1999/44/EG, dass die Minderung neben der „Nacherfüllung“ in Betracht kommt: In Art. 4 Abs. 7 Satz 1 heißt es, der Veranstalter unternimmt angemessene andere Vorkehrungen, damit die Pauschalreise weiter durchgeführt werden kann, und zahlt dem Verbraucher gegebenenfalls eine Entschädigung in Höhe des Preisunterschiedes zwischen der vereinbarten und der erbrachten Dienstleistung. In den genannten Fällen handelt es sich um ein Minderungsrecht im Rahmen spezieller Vertragstypen. Es wird bezweifelt, ob man daraus auf eine Minderung als allgemeinen, nicht auf bestimmte Vertragstypen beschränkten Rechtsbehelf schließen kann. REMIEN sieht keinen Anhalt für eine Erweiterung des Rechtsbehelfs der Minderung auf andere Fälle als die genannten, die in ihrem sachlichen Anwendungsbereich in etwa der auf das Kauf- und Werkvertragsrecht beschränkten Minderung nach deutschem Recht entsprechen.188 Jedenfalls steht das Unionsprivatrecht einer auf die Nichtleistung ausgeweiteten Regelung der Minderung wie in Art. 9:401 PECL aber nicht entgegen.
186
Zum Haftungsmaßstab vgl. insbesondere SCHULTE-NÖLKE/MEYER-SCHWICKERATH, in SCHULTE-NÖLKE/TWIGG-FLESSNER/EBERS, Consumer Law Compendium, S. 204, 206, 295 f., die unter Verweis auf unterschiedliche nationale Auffassungen von Art. 4 Abs. 7 RiL 90/314/ EWG eine Klarstellung fordern. 187 Siehe die Beispiele bei SCHULTE-NÖLKE/MEYER-SCHWICKERATH, a.a.O. 188 REMIEN, in SCHULTE-NÖLKE/SCHULZE, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, S. 139 (145).
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3. Zurückbehaltungsrecht Das Zurückbehaltungsrecht des Gläubigers findet in der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie trotz ihres an sich präzisen Rechtsbehelfskatalogs keine explizite Erwähnung. Allerdings wird es bei nicht geringfügigen Pflichtverletzungen gleichwohl aus den Vorgaben der RiL 1999/44/EG abgeleitet, um den Käuferschutz nicht unter das „allgemein übliche Schutzniveau“ absinken zu lassen.189 Für die unionsprivatrechtliche Anerkennung des Zurückbehaltungsrechts spricht auch das Verbot seines standardmäßigen Ausschlusses im Anhang der RiL 93/13/EWG unter 1 lit. o): Der Verbraucher darf nicht allen seinen Verpflichtungen nachkommen müssen, obwohl der Gewerbetreibende seine eigenen Verpflichtungen nicht erfüllt. Das Unionsprivatrecht kann jedoch nur dann den Ausschluss eines Rechtsinstituts verbieten, wenn es das Institut selbst anerkennt. Im Übrigen ist diesbezüglich das allgemeine nationale Schutzniveau bereits relativ hoch, denn nationale Rechte gewähren in der Regel als Vorstufe der Vertragsaufhebung auch ein Zurückbehaltungsrecht. In der CISG wird es ebenfalls nicht ausdrücklich geregelt, dort jedoch aus verschiedenen Vorschriften abgeleitet,190 so insbesondere aus Art. 58 CISG als Recht, die Kaufpreiszahlung zu verweigern, wenn die Ware nicht zum vereinbarten Zeitpunkt geliefert wird.191 4. Vertragsaufhebung a. Rücktrittsrecht Hier ist nicht nur die unionsprivatrechtliche Behandlung dieser Rechtfolge interessant, sondern auch die Frage, inwieweit und ab wann eine Vertragsaufhebung in Betracht kommt. Einige Richtlinien sehen ausdrücklich ein Recht vor, vom Vertrag zurückzutreten. Die Begriffe „Rücktritt“, „Vertragsaufhebung“ und „Vertragsauflösung“ werden jedoch in den verschiedenen Sprachfassungen der Richtlinien nicht einheitlich benutzt und entsprechen nicht unbedingt der Bezeichnung des entsprechenden Rechtsbehelfs des nationalen Rechts. In den deutschen Richtlinienfassungen ist teils von Rücktritt, teils von Vertragsauflösung die Rede.192 So bereitet insbesondere die französische im Vergleich zur deutschen Textfassung gewisse Schwierigkeiten,193 da das deutsche Konzept der Umwandlung des Vertrages in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis mit ex nunc189
Grundmann/Bianca/BIANCA, EU-Kaufrechtsrichtlinie, Art. 3 Rn. 81. WITZ, in SCHWENZER/HAGER, Festschrift Schlechtriem, S. 291 (293 ff.). 191 Vgl. insb. SCHLECHTRIEM/SCHWENZER, Kommentar zum einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 45, Rn. 22. 192 Vgl. Art. 4 Abs. 5 RiL 90/314/EWG und Art. 3 Abs. 5 RiL 1999/44/EG. 193 PEDAMON, Le contrat en droit allemand, Rn. 245, der die Unterschiede der Begriffe „Rücktritt“ und „résolution“ erörtert. 190
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
Wirkung dem französischen Konzept der résolution mit ex tunc-Wirkung nicht vergleichbar ist. In einigen Richtlinien wird zudem ausschließlich die vertragliche Rückabwicklung geregelt, ohne die Modalitäten der Vertragsaufhebung voranzustellen.194 Zudem verbergen sich die Rücktrittsgründe insbesondere im Reise- und Transportrecht wie im Fall der RiL 90/314/EWG hinter „beschönigenden“ Begriffen, die ihren eigentlichen Charakter als „klassische“ Leistungsstörung verschleiern.195 Interessant ist allein die Betrachtung der auf einer Leistungsstörung beruhenden Rücktrittsrechte. Außer Betracht sollen daher die abschlussbezogenen Rücktritts- oder Widerrufsrechte bleiben,196 die den Bereich der vorvertraglichen Informationspflichtverletzungen und den Schutz der schwächeren Partei in der Phase des Vertragsschlusses betreffen und nicht dem eigentlichen Leistungsstörungsrecht zuzuordnen sind.197 Die Untersuchung ersterer enthüllt auffallend ähnliche Grundsätze für verschiedene Vertragsstörungen. Gleich mehrere Vorschriften zum Rücktritt und zur Rückabwicklung enthält die Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen. Dabei ist die eigentliche Rücktrittsvorschrift in Art. 4 Abs. 5 Satz 1 Spiegelstrich der Pauschalreiserichtlinie198 ausschließlich auf Fälle der Änderungen von Vertragsbestandteilen vor der Abreise bezogen, weder auf die Verzögerung der Leistung noch auf bei Durchführung des Vertrages entstehende Störungen. Sie betrifft damit vor der eigentlichen Leistungszeit auftretende Vertragsstörungen und ihre Folgen, die gegebenenfalls in einem Rücktrittsrecht bestehen. Gleichwohl umfasst sie einen Fall, der etwa im dänischen Recht ausdrücklich als anticipatory breach umschrieben wird.199 So enthält Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie einen Hinweis auf eine unionsprivatrechtliche Umschreibung der zum Rücktritt berechtigenden Umstände. Der Verbraucher soll danach das Recht zum Rücktritt und zur Erstattung der von ihm bereits 194
So insbesondere in Art. 4 Abs. 6 der Richtlinie 90/314/EWG; vgl. auch die Beobachtungen von REMIEN, in SCHULTE-NÖLKE/SCHULZE, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, S. 139 (144). 195 So auch RIESENHUBER, § 17 Leistungsstörungen, S. 518: „Verschiedene Regelungen gehen davon aus, dass einzelne Leistungsstörungen geradezu Normalfälle darstellen.“ 196 Hierzu Art. 13 des geänderten Vorschlages für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbraucherkreditverträge und zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates, 7.10.2005, KOM(2005) 483 endg. 197 KALSS/LURGER, Rücktrittsrechte, 2001, S. 52 ff. sprechen von Informations-Rücktrittsrechten. 198 Die englische Fassung der Richtlinie spricht hier unklar von withdrawal, vgl. auch die Kritik von SCHULTE-NÖLKE/MEYER-SCHWICKERATH, in SCHULTE-NÖLKE/TWIGG-FLESSNER/ EBERS, Consumer Law Compendium, S. 283. 199 Vgl. § 16 des Gesetzes 472/1993. Dazu SCHULTE-NÖLKE/MEYER-SCHWICKERATH, in SCHULTE-NÖLKE/TWIGG-FLESSNER/EBERS, a.a.O., S. 285.
Kapitel 5: Unionsprivatrechtliches Leistungsstörungsrecht
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aufgewendeten Beträge haben, wenn sich nach Vertragsschluss eine „erhebliche Änderung an einem der wesentlichen Bestandteile des Vertrages, zu denen auch der Preis gehört“ ergibt. Nur „erhebliche“ Änderungen „wesentlicher“ Bestandteile des Vertrages – Preis oder Leistungskatalog – berechtigen zu einer Loslösung vom ursprünglichen Vertrag.200 Wann genau eine nachträgliche Änderung als erheblich zu betrachten ist, wird allerdings nicht näher definiert. Hinsichtlich einer Preisänderung wurde in den ursprünglichen Richtlinienentwürfen eine Erhöhung um 10% für erheblich gehalten.201 Hinweise auf die Rückabwicklung des Vertrages enthält die Richtlinie auch für den Fall der Annullierung der Reise vor Abreise, d.h. den Fall, in welchem der Veranstalter die geschuldete Leistung seinerseits verweigert,202 und der Nichterbringung eines erheblichen Teils der vereinbarten Reiseleistungen nach Abreise.203 Sieht man in ersterem einen Fall der Erfüllungsverweigerung, in letzterem einen Fall der Nichtleistung, zählen beide Störungen der Vertragsabwicklung zum Kern des Leistungsstörungsrechts. Von Rücktritt der benachteiligten Partei ist jedoch in diesem Zusammenhang nicht die Rede. Die Annullierung der Reise führt zu einem automatischen Erstattungsanspruch der vom Reisenden bereits erbrachten Gegenleistung. Die Nichtleistung eines erheblichen Teils der vertraglich vereinbarten Reiseleistungen bei fehlender Möglichkeit von Alternativvorkehrungen nach Reisebeginn oder die Zurückweisung von Alternativleistungen durch den Reisenden aus triftigen Gründen führt zu einer Rückgängigmachung des Vertrages durch Rücktransport des Reisenden zum ursprünglichen Abreiseort. Auch hier ist der Begriff der Erheblichkeit entscheidend. Art. 4 Abs. 7 Satz 2 greift nur dann, wenn ein erheblicher Teil der Leistungen entweder nicht oder nicht durch angemessene Ersatzleistung erbracht wird. Auch Art. 4 Abs. 6 und 7 Satz 2 enthalten damit zugleich eine unionsprivatrechtliche Umschreibung der zur Rückabwicklung eines Vertrages berechtigenden Umstände: Die vollständige Nichterbringung der Leistung sowie die Nichterbringung oder die nicht angemessene Ersatzleistung hinsichtlich erheblicher Teile der versprochenen Leistungen. Deutlicher ergibt sich auch aus Art. 6 Abs. 1 lit. c iii) der VO 261/ 2004/ EG, der zudem speziell für den Fall der Nichtleistung und der Leistungsver200
Dass der Rücktritt selbst im Fall einer wesentlichen Vertragsänderung nicht die einzige Option ist, wurde bereits erörtert: Sieht sich der Veranstalter vor der Abreise zu einer erheblichen Änderung wesentlicher Bestandteile des Vertrages gezwungen, bleibt dem Reisenden nach Art. 4 Abs. 5 RiL 90/314/EWG gleichwohl die Option der Erhaltung des Vertrages durch Einwilligung in eine Zusatzklausel zum Vertrag, die die vorgenommenen Änderungen und ihre Auswirkung auf den Preis angibt. 201 Grabitz/Hilf/Wolf/TONNER, Das Recht der Europäischen Union II, A 12, Art. 4, Rn. 27; Reich/Micklitz/MICKLITZ, § 18 Reiserecht, S. 686 f. Dies bestätigt sich auch weitgehend im nationalen Recht gem. § 651a Abs. 5 BGB reicht jedoch eine Erhöhung um 5%. 202 Art. 4 Abs. 6 RiL 90/314/EWG. 203 Art. 4 Abs. 7 Satz 2 RiL 90/314/EWG.
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
zögerung konzipiert ist, dass eine Loslösung vom Vertrag erst dann in Betracht kommt, wenn die Verzögerung einen gewissen Grad an Erheblichkeit erreicht hat, und nicht bereits dann, wenn die Leistungszeit verstrichen ist. Erst wenn die Verspätung des geplanten Fluges „mindestens fünf Stunden“ beträgt, hat der Reisende Anspruch auf die „Unterstützungsleistungen nach Art. 8 Abs. 1 lit. a,“ die in einem Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte oder für wegen Unrealisierbarkeit des ursprünglichen Reiseplans sinnlos gewordene zurückgelegte Reiseabschnitte sowie auf einen frühestmöglichen Rückflug zum Abflugort bestehen. Auch hier ist eine besondere Schwere der Leistungsstörung erforderlich, um der benachteiligten Partei die Loslösung vom Vertrag zu ermöglichen. Zugleich verbleibt dem Luftfahrtunternehmen eine Frist von fünf Stunden, um die geschuldete Leistung doch noch zu erbringen. Die Schwere der Verzögerung ist damit an ihre Dauer geknüpft und erst nach einer „Nachleistungsfrist“ erreicht sie die zur Vertragsaufhebung erforderliche Erheblichkeit. Auch die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie enthält eine deutliche und komplette Regelung zum „Vertragsauflösungs“verlangen204 des Verbrauchers, die die Idee der Nachleistung bestätigt. Der Verbraucher hat im Fall der Vertragswidrigkeit ein Recht darauf, sich vom Vertrag zu lösen, allerdings ausschließlich unter der Prämisse, dass ihm weder ein Anspruch auf Nachbesserung noch auf Ersatzlieferung zusteht oder der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist oder nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten Abhilfe geschaffen hat. Der Verbraucher kann also nur dann die Auflösung des Vertrags verlangen, wenn er dem Verkäufer Gelegenheit gegeben hat, seiner vertraglichen Verpflichtung durch gehörige Naturalerfüllung nachzukommen. Neben der bereits erörterten Fristgewährungspflicht vor Vertragsaufhebung lassen sich der Regelung zwei weitere wesentliche Aspekte entnehmen: Dieses Rücktrittsrecht ist nach den unionsprivatrechtlichen Vorgaben unabhängig von der Frage, ob der Verkäufer die Vertragswidrigkeit zu vertreten hat. Allerdings besteht die Option des Rücktritts nur unter einer weiteren wichtigen Einschränkung: Gem. Art. 3 Abs. 7 RiL 1999/44/EG soll dem Gläubiger der Rücktritt versagt bleiben, wenn die Vertragswidrigkeit geringfügig war.205 Inwieweit in dieser Einschränkung des Rücktrittsrechts auf nicht geringfügige Vertragswidrigkeiten in Verbindung mit dem generellen Nachfristerfordernis der Richtlinie ein wesentlicher Unterschied zur Lösung der CISG oder der PECL liegt, die prinzipiell im Fall der wesentlichen Vertragsverletzung (PECL: Nichterfüllung) und nur ausnahmsweise nach Nach204
Die deutsche Fassung spricht hier im Gegensatz zu etwa Art. 1 Abs. 2, 5 der Pauschalreiserichtlinie nicht von „Rücktritt“, sondern von „Vertragsauflösung“. 205 Art. 3 Abs. 5 RiL 1999/44/EG: „Bei einer geringfügigen Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher keinen Anspruch auf Vertragsauflösung“, vgl. hierzu auch BGH, VIII ZR 363/04, 14. Sep. 2005.
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fristsetzung206 (PECL: nach Nachfristsetzung bei Verzögerung der Leistung)207 zur Vertragsaufhebung berechtigen, ist umstritten. Die Meinungen reichen von einem „Unterschied von erheblicher praktischer Reichweite208 bis zur Annahme einer Deckungsgleichheit der Begriffe „wesentliche Vertragsverletzung“ und „nicht geringfügige Vertragswidrigkeit.“209 Die bereits erörterten Schwierigkeiten der Begriffsauslegung im Rahmen des Art. 25 CISG und des Art. 9:301 Abs. 1 PECL, der im Einzelnen differierenden Wesentlichkeitsbegriffen in europäischen und internationalen Modellen210 sowie der unterschiedliche Regel-Ausnahme-Mechanismus von CISG und europäischen Modellen können in der Praxis jedoch durchaus zu Anwendungsunterschieden führen. Die Kombination der Richtlinienlösung mit dem generellen Erfordernis der Nachfrist ist eine Lösung, die sich mit der Systematik des Einheitsrechts nicht deckt – Vertragsaufhebung nach Nachfrist, die bei nicht geringfügiger Vertragswidrigkeit ausgeschlossen ist, und Vertragsaufhebung bei wesentlicher Vertragsverletzung, die ausnahmsweise auch nach Nachfrist möglich ist, wenn es sich um eine Nichtleistung handelt. Es wurde bereits erörtert, dass der erste Weg nicht nur durch das Unionsprivatrecht vorgezeichnet ist, sondern angesichts der heutigen günstigeren Transportmöglichkeiten als generelle Regel für Nicht- und Schlechtleistungen eine praktikable Lösung scheint und dass die Lösung des UN-Kaufrechts als „möglicherweise in dieser Hinsicht nicht mehr ganz zeitgemäß“ angesehen wird.211 Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass der Rücktritt vom Vertrag erhebliche Abweichungen vom eigentlichen Vertragsinhalt voraussetzt und nach den Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie gegenüber dem Erfüllungsanspruch jedenfalls ausdrücklich nachrangig sein soll. Ein größerer Gleichlauf zwischen CISG und Unionsprivatrecht zeigt sich jedoch in Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2011/83/EU, der eine Regelung zum Rücktritt bei verspäteter Lieferung enthält. Der Rücktritt setzt das erfolglose Verstreichen einer angemessenen Nachfrist voraus. Diese entfällt nur dann, wenn sich der Unternehmer geweigert hat, die Waren zu liefern, oder wenn die Lieferung innerhalb der vereinbarten Frist „unter Berücksichtigung aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände wesentlich ist oder wenn der Verbraucher dem Unternehmer vor Vertragsabschluss mitteilt, dass die Liefe206
Art. 49 Abs. 1 lit. b CISG. Art. 9:301 Abs. 2 PECL. 208 SCHULZE, ZRP 2006, S. 155 (158). Vgl. zu den Schwierigkeiten bei der Interpretation des Richtlinienwortlauts auch FABER, Zur Richtlinie bezüglich Verbrauchsgüterkauf und Garantien für Verbrauchsgüter, JBl. 1999, S. 413 (427). 209 Grundmann/Bianca/BIANCA, EU-Kaufrechtsrichtlinie, S. 182 f.; ähnlich auch FLESSNER, in GRUNDMANN et al., Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 233 (243). 210 Vgl. neben Art. 25 CISG und Art. 9:301 Abs. 1 PECL und 7.3.1. Abs. 1 UPICC auch Art. 107 Abs. 1 CE. 211 SCHULZE, ZRP 2006, S. 155 (158). 207
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
rung bis zu einem bestimmten Datum oder an einem bestimmten Tag wesentlich ist.“ Hier werden zum einen die Fälle der Leistungverweigerung und des Fixgeschäftes umfasst, zum anderen wird wie in der CISG ein Wesentlichkeitskriterium eingeführt, das allerdings interessanterweise an „alle den Vertragsschluss begleitenden Umstände“ anknüpft und daher eher an Art. 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB erinnert als an Art. 25 CISG. b. Rücktrittserklärung Über die Form und Frist der Rücktrittserklärung schweigt die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, die sich in ihrem Art.3 Abs. 5 Satz 1 auf die Feststellung beschränkt, dass der Verbraucher die „Vertragsauflösung verlangen“ könne. Gleiches gilt für Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2011/83/EU. Informationen über die Frist im Zusammenhang mit der Rücktrittserklärung enthält hingegen die Pauschalreiserichtlinie. Diese bestimmt in Art. 4 Abs. 5 einerseits, dass der Veranstalter dem Verbraucher wesentliche Änderungen des Reisevertrages „so bald wie möglich“ mitzuteilen hat, um diesem die effektive Nutzung seines Rücktrittsrechts vom Reisevertrag zu ermöglichen.212 Der Inhalt dieser Mitteilung wird jedoch nicht genauer bestimmt.213 Andererseits hat der Verbraucher nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 den Veranstalter oder den Vermittler „so bald wie möglich“ darüber zu unterrichten, ob er vom Vertrag zurücktritt oder die Änderungen des Reisevertrags akzeptiert. Der Begriff „so bald wie möglich“ wird jedoch in beiden Fällen auf mitgliedstaatlicher Ebene unterschiedlich verstanden: In ersterem Fall wird in der nationalen Umsetzung entweder die gleiche Formulierung benutzt, eine sofortige Mitteilungspflicht gefordert214 oder eine Drei-Tage-Frist normiert.215 In letzterem Fall wird ebenfalls entweder die gleiche Formulierung in die nationalen Normen eingeführt, eine sofortige Mitteilungspflicht gefordert oder eine fixe Frist gesetzt, die je nach Mitgliedstaat zwischen 2 Werktagen und 8 Kalendertagen variiert.216 Hieraus lässt sich lediglich der Grundsatz ableiten, dass die Rücktrittserklärung zügig zu erfolgen hat. Gleiches gilt auch für Mitteilungen seitens der Partei, in deren Sphäre eine Vertragsstörung fällt. Dies bestätigt sich im Übrigen auch für die Anzeige von Vertragsstörungen durch den Verbraucher in 212
Diese Regel ist insbesondere in der französischen Fassung problematisch, denn dort ist von résiliation die Rede, die der résolution, die eigentlich hier gemeint ist, nicht entspricht. 213 Zu den unterschiedlichen Inhalten der Mitteilung in den einzelnen Mitgliedstaaten (ausdrücklicher Hinweis auf das Rücktrittsrecht) vgl. SCHULTE-NÖLKE/MEYER-SCHWICKERATH, in SCHULTE-NÖLKE/TWIGG-FLESSNER/EBERS, Consumer Law Compendium, S. 287. 214 Art. 91 Abs. 1 des italienischen Codice del Consumo. 215 Auf das Beispiel Luxemburgs verweisen SCHULTE-NÖLKE/MEYER-SCHWICKERATH, a.a.O., S. 286. 216 So z.B. in Italien: 2 Werktage, Art. 91 Abs. 2 des Codice del Consumo.
Kapitel 5: Unionsprivatrechtliches Leistungsstörungsrecht
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Art. 5 Abs. 4 der RiL 90/314/EWG: Jeder Mangel bei der Erfüllung des Vertrages ist dem Leistungsträger oder kumulativ oder alternativ dem Veranstalter und Vermittler „so bald wie möglich“ mitzuteilen. Es zeigt sich jedoch zugleich, dass die Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe in Ansehung der Zeit („so bald wie möglich“) zu erheblichen Auslegungsunterschieden und damit auch zu einer gewissen Rechtsunsicherheit führen kann. Die Form der Rücktrittserklärung spart Art. 4 Abs. 5 anders als Art. 5 Abs. 4 der RiL 90/314/EWG217 aus. Hinweise hierzu ergeben sich lediglich aus Art. 5 Abs. 1 der Timesharing-Richtlinie, wonach der Rücktrittsberechtigte dem Rücktrittsgegner den Rücktritt vor Fristablauf218 in einer nach nationalen Rechtsvorschriften nachweisbaren Form mitzuteilen hat. Ein Schriftformerfordernis schreibt die Richtlinie nicht vor, wie der EuGH ausdrücklich in der Rechtsache Travel Vac SL klargestellt hat.219 Auch Art. 5 Abs. 1 Satz 2, der zugleich bestimmt, dass die Absendung der Anzeige vor Fristablauf ausreicht, um die für den Rücktritt festgesetzte Frist zu wahren, steht dieser Annahme nicht entgegen, da die Vorschrift zwar für den Fall der schriftlichen Rücktrittserklärung gilt, eine solche jedoch nicht verlangt.220 c. Rückabwicklung Regeln zur Durchführung der Rückabwicklung nach Erklärung der Vertragsauflösung enthalten die Richtlinien eher in unkoordinierter Form. In einigen Texten ist nur von Rücktritt oder Vertragsauflösung, nicht aber von der anschließenden Rückabwicklung die Rede, andere sprechen wiederum die Rückabwicklung (oder „Erstattung“) an, sparen aber die Einzelheiten des Rücktritts aus. Die Verbrauchgüterkaufrichtlinie regelt die Rückabwicklung eines aufgelösten Vertrages nicht. Aus Art. 3 Abs. 5 ergibt sich allein das Vertragsaufhebungsrecht des Käufers. Die Konsequenzen des Vertragsaufhebungsverlangens bleiben einer Regelung durch die Mitgliedstaaten überlassen, die nach Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 1999/44/EG die Modalitäten der Durchführung der Vertragsauflösung im innerstaatlichen Recht festgelegen. So ändert das Unionsprivatrecht etwa an der Frage einer gerichtlichen Vertrags217
Dort heißt es, die Mängelanzeige habe „schriftlich oder in einer anderen geeigneten Form“ zu erfolgen. 218 Dies hat weiter gemäß den vertraglich festgelegten Modalitäten zu geschehen, die nach dem Anhang der Richtlinie (Buchstabe l) zwingend in den Vertrag aufzunehmen sind. 219 EuGH, Rs. C-423/97, 22.4.1999, Travel Vac SL ./. Manuel José Antelm Sanchis, Slg. 1999, I-2195, Rn. 50: „Die Richtlinie 85/577 verbietet einem Mitgliedstaat somit nicht, vorzuschreiben, dass die Rücktrittsanzeige formfrei ist, und ermöglicht es also, dass die Anzeige auch in einer eindeutigen Handlung besteht.“ 220 EuGH, C-423/97, 22.4.1999, Travel Vac SL ./. Manuel José Antelm Sanchis, Slg. 1999, I-2195, Rn. 51.
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aufhebung oder einer Vertragsaufhebung durch einseitige Gestaltungserklärung nach nationalem Recht grundsätzlich nichts.221 Bei einem Rücktritt im Anwendungsbereich der Pauschalreiserichtlinie wird zwar gem. Art. 4 Abs. 6 lit. b RiL 90/314/EWG zumindest noch der „Anspruch des Verbrauchers“ auf schnellstmögliche Erstattung aller vom Reisenden aufgrund des Vertrages gezahlten Beträge angeordnet. Eine detaillierte Rückabwicklungsregelung im Anwendungsbereich des Abs. 6 fehlt jedoch, wohl weil es sich hier um einen Rücktritt vor der Abreise handelt, Leistungen also allenfalls seitens des Verbrauchers geflossen sind. Eine im Zusammenhang mit der leistungsstörungsrechtlichen Rückabwicklung einzuordnende Vorschrift enthält hingegen Art. 4 Abs. 7 der Richtlinie 90/314/EWG, der den Fall der Nichterbringung eines erheblichen Teils der vertraglich vereinbarten Leistungen nach Abreise betrifft. Kann der Veranstalter keine Vorkehrungen treffen, um eine der vertraglich vereinbarten Leistung annähernde Leistung zu erbringen, oder werden diese vom Verbraucher aus triftigen Gründen nicht akzeptiert, hat der Reisende gegen den Veranstalter den Anspruch, ohne Preisaufschlag für eine gleichwertige Beförderungsmöglichkeit zu sorgen, mit der der Verbraucher zum Ort der Abreise oder an einen anderen mit ihm vereinbarten Ort zurückkehren kann. Eine weitere unionsprivatrechtliche Vorschrift, die von einer Rückerstattung gezahlter Beträge spricht, ist Art. 18 Abs. 3 Richtlinie 2011/82/EU. Im Fall des Rücktritts hat der Unternehmer dem Verbraucher „unverzüglich alle gemäß dem Vertrag gezahlten Beträge zurückzuerstatten“.222 Die Erstattung bereits erbrachter Geldleistungen regelt ferner auch Artikel 8 Abs. 1 der Flugverspätungsverordnung, ebenfalls ohne den Rücktritt vom Vertrag explizit zu erwähnen. Das Procedere der Erstattung wird hier detailgenau geregelt: Falls vom Fluggast Erstattung gewählt werden kann und gewählt wird, ist binnen sieben Tagen vollständige Erstattung der Flugschein221
Vgl. auch AUBERT DE VINCELLES/ROCHFELD, S. 27. So etwa jedenfalls im Grundsatz nach italienischem, französischem und englischem Recht. 222 Auch Art. 7 Abs. 2 der Fernabsatzrichtlinie sah die Erstattung geleisteter Anzahlungen mangels Erbringung der geschuldeten Leistung vor: Bei Nichterfüllung eines Vertrags durch den Lieferer wegen mangelnder Verfügbarkeit der bestellten Ware oder Dienstleistung sollte der Verbraucher die Erstattung geleisteter Zahlungen möglichst bald, in jedem Fall jedoch binnen 30 Tagen, verlangen können. Die Vorschrift sprach allerdings nicht von Rücktritt oder Vertragsaufhebung. Weil es im Rahmen dieses Rechtsbehelfs nach den Richtlinienvorgaben keiner Erklärung des Gläubigers bedurfte, sondern es sich offenbar um ein ipso iure eintretendes Recht des Bestellers für den Fall der Nichtverfügbarkeit der Leistung handeln sollte, war die tatsächliche Rechtsnatur dieses Rechts jedoch unklar. Die Konstruktion ähnelte eher einem bereicherungsrechtlichen Rückerstattungsanspruch als einer Rückabwicklung nach Rücktrittsrecht (so wohl auch REICH, EuZW 1997, S. 581 (586)). Festzuhalten ist, dass die Rückerstattung seitens des Lieferers möglichst bald, längstens jedoch nach 30 Tagen zu realisieren war. Auch hier galt also eine 30-Tages-Frist, die nun in der Richtlinie 2011/83/EU zugunsten der Verbraucher durch eine „unverzügliche Rückerstattung“ ersetzt wurde.
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kosten zu leisten, und zwar zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde. Die Erstattungspflicht greift für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, gegebenenfalls in Verbindung mit einem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Die Erstattung erfolgt durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung, durch Scheck oder, mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts, in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen. Eine ähnliche Regelung zur Erstattung des Fahrpreises enthält auch die Verordnung 1371/2007/EG über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr. Gem. Art. 16 lit. a223 kann der Fahrgast ab einem bestimmten Schweregrad der Verzögerung (mehr als 60 Minuten) optional die Erstattung des vollen Fahrpreises verlangen. Dies gilt hinsichtlich der Teile der Fahrt, die nicht durchgeführt werden konnten, sowie für die bereits durchgeführten Reiseteile, wenn die Fahrt für den Reisenden sinnlos geworden ist, und kann mit einer „Rückfahrt zum ersten Ausgangspunkt bei nächster Gelegenheit“ verbunden werden. Allerdings will man über Art. 16 lit. a Satz 2 i.V.m. Art. 17 Abs. 2 der Verordnung 1371/2007/EG im Gegensatz zu Art. 8 Abs. 1 lit. a der Verordnung 261/2004/EG dem Erstattungspflichtigen eine Frist von 30 Tagen gewähren. Ein sachlicher Grund für die unterschiedlichen Fristen ist jedoch nicht ersichtlich. 5. Schadensersatz und Zinsen a. Schadensersatz wegen Nichterfüllung und wegen Verzögerung Der Schadensersatzanspruch wird in vertragsrechtlichen Instrumenten des Unionsprivatrechts eher rudimentär behandelt. Der vertragsrechtliche acquis überlässt Details eines Schadenersatzes wegen Vertragsverletzungen mit Ausnahme des Transportrechts häufig dem nationalen Recht. Richtlinien, die konkretere Vorgaben zur Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs enthalten, sind entweder dem Bereich der außervertraglichen Haftung zuzuordnen oder betreffen nicht den Schadensersatz als spezifische Folge einer Leistungsstörung und sind für die Analyse eines leistungsstörungsrechtlichen Grundkonzeptes des Sekundärrechts daher weniger aussagekräftig.
223
Vgl. bereits die Fassung des Gemeinsamen Standpunktes, Dok 2004/0049, 3.7.2006 und die legislative Entschließung, Dok P6_TA (2007) 0005.
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Ein Beispiel für erstere ist die Produkthaftungsrichtlinie,224 die den vordringlichen Bereich der Schadensersatzansprüche gegen Hersteller fehlerhafter Produkte und vor allem die Problematik der Mangelfolgeschäden vereinheitlichte.225 Der EuGH nahm im Zusammenhang mit der Produkthaftungsrichtlinie in der Rechtssache Veedfald wichtige Konkretisierungen des Schadensumfangs vor und stellte klar, dass für materielle Schäden grundsätzlich eine angemessene und vollständige Entschädigung sichergestellt werden muss.226 Die Produkthaftungsrichtlinie ist aber nur begrenzt charakteristisch für die Problematik des Schadensersatzes wegen Vertragsverletzungen, da sie mit der Herstellerhaftung Bereiche außerhalb des eigentlichen Vertragsverhältnisses regelt. Ein Beispiel für letztere ist Art. 18 der Handelsvertreterrichtlinie.227 Aus der Norm lässt sich zwar ablesen, dass ein Schadensersatzanspruch nach Art. 17 der Richtlinie bei eigenem Fehlverhalten des Handelsvertreters ausgeschlossen sein soll. Auch diese Regelung ist jedoch im Rahmen des Leistungsstörungsrechts weniger signifikant, da sie den Fall des Schadensausgleichs nach Beendigung eines Vertragsverhältnisses betrifft. Einige Anhaltspunkte lassen sich dem vertragsrechtlichen Sekundärrecht gleichwohl entnehmen. Hierbei ist insbesondere interessant, inwieweit sich aus den unionsprivatrechtlichen Normen Hinweise auf eine unterschiedliche Behandlung von Ansprüchen auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung und „einfachem“ Schadensersatz ergeben. Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie enthält sich einer eigenen Regelung der schadensersatzrechtlichen Problematik und lässt gem. Art. 8 nationale Schadensersatzvorschriften unberührt. Sie trifft keine Aussage hinsichtlich der Position des Schadensersatzes im Kanon der Rechtsbehelfe. Der kaufrechtliche Schadensersatzanspruch, der im Rahmen der Richtlinie auch die Frage der Direktansprüche gegen die Produzenten betroffen hätte, galt als schwer harmonisierbar und nicht vordringlich harmonisierungsbedürftig.228 Allerdings lässt sich aus dem Zweck ihrer Regelungen ableiten, dass sie auch den Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder „statt der Leistung“ nicht als Option zum Erfüllungsanspruch gewähren will, da dies die von ihr vorgegebene 224
Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25.7.1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. L 210, 7.8.1985, S. 29. 225 Vgl. hierzu WHINCUP, Sales law and product liability – a business guide. 226 EuGH, Rs. C-203/99, Veedfald, Slg. 2001, I-3569, Rn. 27. 227 Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 382, 31.12.1986, S. 17-21). 228 Grundmann/Bianca/BIANCA, EU-Kaufrechtsrichtlinie, Art. 3 Rn. 77; HONDIUS, ZEuP 1997, S. 130 (136). Die Produkthaftungsrichtlinie deckt hier weite Bereiche der Produzentenhaftung ab.
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Rechtsbehelfshierarchie gefährden würde. Das Postulat der Nacherfüllung innerhalb einer angemessenen Frist würde obsolet, wenn dem Gläubiger sogleich Schadensersatz wegen Nichterfüllung zustünde. Der Vorrang der Naturalerfüllung muss sich daher nach der Logik der Richtlinie auch auf den Schadensersatz wegen Nichterfüllung erstrecken. Ähnliches sollte auch im Rahmen des Art. 18 der Richtlinie 2011/83/EU gelten. In ihrem Absatz 4 sieht die Vorschrift vor, dass dem Verbraucher andere, nach einzelstaatlichem Recht vorgesehene Rechtsbehelfe „zusätzlich“ zum Rücktrittsrecht zur Verfügung stehen können. Auch diese Regelung sollte in Anlehnung an obige Argumentation so zu verstehen sein, dass Schadensersatz wegen Nichterfüllung nur dann zur Verfügung steht, wenn die Voraussetzungen des Rücktritts bereits vorliegen. Konkretere Informationen zum Inhalt des vertraglichen Schadensersatzanspruchs enthalten allerdings Art. 4 Abs. 6 lit. b, Abs. 7 Satz 2 und Art. 5 der Pauschalreiserichtlinie. Die Richtlinie schafft unter den in Art. 4 Abs. 6 RiL 90/314/EWG genannten Prämissen die Voraussetzungen für einen Anspruch des Reisenden gegen den Veranstalter oder Vermittler auf Entschädigung „wegen Nichterfüllung oder mangelhafter Erfüllung des Vertrages“. Dabei wird zwischen Rechtsfolgen der Nichterfüllung und der mangelhaften Erfüllung grundsätzlich nicht differenziert, eine Gleichbehandlung der jeweiligen Störungsfälle also prinzipiell anerkannt.229 Einen als Schadensanspruch zu qualifizierenden „Ausgleichs“anspruch regeln auch Art. 4 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der VO 261/2004/EG, die dem Reisenden im Fall der Nichtleistung bei Verweigerung der Beförderung nach Art. 4 oder Annullierung des Fluges nach Art. 5 Anspruch auf Ausgleichszahlungen gewähren. Es handelt sich hierbei um eine sehr spezielle und in eine teils schwierige Systematik der Verordnung eingebettete Regelung, die für einen Fall konzipiert ist, in welchem mit Leistungsstörungen fast gewöhnlich gerechnet wird. Unter Annullierung versteht die Verordnung gem. Art. 2 lit. l die Nichtdurchführung des geplanten Fluges bei Vorliegen mindestens einer Platzreservierung. Der Anspruch nach Art. 7 ist schadens- und verschuldensunabhängig und in der Höhe je nach Flugstrecke unterschiedlich standardisiert. Dass es sich bei dem Anspruch um einen Schadensersatzanspruch handelt, zeigt ein Umkehrschluss aus Art. 12 Abs. 1, der unter Bezugnahme auf Art. 7 von weitergehendem Schadensersatz spricht und die Ausgleichsleistung auf diesen für anrechenbar erklärt. Für diese Annahme spricht auch Art. 5 Abs. 3, der im Fall außergewöhnlicher und trotz aller zumutbarer Maßnahmen unvermeidbarer Umstände eine Entlastungsmöglichkeit von der Ausgleichszahlungsverpflichtung vorsieht.
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Vgl. bereits oben unter § 2 I 1.
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Der Anspruch nach Art. 7 ist nach der Verordnung an sich nicht für den Fall der Verzögerung konzipiert, da die Verordnung zwischen Verzögerung in Art. 6 und Annullierung in Art. 2 lit. 1 und 5 unterscheidet, und der die Verspätungsfolgen regelnde Art. 6 mangels Verweisung i.S.d. Art. 7 Abs. 1 VO 261/2004/EG nicht auf die Vorschrift Bezug nimmt. Art. 7 betrifft in der Sache gleichwohl die Leistungsverzögerungsproblematik, wie Art. 7 Abs. 1 a.E. selbst klarstellt,230 da der Anspruch letztlich auch dann greifen soll, wenn der Passagier zwar nicht mit den ursprünglich geplanten Flug, wohl aber mit einem anderen Alternativflug verspätet am Ziel angelangt.231 Auslöser des Anspruchs ist jedoch allein eine Annullierung des ursprünglichen Fluges. Diese Trennlinie zwischen Annullierung und Verspätung nach der Verordnung erweist sich als eine rein technische und schwierige Aufgabe232 mit der sich der EuGH im Rahmen zweier Vorabentscheidungsersuchen zu befassen hatte.233 Nach Ansicht des EuGH kann ein verspäteter Flug nicht als annulliert angesehen werden, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung durchgeführt wird, selbst wenn er erheblich verspätet war. Allerdings werden Fluggäste verspäteter Flüge den Fluggästen annullierter Flüge insofern gleichgestellt, als ihnen der in Art. 7 vorgesehene Ausgleichsanspruch offenstehen soll, „wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen“.234 Durch die Anwendung des Art. 7 wird vermieden, dass vergleichbare Situationen willkürlich ungleich behandelt werden,235 da eine gravierende Verzögerung ohne Aufgabe der ursprünglichen Flugplanung in ihren Folgen einer Annullierung gleichgestellt wird. Luftfahrtunternehmen haben keinen Anreiz mehr, Flüge als „delayed“ und nicht als „cancelled“ zu behandeln, um Entschädigungsforderungen zu umgehen.236 Dies wird auch dem Schutzzweck 230
Die Norm geht davon aus, dass „[…] der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt.“ 231 Vgl. auch Art. 7 Abs. 2 VO 261/2004/EG. 232 Vgl. hierzu auch EuGH, Rs. 283/81, Cilfit, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257. 233 BGH, 17.7.2007, X ZR 95/06 und Handelsgericht Wien, zu Art. 2 und 5-7 VO 261/2004/EG; EuGH, Verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Sturgeon/Böck, Slg. 2009, I-10923. 234 EuGH, Verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Sturgeon/Böck, Slg. 2009, I-10923, Rn. 61. Bestätigend EuGH, Verb. Rs. C-581/10 und C-629/10, Nelson u.a., ECLI:EU:C:2012:657, Rn. 40. 235 Daher wurde bereits vor der Entscheidung des EuGH in der Rechtsprechung der deutschen Instanzgerichte eine lange Verzögerung teils als Annullierung gewertet (so AG Frankfurt a.M., 12.10.2006, aaO, nach 22 Stunden oder AG Rüsselsheim, 7.11.2006 - 3 C 717/06 (32), nach 48 Stunden) bzw. das Anderthalbfache der in Art. 6 Abs. 1 VO je nach Länge des Fluges angegebenen Zeiträume als Annullierung betrachtet (drei, viereinhalb oder sechs Stunden, so TONNER, RRa 2006, S. 278 f). 236 Vgl. hierzu auch die Kommissionsmitteilung vom 4. April 2007 an das Europäische Parlament und den Rat gemäß Artikel 17 VO 261/2004/EG über die Anwendung und die Ergebnisse der Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungs-
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der Verordnung besser gerecht, da nicht auf eine formale Trennung abgestellt wird, sondern auf das Ausmaß der Verspätung, das einen Ausgleich des Ärgernisses und der Unannehmlichkeiten rechtfertigt.237 Der EuGH gleicht die eher pauschale Betrachtung des Europäischen Gesetzgebers aus, der einer Annullierung schwerwiegendere Konsequenzen beimaß als einer Verspätung, obwohl die Folgen einer langen Verspätung gravierender sein können als die einer Annullierung mit eher unbedeutenden Verspätungsfolgen.238 Die Dauer der Verspätung als Kriterium für die Schwere des Schadens und die Schwere des Schadens als Maßstab für den Umfang der Leistung ist schon in der IATAEntscheidung239 anerkannt worden. Darin hatte der EuGH klargestellt, dass sich die nach der Verordnung zu gewährenden Leistungen und ihr Umfang nach der Schwere des Schadens, dem Ausmaß der Verspätung oder anhand der Frist bemessen, innerhalb welcher die Betroffenen von der Annullierung ihres Fluges erfahren.240 Die Vorlagen in Sturgeon und Böck gaben nicht nur interessante Hinweise auf die Problematik der tatbestandlichen Trennung zwischen Verzögerung und Annullierung, welche einmal mehr die Trennung in einzelne Leistungsstörungs„kategorien“ in Frage stellt, sondern insbesondere auch auf eine bei ausreichender Schwere erfolgende Gleichbehandlung der Verzögerung, der Annullierung und der Nichtbeförderung,241 d.h. auf das Umschlagen einer Verzögerung in eine Nichterfüllung bei ausreichender Relevanz des Zeitfaktors. Neben der Verordnung 261/2004/EG bietet sich auch das internationale Transportrecht und dort Art. 19 des Montrealer Übereinkommens für eine Analyse an. Danach haftet der Luftfrachtführer auch für Verspätungen auf Entschädigung, allerdings höhenmäßig begrenzt. Der Anspruch ist gleichwohl leistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen, dort unter 4.1.3.: „Unter anderem wurde die Befürchtung geäußert, dass Luftfahrtunternehmen Annullierungen nachträglich als große Verspätungen einstufen, um Ansprüche auf Ausgleichszahlungen zu vermeiden. Wenn Luftfahrtunternehmen in der Tat Annullierungen aus wirtschaftlichen Interessen zu großen Verspätungen erklären, um die Ausgleichszahlungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 nicht zahlen zu müssen, wäre nach Inkrafttreten der Verordnung mit einem Rückgang der Annullierungen und einem entsprechenden Anstieg der langen Verspätungen zu rechnen gewesen. Ein solcher Trend lässt sich aber nicht erkennen, andererseits besteht keine Gewähr, dass die Luftfahrtunternehmen Verspätungen und Annullierungen in den Statistiken in der gleichen Weise einstufen wie bei Entscheidungen über die im Rahmen der Verordnung zu zahlenden Ausgleichsleistungen.“ 237 Vgl. auch Erwägungsgrund 12 der VO 261/2004/EG. 238 Zum Vorliegen einer Schutzlücke auch STAUDINGER, DAR 2007, S. 1324 f. 239 EuGH, Rs. C-344/04, IATA, 10.1.2006, Slg. 2006, I-403, Rn. 85. 240 BGH, 17.7.2007, X ZR 95/06. 241 Art. 7 greift über Art. 4 Abs. 3 VO 261/2004/EG auch bei tatsächlicher „Nichtbeförderung.“
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wesentlich weiter gefasst. Nach Art. 19 MontrealÜ hat ein Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der durch Verspätung bei der Luftbeförderung von Reisenden, Reisegepäck oder Gütern entsteht. Verspätungsschäden sind nach dem MontrealÜ alle durch die Verspätung kausal verursachten Schäden, umfassen also neben dem verzögerungsbedingten Mehraufwand Folgeschäden wie entgangene Geschäftsabschlüsse, die Bezahlung nicht genutzter Hotelzimmer, etc. Es handelt sich um einen Schadensersatzanspruch, der auf individuelle Wiedergutmachung gerichtet ist, aber durch ausdrückliche Haftungsobergrenzen in Art. 22 MontrealÜ auf einen Höchstbetrag beschränkt wird. Für Verspätungsschäden bei Personenbeförderung, Gütertransport oder Reisegepäcktransport nach Art. 19 haftet der Luftfrachtführer bis zu einem in Sonderziehungsrechten des Internationalen Währungsfonds zu berechnenden Betrag.242 Die Obergrenze liegt bei der Personenbeförderung bei 4.150 SZR. Präzisere Angaben zum Schadensersatzanspruch und Hinweise auf eine Sonderbehandlung des Schadensersatzes wegen Verzögerung der Leistung lassen sich auch aus der Verordnung 1371/2007/EG über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr gewinnen. Zugleich löst die Verordnung im Gegensatz zur Verordnung 261/2004/ EG die Rolle der Ersatzbeförderung und ihren Einfluss auf die Annahme einer Verspätung in überzeugenderer Weise. Sie regelt in Art. 16 und 17 unmittelbare Verspätungsfolgen (Erstattungsanspruch oder Fortsetzung der Fahrt mit geänderter Streckenführung plus Fahrpreisentschädigung), verweist für die Haftung wegen Verspätungen jedoch gem. Art. 15 auf das im Anhang I abgedruckte COTIF/CIV Regelwerk, das in Titel IV Kapitel II die Haftung bei Ausfall, Verspätung und Anschlussversäumnis regelt.243 Beim Entschädigungsanspruch nach Art. 17 handelt es sich um einen pauschalierten Schadensersatzanspruch, der ohne Schadensnachweis jedenfalls in Form einer Mindestentschädigung zu gewähren ist, die je nach Verspätungs242
Vgl. zur Umrechnung auch Art. 23 Abs. 1 Satz 1 MontrealÜ. Ursprünglich sah der Verordnungsvorschlag der Kommission in Art. 10 und 11 teils etwas unglücklich formulierte strenge Haftungsnormen vor, die bei Verspätung oder Ausfall von Personenverkehrsdiensten im grenzüberschreitenden Verkehr einen in der Höhe unbeschränkten Anspruch auf Verzögerungsschadensersatz gewährten, der nur im Fall außergewöhnlicher Wetterbedingungen, Naturkatastrophen, Kriegs- oder Terrorakten entfallen sollte. Diese Normen sahen zudem Ausgleichszahlungen vor, die in jedem Fall zu leisten gewesen wären. Der Verordnungsvorschlag wollte trotz des geplanten Beitritts der EU zur COTIF/CIV ein eigenes Schadensersatzregime für Verspätungsschäden im Bahnverkehr schaffen, um einen besseren Fahrgastschutz zu garantieren (KOM(2004) 143 endg.). Da die CIV (Anhang A der COTIF) nur Mindeststandards vorgibt, verblieb zwar ein gewisser Spielraum für ergänzendes EU-Recht, allerdings schufen die ursprünglich geplanten Regelungen ein widersprüchliches zweites Regime. Der Rat hat im Gemeinsamen Standpunkt daraufhin die Haftung für Verspätungsschäden, verpasste Anschlüsse oder Zugausfälle weitgehend durch das COTIF/CIV-Regelwerk ersetzt (vgl. Art. 13 des Gemeinsamen Standpunkts). 243
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dauer variiert und anteilig im Verhältnis zum einfachen Fahrpreis berechnet wird.244 Der Anspruch besteht nur, wenn keine Fahrpreiserstattung nach Art. 16 erfolgt ist. Der Entschädigungsanspruch wird allerdings, wie Art. 16 Abs. 1 lit. a zeigt, insofern nur beschränkt gewährt, als er grundsätzlich erst dann greift, wenn die Verspätung 60 Minuten oder mehr beträgt. Er entfällt also anders als nach der Verordnung 261/2004/EG nur dann, wenn die Verspätung durch Ersatztransport oder geänderte Streckenführung geringer als 60 Minuten gehalten wurde. Für die Qualifikation der Vertragsstörung als Verspätung spielt die Tatsache des Transportes in einem anderen Zug keine Rolle, selbst wenn eine Sitzplatzreservierung oder Zugbindung vorlag. Entscheidend für den Anspruch ist daher allein die Dauer und damit die Schwere der Verspätung, nicht die Frage, ob für den Transport zum Zielort ein anderer Zug als der ursprünglich geplante eingesetzt wurde oder nicht. Entschädigung kann, anders als nach der VO 261/2004/EG bereits ab einer Verspätung von 60 Minuten verlangt werden. Je nach Dauer der Verspätung erhöht sich der Anspruch. Die Haftung nach Art. 15 iVm. Anhang I Titel IV Kapitel II VO 1371/ 2007/EG, der auf Art. 32 ff des COTIF/CIV Regelwerks verweist, beschränkt sich auf den Ersatz verspätungsbedingter Mehraufwendungen. Art. 32 Abs. 1 CIV deckelt den Verspätungsschadensersatz nicht in der Höhe, sondern beschränkt ihn bereits in der Sache allein auf den verspätungsbedingten Mehraufwand. Bei Verspätung, Ausfall oder Anschlussversäumnis hat der Reisende gegen den Beförderer einen Schadensersatzanspruch für den Schaden, der dadurch entsteht, dass die Reise aus den genannten Gründen nicht am selben Tag fortgesetzt werden kann oder eine Fortsetzung am selben Tag nicht zumutbar ist. Der Schadenersatz umfaßt nach Art. 32 Abs. 1 Satz 2 CIV ausdrücklich die dem Reisenden im Zusammenhang mit einer aufgrund der Verspätung notwendig gewordenen „Übernachtung und mit der Benachrichtigung der ihn erwartenden Personen entstandenen angemessenen Kosten“. b. Schadensumfang Der Umfang des Schadensersatzanspruchs ist sehr unterschiedlich geregelt. Zwei Grundmuster lassen sich erkennen: Zum einen werden gerade im Fall der Verzögerung pauschalierte Schadensersatz- oder „Ausgleichs“ansprüche gewährt, die an strenge höhenmäßige Begrenzungen geknüpft sind und dem Ausgleich einer weitgehend strengen Haftung dienen, wie Art. 21 MontrealÜ.245 Dies gilt, wie etwa Art. 7 Abs. 1 und 2 der VO 261/2004/EG 244
Für Vielfahrer mit Zeitkarten gelten Besonderheiten, vgl. Art. 17 Abs. 1 Satz 2 VO 1371/2007/EG. 245 Zur Haftung im Einzelnen sogleich unter 8.
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zeigen, selbst für Ausgleichsansprüche im Fall der Nichtbeförderung (nach Abs. 4 Abs. 3 der VO). Allerdings sind die Ansprüche bei Verzögerung der Leistung gerade im internationalen Transportrecht häufig nicht abschließend in einem Regelwerk behandelt und Ansprüche auf weitergehenden Schadensersatz wie etwa nach Art. 12 Abs. 1 VO 261/2004/EG nicht ausgeschlossen. Andererseits gilt etwa nach der Pauschalreiserichtlinie für die Nicht- und Schlechterfüllung ein sehr weitgehender Schadensbegriff. In der Rechtssache Simone Leitner246 wurde der Inhalt des vertraglichen Schadensersatzanspruchs nach der RiL 90/314/EWG definiert. Die EuGH-Entscheidung ist insbesondere zur Frage der Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden aufschlussreich, die der EuGH „grundsätzlich anerkennt“. Die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden ergibt sich nicht eindeutig aus dem Text der Richtlinie, dieser wurde jedoch in entsprechendem Sinn verstanden.247 Aus der Erwähnung von NichtKörperschäden in Art. 5 Abs. 2 a.E.248 der Pauschalreiserichtlinie leitet der EuGH ab, dass immaterieller Schadensersatz zu leisten sei, auch wenn das anwendbare nationale Recht einen solchen Anspruch nicht gewähre. Die Richtlinie verwendet zudem durchweg den Begriff „Schaden“, bezieht sich aber in Artikel 5 Abs. 2 a.E. auf eine bestimmte Kategorie von Schäden, nämlich „Schäden, die nicht Körperschäden sind“, was prinzipiell für eine weite Auslegung, also dafür spricht, dass die Richtlinie alle Schadensarten umfasst, die in einem Kausalzusammenhang mit der Nichterfüllung oder mangelhaften Vertragserfüllung stehen.249 Zugunsten einer weiten Auslegung des Begriffs lässt sich auch ein Vergleich mit der Richtlinie 85/374/EWG anführen, die die außervertragliche Herstellerhaftung regelt. Während letztere Kategorien ersatzfähiger Personen- oder Sachschäden auflistet und immaterielle Schäden ausdrücklich ausnimmt und dem nationalen Recht zuweist,250 greift die Richtlinie 90/314/EWG auf einen undifferenzierten Schadensbegriff zurück.251 Auch hieraus lässt sich ableiten, dass das Unionsprivatrecht im 246
EuGH, Rs. C-168/00, Simone Leitner/TUI, 12.3.2002, Slg. 2002, I-2631. Vgl. § 31e Abs. 3 des österreichischen KonsSchG, der im Anschluss an die EuGHRechtsprechung eingefügt wurde. Obwohl das österreichische Recht hinsichtlich des Ersatzes immaterieller Schäden sehr zurückhaltend ist, wurde die Neuregelung teils nur als „Klarstellung“ der diesbezüglich bereits zuvor offenen Rechtslage bewertet (dagegen aber HG Wien 26.8.2002, 1 R 235/02h), siehe hierzu LG Feldkirch, 20.4.2004, 3 R 93/04f, OGH, 23.11.2004, 5 Ob 242/04f; MICHITSCH, ZVR 2004, 63. 248 Dort heißt es: „Bei Schäden, die nicht Körperschäden sind und auf der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung der nach dem Vertrag geschuldeten Leistungen beruhen, können die Mitgliedstaaten zulassen, dass die Entschädigung vertraglich eingeschränkt wird.“ 249 So der EuGH, Rs. C-168/00, Simone Leitner/TUI, 12.3.2002, Slg. 2002, I-2631, Rn. 23. 250 Vgl. Art. 9 der Richtlinie 85/374/EG. 251 So auch Generalanwalt TIZZANO, Schlussanträge in der Rechtssache C-168/00, Simone Leitner/TUI 20.9.2001: Wenn sich der europäische Gesetzgeber in der Richtlinie 90/314/ EWG „dafür entschieden hat, sich allgemein und unterschiedslos auf den Begriff ‚Schäden’ zu beziehen, so ist daraus zu folgern, dass er dies getan hat, um mit diesem Begriff alle 247
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Bereich des Vertragsrechts die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden grundsätzlich anerkennt.252 Die Entscheidung Simone Leitner ist ein wesentlicher Schritt zur Definition eines unionsprivatrechtlichen Schadensbegriffs. Als Leitlinie im Bereich des Schadensersatzes nach EU-Recht lässt sich festhalten, dass außer bei ausdrücklichem Ausschluss oder Pauschalierung des Schadensersatzes der Schadensbegriff materielle wie immaterielle Schäden umfasst. c. Vertragliche Einschränkungen des Schadensersatzanspruchs Die Pauschalreiserichtlinie enthält zugleich Hinweise zur Zulässigkeit vertraglicher Einschränkungen des Schadensersatzanspruchs: Gem. Art. 5 Abs. 2 a.E. RiL 90/314/EWG ist bei Schäden, die wegen Nichterfüllung oder mangelhafter Erfüllung der vertraglich geschuldeten Leistungen entstanden sind, eine angemessene Einschränkung des Ersatzumfangs gemäß den internationalen Übereinkommen253 über diese Leistungen oder durch die nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten möglich, sofern es sich nicht um Körperschäden handelt.254 So werden auch internationale Abkommen, welchen die EU selbst noch nicht beigetreten ist, zu einem Maßstab des Unionsprivatrechts. Schutz vor unzulässigen Einschränkungen des Schadensersatzanspruchs bietet hingegen die Klauselrichtlinie. Vertragliche Einschränkungen von Verbraucherrechten unterliegen der Klauselkontrolle nach Nr. 1 lit. b ihres Anhangs,255 wonach der Ausschuss oder die ungebührliche Einschränkung der Ansprüche des Verbrauchers u.a. im Fall der vollständigen oder teilweisen Nichterfüllung für missbräuchlich erklärt werden kann. Eine präzise Hilfe ist möglichen Schadensarten im Zusammenhang mit der Nichterfüllung der vertraglichen Pflichten zu erfassen, so dass ein weiter, alles umfassender Schadensbegriff gewollt war.“ Der Gerichtshof folgte diesem weiten Ansatz allerdings nicht, vgl. C-168/00, 12.3.2002, insb. Rn. 23. 252 Dies wird durch Entscheidungen des Gerichts 1. Instanz bestätigt. Siehe insbesondere Urteile in den Rechtssachen T-230/94, 21. 3. 1996 (Farrugia/Kommission, Slg. 1996, II-195, Rn. 213), T-230/95, 28. 1.1999 (BAI/Kommission, Slg. 1999, II-123, Rn. 38) und T-13/96, 29. 10. 1998 (TEAM/Kommission, Slg. 1998, II-4073, Randnr. 77). 253 Insbesondere des MontrealÜ. 254 Anders REMIEN, in SCHULTE-NÖLKE/SCHULZE, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, S. 139 (146), unter Berufung auf die doch eher unvollkommene Richtlinienregelung. 255 Anhang unter 1 lit. b: Klauseln gemäß Artikel 3 Absatz 3 sind „Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass die Ansprüche des Verbrauchers gegenüber dem Gewerbetreibenden oder einer anderen Partei, einschließlich der Möglichkeit, eine Verbindlichkeit gegenüber dem Gewerbetreibenden durch eine etwaige Forderung gegen ihn auszugleichen, ausgeschlossen oder ungebührlich eingeschränkt werden, wenn der Gewerbetreibende eine der vertraglichen Verpflichtungen ganz oder teilweise nicht erfüllt oder mangelhaft erfüllt.“ Zur Rolle der Nr. 1 lit. b des Anhangs auch GRAF V. WESTPHALEN, ZGS 2004, S. 467 ff.
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
die sehr weitreichende, aber zu vage formulierte Regel des Anhangs der Richtlinie 93/13/EWG jedoch nicht,256 zumal der Anhang zur Klauselrichtlinie trotz der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihn in ihren Gesetzesmaterialien zu veröffentlichen, nach dem EuGH lediglich Hinweischarakter hat: „Es steht fest, dass eine in der Liste aufgeführte Klausel nicht zwangsläufig als missbräuchlich anzusehen ist und umgekehrt eine nicht darin aufgeführte Klausel gleichwohl für missbräuchlich erklärt werden kann.“257 Der formularmäßige Ausschluss jeglicher vertraglicher Schadensersatzansprüche wird jedoch als unzulässig zu betrachten sein. Konkretere Aussagen hinsichtlich seiner Einschränkungen lassen sich hieraus aber nicht entnehmen. Letztere sind jedenfalls dort und in dem Rahmen zulässig, wo das Unionsprivatrecht selbst sie ausdrücklich gestattet, wie in Art. 5 Abs. 2 RiL 90/314/EWG. d. Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz Dass das Unionsprivatrecht für eine Kumulierbarkeit von Rücktritt und Schadensersatz spricht, ergibt sich ausdrücklich aus Art. 4 Abs. 6 lit. b der Pauschalreiserichtlinie. Im Fall eines Rücktritts nach ihrem Art. 4 Abs. 5 hat der Verbraucher gegen den Veranstalter oder Vermittler der Reise unter Umständen Anspruch auf Entschädigung wegen Nichterfüllung des Vertrages nach den nationalen Rechtsvorschriften. Er kann Erstattung der von ihm bereits gezahlten Beträge und vorbehaltlich der in Art. 4 Abs. 6 lit. b i) und ii) genannten Entlastungsmöglichkeiten kumulativ eine Entschädigung wegen Nichterfüllung des Vertrages verlangen. Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie enthält eine solche explizite Regel nicht, allerdings lässt sich aus ihrem Zweck, der „Schaffung eines gemeinsamen Mindestsockels von Verbraucherrechten“258 schließen, dass ihr Schutzstandard jedenfalls nicht unter dem des Kaufs zwischen Unternehmern nach UN-Kaufrecht liegen soll.259 Die Richtlinie 2011/83/EU sieht hingegen in Art, 18 Abs. 4 ausdrücklich vor, dass dem Verbraucher zusätzlich zum Rücktrittsrecht in Art. 18 Abs. 2
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In der Rechtsprechung zeigte sich, dass die teils sehr weite Formulierung des Anhangs seine Praxisrelevanz schwächt. So wurde etwa die Klausel „als Sammelkategorie“ für diverse Vertragsklauseln angesehen. Unter lit. b des Anhangs fielen daher auch nach dem Bericht der Kommission aus dem Jahr 2000 ein Drittel der mit dem Anhang zusammenhängenden Fälle aus der CLAB-Datenbank, vgl. Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, KOM(2000) 248 endg., S. 18. 257 EuGH, Rs. C-478/99, Kommission/Schweden, 7.5.2002, Slg. 2002, I-4147. 258 Erwägungsgründe 2 und insb. 5 der RiL 1999/44/EG. 259 Zur Kumulierbarkeit dort Art. 45 Abs. 2 CISG. Vgl. auch Grundmann/Bianca/BIANCA, EU-Kaufrechtsrichtlinie, Art. 3 Rn. 78.
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andere, nach dem einzelstaatlichen Recht vorgesehene Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen können. Auch aus dem Zusammenspiel von Art. 5 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 8 und Art. 5 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 7 der VO 261/2004/EG ergibt sich die grundsätzliche Kumulierbarkeit von Ausgleichsansprüchen und der Rückgängigmachung des Vertrages durch Erstattung und gegebenenfalls der Rückreise nach Art. 8 Abs. 1 lit. a. 6. Zinsanspruch Den Zinsanspruch regelt die Zahlungsverzugsrichtlinie 2000/35/EG (nun RiL 2011/7/EU). Auch die Richtlinie 97/5/EG gewährte einen Zinsanspruch.260 Wie die Entscheidung EuGH Kommission/Italien261 klarstellt, enthält die Zahlungsverzugsrichtlinie spezifische Bestimmungen, die weit in nationale Rechte eingreifen. Der säumige Schuldner einer Geldleistung unterliegt einer Zinszahlungspflicht, die allerdings unter bestimmten Prämissen entfallen kann.262 Motiv der Zinsregelung in der Richtlinie ist es, über einen variablen abschreckenden Zinssatz und die Limitierung der Zahlungsfristen das europaweite Problem des Zahlungsverzugs einheitlich zu lösen. Die verschiedenen Zinsregelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten, die meist einen starren niedrigen Zinssatz vorsahen, waren gegenüber den Kapitalmarktzinsen für Fremdfinanzierungen auffallend gering und gaben Anreiz zu Verzugsspekulationen.263 Mittelständische Unternehmen, denen statistisch gesehen höhere Summen geschuldet werden, als sie selbst schulden und die regelmäßig „longlasting supplier credit“ gewähren,264 trafen die Folgen des Zahlungsverzugs ihrer Geschäftspartner besonders schwer. Aus der Sicht des Gläubigers, der 260
Zur forbestehenden Bedeutung der mittlerweile aufgehobenen Richtlinie für die Prinzipienbildung im Unionsprivatrecht siehe bereits oben, § 2, Fn. 72. 261 EuGH, Rs. C-302/05, Kommission/Italien, Slg. 2006, I-10597, Rn. 23. 262 Insoweit der Gläubiger seine vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen nicht erfüllt hat und falls der Schuldner für die Verzögerung nicht verantwortlich ist, siehe Art. 3 Abs. 1 lit. c der Zahlungsverzugsrichtlinie 2000/35/EG und Art. 3 Abs. 1 lit. a und b der Richtlinienfassung 2011/7/EU. Vgl. hierzu sogleich unter 8 b und zum Ganzen SCHMIDTKESSEL, NJW 2001, S. 97 (100). 263 Insb. die bereits 1979 erfolgte grundlegende Untersuchung von BASEDOW, ZHR 143 (1979), S. 317 ff. und insb. S. 322: „Die wirtschaftliche Betrachtungsweise besitzt freilich mittelbaren Erklärungswert. Denn sie kann das Verhalten des Schuldners erklären, der vor der Frage steht, ob er seine Verbindlichkeit bei Fälligkeit begleichen soll oder nicht. Muss er zu diesem Zweck anderweitig Kredit aufnehmen, so wird er den Zinssatz des Darlehens mit der Höhe der Verzugszinsen vergleichen und sich für die günstigere Alternative entscheiden.“ 264 SCHULTE-BRAUCKS/ONGENA, ERPL 4 (2003), S. 519 (523 f.); siehe auch den Richtlinienvorschlag der Kommission KOM(1998) 126 endg., 23.4.1998, S. 13 f.: „From a macroeconomic point of view this makes no sense since SMEs in turn need to acquire liquidity from their banks at an interest cost which will be substantially higher than the cost at which large undertakings can borrow from their bank.“
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teils zu Kreditaufnahmen gezwungen, teils um Anlagezinsen gebracht wurde, war die Frage der rechtlichen Beurteilung der Höherverzinsung fälliger Geldschulden ein zentrales Problem des nationalen Verzugsrechts.265 Die Richtlinie hält trotz ihres Schutzzwecks auch im Hinblick auf den Zinssatz am Grundsatz der Vertragsfreiheit fest. Er kann von den Parteien vertraglich festgelegt werden,266 allerdings nur in den Grenzen des Art. 3 Abs. 3 RiL 2000/35/EG – jetzt Art. 7 RiL 2011/7/EU –, der vor nachteiligen Vertragsklauseln schützt. Mangels Parteivereinbarung gibt Art. 3 Abs. 1 lit. d RiL 2000/35/EG (nun Art. 2 Abs. 6 und Art. 3 Abs. 2 RiL 2011/7/EU) die gesetzliche Zinshöhe in Form eines variablen, geldmarktorientierten und zugleich hohen Zinssatzes vor, um ein Zinskalkül effektiv zu verhindern. Das hohe Zinsniveau soll zugleich den Kosten für Überziehungskredite entsprechen, die ein Unternehmen im Zahlungsverzugsfall treffen können, so dass dieses nahezu voll für diese Kosten entschädigt wird.267 Nach der Richtlinienfassung 2000/35/EG liegt der Zinssatz bei Unternehmensgeschäften bei mindestens 7% über dem sog. Bezugszinssatz. Dieser wird in Art. 2 Abs. 4 RiL 2000/35/EG definiert und bestimmt sich grundsätzlich nach dem Zinssatz, der von der Europäischen Zentralbank auf ihre jüngste, vor dem ersten Kalendertag des betreffenden Halbjahres durchgeführte Hauptrefinanzierungsoperation angewendet wurde.268 In Art. 2 Abs. 7 und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2011/7/EU wurde die Definition des Bezugszinssatzes nun in etwas klarerer Form übernommen.269 Der Verzugszinssatz wurde weiter erhöht: Nun soll der für das jeweilige Halbjahr geltende Bezugszinssatz plus einer „Spanne“ von mindestens acht Prozentpunkten entscheidend sein. Dies ergibt sich aus Art. 2 Nr. 5 bis 7 der Richtlinie 2011/7/EU, die den „Verzugszins“ definieren. Die Aufgliederung der Definition des Verzugszinses in drei verschiedenen Vorschriften ist jedoch insgesamt eine unnötig kompliziertere Regelungstechnik als die der Altfassung. Neben dem Anspruch auf Verzugszinsen und auf Ersatz der Beitreibungskosten bleiben weitere Ersatzansprüche nach nationalem Recht unberührt. Anders als der ursprüngliche Richtlinienvorschlag, der nicht nur einen An265
Vgl. im Einzelnen hierzu unten Teil 2, Kap. 7, § 3 I 2. Vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. d RiL 2000/35/EG Satz 1 a.E. und Art. 2 Abs. 5 RiL 2011/7/EU. 267 WÄGENBAUR, EuZW 1998, S. 417; RIESENHUBER, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, § 17 Leistungsstörungen, S. 476. 268 Bezugszinssatz ist der Zinssatz, der bei Festsatztendern angewendet wird. Wenn eine Hauptrefinanzierungsoption nach einem variablen Tenderverfahren durchgeführt wurde, tritt an seine Stelle der marginale Zinssatz, der sich aus diesem Tender ergibt. Dies gilt für Begebungen mit einheitlichem und variablem Zinssatz. 269 Für die Staaten deren Währung nicht der Euro ist, ist der entsprechende von den nationalen Zentralbanken festgesetzte Zinssatz ausschlaggebend, Art. 3 Abs. 1 lit. d Satz 2 RiL 2000/35/EG (jetzt Art. 2 Abs. 7 lit. b der Richtlinie 2011/7/EU). 266
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spruch auf Verzugszinsen vorsah, sondern dem Gläubiger vollen Ersatz des ihm durch den Zahlungsverzug verursachten Schadens gewähren wollte,270 bleibt es den nationalen Rechten überlassen, inwieweit sie Anspruch auf Ersatz eines weiteren Verzugsschadens gewähren, soweit dieser nicht bereits durch den Verzugszins gedeckt ist.271 Ein Zinsanspruch wurde auch in Art. 6 Abs. 1 und 2 RiL 97/5/EG vorgesehen.272 Danach führte die verzögerte Ausführung einer Überweisung durch das Institut des Auftraggebers oder ein zwischengeschaltetes Institut zu einer Entschädigungspflicht des Instituts des Auftraggebers in Form von Zinszahlungen bis zum Zeitpunkt der Ausführung der Gutschrift. Auch nach der Überweisungsrichtlinie war der „Verzögerungsschaden“ ein pauschalierter, abstrakter Schaden, der von dem verantwortlichen Institut getragen werden sollte; auf einen konkreten Schadenseintritt kam es nicht an.273 Weitergehende Ansprüche waren nicht vorgesehen, allerdings auch nicht ausgeschlossen.274 Die Zinsansprüche des Auftraggebers und des Begünstigten einer grenzüberschreitenden Überweisung wurden dabei parallel und nahezu gleichlautend geregelt. Der Anspruch war auf Zahlung von Zinsen für den Zeitraum zwischen dem Ende der vereinbarten oder der gesetzlichen Frist und der Gutschrift gerichtet. Für den Zinsanspruch des Auftraggebers lag letztere zwischen dem Ende des fünften Bankgeschäftstags nach Annahme des Überweisungsauftrags durch die Auftraggeberbank und der Gutschrift auf dem Konto des Instituts des Begünstigten; für den Zinsanspruch des Begünstigten zwischen dem Ende des Bankgeschäftstags nach dem Tag der Gutschrift des Überweisungsbetrags auf das Institutskonto der Begünstigtenbank und der Gutschrift auf das Konto des Begünstigten.
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Dort Art. 3 Abs. 1 lit. g, KOM(1998) 126 endg., 23.4.1998, S. 15. Im Hinblick auf das deutsche Recht gab der ursprüngliche Richtlinienentwurf zu Bedenken Anlass, da er die dem deutschen Recht bekannte Differenzierung zwischen Verzögerungs- und Nichterfüllungsschäden nicht vornahm und sich nicht ausdrücklich dazu aussprach, ob er auch ein zur Gesamtliquidierung des Vertragsverhältnisses führendes Schadensersatzbegehren umfasst, vgl. hierzu (ablehnend) FREITAG, EuZW 1998, S. 559 (560). 272 Zur fortbestehenden Bedeutung der mittlerweile aufgehobenen Richtlinie für die Auslegung der Zahlungsverzugsrichtlinie und für die Prinzipienbildung im Unionsprivatrecht im Allgemeinen siehe oben in § 2 unter Fn 72. 273 OHLER, Europäische Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, Art. 6 ÜberweisungsRiL Rn. 2, 11; BYDLINSKI, WM 1999, S. 1046 ff. (1051). 274 Hinsichtlich weiterer Rechtsbehelfe (zB. hinsichtlich eines Ersatzanspruchs für Folgeschäden) findet sich keine Regelung, sie werden durch Art. 6 Abs. 1-3 nicht berührt und richten sich nach nationalem Recht (vgl. Art. 6 Abs. 4 RiL 97/5/EG). Siehe auch TROBERG/SCHWIMANN, Die Richtlinie vom 27. Januar 1997 über grenzüberschreitende Überweisungen, in BLAUROCK, Das Recht der grenzüberschreitenden Überweisung, S. 72 (85). 271
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Die Zinshöhe in der RiL 97/5/EG wurde ebenfalls durch Bezugnahme auf einen Referenzzinssatz geregelt. Dieser Zinssatz sollte gem. Art. 2 lit. k RiL 97/5/EG einer Entschädigung entsprechen und sich nach den Bestimmungen des Mitgliedstaats richten, in dem sich das gem. Art. 6 Abs. 1 oder 2 entschädigungspflichtige Institut befindet. Die Vorgaben für den Referenzzinssatz unterschieden sich demnach von der Zahlungsverzugsrichtlinie, die ausdrücklich eine EU-weite Einheitlichkeit durch Bezugnahme auf den Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank anstrebt. Dieser unterschiedliche Ansatz war nicht nicht unbedingt gerechtfertigt und hat sich nun durch die Integrierung der Richtlinie 97/5/EG in die Richtlinie 2007/64/EG über Zahlungsdienste im Binnenmarkt erübrigt. 7. Ersatz der Beitreibungskosten und weitergehender Schadensersatz Der „angemessene Ersatz aller durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten“275 folgt aus einer von der Zinszahlungspflicht getrennten Anspruchsgrundlage.276 Beide Ansprüche sind jedoch im Wesentlichen an die gleichen Anspruchsvoraussetzungen geknüpft.277 Die Formulierung „Anspruch auf angemessenen Ersatz aller [...] Beitreibungskosten“ ist nicht besonders gelungen, denn prinzipiell kann sie sich auf angemessenen Ersatz der entstandenen Beitreibungskosten oder vollen Ersatz (aller Beitreibungskosten) beziehen.278 Gemeint ist, dass die Kosten der Beitreibung grundsätzlich ersatzfähig sind, allerdings in den Grenzen des Angemessenen. Die Angemessenheit i.S.d. Vorschrift ist nach den Grundsätzen des Unionsrechts zu bestimmen. Hier gibt die Richtlinie 2000/35/EG in Art. 3 Abs. 1 lit. e Satz 2 RiL selbst einen Hinweis, indem sie für den Beitreibungskostenersatz die Beachtung der Grundsätze von Transparenz und Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den Schuldbetrag vorschreibt. Diese Vorgaben dienen dem 275
Art. 3 Abs. 1 lit. e RiL 2000/35/EG (nun Art. 6 Abs. 3 RiL 2011/7/EU). In der Fassung der RiL 2000/35/EG, Art. 3 Abs. 1 lit. c: „Der Gläubiger ist berechtigt, bei Zahlungsverzug Zinsen […] geltend zu machen […]“; Art. 3 Abs. 1 lit. e: „Der Gläubiger hat gegenüber dem Schuldner Anspruch auf angemessenen Ersatz aller durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten.“ RiL 2011/7/EU trennt die Ansprüche in Art. 3 und 6 etwas deutlicher ab. 277 Die einzige Ausnahme stellte unter der RiL 2000/35/EG die Vertragstreue des Gläubigers dar, die ausdrücklich nur für den Zinsanspruch, nicht aber für die Verpflichtung zur Tragung der Beitreibungskosten vorausgesetzt wird, so GSELL, ZIP 2000, S. 1861 (1867) und LEIBLE, in SCHULTE-NÖLKE, SCHULZE, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, S. 151 (161). Die Verweisung in Art. 6 RiL 2011/7/EU klärt dies auf, denn sie bezieht sich ausdrücklich auch auf Art. 3 Abs. 1 lit. a des neuen Richtlinientextes, der die Vorschrift zur Vertragstreue des Gläubigers enthält. 278 Soweit zu Recht auch RIESENHUBER, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, § 17 Leistungsstörungen, S. 476. Die Richtlinienfassung 2011/7/EU behält die Formulierung jedoch in Art. 6 Abs. 3 bei. 276
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Schuldnerschutz.279 Der Gläubiger muss also zum einen seine tatsächlich entstandenen Kosten darlegen. Zum anderen dürfen diese im Vergleich zur Hauptforderung nicht unverhältnismäßig hoch sein. Diese Vorschrift wurde in RiL 2011/7/EU jedoch nicht übernommen.280 Richtlinie 2011/7/EU sieht zudem in Art. 6 Abs. 1 zunächst die Zahlung eines Pauschalbetrags von 40 Euro vor, der grundsätzlich ohne Mahnung zu zahlen ist, wenn ein Anspruch auf Verzugszinsen besteht. Der Anspruch auf angemessenen Ersatz aller verzugsbedingten Beitreibungskosten besteht dann zusätzlich gem. Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2011/7/EU. Die Ersatzregelung im Zusammenhang mit der Beitreibung geht weit und umfasst Inkassokosten, Anwalts- und Gerichtskosten.281 Dies wird in Art. 6 Abs. 3 HS 2 der Richtlinienfassung 2011/7/EU nun ausdrücklich klargestellt. Neben dem Anspruch auf angemessenen Ersatz aller durch den Zahlungsverzug bedingten Beitreibungskosten bleiben weitere Ersatzansprüche nach nationalem Recht unberührt.282 Eine ähnliche Regelung zum Ersatz von Rechtsverfolgungskosten enthält auch Art. 22 Abs. 6 des Montrealer Übereinkommens, das zwar für die Haftung wegen Verspätung des Personen-, Güter- und Reisegepäcktransportes in Artikel 21 auf Höchstbeträge festsetzt, dem nationalen Gericht jedoch ausdrücklich gestattet, zusätzlich die Gerichtskosten und sonstigen Ausgaben für den Rechtsstreit, einschließlich Zinsen nach der lex fori zuzusprechen, die ganz oder teilweise den vom Kläger aufgewendeten Kosten entsprechen. 8. Haftung und Haftungsbefreiung Da die Richtlinien die Regelung von Schadensersatzansprüchen häufig dem nationalen Gesetzgeber überlassen, sind Vorschriften zur Haftung für entstandene Schäden und zur Haftungsbefreiung nicht die Regel. Die unionsprivatrechtlichen Vorgaben zum Haftungsmaßstab sind zudem unklar formuliert. Dies machte die Umsetzung problematisch, da ein für den Schuldner günstigerer Haftungsmaßstab im umgesetzten nationalen Recht und damit ein 279
ZACCARIA, EuLF 2000, S. 386 (393). Siehe allerdings Art. 8 RiL 2011/7/EU zur Transparenz. 281 Art. 3 Abs. 1 lit. e Richtlinie 2000/35/EG, Art. 6 Richtlinie 2011/7/EU; RIESENHUBER, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, § 17 Leistungsstörungen, S. 477. 282 Vgl. auch Erwägungsgrund 17 der Richtlinie 2000/35/EG: „Die angemessene Entschädigung für die Beitreibungskosten ist unbeschadet nationaler Bestimmungen festzulegen, nach denen ein nationales Gericht dem Gläubiger zusätzlichen Schadenersatz für den durch den Zahlungsverzug eines Schuldners entstandenen Verlust zusprechen kann, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass diese entstandenen Kosten schon durch die Verzugszinsen ausgeglichen sein können.“ Ähnlich auch Erwägungsgrund 19 der Richtlinie 2011/7/EU „[...] unbeschadet nationaler Bestimmungen, nach denen ein nationales Gericht dem Gläubiger eine Entschädigung für einen durch den Zahlungsverzug [...] entstandenen zusätzlichen Schaden zusprechen kann [...].“ 280
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weniger an Schutz für den Anspruchsberechtigten dem Richtlinienzweck zuwiderläuft. Es ergibt sich aus den einschlägigen Bestimmungen des Richtlinienrechts jedoch eher eine Tendenz zu einer vom klassischen Verschulden losgelösten Haftung.283 a. Haftungsmaßstab beim Schadensersatzanspruch Vorgaben zur Frage der Verantwortlichkeit macht insbesondere Art. 5 der Pauschalreiserichtlinie. Obwohl er die Ausgestaltung des Schadensersatzes und die Bestimmung des direkten Anspruchsgegners des Verbrauchers großteils den Mitgliedstaaten überlässt,284 ist die Regelung der zivilrechtlichen Haftung ein wesentliches Ziel der Richtlinie.285 Interessant ist insbesondere Art. 5 Abs. 2, der eine Haftung wegen Nichterfüllung oder mangelhafter Erfüllung vorsieht, ausgenommen diese ist weder auf ein „Verschulden des Veranstalters und/oder Vermittlers“ der Reise noch eines anderen Dienstleistungsträgers zurückzuführen. Der Veranstalter haftet in den Grenzen des internationalen Transportrechts und vorbehaltlich einer eventuellen Haftungsbeschränkung286 also für die von ihm versprochenen Leistungen, auch wenn diese durch Dritte erbracht werden, die in Erfüllung seiner Verpflichtung gegenüber dem Reisenden tätig werden. Da die Norm ausdrücklich von einer Haftungsentlastung bei fehlendem eigenem Verschulden spricht287 erwartet man hier zunächst eine klassische Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr. In Wirklichkeit verbirgt die Regelung ein Konzept, das die verschuldensunabhängige Haftung in Art. 5 Abs. 1 RiL 90/314/EWG aufgreift und 283
Vgl. auch BASEDOW, LS 18 (1998), S. 138. Die Frage, wer gegenüber dem Verbraucher haftet (Veranstalter oder Vermittler), ist über Art. 5 Abs. 1 RiL 90/314/EWG Sache der Mitgliedstaaten, nicht aber der Haftungsmaßstab. 285 Vgl. auch Bericht über die Durchführung der Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der EG-Mitgliedstaaten, SEC (1999) 1800 final, S. 4. 286 Vgl. neben Art. 5 Abs. 2 Satz 3 und 4 auch Erwägungsgrund 18 der RiL 90/314/EWG und SIEHR, in CANARIS/ZACCARIA, Die Umsetzung von zivilrechtlichen Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft in Italien und Deutschland, S. 69 (73). 287 Art. 5 Abs. 2 RiL 90/314/EWG, die französische Fassung lautet: „à moins que cette inexécution ou mauvaise exécution ne soit imputable ni à leur faute ni à celle d’un autre prestataire de services“; englische Fassung: „unless such failure to perform or improper performance is attributable neither to any fault of theirs nor to that of another supplier of services“; italienische Fassung: „non siano imputabili né a colpa loro né a colpa di un altro prestatore di servizi“; unklarer hier bereits die spanische Fassung: „a menos que dicha no ejecución o mala ejecución no sean imputables ni a estos ni a otro prestador de servicios“; niederländische Fassung: „tenzij het niet of slecht uitvoeren niet aan hen is toe te schrijven, noch aan andere verstrekkers van diensten omdat“. 284
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durch eine Haftungsentlastung ergänzt.288 Dass die Entlastung wegen fehlenden „Verschuldens“ nach der Pauschalreiserichtlinie dem Konzept einer nicht „versubjektivierten“ strengen Haftung mit Entschuldigungsgründen nahe ist, wird aus dem weiteren Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 RiL 90/314/EWG deutlich: So soll nämlich dann nicht gehaftet werden, wenn die Nichterfüllung oder die mangelhafte Erfüllung nicht auf ein „Verschulden“ zurückzuführen ist, weil289 die festgestellten Versäumnisse bei der Erfüllung des Vertrages entweder dem Verbraucher zuzurechnen sind oder weil diese unvorhersehbaren oder nicht abwendbaren Versäumnisse einem Dritten zuzurechnen sind, der an der Bewirkung der vertraglich vereinbarten Leistungen nicht beteiligt ist, oder weil diese Versäumnisse auf höhere Gewalt (Art. 4 Abs. 6 Ua. 2 lit. ii) oder auf ein Ereignis zurückzuführen sind, das der Veranstalter und/oder der Vermittler beziehungsweise der Leistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnte. Die Ausnahmen sind also weit enger gefasst und mit der nationalen Verschuldenshaftung wegen Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht gleichzusetzen.290 Dass der einzige vertragsrechtliche Richtlinientext, der von einem „Verschulden“ spricht, keine klassische Verschuldenshaftung für Vorsatz und Fahrlässigkeit normiert, gibt bereits einen deutlichen Hinweis in Richtung eines strengeren EU-rechtlichen Haftungsprinzips mit ausnahmsweiser Entlastung. Die klassische Verschuldenshaftung im nationalen Recht entspricht der unionsprivatrechtlichen Haftung selbst dann nicht, wenn dieses den Begriff „Verschulden“ ausdrücklich verwendet. Entsprechend variabel ist die Umsetzung ins nationale Recht: Nach deutschem Recht kann der Reisende unbeschadet einer Minderung oder 288
Zur Unklarheit der Natur der Haftung auch SCHULTE-NÖLKE/MEYER-SCHWICKERATH, in SCHULTE-NÖLKE/TWIGG-FLESSNER/EBERS, Consumer Law Compendium, S. 306: „Up to a certain degree it remains unclear, whether this provision regulates a classical ‚culpa liability’ or follows the more modern pattern of ‚strict liability’ with some exclusions. […] In principle there is a difference between the defences foreseen in the Directive and the culpa liability, but it is difficult to find cases which illustrate different results. In particular, if the burden of proof lies with the organiser/retailer who has to prove that he did not act negligent, legal practice will very probably come to the same results.” 289 „[not] attributable […] to any fault […], because: - the failures which occur in the performance of the contract are attributable to the consumer […]“; „ni à leur faute ni à celle d'un autre prestataire de services parce que: - les manquements constatés dans l'exécution du contrat sont imputables au consommateur […]“; „né a colpa loro né a colpa di un altro prestatore di servizi in quanto: - le mancanze constatate nell’esecuzione del contratto sono imputabili al consumatore […]“; „no sean imputables ni a estos ni a otro prestador de servicios, porque: - las faltas observadas en la ejecución del contrato sean imputables al consumidor […]“; „niet aan hen is toe te schrijven, noch aan andere verstrekkers van diensten omdat - de tekortkomingen in de uitvoering van de overeenkomst toe te schrijven zijn aan de consument […]“. 290 Nach MICKLITZ stellt die Norm einen Kompromiss zwischen verschuldensunabhängigen, verschuldensabhängigen und vermittelnden nationalen Lösungen dar, vgl. REICH/ MICKLITZ, § 18 Reiserecht, S. 689.
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Kündigung gem. § 651f Abs. 1 BGB Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, „es sei denn, der Mangel der Reise beruht auf einem Umstand, den der Reiseveranstalter nicht zu vertreten hat“. Das Vertretenmüssen definiert sich wie allgemein im Vertragsrecht über § 276 BGB und greift die Entschuldigungsgründe des Art. 5 Abs. 2 RiL 90/314/EWG gerade nicht auf. Es handelt sich hier wie im deutschen allgemeinen Vertragsrecht um eine Verschuldenshaftung, bei der das Verschulden vermutet wird.291 Der Gesetzeswortlaut wurde ausdrücklich deshalb gewählt, weil man der Ansicht war, dass Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der RiL 90/314/EWG ebenfalls „eine Beweislastumkehr vorsieht.“292 Hier zeigt sich, dass der Gebrauch des Begriffs „Verschulden“ im Sinn einer rein nationalen Auslegung verstanden wurde, und das deutsche Reiserecht den Richtlinientext nicht richtig umsetzt.293 In Italien heißt es hingegen in Art. 14 Abs. 1 des decreto legislativo n. 111/1995,294 dass die Schadensersatzpflicht im Fall der Nicht- oder Schlechtleistung dann besteht, wenn nicht nachweisbar ist, dass sie durch eine „impossibilità della prestazione derivante da causa a loro non imputabile“295 bedingt war. Das italienische Recht übernimmt gerade nicht den insofern widersprüchlichen Richtlinienwortlaut „né a colpa loro né a colpa di un altro prestatore di servizi.“ Auch andere Rechtsordnungen wie die slowenische oder die schwedische folgen hier einer strengen Haftung mit Ausnahmen.296 Ein objektivierter Haftungsmaßstab hätte im Übrigen auch in den unrealisiert gebliebenen Vorschlag einer Dienstleistungshaftungsrichtlinie Einzug gehalten.297 In deren Art. 1 Nr. 3 hieß es: „Bei der Beurteilung des Verschul291
Staudinger/ECKERT, Neubearbeitung 2003, § 651 f, Rn. 11, 13. Ähnlich auch in Finnland, siehe SCHULTE-NÖLKE/MEYER-SCHWICKERATH, in SCHULTE-NÖLKE/TWIGG-FLESSNER/ EBERS, Consumer Law Compendium, S. 307. 292 Vgl. hierzu ECKERT, ZRP 1991, S. 454 (475). 293 So argumentieren auch Grabitz/Hilf/Wolf/TONNER, Das Recht der Europäischen Union II, A 12, Art. 5, Rn. 19 und REICH/MICKLITZ, § 18 Reiserecht, S. 689. Vgl. auch SCHULTE-NÖLKE/MEYER-SCHWICKERATH, in SCHULTE-NÖLKE/TWIGG-FLESSNER/EBERS, Consumer Law Compendium, S. 306: „It is unclear if such transposition by the means of culpa liability constitutes a false implementation of Art. 5 (2) of the Directive.“ 294 Decreto legislativo 17. marzo 1995, n. 111, Attuazione della direttiva n. 90/314/CEE concernente i viaggi, le vacanze ed i circuiti „tutto compreso“, GURI n. 88, 14.4.1995. 295 Art. 14 des Decreto legislativo n. 111/1995: „In caso di mancato o inesatto adempimento delle obbligazioni assunte con la vendita del pacchetto turistico l’organizzatore e il venditore sono tenuti al riarcimento del danno, secondo le rispettive responsabilità, se non provano che il mancato o inessatto adempimento è stato determinato da impossibilità della prestazione derivante da causa a loro non imputabile.“ 296 Art. 240 des slowenischen Vertragsgesetzes und § 16 Abs. 2 und 3 des schwedischen Pauschalreisegesetzes 1992:1672; SCHULTE-NÖLKE/MEYER-SCHWICKERATH, in SCHULTENÖLKE/TWIGG-FLESSNER/EBERS, Consumer Law Compendium, S. 307. 297 Siehe den Vorschlag für eine Richtlinie über die Haftung bei Dienstleistungen vom 9.11.1990, ABl. 1991, C 12, S. 8 und dessen Rücknahme in KOM(1994) 260 endg.
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dens ist zu berücksichtigen, ob das Verhalten des Dienstleistenden unter normalen und vorhersehbaren Bedingungen die Sicherheit gewährleistet, die berechtigterweise erwartet werden kann“.298 Teilweise wird sogar behauptet, er knüpfte „an die Haftungsentlastung wegen höherer Gewalt an“.299 Auf ein objektiviertes Verständnis der Haftung weist auch das MontrealÜ hin. Der Geschädigte hat einen Anspruch auf Verspätungsschadensersatz gegen den Luftfrachtführer. Dieser ist jedoch nach der allgemeinen Haftungsentlastungsvorschrift in Art. 20 MontrealÜ dann ganz oder teilweise von seiner Haftung für den Verspätungsschaden befreit, wenn er nachweist, dass der Anspruchsteller den Schaden „verursacht oder mitverursacht hat“. Neben der haftungsbeschränkenden Wirkung des schadenskausalen Gläubigerverhaltens entlastet sich der Luftfrachtführer auch, wenn er nachweist, dass er und seine Leute alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung des Schadens getroffen haben oder dass es ihm oder ihnen nicht möglich war, solche Maßnahmen zu ergreifen. Diese Entlastungsmöglichkeit gab Anlass zu einer unterschiedlichen Interpretation der Natur der Haftung nach Art. 19 MontrealÜ: Teils wird vertreten, der Luftfrachtführer unterliege einem erhöhten Fahrlässigkeitsstandard,300 teils wird die Haftung eher im Sinn einer Verschuldensvermutung ausgelegt301 und in Art. 19 MontrealÜ im Vergleich zu Art. 20 WarschA 1955 eine Erleichterung für den Luftfrachtführer gesehen, der nun nicht alle möglichen Maßnahmen zur Schadensvermeidung treffen muss, sondern lediglich alle zumutbaren.302 Andere Regelwerke enthalten strenge Haftungsvorgaben. Der Anspruch aus Art. 7 der VO 261/2004/EG etwa ist ein verschuldensunabhängiger Anspruch. Im Fall der Nichtbeförderung von Fluggästen gem. Art. 4 Abs. 3 der Verordnung haftet das Luftfahrtunternehmen ohne Entlastungsmöglichkeit. Nur im Fall der Annullierung von Flügen ist eine Befreiung von der Haftung nach Art. 7 möglich, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die auch bei Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht vermeidbar gewesen wären. Der nicht nur verschuldens-, sondern auch schadensunabhängige Charakter des Anspruchs nach Art. 7 VO 261/2004/EG wird jedoch durch eine strikte Begrenzung der Anspruchshöhe ausgeglichen. Von der Haftung in Anhang A zur COTIF, Art. 32 Abs. 2 CIV ist nur ausnahmsweise eine Entlastung möglich: Der Beförderer ist von der Haftung 298
Vgl. auch VON BAR, in MEDICUS/MERTENS/NÖRR/ZÖLLNER, Festschrift Lange, S. 375, 383 (393). 299 SCHMIDT-KESSEL, Reform des Schadensersatzrechts I, S. 33. 300 SCHMIDT-KESSEL, a.a.O., S. 37. 301 LURGER/AUGENHOFER, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, S. 71. 302 So BOETTGE, VersR 2005, S. 908 ff. unter Verweis auf KADLETZ, VersR 2000, S. 927 ff.
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
wegen Transportausfall, Verspätung oder Anschlussversäumnis nur befreit, wenn diese auf außerhalb des Eisenbahnbetriebes liegende Umstände oder auf ein Verhalten eines Dritten zurückzuführen ist, vorausgesetzt, der Beförderer konnte dies trotz Anwendung der nach Lage des Falles gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und dessen Folgen nicht abwenden oder es liegt ein Eigenverschulden des Reisenden vor.303 Da die Haftungsregelungen der Verordnung 1371/2007/EG über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr nach mehrfachen Änderungen nun über einen neuen Art. 15 auf die Vorgaben der CIV verweisen, gelten die Haftungsbeschränkungen der CIV auch im innereuropäischen Bahntransportrecht. Nach Art. 32 Abs. 2 CIV betreffen sie allerdings allein die Haftung für verspätungsbedingten Mehraufwand (Übernachtungs- und Benachrichtigungskosten), auf die sich Art. 32 Abs. 1 Satz 2 CIV beschränkt. Nach dem Wortlaut des Art. 15 der Richtlinie 1371/2007/EG erstreckt sich die Haftungsbeschränkung nicht auf die in Kapitel IV der Richtlinie geregelten Erstattungs- und Entschädigungsansprüche (Art. 16 ff.). Aus allen untersuchten Regelwerken lässt sich daher eine Tendenz zur strengen Haftung mit ausnahmsweiser Entlastungsmöglichkeit ableiten, dies gilt insbesondere für die spezifisch auf Verzögerungen zugeschnittenen Regelungen. b. Haftungsmaßstab beim Zinsanspruch Umstritten ist die Unterscheidung zwischen einer Verschuldens- oder Garantiehaftung mit Entlastungsmöglichkeit insbesondere im Rahmen des Zinsanspruchs nach Art. 3 Abs. 1 lit. c RiL 2000/35/EG (jetzt Art. 3 Abs. 1 RiL 2011/7/EU) und des Anspruchs auf Ersatz der Beitreibungskosten gem. Art. 3 Abs. 1 lit. e RiL 2000/35/EG (Art. 6 RiL 2011/7/EU). Wörtlich soll sich nach Art. 3 Abs. 1 lit. c ii) RiL 2000/35/EG bei Verzug und eigener Vertragstreue des Gläubigers eine Haftung des Schuldners ergeben, „es sei denn, dass der Schuldner für die Verzögerung nicht verantwortlich ist“.304 In Richtlinie 303
Art. 32 Abs. 2 CIV: „Der Beförderer ist von dieser Haftung befreit, wenn der Ausfall, die Verspätung oder das Anschlussversäumnis auf eine der folgenden Ursachen zurückzuführen ist: a) außerhalb des Eisenbahnbetriebes liegende Umstände, die der Beförderer trotz Anwendung der nach Lage des Falles gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte, b) Verschulden des Reisenden oder c) Verhalten eines Dritten, das der Beförderer trotz Anwendung der nach Lage des Falles gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und dessen Folgen er nicht abwenden konnte; ein anderes Unternehmen, das dieselbe Eisenbahninfrastruktur benutzt, gilt nicht als Dritter; Rückgriffsrechte bleiben unberührt.“ 304 Art. 3 Abs. 1 lit. c ii) RiL 2000/35/EG sowie Art. 3 Abs. 1 lit. b RiL 2011/7/EU. Französische Fassung: „à moins que le débiteur ne soit pas responsable du retard“ bzw. in der
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2011/7/EU heißt es nun in Art. 3 Abs. 1 lit. b „es sei denn, dass der Schuldner für den Zahlungsverzug nicht verantwortlich ist“, wobei letzterer gem. Art. 2 Nr. 4 definiert wird als „Zahlung, die nicht innerhalb der vertraglich oder gesetzlich vorgesehenen Zahlungsfrist erfolgt ist, sofern zugleich die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 [...] erfüllt sind“. Die Verweisung auf Art. 3 Abs. 1 lit. b in Art. 2 Nr. 4 ist allerdings systematisch missglückt. Der in beiden Richtlinienversionen enthaltene Wortlaut „es sei denn [...] nicht verantwortlich ist“ verleitet zur Annahme, es würde sowohl hinsichtlich des Zinsanspruchs als auch bezüglich des Ersatzes der Beitreibungskosten eine Haftung für vermutetes Verschulden des Schuldners im klassischen Sinn normiert. Zur Bestätigung dieser Interpretation wird auf die verschiedenen Sprachfassungen der Richtlinie und darauf hingewiesen, dass auch aus nationaler Perspektive die Begriffe „not responsible“ oder „pas responsable“ auf den Begriff des Verschuldens im klassischen Sinn Bezug nähmen,305 so wie dies auch im deutschen Recht in §§ 286 Abs. 4 BGB oder § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB der Fall ist. Eine national geprägte Auslegung des Begriffs nicht verantwortlich in Art. 3 Abs. 1 lit. c ii) RiL 2000/35/EG (jetzt Art. 3 Abs. 1 lit. b RiL 2011/7/EU) liefe jedoch dem Grundsatz autonomer Auslegung zuwider. Zudem deutet der Vergleich des Art. 3 Abs. 1 lit. c ii) RiL 2000/35/EG (jetzt Art. 3 Abs. 1 lit. b RiL 2011/7/EU) mit anderen unionsprivatrechtlichen Vorschriften eher darauf hin, dass der Begriff der Verantwortlichkeit nicht als subjektive Vorwerfbarkeit oder Verschulden „im klassischen Sinn“ zu verstehen ist.306 Zum Vergleich dient die ÜberweisungsVersion 2011/7/EU: „sauf si le débiteur n’est pas responsable du retard“; englische Fassung jeweils: „unless the debtor is not responsible for the delay“; italienische Fassung in der Version 2000/35/EG „a meno che il ritardo non sia imputabile al debitore“ bzw. in der Version 2011/7/EU interessanterweise „e il ritardo è imputabile al debitore“ (aufgrund der anderen Fassungen ist hier eher davon auszugehen, dass frei übersetzt wurde); spanische Fassung: „a menos que el deudor pueda probar que no es responsable del retraso“ und in der Version 2011/7/EU „a menos que el retraso no sea imputable al deudor“; niederländische Fassung jeweils fast wortgleich „tenzij de schuldenaar niet voor de vertraging verantwoordelijk is“. RIESENHUBER, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, § 17 Leistungsstörungen, S. 539, beruft sich neben dem Wortlaut der Vorschrift auf die übrigen Schadensersatztatbestände des europäischen Vertragsrechts, das dem Grundsatz der strikten Garantiehaftung folge. So argumentiert auch SCHULTE-BRAUCKS, NJW 2001, S. 103 (105 f.) und DERS., ERPL 2003, S. 519 (530). 305 LEIBLE, in SCHULTE-NÖLKE/SCHULZE, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, S. 151 (160). 306 Dass bei der Auslegung abstrakter Richtlinienbegriffe der Weg der Auslegung im Lichte des gesamten Unionsprivatrechts, d.h. ein Rückgriff auf in einer anderen Richtlinie enthaltene Definitionen oder deren Konkretisierung abstrakter Rechtsbegriffe, möglich ist, wurde in der Rechtssache Simone Leitner (EuGH, Rs. C-168/00, 12.3.2002, Slg. 2002, I2631) vom in der Sache agierenden Generalanwalt erörtert. Der Gerichtshof sprach sich hierzu in seiner Entscheidung zwar nicht selbst aus, lehnte dieses Vorgehen aber auch nicht
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richtlinie 97/5/EG, welche einen vergleichbaren Anspruch regelte (Entschädigungsanspruch in Form einer Zinszahlung)307 und anerkanntermaßen in ihrem Art. 6 Abs. 1 und 2 eine Garantiehaftung für verspätete Überweisungen normierte.308 Nach Abs. 1 hatte das Institut des Auftraggebers die grenzüberschreitende Überweisung innerhalb der mit dem Auftraggeber vereinbarten Frist auszuführen. Nach Abs. 2 musste das Institut des Begünstigten diesem den Betrag der grenzüberschreitenden Überweisung innerhalb der mit ihm vereinbarten Frist zur Verfügung stellen. Wurde die Überweisung nicht in der vereinbarten Frist durchgeführt, hatten die Institute stets eine Entschädigung zu zahlen. Bankkunden mussten also lediglich darlegen und beweisen, dass die Überweisung verspätet durchgeführt wurde.309 Nach Art. 6 Abs. 3 der RiL 97/5/EG griff der Entschädigungsanspruch nur dann nicht, wenn das Institut (des Auftraggebers oder des Begünstigten) nachweisen konnte, dass die „Verantwortung“ für die eingetretene Verzögerung beim Auftraggeber oder Begünstigten lag310 oder es sich um einen Fall der force majeure (Art. 9) handelte. Art. 6 Abs. 3 sah damit keine explizite Haftungsbefreiung wegen fehlender eigener „Verantwortlichkeit“ vor, sondern nahm ähnlich wie die Pauschalreiserichtlinie in ihrem Art. 5 Abs. 2 mehrere Fälle auf, in welchen die eigene Verantwortlichkeit ausscheiden muss, weil der Gläubiger oder Dritte (Auftraggeber oder Begünstigter) verantwortlich sind oder ein Fall der force majeure vorliegt. Zu einer positiven Definition des Begriffs „Verantwortlichkeit“ verhilft der Vergleich nicht. Der gleiche Begriff ab. Dass er diesem im Fall Leitner selbst nicht folgte, mag vielmehr darin begründet liegen, dass sich der Inhalt des fraglichen Rechtsbegriffs hinreichend aus der Richtlinie selbst ergab. Diesem methodischen Ansatz der Interpretation im Lichte des Unionsprivatrechts folgt auch die Kommission. In ihrer Mitteilung „Ein kohärentes europäisches Vertragsrecht - Ein Aktionsplan“ (KOM(2003) 68 endg., Rn. 21) sieht sie in der Auslegung eines – bereits verwendeten – abstrakten Begriffes im Lichte nur einer konkreten Richtlinie die Gefahr der Zersplitterung nationaler Rechtsvorschriften, da dies Mitgliedstaaten, die im Zuge der Umsetzung auf einen im nationalen Recht bereits vorhandenen allgemeinen Rechtsbegriff zurückgegriffen haben, dazu zwingen könnte, die vorhandene Definition zu ändern, um der konkreten Bedeutung dieses abstrakten Rechtsbegriffs in der betreffenden Richtlinie gerecht zu werden. 307 Zur fortbestehenden Bedeutung der mittlerweile aufgehobenen Richtlinie für die Prinzipienbildung im Unionsprivatrecht siehe Fn 72. Dies gilt insbesondere für die an dieser Stelle diskutierte Frage des Haftungsmaßstabs. 308 STAUDER, in Liber amicorum REICH, S. 491 ff. 309 OHLER, Art. 6 ÜberweisungsRiL, Rn. 5. 310 Art. 6 Abs. 3 RiL 97/5/EG – französische Fassung: „peut établir que le retard est imputable au donneur d’ordre – respectivement, au bénéficiaire“; englische Fassung: „the delay is attributable to the originator or, as the case may be, the beneficiary“; italienische Fassung: „il ritardo sia da imputarsi all’ordinante – rispettivamente al beneficiario“; spanische Fassung: „el retraso es imputable al ordenante o al beneficiario, respectivamente“; niederländische Fassung „de vertraging aan de opdrachtgever, respectievelijk de begunstigde, te wijten is, is geen vergoeding uit hoofde van de leden 1 en 2 verschuldigd“.
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sollte jedoch in den beiden Richtlinien prinzipiell gleich auszulegen sein, weshalb auch die Auslegung der Zahlungsverzugsrichtlinie eher in Richtung einer strengen Haftung mit Entschuldigungsgründen deutet. Für ein Verständnis der Zahlungsverzugsrichtlinie im Sinn einer strengen Haftung mit eng auszulegenden Entlastungsmöglichkeiten spricht im Übrigen auch der Vergleich mit Art. 5 Abs. 2 der Pauschalreiserichtlinie.311 Stellt man die Instrumente in ihren verschiedenen Sprachfassungen gegenüber, heißt es jeweils in ersterer „est imputable“ und in letzterer „est imputable à la faute“, „verantwortlich“ und „Verschulden“, „attributable to“ und “attributable to the fault“, „sia da imputarsi“ und „non siano imputabili a colpa loro“. Lediglich in der spanischen Fassung wird in der Zahlungsverzugsrichtlinie und in Art. 5 Abs. 2 RiL 90/314/EWG der gleiche Begriff „no sea imputable“ verwendet. Wollte der europäische Gesetzgeber in der Zahlungsverzugsrichtlinie auf das Verschulden im klassischen Sinn abstellen, hätte er also zunächst zumindest auf die jeweils an zweiter Stelle genannte, in der Pauschalreiserichtlinie verwendete Formulierung zurückgreifen müssen. Dass das „Verschuldenskonzept“ der Pauschalreiserichtlinie aber dem Konzept der strengen Haftung nahe und dem klassischen Verschuldensprinzip nicht vergleichbar ist, spricht umso mehr dafür, dass sich auch die Zahlungsverzugsrichtlinie von der klassischen Verschuldenshaftung abkehrt. Wie bereits erörtert zeigt sich nämlich, dass die Fälle des fehlenden Verschuldens in Art. 5 Abs. 2 RiL 90/314/EWG wie bei einer strengen Haftung ausgestaltet sind. Zieht man auch hier nochmals zum Vergleich Art. 6 Abs. 3 (und Art. 9) der Überweisungsrichtlinie 97/5/EG heran, die anerkanntermaßen als Fall der Garantiehaftung mit Haftungsbefreiungsmöglichkeit galt, wird die Ausgestaltung des Art. 5 Abs. 2 der Pauschalreiserichtlinie besonders deutlich.312 311
Siehe oben Fn. 294. Nach Art. 5 Abs. 2 RiL 90/314/EWG wird gehaftet, „es sei denn, dass die Nichterfüllung oder die mangelhafte Erfüllung weder auf ein Verschulden des Veranstalters und/oder Vermittlers noch auf ein Verschulden eines anderen Dienstleistungsträgers zurückzuführen ist, weil die festgestellten Versäumnisse bei der Erfüllung des Vertrages dem Verbraucher zuzurechnen sind; diese unvorhersehbaren oder nicht abwendbaren Versäumnisse einem Dritten zuzurechnen sind, der an der Bewirkung der vertraglich vereinbarten Leistungen nicht beteiligt ist; diese Versäumnisse auf höhere Gewalt (Art. 4 Abs. 6 Ua 2 lit. ii) oder auf ein Ereignis zurückzuführen sind, das der Veranstalter und/oder der Vermittler bzw. der Leistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnte.“ In Art. 6 Abs. 3 und 9 RiL 97/5/EG hieß es zum Vergleich: „Eine Entschädigung gemäß den Absätzen 1 und 2 ist dann nicht zu zahlen, wenn das Institut des Auftraggebers oder das Institut des Begünstigten nachweisen kann, dass die Verantwortung für die eingetretene Verzögerung beim Auftraggeber oder dem Begünstigten liegt. Die Institute, die an der Ausführung eines Auftrags für eine grenzüberschreitende Überweisung beteiligt sind, sind unbeschadet der Bestimmungen der Richtlinie 91/308/EWG von den sich aus der vorliegenden Richtlinie ergebenden Verpflichtungen befreit, wenn sie Gründe höherer Gewalt – d. h. ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse, auf die derjenige, der sich auf höhere Gewalt 312
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Auch die Ansicht des EuGH in der Rechtssache C-306/06 Telekom, der sich kurz im Rahmen der Zahlungsverzugsrichtlinie zu dieser Problematik geäußert hat, widerspricht diesen Thesen nicht. Der EuGH stellt darauf ab, dass der Schuldner dann keinem Zinsanspruch unterliegt, wenn der Zahlungsverzug nicht die Folge des Verhaltens des Schuldners ist, weil dieser den erforderlichen Fristen Rechnung getragen hat.313 Er sagt nicht, dass der Schuldner sich aus bestimmten in seiner Person oder seinem Verhalten liegenden Gründen entlasten könne, wenn er die Fristen nicht einhält. Im Übrigen wird im Zusammenhang mit der Zahlungsverzugsrichtlinie teils der Vergleich zur CISG gezogen.314 So heißt es: „Auch hier besteht eine gewisse Parallele mit dem Wiener Kaufrecht, nach dem der Schuldner einige eng umschriebene Entlastungsmöglichkeiten besitzt. Im Übrigen setzt die Richtlinie aber – ebenso wie das UN-Kaufrecht – kein Verschulden des Schuldners im klassischen Sinne voraus.“315 In der Umsetzung der Richtlinie 2000/35/EG316 im nationalen Recht zeigen sich daher auch Unterschiede.317 In Deutschland setzt § 286 Abs. 4 BGB zugleich die Richtlinie um, da der Zinsanspruch im Unternehmensverkehr in § 288 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB auf die Norm verweist; die Umsetzung der Richtlinie präsentiert den Zinsanspruch in Anknüpfung an eine „klassische“ Verschuldenshaftung in Form einer Einwendungsnorm.318 In Österreich wird der durch die Verzögerung der Zahlung einer Geldforderung entstandene Schaden gem. §§ 1333 Abs. 1 ABGB verschuldensunabhängig durch Zinsen vergütet, wobei im Unternehmensverkehr seit 1.1.2007 nicht mehr der frühere § 1333 Abs. 2 ABGB, sondern der durch das in das neue österreichische Unternehmensgesetzbuch319 eingeführte § 352 UGB320 die Umsetzung des Art. 3
beruft, keinen Einfluss hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können – geltend machen können, die im Zusammenhang mit diesen Bestimmungen von Bedeutung sind.“ 313 EuGH, C-306/06, 01051 Telekom, 3.4.2008, Slg. 2008, I-1923, Rn. 30. 314 Siehe Art. 78 und 79 CISG, letzterer gibt bei einem Zinsanspruch keine Entlastungsmöglichkeit. BACHER, in SCHLECHTRIEM, Kommentar zum einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 78 CISG, Rn. 17. 315 SCHULTE-BRAUCKS, NJW 2001, S. 103 (106); SCHULTE-BRAUCKS/ONGENA, ERPL 4 (2003), S. 519 (530); hierauf weist auch SCHMIDT-KESSEL, NJW 2001, S. 97 (99), Fn. 23 hin: „Für die erforderliche Grenzziehung ist von besonderem Interesse, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung dieses Erfordernisses Art. 79 CISG im Blick hatte.“ 316 Richtlinie 2011/7/EU ersetzt seit 16. März 2013 die vorherige Fassung 2000/35/EG und ist bis dahin von den Mitgliedstaaten umzusetzen. 317 Vgl. zu den Details hierzu Kap. 3, § 3 I 2. 318 KOHLER, JZ 2004, S. 961 (963); Palandt/HEINRICHS, Rn. 39. 319 Vgl. hierzu das Handelsrechts-Änderungsgesetz (öBGBl I 2005/120). 320 Vgl. § 352 UGB: „Bei der Verzögerung der Zahlung von Geldforderungen zwischen Unternehmern aus unternehmensbezogenen Geschäften beträgt der gesetzliche Zinssatz acht
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Abs. 1 lit. d) RiL 2000/35/EG im Hinblick auf die Zinshöhe übernimmt. Auch hier gelten aber die §§ 1333 und 1334 ABGB, aus welchen sich ergibt, dass eine Verzögerung einem Schuldner bereits dann zur Last fällt, wenn er den durch Vertrag oder Gesetz bestimmten Zahlungstag nicht einhält. In letzterem Fall ergibt sich dieser aus § 1334 Satz 2 ABGB durch Einmahnung. An den so ermittelten Zahlungstermin knüpft sich ein Fälligkeitszins. In Italien heißt es hingegen in Art. 3 des decreto legislativo 231/2002,321 dass der Gläubiger dann keinen Zinsanspruch geltend machen kann, wenn der Schuldner nachweist, dass die Verzögerung der Zahlung auf einer Unmöglichkeit seiner Leistung „derivante da causa a lui non imputabile“ beruht. Die Norm nähert sich hierdurch dem strengeren System der italienischen Vertragshaftung in Art. 1218 des Codice Civile an.322 Angesichts dieses Befundes wird fraglich, ob die Regelung des § 286 Abs. 4 BGB die Richtlinie korrekt umsetzt, da sie gem. 288 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 i.V.m. § 286 Abs. 4 BGB auch Geschäfte betrifft, die in den originären Anwendungsbereich der Zahlungsverzugsrichtlinie fallen. Sieht man die Haftung in Art. 3 Abs. 1 lit. c ii) RiL 2000/35/EG als eine strenge Haftung an und nimmt man die Unterscheidung strenge Haftung - Verschuldenshaftung trotz praktischer Annäherung dogmatisch genau, bewirkt die Verschuldensabhängigkeit des Zinsanspruchs ein unzulässiges Abweichen vom EU-rechtlichen Standard zu Lasten des Gläubigers, da sich der Schuldner nach deutschem Recht jedenfalls im Grundsatz leichter entlasten kann. c. Entlastungstatbestände An die unionsprivatrechtliche Tendenz zur strengen Haftung knüpfen, wie gesehen, mehr oder weniger systematisch Möglichkeiten zur Haftungsentlastung an. Allerdings besteht auch bei den Entlastungsgründen in verschiedenen Regelwerken nur teilweise Einheitlichkeit. Während die Zahlungsverzugsrichtlinie in der Fassung 2000/35/EG wie 2011/7/EU von einem Zinsanspruch nur ausnimmt, „wenn der Schuldner [...] nicht verantwortlich ist“, und auf eine nähere Umschreibung des „Nicht-Verantwortlich-Seins“ verzichtet, zeichnet sich in anderen Richtlinien eine Entlastung bei Gläubigerfehlverhalten, Handlungen Dritter und im Fall der force majeure ab, wobei die genaue Begriffsumschreibung je nach Rechtsakt variieren kann. Obgleich diese Trias relativ häufig wiederkehrt, ist ein EU-weiter Grundsatz der Entlastung insbesondere wegen force majeure insofern kritisch zu hinterfragen,323 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Dabei ist der Basiszinssatz, der am letzten Kalendertag eines Halbjahres gilt, für das nächste Halbjahr maßgebend.“ 321 Decreto Legislativo, 9.10.2002, n. 231, GURI n. 249, 23.10.2002. 322 Vgl. genauer unten Teil 2, Kap. 7, § 3 I 2. 323 Zum öffentlichen EG-Recht LOMBARDI, Int.’l Trade & Bus.L.A. 3 (1997), S. 81 (105 f.).
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als nach einigen Regelwerken explizit wegen force majeure entlastet wird, nach anderen wegen eines ähnlichen, aber in den Voraussetzungen weniger strengen Entlastungsgrunds. aa. Entlastung des Schuldners bei force majeure Eine ausdrückliche – und übereinstimmende – Definition der force majeure (die dort auch als solche bezeichnet wird) enthalten Art. 9 der Richtlinie 97/5/ EG sowie Art. 4 Abs. 6 Unterabsatz 2 lit. ii) der Richtlinie 90/314/ EWG. Die Entlastungsklausel des Art. 9 der Richtlinie 97/5/EG befreite die Institute bei Vorliegen von „Gründen höherer Gewalt“ von den sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen. In Art. 9 wurden diese als „ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse definiert, auf die das Institut keinen Einfluss hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können“. Es musste sich also um ein a) ungewöhnliches, b) unvorhersehbares und c) trotz gebotener Sorgfaltsbemühungen unabwendbares Ereignis handeln, das d) außerhalb der Einflusssphäre des Schuldners liegt. Alle Merkmale mussten kumulativ vorliegen. Auch die Richtlinie 90/314/EWG enthält in Art. 4 Absatz 6 Unterabsatz 2 Ziffer ii) eine Definition der höheren Gewalt: Auch sie versteht darunter ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse, auf die derjenige, der sich auf höhere Gewalt beruft, keinen Einfluss hat, und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können. Die Definition entspricht insoweit der in Art. 9 der Überweisungsrichtlinie genannten Begriffsbestimmung. Demgegenüber reicht es gem. Art. 5 Abs. 3 der Flugverspätungsverordnung für die Haftungsbefreiung eines ausführenden Luftfahrtunternehmens von der Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen bei Annullierung eines Fluges, wenn es nachweisen kann, dass diese „auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären“.324 Man denkt zunächst ebenfalls an eine Entlastung wegen force majeure, die Entlastung basiert hier allerdings nur auf den Elementen a) außergewöhnliche Umstände die b) trotz zumutbarer Maßnahmen unvermeidbar sind. In Art. 5 Abs. 3 der Flugverspätungsverordnung bleibt im Gegensatz zur Definition der force majeure neben der Tatsache, dass das Ereignis außerhalb der Einflusssphäre des Schuldners liegen muss, auch der Aspekt der Unvorhersehbarkeit unerwähnt. Auch in der Formulierung, das Luftfahrtunternehmen habe „alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen“ kann ein Unterschied zur „Anwendung der gebotenen Sorgfaltsbemühungen“ im Sinn der Art. 9 RiL 97/5/EG oder 4 Abs. 6 Unterabsatz 2 lit ii) RiL 90/314/EWG liegen. Die Auslegung der Begriffe der 324
Vgl. auch deren Erwägungsgrund 12.
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außergewöhnlichen Umstände und der zumutbaren Maßnahmen bei technischen Problemen von Luftfahrzeugen wurde daher Gegenstand einer Vorlage des dänischen Østre Landsret zum EuGH (Rs. C-396/06, Kramme).325 Die Formulierung des Enthaftungstatbestands ist jedenfalls einer weiten Auslegung zugänglich. Dies wurde auch seitens der Kommission als problematisch angesehen, und es wurden Zweifel geäußert, ob sich Luftfahrtunternehmen nicht zu häufig auf außergewöhnliche Umstände berufen würden, um Ausgleichszahlungen zu vermeiden. Die Folgen sind für den Reisenden prekär: „Den Fluggästen bleibt somit praktisch nichts anderes übrig, als die Entscheidung des Luftfahrtunternehmens zu akzeptieren, oder aber den Rechtsweg zu beschreiten.“326 Auch die Haftungsnorm des Art. 19 MontrealÜ wird durch Art. 19 Satz 2 und Art. 20 MontrealÜ eingeschränkt. Allerdings ist die Haftungsbefreiung weniger streng formuliert. Der Luftfrachtführer haftet danach nicht für den Verspätungsschaden, wenn ihm der Nachweis gelingt, dass er und sein Personal alle zumutbaren Maßnahmen zur Schadensvermeidung getroffen haben, oder es ihm oder ihnen nicht möglich war, solche Maßnahmen zu ergreifen. Auf außergewöhnliche Umstände wird hier nicht ausdrücklich abgestellt. Der Haftungsausschluss in Anhang A zur COTIF, Art. 32 Abs. 2 lit. a - c CIV unterscheidet sich hiervon. Der Beförderer ist – abgesehen von Fällen des Fehlverhaltens des Gläubigers oder Dritter – von der Haftung wegen Transportausfall, Verspätung oder Anschlussversäumnis nur befreit, wenn 325
Rs. C-396/06, Eivind F. Kramme/SAS Scandinavian Airlines Danmark A/S, 21. 9. 2006 (ABl. C 294, 2.12.2006, S. 29, 30). Vorlagefragen: „1. Liegen außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004, wenn ein Luftfahrzeug wegen technischer Probleme außer Betrieb gesetzt wird und dies eine Annullierung des Fluges zur Folge hat? 2. Wenn Frage 1 bejaht werden sollte: Welche zumutbaren Maßnahmen im Sinne der Verordnung muss ein Luftfahrtunternehmen treffen, um Annullierungen wegen technischer Probleme zu vermeiden? 3. Wenn Frage 1 bejaht werden sollte: Hat ein Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um eine Annullierung im Sinne der Verordnung zu vermeiden, wenn sich feststellen lässt, dass keine freien Luftfahrzeuge zur Durchführung des Fluges zur Verfügung standen, den das Luftfahrzeug, das aufgrund technischer Probleme außer Betrieb gesetzt wurde, planmäßig hätte durchführen sollen? 4. Wenn Frage 1 bejaht werden sollte: Ist es von Bedeutung, wenn die Unterlagen über die technischen Probleme, auf die sich das Luftfahrtunternehmen beruft, ausschließlich von diesem Luftfahrtunternehmen selbst stammen?“ Die Vorlage wurde allerdings vom vorlegenden Gericht zurückgenommen, vgl. den Beschluss des EuGH vom 11.4.2008. 326 Kommissionsmitteilung vom 4. April 2007 an das Europäische Parlament und den Rat gemäß Artikel 17 der Verordnung 261/2004/EG über die Anwendung und die Ergebnisse der Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen, unter 5.2.
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diese jeweils auf „außerhalb des Eisenbahnbetriebes liegende Umstände zurückzuführen sind, welche der Beförderer trotz Anwendung der nach Lage des Falles gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und dessen Folgen er nicht abwenden konnte“. Aus Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 90/314/EWG ergibt sich zudem, dass die Schadensersatzhaftung unter anderem auch dann nicht greifen soll, wenn die Versäumnisse nicht auf höhere Gewalt, sondern (nur) auf ein Ereignis zurückzuführen sind, das der Veranstalter und/oder der Vermittler beziehungsweise der Leistungsträger a) trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder b) nicht abwenden konnte. Ungewöhnlich muss das Ereignis nicht sein. Auch soll die Schadensersatzhaftung ausgeschlossen sein, wenn es sich um ein Ereignis handelt, das nicht vorhersehbar oder unabwendbar war. Ist nur eines von beidem der Fall, ist der Schadenseintritt nicht zurechenbar. Von diesem weiter gefassten Entlastungstatbestand in Art. 5 Abs. 2 RiL 90/314/EWG sollen also nach dem Willen des Richtliniengebers auch weniger ungewöhnliche Ereignisse umfasst sein und ein Freiwerden von der Haftung bereits eintreten, wenn das Ereignis nicht vorhersehbar oder alternativ nicht vermeidbar war. Es gibt damit neben der force majeure weitere, ähnlich konzipierte aber weiter gefasste Entlastungstatbestände. Das Unionsprivatrecht ist hier differenzierter als die PECL oder der Code Européen. Ob diese Differenzierung immer geplant war, ist jedoch zweifelhaft. Die relativ subtilen Unterschiede zwischen der Definition der force majeure in Art. 4 Abs. 6 Unterabsatz 2 Ziffer ii) der Richtlinie 90/314/EWG und dem weiteren in ihrem Art. 5 Abs. 2 Spiegelstrich 3 erwähnten Entlastungsgrund führen zu Missverständnissen und werden in der nationalen Umsetzung und Judikatur teils uneinheitlich erfasst. So wird höhere Gewalt gem. § 651j BGB vom BGH als ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes und auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis aufgefasst.327 Weder die Ungewöhnlichkeit noch die Unvorhersehbarkeit des Ereignisses werden ausdrücklich gefordert. Teils wird in nationaler Gesetzgebung ein allgemeiner force majeure-Begriff durch eine konkrete Liste ungewöhnlicher Ereignisse ersetzt.328 Die Entlastungstatbestände wegen force majeure oder außergewöhnlicher Umstände präsentieren damit ein insgesamt eher uneinheitliches Bild, bei dem unklar bleibt, inwieweit der europäische Gesetzgeber bewusste Unterschiede machen wollte.
327 328
BGHZ 100, 185, BGH X ZR 17/01, 16.4.2002. So Art. 12 des finnischen Pauschalreisegesetzes vom 28.11.1994/1079.
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bb. Entlastung des Schuldners bei Fehlverhalten Dritter Aus Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 90/314/EWG wird erkennbar, dass der Schuldner für das Fehlverhalten eines Dritten einstehen muss, dessen er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten bedient.329 Anders ist dies hingegen, wenn es sich um das Fehlverhalten Dritter handelt, die an der Bewirkung der vertraglich vereinbarten Leistungen nicht beteiligt sind. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Spiegelstrich 2 erlaubt unter dieser Prämisse eine Entlastung des Schuldners, wenn es sich um unvorhersehbare oder nicht abwendbare Versäumnisse handelt. Eine Entlastung ist also unter erleichterten Bedingungen möglich, wenn es sich um einen nicht zur Erfüllung der Verbindlichkeit des Schuldners eingesetzten Dritten handelt. Hier reicht es, wenn für den Schuldner die Leistungshindernisse entweder unvorhersehbar oder nicht abwendbar waren. Auch Art. 32 Abs. 2 lit. c CIV präzisiert den Haftungsausschluss bei Fehlverhalten Dritter. Der Beförderer wird nur entlastet, wenn der Schaden auf das Verhalten eines Dritten zurückzuführen ist, das der Beförderer trotz Anwendung der nach Lage des Falles gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und dessen Folgen er nicht abwenden konnte. Hier wirkt allerdings das Fehlverhalten unbeteiligter Dritter wie auch das Verhalten Dritter im Einflussbereich des Beförderers unter den gleichen strengen Bedingungen entlastend. cc. Entlastung des Schuldners bei Mitverschulden des Gläubigers Eine Regelung zum Mitverschulden enthält Art. 4 Abs. 6 Richtlinie 90/314/ EWG. Die dort genannten Ansprüche des Verbrauchers können bei einem Mitverschulden des Gläubigers ausscheiden. Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 90/ 314/EWG entlastet, wenn die festgestellten Versäumnisse bei der Erfüllung des Vertrages, die dem Verbraucher einen Anspruch wegen Nichterfüllung geben würden, letzterem zuzurechnen sind. Hier sieht der europäische Gesetzgeber eine erleichterte Befreiung des Schuldners vor. Eine (für die Mitgliedstaaten optionale) Reduzierung des Anspruchs des Gläubigers um 329
Art. 5 Abs. 2 Spiegelstrich 3 RiL 90/314/EWG. Auch die Richtlinie 85/374/EWG spricht das Problem der Beteiligung Dritter an und regelt in ihrem Art. 8 Abs. 1, dass unbeschadet des einzelstaatlichen Rückgriffsrechts die Haftung eines Herstellers nicht gemindert wird, wenn der Schaden durch einen Fehler des Produkts und zugleich durch die Handlung eines Dritten verursacht worden ist. Eine Enthaftung für ein Fehlverhalten Dritter kommt also jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn daneben auch ein Fehler des Produktes vorliegt. Ob ein schuldhaftes Fehlverhalten des Dritten zu einer gesamtschuldnerischen Haftung mit dem Hersteller führen könnte spart die Richtlinie aus und überlässt die Problematik im Weiteren dem einzelstaatlichen Recht. Die Besonderheiten dieser Regelung sollen hier jedoch außer Betracht bleiben, da es sich nicht um eine Haftung aus einem Vertragsverhältnis sondern um eine deliktische Haftung handelt. Zu den Einzelheiten der Richtlinie 85/374/EWG vgl. USUNIER/VEILLARD, in AUBERT DE VINCELLES/ROCHFELD, S. 95 (108 ff.).
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seinen eigenen Mitverschuldensanteil eröffnet auch Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 85/374/EWG. Gem. Art. 20 MontrealÜ wird der Luftfrachtführer über Art. 20 Satz 3 auch von der Haftung für Verzögerungsschäden nach Art. 19 befreit, wenn der Schadensersatzgläubiger den Schaden durch seine eigene auch nur fahrlässige unrechtmäßige Handlung oder Unterlassung verursacht oder zum Schaden beigetragen hat. Das System unterscheidet sich nur im letzten Punkt von der Vorgängervorschrift in Art. 21 WarschA 1955. Dieser erhielt nur eine Ermächtigung des nationalen Gerichts, nach seinem Recht den Luftfrachtführer ganz oder teilweise von der Haftung zu befreien, wenn der Geschädigte zumindest fahrlässig zur Schadensverwirklichung beitrug. Auch Art. 32 Abs. 2 lit. b CIV entlastet den Beförderer bei Eigenverschulden des Reisenden von der Haftung wegen Transportausfall, Verspätung oder Anschlussversäumnis. 9. Vertragstreue des Gläubigers Eine ausdrückliche Regelung zur Vertragstreue des Gläubigers findet sich in Art. 3 Abs. 1 lit. c i) der Zahlungsverzugsrichtlinie (RiL 2000/35/EG; jetzt Art. 3 Abs. 1 lit. a RiL 2011/7/EU). Die eigene Vertragstreue des Gläubigers ist dort Tatbestandsvoraussetzung des Zinsanspruchs. Der Gläubiger kann diesen nur geltend machen, wenn er selbst seine vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt hat. Dabei beschränkt sich die Richtlinie ihrem Wortlaut nach nicht auf synallagmatische Pflichten, sondern bezieht sich auch auf Nebenleistungspflichten. Die Vorschrift bietet dem Zahlungsschuldner damit einen relativ starken Schutz, da im Grunde ein nach nationalem Rechtsverständnis bloßes Zurückbehaltungsrecht verzugshindernd ist.330 Die ausdrückliche Normierung der eigenen Vertragstreue des Gläubigers stellt ein Korrektiv für die strenge Verzugshaftung des Zahlungsschuldners und eine Konkretisierung des Rechtsmissbrauchsverbots dar.331 Aus der systematischen Stellung der Vorschrift unter Art. 3 Abs. 1 lit. c i) RiL 2000/35/EG (noch deutlicher nun in Art. 3 Abs. 1 lit. a iVm. Art. 2 Abs. 4 RiL 2011/7/EU) ergibt sich, dass sie sowohl bei Verstreichen der vertraglichen als auch der gesetzlichen Zahlungsfrist gilt.332 Diese Bedingung wird in der Richtlinie 2011/7/EU nun ausdrücklich auch für den Anspruch auf Ersatz der Beitreibungskosten gefordert. Dies ist in der Richtlinie 2000/35/EG nicht der Fall, in welcher der Ersatz der Beitreibungskosten systematisch unter Art. 3 Abs. 1 lit. e RiL 2000/35/EG geregelt und damit nicht im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 lit. c i) RiL 2000/35/EG 330
So auch RIESENHUBER, § 17 Leistungsstörungen, S. 473. SCHMIDT-KESSEL, JbJZivRWiss 2000, S. 61 (80). 332 RIESENHUBER, § 17 Leistungsstörungen, S. 472. 331
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geregelt ist. Es wurde aber auch im Hinblick auf Richtlinie 2000/35/EG argumentiert, der Richtliniengeber habe die Beitreibungskosten bewusst nicht von der Vertragstreue des Gläubigers abhängig machen wollen, denn andernfalls hätte er Art. 3 RiL 2000/35/EG nur umgestalten müssen. SCHMIDTKESSEL zieht die Parallele zur Einrede des nichterfüllten Vertrages und der Zug-um-Zug-Verurteilung nach deutschem Recht.333 Aufgrund der klaren Neufassung der Richtlinie 2011/7/EU wird jedoch deutlich, dass es sich nur um ein Redaktionsversehen handelte334 und die Vertragstreue des Gläubigers auch Voraussetzung des Anspruchs auf Ersatz der Beitreibungskosten ist.335
333
SCHMIDT-KESSEL, NJW 2001, S. 97 (99). Für die Beachtung der Vertragstreue des Gläubiges als Tatbestandvoraussetzung des Anspruchs auf Beitreibungskosten auch: GSELL, ZIP 2000, S. 1861 (1867) und LEIBLE, in SCHULTE-NÖLKE/SCHULZE, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, S. 151 (161). 335 RIESENHUBER, § 17 Leistungsstörungen, S. 472; GSELL, ZIP 2000, S. 1861 (1867). 334
Kapitel 6
Historisches Einheitsrecht As Pomponius, in the twelfth book of his Letters, says, it is difficult to define delay. (Marcianus, D. 22, 1, 32)
Ein weiterer Maßstab der untersuchten europäischen Regelungsmodelle ist das historische Einheitsrecht. Dies gilt in ganz besonderer Weise für die Behandlung der Leistungsverzögerung, die in nationalen Rechten vom historischen Verzugstatbestand geprägt ist. Um das Konzept des Verzugs, seine Rechtsfolgen, sein Verhältnis zur Nichterfüllungshaftung und vor allem seine Daseinsberechtigung in einem europäischen Vertragsrecht beurteilen zu können, ist an den Ursprung dieser Rechtsfigur zurückzukehren. Erst dies erlaubt die Beurteilung, ob wie in den Principles auf den Verzug verzichtet und die Leistungsverzögerungsproblematik gänzlich in die Nichterfüllungshaftung integriert werden kann und sollte, oder ob nach dem Modell des Code Européen der Verzug auch in einem europäischen Vertragsrecht eine raison d’être hat.
Unterkapitel 1
Klassisches römisches Recht – Ursprung des Verzugstatbestands Dabei soll es, soweit identifizierbar, zunächst um die Grundsätze gehen, die den ursprünglichen klassischen Stand des römischen Rechts vor inhaltlichen Veränderungen in Nachklassik und ius commune wiedergeben.
§ 1 Römisches Obligationenrecht und mora debitoris Die römischrechtlichen Quellen sind in ihrem historischen Kontext und unter Zugrundelegung ihres damaligen Rechts- und Institutionenbegriffs zu sehen und dürfen nicht durch anachronistische Verwendung von Rechtsfiguren vor-
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
eilig an heutige Rechtssysteme assimiliert werden.1 Der Schuldnerverzug, die sogenannte mora debitoris, ist weder mit dem heutigen kontinentaleuropäischen Verzugstatbestand noch mit der Nichterfüllungshaftung der PECL gleichzusetzen. Römisches Vertragsrecht war ein dem heutigen kontinentalen Schuldrecht in seiner Struktur und seinem Abstraktionsgrad nicht vergleichbares und von heutigem Systemdenken weitgehend freies kasuistisches Individualvertragsrecht, das nicht nach Systematisierung und Generalisierung des Rechts strebte, sondern nach einer sachgerechten Einzelfalllösung.2 Ein als solches konzi1
Vgl. WIEACKER, in Festschrift Schwind, S. 355 (369); VON JHERING, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung II, S. 122. Nach Ansicht VON JHERINGS verbietet es sich, die heutige Betrachtungsweise in die Vergangenheit zu übertragen. 2 GAIUS teilte das römische Vertragstypenrecht in formelle (Verbal- und Literalverträge) und materielle Verträge (Real- und Konsensualverträge) ein; er benutzte den Begriff des Vertrages (contractus) erstmals als solchen, als er die Einteilung der Obligationen in ex „contractu vel ex delictu“ vornahm (vgl. GAIUS, Inst. 3.88-89; WATSON, Roman Law and Comparative Law, S. 54; SCHULZ, Classical Roman Law, S. 466, 468 f.). Der „klassische“ Vertrag war an bestimmte Formalitäten geknüpft; das typische Beispiel war der Verbalvertrag durch stipulatio der Parteien: Eine Partei stellte der anderen eine konkrete mündliche Frage und erhielt eine entsprechende gleichlautende mündliche Antwort der anderen, was die Parteien auf den bindenden Charakter des Versprechens deutlich hinwies (vgl. MAINE, Ancient Law, S. 192 ff.). Die zwingende Mündlichkeit der stipulatio wertete man daher in klassischer Zeit gegenüber der nachklassischen schriftlichen stipulatio höher (so SCHULZ, Classical Roman Law, S. 474); man ging gleichwohl dazu über, sie in eine Urkunde aufzunehmen. Hinsichtlich des konkreten Inhalts war die stipulatio weitgehend flexibel: Jede erlaubte Leistung konnte versprochen werden, ULP., D. 45, 1, 26; POMP., D. 45, 1, 5. Der Inhalt der Verpflichtung wurde jedoch durch den Wortlaut der Stipulation genau festgelegt. Der Schuldinhalt beschränkte sich ausschließlich auf diese Absprache, was im Fall der Leistungsstörung eine entscheidende Rolle spielte, zur Befreiung von der Leistungspflicht nach der Regel des impossibilium nulla est obligatio (nicht aber zur Nichtigkeit des Vertrages) führte und auch die besonderen Folgen der mora erklären wird. Eine vertragliche Verpflichtung konnte auch rein durch „Handlung“ als Realvertrag begründet werden. Der Realvertrag bestand in einer Leistung des Gläubigers, wobei benannte (Nominat-)Realverträge (Darlehen, Miete, Hinterlegung, Pfand) und unbenannte (Innominat-)Realverträge unterschieden wurden. Die Konsensualverträge entstanden durch übereinstimmenden Parteiwillen (consensus), ohne Formalia oder traditio und konnten zwischen Abwesenden geschlossen werden, weshalb das klassische ius civile nur vier Typen anerkannte, darunter als bedeutsamsten den Kauf (emptio venditio), aber auch Miet-, Pacht-, Dienst- und Werkvertrag (locatio conductio), Gesellschaft (societas) und Auftrag (mandatum), vgl. GAIUS, Inst. 3.135. Die Konsensualverträge basierten auf dem Grundsatz der bona fides, vgl. WATSON, Roman Law and Comparative Law, S. 60. Der Kaufvertrag verpflichtete die Vertragspartner nicht nur zur Leistung der Kaufsache und Gegenleistung des Kaufpreises, sondern lautete auf „quidquid dare facere oportet ex fide bona,“ d.h. er erweiterte den Schuldinhalt im Verhältnis zur stipulatio um diverse Nebenpflichten ex fide bona. Im Rahmen der bonae fidei iudicia konnte sich daher auch ein flexibleres Nichterfüllungsrecht entwickeln; auch hinsichtlich der Rechtsfolgen der mora galten Besonderheiten.
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piertes allgemeines Vertragsrechts und bereits ein allgemeiner Vertragsbegriff3 waren dem klassischen römischen Recht fremd.4 Dies erklärt auch, warum es ursprünglich kein einheitliches Nichterfüllungskonzept im heutigen Sinn geben konnte und warum das römische Obligationenrecht trotz seiner teils überragenden Lösungen einzelner Rechtsprobleme die Systematik kontinentaleuropäischer Kodifikationen, die ihm als strukturgebendem Modell folgten, auch negativ beeinflusst hat.5 Insoweit fühlt man sich auch ein wenig an die Konzeption des Unionsprivatrechts und seine Wirkung auf nationale Rechtssysteme erinnert. Die fehlende Ausbildung eines strukturierten Rechtssystems war vor allem durch die prozessualen Besonderheiten des klassischen römischen Rechts bedingt. Im Gegensatz zum heutigen materiellrechtlichen Anspruchsdenken galt dort der Grundsatz „ubi remedium ibi ius.“ Wesentliches Charakteristikum einer Obligation war ihre prozessuale Durchsetzung; bindenden Charakter gewann sie nur durch ihre Klagbarkeit. Es kam weniger auf den Vertragstyp als auf die zur Verfügung stehende actio an, die in sich zugleich Anspruch und Klage vereinigte.6 Man unterschied zwei Hauptgruppen von Klagen, die actiones stricti iuris, die strengen Klagen7 und die actiones formula incerta, die freien Klagen. Die Unterscheidung wurde je nach Bestimmtheit des Vertragsgegenstands und Abfassung der Klageformel getroffen. Zu letzteren gehörte die sog. bonae fidei iudicia.8 Die Differenzierung in strenge und freie Klagen spielte bei der Verzögerung der Leistung eine große Rolle, da sich die Vorschriften zur mora debitoris nur in ihrem Lichte erschließen. 3
Bedeutsamer war der weitere Begriff der obligatio, der Verpflichtung eines Schuldners gegenüber einem Gläubiger zu einem Geben, Tun oder dem Garantieren eines bestimmten Ergebnisses, die ein vinculum iuris zwischen den Parteien schuf (U LP., D. 2, 14, 1, 3; LÉVY/ CASTALDO, Histoire du droit civil, S. 647; COING, Europäisches Privatrecht I, S. 398 f. 4 SCHULZ, Classical Roman Law, S. 463. 5 Vgl. z.B. den Einfluss der kaufrechtlichen Gewährleistung nach klassischem ius civile (Haftung nur für „dicta et promessa in vendendo“ und „dolo malo“) und der eigentlich nachklassischen Theorie des „error in substantia“ auf kontinentaleuropäische Kodifikationen. 6 Jedem dinglichen und jedem obligatorischen Recht entsprach eine bestimmte actio in rem oder actio in personam. Aus der Zulassung einer actio ergab sich zugleich die Schutzwürdigkeit eines Sachverhalts, ohne dass der eigentlichen materiellrechtlichen Situation eine gesonderte Bedeutung zukam. Gegenstand der actio war die ursprünglich geschuldete Leistung, die die Partei, deren Forderung nicht erfüllt wurde, gerichtlich geltend machte. ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 6, 7; KRIECHBAUM. Actio, ius und dominium in den Rechtslehren des 13. und 14. Jahrhunderts, S. 194 ff. Die materiellrechtlichen Fragen waren lediglich „Abscheidungen des Prozessrechts in dessen Höhlungen und Fugen“, so MAINE, Early Law and Custom, S. 389, für das frühe common law das von einem dem römischen Recht vergleichbaren aktionenrechtlichen Denken beherrscht wurde; vgl. auch PETER, Actio und Writ. 7 Modell der stipulatio einer bestimmten Sache. 8 Modell des Kaufs.
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Bei den strengen Klagen gaben die durch prätorianische oder ädilizische Edikte vorformulierten Klageformeln, meist aus einer stipulatio certae rei oder einer condictio certae rei,9 den Schuldinhalt präzise wieder und lauteten entsprechend auf ein „certam rem…“ oder „sestertium decem milia…dare oportere“, d.h. auf Leistung oder Rückgabe einer bestimmten Sache, einer bestimmten Menge vertretbarer Sachen10 oder auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme. Die strenge formula erlaubte keine Flexibilität bei der Urteilsfindung: Schuldete der Beklagte eine bestimmte Geldsumme, aber nicht (mehr) in der eingeklagten Höhe, war die Klage nicht teilweise, sondern vollständig abzuweisen.11 Im Fall der Nichtleistung musste der Schuldner entsprechend der Klageformel auf Erbringung der genau bestimmten ursprünglichen Leistung verklagt werden. Ein Urteil konnte jedoch nicht auf Naturalerfüllung, sondern nur auf das Interesse an der Naturalleistung lauten, d.h. auf eine Geldzahlung (condemnatio pecuniaria).12 Zu einer Verurteilung in Geld kam es also auch bei Klagen, bei denen die eigentliche obligatio objektiv erfüllbar war, es sei denn, der Schuldner erbrachte seine Leistung nachträglich während des Prozesses. Dies blieb ihm grundsätzlich unbenommen, da erst das Urteil die Primärleistung in eine Geldschuld umwandelte. Wurde die Leistung einer certam rem nach Vertragsschluss objektiv unmöglich, was bei gattungsmäßig bestimmten Leistungen13 und im Rahmen der actiones certae creditae pecuniae von vornherein nicht in Betracht kam, wurde zwar der Schuldner prinzipiell nach dem Grundsatz impossibilium nulla est obligatio14 von seiner Leistungspflicht frei, denn diese wurde aufgrund der Beschränkung 9
KASER/KNÜTEL, Römisches Privatrecht, S. 17. Die Herausgabe der Früchte war jedoch trotz der strengen Klageformel möglich, siehe PAUL., D. 22, 1, 38, 10. 11 HONSELL, Römisches Recht, S. 87. 12 „Iudex, si condemnet, certam pecuniam condemnare debet.”, PAUL., D. 44, 7, 3 pr.; HACKL, in Handbuch der Altertumswissenschaft, S. 372; BLAUROCK, Culpa-Haftung und nachträgliche Unmöglichkeit, S. 51 ff. 13 PAUL., D. 45, 1, 83, 5; 45, 1, 91 pr.: „genus perire non censetur”; JOLOWICZ, Roman foundations of modern law, S. 93. 14 Im Fall der nachträglichen subjektiven Unmöglichkeit war diese Fiktion entbehrlich, da die Leistung ja prinzipiell möglich war, nur eben dem Schuldner nicht. Bei anfänglicher objektiver Unmöglichkeit im Rahmen der „actiones certam rem dare“ entstand gar keine Verpflichtung, bei anfänglicher subjektiver Unmöglichkeit hingegen schon, vgl. zu letzterer D. 45, 1, 137, 5: „Si ab eo stipulatus sim, qui efficere non possit, cum alio possibile sit, iure factam obligationem Sabinus scribit.“ Die kategorische Unterscheidung in einzelne Grundformen der Unmöglichkeit (anfängliche-nachträgliche, objektive-subjektive) entspringt jedoch erst der Lehre MOMMSENS und WINDSCHEIDS, siehe MOMMSEN, Beiträge zum Obligationenrecht, Erste Abteilung, Die Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse; Dritte Abteilung, Die Lehre von der Mora nebst Beiträgen zur Lehre von der Culpa; WINDSCHEID/KIPP, Pandektenrecht, insb. §§ 264, 315, m.w.N.; vgl. auch SCHMIDLIN/ CANETTA, Droit privé romain II, S. 82. 10
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des Schuldinhalts obsolet. Dennoch wurde, um Ungerechtigkeiten zu vermeiden, wenn dem Schuldner die Unmöglichkeit zuzurechnen war, die vertragliche Verpflichtung über eine Fiktion als fortbestehend unterstellt (perpetuatio obligationis).15 Die Unmöglichkeit führte damit zwar faktisch zum Erlöschen der Leistungspflicht des Schuldners, die Pflicht zur Leistung wurde jedoch fiktiv perpetuiert, um eine Verurteilung auf der Grundlage der strengen Klageformel überhaupt zu ermöglichen. Dies funktionierte insofern, als auch ein „Leistungsurteil“ generell auf Zahlung von Geldersatz und eben nie auf Naturalerfüllung lautete, war aber eine künstliche Konstruktion.16 Diese Fiktion spielte auch bei einem Schuldner in mora eine Rolle, und zwar selbst dann, wenn der Leistungsgegenstand nur zufällig unterging. Die perpetuatio bei der mora zeigte, dass das Verstreichen der Leistungszeit allein noch keine Folgen zeitigte, denn nicht die Missachtung der Leistungszeit als solche, sondern erst die anschließende Nichtleistung wurde sanktioniert. Erstere bewirkte lediglich, dass der Schuldner das Risiko des Sachuntergangs trug, egal welchen Grund dieser hatte, und dass er entsprechend auch bei lediglich zufälligem Untergang zu einer Geldleistung verurteilt werden konnte.17 Diese Eigenheit der Verurteilung in Geld, die vor allem im römischen Vollstreckungsrecht und dem Fehlen der Einzelzwangsvollstreckung begründet liegt, erklärt auch, dass das römische Recht kein Schadensersatzrecht im eigentlichen Sinn kannte, sondern der Schadensersatz vielmehr die prozessuale Ausprägung eines jeden Sachleistungsanspruchs war.18 Schadensersatzrechtliche Fragen konnten daher in jedem Prozess relevant werden. Im Umfang war die Ersatzpflicht bei den strengen Klagen in der Regel auf den Wert der Leistung beschränkt.19 Statt die geschuldete Leistung zu erbringen, hatte der Schuldner ihren Marktwert zum Zeitpunkt des Eintritts der Unmöglichkeit oder des Verzugs zu ersetzen.20 Auch hierin lag eine zweite wichtige Folge des Verzugs: Der für die Interesseberechnung maßgebliche Wert wurde im Zeitpunkt der „Verewigung“ des Schuldverhältnisses bestimmt. Wertveränderungen, ein etwaiger Verlust des Leistungsgegenstands beim Gläubiger im Fall rechtzeitiger Leistung, ein Zinsanspruch bei Geldleistungen oder die Früchte einer Sache waren bei den strengen Klagen auf ein certum von der 15
POMP., D. 45, 1, 23; PAUL., D. 45, 1, 91, 3: „Quotiens culpa intervenit debitoris, perpetuari obligationem.“ ; RAMPELBERG, Repères romains pour le droit européen des contrats, S. 176: „Cum facto promissoris res in stipulatu deducta intercidit, proinde agi ex stipulatu potest, ac si ea res extaret.“; PAUL., Sent. 5, 7, 4. Zu den strittigen Einzelheiten sogleich unter § 3. 16 KASER, Das römische Privatrecht I, § 119 I. 17 Siehe etwa PAUL., D. 45, 1, 24; PAUL., D. 45, 1, 49, 3; POMP., D. 45, 1, 23. 18 HONSELL, Römisches Recht, S. 99. 19 A.a.O. 20 SCHMIDLIN/CANETTA, Droit privé romain II, S. 83.
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Klageformel nicht gedeckt, was bereits Besonderheiten der römischen mora vorzeichnet. Ein abweichendes System bildeten hingegen die actiones formula incerta, die auf ein „quidquid dare facere oportet“,21 im Rahmen der bonae fidei iudicia noch mit dem Zusatz „ex fide bona“, gerichtet waren. Zu diesem Klagetypus zählten die Konsensualkontrakte, insbesondere die emptio venditio (Kauf).22 Eine obligatio bona fides beinhaltete die Verpflichtung zu einem nicht näher spezifizierten Tun oder Geben und legte dem Schuldner nicht nur die Erbringung der geschuldeten Leistung auf, sondern verpflichtete ihn dazu, alles zur Verwirklichung des Schuldzwecks Dienende zu tun und alles ihm Zuwiderlaufende zu unterlassen.23 Hier beschränkte sich der Schuldinhalt nicht auf eine (einzige) Leistungspflicht wie bei den auf ein certum gerichteten strengen Klagen, sondern konnte ein ganzes Pflichtenprogramm umfassen. Im Fall der Missachtung dieses Pflichtenprogramms bestand ein weites richterliches Ermessen hinsichtlich der Rechtsfolgen. Diesem Klagetypus ist es zu verdanken, dass sich später die Parteivereinbarung als eigentlicher Verpflichtungsgrund eines Schuldverhältnisses mit Haupt- und Nebenpflichten durchgesetzt hat 24 und die fides zum Maßstab der Beurteilung des Rechtsverhältnisses wurde.25 An Vertragsverhältnissen, die im System der bonae fidei iudicia einklagbar waren, konnten auch nichtrömische Bürger beteiligt sein, für die das römische ius civile nicht galt.26 Man findet also hier nicht nur ein Grundmodell des heutigen Vertragsrechts, sondern zugleich ein Modell eines auch auf Rechtsverhältnisse mit Fremden anwendbaren Einheitszivilrechts. Im Fall der bonae fidei iudicia blieb die Verpflichtung auf ein „dare facere oportet“ selbst bei Untergang des Vertragsgegenstands bestehen, denn diese bezog sich nicht auf einen streng festgelegten speziellen Vertragsgegenstand, 21
„All das, was der Schuldner dem Gläubiger geben und für ihn tun muss.“ ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 788 f. Auch die „actiones ex stipulatio incerti oder depositi ius concepta“ sind mit den bonae fidei iudicia insofern verwandt, als hier jedenfalls im Hinblick auf den Leistungsgegenstand ebenfalls ein weiter Ermessensspielraum des Richters bestand; KASER/KNÜTEL, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 15. 23 KASER/KNÜTEL, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 13. 24 SCHERMAIER, in WHITTAKER/ZIMMERMANN, Good Faith in European Contract Law, S. 63 ff.; WHITTAKER/ZIMMERMANN, a.a.O., S. 16 ff.; KASER/KNÜTEL, Römisches Privatrecht, § 33 Rn. 10. 25 Noch unter Justinian galt aber, dass ein klagbarer Vertragsanspruch nicht aus dem bloßen Konsens entsteht: „Ex pacto nudo actio non oritur“; COING, Europäisches Privatrecht I, S. 398. 26 Nichtrömische Bürger erhielten jedoch das Recht auf Teilnahme am Handelsverkehr mit den Römer (commercium). Man entwickelte für die Vertragsverhältnisse mit Auslandsbezug spezifische Schuldverhältnisse, z.B. den fideipromissio statt der stipulatio, die anderen Formerfordernissen unterlagen oder für die ein Formerfordernis gänzlich entfiel. KASER, § 3 II 1, § 68 III 2. 22
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sondern auf ein Geben oder Tun im weiteren Sinn. Der Richter konnte in seinem Urteil alles berücksichtigen, was man nach dem Ortsgebrauch und der Verkehrssitte als geschuldet ansah, und war gerade nicht an eine strenge Klageformel gebunden.27 Eigentlich müsste auch die Figur der perpetuatio obligationis im Rahmen der mora bei diesen Klagen von geringer Bedeutung sein, denn die flexible Klageformel zwang an sich nicht zur Konstruktion einer fiktiven Leistungsmöglichkeit.28 Gleichwohl gibt es sie auch hier, was seinen Grund jedoch mehr in den Besonderheiten des römischen Kaufrechts und seiner „periculum est emptoris“ Regel findet, die ab Vertragsschluss zu einem Gefahrübergang auf den Käufer führte. Mora des Verkäufers bewirkte hier eine Umkehr dieser Regel.29 Die Konsequenzen einer Leistungsverzögerung konnten bei den freien Klagen wesentlich weiter reichen, da mangels strenger Klageformeln auch über den eigentlichen Schuldinhalt hinaus etwa eine Herausgabe von Nutzungen oder eine Zinspflicht Folge der mora sein konnten.30 Die Interesseberechnung war damit auch ungleich komplexer als bei den strengen Klagen und Gegenstand einer Einzelfallbewertung je nach konkretem Schuldverhältnis und Art der Leistungsstörung.31 Inwieweit auch der entgangene Gewinn32 und etwaige Folgeschäden33 ersatzfähig waren, wird nicht einheitlich beurteilt. Es ist aber anzunehmen, dass deren Ersatzfähigkeit im Einzelfall anerkannt wurde.34 Da sich aber trotz der auf den Klagetypen beruhenden Unterschiede allgemeine Grundlinien der Figur der mora erkennen lassen, ist sie zugleich ein Beispiel dafür, dass es auch im römischen Recht übergreifende Begriffe und Strukturen gab. Man bezeichnet sie insofern auch als „institutionalized across the board,“35 als eine Rechtsfigur, die bei allen Arten von Klagen Einfluss haben konnte und für alle Obligationen denk- und anwendbar war. Die mora bleibt jedoch eine über eine bloße Leistungsstörungskategorie nach heutigem Verständnis hinausgehende eigenständige Rechtsfigur. Die Verzögerung der Leistung begründete als solche keine Nichterfüllungshaftung, sondern eröffnete vielmehr nur das „Tor“ zu ihr, indem an sie spezielle 27
ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 790. HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S. 29. 29 HARKE, a.a.O., S. 32, unter Berufung auf SEKKEL/LEVY, ZSS 47 (1927), S. 258 ff. 30 ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 790 f. 31 HONSELL/MAYER-MALY/SELB, Römisches Recht, S. 226 m.w.N. 32 NER., D. 19, 1, 31, 1: „Et non solum quod ipse per eum adquisii praestare debeo se et id, quod emptor iam tunc sibi traditio servo adquisiturus fuisset.“ 33 Vgl. etwa ULP., D. 19, 1, 13, 1; ULP., D. 19, 2, 19, 1. 34 HONSELL, Quod interest im bonae fidei iudicium, S. 63 f. 35 So ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 790. „There was only one form of breach of contract on the part of the debtor that became institutionalized across the board, and that was mora debitoris.“ 28
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strenge Rechtsfolgen geknüpft waren, die eine nachfolgende Nichterfüllung ausgestalteten. Mora bewirkte eine zeitlich versetzte Haftung für völlige Nichterfüllung.36 Die Sanktionierung des Überschreitens der Leistungszeit erforderte spezielle Rechtssätze. Dies erklärt auch, warum sich in nationalen Rechten ein eigener Verzugs„tatbestand“ entwickelte, an dem insbesondere das deutsche Recht vehement festhält. Allerdings schlugen sich die Folgen einer fortdauernden Verzögerung der Leistung, die sich in den heutigen nationalen Rechtsordnungen in Form der Vertragsaufhebung und eines über den Wert der Leistung hinausgehenden, auf einer Kausalitätsbetrachtung beruhenden Schadensersatzes zeigen, aufgrund der Besonderheiten des eingangs erwähnten Aktionendenkens nicht in einem einheitlichen Rechtsfolgenkonzept nieder, da das römische Recht verschiedene Vertragsstörungen nur im Zusammenhang mit den jeweiligen Klage- und Vertragstypen löste.37
§ 2 Gläubigerfreundliche Voraussetzungen der mora debitoris Die genauen Voraussetzungen und Folgen der mora debitoris im klassischen römischen Recht sind seit Jahrhunderten umstritten38 und führten zu einer Vielzahl von Deutungsproblemen und Interpretationsansätzen. Sie sind jedoch eher als gläubigerfreundlich einzustufen. 36
So die Grundthese HARKES in Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht. 37 Die Störungs- und Vertragstypenabhängigkeit der Rechtsfolgen wird natürlich bei der Schlechtleistung beim Kauf besonders plastisch. Zunächst gab es keine Haftung für nicht offensichtliche Mängel der Kaufsache. Allerdings gaben ausdrückliche Aussagen hinsichtlich der Qualität insbesondere in Form der Stipulation ein Klagerecht (siehe HEYMANN, Haftung des Verkäufers für die Beschaffenheit der Kaufsache I, S. 22). Die verschuldensunabhängige, auf fehlender Mangelanzeige, ausdrücklicher Behauptung der Mangelfreiheit oder Zusicherung einer bestimmten Eigenschaft der Kaufsache beruhende Sachmängelhaftung (mittels binnen sechs Monaten geltend zu machender Wandelungs- oder wahlweise innerhalb eines Jahres geltend zu machender Minderungsklage - actio redhibitoria und actio quanti minoris) entwickelte sich erst durch das Edikt der für die Marktgerichtsbarkeit zuständigen kurulischen Ädilen. Daneben stand im Fall der Arglist die Klage auf Schadensersatz (actio empti) offen. Die Klagen setzten voraus, dass der Verkäufer entweder nach dem Edikt kundzumachende Mängel nicht erklärt hatte oder er durch stipulatio die Mängelfreiheit zugesagt oder bestimmte Eigenschaften der Kaufsache zugesichert hatte. Diese Vorschriften hatten jedoch keine Allgemeingültigkeit. 38 Siehe nur JAKOBS, TR 42 (1974), S. 23 ff.; GENZMER, ZSS 44 (1924), S. 86 ff.; SIBER, ZSS 29 (1908), S. 47 ff.; ELEFANTE, Labeo 6 (1960), S. 30 ff.; und insbesondere die Studie von HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht. SCHULZ, Classical Roman Law, S. 481 f. gibt das Verständnis wieder, das auch in mehreren Lehrbüchern zum römischen Recht vermittelt wird.
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I. Rolle der Leistungszeit Einigkeit besteht insoweit, als die mora erst dann eine Rolle spielen konnte, wenn die Leistungsverpflichtung des Schuldners fällig war.39 Nach römischem Recht galt, wie POMP. 50, 17, 14 Sab. 5 zeigt, der Grundsatz der sofortigen Fälligkeit,40 es sei denn, es wurde z.B. in einer stipulatio ein Leistungstermin bestimmt, oder es ergab sich aus einer Ortsangabe, dass die Leistung eine bestimmte Zeitspanne nach Vertragsschluss erforderte.41 Da Stipulationen relativ häufig die Angabe des Leistungsortes mitumfassten, war es gängig, dass diese auch ohne eine konkrete Leistungszeitbestimmung zugleich das konkludente Versprechen enthielten, die Leistung binnen eines Zeitraums zu erbringen, den ein diligens pater familias zur Leistung benötigte, was allerdings zugunsten des Versprechenden wirkte.42 Die Bestimmung der Leistungszeit erforderte im konkreten Einzelfall jedoch häufig eine Abwägung, in die verschiedene Aspekte43 einflossen und die der richterlichen Kontrolle unterlag.44 Dies scheint auch durch CELSUS, 50, 17, 186 bestätigt: Nichts kann verlangt werden, bevor es nicht „per rerum naturam“ gefordert werden kann. Dieser Ansatz scheint sich insoweit nicht sehr vom Konzept der Leistungszeitvereinbarung oder der „angemessenen Leistungszeit“ als fälligkeitsbestimmenden Elementen heutiger einheitsrechtlicher Vertragsrechtsinstrumente zu unterscheiden.45 Allerdings war im römischen Recht die Bedeutung der Leistungszeit für den Inhalt der Leistungspflicht eine andere. Der Gläubiger konnte über eine interpellatio46 die Leistungszeit nachträglich konkretisieren. Dies diente nicht nur dem Schuldner als Hinweis auf nun drohende Rechtsfolgen, sondern eröffnete auch dem Gläubiger einseitige Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf das Rechtsverhältnis mit seinem Schuldner. Die interpellatio hatte daher nicht nur eine schuldnerschützende, sondern auch eine gläubigerfreundliche Funktion.47 39
„Nulla intelligitur mora ibi fieri, ubi nulla petitio est“; vgl. auch IUST., Inst. 3, 19, 26. POMP., D. 50, 17, 14: „In omnis obligationibus, in quibus dies non ponitur, praesenti die debetur.“ 41 ULP., D. 45, 1, 41, 1: „Quotiens autem in obligationibus dies non ponitur, praesenti die pecunia debetur, nisi si locus adiectus spatium temporis inducat, quo illo possit perveniri. Verum dies adiectus efficit, ne praesenti die pecunia debeatur: ex quo apparet diei adiectionem pro reo esse, non pro stipulatore.“ 42 So war auch eine Stipulation unwirksam, die Leistung sofort an einem entfernten Ort zu erbringen; IUST., Inst. 3, 15, 5. 43 „ […] Ratione temporis aetatis sexus valetudinis […]“, VENUL., D. 45, 1, 137, 2. 44 VENUL., D. 45, 1, 137, 2.: „[…] et magis est ut totam eam rem ad iudicem, id est ad virum bonum remittamus, qui aestimet, quanto tempore diligens pater familias conficere possit quod facturum se promiserit […].“ 45 Vgl. Art. 33 CISG, Art. 6.1.1 UPICC, Art. 7:102 PECL. 46 Heute: Mahnung. 47 Vgl im Einzelnen sogleich unter II 2. 40
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Wie bereits angedeutet, war die Leistungszeit allerdings kein Element der Leistungspflicht, da ihre Verletzung allein nicht zu einer Nichterfüllungshaftung führte. Mora führte zunächst nur zu einer Haftungsverschärfung für den Fall zeitlich nachfolgender Nichterfüllung und zu einer zeitlichen Fixierung der Bestimmung des Haftungsumfangs. Nur im Rahmen der bonae fidei iudicia konnten sich weitergehende Folgen ergeben. II. Interpellatio und culpa Mora setzte – auch soweit ist man sich einig – voraus, dass die fällige Leistung vom Schuldner bewusst verzögert wurde: „si per eum stat, quo minus solvat“.48 Das Ausbleiben der Leistung musste dem Schuldner in irgendeiner Form zurechenbar sein. Wörtlich muss es „an ihm gelegen haben“, dass die Leistung unterblieben ist.49 Wann die Leistungsverzögerung aber „am Schuldner gelegen“ ist, ist eine der kontroversesten Fragen bei der Interpretation römischrechtlicher Quellen. Die Ansichten unterscheiden sich vorwiegend beim Verschuldens- und Mahnungserfordernis: So wird, um dies knapp vorwegzunehmen, von einigen behauptet, die klassische mora erforderte Verschulden im Sinn einer subjektiven Vorwerfbarkeit der Verzögerung, wobei hinsichtlich des erforderlichen Grades des Verschuldens Uneinigkeit herrscht.50 Zum Teil wird ein Mahnungserfordernis daneben nicht für zwingend gehalten.51 Von anderer Seite werden die römischen Quellen gerade entgegengesetzt ausgelegt: Mora basierte nicht auf einem Verschulden im modernen Sinn. Dem Schuldner war vielmehr alles zuzurechnen, was in ihm und nicht im Gläubiger oder einem Dritten seinen Grund hatte, dies setzte aber eine Mahnung oder jedenfalls einen hinreichenden Grund zur Kenntnis der Leistungspflicht voraus.52 1. Verzug ohne Verschulden Es gibt nur wenige römische Quellen, die eine verlässliche Beantwortung der Frage erlauben, ob die mora im klassischen Recht Verschulden voraussetzte.53 Teilweise ist bereits umstritten, welche Quellen überhaupt für eine derartige
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AFR., D. 17, 1, 37; PAUL., D. 45, 1, 91, 3; POMP., D. 12, 1, 5; KASER/KNÜTEL, Römisches Privatrecht, § 37 Rn. 7; SCHMIDLIN/CANNATA, Droit privé romain II, S. 84. 49 JAKOBS, TR 42 (1974), S. 24; HONSELL/MAYER-MALY/SELB, Römisches Recht, S. 245. 50 GENZMER, ZSS 44 (1924), S. 86 ff. 51 SIBER, ZSS 29 (1908), S. 47 ff. 52 ELEFANTE, Labeo 6 (1960), S. 30 ff.; JAKOBS, TR 42 (1974), S. 23 ff.; HONSELL/MAYER-MALY/SELB, Römisches Recht, S. 245. 53 Es geht hier allein um die Frage, ob der „Verzugstatbestand“ an ein Verschuldenserfordernis geknüpft ist, nicht um den Haftungsmaßstab für das jeweilig zugrundeliegende Schuldverhältnis.
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Untersuchung heranzuziehen sind.54 Die besseren Argumente sprechen allerdings für eine Verneinung des Verschuldenserfordernisses bei der klassischen mora und damit für einen ursprünglich gläubigerfreundlichen Ansatz des römischen Rechts. Im Zusammenhang mit der mora war von culpa üblicherweise nicht die Rede. Regelmäßig wird relativ neutral von „si per eum stat, quo minus solvat“ gesprochen. Die Formel des „per debitorem stare“ oder auch „per debitorem fieri, quominus“ bedeutete „durch den Schuldner […] nicht zum Ziel, nicht zur Erfüllung kommen“. Auf deren „Neutralität“ wird im Hinblick auf ein mögliches Verschuldenserfordernis hingewiesen.55 Als solche besagt die Formulierung nur, dass die Verzögerung der Leistung am Schuldner und z.B. nicht am Gläubiger gelegen sein musste.56 Einer Auslegung der genannten Formel als Verschuldenserfordernis widerspricht jedoch insbesondere, dass die wortgleiche Formulierung auch für den Gläubigerverzug verwendet wurde und dieser anerkanntermaßen keine schuldhafte Nichtannahme der Leistung voraussetzte.57 Der gleiche Begriff hätte für den Gläubiger- und den Schuldnerverzug eine andere Bedeutung, was erhebliche Zweifel an dieser Auslegung aufkommen lässt. Gleichwohl wird jedoch die Diskussion um das Verschulden als Verzugsvoraussetzung im Wesentlichen durch ein Zitat im Zusammenhang mit den strengen Klagen entfacht, welches die perpetuatio obligationis bei Verbalobligationen betrifft.58 Die Quelle ist das einzige nachgewiesene Zitat, in dem im Zusammenhang mit der mora von culpa gesprochen wird: „[…] quotiens culpa intervenit debitoris, perpetuari obligationem […]“. 59 54
Da die klassisch-römischen Quellen von den Kompilatoren verändert wurden, halten einige Autoren manche Quellen für nicht mehr aussagekräftig und lassen diese in einer Analyse des Verzugstatbestands aus. Es handelt sich hierbei um SCAE., D. 45, 1, 135, 2; ULP., D. 5, 1, 21; GAIUS, D. 50, 17, 42; VENUL., D. 45, 1, 137, 4; ULP., D. 45, 1, 82 VENUL., D. 50, 17, 99; PAUL., D. 44, 7, 45. 55 GRADENWITZ, ZSS 34 (1913), S. 255 (274). 56 So auch GENZMER, ZSS 44 (1924), S. 103 (118). 57 KASER, Römisches Privatrecht, S. 519; GRADENWITZ, ZSS 34 (1913), S. 255 (262 ff.). 58 Den Digestentext analysierten insbesondere: SIBER, ZSS 29 (1908), S. 47; GENZMER, ZSS 44 (1924), S. 86 ff.; ELEFANTE, Labeo 6 (1960), S. 30 ff.; JAKOBS, TR 42 (1974), S. 23 ff.; HONSELL/MAYER-MALY/SELB, Römisches Recht, S. 245. 59 PAUL. D. 45, 1, 91, 3: „Sequitur videre de eo, quod veteres constituerunt, quotiens culpa intervenit debitoris, perpetuari obligationem, quem ad modum intellegendum sit. Et quidem si effecerit promissor, quo minus solvere possit, expeditum intellectum habet constitutio: si vero moratus sit tantum, haesitatur, an, si postea in mora non fuerit, extinguatur superior mora. Et Celsus adulescens scribit eum, qui moram fecit in solvendo Sticho quem promiserat, posse emendare eam moram postea offerendo: esse enim hanc quaestionem de bono ex aequo: in quo genere plerumque sub auctoritate iuris scientiae perniciose, inquit, erratur. Et sane probabilis haec sententia est, quam quidem et Iulianus sequitur: nam dum quaeritur de damno et par utriusque causa sit, quare non potentior sit qui teneat, quam qui persequitur?“ Überset-
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Die Verwendung des Begriffs der culpa in der römischrechtlichen Quelle verleitet den an die Formel „kein Verzug ohne Verschulden“ gewohnten deutschen Juristen zunächst zu dem voreiligen Gedanken, die mora setzte im klassischen römischen Recht Verschulden voraus. Es drängt sich ihm die Schlussfolgerung auf, auch das Verschuldenserfordernis beim Verzug stamme wie so vieles aus dem römischen Recht. So wird dies auch von einem Großteil der Römischrechtler interpretiert und sogar behauptet, es gelte als erwiesenes Ergebnis der Untersuchungen des Schuldnerverzugs im klassischen römischen Recht, dass dieser „ein Verschulden im Sinne des subjektiv zu vertretenden Verhaltens des Schuldners“ voraussetzte.60 Diese Schlussfolgerung ist jedoch nicht zwingend, und es sprechen gute Gründe dafür, dass sie nicht richtig ist: Erstens ist der genannte Quellentext des PAULUS (D. 45, 1, 91, 3), der von culpa im Zusammenhang mit dem Schuldnerverzug spricht, keineswegs eindeutig so zu verstehen, dass sich die culpa auf die Voraussetzungen der mora debitoris bezieht, und es ist nicht einmal klar, ob der Begriff der culpa überhaupt authentisch ist oder der Quellentext nachtäglich verändert wurde.61 Es kann keineswegs als gegeben hingenommen werden, dass hier von den Voraussetzungen der mora die Rede ist. JAKOBS sagt etwa zu Recht: „Nimmt man die Stelle so, wie sie lautet, so ist culpa hier nicht mehr als ein zugleich die Herbeiführung der Unmöglichkeit und den Verzug bezeichnendes Wort […]. Auch in dieser Bedeutung hat culpa eine subjektive Beziehung; nur über
zung bei MOMMSEN/KRÜGER/WATSON, The Digest of Justinian IV; die Übersetzung ins Englische ist bei die Haftung betreffenden Begriffen jedoch nicht zwingend genau, da diese je nach Zitat eine unterschiedliche Bedeutung haben konnten: „It remains to consider what the old jurists laid down about the extent to which an obligation is understood to become perpetual whenever a debtor is negligent. Indeed, if the promisor so acted that he could the less easily pay, this provision is taken to be applicable; but if payment is only delayed, it is uncertain whether the former delay is purged if he subsequently ceased to be dilatory. Celsus the Younger writes that one who was dilatory in handing over Stichus whom he had promised could rectify the delay by a subsequent tender. This is a matter of what is right and equitable in which type of case, he says, one is often sadly misled by the influence of a knowledge of the law. Clearly, this view is preferable, and indeed Julian also adopts it. For when it is a question of damages and the position of each is equal, is not he better placed who is defendant than he who sues?” 60 JACOBS, TR 42 (1974), S. 23 (24) m.w.N.; „Da weiter eine der wichtigsten Folgen des Schuldnerverzugs auf den Satz der veteres zurückgeführt wird ‚quotiens culpa intervenit debitoris, perpetuari obligationem’, D. (45.1) 93.1, so läßt sich auch nicht bezweifeln, dass das persönliche Moment bei der mora die culpa debitoris ist“. Siehe auch SIBER, ZSS 29 (1908), S. 47 ff.; nach KASER (§ 199 II, S. 515) sei die Frage „endgültig in bejahendem Sinn beantwortet“. 61 Unter Verweis auf FABER und GRADENWITZ: JAKOBS, TR 42 (1974), S. 23 (25).
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ein Verschulden als Voraussetzung der mora sagt dieses Wort hier nichts aus.“62 Zweitens ist die culpa des römischen Rechts mit dem Verschuldensbegriff heutiger nationaler Rechte nicht vergleichbar. Die culpa, die fälschlicherweise dem heutigem Verschuldensbegriff relativ pauschal gleichgesetzt wird, war im römischen Recht kein abstrakter Begriff, sondern hatte je nach Vertragsverhältnis eine andere Färbung. Es gab gerade keinen abstrakten Begriff des „Verschuldens“ und das Verschulden war nicht wie in der heutigen kontinentalen Rechtstradition ein Grundprinzip der Haftung oder ein rechtstechnischer Begriff.63 Culpa konnte die objektive Ursache eines Ereignisses gleichermaßen bezeichnen wie die Widerrechtlichkeit einer Handlung, die komissive oder auch die omissive Fahrlässigkeit64 oder in bestimmten Fällen den dolus.65 Eine weitere Quelle, die von der wohl h.M. im Umkehrschluss als Beleg des Verschuldenserfordernisses interpretiert wurde, ist PAUL., D. 45, 1, 49, 3: „Si promissor hominis ante diem, in quem promiserat, interpellatus sit et servus decesserit, non videtur per eum stetisse.“ Ein Schuldner, der vor dem Tag, an dem er seine Leistung zu erbringen hat, ge„mahnt“ wurde, hat für die Unmöglichkeit nicht einzustehen, wenn sie nach dieser „verfrühten“ Mahnung eintritt. Der genaue Zeitpunkt des Eintritts der Unmöglichkeit (vor oder nach Fälligkeit) wird hingegen nicht präzisiert. Die Stelle bringt an sich nur zum Ausdruck, dass der Schuldner trotz Mahnung dann nicht für eine Unmöglichkeit einzustehen hat, wenn diese vor dem Leistungstermin eintritt, das heißt dass eine verfrühte Mahnung keine Wirkung hat, auch wenn der Leistungsgegenstand untergeht. Hieraus lässt sich allenfalls erkennen, dass es einer Mahnung zur rechten Zeit bedarf, um Rechtsfolgen zu bewirken.66 Selbst wenn man aber „per eum stetisse“ mit Verschulden gleichsetzen wollte, scheint der Schluss auf ein Verschuldenserfordernis als Verzugsvoraussetzung nicht logisch. Um die Zurechenbarkeit im Sinn eines Verschuldens zu belegen, bezieht sich die hM zudem auf POMP., D. 12, 1, 5 (Sabinus 22) „[…] sed cum quaeratur, an per te factum sit, animadverti debebit, non solum in potestate tua fuerit id nec ne aut dolo malo feceris quominus esset vel fuerit nec ne, sed etiam si aliqua iusta causa sit, propter quam intellegere deberes te dare oportere.“67 Der 62
JAKOBS, TR 42 (1974), S. 23 (28). JAKOBS, TR 42 (1974), S. 23 (25); HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S. 55 ff. 64 Wobei dies auch umstritten ist, vgl. etwa GENZMER, SZ 44 (1924), S. 119 ff. 65 JAKOBS, TR 42 (1974), S. 23 (25). 66 Siehe sogleich unter II 2. 67 POMP., D. 12, 1, 5 (SABINUS 22): „[…] um zu wissen, ob du in mora bist, ist nicht allein beachtlich, ob es in deiner Gewalt stand oder nicht, oder ob es in deinem bösen Willen lag, zu geben oder nicht, sondern auch, ob ein geeigneter Umstand vorhanden ist, aus welchem du einsehen musstest, dass du zu geben verpflichtet warst.“ 63
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Untergang einer geschuldeten Sache soll den Schuldner treffen, wenn es „einen berechtigten Grund“ gibt, weshalb er „wissen muss, dass er zu einer Leistung (hier einem „Geben“) verpflichtet ist“. Die hM schließt aus der Formulierung „sed etiam si aliqua iusta causa sit“, dass fehlendes Verschulden den Verzug ausschließe. Inspiriert durch die Auslegung von D. 12, 1, 5 in den Basiliken68 (23, 1, 5) legt jedoch JAKOBS – wie auch andere69 – plausibel dar, dass diese Ansicht nicht überzeugend ist. Der Digestentext bezieht sich lediglich auf die Tatsache, dass der Schuldner entweder gemahnt wurde oder eine Leistungszeit vereinbart war. In diesen beiden Fällen hatte der Schuldner einen guten Grund zur Annahme, dass er einer Leistungsverpflichtung unterliegt. Dann ist ihm eine Verspätung zurechenbar. Ein darüber hinausgehendes Erfordernis für die Zurechenbarkeit wird nicht deutlich.70 Dem schließt sich auch HARKE an, insoweit er in der mora ein Rechtsinstitut sieht, das sich einer Kategorisierung nach verschuldensabhängig oder unabhängig entziehe.71 Die iusta causa bedeute seiner Ansicht nach vielmehr, dass es zur Annahme der mora zwar eines hinreichenden Grundes zur Kenntnis der Leistungszeit bedurfte, nicht aber eines Verschuldens.72 Zum Teil wird noch auf weitere Quellen verwiesen, die die actio res uxoriae betreffen, etwa: „Qui sine dolo malo ad iudicium provocat, non videtur moram facere.“73 Ein Schuldner, der ohne „böse Absicht“ einen Prozess verursacht, kommt nicht in Verzug. Zum Teil wird hieraus abgelesen, dass als Verschuldensgrad beim Verzug nur Vorsatz in Betracht komme. Richtigerweise ist hierunter das Gegenteil zur bona fides zu verstehen.74 Zudem widerspricht dieser These, dass es an anderer (jüngerer) Stelle heißt: „Et hic moram videtur fecisse, qui litigare maluit quam restituere.“75 Wer es vorzieht, einen Prozess zu führen, statt eine Sache zurückzugeben, kommt in Verzug, und zwar unabhängig von der Frage der subjektiven Vorwerfbarkeit.
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Die Basiliken enthalten eine griechische Übersetzung des Codex Justinianus und der Digesten, die auf Übersetzungen aus dem 6. Jahrhundert basiert. Da die Quellen der Basiliken auf zur Entstehungszeit der justinianischen Kodifikation angefertigten Texten beruhen, gelten diese als ein wichtiges Hilfsmittel zur Rekonstruktion des Originaltextes der Digesten. Vgl. SCHELTEMA/VAN DER WAL/HOLWERDA, Basilicorum Libri LX, Bd. 1-17; HEIMBACH, Basilicorum Libri LX, Bd. 1-6 u. Anh. 69 Vgl. auch KOCH, Das Recht der Forderungen nach Gemeinem und nach Preußischem Recht, S. 348. 70 JAKOBS, TR 42 (1974) S. 23 (29-34). 71 HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S. 60. 72 HARKE, a.a.O. 73 JUL., D. 50, 17, 63. 74 GENZMER, ZSS 44 (1924), S. 146 ff. 75 ULP., D. 45, 1, 82, 2.
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Es sprechen darüber hinaus weitere Stellen76 deutlich gegen ein Verschuldenserfordernis neben der Mahnung, insbesondere POMP., D. 45, 1, 23: „Si ex legati causa aut ex stipulatu hominem certum mihi debeas, non aliter post mortem eius tenearis mihi, quam si per te steterit, quo minus vivo eo eum mihi dares: quod ita fit, si aut interpellatus non dedisti aut occidisti eum.“ Verstarb der mittels Legat oder Stipulation versprochene Sklave, wurde der Schuldner nicht von seiner Leistungspflicht befreit, wenn es am Schuldner gelegen war, dass dieser nicht lebend übergeben wurde, was (nur) der Fall war, wenn er zuvor gemahnt wurde oder die Leistungsunfähigkeit durch Ermordung des Sklaven selbst herbeiführte. Die Mahnung allein reichte für die Sanktionierung des Schuldnerverhaltens aus, ohne dass ein Verschulden hinzukommen musste. Auch dieses Zitat zeigt im Übrigen, dass der Satz „si per debitorem steterit quominus solverit“ so gelesen werden kann, dass mora dann vorlag, wenn eine Mahnung erfolgte und der Schuldner entsprechend darüber informiert wurde, dass jedes weitere Zuwarten dem Gläubiger zum Nachteil gereichte. Dann lag der Verzug eben „am Schuldner“.77 Auch ZIMMERMANN vertritt zur Frage der culpa bei der mora insofern eine vermittelnde Ansicht, als er betont, dass den Römern das kategorische Denken der zeitgenössischen Juristen fremd war und zwischen objektiven und subjektiven Elementen der mora nicht strikt unterschieden wurde.78 Er unterstreicht zwar, dass dem subjektiven Element beim Verzug eine Bedeutung zukam.79 Aus MARC., D. 22, 1, 32 pr.: „Mora fieri intelligitur non ex re sed ex persona, id est, si interpellatus oportuno loco non solverit“ schließt er, dass auf die Person des Schuldners und darauf abzustellen sei, ob dieser wusste, dass der Zeitpunkt eintrat, in dem er die geschuldete Leistung zu erbringen hat, und er trotz dieser Kenntnis ohne guten Grund nicht leistete. Dies scheint er allerdings ebenfalls weniger im technischen Sinn eines Verschuldens zu begreifen, denn als Kenntnis der Leistungszeit. Andere Autoren sprechen im Hinblick auf den Haftungsmaßstab bei der mora von einem typisierten Verschulden.80 Nach RAMPELBERG werde das Verschulden des Schuldners bei Vorliegen objektiver Umstände vermutet: 76
Z.B. auch PAUL., D. 45, 1, 24, 9 „Sed si ex stipulatu Stichum debeat pupillus, non videbitur per eum mora fieri, ut mortuo eo teneatur, nisi si tutore auctore aut solus tutor interpelletur.“ 77 In diesem Sinn wohl auch HONSELL/MAYER-MALY/SELB, Römisches Recht, S. 245. 78 ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 792. 79 Unter Bezugnahme auf PAUL., D. 45, 1, 91, 3: „quotiens culpa intervenit debitoris, perpetuari obligationem“ folgert ZIMMERMANN allerdings, dass Verschulden jedenfalls entweder für den Verzug oder für die während des Verzugs eintretende Unmöglichkeit erforderlich sei, denn sonst käme es seiner Ansicht nach nicht zu einer perpetuatio obligationis. 80 Vgl. auch KASER, in VON MÜLLER/OTTO/BENGSTON, Handbuch der Altertumswissenschaft II, S. 477 f.; RAMPELBERG, Repères romains pour le droit européen des contrats, S. 178.
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„[S]i le débiteur a été mis en demeure, la non-exécution peut être attribuée, en règle générale, à sa faute.“81 Eine erfolgte interpellatio sei aber ein solcher Fall, in dem das Verschulden des Schuldners angenommen wurde. Der Schuldner habe dann nachzuweisen, dass er für die Verspätung der Leistung nicht verantwortlich ist. Diesem typisierten „vermuteten“ Verschulden konnte der Schuldner nur begegnen, indem er einen Befreiungsgrund vorbrachte. Ein Verschulden sollte etwa im Fall des casus fortuitus ausgeschlossen sein. Dies ist allerdings ein Versuch der Einordnung der mora in das heutige Verständnis des Verzugs, die sich so nicht aus den Quellen ergibt.82 Soweit die klassischen römischen Quellen rekonstruierbar sind, kann aus ihnen nur abgeleitet werden, dass Verzug dann vorliegt, wenn die Nichterfüllung in der Person des Schuldners (und nicht in der des Gläubigers oder eines äußeren Ereignisses) ihren Grund hat, nicht aber, dass ein Verschulden im klassischen technischen Sinn bereits Voraussetzung der mora war. Eine Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz des Schuldners zu fordern, damit die besonderen Folgen der mora greifen konnten, folgt nach richtigem Verständnis der römischen Quellen gerade nicht aus dem klassischen römischen Recht. 2. Zentrale Rolle der interpellatio Das zweite umstrittene Element der mora ist die interpellatio, das ausdrückliche Erfüllungsverlangen, die heutige „Mahnung“.83 Sie wird nicht einhellig als obligatorische Verzugsvoraussetzung des klassischen Rechts verstanden,84 allerdings wird sie doch überwiegend als entscheidendes Verzugselement angesehen. Für die Annahme der mora sei Voraussetzung, dass der Gläubiger verzögerungsbedingt auch tatsächlich seine Rechte verletzt sah, wofür die blosse Unterlassung der Leistung durch den Schuldner nicht ausreichte. Der Gläubiger musste sich auch zur Situation äußern und die Leistung des Schuldners einfordern. Die interpellatio diente zugleich dem Schutz des Schuldners als auch den Interessen des Gläubigers, der so durch nachträgliche einseitige Leistungszeitbestimmung das Schuldverhältnis konkretisierte.85 Sie 81
RAMPELBERG, a.a.O. A.a.O. 83 MARC., D. 22, 1, 32 pr. 84 „[Es] lässt sich auch nicht bezweifeln, dass das persönliche Moment bei der mora die culpa debitoris ist. Nun ist zwar eine solche in vielen, bei Nichtterminsschulden vielleicht in den meisten Fällen ohne vorgängige Leistungsaufforderung des Gläubigers nicht zu denken oder doch nicht zu beweisen, und die Mahnung ist darum wirklich oft erst das Moment, das den Schuldner in eine nachweisliche culpa versetzt. Ebensowenig ist aber einzusehen, weshalb nicht unter Umständen auch ohne sie kulpöse Verzögerung der Leistung durch den Schuldner, also mora ex persona debitoris veniens sollte angenommen werden können.“; SIBER, ZSS 29 (1908) S. 47. 85 So HARKE, Schuldnerverzug, S. 13. 82
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war im Regelfall der eigentliche Auslöser des Verzugs. Hierfür werden insbesondere drei Quellen herangezogen: „Mora fieri intelligitur non ex re sed ex persona, id est, si interpellatus oportuno loco non solverit.“86 Verzug tritt erst dann ein, wenn der Schuldner an einem passenden Ort zur Leistung aufgefordert wurde, diese aber sodann nicht erbringt. Auch hieraus lässt sich im Übrigen schließen, dass die Mahnung allein genügen musste, um den Verzug auszulösen, wenn man den id est Satz, der teilweise als interpoliert gilt, wörtlich nimmt und den Satz wie eine Definition liest: In Verzug ist der Schuldner „si interpellatus oportuno loco non solverit.“ Eine Leistungsaufforderung seitens des Gläubigers war danach der Dreh- und Angelpunkt der mora. So folgt aus D. 22, 1, 32, pr., dass der Verzugseintritt sogar dann noch in Frage gestellt wurde, wenn dem abwesenden Schuldner die Leistungsaufforderung zuging, der Gläubiger aber bei späterer Gelegenheit unterließ, den Schuldner zur Leistung zu drängen. Hier wird besonders deutlich, dass eine Verzögerung erst dann rechtlich erheblich wurde, wenn der Gläubiger sich hierzu äußerte und dies dem Schuldner gegenüber vernehmlich zum Ausdruck brachte.87 Eine zweite bereits erwähnte Stelle, die die zentrale Rolle der Mahnung hervorhebt, lautet: „Si […] hominem certum mihi debeas, […] non aliter post mortem eius tenearis mihi, quam si per te steterit, quo minus vivo eo eum mihi dares: quod ita fit, si […] interpellatus non dedisti […].“88 Wird die Leistung eines Sklaven geschuldet, der verstirbt, wird der Schuldner nicht von seiner Leistungspflicht frei, wenn es an ihm lag, dass die Leistung nicht erfolgt ist; dies ist der Fall, wenn er gemahnt wurde. Eine Einstandspflicht des Schuldners macht sich gerade an der Mahnung und nur an dieser fest. Auch ist PAUL., D. 45, 1, 49, 3 nochmals aufschlussreich: „Si promissor hominis ante diem, in quem promiserat, interpellatus sit et servus decesserit, non videtur per eum stetisse.“ Wird der Schuldner vor der vereinbarten Leistungszeit gemahnt, hat er für eine Unmöglichkeit der Leistung nicht einzustehen. Die Mahnung sollte den Schuldner nach Ablauf der Leistungszeit zur Leistung auffordern und ihm bei Nichtbefolgen dieser Aufforderung Rechtsfolgen aufbürden. Hierfür musste es sich aber tatsächlich auch um eine Mahnung handeln, d.h. eine Leistungsaufforderung wegen Verstreichens der Leistungszeit. Durch prophylaktische Erinnerung an die Leistung vor Ablauf 86
MARC., D. 22, 1, 32, pr.; englische Übersetzung bei MOMMSEN/KRÜGER/WATSON, The Digest of Justinian I: „The existence of delay depends not on the mere fact but on the person, that is, that the debtor, called on at an opportune place, fails to pay.“ 87 MARC., D. 22, 1, 32, pr.: „Et non sufficit ad probationem morae, si servo debitoris absentis denuntiatum est a creditore procuratoreve eius, cum etiam si ipsi, inquit, domino denuntiatum est, ceterum postea cum is sui potestatem faceret, omissa esset repetendi debiti instantia, non protinus per debitorem mora facta intellegitur.“ 88 POMP., D. 45, 1, 23.
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
der Leistungszeit vermochte der Gläubiger dem Schuldner nicht in eine Einstandspflicht zu drängen. Diese Quellen zeigen, dass das klassische römische Recht der Mahnung eine zentrale Bedeutung beimisst. Sie löst den Verzug aus,89 vorausgesetzt, sie erfolgte zur rechten Zeit und zudem am passenden Ort. Sie war also durchweg institutionalisiert und reglementiert. Die Mahnung ist es auch, die in POMP., D. 12, 1, 5 „[…] sed etiam si aliqua iusta causa sit, propter quam intellegere deberes te dare oportere“90 als Grundfall der iusta causa zur Kenntnis des Verlangens nach unverzüglicher Leistung des Schuldners91 hineingelesen wird. Aus ULP., D 45, 1, 41, 1 folgt zudem, dass dem Schuldner parallel zu den Grundsätzen über die Fälligkeit ein entsprechender Zeitraum ab der Mahnung belassen bleiben musste, um die Leistung erbringen zu können, wenn etwa der Leistungsort in einiger Entfernung lag.92 Die Mahnung war so zugleich ein Instrument, das den Schuldner schützte und dem Gläubiger ermöglichte, dem Schuldverhältnis eine neue Dynamik zu verleihen. 3. Ausnahmen vom Mahnungserfordernis In PAUL., D. 45, 1, 49, 3 und POMP., D 12, 1, 5 wird zugleich die weitere Frage aufgeworfen, ob es Ausnahmen vom Mahnungserfordernis geben konnte. Interessant sind zwei Punkte: Einmal allgemein, ob die interpellatio trotz ihrer besonderen Bedeutung keine zwingende Verzugsvoraussetzung war, sondern es auch andere Fälle gab, in welchen der Schuldner wissen musste, dass er zu einer Leistung verpflichtet war. Und zum anderen, inwieweit der Fall der Leistungszeitbestimmung eine Mahnung entbehrlich machen konnte, d.h. ob der heute praktisch wichtige Grundsatz des dies interpellat pro homine also bereits dem klassischen römischen Recht zu entnehmen war.93 Die erste Frage kann bejaht werden. Eine iusta causa zur Kenntnis der Leistungspflicht reduzierte sich nicht auf eine Mahnung. Es spricht einiges dafür, dass im klassischen Recht eine Gesamtbetrachtung des Falles vorgenommen wurde und auch in anderen Fällen ein Verzug bejaht werden konnte. Gemeinhin galt etwa der Grundsatz fur semper in mora,94 bei der der Delin89
„Mora fieri intelligitur ex persona; quam si per te steterit […] interpellatus non dedisti […].“ 90 POMP., D. 12, 1, 5 (SAB. 22): „Quod te mihi dare oporteat si id postea perierit, quam per te factum erit quominus id mihi dares, tuum fore id detrimentum constat. Sed cum quaeratur, an per te factum sit, animadverti debebit, non solum in potestate tua fuerit id nec ne aut dolo malo feceris quominus esset vel fuerit nec ne, sed etiam si aliqua iusta causa sit, propter quam intellegere deberes te dare oportere.“ 91 Vgl. auch die Erwägungen bei KOCH, Das Recht der Forderungen nach Gemeinem und nach Preußischem Recht, S. 346. 92 HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S. 65. 93 SCHMIDLIN/CANNETA, Droit privé romain II, S. 86. 94 ULP., D. 13.1.8.1, D. 13.1.20.
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quent um seine sofortige Rückgabepflicht wusste. An sich sollte auch der bereits angesprochene Fall der vorsätzlich herbeigeführten Leistungsunfähigkeit (POMP., D. 45, 1, 23)95 richtigerweise als Ausnahme zum Mahnungserfordernis verstanden werden. Auch die traditio beim Kauf zeigte dem Schuldner der Geldleistung, dass von ihm jetzt eine Gegenleistung erwartet werden durfte.96 Er hatte eine iusta causa zur Kenntnis seiner (Gegen)Leistungspflicht. Die mora ex re97, die im klassischen Recht nicht das alleinige Gegenstück der mora ex persona und damit an sich kein Oberbegriff einer mora ohne Mahnung war, sondern insbesondere als Sonderregelung gegenüber Minderjährigen galt98, machte ebenfalls eine Mahnung entbehrlich.99 Ob das klassische römische Recht eine interpellatio bei einer Terminsschuld als unnötig ansah, ist bereits weit schwieriger zu beantworten. Dass die Fälligkeit in Abweichung vom Grundsatz der sofortigen Fälligkeit hinausgeschoben werden konnte, wird an mehreren Stellen deutlich.100 PAUL., D. 45, 1, 49, 3 scheint zudem darauf hinzudeuten, dass bei einer konkreten Leistungszeitvereinbarung eine Mahnung entbehrlich wurde. Da das römische Recht allerdings andere Ausnahmen vom Mahnungserfordernis ausdrücklich nannte,101 spricht dies grundsätzlich gegen eine Bejahung des dies interpellatGrundsatzes in klassischer Zeit. Zudem wurde zur Auslegung des römischen Rechts häufig angeführt, dass eine Leistungszeit allein zugunsten des Schuldners vereinbart werden konnte, nicht aber zugunsten des Gläubigers, da die Leistung andernfalls sofort fällig wäre.102 Die Annahme des dies interpellat Grundsatzes zugunsten des Gläubigers stünde hierzu im Widerspruch.103 Weiter wurde argumentiert, eine Leistungszeitvereinbarung allein löse die Unklarheit nicht, ob im Verstreichen der Leistungszeit tatsächlich ein 95
POMP., D. 45, 1, 23: „Si ex legati causa aut ex stipulatu hominem certum mihi debeas, non aliter post mortem eius tenearis mihi, quam si per te steterit, quo minus vivo eo eum mihi dares: quod ita fit, si aut interpellatus non dedisti aut occidisti eum.“ 96 ULP., D. 19.1.13.20. 97 MARC., D. 22, 1, 32, 1. 98 Mora ex re wurde außer bei minderjährigen Gläubigern, Schuldnern des Fiskus und unauffindbaren Schuldnern angenommen, vgl. die Nachweise bei KOCH, Das Recht der Forderungen nach Gemeinem und nach Preussischem Recht, S. 354, 355. 99 Ausführlich HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S. 48 ff. 100 Vgl. etwa ULP., D.45.1.41, POMP., D. 45, 1, 42 oder PAUL., D. 45, 1, 46. 101 So etwa „fur semper moram facere videtur“ (ULP., D. 13, 1, 8, 1 und TRYPH., D. 13, 1, 20), der minderjährige Schuldner (PAUL., 45, 1, 24) und offenbar auch die dolose Abwesenheit des Schuldners (ULP., D. 22, 1, 23, 1; POMP., D 22, 2, 2). Vgl. auch BONTEMS, Essais sur la théorie des dommages et intérêts en droit romain et dans les droits savants. 102 Vgl. auch ULP., D. 45, 1, 41, 1: „[…] ex quo apparet diei adiectionem pro reo esse, non pro stipulatore.“ 103 ULP., D. 45, 1, 41, 1: „Ex quo apparet diei adiectionem pro reo esse, non pro stipulatore.“
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
Nachteil des Gläubigers liege oder ob ihm dies unter Umständen nicht sogar zum Vorteil gereiche. Vielmehr könne nur durch die Mahnung allein offenbar werden, dass dem Gläubiger aus der Leistungszeitüberschreitung tatsächlich eine Rechtsverletzung erwachse. Gerade dieser Aspekt sei dem römischen Recht ein Anliegen gewesen.104 Ableitbar scheint der Grundsatz des dies interpellat hingegen aus: „Si Stichus certo die dari promissus ante diem moriatur, non tenetur promissor.“105 Wird die Leistung vor einem festgelegten Leistungstermin unmöglich, ist der Schuldner nicht gebunden. Er haftet hingegen im Umkehrschluss ohne weitere Voraussetzung, wenn der Leistungszeitpunkt bereits verstrichen ist. Auch scheinen die Argumente nicht ganz einsichtig, weshalb ein Schuldner, der einen Termin für eine Leistung versprach, nur dann in Verzug kommen soll, wenn der Gläubiger durch Mahnung nochmals versichert hat, dass er die Leistung auch tatsächlich zu diesem Termin erwartet hat.106 Hinweise auf den dies interpellat Grundsatz finden sich auch bei ULPIAN, nach welchem zwischen einer ungenauen Zeitspanne und einem genauen Datum zu unterscheiden sei, weil bei letzterem die Leistung am versprochenen Tag „sofort erbracht werden kann“.107 Allerdings betrachtet er die Situation aus der Perspektive der Leistungsberechtigung des Schuldners. Auch POMP., D 12, 1, 5 „sed etiam si aliqua iusta causa sit, propter quam intellegere deberes te dare oportere“ kann im Sinn des dies interpellat Grundsatzes ausgelegt werden. Eine iusta causa, aufgrund derer man wissen musste, dass man zu einer (sofortigen) Leistung verpflichtet war, ist begrifflich nicht auf die Mahnung beschränkt, sondern kann neben der traditio oder dem fur eben auch die Vereinbarung eines dies umfassen.108 Die häufige Erwähnung und besondere Bedeutung der Mahnung in einigen Quellen, lässt sich zudem auch damit erklären, dass Stipulationen auch ohne konkrete Leistungszeitbestimmung bei Ortsangaben eine konkludente Leistungsfrist einschließen konnten. Dies schließt aber den dies interpellat Grundsatz bei fester Terminabsprache nicht aus.109 Nach HARKE ist die vertragliche Leistungszeitvereinbarung daher auch eine der interpellatio gleichzustellende Erscheinungsform der mora kraft iusta causa intellegendi.110 104
Vgl. auch die Hinweise in KOCH, Das Recht der Forderungen nach Gemeinem und nach Preussischem Recht, S. 347. 105 POMP., D. 45, 1, 33. 106 So auch SIBER, ZSS 29 (1908), S. 47 (51). 107 ULP., D. 45, 1, 38, 16: “Inter incertam certamque diem discrimen esse ex eo quoque apparet, quod certa die promissum vel statim dari potest.” 108 HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S. 60 (61). 109 Dies erinnert an den Fall des Art. 7:102 Abs. 3 PECL (angemessene Frist ab Vertragsschluss). 110 HARKE, a.a.O., S. 61.
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Wahrscheinlich ist, dass das klassische römische Recht zwar keinen allgemeingültigen Grundsatz des dies interpellat pro homine kannte, eine Leistungszeitvereinbarung aber einzelfallweise durch den Richter als iusta causa beurteilt wurde.111 III. Schuldnerschützende Korrektive Das römische Recht sah vor, dass der Schuldner von der Last der mora befreit wurde, wenn er eine exceptio iusta vorweisen konnte. So heißt es in D. 22, 1, 21, 3, „[E]xceptio aliqua allegatur? Mora facta non videtur.“112 Ein ähnliches Argument findet sich auch in D. 50, 17, 66: Kann der Schuldner eine berechtigte Ausnahme geltend machen, die auch dem Gedanken der aequitas naturalis nicht widerspricht, „hört er auf, Schuldner zu sein“.113 Auch die Leistungsfähigkeit spielte eine begrenzende Rolle: Der Schuldner kam, allerdings in engen Grenzen, nicht in mora, wenn er nicht in der Lage war, rechtzeitig zu leisten. Es gab also Situationen, in welchen dem Schuldner die verzögerte Leistung nicht zum Nachteil gereichen sollte. Das Erfordernis der Leistungsfähigkeit ergibt sich aus der bereits erwähnten Quelle in POMP., D 12, 1, 5, die die Fähigkeit zur rechtzeitigen Leistung ausdrücklich erwähnt. Typisches Beispiel war eine res publica bedingte Abwesenheit des Schuldners. War also aus Wertungsgesichtspunkten die Annahme der mora debitoris zu verneinen, wurde dies in ausdrücklichen Ausnahmetatbeständen festgehalten. Auch dieser Mechanismus spricht im Übrigen gegen ein Verschuldenserfordernis im klassischen Sinn. Wäre ein solches positiv zu prüfen gewesen, hätten Ausnahmen vom Vorliegen der mora eine weniger zentrale Bedeutung erlangt. Eine weitgehende Erleichterung für den Schuldner ermöglichte das römische Recht insoweit, als es ihm gestattete, seine Leistung noch nachträglich und während des Prozesses anzubieten. Die Verzugsfolgen traten zwar grundsätzlich ab dem Zeitpunkt der Mahnung oder der traditio bei der Geldschuld ein. Dass aber die Zufallshaftung und Interessebeschränkung als Folgen der mora mit der Sachleistung dann obsolet wurden, wenn der geschuldete Gegenstand zwar erst nach Mahnung, aber letztlich doch noch geleistet wird und gerade nicht nach Eintritt der mora untergeht, ergibt sich aus der Natur 111
KASER/KNÜTEL, Römisches Privatrecht, § 37 Rn. 7. Diese Vorgaben des römischen Rechts trugen im Übrigen auch dazu bei, dass der Code International des Obligations in seinem Art. 261 über die Haftung unter Berufung auf D. 22, 1, 21, 3 eine strenge Haftung mit Befreiungmöglichkeit vorsah, wenn der Schuldner nachweisen konnte „que l’inexécution ou le retard proviennent d’une cause étrangère qui ne peut lui être imputée“. Vgl. die Begründung zu Art. 261 in COSENTINI, Code International des Obligations, S. 56. 113 MARC., 50, 17, 66: „Desinit debitor esse is, qui nactus est exceptionem iustam nec ab aequitate naturali abhorrentem.“ 112
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der Sache. Mora legt dem Schuldner das Risiko des zufälligen Sachuntergangs auf und führt, wenn dieser eintritt, nur zur perpetuatio des Schuldverhältnisses. Ihre Folge neutralisiert sich jedoch, wenn der Gläubiger den geschuldeten Leistungsgegenstand vor seinem Untergang nachträglich erhält. Der Charakter der mora als Druckmittel wirkte und veranlasste den Schuldner zur nachträglichen Leistung in natura. Ähnliches gilt hinsichtlich des Zinsanspruchs: Zwar waren Zinsen grundsätzlich ab dem auf die traditio folgenden Tag vorgesehen114, allerdings wurden auch sie als Druckmittel zur rechtzeitigen Leistung verstanden und obsolet, wenn der Schuldner letztlich doch noch leistete.115 Sie waren nicht isoliert einklagbar, wenn ihr Ziel, den Geldschuldner zur Leistung zu bewegen, erreicht wurde.
§ 3 Ausgleich von Gläubiger- und Schuldnerinteressen in den Rechtsfolgen der mora debitoris Die eigentlich zentrale Rechtsfolge der mora war die bereits beschriebene Fiktion des Fortbestandes des Schuldverhältnisses, die perpetuatio obligationis. Diese Figur führte dazu, dass der säumige Schuldner auch für einen zufälligen Untergang der geschuldeten Sache haftete und dass sich seine Verpflichtung in eine Pflicht zum Ersatz der geschuldeten Leistung in Höhe des Wertes umwandelte, den diese zum Zeitpunkt des Eintritts der mora besaß.116 Ursprung der Figur war die Unflexibilität der Klageformel bei den strengen Klagen, die bei Unmöglichkeit der Leistung zu einer Klageabweisung geführt hätte. Nicht die mora bewirkte die perpetuatio, sondern erst eine während des Verzugs eintretende Unmöglichkeit. Bei Gattungssachen oder Geld wirkte die perpetuatio daher auch nicht.117 Der Ersatz, der geschuldet war, beruhte auf der der mora nachfolgenden Unmöglichkeit, nicht auf der mora selbst. Bei den bona fides Klagen, konkret der emptio venditi, die die Figur der perpetuatio für eine Verurteilung aufgrund ihrer flexibleren Klageformel eigentlich nicht zwingend brauchten, hatte die perpetuatio auch die Funktion einer Gefahrtragungsregel und bewirkte die Rückgängigmachung des mit Vertragsschluss auf den Käufer als Gläubiger der Sachleistung erfolgten
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Allerdings strittig, siehe unter II. 3. HERM., D. 19, 1, 19, 1: „Pretii, sorte licet post moram soluta, usurae peti non possunt, cum hae non sint in obligatione, sed officio iudicis praestentur.“ 116 RAMPELBERG, Repères romains pour le droit européen des contrats, S. 179. 117 SCHULZ, Classical Roman Law, S. 481. 115
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Gefahrübergangs.118 Der aus der perpetuatio obligationis folgende Effekt, den Schuldner zur rechtzeitigen Leistung anzuhalten, war auch in der bonae fidei iudicia gewünscht. I. Haftung für Zufall Im römischen Recht haftete der Schuldner grundsätzlich für dolus, culpa oder custodia. Die Ausgestaltung der Haftung war vom jeweiligen Schuldverhältnis abhängig. So galt für den unentgeltlich Beauftragten eine reine dolusHaftung, für den Verkäufer allerdings die custodia-Haftung. Sie war die strengste Form der Einstandspflicht und ließ sich schwer in eine abstrakte Formel fassen, da sie sehr kasuistisch ausgestaltet war.119 Sie erinnert an die heutige Garantiehaftung mit Entlastungsmöglichkeit, da der Schuldner nur in einem Fall der vis maior von seiner Haftung befreit wurde. Beim Kauf diente sie vor allem dem Ausgleich der „periculum est emptoris“ Regel.120 Im Fall der mora war die Haftung unabhängig vom im jeweiligen Einzelfall eigentlich geltenden Haftungsmaßstab in dem Sinn absolut, dass der Schuldner nach Eintritt der mora für jede Nichtleistung eintreten musste, auch wenn sie nicht verschuldet war oder auf vis maior beruhte. Die Zufallshaftung war die eigentliche Sanktion für die Verspätung der Leistung. Die strenge Haftung für ein durch Zufall eintretendes Unmöglichwerden der Leistung nach Eintritt der mora belegt ULP., D. 45, 1, 82, 1: „Si post moram promissoris homo decesserit, tenetur nihilo minus, proinde ac si homo viveret.“121 Im Fall einer Leistungsunmöglichkeit nach Eintritt der mora bleibt der Schuldner verpflichtet, als wäre die Unmöglichkeit nicht eingetreten. Eine zweite Quelle ist ULP., D. 30, 47, 6 (Sabinus 32).122 Wenn ein vermachtes Grundstück durch Erdrutsch unterging, wurde Ersatz geschuldet, wenn der Erbe in mora war, da der Vermächtnisnehmer das Grundstück hätte verkaufen können, wenn er es rechtzeitig erhalten hätte. Der Untergang des geschuldeten Gegenstandes während des Verzugs sollte danach ausdrücklich selbst im Fall eines als force majeure eingeordneten Umstandes keine haftungsbefreiende Wirkung haben.123 Der Schuldner in mora haftete also unabhängig vom für die 118
Vgl. Inst. 3.23.3: „Wenn aber ein Kauf zustande gekommen ist, traf die Gefahr hinsichtlich der verkauften Sache sofort den Käufer, auch wenn die Sache dem Käufer noch nicht übergeben worden ist.“ Vgl. insbesondere HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S. 32. 119 SCHULZ, Classical Roman Law, S. 515. 120 A.a.O., S. 533. 121 KASER/KNÜTEL, Römisches Privatrecht, § 37 Rn. 8. 122 ULP., D. 30, 47, 6 (SAB. 32) „Item si fundus chasmate perierit, Labeo ait utique aestimationem non deberi: quod ita verum est, si non post moram factam id evenerit: potuit enim eum acceptum legatarius vendere.” 123 Die Quelle ist das Modell, das § 287 Satz 1 BGB zugrunde liegt: „Der Schuldner hat während des Verzugs jede Fahrlässigkeit zu vertreten. Er haftet wegen der Leistung auch für
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jeweilige Vertragsbeziehung geltenden Verschuldensmaßstab und über den im römischen Recht strengsten Haftungsmaßstab der custodia hinaus. Durch die Zufallshaftung sollte der Schuldner ausgleichen, was ein verständiger Gläubiger bei rechtzeitigem Erhalt des Leistungsgegenstandes durch eigenes Handeln hätte verhindern können. Dies galt ohne Rücksicht auf den im konkreten Fall geltenden Haftungsmaßstab und weitgehend ohne Überprüfung, ob die tatsächliche Möglichkeit der Verhinderung des Schadenseintritts durch den Gläubiger bei rechtzeitiger Leistung des Schuldners in irgendeiner Weise eine Rolle gespielt hätte.124 Die mora führte damit zu einer strengen Haftung des Schuldners frei von jeglicher Kausalitätsbetrachtung. Diese Regelung ist im Lichte der damaligen Zeit zu sehen: Ein Untergang des Leistungsgegenstandes nach Eintritt des Verzugs (Versterben von Sklaven, etc.) war zur Geltung des klassischen römischen Rechts ein häufiger und daher regelungsbedürftiger Fall. Allerdings gab es bereits bei den sabinischen Juristen Ansätze zur Befreiung des Schuldners im Fall der force majeure, wenn der Leistungsgegenstand während des Prozesses unterging.125 In nachklassischer Zeit soll zudem bereits die im ius commune zentrale Frage aufgekommen sein, ob der Schuldner nicht entlastet werden müsse, wenn der Gläubiger auch bei rechtzeitiger Leistung den Verlust des Leistungsgegenstand nicht hätte verhindern können.126 II. Haftungsumfang 1. Geldersatz Eine Lösung, die im Ergebnis Schuldner- und Gläubigerinteressen weitgehend in Ausgleich brachte, war die aus der perpetuatio obligationis folgende Eingrenzung des Haftungsumfangs. Eine Klage gegen den säumigen Schuldner führte nach römischem Recht ausschließlich zu einer Verpflichtung zur Zahlung einer Geldsumme, die sich bei den strengen Klagen auf den objektiven Wert des geschuldeten Leistungsgegenstands beschränkte. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bemessung des Wertes war der Zeitpunkt des Eintritts der mora, da das Schuldverhältnis Zufall […].“ Die unbedingte Zufallshaftung wurde jedoch bereits bei den Glossatoren in Frage gestellt und § 287 BGB daher durch Satz 2 als bedingte Zufallshaftung ausgestaltet. 124 Wobei auch dies nicht unbestritten ist. Nach GAIUS, D. 16, 3, 14, 1 soll in einem Fall, in dem der Sklave, der herauszugeben ist, vor Urteilserlass stirbt, dem Schuldner ein naturbedingter Untergang nicht zur Last gelegt werden dürfen, wenn dieser auch bei rechtzeitiger Rückgabe erfolgt wäre. Vgl. auch ULP., D. 6, 1, 15, 3, der für den vergleichbaren Fall des unverschuldeten Untergangs des Leistungsgegenstandes nach Rechtshängigkeit die konkrete Verkaufsabsicht für relevant hält. 125 RAMPELBERG, Repères romains pour le droit européen des contrats, S. 179 unter Berufung auf GAIUS, D. 16, 3, 14, 1. 126 RAMPELBERG, a.a.O.
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durch die perpetuatio obligationis fixiert wurde, wie es zu diesem Zeitpunkt bestand, und der Wert der Leistung zeitlich nachfolgenden Änderungen nicht mehr zugänglich war.127 Für den Gläubiger war dies im Hinblick auf die geschuldete Sache selbst von Vorteil, da deren Verschlechterung nach Eintritt der mora (aber vor Eintritt der Unmöglichkeit) nicht zu berücksichtigen war. Die Haftung umfasste jedoch zugleich weder den Ersatz entgangenen Gewinns noch etwaiger beim Gläubiger eintretender Folgeschäden und erstreckte sich auch nicht auf bis zum Prozess eingetretene Wertsteigerungen der Sache. Bei den bona fides Klagen erwartet man hingegen eine flexiblere Lösung als die Fixierung des Schuldverhältnisses im Zeitpunkt der mora und die daraus entstehenden Folgen der Zufallshaftung und der Haftungsbegrenzung. Erst spätere Quellen zum Haftungsumfang der bonae fidei iudicia scheinen jedoch auf eine solche hinzudeuten, wie beispielsweise NER., D. 19.1.31.1, nach welchem nicht nur das zu leisten sei, was der Verkäufer (hier durch einen Sklaven) erworben hat, sondern auch das, was der Käufer erworben hätte, wenn die Übergabe rechtzeitig stattgefunden hätte. Die Quelle spielt also auch auf etwaigen entgangenen Gewinn an. Nach der ausdrücklich auf die mora bezogenen klassischen Quelle bei PAUL., D. 19.1.21.3 soll jedoch gerade das Gegenteil gelten und nur „omnis utilitas emptoris […] quae modo circa ipsam rem consistit“ zu ersetzen sein, also nur die auf der Sache selbst beruhenden Vorteile, die der Käufer bei rechtzeitiger Leistung gehabt hätte, und weder entgangener Gewinn noch etwaige Folgeschäden.128 Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Auslegung dieser Quellen noch den Juristen des 19. Jahrhunderts Probleme bereitete und vertreten wurde, Paulus habe nicht jeglichen über die utilitas circa rem hinausgehenden Interesseersatz absprechen wollen, sondern nur einen bloß wahrscheinlichen Gewinn und einen unvorhersehbaren mittelbaren Schaden von der Ersatzpflicht ausnehmen wollen, da diese in keinem nachweislichen Kausalzusammenhang mit der mora stünden.129 Die Eingrenzung des Interessersatzes bei der mora in der bonae fidei iudicia soll jedoch letztlich darin begründet liegen, dass auch hier die Figur der perpetuatio obligationis Anwendung fand, die die Festlegung des zu
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„Omnia iudicia ab solutoria esse“, D. 16, 3, 12, 3. PAUL., D.19.1.21.3: „Cum per venditorem steterit, quo minus rem tradat, omnis utilitas emptoris in aestimationem venit, quae modo circa ipsam rem consistit: neque enim si potuit ex vino puta negotiari et lucrum facere, id aestimandum est, non magis quam si triticum emerit et ob eam rem, quod non sit traditum, familia eius fame laboraverit: […] nam pretium tritici, non servorum fame necatorum consequitur […].“ 129 MOMMSEN, Zur Lehre von dem Interesse, S. 291. 128
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ersetzenden Interesses130 auf den Moment des Verzugseintritts bewirkte. Dieses beschränkte sich zwangsläufig auf den Wert der Sache selbst, nicht auf etwaige hypothetische Entwicklungen. Dass die Figur der perpetuatio auch bei den bona fides Klagen wirkte, lag nicht daran, dass das System ohne sie nicht ausgekommen wäre, sondern beruhte auf einer bewussten Wertung. So sieht HARKE in der perpetuatio zugleich eine Kontrolle des Gläubigerverhaltens: Da der Leistungsgegenstand seit der mora auch an Wert gewinnen könnte, soll der Gläubiger nicht zum Zuwarten mit seiner Klage angeregt werden und sich einen Vorteil versprechen.131 Verfolgt man diesen Gedanken weiter, hatte die perpetuatio neben ihrer Sanktionsfunktion zu Lasten des Schuldners zugleich die Rolle einer Art gesetzlich angeordneter Schadensminderungspflicht. Daraus folgt zugleich, dass der Gläubiger konsequenterweise auch nicht wahlweise den Sachwert im Zeitpunkt der litis contestatio verlangen konnte, wenn dieser sich bis dahin erhöht hatte.132 Die Regel der perpetuatio wirkte danach nicht nur zu Lasten des Schuldners, sondern zugleich zur Kontrolle des Gläubigers. Diese strengen Folgen der perpetuatio bei der mora wurden erst im frühen ius commune langsam relativiert. 2. Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen bei Sachleistung Bei den strengen Klagen war die Geltendmachung der Herausgabe nach Verzugseintritt gezogener Nutzungen wegen der strikt abgegrenzten Klageformel nicht möglich, da über diese hinaus nicht verurteilt werden durfte.133 Im Rahmen der bonae fidei iudicia waren hingegen ab Verzugseintritt auch Nutzungen nach Treu und Glauben herauszugeben.134 Beim typischen Fall der mora beim Kauf sollte dies jedoch nicht erst aus den Verzugsregeln, sondern bereits aus dem Vertrag selbst folgen: Da dem Käufer ab Vertragsschluss die Gefahrtragung aufgebürdet wird, sollte ihm auch das Recht zur Fruchtziehung
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Nach ULP., D. 19, 1, 1 pr. soll dabei das Interesse regelmäßig mit dem vereinbarten Preis übereinstimmen, vgl. auch HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S. 37, Fn. 76. 131 Unter Berufung auf PAUL., D. 19, 2, 21, 3: „Nec maior fit obligatio quod tardius agitur.“ 132 So aber HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S. 35 f., nach dem letztlich offenbar doch gestatten sein soll, dass der Gläubiger eines säumigen Schuldners den Sachwert im Zeitpunkt der litis contestatio verlangt. Nach seiner Ansicht ergibt sich dies aus der Quelle in PAUL., D. 19. 1. 21. 3, in der er eine Ausnahme von der Interessebestimmung im Verzugszeitpunkt erkennen will. Der Text bleibt hierzu allerdings unklar. Möglich ist, dass zugunsten des Gläubigers ein flexiblerer Lösungsansatz galt. 133 PAUL., D. 22, 1, 38, 8. 134 PAP., 22, 1, 3: „Ceterum si ante, quam ad iudicem perveniretur, in mora heres fuit, exinde fructuum praestandorum necessitate adstrictus […].”
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zustehen.135 War also eine Sachleistung geschuldet, konnte der Gläubiger die Herausgabe der während der mora gezogenen Früchte verlangen.136 3. Zinsanspruch bei Geldleistung Im Rahmen der strengen Klagen etwa aus einer stipulatio konnte kein Zinsanspruch zugesprochen werden, da die Klageformel eine Zinszahlung nicht umfasste.137 Hingegen war bei der bonae fidei iudicia ein Zinsanspruch nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil galt „in bonae fidei contractibus ex mora usurae debentur“.138 Beim Kauf etwa war der Schuldner bei mora mit einer Geldleistung von der Übergabe der Kaufsache an einer Zinszahlungspflicht ausgesetzt, die den Kaufpreis und die Aufwendungen des Verkäufers umfasste. Auch hier zeigt sich die Gläubigerfreundlichkeit des römischen Rechts, denn es bedurfte keiner Mahnung des Geldschuldners, um diesen in Verzug zu setzen; die traditio des Kaufgegenstandes allein reichte aus. Zinsen wurden dann ab dem darauffolgenden Tag geschuldet.139 Eine Mahnung war, da es ausdrücklich „usurae […] post diem traditionis“ gab, keine zwingende Voraussetzung eines Zinsanspruchs; ebenso wenig ein Verschulden des Schuldners, wie dies im deutschen Recht in § 288 Abs. 1, 286 Abs. 1, 4 BGB noch immer, allerdings über eine Verschuldensvermutung, vorausgesetzt wird. Heute folgen jedoch viele nationale Rechte wie auch die PECL beim Zinsanspruch einem objektivierten Maßstab.140 Die Gewährung des Zinsanspruchs stand allerdings im Ermessen des Richters, der die Zinshöhe nach den Bräuchen des Ortes bestimmte, an welchem der Vertrag geschlossen wurde.141 In der Regel wurde der Zinsanspruch nur gewährt, wenn der Schuldner die Leistung nicht bis zum Prozessbeginn nachgeholt hat, da der Zinsanspruch ein gängiges Mittel war, den Schuldner zur rechtzeitigen Leistung zu bewegen. Er hatte mehr den Charakter eines Druckmittels und diente weniger dem Zweck, dem Gläubiger die Vorteile auszugleichen, die er bei rechtzeitiger Leistung gehabt hätte.142 Aus diesem 135
HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S. 39. PAUL., D. 22, 1, 38, 8; ULP., D. 17, 1, 10, 2/3/8/9, PAUL., D. 17, 2, 38, 1. 137 SCHULZ, Classical Roman Law, S. 478. 138 MARC., D. 22, 1, 32, 2. 139 ULP., D. 19.1.12.20: „[…] item usurae pretii post diem traditionis“. Allerdings ist dies umstritten, siehe HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S. 42 m.w.N., der die gegenteilige Ansicht jedoch ausführlich widerlegt. 140 Vgl. Teil 1, Kap. 3, § 3 IV 6b; Teil 2, Kap. 7, § 3 I 2. 141 PAP., D. 22, 1, 1, 1: „Cum iudicio bonae fidei disceptatur, arbitrio iudicis usurarum modus ex more regionis ubi contractum est constituitur“; D. 19.1.49.1: „Pretii, sortelicet post moram solute, usurae peti non possunt, cum hae non sint in obligatione, sed officio iudicis praestentur.“ WATSON, Roman Law and Comparative Law, S. 63. 142 HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S. 44. 136
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Grund sollen die Zinsen mit 12% auch entsprechend hoch gewesen und erst unter Justinian herabgesetzt worden sein.143 Allerdings konnte ein Zinsanspruch auch außerhalb der bonae fidei iudicia durch den durch prätorianisches Edikt geschaffenen Rechtsbehelf der actio de constituta pecunia ermöglicht werden. Beim constitutum handelte es sich um eine Vereinbarung, die nach dem Entstehen einer obligatio zwischen den Parteien geschlossen wurde und zu einer prätorianischen actio führte, die von ihrer Formel her flexibler war als die actio certae creditae pecuniae und einen durch Zahlungsverzug entstandenen Schaden mitabdecken konnte.144 Voraussetzung der ursprünglich speziell für die actio certae creditae pecuniae geschaffenen Möglichkeit des constitutum war eine vertragliche Verpflichtung zwischen den Parteien. Die actio de constituta pecunia trat neben eine ursprüngliche actio ex stipulatione.145 So konnte die Nichtbezahlung der Schuld zusätzlich abgesichert werden. Deren Höhe konnte im constitutum jedoch nicht verändert werden, wohl aber der Zeitpunkt, zu dem diese zu begleichen war. Die Quellen sprechen bei Verzug mit einer Geldleistung auch in der bonae fidei iudicia allerdings generell gegen eine Gewährung von über den Zinsanspruch hinausgehendem Schadensersatz. Aus HERM., D. 10, 6, 20 (19) ergibt sich, dass die Verzugszinsen allein als ausreichende Ersatzleistung galten und darüberhinausgehender Schaden nicht zu ersetzen war, was sich auch mit dem Charakter des Zinsanspruchs als „Motivation zur rechtzeitigen Leistung“ besser vereinbaren lässt.146 Die Gegenmeinung beruft sich auf ULP., D. 45, 1, 114, und NER., D. 19, 1, 31, 1, die allerdings die Frage des entgangenen Gewinns bei Sachleistungen betreffen und daher nicht richtig passen, da der Zinsanspruch gesonderten Regeln unterstand. Allerdings war auch hier mit einem constitutum Abhilfe zu schaffen, soweit der entstandene Schaden von der Formel der „actio de constituta pecunia (quanti ea res est)“ gedeckt war.
143
KASER/KNÜTEL, Römisches Privatrecht, § 34 Rn. 28. „If a debtor was bound by stipulation to pay 100 on the 1st of July and did not pay at that date, the creditor could not obtain interest ex mora debitoris with the actio certae creditae pecuniae, since the condemnatio of the formula was a condemnatio certa. In this respect the constitutum brought a relief, for the formula of the praetorian action authorized the judge to award damages for the delay of payment“; SCHULZ, Classical Roman Law, S. 560, 562. 145 SCHULZ, Classical Roman Law, S. 561 f. 146 Vgl. HERM., D. 18, 6, 20 (19): „Venditori si emptor in pretio solvendo moram fecerit, usuras dumtaxat praestabit, non omne omnino, quod venditor mora non facta consequi potuit, veluti si negotiator fuit et pretio soluto ex mercibus plus quam ex usuris quaerere potuit.” 144
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§ 4 Mora und Elemente einer Nichterfüllungshaftung Aus obigen Erwägungen wurde bereits deutlich, dass das römische Recht die Verzögerung der Leistung nicht in ein Rechtsbehelfssystem einordnete, das in allgemeiner Form die aus dem heutigen Recht bekannten Rechtsfolgen wie Schadensersatz oder Rücktritt eröffnet. Ein breit angelegtes Nichterfüllungskonzept fehlte.147 Die mora selbst war keine Nichterfüllung, sondern bewirkte nur eine „zeitlich versetzte Haftung für völlige Nichterfüllung“.148 Rechtsbehelfe der PECL, wie etwa die Vertragsaufhebung in Anknüpfung an die Leistungsverzögerung, entwickelten sich im klassischen Recht erst ansatzund einzelfallweise oder waren aufgrund des erheblichen Systemunterschieds des klassischen römischen Obligationenrechts schlicht nicht als Folge einer Leistungsverzögerung denkbar.149 Obige Ausführungen zur mora sollen jedoch zum besseren Vergleich mit gegenwärtigen europäischen oder internationalen Vertragsrechtsregelwerken um einige generelle Anmerkungen zu Elementen einer Nichterfüllungshaftung ergänzt werden. Lediglich kurz ist dabei zu zeigen, inwieweit sich zwar die heutige Systematik internationalen Einheitsrechts oder nationalen Rechts bereits in den Wurzeln des klassischen römischen Rechts abzeichnet,150 wie wenig sie jedoch damals entwickelt und insbesondere in unmittelbarer Folge an eine Leistungsverzögerung geknüpft war. I. Erfüllungsanspruch Dass ein gerichtlich durchsetzbarer Erfüllungsanspruch dem klassischen römischen Recht fremd ist, wurde bereits erwähnt. Der Schuldner konnte nur zu einer Geldleistung verurteilt werden. So heißt es bei GAIUS: „Bei allen Klageformularen, die eine condemnatio haben, ist diese auf die Schätzung des Geldwertes hin abgefasst. Folglich verurteilte der Richter – auch wenn man eine Sache forderte, beispielsweise ein Grundstück, einen Sklaven, ein Kleidungsstück, Gold oder Silber – den Beklagten […], nachdem die Sache geschätzt worden ist, in deren Geldwert.“151 Der strenge Grundsatz, dass sich jede primär geschuldete Leistung mit Verurteilung in eine Geldschuld um147
CARRASCO PERERA, ZEuP 2006, S. 552. So die Grundaussage HARKES in Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht. 149 „ [...] lo que las partes podían utilizar bajo aquel derecho fue un número de remedios previstos para casos particulares y con referencia a ciertos contratos determinados o grupos de contratos”, DELL’AQUILA, La resolución de los contratos bilaterales por incumplimiento de una de las partes, S. 13. 150 Wobei nochmals darauf hingewiesen werden soll, dass die moderne Vertragsrechtssystematik nicht in das römische Recht hineingelesen werden darf. 151 GAIUS, Inst. 4.48; HONSELL, Römisches Recht, S. 98. 148
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wandelte, wurde erst gegen Ende der klassischen Periode langsam modifiziert, weil eine fortschreitende Geldentwertung ein auf Geldersatz lautendes Urteil wertlos machte152 und die Grundsätze des strengen Formularprozesses aufgeweicht wurden. Der Urteilstenor musste also nicht mehr die genaue Entsprechung der Klageformel darstellen und eine Naturalrestitution war im Einzelfall nicht mehr ausgeschlossen.153 JUSTINIAN entwickelte jedenfalls bei einseitiger Erfüllung durch eine Partei die Möglichkeit der Leistungsklage auf Naturalerfüllung fort.154 In den Quellen zeichnet sich jedoch ab, dass die Möglichkeit des Erfüllungsanspruchs auf Verpflichtungen beschränkt war, die auf ein dare gerichtet waren.155 Bei auf ein facere gerichteten Verpflichtungen wurde hingegen der Grundsatz des Geldersatzes beibehalten.156 So erwähnt CELSUS im Rahmen des Beispiels der Nichterfüllung einer Verpflichtung zum Schutz des Vertragspartners, dass die Verurteilung des Versprechenden auf Geldersatz lautet, „wie dies auch bei jeder anderen auf ein facere gerichteten Verpflichtung der Fall wäre.“157 Es kam also zu einer vorsichtigen Gewährung der Naturalerfüllung im Ausnahmefall, wovon allerdings die obligations de faire ausgenommen blieben. II. Nachfrist Die Rolle der Nachleistungsfrist im römischen Recht war heutigem nationalem wie internationalem Recht in keiner Weise vergleichbar. Gleichwohl war eine Verlängerung der Leistungszeit auf zwei Wegen möglich. Auch wenn eine stipulatio einen festen Leistungstermin vorsah, konnte der Gläubiger seinem Schuldner eine Leistungszeitverlängerung in Form eines formlosen pactum de non petendo gewähren, der den Gläubiger daran hinderte, aus der stipulatio zu klagen. Der Schuldner, der sich hierauf berief, konnte durch die aufgrund des pactum ausgesprochene exceptio doli einer Verurteilung entgehen, wenn ihm der Beweis des pactum gelang.158 Andernfalls kam insbesondere bei Geldleistungen das bereits erwähnte constitutum in Betracht, in dem die Parteien für eine ursprünglich mittels 152
Vgl. auch IUST., C. 7, 4, 17; D. 6, 1, 68; WOLLSCHLÄGER, Die Entstehung der Unmöglichkeitslehre, S. 38 ff.; MÜLLER-CHEN, Folgen der Vertragsverletzung, S. 19. 153 ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 772. 154 Vgl. auch D. 2, 14, 7, 1-4; COING, Europäisches Privatrecht I, S. 399. 155 DU PLESSIS, THRHR 51 (1988), S. 349 (353 ff.). 156 Bei praestare-Verpflichtungen ergibt sich dies aus den Quellen jedoch nicht eindeutig, vgl. u.a. ULP., D. 19, 1, 1 pr. 157 D. 42, 1, 13, 1: „Si quis promiserit prohibere se, ut aliquid damnum stipulator patiatur, et faciat ne quod ex ea re damnum ita habeatur, facit quod promisit: si minus, quia non facit quod promisit, in pecuniam numeratam condemnatur, sicut evenit in omnibus faciendi obligationibus.“ 158 SCHULZ, Classical Roman Law, S. 478.
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stipulatio geschaffene Zahlungsverpflichtung nachträglich einen anderen Zahlungstermin festlegten.159 Später ließ man ein constitutum auch hinsichtlich der Leistung von Gattungssachen zu. III. Schadensersatz In Konsequenz der condemnatio pecuniaria ist man geneigt, im römischen Recht von einem absoluten Vorrang des Schadensersatzes zu sprechen. Dies wäre allerdings inkorrekt, da die Besonderheiten des römischen Prozesses nur Geldersatz zuließen, es hierbei jedoch im Wesentlichen um reinen Wertersatz für die geschuldete Leistung ging, während der Schaden extra rem nur sehr verhalten als ersatzfähig angesehen wurde160 und allgemeine schadensersatzrechtliche Grundsätze wegen Vertragsverletzungen dem römischen Fallrecht unbekannt waren. Bei den strengen Klagen bestand kein Raum für ein Schadensersatzrecht nach heutigem Verständnis, da der Schuldner bei Nichtleistenkönnen wie Nichtleistenwollen in jedem Fall nur zu einer Geldleistung verurteilt wurde, die an die Stelle der Primärleistung trat und lediglich die utilitas circa rem umfasste. Eine Ersatzpflicht für Folgeschäden oder entgangenen Gewinn wegen Vertragsverletzungen ging für die Römer sehr weit und schien aus Wertungsgesichtspunkten außer bei einem „deliktischen“ Verhalten des Ersatzpflichtigen selbst bei den bona fides Klagen schwer zu rechtfertigen.161 Hier konnte der Gläubiger zwar auch Interesseersatz für die nicht ordnungsgemäße Erfüllung erhalten162 und in eingeschränktem Rahmen Ersatz für sonstige Schäden verlangen, die der Schuldner durch Verletzung der bona fides verursacht hat.163 Das Recht auf Ausgleich eines Vermögensschadens beruhte dort insbesondere auf der actio empti des Kaufrechts. Allerdings zeigen die Quellen ULP., D. 19, 1, 1 und PAUL., D. 19, 1, 21, 3, die als Basis des römischen Schadensersatzrechts dienen, dass Fragen des entgangenen Gewinns und des Folgeschadens keinesfalls allgemeine Grundsätze waren. Nach PAUL., D. 19, 1, 21, 3164 ist zwar jeder Vorteil zu berechnen, den der Käufer 159
A.a.O., S. 560. Vgl. NER., D. 19, 1, 31 ,1 und PAUL., D. 19, 1, 21, 3. Der Ersatz von entgangenem Gewinn oder weiteren Schäden war nicht einheitlich geregelt und wird abweichend gedeutet. 161 Vgl. zur unbeschränkten Haftung des arglistigen Verkäufers: ULP., D. 19, 1, 13 pr. 162 PROC., D. 45, 1, 113, 1. 163 Vgl. ULP., 19, 2, 13, 6 und D. 17, 2, 52, 11. 164 PAUL., D. 19, 1, 21, 3: „Cum per venditorem steterit, quo minus rem tradat, omnis utilitas emptoris in aestimationem venit, quae modo circa ipsam rem consistit: neque enim si potuit ex vino puta negotiari et lucrum facere, id aestimandum est, non magis quam si triticum emerit et ob eam rem, quod non sit traditum, familia eius fame laboraverit: nam pretium tritici, non servorum fame necatorum consequitur.“ Vgl. auch AFRIC., D. 19, 2, 33 (Miete und Pacht). 160
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aus der Sache selbst gehabt hätte. Folgeschäden blieben außer Betracht und nur sehr verhalten wurde der Aspekt betrachtet, dass der Käufer mit der Sache hätte handeln und Gewinn erzielen können. So heißt es etwa: „wenn er Weizen gekauft hat und, weil dieser nicht übergeben wurde, seine Sklaven Hunger litten: Dann wird er den Preis des Weizens, nicht den der an Hunger gestorbenen Sklaven erlangen.“ Bei NER., D. 19, 1, 31, 1 wird später die Frage des entgangenen Gewinns anders beurteilt, denn danach soll nicht nur das zu leisten gewesen sein, was der Verkäufer (an Nutzungen) erworben hat, sondern auch das, was der Käufer erworben hätte, wenn die Übergabe rechtzeitig stattgefunden hätte.165 Der Gedanke vom Ersatz des damnum emergens und des lucrum cessans wurde zudem nicht im kategorisierenden Sinn des Ersatzes des positiven und negativen Interesses und damit als temporale Betrachtung des status quo ante oder des status quo bei Erfüllung verstanden, sondern als eine Präzisierung hinsichtlich der quantitativen Betrachtung des Gesamtschadens.166 Der Gedanke der Interessebegrenzung entwickelte sich auch diesbezüglich nach der Klassik fort und wurde durch die Idee der Haftung auf den vorhersehbaren Schaden ergänzt,167 wobei sich die Begrenzung auf den Schadensumfang bezog und diesen konkret auf höchstens das Doppelte des gemeinen Wertes der Leistung beschränkte. Diese contemplation rule soll bereits auf JUSTINIAN zurückgehen.168 Auch der Gedanke des Mitverschuldens findet sich im Übrigen bereits in POMP., D. 50, 17, 203.169 IV. Rücktrittsrecht Das auf dem favor contractus basierende römische Recht kannte weder eine gerichtliche Aufhebung des Vertrages noch ein allgemeines Rücktrittsrecht im Fall der Nichterfüllung von Verträgen.170 Daher war diese Sanktion für eine Verspätung der Leistung gar nicht denkbar und der heutige Schritt von einer unzumutbaren Leistungsverzögerung zur Auflösung des vertraglichen Bandes nicht in Form eines generellen Rechtsbehelfs konstruierbar.171 Das klassische 165
Ner., D. 19, 1, 31, 1: „Et non solum quod ipse per eum adquisii praestare debeo, sed et id, quod emptor iam tunc sibi tradito servo adquisirturus fuisset.“ Allerdings ist der Zusammenhang der Quelle unklar. 166 KASER, Das römische Privatrecht I, S. 501. Vgl. zur Differenzierung zwischen positivem und negativem Interesse sowie damnum emergens und lucrum cessans SCHACKEL, ZEuP 2001, S. 248 (266). 167 PRINGSHEIM, in Studi in Onore di Salvatore Riccobono, S. 313. 168 C. 7, 47, 1 und D. 19, 1, 44; vgl. auch MEDICUS, Id Quod Interest, S. 288-90. 169 „Quod quis ex culpa sua damnum sentit, non intellegitur damnum sentire.“ 170 DELL’AQUILA, La resolución de los contratos bilaterales por incumplimiento de una de las partes, S. 13; HUZEL, Vertragsauflösung wegen Nichterfüllung im Spanischen Recht, S. 4. 171 Das römische Recht kannte lediglich die Wandelung bei Sachmängeln; ein Grund, weshalb das deutsche Recht vor der Schuldrechtsreform zwischen der Wandelung im Ge-
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Recht hatte in seinem kasuistischen Ansatz die Idee vom vertraglichen Synallagma noch nicht erkannt, aus dem sich ein allgemeines Rücktrittsrecht hätte ableiten lassen können.172 Eine allgemeine Anerkennung eines Rücktrittsrechts war zudem aufgrund der Besonderheiten des römischen Prozessrechts und des Grundsatzes der Verurteilung in Geld weniger aktuell. Die Umstände waren also ganz andere, als wenn der Schuldner grundsätzlich seine Verpflichtung in natura zu erfüllen hat, der Gläubiger den Unwägbarkeiten des noch ausstehenden Handelns des Schuldners ausgesetzt ist und das Schicksal seiner eigenen Gegenleistung ungewiss bleibt. Der gegenseitigen Abhängigkeit der Vertragspflichten im Fall der Nichterfüllung einer Partei kam nur im Rahmen der Innominatverträge eine gewisse Bedeutung zu. Hier war bei ausbleibender Gegenleistung nach erbrachter Leistung eine condictio der passende Rechtsbehelf, und zwar in der Form der condictio ob data causa non secuta. Diese führte je nach Vertragsgegenstand zur Herausgabe der geleisteten Sache oder einer Entschädigung für ein bereits erbrachtes Tun.173 Sie war eine erste Form einer gesetzlichen Rückabwicklung eines gescheiterten Vertrages,174 eine Vorstufe zu einem Synallagma. Dieser Ansatz entwickelte sich im klassischen römischen Recht jedoch noch zu keinem allgemeinen Rechtsbehelf fort. Auch die Wandelungsklage (actio redhibitoria) war wie die actio quanti minoris nach dem Edikt der kurulischen Ädilen nur im Fall der Sachmängelhaftung beim Vieh- und Sklavenkauf möglich und blieb ein Sonderfall.175 Sie wurde zudem teils nicht als Rechtsbehelf zugunsten des Käufers infolge der Nichterfüllung von Vertragspflichten nach heutigem Verständnis, sondern als reine marktpolizeiliche Sanktion angesehen,176 auch wenn sie später auf alle Sachkäufe ausgedehnt wurde.177 Bedeutsam für die Entwicklung der Vertragsaufhebungsregime nationaler Rechte war jedoch insbesondere im Fall der Verzögerung der Leistung die Möglichkeit, ein vertragliches Vertragsaufhebungsrecht zu vereinbaren. Dies konnte im Einzelfall beim Kauf (insbesondere beim Kauf von Land) in Form einer lex commissoria erfolgen,178 d.h. in einer Abrede, nach der – in der Rewährleistungsrecht und dem Rücktrittsrecht im allgemeinen Teil des Schuldrechts unterschied. 172 Vgl. auch STOLL, AcP 131 (1929), S. 141 (141 f.). 173 ÁLVAREZ VIGARAY, La resolución de los contratos bilaterales por incumplimiento, S. 12. 174 BOYER, Recherches historiques sur la résolution des contrats, S. 299 f., 309 f.; SCHERNER, Rücktrittsrecht wegen Nichterfüllung, S. 16. 175 MAYER-MALY, Römisches Privatrecht, S. 112. 176 BUCHER, Begriff und Geschichte der Gewährleistung in Österreich und anderswo, S. 9. 177 KASER, Das Römische Privatrecht, Die nachklassischen Entwicklungen, S. 393. 178 PAUL., D. 41, 4, 2, 3, wonach ein Rücktritt vom Vertrag kraft vertraglicher Vereinbarung möglich ist, etwa wenn der Kaufpreis nicht rechtzeitig bezahlt wird. Siehe auch
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gel bei Nichtzahlung des Kaufpreises innerhalb der vereinbarten Frist – der Vertrag als nicht geschlossen gelten sollte.179 Die Natur dieser Abrede wurde unterschiedlich beurteilt: entweder man interpretierte sie als aufschiebende Bedingung oder als Vertragsaufhebungsklausel.180 Es bestand jedenfalls vorwiegend für den Fall des Ausbleibens der Kaufpreiszahlung die Möglichkeit, eine Art Rücktrittsvorbehalt zu vereinbaren. Auch hier handelte es sich aber um keine generelle Regel, sondern nur um eine Einzelfalloption. Ob die lex commissoria ihre Wirkung bereits mit Verstreichen des Termins für die Kaufpreiszahlung entfaltete oder der Verkäufer sich auf die Abrede berufen musste, wenn der vereinbarte Zahlungstermin verstrich, bleibt unklar.181 Die Quellen deuten teils auf ersteres hin.182 Allerdings fügt ULPIAN hinzu, dass dem Verkäufer gleichwohl ein Wahlrecht zustehe, den Vertrag doch gelten zu lassen.183 Zudem erfolgte die Rückabwicklung im Fall der lex commissoria mehrheitlich über die auf Rückgabe der Kaufsache gerichtete actio venditi und die auf Rückzahlung des Kaufpreises gerichtete actio empti.184 Daraus ergibt sich eine wichtige Regel für das Verständnis der vertraglichen Rückabwicklung: Der Vertrag galt nicht als durch den Rücktritt aufgelöst, denn es blieben auch weiterhin spezifisch kaufrechtliche Klagen anwendbar und die Rückabwicklung stützte sich nicht auf Bereicherungsrecht. War also ein Rücktrittsrecht für den Fall der verzögerten Kaufpreiszahlung vereinbart, kamen die Rechtsfolgen dem heutigen Verständnis einer vertraglichen Rückabwicklung im Fall der Leistungsverzögerung bereits sehr nahe. Zudem ergibt sich aus ULP., D. 18, 3, 4, 3 auch ein Hinweis auf eine Kumulierbarkeit von Vertragsaufhebung und Schadensersatz: Dort heißt es, dass der Verkäufer, sofern dies zum Inhalt der lex commissoria wurde, vom säumigen Käufer auch verlangen konnte, den Betrag zu zahlen, um den der Verkäufer die Kaufsache nachteiliger veräußern musste, als wenn er sie dem
STOLL, ZSS 44 (1924), S. 1 (1 f.); MÜLLER-CHEN, Folgen der Vertragsverletzung, S. 16 m.w.N.; KASER, Das Römische Privatrecht, S. 561. 179 POMP., D. 18, 3, 2: „Ita accipitur inemptus fundus esse, si venditor inemptum eum esse velit, quia id venditoris causa cavetur“; ULP., D. 18, 3, 3: „Nam legem commissoriam, quae in venditionibus adicitur, si volet, venditor exercebit, non etiam invitus“; ÁLVAREZ VIGARAY, La resolución de los contratos bilaterales por incumplimiento, S. 2 ff.; vgl. auch BUCHER, in DUFOUR et al., Mélanges Schmidlin, S. 407 (429). 180 ÁLVAREZ VIGARAY, La resolución de los contratos bilaterales por incumplimiento, S. 4. 181 Vgl. POMP., D. 18, 1, 6, 1 und ULP., D. 18, 3, 4, 1. 182 „Et quidem finita est emptio“, ULP., D. 18, 3, 4, 1. 183 ULP., D. 18, 3, 4, 2 zu PAPINIAN. 184 Vgl. POMP., D. 18, 1, 6, 1; ULP., 18, 3, 4. ZumTeil stützte man sich auch auf eine actio factum, PAUL., D. 18, 5, 6 oder eine rei vindicatio (vgl. zu letzterem die Schweizer Literatur, insb. HONSELL, Römisches Recht, S. 121).
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Käufer vertragsgemäß überlassen hätte: „si venditor eundem fundum venderet, quanto minoris vendiderit, id a priore emptore exigat“.185
Unterkapitel 2
Ius commune – Wandel des Verzugstatbestands § 1 Ius commune und mora debitoris Das ius commune übernahm den Inhalt des corpus iuris civilis (533/534)186, der allerdings seit seiner „Wiederentdeckung“ durch Existenz und Einfluss des kanonischen Rechts187 beeinflusst wurde, sich sukzessive fortentwickelte und teilweise uminterpretiert oder verallgemeinert wurde.188 Durch Glossatoren und Kommentatoren, die den bereits 600 Jahre alten Rechtsstoff aufarbeiteten und an ihre Zeit anpassten, veränderte dieser immer wieder sein Gesicht.189 Dabei war die Auslegung des in ständiger Entwicklung befindlichen Rechts naturgemäß nicht einheitlich. Die Bedeutung des ius commune wird teilweise bezweifelt, es gibt jedoch Hinweise auf seine nicht unbedeutende Rolle in der Praxis. Da die Reichkammergerichtsordnung (RKGO) aus dem Jahr 1495 verlangte, dass mindestens die Hälfte der Richter römischrechtlich ausgebildete Juristen sind und § 3 RKGO das ius commune in der Rechtsquellenhierarchie190 an oberste Stelle setzte, konnte es sich auch in der gerichtlichen Rechtsanwendung durchsetzen – erst als mos italicus und gallicus, später als usus modernus.191 Dieser Rechtsstoff verschmolz mit der mittelalterlichen lex mercatoria und den Einflüssen von regionalen coutûmes sowie später insbesondere mit naturund vernunftrechtlichem Gedankengut192 zu neuem Recht193 oder wurde durch
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ULP., D. 18, 3, 4, 3. Siehe die moderne Umschreibung zum Charakter des corpus iuris civilis: „A ‘supermarket’ of legal decisions and useful arguments applicable in any branch of private law”, COING, Europäisches Privatrecht I, S. 33. 187 Zum Einfluss des corpus iuris canonici auch STEIN, J.L.H. 25 (2004), S. 161 (161 f.). 188 KNÜTEL, ZEuP 1994, S. 244 (245). 189 ZIMMERMANN, AcP 202 (2002), S. 243 (252). 190 Die Richter hatten gem. § 3 RKGO in erster Linie „[...] nach des Reichs gemainen Rechten [...]“ zu richten. 191 STRYK, Specimen usus moderni pandectarum; ZIMMERMANN, AcP 202 (2002), S. 243 (252); STEIN, J.L.H. 25 (2004), S. 161 (164). 192 SCHWARZ, SZRom 42 (1921), S. 578 (588 ff.). 186
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die deutsche Pandektistik wieder mehr zu seinen Ursprüngen zurückgeführt.194 Klassisches römisches Recht und usus modernus unterschieden sich im Hinblick auf das Verständnis der mora debitoris. Es gab insoweit auch keinen einheitlichen usus modernus. Selbst die vom römischen Recht stark beeinflussten nationalen Rechte können daher bereits in ihren Ursprüngen als mixed legal systems bezeichnet werden, weil sie tatsächlich nicht auf dem römischem Recht basieren, sondern auf einem Amalgam mehrseitiger Einflüsse.195 Anders als im klassischen Recht war der Vertrag das Zentrum des rechtsgeschäftlichen Handelns. Das Aktionensystem verlor seine Bedeutung und das subjektive Recht trat in den Mittelpunkt, insbesondere im späteren ius commune, unter dem großen Einfluss der Kommentierung und Rechtssystematisierung durch DONELLUS.196 Auch bei der Frage der Qualifizierung einer Klage als stricti iuris oder bonae fidei kam es weniger auf die Klageformel als auf die Eigenart des Vertrages an („ab ipsa conventionum qualitate“).197 Der Einfluss der Kanonisten trug weiter zur Schaffung einer Basis für ein einheitliches Vertragsrecht bei: Der Wille, sich vertraglich zu binden, sollte genügen, um rechtliche Verpflichtungen hervorzurufen. Ein pactum, bei dem die Formen der stipulatio nicht beachtet wurden, war daher gleichwohl rechtsverbindlich. Pactum und stipulatio verschmolzen unter dem Dach eines einheitlichen Vertragsrechts, das die römischen Konsensualkontrakte zum Leitbild nahm.198 Dadurch wurden Verträge zugleich dem System der bona fides unterworfen, das den Rahmen der klassisch-römischen Konsensualkontrakte bildete199 und die Regeln der bonae fidei iudicia wurden weitgehend auf alle Klagen ausgedehnt.200 Zugleich war der pactum aber mit der unter JUSTINIAN für die Stipulation entwickelten causa im Sinn eines „vernünftigen Motivs“ für den Vertragsschluss eng verknüpft, die die Ernstlichkeit der Parteierklärung belegte.201 Auf der Basis dieses Verständnisses des pactum entwickelte sich langsam eine allgemeinere Theorie des Vertragsrechts. Unter 193
Vgl. zum Naturrecht MITTEIS, Über das Naturrecht, S. 8 ff.; WELZEL, Naturrecht und materielle Gerechtigkeit, S. 9. Zum Einfluss auf das gemeine Recht THIEME, SZGerm 56 (1936), S. 202 (219). 194 „The usus modernus mutated into Pandect science“, STEIN, J.L.H. 25 (2004), S. 161 (166). 195 ZIMMERMANN, AcP 202 (2002), S. 243 (254). 196 STEIN, in ANKUM et al., Mélanges Wubbe, S. 439 ff. 197 COING, Europäisches Privatrecht I, S. 177. 198 „Hodiernis moribus confusa sunt pactorum et stipulationum jura“; GROENEWEGEN, De legibus abrogatis, zu D. 45, 1. 199 COING, Europäisches Privatrecht I, S. 404 f. 200 STRYK, Specimen usus moderni Pandectarum, zu D. 45, 1. 201 Hierin hat die cause des französischen Vertragrechts ihren Ursprung.
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naturrechtlichen Einflüssen gewann der Bindungswille als Grundlage für die verpflichtende Kraft von Verträgen immer mehr Bedeutung. Seitdem gilt „ex pacto nudo oritur actio et obligatio.“202 Die vertragliche Verpflichtung hatte als solche bindende Kraft.203 Der Grundsatz pacta sunt servanda entstammt daher nicht bereits dem klassischen römischen Recht, wie man fälschlicherweise annimmt.204 Im früheren ius commune kam der mora wie auch im römischen Recht weiterhin eine Sonderrolle zu.205 Allerdings wandelte sich das eher gläubigerfreundliche Konzept der mora im klassisch römischen Recht durch das Ideengut des kanonischen Rechts, das sowohl durch den Gedanken des Schuldnerschutzes als auch durch einen Strafgedanken geprägt wurde. Der Einfluss des kanonischen Rechts bewirkte, dass die abstrakt-logische, sich aus der „Verewigung“ des Schuldverhältnisses herleitende und damit auf einer zeitlichen Komponente206 beruhende Interpretation der mora durch wertende Erwägungen durchzogen wurde. Die unter diesen Vorzeichen geführten Diskussionen über Voraussetzungen wie Rechtsfolgen der mora, die seit den Glossatoren nachvollzogen werden können, haben daher die Akzente neu gesetzt, lösten die mora von ihrer klassisch römischen Basis und leiteten hierdurch zugleich einen grundlegenden Wandel dieser Rechtsfigur ein, der ihre ursprüngliche Sonderrolle langsam relativierte. Im ius commune bekam insbesondere die Ambiguität der Formel des „si per eum stat, quo minus solvat“207 eine deutliche Prägung in Richtung eines Verschuldenserfordernisses. Der Aspekt, dass die Nichtleistung zum eigentlichen Leistungszeitpunkt am Schuldner „gelegen“ sein musste, erhielt unter dem Einfluss des kanonischen Rechts die Konnotation eines moralisch verwerflichen Verhaltens. Die strengen Folgen der mora wurden daher weit mehr als im klassischen römischen Recht mit ihrem Strafcharakter begründet.208 Andererseits galt der Schuldner als schützenswerte, da schwächere Vertragspartei, der die Bürde der mora nur dann aufzuerlegen war, wenn ihr
202
DE AZEVEDO, Commentariorum iuris civilis in hispaniae regias constitutiones VI, 5, 16, 2, Nr. 1. 203 Vgl. auch LESER, Der Rücktritt vom Vertrag, S. 3 ff. 204 Vergleiche im kanonischen Recht Decretales gregorii P.IX 1.35.1 summarium, in 2 corpus iuris canonici 203-204 (Ausg. E. Friedberg, 1881). 205 Die Sonderrolle von Verzug und Unmöglichkeit wurde in den Kodifikationen Deutschlands und Österreichs übernommen. Vgl. COING, Europäisches Privatrecht II, S. 464; MOMMSEN, Beiträge zum Obligationenrecht, I und III; WINDSCHEID, Pandekten II, § 264. 206 HARKE, Schuldnerverzug, S. 14 ff., 29. 207 AFR., D. 17, 1, 37; PAUL., D. 45, 1, 91, 3; POMP., D. 12, 1, 5; KASER/KNÜTEL, Römisches Privatrecht, § 37 Rn. 7; SCHMIDLIN/CANNATA, Droit privé romain II, S. 84. 208 MEIJERS, in MEIJERS, Etudes d’histoire du droit IV, S. 27 ff.
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Verhalten ethisch betrachtet tatsächlich inakzeptabel war.209 Dieses Bewusstsein um den Grundkonflikt zwischen dem prinzipiell ethisch verwerflichen Verhalten eines säumigen Schuldners und dessen ebenfalls auf moralischen Erwägungen beruhenden Schutzes und seiner eventuellen Entlastung kennzeichnet die Voraussetzungen, Rechtsfolgen und vor allem auch die Entschuldigungsgründe einer Leistungsverzögerung im ius commune. Dies führte zu einer teilweisen Neudefinition ihrer Rechtsfolgen, der Begrenzung der Zufallshaftung durch Kausalitätserwägungen und einer auf letzteren beruhenden differenzierteren Bestimmung des Haftungsumfangs. Der Sondertatbestand mora entwickelte sich langsam parallel zur Vertragshaftung wegen Nichterfüllung, in der sie in heutigen einheitsrechtlichen Modellen zur Gänze aufgeht.
§ 2 Schuldnerfreundliche Interpretation der Verzugsvoraussetzungen I. Vermutetes Verschulden Das Verschuldenserfordernis bei der mora debitoris wurde bereits bei den Glossatoren in der Theorie des frühen gemeinen Rechts zur Grundsatzfrage und blieb im gemeinen Recht umstritten. So wurde teils allein die interpellatio als tragendes Element der mora betrachtet.210 Andererseits wurde D 12.1.5, der von der iusta causa der Kenntnis der Leistungspflicht sprach, immer mehr im Sinn eines Verschuldenserfordernisses gedeutet.211 Kenntnis der Pflicht zur Leistung an einem bestimmten Zeitpunkt und Verschulden des Schuldners wurden zu parallelen Elementen des Verzugstatbestands.212 Man stritt sich allerdings über den Verschuldensmaßstab.213 Teils wurde mora nur
209
ENDEMANN, Studien in der romanisch-kanonischen Wirtschafts- und Rechtslehre bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts II, S. 258 ff.; ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 795; RAMPELBERG, Repères romains pour le droit européen des contrats, S.183. 210 So ROGERIUS, Summa Codicis, S. 73; viel später auch SCHÖMANN, Vom Schadensersatz II, S. 12 ff.; HÄNEL, Vom Schadensersatze, § 78. 211 So HARKE, Schuldnerverzug, unter Berufung auf die Auslegung der iusta causa bei AZO, S. 35 und ACCURSIUS, S. 37: „Die iusta causa zur Kenntnis der Leistungszeit […] hat sich in Accursius’ Interpretation von einem äußeren Merkmal zu einer subjektiven Verzugsvoraussetzung gewandelt“. Vgl. auch RAMPELBERG, Repères romains pour le droit européen des contrats, S. 183: „Pour le ius commune, la mora est un retard fautif dans l’exécution.“ 212 „Der Effekt, den die Mahnung oder der Leistungstermin im Bewusstsein des Schuldners haben, wird allmählich mit den Kategorien von dolus und culpa erfasst“, HARKE, Schuldnerverzug, S. 45. 213 DILCHER, Die Theorie der Leistungsstörungen bei Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten, S. 17 ff.
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im Fall der groben Fahrlässigkeit oder des Vorsatzes bejaht,214 teils das Haftungsregime des jeweiligen Schuldverhältnisses zugrunde gelegt.215 Diese theoretischen Erwägungen hatten eine sehr bedeutsame Folge, denn sie führten zu einer langsamen Annäherung des Regimes der mora an eine allgemeine Verschuldenshaftung wegen Vertragsverletzung: Dies relativierte ihre Rolle als Sondertatbestand. In der gemeinrechtlichen Praxis setzte sich das Verschuldenserfordernis bei der mora weitgehend durch. Man neigte allerdings dazu, das Verschulden der Verzögerung bei Vorliegen der objektiven Verzugsvoraussetzungen, d.h. im Regelfall nach Mahnung, als vermutet zu betrachten.216 Die Anpassung der Haftung für mora an eine allgemeinere Verschuldenshaftung wurde durch natur- und vernunftrechtliche Erwägungen gefestigt.217 Teils wurde aber in der späten Auslegung des römischen Rechts das Verschulden nicht als Voraussetzung der mora, sondern die mora selbst als culpa, als Verschuldung, angesehen, und es genügte „die durch Anforderung konstatierte Nichterfüllung“,218 um mora zu bejahen. Dieser Aspekt erinnert an die Lösung der PECL, die in der objektiven Leistungsverzögerung eine Nichterfüllung sehen und den Schuldner einer strengen Nichterfüllungshaftung unterwerfen, von der er nur im Fall der force majeure ausgenommen ist. II. Leistungsfähigkeit Ebenfalls umstritten blieb, unter welchen Voraussetzungen der Schuldner von der Bürde der mora befreit werden konnte. Das Spannungsverhältnis zwischen Schutz und Sanktion des Schuldners gebot auch, die Frage nach möglichen Entschuldigungsgründen zu erörtern. Es war streitig, ob diese auf äußere objektive Hindernisse zu begrenzen waren oder auch subjektive, in der Person des Schuldners begründete Hinderungsgründe eine Exkulpation ermöglichten. So galten neben der Verhinderung der rechtzeitigen Erfüllung wegen res publica bedingter Abwesenheit die Unkenntnis des Schuldners von seiner Verpflichtung oder von der Person des Gläubigers oder die Verur214
So insb. BARTOLUS, Commentaria im secundam partem Digesti veteris, S. 20 zu D. 12,
1, 5. 215
CINUS, Commentaria in digesti veteris libros, S. 51, zu D. 12, 1, 5. „However such culpa usually appears to have been presumed to exist if all the other requirements of mora were met“, ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 794; ähnlich KOCH, Das Recht der Forderungen nach Gemeinem und nach Preußischem Recht, S. 348. 217 „Folgt die Verzugshaftung in jeder Hinsicht den Regeln über die allgemeine Haftung für culpa und dolus, ist sie gewöhnliche Haftung für Pflichtverletzung. Sie hat alle Überbleibsel der römischen Konstruktion als zeitlich versetzte Haftung für einfache Nichterfüllung abgelegt und sanktioniert nun direkt die Nichteinhaltung der Leistungszeit“, HARKE, Schuldnerverzug, S. 70, zu den Einflüssen des Natur- und Vernunftrechts. 218 BRINZ, Lehrbuch der Pandekten II, S. 287 ff. 216
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sachung der Verzögerung durch den Gläubiger219 als Gründe, die eine Haftung des Schuldners entfallen ließen.220 Auch bei bloßen Leistungsschwierigkeiten wurde aus dem Schuldnerschutzgedanken eine Entschuldigung des Schuldners erwogen:221 „Difficultas non tollit obligationem, sed excusat a mora oder in illiquidis non fit mora.“ Nach CINUS und FABER sollte der leistungsunfähige Schuldner allerdings nur dann entschuldigt sein, wenn seine mangelnde Leistungsfähigkeit ohne jegliches eigenes Zutun entstanden war.222 Nur dann „neutralisierte“ der Schuldner die Verwerflichkeit der Säumnis. Das Prinzip wurde weit ausgelegt, es galt bei Geld- wie bei Stückschulden gleichermaßen.223 Der Grundsatz „Geld hat man zu haben“ war dem ius commune fremd. Zudem wollte CINUS die fehlende Leistungsfähigkeit des Schuldners so verstehen, als habe sie nicht nur Einfluss auf den Eintritt der mora, sondern auch auf das Schuldverhältnis insgesamt.224 Hierin zeigte sich wiederum ein Ansatz zu einem Gleichlauf zwischen den Regeln der mora und der allgemeinen Nichterfüllungshaftung, der aber nicht der allgemeinen Ansicht entsprach, die sich allein auf die mora bezog.225 Auch an diesem Beispiel zeigt sich wiederum der Konflikt zwischen der mora als einer Sonderfigur des Vertragsrechts und der mora als bloßem Spezialfall der Nichterfüllungshaftung. III. Mahnungserfordernis Die Notwendigkeit einer Mahnung des säumigen Schuldners wird zum Hauptthema der gemeinrechtlichen Juristen. Da die Praxis des ius commune die culpa des Schuldners bei der Verzögerung der Leistung überwiegend als vermutet betrachtete, war dieses Konstrukt nicht ohne Mahnung denkbar. Erst ein konkretes Appellereignis erlaubte es, dem Schuldner ein vermutetes Verschulden aufzuerlegen, wenn er seine Leistung nicht rechtzeitig erbrachte. Der Schuldner musste gewarnt werden, bevor die Obligation in dieses Stadium 219
„Wenn der Kreditor geflissentlich dem Schuldner den Verlust der ihm von demselben zu gebenden Sache verursacht hat.“, KOCH, Das Recht der Forderungen nach Gemeinem und nach Preußischem Recht, S. 348. 220 DILCHER, Die Theorie der Leistungsstörungen bei Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten, S. 40 ff.; ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 794. 221 Vgl. hierzu auch ZASIUS, Opera omnia I, S. 688. 222 Dies geht über die von POMPONIUS erörterte, durch dolo malo herbeigeführte Leistungsunfähigkeit des Schuldners hinaus: CINUS, Commentaria in Digesti veteris libros, S. 51, zu D. 12, 1, 5; FABER, Rationalia in tertiam partem pandectarum III, S. 14 zu D. 12, 1, 5. 223 COING, Europäisches Privatrecht II, S. 436. 224 Vgl. zur Interpretation von CINUS’ Theorie HARKE, Schuldnerverzug, S. 42: Bei mangelnder Leistungsfähigkeit war nicht nur die mora entschuldigt, sondern auch eine Verurteilung des Schuldners zur Leistung nicht möglich. 225 Vgl. die Erörterungen bei HARKE, Schuldnerverzug, S. 38.
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vorrückte.226 Im Ergebnis unterschied sich diese Interpretation nicht vom klassischen Verständnis der Mahnung als entscheidendem Element der mora. 1. Förmlichkeit der Mahnung Nach überwiegender Meinung hatte die Mahnung nicht zwingend gerichtlich zu erfolgen. Der Schuldner konnte auch außergerichtlich, allerdings nach Zeit und Ort angemessen, gemahnt werden.227 Eine einzige außergerichtliche Mahnung war mit Ausnahme des französischen usus modernus gängig.228 Die unter der Geltung des ius commune übliche Praxis wurde auch weitgehend in die späteren großen Kodifikationen übernommen. So wird noch im geltenden französischen Vertragsrecht die ursprüngliche Formenstrenge für die Mahnung deutlich,229 während etwa im wesentlich jüngeren italienischen Obligationenrecht eine schriftliche Mahnung ausreicht und in Deutschland eine Mahnung nicht nur außergerichtlich erfolgen kann, sondern an gar kein Formerfordernis gebunden ist.230 2. Ausnahmen vom Mahnungserfordernis Die mora ex re des klassischen römischen Rechts entwickelte sich eigentlich systemwidrig zu einem Oberbegriff, der alle Fälle umfasste, die eine Ausnahme zur an eine Mahnung geknüpften mora ex persona darstellen: „Mora ex re est, quae fit sine interpellatione, adeoque lege introducitur sine facto hominis […].“231
226
ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 795. MARC., D 22, 1, 32, 1, spricht nur von „[…] si interpellatus oportuno loco non solverit”; siehe MOMMSEN/KRÜGER/WATSON, The Digest of Justinian I: „The existence of delay depends not on the mere fact but on the person, that is, that the debtor, called on at an opportune place fails to pay.“; vgl. auch KOCH, Das Recht der Forderungen nach Gemeinem und nach Preußischem Recht, S. 347. Ob sich oportuno loco auf den Mahnungsort oder den Leistungsort bezog, wird aus der Formulierung nicht ganz klar, vgl. HARKE, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S. 65. Bei VOET, Commentarius ad Pandectas, Lib. XXII, Tit. I, XXV heißt es opportuno loco et tempore, vgl. auch ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 795. 228 In Frankreich bestand man auf einer gerichtlichen Mahnung. Die Formerfordernisse für die Mahnung sind auch im geltenden französischen Vertragsrecht noch strenger als etwa im deutschen Recht (vgl. Art. 1139 und 1146 Code civil). Nach POTHIER, Traité des obligations, Œuvres II, Nr. 144, 172 liegt der wahre Grund für diese Praxis in der Tatsache, dass die Gerichte eine außergerichtliche Mahnung als nicht beweisbar ansahen. 229 Vgl. Art. 1139 und 1146 Code civil. 230 Vgl. Art. 1219 Abs. 1 Codice Civile, § 284 BGB a.F. 231 VOET, Commentarius ad Pandectas, Lib. XXII, Tit. I, XXVI; ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S 797; vgl. auch die spätere Auslegung durch die Gemeinrechtslehre THIBAUTS, System des Pandektenrechts, § 105, S. 79. 227
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Der Grundsatz dies interpellat pro homine, mit dem sich die Juristen des ius commune intensiv auseinandersetzten, war eine der wichtigsten Ausnahmen der mora durch interpellatio. In der Theorie des frühen ius commune und insbesondere der französischen Vertragspraxis war umstritten, ob im Fall vertraglicher Leistungszeitbestimmung gleichwohl eine Mahnung zu erfolgen hatte.232 Gegen die Regel des dies interpellat wurde zum einen vorgebracht, dass kein Unterschied zwischen der ausdrücklichen Leistungszeitbestimmung oder der sofortigen Fälligkeit gemacht werden könne, da es sich in beiden Fällen um eine Fälligkeitsbestimmung handle, die aber nichts darüber aussage, ob das Verstreichen der Leistungszeit dem Gläubiger zum Nachteil gereiche oder nicht.233 Zum anderen ging man noch immer davon aus, dass die Leistungszeitvereinbarung in Abweichung vom Grundsatz sofortiger Fälligkeit erfolge und damit nicht zum Vorteil des Gläubigers, sondern des Schuldners getroffen worden sei. Der dies interpellat-Grundsatz widerspräche diesem Mechanismus, da der Gläubiger einen Vorteil aus einer Abrede ziehen könne, die eigentlich dem Schuldner zugute kommen sollte. 234 Letztlich wurde der Grundsatz im ius commune aber doch überwiegend anerkannt. Lediglich seine dogmatische Begründung auf der Basis römischer Quellen oder als zum Gewohnheitsrecht erstarkter Grundsatz blieb zunächst umstritten.235 Man deutete die Leistungszeitbestimmung als einen Unterfall der interpellatio, eben als Fall des dies interpellat, des „mahnenden Termins“.236 Zum Teil stellte man den Fall auch so dar, als mahne nicht der Gläubiger, sondern der Schuldner sich fiktiv selbst, der ja bereits wusste, zu welchem Zeitpunkt er zur Leistung verpflichtet war. Erst allmählich wurde die vertragliche Leistungszeitbestimmung als wirkliche Alternative zur Mahnung betrachtet und jedenfalls seit ZASIUS mehr und mehr von der mora durch Mahnung unterschieden: „quia debitor in diem adveniente termino in mora constituitur, sine aliqua interpellatione“.237 232
COING, Europäisches Privatrecht I, S. 436; POTHIER, Traité des obligations, Œuvres II, 1847, Nr. 144. Der Code civil erkennt den dies interpellat-Grundsatz nicht vorbehaltlos an, vgl. dessen Art. 1139: „Le débiteur est constitué en demeure […] par l’effet de la convention lorsqu’elle porte que, sans qu’il soit besoin d’acte et par la seule échéance du terme, le débiteur sera en demeure“; vgl. bereits DE BELLAPERTICA, der trotz Leistungszeitvereinbarung eine Mahnung fordert, Commentaria in Digestum Novum, S. 224 zu D. 45, 1, 23. 233 Siehe hierzu auch KOCH, Das Recht der Forderungen nach Gemeinem und nach Preußischem Recht, 1858 S. 349 ff., insb. S. 350, Es bestünde „in dem einen wie in dem anderen Falle eben derselbe Zweifel […], ob in der Zögerung eine Rechtsverletzung liegt, oder nicht.“ 234 M.w.N. KOCH, Das Recht der Forderungen nach Gemeinem und nach Preußischem Recht, S. 349 ff., insb. S. 352 f. 235 Auf der Basis des Textes in IUST. C. 8, 37, 12. 236 So die überwiegende Ansicht seit AZO, Lectura super Codicem, S. 141, vgl. HARKE, Schuldnerverzug, S. 33 ff., insb. 35, 61 ff. 237 ZASIUS, Opera omnia I, S. 684, zu D. 12, 1, 5.
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Der Anerkennung des dies interpellat-Grundsatzes als Alternative zur Mahnung kam zudem insofern gewichtige Bedeutung zu, als dieser ein weiteres Element der Annäherung des Verzugstatbestands an eine allgemeine Haftung wegen Vertragsverletzung darstellte: Denn haben die Parteien klar eine Leistungszeit vereinbart und hält der Schuldner diese nicht ein, verletzt er eine Vertragspflicht, und diese Verletzung zeitigt unmittelbare Wirkung.238 So betrachtet war der Schritt zum heutigen Haftungsregime wegen Leistungsverzögerungen nicht weit: Wenn das Verstreichen der vereinbarten Leistungszeit als solches schon verzugsauslösend wirkt, weil es dem Schuldner stets vorwerfbar ist, ist die Lösung der PECL, der UPICC oder des DCFR, die Leistungsverzögerung an die Nichterfüllungshaftung zu binden, selbst aus der historischen Perspektive nicht fernliegend.
§ 3 Abgeschwächte Rechtswirkungen der mora debitoris Die Figur der perpetuatio obligationis, die ihre Berechtigung und Notwendigkeit im römischen System der actiones stricti iuris fand, verlor im Geltungsbereich des ius commune ihre Bedeutung, da die römische stipulatio in einem einheitlichen Vertragsrecht, einem „mainstream of contractual theory and practice“, aufging 239 und die Übernahme der flexibleren Grundsätze der bonae fidei iudicia zur Lösung vertragsrechtlicher Probleme den Katalog möglicher Rechtsfolgen gestörter Vertragsverhältnisse erweiterte. Der ursprüngliche Sinn der perpetuatio obligationis, die Verpflichtung eines säumigen Schuldners als fortbestehend zu fingieren, um auch im Fall der Leistungsunmöglichkeit entsprechend der vorab festgelegten unflexiblen Klageformel verurteilen zu können, wurde obsolet.240 Allerdings bestand die perpetuatio insbesondere um der Zufallshaftung und ihres Strafgedankens willen bereits im klassisch römischen Recht der Konsensualkontrakte fort und stand auch am Anfang der Entwicklungen des ius commune.
238
Vgl. hierzu auch die Auslegung bei HARKE, Schuldnerverzug, S. 64. Unter Berufung auf MADAI, Die Lehre von der mora, S. 143 erörtert dieser, dass zum Teil der Verzug auf der Basis einer Leistungszeitvereinbarung auch aus dem Verschuldenselement abgeleitet und die Missachtung des vereinbarten Leistungstermins durch den Schuldner als ein Fall angesehen wurde, der dem Schuldner stets zur Last gelegt werden müsse. 239 ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 549. 240 „All claims were now adjudged from the point of view of aequitas, and thus, irrespective of whether a specific object or what the classical lawyers had termed an ‚incertum’ was owed, irrespective also of the way in which the debtor had failed to comply with his contractual duties, he could now ultimately be condemned to id quod interest. It was therefore essentially the regime applicable to bonae fidei iudicia that survived.“, ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 807 unter Berufung auf KASER, Römisches Privatrecht II, S. 357.
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Sie wurde allerdings durch Kausalitätserwägungen und eine flexiblere Interesseberechnung nach und nach aufgeweicht. Auch dieser Entwicklungsprozess zeigt den schrittweisen Wandel der mora von einem Sonderfall der Haftung zu einem Unterfall der Vertragsverletzung. Er erklärt zudem, warum sich die Zufallshaftung seit dem ius commune über die Unbeachtlichkeit der Kausalitätserwägungen bei der klassischen mora hinwegsetzt und noch heute kontinentaleuropäische Kodifikationen prägt.241 I. Zufallshaftung mit Kausalitätserwägungen Die Zufallshaftung des römischen Rechts hat bereits bei den Glossatoren zu erheblichen Diskrepanzen in der Auslegung geführt.242 Begründet wurde die strenge Haftung in der Regel mit dem Strafgedanken der mora, deren Rechtsfolgen die Säumnis des Schuldners sühnen. Das hypothetische Schicksal des geschuldeten Gegenstandes bei rechtzeitiger Leistung an den Gläubiger außer Betracht zu lassen, wie dies die Klassiker infolge der perpetuatio konsequenterweise taten, und den Schuldner ohne jegliche Kausalität der mora für den Untergang des Leistungsgegenstandes haftbar zu machen, wurde von den mittelalterlichen Glossatoren nicht mehr einhellig gebilligt. So wurde vertreten, die Zufallshaftung sei zu beschränken, wenn der Gegenstand auch im Fall rechtzeitiger Leistung beim Gläubiger untergegangen wäre.243 Zum Teil wurde für die Bejahung einer Schuldnerhaftung jedenfalls der Nachweis vom Gläubiger gefordert, dass er die Möglichkeit gehabt hätte, die durch Untergang des Leistungsgegenstandes entstandenen Folgen durch rechtzeitigen Weiterverkauf auf einen Dritten abzuwälzen, was allerdings teils zu seinen Gunsten vermutet wurde.244 Die Haftung des Schuldners hing nun von einer Kausalitätsbetrachtung ab und folgte nicht mehr automatisch aus der mora. Der im kanonischen Erbe verwurzelte Gedanke des Schuldnerschutzes legte es nahe, die Haftung nur dann zu bejahen, wenn die Verzögerung der Leistung auch ursächlich für den Unter241
Die römischrechtliche Regelung der mora beeinflusste in ihrer Wertung unter anderem das deutsche Recht sehr stark, das in der seltsamen Konstruktion des § 275 BGB a.F. ein Freiwerden von der Leistungspflicht nur dann vorsah, wenn der Schuldner die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hatte, und in § 287 BGB die strenge Verzugshaftung normierte. 242 Siehe insbesondere für eine unbedingte Zufallshaftung AZO, Lectura super codicem, S. 589 unter Berufung auf ULP., D. 30, 47, 6; BARTOLUS, Commentaria in secunam partem Digesti veteris, S. 20 zu D. 12, 1, 5 für eine unbedingte Zufallshaftung bei schuldrechtlichen Ansprüchen. Für eine Berücksichtigung des hypothetischen Schicksals des Leistungsgegenstands beim Gläubiger: MARTINUS, Summa Codicis, S. 144, später auch CUJAZ, Tractatus ad Africanum I, S. 1388. Je nach Haftungsmaßstab der Verpflichtung differenziert BALDUS, Commentaria omnia III, S. 133 zu D. 30, 47, 6. Vgl. für eine ausführliche Analyse der mora seit dem Mittelalter die detaillierten Ausführungen von HARKE, Schuldnerverzug, S. 14 ff. 243 COING, Europäisches Privatrecht I, S. 437. 244 DONELLUS, Opera Omnia X, S. 1486 zu D. 22, 1.
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gang des Leistungsgegenstandes war, wie dies später POTHIER annimmt.245 Durch den Einfluss des Naturrechts246 entwickelte sich die Zufallshaftung schließlich endgültig zu einer bedingten Haftung,247 die auf Kausalitätserwägungen beruhte und mit einer Beweislastumkehr zu Lasten des Schuldners verknüpft war: Das, was der Schuldner leisten müsse, könne nicht dasjenige übersteigen, was dem Gläubiger bei rechtzeitiger Leistung zugekommen wäre. Die mora assimilierte sich auch hierdurch ein Stück weit an die normale vertragliche Haftung.248 Im gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts entschied man sich jedoch noch nicht einheitlich zugunsten der über die Kausalität der Verzögerung hergeleiteten bedingten Zufallshaftung249 und kehrte teils mit dem Ziel absoluter Quellentreue zur ursprünglichen Argumentation des klassisch römischen Rechts zurück.250 II. Erweiterung des Haftungsumfangs Die mittelalterlichen Juristen entwickelten den Grundsatz des Wertersatzes für einen untergegangenen Leistungsgegenstand in Höhe des Wertes der Sache bei Eintritt der mora in eine andere Richtung fort. Während das klassische römische Recht einer sehr pragmatischen Betrachtung folgte und den Wertersatz an die Situation im Moment des Verzugseintritts knüpfte, wurde die mora im kirchenrechtlich beeinflussten ius commune wertend betrachtet. Ähnlich wie die Zufallshaftung ihren Grund in der Bestrafung des Schuldners und ihre Grenze im Schuldnerschutz fand, war auch die Begrenzung des Haftungsumfangs einer abwägenden Betrachtung zwischen Schuldnerschutz und Gläubigerinteresse ausgesetzt. Da die wertende Betrachtung die vormals strenge rein zeitliche Betrachtung251 ablöste, verlor auch die Haftungsbegrenzung auf den Wert der Leistung im Moment der mora, die ja ebenfalls auf der Irrelevanz des hypothetischen Schicksals des Leistungsgegenstandes be245
POTHIER, Traité des obligations, Oeuvres II, Nr. 664. Vgl. etwa WOLFF, der eine Haftung dann bejahte, wenn die mora auch kausal für den Eintritt des Schadens beim Gläubiger war, Ius naturae methodo scientifica pertractatum III, S. 467. 247 Der schuldnerfreundliche Ansatz wurde etwa auch in das BGB und den Codice Civile übernommen. § 287 S 2 a.F. und S. 2 n.F. BGB, § 1221 Codice Civile. 248 So auch MOMMSEN, der den Kausalzusammenhang zwischen mora und Schaden zur Grundlage der Haftung erklärte und das System der Haftung bei der mora dem bei der culpa gleichstellte, MOMMSEN, Die Lehre von der Mora, S. 183. 249 So zwar THIBAUT, System des Pandektenrechts I, S. 76, DERNBURG, Pandekten II, S. 109; nicht aber SAVIGNY, der „die entzogene Möglichkeit [sofern diese besteht] des Verkaufs als Motiv der strengen Verpflichtung“ und nicht als eine Bedingung für die Haftung ansah, um diese nicht ihres Sinnes zu entleeren, System des heutigen römischen Rechts VI, S. 184. 250 So MADAI, Die Lehre von der mora, S. 312 ff. 251 HARKE, Schuldnerverzug, S. 14 ff., S. 29. 246
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ruhte, durch die Berücksichtigung von Kausalitätserwägungen und die Beachtung des hypothetischen Schicksals des Leistungsgegenstands nach Verzugseintritt ihre ursprüngliche Rechtfertigung. Zudem half, wie HARKE darlegt, der Strafgedanke, der zunächst noch zu begründen vermochte, warum man dem Schuldner eine strenge Zufallshaftung aufbürdete, bei der Interesseberechnung nicht mehr weiter, sondern stand einer Beschränkung des Haftungsumfangs auf den Sachwert bei Eintritt der mora gerade entgegen.252 Die Begründungen für eine Beschränkung der Haftung bei der mora waren zunächst jedoch durchaus vielfältig. So wurde etwa die auf den Sachwert begrenzte Haftung als Ausfluss der vertraglichen Vereinbarung der Parteien angesehen und vertreten, der säumige Schuldner habe nur insoweit zu haften, als ihm seine Einstandspflicht aufgrund der getroffenen Parteiabsprache vorhersehbar war, was bei einem Schaden extra rem verneint wurde. Die Idee der Begrenzung einer Haftung auf den bei Vertragsschluss vorhersehbaren Schaden wurde bereits im frühen ius commune viel diskutiert.253 Als Beleg für den begrenzten Haftungsumfang bei einem Untergang des Leistungsgegenstandes wurde andererseits auch ein Vergleich zwischen den Schuldnern der Sach- und der Geldleistung gezogen. Da letzterer lediglich einer Zinspflicht unterlag, durfte ersterer nicht über alle Maßen bestraft werden.254 Zum Teil wurde auch mit dem Argument exklusiver Kausalität gearbeitet: Nur bezüglich der utilitas circa rem war die Verzögerung der Leistung die allein schadenstiftende Ursache. Lediglich in diesem begrenzten Rahmen wurde der Schuldner daher als ersatzpflichtig angesehen; alle darüber hinausgehenden Verluste des Gläubigers waren von ihm selbst oder anderen Ursachen jedenfalls mitbestimmt.255 Teils wurden auch sehr moderne Ansätze erörtert, die an das Konzept des heutigen Deckungsgeschäfts in Art. 9:102 Abs. 2 lit. d PECL256 erinnern, wenn auch mit anderen Folgen: Während die Möglichkeiten zum Abschluss eines Deckungsgeschäfts heute den Erfüllungsanspruch ausschließen sollen, galt damals, dass der Verzug für einen über die Leistung selbst hinausgehenden Schaden dann nicht kausal sein und damit zu einer weitgehenden Schuldnerhaftung führen sollte, wenn der Gläubiger die Leistung aus einer anderen Quelle erhalten konnte.257 Eine ähnliche
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A.a.O. AZO, Lectura super Codicem, S. 589; BALDUS, Commentaria omnia VIII, S. 57. 254 So ALCIAT, Opera omnia III, S. 555 f.; siehe auch HARKE, Schuldnerverzug, S. 15 zu ROGERIUS, Summa Codicis, S. 127. 255 DONELLUS, Opera omnia X, S. 1486. 256 Siehe auch Art. 7.2.2 lit. c UPICC. 257 DONELLUS, Opera onmia IX, S. 885 f. 253
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Konsequenz für den Ersatz solchen Schadens mag heute auch über die Schadensminderungspflicht des Gläubigers konstruierbar sein. Durch die Juristen des Naturrechts wurden die Begrenzungen der Haftung mehr und mehr aufgeweicht. Da die Haftung einer Kausalitätsbetrachtung unterworfen wurde, oblag dem Schuldner der Ersatz des gesamten auf dem Verzug beruhenden Schadens, da der Gläubiger so gestellt werden sollte, wie er stünde, wenn der Schuldner seine Leistung nicht verzögert hätte.258 Hier tauchte also im Zusammenhang mit der Säumnis erstmals in systematisierter Weise der Gedanke des Ersatzes des lucrum cessans neben dem Ersatz des tatsächlichen Schadens auf, der allerdings nur sehr verhalten galt. 259 Im gemeinen Recht folgte man diesen Gedanken daher auch eher zögerlich. Erst MOMMSEN und WINDSCHEID stellten Erwägungen an, der Schuldner habe dem Gläubiger das zu ersetzen, was dieser bei rechtzeitiger Leistung aus dem Leistungsgegenstand gemacht hätte.260 Letzterer stellte, wie HARKE es formuliert, darauf ab, dass die Folgen der mora „Ausprägungen der Haftung für eine teilweise Nichterfüllung im Zeitmoment, nicht aber wie im klassischen römischen Recht, zeitlich versetzte Haftung für [nachfolgende] völlige Nichterfüllung“261 seien, weshalb die Beschränkungen des römischen Rechts, die eben auf zeitlichen, auf den Moment des Verzugseintritts beschränkten Erwägungen beruhten, nicht zum Tragen kommen sollten. Diese Erwägungen rückten die mora auf die Ebene einer allgemeinen Vertragshaftung. III. Zinsanspruch Im römischen Recht war es im Rahmen der bonae fidei iudicia möglich, bei mora mit einer Geldleistung einen Zinsanspruch zu gewähren. Im ius commune war dies aufgrund des Einflusses des kanonischen Rechts zunächst schwieriger, weil aus moralischen und Schuldnerschutzgedanken usurae grundsätzlich als verboten erklärt wurden und man vom Grundsatz „pecunia pecuniam parere non potest“ ausging.262 Durch die Etablierung gegenläufiger Handelsbräuche und ein Umdenken in der Reformationszeit wurde das Zinsverbot erst spät generell abgeschafft.263 Der Verzugszinsanspruch wurde jedoch schon relativ früh als ein Sonderfall betrachtet, der nicht vom Zinsverbot umfasst war. Ursprünglich reines Druckmittel, wurde die Zinspflicht im ius 258
HARKE, Schuldnerverzug, S. 69. HARKE, a.a.O., S. 69 f. 260 MOMMSEN, Die Lehre von der mora, S. 232. 261 HARKE zu WINDSCHEID/KIPP, Lehrbuch der Pandekten, S. 135. 262 LUKAS 6: 34-35; Decretales Gregorii IX, Lib. V, Tit. XII, Cap. III.; ENDEMANN, Studien in der romanisch-kanonischen Wirtschafts- und Rechtslehre bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts I und II. 263 ENDEMANN, a.a.O., S. 62 ff. 259
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
commune auch mit der moralischen Verwerflichkeit der mora begründet und als Strafe für das Schuldnerverhalten angesehen.264 Noch stärker betont wurde jedoch die Rolle des Verzugszinses als Entschädigung des Gläubigers, weil diesem anders als einem Darlehenszins gerade nicht der Makel der widerrechtlichen Gläubigerbereicherung anhaftete.265 Man ging davon aus, dem Gläubiger durch die Zinszahlung nur denjenigen Betrag zukommen zu lassen, der ihm durch die Verzögerung tatsächlich entgangen war. Teils wurde der Zinsanspruch als Pendant zum Nutzungsersatz bei Sachleistungen gesehen, teils maß man den Zinsen auf der Basis allgemeiner Kausalitätserwägungen bei Verzögerung der Zahlung eine Ausgleichsfunktion bei und betrachtete sie als eine Art Schadensersatz.266 Der Entschädigungscharakter der Zinspflicht führte konsequenterweise auch dazu, dass der Gläubiger den Zinsanspruch behielt, wenn der Schuldner der Zahlungspflicht seine mora durch nachträgliche Leistung bereinigte. Gemeinhin wurde zunächst Kaufleuten ein Zinsanspruch auch ohne jeglichen Schadensbeweis gewährt und später ein Zinsschaden generell über eine „allgemeingültige Vermutung“ konstruiert, die unwiderlegbar war.267 Die Betrachtungsweise beim Zinsanspruch wurde so generell zu einer pauschalen, die gerade nicht wie die bedingte Zufallshaftung auf dem Einzelfallnachweis basierte, dass der Gläubiger die rechtzeitige Geldleistung auch zur Geldanlage verwendet hätte; vielmehr war die Zinspflicht generell anerkannt. Der Zinsschaden löste sich insofern aus der seit dem ius commune zentralen Kausalitätsbetrachtung und ordnete sich daher nie nahtlos in die Nichterfüllungssystematik ein. Die Eingliederung der mora in die allgemeine culpa-Haftung führte allerdings auch dazu, dass der Zinsanspruch seinen zunächst objektiven Charakter verlor. Die Höhe des Verzugszinses differierte zunächst je nach Region;268 erst spät wurde die Zinshöhe einheitlich auf 5% festgesetzt.269 Jedoch kam auch beim Verzug mit der Geldleistung über naturrechtliche Einflüsse der Äquivalenzgedanke in allgemeinerer Form zum Tragen, als ein durch den Verzug der Zahlung entstandener Schaden einer Kausalitätsbetrachtung unterworfen wurde, wenn er über den Zinsschaden hinausging. In 264
BARTOLUS, Commentaria im primam partem Codicis, S. 9. OTTE, Das Privatrecht bei Francisco de Vitoria, S. 101; DILCHER, Die Theorie der Leistungsstörungen bei Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten, S. 151, 155 f. Vgl. auch ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 799 unter Berufung auf ACCURSIUS (“hic usuras ut interesse peti”), GOLFREDUS DE TRANO (“pro interesse petatur”) und CINUS (“quia tale lucrum ex mutuo non speratur”). 266 AZO, Lectura super Codicem, S. 321. 267 HARKE, Schuldnerverzug, S. 66. 268 DILCHER, Die Theorie der Leistungsstörungen bei Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten, S. 152, 155. 269 Siehe die Ausführungen HARKES, Schuldnerverzug, S. 72 f. zu § 139 des Reichsdeputationsabschieds und zum Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis. 265
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der Regel äußert sich der Nachteil des Gläubigers ausschließlich in einem Zinsschaden. Konnte aber die Kausalität der mora für einen dem Geldleistungsgläubiger entstandenen darüber hinausgehenden Schaden bejaht werden, war konsequenterweise auch dessen Ersatzfähigkeit anzuerkennen.270 Man erkennt hier die Züge des heutigen, einen Zinsanspruch übersteigenden Verzögerungsschadensersatzes bei Geldleistungen.
§ 4 Mora und allgemeine Nichterfüllungshaftung Da sich im heutigen europäischen und internationalen Einheitsrecht die Problematik der Leistungsverzögerung in die Nichterfüllungshaftung eingliedert, sind noch einige Erwägungen zu den Entwicklungen der Nichterfüllungsrechtsbehelfe seit dem ius commune anzustellen. I. Erfüllungsanspruch Im Gegensatz zum klassischen römischen Recht kam dem Vertragsbegriff und der Idee der bindenden Kraft der Verträge weitreichende Bedeutung zu. Im kanonischen Recht entstand der Gedanke des Erfüllungsanspruchs als moralischer Pflicht des Schuldners und moralischem Recht des Gläubigers.271 So kennt das ius commune auch den Erfüllungsanspruch des Gläubigers, der nicht von vornherein auf Wertersatz beschränkt war. Wann der Gläubiger allerdings die Leistung in natura gerichtlich erzwingen konnte, war auch im gemeinen Recht nicht unumstritten.272 Man wertete die Frage überwiegend je nach der Art der vertraglichen Verpflichtung und unterschied, wie unter Justinian bereits vorgezeichnet und später insbesondere vom französischen Recht übernommen, zwei Arten von Obligationen, die auf ein dare und die auf ein facere gerichteten Verpflichtungen.273 In ersterem Fall konnte der Gläubiger gegen seinen Schuldner ein vollstreckbares Leistungsurteil erwirken (praecise tenetur). Im zweiten Fall galt der Grundsatz „nemo potest praecise cogi ad factum“: Der Schuldner konnte nur zu Schadensersatz verurteilt werden, und zwar grundsätzlich, so
270
WOLFF, Ius naturae methodo scientifica pertractatum IV, S. 1005; ähnlich auch WOLFF, Zur Lehre von der Mora, S. 452. So selbst MOMMSEN, nach dem sich aus den römisch-rechtlichen Quellen (D. 18, 6, 19) eine Beschränkung auf einen Zinsanspruch nicht ergeben sollte, Beiträge zum Obligationenrecht, Zur Lehre von dem Interesse, S. 294. Siehe auch DERNBURG, Pandekten II, S. 111; STRYK, Usus modernus, D. 22,1, Nr. 16. 271 MAC QUEEN, C.L.P. 54 (2001), S. 205 (216). 272 Siehe etwa STRYK, Usus modernus, D. 2, 14, Nr. 10; DUMOULIN, De eo quod interest, Nr. 186. 273 Siehe auch POTHIER, Traité des obligations, Œuvres II, chap. 2.
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jedenfalls die französische Ansicht, nur nach formalisierter interpellatio.274 Die Abgrenzung zwischen den beiden Obligationsarten konnte allerdings problematisch sein.275 Allerdings gab es auch Kommentatoren, die es vorzogen, dem Gläubiger im Hinblick auf facere-Verpflichtungen die Wahl zu lassen, ob er Naturalerfüllung oder Geldersatz verlangen wollte.276 Selbst die Vertreter des „nemo potest praecise cogi ad factum“ ließen im Lauf der Zeit immer mehr Ausnahmen zu, etwa für den Fall geschuldeter Dienstleistungen (Jacobus de Ravanis), bei Insolvenz des Schuldners (Johannes Faber) oder in Fällen, in denen die Leistung mittels Eides zugesichert wurde (Bartholomaeus Salicetus).277 Man kannte also bereits damals einen Erfüllungsanspruch mit Ausnahmen. Unklar war jedoch, ob ein Grundsatz des Vorrangs der Naturalerfüllung jedenfalls bei den Verpflichtungen galt, die nicht dem nemo potest praecise cogi ad factum unterlagen, d.h. inwieweit der Schuldner die Wahl zwischen Naturalerfüllung oder Schadensersatz hatte oder ob er sich zunächst auf ersteren stützen musste. II. Schadensersatz Die Grundsätze des Schadensersatzes wegen Vertragsverletzungen, so insbesondere wegen einer Schlechtleistung im Kaufrecht, und die Grundsätze des Haftungsumfangs bei der mora entwickelten sich zunehmend in eine gemeinsame Richtung. Details der Frage nach dem Umfang des Schadensersatzes blieben aber aufgrund der uneinheitlichen actiobezogenen Quellen des römischen Rechts auch im ius commune zunächst noch weitgehend unstrukturiert. Es formten sich nur allmählich einheitliche Grundsätze heraus. Im Prinzip hing ein Schadensersatzanspruch vom Verschulden des Schuldners ab. Die Unterscheidung der Verschuldensgrade und die Folgen der Intensität des Verschuldens auf die Begrenzung des Schadensumfangs wurden seit dem Mittelalter intensiv diskutiert. Einmal stützte man sich auf den Grad des Verschuldens: Nur bei dolus galt in der Regel keine Beschränkung des Schadensersatzanspruchs.278 Ein für einfache culpa haftender Schuldner sollte aber z.B. nicht zum Ersatz entgangenen Gewinns verpflichtet sein.279 In Anlehnung an die römischrechtlichen Vorgaben wurde ein Schadens- oder ein 274
POTHIER, a.a.O.; COING, Europäisches Privatrecht I, S. 433 m.w.N. Vgl. POTHIER, Traité du contrat de vente, Œuvres III, Nr. 68. 276 ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 774 unter Verweis auf AZO und ACCURSIUS. 277 Vgl. die weitergehenden Hinweise bei ZIMMERMANN, a.a.O. 278 Z.B. DERNBURG, Pandekten II, S. 120; POTHIER, Traité des obligations, Œuvres II, § 160. 279 GLÜCK, Ausführliche Erläuterung der Pandecten IV, S. 337. 275
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Wertersatzanspruch gegen den Schuldner, der seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkam, nur in begrenztem Umfang gewährt, außer dieser zeigte ein „deliktisches“ Verhalten. Letzteres betraf insbesondere die Fälle der Schlechtleistung, die allgemein als schwerwiegendere Vertragsstörung galten als die „bloße“ Nichtleistung.280 Man behalf sich andererseits mit einer Argumentation auf der Basis von Kausalität und Vorhersehbarkeit des Schadens und wollte nur den wirklichen Nachteil ersetzt wissen, beziehungsweise trennte zwischen direktem oder indirektem Interesse, gemeinem oder besonderem Interesse, unmittelbarem oder mittelbarem Schaden, um den Umfang des Schadensersatzes zu fixieren.281 Diese Unterscheidung verschiedener Schadens„typen“ entstand durch die neuzeitliche Interpretation des römischen Rechts, wurde jedoch als solche nicht durch römischrechtliche Überlieferungen vorgegeben, die sich auf das interesse circa und extra rem beschränkten. Ein wichtiges Prinzip und Gegenstand vielfacher dogmatischer Überlegungen war die Haftung für vorhersehbare Schäden, ähnlich der heutigen contemplation rule282 oder den haftungsbegrenzenden Vorschriften der PECL oder der CISG.283 Darunter wurde zunächst prinzipiell die Beschränkung auf den zum Ersatz der Leistung aufzuwendenden Betrag verstanden (circa rem). Entgangener Gewinn wurde nicht generell und zunächst nur zögerlich ersetzt.284 Die von Naturrechtlern vertretene Meinung, es sei stets voller Schadensersatz ohne Rücksicht auf das Maß des Verschuldens geschuldet, setzte sich im späten gemeinen Recht nur teilweise dort durch, wo der Grundsatz der strengen Begrenzung des Schadensumfangs richtigerweise als besondere Folge des römischen Prozessrechts erkannt wurde.285 Allerdings kehrte man spä-
280
Dies zeigt etwa die unbeschränkte Haftung des bösgläubigen Verkäufers einer fehlerhaften Kaufsache, vgl. ULP., D. 19. 1. 13 pr. Teils wurde die Schlechtleistung sogar als gefährlich angesehen, vgl. HARKE, Schuldnerverzug, S. 50. 281 HARKE, Schuldnerverzug, S. 93 ff. 282 FERRARI, La.L.Rev. 53 (1993), S. 1257 (1267 ff.). Die Begrenzung des Schadensersatzes auf den Verlust, den der Schuldner bei Vertragsschluss vorhersehen konnte oder musste wurde insbesondere von Dumoulin und Pothier weiterentwickelt, im Urteil Harvey v. Baxendale 1854 als contemplation rule (dort Vorhersehbarkeit für beide Parteien) ins englische Recht übernommen und ist über Art. 82 EKG in Art. 74 CISG eingefügt worden, vgl. auch RAMPELBERG, Repères romains pour le droit européen des contrats, S. 184; DUMAS, in Etudes d’histoire juridique offertes à Paul Frédéric Girard, S. 110. 283 Art. 74 Satz 2 CISG, Art. 9:503 PECL. 284 Schäden aus Rechtsbeziehungen zwischen Kaufleuten waren ein Sonderfall, in dem entgangener Gewinn in Einzelfällen zugesprochen wurde, vgl. WIELING, Interesse und Privatstrafe vom Mittelalter bis zum Bürgerlichen Gesetzbuch, S. 115 ff.; COING, Europäisches Privatrecht I, S. 441. 285 So WOLFF, Zur Lehre von der Mora, S. 444.
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
ter überwiegend zur Idee des Ersatzes vorhersehbarer Nachteile in Kombination mit dem Verschuldensgrad zurück.286 Unter dem Einfluss des kanonischen Rechts entwickelte sich zudem der Grundsatz der Naturalrestitution. Zum Ausgleich der „Sünde“ musste man „das Weggenommene zurückgeben“.287 Die Rolle der Naturalrestitution wurde unter anderem auch durch die Theorie des gemeinen Rechts im 19. Jahrhundert gestärkt: Man erachtete den vom Naturrecht propagierten Rücktritt vom Vertrag nicht für notwendig. So heißt es etwa bei MOMMSEN, dass der Gläubiger eines säumigen Schuldners bei bereits erbrachter Gegenleistung diese zwar nicht zurückfordern kann, weil der Vertrag nicht etwa obsolet geworden wäre, er deren Restitution jedoch bei Nutzlosigkeit der Leistung statt des Interesseersatzes verlangen konnte.288 III. Rücktritt Die Erfüllung eines Anspruchs in natura im Fall der Säumnis setzte den Gläubiger zugleich dem Risiko aus, seine eigene Leistung weiterhin bereithalten zu müssen. Der Gedanke, dass ihm dies nicht über Gebühr zugemutet werden könne, führte zur Überlegung, dass dem Gläubiger ein Mittel an die Hand gegeben werden müsse, sich aus dieser unklaren Situation zu befreien. Der Rücktritt vom gegenseitigen Vertrag entwickelte sich im ius commune unter dem Einfluss des kanonischen Rechts und insbesondere des Naturrechts langsam zu einem generellen Rechtsbehelf. Die Kanonisten lasen in einen Vertrag hinein, dass die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtung einer Partei impliziere, dass auch der Vertragspartner seine vertraglichen Pflichten einhält. Tue er dies nicht, solle die andere Partei auch nicht unbegrenzt an diesen Vertrag gebunden bleiben.289 Frühester Vertreter dieser Ansicht war der Kanonist HUGUCCIO, der den Satz „fidem frangenti, fides frangatur eidem“ prägte.290 Ähnlich wurde ein Vertrag auch im Naturrecht im Sinne eines funktionalen Synallagmas interpretiert. Die Ausdehnung des Rücktrittsgedankens wurde im deutschen Rechtskreis durch GROTIUS und VON PUFENDORF animiert und von WOLFF bereits auf Folgefragen wie eine eingeschränkte Rückabwicklung des Vertrages ausgedehnt. 291 GROTIUS sah in seinen völkerrechtlichen Erwägun286
Vgl. Art. 287 ff. ALR; HARKE, Schuldnerverzug, S. 74; Art. 1150 f. Code civil; POTHIER, Traité des obligations, Œuvres II, S. 76, 80, n. 160, 166. 287 „Peccatum non dimittitur, nisi restituatur ablatum“, DILCHER, ZSS 78 (1961), S. 277. 288 MOMMSEN, Die Lehre von der mora, S. 257 f. 289 Vgl. MERZBACHER, ZSS 99 (1982), S. 339 ff. 290 Vgl. LESER, Der Rücktritt vom Vertrag, S. 3; BOYER, Recherches historiques sur la résolution des contrats, S. 322. 291 GROTIUS, De iure belli ac pacis libri tres, L.3 C.19 § 14; VON PUFENDORF, De iure naturae et gentium, L.5 C.11 § 9; WOLFF, Institutiones iuris naturae et gentium II, § 442; vgl.
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gen zum Vertragsversprechen einen Selbstbindungsakt, der zu einer natürlichen Abhängigkeit vom Versprechen der anderen Partei führte.292 Dieser Gedanke wurde durch VON PUFENDORF auf das Privatrecht übertragen und führte zur erstmaligen Annahme einer allgemeinen Rücktrittsmöglichkeit bei Nichterfüllung einer Partei, allerdings unter der Prämisse, dass dem nichterfüllenden Vertragsteil auch ein Schuldvorwurf gemacht werden konnte.293 WOLFF ging einen Schritt weiter und gestattete darüber hinaus eine Rückabwicklung der bereits erbrachten Leistungen, dies allerdings nur im Fall von Teilleistungen einer Partei, nicht aber bei Vollleistung. Bis auf wenige Ausnahmen wie die vertragliche Rücktrittsvereinbarung wurde in der Praxis des ius commune ein Rücktrittsrecht wegen mangelnder Erreichung des Vertragszwecks zunächst aufgrund unzureichender römischer Quellenbelege abgelehnt. ZIMMERMANN294 erklärt diese anfängliche Zurückhaltung unter Berufung auf LESER295 damit, dass es den Juristen des ius commune widerstrebte, ihrer neuen Konzeption des Vertrages und dem erst herangereiften fundamentalen Grundsatz pacta sunt servanda durch ein allgemeines Rücktrittsrecht gleich die Tragweite abzusprechen.296 Im Zusammenhang damit stand ein zweites dogmatisches Problem. Der Schadensersatz wurde eigentlich als diejenige Nichterfüllungssanktion angesehen, die dem Vertragsgedanken weit besser entsprach, weil sie in römischrechtlicher Tradition des Interesseersatzes die „dem Vertrag innewohnende natürliche Abwicklungsmöglichkeit“297 sei. Dies stand der Entwicklung des Rücktrittsrechts als gleichrangiger Alternative zum Schadensersatz entgegen. Diese Haltung wurde im Lauf der Geltung des ius commune jedoch deutlich aufgeweicht. Speziell der Leistungsverzug war einer der Fälle, in denen der Gläubiger vom Vertrag zurücktreten konnte, wenn sein Interesse an der Leistung entfiel.298 Da der Rücktritt zunächst in Kombination mit dem Verzug konzipiert war, löste er jedoch nicht das Problem des Schicksals der Gegenleistung bei unverschuldeter Nichtleistung einer Partei, die keinen Schadensersatzanspruch begründete.
auch SCHERNER, Rücktritt wegen Nichterfüllung, S. 45 ff. und insb. 97 ff.; LESER, Der Rücktritt vom Vertrag, S. 5. 292 „Unius eiusdem contractus capita singula alia aliis inesse videntur per modum conditionis, quasi expressum esset, haec ita faciam si et alter faciat quae promisit.“ 293 VON PUFENDORF, De iure naturae et gentium, L.5 C.11 § 9. 294 ZIMMERMANN, The Law of Obligations, S. 802. 295 LESER, Der Rücktritt vom Vertrag, S. 16 ff. 296 MITTEIS, Rechtsfolgen des Leistungsverzugs beim Kaufvertrag nach niederländischen Quellen des Mittelalters, S. 105 f., 176 f. 297 LESER, Der Rücktritt vom Vertrag, S. 6. 298 So etwa GLÜCK, Ausführliche Erläuterung der Pandecten IV, S. 417; THIBAUT, System des Pandektenrechts I, S. 77; LESER, a.a.O., S. 5.
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
Erst spät wurde der vom Naturrecht vorgezeichnete Rücktritt wegen Nichterfüllung der anderen Partei allgemein anerkannt, und zwar unter dem Einfluss von DUMOULIN und später DOMAT und POTHIER zunächst in Frankreich, wo er allerdings noch heute im Grundsatz einer gerichtlichen Entscheidung bedarf.299 Der Vertrag galt als unter der stillschweigenden Bedingung geschlossen, dass die Nichterfüllung einer Partei zu einem Recht auf Nichterbringung der Leistung der anderen Partei führen musste.300 Dabei wurde überwiegend von der Annahme einer Resolutivbedingung ausgegangen, die zu einem untrennbaren Bestandteil des Vertrages wurde.301 Die Vertragsaufhebungspraxis schien in Frankreich zudem weder verschuldensabhängig noch auf den Fall des Verzugs beschränkt gewesen zu sein.302 Auch in England floss der Gedanke des „fidem frangenti, fides frangatur eidem“ in die Figur der condition ein, deren Bruch zu einem Rücktrittsrecht der anderen Vertragspartei führt. Lord Mansfield stellte in Kingston v. Preston303 fest, dass es dem Gericht obliegt, im Fall einer Nichterfüllung darüber zu entscheiden, ob die Leistungsversprechen der Parteien in einem Bedingungsverhältnis zueinander stehen. Sei dies der Fall, lasse sich einmal ableiten, dass eine Partei nicht zur Gegenleistung verpflichtet wäre, bis die andere Partei ihre Leistung erbracht hat. Zum anderen habe im Fall der Leistungsverzögerung die Gegenpartei das Recht zur Vertragsbeendigung.304 Die Begründung für den Rücktritt beim Verzug war vielschichtig: So wurde angenommen, der Rücktritt trage dem Gedanken eines entsprechenden stillschweigenden Parteiwillens Rechnung, dem Wegfall des Interesses des Gläubigers an der Leistung, sowie handelsrechtlichen Aspekten des Deckungskaufs oder des Fixgeschäftes.305 299
Im Gegensatz zum österreichischen ABGB, das die Rücktrittsmöglichkeit in seinem ursprünglichen § 919 ausdrücklich ausschloss und den Gläubiger auf Erfüllung und Schadensersatz beschränkte, konstruiert der Code civil in einem Art. 2184 CC (heute Art. 1184 CC) den Rücktritt über eine Resolutivbedingung, verpflichtet aber zugleich zur unpraktikablen gerichtlichen Auflösung des Vertrages. Den Parteien wird unterstellt, sie hätten für den Fall der Nichterfüllung durch den Vertragspartner die Aufhebung des Vertrages stillschweigend vereinbart. Vgl. hierzu auch BOYER, Recherches historiques sur la résolution des contrats, S. 381 ff.; CAPITANT, De la cause des obligations, S. 327 f. 300 BOYER, a.a.O.; CAPITANT, a.a.O. 301 Die Frage nach der rechtlichen Konstruktion des Rücktrittsrechts war umstritten, zum Meinungsstand im gemeinen Recht vgl. LESER, Der Rücktritt vom Vertrag, S. 18 f. 302 LESER, Der Rücktritt vom Vertrag, S. 10 m.w.N. auf die zwischen Praxis und Lehre umstrittene Frage. 303 Kingston v. Preston, 99 Eng. Rep. 437 f. (K.B. 1773), Jones v. Barkley, 99 Eng. Rep. 434 (K.B.1781). Vgl. hierzu auch Boone v. Eyre (1779) 1 Hy Bl 273. 304 Dazu FARNSWORTH, Farnsworth on Contracts II, S. 474 f. 305 Hierzu u.a. THIBAUT, System des Pandektenrechts I, § 103; WINDSCHEID, Pandekten II, § 280 N.1. LESER führt hier zudem Entscheidungen des Oberappelationsgerichts München (21.7.1856) SeuffArch. Nr. 141 und des OLG Kassel (9.4.1891), SeuffArch. 47, Nr. 101 an.
Kapitel 6: Historisches Einheitsrecht
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IV. Nachfrist Wegen der nur zögerlichen Anerkennung des Rücktrittsrechts wurde auch die Nachfrist als Voraussetzung des Rücktritts erst spät durch das ADHGB institutionalisiert.306 Man folgte schon damals dem gläubigerfreundlichen Konzept der PECL, den Rücktritt in die Hände des Gläubigers zu legen und diesen zum Schutz des Schuldners in Art. 356 ADHGB durch eine Fristsetzung und gleichzeitiger Ablehnungsandrohung zu sichern. Beim Fixgeschäft wurde die Regelung in Art. 357 ADHGB vereinfacht, indem der Erfüllungsanspruch erlosch, wenn der Gläubiger nicht sogleich erklärte, ihn weiterhin geltend machen zu wollen.307 Die Idee der Nachfrist wurde von KNIEP auch auf den Schadensersatz wegen Nichterfüllung übertragen.308
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die erste Kodifikation des Rücktrittsgedankens im ALR (1794). Dort ging man bei einer Vertragsverletzung durch die andere Partei von einem Wahlrecht der benachteiligten Partei zwischen Erfüllung und Rücktritt aus. Der Rücktritt hatte durch unwiderrufliche schriftliche Erklärung zu erfolgen. BORNEMANN, Systematische Darstellung des preußischen Civilrechts mit Benutzung der Materialien des allgemeinen Landrechts II, S. 365 f.; LESER, Der Rücktritt vom Vertrag, S. 7. 306 So HUBER, Leistungsstörungen II, S. 324, der im ADHGB den ersten Vorläufer des deutschen Nachfristmodells sieht. 307 HARKE, Schuldnerverzug, S. 112. 308 KNIEP, Die mora des Schuldners nach römischem und nach heutigem Recht, S. 468 f.
Kapitel 7
Nationale Leistungsstörungsrechte [T]he most delicate task assigned to the reformers of the European legal order is to look for 1 changes and adaptations while not dispersing deeply rooted European legal values. (Sciarra)
PECL, DCFR und Code Européen wurzeln in nationalen Rechten und suchen wie ein „mixed legal system“ deren Synthese. Diese fällt aber in PECL, DCFR und im Code Européen sehr unterschiedlich aus. Eine Diskussion nationaler Rechtssysteme soll daher die Beurteilung ermöglichen, welche europäischen Regelwerke die gelungenere Synthese darstellen und wo Ergänzungsbedarf besteht.2 Ziel dieses Kapitels ist kein detaillierter Rechtsvergleich, sondern ein thematisches Aufzeigen nationaler Lösungen. Die Analyse nationaler Rechte hilft bei der Beurteilung, ob die Verzögerung der Leistung als eine zumindest partielle Nichterfüllung im Hinblick auf die zeitliche Komponente der Leistungspflicht zu sehen ist,3 für die wie in PECL, DCFR oder CESL Nichterfüllungssanktionen greifen, oder ob sie als „Verzug“ eine Sonderbehandlung verlangt.
§ 1 Einheitliches Nichterfüllungskonzept und Sonderrolle des Verzugs I. Verzicht auf Leistungsstörungstatbestände? Wie eingangs dargestellt,4 zeichnet sich nicht nur in den Vertragsrechten neuer EU-Mitgliedstaaten ein Wandel ab.5 Auch einige große westeuropäische
1
SCIARRA, in ALSTON, The EU and Human Rights, S. 473. Vgl. auch JAHN, Rettet das BGB vor Brüssel, FAZ 18.10.2006: “Paragraphen lassen sich vereinheitlichen, Rechtskulturen nicht.“ 2 Dabei sollen die in Einführung und Grundlagen, Kap. 2 dargestellten Länder berücksichtigt werden. 3 Zum französischen Recht: CONSTANTINESCO, Inexécution et faute contractuelle, S. 33, 40; allgemein HARKE, Schuldnerverzug, S. 115. 4 Siehe Einführung und Grundlagen, Kap. 2. 5 Siehe die Rechtslage in Litauen, Estland, Ungarn, Rumänien; in Tschechien geriet der Reformprozess aus politischen Gründen immer wieder ins Stocken, wurde aber kürzlich wieder aufgenommen.
Kapitel 7: Nationale Leistungsstörungsrechte
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Kodifikationen unterliegen Reformen und Reformbestrebungen,6 die teils stark von einheitsrechtlichen europäischen Modellen beeinflusst werden, teils aber auch bewusst von ihnen abweichen.7 Im Zentrum der Reformbestrebungen steht das vielfach noch römischrechtlich geprägte Leistungsstörungsrecht. Die Spuren des römischen Kasualvertragsrechts mit der traditionellen Kategorisierung verschiedener Erscheinungsformen der Leistungsstörung scheinen sich auf nationaler Ebene langsam aufzulösen. Nationale Rechte kennen häufig einen einheitlichen Störungstatbestand: das französische Recht und französisch beeinflusste Rechtsordnungen die inexécution8, Italien den inadempimento9, das schweizerische Recht die Nichterfüllung10, das niederländische NBW die tekortkoming11, skandinavische Rechtsordnungen den kontraktsbrott, das litauische ZGB die Nichterfüllung und das estnische Schuldrechtsgesetz die Pflichtverletzung. Seit der Schuldrechtsreform im Jahr 2001 folgt auch das deutsche Recht dem Oberbegriff der Pflichtverletzung12 und scheint vordergründig auf eine Kategorisierung von Leistungsstörungen verzichten zu wollen.13 Der breach of contract des angloamerikanischen Rechtskreises umschreibt aufgrund des strengen Haftungskonzeptes des common law anders als die „Nichterfüllung“ der PECL oder die „Pflichtverletzung“ des deutschen Rechts allerdings nur den Fall der nicht entschuldigten Nichterfüllung.14
6
So etwa das BGB, der Code civil oder der Codice Civile. Vgl. das deutsche Recht und die Hinweise auf einheitsrechtliche Vorgaben in der Regierungsbegründung zur Schuldrechtsmodernisierung BT-Drs. 6857 (= BT-Drs. 14/6040); vgl. auch das „Gegenbeispiel“ des französischen Avant-Projet Catala, das sich im Wesentlichen ausschließlich auf Entwicklungen der französischen Rechtsprechung und Literatur stützt. 8 Siehe etwa Art. 1146, 1184 CC. Vgl. zu den Folgen der inexécution auch GAUDEMET, Théorie Générale des Obligations, S 370 ff.; VOIRIN/GOUBEAUX, Droit Civil I, S. 378 ff. 9 Art. 1218 ff., 1453 italCC. 10 Art. 97 OR. 11 Art. 6:74 NBW, Art. 6:265 NBW. 12 Da das deutsche allgemeine Schuldrecht nicht nur für Verträge gilt, sondern auch für vertragsähnliche Rechtsverhältnisse, zog man den Begriff der Pflichtverletzung vor, der vom Wortlaut her nicht auf vertragliche Schuldverhältnisse beschränkt ist. Regierungsbegründung BT-Drs. 6857 (= 14/6040); CANARIS, Schuldrechtsmodernisierung S. 569 (668); DIEDERICHSEN, AcP 182 (1982), S. 101 (117 ff.); SCHLECHTRIEM, IHR 2001, S. 12, 16. Während des Gesetzgebungsprozesses wurde die Terminologie mehrfach überdacht, der Begriff der Nichterfüllung wurde dabei auch in Betracht gezogen, aber aus den genannten Gründen nicht übernommen, MEDICUS, JuS 2003, S. 521 (527). Der Begriff „Pflichtverletzung“ wird jedoch teils kritisiert: er impliziere ein Verschulden, welches jedoch ein separates Haftungserfordernis sei, ZIMMERMANN, The New German Law of Obligations, S. 51; vgl. auch HUBER, ZIP 2000, S. 2273; ANDERS, ZIP 2001, S. 184; KREBS, DB Beilage 14/2000, S. 10. 13 Dass der Schein hier trügt, wird bereits bei bloßer Durchsicht der §§ 281 ff. und 286 BGB deutlich, die die Kategorisierung in die Rechtsfolgenregelungen verschieben. 14 CARRASCO PERERA, ZEuP 2006, S. 552. 7
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
Systeme, in welchen der Schuldner die Leistung „garantieren“ muss, sind der eigentliche Ursprung eines einheitlichen Vertragsbruchstatbestands. Hier verliert die Einordnung der Leistungsstörung ihre Bedeutung, denn jedes Zurückbleiben hinter dem garantierten Leistungserfolg ist ein Vertragsbruch, der sanktioniert werden kann.15 Ein einheitlicher Begriff wird allerdings auch in Systemen benutzt, die keine Garantiehaftung kennen.16 Auch die entschuldigte Leistungsstörung kann in ein einheitliches Nichterfüllungsregime eingegliedert werden,17 wenn man sie von gewissen Rechtsfolgen ausnimmt.18 Zudem umfasst ein Einheitstatbestand nicht in jeder Rechtsordnung alle Formen der Leistungsstörung in genau gleicher Weise. In vielen nationalen Rechten wird noch immer nach der Art der Leistungsstörung unterschieden. Besondere Probleme bereitete hier seit jeher die Einordnung der Schlechtleistung. Letztere fiel aufgrund der römischrechlichen Sonderbehandlung des Gewährleistungsrechts traditionell aus der Vertragsbruchsystematik heraus und führte nach dem Modell der actio redhibitoria und der actio quanti minoris zu den Rechtsbehelfen der Wandelung und Minderung. Für die Annahme eines auf Vertragsbruch beruhenden Schadensersatzanspruchs war jedoch eine Eigenschaftszusicherung des Verkäufers oder ein treuwidriges Verhalten notwendig.19 Auch die Abgrenzung zur aliud-Lieferung, die als Vertragsbruch gewertet wurde, erschwerte die praktische Rechtsanwendung.20 Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie21 löste diese Komplexität durch eine einheitliche Behandlung aller Verstoßtatbestände auf.22 Argumente gegen eine Sonderbehandlung der Gewährleistung waren zwar bereits im Naturrecht vorgebracht worden, konnten sich allerdings nur eingeschränkt gegen die römischen Quellen durchsetzen.23 Geglückt ist dies etwa im ABGB,
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TREITEL, Remedies for breach of contract, S. 7 ff. So das Beispiel des Art. 8:101 PECL; vgl. auch CARRASCO PERERA, ZEuP 2006, S. 552 (559). 17 So der Regelfall im nationalen Recht, vgl. Frankreich: Art. 1142 CC; Deutschland: § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB; Italien: Art. 1218 italCC. 18 Z.B. eine Mahnung im Fall der Nichterfüllung wegen Verzögerung der Leistung. So zur Mahnung ausdrücklich CARRASCO PERERA, ZEuP 2006, S. 552 (559). 19 KASER, Das Römische Privatrecht I, S. 557 f. Das deutsche Recht war bis zur Schuldrechtsmodernisierung in dieser Hinsicht bemerkenswert quellentreu, vgl. §§ 459, 462 und 463 BGB a.F. 20 CARRASCO PERERA, ZEuP 2006, S. 552 (554). 21 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. L 171, 7.7.1999, S. 12-16), geändert durch Richtlinie 2011/83/EU vom 25.10.2011, ABl. L 304, 22.11.2011, S. 64 ff. 22 GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 40 (45). 23 Siehe KLEMPT, Die Grundlagen der Sachmängelhaftung des Verkäufers im Vernunftrecht und usus modernus, S. 26 ff. 16
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das in § 933a ABGB einen Nichterfüllungsrechtsbehelf sieht.24 Zur Schaffung eines Einheitstatbestands der Nichterfüllung, der auch die Schlechterfüllung umfasst, kam es jedoch nicht überall. Eine Schlechtleistung wird kaum als inexécution25 oder nao cumprimento26 zu bezeichnen sein, da in Frankreich wie Portugal die traditionelle Unterscheidung nicht aufgegeben wurde.27 Auch im Unmöglichkeitsrecht hat die Koexistenz verschiedener Leistungsstörungstatbestände ihre Schärfe noch heute nicht überall verloren. Art. 1460 spanCC zeigt, dass das Haftungsregime bei anfänglicher Unmöglichkeit von der Vertragshaftung wegen Vertragsbruch abweicht. Im deutschen Recht steht zwar nach Abschaffung des § 306 BGB a.F. die anfängliche objektive Unmöglichkeit der Wirksamkeit des Vertrages nicht mehr entgegen.28 Durch die Streichung des § 307 BGB a.F. erübrigt sich auch die bei objektiver Unmöglichkeit vorgesehene Beschränkung der Schuldnerhaftung auf das negative Interesse29, so dass diese an sich der normalen Vertragshaftung unterstellt werden könnte. Gleichwohl verzichtet das BGB im Fall anfänglicher Unmöglichkeit nicht auf eine Sonderregelung. Zwar ist die Haftung gem. § 311a Abs. 2 BGB in ihren Rechtsfolgen weitgehend an die §§ 280 ff. BGB angepasst, weicht jedoch in ihrem Haftungsmaßstab ab, weshalb die Bedeutung von § 280 BGB neben § 311a Abs. 2 BGB im Unmöglichkeitsfall kontrovers diskutiert wird.30 Besonders deutlich wird die Abweichung vom Einheitstatbestand der Leistungsstörung jedoch bei der Leistungsverzögerung, die nur wenige Rechtsordnungen völlig innerhalb der Nichterfüllungshaftung verankern. Da die Verzögerung der Leistung die Möglichkeit nachträglicher Erfüllung nicht von vornherein abschneidet, scheint ihre Natur eine besondere Behandlung zu fordern. Auf dem Einfluss des römischen Rechts beruhend, präsentieren viele nationale Gesetzeswerke die Verzögerung der Leistung weniger als Nichterfüllung in Ansehung der zeitlichen Komponente der Leistungspflicht,31 sondern schufen spezielle Sanktionen neben dem Erfüllungsanspruch. Viele 24
Vgl. zum Konzept des ABGB, das sich in dieser Hinsicht von römischrechtlichen Erbe gelöst hatte, WELSER, in FISCHER-CZERMAK/HOPF/SCHAUER, S. 63 (67). 25 Aus Art. 1142, 1146 und 1147 CC ergibt sich, dass nur die Nichtleistung umfasst ist. 26 Art. 798, 802 und 804 spanCC betreffen die Unmöglichkeit und den Verzug. 27 CARRASCO PERERA, ZEuP 2006, S. 552 (557). 28 § 311a Abs. 1 BGB. Vgl. auch Art. 4:102 PECL, Art. 3.3 UPICC. 29 Bei anfänglicher subjektiver Unmöglichkeit wurde eine Garantiehaftung des Schuldners angenommen; zur Diskussion um die analoge Anwendbarkeit der Haftungsvorschriften über die nachträgliche Unmöglichkeit zur Beschränkung der weiten Einstandspflicht vgl. WAGNER, JZ 1998, S. 482 (492). 30 Vgl. hierzu CANARIS, in LORENZ, Festschrift Heldrich, S. 11 ff. und GRUNDMANN, AcP 204 (2004), S. 569 ff. m.w.N. 31 So wie dies etwa von CONSTANTINESCO, Inexécution et faute contractuelle, S. 33, 40 zum französischen Recht erörtert wurde.
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große Kodifikationen Kontinentaleuropas haben dem „Verzug“ noch immer einen Sonderplatz reserviert. Extremstes Beispiel ist wiederum das BGB n.F., das trotz seines „umbrella concept of breach of duty“32 der Leistungsverzögerung einen eigenen Verzugstatbestand widmet und sie als spezielle Kategorie der Pflichtverletzung von anderen Fällen absondert. Hieran zeigt sich, wie wenig das BGB einer Kategorisierung der Leistungsstörungen entkommen ist. Die in den §§ 275 ff., 323 ff. BGB a.F. verankerten früheren Leistungsstörungskategorien halten „durch die Hintertür“33 Einzug. Zwar folgt im deutschen Recht der Schadensersatzanspruch wegen Verzögerung der Leistung grundsätzlich auch aus § 280 Abs. 1 BGB, der über § 280 Abs. 2, § 286 BGB Anwendung findet. Auch geht der Rücktritt bei der Verzögerung der Leistung anders als in § 326 BGB a.F. in der allgemeinen Vorschrift des § 323 BGB und der Schadensersatz statt der Leistung in der allgemeinen Norm des § 281 BGB auf. Im Vergleich zur früheren Rechtslage kommt dem Verzug damit eine weniger weitreichende Bedeutung zu, da die zentralen Nichterfüllungsrechtsbehelfe wie der Rücktritt vom Vertrag das Vorliegen des Schuldner„verzugs“ i.S.d. § 286 BGB nicht voraussetzen, sondern die objektive Verzögerung der Leistung in Kombination mit einer Nachfrist für den Rücktritt genügt. Der Gesetzgeber wollte gleichwohl nicht auf den Verzug als Anknüpfungspunkt spezifischer Rechtsfolgen verzichten und die Problematik der Verzögerung der Leistung alleine über den Begriff der Pflichtverletzung oder der „Nichterbringung der Leistung“ in § 281 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB lösen.34 Die Rolle des Verzugs als Leistungsstörungstatbestand steht hierdurch nicht mehr im Zentrum,35 hat aber nicht an eigenständiger Bedeutung verloren.36 Zugleich zeigt sich hieran, dass ein Einheitskonzept teils mehr verspricht, als es hält: § 280 BGB und dem Begriff der Pflichtverletzung als eigentlicher Basis des Schadensersatzrechts verbleibt faktisch nur die Rolle eines Auffangtatbestands, der dann eingreift, wenn keine Spezialnormen einschlägig sind. Mit einem Einheitstatbestand im Sinn des Einheitsrechts hat die Norm daher wenig gemeinsam. Sie ist keine 32
ZIMMERMANN, The New German Law of Obligations, S. 42. Vgl. auch DAUNER-LIEB, in DAUNER-LIEB/KONZEN/SCHMIDT, Das neue deutsche Schuldrecht in der Praxis, S. 15 ff. 33 WELSER, in FISCHER-CZERMAK/HOPF/SCHAUER, S. 63 (68); CANARIS, JZ 2001, S. 499 ff. 34 Dies liegt allerdings auch an der über das Vertragsrecht synallagmatischer Verträge hinausreichenden Rolle des Verzugs. 35 Hingegen zeigt sich in den §§ 97 ff. des schweizerischen OR noch immer deutlich die zentrale Rolle des Verzugs, der die Grundlage der Rücktrittsvorschriften bildet. 36 Dies mag auch daran liegen, dass der Einheitstatbestand Gegenstand vielfacher Kritik war. Er simplifiziere, was kompliziert sei und führe zu einem Gerechtigkeitsdefizit. Dies wurde gerade mit den Besonderheiten der Unmöglichkeit und des Verzugs begründet, vgl. MEDICUS, in BASEDOW, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 179 (182).
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zentrale Norm für die vertragliche Haftung37, sondern kaum mehr als die Kodifikation der früheren pVV. Hieran zeigt sich, dass ein einheitlicher Nichterfüllungs- oder Pflichtverletzungstatbestand zwar Abgrenzungsprobleme auflösen will, jedoch keine Garantie für eine effektive Vereinigung aller Leistungsstörungskategorien ist. Von einem Einheitstatbestand kann daher berechtigterweise nur bei Rechtsordnungen gesprochen werden, die diesen auch in aller Konsequenz durchhalten. Beispiele sind das common law oder, unter den jüngsten Kodifikationen, das von europäischen Vertragsrechtsmodellen beeinflusste Schuldrechtsgesetz Estlands. Das angloamerikanische System des breach of contract umfasst abgesehen von Fällen der frustration38 jegliche Form nicht entschuldigter Nichterfüllung und kennt vom Verzug nach kontinentalem Verständnis weder den Begriff noch das Konzept. Die Leistungsverzögerung hat keine „systembildende Kraft“.39 Die Leistungszeitbestimmung ist eine Vertragsbestimmung wie jede andere. Da der breach of contract jedenfalls im Grundsatz stets die Möglichkeit der Durchführung des Vertrages abschneidet und auf objektiven Kriterien beruht, bestand für eine Sonderbehandlung des Verzugs prinzipiell keine Notwendigkeit.40 Die fehlende rechtzeitige Leistung genügt bereits für den Eintritt von Rechtsfolgen, jedenfalls in Form des Schadensersatzes. Das estnische Schuldrechtsgesetz41 ist nach dem Modell der Principles strukturiert. Es beruht auf einem einheitlichen Tatbestand der Pflichtverletzung und definiert diesen in § 100 als die „nicht gehörige, darunter verzögerte Erfüllung“.42 Alle Rechtsfolgen der Verzögerung leitet es aus den allgemeinen Nichterfüllungsvorschriften ab und verzichtet gänzlich auf einen Verzugstatbestand. Es versucht jedoch wie Art. 9:301 Abs. 2, 8:106 Abs. 3 PECL die Sanktionen der Nichterfüllung mit den Besonderheiten der Leistungsverzögerung abzustimmen. Es geht allerdings hierüber hinaus, indem es diese z.B. von Fristsetzungserfordernissen abhängig macht, die die PECL in diesem Umfang nicht kennen.43 Das Gesetz verzichtet also konsequent auf Lei37
Dies gilt jedoch auch für entsprechende Normen in anderen Rechtsordnungen wie etwa die italienische, die einen (objektiven) Verzugstatbestand normiert oder wie die französische, die der Leistungsverzögerung über das Element der Inverzugsetzung als formellen Akt und wesentlicher Voraussetzung für den Eintritt von Rechtsfolgen sowie über spezifische Verzugsfolgen eine Sonderrolle einräumt. 38 DAVID/PUGSLEY, Les contrats en droit anglais, S. 289. 39 ZWEIGERT/KÖTZ, Einführung in die Rechtsvergleichung, § 36 IV, S. 501. 40 „[D]efendants who have breached are, by definition, no longer able to perform their primary contractual obligation – it is too late.“, SMITH, Contract Theory, S. 399, 400. 41 In Estland bilden verschiedene Gesetze den Zivilrechtskodex, darunter das Schuldrechtsgesetz vom 26.10.2001, Riigi Teataja (Staatsanzeiger) I 2001, 81, 487. 42 GÖTTIG, ZfRV 2006, S. 138 (141); KULL, Juridica Int. 4 (1999), S. 148. 43 Vgl. zu den Einzelheiten sogleich unter § 3 II 5 a.
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stungsstörungskategorien und integriert wie internationale Vertragsrechtsmodelle die Leistungsverzögerung in die allgemeine Nichterfüllungshaftung. Gleichwohl sieht es, allerdings auf der Rechtfolgenseite, im Fall der Leistungsverzögerung zusätzliche Elemente des Schuldnerschutzes vor. Unter den nationalen Kodifikationen finden sich auch Modelle, die zwar keinen ausdrücklichen einheitlichen Nichterfüllungs- oder Pflichtverletzungstatbestand vorsehen, die jedoch rechtsfolgenorientiert ausgerichtet sind und mit Ausnahme des Zahlungsverzugs auf eine Sonderrolle des Verzugs verzichten.44 Prominentes Beispiel hierfür ist eine der frühsten nationalen Kodifikationen, das naturrechtlich geprägte österreichische ABGB, dem der formalisierte Verzugstatbestand des deutschen Rechts fremd ist.45 Das ABGB konzentriert sich auf die Nichteinhaltung der Erfüllungszeit46 und erinnert hierin an das Konzept der PECL, die die Leistungszeit zur zentralen Regelung der Verzögerungsproblematik machen. §§ 1333 f. und §§ 918, 920 ABGB erörtern die Bedeutung einer objektiven oder vom Schuldner vertretbaren Verzögerung bereits im Zusammenhang mit der jeweiligen Rechtsfolge, die nicht nur bei Leistungsverzögerungen greift.47 Die einzige Frage, zu der das ABGB ausführlicher Stellung nimmt, ist die Fälligkeit. Dies geschieht allerdings nicht im Rahmen der „Leistungs“verzögerung, sondern bei der Zahlungsverzögerung in § 1334 ABGB. Der Ansatz ist historisch erklärbar: Da der Begriff „Zahlung“ bei der Verabschiedung des ABGB in einem weiteren Sinn verstanden wurde, sollte die Norm nach dem Willen der Verfasser auch 44
Vgl. auch WELSER, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 83 (88). Im Übrigen hat das ABGB auch das Gewährleistungsrecht stets weitgehend im allgemeinen Leistungsstörungsrecht geregelt, allerdings sind die Rechtsfolgen der Nicht- und Schlechtleistung zum Teil uneinheitlich (so z.B. Rücktritt und Wandelung); vgl. hierzu KOZIOL/ WELSER, Bürgerliches Recht II, S. 61 f.; WELSER, in FISCHER-CZERMAK/HOPF/SCHAUER, S. 63 (65 f.). 45 Man spricht zwar von „objektivem“ und „subjektivem Verzug“, allerdings ist dies eine Unterteilung der Lehre, nicht des Gesetzes. Vgl. hierzu im Einzelnen, KOZIOL/WELSER, S. 50 ff.; RABL, Schadensersatz wegen Nichterfüllung, S. 7 f. 46 Vgl. § 918 ABGB: „nicht zur gehörigen Zeit [… ] erfüllt.“ 47 Im Fall der Nichtleistung zur gehörigen Zeit, am gehörigen Ort oder in der bedungenen Weise hat der Gläubiger nach dem ABGB die Wahl zwischen Erfüllung und Rücktritt vom Vertrag nach Nachfristsetzung. Hat der Schuldner die Nichtleistung zudem verschuldet, kann der Gläubiger neben der Erfüllung Verspätungsschadensersatz begehren oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. § 918 (1) ABGB: „Wenn ein entgeltlicher Vertrag von einem Teil entweder nicht zur gehörigen Zeit, am gehörigen Ort oder auf die bedungene Weise erfüllt wird, kann der andere entweder Erfüllung und Schadenersatz wegen der Verspätung begehren oder unter Festsetzung einer angemessenen Frist zur Nachholung den Rücktritt vom Vertrag erklären.“ § 920 ABGB: „Wird die Erfüllung durch Verschulden des Verpflichteten oder einen von ihm zu vertretenden Zufall vereitelt, so kann der andere Teil entweder Schadenersatz wegen Nichterfüllung fordern oder vom Vertrage zurücktreten. Bei teilweiser Vereitlung steht ihm der Rücktritt zu, falls die Natur des Geschäftes oder der dem Verpflichteten bekannte Zweck der Leistung entnehmen lässt, dass die teilweise Erfüllung für ihn kein Interesse hat.“
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die Leistungsverzögerung betreffen.48 § 1334 ABGB zählt die besonderen Voraussetzungen auf, die eine Zahlungsverzögerung zu einer rechtlich relevanten Verzögerung machen, darunter mangels gesetzlicher oder vertraglicher Leistungszeitbestimmung auch die sog. Einmahnung. Dies mindert die bemerkenswerte Sonderrolle des ABGB jedoch nicht: Die typischen Verzugsfolgen, die Zufallshaftung und selbst die Zinspflicht mit der Sonderregelung der Zahlungsverzögerung im Rahmen des Schadensersatzrechts wurden im ABGB in das allgemeine Haftungssystem wegen Nichterfüllung eingegliedert. So ist etwa die Zufallshaftung ein Unterfall der Verschuldenshaftung und wird im Rahmen des Schadensersatzrechts angesprochen. Sie kann so losgelöst von einem Verzugs„tatbestand“ existieren.49 Obwohl das ABGB aus dem Jahr 1811 stammt, war es in stilistischer, systematischer und inhaltlicher Hinsicht im Vergleich zu den ihm nachfolgenden Kodifikationen und im Hinblick auf jüngerer Rechtsentwicklungen erstaunlich visionär. Obgleich fast 200 Jahre älter, ähnelt es in dieser Hinsicht mehr dem Konzept der Principles und des DCFR als manche jüngere Kodifikation. II. Sonderrolle des Verzugs Auch wenn eine Leistungsverzögerung ab einem gewissen Zeitpunkt zu Nichterfüllungsfolgen wie Rücktritt oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung führen kann, ordnen viele kontinentaleuropäische Kodifikationen zunächst spezielle, neben die Primärleistungspflichten tretende Rechtsfolgen an. In Rechtsordnungen, die einen Einheitstatbestand der Nichterfüllung oder Pflichtverletzung vorsehen, kommt es dann häufig zu einem systematisch komplizierten Zusammenspiel der Verzugsnormen und der Nichterfüllungshaftung. Dies belegen das deutsche, schweizerische, niederländische, französische, italienische und tschechische Recht. Trotz modernerer naturrechtlich beeinflusster Kodifikationsvorschläge und der späten gemeinrechtlichen Theorie vom Verzug als „Nichterfüllung in Ansehung der Zeit“50 entschied sich das deutsche Recht unter dem Einfluss MOMMSENS für eine vom klassisch-römischen Konzept der mora beeinflusste Sonderrolle des Verzugs. Der Verzug überlebte selbst den Kampf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes gegen die Komplexität des deutschen Leistungsstörungsrechts. Nicht umsonst wird er als „systematisches Fossil“ bezeichnet.51 Gem. § 286 BGB gründet der Verzug, von Ausnahmen abgesehen, auf einem Mahnungserfordernis. Hinzu tritt ein Verschuldenserfordernis in
48
Siehe zum ABGB auch HARKE, Schuldnerverzug, S. 81 ff. Vgl. im Einzelnen sogleich unter § 3 I 1. 50 HARKE, Schuldnerverzug, S. 116. 51 SCHLECHTRIEM/SCHMIDT-KESSEL, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Rn. 653. 49
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Form der Verschuldensvermutung.52 Rechtsfolgenauslöser ist damit nicht wie in den PECL das Verstreichen der Leistungszeit. Dies macht eine besondere Bestimmung erforderlich. Die Mahnung, wenngleich durch Leistungszeitbestimmung ersetzbar, wird zum zentralen Element der Verzugshaftung.53 Zunächst geht es allein um das Wettmachen des Verzugs,54 die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, bei Geldschulden um Zinsen und um Verzögerungsschadensersatz. Insbesondere letzterer verdeutlicht die Sonderrolle des Verzugs im BGB: Die eigentlichen Nichterfüllungssanktionen in den §§ 281, 323 BGB bleiben von ihm unabhängig.55 Darum ist der Verzögerungsschadensersatz auch ausdrücklich an den Verzug gebunden, der Schadensersatz statt der Leistung aber gerade nicht. Auch für einen Rücktritt spielt der Verzug keine eigene Rolle mehr. Nichterfüllungsfolgen treten nach § 280 Abs. 3, § 281 und § 323 BGB im Prinzip unabhängig vom Eintritt des Verzugs dann ein, wenn dem Schuldner erfolglos eine Nachfrist zur Leistung gesetzt wurde oder besondere Umstände vorliegen, die die Annahme einer Nichterfüllung ohne Fristsetzung rechtfertigen. Nachfrist und Verzug sind gesetzessystematisch nicht aneinander gekoppelt, andererseits aber sehr eng miteinander verbunden. Mahnung und Nachfristsetzung des Gläubigers fallen praktisch regelmäßig zusammen und Nichterfüllungssanktionen stehen auch dem säumigen Schuldner unmittelbar bevor. So „[…] nähern sich die Voraussetzungen der Fälligkeit und der erfolglosen Fristsetzung den Voraussetzungen des Verzugs so stark, dass der verbleibende Unterschied allenfalls ganz geringfügig ist und für den juristischen Laien völlig unverständlich wäre“.56 Die Unterscheidung zwischen Verzug und Nichterfüllung verewigt daher ein Konzept, das in dieser Eigenständigkeit bereits lang vor der Entstehung des BGB überholt war.57 Die Sonderstellung des Verzugs führt auch dazu, dass über § 275 Abs. 1 bis 3 und § 313 BGB bei objektiver, wirt52
§ 286 Abs. 4 BGB entspricht § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB und wiederholt an sich nur die Haftungsnorm des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Praktisch relevant könnte der Unterschied lediglich dort werden, wo das Gesetz Ausnahmen von § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vorsieht, nicht aber zugleich von § 286 Abs. 4 BGB, z.B. im Rahmen des § 619a BGB, der dem Arbeitgeber den Verschuldensnachweis für die Pflichtverletzungen seines Arbeitnehmers auferlegt. Nach Palandt/HEINRICHS, § 619a, Rn. 3 gilt die Ausnahme zugunsten des Arbeitnehmers zugleich auch für § 286 Abs. 4 BGB, nach MüKo/HENSSLER, § 619a BGB Rn. 24 soll dies nicht der Fall sein. 53 KOLLER, in KOLLER/ROTH/ZIMMERMANN, Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, S. 50 ff.; ZIMMERMANN, The New German Law of Obligations, insb. S. 47 ff. 54 HARKE, Schuldnerverzug, S. 116. 55 Vgl. hierzu §§ 280 Abs. 1, 2, 286, 287 und 288 Abs. 1 BGB einerseits und §§ 280 Abs. 1, 3 i.V.m. § 281, § 323 BGB andererseits. Allerdings gibt es auch im BGB n.F. noch Normen des besonderen Vertragsrechts wie § 536a Abs. 1 Alt. 3 BGB, die nach dem alten Modell noch den Verzug zur Voraussetzung haben. 56 CANARIS, JZ 2001, S. 499 (515); DERS., Schuldrechtsmodernisierung, S. XV und XVI. 57 So auch HARKE, Schuldnerverzug, S .138.
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schaftlicher oder subjektiver Unmöglichkeit Abgrenzungsprobleme fortbestehen, da die unterschiedlichen Rechtsfolgen der Vorschriften eine klare Zuordnung des jeweiligen Falles verlangen.58 Für die Systematik des BGB ist dies nicht unbedingt förderlich. Diese Lösung mag teils auch in der Tatsache begründet sein, das § 286 BGB in Abs. 3 zugleich die Zahlungsverzugsrichtlinie umsetzt und man daher glaubte, auf den Verzugstatbestand nicht verzichten zu können.59 Geglückt ist dies jedoch nicht. Auch das schweizerische Obligationenrecht räumt dem Leistungsverzug eine auffallend weitreichende Stellung ein, da es die klassischen Elemente des Nichterfüllungsrechts, den Rücktritt vom Vertrag und den Schadensersatz wegen Nichterfüllung auf der Basis des Verzugs konstruiert. Es folgt gleichwohl der Idee des Verzugs als „Nichterfüllung in Ansehung der Zeit“,60 da es in den Art. 97 ff. OR zwischen Vorschriften über die Nichterfüllung (Art. 97 OR) und Vorschriften über die Nichterfüllung im Hinblick auf die Zeit (Art. 102 ff. OR) unterscheidet. Geregelt wird der Verzug in den Art. 102 ff. und 107 ff. OR. Die Art. 102 ff. OR enthalten Voraussetzungen und typische Verzugsfolgen einschließlich des Verzugsschadens und finden auf die verschiedensten Verpflichtungstypen Anwendung. Die Art. 107 ff. OR zur sog. demeure qualifiée61 regeln den Leistungsverzug in gegenseitigen Verträgen und die Bedingungen für den Rücktritt vom Vertrag. Sie knüpfen das Vertragsaufhebungsrecht allein an den Verzug. Gleiches gilt für den Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Die Bedeutung des Verzugs im System der Nichterfüllungshaftung wird hier auf besondere Weise deutlich, denn letztlich bewirkt allein er das Eintreten „typischer“ Nichterfüllungsfolgen.62 Erst nach neuerer Lehre sollen die speziellen Rechtsfolgen des Verzugs auch auf andere Leistungsstörungen wie die subjektive Unmöglichkeit ausgedehnt werden.63 Ähnlich präsentiert sich auch das niederländische Recht. Es folgt zwar in den Art. 6:74 Satz 1 NBW und 6:265 NBW – wie Art. 9:501 Abs. 1 und 9:301 Abs. 1 PECL sowie 7.3.1 Abs. 1 und 7.4.1 UPICC – an sich konsequent dem Einheitstatbestand der tekortkoming, schreibt aber dem Verzug in den Art. 6:74 Satz 2 NBW i.V.m. 6:81 ff. NBW ebenfalls eine bedeutende Rolle zu. Dieser stellt den Paradefall der tekortkoming dar und findet nicht nur im 58
SCHLECHTRIEM/SCHMIDT-KESSEL, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Rn. 659. Vgl. auch SCHMIDT-KESSEL, NJW 2001, S. 97 ff. 60 HARKE, Schuldnerverzug, S. 116. 61 ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, S. 728 ff. 62 A.a.O. Die Vorschrift beeinflusste auch § 326 BGB a.F., vgl. BUCHER, in GEIMER, Festschrift Schütze, S. 163 (170). 63 Siehe hinsichtlich einer Ausweitung der Art. 102 ff. insbesondere auf die Fälle der subjektiven Unmöglichkeit WIEGAND in HONSELL/VOGT/WIEGAND, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I, Art. 97 Rn. 58; Berner Kommentar/WEBER, Bd. VI/1/5, Art. 97, Rn. 269 f.; THÉVENOZ/WERRO, Commentaire romand, Code des obligations I, Art. 97, Rn. 63 und BGE 122 III 53c; BGE 126 III 230. 59
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Fall der Verzögerung der Leistung im eigentlichen Sinn Anwendung, sondern auch darüber hinaus. Die Trennung zwischen der Verzögerung der Leistung und der Schlechtleistung wird nach niederländischem Recht weniger differenziert betrachtet: „the provisions on default apply irrespective of whether the debtor performed in a defective way or did not perform at all“.64 An den Tatbestand des Verzugs, der, wie Art. 6:81 NBW zeigt, dem subjektiven Konzept des BGB folgt,65 knüpfen einheitlich Schadensersatzansprüche wegen Verzögerung und Nichterfüllung der Leistung. Die unterschiedliche Anknüpfung der § 280 Abs. 3, § 281 und § 280 Abs. 2, § 286 BGB an die „nicht gehörige Erfüllung oder Nichterfüllung“ und den „Verzug“ ist dem niederländischen Recht unbekannt. Der Verzug ist zudem nicht allein an den Zugang einer Mahnung, sondern an eine Mahnung mit Fristsetzung und damit an einen Fristablauf geknüpft: Gem. Art. 6:82 Satz 1 NBW kommt daher nur in Verzug, wer seine Leistung auch binnen einer mittels Mahnung gesetzten angemessenen Frist nicht erbracht hat. Die Fristsetzung wird an anderer Stelle verankert als im BGB. Auch im Code civil nimmt die Leistungsverzögerung eine zentrale und besondere Rolle ein. Ihre Einordnung und Tragweite sind zwar weniger klar fassbar als im deutschen Recht, die Integration in die Nichterfüllungshaftung ist jedoch deutlicher. Der weite Begriff der inexécution66 umfaßt im französischen Recht den „Verzug“ terminologisch mit:67 „[…] le retard ne représente pas une forme de violation contractuelle, distincte de l’inexécution comprise dans son sens large. Bien au contraire il est une forme d’inexécution partielle, à savoir l’inexécution par rapport au temps convenu.“68 Dass jede verspätete Leistung zugleich eine mindestens partielle Nichterfüllung darstellt, da die rechtzeitige Erfüllung nicht nachholbar ist, und sie im Einzelfall zur vollständigen Nichterfüllung wird, wenn die verspätete Leistung für den Gläubiger jegliches Interesse verliert, führt jedoch nicht zum Verzicht auf eine Sonderbehandlung der Leistungsverzögerung. Französische Juristen beschreiben das „in Verzug sein“ als einen „état particulier, pourvu d’une consistance
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HARTKAMP/TILLEMA/TER HEIDE, Netherlands, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 179. 65 Der Schuldner ist nicht in Verzug, wenn ihm die Verzögerung nicht „zugerechnet“ werden kann („niet worden toegerekend“). Zum Haftungsmaßstab der Art. 6:75 ff. im Vergleich zu den §§ 276 ff. BGB siehe sogleich unter § 2 VI. 66 Der Code civil wählte bewusst einen weiten generellen Nichterfüllungsbegriff, enthält jedoch keine Legaldefinition dieses Begriffs. CONSTANTINESCO definiert sie als „toute atteinte ou exécution non conforme du contrat; tout décalage entre la satisfaction procurée par l’exécution“, CONSTANTINESCO, Inexécution et faute contractuelle, S. 32, 40. 67 A.a.O. S. 35, 40. 68 A.a.O.
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suffissante“69, einen Übergangszeitraum, der weder dem Zustand bei Erfüllung, noch einer endgültigen Nichterfüllung entspricht.70 Hier ist insbesondere die Rolle der Mahnung, der mise en demeure, von zentraler Bedeutung. Der Code civil gliedert diese anders als das deutsche Recht nicht in einen Verzugstatbestand, sondern in sein allgemeines Sanktionensystem ein und sieht darin eine „exigence préalable à toute sanction civile“71. Sie ist die zentrale Voraussetzung für den Eintritt von Rechtsfolgen, jedoch nicht Teil eines systematischen und zugleich abgegrenzten Verzugskonzepts, sondern Element verschiedener allgemeiner Rechtsfolgenregelungen.72 Dies zeigt sich etwa in Art. 1146 CC: „Les dommages et intérêts ne sont dus que lorsque le débiteur est en demeure de remplir son obligation […].“ Art. 1139 Code civil präzisiert die Voraussetzungen der mise en demeure. Sie wandelt die Säumnis des Schuldners in eine rechtlich relevante Verzögerung um und transferiert den Primäranspruch des Gläubigers in eine reifere Phase, in der die gerichtliche Erzwingung der geschuldeten Leistung unmittelbar bevorsteht. Zugleich legt sie den Grundstein der Schuldnerhaftung.73 Andererseits erwies es sich in der Praxis als problematisch, dass die mise en demeure, von ihren gesetzlichen oder richterrechtlichen Ausnahmen abgesehen,74 das Tor zu jeglicher Nichterfüllungsfolge ist: Im Fall der definitiven Nichterfüllung haben „verzugs“spezifische Erfordernisse wie die Mahnung als Voraussetzung des Schadensersatzes eigentlich keinen Sinn mehr. In diesen Fällen soll eine Mahnung 69
LIBCHABER, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 113 (115 und 121), der den Verzug mit Übergangsbestimmungen zur Regelung des Zeitraums zwischen der Geltung eines alten und eines neuen Gesetzes vergleicht. 70 Vgl hierzu auch LIBCHABER, a.a.O., S. 124. 71 DE CONINCK, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 135 (137 ff.). Zum Erfordernis bei der exception d’inexécution, vgl. zur Rechtslage in Frankreich (pro) z.B. Cass. civ., 21.12.1927, D.H., 1928, S. 82; (contra) z.B. Cass. Com., 27.1.1970, JCP 1970, II, 16554 („guère compatible avec le mécanisme de l’exception“) und in Belgien (contra) Cass 18.3.1846, Pas., 1846, I, 368, allerdings mit auf der bonne foi beruhenden Ausnahmen, siehe z.B. Bruxelles, 12.11.1992, J.L.M.B., 1994, S. 72. 72 Vgl. die Art. 1139, 1145 f., 1153 CC. Die mise en demeure entscheidet über die Reife der Klage auf Erfüllung in Natur, der Zulässigkeit der Ansprüche auf dommages et intérêts moratoires und compensatoires und letztlich auch die Vertragsaufhebungsklage (Art. 1184 CC). Vgl. zur Rechtslage im französischen und belgischen Recht WÉRY, L’exécution forcée en nature des obligations contractuelles non pécuniaires, S. 297, 306. Strittig ist das Erfordernis vor allem bei der exception d’inexécution, wird dort jedoch zumeist abgelehnt, da es sich bei Letzterer nur um ein Verteidigungsmittel des Gläubigers, nicht aber um einen Nichterfüllungsrechtsbehelf handle. 73 „[…] une nouvelle étape de la vie de l’obligation“, LIBCHABER, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 113 (117). 74 So etwa Art. 1146 CC a.E., Art. 1145 CC, der bei einer Verletzung einer obligation de ne pas faire vom Nahmungserfordernis ausnimmt oder Art. 1139 CC der durch die Rechtsprechung weit ausgelegt wird.
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Teil 2: Kontrollmaßstäbe europäischen Vertragsrechts
entbehrlich werden.75 Die Voraussetzungen für dommages-intérêts compensatoires und moratoires können sich daher unterscheiden. Ein auffälligerer Konflikt zwischen Nichterfüllung und Verzugstatbestand zeigt sich im italienischen Recht. Der Codice Civile macht den Schuldnerverzug ähnlich wie das römische oder das deutsche Recht kodifikationstechnisch zu einer eigenen Institution. Einem ähnlichen Prinzip folgen weitere romanische Rechtsordnungen wie das portugiesische Recht in Art. 804 Abs. 2 portCC und das spanische Zivilgesetzbuch in Art. 1100 spanCC. Allgemeine Sanktionen wie etwa die Schadensersatznorm des § 1218 italCC und spezifische Verzugsfolgen sind wie im deutschen Recht zu trennen. Deren Voraussetzungen können, müssen aber nicht zusammenfallen: „Il ritardo colpevole e la costituzione in mora sono due situazioni concettualmente distinte e producono effetti differenti; la seconda – se può ricorrere contemporaneamente alla prima, col conseguente verificarsi, in aggiunta a quelli dell’inadempimento, degli effetti che le sono propri (perpetuatio obligationis, decorrenza di interessi moratori, interruzione della prescrizione) – non deve necessariamente coincidere con essa […].“76 Gem. Art. 1219 italCC ist der Schuldner, der seine vertraglich geschuldete Leistung verzögert, prinzipiell nur nach Inverzugsetzung in mora. Auch hier wandelt erst die mora das Untätigsein des Schuldners in eine rechtlich relevante Verzögerung um. Dies folgt auch aus Art. 1222 2. Hs. italCC. Das Regime der mora findet wie auch im französischen Recht dann keine Anwendung, wenn es sich um eine obbligazione di non fare handelt.77 Das tschechische Recht ist nie einem Einheitstatbestand gefolgt und behandelt den Verzug separat.78 Das tschechische Handelsgesetzbuch79 und das
75
„La demande de dommages-intérêts pour inexécution n’est pas en principe subordonnée à la mise en demeure prévue par l’art. 1146 CC.“, Cass. civ. 5.1.1938, D.H. 1938, 1.97. 76 PESCATORE/RUPERTO, Codice Civile I, Art. 1218, S. 1701; Cass. 17.4.1970, n. 1109. 77 Art. 1222 italCC: „Le disposizioni sulla mora non si applicano alle obbligazioni di non fare; ogni fatto compiuto in violazione di queste constituisce di per sé inadempimento.“ 78 Das Gesetz trennt systematisch zwischen Erfüllung, unerfüllten Verbindlichkeiten und der Verletzung von Vertragspflichten. Erfüllung kann sich entweder durch rechtzeitige und ordnungsgemäße Leistung (§ 324 Abs. 1 ObchZ), durch verspätete Leistung (§ 324 Abs. 2 ObchZ) oder durch mangelhafte Leistung (§ 324 Abs. 3 ObchZ) vollziehen. Eine Schlechtleistung ist nach tschechischem Handelsrecht somit einer Nichterfüllung nicht gleichzusetzen, sondern führt zum Erlöschen der ursprünglichen Verbindlichkeit unter gleichzeitigem Entstehen eines neuen gesetzlichen Schuldverhältnisses, aus dem sich spezielle Ansprüche des Gläubigers gegen den Schuldner wegen dessen mangelhafter Erfüllung ergeben (§ 324 Abs. 3 ObchZ). Unter unerfüllten Verbindlichkeiten ordnet das Gesetz die Fälle des Rücktritts vom Vertrag (§§ 344 ff. ObchZ) und der nachträglichen Unmöglichkeit (§§ 352 ff. ObchZ) ein. Unter die Verletzung von Vertragspflichten und deren Folgen fasst das Gesetz den Schuldnerund den Gläubigerverzug (§§ 365 ff. ObchZ).
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tschechische Zivilgesetzbuch80 definieren den Verzug (prodlení) in § 365 ObchZ und § 517 ObčZ gleich: Der Schuldner ist in Verzug, wenn er seine Verbindlichkeit nicht ordentlich und rechtzeitig erfüllt („Dlužník nesplní řádně a včas“).81 Die ordnungsgemäße Erfüllung setzt die Einhaltung aller Erfordernisse der Verbindlichkeit, d.h. betreffend den Erfüllungsort und der Beschaffenheit des Erfüllungsobjekts, voraus.82 An den Verzug knüpfen sich auch im tschechischen Recht besondere Folgen, so etwa eine spezielle Gefahrtragungsregel gem. § 368 ObchZ, die zu einer bedingten Zufallshaftung führt. Die §§ 517 ff ObčZ enthalten neben einer Vorschrift zur bedingten Garantiehaftung im Verzug zudem Spezialregeln für den verzugsbedingten Rücktritt vom Vertrag. Selbst das litauische Zivilgesetzbuch, das sich stark und teils wörtlich am Modell von UPICC und PECL orientiert, verzichtet nicht auf einen Verzugstatbestand. Während Art. 6.205 litZGB „delay of a time-limit of performance“ als Unterfall eines einheitlichen Nichterfüllungsbegriffs ansieht, enthält Art. 6.63 litZGB gleichwohl eine gesonderte Verzugsregelung, die neben einer atypischen Regelung zum Verzugsbeginn83 eine eigene Anspruchsgrundlage zur Geltendmachung von Verzugsschäden vorsieht.84
79
Obchodní zákoník (ObchZ), Handelsgesetzbuch, Gesetz Nr. 513/1991 Sb. vom 5. November 1991, Stand der deutschen Übersetzung 2003 (Gesetz Nr. 88/2003 Sb), im Folgenden ObchZ. 80 Občanský zákoník (ObčZ), Zivilgesetzbuch, Gesetz Nr. 40/1964 Sb vom 26. Februar 1964, zuletzt geändert durch Gesetz Nr. 554/2004 Sb; Quelle: Automatizovaný Systém Právních Informací, Prag, Stand: 1.9.2005; Stand der englischen Übersetzung: 2000 (einschließlich Änderung durch Gesetz Nr. 367/2000), siehe Czech Republic Civil Code, Translation and Commentary. 81 § 365 Satz 1 ObchZ: „Dlužník je v prodlení, jestliže nesplní řádně a včas svůj závazek, a to až do doby poskytnutí řádného plnění nebo do doby, kdy závazek zanikne jiným způsobem.“ § 517 Abs.1 Satz 1 ObčZ: „Dlužník, který svůj dluh řádně a včas nesplní, je v prodlení.“ 82 Mit einer schadhaften Sache kann allerdings gleichwohl erfüllt werden, denn wenn der Gläubiger das schadhafte Erfüllungsobjekt entgegennimmt, schließt dies den Schuldnerverzug aus. JEHLIČKA/ŠVESTKA/ŠKÁROVÁ, Občanský Zákoník, Komentář (Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch), § 517, S. 776. Dem Gläubiger bleiben dann nur Ansprüche aus Gewährleistungsrecht. 83 Hierzu sogleich unter § 2 II. 84 Art. 6.63 litZGB: „Cases in which a debtor is considered to be in default „1. A debtor shall be considered to be in default, where: 1) the conditions of a contract are not performed, ore are being performed improperly; 2) the debtor fails to perform the obligation within the established time-limit; 3) the creditor with valid reason files a suit against him, or addresses him in an extrajudicial demand to perform the obligation; 4) the creditor demands performance of the obligation within a reasonable time established by him, but the debtor fails to perform the obligation within this time-limit;
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§ 2 Verzugsvoraussetzungen I. Verzug und Unmöglichkeit Verzug setzt in den nationalen Kodifikationen grundsätzlich voraus, dass die Leistung noch möglich ist. Andernfalls gelten abweichende Bestimmungen, etwa die Art. 97 oder 119 OR, § 275 Abs. 1, § 280 Abs. 3, § 283 und § 326 Abs. 5 BGB. Die Abgrenzung zur Verzögerung der Leistung kann schwierig sein. Insbesondere kann der Fall eintreten, dass das Überschreiten der Leistungszeit den Leistungsinhalt derart ändert, dass die geschuldete Leistung unmöglich wird und die Naturalerfüllung denknotwendig ausscheiden muss.85 Diese im deutschen Recht als absolutes Fixgeschäft bekannten Fälle von für ein WM-Spiel gecharterten, aber vorübergehend nicht startklaren Flugzeugen oder zu spät gelieferten Hochzeitstorten lassen wie auch andere Unmöglichkeitsfälle die Anwendung der Verzugsregeln obsolet werden. Sie sollen hier nicht gesondert behandelt werden, sondern nur dort einfließen, wo sich interessante Überschneidungen mit den Verzugsregeln ergeben.86
5) the debtor informs the creditor before the expiry of a time-limit of his intention not to perform the obligation; 6) performance of the obligation has become impossible due to the debtor’s fault. 2. The debtor shall be liable from the moment he is considered to be in default for any damages suffered by the creditor, except in cases when the debtor is released from the performance of the obligation. 3. In the event where the time-limit for the performance of an obligation is not fixed, the debtor shall be considered to be in default from the moment when the creditor made a demand in writing to perform the obligation and fixed the time-limit for the performance, but the debtor has failed to perform the obligation within that time-limit. 4. The debtor shall be liable for all the consequences of the impossibility to perform the obligation after it was violated by the debtor, except in cases where the performance of the obligation has been rendered impossible through the fault of the creditor. 5. After the violation of an obligation committed by the debtor, the creditor shall have the right to refuse acceptance of the tender offered by the debtor if the debtor does not concurrently offer compensation of damages sustained by the creditor in the result of the violation of the obligation.” 85 SCHLECHTRIEM/SCHMIDT-KESSEL, Schuldrecht AT, Rn. 211; SCHILDT, JURA 1995, S. 66 ff. 86 Interessant ist beispielsweise, dass nach niederländischem Recht in Fällen, in welchen eine Mahnung zur Leistung ihren Zweck verfehlen würde, wie etwa im Fall der unmöglichen Leistung, gleichwohl eine ingebrekestelling notwendig ist, um den Schuldner darüber zu informieren, dass er für seine Nichtleistung zur Verantwortung gezogen wird (Art. 6: 82 Satz 2 NBW).
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II. Leistungszeit 1. Leistungszeitvereinbarung Verzug setzt zunächst überall voraus, dass zum eigentlichen Leistungszeitpunkt keine Leistung erfolgt. Der Leistungszeitpunkt kann und wird in der Rechtspraxis häufig durch präzise Datumsangabe oder Fristvorgaben ausdrücklich zum Gegenstand der vertraglichen Abrede der Parteien gemacht.87 Allerdings kann dies teils auch durch einseitige Bestimmung durch eine Partei geschehen. So wurde etwa vom BGH mehrfach klargestellt, dass hinsichtlich der Leistungszeit auch ein einseitiges Bestimmungsrecht des Gläubigers nach § 315 BGB in Betracht kommt. Es kann in Form allgemeiner Leistungsbedingungen oder durch individuelle Leistungszeitbestimmung vorgesehen werden.88 2. Konkretisierung der Leistungszeit bei fehlender Leistungszeitbestimmung Fehlt eine Leistungszeitvereinbarung, gilt überwiegend der „Grundsatz“ sofortiger Fälligkeit, vgl. Art. 75 OR, Art. 6:38 NBW, § 271 Abs. 1 BGB, § 340 Abs. 2 ObchZ, Art. 455 polnKC. Dieser Grundsatz übernimmt die römischrechtliche Regel in POMP., 50, 17, 14 SAB. 5, nach welcher bei nicht genannter Leistungszeit die Leistung sofort geschuldet sein soll. Tatsächlich handelt es sich bei der sofortigen Leistungspflicht meist nur um eine subsidiäre Regel, die nur eingreifen soll, wenn sich unter Berücksichtigung des Leistungsortes, von Handelsbräuchen, der Natur der Leistung oder dem Inhalt des Vertrages nicht ein anderes ergibt. Dass § 904 ABGB hinsichtlich der Leistungszeit von „sogleich, nämlich ohne unnötigen Aufschub“ spricht oder nach Art. 75 OR die Erfüllung „sogleich geleistet und gefordert werden kann, wenn die Zeit der Erfüllung weder durch Vertrag noch durch die Natur des Rechtsverhältnisses bestimmt ist“ zeigt, dass die Fälligkeit je nach Vertragsverhältnis variieren kann, weil das Gesetz eine Abwägungsentscheidung vorsieht. Dem Schuldner muss so viel Zeit verbleiben, wie die gehörige Ausführung seiner Leistung bei Anwendung des gewöhnlichen Geschäftsganges erfordert.89 Ähnlich sieht auch Art. 323 griechZGB nur dann eine sofortige Leistungspflicht vor, wenn sich die Leistungszeit „weder ausdrücklich noch aus den Umständen oder der Natur des Vertrages“ ergibt. Auch aus Art. 6:2 NBW folgt, dass dem Schuld-
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Z.B. „Lieferung am 15.5.2007; zahlbar mit Rechnungszugang“. BGH X ZR 87/04, 15.2.2005, NJW 2005, 1772; BGH X ZR 157/05, 12.7.2006. 89 So bereits im Obligationenrecht von 1881, vgl. hierzu SCHNEIDER, Das Schweizerische Obligationenrecht, zu Art. 87 OR. 88
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ner eine angemessene Zeit zur Leistung verbleiben muss.90 Es kommt also letztlich zu einer Einzelfallbetrachtung des jeweiligen Vertrages. Die zur Konkretisierung der Leistungszeit zu berücksichtigenden Aspekte werden in den nationalen Vorschriften im Detail unterschiedlich genau bezeichnet. So trägt etwa Art. 1183 Abs. 1 italCC ausdrücklich einem Gedanken des römischen Rechts91 Rechnung, der bei Distanzgeschäften relevant wird. Der Grundsatz sofortiger Fälligkeit soll bei fehlender Terminbestimmung gegebenenfalls je nach Leistungsort einzuschränken sein. Nach italienischem Recht sind bei Bestimmung der Leistungszeit zudem die Handelsbräuche und die Natur der Leistung zu beachten.92 Eine vergleichbare Regelung enthält auch Art. 777 Abs. 2 portCC. 93 Der angloamerikanische Rechtskreis folgt dem Konzept der Leistung „within a reasonable time“. Die Leistungszeit wird dort regelmäßig ebenfalls durch Parteibestimmung festgelegt,94 aus der sich zugleich ergibt, ob die Leistungszeit „of the essence of the contract“ ist. Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung, gilt es als implizit vereinbart, dass der Schuldner seine Leistungspflicht binnen angemessener Zeit zu erfüllen hat.95 Die Angemessenheit bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls, der Natur des Vertrages und den Parteien.96 Diese Abwägungsentscheidung bei der Leistungszeit kommt der Idee der reasonable time nach Vertragsschluss in den PECL nahe. Das estnische Schuldrechtsgesetz übernimmt im Wesentlichen Art. 7:102 PECL, spezifiziert jedoch die angemessene Leistungszeit näher in § 82 Abs. 3 90
Vgl. zum niederländischen Recht HARTKAMP/TILLEMA/TER HEIDE, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 153. 91 ULP., D. 45, 1, 41, 1. 92 Art. 1183 italCC: „Tempo dell’adempimento Se non è determinato il tempo in cui la prestazione deve essere eseguita, il creditore può esigerla immediatamente (1219-2). Qualora tuttavia, in virtù degli usi o per la natura della prestazione ovvero per il modo o il luogo dell'esecuzione, sia necessario un termine, questo, in mancanza di accordo delle parti, è stabilito dal giudice (1331, 1817). Se il termine per l'adempimento è rimesso alla volontà del debitore, spetta ugualmente al giudice di stabilirlo secondo le circostanze; se è rimesso alla volontà del creditore, il termine può essere fissato su istanza del debitore che intenda liberarsi.” 93 Art. 777 portCC: „1. Na falta de estipulação ou disposição especial da lei, o credor tem o direito de exigir a todo o tempo o cumprimento da obrigação, assim como o devedor pode a todo o tempo exonerar-se dela. 2. Se, porém, se tornar necessário o estabelecimento de um prazo, quer pela própria natureza da prestação, quer por virtude das circunstâncias que a determinaram, quer por força dos usos, e as partes não acordarem na sua determinação, a fixação dele é deferida ao tribunal. 3. Se a determinação do prazo for deixada ao credor e este não usar da faculdade que lhe foi concedida, compete ao tribunal fixar o prazo, a requerimento do devedor.” 94 Alexiadi v. Robinson (1861) 2 F&F 679; Duncan v. Topham (1849) 8 C.B. 225. 95 So bereits Ford v. Cotesworth (1869) 39 L.J.Q.B. 188; L.R. 4 Q.B. 127. 96 Stickney v. Keeble (1915), A.C. 386, H.L.
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estSRG: “If the time for the performance of an obligation is not set and is not determinable from the nature of the obligation, the obligor shall perform the obligation within a reasonable period of time after the entry into the contract or after an obligation has arisen on some other basis, taking into particular account the place, manner and nature of the performance of the obligation.”97 In der Regel gilt die Leistungszeit als zugunsten des Schuldners vereinbart. Vorbehaltlich gesetzlicher Ausnahmen, der Natur und der Umstände des Vertrages kann er seine Leistung daher früher erbringen. Der Gläubiger kann sie jedoch nicht vor Fälligkeit fordern.98 3. Kontrolle der Leistungszeit bei fehlender Leistungszeitbestimmung Einige nationale Vorschriften sichern im Gegensatz zu den PECL bereits im Gesetz selbst, dass die konkrete Bestimmung einer angemessenen Zeitspanne nicht einer Partei, insbesondere nicht dem Gläubiger, überlassen bleiben darf. So heißt es z.B. in Art. 1183 Abs. 1 Satz 2 italCC ausdrücklich, dass die Würdigung der Leistungszeit mangels Einigung der Parteien dem Richter obliege: „in mancanza di accordo delle parti, è stabilito dal giudice“. Eine vergleichbare Regelung enthält auch der portugiesische Código civil in Art. 777 Abs. 2: „Se, porém, se tornar necessário o estabelecimento de um prazo, quer pela própria natureza da prestação, quer por virtude das circunstâncias que a determinaram, quer por força dos usos, e as partes não acordarem na sua determinação, a fixação dele é deferida ao tribunal.“ Gleiches gilt, wenn dem Schuldner die einseitige Bestimmung der Leistungszeit überlassen wurde. Ähnlich ist auch die Regelung in § 564 ObčZ. Wurde der Erfüllungszeitpunkt dem Schuldner nach seinem Gutdünken überlassen, kann ihn das Gericht nach den Umständen des Falles und den guten Sitten bestimmen. Häufig geschieht dies allerdings im Rahmen der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen wegen der Leistungsverzögerung.99 Dieser Konflikt zwischen der Gewährung einer angemessener Leistungsfrist, der im Einzelfall konkret angemessenen Leistungszeit und der Frage, wer über die Angemessenheit zu bestimmen hat, wird auch in Art. 6.53 97
§ 82 Abs. 7 estSRG stellt zudem klar, dass im Zusammenhang mit den in Abs. 1-3 genannten Zeitpunkten auch Fälligkeit eintritt: „An obligation falls due at the time when the obligee is entitled to require performance of the obligation. Unless otherwise provided by the contract, the obligee may require performance of an obligation upon expiry of the due date or term prescribed for the performance of the obligation. If the time for performance of the obligation is not set and is not determinable from the nature of the obligation, the obligee may require performance of the obligation after a reasonable period of time specified in subsection (3) of this section which is necessary for the performance of the obligation.” 98 Vgl. z.B. § 271 Abs 2 BGB oder Art. 6:39 Abs. 1 NBW. 99 JEHLIČKA/ŠVESTKA/ŠKÁROVÁ, Občanský Zákoník, Komentář (Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch), § 517, S. 776.
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litZGB deutlich, der einen etwas anderen Ansatz verfolgt: Zwar geht das litauische Recht prinzipiell davon aus, dass der Gläubiger die Leistung in Ermangelung einer vertraglichen Vereinbarung zu jeder Zeit fordern kann. Die Leistung hat der Schuldner gleichwohl nicht sofort zu erbringen, sondern erst nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne, die ihm zur Leistung verbleiben muss. Zur Präzisierung dieses Leistungszeitraums sieht das Gesetz zwei Optionen vor: Entweder kann eine Partei vom Gericht eine Frist festsetzen lassen, wenn die Natur der Leistung oder der Leistungsort dies erfordern. Ansonsten muss der Schuldner die Leistung gem. 6.53 Abs. 2 litZGB innerhalb von sieben Tagen ab dem Tag erbringen, an dem der Gläubiger um Erfüllung ersucht hat. Dies gilt nur dann nicht, wenn sich aus dem Gesetz oder dem Inhalt des Vertrages ein anderes ergibt. Das Gesetz greift bei fehlender vertraglicher Vereinbarung damit auf zwei Kontrollmechanismen zurück: die richterliche Leistungszeitbestimmung oder eine gesetzlich festgelegte Leistungsfrist ab dem Moment der Leistungsaufforderung durch den Gläubiger. Die Lösung über eine gesetzlich präzise bestimmte Fristlänge ähnelt dem Ansatz des Code Européen, unterscheidet sich aber im Hinblick auf die Nachfristdauer.100 Zugleich verknüpft das litauische Recht die Leistungszeit mit der Leistungsaufforderung durch den Gläubiger. Der Gläubiger kann eine einseitige Leistungszeitbestimmung nur im Rahmen enger gesetzlicher Vorgaben vornehmen.101 Auf einen ähnlichen Mechanismus trifft man auch im österreichischen ABGB und im tschechischen Recht. Sofern eine Leistungszeit weder vertrag100
Art. 114 Abs. 1 CE. Eine ähnliche Regelung findet sich auch in der Leistungszeitregelung des russischen Zivilgesetzbuchs. Dort heißt es in Art. 314 (Frist für die Erfüllung eines Schuldverhältnisses): „1. Wenn ein Schuldverhältnis die Bestimmung des Tages oder der Zeitspanne, an dem beziehungsweise innerhalb derer es erfüllt werden soll, vorsieht oder zulässt, muss das Schuldverhältnis an diesem Tag beziehungsweise zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb dieser Zeitspanne erfüllt werden. 2. In den Fällen, in denen ein Schuldverhältnis keine Frist für die Erfüllung vorsieht und keine Bedingungen enthält, die die Bestimmung dieser Frist erlauben, muss es in einer angemessenen Frist nach Entstehung des Schuldverhältnisses erfüllt werden. Ein Schuldverhältnis das nicht in einer angemessenen Frist erfüllt wird, sowie ein Schuldverhältnis, dessen Erfüllungsfrist durch den Zeitpunkt eines Herausgabeverlangens bestimmt ist, muss der Schuldner innerhalb einer Frist von sieben Tagen - gerechnet ab dem Tag, an dem der Gläubiger die Forderung auf Erfüllung des Schuldverhältnisses erhebt - erfüllen, wenn sich nicht aus einem Gesetz, aus anderen Rechtsakten, aus den Bedingungen des Schuldverhältnisses, aus den Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs oder aus dem Wesen des Schuldverhältnisses eine andere Frist für die Erfüllung ergibt.“ Hieran knüpft unmittelbar der Verzug: Art. 405 (1) RussZGB: „Verzug des Schuldners Ein Schuldner der die Erfüllung verzögert, haftet gegenüber dem Gläubiger für die Nachteile, die durch den Verzug entstanden sind, und für die Folgen einer zufällig während des Verzugs eingetretenen Unmöglichkeit der Erfüllung.“ 101
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lich vereinbart wurde, noch gesetzlich bestimmt ist,102 noch in einer Gerichtsentscheidung festgelegt wurde, sieht das ObčZ, vor, dass der Schuldner seine Verbindlichkeit am ersten Tag nach der Aufforderung zur Leistung durch den Gläubiger zu erfüllen hat (§ 563 ObčZ).103 Hier knüpft also nicht wie im deutschen Recht allein der Verzug an die Mahnung des Schuldners, sondern diese löst Fälligkeit und Verzug aus. Zur Bestimmung der Fälligkeit bedarf es einer einseitigen Leistungszeitbestimmung mittels konkreten Appellereignisses, wenn der Gläubiger mit dem Schuldner weder eine Leistungszeitvereinbarung traf noch letzterer gesetzlich oder hoheitlich zur Leistung verpflichtet wurde. Ähnlich regelt das österreichische Recht in § 1417 ABGB, dass die Verbindlichkeit, eine Schuld zu zahlen, erst mit dem Tage eintritt, an welchem die Einmahnung geschehen ist, wenn die Zahlungsfrist auf keine Art bestimmt ist. Fälligkeit und Mahnung sind also in einigen nationalen Kodifikationen miteinander verknüpft. Die Analyse zeigt, dass auf nationaler Ebene ein deutliches Bedürfnis nach einer objektiven Kontrollierbarkeit der Leistungszeit besteht, wenn diese nicht vorab einvernehmlich durch die Parteien bestimmt wurde. Wo Fälligkeit und Mahnung nicht ausdrücklich aneinander geknüpft sind, erfolgt diese Kontrolle in erster Linie dadurch, dass erst die Mahnung Rechtsfolgen auslöst.104 Bei nicht konkret bestimmter Leistungsfrist enthalten nationale Kodifikationen also in aller Regel Vorgaben zu deren Konkretisierung, die verhindern, dass der säumigen Partei vorschnell Rechtsfolgen drohen. Hier zeigt sich ein Gegensatz zur Lösung der Principles, die in Anlehnung an das englische Recht das bloße Verstreichenlassen einer reasonable time zur Leistung als Auslöser von Nichterfüllungssanktionen wie einem Schadensersatzanspruch ansehen, der zudem dem Grundsatz der strengen Haftung folgt. Weiter zeigt sich, dass die Grenze zwischen Fälligkeitsbestimmung und Mahnung fließend ist. III. Erfordernis und Funktionen der Mahnung Im common law macht die Strenge des breach of contract-Konzeptes jegliche weitere Formalität und damit auch die Mahnung entbehrlich.105 Die Vertragspraxis sieht hingegen anders aus, wie ein bei ZWEIGERT/KÖTZ erwähntes Zitat belegt: „A reputable merchant who has bought goods without specifying a 102
Eine gesetzliche Regelung der Fälligkeit enthalten z.B. die Vorschriften zum Mietrecht (§ 671 Abs. 2 ObčZ). 103 Ähnlich auch § 1417 ABGB („Wenn die Zahlungsfrist auf keine Art bestimmt ist, so tritt die Verbindlichkeit, die Schuld zu zahlen, erst mit dem Tage ein, an welchem die Einmahnung geschehen ist.“) und 1418 Satz 1 ABGB. Der Verzug beginnt dann mit Ablauf des Tages, der auf den Zugangstag der Einmahnung folgt, vgl. § 1334 ABGB. 104 Hierzu sogleich genauer unter § 2 III-V. 105 Vgl. hierzu auch CONSTANTINESCO, L’inexécution et faute contractuelle, S. 128.
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time for delivery does not rush off to his solicitor with instructions for the issue of a writ if he considers that there has been unjustifiable delay. He sits down and writes a stiff letter demanding delivery by a certain date and does not embark on litigation until this demand has been ignored by the seller.”106 Die Praxis greift, wenn keine Leistungszeit vereinbart wurde, zu einer Warnung an den Schuldner, seine Leistung binnen angemessener Frist zu erbringen, wobei die Grenzen zwischen Mahnung und Nachfrist hier fließend sind. Ohne Mahnung will man also selbst dort nicht auskommen, wo das System von den Kodifikationen abweicht, in welchen die Mahnung das zentrale konstitutive Element des Verzugs ist. Der Verzug „ohne Mahnung“ ist in den meisten Rechten gesetzessystematisch der „Ausnahme“fall, obgleich er in der Praxis weit häufiger ist, da die Parteien meist eine Leistungszeitvereinbarung treffen werden, vgl. Art. 805 Abs. 1 portCC, Art. 1100 spanCC, Art. 102 Abs. 1 OR, § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 340 griechZGB. Diese ist die „klassische“ Ausnahme vom Mahnungserfordernis (dies interpellat). Allerdings ist die mahnungsersetzende Wirkung der Parteiabsprache je nach Kontrollwillen der nationalen Gesetzgeber unterschiedlich stark ausgeprägt, denn nicht alle nationalen Rechte stehen dem dies interpellat-Grundsatz gleich aufgeschlossen gegenüber. Manche Rechtsordnungen, z.B. die Litauens oder Tschechiens, lösen das Regel-Ausnahme-Verhältnis genau umgekehrt: Eine Mahnung braucht es nur, wenn eine Leistungszeitbestimmung nicht vorgenommen wurde, Art. 6.63 Abs. 3 litZGB, §§ 365, 340 Abs. 2 ObchZ, ähnlich auch 563 ObčZ.107 Die unterschiedliche Sichtweise der Mahnung „mit Ausnahmen“ und „als Ausnahme“ entspringt in ersten Fall dem Einfluss der römischrechtlichen mora, im zweiten Fall einer konsequenteren Verankerung der Leistungsverzögerung in der Nichterfüllungshaftung und der praktischen Häufigkeit der Leistungszeitvereinbarung. Diese unterschiedliche Regel-Ausnahme-Systematik nationaler Kodifikationen ist also zugleich bezeichnend für die Einordnung des Verzugs als Unterfall der Nichterfüllung oder als Sonderfall der Leistungsstörung. Noch deutlicher wird dies, wenn man die Funktionen der Mahnung betrachtet. Vier Punkte sind hier erwähnenswert. 1. Mahnung als Fälligkeitsbestimmung Die Rolle der Mahnung als Fälligkeitsbestimmung diskutiert WINDSCHEID: Es kommt darauf an, wie der Inhalt der Obligation zu bestimmen ist. „Entweder 106
GUTTERIDGE, BYIL 14 (1933), 75, 87; ZWEIGERT/KÖTZ, Einführung in die Rechtsvergleichung, § 36 IV, S. 506. 107 Ist eine vertragliche Leistungszeit nicht bestimmt, hat der Gläubiger gem. § 340 Abs. 2 ObchZ den Schuldner um Erfüllung zu ersuchen und der Schuldner ist zur unverzüglichen Erfüllung verpflichtet. Ohne diese Aufforderung kommt der Schuldner nicht in Verzug; SR č 2/1998-Vrchní soud v Praze (Entscheidung des Obergerichts Prag).
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ist ihr Inhalt der, dass der Schuldner leisten muss; dann kann die Interpellation keine andere Bedeutung haben, als den Zeitpunkt der Leistung festzustellen, wo dies nicht schon anderweitig geschehen ist. Oder der Inhalt der Obligation ist der, dass der Gläubiger fordern kann; dann thut der Schuldner nicht Unrecht, bis er der Forderung des Gläubigers nicht gehorcht, und die Bedeutung der Interpellation ist daher die, dass sie die Voraussetzung der Verpflichtung zur Leistung ist.“108 In einigen Staaten kommt der Mahnung tatsächlich keine Erinnerungsfunktion im Hinblick auf eine bereits fällige Leistung, sondern eine Rolle als Fälligkeitsbestimmung zu, z.B. in den bereits erwähnten Gesetzbüchern Österreichs, Litauens und Tschechiens. Ist sie wie dort zugleich wesentliches Element der Fälligstellung, wird sie auch nur dann als erforderlich erachtet, wenn die Fälligkeit nicht durch Leistungszeitbestimmung, gesetzliche Regelung oder richterliche Festsetzung anderweitig bestimmt wurde. Dies erklärt auch die erwähnten Unterschiede in der Formulierung, vgl. Art. 6.63 Abs. 3 litZGB, §§ 365, 340 Abs. 2 ObchZ oder 563 ObçZ, nach denen es eine Mahnung nur braucht, wenn keine Leistungszeitbestimmung vorgenommen wurde. Nach Art. 6.63 Abs. 3 litZGB tritt bei fehlender Leistungszeitbestimmung die Fälligkeit erst dann ein, wenn der Gläubiger den Schuldner unter Fristsetzung gemahnt und dieser binnen einer in der Regel siebentägigen Frist nicht geleistet hat. Zugleich kommt es zum Verzug, Art. 6:63 Abs. 2 litZGB. Man lässt dem Schuldner ähnlich wie bei einer Nachfristsetzung eine gewisse „Schon“zeit, mit dem dogmatisch entscheidenden Unterschied, dass diese im Rahmen der Bestimmung der Leistungszeit verankert wird.109 Ähnlich sieht auch das österreichische ABGB gem. §§ 1134 und 1417 eine „Einmahnung“ vor, um eine Forderung fällig zu stellen, wenn die Zahlungsfrist auf keine Art bestimmt oder bestimmbar ist. Diese Regel zur Einmahnung soll, trotz ihrer systematischen Verankerung im Rahmen des Zahlungsverzugs, auch für Leistungsverzögerungen gelten.110 Die Rolle der Mahnung ist in den genannten Kodifikationen also eine doppelte: Sie fixiert zum einen mit Zugang (ABGB) oder Fristablauf (litZGB) den Moment der (nicht anderweitig bestimmten) Fälligkeit und bewirkt zum anderen ab dem auf den Zugang oder das Fristende folgenden Tag den Eintritt von Rechtsfolgen.111 Die Mahnung ist damit zugleich Akt einseitiger Fällig108
Dies löst nach WINDSCHEID zugleich die Frage des dies interpellat pro homine. Auch bei einer Leistungszeitbestimmung im Vertrag müsse hinterfragt werden, ob die Leistungszeitbestimmung den Schuldner vor vorzeitiger Forderung des Gläubigers schützt. WINDSCHEID, Kleine Schriften, Reden und Rezensionen I, S. 461 (463). 109 Vgl. zu außereuropäischen Beispielen auch Tunesien: Dort verlangt Art. 269 tunCC eine formelle Mahnung, die mit einer Fristsetzung verbunden wird. 110 V. ZEILLER, Commentar über das ABGB, § 1334, Anm. 4, S. 771. 111 Siehe § 1334 ABGB. Dies allerdings nicht zwingend gleichzeitig: vgl. auch §§ 1417 und 1334 a.E. ABGB („nach dem Tag der gerichtlichen oder außergerichtlichen Einmahnung“) sowie Art. 6.63 Abs. 3 litZGB.
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stellung und Verzugselement und konstitutiv für den Eintritt von Rechtsfolgen. Sie lokalisiert sich danach auf der Ebene der Leistungszeit und muss keine spezifische Verzugsvoraussetzung sein. Die Mahnung hat als nachträgliche Leistungszeitbestimmung „losgelöst“ von einem Verzugstatbestand eine Berechtigung. 2. Erinnerungsfunktion Meist schreibt man der Mahnung jedoch andere Funktionen zu. MOMMSEN etwa vertrat die Theorie,112 dass der Schuldner zu mahnen sei, um nicht dem Irrglauben zu unterliegen, „[…] als sei es dem Gläubiger nicht sogleich zur Erfüllungszeit um die Erfüllung zu thun gewesen“.113 Allein die Mahnung zeige, dass der Gläubiger die Leistung nun auch tatsächlich begehre, weil ihm andernfalls negative Folgen drohten. Ähnlich, aber mit Betonung auf der Bestätigung der bindenden Wirkung des konkreten Vertrages äußern sich auch in jüngerer Zeit Autoren und erörtern, dass es Zweck der Mahnung sei, dem Schuldner die Ernsthaftigkeit der vertraglichen Verbindung erinnernd vor Augen zu führen: „Das Erfordernis der interpellatio ist sinnvoll und notwendig, weil Begründung von Vertragspflichten eine Sache ist, eine andere Sache aber die Klarstellung, dass man sich der gestrigen Verpflichtung noch entsinnt und sie auch heute noch ernst nimmt.“114 Die Mahnung mache daher eine potentielle Pflicht zu einer aktuellen.115 Dabei komme es jedoch weniger auf die Erinnerung an die Bindungswirkung des Vertrages als solche an, denn dass der Schuldner (irgendwann) leisten muss, wenn er sich vertraglich bindet, weiß er bereits mit Vertragsschluss, insbesondere wenn ein schriftlicher Vertrag vorliegt.116 Die Mahnung zeige vielmehr, dass der Zeitpunkt der gesollten Erfüllung verstrichen ist, und der Gläubiger nun auf der umgehenden Erfüllung bestehe. „Le créancier exige son dû.“117 So betrachtet hat die Mahnung in erster Linie eine Warn- und Erinnerungsfunktion, die den Schuldner darauf hinweisen soll, seine bereits „fällige“ Leistung „zu erbringen“ und dem (stillschweigend geduldeten) Überschreiten der Leistungszeit
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Vgl. WINDSCHEID, Kleine Schriften, Reden und Rezensionen I, S. 461 ff. MOMMSEN, Die Lehre von der Mora nebst Beiträgen zur Lehre von der Culpa, S. 22. 114 BUCHER, in DUFOUR et al., Mélanges Schmidlin, S. 414. 115 A.a.O., Fn. 12. 116 Die bindende Kraft eines Vertrages hängt nicht an ihrer Bestätigung durch eine Mahnung, sonst entbehrte das Wirtschaftsleben jeglicher Rechtssicherheit und der Vertrag als solcher würde überflüssig. Das aussagekräftigste Beispiel für die force obligatoire der Verträge ist Art. 1134 Abs 1 CC: „Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faites.“ Ähnlich auch Art. 1091 spanCC. 117 DE CONINCK, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 135 (136); VAN OEVELEN, RW 1994-1995, S. 793. 113
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ein Ende zu setzen.118 So wird die bloße Verspätung des Schuldners vom französischen Vertragsrecht ohne mise en demeure als stillschweigende Zusatzfrist toleriert. Erst die Mahnung zwingt den Schuldner zum Handeln. „[L]a mise en demeure produit l’effet d’un terme, après le terme. [Le débiteur] est tenu […] mais n’étant pas constitué en demeure, il ne peut être contraint à l’exécution.“119 Dies wird auch im niederländischen Recht deutlich, das den Verzug nicht allein an den Zugang der Mahnung knüpft, sondern gem. Art. 6:82 NBW die Mahnung mit einer Fristsetzung verbindet. Der Gläubiger hat so den Schuldner darauf aufmerksam zu machen, dass er auf der Leistung besteht und diese binnen einer von ihm gesetzten angemessenen Frist zu erfolgen hat: „The function of a default notice is primarily to specify until when timely performance is still possible.“120 Gem. Art. 6:82 NBW kommt der Schuldner erst dann in Verzug, wenn er zur Leistung angemahnt wurde und ihm eine angemessene Frist zur Leistung gesetzt wurde und der Schuldner die Leistung nicht binnen dieser Frist erbracht hat.121 3. Rechtssicherheit Der Aspekt der Rechtssicherheit ist angesichts des fehlenden Mahnungskonzepts in den PECL bedeutsam. Die Mahnung markiert als formeller Akt den Übergang von einer tolerierten ungestraften Säumnis in ein Stadium, in dem Sanktionen greifen. Sie bewirkt, dass die nach nationalem Recht auf eine Leistungsverzögerung folgenden Sanktionen den verspäteten Schuldner nicht unvermittelt treffen, sondern dass hinsichtlich des Beginns seiner Einstandspflicht Rechtssicherheit geschaffen wird. So heißt es im romanischen Rechtskreis „[…] ce n’est qu’ensuite, sa bonne foi établie par un tel geste, qu[e le créancier] sollicitera de la force du droit ce que le respect des engagements lui a jusque là refusé“.122 Die belgische Cour de Cassation wird hierzu noch deutlicher: Die mise en demeure des Schuldners sei Voraussetzung jeglicher zivilrechtlicher Sanktion; dies folge aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, von dem 118
ALPA, Manuale di diritto privato, S. 512; EMMERICH, Das Recht der Leistungsstörungen, § 16 Rn. 15; CANARIS, ZIP 2003, S. 320 (322 f.); GRIGOLEIT/RIEHM, AcP 203 (2003), S. 727 (744 f.). 119 BOULAY, RTD com. 1990, S. 339, n°45. 120 HARTKAMP/TILLEMA/TER HEIDE, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 179. 121 Hoge Raad, 20.9.1996, NJ 1996, 748. Art. 6:82 Satz 1 NBW: „bij schriftelijke aanmaning waarbij hem redelijke termijn voor nakoming wordt gesteld“. 122 LIBCHABER, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 113 (116 und 119). Dass dem Gläubiger ohne mise en demeure der Weg zu Rechtsbehelfen grundsätzlich verschlossen bleibt, verdeutlichte die Cour de Cassation in ihren Entscheidungen vom 11.1.1892 und 2.5.1920.
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Art. 1146 CC nur eine Ausprägung sei.123 Die Mahnung habe die wichtige Rolle, hinsichtlich des Zeitpunkts, ab dem eine Schuldnerhaftung eingreift, Rechtssicherheit zu schaffen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf etwaige Schadensersatzansprüche des Gläubigers, die im Einzelfall einen beachtlichen Umfang annehmen können. Den genauen Beginn einer Schadensersatzpflicht zu fixieren, hat tatsächlich entscheidende Bedeutung. Doch auch aus der Sicht des Gläubigers ist die Mahnung bei Geltendmachung von Rechtsbehelfen ein wichtiges Beweismittel im Prozess. Zugleich verhindert der Gläubiger, dass die nachteiligen Folgen der Säumnis von ihm selbst getragen werden. „Le créancier indique que la demeure ne trouve pas son origine dans son propre chef mais bien dans celui de son débiteur.“124 Hat etwa A an B verderbliche Waren zu liefern und duldet B ohne Hinweis, dass A nicht zur vereinbarten Zeit geliefert hat, kann die Frage nach der Risikoverteilung bei zwischenzeitlichem Verderb der Ware anders zu beurteilen sein als nach Mahnung. Die Mahnung fixiert auch den Zeitpunkt, der beiden Parteien zur Warnung im Hinblick auf eine eventuelle Aufhebung und Rückabwicklung des Vertrages gereicht: Ab Mahnung ist mit einer Vertragsaufhebung zu rechnen.125 4. Schuldnerschutz Aus der Perspektive des Schuldners dient das Mahnungserfordernis seinem Schutz vor einer für ihn überraschenden Einstandspflicht.126 Die Reichweite der Mahnungsfunktionen hängt von ihrem Platz im jeweiligen nationalem System ab: sie kann als Beweismittel bei Geltendmachung des Erfüllungsanspruchs fungieren, als Voraussetzung des „Verzugs“eintritts und des Eingreifens typischer „Verzugs“folgen oder je nach Rechtsordnung allgemeine vertragliche Sekundäransprüche wegen Nichterfüllung auslösen. Es wurde bereits am Beispiel des deutschen und des französischen Rechts auf die Unterschiede in den nationalen Konzeptionen hingewiesen.127 In den genannten Konstellationen hat die Mahnung eine schuldnerschützende Bedeutung. Dies wurde etwa anlässlich eines Prozess auf Vertragsaufhebung von italienischen Autoren besonders deutlich gemacht, die ausdrücklich die weitgehende Be123
Zur belgischen Rechtslage siehe Cass., 9.4.1976, Pas. 1976, I, S. 887; Cass., 25.11.1976, Pas, 1997, I, S. 333; Cass., 16.9.1983, RW 1984-85, 464. Daher wird auch gesagt ? „mettre en demeure son débiteur préalablement à toute sanction civile constitue un principe général de droit“, DE CONNICK, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 135 (138). 124 Vgl. DE CONINCK, a.a.O., S. 135 (137). 125 Vgl. zum Schweizer Recht VON THUR, Traité des obligations II, S. 126 ff. 126 LIBCHABER, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 113 (129 f.). 127 Vgl. bereits unter § 1 II.
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deutung der Mahnung hervorhoben. Die Vertragsaufhebung kann nach italienischem Recht entweder durch einseitige Gestaltungserklärung und Nachfristsetzung oder durch den Richter erfolgen und setzt eine Mahnung nicht zwingend voraus. Den Schuldner aber mit einem Vertragsaufhebungsprozess ohne richterliche Nachfristsetzung zu überziehen, ohne ihn zumindest vorab zu mahnen und ihm eine Erfüllungsmöglichkeit einzuräumen, bedeute bei Verträgen ohne Leistungszeitbestimmung, ihn gleichsam ins Messer laufen zu lassen. Er habe dann praktisch keine Möglichkeit mehr, die Leistung noch zu erbringen.128 Der constituzione in mora müsse zum Schutz des Schuldners auch in diesen Fällen eine Bedeutung zukommen. Für die Geltendmachung eines Erfüllungsanspruchs ist die Mahnung, sofern sie nicht zugleich die Fälligkeit herbeiführt, hingegen keine Voraussetzung, denn dieser besteht grundsätzlich ab Fälligkeit und nicht erst ab Mahnung.129 Tatsächlich spielt sie aber auch hier eine bedeutende Rolle, denn in der juristischen Praxis wird die Einklagbarkeit des Primäranspruchs eher mit dem Vorliegen einer Mahnung in Verbindung gebracht als mit dem Kriterium der Forderungsfälligkeit.130 Auch hier zeigt sich wiederum, dass die Grenzen zwischen Fälligkeit und Mahnung fließend sind. 5. Vertragliche Zusammenarbeit Die Mahnung ist schließlich auch Ausdruck des „Humanen“ in der zwischen den Parteien etablierten besonderen Vertragsbeziehung und entspringt den Gedanken von Treu und Glauben und der vertraglichen Zusammenarbeit.131 Vertragsparteien stehen zueinander in einer besonderen rechtlichen Beziehung, die sie zu einer speziellen Art des Umgangs miteinander verpflichtet. Dies zeigt sich im zitierten Beispiel eines „common law merchant“, der in der Praxis die Leistungsaufforderung an den Gläubiger der sofortigen Geltendmachung seiner Sekundäransprüche vorzieht.132 128
RUBINO, Riv.Dir.Comm. 1947, S. 56 ff.; MOSCO, La risoluzione del contratto per inadempimento, S. 232-237. Siehe auch ALVAREZ VIGARAY, La resolución de los contratos bilaterales por incumplimiento, S. 50. 129 Siehe hierzu etwa für die französische Rechtsprechung Cass. civ. 22 avril 1846, D. 1854, I, 423. 130 Würde der Gläubiger gleich bei Fälligkeit seinen Primäreinspruch einklagen, würde die Zustellung der Klage jedoch der Mahnung gleichzustellen sein. Vgl. LIBCHABER, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 113 (117), Fn. 6: „Dans la pureté des principes, l’exécution forcée est possible du moment que l’obligation est exigible, ce qui se constitue avec l’arrivée du terme. Ce serait néanmoins une intéressante étude de sociologie juridique que d’essayer de déterminer si dans la pratique des obligations, l’exigibilité n’est pas plutôt inhérente à la mise en demeure, et plus exactement encore à une mise en demeure effectuée par acte extrajudiciaire.“ 131 Zum Ganzen BUCHER, in DUFOUR et al., Mélanges Schmidlin, S. 407 ff. 132 GUTTERIDGE, BYIL 14 (1933), 75 (87).
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Diesem Gedanken folgt etwa das niederländische Recht, das dem Gläubiger selbst in Fällen, in welchen eine Mahnung wegen vorübergehender Leistungsunmöglichkeit oder aufgrund des Verhaltens des Schuldners ihren Zweck nicht erreichen kann, eine ingebrekestelling ermöglicht. Dem Schuldner ist mitzuteilen, dass er für seine Nichtleistung zur Verantwortung gezogen wird (Art. 6: 82 Satz 2 NBW).133 IV. Formalia der Mahnung Auch das „wie“ der Mahnung wird von den nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich beurteilt. 1. Vorausmahnung Das Beispiel der Vorausmahnung zeigt die Vorteile einer Verknüpfung von Mahnung und Fälligkeit: Wo in römischrechtlicher Tradition Fälligkeit und Mahnung voneinander getrennte Momente markieren, besteht hinsichtlich der Notwendigkeit der Forderungsfälligkeit zur Wirksamkeit der Mahnung Uneinigkeit. Die Problematik wird hingegen dort vermieden, wo die Mahnung in die Konkretisierung der Leistungszeit eingebunden ist und zugleich die Fälligkeit der vertraglichen Verpflichtung auslöst. Im deutschen Recht ist die Frage nach dem Zeitpunkt der Mahnung in Anlehnung an die Regeln zur mora debitoris134 und aufgrund des Wortlauts von § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB jedenfalls in seiner herrschenden Auslegung relativ klar zu beantworten. Wurde eine Leistungszeit vereinbart, entfaltet eine Mahnung keine eigenen Rechtswirkungen. In den übrigen Fällen hat sie vor Fälligkeit keine Wirkung, weil sie ihren Zweck verfehlt. Gleiches gilt auch nach italienischem Recht.135 Das Schweizer Recht sieht in Art. 102 OR Ähnliches vor, die Mahnung wird jedoch nach h.M. und Rspr. auch vorsorg-
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HARTKAMP/TILLEMA/TER HEIDE, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 179. Vgl. zu den Verzugsregeln und der ingebrekestellling auch SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, S. 117 (123 f.). 134 Vgl. nur die Auslegungen zu MARC. D. 22, 1, 32, 1 seit AZO („mora fit […] vel per litis conte […] vel per eius cui debetur nunciationem congruo loco et tempore factam“), die Formel des „congruo loco et tempore“ wurde von den meisten Autoren übernommen, siehe auch BUCHER, in GEIMER, Festschrift Schütze, S. 163 (167 f.). Dagegen aber etwa DERNBURG, Pandekten II, § 40 Fn. 5 f., nach welchem eine vor Fälligkeit eingehende Mahnung, die Schuld nach Fälligkeit zu begleichen, genügen soll. 135 Vgl. zur ähnlichen Rechtslage im italienischen Recht: ALPA, Manuale di diritto privato, S. 512; BGH NJW 1974, 1080; BGH NJW 1988, 1137; BGH NJW 1992, 1956; Ausnahmen gelten bei Sukzessivlieferungsverträgen oder wiederkehrenden Leistungen; EMMERICH, Das Recht der Leistungsstörungen, § 16 Rn. 21, 22, m.w.N.
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lich vor Fälligkeitseintritt zugelassen, sofern die Leistung selbst erst zum Fälligkeitstermin und nicht bereits vorher verlangt wird.136 Auch das belgische Recht erlaubt die „mise en demeure ad futurum“, die ihre Wirkung allerdings erst ab Fälligkeit entfaltet.137 Für die Zulassung der Vorausmahnung spricht auch folgende Überlegung: Ist die Mahnung im Fall der Zuvielforderung hinsichtlich der tatsächlich forderbaren Leistung wirksam, müsste konsequenterweise Ähnliches bei einer Zufrühforderung gelten. Die Mahnung müsste ab Fälligkeit als wirksame Mahnung bestehen können. Aus der belgischen Rechtsprechung wird allerdings zum Teil als Voraussetzung einer antizipierten Mahnung das Erfordernis abgeleitet, dass die eingemahnte Forderung unbestritten sein muss. Dies wird zu Recht als unglücklich bezeichnet und das Kriterium der Existenz der Forderung für ausreichend erachtet, da die Wirksamkeit der Forderung nachträglich kontrolliert und im Fall der Unwirksamkeit auch die Mahnung nachträglich obsolet werde.138 Das Problem der zeitlichen Abfolge von Forderungsfälligkeit und Mahnung wird in Kodifikationen vermieden, die wie das litauische Recht Mahnung und Fälligkeit miteinander verbinden. Dort wird die Mahnung mit einer 7-Tage-Frist verknüpft, nach deren Ablauf erst Fälligkeit eintritt. Dies kommt in gewisser Weise in den Wirkungen einer Vorausmahnung nahe, denn in beiden Fällen erfolgt zunächst die Mahnung und erst nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne tritt Fälligkeit ein. Gerade das Beispiel des litauischen Rechts zeigt, dass der Ausschluss der Vorausmahnung dort, wo dem Schuldner eine nach „den Umständen“ angemessene Frist zur Leistung verbleiben muss, insofern nicht sinnvoll erscheint, als die zu früh erfolgte Mahnung weder für den Gläubiger noch für den Schuldner von Nachteil ist. Ersterer wird nicht zu einem Zeit- und Kontrollaufwand hinsichtlich des Fälligkeitstermins gezwungen, letzterem bleibt durch frühzeitiges „Erinnern“ ein größerer Spielraum zur Vorbereitung seiner Leistung, da andernfalls mit Mahnung sofort Verzug eintritt. Er wäre dadurch also allenfalls in einer vorteilhaften Position.139 Dies erkennt auch das niederländische Recht, das die Vorausmahnung gestattet. Da es die Mahnung grundsätzlich mit einer Fristsetzung verbindet,
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BGE 103 II 105; Berner Kommentar/WEBER, Rn. 102; HONSELL/VOGT/WIEGAND, Basler Kommentar, Art. 102 Rn. 8. Das Züricher Privatrechtliche Gesetzbuch aus dem Jahr 1885 war gegenüber der zeitlichen Abfolge von Fälligkeit und Mahnung noch offener formuliert und bestimmte in Art. 958, dass der Schuldner in Verzug kommt, wenn er ungeachtet der erhaltenen Mahnung mit der Zahlung einer fälligen Forderung zögert. 137 Cass., 25.1.1993, Pas. 1993, I, S. 210 und Cass. 19.6.1989, Pas. 1989, S. 1132; WILMS, De betekenis van de ingebrekestelling in de Code Napoléon, S. 45. 138 DE CONINCK, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 135 (151 f.). 139 BUCHER, in GEIMER, Festschrift Schütze, S. 163 (172).
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erlaubt es dem Gläubiger, dem Schuldner vor Fälligkeit unter Fristsetzung zu mahnen, sofern die Frist nicht vor Fälligkeit abläuft.140 2. Formerfordernisse Bei den Formerfordernissen für die Mahnung bestehen nach dem Wortlaut nationaler Rechte noch große Unterschiede, die sich jedoch in der Praxis allmählich relativieren. Einigkeit besteht insoweit, als der mahnende Gläubiger klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen muss, dass er seine Leistung verlangt und es sich bei diesem Verlangen tatsächlich um eine Mahnung zur Leistung handelt.141 Zudem sind ein Wandel von der gerichtlichen zur außergerichtlichen Mahnung und eine Tendenz zur Abmilderung der Formerfordernisse erkennbar. Diese Entwicklungen haben sich in manchen Rechtsordnungen in gefestigter Rechtsprechung selbst gegen den Gesetzeswortlaut durchgesetzt. Dass die Mahnung außergerichtlich erfolgen kann, wird regelmäßig für möglich gehalten. Dies war historisch selbst im deutschen Recht anders, das mittlerweile hinsichtlich der Mahnung in § 286 Abs. 1 BGB nur Bestimmtheitsanforderungen,142 jedoch keine Formerfordernisse stellt.143 Auch andere nationale Rechte lassen nun wie das deutsche Recht eine mündliche Mahnung genügen. Dem schuldnerschützenden Warnzweck der Mahnung werde durch jeden Appell an den Schuldner genügt, aus dem sich bestimmt und eindeutig ergebe, dass die geschuldete Leistung zu erbringen sei.144 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, soll die Form der Mahnung nicht entscheidend sein.145 Die Mahnung ist dementsprechend in vielen Rechtsordnungen eine einseitig empfangsbedürftige Erklärung ohne Formbindung, allerdings vorbehaltlich gesetzlicher Sonderregelungen, die z.B. vorsehen können, dass die Mahnung eine mehr oder weniger formale Rechtsfolgenbelehrung oder eine Fristsetzung enthalten muss.146 Die verzugsauslösende Wirkung einer formlosen 140
HARTKAMP/TILLEMA/TER HEIDE, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 179. 141 Siehe etwa für Frankreich: Versailles, 30.4.1998 Juris Data n° 046906 , Lyon, 24. März 1999 Juris Data n° 108228: es wurde für nicht ausreichend erachtet, wenn der Schuldner aufgefordert wurde, „seine finanzielle Situation zu bereinigen.“ Für Belgien: Anvers, 30.3.1998, R.G.D.C. 1999, S. 199; für Italien: Cass. 6.8.1996, n. 7181. 142 Die Mahnung muss eine eindeutige Leistungsaufforderung enthalten, vgl. hierzu BGH, BB 2006, 1819. 143 Vgl. zur historischen Entwicklung der Mahnung LÖNING, Der Vertragsbruch und seine Rechtsfolgen I, S. 251. 144 Vgl. für Deutschland auch BGH NJW 1998, 2132; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 1749; OLG Brandenburg NJW-RR 03, 1515. 145 BGH NJW-RR 98, 1749; OLG Brandenburg NJW-RR 03, 1515. 146 SCHLECHTRIEM/SCHMIDT-KESSEL, Schuldrecht, Rn. 663. So z.B. § 39 VVG oder Art. 20 Abs. 1 des Schweizerischen VVG.
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Mahnung erkennen neben dem BGB das Schweizer Recht147 und das österreichische Recht in § 1334 ABGB an. Auch in Art. 805 Abs. 1 portCC heißt es – wie in Art. 1100 Abs. 1 spanCC – nur „judicial ou extrajudicialmente interpelado para cumprir“, ohne zusätzliche Formvorschriften vorzuschreiben. In wenigen Rechtsordnungen wird für die verzugsauslösende Mahnung noch immer ausdrücklich Schriftform verlangt, so etwa im Codice Civile („intimazione o richiesta fatta per iscrito“)148, im litauischen Zivilgesetzbuch („demand in writing to perform the obligation“)149 oder im Burgerlijk Wetboek („schriftelijke aanmaning“).150 Einen Wandel zu einer flexibleren Handhabung des Formerfordernisses bei der Mahnung belegen allerdings das französische und belgische Recht. Art. 1139 CC sah in der mise en demeure des Schuldners, der seine vertragliche Verpflichtung nicht ordnungsgemäß erfüllt, traditionell einen vom Gesetz an relativ strenge Formalitäten geknüpften besonderen Akt an, da das Gesetz von „sommation“ oder einem „acte équivalent“ spricht. Neben der Mahnung durch „réclamation adressée par acte d’huissier“ oder inzident durch Mahnbescheid oder Klage auf Vertragsaufhebung („l’assignation en résolution“)151 gestattete die Rechtsprechung jedoch bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts die Mahnung durch einfachen Brief.152 Erst seit 1991153 ist auch die Formulierung des französischen Code civil flexibler geworden und lässt neben einer Mahnung mittels Einschreiben ausdrücklich einen einfachen Brief genügen, sofern er nachweislich ausreichende Interpellationswirkung hat („sommation ou autre acte équivalent telle une lettre missive“).154 Letztere zu beurteilen, liegt im Ermessen des Richters.155 Strengere Formvorschriften ergeben sich allerdings aus speziellen gesetzlichen Regelungen und im Hinblick auf den Zinsanspruch. Zwar genügt auch zur Herbeiführung des Zahlungsverzugs gem. Art. 1153 Abs. 3 CC ein einfacher Brief, allerdings wird für den Zinsanspruch nach Art. 1652 CC156 in der Regel eine sommation de payer gefordert. 147
BGE 103 II 104 f; HONSELL/VOGT/WIEGAND, Basler Kommentar, Art. 102 Rn. 7. PESCATORE/RUPERTO, Codice Civile I, Art. 1219, S. 1706, Rn. 2. 149 Art. 6.63 Abs. 3 litZGB. 150 Art. 82 Satz 1 NBW. 151 Vgl. hierzu auch Cass. civ. 2.7.1883, D.P. 84.1.302, Cass. civ. 15.12.1948, D. 1949, 105. Zur Kritik dieses Ansatzes in der italienischen Literatur siehe oben unter § 2 III 4. 152 Cass. 19.2.1878, Recueil Sirey 1878 I 221. 153 Art. 84 und 85 der Loi n° 91-650, 9.7.1991 (D. 1991, 317). 154 Vgl. hierzu auch den Vorstoß der Rechtsprechung: Cass. civ. 1re, 22.10.1956, Bull. I N° 363, S. 291, Cass. civ. 3e, 31.3.1971, JCP 71, IV, 126, Bull. III n° 230, S. 164. In Belgien: z.B. Civ. Arlon, 20.4.1990, R.G.D.C., 1990, S. 481. 155 Cass. civ. 1re, 20.6.1995, Bull. I n° 268, S. 186. 156 Art. 1652 CC: „L’acheteur doit l’intérêt du prix de la vente jusqu’au paiement du capital, dans les trois cas suivants: S’il a été ainsi convenu lors de la vente; Si la chose vendue 148
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Die Formerfordernisse werden auch im belgischen Recht mit Ausnahme speziell geregelter strengerer Voraussetzungen mehr und mehr gelockert. Nach der belgischen Literatur soll weniger die Form der Mahnung als ihr unzweideutiger Inhalt entscheidend sein, wie das Handelsrecht zeige, welches keine Formerfordernisse kenne.157 Auch die belgische Cour de Cassation sieht als acte équivalent und damit als wirksame mise en demeure jeden Akt an, der eine Mahnung enthält, wenn der Schuldner aus ihm notwendigerweise ableiten musste, dass er mit der Erfüllung seiner Verpflichtung in Verzug gesetzt wurde.158 Zwar wird die Mahnung aus Beweisgründen bevorzugt schriftlich verfasst. Allerdings mag dies in bestimmten Fallkonstellationen unpraktikabel sein, so dass als Basis einer gesetzlichen Regelung Flexibilität statt Formstrenge sicher die bessere Lösung ist. V. Ausnahmen vom Mahnungserfordernis Ist die Mahnung auch das zentrale Element des Verzugs in nationalen Rechten, wird sie dort für entbehrlich gehalten, wo ihre Funktionen auf andere Weise erfüllt oder obsolet werden. So wird die Mahnung in einigen nationalen Gesetzen dann für nicht erforderlich erachtet, wenn dem Schuldner aufgrund einer Parteiabrede hinreichend klar sein muss, an welchem Tag seine Leistung erwartet wird. Teils entfällt sie auch, wenn mangels Realisierbarkeit des Erfüllungsanspruchs eine „Aufforderung zur Leistung“ zwecklos ist, oder dann, wenn diese nach den Umständen des Falles nicht abgewartet werden kann. Nationale Rechte lassen diese Ausnahmen vom Mahnungserfordernis in unterschiedlichem Umfang zu. 1. Fixgeschäft, dies interpellat und kalendermäßige Berechenbarkeit Terminabsprachen nehmen die schuldnerbezogene subjektive Wirkung der Mahnung vorweg.159 Einfache Leistungszeitvereinbarungen sind jedoch nicht überall ohne weiteres als verzugsauslösend anerkannt.160 Dies belegt die zurückhaltende Lösung des Code civil im Hinblick auf den Grundsatz des dies et livrée produit des fruits ou autres revenus; Si l’acheteur a été sommé de payer. Dans ce dernier cas, l’intérêt ne court que depuis la sommation.“ 157 So bereits DE PAGE, Traité élémentaire de droit civil belge III, S. 108, 110. 158 Cass. 28.3.1994, Pas. 1994, I, S. 317. Zugunsten dieser Auslegung: DE CONNICK, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 147; kritisch MOREAU-MARGREVE/BIQUET-MATHIEU/GOSSELIN, Grands arrêts récents en matière d’obligations, Act. dr. 1997, S. 29 f. 159 BUCHER, in GEIMER, Festschrift Schütze, S. 163. 160 Vgl. Art. 1139 CC; siehe auch WITZ/KULL, NJW 2004, S. 3757 (3760); nach Art. 1219 Abs. 3 des italienischen Codice Civile gilt die gesetzliche Ausnahme des dies interpellat nur für Bringschulden, Cass. 9.5.1969, n. 1603.
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interpellat in Art. 1139 CC. Das bereits 1804 von der Idee des Schwächerenschutzes geprägte Gesetzbuch ließ ihn nur insoweit zu, als sich aus einer Terminsabsprache zugleich klar ergeben musste, dass der Schuldner ohne Mahnung in Verzug geraten soll.161 Hier sollte also nicht die Leistungszeitbestimmung allein genügen, sondern zusätzlich die ausdrückliche oder konkludente Absprache erforderlich sein, dass mit Verstreichen des Termins ohne weiteres Verzug eintritt – „par l’effet de la convention lorsqu’elle porte que, sans qu’il soit besoin d’acte et par la seule échéance du terme, le débiteur sera en demeure“.162 Die Mahnung wurde als ein so bedeutsamer und formalisierter Akt angesehen163, dass man an ihr auch bei Vereinbarung eines Leistungstermins festhalten wollte.164 Die Formulierung des Art. 1139 CC erinnert an das relative Fixgeschäft in § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB, ist jedoch nicht auf die Fälle beschränkt, in welchen der Gläubiger sein Leistungsinteresse ausdrücklich an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden hat, sondern umfasst auch diejenigen, in denen schlicht durch Parteiabrede die Mahnung abbedungen wurde. Die französische Rechtsprechung legt Art. 1139 Alt. 2 CC jedoch mittlerweile tendenziell weit aus165 und geht häufig von der Annahme aus, die Parteien hätten eine Mahnung stillschweigend für entbehrlich gehalten.166 Auch die Literatur hält eine Mahnung trotz Zeitbestimmung für reinen Formalismus und spricht sich für einen uneingeschränkten dies interpellat Grundsatz aus.167 Die Argumentation ist aus anderen Rechtsordnungen bekannt: Der Schuldner wisse im Fall einer vertraglichen Zeitbestimmung, 161
Grundsätzlich gilt also dies non interpellat pro homine, so zu Frankreich LIBCHABER, in FONTAINE/VINEY, S. 113 (118); zu Belgien STIJNS, De gerechtelijke en de buitengerechtelijke ontbinding van overenkoomsten, S. 172. 162 Art. 1139 Alt. 2 CC. Die Formulierung zeigt, dass es vor allem auf den Parteiwillen ankommt. Die Lehre ging zudem wie bereits die Lehrmeinungen im gemeinen Recht davon aus, dass derjenige, der sich nicht mittels interpellatio gegen eine verspätete Erfüllung zur Wehr setzt, darunter offenbar auch nicht zu leiden hat. Vgl. hierzu ROUAST, Inexécution du contrat, S. 153; CONSTANTINESCO, Inexécution et faute contractuelle, S. 45 f. 163 „[…] un débiteur qui n’exécute pas ses obligations dans le délai imparti par le contrat n’est pas légalement en retard du fait de l’échéance du terme. Sa demeure, c’est-à-dire le retard apporté par le débiteur à l’exécution de son obligation n’est prise en considération par le droit que si celui-ci a été sommé de s’exécuter par le créancier.“ BONNEAU, Mise en demeure, Civ. 1992, S. 1, unter Berufung auf ROLAND/BOYER, Adages du droit français, n°65, S. 232; WEILL/TERRÉ, Droit civil: Les obligations, n° 418, S. 441. 164 RAMPELBERG, Repères romains pour le droit européen des contrats, S. 184. 165 Cass. civ. 3e, 29.10.1986, JCP G 1987, IV, 10; Cass. civ. 1re, 18.5.1966, Bull. Civ. I, n° 306; Cass. req., 28.2.1938). Gleiches gilt bei einer Vertragsklausel „sofort lieferbar“, Cass. req., 21.6.1933, DH 1933, S. 412. 166 Die Parteien können – außer im Fall spezieller zwingender Mahnungserfordernisse wie etwa in Art. 9-1° des décret du 30 septembre 1953 (bail commercial) – das Mahnungserfordernis vertraglich abbedingen, vgl. auch Cass. civ. 3e, 24.3.1971, Bull. Civ. III n° 214. 167 MARTY/RAYNAUD: „[…] Il semble alors plus rationnel d’admettre que l’arrivée du terme fixé met automatiquement le débiteur en demeure.“
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dass die Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Frist erwartet werde und man von ihm Pünktlichkeit erwarten könne. Dem Gläubiger sei hingegen nicht zuzumuten, für jedes einzelne Vertragsverhältnis die Einhaltung der Leistungszeit zu kontrollieren, um bei Nichtleistung nochmals aktiv zu werden.168 Ähnlich halten auch der portugiesische Código civil169 oder der spanische Código civil eine Mahnung nur für verzichtbar, wenn sich deren Entbehrlichkeit entweder ausdrücklich aus dem Vertrag ergibt oder wenn aus der Natur der Verpflichtung oder ihrem Umständen folgt, dass der Leistungszeitraum in dem die geschuldete Leistung zu erbringen ist, das bestimmende Motiv für die Eingehung der Verbindlichkeit war.170 Auch der italienische Codice Civile erkennt einfache Leistungszeitvereinbarungen nicht ohne weiteres als verzugsauslösend an. So sieht Art. 1219 Abs. 3 italCC die gesetzliche Ausnahme des dies interpellat nur für Bringschulden vor.171 Gesetzgeberisches Motiv dieser Regelung ist es, die mora ohne Mahnung nur dann zuzulassen, wenn nach der konkreten Vertragsgestaltung der Beitrag des Gläubigers zur Erfüllung ein rein passiver ist – die Leistung ist an seinem Wohnsitz zu erbringen und die Initiative zur Erfüllung geht allein vom Schuldner aus. Der Gläubiger muss sie lediglich annehmen.172 Bei Holschulden ist hingegen keine Ausnahme vom Mahnungserfordernis vorgesehen. Im Gegensatz hierzu ist das deutsche Recht relativ großzügig und enthält in § 286 Abs. 2 BGB eine detaillierte gesetzliche Regelung, die eher an Art. 7:102 PECL erinnert als an die Lösungen der romanistischen Rechtstradition: Neben dem Fall der Leistungszeitbestimmung in § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, bei dem bereits vor der Neufassung des BGB eine mittelbare Festlegung eines bestimmten Kalendertages genügte,173 erkennt es in § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB auch den Fall einer kalendermäßig bestimmbaren Leistungszeit als mahnungsersetzend an.174 Die Anwendung der Norm setzt allerdings voraus, 168
MAZEAUD/TUNC: „La vie moderne est trop complexe, les conventions s’y multiplient en trop grand nombre pour qu’on puisse obliger le créancier à se pencher chaque jour sur son contrat afin de s’assurer que le terme n’est pas échu […].“ 169 Art. 805 II lit. a portCC : „[...] há mora do devedor, independentemente de interpelação, se a obrigação tiver prazo certo [...].“ 170 Art. 1100 Abs. 2 Nr. 1 und 2 spanCC. 171 Cass. 9.5.1969, n. 1603; PESCATORE/RUPERTO, Codice Civile I, Art. 1219, S. 1710, Rn. 10. 172 Vgl. hierzu Cass. 17.12.1976, n. 4664 und Cass. 23.7.1994, n. 6887. 173 So etwa „im August“, BGH NJW-RR, 99, 593 ff. 174 Z.B. 14 Tage nach Lieferung. Nach alter Rechtslage galt dies nur im Fall einer ab Kündigung kalendermäßig berechenbaren Leistungszeit, § 284 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf andere Ereignisse als die Kündigung wurde abgelehnt, RGZ 103, 33.
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dass sich die Leistungszeit nach einer ab einem bestimmten Ereignis laufenden angemessenen Frist kalendermäßig berechnen lässt. Anders als die in den Principles vorgesehene „period determinable from the contract“175 wird im deutschen Recht die mahnungsersetzende Wirkung der Berechenbarkeit der Fristdauer ausdrücklich mit dem Erfordernis der „Angemessenheit“ der Frist verknüpft. Ist die Frist unangemessen, soll § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB gleichwohl anwendbar bleiben und eine angemessene Frist greifen.176 Da die Norm für Leistungs- wie Zahlungsansprüche gilt, ist sie im Anwendungsbereich der Zahlungsverzugsrichtlinie im Licht des Art. 3 Abs. 1 lit. a und b RiL 2000/35/EG auszulegen.177 Eine Sonderbestimmung gilt zudem gem. § 286 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 BGB beim Zahlungsverzug, da der Verzug bei Geldleistungen „spätestens innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung“ eintreten soll. Letzteres gilt nicht nur in Umsetzung der RiL 2000/35/EG im Rahmen des Zahlungsverzugs zwischen Unternehmern, sondern vorbehaltlich zusätzlicher Hinweispflichten178 auch darüber hinaus. Diese weitgehenden Ausprägungen des dies interpellatGrundsatzes ändern indes nichts an der Tatsache, dass der Verzugseintritt nach Mahnung systematisch als Grundsatz und die verzugsauslösende Wirkung der bestimmten oder bestimmbaren Leistungszeit als Ausnahme erscheint. Das schweizerische Obligationenrecht geht in Art. 102 Abs. 2 von der Entbehrlichkeit der Mahnung aus, wenn „ein bestimmter Verfalltag“ verabredet wurde oder einer Partei vertraglich das Recht verliehen wurde, diesen einseitig zu bestimmen. Dabei soll neben der genauen Nennung eines bestimmten Datums oder einer Leistungsfrist179 im Vertrag auch ein anhand des Vertragsinhalts ermittelbarer Verfalltag genügen.180 Auch nach § 365 des tschechischen ObchZ ist eine Mahnung prinzipiell keine Verzugsvoraussetzung, wenn eine Leistungszeit vereinbart oder gesetzlich bestimmt ist. Deren Verstreichen reicht für die Annahme aus, dass der Schuldner seine Verbindlichkeit nicht „ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt“ hat. Gleiches folgt auch aus § 517 ObçZ.
175
Art. 7:102 Abs. 2 PECL, 6.1.1 lit. b UPICC. Vgl. HERTEL, DNotZ 2001, S. 910 (914 f.). 177 Zur Vereinbarkeit der Regelung in § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB mit der Richtlinie 2000/35/ EG siehe BT-Drs. 14/6040, S. 146; GSELL, ZIP 2000, S. 1861 ff.; HUBER, JZ 2000, S. 957 ff. 178 § 286 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 BGB. 179 BGE 116 II, 441. 180 VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, S. 138 f.; BGE 103 II, 102. 176
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Auch das niederländische Recht folgt in Art. 6:83 Satz 1 Hs. 2 NBW dem dies interpellat-Grundsatz, allerdings nur, falls die Terminvereinbarung nicht einem anderen Zweck dient als dem Mahnungsersatz.181 2. Klageerhebung In der Regel wird die Mahnung auch durch die Erhebung einer Leistungsklage oder durch die Zustellung eines Mahnbescheids ersetzt. Dies sieht § 286 Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich vor. „La citation vaut mise en demeure“ ist auch ein Grundsatz des romanischen Richterrechts.182 Das Verständnis dieser Regel und ihrer Tragweite im jeweiligen Recht ist jedoch unterschiedlich. Sie macht an sich eine Mahnung obsolet. Allerdings ist dieser Effekt im deutschen Recht insofern von eingeschränkter Wirkung, als die Mahnung nur durch eine Klage des Schuldners „auf Leistung“ gem. §§ 253, 254 ZPO oder im Fall der Geldleistung in Form des Mahnbescheides gem. § 688 ff ZPO ersetzbar ist.183 Die Frage ihrer Ersetzbarkeit betrifft daher auch nur den Fall der Primärleistungsklage. Dem Schuldner bleibt es unbenommen, die Leistung während des Prozesses zu erbringen. Zu klären bleibt dann einzig der Aspekt der Kostentragung. Auch hier wird der Schuldner jedoch entsprechend geschützt: Im Fall der Leistung nach Klageerhebung wird der Rechtsstreit in der Regel für erledigt erklärt. Über die Kosten entscheidet das Gericht gem. § 91 a Abs. 1 ZPO nach billigem Ermessen und berücksichtigt hierbei den bisherigen Streitstand. Es ist daher unwahrscheinlich, dass es für einen rasch nach Klageerhebung leistenden Schuldner zu negativen Kostenfolgen im Prozess kommt, wenn das Gericht der Meinung war, er sei zu früh auf Leistung verklagt worden. In Belgien und Frankreich ist die Wirkung der mise en demeure eine andere, weil sie zugleich ein Element von Nichterfüllungssanktionen ist. Hier hat die Frage ihrer Ersetzbarkeit durch Klageerhebung weitreichendere Folgen. Sowohl in Frankreich als auch in Belgien soll sie auch dann durch eine citation ersetzbar sein, wenn es um sekundärrechtliche Ansprüche geht.184 Nach der belgischen Rechtsprechung kann eine Mahnung inzident in einer Klage auf Vertragsaufhebung liegen – „lorsque la mise en demeure est requise, elle peut résulter de l’exploit introductif de l’action en résolution, acte
181
HARTKAMP/TILLEMA/TER HEIDE, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 179. 182 In Frankreich: Vgl. Cass. civ. 1re, 23.5.2000, D. 2000, I.R., S. 203; in Belgien, Cass. 17.10.1957, Pas. 1958, I, S. 143; Cass. 25.2.1993, R.D.C. 1994, S. 141. 183 Vgl. BGHZ 80, 269 (277). Dies gilt darüber hinaus auch bei Zustellung eines Antrags auf einstweilige Anordnung, BGH NJW 1988, 2239 (2240). 184 GHESTIN/JAMIN/BILLAU, Traité de droit civil. Les effets du contrat, n° 423 ff., S. 512 ff.
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équivalent à une sommation.“185 Hieraus wurde teils geschlossen, die Mahnung spiele nur eine sekundäre Rolle und sei in vielen Fällen eine reine Formalität.186 Dies birgt jedoch die Gefahr, die eigentliche Funktion der Mahnung völlig zu umgehen, die darin liegt, dem Schuldner erst eine Erfüllungsmöglichkeit zu geben, um Sekundäransprüche zu vermeiden. Daher wird teils auch davor gewarnt, den Grundsatz „la citation vaut mise en demeure“ als Freibrief für einen Mahnungsverzicht zu verstehen. Die Regel spiele eher auf die Form der Mahnung an, und bewirke, dass jedenfalls in der Klageerhebung eine Mahnung liege, da darin eine klare, unmissverständliche Einforderung der Leistung zu sehen sei, die die typischen mora-Sanktionen der Zinspflicht oder Risikotragung zur Folge habe.187 So soll beispielsweise auch nach einigen von DE CONINCK zitierten Entscheidungen die Notwendigkeit einer Mahnung nicht durch eine Klage auf Vertragsaufhebung obsolet werden, wenn der Schuldner sofort nach Klageerhebung leiste und damit zeigt, dass die Mahnung gefruchtet hätte. Gerade Klagen, bei welchen im Vorfeld ein Nichtstun des Schuldners über eine längere Zeit ohne Mahnung geduldet wurde, soll nicht unter Verzicht auf eine vorhergehende Mahnung stattgegeben werden können, weil die Mahnung durch die Klageerhebung einfach ersetzt worden sei.188 Dem Gläubiger kann in diesen Fällen das Recht auf Vertragsaufhebung und auf Schadensersatz genommen werden.189 Die fehlende Mahnung ist im Übrigen auch hier bei der Verteilung der Prozesskostenlast zu beachten, wenn der Schuldner gleich nach Klageerhebung leistet.190 3. Weitere Ausnahmen vom Mahnungserfordernis Neben diesen Ausnahmen vom Mahnungserfordernis gibt es noch weitere Fälle, in welchen das Gesetz, die ratio der Mahnungsvorschriften und der Grundsatz von Treu und Glauben Ausnahmen begründen. a. Erfüllungsverweigerung Bei Leistungsverweigerung durch den Schuldner halten einige Rechtsordnungen die Mahnung für entbehrlich, weil diese dann ihren Warn- und Informa185
Cass. 17.10.1957, Pas. 1958, I, S. 143; vgl. auch DE CONINCK, in FONTAINE/VINEY, S. 135 (159). 186 KRUITHOF/BOCKEN/DE LY/DE TEMMERMAN, T.P.R. 1994, S. 633. 187 So WILMS, J.J.P. 1983, S. 82; DE CONINCK in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 135 (158 f.): „[…] donner une interprétation si large à la règle reviendrait à dénier au principe de la mise en demeure préalable toute spécificité conceptuelle, lorsqu’existe une demande en justice.“ 188 Hierzu Comm. Bruxelles, 13.11.1990, R.D.C. 1991, S. 541 und J.P. Wolvertem, 6.6.1996, R.W. 1997, S. 307. Vgl. DE CONINCK in FONTAINE/VINEY, S. 135 (162). 189 So etwa J.P. Visé, 6.1.1997, J.J.P. 1998, S. 349. 190 WILMS, J.J.P. 1983, S. 80.
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tionszweck verfehlen würde. Ein Beispiel ist die ausdrückliche Anordnung des § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB für den Fall, dass der Schuldner ernsthaft und endgültig seinen Leistungsunwillen bekundet hat. Ähnliches gilt in Italien nach Art. 1219 Abs. 2 Nr. 2 italCC oder nach der französischen191 und schweizerischen192 Rechtsprechung, nach letzterer in Analogie zu Art. 108 Abs. 1 OR, der bei Erfüllungsverweigerung durch den Schuldner im Rahmen der Nichterfüllungshaftung die Nachfrist für entbehrlich erklärt. Auch in der belgischen Gerichtspraxis ist die mise en demeure dann nicht erforderlich, wenn der Schuldner erklärt, er werde nicht leisten.193 Art. 6:83 Satz 2 Hs. 2 NBW sieht Vergleichbares vor. Die Modalitäten der Erfüllungsverweigerung unterscheiden sich jedoch: Nach Art. 1219 Abs. 2 Nr. 2 italCC muss der Schuldner z.B. schriftlich erklären, dass er die Verbindlichkeit nicht erfüllen wolle. Gem. § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist kein zusätzliches Formalitätserfordernis nötig, wenn der Schuldner die Erfüllung ernsthaft und endgültig verweigert. Wann dies anzunehmen ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab, jedenfalls muss sich aus dem Verhalten des Schuldners klar ergeben, dass es sich um „sein letztes Wort“ handelt, woran in der Regel aber strenge Anforderungen gestellt werden.194 b. Natur der Verpflichtung Die Rechtsordnungen, die der Unterscheidung nach Obligationstypen (dare, facere, non facere) folgen, halten die Mahnung bei den Verpflichtungen, etwas zu unterlassen, für überflüssig, da der Schaden bereits durch das Tun des Schuldners entstanden sei, vgl. etwa Art. 1145 CC195 oder Art. 1222 italCC.196 Dies gilt auch nach schweizerischen Recht gem. Art. 98 Abs. 2 OR. Diese Regelung soll den bereits angesprochenen Gedanken zum Ausdruck bringen, dass eine Mahnung dann entbehrlich ist, wenn das „Tun“, zu dem der Schuldner aufgefordert wird, tatsächlich nicht mehr erfolgen kann. Ob dieser Ansatz zutreffend ist, lässt sich allerdings bezweifeln, da auch der „nicht unterlassende“ Schuldner auf eine Mahnung hin sein Handeln sogleich einstellen kann. 191
Cass. req., 25. 2.1930, DP 1932, I, S. 180; Cass. req., 4.1.1927, D.H. 1927, 65; Cass. civ. 3e, 3.4.1973, Bull. Civ. III, n° 254, S. 184. 192 BGE 94 II 32, BGE 97 II 64; BGE 110 II 441. 193 Cass. 17.1.1992, Pas. 1992 I, 421, R.D.C. 1993, S. 237, Anm. STORME. 194 Vgl. Palandt/HEINRICHS, § 286, Rn. 24, § 281, Rn. 14; BGHZ 2, 312; BGH NJW-RR 99, 560; BGH NJW 05, 1195, 1197. 195 Vgl. für Belgien: Cass. 23.9.1994, Bull. 1994, S. 759. 196 Art. 1222 Codice Civile: „Le disposizioni sulla mora non si applicano alle obbligazioni di non fare; ogni fatto compiuto in violazione di queste constituisce di per sé inadempimento.“
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c. Besondere Gründe Nach deutscher und niederländischer Rechtsprechung soll eine Mahnung auch bei dem Schuldner erkennbarer besonderer Dringlichkeit der Leistung entbehrlich sein oder dann, wenn angesichts der Umstände des Falles das Berufen auf eine fehlende Mahnung unzumutbar wäre.197 Dies gilt ebenso bei Selbstmahnung, da der Ausspruch einer Mahnung des Berechtigten für unnötig gehalten wird, wenn sich der Verpflichtete ausdrücklich zu seiner Schuld bekennt.198 Ein weiterer Entbehrlichkeitsfall folgt aus dem römischrechtlichen Grundsatz fur semper in mora.199 Das schweizerische Recht hält die Mahnung auch bei einem Wissensvorsprung des Schuldners für entbehrlich, wenn dieser aufgrund seiner beruflichen Qualifizierung den Zeitmoment seiner Leistung kennen muss.200 Das deutsche Recht begreift diese Fälle als „besondere Gründe“ in § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB, „die unter Abwägung der Interessen von Schuldner und Gläubiger den sofortigen Verzugseintritt rechtfertigen.“201 Die Vorschrift enthält eine relativ weite Generalklausel, die die Lösung unterschiedlicher Fallkonstellationen ermöglichen kann und die selbst im Fall der Folgeschäden nach Betriebsausfällen des Käufers wegen verzögerter Herbeiführung der Mangelfreiheit der Kaufsache für relevant erachtet wird.202 197
Zum Teil wird dies als Verzicht auf die Mahnung ausgelegt, so zum deutschen Recht: BGH NJW 1963, 1823; zum niederländischen Recht: Hoge Raad, 4.10.2002, NJ 2003, 257. Die niederländische Rechtsprechung leitet dies aus Art. 6:83 NBW her, der eine nicht abschließende Auflistung der Fälle des Verzugs ohne Mahnung enthält. 198 OLG Köln, NJW-RR 00, 73. 199 Vgl. etwa Art. 805 Abs. 2 lit. b portCC, 1219 Abs. 2 Nr. 1 italCC, § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB, Palandt/HEINRICHS, § 286, Rn. 25. Dies gilt nach überwiegender Ansicht der Literatur in der Schweiz: So VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. 3, S. 140 f.; KELLER/SCHÖBI, Das Schweizerische Schuldrecht, Bd. 1, S. 266, a.A. GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, N. 2956. Ähnlich auch Art. 6:83 Satz 2 Hs. 1 NBW. Einem ähnlichen Grundgedanken folgend sieht das niederländische Recht in Art. 6:52 NBW einen Verzugseintritt ipso iure ohne Mahnung desjenigen vor, der eine Zahlung ohne Rechtsgrund erhielt. HARTKAMP/TILLEMA/TER HEIDE, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 179. 200 So beispielsweise ein Anwalt, vgl. ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, S. 689. 201 Wobei sich der Fall des fur semper in mora über die §§ 848, 849 BGB lösen lässt, die wie § 287 BGB eine Haftungsverschärfung enthalten. Der Schaden wegen Verzögerung der Rückgabe des Diebesgutes wird unter dieser Prämisse dann als ein Teil des Gesamtschadens ersetzt. 202 So SCHLECHTRIEM/SCHMIDT-KESSEL, Schuldrecht AT, Rn. 671, 639; zu möglichen Alternativen in der Beurteilung der Problematik der Betriebsausfallschäden wegen Sachmängeln der Kaufsache: GRIGOLEIT/RIEHM, AcP 203 (2003), S. 727 (754 ff.); BAMBERGER/ROTH/FAUST, Kommentar zum BGB I, S. 437; CANARIS, in LORENZ, Karlsruher Forum 2002, S. 37 und ZIP 2003, S. 321 (326 f.).
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d. Vertraglicher Ausschluss Das Mahnungserfordernis im allgemeinen Vertragsrecht ist regelmäßig kein zwingendes Recht.203 Die Parteien können es in der Regel außer im Fall spezieller zwingender Mahnungserfordernisse204 durch Individualvereinbarung vertraglich abbedingen. Im französischem und belgischen Recht folgt dies ausdrücklich aus dem bereits erwähnten Art. 1139 CC und spielt eine größere Rolle, da wegen des dortigen dies non interpellat-Prinzips ein ausdrücklicher Mahnungsverzicht ohnehin häufiger sein wird.205 Der Ausschluss muss allerdings unmissverständlich vereinbart werden.206 Durch AGB ist der Ausschluss jedoch in der Regel nicht möglich. So macht etwa § 309 Nr. 4 BGB das Mahnungs- und Nachfristerfordernis der §§ 286 Abs. 1 und 323 Abs. 1 BGB klauselfest und verbietet neben einem ausdrücklichen Dispens auch Klauseln, die ipso facto zu Rechtsfolgen führen.207 Dies gilt auch bei reinen Unternehmergeschäften.208 Das Mahnungsund Fristsetzungserfordernis ist nur durch Individualabrede abdingbar, mittels welcher sich beide Parteien der Tragweite des Verzichts auf einen formal warnenden Akt des Gläubigers bewusst werden. Eine Formularerklärung durch eine Partei reicht nicht. Ein weniger strenger Maßstab gilt im deutschen Recht jedoch hinsichtlich des Zahlungsanspruchs des Geldgläubigers. Hier wurden nicht nur im Unternehmensverkehr AGB-Klauseln im Lichte des § 309 Nr. 4 BGB für wirksam erachtet, die bei Zahlungsverzögerung auch ohne Mahnung einen Zinsanspruch eröffnen.209
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Anders ist dies bei bestimmten Spezialgesetzen, die zwingende Mahnungserfordernisse enthalten können, vgl. etwa Belgien: Art. 29, Loi du 12 juin 1991 relative au crédit à la consommation, M.B. 9 juillet 1991; DE CONINCK, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 135 (140). 204 Vgl. etwa Art. 9-1° des Décret du 30 septembre 1953 (bail commercial) und Cass. civ. 3e, 24.3.1971, Bull. Civ. III n° 214. 205 TERRÉ/SIMLER/LEQUETTE, Droit civil, Les obligations, S. 1039, Rn. 1081; EMMERICH, Das Recht der Leistungsstörungen, § 16 Rn. 44; BGH 102, 45; NJW 83, 1322. 206 Die Vereinbarung einer sofortigen Vertragsaufhebung soll z.B. noch keine Aufhebung des Mahnungserfordernisses enthalten, so belg. Cass. 24.3.1995, R.G.D.C. 1997, S. 98. 207 BGHZ 102, 45; BGH NJW 85, 1488. 208 Dies war hinsichtlich des Mahnungserfordernisses umstritten, scheint sich jedoch als allgemeine Meinung durchgesetzt zu haben. Vgl. LÖWE/V. WESTPHALEN/TRINKNER, AGBGKommentar, Rn. 23; Palandt/HEINRICHS, § 11 AGBG, Rn. 19 und nun ULMER/BRANDNER/ HENSEN, AGB-Recht, Rn. 11; hinsichtlich der Nachfristsetzung ist dies stRspr, vgl. BGH 110, 97; NJW 86, 843; zu § 326 BGB a.F. auch BGH NJW 87, 2506. 209 Allerdings sind diese Klauseln auch an § 307 BGB zu messen: BGH NJW-RR 00, 1075; NJW 98, 991; zum Unternehmensverkehr OLG Karlsruhe, NJW-RR 87, 498.
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Diese Regelungen im deutschen AGB-Recht verdeutlichen zum einen die zentrale Bedeutung der Mahnung und der Nachfristsetzung, zum anderen indizieren sie aber auch eine gewisse Akzeptanz eines Fälligkeitszinses. VI. Verschulden als Voraussetzung des Verzugseintritts Ob die Verzögerung der Leistung des Schuldners und die gegebenenfalls durch Mahnung oder präzise Leistungszeitbestimmung erfolgte formelle Feststellung, dass der Schuldner das ihm obliegende Leistungspflichtenprogramm in zeitlicher Hinsicht nicht absolviert, alleine ausreichen, um Rechtsfolgen auszulösen, oder ob ein subjektives Zurechenbarkeitskriterium hinzukommen muss, um die Verzögerung rechtsrelevant werden zu lassen, wird von den nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich gelöst. Das Verschulden als Verzugsvoraussetzung ist an sich ein typisches Phänomen des deutschen Rechts und vom BGB beeinflusster Rechtsordnungen. Trotz der Schuldrechtsreform hat es sich teils unter dem Zeichen der pandektistisch beeinflussten Altfassung, teils (fälschlicherweise)210 unter dem Einfluss der Zahlungsverzugsrichtlinie211 durchgesetzt. § 286 Abs. 4 BGB behält das Verschuldenserfordernis in Form des vermuteten Verschuldens als subjektive Voraussetzung des Verzugseintritts bei, um die typischen Verzugsfolgen verschuldensabhängig auszugestalten.212 Fehlendes Verschulden des Schuldners verhindert bereits den Verzugseintritt und wird nicht erst über § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB im Rahmen des verzugsbedingten Schadensersatzanspruchs relevant. Das BGB gestaltet hierdurch alle unmittelbaren Rechtsfolgen des Verzugs213 ohne Differenzierung verschuldensabhängig aus: nicht nur den Verzugsschadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 und 286 BGB, sondern – über die Verweisungstechnik in § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB – insbesondere den bereits erwähnten Zinsanspruch. Über Sinn und Unsinn des § 286 Abs. 4 BGB wird allerdings im Lichte des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu Recht gestritten und überwiegend behauptet, der Einwand fehlenden Verschuldens ergebe sich bereits aus § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB – der Verschuldensregelung des als Einheitstatbestands der Schadensersatzhaftung konzipierten und auch im Rahmen des Verzugs grundlegenden Anspruchs des § 280 Abs. 1 BGB. § 286 Abs. 4 BGB spiele daher für den Verzugsschadensersatz keine tragende Rolle mehr, sondern führe nur zu einer 210
Vgl. hierzu bereits oben, Teil 2, Kap. 5 zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 lit. c ii) der RiL 2000/35/EG. 211 Da die Zahlungsverzugsrichtlinie in Deutschland in § 286 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 BGB umgesetzt wurde, spielt sie eine wichtige Rolle für die Systematik der Norm. 212 Vgl. die Gesetzesbegründung, die insbesondere auf den Zinsanspruch abstellt, der über § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB auf § 286 Abs. 4 BGB Bezug nimmt. 213 Gemeint sind die typischen Verzugsfolgen in § 280 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 und §§ 286, 287 und 288 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Satz 2 i.V.m. §§ 286, 288 Abs. 2 und 3 BGB.
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unnötigen Doppelprüfung.214 Eine argumentative Auseinandersetzung mit der Daseinsberechtigung dieser Norm über ihre Rolle als Element des Verzugszinsanspruchs in § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB hinaus und ihr Verhältnis zu § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB würde an dieser Stelle jedoch zu weit führen.215 Festgehalten werden soll vorerst nur, dass sich das BGB durch das Verschuldenserfordernis als Voraussetzung des Verzugs konzeptuell nicht nur von der Mehrzahl der hier beschriebenen nationalen Rechte unterscheidet, sondern zudem mit seiner eigenen, auf dem Begriff der Pflichtverletzung beruhenden Systematik bricht,216 indem es zwischen der Pflichtverletzung in § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB und dem Verzug in § 286 BGB eine Trennlinie zieht. Der Einheitstatbestand der Pflichtverletzung wird nicht nur durch verzugsspezifische Zusatzvoraussetzungen ergänzt, sondern die Rolle des Verzugs als Pflichtverletzung in Frage gestellt. Dem Pflichtverletzungsbegriff soll an sich noch kein subjektives Element innewohnen.217 Im Fall des Verzugs enthält der Pflichtverletzungsbegriff jedoch bereits ein subjektives Element, das eigentlich von ihm getrennt zu beurteilen wäre.218 Die sanktionierbare Pflichtverletzung liegt hier nämlich gerade nicht im (objektiven) Überschreiten der Leistungszeit, sondern erst in deren verschuldeten Überschreiten, wie § 280 Abs. 2 BGB zeigt, der für eine sanktionierbare Pflichtverletzung die „zusätzlichen Voraussetzung des § 286“ verlangt. Diese Überlegung kann man auch im Hinblick auf die Rolle der Mahnung weiterführen: Da die Mahnung kein Element der Leistungszeit, sondern eine spezielle Voraussetzung des Verzugs ist, wird auch sie zu einem Element, das die Verzögerung der Leistung vom Begriff der Pflichtverletzung absondert: Nicht die Nichtleistung bei Fälligkeit, sondern die Nichtleistung trotz Fälligkeit und Mahnung erscheint hier als Pflichtverletzung. Diesem Ansatz folgen nur wenige Rechtsordnungen. Übernommen wurde das Konzept von den vom BGB a.F. (mit)beeinflussten Rechtsordnungen wie dem griechischen oder polnischen Recht.219 Auch dort hat man nach histo-
214
SCHULTE-NÖLKE, in DAUNER-LIEB/HEIDEL/LEPA/RING, Das neue Schuldrecht, § 4 Rn. 10; LOOSCHELDERS, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Rn. 583; SCHLECHTRIEM/SCHMIDTKESSEL, Schuldrecht AT, Rn. 673; BROX/WALKER, Allgemeines Schuldrecht, § 23 Rn. 29. 215 Vgl. unten Teil 3, Kap. 9 und die Argumentation von KOHLER, JZ 2004, S. 961 ff. 216 HUBER hat bereits bei seiner Stellungnahmen zu den ersten Reformüberlegungen zum BGB erwogen, statt des heutigen Konzeptes das Modell des Art. 74 des Einheitlichen Kaufgesetzes zu übernehmen. 217 Palandt/HEINRICHS, § 280, Rn. 3. 218 Vgl. zur Kritik an den deutschen Vorschriften genauer in Teil 3, Kap. 9. 219 Der Schuldner gerät gem. Art. 476 polnKC in Verzug, wenn er die Leistung nicht termingerecht oder, falls keine Frist bestimmt ist, wenn er die Leistung nicht unverzüglich nach Aufforderung des Gläubigers erbringt. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Verspätung der Leistungserbringung auf Umständen beruht, für die der Schuldner nicht einzustehen hat.
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rischem Modell die Sonderstellung des Verzugs durch einen eigenen Tatbestand hervorgehoben und diesen an ein Verschuldenserfordernis gekoppelt. Auch Art. 6:81 NBW folgt einem ähnlichen Ansatz, basiert jedoch auf anderen Zurechenbarkeitskriterien. Nach Art. 6:75 NBW ist dem Schuldner der Verzug nicht nur dann zurechenbar, wenn er die Verzögerung der Leistung verschuldet hat oder sich aus Gesetz oder der vertraglichen Vereinbarung ein strengerer Haftungsmaßstab ergibt, sondern auch dann, wenn dies aus den Verkehrserwartungen, den „verkeer geldende opvattingen“ oder „social values“220 folgt. Im Vergleich dazu ist § 276 BGB restriktiver formuliert.221 Überwiegend wird kein subjektives Element als Voraussetzung des Verzugs gefordert. Es spielt systematisch konsequent erst im Rahmen der möglichen Verzugsfolgen eine Rolle. Der Verzug ist in der Regel ausschließlich an ein Mahnungserfordernis oder weitere „verzugsauslösende“ Situationen geknüpft, soweit der Verzug überhaupt als eigener Tatbestand formuliert ist, setzt aber nicht zusätzlich voraus, dass die Verzögerung vom Schuldner verschuldet sein muss. Regelungstechnisch ist das Verschuldenserfordernis entweder ein Element der Rechtsfolgenregelungen oder gar nicht „verzugsspezifisch“ geregelt, sondern entspricht schlicht dem allgemeinen vertraglichen Haftungsmaßstab. Der Verzug dient dort vor allem dazu, den Moment zu fixieren, ab welchem verzögerungsbedingte Rechtsfolgen eintreten sollen. Die Rolle des Vertretenmüssens beschränkt sich dann ausschließlich darauf, als Element der einschlägigen Rechtsfolgen einen Anspruch des Gläubigers zu eröffnen. Letztlich ist die Rolle des Verschuldens beim Verzug also eine Wertungsfrage und eine Frage des Gesetzgebungsstils. Sie hängt davon ab, ob und welche Rechtsfolgen auch ohne Verschulden eintreten sollen, und inwieweit die Verzugsproblematik in die allgemeine Vertragshaftung eingegliedert oder verselbständigt worden ist. Die objektive Ausgestaltung des Verzugs ist bereits deshalb zu bevorzugen, weil sie eine Differenzierung verschiedener Verzugsfolgen nach ihrem Gewicht erlaubt: so ist in einigen Rechtsordnungen die Gewährung eines verschuldensunabhängigen Zinsanspruchs vorgesehen und das Eingreifen der
Gem. Art. 342 griechZGB ist der Schuldner nur dann in Verzug, wenn er die Verzögerung seiner Leistung verschuldet hat. 220 SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. 117 (122). 221 Auch wenn sich die in den Vorschriften genannten Fälle weitgehend decken, können sich Unterschiede im Haftungsmaßstab ergeben, weil § 276 Abs. 1 BGB allein auf den Inhalt des Schuldverhältnisses abstellt und die Differenzierung des niederländischen Rechts zwischen „rechtshandeling“ und „verkeer geldende opvattingen“ nicht kennt. SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. 119 (122).
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Zufallshaftung bereits an den Eintritt des objektiven Verzugs geknüpft222, ein Schadensersatzanspruch hingegen aber meist verschuldensabhängig konzipiert.223 Das Verschuldenserfordernis ist in der verzugsspezifischen Schadensersatznorm enthalten oder folgt aus den allgemeinen Grundsätzen der Vertragshaftung.224 So ist beispielsweise nach österreichischem Recht die Einstandspflicht für Leistungsverzögerungen objektiv konzipiert. Die Tatsache, dass dem Schuldner ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, entscheidet ausschließlich über die Schwere der Rechtsfolgen, die in die Haftungsnormen des Nichterfüllungsrechts eingegliedert sind. 225 Auch nach § 365 des tschechischen ObchZ und § 517 ObçZ kommt der Schuldner ohne Rücksicht darauf in Verzug, ob die den Verzug begründenden Umstände durch ihn herbeigeführt wurden, ob er sie vorhersehen oder beeinflussen konnte,226 oder ob der Gläubiger durch die Leistungsverzögerung einen Nachteil erlitten hat.227 Das Eintreten des Verzugs bestimmt sich rein objektiv. Nach italienischem Recht genügen gem. Art. 1219 italCC die Fälligkeit der Forderung und die Mahnung für die Annahme des Verzugs. Auch im spanischen Recht ist dies ähnlich, Art. 1100 spanCC setzt ausschließlich eine Mahnung voraus. Er lässt diese zudem für einen aus der Verzögerung resultierenden Schadensersatzanspruch genügen. Art. 1101 spanCC verlangt ausdrücklich entweder Verschulden oder Verzug: „Quesan sujetos a la indemnizacíon de los daños y perjuicos causados los que en el cumplimiento de sus obligaciones incurrieren en dolo, negligencia o morosidad.“228 Im französischen Recht ist die mise en demeure systematisch weitgehend in die Rechtsfolgenregelungen der inexécution eingegliedert, die jeweils auch über das Erfordernis des Verschuldens bestimmen.229 Das schweizerische Obligationenrecht folgt einem Mittelweg zwischen einem objektiven Ansatz und dem Weg des deutschen Rechts. Es nimmt den Verzug gem. Art. 102 Abs. 1 und 2 OR unabhängig von einem Verschulden 222
Vgl. etwa die Regelungstechnik des § 918 ABGB oder des § 1219 italCC. Z.B. Art. 103 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 OR, Art. 1218 italCC. 224 So insbesondere das französische Recht. 225 Zum Vergleich § 918 und 920 ABGB. 226 ŠTENGLOVA/PLÍVA/TOMSA, Obchodní zákoník, Komentář (Kommentar zum tschechischen Handelsgesetzbuch), § 365 ObchZ. 227 JEHLIČKA/ŠVESTKA/ŠKÁROVÁ, Občanský Zákoník, Komentář (Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch), § 517 ObčZ, S. 775. 228 CARRASCO PERERA, ZEuP 2006, S. 552. 229 Hinsichtlich der modernsten Kodifikationen wie etwa des estnischen Schuldrechtsgesetzes stellt sich diese Frage nicht mehr. Sie folgen konsequent den PECL und ihrem remedy approach und kennen keine Sonderbehandlung des Verzugs, sondern sehen die Verzögerung der Leistung als einen Fall der Pflichtverletzung an, für welchen die allgemeinen Grundsätze der vertraglichen Haftung gelten (§ 100 estnSRG). 223
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des Schuldners bereits dann an, wenn der Schuldner gemahnt oder vertraglich ein bestimmter Verfalltag vereinbart wurde: „La faute du débiteur, […] n’est pas une condition de la demeure […].“230 Das schweizerische Recht entschied sich hierfür in bewusster Abkehr vom Dresdner Entwurf zum BGB.231 Es regelt fehlendes Vertretenmüssen bei den Verzugswirkungen, d.h. bei der Haftung auf Verzögerungsschadensersatz und der Zufallshaftung. Aus Art. 103 Abs. 2 OR ergibt sich, dass sich der Schuldner sowohl von der Schadensersatzhaftung als auch von der Zufallshaftung befreien kann, wenn er nachweist, „dass der Verzug ohne jedes Verschulden von seiner Seite eingetreten ist oder dass der Zufall auch bei rechtzeitiger Erfüllung den Gegenstand der Leistung zum Nachteile des Gläubigers betroffen hätte“. Auch hier handelt es sich also um eine Verschuldensregelung im Zusammenhang mit den entsprechenden schadensersatzrechtlichen Rechtsfolgen des Verzugs, die jedoch für die Frage des Verzugseintritts nicht von Bedeutung ist. VII. Geldforderungen In einigen nationalen Rechten folgt der Verzug mit Entgeltforderungen im Grundsatz den Regeln für nicht auf Geld gerichtete Verbindlichkeiten. In Systemen, die der Mahnung eine entscheidende Stellung als Auslöser des Verzugs oder als Voraussetzung von Sanktionen beimessen, löst diese auch bei Geldforderungen den Eintritt von Rechtsfolgen aus. In der Regel wird also an eine einheitliche Verzugsregelung angeknüpft, so etwa im italienischen Recht: Art. 1224 italCC bindet auch den Zahlungsverzug an die moraVorschriften in Art. 1219 italCC. In überschießender Umsetzung der Richtlinie 2000/35/EG wurde im deutschen Recht eine Art. 3 Abs. 1 lit. b i und ii der RiL 2000/35/EG nachgebildete Spezialregelung für den Zahlungsverzugseintritt vorgesehen. § 286 Abs. 3 BGB ersetzt die für nicht auf Geld gerichtete Verbindlichkeiten konzipierten Verzugsvorschriften des § 286 Abs. 1 und 2 BGB nicht, sondern ergänzt sie.232 Die Vorgaben der Zahlungsverzugsrichtlinie wurden im deutschen Recht zum allgemeinen Maßstab im Fall der Verzögerung von Entgeltforderungen und sichern, dass der Zahlungsverzug nicht später als nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne eintritt. Zur Abmilderung der überschießenden 230
THÉVENOZ, Art. 102, Rn. 10; Art. 107, Rn. 5 Vgl. auch SCHNEIDER, Das Schweizerische Obligationenrecht, zu Art. 117 OR 1881. 232 Allerdings fällt im deutschen Recht im Bereich des Zahlungsverzugs bei Anwendung der allgemeinen Verzugsvoraussetzungen auf Geldleistungen seit jeher ein flexiblerer Umgang mit den Verzugsvorschriften auf: So galt im Hinblick auf die Abbedingung des Mahnungserfordernisses beim Zahlungsverzug ein weniger strenger Maßstab. Hier wurden nicht nur im Unternehmensverkehr AGB-Klauseln für wirksam erachtet, die bei Zahlungsverzögerung auch ohne Mahnung einen Zinsanspruch eröffnen, vgl. oben unter V 3 d. Dies weist ein Stück weit den Weg in Richtung einer Akzeptanz eines Fälligkeitszinses. 231
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Richtlinienumsetzung differenziert das BGB allerdings zwischen Verbrauchergeschäften und Unternehmergeschäften. Ein Verbraucher kommt mangels anderweitiger Regelung jedenfalls spätestens dann in Verzug, wenn er nicht binnen 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet, sofern er auf diese Folgen speziell hingewiesen wurde; bei Unternehmern gilt dies auch ohne ausdrücklichen Hinweis. Ist der Zeitpunkt der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher, kommen letztere ferner spätestens dann in Verzug, wenn 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung vergangen sind. Die Vorgaben der Richtlinie wurden indes nicht vollständig in § 286 Abs. 3 BGB verankert; so fehlt eine Umsetzung des Art. 3 Abs. 1 lit. b iii) RiL 2000/35/EG. Die mangelnde Umsetzung des Art. 3 Abs. 1 lit. b iv) der Richtlinie wird in § 641 Abs. 1 Satz 1 BGB aufgefangen. Der in § 286 Abs. 3 BGB aufgenommene europaweite Standard für Geldleistungen in B2B Geschäften wird in Deutschland zum generellen Ausgangspunkt eines Zinsanspruchs ohne Mahnung. Da § 286 Abs. 4 BGB bei fehlendem Verschulden allerdings auch im Fall des Verzugs nach Abs. 3 entlasten will, bestimmt sich beim Zahlungsverzug die Haftung im Rahmen des Zinsanspruchs im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen ebenfalls nicht objektiv. Die Lösung weicht zugleich von der Zahlungsverzugsrichtlinie ab.233 Etwas anders ist der Eintritt des Zahlungsverzugs im österreichischen Recht geregelt. Er knüpft entweder an eine vereinbarte oder eine aus dem Vertragszweck ableitbare Zahlungszeit oder eine Einmahnung an, an letztere allerdings nur dann, wenn die Fälligkeit der Entgeltforderung sonst nicht bestimmt werden kann, was die Ersatzfunktion der Einmahnung gegenüber der bestimmten oder bestimmbaren Leistungszeit systematisch deutlicher macht als § 286 Abs. 1 und 2 BGB.234 Die 30-Tage-Frist-Regelung des Art. 3 Abs. 1 lit. b der Zahlungsverzugsrichtlinie wurde vom österreichischen Gesetzgeber nicht übernommen, sondern lediglich in § 1334 Satz 2 ABGB klargestellt, dass der Schuldner mangels Vereinbarung eines Zahlungstermins die Geldleistung „bei vertragsmäßiger Erbringung der Gegenleistung ohne unnötigen Aufschub nach der Erfüllung durch den Gläubiger oder, wenn die Parteien ein solches Verfahren vereinbart haben, nach der Abnahme oder Überprüfung der Leistung des Gläubigers oder, wenn die Forderung der Höhe nach noch nicht feststeht, nach dem Eingang der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung zu erbringen“ hat.235 Aus der Formu233
Zur Frage des Verschuldens im Rahmen der Zahlungsverzugsrichtlinie siehe bereits in Teil 2, Kap. 5, § 2 IV 8b. 234 § 1334 Satz 3 ABGB: „Ist die Leistungszeit sonst nicht bestimmt […].“ 235 Vgl. Zinsenrechts-Änderungsgesetz, Regierungsvorlage, Beilage 1167, 20. Gesetzgebungsperiode, S. 14 f.; SCHAUER, in HARRER/PORTMANN/ZÄCH, Festschrift Honsell, S. 261 (275).
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lierung der Norm wird ersichtlich, wie eng Zahlungsverzug und Fälligkeit im österreichischen Recht miteinander verknüpft sind. Das ABGB folgt in § 1334 Satz 2 der Idee einer angemessenen Zahlungsfrist ab Erbringung der Leistung durch den Sachleistungsgläubiger, ab Abnahme oder ab Rechnungseingang und konzipiert diese klar als Fälligkeitsregelung.236 Hier soll also im Gegensatz zur Lösung des BGB nicht erst dann Zahlungsverzug eintreten, wenn nach Fälligkeit eine bestimmte Frist verstrichen ist, sondern es soll die Fälligkeit erst nach Ablauf einer bestimmten Zahlungszeit eintreten. Die hieran anschließende Regelung des § 1334 Satz 3 ABGB zur Einmahnung erlangt ihre Bedeutung an sich nur dann, wenn die Zahlungszeit sonst nicht bestimmt ist. Nur in diesem Fall soll der Schuldner die Folgen der Zahlungsverzögerung erst dann tragen, wenn er sich trotz gerichtlicher oder außergerichtlicher Einmahnung nicht mit dem Gläubiger geeinigt hat, wobei auch hier die Einmahnung, anders als die Mahnung des § 286 Abs. 1 BGB, zugleich die Fälligstellung des Zahlungsanspruchs bewirkt. In manchen Rechtsordnungen wird auch eine vollständige Sonderregelung des Zahlungsverzugs getroffen, wie in Art. 1153 Code civil, der ihm in seinem rechtsfolgenorientierten Ansatz als Voraussetzung des Zinsanspruchs eine eigene Norm widmet. Im französischen und belgischen Recht knüpft die Verzugszinspflicht des Geldschuldners ebenfalls an eine mise en demeure, wobei es hiervon gesetzliche Ausnahmen geben und gem. 1153 Abs. 3 CC ein reiner Fälligkeitszins vorgesehen werden kann („à partir du jour de la sommation de payer, excepté dans le cas où la loi les fait courir de plein droit“).237 Die Voraussetzungen der Mahnung sind hier allerdings strenger als die des Art. 1139 französischer CC. Da sie hier zugleich den Zinslauf bewirkt,238 wird für den Zinsanspruch in Art. 1153 Abs. 3 CC oder in Art. 1652 CC eine sommation de payer gefordert. Die Ausnahmen vom Mahnungserfordernis bei der Leistungspflicht sollen im Übrigen auch im Rahmen der Zahlungspflicht gelten.239 Teilweise wird beim Zahlungsverzug nicht nur in Sondervorschriften und im Unternehmensverkehr, sondern generell von einem reinen Fälligkeitszins ausgegangen, so z.B. in Estland.240 Das estnische Recht folgt dem Ansatz der 236
Vgl. den Wortlaut: „Sofern die Parteien nichts anders vereinbart haben, hat der Schuldner seine Leistung […] zu erbringen […].“ 237 Siehe zu letzterem z.B. Art. 1436, 1657, 1996 CC oder z.B. in Belgien Art. 10 der loi du 12 avril 1965 concernant la protection de la rémunération des travailleurs, M.B., 30.4.1965, wo es heißt: „la rémunération porte intérêt de plein droit à dater de son exigibilité“. 238 Vgl. Art. 1153 CC gegenüber 1139 CC. 239 So etwa die Entbehrlichkeit der Mahnung bei Erfüllungsverweigerung belg. Cass., 27.2.1993, Pas., 1992, S. 421. 240 § 113 Abs. 1 estSRG gewährt im Fall der Leistungsverzögerung einen Zinsanspruch „for the period as of the time the obligation falls due“.
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PECL und ordnet bei Zahlungsverzögerung Rechtsfolgen an, die allein an die Fälligkeit des Zahlungsanspruches anknüpfen. Verzug und Mahnung sind dem System fremd. VIII. Verzug und Fehlverhalten des Gläubigers Dass ein Gläubigerfehlverhalten den Verzugseintritt oder seine Folgen beeinflussen kann, wird in nationalen Gesetzen an verschiedenen Stellen deutlich. Vorgaben zur Bedeutung des Gläubigerfehlverhaltens gibt es im Rahmen des Zahlungsverzugs sogar im Richtlinienrecht, allerdings nur bei zweiseitigen Unternehmensgeschäften.241 Der Zinsanspruch wird dort an die Bedingung geknüpft, dass der Gläubiger seine vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt hat. Aus nationalen Rechten ergibt sich teils ausdrücklich, dass der Gläubigerverzug den Schuldnerverzug hindert. Ein Beispiel liefert das tschechische Recht in § 365 Satz 2 i.V.m. § 370 ObchZ242, die den Schuldnerverzug als ausgeschlossen, beendet oder „suspendiert“ betrachten, wenn und solange die Leistung deshalb nicht erbracht wurde, weil der Gläubiger durch die Nichtannahme der ordnungsgemäß angebotenen Leistung in Verzug geriet oder seine für die Leistungserbringung des Schuldners notwendige Mitwirkungshandlung nicht vorgenommen hat.243 Etwas anders formuliert es das italienische Recht: Nach Art. 1220 italCC tritt der Schuldnerverzug nicht ein, wenn der Schuldner die geschuldete Leistung rechtzeitig angeboten hat und der Gläubiger diese nicht annahm. Auch wenn es sich hierbei um ein Leistungsangebot handelt, das den Schuldner gem. Art. 1208 ff. italCC nicht von seiner Leistungspflicht befreit, kann es ihn doch vor dem Eintritt des Verzugs bewahren.244 Manche Gesetzbücher gehen noch darüber hinaus und fordern in einem weiteren Sinn die eigene Vertragstreue des Gläubigers, wie etwa das spanische Recht in Art. 1100 Abs. 3 Código civil: „[...] en las obligaciones reciprocas ninguno de los obligados incurren mora si el otro no cumple o no se
241
Vgl. Art. 3 Abs. 1 lit.c i) der RiL 2000/35/EG und bereits oben Teil 2, Kap. 5, § 2 IV 9. § 365 Satz 2 ObchZ: „Dlužník však není v prodlení, pokud nemůže plnit svůj závazek v důsledku prodlení věřitele.“ 243 Gleiches gilt gem. § 520 Satz 1 ObčZ: „K prodlení dlužníka nedojde, jestliže věřitel včas a řádně nabídnuté plnění od něho nepřijme nebo mu neposkytne součinnost potřebnou ke splnění dluhu.“ 244 „L’offerta non formale di adempimiento, pur non conducendo, come quella formale, alla liberazione del debitore dal vincolo obbligatorio, vale, tuttavia, ai sensi dell’art. 1220, ad escludere la mora del debitore ed a preservare lo stesso dalla responsabilità per il ritardo.“ PESCATORE/RUPERTO, Codice Civile I, Art. 1220, Rn. 1, S. 1713 unter Berufung auf Cass. 21.6.1986, n. 4129; Cass. 1.4.1999, n. 3108. 242
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allana a cumplir debidamente lo que le incumbe. Desde que uno de los obligados cumple o no su obligación, empieza la mora para el otro.” In Deutschland ist die eigene Vertragstreue des Gläubigers im BGB eine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung für den Verzugseintritt und weitere Rechtsbehelfe. Der BGH245 wies auf die Bedeutung der Mitwirkungspflicht im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages hin. Beruht eine verspätete Leistung darauf, dass der Gläubiger eine notwendige Mitwirkung unterlassen hat, tritt kein Verzug ein. Damit entfallen auch die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch.
§ 3 Rechtsfolgen verspäteter Leistung I. Spezifische Verzugsfolgen 1. Zufallshaftung Ist der Schuldner mit einer Sachleistung in Verzug, verfügt er über Gebühr über eine Sache, die längst dem Gläubiger zusteht. Wird sie während des Verzugs zerstört, soll nicht der Gläubiger den hieraus entstehenden Nachteil zu tragen haben, da sich die geschuldete Sache bei vertragsgemäßem Verhalten des Schuldners bereits in seiner Risiko- und Kontrollsphäre befunden hätte. Diese Wertung des klassischen römischen Rechts,246 die einem ähnlichen Gedanken folgt wie die Herausgabe von Nutzungen oder die Zinspflicht bei Geldforderungen, findet in allen nationalen Kodifikationen ihren Niederschlag, die eine Spezialregelung des Verzugs kennen, vgl. nur § 287 S. 2 BGB, Art. 1221 italCC oder Art. 1302 CC. Die normative Umsetzung dieses Gedankens variiert jedoch. Sie kann auf den Untergang geschuldeter Sachen beschränkt oder auf alle Arten einer nach Verzug eintretenden Leistungsunmöglichkeit anwendbar sein. Formuliert ist die Zufallshaftung häufig als Ausnahme zum allgemeinen vertraglichen Haftungsmaßstab, die eine erweiterte Einstandspflicht des Schuldners für auch zufällig entstandene Leistungshindernisse nach Verzugseintritt anordnet.247 Der säumige Schuldner soll auch dann haften, wenn im Verzugsstadium die Leistung wegen force majeure oder purem Zufall verhindert wird.
245
BGH NJW 96, 1745. Vgl. oben Teil 2, Kap. 6, Unterkap. 1. 247 Ein Beispiel ist Art. 6:84 Hs. 1 NBW: „Elke onmogelijkheid van nakoming, ontstaan tijdens verzuim schuldenaar, niet toe rekenen aan schuldeiser, wordt aan schuldenaar toegerekend” 246
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Je nach nationalem Recht fungiert die Zufallshaftung überdies als Gefahrtragungsregel,248 die dort besondere Bedeutung hat, wo die Gegenleistungsgefahr bereits vor Empfang der Leistung auf den Gläubiger übergegangen ist, wie etwa beim Spezieskauf nach schweizerischem oder französischem Recht.249 Zudem greift die Zufallshaftung nur unter einer Einschränkung: Im Zuge ihrer Fortentwicklung von der im klassischen römischen Recht noch strengen zur bedingten Zufallshaftung im ius commune250 steht die erweiterte Einstandspflicht des Schuldners im Verzug in der Regel unter der Bedingung, dass das Leistungshindernis nicht auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten wäre. Diese Einschränkung gestattet dem Schuldner die Berufung auf ein hypothetisches Schadensereignis. Durch die Berücksichtigung von Kausalitätserwägungen glich sich die Zufallshaftung an die normale Vertragshaftung an.251 In ihrer konkreten Umsetzung in den nationalen Kodifikationen weist die Zufallshaftung folgende systematischen Unterschiede auf: Der Code civil bezieht sich ausschließlich auf den Untergang eines konkreten Leistungsobjektes.252 Art. 1302 Abs. 2 CC bestimmt, dass der in Verzug befindliche Schuldner die Gefahr der zufälligen Verschlechterung des geschuldeten Gegenstandes selbst dann trägt, wenn er von einer Einstandspflicht für Zufall befreit ist. Art. 1302 Abs. 2 CC lässt die Zufallshaftung jedoch dann nicht eintreten, wenn die Sache bei rechtzeitiger Leistung auch beim Gläubiger untergegangen wäre.253 Wie erwähnt ist die Wirkung der Re248
Vgl. Art. 1302 CC im Hinblick auf Art. 1138 a.E. CC und Art. 103 Abs. 1 OR im Hinblick auf Art. 185 OR. 249 Mit dem Unterschied jedoch, dass nach französischem Recht mit Vertragsschluss bereits das Eigentum an der Kaufsache übergeht, Art. 1138 CC, nach schweizerischem Recht jedoch ausschließlich ein Gefahrübergang stattfindet, vgl. Art. 185 Abs. 1 OR. Vgl. hierzu WESSNER, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 891 (901), Fn. 25: „Le principe en question […] apparaît comme une anomalie du système, puisque en droit suisse, la vente n’est pas translative de propriété.“ 250 Vgl. oben unter Teil 2, Kap. 6, Unterkap. 2. 251 A.a.O. 252 Article 1302 Abs. 1 CC : „Lorsque le corps certain et déterminé qui était l'objet de l'obligation vient à périr […]“ und Abs. 2 „[…] la chose fût également périe chez le créancier […].“ Diesem Prinzip folgen die meisten Rechtsordnungen. Auch der spanische Código civil bestimmt in Art. 1096 Abs. 3, dass der Zufall zu Lasten des Schuldners geht, wenn sich dieser im Verzug mit einer Sachleistung befindet. Art. 1096 Abs. 3 spanCC: „Si el obligado se constituye en mora, o se halla comprometido a entregar una misma cosa a dos o más personas diversas, serán de su cuenta los casos fortuitos hasta que se realice la entrega.“ 253 Art. 1302 Abs. 2 CC: „Lors même que le débiteur est en demeure, et s’il ne s’est pas chargé des cas fortuits, l’obligation est éteinte dans le cas où la chose fût également périe chez le créancier si elle lui eût été livrée. Le débiteur est tenu de prouver le cas fortuit qu’il allègue.“
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gel aufgrund der Besonderheiten des französischen Kaufrechts umso stärker, als dort der Gläubiger der Sachleistung bereits mit Abschluss des Kaufvertrags Sacheigentümer wird und ein Gefahrübergang stattfindet, bevor ihm diese übergeben wird. Dem Schuldner, der mit der Übergabe in Verzug ist, wird das Risiko des Untergangs oder der Verschlechterung der Sache gem. Art. 1138 Abs. 2 CC „rück“übertragen. 254 Nach dem Codice Civile haftet der säumige Schuldner für die Unmöglichkeit der Leistung, selbst wenn er sich auf Zufall oder force majeure berufen könnte.255 Wie nach französischem Recht kann sich der Schuldner gem. Art. 1221 Abs. 1 italCC von der strengen Haftung nur mit dem Nachweis entlasten, dass der Leistungsgegenstand auch bei rechtzeitiger Leistung untergegangen wäre.256 Auch hier geht es um Sachleistungen. Im Gegensatz hierzu präsentiert sich das deutsche Recht wie das niederländische oder das schweizerische schuldnerfreundlicher. Zwar ist § 287 S. 2 BGB weiter gefasst als die entsprechende Vorschrift der bereits genannten Rechte, indem sie während des Verzugs eine Zufallshaftung „wegen der Leistung“ anordnet und damit nicht zwischen Sach- und sonstigen Leistungen unterscheidet.257 Wie die anderen Rechte lässt das BGB dabei die Befreiung des Schuldners zu, wenn er nachweist, dass der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung beim Gläubiger selbst eingetreten wäre. Da über § 286 Abs. 4 BGB der Verzug jedoch verschuldensabhängig gestaltet ist, trifft die Zufallshaftung einen schuldlos säumigen Schuldner von vornherein nicht, denn dieser kann bei fehlendem Verschulden dem Verzug insgesamt und folglich auch der Zufallshaftung entgehen. Ähnlich ist dies auch in der entsprechenden Norm des niederländischen Rechts (Art. 6:84 NBW), das allerdings den Fall des Gläubigerfehlverhaltens systematisch in die Vorschrift integriert: Für jeden Fall der Unmöglichkeit der Leistung nach Verzugseintritt, die nicht dem Gläubiger zuzurechnen ist, hat der Schuldner einzustehen, es sei denn, der Schaden wäre auch bei mangelfreier und rechtzeitiger Leistung an den Gläubiger entstanden.258 Da auch das 254
Article 1138 CC : „L’obligation de livrer la chose est parfaite par le seul consentement des parties contractantes. Elle rend le créancier propriétaire et met la chose à ses risques dès l’instant où elle a dû être livrée, encore que la tradition n’en ait point été faite, à moins que le débiteur ne soit en demeure de la livrer; auquel cas la chose reste aux risques de ce dernier.“ 255 Cass. 19.1.1950, n. 159, Foro it., 1950 I, 794. 256 „[…] che l’oggetto della prestazione sarebbe ugualmente perito presso il creditore.” 257 BT-Drs. 14/6040, S. 148; Palandt/HEINRICHS, § 287 BGB, Rn. 3. 258 Art. 6:84 NBW: „Elke onmogelijkheid van nakoming, ontstaan tijdens verzuim schuldenaar, niet toe rekenen aan schuldeiser, wordt aan schuldenaar toegerekend; deze moet daardoor ontstane schade vergoeden, tenzij schuldeiser schade ook bij behoorlijke, tijdige nakoming zou hebben geleden.” Vgl. auch HARTKAMP/TILLEMA/TER HEIDE, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 179.
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niederländische Recht in Art. 6:81 NBW den Verzug dann verneint, wenn die Verzögerung dem Schuldner nicht zurechenbar ist, ist die Regelung im Ergebnis dem deutschen Recht ähnlich, wobei sich das Kriterium der Zurechenbarkeit nach Art. 6:75 NBW mit dem Haftungsmaßstab der § 286 Abs. 4, 276 BGB nicht vollständig deckt.259 Das schweizerische Obligationenrecht hat die Problematik im Gesetz systematisch interessant gelöst. Es regelt Haftung und Zufallshaftung im Zusammenhang mit der Rechtsfolge des Verzugsschadensersatzes und verankert die Zufallshaftung damit systematisch folgerichtig als Sondernorm zum Haftungsmaßstab. Es setzt zwar im Unterschied zum deutschen Recht keinen subjektiv gestalteten Verzugstatbestand voraus, befreit aber beim Nachweis mangelnden Verschuldens wie das deutsche Recht von jeglicher Haftung im Zusammenhang mit der Verzögerung,260 ohne dass es hierfür einen verschuldensabhängigen Verzug bräuchte. Der schweizerischen Systematik ähnlich ist auch § 1311 Satz 2 ABGB. Das österreichische Recht ist ein Vorzeigebeispiel einer rechtsfolgenorientierten Kodifikation. Hier wird die Zufallshaftung zu einem bloßen Sonderfall der vertraglichen Verschuldenshaftung und ist noch nicht einmal auf den Fall der Leistungsverzögerung beschränkt.261 Hiervon unterscheidet sich das stark auf den Principles fußende estnische Recht. Mangels Verzugstatbestand kennt es auch die Zufallshaftung nicht, sondern wendet im Fall der Leistungsverzögerung wie in allen anderen Leistungsstörungsfällen die strengen allgemeinen vertraglichen Haftungsregeln und den Befreiungsgrund der force majeure an. Eine interessante Kombination sieht das tschechische ObchZ vor. Es folgt ebenfalls einer strengen Haftung, sieht aber gleichwohl eine Notwendigkeit, den säumigen Schuldner bei während des Verzugs eintretenden Schäden am Leistungsobjekt einem noch strengeren Regime zu unterwerfen und ihn auch für Zufall haften zu lassen.262 Auch in Systemen, die einer strengen Vertrags259
Vgl. oben § 2 VI und SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. 117 (122). 260 WESSNER, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 891 (901). 261 § 1311 Satz 2 ABGB: „Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet. Hat aber jemand den Zufall durch ein Verschulden veranlaßt; […] so haftet er für allen Nachteil, welcher außer dem nicht erfolgt wäre.“ Vgl. auch KREICI, Privatrecht, Rn. 428. 262 Für diesen Ansatz gibt es im Übrigen auch interessante Beispiele in außereuropäischen Vertragsrechten wie dem Vertragsgesetz der Volksrepublik China vom 15.3.1999 (in Kraft seit 1.10.1999), das eine Haftungsentlastung wegen force majeure kennt, diese aber im Verzug nicht gelten lässt. So heißt es in § 117 ChinVG: „Kann der Vertrag aufgrund höherer Gewalt nicht erfüllt werden, so wird die Haftung entsprechend der Beeinträchtigung durch höhere Gewalt teilweise oder ganz erlassen, es sei denn, das Gesetz enthält andere Be-
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haftung folgen, kann im Fall der Leistungsverzögerung eine nochmalige Verschärfung der ohnehin schon geringen Befreiungsmöglichkeiten des Schuldners vorgesehen werden. Ob sich ein System hierfür entscheidet, ist eine Wertungsfrage. 2. Zinsanspruch und weitergehender Schaden Beim Zinsanspruch wird die unterschiedliche Konzeption der verschiedenen nationalen Rechte im Hinblick auf die Objektivität oder Subjektivität des Verzugs und das Verständnis der Natur des Verzugszinses deutlich. Sieht man in ihm einen pauschalierten Schadensersatzanspruch, wird er dem Regime der Schadensersatzhaftung unterstellt und das Problem der Verantwortlichkeit relevant. In den meisten Staaten knüpft der Zinsanspruch an einen verschuldensunabhängigen Verzugstatbestand an. Je nach Rechtsordnung kann es sich ferner um einen Fälligkeitszins handeln. Interessant sind vor allem die jeweilige Ausgestaltung des Zinsanspruchs und der vorgesehene Zinssatz. Gemeinsam ist den verschiedenen Rechtsordnungen zwar, dass es sich beim gesetzlichen Zinssatz in der Regel um einen pauschalierten Zins handelt, für den kein Schadensnachweis erforderlich ist. Hinsichtlich der Variabilität des Zinssatzes, der Modalitäten einer Höherverzinsung von Verzugsschulden und des Ersatzes weiterer durch den Zahlungsverzug verursachter Schäden jenseits der Zinsschäden besteht jedoch Uneinigkeit. Die Abwälzung von Kreditzinsen oder der Verlust von Anlagezinsen auf den säumigen Schuldner beschäftigte Rechtsprechung und Gesetzgeber und spielte dort eine wesentliche Rolle, wo die Zinsen auf dem Finanzmarkt von den Verzugszinsen erheblich abwichen. Dieses auch durch bevorzugte Fremdfinanzierung privater Haushalte bedeutend gewordene Problem263 stimmungen. Wenn ein Fall höherer Gewalt eintritt, nachdem eine Partei die Erfüllung verzögert hat, kann die Haftung nicht erlassen werden.“ Dem Gesetz gehen das Wirtschaftsvertragsgesetz vom 13.12.1981 (HEUSER, Wirtschaftsreform und Gesetzgebung in der Volksrepublik China, S. 203 ff.), das Außenwirtschaftsvertragsgesetz vom 21.3.1985 (Bejing Rundschau Nr. 27, 9.7.1985, S. I-IV) und das Technikvertragsgesetz vom 23.6.1987 voraus, die in seit 1993 begonnenen Vorarbeiten zu einem einheitlichen Gesetz zusammengefasst werden sollten. Das aktuelle Gesetz beruht auf einer modifizierten Fassung des vierten seit 1995 vorgelegten Entwurfs. Nicht in das Vertragsgesetz eingearbeitet wurden die sog. Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts vom 12.4.1986, die neben dem Gesetz fortgelten (Chinas Recht III.7, 12.4.86/1). Das Vertragsgesetz hatte sich zugunsten einer strengeren Haftung entschieden, obwohl sein Erstentwurf eine Haftung für vermutetes Verschulden vorsah, weil der Begriff des Vertragsbruchs, der dem Nichterfüllungsrecht des Gesetzes zugrunde liegt, bereits ein Verschulden impliziere und damit kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal sei (vgl. zu den Haftungsgrundsätzen HUIXING, Über den dritten Entwurf des chinesischen einheitlichen Vertraggesetzes, Minshangfa luncong, Nr. 7, S. 728. 263 Vgl. zu den Motiven privater Kreditaufnahme und den ökonomischen Aspekten des Zahlungsverzugs bereits BASEDOW, ZHR 143 (1979), S. 317 (319, 322 f.).
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wurde zwar für den Unternehmensverkehr durch Art. 3 Abs. 1 lit. d der Zahlungsverzugsrichtlinie über einen von einem variablen Bezugszinssatz abhängigen Zins weitgehend gelöst. Im Bereich des reinen Zivilrechts, das teils noch immer auf starren niedrigen Zinssätzen beruht, spielt es jedoch nach wie vor eine Rolle. Nach deutschem Recht weist der Zinsanspruch nach § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB sowohl Elemente eines Bereicherungs-264 als auch eines schadensersatzrechtlichen Anspruchs265 auf und soll zugleich den Schuldner zur pünktlichen Zahlung anhalten und vor einer „Flucht in die Säumnis“ abschrecken. Sie soll im Verhältnis zu einer Fremdfinanzierung nicht die für ihn wirtschaftlich günstigere Alternative darstellen.266 Zumeist wird der Verzugszins aber im Grundsatz als nichts anderes behandelt als ein vom Gesetz vorgesehener, dem Gläubiger zustehender objektiver Mindestschadensersatz, der allerdings weder einen Kausalitätsnachweis erfordert, noch den Gegenbeweis eines tatsächlich geringeren Schadens gestattet.267 Genau betrachtet beruht der Zinsanspruch sogar auf einer zweifachen „Pauschalierung“: Das Gesetz geht von der Existenz eines Zinsschadens aus und legt zugleich die Höhe des Schadens fest. Begründet wird die Regelung auch damit, dass der Schadensbeweis bei Geldschulden insbesondere den Verbrauchern nicht gelingen würde, weil es diesen im Unterschied zum reinen Unternehmensverkehr in der Regel nicht möglich sein wird, einen Zinsschaden durch Vorlage einer Bankbescheinigung nachzuweisen.268 Der gesetzliche Zins ist seit der Schuldrechtsmodernisierung auch bei Verbrauchergeschäften als am Kreditmarkt orientierter variabler Zins konzipiert.269 Dort beträgt er 5% über dem Basiszinssatz,270 bei Unternehmern wurde er wegen Art. 3 Abs. 1 lit. d RiL 2000/35/
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So bereits CRISOLLI, DJZ 1926, S. 167 f. BGH DB 1979, S. 446 (447). 266 Zur präventiven Funktion des Verzugszinses vgl. BASEDOW, ZHR 143 (1979), S. 317 (323 f.). 267 So bereits BGH,DB 1979, 446 (447), wonach § 288 Abs. 1 BGB in seiner damaligen Fassung als gesetzliche Fiktion eines Mindestschadens interpretiert wurde. Allerdings ist die dann eigentlich erforderliche Kausalität des Verzugs für den geltend gemachten Zinsschaden ein problematischer Punkt dieser Konstruktion. 268 Vgl. zur Schadenspauschalierung im weiteren Sinn KNAPP, Das Problem der bewussten Zahlungsverzögerung im inländischen und EU-weiten Handelsverkehr, RabelsZ 63 (1999), S. 295 (311). Siehe auch Palandt/HEINRICHS, § 288 BGB, Rn. 4. 269 Früher betrug der Zins 4%, führte zur Betrachtung des Verzugs als günstigem „Gläubigerkredit“ und verleitete zu Verzugsspekulationen. 270 Gem. § 247 Satz 2 und 3 BGB handelt es sich hierbei in Umsetzung von Art. 3 Abs 1 lit. d der RiL 2000/35/EG um einen veränderlichen Zins, der sich zweimal jährlich an dem Zinssatz für die jüngste Hauptrefinanzierungsoperation der Europäischen Zentralbank vor dem ersten Kalendertag des betreffenden Halbjahres orientiert. 265
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EG271 auf 8% über dem Basiszinssatz festgelegt, um den Anreiz der Schuldner gering zu halten, die Zahlung als Alternative zu höher verzinsten Kreditaufnahmen bewusst zu verzögern.272 Auf den Schadensbeweis wird auch dann verzichtet, wenn der Gläubiger gem. § 288 Abs. 3 BGB höhere Zinsen aus einem anderen Rechtsgrund geltend macht, die den pauschalen Satz des § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB übersteigen. Hier ist der Gläubiger anders als gem. § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB zwar in der Nachweispflicht hinsichtlich der Zinshöhe, die sich jedoch aus gesetzlichen Vorschriften oder vertraglicher Vereinbarung ergibt. Der Zinsanspruch folgt nicht dem allgemeinen Haftungsregime des § 280 BGB, sondern knüpft zunächst nur an den Verzugstatbestand an. Im Ergebnis ergibt sich jedoch aus der Verweisungstechnik der §§ 288 Abs. 1 Satz 1, § 286 Abs. 4 BGB auch beim Zinsanspruch die bereits beschriebene Haftung für vermutetes Verschulden. Der subjektive Verzugstatbestand des deutschen Rechts bewirkt hier zwar ein Sonderregime für den Zinsanspruch, unterwirft ihn jedoch letztlich den Grundsätzen der Vertragshaftung. Die Geltendmachung eines vom Zinsschaden abweichenden weiteren Verzugsschadensersatzes ist gem. § 288 Abs. 4 BGB nach den allgemeinen Grundsätzen über § 280 Abs. 2, § 286 BGB möglich. Der Norm kam früher aufgrund des starren Verzugszinssatzes des § 288 Abs. 1 a.F. eine erhebliche Bedeutung bei der Geltendmachung von verzugsbedingt aufgewendeten Kredit- oder verlorenen Anlagezinsen zu.273 Ihr früherer Wortlaut274 forderte eine Kausalität zwischen Verzug und weitergehendem Zinsschaden, was zu einer erheblichen Ausdehnung des Gesetzestextes durch die Rechtsprechung führte.275 Sie hat aufgrund des variablen Verzugszinssatzes allerdings an Tragweite verloren. Schon der Wortlaut des § 288 Abs. 4 BGB zeigt allerdings, 271
Die Richtlinie 2000/35/EG sieht in Art. 3 Abs. 1 lit. d „mindestens 7 Prozentpunkte“ über dem Bezugszinssatz vor. Die Neufassung der Richtlinie 2011/7/EU erhöhte den gesetzlichen Zins bei Zahlungsverzug in Art. 2 Nr. 6 auf „mindestens 8 Prozentpunkte“ über dem Bezugszinssatz. 272 „[H]igh enough to be dissuasive“, SCHULTE-BRAUCKS/ONGENA, ERPL 4 (2003), S. 519 (528); vgl. zur Kritik an der Zinshöhe nach altem Recht auch MüKo/THODE, 1994, § 288 Rn. 2, 38 m.w.N. und FREITAG, EuZW 1998, S. 559 (560). 273 Vgl. hierzu ROLL, DRiZ 1973, S. 339 (340 ff.) und BASEDOW, ZHR 143 (1979), S. 317 ff. m.w.N. 274 Ursprünglich sprach die Norm von „durch den Verzug entstandenen Schäden.“ 275 Vgl. die früheren Entscheidungen BGH DB 77, 582; BGH 17.4.1978, MDR 1978, 818; 13.6.1978, WM 1978, 1170, bei welchen die Behauptung, der Gläubiger habe in bestimmter Höhe zu verzinsenden Bankkredit in Anspruch genommen, zunächst genügen sollte, wenn der Schuldner nicht widerspricht bzw. die Kausalität des Verzugs für die Kreditaufnahme des Gläubigers und die hieran geknüpften höheren Zinsen sehr großzügig gehandhabt wurde. Vgl. BASEDOW, ZHR 143 (1979), S. 317 (318) zu BGH 17.4.1978, MDR 1978, 818: „Da auch die Beklagten an den Gesamtverbindlichkeiten aller Verzugsschuldner ihren bescheidenen Anteil hätten, sei auch ihr Verzug ‚ein bißchen kausal’ für die Kreditaufnahme […].“
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dass im deutschen Recht erleichterte Voraussetzungen hinsichtlich der Kausalität zwischen dem Verzug und den Anlage- oder Kreditzinsschäden gelten.276 Im Gegensatz hierzu ist bei Systemen, die dem Konzept eines „objektiven“ Verzugs folgen, gerade der Zinsanspruch beim Zahlungsverzug das Musterbeispiel einer verschuldensunabhängigen Verzugshaftung, von der in der Regel keine Entlastung möglich ist, so etwa im schweizerischen oder österreichischen Recht. Anders als in Art. 106 Abs. 1 2. Hs. OR hilft dem Schuldner beim Zinsanspruch gem. Art. 104 OR der Nachweis fehlenden Verschuldens nicht weiter. Die Schweizer Lösung geht auch von einem etwas anderen Charakter des Zinsanspruchs aus: Auch wenn in manchen Rechtsordnungen von einem Zins„schaden“ oder Zinsen als „pauschaliertem Schadensersatz“ die Rede ist,277 versteht man den Zins hier als Rückgewähr einer Nutzung, die der Zahlungsschuldner aus einem länger zur Verfügung stehenden Geldbetrag gezogen hat. Ab Eintritt des Zahlungsverzugs soll diese nicht mehr dem Schuldner, sondern dem Gläubiger zustehen. Der bereicherungsrechtliche Charakter des Zinsanspruchs wird hier deutlicher betont.278 Nach diesem Verständnis spielt es konsequenterweise keine Rolle, ob der Schuldner den Zahlungsverzug zu vertreten hat.279 Mit Bezug auf die Verzugszinsen bestimmten deshalb schon die ersten Entwürfe zum Obligationenrecht, dass es auf die Frage des Verschuldens nicht ankommen solle.280 Nach Art. 104 Abs. 1 OR 276
Es heißt jetzt in § 288 Abs. 1 Satz 1: „Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen.“ Und in Abs 4: „Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.“ 277 Vgl. nur die Formulierung des Code civil in Art. 1153 Abs. 1: „Dans les obligations qui se bornent au paiement d’un certaine somme, les dommages et intérêts résultant du retard dans l’exécution ne consistent jamais que dans les intérêts légaux […] S’il y a dol du débiteur les dommages et intérêts peuvent dépasser les intérêts légaux.[…] “ Siehe auch § 1333 ABGB: „Der Schaden, den der Schuldner seinem Gläubiger durch die Verzögerung der Zahlung einer Geldforderung zugefügt hat, wird durch die gesetzlichen Zinsen (§ 1000 Abs. 1) vergütet.“ 278 Kommentar zum Schweizerischen Zivilrecht/BECKER, Obligationenrecht, Art. 104 Rn. 2. 279 Vgl. den Wortlaut des Art. 102 OR: „(1) Ist eine Verbindlichkeit fällig, so wird der Schuldner durch Mahnung des Gläubigers in Verzug gesetzt. (2) Wurde für die Erfüllung ein bestimmter Verfalltag verabredet, oder ergibt sich ein solcher infolge einer vorbehaltenen und gehörig vorgenommenen Kündigung, so kommt der Schuldner schon mit Ablauf dieses Tages in Verzug.“ Fehlendes Verschulden wirkt gem. Art. 103 Abs. 2 OR als Befreiung von der Haftung nach Art. 103 Abs. 1 OR, schließt jedoch nicht den Verzug aus. Hingegen nimmt es den Schuldner von der Zufallshaftung aus. 280 SCHNEIDER, Das Schweizerische Obligationenrecht, zu Art. 117 OR 1881.
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hat der Schuldner, der mit der Zahlung einer Geldschuld in (objektivem) Verzug ist, Verzugszinsen (5%) zu zahlen, auch wenn er den Verzug nicht zu vertreten hat oder die vertragsmäßigen Zinsen geringer sind. Auch hier sind sowohl Existenz als auch Höhe des Schadens in der gesetzlichen Mindesthöhe von 5% weder nachzuweisen noch widerlegbar. Allerdings bleibt es dem Gläubiger wie in § 288 Abs. 3 BGB gem. Art. 104 Abs. 2 OR unbenommen, bei Parteivereinbarung oder Verabredung einer höheren Bankprovision einen höheren Zins zu verlangen. Im kaufmännischen Verkehr war das OR jedoch historisch im Verhältnis zum starren Zins des § 352 des deutschen HGB a.F. vorbildhaft und regelt einen variablen Zinsfuß, der sich am Bankdiskontsatz orientiert.281 Hinsichtlich des weitergehenden Schadensersatzes gem. Art. 106 Abs. 1 OR gelten zum deutschen Recht keine Besonderheiten: Sowohl der Verlust von Anlagezinsen als auch ein durch Geldentwertung entstandener Schaden kann geltend gemacht werden, sofern sich der Schuldner nicht wegen mangelndem Verschulden entlasten kann.282 Der Anspruch auf weitergehenden Schaden ist auch in der Schweiz dem allgemeinen vertraglichen Haftungsmaßstab für vermutetes Verschulden unterworfen. Die Entlastungsmöglichkeit des Art. 106 Abs. 1 OR wird allerdings in der Lehre kritisiert.283 Nach österreichischem Recht war bereits in der früheren Fassung der Zinsvorschriften ein verschuldensunabhängiger Zinsanspruch vorgesehen, von welchem nur im Fall eines Leistungsverweigerungsrechts des Schuldners Ausnahmen gestattet waren.284 § 1333 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 1334 ABGB regeln, teils in Umsetzung der Richtlinie 2000/35/EG,285 den Zinsanspruch und § 1333 Abs. 3 ABGB den Anspruch auf weiteren Schadensersatz. Wie § 1334 und § 1333 Abs. 1 ABGB zeigen, soll der Schuldner durch die gesetzlichen Zinsen seinem Gläubiger den Schaden vergüten, den er ihm durch die verzögerte Erfüllung seiner Geldforderung zugefügt hat, ohne dass es hierbei auf ein Verschulden ankäme.286 Das österreichische Recht sieht im Zinsanspruch einerseits einen Ersatz für den Nachteil, der dem Gläubiger entstand, weil er die geschuldete Summe aufgrund der Säumnis des Schuldners nicht zinsbringend anlegen konnte. Zum anderen soll die Bereicherung des Schuldners abgeschöpft werden, die er durch die längere Verfügbarkeit des Geldes
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BGE 116 II, 140; J.T. 1991, I, 166. Das Bundesgericht stellt auf den Diskontsatz, nicht den Kontokorrentsatz ab. 282 BGE 123 III, 241; J.T. 1998, I, 290; BGE 109 II, 436; J.T. 1984, I, 194. 283 ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, insb. S. 694. 284 SCHAUER, in HARRER/PORTMANN/ZÄCH, Festschrift Honsell, S. 261 (274). 285 Zinsenrechts-Änderungsgesetz (ZinsRÄG), öBGBl. I Nr. 118/2002, 9.8.2002. 286 Eine andere Ansicht vertritt hingegen GRAF, JBl. 1990, S. 350, 356, der den Zinsanspruch als Schadensersatzanspruch auffasst und diesen dem allgemeinen Haftungsmaßstab unterstellen will.
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und das Ersparen einer Kreditaufnahme erlangt hat.287 Gem. § 1334 ABGB fällt eine Verzögerung dem Schuldner allein dadurch zur Last, dass er den vereinbarten oder gesetzlich bestimmten Zahlungstag nicht einhielt oder sich nicht nach dem Tag der gerichtlichen oder außergerichtlichen Einmahnung mit dem Gläubiger abgefunden hat. Da § 1333 Abs. 1 ABGB über § 1334 Satz 1 bis 3 ABGB nicht wie das deutsche Recht auf den „Verzug“, sondern auf die Fälligkeit einer Entgeltforderung abstellt, charakterisiert sich der österreichische Zinsanspruch nicht nur als ein verschuldensunabhängiger Anspruch, sondern gewährt zudem wie Art. 9:508 Abs. 1 Hs. 1 PECL einen Fälligkeitszins.288 Der Zinssatz ist außerhalb des Unternehmensverkehrs gem. § 1333 Abs. 1, § 1000 Abs. 1 ABGB eine feste unveränderliche Größe und beträgt 4% jährlich.289 Die Norm bezweckt nicht nur Beweiserleichterungen für den Gläubiger, sondern zugleich den Schutz des Schuldners vor unvorhersehbaren Säumnisfolgen.290 Anders ist dies aufgrund des Art. 3 Abs. 1 lit. d der RiL 2000/35/EG bei der Verzögerung der Zahlung von Geldforderungen „zwischen Unternehmern aus unternehmerischen Geschäften“. Dort beträgt die Zinshöhe gem. § 352 UGB (vormals § 1333 Abs. 2 ABGB)291 8% über dem Basiszinssatz. Im Unterschied zu § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB ist der Zinsfuß außerhalb der Unternehmensgeschäfte nach österreichischem Recht unflexibel und relativ niedrig, so dass das eingangs erörterte Problem des höheren Zinsschadens in einer den gesetzlichen Zinssatz übersteigender Höhe im österreichischen Recht bedeutsamer ist. § 1333 Abs. 3 ABGB gestattet dem Gläubiger zwar, den Ersatz anderer, vom Schuldner verschuldeter und ihm erwachsener Schäden geltend zu machen, wie etwa die notwendigen Kosten zweckentsprechender außergerichtlicher Betreibungs- oder Einbringungsmaßnahmen, soweit diese in einem angemessenen Verhältnis zur betriebenen Forderung stehen. Zudem kann der Gläubiger über die allgemeinere Norm des § 918 Abs. 1 ABGB Verzögerungsschadensersatz verlangen. Hier287
KREICI, Privatrecht, Rn. 389. Zum bereicherungsrechtlichen Charakter des Zinsanspruchs bereits WILBURG, JherJB 82 (1932), S. 147 ff. 288 Vgl. auch KINDLER, Gesetzliche Zinsansprüche im Zivil- und Handelsrecht, S. 88 f.; Rummel/REISCHAUER, Kommentar zum ABGB II, §§ 1175 bis 1502 ABGB. 289 Vgl. § 2 des Gesetzes (RGBl. 1868/62) in der Fassung gem. Art. 14, 4. EVHGB; KREICI, Privatrecht, Rn. 389a. 290 Vgl. hierzu die Argumentation in OGH 8.3.1923, SZ 5/53, S. 151. 291 Der vormalige § 1333 Abs. 2 wurde durch das ZinsRÄG (BGBl. I 118/2002) eingeführt. Zum 1.1.2007 wurde die Vorschrift durch das Handelsrechts-Änderungsgesetz (BGBl. I 2005/120) als § 352 UGB in das neue Unternehmensgesetzbuch eingegliedert, das das österreichische HGB ersetzt. Er lautet: „Bei der Verzögerung der Zahlung von Geldforderungen zwischen Unternehmern aus unternehmensbezogenen Geschäften beträgt der gesetzliche Zinssatz acht Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Dabei ist der Basiszinssatz, der am letzten Kalendertag eines Halbjahres gilt, für das nächste Halbjahr maßgebend.“
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bei handelt es sich jedoch ausdrücklich um einen Schadensersatzanspruch wegen verzögerungsbedingter Schäden, der nicht nur den Nachweis eines höheren Schadens und die Kausalität der Verzögerung für diesen Schaden voraussetzt, sondern auch ein Verschulden des Schuldners. Zudem ist gem. § 1324 Satz 1 Hs. 1 und 2 ABGB der Schadensersatzumfang vom Verschuldensgrad des Schuldners abhängig: grundsätzlich kann der Gläubiger nur im Fall „böser Absicht“ oder „auffallender Sorglosigkeit“ volle Genugtuung einschließlich des entgangenen Gewinns verlangen, in den übrigen Fällen aber nur die „eigentliche Schadloshaltung“, d.h. den Ersatz des positiven Schadens ohne den entgangenen Gewinn. In diesem Zusammenhang war noch unter Geltung des § 1333 ABGB a.F.292 lange Zeit umstritten, inwieweit ein über den gesetzlichen pauschalen Zinsanspruch hinausgehender Anspruch auf Ersatz eines Kreditzinsschadens als ein infolge des Verzugs entstandener Schaden betrachtet werden konnte293 und ob dieser als entgangener Gewinn zu werten sei, der nur bei groben Verschulden des Schuldners ersatzfähig ist.294 Teils kam es hier zu seltsamen Ergebnissen, da die Rechtsprechung zwischen Kredit- und Anlagezinsen unterschied und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erzielende Anlagezinsen teils in einer unsystematischen Weise295 als positiver Schaden gewertet wurden, um auch bei leichter Fahrlässigkeit des Schuldners zu einer Ersatzfähigkeit zu kommen.296 Zinsbelastungen durch Kredite sollten hingegen nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Zahlungsschuldners ersetzbar sein.297 Teils wurde jedoch selbst bei Anerkennung des Zinsschadens als positiver Schaden dessen Ersatzfähigkeit bei nur leichter Fahrlässigkeit des Schuldners in der Höhe auf den gesetzlichen Zins beschränkt.298 In der Rechtsprechung des OGH wird jedoch 292
§ 1333 ABGB a.F.: „Der Schade, welchen der Schuldner seinem Gläubiger durch Verzögerung der bedungenen Zahlung des schuldigen Kapitals zugefügt hat, wird durch die von dem Gesetze bestimmten Zinsen vergütet.“ 293 Zur Geschichte des Ersatzes von die gesetzlichen Verzugszinsen übersteigenden Zinsen vgl. OGH, 8.3.1923, SZ 5/53, S. 135 ff. und zur Rechtsprechungsänderung OGH, 24.3.1998, 1 Ob 315/97y, JBl. 1998, 312 ff. und OGH, 27.1.1999, 3 Ob 225/98d, JBl. 1999, 470. Vorher wurden Kreditkostenschäden nicht einheitlich als Verzugsschaden bewertet, sondern als vom Verzug unabhängig angesehen, vgl. OGH 2 Ob 254/71, 12.5.1972, JBl. 1973, 85 (86 f.). 294 Streitig war, ob Kreditzinsschäden als entgangener Gewinn zu werten und damit nur bei grobem Verschulden des Schuldners ersatzfähig sind, oder als positiver Schaden gem. § 1324 Abs. 1 Hs. 2 ABGB; vgl. hierzu PAHLKE, ERPL 4 (2000), S. 689 (699) unter Berufung auf OGH, 9.7.1992, 7 Ob 583/92, JBl. 1993, 394 (395 f.) und OGH, 13.10.1994, 8 Ob 14/94, JBl. 1995, 248 und die dortigen Nachweise. 295 Rummel/REISCHAUER, Kommentar zum ABGB II, §§ 1175 bis 1502 ABGB, § 1293 Rn. 12. 296 OGH, 13.10.1994, 8 Ob 14/94, JBl. 1995, 248. 297 OGH, 8.3.1923, SZ 5/53, S. 135 ff. 298 Unter Berufung des Ausnahmecharakters des § 1333 ABGB in seiner damaligen Fassung gegenüber der Grundsatzregel des § 1324 Satz 1 Hs. 2 ABGB und seinen Zweck des
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bereits seit Ende der neunziger Jahre der Ersatz eines den Verzugszins übersteigenden Kreditzinsschadens als positiver Schaden bejaht und einer nach dem Verschuldensgrad abgestuften Haftung in diesen Fällen eine Absage erteilt.299 Durch § 1333 Abs. 3 ABGB lässt sich die generelle Ersatzfähigkeit von den gesetzlichen Verzugszins übersteigenden Zinsen jedenfalls aus einer Norm ableiten, was im französischen Rechtskreis noch immer nicht der Fall ist. Das französische Recht regelt wie das belgische300 den Schadensersatz wegen Verletzung einer Zahlungspflicht („dommages et intérêts résultant du retard“) im bereits genannten Art. 1153 CC, der sich nach französischem Recht im Grundsatz stets auf einen Zinsanspruch beschränkt.301 Allerdings gilt dieser in der Regel nur im Fall der Verzögerung einer dette de somme, nicht einer dette de valeur, d.h. für bezifferte oder bezifferbare Geldschulden, nicht jedoch für Schadensersatzansprüche, die sich in Form einer Restitutionsforderung, nicht aber einer Kompensationsforderung präsentieren. Bei letzteren sind aufgrund des Grundsatzes der Totalreparation verzögerungsbedingte Nachteile nicht über das Sonderregime der Verzugszinsen, sondern in Frankreich über Art. 1153-1 CC, in Belgien über das Schadensersatzrecht auszugleichen,302 allerdings nach ähnlichen Grundsätzen.303 Der Zinsanspruch ist seiner Rechtsnatur nach ein pauschalierter Schadensersatzanspruch304, der gem. Art. 1153 Abs. 2 CC wie im deutschen und schweizerischen Recht prinzipiell einen Schadensnachweis entbehrlich macht. Dies begründet jedoch zugleich seine strikte Begrenzung auf eine Zinszahlung: „Puisque l’indemnité Schuldnerschutzes vor unvorhersehbaren Säumnisfolgen: OGH 8.3.1923, SZ 5/53, S. 148 (151); OGH, 13.10.1994, 8 OB 14/94, JBl. 1995, 248 (249); PAHLKE, ERPL 4 (2000), S. 689 (702). 299 OGH, 24.3.1998, 1 Ob 315/97, JBl. 1998, 319 und OGH, 27.1.1999, 3 Ob 225/98d, JBl. 1999, 470 (471). 300 Loi du 1.5.1913, M.B. 2./3.5.1913 S. 2929 und Loi du 23.11.1998 modifiant le Code civil en ce qui concerne la clause pénale et les intérêts moratoires, M.B. 13.1.1999, S. 901. DURANT/VERHEYDEN-JEANMART, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 307 (334 ff.). 301 Die Formulierung des Art. 1153 CC wird in Art. 1381 des Projet Catala modernisiert: „L’indemnisation du préjudice résultant du retard dans le paiement d’une somme d’argent consiste en une condamnation aux intérêts au taux légal.“ 302 Vgl. zur Unterscheidung aus der belgischen Literatur: DE TEMMERMANN, T.P.R. 1999, 1284-1305 und Cass. 28.9.1995, Bull. 1995, n° 405 sowie Cass. 7.2.1997, Bull. 1997, n° 70: „[…] les intérêts compensatoires font partie intégrante de l’indemnité allouée en réparation d’un dommage causé par faute“. 303 Hier wird gleichwohl kein Beweis der Schadenshöhe gefordert, sondern vermutet, dass der Gläubiger einen Schaden in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes erlitten hat. DE TEMMERMANN, ERPL 4 (2000), S. 689 (712 f.). 304 LE TOURNEAU, Droit de la responsabilité et des contrats, D. act. 2004/2005, n° 2454; CARBONNIER, Droit civil, Les obligations, S. 316, n° 168.
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est indépendante de l’existence prouvée d’un dommage, son chiffre doit de même être indépendant de l’étendue exacte de ce dommage.“305 Als Grund für die Regelung wird angeführt, dass die Schadensberechnung in der Praxis zu erheblichen Problemen führen würde und Rechtssicherheit für den Schuldner geschaffen werden müsse, der die verschiedenen Anlage- oder Kreditmöglichkeiten nicht vorhersehen könne.306 Der Zinsanspruch folgt dem Regime der responsabilité contractuelle.307 Da die französische Vertragshaftung im Grundsatz objektiviert ausgestaltet ist, deutet bereits das Vorliegen des Zahlungsverzugs auf eine Haftung hin.308 Der Anspruch ist jedoch nach den allgemeinen Grundsätzen im Fall der force majeure oder bei einem Fehlverhalten des Gläubigers ausgeschlossen.309 Gem. Art. 1153 Abs. 3 CC setzt er die formalisierte mise en demeure des Schuldners einer bestimmten oder bestimmbaren Geldforderung310 voraus, außer das Gesetz sieht ausnahmsweise etwas anderes vor. Die Bestimmung der Zinshöhe überantwortete der französische Gesetzgeber der Regierung, welcher per Rechtsverordnungsverfahren eine schnelle Reaktion auf Zinsniveauschwankungen ermöglicht werden sollte. 311 Die Pauschalierung des Zinsanspruchs in Art. 1153 CC wird jedoch häufig als unzureichende Lösung betrachtet, zumal der Code civil keine zufriedenstellende Regelung zum Ersatz von über den gesetzlichen Zins hinausgehenden Zinsschäden enthält, sondern der Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung das Verzugszinsrecht dominiert.312 Art. 1153 CC ermöglicht in seinem Abs. 4 den Ersatz eines über den Zinsschaden nach Art. 1153 Abs. 1 CC hinausgehenden Schadens nur dann, wenn dies gesetzlich oder vertraglich ausdrücklich vorgesehen wurde oder wenn dem Schuldner bei der Schadensverwirklichung mauvaise foi vorgeworfen werden kann.313 Der Anspruch beschränkt sich auf eine Sanktion eines verwerflichen Schuldnerverhaltens und weicht vom allgemeinen Haftungsregime ab,314 was die praktische Bedeutung 305
PLANIOL/RIPERT, Traité pratique de droit civil français VII, n° 878. DAVID, Les intérêts de sommes d’argent, n° 110. 307 FLOUR/AUBERT/FLOUR/SAVAUX, Le rapport d’obligation, n° 144. 308 „L’allocation d’intérêts moratoires suppose l’existence d’une faute caractérisée par le défaut d’exécution ponctuelle“, GREAU, Recherche sur les intérêts moratoires, n° 104. 309 COLIN/CAPITANT, Cours élémentaire de droit civil français III, S. 102. 310 Cass. civ. 1re, 2.4.1974, D. 1974, S. 473, Cass. civ. 2e, 18.11.1970, D. 1971, S. 567. 311 Zu den Vor- und Nachteilen starrer und diskontsatzorientierter gesetzlicher Zinssätze und Zinsanpassungsmechanismen durch Delegation der Zinssatzfestsetzung an die Exekutive siehe BASEDOW, ZHR 143 (1979), S. 317 ff., zu letzteren insb. S. 329 f. 312 Zum belgischen Recht siehe DE PAGE, Traité élémentaire de droit civil belge III, n° 140, S. 173. 313 CARBONNIER, Les Obligations, S. 326, n° 174: Dies erfordert zumindest das Bewusstsein, dass dem anderen ein besonderer Schaden zugefügt wird. Der belgische Code civil spricht hier von dol. 314 GRÉAU, Recherche sur les intérêts moratoires, n° 85. 306
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des Anspruchs auf einige wenige Hypothesen beschränkt.315 Zudem spricht er von einem Schaden „indépendant de ce retard“, d.h. an sich gerade von nicht auf dem Verzug beruhenden Schäden. Wollte man Kreditzinsschäden unter diese Regelung subsumieren, wäre dies im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen, die diese gerade als verzugsbedingte Schäden betrachten, reichlich verwirrend. Verstanden wird die Norm aber im Sinn von „über den gesetzlichen Verzugszins hinausgehenden“, d.h. den gesetzlich für alle Gläubiger anerkannten Minimalschaden übersteigenden Schäden. 316 An der Regelung des Art. 1153 Abs. 4 CC, die hierdurch noch strenger und unflexibler ist als das österreichische Recht, wird zu Recht kritisiert, dass sie in der Praxis keine zufriedenstellenden Lösungsmöglichkeiten biete: Sie führe zu einem Ungleichgewicht zwischen den Parteien, da der (Sach-)Leistungsschuldner stets einem auf réparation intégrale gerichteten Schadensersatzanspruch ausgesetzt sei, die Haftung des Zahlungsschuldners hingegen in den meisten Fällen auf den gesetzlichen Verzugszins beschränkt sei, wenngleich der eigentliche Schaden darüber hinausgehe.317 Der tatsächliche Zinsschaden sei zudem teils sehr einfach nachweisbar und der Schuldner vor ihm unvorhersehbaren Zinsschäden seines Gläubigers bereits über Art. 1150 CC geschützt, der die vertragliche Haftung auf den vorhersehbaren Schaden beschränke.318 Die Lösung in Art. 1153 Abs. 4 CC soll sich allerdings durch Art. 1381 des Projet Catala ändern. Dort heißt es in Abs. 3: „Le créancier auquel son débiteur en retard a causé un préjudice supplémentaire, peut obtenir des dommages-intérêts distincts des intérêts moratoires de la créance.“ Dem Gläubiger soll also bei Zahlungsverzug künftig ein dem allgemeinen Regime der vertraglichen Schadensersatzhaftung unterstellter Anspruch auf über den gesetzlichen Verzugszins hinausgehende Schäden offenstehen, eine Regelung, die das französische Recht dem Modell des schweizerischen oder deutschen Rechts anpasst. In der Gesamtbetrachtung kommt die geplante französische Lösung insbesondere im Hinblick auf das Verschuldenserfordernis beim Zinsanspruch dem deutschen Recht nahe, da auch dort im Ergebnis für jeden in § 288 BGB normierten Anspruch entweder über § 288 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2, Abs. 2 beziehungsweise 3 und § 286 Abs. 4 oder § 288 Abs. 4 i.V.m. 286 Abs. 4 BGB eine Haftung für vermutetes Verschulden greift. 315
Vgl. hierzu auch Cass. civ. 1re, 28.6.2005, Bull. I, n° 277. Zur traditionell weiten Auslegung der Vorschrift: Cass. civ. 1re, 9.12.1970, Bull. Civ. I, n° 325; Die Norm folgt dem allgemeinen Prinzip, dass eine Pauschalierung und Deckelung von Schäden dort nicht gerechtfertigt ist, wo die faute qualifiée des Schuldners eine strenge Beachtung des Äquivalenzprinzips verlangt. 316 Cass. soc., 21.1.2004, n° 01-46.231. 317 GREAU, Recherche sur les intérêts moratoires, n° 67. 318 Vgl. zum Argument der Vorhersehbarkeit DAVID, Les intérêts des sommes d’argent, n° 110 und GRÉAU, a.a.O., n° 25.
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Nach italienischem Recht unterliegt der Geldschuldner ab Verzugseintritt gem. Art. 1224 Abs. 1 Satz 1 italCC ebenfalls ohne jeglichen Schadensbeweis einer Verzugszinspflicht. Die Zinsen dienen als Ersatz der wegen des Verzugs fehlenden Verfügbarkeit der geschuldeten Geldsumme für den Gläubiger.319 Die Zinshöhe bestimmt Art. 1284 italCC. Der Zinsanspruch knüpft zwar prinzipiell an einen objektiven Begriff des Verzugs, da Art. 1219 italCC den Verzugseintritt nicht ausdrücklich von einem Verschulden der Säumnis abhängig macht. Auch der Zinsanspruch ist jedoch dann ausgeschlossen, wenn der Schuldner seine Geldleistung aus Gründen verzögert hat, die ihm nicht zur Last gelegt werden können. Gleiches gilt für einen Anspruch auf Ersatz höherer vertraglich vereinbarter Zinsen, der sich nach italienischem Recht ausdrücklich aus Art. 1224 Abs. 1 Satz 2 italCC ergibt und ebenso für einen Anspruch auf Ersatz eines weiteren Schadens gem. Art. 1124 Abs. 2 italCC.320 Der Ersatz höherer Zinsen nach Art. 1224 Abs. 1 Satz 2 italCC muss auf einer beiderseitigen Einigung über den Zins beruhen und macht dann eine Berufung auf weiteren Schaden i.S.d. Art. 1224 Abs. 2 italCC obsolet.321 Der Ersatz des weiteren Schadens wurde in Abweichung vom ursprünglichen französischen Modell322 in den Codice Civile von 1942 aufgenommen. Auch die italienische Rechtsprechung ist im Hinblick auf den Ersatz weiterer Schäden teils relativ uneinheitlich. So wurde einerseits behauptet, es müsse sich um einen Schaden handeln, der den gesetzlichen Zinsschaden übersteige und im Sinn des französischen Art. 1153 Abs. 4 CC „indépendant du retard“ sein,323 andererseits aber lediglich gefordert, es müsse sich um einen über den gesetzlichen Zinsschaden hinausgehenden Schaden handeln.324 Vom Schadensbeweis gibt es im Rahmen des Art. 1224 Abs. 2 italCC keinen Dispens, allerdings kann zum Nachweis des Schadens zusätzlich auf Erfahrungssätze zurückgegriffen werden, wobei der Beweis besonders vorteilhafter Geldanlagen streng gehandhabt wird.325 Die Richtlinie 2000/35/EG wurde nicht wie in Deutschland zur Grundlage des zivilrechtlichen Zinsanspruchs, sondern bleibt auf Handels319
„[H]anno funzione risarcitoria, rappresentando il ristoro, in misura forfettariamente predeterminata, della mancata disponibilità della somma dovuta”, Cass. 18.2.2000, n. 1834. 320 Cass., 5.4.1999, n. 2803; PESCATORE/RUPERTO, Codice Civile I, Art. 1224, Rn. 1. 321 Cass., 5.11.1991, n. 11757 und Cass., 21.6.2001, n. 8481. 322 Art. 1231 italCC von 1865. 323 So spricht Cass., 8.11.1974, n. 3423, Giust. Civ. 1975, I, 1380 von „[…] uno specifico fatto, generatore dei maggiori danni, diverso dall’inadempimento del debitore, e della misura di essi.” 324 Insb. Cass., 21.3.1997, n. 2516. 325 Cass. Sez. Un., 4.7.1979, n. 3776, Giust. Civ., 1979 I, 1546; Cass., 4.11.1987, n. 8087, Giur. It. 1988, I, 1, 1172. Die zuvor in Cass., 30.11.1978, n. 5670, Giust. Civ. 1978, I, 1909, Giur. It., 1979, I, 1, 972 vertretene Ansicht einer automatischen Anerkennung einer Geldentwertung ohne Nachweis des Gläubigers ging zu weit und wich einer differenzierten Betrachtung.
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geschäfte beschränkt.326 Allerdings fällt in der Umsetzung der Richtlinie der Kontrast zu § 288 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 286 Abs. 4 BGB auf: Ausgenommen ist der Zinsanspruch bei Handelsgeschäften dann, wenn die Zahlungsverzögerung von einer dem Schuldner nicht „aufzuerlegenden“ („a lui non imputabile“) Leistungsunmöglichkeit herrührt.327 Der Gesetzestext folgt damit den allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsgrundsätzen, die in Italien abweichend vom deutschen Haftungsmaßstab eine strengere Haftung vorsehen. Auch im spanischen Recht besteht der Schadensersatzanspruch des Gläubigers wegen einer Zahlungsverzögerung ausschließlich in einer Zinspflicht in Höhe des gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten Zinssatzes, die gem. Art. 1108 spanCC ebenfalls an einen objektiven Verzugstatbestand anknüpft.328 Dass auch im Zusammenhang mit dem Zinsanspruch von „indemnización de los daños y perjuicios“ die Rede ist, führt zwar zur Anwendung des allgemeinen schadensersatzrechtlichen Haftungsmaßstabs auf den Zinsanspruch. Im spanischen Recht ist jedoch gem. Art. 1101 spanCC ausdrücklich vorgesehen, dass der Schuldner den Schaden zu ersetzen hat, der durch „dolo, negligencia o morosidad“ entsteht. Das objektive Vorliegen des Verzugs reicht für das Entstehen des Zinsanspruchs aus. Das tschechische Recht ist nicht nur ein Beispiel für einen objektiven Zinsanspruch, sondern auch für ein durch Richtlinienrecht zusätzlich erschwertes Nebeneinander verschiedener Zinssysteme: Der Gläubiger hat bei Verzug seines Zahlungsschuldners gem. § 369 Abs. 1 ObchZ, § 517 Abs. 2 ObčZ prinzipiell einen Anspruch auf Zahlung vertraglich vereinbarter oder gesetzlicher Verzugszinsen. Wie § 519 Satz 1 ObčZ zeigt, der das Recht des Gläubigers auf Ersatz des Verzugsschadens unberührt lässt, ist dieser Anspruch unabhängig von den Ansprüchen auf Verzugsschadensersatz und den schadensersatzrechtlichen Normen im Allgemeinen. Er knüpft allein an den Eintritt des objektiven Verzugs. Im ObčZ gilt allerdings eine Besonderheit: Verzugszinsen können nur verlangt werden, wenn der Schuldner nicht bereits zur Zahlung einer gesetzlichen Verzugsgebühr (poplatek z prodlení) verpflichtet ist. Die Verzugsgebühr ist eine im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen vor allem im Mietrecht oder bei Verträgen mit öffentlichen Versorgungsträgern relevante Alternative zum Verzugszins. Sie kann entweder wie bei Verzögerung der Mietzinszahlung oder 326
Art. 1 Abs. 1 des Decreto Legislativo 9.10.2002, n. 231, Attuazione della direttiva 2000/35/EG relativa alla lotta contro i ritardi di pagamento nelle transazioni commerciali, GURI n. 249, 23.10.2002. 327 „[i]l ritardo […] è stato determinato dall’impossibilità della prestazione derivante da causa a lui non imputablile“. 328 Art. 1108 spanCC: „Si la obligación consistiere en el pago de una cantidad de dinero, y el deudor incurriere en mora, la indemnización de daños y perjuicios, no habiendo pacto en contrario, consistirá en el pago de los intereses convenidos, y a falta de convenio, en el interés legal.“
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der verspäteten Rückgabe der Mietsache gesetzlich vorgesehen sein (§§ 697, 723 Abs. 1 Satz 2 ObčZ) oder vertraglich vereinbart werden. Die Höhe des Zinssatzes richtet sich nach der vertraglichen Parteiabrede oder dem Gesetz. Gem. §§ 369 Abs. 1 ObchZ und 517 Abs. 2 Hs. 2 ObčZ bestimmt die Regierungsverordnung 163/2005 Sb. die Zinshöhe. Es gilt ein an Art. 3 Abs. 1 lit. d Satz 2 RiL 2000/35/EG angepasster, variabler, am Bezugszinssatz der tschechischen Nationalbank orientierter Zinssatz.329 Die Höhe der ursprünglich relativ niedrigen Verzugsgebühr wurde durch die VO 163/2005 Sb. mit dem Verzugszins gleichgestellt und orientiert sich ebenfalls am Bezugszinssatz der tschechischen Nationalbank.330 Unter dem ObchZ gibt es allerdings hinsichtlich des Beginns der Zinspflicht seit der Umsetzung der Zahlungsverzugsrichtlinie 2000/35/EG einige Modifikationen. Die Umsetzung erfolgte in Tschechien in § 369a ObchZ, der ziemlich wortgetreu Art. 3 Abs. 1 lit. a, b und c der Richtlinie übernimmt. Allerdings wurde er neben die gesetzlichen Vorschriften der §§ 365 ff. ObchZ gestellt.331 Hierdurch ergaben sich einige Inkohärenzen.332 § 369a ObchZ ist 329
Nařišení vlády 163/2005 Sb. kterým se mění nařízení vlády č 142/1994 Sb., kterým se stanoví výsě úroků z prodlení a poplatku z prodlení podle občanského zákoníku (Regierungsverordnung 162/2005 zur Änderung der Änderungsverordnung 142/2000, die die Höhe der Verzugszinsen und der Verzugsgebühr gem. dem Bürgerlichen Gesetzbuch festlegt). 330 A.a.O. 331 § 369a ObZ lautet (Übersetzung des Autors): „(1) In Bezug auf Tätigkeiten zwischen Unternehmern oder zwischen Unternehmen und öffentlich-rechtlichen Körperschaften oder Unternehmen und staatlich unterstützen Organisationen, deren Gegenstand die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen ist, entsteht dem Gläubiger das Recht auf die in bürgerlichen Rechtsvorschriften geregelten Verzugszinsen (§ 369) ab dem Tag, der auf den für die Geldleistung vertraglich festgelegten Fälligkeitstermin oder den Ablauf der vertraglich vereinbarten Frist folgt, sofern die in Abs. 3 festgelegten Bedingungen erfüllt sind. (2) Wenn ein Tag oder eine Frist für die Fälligkeit der Geldleistung nicht bestimmt sind, entsteht das Recht auf Verzugszinsen, ohne dass eine Aufforderung zur Leistung notwendig ist a) mit Ablauf von 30 Tagen von dem Tag an, an dem der Schuldner die Rechnung oder eine gleichwertige Zahlungsaufforderung erhielt, b) wenn der Tag des Rechnungserhalts oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung nicht bestimmbar ist, mit Ablauf von 30 Tagen ab Erhalt der Ware oder Dienstleistung, c) wenn der Schuldner die Rechnung oder gleichwertige Zahlungsaufforderung früher erhalten hat als die Ware oder Dienstleistung, mit Ablauf von 30 Tagen nach Erhalt der Ware oder Dienstleistung, oder d) wenn kraft Gesetzes oder im Vertrag die Abnahme oder Kontrolle der Ware auf ihre Vertragsmäßigkeit vorgesehen sind und wenn der Schuldner die Rechnung oder gleichwertige Zahlungsaufforderung vor oder bei Entgegennahme oder vor oder nach Prüfung der Vertragsmäßigkeit erhalten hat, nach Ablauf von 30 Tagen nach dem späteren Datum. (3) Der Gläubiger hat das Recht Verzugszinsen zu verlangen, aber nur in dem Maß, in dem er seine gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen erfüllte, und wenn er den Betrag
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zudem im Zusammenhang mit § 365 und 370 ObchZ zu lesen: Gem. § 365 tritt der Schuldnerverzug dann ein, wenn der Schuldner objektiv seine vertragliche Verpflichtung nicht ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt; er bleibt hingegen aus, wenn der Schuldner diese infolge eines Gläubigerverzugs nicht erfüllen kann. Der Gläubigerverzug setzt gem. § 370 ObchZ voraus, dass der Gläubiger entweder die Leistung des Schuldners nicht annimmt oder eine zur Erfüllung der Schuldnerverpflichtung notwendige Mitwirkung verweigert. Nun kann aber der Fall eintreten, dass der Gläubiger zwar ihm obliegende vertragliche Pflichten nicht erfüllt, diese Pflichten aber unterhalb der Schwelle der Voraussetzungen des Gläubigerverzugs liegen, also eine Vertragsuntreue darstellen, die aber den Schuldner nicht an der Erfüllung seiner eigenen Verbindlichkeit hindert. In dieser Konstellation liegt zwar eine Pflichtverletzung vor, aber kein Gläubigerverzug, der den Eintritt des Schuldnerverzugs hindern könnte. Hat der Gläubiger dann seine Verpflichtungen i.S.d. § 369a Abs. 3 ObchZ erfüllt oder nicht? Und ist der Schuldner dann uneingeschränkt zur
nicht zum Fälligkeitszeitpunkt erhalten hat, außer der Schuldner ist nicht verantwortlich für den Verzug. (4) Eine von den Absätzen 2 und 3 abweichende Vereinbarung und eine Vereinbarung über die Höhe der Verzugszinsen, die von der in bürgerlich-rechtlichen Rechtsvorschriften (§ 369) festgelegten Höhe abweicht, die auch hinsichtlich der konkreten Umstände des Falles, der etablierten Praxis zwischen den Parteien und den Handelsbräuchen offenkundig gegenüber dem Gläubiger missbräuchlich ist, ist unwirksam. Wenn das Gericht feststellt, dass die Vereinbarung nach Satz 1 missbräuchlich ist und es keinen sachlichen Grund für die vertragliche Abweichung von der gesetzlichen Regelung in Abs. 2 und 3 oder für die abweichende Vereinbarung der Zinshöhe gibt, sind die Absätze 2 und 3 sowie die in den bürgerlichrechtlichen Rechtsvorschriften festgelegten allgemeinen Regeln über die Zinshöhe anzuwenden; das Recht auf Schadensersatz gem. § 369 Abs. 2 bleibt unberührt. (5) Eine juristische Person, die mit dem Ziel gegründet wurde, die Belange mittelständischer und kleiner Unternehmen zu schützen, kann eine Klage wegen offenkundigen Missbrauchs der für den allgemeinen Gebrauch festgelegten Vertragsbedingungen im Sinn des Abs. 4 einreichen und im Verfahren als Partei auftreten.“ 332 § 369a Abs. 3 ObchZ bestimmt, dass der Gläubiger das Recht auf Verzugszinsen nur „in dem Maße“ hat, in dem er seine eigenen gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen erfüllt hat und wenn er den Betrag nicht zum Fälligkeitszeitpunkt erhalten hat, „außer der Schuldner ist nicht verantwortlich für den Verzug“. Damit setzt die Vorschrift zwar relativ wortgetreu Art. 3 Abs. 1 lit. c i) und ii) der RiL 2000/35/EG um, § 369a Abs. 3 ObchZ enthält aber im Hinblick auf die Systematik der tschechischen Verzugsregeln im ObchZ zwei problematische Formulierungen: In der Richtlinie wird die Formulierung „in dem Maße“ nicht gebraucht; in Art. 3 Abs. 1 c) heißt es, dass der Gläubiger berechtigt ist, bei Zahlungsverzug Zinsen „insoweit“ geltend zu machen, als er seine vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt hat. Die Formulierung der Richtlinie soll die eigene Vertragstreue des Gläubigers als konstituierendes Merkmal für den Verzugszinsanspruch festschreiben. Das tschechische Recht könnte hingegen im Sinn einer teilweisen Kürzung des Zinsanspruchs im Maße der Gläubigermitverantwortlichkeit missverstanden werden.
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Zinszahlung verpflichtet oder nur eingeschränkt in dem Maße, in dem der Gläubiger seine Pflichten erfüllt hat? Die zweite in der Auslegung problematische Formulierung ist der Halbsatz „außer der Schuldner ist nicht verantwortlich für den Verzug“. Diese auf Art. 3 Abs. 1 lit. c ii) RiL 2000/35/ EG beruhende Ausnahme von der Haftung kann (wie auch die Richtlinie selbst) im Lichte des objektiven Verzugskonzepts in § 365 ObchZ missverstanden werden. Für die Haftung wegen Verzugsschäden gelten die allgemeinen schadensersatzrechtlichen Vorschriften der §§ 373 ff ObchZ, die eine strenge Haftung normieren, von der sich der Schuldner gem. § 374 Abs. 1 ObchZ grundsätzlich nur im Fall einer tschechischen Version der force majeure entlasten kann. II. Leistungsverzögerungen und Nichterfüllungssanktionen Die eigentlich klassischen Rechtsfolgen des „Verzugs“ im technischen Sinn wurden erörtert. Was die weiteren möglichen Rechtsfolgen anbelangt, müsste man, um systematisch präzise zu sein, eigentlich den Erfüllungsanspruch und den Anspruch auf Verzögerungsschadensersatz als typische Rechtsfolgen einer Verzögerung der Leistung von den Nichterfüllungsfolgen wie Rücktritt und Ersatz des Nichterfüllungsschadens trennen, die Folge einer inexécution définitive et irrévocable sein können. Diese Trennung findet sich in der Gesetzessystematik vieler Kodifikationen.333 Allerdings ist es der Gegenüberstellung mit den europäischen Modellen und der Klarheit dienlicher, die Besonderheiten des Verzögerungsschadensersatzes denen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung beziehungsweise „statt der Leistung“ direkt gegenüberzustellen und die Notwendigkeit dieser Trennung zu erörtern, die in den Principles und dem DCFR gerade aufgegeben wurde. 1. Garantie- und Verschuldenshaftung Eine zentrale Rolle im Rahmen der Rechtsfolgen einer Verzögerung der Leistung spielt der Haftungsmaßstab. Nationale Rechte sehen entweder eine Verschuldenshaftung des säumigen Schuldners oder eine Garantiehaftung vor, die mit Entlastungstatbeständen kombiniert wird. Die Details der nationalen Regelungen weichen hingegen relativ stark voneinander ab. Vorreiter des Prinzips der strict liability sind die common law-Länder.334 Die vertragliche Haftung entwickelte sich im englischen Recht im 15./16. Jahrhundert als action of assumpsit aus einer Abart der deliktischen action of trespass, der für Sonderfälle geschaffenen action on the case. Am Anfang der 333
So z.B. in § 280 Abs. 1, 2, § 286 f., und §§ 281, 323 BGB, in § 918 und § 920 ABGB sowie in Art. 103, 107 Abs. 3 OR. 334 ZIMMERMANN, JZ 1995, S. 477 (480); ZWEIGERT/KÖTZ, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 503 ff.
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Vertragsklage stand die Deliktsklage, am Anfang der vertraglichen Haftung des angloamerikanischen Rechtskreis also ein als deliktisch eingeordnetes Fehlverhalten eines Vertragspartners. Die action of assumpsit sanktionierte eine zunächst sachbezogene Schädigung ähnlich einer misfeasance und betraf ursprünglich Fälle, in welchen der Schuldner bestimmte Berufsqualifikation aufwies, diesen jedoch bei den von ihn durchgeführten Handlungen nicht genügte.335 Man ging davon aus, dass er der Pflicht unterlag, kraft seines Gewerbes vorgenommene Handlungen so vorzunehmen,336 wie man dies in dem jeweiligen Gewerbe tat, andernfalls haftete er. Der Haftungsgrund lag hier jedoch zunächst nicht in einer Nichterfüllung nach heutigem Verständnis. Der Schuldner haftete, weil sein Verhalten nicht dem entsprach, was von ihm in seiner Position erwartet werden konnte und hierdurch der Gegenpartei ein Schaden entstand. Weder der Begriff des Vertrags noch vertragliche Pflichten standen damals in der Diskussion. Auch der Gedanke der bindenden Wirkung von Verträgen war dem common law wie zunächst auch dem römischen Recht fremd. Problematisch war daher zunächst die Einordnung der Nichtleistung, denn eine deliktsnahe misfeasance fehlte hier. Man griff aber relativ schnell auf die action of assumpsit zurück,337 die auf Nicht- und Schlechtleistungsfälle erweitert wurde,338 und aus dem Grundsatz „ex nudo pacto actio non oritur“ entstand die Idee von der Parteivereinbarung als Grundlage vertraglicher Haftung und von der bindenden Wirkung des Vertragsversprechens.339 So konnte die Haftung unter anderem bei einem Unternehmer bejaht werden, der die Fertigstellung eines Gebäudes bis zu einem bestimmten Zeitpunkt versprach und den Termin verstreichen ließ, ohne dass der Gläubiger die versprochene Leistung erhielt. Allerdings war das Verständnis der Parteivereinbarung in England anders als im kontinentalen Raum weniger auf das Element des Vertrages oder Konsenses der Parteien gerichtet, als auf die promise jeder einzelnen Partei, also auf die eigene Verpflichtungserklärung.340 Die Betonung liegt aus diesem Grund auch weniger auf der zwischen den Parteien getroffenen Absprache als in der einseitigen Risikoübernahme oder dem Garantieversprechen durch die leistende Partei.341 Diese Entwicklung vermag die strenge und objektive Haftung des englischen Vertragsrechts und die Zentrierung auf den Schadensersatz zu erklären: Die Rechtsfolge des Schadens335
BUCHER, ZVglRWiss 105 (2006), S. 164 (189). Vgl. Bukton v. Tounesende, (1348) B.&M. 358 und Waldon v. Mareschal, (1369) B.&M. 359. 337 Entscheidend war der Slade’s Case, 4 Co. Rep.: „Every contract executory imports in itself an assumpsit.“ 338 ZWEIGERT/KÖTZ, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 183. 339 CONSTANTINESCO, Inexécution et faute contractuelle, S. 113. 340 BEALE/BISHOP/FURMSTON, Contract – Cases and Materials, S. 3: „Contract law is most obviously the law relating to agreements or promises.“ 341 CONSTANTINESCO, Inexécution et faute contractuelle, S. 118. 336
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ersatzes scheint die einzig passende Folge einer ursprünglich im Delikt wurzelnden Haftung und sie alleine wurde in der action of assumpsit eingeklagt, nicht die Leistung als solche.342 Denknotwendig kann in diesem System der Erfüllungsanspruch kaum einen Platz finden.343 So entstand schließlich das heutige Konzept des breach of promise344 oder breach of contract als Haftungsgrund, der in aller Regel ebenso zum Schadensersatz führt. Zudem baut das common law insbesondere seit dem 18./19.Jahrhundert auf den Erfahrungen des Handels auf, der um praktische Problemlösung bemüht war. Dort galt: Ein Engagement ist ein Engagement. Will man sich nicht verpflichten, muss man keines eingehen. „It does not matter whether the failure to fulfil the contract by the seller is because he is indifferent or wilfully negligent or just unfortunate. It does not matter what the reason is. What matters is the fact of performance. Has he performed or not?“345 Aufgeweicht wurde diese Strenge des common law allerdings im Fall der frustration.346 Dem scheint das kontinentaleuropäische Recht mit seinem kanonisch geprägten und stärker moralisch-philosophischen347 Zurechnungskriterium des Verschuldens348 diametral entgegengesetzt zu sein. Allerdings zeichnet sich in jüngerer Zeit in den kontinentaleuropäischen Rechten ein Bedeutungswandel des Verschuldensprinzips ab.349 Das deutsche Recht ist hierfür ein illustratives Beispiel. Bezugspunkt der Schadensersatzpflicht war traditionell nicht die Leistungsstörung oder der Schaden des Gläubigers, sondern das Verschulden des Schuldners.350 Nur wenn dessen Schuld bejaht werden konnte, sollten ihn die Folgen des entstandenen Schadens treffen. Wenn das Verschulden den eigentlichen Haftungsgrund darstellt, verwundert es auch weniger, dass in § 276 BGB a.F. ursprünglich eine Anspruchsgrundlage für die vertraglichen Haftung hineingelesen wurde,351 denn welche Norm könnte entscheidender für die Schadens-
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„[E]in im Deliktsrecht wurzelndes Remedium“, BUCHER, ZVglRWIss 105 (2006), S. 164 (186). 343 Zur Durchsetzung des Erfüllungsanspruchs verhalf bei anderen als Geldleistungen ursprünglich nur die action of convenant. 344 BEALE/BISHOP/FURMSTON, Contract – Cases and Materials, S. 518 ff. 345 Nicolene Ltd v Simmonds, [1953] I Q.B. 543 (C.A.). 346 Vgl. näher TREITEL, The Law of Contract, S. 920 ff. 347 Vgl. DRAETTA/LAKE/NANDA, Breach and adaptation of international contracts: an introduction to Lex Mercatoria, S. 33 f.; EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution, S. 99. CANARIS räumt dem Verschuldensprinzip dementsprechend auch die „höhere rechtsethische Überzeugungskraft“ ein, CANARIS, JZ 2001, S. 499 (506). 348 Vgl. z.B. das niederländische, spanische oder portugiesische Recht. 349 Vgl. hierzu bereits ZIMMERMANN, JZ 1995, S. 477 (481). 350 VON JHERING, Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, S. 40. 351 RG, 13.6.1902, RGZ 52 18 (19); RG, 9.7.1907, RGZ 66, 289 (291); RG, 29.11.1922, RGZ 106, 22 (25); daraus, dass der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten habe,
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ersatzpflicht sein, als diejenige, die den Bezugspunkt der Haftung näher definiert. Diese aufgrund der fehlenden Rechtsfolgenanordnung im Wortlaut des § 276 BGB a.F. im Folgenden weitgehend abgelehnte Interpretation der Norm als Verankerung einer allgemeinen culpa-Haftung352 lässt sich zudem mittels historischer Auslegung der Haftungsvorschriften des BGB a.F. erklären. Ursprünglich sahen die Gesetzesentwürfe zum BGB tatsächlich eine allgemeine Anspruchsgrundlage für vorsätzliche und fahrlässige Nichterfüllung vor.353 Da man sich bei einer derart allgemein formulierten Haftungsanordnung jedoch am Begriff der Nichterfüllung stieß, wurde diese Regelung als Spezialregelung des Schadensersatzes „wegen Nichterfüllung“ mit den Elementen verknüpft, die spezifizierten, wann eine Verbindlichkeit als nicht erfüllt galt (Unmöglichkeit, Verzug und vertragstypenrechtliches Gewährleistungsrecht) und an systematisch anderer Stelle geregelt. Hierdurch sollte die allgemeine culpa-Haftung aber nicht in Frage gestellt werden.354 Die zentrale Rolle des Verschuldens bei der Haftung lässt sich so in der Gesetzgebungsund Rechtsprechungsgeschichte nachzeichnen. Die Rolle des Verschuldens relativiert sich jedoch dort, wo es mit einem eigenständigen objektiven Haftungsgrund der Pflichtverletzung koexistiert.355 Dieses Nebeneinander wurde durch die Einführung des Einheitstatbestands der Pflichtverletzung im BGB nun auch im geschriebenen Recht deutlich. Die eigenständige Bedeutung des Verschuldens neben diesem zentralen Begriff des vertraglichen Haftungsrechts zeichnete sich jedoch bereits in der dogmatischen Entwicklung der Figur der positiven Vertragsverletzung ab, die für die Entwicklung des einheitlichen Pflichtverletzungstatbestands ein maßgeblicher Wegbereiter war.356 Da die schadensersatzrechtlichen Anspruchsgrundlagen im Unmöglichkeits- und Verzugsrecht des BGB a.F. verankert waren und § 276 BGB nur nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts als allgemeiner Haftungsnorm Bedeutung zukam, wurde die Tragweite der Vorschrift auf die Rolle des Haftungsmaßstabs zur Ausfüllung schadensersatzrechtlicher Anspruchsgrundlagen reduziert. Die Lücke in den Anspruchsgrundlagen wurde bekanntlich
folge auch seine Schadensersatzpflicht bei Vertragsverletzung. So auch HUBER, Leistungsstörungen, § 3 II 3; STOLL, AcP 136 (1932), S. 257 (283 f.). 352 Wortlaut und Gesetzessystematik des § 276 a.F. sprachen jedoch eindeutig gegen diese Auffassung, vgl. zuerst BGH, 13.11.1953, BGHZ 11, 80 (83). 353 § 224 Abs. 1 BGB-Entwurf, Mot. II, 27. 354 HUBER, Leistungsstörungen, § 3 II 3d; EMMERICH, Das Recht der Leistungsstörungen, § 16 Rn. 44, § 20 IV; WESTHELLE, Nichterfüllung und positive Vertragsverletzung, S. 15 f. 355 SCHNEIDER, Abkehr vom Verschuldensprinzip?, S. 51. 356 Abschlussbericht der Schuldrechtskommission, 30; vgl. hierzu MAYERHÖFER, Die Integration der positiven Forderungsverletzung in das BGB, MDR 2002, S. 549. Eine detaillierte Analyse der Rolle der Positiven Forderungsverletzung für die Relativierung des Verschuldensprinzips unternimmt SCHNEIDER, Abkehr vom Verschuldensprinzip?, insb. S. 54 ff.
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durch die Figur der positiven Vertragsverletzung geschlossen.357 Sie beruhte auf der Erwägung, dass alle Fälle von Vertragsverletzungen, die im BGB nicht geregelt wurden, über die Zuordnung oder Analogie zu einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage zu lösen seien.358 Der Schuldner habe für sie ebenso einzustehen wie für Unmöglichkeit oder Verzug. Im Ergebnis sollten die Rechtsfolgen der gesetzlich normierten Leistungsstörungen zur Anwendung gelangen. In ihren Tatbeständen wurde die spezifisch geregelte Vertragsverletzung durch einen allgemeinen Pflichtverletzungstatbestand ersetzt, den der Schuldner i.V.m. § 276 BGB subjektiv zu vertreten haben musste. Diese Lösung war praktikabler, weil sie auch andere Rechtsfolgen als den Schadensersatz zu begründen vermochte.359 Diese Zweigliedrigkeit im Tatbestand setzte sich auch bei der gesetzlichen Verankerung der pVV im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung durch.360 Damit schreibt das neue kodifizierte Recht zugleich den Bedeutungsverlust des Verschuldens als Haftungsgrund fest. Der Einfluss einheitsrechtlicher Modelle auf die Neufassung des BGB war hingegen nicht stark genug, um auch die Frage des Haftungsmaßstabs zu beeinflussen und die Betonung noch mehr auf den objektiven Pflichtverletzungstatbestand zu verschieben. Gleichwohl zeigt sich aber, dass die Rolle des Verschuldensprinzips als Haftungsmaßstab schwindet. Der neue § 276 BGB lockert den gesetzlichen Haftungsmaßstab, indem er zwar Vorsatz und Fahrlässigkeit als Verschuldenselemente fordert, den Parteien jedoch gestattet, ihr Vertragsverhältnis insbesondere durch Zusicherungen oder Garantieübernahmen einer strengeren Haftung zu unterwerfen oder eine mildere Haftung zu vereinbaren. Abweichungen vom gesetzlichen Haftungsmaßstab können sich auch aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses ergeben, so typischerweise aus der Übernahme eines Beschaffungsrisikos bei Vereinbarung einer Gattungsschuld.361 § 276 BGB n.F. enthält einen im Vergleich zum früheren Recht objektivierten Verschuldensmaßstab, der insbesondere bei Geschäften mit Gattungswaren zu einer strengen Haftung führt. Zudem normiert die Generalklausel des vertraglichen Schadensersatzrechts in Abmilderung des Basisprinzips der Verschuldenshaftung eine Einstandspflicht für vermutetes Verschulden, was aufgrund der Darlegungs- und Beweislastverteilung zu Lasten des Schuldners einer Garantiehaftung sehr viel näher kommt. Gem. 357
WERTHEIMER/ESCHBACH, JuS 1997, S. 605 (606). Zu der von STAUB geprägten Lehre vgl. STAUB, Die positiven Vertragsverletzungen. 359 Über §§ 325 oder 326 BGB a.F. war auch der Rücktritt begründbar. 360 Hierzu im Einzelnen SCHNEIDER, S. 54 ff. insb. S. 56. 361 § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB: „[…] wenn eine strengere […] Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist“, HUBER/RIEHM, Schuldrechtsmodernisierung, S. 74; SCHLECHTRIEM, ZEuP 1993, S. 217 (229); VOLLKOMMER, in DAUNER-LIEB/KONZEN/SCHMIDT, Das neue Schuldrecht in der Praxis, S. 126 ff.; zu den Einzelheiten MüKo/GRUNDMANN, § 276 BGB, Rn. 173 ff. 358
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§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB haftet der Schuldner für seine Pflichtverletzung nur dann nicht, wenn er diese nicht zu vertreten hat, also den Entlastungsbeweis führen kann, was ihm nicht immer leicht fallen dürfte. Im Fall des non liquet bleibt es bei der Schuldnerhaftung. Über § 280 Abs. 2 i.V.m. § 286 oder § 280 Abs. 3 i.V.m. § 281 BGB gilt dies für den Verzögerungs- wie den Nichterfüllungsschaden. Noch deutlicher wird die Nähe zur strengen Haftung in § 311a Abs. 2 BGB, der den Fall eines Leistungshindernisses bei Vertragsschluss betrifft. Die Norm regelt nun einheitlich das nach altem Recht umstrittene „Sonder“problem der anfänglichen objektiven362 und subjektiven363 Unmöglichkeit. Der Schuldner wird zwar im Fall eines bereits bei Vertragsschluss vorliegenden Leistungshindernisses gem. § 311a Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht frei, der Wirksamkeit des Vertrages steht dieses Hindernis jedoch nicht entgegen. Der Vertrag selbst reduziert sich jedoch einzig darauf, einen Rahmen für eine Sekundärhaftung ohne primäre Vertragspflichten zu bilden.364 Diese Sekundärhaftung regelt § 311a Abs. 2 BGB in einer vom System der §§ 280 ff. BGB abweichenden Sondervorschrift, die nicht als der Vertragsverletzungshaftung im eigentlichen Sinn zugehörig betrachtet wird, sondern als vorvertragliche Haftung sui generis.365 Sie ordnet allerdings in ihrem Satz 1 den §§ 280 ff. BGB entsprechende Rechtsfolgen an: Verletzt der Schuldner sein Leistungsversprechen, trifft ihn keine auf das negative Interesse beschränkte Haftung wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten, sondern die volle Haftung auf das positive Interesse.366 Dass der Rechtsrahmen für die schadensersatzrechtliche Behandlung anfänglicher und nachträglicher Leistungshindernisse weitgehend parallel strukturiert ist, zeigt auch der Verweis in § 311a Abs. 2 Satz 3 BGB auf § 281 Abs. 1 Satz 2 und 3 und Abs. 5. Völlig anders geregelt ist indessen der Bezugspunkt der Haftung: Anders als in § 280 Abs. 1 Satz 2, § 276 BGB kann sich der Schuldner im Fall anfänglicher Leistungshindernisse nur dann von seiner Einstandspflicht befreien, wenn er das Leistungshindernis nicht kannte und nicht deshalb, weil er es nicht verschuldet hat.367 Maßstab der Schuldnerhaftung wird die Kenntnis 362
Im alten Recht ging die Nichtigkeit des Vertrages gem. § 306 BGB a.F. mit der Folge einer Haftung auf das negative Interesse in § 307 BGB a.F. einher. Zur Kritik dieser Regelung als unsachgemäß bereits RABEL, Unmöglichkeit der Leistung, Gesammelte Aufsätze I, S. 1. 363 Nach früherer hM wurde bei subjektiver Unmöglichkeit eine Garantiehaftung des Schuldners für sein Leistungsversprechen angenommen. Zur Kritik an dieser weitreichenden Haftung siehe WAGNER, JZ 1998, S. 482 (492). 364 CANARIS, JZ 2001, S. 499 (500). 365 CANARIS, in LORENZ, Festschrift Heldrich, S. 11 (22 ff.). 366 CANARIS, JZ 2001, S. 499 (507). 367 Die Anspruchsgrundlagen sind unterschiedlich konzipiert - entgegen teilweiser Annahme eines Gleichlaufs beider Normen durch die Kommentarliteratur, so etwa Palandt/GRÜNEBERG, § 311a BGB, Rn. 2: „Die […] Haftung knüpft zwar an unterschiedliche Normen (§ 311a oder 280 I) an, beide beruhen aber auf dem Verschuldensprinzip und führen zu
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oder Unkenntnis des Leistungshindernisses. Vorwerfbar ist ihm auch die Kenntnis eines Leistungshindernisses, das er selbst nicht verursacht hat und das von ihm nicht beherrschbar war.368 § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB bildet trotz seiner systematisch unglücklichen Stellung eine Sonderregelung zum Verschuldensprinzip des § 276 BGB.369 Zu § 311a Abs. 2 BGB wird vertreten, dass der Norm ein verallgemeinerungsfähiges Potential innewohne.370 Freilich betrifft sie anfängliche Leistungshindernisse und nicht den Bereich der Nichterfüllung und Schlechterfüllung im eigentlich klassischen Sinn, die der deutsche Gesetzgeber als eine getrennte Materie betrachtet, hinsichtlich welcher er sich bewusst für die Beibehaltung des Verschuldensprinzips entschieden hat.371 Angesichts des erklärten Ziels der Schaffung eines Einheitstatbestands der Pflichtverletzung und der bewusst konzipierten weitgehenden strukturellen Parallelität in den Rechtsfolgen der §§ 280 ff. und § 311a Abs. 2 BGB für anfängliche wie nachträgliche Leistungshindernisse372 ist dieser Dualismus im Haftungsmaßstab jedoch durchaus fragwürdig, der Gesetzessystematik abträglich und scheint dem übergeordneten gesetzgeberischen Ziel zuwiderzulaufen. Wenn der Gesetzgeber ausdrücklich einen Gleichlauf anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit und eine weitgehende Nivellierung der Behandlung unterschiedlicher Arten von Leistungsstörungen wünschte,373 drängt sich die Frage geradezu auf, weshalb nicht die vorwerfbare Unkenntnis anfänglicher wie nachträglicher Unmöglichkeit und in einem weiteren Schritt jeglicher Pflichtverletzung haftungsbegründend sein soll. § 311a Abs. 2 Satz 2 BGB nähert sich stark dem Konzept der Garantiehaftung und der alleinigen Entlastung des Schuldners im Falle nicht beherrschbarer und nicht vorhersehbarer Leistungshindernisse an.374 Der Grundgedanke des § 311a Abs. 2 BGB könnte zu einem allgemeinen Bezugspunkt für die vertragliche Haftung identischen Ergebnissen. In der Regel kann es offen bleiben, ob § 311a Abs. 2 oder § 280 Abs. 1 die maßgebende Norm ist.“ Vgl. auch Erman/KINDL, § 311a BGB, Rn. 1. 368 GRUNDMANN, AcP (204) 2004, S. 569 (582). 369 Die Regelung fände einen besseren Platz in § 276 BGB. Zwar wird § 311a Abs. 2 BGB als Haftungsnorm für vorvertragliche Pflichtverletzungen eigener Art betrachtet, so dass man für ihre Verankerung in Abschnitt 3 Titel 1 des BGB unter dieser Prämisse eine Berechtigung finden mag. Jedoch ist die Norm bei der Begründung von Verträgen falsch angesiedelt, denn die anfängliche Unmöglichkeit führt gerade nicht wie die Vorgängervorschrift des § 307 BGB a.F. zu einer Haftung in Höhe des negativen Interesses, sondern zu einer vertraglichen Haftung. 370 GRUNDMANN, AcP (204) 2004, S. 569 (582 ff.). 371 § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Grundsatzentscheidung zugunsten des Verschuldensprinzips erfolgte, da es als aus Gerechtigkeitsgründen überlegener Haftungsmaßstab angesehen wurde, vgl. Abschlussbericht der Schuldrechtskommission, S. 123; CANARIS, JZ 2001, S. 499 (518). 372 Vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 165. 373 A.a.O. 374 Siehe etwa Art. 79 CISG.
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werden, der auch auf die Erfüllungsverzögerung, auf nachträgliche Leistungshindernisse und Schlechtleistungsfälle anwendbar ist.375 Dies würde zu einer den Vertragsrechtsmodellen der CISG, UPICC, PECL und DCFR vergleichbaren Lösung führen.376 Man kann also bereits im deutschen Recht selbst Argumente für eine vertragliche Garantiehaftung im Stil der PECL finden. Zugunsten einer strengen Vertragshaftung lassen sich weitere Beispiele aus anderen nationalen Rechten anführen. Das schweizerische Recht sieht bereits seit 1886 vor, dass der Schuldner im Fall der Nichterfüllung haftet, ohne dass das Schadensersatzverlangen des Gläubigers von einem seinerseits zu erbringenden Beweis des Schuldnerverschuldens abhängen soll. Ähnlich wie in § 280 BGB n.F. kann sich der Schuldner gem. Art. 97 Abs. 1 OR von seiner Haftung nur befreien, indem er den Nachweis führt, dass er die fehlende Erfüllungsmöglichkeit nicht verschuldet hat.377 Allerdings heißt es aus der Praxis, dass ihm dies nur gelingen könne, wenn sein Verhalten „die Folge eines Zufalls oder vielleicht gar eines Verschuldens des Gläubigers selbst ist.“378 Die Nähe zur Haftungsentlastung bei nicht vorhersehbarem Zufall oder nicht zurechenbarem Drittverschulden wird aus diesem Zitat besonders deutlich. Fehlendes Verschulden werde selten vorgetragen379 und wirke „praktisch fast nie“ entlastend,380 zumal auch im schweizerischen Recht ein objektivierter Fahrlässigkeitmaßstab gilt.381 Als im Ergebnis ähnlich erweist sich die Situation im österreichischen Recht. Dort ist das Verschuldensprinzip relativ stark ausgeprägt:382 Zwar gilt im Rahmen der vertraglichen Nichterfüllungshaftung nicht § 1296 ABGB, der 375
GRUNDMANN, AcP 204 (2004), S. 569 (580 ff.). „Der Schuldner wäre an sein Versprechen gebunden, es sei denn, ein Leistungshindernis war nicht nur für ihn nicht beherrschbar, sondern auch nicht vorhersehbar“, GRUNDMANN, AcP 204 (2004), S. 569 (583). 377 Basler Kommentar/WIEGAND, OR I, Art. 97 Rn. 42; JONES/SCHECHTRIEM, in Int. Encycl. Comp.L., VII-15, Contracts in General, Breach of Contract, Rn. 203, 235 ff. 378 SCHNEIDER, Das Schweizerische Obligationenrecht, zu Art. 110 OR 1881. 379 THÉVENOZ, Commentaire Romand, Art. 97, N. 58; WIEGAND, Basler Kommentar zum Obligationenrecht, Art. 97, N. 43 m.w.N. 380 „La jurisprudence, depuis longtemps, n’admet la preuve disculpatoire que très restrictivement“, WESSNER, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 891 (901); konkret zum Verzug auch BGE 41 II, 245. Vgl. hierzu die Untersuchung von ROUILLER, Les règles non codifiées du droit des obligations et les Principes européens des contrats, S. 676 sowie BGE 113 II 246, c. 7; 115 II 474 c. 2d; 119 II 456, c. 3b; 128 III 22, c. 2c; 124 III 155, c. 3b. 381 BGE 116 Ia 162 ff., 169 f. Berner Kommentar/WEBER, Art. 99, Rn. 35 ff.; HUGUENIN, Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Rn. 636. 382 Zudem kennt das ABGB verschiedene Verschuldensmaßstäbe, die allerdings erst bei der Bemessung des Schadensumfangs eine Rolle spielen. Nur bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz wird voller Schadensersatz einschließlich des entgangenen Gewinns („volle Genugtuung“) gewährt, ansonsten kann nur „eigentliche Schadloshaltung“ verlangt werden. 376
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den Verschuldensbeweis prinzipiell den Geschädigten führen lässt, sondern § 1298 ABGB, der demjenigen die Beweislast auferlegt, der vorgibt, dass er an der Erfüllung seiner vertragsmäßigen oder gesetzlichen Verbindlichkeit ohne sein Verschulden verhindert worden sei. Allerdings war lange Zeit umstritten, ob die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB nur für den Fall der leichten Fahrlässigkeit gilt.383 Zu Recht soll die Norm aufgrund ihres eindeutigen Wortlautes nach überwiegender Ansicht nun ohne Differenzierung für alle Verschuldensformen anwendbar sein.384 Allerdings ist der Beweis fehlenden Verschuldens „in der Praxis sehr schwer“.385 Das niederländische Recht folgt einem ähnlichen Ansatz wie das deutsche und schweizerische Recht und lässt den Schuldner für eine tekortkoming haften – „unless the failure cannot be imputed to the debtor“ – eine Formulierung, die § 280 Abs. § Satz 2 BGB entspricht. Auch die Art. 6:75-77 NBW, die den Haftungsmaßstab regeln, sind den §§ 276 ff BGB vergleichbar, gehen aber insoweit darüber hinaus, als „statute“, „contract“ oder „social values“ dem Schuldner eine strengere Haftung als die Verschuldenshaftung auferlegen können.386 Das ungarische Zivilgesetzbuch gestaltete die vertragliche und außervertragliche Haftung in der Generalklausel des § 339 ZGB parallel, löste selbst Verjährungsfragen weitgehend einheitlich und räumt daher der Unterscheidung nach dem Haftungsgrund geringere Relevanz ein. Es wird sich im Zuge der derzeitigen Zivilrechtsreform in eine Haftung für vermutetes Verschulden im Deliktsfall und eine Haftung für Vertragsverletzungen nach dem Modell der CISG auflösen, für die sich der Schuldner wie in Art. 79 CISG entlasten können soll. Als Grund wird, wie auch in anderen nationalen Rechten, angeführt, dass sich die Parteien im Fall einer Vertragsbeziehung in eine von ihnen intendierte und kalkulierbare Beziehung zueinander begeben.387 Parallel hierzu soll der Grundsatz der Haftung auf den vorhersehbaren Schaden wie in Art. 74 S. 2 CISG eingeführt werden. Das litauische Recht folgt einem eher ungewöhnlichen Ansatz, denn es geht in 6.256 Abs. 2 litZGB zwar von einer Haftung für vermutetes Verschulden aus, macht allerdings dann den Schritt zur strengen Haftung mit Entlastungsmöglichkeit im Fall der force majeure, wenn ein Unternehmer einen Vertrag nicht erfüllt. 383
So OGH, 8 Ob 14/94, JBl. 1995, 248 (249) m.w.N. OGH, 3 Ob 225/98d, JBl. 1999, 470 (471), JBl. 1999 470 (471); KOZIOL/WELSER, Grundriss des bürgerlichen Rechts I, S. 452. 385 KREICI, Privatrecht, Rn. 428. 386 Vgl. bereits oben unter § 2 VI. 387 Siehe zum einheitlichen Haftungskonzept des ungarischen Zivilrechts EÖRSI, Das ungarische Zivilgesetzbuch in fünf Studien, S. 286 ff. und zu den Reformvorschlägen VÉKÁS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. 209 (215 f.). 384
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Etwas weiter geht noch das estnische Recht, das grundsätzlich in Anlehnung an die europäischen und internationalen Prinzipienkataloge einer allgemeinen Garantiehaftung folgt und nur in gesetzlichen Ausnahmefällen eine Verschuldenshaftung vorsieht.388 Der Schuldner hat für seine Pflichtverletzungen grundsätzlich einzustehen und wird von seiner Einstandspflicht gem. Art. 103 Abs. 1 oder Abs. 2 Satz 2 des estnischen Schuldrechtsgesetzes nur im Fall der force majeure entlastet.389 Der estnische Gesetzgeber entschied sich in bewusster Abkehr von dem unter der früheren Rechtslage geltenden Verschuldensprinzip für die Lösung der Principles und behielt letzteres gem. § 104 estSRG nur in gesetzlich bezeichneten Ausnahmefällen bei.390 In Italien sieht Art. 1218 italCC vor, dass der Schuldner, der die geschuldete Leistung nicht wie vertraglich vereinbart erbringt, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen hat, wenn er nicht nachweist, dass die Nichterfüllung oder die Verspätung durch eine ihm nicht zurechenbare Leistungsunmöglichkeit („impossibilità derivante da causa a lui non imputabile“) entstanden ist. Die Formulierung des Art. 1218 italCC gab Anlass zu Kontroversen über die Natur der italienischen Vertragshaftung, die zum einen als Verschuldenshaftung, zum anderen als strikte Haftung verstanden wurde. Der Wortlaut des Art. 1218 italCC steht in einem gewissen Kontrast zu Art. 1176 italCC, der als Sorgfaltsmaßstab die „diligenza del buon padre di famiglia“ nennt. Teils wird Art. 1218 italCC im Licht des Art. 1176 italCC gelesen und dahingehend ausgelegt, dass sich der Schuldner nicht im Sinn eines buon padre di famiglia gerierte. Aus Art. 1218 italCC resultiere daher eine Haftung für (vermutetes) Verschulden.391 Der Nachweis fehlenden Verschuldens soll jedoch den Nachweis erfordern, dass dem Schuldner die Nichterfüllung in keinem Fall zurechenbar sein kann.392 Er hat also nachzuweisen, dass äußere Faktoren vorliegen, die nicht deswegen eingetreten sind, weil der Schuldner die nötige Sorgfalt vermissen ließ und die auch unter Anwendung 388
§§ 103 und 104 estSRG. Die force majeure-Definition des estnischen Rechts knüpft an Umstände, die der Schuldner nicht beeinflussen konnte und bei denen nach dem Grundsatz der Angemessenheit nicht von ihm erwartet werden konnte, dass er diese im Zeitpunkt des Vertragsschlusses berücksichtigt oder dass er den hindernden Umstand oder dessen Folgen überwindet. Eine Übersetzung von § 103 Abs. 2 Satz 2 des estnischen Schuldrechtsgesetzes findet sich bei GÖTTIG, ZfRV 2006, S. 138 (143) unter Verweis auf KULL/KÄERDI/KÕVE, Võlaõigus I, S. 195, Fn. 33. 390 GÖTTIG, ZfRV 2006, S. 138 (143). 391 Cass., 19.2.1986, n. 1003; 12.6.1987, n. 5143; PESCATORE/RUPERTO, Codice Civile I, Art. 1218, S. 1695. 392 „[…] la prova della mancanza di colpa esige la dimostrazione o dello specifico impedimento, che ha reso impossibile la prestazione o, quanto meno, la prova che, qualunque sia stata la causa, questa non possa essere imputabile al debitore.” Cass., 16.2.1994, n. 1500; Cass., 17.2.2002, n. 7214; Cass., 3.9.1999, n. 9278. 389
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derselben nicht überwindbar gewesen wären.393 Nach anderer Ansicht soll die Formulierung „impossibilità derivante da causa a lui non imputabile“ in Art. 1218 italCC ohnehin ausschließlich Fälle der force majeure oder des cas fortuit umschreiben. Auch wenn die Leistung also eine weit größere Anstrengung abverlangt, als dies von einem „buon padre di famiglia“ verlangbar ist, hat er diese zu unternehmen, wenn er sich von der Haftung befreien will. Liest man die Norm im Zusammenhang mit Art. 1221 italCC, der denselben Wortlaut gebraucht, scheint letztere Ansicht überzeugender. Art. 1221 italCC will den Schuldner in mora von der Haftung wegen einer „impossibilità derivante da causa a lui non imputabile“ in römischrechtlicher Tradition gerade nicht freisprechen und den Schuldner selbst für cas fortuit und force majeure haften lassen,394 so dass eine parallele Auslegung der beiden Normen sinnvoll scheint. Zum Teil wird auch vertreten, den Maßstab des Art. 1176 CC wie im französischen Recht allein auf die obligations de moyens anzuwenden, also diejenigen Verpflichtungen, bei denen kein Leistungserfolg geschuldet ist. Diese Ansicht wird indessen mehrheitlich abgelehnt. Das französische Recht regelt in den Art. 1147 f. CC ähnlich wie das italienische Recht, wenngleich ausführlicher, den Haftungsmaßstab bei vertraglichen Schuldverhältnissen. Die Rechtsprechung unterscheidet für die Anwendung der Haftungsvorschriften zwei Typen vertraglicher Verpflichtungen (obligations de résultat und obligations de moyens)395 und unterwirft letztere einer Sonderbehandlung.396 Bei ersteren haftet der Schuldner nach Art. 1147 CC, wenn er nicht nachweisen kann „que l’inexécution provient d’une cause étrangère qui ne peut lui être imputée, encore qu’il n’y ait aucune mauvaise foi de sa part“. Er hat also die Herbeiführung der versprochenen Leistung zu garantieren, es sei denn, er kann sich nach § 1148 CC entlasten, weil er durch einen cas fortuit oder eine force majeure an der Erfüllung seiner Verpflichtung gehindert wurde. Im Verzug gilt hiervon allerdings die Ausnahme des § 1302 Abs. 1 CC. Teilweise wurde diese Haftungsregelung so ausgelegt, als werde ein Verschulden des Schuldners vermutet.397 In Wirklichkeit handelt es sich um eine strenge Haftung mit Entlastungsmöglichkeit, bei der dem Schuldner der Beweis eines Haftungsbefreiungstatbestands obliegt.398 Ge393
PESCATORE/RUPERTO, Codice Civile I, Art. 1218, S. 1695. Cass., 19.1.1950, n. 159, Foro. It. 1950, I, 794; Cass., 24. 4.1962, n. 818, Riv.dir.nav. 1963, II, 120. 395 Diese werden nochmals in obligations de moyens renforcées und obligations de résultat attenuées eingeteilt. 396 Diese wird aus Art. 1137 CC abgeleitet. 397 GAUDEMET, Théorie générale des obligations, S. 383. 398 „Il n’y a aucune presomption, pas plus de faute que de fait ou de dol. On fait simplement application des règles de la preuve: la dette est prouvée contre le débiteur; à lui d’établir sa libération.“, GAUDEMET, a.a.O., S. 383. 394
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meinhin spricht man daher heute auch von einer „responsabilité sans faute.“ Die force majeure des französischen Rechts (Art. 1148 CC) wurde in der Literatur und Rechtsprechung wohl am ausgiebigsten behandelt. Sie wird als évènement „imprévisible, irresistible et extérieur“ verstanden, umschreibt also ein äußeres Ereignis, das unvorhersehbar und unüberwindbar ist,399 wobei diese Elemente unterschiedlich gewichtet werden. Die Unüberwindbarkeit bemisst sich objektiv: das Ereignis muss für jedermann unabwendbar sein.400 Für die Frage der Vorhersehbarkeit reicht es jedenfalls aus, wenn das Ereignis „vernünftigerweise unvorhersehbar“ war.401 Im Vertragsrecht wird letzterem Erfordernis jedoch nach neuerer Rechtsprechung der Cour de Cassation kaum mehr Bedeutung beigemessen und jedenfalls dann allein auf den „caractère irrestisible“, die objektive Unüberwindbarkeit des Ereignisses abgestellt, wenn der Schuldner alles getan hat um das Ereignis zu vermeiden und die Vorhersehbarkeit des Ereignisses nichts an dessen nachteiligen Wirkungen ändern kann.402 Bei den obligations de moyens hat der Schuldner die Sorgfalt und die technischen und intellektuellen Mittel einzusetzen, um seine Verpflichtung zu erfüllen, ohne aber für ein bestimmtes Ergebnis einstehen zu müssen. Die Parteien können die Tragweite der vertraglichen Verpflichtungen vertraglich genauer definieren.403 Die Beweislast sieht indes anders aus: Hier hat in der Regel der Gläubiger den Verantwortungsbeitrag des Schuldners zu beweisen.404 Auch das tschechische Handelsgesetzbuch folgt der Konzeption modernen Vertragsrechts: Gem. § 373 ObchZ schuldet ein säumiger Schuldner Schadensersatz, es sei denn er weist nach, dass „die Pflichtverletzung durch Umstände verursacht worden ist, die eine Verantwortung ausschließen.“ Wenn 399
„Un événement extérieur au débiteur, normalement imprévisible et irrésistible qui empêche le débiteur définitivement à executer“ (Cass. civ. 3e, 14.5.1969, Bull. Civ. III, n° 387). Vgl. Art. 1148 CC: „Il n'y a lieu à aucuns dommages et intérêts lorsque, par suite d'une force majeure ou d'un cas fortuit, le débiteur a été empêché de donner ou de faire ce à quoi il était obligé, ou a fait ce qui lui était interdit.“ 400 USUNIER/VEILLARD, in AUBERT DE VINCELLES/ROCHFELD, L’acquis communautaire, Les sanctions de l’inexécution du contrat, S. 95 (97). 401 Cass. civ. 2e, 23.1.2003, D. 2003, S. 2465 (2466), mit Anm. DEPADT-SEBAG. 402 „L’irresistibilité de l’événement est, à elle seule, constitutive de la force majeure lorsque sa prévision ne saurait permettre d’en empêcher les effets, sous réserve que le débiteur ait pris toutes les mesures requises pour éviter la réalisation de l’événement.“ Cass. com. 1.10.1997, Bull. Civ. IV, n° 240, D. 1998, S. 199, JCP éd. G, 1998, I 144, n° 13 (obs. VINEY). Cass. Civ 1re, 10.2.1998, Bull. Civ. I, n° 53, D, 1998, S. 539. Reine Prüfung der Unüberwindbarkeit des Hindernisses: Cass. civ. 1re, 6.11.2002, Bull. Civ. I, n° 258, RTD civ. 2003, S. 301 (obs. JOURDAIN): „la seule irresistibilité de l’évenément caractérise la force majeure.“ Vgl. Auch COLONNA, RRJ 2004-1, S. 541 (547). 403 Die Vertragsklauseln können z.B. „efforts raisonnables“ oder „meilleurs efforts“, etc. vorsehen. 404 Teils kritisiert, doch bestätigt durch Cass. com. 9 juillet 2002, n° 121.
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die Formulierung auch zunächst an die Verschuldensvermutung des BGB zu erinnern scheint, zeigt § 374 ObchZ, dass sich das Gesetz an die CISG anlehnt: Als Umstände, die eine Verantwortung ausschließen, gelten gem. § 374 ObchZ nur Hindernisse, die entstanden sind, ohne dass der vertragsbrüchige Schuldner darauf willentlich hätte Einfluss nehmen können und wenn vernünftigerweise nicht anzunehmen ist, dass das Hindernis oder dessen Folgen vom Leistungspflichtigen abgewendet oder überwunden werden und dass der Leistungspflichtige das Hindernis zur Zeit der Entstehung der Verpflichtung vorhergesehen hätte. Gem. § 374 Abs. 2 ObchZ entlasten diejenigen Hindernisse nicht, die nach Verzugseintritt oder im wirtschaftlichen Verantwortungsbereich des Schuldners entstanden sind. 2. Vertragserfüllung a. Anspruch auf Erfüllung Der Erfüllungsanspruch findet seinen Grund an sich nicht in der Störung des Leistungsaustauschs, sondern im Vertrag selbst. Deshalb wird der Anspruch in nationalen Kodifikationen häufig nicht als Folge einer Pflichtverletzung oder Nichterfüllungsrechtsbehelf erwähnt. Sein (Fort-)Bestehen leitet sich implizit aus den übrigen Nichterfüllungsvorschriften ab.405 Wird der Erfüllungsanspruch ausdrücklich geregelt, beantwortet er eigentlich die umgekehrte Fragestellung, ob er trotz einer Leistungsstörung fortbestehen soll und erzwungen werden kann. Neben Art. 3:296 NBW, Art. 1453 Abs. 1 CC oder § 108 Abs. 1 estSRG widmet nur § 366 ObchZ dem Erfüllungsanspruch einen ausdrücklichen Platz im Kanon der Rechtsbehelfe. Im Rahmen der Verzögerung der Leistung durch den Schuldner ist der Erfüllungsanspruch in Kontinentaleuropa praktisch von entscheidender Bedeutung. Bedeutsam sind jedoch auch seine Schranken. Hinsichtlich der Rolle des Erfüllugsanspruchs nehmen das deutsche und das englische Recht die beiden Extrempositionen ein: Während das deutsche Recht den Vorrang des Erfüllungsanspruchs zum tragenden Grundsatz des Nichterfüllungsrechts406 erklärt, gewährt der englische Richter im Fall eines breach of contract nur in Ausnahmefällen ein Recht auf specific performance auf der Grundlage der equity. Das common law kehrt den Grundsatz der Naturalerfüllung um: Im Fall eines breach of contract durch Überschreiten der Leistungszeit hat das Ver405
Vgl. § 241 Abs. 1 BGB und den durch die Nachfristpflicht normierten Vorrang der Naturalerfüllung in §§ 281, 323 BGB. Vgl. zum schweizerischen Obligationenrecht auch WESSNER, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 895 (907). 406 Man spricht auch vom „Rückgrat der Obligation“; RABEL, Das Recht des Warenkaufs I, S. 375.
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tragsversprechen sein Ziel verfehlt, und es ist nur noch an eine Kompensation des nicht eingehaltenen Versprechens zu denken.407 Für diesen Ansatz gibt es neben den bereits angeführten historischen Erwägungen viele Erklärungsversuche. Zum Teil wird Schadensersatz als implizit durch die Parteien selbst vereinbarte Alternativleistung angesehen.408 Ein zweiter Erklärungsansatz beruht auf dem freiheitsbeschränkenden Charakter einer specific performance order. Da nahezu jeder vertraglichen Verpflichtung die Pflicht zu einem Tun innewohne, sei deren Durchsetzung „intrusive of personal liberty“.409 Die Parteien sollen nicht an den Vertrag gebunden sein, sondern es soll ihnen offenstehen „to walk away from the deal and seek satisfaction elsewhere“.410 Schließlich erscheint die Rechtsfolge des Schadensersatzes als die einzig kohärente Folge einer wegen Verletzung einer objective duty ursprünglich deliktischen Charakter aufweisenden Schuldnerhaftung. Specific performance, insbesondere late performance, wird nur ausnahmsweise und je nach Ermessensentscheidung des Gerichts in equity gewährt,411 wenn ein Schadensersatzanspruch keinen zufriedenstellenden Ausgleich für die Nichterfüllung bietet,412 etwa weil bestimmte Immobilien oder Kunstwerke Vertraggegenstand sind, wenn eine Ersatzbeschaffung der geschuldeten Leistung nur unter Schwierigkeiten möglich ist,413 oder wenn diese zu „more perfect and comp-
407
Allerdings ist auch die Konzeption der Nichterfüllung eine andere, denn nur der Fall der nicht entschuldigten Nichterfüllung ist ein breach of contract (also nicht der Fall des 8:101 Abs. 2 PECL); siehe SMITH, Contract Theory, S. 399 f. 408 SMITH, a.a.O., S. 400: „[…] when a court orders damages it is actually directly enforcing the second half of the defendant’s disjunctive obligation – the obligation to provide compensation.” 409 SMITH, a.a.O., S. 401. „According to this explanation there is a presumption, then, against ordering specific performance.” 410 MCKENDRICK, in BIRKS, English Private Law II, Rn. 10.02; ARNOLD/UNBERATH, ZEuP 2004, S. 366 (372). 411 Vgl. hierzu insbesondere Stickney v. Keeble, [1915] A.C. 386 (419); zu Langzeitverträgen: Sky Petroleum Ltd v. VIP Petroleum Ltd., [1974] 1 W.L.R. 576 (Ch.D); Cooperative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores Ltd., [1996] 3 W.L.R. 27 (C.A.), [1998] A.C. 1, 12 ff. (H.L.). 412 FURMSTON, Cheshire, Fifoot and Furmston’s Law of Contract, S. 644; SCHWARTZ, Yale L.J. 89 (1979), S. 278 ff. 413 Zum Fall des Verzugs mit der Herausgabe einer Immobilie und Entfernung einer darin enthaltenen von Künstlern gestalteten Tür: CROOM-JOHNSON, Phillips v. Lamdin (1949) 2 K.B. 33: „I entertain no doubt at all that the defendant is liable to replace the door and to bring it back. You cannot make a new Adam door. […] It seems to me that this is a proper case in which the defendant should be ordered to return the door to where it belongs. […] I do not see how damages could be an adequate remedy in that case […].“ SAMUEL, Law of Obligations and Legal Remedies, S. 113; vgl. auch das Beispiel des UCC, der in § 2-716 Abs. 1 die Grundregel vorsieht: „Specific performance may be decreed where the goods are unique or in other proper circumstances“. Siehe auch die Anmerkungen bei GRYNBAUM/POLLIOT, in
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lete justice“ führt als ein Schadensersatzanspruch.414 In der Regel ist dies bei Geldansprüchen und bei duties not to do in Form der injunction der Fall, also dort, wo sich in der Regel auch keine Probleme im Hinblick auf die freiheitseinschränkende Wirkung der specific performance ergeben.415 Durch sec. 52 des Sales of Goods Act 1979 und eine großzügigere Handhabung dieses richterlichen Ermessensspielraums wurde der Grundsatz etwas aufgeweicht, wenngleich die Voraussetzungen der Vorschrift sehr streng sind und nur bei Nichtleistung individualisierter und konkretisierter Waren greifen.416 Auch sec. 2-711 Abs. 2 UCC bestätigt diese Tendenz, behält aber die umgekehrte Hierarchie der Rechtsbehelfe bei.417 Über die Sale and Supply of Goods to Consumers Regulations 2002418 wurde zudem der Erfüllungsanspruch des Art. 3 Abs. 2 RiL 1999/44/EG in sec. 48 A ff. des Sales of Goods Act 1979 in das englische Verbrauchsgüterkaufrecht eingeführt, das bei Schlechtleistung bislang nur Rücktritt und Schadensersatz als Rechtsbehelfe vorsah. Das englische Recht sieht sich hierdurch im Kaufrecht mit dem Erfüllungsanspruch bei Nichtleistung und bei Schlechtleistung konfrontiert. Den sich aus Art. 3 Abs. 3 und 5 RiL 1999/44/EG eigentlich ergebenden Vorrang des Erfüllungsanspruchs versucht das englische Recht allerdings durch eine vage Gesetzesformulierung zu umgehen. Er tritt in der AUBERT DE VINCELLES/ROCHFELD, Acquis communautaire, Les sanctions de l’inexécution du contrat, S. 13 (44). 414 Hierin liegt eine Relativierung des traditionellen Grundsatzes, der specific performance nur bei Inadäquanz des Schadensersatzanspruchs zuließ, siehe MÜLLER-CHEN, Die Folgen der Vertragsverletzung, S. 83 m.w.N.; vgl. auch Sky Petroleum Ltd. V. V.I.P. Petroleum Ltd., [1974] 1 W.L.R. 576 (Ch.D.), per GOULDING, J.: „[T]he ratio behind the rule is […] that under the ordinary contract for the sale of non-specific goods, damages are a sufficient remedy. That […] is lacking in the circumstances of the present case […]. I am prepared so far to depart from the general rule as to try to preserve the position under the contract […].“ Auch die Frage, ob die Gewährung eines Erfüllungsanspruchs eine fortdauernde Kontrolle erfordern und durch eine wirtschaftlich nachteilige Bindung langdauernde Konflikte fördern würde, weil sie über einen einmaligen Leistungsaustausch hinausgeht, fließt in die Entscheidung über die Gewährung der specific performance ein, siehe Co-operative Insurance Society Ltd. V. Argyll Stores Ltd., [1998] A.C. 1, 12 ff. (H.L.), [1997] WLR 895. 415 SMITH, Contract Theory, S. 398. 416 Sec. 52 Abs. 1 Sale of Goods Act 1979: „In any action for breach of contract to deliver specific or ascertained goods the court may, if it thinks fit, on the plaintiff’s application, by its judgement or decree direct that the contract shall be performed specifically, without giving the defendant the option of retaining the goods on payment of damages.“ Vgl. auch TREITEL, The Law of Contract, S. 952 ff. 417 Art. 2-711 Abs. 2 UCC: „Where the seller fails to deliver or repudiates the buyer may also (a) if the goods have been identified recover them as provided in this Article (Section 2502); or (b) in a proper case obtain specific performance […].” 418 Sale and Supply of Goods to Consumers Regulations 2002 (SI 2002, 3045).
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Umsetzungsnorm der sec. 48 B Abs. 2 des Sales of Goods Act 1979 nicht zutage, die nur eine Option eröffnet: Dort heißt es lediglich: „If section 48A above applies, the buyer may require the seller (a) to repair the goods, or (b) to replace the goods”, und in Abs. 2: „If the buyer requires the seller to repair or replace the goods, the seller must (a) repair or, as the case may be, replace the goods […]“.419 Damit ist eine Lösung getroffen, die zudem bereits in der Praxis geläufig war.420 Das englische Recht umschifft mithin durch eine verbraucherfreundliche Aufrechterhaltung der ursprünglichen Rechtslage als Option neben dem umgesetzten Richtlinienrecht den EU-rechtlich vorgegebenen Vorrang der Naturalerfüllung. Die alte Rechtslage gestattet den sofortigen Rücktritt und einen Anspruch auf Schadenersatz und soll dem Käufer auch weiterhin offenstehen. Dies untergräbt das Stufenverhältnis der Richtlinie,421 ist jedoch im Ergebnis EU-rechtlich zulässig, da es den Mitgliedstaaten unbenommen bleibt, ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen.422 Dass die Institutionalisierung des Erfüllungsanspruchs auch im angloamerikanischen Rechtskreis nicht undenkbar ist, zeigt sich im übrigen auch an der Tatsache, dass bei Leistungsverzögerungen vor Vertragsaufhebung eine optionale Fristsetzung in der Vertragspraxis möglich ist und praktiziert wird.423 Zudem lassen sich obige Argumente gegen die specific performance widerlegen. Zum einen verändert eine zu späte Leistung den Inhalt der vertraglichen Verpflichtung nicht: „Late delivery is, in essence, the same thing as timely delivery.“424 Zum anderen kann keiner Partei unterstellt werden, sie schließe einen Vertrag der alternativ auf Erfüllung oder Schadensersatz gerichtet sei, denn ihr Interesse gilt der geschuldeten Leistung. Schließlich ist auch das Argument der freiheitseinschränkenden Wirkung der specific performance zwar tragfähig, jedoch greift es wie gesehen in einigen Fällen nicht und würde bei genauer Betrachtung in wesentlich mehr Fällen nicht greifen, etwa immer dann, wenn der Schuldner eine juristische Person ist.425 Auch Effizienzgedanken rechtfertigen den common law-Ansatz allein nicht, nach welchem Ware stets an die Partei gelangen müsse, die sie am höchsten bewertet,426 da es immer dann einen Anreiz zum Vertragsbruch gäbe, 419
Die Annahme WEIRS, „it is a safe bet that this power will never be invoked by a disappointed buyer,” in WEIR, ZEuP 2004, S. 595 (600) wird daher zutreffend sein. 420 So ARNOLD/UNBERATH, ZEuP 2004, S. 366 (378), unter Berufung auf LAWSON, Solicitor’s Journal 2003, S. 200 und das Department of Trade and Industry (m.w.N.). 421 ARNOLD/UNBERATH, ZEuP 2004, S. 366 (373). 422 Art. 8 Abs. 2 RiL 1999/44/EG. 423 Vgl. GUTTERIDGE, BYIL 14 (1933), 75 (87); ZWEIGERT/KÖTZ, Einführung in die Rechtsvergleichung, § 36 IV, S. 506. 424 SMITH, Contract Theory, S. 401. 425 Vgl. zur Argumentation auch SMITH, a.a.O., S 401 ff. 426 Vgl. hierzu das von SMITH, a.a.O., S. 403 f. zitierte Beispiel eines Landwirts, der Korn im Wert von 25 £ pro Barrel für 40 £ an einen Händler verkauft, der es für 50 £ weiter-
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wenn das ökonomische Interesse des ursprünglichen Vertragspartners an der Leistung geringer ist als das Interesse des Dritten. In diesen Fällen besteht ein Anreiz zu einem deal zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien. Daher könnte auch in einem System, das dem Grundsatz der Naturalerfüllung folgt, ein dem common law vergleichbares Ergebnis erzielt werden.427 Auch Transaktions- und Prozesskosten sind zu beachten. Insbesondere letztere sind im Fall der compensation häufig nicht geringer als im Fall der specific performance, da ein Schaden teils nur mit Schwierigkeiten beweis- und bezifferbar ist und dies zu einer undercompensation führen kann.428 Mit der strengen allgemeinen Regel der Naturalerfüllung als Ausnahme steht das englische Recht jedoch relativ alleine da. Selbst in Schottland erkennt man im Grundsatz ein generelles Recht auf specific implement an429 und folgt in erstaunlicher Analogie zu Art. 9:102 Abs. 2 PECL dem Grundsatz des Erfüllungsanspruchs mit Ausnahmen.430 Mit dieser Entscheidung der schottischen Nachbarn muss England bereits in einem single market zurechtkommen.431 Einem ähnlichen Ansatz folgten auch die 1966 begonnenen Arbeiten zum McGregor Contract Code, der dem common law fremde Konzepte einzuführen wagte, und ein Recht auf specific performance vorssah. Bedenkt man, dass der Contract Code letztlich nicht wegen seines Inhalts, sondern vorwiegend wegen finanzieller Fragen sowie wegen mangelnden Interesses der schottischen Law Commission scheiterte,432 sollte ein allgemeiner Anspruch auf Naturalerfüllung auch für einen englischen Juristen nicht undenkbar sein.433 Das deutsche Recht sieht den Erfüllungsanspruch hingegen als vorrangigen Rechtsbehelf an, der nur ausnahmsweise entfällt. Auch im durch eine Pflichtverletzung gestörten Schuldverhältnis ist die vereinbarte Leistung primär geschuldet, ein Schadensersatz wegen Nichterfüllung ein rein sekundärer
veräußern könnte. Vor Lieferung bietet dem Landwirt ein zweiter Händler 60 £, weil er es für 75 £ weiterveräußern könnte. 427 SMITH, a.a.O., S 406. 428 Vgl. zu den ökonomischen Auswirkungen auch MAHONEY, 24 JLS 1994, S. 139 ff. 429 SMITH, Specific implement, in REID/ZIMMERMANN, History of Private Law in Scotland II, S. 195 ff.; Highland and Universal Properties Ltd. V. Safeway Properties Ltd., 2000 SC 297. 430 Vgl. auch McArthur v. Lawson (1877) 4 R 1134 und Steward v. Kennedy (1890) 17 R (HL) 1, 10. 431 WEIR, Divergent legal systems in a single Member State, ZEuP 1998, S. 564 (565). Zur Nähe der Lösungen in den PECL und im schottischen Recht siehe auch MACQUEEN, C.L.P. 54 (2001), S. 205 ff. 432 Scottish Law Commission’s Seventh Annual Report (Scot Law Com No 28, 1971-72), para. 16. 433 „Agreement was reached between the Commissions on matters of policy”, Scottish Law Commission, Discussion Paper 109, April 1999, S. 3.
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Anspruch.434 Sowohl aus § 281 BGB, der die Voraussetzungen des Schadensersatzes „statt der Leistung“ regelt, als auch aus § 323 BGB, der die Rücktrittsvoraussetzungen enthält, wird deutlich, dass der Naturalerfüllung grundsätzlicher Vorrang gebührt. Beide Vorschriften sehen die entsprechenden Nichterfüllungsssanktionen nur dann vor, wenn der Gläubiger dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist bestimmt hat. Von der Fristsetzung kann nur ausnahmsweise abzusehen sein.435 Ist die Störung des Vertragsverhältnisses nicht nur vorübergehend oder handelt es sich um Fälle, in welchen ein Erfüllungszwang des säumigen Schuldners nicht vertretbar wäre, sieht das Gesetz Ausnahmen vor: Neben der Unmöglichkeit436 entlastet auch § 275 Abs. 2 und 3 BGB durch ein Leistungsverweigerungsrecht von der Erbringung der Primärleistung, wenn diese einen Aufwand erfordert, der unter Berücksichtigung des Vertragsinhalts und des Grundsatzes von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers steht, oder wenn es sich um eine persönlich zu erbringende Leistung handelt, die dem Schuldner nach Abwägung des Leistungshindernisses gegen das Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zuzumuten ist.437 Gerade diese Möglichkeiten der Leistungsverweigerung nähern das deutsche System des Vorrangs der Naturalerfüllung den Rechtsordnungen an, die zwischen verschiedenen Verpflichtungstypen unterscheiden und bei den obligations de faire einem Erfüllungsanspruch verhalten gegenüberstehen. Das Entfallen des Vorrangs kann gerade im Fall der Verzögerung der Leistung relevant werden: Auch die Vereinbarung eines genauen Leistungstermins oder einer bestimmten Frist kann den Erfüllungsanspruch obsolet machen, wenn der Gläubiger sein Leistungsinteresse im Vertrag an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden hat.438 Ein weiterer Fall, in welchem das BGB vom Vorrang der Naturalerfüllung absieht, ist § 281 Abs. 2 Alt. 2. Der sofortige Schadensersatzanspruch bei Vorliegen besonderer Umstände, die diesen unter Abwägung der 434
Siehe bereits MOMMSEN, Beiträge zum Obligationenrecht II, Zur Lehre von dem Interesse, S. 8 und die geltenden §§ 281 Abs. 1 und 323 Abs. 1 BGB, die implizit den Vorrang des Erfüllungsanspruchs normieren. 435 § 281 Abs. 2, § 323 Abs. 2 Nr. 1-3 BGB. 436 § 275 Abs. 1 BGB. So bereits RGZ 107, 15, 17. 437 Bei höchstpersönlichen Leistungen setzt zudem das deutsche Zwangsvollstreckungsrecht dem Erfüllungsanspruch eine Schranke, vgl. § 888 ZPO. Auch bei nicht vertretbaren Handlungen kann der Schuldner grundsätzlich zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, durch Zwangshaft angehalten werden. Dies gilt jedoch weder bei persönlichen Leistungen noch bei aus einem Arbeits- oder Dienstvertrag geschuldeten Leistungen. 438 Siehe § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB, der das Fixgeschäft des § 361 BGB a.F. (vgl. auch RGZ 51, 347 ff.) in anderer Formulierung präsentiert, aber ausweislich der Regierungsbegründung (Bt-Drs. 14/6040, S. 185, 186) Gleiches meint. Vgl. zur Definition des Fixgeschäftes auch BGH, NJW-RR 1989, 1373; BGH, NJW 1990, 2065, 2067.
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Interessen beider Vertragsparteien rechtfertigen, erweist sich als eine flexible Regelung, die auch einem deal der Parteien Raum lässt, wenn die Naturalerfüllung der gegenwärtigen Interessenlage beider Parteien nicht mehr entspricht. Die gleiche Regelung ist auch in § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB für die Vertragsaufhebung vorgesehen. Sie ermöglicht eine Lockerung des Naturalerfüllungsgrundsatzes, allerdings nur, wenn dies der Interessenlage beider Parteien entspricht. Sie ist dem common law- wie dem PECL-Ansatz überlegen, weil sie die Durchsetzung einseitiger Interessen vermeidet. Dem Prinzip des Vorrangs des Erfüllungsanspruchs folgt im Übrigen auch das schweizerische Obligationenrecht, das den Gläubiger grundsätzlich zunächst auf Erfüllung klagen lassen will.439 In Art. 190 Abs. 1 macht es im kaufmännischen Verkehr allerdings eine Ausnahme für den Fall des verzugsbegründenden Verstreichens eines verabredeten Lieferungstermins. Hier gilt die Vermutung, dass der Käufer auf die Lieferung verzichtet und Schadensersatz wegen Nichterfüllung beansprucht, wenn er nicht unverzüglich Gegenteiliges anzeigt. Diese Ausnahme vom Erfüllungsanspruch machen bei Leistungszeitbestimmungen auch andere Kodifikationen: Der italienische Codice Civile stellt es in Art. 1453 Abs. 1 italCC prinzipiell frei, bei Nichterfüllung eines gegenseitigen Vertrages unbeschadet eines etwaigen Schadensersatzanspruchs Erfüllung oder Vertragsaufhebung zu verlangen. Liegt eine Leistungszeitbestimmung jedoch im wesentlichen Interesse einer der Parteien, gilt der Vertrag gem. Art. 1457 italCC als aufgelöst, wenn die beschwerte Partei nicht binnen drei Tagen mitteilt, dass sie trotz Verstreichens des Leistungszeitpunkts weiterhin die Erfüllung des Vertrages wünscht. Das niederländische Recht kennt den Vorrang des Erfüllungsanspruchs nicht. Eine Nachfristpflicht wird weder vor Geltendmachung des Schadensersatzes statt der Leistung (Art. 6:265 NBW) noch vor Vertragsaufhebung vorgesehen.440 Der Gläubiger kann bereits nach Übersenden einer omzettingsverklaring (art. 6:87 NBW), einer schriftlichen Ankündigung, Schadensersatz „statt der Leistung“ verlangen oder gem. Art. 6:267 NBW die Vertragsaufhebung erklären, wenn der Schuldner in Verzug ist.441 Es gestattet nur eine Nachfristoption, die den Gläubiger während des Fristlaufs bindet, aber kein
439
Art. 107 Abs. 2 OR. Eine tekortkoming gibt ein Recht auf Vertragsaufhebung, es sei denn, diese rechtfertigt aufgrund ihres besonderen Charakters oder ihrer Geringfügigkeit die Vertragsaufhebung und ihre Folgen nicht. Ein unwesentliches Zurückbleiben hinter dem geschuldeten Leistungsprogramm führt nicht zur Vertragsaufhebung. 441 Art. 6:87 Abs. 1 NBW: „In so far as performance is not already impossible, the obligation is converted into one to pay damages in lieu of performance, if the debtor is in default and the creditor sends him a written notice that he claims damages instead of performance […].“ 440
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Recht des Schuldners auf einen Vorrang der Erfüllung.442 Das niederländische Recht verfolgt hier ein noch gläubigerfreundlicheres Konzept als die Principles, da es die Fristsetzung bei nicht wesentlicher Verzögerung der Leistung als Tor zur anschließenden Vertragsaufhebung nicht kennt.443 Allerdings wird ein längeres Zuwarten des Gläubigers letztlich auch ohne explizite Fristsetzung irgendwann die Wesentlichkeitsschwelle überschreiten und nach der Grundregel des Art. 6:265 NBW zur Vertragsaufhebung berechtigen. Die Ablehnung eines Rechts auf zweite Andienung wird jedoch in der niederländischen Gerichtspraxis und Lehre hinterfragt, da sich der Hoge Raad in dieser Hinsicht bereits zugunsten einer Nachleistung des Schuldners geäußert hat.444 Frankreich privilegiert den Naturalerfüllungsanspruch als logische Konsequenz der force obligatoire. Die force obligatoire des Vertrages spielt im französischen Recht eine umso tragendere Rolle, als ein Vertrag gleichsam als Gesetz gilt, das die Parteien bindet:445 „Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi […].“446 Die Bedeutung der Naturalerfüllung unterstreicht Art. 1184 Abs. 2 Satz 2 CC, der den Erfüllungsanspruch selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Vertragsaufhebung als Option der Parteien weiterhin aufrechterhält.447 Dem hohen Stellenwert des Erfüllungsanspruchs zum Trotz448 scheint der Code civil diesen mit der Unterscheidung in obligations de donner und obligations de faire ou de ne pas faire zu relativieren, da es bei letzteren heißt: „toute obligation de faire ou de ne pas faire se résout en dommages et intérêts en cas d’inexécution de la part du débiteur.“449 Die Vertragsbindung trifft hier auf die Freiheit der Person, die nicht zu einem bestimmten Tun gezwungen werden soll. Das Gesetz gewährt in diesem Konflikt liberté – loyauté grundsätzliche Ausnahmen vom Erfüllungsanspruch. Allerdings nähert sich die französische Rechtsprechung über eine weite Interpretation der 442
Vgl. hierzu SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. 117 (125). 443 Art. 9:301 Abs. 2 iVm Art. 8:106 Abs. 3 PECL und Art. 7.3.1 Abs. 3, Art. 7.1.5 UPICC. 444 Hoge Raad, Kinheim/Pelders, 4.2.2000, NJ 2000, 258; SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. 117 (126). 445 Siehe auch CARBONNIER, Droit civil. Les biens. Les obligations II, S. 1945: „La volonté humaine est à elle-même sa propre loi, se crée sa propre obligation: si l’homme est obligé par un acte juridique, spécialement par un contrat, c’est parce qu’il a voulu; la volonté individuelle, le principe du contrat.“ 446 Art. 1134 CC. 447 1184 Abs. 2 Satz 2 CC: „La partie envers laquelle l'engagement n'a point été exécuté, a le choix ou de forcer l'autre à l'exécution de la convention lorsqu'elle est possible, ou d'en demander la résolution avec dommages et intérêts.“ Zum Teil berief sich die Rechtsprechung auf Art. 1184 Abs. 2 CC, um Ausnahmen vom Ausschluss des Erfüllungsanpruchs zu begründen, vgl. Cass. com. 3.12.1985 und in jüngerer Zeit Cass. civ. 3e, 11.5.2005. 448 MALAURIE/AYNES, Droit civil, les obligations, Rn. 1017-1023. 449 Art. 1142 CC.
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obligations de donner und mittels einschränkender Auslegung des Art. 1142 CC auf höchstpersönliche Leistungen450 der deutschen Lösung an. Bei vertretbaren Handlungen bietet zudem Art. 1144 CC, der die exécution forcée en nature durch Selbstvornahme und durch Dritte bei gleichzeitigem Kostenerstattungsanspruch gegen den Schuldner gestattet,451 eine Art Kompromisslösung, da der Gläubiger das bekommt, was er nach dem Vertrag erwarten durfte, der Schuldner aber nach dem Grundsatz „nemo praecise potest cogi ad factum“ gleichwohl nicht zu einer Erfüllung gezwungen wird.452 Am 16.1.2007 hat die französische Cour de cassation der force obligatoire im Rahmen der Anwendung des Art. 1142 CC den Vorrang eingeräumt: „la partie envers laquelle un engagement contractuel n’a point été éxecuté a la faculté de forcer l’autre à l’exécution de la convention lorsque celle-ci est possible.“453 Der Richter kann alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um die Beachtung der vertraglichen Abrede, gegebenenfalls mittels astreinte, zu sichern. Das Reformprojekt Catala454 hat diese Entwicklung bereits vorweggenommen und kehrt den gesetzlichen Grundsatz um. In seinem Art. 1154-1 wird der Gesetzestext an die Judikatur angepasst: „l’obligation de faire s’exécute si possible en nature“455. Man fühlt sich auch an den Code Européen erinnert, der in seinem 111 Abs. 2 lit. c 1. Alt. vorsieht „que 450
So wird in jüngerer Zeit von der Rechtsprechung beispielsweise die Wiedereingliederung von zu Unrecht entlassenen Arbeitnehmern gefordert, einheitlich ist die französische Judikatur hierzu allerdings nicht. THERY, in RÉMY-CORLAY/FENOUILLET, Les concepts contractuels français à l’heure des Principes du droit européen des contrats, S. 235 (238). Vgl. aber zugunsten des Erfüllunsganspruchs bereits Cass. com. 20.1.1981; Cass. civ. III, 19.2.1970. 451 Vgl. auch § 887 ZPO, der bei einer vertretbaren Handlung dem Gläubiger die Möglichkeit gibt, die geschuldete Handlung durch einen Dritten vornehmen zu lassen. 452 Prinzipiell muss die Erfüllung auf Kosten des Schuldners durch das Gericht ausgesprochen werden, Cass. civ. 3e, 29.11.1972, Bull. Civ. n° 642; 24.6.1998, RJDA 1998, n° 944; 12.3.2002, RJDA 2002, n° 600, LARROUMET, Les obligations, le contrat III, Rn. 67: „Il convient de remarquer qu’il s’agit d’une exécution à mi-chemin entre l’exécution en nature et l’exécution par équivalent. En effet du coté du créancier, l’obligation sera incontestablement exécutée en nature, puisqu’au lieu de se contenter de dommages-intérêts, le créancier obtiendra ce qui lui est dû en vertu de la prestation qui pèse sur le débiteur, même si cette satisfaction lui est procurée par autrui. En revanche, du côté du débiteur, il n’y a pas véritablement d’exécution en nature. En effet, ce sont les frais de l’exécution par autrui qui seront à sa charge, c’est-à-dire une somme d’argent, ce qui correspond bien pour lui à une exécution par équivalent.“ 453 Cass. civ 1ère, 16.1.2007, aff. 06-13983. Die Formulierung stützt sich teils auch auf Art. 1184 Abs. 2 CC in dem es heißt „le choix […] de forcer l’autre à l'exécution de la convention lorsqu’elle est possible.“ 454 Avant projet de réforme du droit des obligations (articles 1101 à 1386 du Code civil) et du droit de la prescription (articles 2234 à 2281 du Code civil). 455 Projet Catala, S. 91. Vergleiche zu den Vorteilen der Naturalerfüllung vor den anderen Rechtsbehelfen auch DEBILY, L’éxécution forcée des obligations contractuelles non pécuniaires.
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le débiteur soit condamné à exécuter son obligation, dans la mesure du possible“. Diese neue Betonung des Erfüllungsanspruchs erweist sich auch im Lichte des Unionsprivatrechts als angebracht: „Un tel objectif réjoint parfaitement la volonté du législateur communautaire de privilegier le maintien du contrat.“456 Auch in den Rechten neuer Mitgliedstaaten wie dem tschechischen wird die Rolle des Erfüllungsanspruchs grundsätzlich nicht in Frage gestellt. Allerdings gibt es im tschechischen Recht zwei verschiedene Ansätze zur Frage des Vorrangs: Gem. § 366 des an der CISG orientierten ObchZ hat der Gläubiger bei Schuldnerverzug grundsätzlich die Wahl, ob er weiterhin auf der Erfüllung der Verbindlichkeit besteht oder vom Vertrag zurücktritt.457 Bei nicht wesentlichen Pflichtverletzungen ist eine Fristsetzung erforderlich, um einen Vertrag aufzuheben.458 Bei Verzögerungen, die nach dem Vertragsinhalt das Gläubigerinteresse an der verspäteten Leistung entfallen lassen, setzt die Geltendmachung des Erfüllungsanspruchs voraus, dass der Gläubiger, etwa durch rechtzeitigen Widerruf des Fixcharakters des Vertrages, seinen Wunsch nach Erfüllung ausdrücklich kundtut.459 Das tschechische Zivilgesetzbuch gewährt hingegen durch eine generelle Nachfristpflicht dem Erfüllungsanspruch einen ausdrücklichen Vorrang.460 Der Gläubiger kann prinzipiell erst dann vom Vertrag zurücktreten, wenn er eine angemessene Nachfrist gesetzt hat. Angemessen ist diese, wenn dem Schuldner in Anbetracht der Umstände die Erfüllung tatsächlich gelingen kann.461 Ob der Gläubiger nach Fristablauf dann tatsächlich zurücktritt oder weiter Erfüllung verlangt, bleibt ihm überlassen. Eine Nachfristsetzung kann nur im Fall des Fixgeschäftes entfallen, wenn eine genaue Leistungszeit vereinbart wurde und zugleich aus dem Vertrag oder dem Wesen der zu leistenden Sache hervorgeht, dass der Gläubiger an einer verspäteten Leistung kein Interesse hat. Der Vertrag gilt hier gem. § 518 Hs. 2 ObčZ als von Anfang an aufgelöst,462 wobei der Gläubiger bei gleichwohl fortbestehendem Interesse an der Leistung weiter Erfüllung verlangen kann.463 456
GRYNBAUM/POILLOT, in AUBERT DE VINCELLES/ROCHFELD, L’acquis communautaire, Les sanctions de l’inexécution du contrat, S. 13 (49). 457 ŠTENGLOVA/PLÍVA/TOMSA, Obchodní zákoník, Komentář (Kommentar zum tschechischen Handelsgesetzbuch), § 366 ObchZ. 458 § 346 Abs. 1 ObchZ. 459 § 349 Abs. 3 ObchZ. 460 § 517 Abs. 1 Satz 2 Hs.1 ObčZ: „Jestliže jej nesplní ani v dodatečné přiměřené lhůtě věřitelem mu poskytnuté, má věřitel právo od smlouvy odstoupit.“ 461 JEHLIČKA/ŠVESTKA/ŠKÁROVÁ, Občanský Zákoník, Komentář (Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch), § 517, S. 776. 462 § 518 Hs. 2 ObčZ: „[…] jestliže tak neučiní, smlouva se od počátku ruší.“ 463 § 518 Hs. 1 ObčZ: „Bylali ve smlouvě stanovena přesná doba plnění a ze smlouvy nebo z povahy věci vyplývá, že na opožděném plnění nemůže mít věřitel zájem, musí věřitel oznámit dlužníkovi bez zbytečného odkladu, že na plnění trvá.“
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Das estnische Schuldrechtsgesetz gibt dem Gläubiger das Recht auf Naturalerfüllung, folgt jedoch in Parallele zu den Principles dem Grundsatz, dass der Erfüllungsanspruch in Ausnahmefällen nicht gerechtfertigt ist (§ 108 Abs. 2 estSRG). Neben der Leistungsunmöglichkeit464 ist dies bei unverhältnismäßig belastender oder kostspieliger Leistung für den Schuldner465, bei persönlichen Verpflichtungen466 sowie in Anlehnung an Art. 9:102 Abs. 2 lit. d PECL dann der Fall, wenn die Leistung für den Gläubiger vernünftigerweise auch aus einer anderen Quelle beziehbar ist.467 Im Unterschied zu den PECL räumt das estnische Schuldrechtsgesetz dem Erfüllungsanspruch bei Leistungsstörungen jedoch einen betont hohen Stellenwert ein, indem es ihn gem. §§ 116 Abs. 2 Satz 5, 114 estSRG468 wie das deutsche Recht vorrangig gewährt und den Gläubiger verpflichtet, bei einer Leistungsverzögerung zunächst eine Nachfrist zur Erfüllung zu setzen, bevor er andere Rechtsbehelfe geltend machen kann. Die Bedeutung dieser Fristsetzung wird umso deutlicher, wenn man in Betracht zieht, dass sie gem. 116 Abs. 4 estSRG ganz bewusst von Art. 9:301 Abs. 1 und 2 PECL abweicht. Selbst bei wesentlicher Vertragsverletzung ist sie nach dem estSRG erforderlich, wenn ein Rücktritt dem Schuldner in Relation zu den ihm wegen der Erfüllungsvorbereitungen angefallenen Aufwendungen einen unverhältnismäßig hohen Schaden verursachen würde.469 Der estnische Gesetzgeber erkannte die ökonomische Bedeutung der Erfüllung an und traf wie der deutsche eine von den PECL abweichende Entscheidung zugunsten der Naturalerfüllung. Dies gilt für alle Arten von Verträgen, unabhängig von der persönlichen Qualifikation der Vertragspartner. Offensichtlich war der estnische Gesetzgeber hier von der deutschen Lösung überzeugter als von der des europäischen Einheitsrechts. Die Principles wurden an dieser Stelle nicht ohne Änderungen übernommen. b. Ausnahmen vom Erfüllungsanspruch und von seinem Vorrang Es zeichnete sich bereits ab, dass sich das Konzept des Erfüllungsanspruchs mit Ausnahmen dem des Erfüllungsanspruchs als Ausnahme annähert. Unterschiede bestehen vor allem hinsichtlich der Frage, woran sich das Vorliegen einer Ausnahme bemisst und wer darüber zu entscheiden hat, wann eine Ausnahme vorliegt.
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§ 108 Abs. 2 Alt. 1 estSRG. § 108 Abs. 2 Alt. 2 estSRG, 466 § 108 Abs. 2 Alt. 4 estSRG. 467 § 108 Abs. 2 Alt. 3 estSRG. Vgl. zum Ganzen auch die Darstellung bei GÖTTIG, ZfRV 2006, S. 138 (144). 468 So bereits § 106 Abs. 2 aF. 469 Hierzu noch genauer unter § 3 II 3. 465
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Relative Einigkeit besteht insoweit, als der Erfüllungsanspruch in den nationalen Rechtsordnungen bei Unmöglichkeit ausscheidet.470 Hierauf soll auch nicht näher eingegangen werden. Problematisch hieran ist allenfalls, dass der Gläubiger möglicherweise nur mit Mühe erkennen wird, wann der Schuldner die Leistung tatsächlich nicht erbringen kann und wann er sie nur verzögert. Praktisch wird der Fall der Unmöglichkeit allerdings selten sein. Die weiteren Ausnahmen ähneln sich in der Regel auf den ersten Blick: persönliche Leistungen, unzumutbarer Aufwand für den Schuldner, zumutbare Deckungsgeschäftsmöglichkeiten. Die nationalen Lösungen unterscheiden sich im Detail gleichwohl erheblich. Soweit es um persönliche Leistungen geht, scheinen sie aktuell gegenläufigen Tendenzen zu folgen. Während das französische Recht den Erfüllungsanspruch bei den obligations de faire in Art. 1154 Abs. 1 des Projet Catala nun in weiterem Maße anerkennen will,471 folgt das estnische Recht Art. 9:102 Abs. 2 lit. c PECL und will den Anspruch auf Erfüllung bei persönlichen Verpflichtungen prinzipiell ausschließen.472 Das deutsche Recht löst den Fall in § 275 Abs. 3 BGB nuancierter. Der Schuldner hat lediglich das Recht, die Leistung zu verweigern. Der Gläubiger kann also grundsätzlich klageweise gegen ihn vorgehen, der Schuldner hat seine Leistungsunfähigkeit dann einredeweise geltend zu machen. Ob ihm das Recht auf Verweigerung der Leistung tatsächlich zusteht, hängt dann von einer Abwägungsentscheidung ab.473 Die Regelung schützt den Schuldner, kontrolliert jedoch zugleich sein Verhalten und verhindert eine vorschnelle Entscheidung für eine Abkehr von der Naturalerfüllung. Dieser Option enthebt sich der „internationalen Ansatz“ der PECL und derjenigen Rechtsordnungen, die dieser Ausnahme in aller Ausschließlichkeit folgen. Auch in Fällen, in denen die Leistung zu weit größeren Anstrengungen für den Schuldner führt, als geplant, sind die Lösungen verschieden. Das estnische und das deutsche Recht bieten wiederum gute Beispiele für unterschiedliche Lösungsansätze. Während das estnische Recht in § 108 Abs. 2 Alt. 2 estSRG in Anlehnung an die Principles den Schuldner von der Erfüllung bereits dann befreien will, wenn die Leistung für den Schuldner unverhältnismäßig belastend oder kostspielig ist, betrachtet das deutsche Recht auch diesen Fall differenzierter: § 275 Abs 2 BGB setzt die Anstren470
Vgl. zB. § 275 Abs. 1 BGB, § 108 Abs. 2, Alt. 1 estSRG, § 1154 Abs. 1 PC. Außer die Leistung wäre nur „par une coercition attentatoire à la liberté ou à la dignité du débiteur“ möglich, vgl. Art. 1154 Abs. 3 PC. 472 § 108 Abs. 2 Alt. 4 estSRG. So auch das niederländische Recht, z.B. Hoge Raad 37.6.1997, NJ 1997, 61. 473 Der Schuldner kann die Leistung nur verweigern, wenn sie ihm „unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann“. 471
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gungen des Schuldners in Relation zum Leistungsinteresse des Gläubigers und sieht zudem ein subjektives Element zur Beurteilung der Unangemessenheit des Schuldneraufwands vor.474 Dem Schuldner wird auch hier nur ein Leistungsverweigerungsrecht gewährt, das wiederum durch eine Abwägungsentscheidung bewertet wird.475 Auch hier greift keine starre Wertung des Gesetzgebers, sondern eine flexible Lösung im Interesse beider Parteien.476 Den Erfüllungsanspruch auszuschließen, wenn der Gläubiger die verzögerte Leistung vernünftigerweise aus einer anderen Quelle erhalten kann, entspricht dem Ansatz des common law. Über 9:102 (2) d PECL ist dieser auch in nationales Vertragsrecht wie das estnische Schuldrechtsgesetz eingeflossen. Auch das schottische Recht übernimmt ihn, wenn es sich um eine „readily available replace performance“ handelt, was bei Gattungssachen in der Regel der Fall ist.477 Inspiriert wurde diese Regelung vom Handelskauf, wo der Gläubiger aus ökonomischen Gründen ein gesteigertes Interesse an Deckungsgeschäften hat. Der Zweck dieses Ansatzes scheint zunächst einleuchtend: In der Regel lässt die Möglichkeit des Deckungsgeschäfts das Interesse des Sachleistungsgläubigers an der Vertragserfüllung entfallen. Sein Interesse ist rein wirtschaftlicher Art, er wird daher eher an Schadensersatz interessiert sein. So soll insbesondere bei Gattungskäufen das Interesse des Käufers an einer verspäteten Lieferung regelmäßig entfallen und sein Interesse in der Geltendmachung der für die Beschaffung von Ersatzware erforderlichen Mehrkosten bestehen: „[…] under the ordinary contract for the sale of non specific goods, damages are a sufficient remedy“.478 Kehrseite dieser pauschalen Betrachtung ist Folgendes: Dem Schuldner wird die Möglichkeit zur Naturalerfüllung genommen und dem Gläubiger überspitzt formuliert nicht nur ermöglicht, seinerseits einen Vertragsbruch zu begehen, er wird buchstäblich dazu gezwungen. Insbesondere im Fall der Verzögerung der Leistung birgt diese Regelung die Gefahr, dass ein ungeduldiger Gläubiger durch ihre Anwendung die auf die Leistungsverzögerung zugeschnittenen Normen umgeht. Als eine über den Handelskauf hinausreichende Regel des allgemeinen Vertragsrechts, die für alle Vertragsparteien unabhängig von deren 474
Nach Art. 275 Abs. 2 Satz 2 BGB ist bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen auch zu berücksichtigen, ob er das Leistungshindernis zu vertreten hat. 475 Entscheidend ist, ob nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses und nach Treu und Glauben ein grobes Missverhältnis zwischen dem Aufwand des Schuldners und dem Leistungsinteresse des Gläubigers besteht, wobei auch zu berücksichtigen sein soll, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat. 476 Wie bereits in Teil 2 zu Art. 9:102 Abs. 2 lit. b PECL erwähnt, entstehen durch eine solche Regelung dort, wo anerkannt, Abgrenzungsprobleme zum Wegfall der Geschäftsgrundlage. 477 Davidson v Macpherson (1889) 30 SLR 2, 6. 478 Sky Petroleum Ltd. v. V.I.P. Petroleum Ltd. [1974] 1 W.L.R. 576 (Ch. D).
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persönlicher Qualifikation Anwendung findet, birgt sie mehr Gefahren als Nutzen. Der romanische Rechtskreis steuert dem über die mise en demeure als Voraussetzung des Schadensersatzanspruchs auch beim Deckungsgeschäft entgegen. Greift ein Unternehmer zur Leistung durch einen Dritten, ohne seinen Vertragspartner zu mahnen, nimmt er ihm jegliche Möglichkeit, seine Leistung noch zu erbringen. Deshalb wird dem Unternehmer bei fehlender mise en demeure auch kein Schadensersatz zugebilligt; das Deckungsgeschäft führt er im eigenen Risiko und muss, falls kein Fall besonderer Dringlichkeit vorlag, auch damit rechnen, seine Gegenleistung erbringen zu müssen.479 Auch das deutsche Recht folgt hier einem vorzugswürdigen Ansatz, der eine Umgehung der Schuldnerinteressen vermeidet: § 275 BGB kennt keinen Ausschluss des Erfüllungsanspruchs bei unproblematischer Deckungsgeschäftsmöglichkeit, es sei denn, der Fall fiele zugleich unter den relativ engen § 275 Abs. 2 BGB. Das Problem löst sich bei Geltendmachung des Erfüllungsanspruchs auf der Ebene des Vollstreckungsrechts. Allerdings wird dem Gläubiger gem. § 281 Abs. 2 Alt. 2 und § 323 Abs. 2 Nr. 3 die erleichterte Geltendmachung von Rücktritt und Schadensersatz statt der Leistung ermöglicht und vom Vorrang des Erfüllungsanspruchs abgesehen, wenn besondere Umstände vorliegen, die dies „unter Abwägung der beidseitigen Interessen rechtfertigen“. Die Formulierung ist weit genug, um den Fall des Deckungsgeschäfts zu erfassen. Durch das Erfordernis der Abwägung der beidseitigen Interessen wird jedoch zugleich verhindert, dass der Gläubiger diese Möglichkeit einseitig ausnutzt. Nach der Gesetzessystematik der deutschen Lösung handelt es sich zwar nicht um eine Schuldnerschutzmaßnahme, sondern um eine Erleichterung für den Gläubiger. Der Schuldner wird allerdings durch das Korrektiv der beiderseitigen Interessen in § 281 Abs. 2 Alt. 2 und § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB geschützt. c. Erfüllungszwang bei fortbestehender Säumnis Die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen enthalten im Hinblick auf ein zur Durchsetzung des Erfüllungsanspruchs verhängbares Zwangsgeld sehr unterschiedliche Ansätze. In Frankreich löst die astreinte das grundsätzliche Verbot des Erfüllungsanspruchs in Art. 1142 CC über einen indirekten Naturalerfüllungsanspruch auf:480 Die vom Richter auch mehrfach hintereinander für einen bestimmten
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Comm. Charleroi, 23.12.1997 , R.D.C. 1999, S. 501 und Comm. Charleroi 15.12.1993, J.L.M.B., 1995, S. 306. 480 Abgesehen von der astreinte als indirektem Weg der Naturalerfüllung; SCHWENZER, E.J.L.R. 289, 1999, S. 289 (290).
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Verzögerungszeitraum angeordnete astreinte provisoire oder définitive481 der Art. 33 ff CPC482 gehört gerade bei den obligations de faire et de ne pas faire zum juristischen Alltag und ist ähnlich wie der Zinsanspruch bei Geldleistungen ein wirksames Mittel, um weitere Verzögerungen der Naturalerfüllung zu verhindern.483 Diese Form der Beugung des Schuldnerwillens besteht parallel zum eigentlichen Vollstreckungsrecht, füllt zugleich dessen Lücken und ersetzt selbst mögliche vollstreckungsrechtliche Maßnahmen,484 obwohl ihre liquidation zugunsten des Gläubigers und nicht zugunsten der Staatskasse erfolgt und sie darum in ihrer Rechtsnatur und ihren Folgen eine völlig andere Rechtsfigur darstellt. Sie ähnelt insoweit eher dem Schadensersatz, auch insofern, als sie in ihrer Höhe den dem Gläubiger entstandenen Schaden nicht überschreiten soll.485 In der Zielsetzung ist sie aber auch mit diesem nicht vergleichbar, denn es ist nicht ihr „objet de compenser le dommage né du retard“, und sie ist „normalement liquidée en fonction de la gravité de la faute du débiteur récalcitrant et de ses facultés“.486 Leistet der Schuldner auch im Zuge der ein- oder mehrfachen Verhängung der astreinte nicht, kommt es im Ergebnis zu einer doppelten Zahlungspflicht. Auch andere kontinentaleuropäische Länder übernahmen die vom Richter auferlegte Privatstrafe als Zwangsmittel, so Portugal in Art. 829-A portCC, Polen in Art. 1050 der Zivilprozessordnung oder Griechenland in Art. 946 f. der Zivilprozessordnung, wobei teils unterschiedlich gehandhabt wird, an wen das Zwangsgeld fließen soll. In Portugal etwa erhält es gem. Art. 829-A Abs. 3 portCC zur Hälfte der Gläubiger und zur Hälfte der Staat.487 Während im englischen Recht die in ihren Voraussetzungen und hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeitskontrolle nur unzureichend geregelten schweren Sanktionen wegen contempt of court in den seltenen Fällen der specific performance einen ähnlich weiten, aber praktisch sehr engen Anwendungsbereich haben, ist ein allgemeines Zwangsgeld in Deutschland als Musterland des vorrangigen Naturalerfüllungsanspruchs nicht vorgesehen. Als vollstreckungs481
Nouveau Code de Procédure Civile. Der Unterschied zwischen der vorläufigen und der endgültigen Variante liegt im Wesentlichen darin, dass die betragsmäßige Festsetzung bei ersterer noch änderbar ist. 482 Loi n° 91-650, 9.7.1991.Vgl. auch CARBONNIER, Obligations, 1994, S. 587. 483 „[…] un moyen à vaincre la résistance opposée à l’exécution d’une condamnation“, Cass. civ. 1re, 20.10.1959, D. 1959.537.1. 484 Astreinte statt Vollstreckungsmaßnahmen wurden z.B. zugelassen in Cass. req., 18.11.1907, 1913.1.386; Cass. civ., 7.4.1965, Bull. Civ. I, n° 262, sowie selbst bei einer Geldleistung in Cass. com., 3.12.1985, Bull. Civ. IV, n° 286; RTD civ. 1986, 745, Anm. MESTRE; vgl. auch ZWEIGERT/KÖTZ, § 35 III, S. 474. 485 Cass. civ. 1re, 20.10.1959, D. 1959.537. 486 Vgl. a.a.O. 487 Art. 829-A Abs. 3 portCC: „O montante da sanção pecuniária compulsória destinase, em parte iguais, ao credor e ao Estado.“
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rechtliche Maßnahme kommt es nur dort in Betracht, wo eine Vollstreckung in anderer Form nicht möglich ist (vgl. § 888 ZPO) und eröffnet dem deutschen Richter nur einen erheblich eingeschränkteren Entscheidungsspielraum.488 3. Vertragsaufhebung Typische Verzugsfolgen treten in der Regel neben den fortbestehenden Erfüllungsanspruch. Der Grat zwischen erfüllungsbegleitenden und erfüllungsersetzenden Sanktionen ist jedoch schmal. In den nationalen Kodifikationen variiert der Moment, der der Verzögerung den Charakter einer definitiven Nichterfüllung verleiht und den Gläubiger berechtigt, sich von seinem Schuldner abzuwenden. Die Durchbrechung des pacta sunt servanda-Grundsatzes bei Leistungsverzögerungen bemisst sich entweder nach der Schwere der Verzögerung im Moment ihres Eintritts (sofortige Vertragsaufhebung bei wesentlicher Vertragsverletzung), in Anknüpfung an einen Zeitablauf (Nachfristmodell) oder nach einer Kombination beider Elemente. Zusätzliche Komplexität gewinnt die Vertragsaufhebungsproblematik, wenn der Gläubiger wie nach den Principles den Vertrag durch unilateralen Gestaltungsakt aufheben kann. Dann werden ihm Gestaltungsfreiheiten auferlegt, die neben einer richterlichen a posteriori-Kontrolle die Frage nach schuldnerschützenden Korrektiven im materiellen Recht aufwerfen. Gerade dieses Spannungsfeld zwischen der Schwere der Vertragsverletzung und der Dauer der Leistungszeitüberschreitung einerseits und der vom Gläubiger durch einseitige Gestaltungserklärung herbeigeführten oder dem Richter obliegenden Vertragsaufhebung andererseits führt zu auffallenden nationalen Differenzen, wenn es auch über Ausnahmeregeln und wertende Betrachtungen zu Annäherungen und Durchmischungen der verschiedenen Lösungen kommt. DE CONINCK nennt ein treffendes Beispiel einer solchen Kompromisslösung: „[L]orsque le créancier envisage d’appliquer des sanctions extrajudiciaires de façon unilatérale, le principe d’exécution de bonne foi des conventions lui impose d’accorder à son débiteur un délai ultime pour exécuter, du moins si cette exécution est toujours possible.“489
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Das deutsche Recht enthält auf den jeweiligen Fall abgestimmte Regelungen, deren Anwendbarkeit auf diesen beschränkt bleibt: So werden vertretbare Handlungen und auf Herausgabe von Sachen gerichtete Ansprüche zwingend nach anderen Grundsätzen durchgesetzt (vgl. §§ 883 ff. und 887 ZPO). 489 DE CONINCK, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 135 (150).
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a. Schwere der Vertragsverletzung Die Entscheidung, nur eine ausreichend schwerwiegende Verletzung des vertraglichen Pflichtenprogramms als Durchbrechungsgrund der force obligatoire eines Vertrages anzusehen, wurde auch in nationalen Rechten unter den Begriff der „wesentlichen Vertragsverletzung“ oder „wesentlichen Nichterfüllung“ gefasst und insbesondere durch den essential oder substantial breach of contract des common law gefördert. Ursprünglich wurde die Wesentlichkeit der Vertragsstörung eher im Sinn eines „breach of a substantial term“ verstanden und nach der Bedeutung der verletzten Pflicht unterscheiden. Dies zeigte sich etwa im früheren § 326 BGB a.F., der für die Vertragsaufhebung auf die Verzögerung einer Hauptpflicht abstellte.490 Diese eher formale Unterscheidung, die der Code Européen in Anlehnung an den McGregor Contract Code in Art. 107 Abs. 1 CE als Paradebeispiel der wesentlichen Nichterfüllung übernimmt, hat sich in den meisten Rechten in Richtung einer „substantiality of the breach“ fortentwickelt491 und als solche auch die Principles beeinflusst. Die englische Judikatur unterschied zunächst formaljuristisch zwischen ausdrücklichen und konkludenten vertragliche Zusagen (warranties), deren Verletzung als breach of contract Schadensersatzansprüche eröffnet, und den für die Durchführung des Vertrages wesentlichen vertraglichen Abreden (conditions). Die strenge Einordnung als condition oder warranty führte jedoch zu unbefriedigenden Ergebnissen, da allein sie darüber bestimmte, ob der Gläubiger zur Vertragsaufhebung schreiten konnte oder nicht, und da sich das Vorliegen einer condition zudem nicht nur nach rein objektiven Kriterien bemaß. Vielmehr konnte eine Vertragsbestimmung den Status einer condition auch dann erlangen, wenn sie von den Parteien als solche bezeichnet wurde, selbst wenn sie objektiv als unwesentlich erschien. Erklärten die Parteien eine Vertragsverletzung zur condition, obgleich sie unwesentlich war, oder zur warranty, obgleich ihre Folgen schwerwiegend waren, entbehrte die Entscheidung letztendlich materieller Gerechtigkeit. Über die Figur der innominate terms wurden die Akzente neu gesetzt und eine Kontrolle in beide Richtungen ermöglicht, da sie zum Rücktritt berechtigten, wenn die Folgen der konkreten Vertragsverletzung derart bedeutsam waren, dass sie die Grundfesten des Vertrages berührten. Für die Definition der condition sollte eher entscheidend sein, ob dem Gläubiger ein Festhalten am Vertrag aufgrund der Folgen ihrer Verletzung nicht zuzumuten ist492 oder ob dem Gläubiger im 490
§ 326 BGB a.F. Siehe hierzu auch die English and Scottish Law Commissions on Sale and Supply of Goods, Law Com. n°160, Scot. Law Com. n° 104, 1987, para 4.15. 492 Decro-Wall International S.A. v. Practitioners in Marketing Ltd. [1971] 2 All E.R. 216 (232). 491
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Wesentlichen der Vorteil entgeht, den er aus dem Vertrag erwarten durfte.493 Bei Leistungsverzögerungen kommt im Lichte dessen eine Vertragsaufhebung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die Leistungszeit „of the essence“ ist.494 Zwar gilt „time is prima facie not of the essence“, andererseits wird jedoch bei ausdrücklicher Bestimmung einer Leistungszeit495 oder bei Handelsgeschäften, die eine rasche Entscheidung über die Tätigung von Deckungsgeschäften erfordern,496 von der Rechtsprechung grundsätzlich eine condition angenommen. CONSTANTINESCO unterscheidet zwischen der Natur der Verzögerung und der Natur des Vertrages. Bei langdauernden Verzögerungen oder bestimmten Vertragstypen sei die Annahme einer condition gerechtfertigt.497 Eine solche soll ähnlich wie nach der Systematik der Principles auch dann vorliegen, wenn der Gläubiger bei Leistung „within a reasonable time“ der Gegenpartei eine (nicht obligatorische) Erfüllungsfrist setzt und diese erfolglos verstreicht.498 Bei der Beurteilung, ob eine Vertragspflicht wesentlich ist oder nicht, wurden ausgehend vom amerikanischen Recht weitere substantielle Kriterien entwickelt, die an Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC erinnern. Insbesondere wird auch darauf abgestellt, in welchem Umfang die vertragsbrüchige Partei die Leistung in ihrem wesentlichen Kern bereits erbracht hat oder erbringen kann und dem Gläubiger deren Annahme bei gleichzeitiger Entschädigung in Geld ausreichen würde.499 Dies ermöglicht wie nach Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC eine Korrektur des Wesentlichkeitsbegriffs.500 Das Spannungsfeld zwischen der Schwere der Verzögerung und der Rolle des Zeitablaufs seit ihrem Eintritt erfährt im deutschen Recht eine andere Gewichtung, obwohl letztendlich ähnliche substantielle Erwägungen zum Tragen kommen. Das Rücktrittsrecht wird wie in den PECL verschuldensunabhängig gewährt, anders als die PECL oder das englische Recht folgt das BGB in den §§ 323 ff. BGB jedoch nicht dem Grundsatz der Vertragsaufhebung bei wesentlicher Nichterfüllung, sondern setzt eine angemessene
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Hong Kong Fir Shipping Co. Ltd. v. Kawasaki Kisen Kaisha Ltd. [1962] 2 Q.B. 26 (70); Cehave NV Bremer Handelsgesellschaft mbH (The Hansa Nord) [1976] QB 44 (CA). 494 ZWEIGERT/KÖTZ, § 36 IV, S. 506. 495 Bunge Corp v Tradax SA [1981] 1 WLR 711 (CA). 496 Lock v. Bell [1931] 1 Ch. 35; Harold Wood Brick Co. v. Ferris [1935] 2 K.B. 198. 497 CONSTANTINESCO, Inexécution et faute contractuelle, S. 125 m.w.N. 498 Stickney v. Keeble [1915] A.C. 386; Rickards Ltd. v. Oppenheim [1950] 1 K.B. 616; ZWEIGERT/KÖTZ, § 36 IV, S. 507. 499 ZWEIGERT/KÖTZ, § 36 IV, S. 506. 500 Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC: „In determining whether a failure to perform an obligation amounts to a fundamental non-performance regard shall be had, in particular, to whether [...] (e) the non-performing party will suffer disproportionate loss as a result of the preparation or performance if the contract is terminated.“
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Fristsetzung voraus.501 Das Erfordernis der Angemessenheit der Frist erlaubt Flexibilität im Einzelfall502 – je nach Eilbedürftigkeit kann auch eine sehr kurze Frist angemessen sein.503 Bei der generellen Nachfristpflicht bleibt es in besonders schwerwiegenden Fällen nicht. Gem. § 323 Abs. 2 BGB kann der Vorrang des Erfüllungsanspruchs entfallen, wenn die Schwere der Störung die Fristsetzung obsolet werden lässt: bei Interessefortfall des Schuldners oder beim relativen Fixgeschäft. Im Unterschied zum bloßen dies interpellat-Fall504 muss die Leistung hier zu einem Zeitpunkt oder binnen eines bestimmten Zeitraumes zu erbringen und seitens des Gläubigers vertraglich festgelegt worden sein, dass der „Fortbestand seines Leistungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden“ ist, um bei Verzögerung der Leistung die Schwere des Verstoßes zu rechtfertigen.505 Zwar entspricht diese Regelung den Principles systematisch nicht. Da bei der Wesentlichkeitsprüfung den Anforderungen des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB vergleichbare Erwägungen angestellt werden, laufen PECL wie BGB jedenfalls beim Fixgeschäft aber auf ein ähnliches Ergebnis hinaus.506 Eine gewisse Annäherung zum System der PECL und UPICC bewirkt auch § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB: Dem Gläubiger ist der Rücktritt versagt, wenn der Schuldner eine nicht vertragsgemässe Leistung erbracht hat, die Vertragswidrigkeit aber unerheblich ist. Die Regelung folgt der Logik des Art. 3 Abs. 6 RiL 1999/44/EG.507 Im Ergebnis kann nach deutschem Recht ein Gläubiger bei unwesentlicher Schlechtleistung nicht zurücktreten, sondern ist auf die Geltendmachung von Schadensersatz beschränkt. Im Umkehrschluss ist der Rücktritt bei unwesentlichen Leistungsverzögerungen nicht ausgeschlossen, allerdings an den fruchtlosen Ablauf einer angemessenen Nachfrist geknüpft. Im Unterschied zu den Principles und zum DCFR ermächtigen auch wesentliche Vertragsverletzungen grundsätzlich nur nach Fristsetzung zur Vertragsaufhebung, es sei denn, es 501
Schwierigkeiten entstehen allerdings, wenn der Schuldner innerhalb der Nachfrist nur einen Teil der Leistung bewirkt. Hier greift § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB der den den Rücktritt vom ganzen Vertrag nur gewährt, wenn der Gläubiger an der Teilleistung kein Interesse hat (ähnlich § 281 Abs. 1 Satz 2 BGB). 502 Zur Angemessenheit der Frist siehe BGH NJW 82, 1280; 85, 323, 857. 503 So wurde etwa nach Köln NJW-RR 93, 949 eine zweitägige Frist für angemessen erachtet. 504 Vgl. auch BGH DB 01, 1553. 505 So muss nach der in Deutschland üblichen Definition der Vertrag mit der Respektierung des Leistungstermins „stehen und fallen“, so bereits RG 51, 347, was durch entsprechende Verdeutlichung im Vertrag begleitet wird („fix“, „genau“, „für das Ostergeschäft“, „spätestens“), wobei diese Formulierungen allein (z.B. „spätestens am 14.7.“) im Zweifel nicht ausreichen dürfte, wenn der Vertragsinhalt nicht einen entsprechenden Schluss erlaubt. 506 Vgl. hierzu Staudinger/OTTO, 2004, § 323 Rn. 11 ff. Beim Fixhandelskauf muss die nicht säumige Partei hingegen sofort nach Verstreichen des vereinbarten Leistungszeitpunktes anzeigen, dass sie auf Erfüllung besteht (§ 376 Abs. 1 S. 2 HGB). 507 Art. 3 Abs. 6 RiL 1999/44/EG spricht von „geringfügigen Vertragswidrigkeiten.“
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liegt eine der bereits erörterten Ausnahmen des § 323 Abs. 2 BGB vor. Weitere Ausnahmen enthält § 326 Abs. 5 BGB, der systematisch besser in den Ausnahmekatalog des § 323 Abs. 2 BGB eingegliedert hätte werden sollen. Die gegenüber § 326 Abs. 2 BGB a.F.508 differenziertere und im Vergleich zu Art. 9:301 Abs. 1 PECL PECL bemerkenswerte Regelung des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB ermöglicht, anders als Art. 9:301 Abs. 1 PECL und in Anlehnung an Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC, einen gerechteren Ausgleich der Interessen von Schuldner und Gläubiger: Die Regelung wird in der derzeitigen Praxis zwar im Wesentlichen parallel zum Wesentlichkeitsbegriff des Art. 25 CISG ausgelegt,509 ermöglicht ihrem Wortlaut nach jedoch zugleich, die von Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC umfassten Fälle aufzufangen.510 Die Unterschiede zu den PECL beruhen im Ergebnis im Wesentlichen auf einem inversen Regel-Ausnahmeverhältnis, allerdings mit einer entscheidenden Einschränkung: Während Art. 9:301 Abs 1 PECL die sofortige Vertragsaufhebung bei wesentlicher Nichterfüllung gestatten und der Begriff der Wesentlichkeit ein subjektiv gefärbter Begriff ist, beruht die Ausnahmevorschrift des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB auf einer Interessenabwägung, die über die Vorhersehbarkeitskontrolle iSd. Art. 8:103 lit. b PECL hinausgeht und wie Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC der Berücksichtigung der Schuldnerinteressen eine größere Bedeutung beimisst. Eine Überdehnung der Fälle des Interessefortfalls kann verhindert werden, ohne den effektiven Schutz der Gläubigerinteressen zu beschneiden. Die Regel-Ausnahme-Systematik des BGB mit ihrer grundsätzlichen Nachfristpflicht kann zudem in Grenzfällen der Wesentlichkeit einer Tendenz zur vorschnellen Vertragsaufhebung entgegenwirken. Die Bedeutung der Nachfrist untersteichen im Übrigen auch die Vorschriften zur AGB-Kontrolle. Gem. § 309 Abs. 4 BGB oder § 310 Abs. 1 BGB i.V.m. § 307 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB ist das Nachfristerfordernis weder in Verbraucher- noch in Unternehmergeschäften durch AGB abdingbar, wohl aber durch abweichende individualvertragliche Vereinbarung.511 Für eine von den Principles und insbesondere von Art. 7.3.1 UPICC inspirierte Lösung, jedoch mit anderer Gewichtung, entschied sich das estnische 508
§ 326 BGB a.F. stellte für die sofortige Vertragsaufhebungsmöglichkeit allein auf den Wegfall des Gläubigerinteresses an der Leistung ab. Vgl. zu § 326 Abs. 2 a.F. BENDIX, SeuffBl. 77 (1912), S. 153, 159 ff.; ADLER, ZHR 86 (1923), 1, 91 ff.; HUBER, Leistungsstörungen II, § 48 , S. 493 ff. 509 MüKo/ERNST, § 323, Rn. 122 ff.; nach der Gesetzesbegründung in RegE, BT-Drucks 14/6040, S. 186 soll weiterhin das Gläubigerinteresse ein stärkeres Gewicht erhalten. 510 So sollen Fälle umfasst werden, in welchen die verspätet gelieferte Ware unverwendbar (vgl. RG, JW 1920, 47), Saisonware unverkäuflich (BGH LM § 326 (Ed) Nr. 3) oder ein Exportgeschäft undurchführbar ist, weil der ausländische Käufer wegen des Lieferverzugs keine Importlizenz mehr bekommen kann (BGH, WM 1957, 1342, 1343 f.), Regierungsbegründung, BT-Drs. 14/6040, S. 186. 511 BGH NJW 82, 1036; 85, 268.
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Schuldrechtsgesetz. Es greift in § 116 estSRG zunächst den die internationalen Regelungsmodelle beherrschenden Gedanken der wesentlichen Vertragsverletzung auf512 und gestattet den Rücktritt vom Vertrag, wenn die Leistungsstörung ausreichendes Gewicht hat.513 Daneben erlaubt das estnische Recht den Rücktritt selbst bei per se unwesentlichen Vertragsverletzungen, wenn dem Schuldner eine Nachfrist gesetzt wurde, die dieser verstreichen ließ. Der fruchtlose Fristablauf verleiht der Nichterfüllung des Schuldners grundsätzlich ein solches Gewicht, dass sie den Rücktritt wegen wesentlicher Vertragsverletzung rechtfertigt. In § 116 Abs. 2 Alt. 5 estSRG wird er ausdrücklich zu einem Unterfall der wesentlichen Vertragsverletzung erklärt.514 Jede bei Eintritt der Leistungsstörung noch unwesentliche Vertragsstörung kann damit ohne die auf die Verzögerung der Leistung eingeschränkte Sicht der Art. 7.3.1 Abs. 3 UPICC und 9:301 Abs. 2 PECL nach fruchtosem Nachfristablauf die Vertragsaufhebung rechtfertigen. Zudem sieht § 116 Abs. 4 estSRG, ähnlich wie Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC und § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB, vor, dass eine Fristsetzung stets zu erfolgen hat, wenn ein Rücktritt des Gläubigers dem Schuldner in Relation zu den ihm wegen der Erfüllungsvorbereitung angefallenen Aufwendungen einen unverhältnismäßig hohen Schaden verursachen würde. In Abs. 4 heißt es: „Withdrawal from a contract without granting an additional term for performance specified in § 114 of this Act is prohibited if the damage suffered by the non-performing party in the case of the withdrawal would be disproportionate in relation to the expenses incurred in the performance or preparation for the performance of the obligation.“ Diese Norm, die durch eine Fokussierung auf die wirtschaftlichen 512
Wesentlich ist eine Vertragsverletzung dann, wenn die andere Partei an der Erfüllung des Vertrages aufgrund der Vertragsverletzung kein Interesse mehr hat. 513 § 116 estSRG: „(1) A party may withdraw from the contract in the case of fundamental non-performance of a contractual obligation by the other party (fundamental breach of contract). (2) A breach of contract is fundamental if: a) non-performance of an obligation substantially deprives the injured party of what the party was entitled to expect under the contract, except in cases where the other party did not foresee such consequences of the non-performance and a reasonable person of the same kind as the other party could not have foreseen such consequences under the same circumstances; b) pursuant to the contract, strict compliance with the obligation which has not been performed is the precondition for the other party’s continued interest in the performance of the contract; c) non-performance of an obligation was intentional or due to gross negligence; d) non-performance of an obligation gives the injured party reasonable reason to believe that the party cannot rely on the other party’s future performance; e) the other party fails to perform any obligation thereof during an additional term for performance specified in § 114 of this Act or gives notice that the party will not perform the obligation during such term.“ GÖTTIG, ZfRV 2006, S. 138 (145). 514 GÖTTIG, ZfRV 2006, S. 138 (146).
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Folgen noch konkreter ist als § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB, verkörpert den gleichen Grundgedanken. Der Schuldner darf auch nicht mit einer sofortigen Vertragsaufhebung überfahren werden, wenn dies aufgrund der von ihm bereits getroffenen Vorkehrungen zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung unzumutbar wäre. An der CISG orientiert ist demgegenüber das tschechische ObchZ.515 Gem. § 344 ObchZ kann von einem Vertrag nur in den vertraglich oder gesetzlich bestimmten Fällen zurückgetreten werden, wobei der Rücktritt wegen Verzugs die zentrale Form des gesetzlichen Rücktritts ist. Gem. § 367 S. 2, § 345 ObchZ kommt bei Verzug des Schuldners ein sofortiger Rücktritt in Betracht, wenn dieser eine wesentliche516 Verletzung der Vertragspflichten (podstatné porušení) bedeutet517 oder gem. § 346 Abs. 1 ObchZ erfolglos eine Frist gesetzt wurde. Dem Gläubiger verbleibt trotz wesentlicher Verletzung der Schuldnerpflichten gleichwohl die Möglichkeit, auf der Leistung zu bestehen, er behält aber gem. § 345 Abs. 2 ObchZ die Option, sich von der Vertragsbindung zu einem späteren Zeitpunkt zu lösen, dann allerdings – ausgenommen der Schuldner selbst verweigert die Leistung – nur nach Fristsetzung. Im Fall einer nicht wesentlichen Vertragsverletzung hat die Nachfrist gem. § 346 ObchZ angemessen zu sein und kann gem. § 350 Abs. 2 ObchZ auch mit einer Ablehnungsandrohung verbunden werden.518 Wird eine solche Frist trotz Rücktrittserklärung nicht gesetzt oder ist sie unangemessen kurz, treten die Wirkungen des Rücktritts gem. § 350 ObchZ erst nach Fristablauf ein. Eine Ausnahme vom Nachfristerfordernis soll greifen, wenn die im Verzug befindliche Partei erklärt, dass sie die Leistung nicht erbringen wird.519 515
Nicht aber das ObçZ, das wenig systematische Vorschriften zur Vertragsaufhebung enthält. 516 Eine Vertragsverletzung gilt gem. § 345 Abs. 2 ObchZ dann als wesentlich, wenn die vertragsbrüchige Partei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wusste oder in Anbetracht des aus Inhalt und Umständen des Vertragsschlusses hervorgehenden Vertragszwecks vernünftigerweise wissen konnte, dass die andere Partei an der Erfüllung des Vertrages im Fall einer derartigen Vertragsverletzung kein Interesse haben würde. In Zweifelsfällen wird die Vertragsverletzung jedoch als nicht wesentlich angesehen. 517 § 345 Abs. 1 ObchZ: „Znamená-li prodlení dlužníka (§ 365) nebo věřitele (§ 370) podstatné porušení jeho smluvní povinnosti, je druhá strana oprávněna od smlouvy odstoupit, jestliže to oznámí straně v prodlení bez zbytečného odkladu poté, kdy se o tomto porušení dověděla.“ 518 § 346 Abs. 1 ObchZ: „Znamená-li prodlení dlužníka nebo věřitele nepodstatné porušení smluvní povinnosti, může druhá strana odstoupit od smlouvy v případě, že strana, která je v prodlení, nesplní svou povinnost ani v dodatečné přiměřené lhůtě, která jí k tomu byla poskytnuta.“ 519 Die Regelung im ObçZ ist im Vergleich relativ rudimentär: § 497 ObçZ sieht grundsätzlich ein vertragliches Rücktrittsrecht mit oder ohne Vertragsstrafe vor, die Vertragsaufhebung wegen Verzugs ist einer der wenigen Ausnahmefälle des gesetzlichen Rücktritts und in manchen Fallkonstellationen sogar einer ipso iure Vertragsauflösung. Vgl. auch
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Dem Nachfristmodell folgt gem. Art. 107 Abs. 2 OR bei der Vertragsaufhebung wegen verzugsbedingter Störung auch die Schweiz. Die Nachfrist kann entweder der Gläubiger selbst setzen oder durch die zuständige Behörde setzen lassen. Die Fristsetzung ist nicht nur für den Rücktritt von Bedeutung, sondern auch für das Begehren von Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Die Rücktrittserklärung hat zur Verhinderung eines Schwebezustandes für den Schuldner unverzüglich zu erfolgen. Ohne Fristsetzung ist der Rücktritt gem. Art. 108 OR nur möglich, wenn aus dem Verhalten des Schuldners hervorgeht, dass sich eine Fristsetzung „als unnütz erweisen würde“. Dies soll etwa gelten, wenn am Tag der Lieferung festgestellt wird, dass die Fabrikation der geschuldeten Sache noch nicht begonnen wurde,520 wenn infolge Verzugs des Schuldners die Leistung für den Gläubiger nutzlos geworden ist, worunter auch die Fälle des absoluten Fixgeschäftes fallen sollen,521 oder wenn sich „aus dem Vertrag die Absicht der Parteien ergibt, dass die Leistung genau zu einer bestimmten oder bis zu einer bestimmten Zeit erfolgen soll“. Im Unterschied zum BGB werden die Interessen von Schuldner und Gläubiger insbesondere in Art. 108 Nr. 2 OR nicht in Relation zueinander gesetzt. Es kommt allein auf die Gläubigereinschätzung an, wann eine Leistung nutzlos für ihn ist. Auch die Kombination zwischen Rücktritt und Schadensersatz wegen Nichterfüllung ist anders gelöst als im deutschen Recht: Gem. Art. 109 Abs. 2 kann der Gläubiger, der wegen der Säumnis seines Schuldners zurücktritt, nur Ersatz des „aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen“ Schadens verlangen, sofern der Schuldner sein fehlendes Verschulden nicht nachweist. Der Gläubiger ist dann auf das negative Interesse beschränkt. Das österreichische Recht überlässt zwar die Wahl zwischen Erfüllung und Rücktritt dem Gläubiger. Aus § 918 Abs. 1 ABGB folgt aber, dass dieser alternativ zu Erfüllung und Verspätungsschadensersatz nur unter Setzung einer angemessenen Nachfrist den Rücktritt vom Vertrag erklären kann. Das bloße Zuwarten des Gläubigers wird nach der Rechtsprechung des OGH als Nachfrist angesehen, wenn an der Annahmebereitschaft des Gläubigers kein JEHLIČKA/ŠVESTKA/ŠKÁROVÁ, Občanský Zákoník, Komentář (Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch), § 517, S. 777. 520 Siehe hierzu BGE 116 II 436; Berner Kommentar/WEBER, VI/1/5, Art. 108 OR, Rn. 9; THÉVENOZ/WERRO, Commentaire romand, Code des obligations I, Art. 108 OR, Rn. 4; HONSELL/VOGT/WIEGAND, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I, Art. 108 OR, Rn. 2. Vgl. auch das sofortige Rücktrittsrecht beim Werkvertrag in Art. 366 Abs. 1 OR: „Beginnt der Unternehmer das Werk nicht rechtzeitig oder verzögert er die Ausführung in vertragswidriger Weise oder ist er damit ohne Schuld des Bestellers so sehr im Rückstande, dass die rechtzeitige Vollendung nicht mehr vorauszusehen ist, so kann der Besteller, ohne den Lieferungstermin abzuwarten, vom Vertrage zurücktreten.“ 521 Etwa Nichtlieferung des Hochzeitskleides zum Hochzeitstag, THÉVENOZ/WERRO, Commentaire romand, Code des obligations I, Art. 108 OR, Rn. 6; Berner Kommentar/WEBER, VI/1/5, Art. 108 OR, Rn. 23 f.
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Zweifel besteht.522 Die Pflicht eine Nachfrist zu „setzen“, ist einem Gläubiger, der nicht Unternehmer ist, häufig unbekannt, weshalb der OGH zum Teil verlangt, dass der Gläubiger auf die Nachfristsetzungspflicht hinzuweisen ist.523 In der Ursprungsfassung des ABGB sah das Gesetz die Möglichkeit der Vertragsaufhebung in bewusster Abkehr von Art. 1184 CC und in Anlehnung an das römische Recht noch nicht vor,524 da der Bestandskraft von Verträgen eine sehr große Bedeutung beigemessen wurde.525 Das Rücktrittsrecht des Gläubigers wurde zunächst zwar nur in gesetzlich geregelten Spezialfällen, dann allerdings bereits außergerichtlich gewährt und stellte insofern gegenüber dem Konzept des Code civil eine wesentliche Neuerung seiner Zeit dar, die erst 70 Jahre später im schweizerischen OR von 1883 und im BGB in vergleichbarer Form seinen Platz fand.526 In allgemeiner Form wurde das Rücktrittsrecht schließlich 1917, diesmal in Anlehnung an das BGB, in § 918 ABGB aufgenommen. Gem. § 919 ABGB wird von der Nachfristpflicht ausgenommen, wenn der Rücktritt bei Nichterfüllung zu einem bestimmten Leistungszeitpunkt vertraglich vereinbart wurde. Dem Rücktrittsberechtigten steht aber weiterhin Erfüllung zu, wenn er dies nach Verstreichen der Leistungszeit dem andern ohne Verzug anzeigt. Die Nachfristpflicht entfällt auch dann, wenn der Gläubiger wegen der Natur des Geschäftes oder wegen dem dem Verpflichteten bekannten Leistungszweck an der verspäteten Leistung kein Interesse hat. Dies gilt auch bei einer verspäteten Teilleistung, wenn die noch ausstehenden Teilleistungen für den Empfänger nicht von Interesse sind. Eine andere Regelung findet sich im französischen Recht. Dort liegt der Akzent auf dem Parteiwillen als Aufhebungsgrund und der Rolle des Richters beim Gestaltungsakt der Vertragsaufhebung. Mit der Gewährung der Ver522
OGH, JBl. 1988, 447, HS 27.493; JBl. 1999, 527; vgl. auch EvBl. 1958/302, SZ 27/334; EvBl. 1978/2; KOZIOL/WELSER, Bürgerliches Recht, S. 51. 523 Hierzu auch Rummel/REISCHAUER, § 918 Rn. 15 sowie OGH SZ 60/287. In Fällen fehlender Nachfristsetzung seitens von Verbrauchern wird diese gleichwohl in Lauf gesetzt und kann einen wirksamen Rücktritt herbeiführen, wenn der Unternehmer den Verbraucher nicht darüber aufgeklärt hat, dass er diese zu setzen hat und nicht in angemessener Frist leistet (OGH, 1 Ob 688/98, 8 Ob 660/92; vgl. auch Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44/EG, der auf eine Nachfristsetzung gerade nicht abstellt). 524 Der damalige § 919 ABGB 1811 lautete: „Wenn ein Theil den Vertrag entweder gar nicht; oder nicht zu der gehörigen Zeit; an dem gehörigen Orte; oder auf die bedungene Weise erfüllet; so ist der andere Theil, außer den in dem Gesetze bestimmten Fällen, oder einem ausdrücklichen Vorbehalte, nicht berechtiget, die Aufhebung, sondern nur die genaue Erfüllung des Vertrages und Ersatz zu fordern.“ Es waren lediglich Ansprüche auf Erfüllung und Schadensersatz vorgesehen, außer die Parteien hatten ein Rücktrittsrecht ausdrücklich durch „irritatorische Klausel“ vertraglich vereinbart oder ein solches war in besonderen Fällen gesetzlich vorgesehen. 525 V. ZEILLER, Das natürliche Privat-Recht, § 6, 48 und 111: „Verpflichtungen sind genau zu erfüllen.“ 526 Dazu BUCHER, ZEuP 2003, S. 353 ff.
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tragsaufhebungsmöglichkeit wegen Nichterfüllung schuf der historische Code civil eine bedeutende Innovation im Bereich des kodifizierten Nichterfüllungsrechts.527 Die Verschuldensunabhängigkeit des Rechtsbehelfs und seine Anwendbarkeit auf alle Fälle der Nichterfüllung waren entscheidende Neuerungen und schafften ohne Verschuldensbeweis Klarheit über das Schicksal der eigenen Gegenleistungspflicht des Gläubigers.528 Das Gesetz sieht allerdings gem. Art. 1183 CC eine vertragliche Vereinbarung der Vertragsaufhebung vor, die gem. Art. 1184 CC als implizite condition résolutoire für den Fall der Nichterfüllung als im Vertrag enthalten gilt.529 Dogmatisch ordnet nicht das Gesetz eine Vertragaufhebung an, sondern sie beruht stets auf dem Parteiwillen, weshalb die Regelung auch nicht in den Gläubigerschutznormen der Art. 1146 ff. CC enthalten ist.530 Die Vertragsaufhebung liegt grundsätzlich in der Hand des Richters. Sie hängt jedoch davon ab, ob dieser die Nichterfüllung für so essentiell oder das Verhältnis der Parteien für derart beeinträchtigt hält, dass nur die Vertragsaufhebung in Betracht kommt, ob er dem Schuldner gem. 1184 Abs. 3 CC eine Nachfrist zur Leistung setzt,531 oder ob er Schadensersatz statt oder neben der Vertragsaufhebung gewähren will.532 Ein Verschuldenserfordernis gibt es nicht.533 Der auf Auflösung verklagte Schuldner hat zudem prinzipiell Zeit, seine Leistung während des Verfahrens zu erbringen. Tatsächlich läuft also regelmäßig eine Art Nachfrist. Faktisch wird das Gericht aber den Vertrag auflösen, wenn es der Meinung war, die im Prozessverlauf angebotenen Leistung sei verspätet oder die Nichterfüllung wesentlich gewesen. Wenn der Gläubiger auf Vertragsaufhebung klagt, hat er es demnach nicht selbst in der Hand, welche Rechtsfolge tatsächlich eintreten wird. Der Richter bewertet die Bedeutung, die die Parteien der Erfüllung der verletzten Vertragspflicht beimaßen. Dies gilt auch bei der Frage des Ausschlusses der Vertragsaufhebung bei unwesentlicher Nichterfüllung. Hier gilt ebenfalls implizit, dass die Parteien für den Fall unwesentlicher 527
Die Vertragsaufhebung stand im Gegensatz zur römischrechtlichen Tradition. HARKE, Schuldnerverzug, S. 77 f. Allerdings sah bereits das Allgemeine Preußische Landrecht hierzu eine Regelung vor. 529 Art. 1184 CC: „La condition résolutoire est toujours sous-entendue dans les contrats synallagmatiques, pour le cas où l’une des deux parties ne satisfera point à son engagement. Dans ce cas, le contrat n’est point résolu de plein droit. La partie envers laquelle l’engagement n’a point été exécuté, a le choix ou de forcer l’autre à l’exécution de la convention lorsqu'elle est possible, ou d’en demander la résolution avec dommages et intérêts. La résolution doit être demandée en justice, et il peut être accordé au défendeur un délai selon les circonstances.“ 530 Dies wäre den historischen Gesetzgeber ein zu großer Schritt gewesen; BUCHER, in DUFOUR et al., Mélanges Schmidlin, S. 407 (416). 531 FLESSNER, ZEuP 1997, S. 255 (281 f.). 532 Cass. civ., 11.4.1918, DP 1921, 1, 224; Defrénois 1996, 1365. 533 Cass. civ., 14.4.1981, DP 1981, 1, 329; Cass. 1re civ., 12.3.1985, Bull. Civ. I, n° 94, S. 87; RTD civ. 1986, 345. 528
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Nichterfüllung nicht gewollt hätten, dass der Vertrag aufgehoben wird. Diese Vertragsaufhebungsregeln sollen sich jedoch nach dem Projet Catala ändern und praxisgerechter werden. Dabei orientieren sie sich an der französischen Rechtsprechung und an Modellen anderer Länder wie etwa am BGB. Dem Gläubiger soll künftig eine einseitige verschuldensunabhängige Vertragsaufhebungsmöglichkeit gewährt werden, die aber gem. § 1158 Abs. 2 des Projekts an ein „Inverzugsetzen“ in Kombination mit einer angemessenen Nachfrist geknüpft wird.534 Das Projet Catala gewährt eine „Wesentlichkeitskontrolle“ der Nichterfüllung nur im Rahmen einer gerichtlichen a posteriori Kontrolle der Vertragsaufhebung, die der Schuldner nach § 1158-1 des Projekts initiieren kann, wenn er die Vertragsaufhebung durch den Gläubiger für ungerechtfertigt hält. Den strengen Ansatz des geschriebenen französischen Rechts übernahm der italienische Codice Civile von 1942 von vornherein nicht.535 Der italCC sieht zwei Optionen vor: die einseitige Vertragsaufhebung nach Nachfristsetzung durch den Gläubiger, der die weitere Gestaltung des gestörten Vertragsverhältnisses selbst in die Hand nehmen will, oder die Vertragsaufhebung durch Beschreiten des Gerichtswegs. Ausgeschossen sind beide Rücktrittsalternativen gem. Art. 1455 italCC, wenn die Nichterfüllung unter Berücksichtigung des Interesses der anderen Vertragspartei nur geringe Bedeutung hat.536 Auch hier gibt es eine negativ formulierte Wesentlichkeitsschranke im Gesetz. Nach Art. 1454 Abs. 1 italCC537 setzt die Vertragsaufhebung durch eine Partei eine schriftliche Nachfristsetzung voraus, die an eine formale Ablehnungsandrohung gekoppelt ist.538 Hinsichtlich der Nachfristdauer enthält das italienische Recht eine Spezialnorm, die durch den Code Européen übernommen wurde: Die Nachfrist muss angemessen sein, darf jedoch nicht unter 15 Tagen betragen, es sei denn, es ergibt sich aus der Parteiabrede oder aus der Natur des Vertrages oder den Gebräuchen ein anderes.539 Diese Formalismen sollen die Aufhebung des Vertrages in den Händen der Parteien einem streng vorgegebenen Rahmen unterwerfen, um einseitigen Missbrauch zu verhindern. Eine im Grundsatz 15-tägige Frist verhindert ein vorschnelles Agieren des Gläubigers zu Lasten des Schuldners, 534
Nach Art. 1158 Abs. 2 des Projet Catala muss der Gläubiger „de lui-même mettre en demeure le débiteur défaillant de satisfaire à son engagement dans un délai raisonnable, à défaut de quoi il sera en droit de résoudre le contrat.“ 535 Art. 1165 italCC von 1865 folgte indes noch dem in 1184 CC verankerten Konzept der stillschweigenden Bedingung der Vertragsauflösung im Fall der Nichterfüllung. 536 „Il contratto non si può risolvere se l’inadempimento di una delle parti ha scarsa importanza, avuto riguardo all’interesse dell’altra.” 537 „[…] salvo diversa pattuizione delle parti o salvo che, per la natura del contratto o secondo gli usi, risulti congruo un termine minore.”, vgl. Art. 1454 Abs. 2 italCC 538 Art. 1457 CC. Siehe dazu Cass. 9.9.1998, n. 8910; 28.6.2001, n. 8844. 539 Vgl. TRIMARCHI, Istituzioni di diritto privato, Nr. 331 ff.
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ist aber im Geschäftsalltag hinderlich.540 Eine außergerichtliche Vertragsaufhebung ohne Nachfrist ist dann möglich, wenn die Parteien vereinbart haben, dass bei Nichterfüllung bestimmter Vertragspflichten die beschwerte Partei zur Aufhebung des Vertrages berechtigt sein soll. Beruft sich der Gläubiger in einem solchen Fall gegenüber dem Schuldner auf diese Vertragsklausel, wird der Vertrag gem. Art. 1156 CC automatisch aufgehoben, ohne dass es einer weiteren Handlung des Gläubigers bedarf. Eine weitere Ausnahme gilt im Fall des termine essenziale (Fixgeschäft): Liegt eine Leistungszeitbestimmung im wesentlichen Interesse einer der Parteien, gilt der Vertrag ebenfalls als aufgelöst.541 Von einem termine essenziale spricht man nach italienischem Recht nicht nur, wenn sich ausdrücklich ein dahingehender Parteiwille manifestiert, sondern auch, wenn sich die Bedeutung der Leistungszeit aus den Umständen und der Natur des Vertrages ergibt.542 Allerdings wird in der Regel schon wegen Art. 1455 CC eine Gesamtbetrachtung objektiver und subjektiver Elemente vorgenommen.543 Ähnlich wie im österreichischen Recht steht es der beschwerten Partei jedoch frei, binnen drei Tagen mitzuteilen, dass sie trotz Verstreichens des Leistungszeitpunkts weiterhin die Erfüllung des Vertrages wünscht.544 Die Beweislast für ein solches nachträgliches Erfüllungsverlangen trägt aber der säumige Schuldner.545 Wählt der Gläubiger den Weg der gerichtlichen Vertragsaufhebung, wird im Gegensatz zum französischen Recht keine Nachfristsetzung durch den Richter vorgesehen.546 Dass das Rechtsproblem in den Händen eines Richters aufgehoben ist, rechtfertigt den Verzicht auf ein weiteres Schuldnerschutzelement. Allerdings setzt die gerichtliche Vertragsaufhebung nach italienischem Recht auch nicht zwingend eine Mahnung voraus, da diese nur für die Verzugsfolgen im engeren Sinn Voraussetzung ist. So wurde wie bereits angesprochen kritisiert, dass der Schuldner ohne vorherige Mahnung im Wege der Vertragsaufhebungsklage vor Gericht zitiert werden könne. Da auch dem Richter nicht ausdrücklich aufgegeben sei, eine Nachfrist zu setzen, nehme man dem Schuldner ab Erhebung der Aufhebungsklage praktisch jegliche Möglichkeit der Erfüllung. Dies sei insbesondere unzumutbar, wenn keine Leistungszeitvereinbarung getroffen wurde. Daher wurde teils auch für 540
Siehe zu dieser Frist auch Cass., 6.4.1973, n. 953. Cass., 26.3.1969, n. 980. 542 Cass,. 2.12. 1996, n. 10751; 29.8.1997, n. 8233. 543 Cass., 4.9.1991, n. 9358. „Coordinare la valutazione dell’elemento obiettivo del ritardo, nel quadro dell’economia generale del contratto, con l’elemento subiettivo, e cioè con l’interesse in concreto dell’altra parte alla esatta e tempestiva prestazione“, PESCATORE/ RUPERTO, Codice Civile I, Art. 1457 Nr. 2. 544 Art. 1457 italCC. 545 Cass. 4.6.1979, n. 3153. 546 PESCATORE/RUPERTO, Codice Civile I, Art. 1454 Nr. 1; Cass., 7.11.1969, n. 3647; 27.1.1996, n. 639. 541
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die Alternative der richterlichen Vertragsaufhebung eine angemessene Frist zur Leistungserbringung gefordert, wenn der Schuldner nicht durch Mahnung und Gewährung einer Erfüllungsmöglichkeit vor Klageerhebung eine Möglichkeit zur verspäteten Erfüllung erhalten hat.547 Wurde die Vertragsaufhebung einmal erklärt, schneidet sie dem säumigen Schuldner den Weg der Erfüllung ab.548 Auch Portugal folgte dem französischen Modell der „condition resolutoire tacite“ nicht, sondern verankerte den Rücktritt bereits im Código civil von 1867 systematisch in den Vorschriften zur Erfüllung von Verträgen.549 Hinsichtlich des Rücktritts unterscheidet der Código civil nach der Art der Leistungsstörung und enthält auch diverse Spezialregelungen des Rücktritts für bestimmte Vertragstypen.550 Der Rücktritt bei und trotz Unmöglichkeit der Leistung des Schuldners wurde in Anlehnung an das BGB in der 1930 geänderten Fassung des portCC zugelassen. Den Rücktritt wegen Verzugs gestattet das portugiesische Rechts erst dann, wenn der Gläubiger das Interesse an der Leistung verloren hat oder der Schuldner auch nach Setzung einer angemessenen Nachfrist durch den Gläubiger die geschuldete Leistung nicht erbringt. Auch in Portugal werden Gläubigerinteresse und Nachfrist zu den entscheidenden Voraussetzungen einer Nichterfüllungshaftung. Wann der Gläubiger das Interesse an der Leistung verliert, ist gem. Art. 808 Abs. 2 portCC allerdings rein objektiv zu bestimmen,551 was dem Schuldnerschutz zugute kommt, da einer interessenorientierten Ausnutzung des Interessewegfalls durch den Gläubiger vorgebeugt wird. Der in der Regel aufgrund einer nationalen Spezialnorm zur sofortigen Vertragsaufhebung berechtigende Fall des Fixgeschäftes ist nach portugiesischem Recht ein Unterfall des Wegfalls des Gläubigerinteresses. Man erkennt im Konzept des portugiesischen Rechts Elemente der Vertragsaufhebung nach Art. 9:301 Abs. 1 und 2 iVm. Art. 8:106 (3) PECL,552 allerdings liegt nach den PECL bei Verzögerung der 547
RUBINO, Riv. Dir. Civ. 1947-1, S. 56 ff.; MOSCO, La risoluzione del contratto per inadempimento, S. 232-237; ÁLVAREZ VIGARAY, La resolución de los contratos bilaterales por incumplimiento, S. 50. 548 BARASSI, La teoria generale delle obbligazioni, Bd. III, S. 417 f. 549 Siehe Art. 709 portCC von 1867, der 1930 geändert wurde, sowie Art. 432 ff. (allgemeine Vorschriften) und Art. 801 f. (Unmöglichkeit), 808 (Verzug) des portCC von 1966. 550 Z.B. Art. 886, 1047 portCC. 551 Art. 808 portCC (Perda do interesse do credor ou recusa do cumprimento): „1. Se o credor, em consequência da mora, perder o interesse que tinha na prestação, ou esta não for realizada dentro do prazo que razoavelmente for fixado pelo credor, considerase para todos os efeitos não cumprida a obrigação. 2. A perda do interesse na prestação é apreciada objectivamente. “ 552 Wobei angesichts der Definition der wesentlichen Nichterfüllung in Art. 8:106 Abs. 3 und insbesondere Abs. 3 lit. b PECL und der rein objektiven Bestimmung des Wegfalls des
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Leistung bereits eine Nichterfüllung und bei Wegfall des Gläubigerinteresses in aller Regel eine wesentliche Nichterfüllung vor, während das portugiesische Recht wie auch andere Rechte im ersten Fall zwar einen Fall des Verzugs, nicht aber der Nichterfüllung sieht. b. Jüngere Tendenzen zur einseitigen Vertragsaufhebung Begehrt der Gläubiger im Fall der Nichterfüllung die Vertragsaufhebung, kann letztere nach geltendem französischem Recht gem. 1184 S. 3 CC im Grundsatz nur als gerichtliche Aufhebung erfolgen.553 Die Regel des Art. 1184 Abs. 3 CC wurde, wie auch die Möglichkeit der Auflösung als solche, von Pothier vorgezeichnet: „Mais cette extinction de mon engagement ne se fera pas de plein droit; elle se fera par la sentence […].“554 Die Notwendigkeit der Gerichtsentscheidung beruhte auf dem vom kanonischen Recht beeinflussten Schuldnerschutzgedanken, der in internationalen und europäischen Vertragsrechtsmodellen in den Hintergrund getreten ist: „La résolution judiciaire s’inscrirait à la fois comme un instrument de prévention de la dureté du créancier et d’humanité pour le débiteur.“555 Die Regelung des Code civil diente zunächst als Vorlage kontinentaleuropäischer Gesetzbücher, wurde dort aber zunehmend durch ein privates Verfahren der Nachfristsetzung plus Rücktrittserklärung ersetzt oder um die Option der außergerichtlichen neben der gerichtlichen Vertragsaufhebung ergänzt,556 wie etwa in Art. 267 des niederländischen NBW. Es wurde bereits erwähnt, dass der Gang zum Richter nicht praxisgerecht ist, da er eine schnelle Abwicklung von Verträgen verhindert. In der Handelspraxis wird daher auf ausdrückliche vertraglich vereinbarte Modalitäten der Vertragsaufhebung zurückgegriffen und auch Art. L. 114-1 des Code de la consommation sieht ausnahmsweise eine Möglichkeit zur einseitigen Vertragsaufhebung vor,557 um einen für die Praxis unpraktikablen Schwebezustand vor Gericht zu vermeiden. Die französische Rechtspraxis behilft sich daher, um den Parteien die nötige Flexibilität im Geschäftsverkehr zu erlauben. Sie gestattet dem Vertragspartner einer vertragsbrüchigen Partei auch ein Leistungsverweigerungsrecht hinsichtlich der eigenen Leistung und die Möglichkeit von Deckungskäufen ohne vorherige Anrufung des Gerichts; dies gilt allerdings nur, wenn der Schuldner zuvor Gläubigerinteresses nach portugiesischem Recht die Art. 808 Abs. 2 portCC und Art. 9:301 Abs. 1 PECL nicht gleich ausgelegt werden müssen. 553 Cass. civ., 6.1.1932, DH 1932, 114; 27.10.1953, D. 1954, 201. 554 POTHIER, Traité des Obligations, N. 672. 555 ROCHFELD, in RÉMY-CORLAY/FENOUILLET, Les concepts contractuels français à l’heure des Principes du droit européen des contrats, S. 213 (216). 556 FLESSNER, ZEuP 1997, S. 255 (271). 557 Vgl. 114-1 Code de la consommation: 7 Tage nach dem Ablauf der vereinbarten Leistungszeit kann durch Einschreiben die Vertragsaufhebung erklärt werden.
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gemahnt worden ist558 und unter der Prämisse, dass ein Richter eine sofortige Vertragsaufhebung ausgesprochen hätte. Das jeweilige Vertragsverhältnis unterliegt insoweit einer a posteriori Kontrolle.559 Das Einschätzungsrisiko trägt allerdings die verletzte Partei.560 In jüngerer Rechtsprechung wurden, wenn ein langes Zuwarten auf eine gerichtliche Entscheidung nicht sachgerecht erscheint, Ausnahmen von der richterlichen Vertragsaufhebung zugelassen, wenn die Schwere des Verhaltens einer Partei es rechtfertigt, dass die andere das Risiko einer einseitigen Vertragsaufhebung auf sich nimmt.561 Die Cour de cassation nennt als Gründe „urgence, état de nécessité“ und „situation intolérable,“562 die Instanzgerichte und der Kassationshof selbst gingen bei entsprechender Schwere der Vertragsverletzung jedoch darüber hinaus.563 Die richterliche Vertragsaufhebung wurde auch durch die belgische und luxemburgische Rechtsprechung eingeschränkt.564 Die Judikatur bereitete damit in gewisser Weise eine „déjudiciarisation“ der vertraglichen Verhältnisse und einen Wandel der französischen Konzeption der Vertragsaufhebung vor, den das Projet Catala in Gesetzesform gießen will.565 Da von einer effizient gestalteten Loslösung von einem nichterfüllten Vertrag wirtschaftlich gesehen einiges abhängen kann, scheint eine einseitige Vertragsaufhebung nicht nur im internationalen Handel, sondern in der nationalen Praxis allgemein die 558
PLANIOL/RIPERT/ESMEIN, Traité de Droit Civil, Bd. VI-2, n° 431. THERY, L’exécution forcée, in RÉMY-CORLAY/FENOUILLET, Les concepts contractuels français à l’heure des Principes du droit européen des contrats, S. 235 (238). 560 ZWEIGERT/KÖTZ, § 36 III, S. 496 unter Berufung auf Paris 18.4.1912, 1915.2.66; Cass. req., 4.1.1927, 1927.1.188. 561 Cass. civ. 1re, 13.10.1998, D. 1999, S. 197, obs. DELEBECQUE, Défrenois 1999, S. 374, obs. MAZEAUD, JCP G 1999, II, 10133: „La gravité du comportement d’une partie à un contrat peut justifier que l’autre partie y mette fin de façon unilatérale à ses risques et périls“; siehe auch Cass. civ. 1re, 28.10.2003, Droit & Patrimoine 2004, 89 ff., Anm. CHAUVEL und FAGES, ZEuP 2003, 514 (523 f.). 562 Letzteres insbesondere bei einem Vertrauensbruch in einem von gegenseitigem Vertrauen geprägten Vertragsverhältnis, vgl. Cass. civ. 1re, 2.2.1999, JCP 1999.IV.1579. Zu einer andernfalls für den Gläubiger untragbaren Situation bei einem Telefonabonnement Cass. civ. 1re, 28.4.1987, D. 1988, S. 1; ENCINAS DE MUNAGORRI, L’acte unilatéral dans les rapports contractuels, n°145 ff., S. 139 ff.; ROCHFELD, RDC 2006, S. 113 (120) m.w.N. Dies ist jedoch nicht unumstritten. So lässt die Cour d’Appel de Nancy, 20.11.2000 JCP G 2002, II, 10113, Anm. JAMIN, die einseitige Vertragsaufhebung nur in dringenden Fällen zu, nicht aber nur deshalb, weil die Nichterfüllung wesentlich war. 563 Die „gravité du comportement“ genügt bereits nach z.B. Colmar, 7.2.1975, D. 1978, S. 169 und jüngst Cass. civ. 1re, 13.10.1998, D. 1999, S. 197, Anm. JAMIN, Defrénois 1999, S. 374 Anm. MAZEAUD; Cass. civ. 1re, 20.1.2001, D. 2001, S. 1568 Anm. JAMIN, RTD civ. 2001, S. 363 Anm. MESTRE, FAGES. Dagegen nur bei „urgence“: Nancy, 20.11.2000, JCP G.2002.II.10113. 564 STIJNS, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 567 f.; REITHMANN/MARTINY, Internationales Vertragsrecht, Rn. 273. 565 FAUVARQUE-COSSON, RDC 2006, S. 147 (156). 559
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angemessenere Lösung. Art. 1158 Abs. 2 des Projet Catala sieht daher vor, dass der beschwerte Gläubiger entweder einseitig den Vertrag auflösen oder eine gerichtliche Entscheidung verlangen kann.566 Auch das modifizierte Projekt der Chancellerie stellt diesen Ansatz nicht in Frage. Die Neuregelung führt jedoch dazu, dass der Gläubiger, wenn er den Vertrag einseitig aufheben will, einer doppelten Verpflichtung („une mise en demeure assortie de l’octroi d’un délai raisonnable, suivie de l’envoi de la notification motivée de la résolution“) unterliegt, „qui peut parfois s’avérer assez contraignante et surtout inutile“.567 Aus Art. 1158 Abs. 3568 des Entwurfs ergibt sich weiter, dass die Vertragsaufhebung durch den Gläubiger durch einseitige und begründete Erklärung an den Schuldner zu geschehen hat, die mit Zugang wirksam wird. Dass die Aufhebungserklärung begründet werden muss, erlaubt eine gewisse Kontrolle des einseitigen Gläubigerverhaltens. Das Gericht kann gem. 1158-1 Abs. 1 Projet Catala die Vertragsaufhebung für wirksam erklären oder, eventuell unter Nachfristsetzung, gem. 1158-1 Abs. 2 Projet Catala Erfüllung anordnen. Die richterliche Kontrolle kehrt also sozusagen ausdrücklich durch die Hintertür zurück. Die Idee ist hierbei dieselbe, die bereits dem ADHGB zugrundelag: Nicht der vertragstreue Gläubiger soll zur Auflösungsklage verpflichtet sein, sondern die Beschreitung des Rechtswegs soll dem vertragsbrüchigen Schuldner zur Last fallen, wenn dieser beweisen kann, dass er rechtzeitig geleistet hat und die Vertragsaufhebung nicht rechtens ist.569 Obgleich das Projet Catala weiterhin optional die gerichtliche Vertragsaufhebung ermöglicht, nähert sich der Entwurf den internationalen Modellen sowie der Mehrzahl nationaler Rechte an. Die Vorschrift „inverserait la conception française actuelle et la ferait évoluer d’une résolution-accident, maniée par le juge, vers une résolution-prérogative, maniée par le créancier“.570 Da das Gesetz aber keine Wesentlichkeitsschranke für eine einseitige Vertragsaufhebung vorsieht, könnte es zu übereilten Vertragsaufhebungserklärungen kommen, die im Nachhinein gerichtlich beurteilt werden müssen. Unklar bleibt auch, in welchen Fällen der Richter, der die Aufhebungserklärung missbilligt, die Naturalerfüllung anordnen kann. Es ist damit zu erwarten, dass in allen Fällen, in denen der Schuldner die Nichterfüllung für unwesentlich hält, der Richter gleichwohl über den Fall 566
Art. 1158 Abs. 2 Projet Catala: „Quand il opte pour la résolution, le créancier peut soit la demander au juge, soit de lui-même mettre en demeure le débiteur défaillant de satisfaire à son engagement dans un délai raisonnable, à défaut de quoi il sera en droit de résoudre le contrat.“ 567 A.a.O. 568 Art. 1158 Abs. 3 Projet Catala: „Lorsque l’inexécution persiste, le créancier notifie au débiteur la résolution du contrat et les raisons qui la motivent. Celle-ci prend effet lors de la réception de la notification par l’autre partie.“ 569 Vgl. zum ADHGB HARKE, Schuldnerverzug, S. 112. 570 FAUVARQUE-COSSON, RDC 2006, S. 147 (160).
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entscheiden wird. Es verschiebt sich damit lediglich der Moment richterlicher Kontrolle und es wechselt der Kläger. Dass die Entwicklung zugunsten einer einseitigen Vertragsaufhebung nicht aufzuhalten ist, wurde auch in jüngeren Kodifikationen wie etwa im estnischen Schuldrechtsgesetz deutlich. In Abkehr zur bisherigen gerichtlichen Vertragsaufhebung sieht es in Anlehnung an die Principles ebenfalls ganz bewusst einen außergerichtlichen Rücktritt durch einseitige Gestaltungserklärung vor.571 Zugunsten dieser Lösung können im Übrigen auch jüngere außereuropäische Rechtsordnungen angeführt werden. Israel als Beipiel eines mixed legal system lässt zwar über den Erfüllunganspruch den Richter entscheiden, die Vertragsaufhebung liegt aber in den Händen der verletzten Partei.572 In China ist nach § 91 Nr. 2, § 94 Nr. 3 ChinVG ein einseitiger Rücktritt möglich, wenn eine Seite mit der Erfüllung einer Hauptverbindlichkeit in Verzug ist und sie auch nach Mahnung nicht innerhalb einer vernünftigen Frist erfüllt sowie nach § 94 Nr. 4 ChinVG, wenn der Verzug einer Partei bei der Erfüllung von Verbindlichkeiten oder andere Vertragsverletzungen dazu führen, dass ein Vertragsteil nicht verwirklicht werden kann. Dies erfordert gem. § 96 Abs. 1 ChinVG eine Mitteilung an die andere Seite, die mit Zugang wirksam wird.573 Erhebt die Gegenseite Einwände, kann diese Klage auf Feststellung der Wirksamkeit des Vertrages mit der Folge der Wiederherstellung des status quo ante erheben.574 Die Rückabwicklung eines Vertrages in der Hand der Parteien war im Übrigen bereits in § 278 des Codex Hammurabi575 verankert. c. Antizipierte Vertragsaufhebung Die Vertragsaufhebung wird in Anlehnung an Art. 72 CISG in vielen nationalen Rechten auch vor Fälligkeit der geschuldeten Leistung erlaubt. Das deutsche Recht schreibt dies ausdrücklich in § 323 Abs. 4 BGB fest. Ergibt sich aus den Umständen, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden, weil z.B. der Schuldner eine Woche vor Liefertermin mit der zweimonatigen Herstellungsphase der von ihm geschuldeten Sache noch nicht be571
Diese führt gem. § 189 Abs. 1 estnisches Schuldrechtsgesetz zur Rückgewähr der geflossenen Leistungen Zug um Zug. Vgl. GÖTTIG, ZfRV 2006, S. 138 (146); KULL, Juridica Int. 4 (1999), S. 147 (148), Fn. 32. 572 „The right to rescind may be exercised independently by the injured party, i.e. without having first to obtain a court order by merely giving notice to the breaching party“, SHAPIRA/DEWITT-ARAR, Introduction to the law of Israel, S. 123. 573 § 96 Abs. 1 Satz 2 ChinVG. 574 § 96 Abs. 1 Satz 3 ChinVG. 575 „Wenn jemand einen Sklaven oder eine Sklavin kauft und vor Ablauf eines Monats die bênu-Krankheit sie befàllt, soll er sie dem Verkäufer zurückgeben und der Käufer das Silber, das er gezahlt, zurückerhalten.“ WINCKLER, Die Gesetze Hammurabis in Umschrift und Übersetzung, S. 73, KREBS, Die Rückabwicklung im UN-Kaufrecht, S. 1.
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gonnen hat, kann der Rücktritt bereits erklärt werden, da bereits klar ist, dass auch eine angemessene Nachfrist nicht eingehalten werden kann. Allerdings muss zur Gestattung des Rücktritts vor Fälligkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden.576 Die Figur des anticipatory breach ist bereits seit der Entscheidung Hoechster v De la Tour aus dem Jahr 1853 in England bekannt.577 Ähnliche Ansätze verfolgen das schweizerische, österreichische, dänische, griechische und italienische Recht.578 In den Niederlanden folgt Art. 6:80 NBW der Regelung des 7.3.3 UPICC. d. Wirkung der Aufhebung Die Folgen der Vertragsaufhebung werden recht unterschiedlich beurteilt. In einigen Rechtsordnungen hat sie ex tunc-Wirkung. In Frankreich wurde in einer Entscheidung der Cour de Cassation vom 4.5.1898 klargestellt, dass die Parteien in die Lage zurückzuversetzen sind, in der sie sich vor Abschluss des Vertrages befanden. Dies kann allerdings für Dritte, die etwa mit dem Schuldner kontrahierten, problematisch sein und bedingte in einigen Fällen, wie etwa des Immobilienkaufs, spezielle Schutzregelungen für Dritte.579 Die Wirkung der Vertragsaufhebung soll nach dem Projet Catala künftig allerdings ex nunc wirken. Dem französischen Vorbild folgen auch Art. 1458 Abs. 1 italCC oder Art. 433 f. portCC. In Italien gilt hiervon nur bei Verträgen „ad esecuzione continuata o periodica“ eine Ausnahme. In Art. 1458 Abs. 1 italCC wird allerdings ähnlich wie in 435 Abs. 1 portCC verdeutlicht, dass die Vertragsaufhebung von Dritten erworbene Rechte nicht berühren soll.580 Die Vertragsaufhebung führt zur restitutio in integrum.581 Der Vertrag ist vollständig rückabzuwickeln, die Leistungen sind zurückzugewähren, bei Geldleistungen einschließlich Zinsen ab Mahnung.582 Auch nach dem tschechischen ObchZ greifen die Folgen des Rücktritts rückwirkend ab Verzugsbeginn, § 351 Abs. 2 Satz 1 ObchZ. Im schweizerischen Recht ist die Wirkung der Vertragsaufhebung und die Quaifizierung des Rückabwicklungsverhältnisses umstritten. Die schweizeri576
MOSSLER, Rücktritt vor Fälligkeit bei solvenzbedingten Zweifeln an der Leistungsfähigkeit des Schuldners, ZIP 2002, S. 1831 ff. 577 Hoechster v De la Tour (1853), 2 E&B 678. 578 TREITEL, Remedies for Breach of Contract, S. 380, 381. 579 Vgl. Hierzu auch ÁLVAREZ VIGARAY, La resolución de los contratos bilaterales por incumplimiento, S. 45 f. 580 „[...] non pregiudica i diritti acquistati dai terzi,“ 1458 Abs. 2 italCC. Vgl. auch Art. 425 Abs. 2 portCC. 581 Cass., 4.6. 2001, n. 7470. 582 Cass., 11.3.2003, n. 3555.
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sche Literaturansicht räumt der Rückabwicklung zwar vornehmlich bereicherungsrechtlichen Charakter an, misst dem Dahinfallen des Vertrages jedoch keine rückwirkende Kraft bei, sondern sieht darin einen Wegfall des Rechtsgrundes ex nunc.583 Hieran knüpfen Folgeprobleme584 wie Verjährungsfragen, bei welchen die Anwendung des Bereicherungsrechts versagt wird. Das Bundesgericht folgt dem deutschen Ansatz und sieht in der Vertragsaufhebung den Auslöser für eine Umwandlung des Vertragsverhältnisses in ein Rückabwicklungsverhältnis.585 4. Minderung Die Minderung ist in aller Regel kein Rechtsbehelf des nationalen allgemeinen Vertragsrechts, der auch im Fall der Verzögerung der Leistung Anwendung finden könnte, sondern entsprechend ihrem römischen Vorbild der actio quanti minoris ausschließlich im Recht besonderer Vertragstypen verankert und auf Schlechtleistungen beschränkt. So ist sie essentiell ein Rechtsbehelf des Kaufrechts586 und einiger anderer typisierter Verträge, der allein bei Sachund Rechtsmängeln vorgesehen ist, bei welchen die Herabsetzung des Vertragsentgelts bei Fortbestand des Vertragsverhältnisses als adäquater Rechtsbehelf betrachtet wird. Ansätze zur Verallgemeinerung des Rechtsbehelfs der Minderung zeigten sich im Zuge der deutschen Schuldrechtsmodernisierung nur insoweit, als sie, nunmehr zum einseitigen Gestaltungsrecht erhoben, unmittelbare Wirkung auf die Kaufpreisforderung des nicht gehörig erfüllenden Vertragspartners hat und auch bei nicht wesentlichen Mängeln gewährt wird.587 Ihr Anwendungsbereich wird nur indirekt dadurch erweitert, dass sie sich auf die nunmehr in die Systematik der Schlechtleistung aufgenommene aliud-Lieferung erstreckt, die vormals nach den Regeln des allgemeinen Vertragsrechts behandelt wurde. Die Minderung bleibt jedoch auf das Kaufrecht beschränkt. Einen überzeugenden sachlichen Grund, der Minderung die Rolle eines allgemeinen Rechtsbehelfs bei Vertragsverletzungen zu versagen, gibt es hingegen nicht, zumal sie ökonomisch gesehen nicht nur für den Schuldner günstig ist. Auch bei der Verzögerung der Leistung kann die Minderung für den Gläubiger interessant sein. Lässt er sich beispielsweise eine Einbauküche einbauen, verzögern sich aber unbedeutendere Teilleistungen, ist der Rücktritt schon wegen § 323 Abs. 5 Satz 1 BGB keine Alternative und der Nachweis eines messba583
Vgl. zum Streitstand KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil 2, § 55, Rn. 138 ff. 584 Insbesondere die Anwendung der Art. 64, 67 oder 127 OR. 585 BGE 61 II 255 und insb. BGE 114 II 152. 586 So etwa in § 441 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB als Alternative zum Rücktritt auch bei unerheblichen Pflichtverletzungen. 587 § 441 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB.
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ren Schadens für den Gläubiger eventuell problematisch. Hier könnte die Minderung abhelfen. Die Herabsetzung der Geldleistung um den Betrag, um den die Verzögerung den Wert der Leistung mindert, wäre auch in diesem Fall schätzbar.588 Diese Verallgemeinerungsfähigkeit der Minderung hat allein der estnische Gesetzgeber erkannt, der mit der voranschreitenden Modernisierung des Vertragsrechts auf europäischer und internationaler Ebene mithält. Das estnische Schuldrecht übernahm in Anlehnung an die Principles in den §§ 101 Abs. 1 Alt. 5, § 112 Abs. 2 estSRG die Minderung als allgemeinen Rechtsbehelf. Sie ist wie der Rücktritt ein Gestaltungsrecht, das durch Parteierklärung geltend zu machen ist und nicht (mehr) vor Gericht. Prinzipiell ist sie mit anderen Rechtsbehelfen kumulierbar.589 5. Schadensersatz Schadensersatzansprüche sind im Fall der Verzögerung einer Leistungspflicht der häufigste Rechtsbehelf und zugleich am vielschichtigsten, da sie eine Fülle von Rechtsfragen aufwerfen können. Zum einen unterscheiden nationale Rechte in der Regel zwischen dem Schadensersatz wegen Verzögerung einer Leistungs- und einer Zahlungspflicht. Eine weitere Unterscheidung wird häufig durch eine differenzierte Betrachtung von Verzögerungs- und Nichterfüllungsschäden erforderlich. Weitere zentrale Fragen betreffen die schon vorab erörterte Natur der Haftung als Verschuldens- oder Garantiehaftung mit eventuellen Entlastungstatbeständen. Hinzu kommt die Problematik des Schadensumfangs590 und einer eventuellen Begrenzung des Schadensersatzes591 sowie der Art des Schadensersatzes592. Die Leistungsverzögerung kann zu zwei Situationen führen: Entweder der Schuldner erfüllt nachträglich und der Gläubiger ist so zu stellen, wie er stünde, wenn rechtzeitig erfüllt worden wäre, oder die Verzögerung bringt den Gläubiger dazu, seinen Nichterfüllungsschaden geltend zu machen. Inwieweit die Voraussetzungen in beiden Sanktionsfällen identischen oder unterschiedlichen Vorgaben folgen, wird in den verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich gelöst. Als Beispiele sollen das deutsche, niederländische, estnische und französische Recht herangezogen werden.
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Vgl. zum deutschen Recht § 287 Abs. 2 ZPO. § 101 Abs. 2 estSRG. 590 Ersatz des entgangenen Gewinns und immaterieller Schäden. 591 Beschränkung auf vorhersehbare Schäden. 592 Naturalrestitution oder Geldersatz. 589
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a. Verzögerungs- und Nichterfüllungsschaden Nach deutschem Recht knüpft sich an den Verzugstatbestand allein die Verpflichtung, den Verzögerungsschaden zu ersetzen.593 Für den Schadensersatz „statt der Leistung“ gem. § 281 Abs. 1 BGB ist der Verzugstatbestand irrelevant. Da in der Nachfristsetzung nach der Rechtsprechung jedoch zugleich die Mahnung gesehen werden kann594 und sowohl der Verzug als auch der Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, 3, § 281 Abs. 1 BGB auf einem vermuteten Verschulden des Schuldners basieren, werden in aller Regel die Voraussetzungen des Verzugs zu bejahen sein, wenn die Anspruchsvoraussetzungen auf Schadensersatz statt der Leistung vorliegen. Der wesentliche Unterschied liegt im Umfang der Haftung. Dieses zweigleisige System erlaubt durch ein zusätzliches Fristsetzungserfordernis einen stärkeren Schuldnerschutz vor vorschnellen gravierenderen Maßnahmen des Gläubigers, die ökonomisch einschneidende Folgen haben können. Systematisch ist das vertragliche Schadensersatzrecht allerdings schwer nachvollziehbar. § 280 BGB wird durch mehrere Sondernormen ergänzt: Verzögerungsschadensersatz erfordert die zusätzlichen Voraussetzungen des § 286 BGB, Schadensersatz statt der Leistung die zusätzlichen Voraussetzungen der §§ 281 ff. BGB. Es gibt damit im deutschen Recht einen Anspruch auf einfachen Schadensersatz (§ 280 Abs. 1 BGB), auf Verzögerungsschadensersatz (§ 280 Abs. 2, 280 Abs. 1, 286 BGB) und auf Schadensersatz statt der Leistung, der sich je nach Vertragsstörung aus § 280 Abs. 3, § 280 Abs 1 und §§ 281, 282 oder 283 BGB ergibt. Diese Mehrgleisigkeit läuft nicht nicht nur dem Gedanken eines Einheitstatbestands zuwider, sondern kann auch der Rechtssicherheit abträglich sein. Die unnötige Komplexität des vertraglichen Schadensrechts zeigt sich insbesondere an § 283 BGB, der den Schadensersatz statt der Leistung bei Ausschluss der Leistungspflicht regelt, und dessen Hauptaufgabe es ist, das bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Leistung zwecklose Fristsetzungserfordernis des § 281 Abs. 1 BGB für obsolet zu erklären. Ansonsten folgt der Anspruch in diesen Fällen weitgehend dem Regime des § 281 BGB, wie der Verweis in § 283 Satz 2 BGB zeigt. Der Fall des § 283 Satz 1 BGB wäre sogar unter § 281 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Alt. 2 BGB subsumierbar und die weiteren Besonderheiten der Unmöglichkeit der Leistung in § 281 BGB regelbar.595 § 283 BGB erweist sich damit als überflüssig und aus systematischen Gründen unglücklich, da er die Unmöglichkeit – nun auf der Rechtsfolgenseite – künstlich als eigene Leistungsstörungskategorie erhält. Systematisch ähnlich komplex und im Widerspruch zu einem Einheitstatbestand präsentiert sich die 593
§ 280 Abs. 2, § 286 BGB. Ein Formerfordernis gilt hier für beide „Akte“ nicht; SCHLECHTRIEM/SCHMIDT-KESSEL, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Rn. 662; BGH BB 06, 1819. 595 § 281 Abs. 2 BGB: „[…] besondere Umstände, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen“. 594
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Rechtslage auch im Hinblick auf Verzögerungs- und Nichterfüllungsschäden. § 280 Abs. 1 BGB reicht nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen, man braucht hierfür § 286 BGB. Leistet der Schuldner bei Fälligkeit nicht, wird im Fall der Terminvereinbarung der Parteien zwar letztlich sofort ein Verzögerungsschadensersatzanspruch gegeben sein, da zugleich gem. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB Verzug vorliegt. Obgleich es sich hier also im Grunde um ein Problem der Pflichtverletzung wegen Nichtleistung bei Fälligkeit handelt, braucht es einen Sondertatbestand in § 286 BGB. Andererseits reicht an sich die Nichtleistung bei Fälligkeit – ohne das formelle Erfordernis des Verzugseintritts – aus, um eine Pflichtverletzung iSd. § 281 Abs. 1 BGB zu begründen. Dieses Ergebnis ist gesetzessystematisch unglücklich. Hier wäre ein einheitlicher Ansatz konsequenter und eine Sonderbehandlung über ein Fristsetzungserfordernis auf den Schadensersatz statt der Leistung zu beschränken, da dieser das Leistungsobjekt selbst betrifft. Beim Verzögerungsschadensersatz, der andere Rechtsgüter des Gläubigers (verzögerungsbedingte Betriebsausfallschäden etc.) trifft, ist eine Sonderbehandlung gegenüber 280 Abs 1 BGB weder von der Art des Schadens noch seiner Nähe zum Leistungsobjekt her gerechtfertigt, sondern lediglich im Hinblick auf den Beginn der Schadensersatzpflicht. Das Problem des Verzögerungsschadens wäre sinnvollerweise über eine präzisere Fälligkeitsregelung und über § 280 Abs. 1 alleine zu lösen.596 Probleme der derzeitigen Systematik zeigt insbesondere das vielzitierte Beispiel des Betriebsausfallschadens wegen des Defekts einer gelieferten Maschine, der sog. „Verzögerungsschaden“ wegen Lieferung einer mangelhaften Sache. 597 Hier handelt es sich erstens nicht um ein Verzugsproblem im eigentlichen Sinn eines allein auf einer Leistungsverzögerung beruhenden Schadens und zweitens um ein Problem eines Nutzungsausfallschadens und damit eines von der eigentlichen Problematik der mangelhaften Leistung losgelösten Schadens. Die vom Gesetzgeber vorgesehene598 und insbesondere von CANARIS und großen Teilen der Literatur599 vorgeschlagene Lösung, hier auf § 280 Abs. 1 BGB zurückzugreifen, scheint angesichts des an sich intendierten Einheitstatbestands des vertraglichen Schadensersatzes und der Tatsache, dass es sich im beschrie596
Vgl. hierzu die Erörterungen in Teil 3, Kap 9. ZIMMERMANN, in VOGENAUER/WEATHERILL, The Harmonisation of European Contract Law, S. 71 (76). Den Fall erörtert selbst SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. 117 (123 f.) als Beispiel für die Kompliziertheit des deutschen Leistungsstörungsrechts. 598 So die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 14/6040, S. 225. 599 CANARIS, ZIP 2003, S. 321 (326); DERS., in LORENZ, Karlsruher Forum 2002, S. 37, 38 f.; LORENZ/RIEHM, Lehrbuch zum Schuldrecht, Rn. 546 f.; MEDICUS, JuS 2003, 528; MANKOWSKI, JuS 2006, S. 481 (486); DÖLL/RYBAK, Jura 2005, S. 582 ff.; GRUBER, ZGS 2003, S. 130 (133 f.); MüKo/ERNST, § 280, Rn. 55 ff.; REINICKE/TIEDTKE Kaufrecht, Rn. 520 ff.; Staudinger/ OTTO, § 280, Rn. E 30. 597
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benen Fall eines mangelbedingten Betriebsausfallschadens weder um eine alleinige Folge einer Leistungsverzögerung noch um den Schaden des Leistungsobjekts selbst handelt, einzig überzeugend. Gleichwohl wird hier die Anwendung fast der gesamten Palette zur Verfügung stehender Schadensersatznormen vorgeschlagen. Neben der Anwendung des § 281 BGB,600 wird insbesondere die Anwendung des § 280 Abs. 2 BGB mit der Folge einer Mahnungspflicht vertreten, welche darauf gestützt wird, dass eine mangelhafte Erfüllung wegen § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB eben keine Erfüllung sei und darum der gleiche Schaden entstanden wäre, wenn gar keine Leistung erfolgt wäre. Ein schlecht leistender Schuldner dürfe nicht schlechter gestellt werden als der zu spät Leistende.601 Teils wird die Anwendung von § 280 Abs. 2 BGB aber davon abhängig gemacht wird, ob eine Mangelbehebung im Moment des Schadenseintritts noch möglich war;602 teils wird auch in Anlehnung an § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB auf eine Mahnung verzichtet.603 Der Anwendung von § 280 Abs. 2 BGB steht jedoch entgegen, dass ein Anwendungswille des § 286 BGB in solchen Fällen durch einen Verweis in § 437 Abs. 3 BGB seinen Niederschlag gefunden hätte, der nur § 281 BGB ausdrücklich erwähnt, § 286 BGB aber gerade unerwähnt lässt. Das Beispiel zeigt indes deutlich, wie stark das deutsche System die Kategorisierung der Leistungsstörungen aufrecht erhält und sein Rechtsbehelfssystem die Rechtsanwendung erschwert. Ein Gegenmodell zum komplexen deutschen Recht der vertraglichen Schadensersatzhaftung ist das niederländische Recht, in welchem die Trennung in verschiedene Anspruchsgrundlagen für den Schadensersatz weniger ausgeprägt ist und sich die Problematik des Schadensersatzes bei der Leistungsverzögerung systematisch anders präsentiert.604 Schadensersatzansprüche im Verzugsfall folgen nach niederländischem Recht grundsätzlich den Voraussetzungen des Art. 6:74 Satz 1 NBW iVm. Art. 6:85 ff. NBW. So sieht sich ein säumiger Schuldner, der wegen Verstreichens eines vereinbarten Leistungstermins oder nach Mahnung und erfolgloser Leistungsfrist in Verzug gesetzt wurde,605 sowohl Schadensersatzansprüchen „statt“ der Leistung als auch Ver-
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HUBER/FAUST, Schuldrechtsmodernisierung, S. 351; vgl. auch TIEDTKE/SCHMITT, BB 2005, S. 615 (619 f.) zur Anwendung des § 281 BGB auf einen Fall, in welchem eine Nacherfüllungsmöglichkeit nicht mehr bestand und der Schaden durch die letztmögliche Nacherfüllung vermieden worden wäre. 601 DAUNER-LIEB/DÖTSCH, DB 2001, S. 2535 (2537); AnwK-BGB/DAUNER-LIEB, § 280 Rn. 55, 60 ff.; ARNOLD/DÖTSCH, BB 2003, S. 2250 (2253); SCHUR, ZGS, 2002, S. 243 (244). 602 Bamberger/Roth/FAUST, Kommentar zum BGB I, S. 437. 603 GRIGOLEIT/RIEHM, AcP 203 (2003), S. 727 (754 ff.). 604 So SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierug und europäisches Vertragsrecht, S. 117 (124) unter Berufung auf die bei STREEFKERK, NTBR 2004, S. 2 ff. geschilderten Probleme im Umgang mit den Verzugsregeln des NBW. 605 Hoge Raad, 20.9.1996, NJ 1996, 748 zu Art. 6:82 NBW.
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zögerungsschadensersatzansprüchen neben der Leistung ausgesetzt.606 Entscheidender Unterschied des niederländischen Rechts ist es, dass die Anknüpfung der Schadensersatzansprüche nicht wie im deutschen Recht variiert,607 sondern zunächst einheitlich auf einer tekortkoming beruht. Diese wird in Art. 6:74 Satz 2 NBW sodann für den Fall des Verzugs näher spezifiziert und ähnlich wie im deutschen Recht auf die zusätzlichen Voraussetzungen des Verzugsrechts in den Art. 6:81 ff. NBW verwiesen. Allerdings knüpfen an den Verzug dann sowohl der Schadensersatz neben als auch statt der Leistung. Auch werden die Rechtsfolgen im einen wie im anderen Fall weniger stark differenziert als im deutschen Recht. Verlangt der Gläubiger den Verzögerungsschaden neben der Leistung, gelten die Art. 6:85 und 6:86 NBW, von welchen ersterer den Schuldner schützt, da er den Schadensersatz auf den während des Verzugs entstandenen Schaden beschränkt, letzterer dem Gläubiger das Recht gibt, Erfüllung und Schadensersatz neben der Leistung dann abzulehnen, wenn sich der Schuldner nicht zugleich zur Zahlung von Schadensersatz bereit erklärt.608 Im Fall des Schadensersatzes statt der Leistung wandelt sich die gesamte vertragliche Verpflichtung um und richtet sich statt auf Leistung auf Kompensation. Einzige Voraussetzung hierfür ist gem. Art. 6:87 Satz 1 NBW eine schriftliche Mitteilung des Schadensersatzverlangens durch den Gläubiger,609 nicht jedoch eine Fristsetzung610 wie bei § 281 BGB. Diesen Befund, der im Vergleich zum deutschen Recht im Hinblick auf die Regelungssystematik und die Modalitäten und Konsequenzen der Schadensersatzansprüche beim Verzug, bei der Nichtleistung oder nicht gehörigen Leistung sehr unterschiedlich wirkt, muss man allerdings teils relativieren: Die fehlende Nachfristsetzungspflicht für den Schadensersatz statt der Leistung in Art. 6:87 Satz 1 NBW wird bei fehlender Leistungszeitvereinbarung dadurch wettgemacht, dass bereits die Mahnung nach Art. 6:82 Satz 1 NBW611 mit einer Nachleistungsfrist zu kombinieren ist und erst nach deren Ablauf Verzug eintritt. In einigen Fallkonstellationen wird daher die fehlende Nachfristpflicht im Ergebnis über die Fristsetzung bei der Mahnung ausgegli606
Art. 6:74, 6:85 NBW. Bei § 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB der Verzug, bei § 281 Abs. 1 BGB die nicht oder nicht wie geschuldet erbrachte Leistung. 608 Art. 6:86 NBW: Verweigerung der Erfüllung durch den Gläubiger „zolang niet tevens betaling wordt aangeboden inmiddels tevens verschuldigd geworden schadevergoeding, kosten“; HARTKAMP/TILLEMA/TER HEIDE, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 180. 609 „Wanneer […] schuldeiser […] schriftelijk mededeelt, hij schadevergoeding plaats nakoming vordert.“ 610 Sog. omzettingsverklaring, vgl. auch SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. (117) 125. 611 Art. 6:82 Satz 1 NBW: „[S]chriftelijke aanmaning waarbij hem redelijke termijn voor nakoming wordt gesteld.“ 607
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chen. Unterschiede bestehen jedoch bei Vereinbarung einer Leistungszeit. Im Unterschied zum niederländischen Recht, bei dem ein dies interpellat-Fall genügt, um den Schadensersatzanspruch des Art. 6:87 NBW auszulösen, wenn der Gläubiger dem Schuldner eine omzettingsverklaring zukommen lässt, wirkt im deutschen Recht die bloße Terminsvereinbarung noch nicht als Auslöser von Nichterfüllungsfolgen. Im deutschen Recht nimmt Art. § 281 Abs. 2 BGB anders als § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB noch nicht einmal ausdrücklich auf die Problematik des Fixgeschäftes Bezug. Dies wird allerdings nicht unkritisch betrachtet. Nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers sollte die Fristsetzung bei „just-in-time“ Verträgen zudem eigentlich entbehrlich sein.612 Die Problematik des Fixgeschäftes im Rahmen des § 281 BGB wird daher auch in der Literatur kontrovers diskutiert,613 insbesondere im Lichte des § 376 Abs. 1 Satz 1 HGB, der seinerseits die sofortige Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung gestattet und zudem auch auf einseitige Handelsgeschäfte Anwendung findet.614 Das niederländische Recht ist damit bei Terminvereinbarungen gläubigerfreundlicher, zeigt aber im Fall des Verzugs durch Mahnung, wegen des Fristsetzungserfordernisses in Art. 6:82 Satz 1 NBW im Ergebnis die gleiche schuldnerfreundliche Tendenz wie das BGB im Rahmen des § 281 BGB. Allerdings wirkt sich dies in diesem Fall insofern stärker schuldnerschützend aus, als bereits der Verzugstatbestand an die Frist geknüpft ist und damit auch der Verzögerungsschadensersatz erst nach Fristablauf relevant wird, und nicht bereits mit Zugang der Mahnung. Zugleich ist das niederländische Recht systematisch klarer und weniger kompliziert. Die Beispiele des deutschen und niederländischen Rechts zeigen jedoch recht deutlich, wie vielfältig die Möglichkeiten sind, über Tatbestandsvoraussetzungen des Verzugs oder Differenzierungen in den Rechtsfolgen die Schadensproblematik regulativ zu lösen und wie ähnlich oder unterschiedlich die Ergebnisse jeweils sein können. In beiden Lösungen sind gewisse Defizite der schadensrechtlichen Systematik erkennbar. Den oben beschriebenen Fall der Nutzungsausfallschäden bei mangelhafter Lieferung einer Kaufsache vermag nämlich auch das niederländische System nicht zufriedenstellend zu lösen. Auch hier ist der § 280 Abs.1 BGB vergleichbare Art. 6:74 Satz 1 NBW zur
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BT-Drs. 14/6040, S. 140. Vgl. etwa JAENSCH, NJW 2003, S. 3616 ff. 614 § 376 Abs. 1 Satz 1 HGB lautet: „Ist bedungen, dass die Leistung des einen Teiles genau zu einer festbestimmten Zeit oder innerhalb einer festbestimmten Frist bewirkt werden soll, so kann der andere Teil, wenn die Leistung nicht zu der bestimmten Zeit oder nicht innerhalb der bestimmten Frist erfolgt, von dem Vertrage zurücktreten oder, falls der Schuldner im Verzug ist, statt der Erfüllung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen.“ Zum Problem der Anwendbarkeit der Vorschrift auf einseitige Handelsgeschäfte und ihr Verhältnis zu § 281 Abs. 1 und 2 BGB ausführlich HERRESTHAL, ZIP 2006, S. 883 ff. 613
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Anwendung prädestiniert.615 Gleichwohl diskutiert man auch hier die Anwendung der Verzugsregeln,616 umso mehr, als diese einen weiten Anwendungsbereich haben.617 SMITS zeht hieraus zwei Schlussfolgerungen: „Any Dutch lawyer will advise his clients to send a notice even if there is no legal need to do this und one would expect more of a newly introduced set of rules.“618 Konsequenter ist hingegen das estnische Schuldrechtsgesetz. Es folgt dem einfachen System der Principles, führt aber das deutsche Modell der Trennung in Schadensersatz statt der Leistung („damages in lieu of performance“) und sonstigem Schadensersatz ein. In Parallele zu den Rücktrittsvorschriften des § 114 sieht es in § 115 Abs. 2 auch für den Schadensersatz statt der Leistung eine generelle Nachfristsetzungspflicht vor,619 schafft aber eine einem Einheitstatbestand angepasste, weit konsequentere Lösung als das BGB. Das Gesetz gewährt hier in bewusster Abweichung von den als zu gläubigerfreundlich angesehenen Principles ein „Mehr“ an Schuldnerschutz. Im französischen Schadensersatzrecht greift bei Leistungsverzögerungen der Tatbestand des 1146 CC und regelt sowohl den Ersatz des Verzögerungsschadens („dommages-intérêts moratoires“) als auch des Nichterfüllungsschadens („dommages-intérêts compensatoires“). Es braucht stets eine mise en demeure, egal welche Art des Schadensersatzes geltend gemacht wird. In der französischen Literatur und Rechtsprechung wird zwar problematisiert, ob eine Inverzugsetzung für die Geltendmachung eines Anspruchs auf den Nichterfüllungsschaden (noch) erforderlich ist, da bei einer definitiven Nichterfüllung eine Leistungsaufforderung an den Schuldner wenig nutze.620 Hiergegen spricht, neben dem eindeutigen Wortlaut des Art. 1146 CC, dass der Gläu615
So auch der Wille des Gesetzgebers, VAN ZEBEN/DU PON, Parlementarie Geschiedenis van het nieuwe burgerlijk wetboek, Boek 6, S. 258. 616 SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. 117 (124). 617 HARTKAMP/TILLEMA/TER HEIDE, Netherlands, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 180. 618 SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. 117 (124). 619 § 115 estSRG: Compensation for damage. „(1) In the case of non-performance of an obligation by an obligor, the obligee may together with or in lieu of performance claim compensation for damage caused by the nonperformance from the obligor except in cases where the obligor is not liable for the non-performance or the damage is not subject to compensation for any other reason provided by law. (2) Compensation for damage in lieu of performance may be required upon the expiry of the additional term provided for in § 114 of this Act. If performance of an obligation involves return of a particular object, compensation for damage in lieu of performance may be required only if the obligee has lost interest in the return of the object due to the delay.” 620 MEURISSE, JCP 1947.I, 667; PIERRARD, JCP 1945 I, 466; MAZEAUD/MAZEAUD/ TUNC, Traité Théorique et Pratique de la Responsabilité Civile Délictuelle et Contractuelle, n° 2276; Cass civ., 3.12.1930, S. 1931, I, S. 101.
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biger anfangs gar nicht abschätzen kann, ob der Schuldner noch erfüllen wird. Schon aus diesem Grund hat er prinzipiell zu mahnen. Im Lichte einer Rechtsordnung, die nicht wie das deutsche Recht eine Nachfrist institutionalisiert hat, stünde dies zudem im Widerspruch zum Grundsatz der force obligatoire der Verträge. Ausgeschlossen soll die Mahnung allerdings beim Fixgeschäft sein.621 b. Grundsatz: réparation intégrale Viele Rechtsordnungen sehen vor, dass der benachteiligten Vertragspartei ihr erlittener Verlust und entgangener Gewinn („perte und gain perdu“)622 zu ersetzen ist, um die benachteiligte Partei so zu stellen, wie sie stünde, wenn ordnungsgemäss erfüllt worden wäre.623 Der Geschädigte soll „ni perte ni profit“624 erfahren. Dabei ist die Formulierung „so zu stellen wie sie stünde, wenn ordnungsgemäss erfüllt worden wäre“, die das sog. positive Interesse umschreibt, in einigen Rechtsordnungen nicht unproblematisch. Unklar war etwa zu §§ 249 ff., § 252 BGB, ob hiervon entgangene Aufwendungen umfasst waren, die bei Nichtzustandekommen eines Vertrages als negatives Interesse ersatzfähig sind, jedoch insofern nicht unter das positive Interesse fallen, weil sie auch bei ordnungsgemässer Erfüllung angefallen wären.625 Dieser Bruch zwischen positivem und negativem Interesse wurde insbesondere durch die deutsche und österreichische Rechtsprechung mit Hilfe einer Rentabilitätsvermutung zu lösen versucht. Bereits das Reichsgericht ging von der Annahme aus, dass die Aufwendungen bei ordnungsgemässer Vertragserfüllung in wirtschaftlicher Hinsicht ausgeglichen worden wären und sie damit in die Definition des positiven Interesses fielen.626 Eine ähnliche Position nahm auch der OGH ein.627 Probleme zeigten sich allerdings bei Verträgen mit immaterieller Zwecksetzung, bei welchen die genannte Argumentation nicht griff und vergebliche Aufwendungen bei einem rein ideellen Vertragszweck konsequenterweise nicht ersatzfähig sein konnten.628 Dieses unbefriedigende Ergebnis löste 621
Siehe 1146 CC („que dans un certain temps“). Vgl. z.B. zu Art. 1149 CC; für Belgien Cass. 1re, 17.10.1968, Pas., 1969, I, S. 181; Cass. 3e, 15.4.1996, J.L.M.B., 1996, S. 1696. 623 Vgl. hierzu für Frankreich: Cass. civ. 1re, 17.7.1976, Bull. Civ. II, n° 327; für Belgien: Cass. 1re, 6.2.1975, Pas. 1975, I, S. 581. Für die Niederlande HARTKAMP/TILLEMA/TER HEIDE, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 203; für England: Robinson v. Harman [1848] 1 Exch 850, S. 855: „The rule of the common law is, that where a patry sustains a loss by reason of a breach of contract, he is, so far as money can do it, to be placed in the same situation, with respect to damages, as if the contract had been performed.“ 624 Cass. civ. 2e, 9.11.1976, Bull. Civ. II n° 302. 625 So BGHZ 71, 234, 238 und BGHZ 99, 182 (196 ff.). 626 RGZ 127, 245 (248). 627 OGH, 15.1.1986, 1 Ob 715/85, SZ 59/8. 628 BGHZ 99, 182, sog. Stadthallenfall; vgl. insb. die Anm. von STOLL, JZ 1987, S. 512. 622
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in der Literatur Diskussionen um den Ersatz des negativen Interesses bei Nichterfüllung von Verträgen und die enge Auslegung des Nichterfüllungsschadens aus und führte zu verschiedenen dogmatischen Versuchen, das negative Interesse auch im Rahmen der Nichterfüllungshaftung für ersatzfähig zu erklären.629 Die Trennung in positives und negatives Interesse erwies sich als eine unglückliche Differenzierung, die übersieht, das der benachteiligte Partei im Fall der Nichterfüllung mindestens das zustehen sollte, was ihr gewährt wird, wenn der Vertrag gar nicht zustande kam.630 Denn vielmehr sei der „Vertrauensschaden überhaupt keine Besonderheit der Ersatzmodalität auf der Grundlage der §§ 122, 307 [a.F.] BGB – das Kennzeichnende sei lediglich, dass in jenen Fällen nur der Vertrauensschaden übrig bleibt, weil die Erfüllung und damit das Erfüllungsinteresse gerade nicht verlangt werden kann. Der Schadenstypus kommt nicht nur beim unwirksamen, sondern gleichermaßen beim wirksamen, aber nicht durchgeführten Vertrag vor.“631 Die Rechtsprechung fand aus dieser Situation durch eine Konstruktion eines ersatzfähigen Schadens über die pVV einen Weg.632 Mittlerweile wurde das Problem im deutschen Recht über § 284 BGB gelöst, der den Ersatz vergeblicher Aufwendungen allerdings anstelle des positiven Interesses gestattet. Das deutsche Recht entspricht nun weitgehend dem englischen Recht, das dem Gläubiger die Option des Ersatzes getätigter Aufwendungen als Option des Gläubigers einräumt, der über eine „free choice whether to quantify his loss on an expectation or a reliance basis“ verfügt,633 gewährt vergebliche Aufwendungen und entgangenen Gewinn, jedoch nicht in Kombination.634 Andere Rechtsordnungen wie insbesondere das französische Recht konnten die Problematik durch Vermeidung der Überbetonung des Gewinninteresses635 über die zweigliedrige Formel des Schadensersatzes als damnum emergens und lucrum cessans und ein weiteres richterliches Ermessen bei der Schadens-
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Vgl. insb. STOLL, in BARFUß et al., Festschrift NEUMAYER, S. 321, 324 f. (Haftungsgrund sei das enttäuschte Vertrauen des Gläubigers auf die Vertragsdurchführung); MÜLLERLAUBE, JZ 1995, S. 538 (541) (die Vertragsverletzung sei nicht kausal für die Aufwendungen als solche, aber für ihre Entwertung), und SCHMIDT, in LANGE, Festschrift Gernhuber, S. 423 (insb. 429) (in letzter Konsequenz des engen Schadensbegriffs wäre auch eine bereits erbrachte Gegenleistung nicht rückforderbar); vgl. die detaillierten Ausführungen bei SCHACKEL, ZEuP 2001, S. 248 (250 ff., insb. 253). 630 SCHACKEL, ZEuP 2001, S. 248 (255). 631 MÜLLER-LAUBE, JZ 1995, S. 538 (543). 632 SCHACKEL, ZEuP 2001, S. 248 (256). 633 FURMSTON, Cheshire, Fifoot and Furmston’s Law on Contract, S. 609 und CCC. Films v. Impact Quadrant Films [1984] Q.B. 16, 3 All E.R. 306 ff.; vgl. im übrigen auch sec. 249 Restatement 2nd, der weitgehend der Idee des § 284 BGB n.F. entspricht. 634 Cullinane v. British „Rema“ Manufacturing Co. [1954] 1 Q.B. 292 C.A.; Anglia Television Ltd. V. Reed [1972] 1 QB 60 (CA). 635 SCHMIDT, in LANGE, Festschrift Gernhuber, S. 423 (429).
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bemessung umgehen.636 Entgangene Aufwendungen sind hier ein Teil des Gesamtschadens (damnum emergens) und keine Option statt des positiven Interesses, sondern der „zuvorderst zutage tretende Teil des Gesamtschadens.“637 Entgangener Gewinn und erlittener Verlust bilden eine Einheit, wobei ersterer aber ausdrücklich als Nettogewinn verstanden wird.638 Dem folgen auch § 128 Abs. 2 und 4 estSRG, Art. 6:96 Satz 1 NBW639 oder Art. 379 Satz 1 ObchZ640. Hierbei werden teils Beweiserleichterungen gewährt, wie in § 252 Satz 2 BGB, der dem Geschädigten für den im gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder nach den besonderen Umstände wahrscheinlichen Gewinn nur die Darlegung der Umstände auferlegt.641 Weiter ist der Schadensersatz im Grundsatz nicht auf gegenwärtige Schäden beschränkt, sondern es können auch zukünftige Schäden miteinbezogen werden, sofern diese bestimmbar sind.642 Problematisch ist in der Regel der Ersatz immaterieller Schäden. Einige Rechtsordnungen grenzen dessen Ersatz ein, in anderen werden über den Grundsatz der réparation intégrale zugleich moralische Schäden ersetzt.643 In Estland gilt dies allerdings nur, wenn nach dem Verpflichtungsinhalt dem Schuldner bei Vertragsschluss bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, dass die Nichterfüllung zu einem moralischen Schaden führen kann, so § 134 Abs. 1 estSRG.644 Das niederländische Recht limitiert den Ersatz immaterieller Schäden auf besondere gesetzlich bestimmte Fälle, so die Art. 6:95 und 6:106 Satz 1 NBW.645 Dem deutschen Recht ist eine weite Haftung für immaterielle Schäden ebenfalls fremd. Diese wurde über § 253 Abs. 2 BGB n.F. zwar vom Verschulden des Schädigers und damit der Genugtuungsfunktion 636
Vgl. Art. 1149 CC, siehe auch Art. 1106 spanCC, Art. 1223 italCC. So SCHACKEL, ZEuP 2001, S. 248 (267) unter Berufung auf PLANIOL/RIPERT, Traité Elémentaire de Droit Civil II, Rn. 247, der „indémnisation des dépenses“ und „montant du bénéfice net“ ausdrücklich nebeneinander stellt. 638 SCHACKEL, ZEuP 2001, S. 248 (267); PLANIOL/RIPERT, Traité Elémentaire de Droit Civil II, Rn. 247. 639 „[…] zowel geleden verlies als gederfde winst.” 640 Zu Ausnahmen wie § 1324 ABGB vgl. sogleich unter c. 641 Hingegen nicht im romanischen Rechtskreis, denn dort ist der Schadensumfang nachzuweisen; vgl. für Belgien: DURANT/VERHEYDEN-JEANMART, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 307 (315), Rn. 11. 642 In Frankreich ist zukünftiger Schaden ersatzfähig, wenn er als „prolongation certaine et directe d’un état actuel et comme étant susceptible d’évaluation immédiate“ erscheint, so Cass. req., 1.7.1932, D. 1932, 1, 102 und 1933, 1, 49, Anm. MAZEAUD. Siehe auch JOURDAIN, in FONTAINE/VINEY, a.a.O., S. 263 (274 und 299). 643 Vgl. z.B. zur belgischen Rechtsprechung die Nachweise bei DURANT/VERHEYDENJEANMART, in FONTAINE/VINEY, a.a.O., S. 307 (313) dort Rn. 8 ff. 644 GÖTTIG, ZfRV 2006, S. 138 (149). 645 Vgl. zu einzelnen Fällen zuerst Hoge Raad 21.4.1943, NJ 1943, 455; aus neuer Zeit 16.10.2002, NJ 2002, 216; 22.2.2002, NJ 2002, 240 und 20.9.2002, RvdW 2002, 142. 637
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abgekoppelt, ist jedoch nach wie vor auf Sonderfälle und bestimmte Verletzungstatbestände beschränkt.646 Auch das österreichische Recht ist hinsichtlich des Ersatzes immaterieller Schäden seit jeher sehr zurückhaltend, auch wenn die im Zuge der EuGH-Entscheidung Simone Leitner ins österreichische Recht eingefügte Sonderregelung zum immateriellen Schadensersatz teils nur als Klarstellung einer diesbezüglich offenen Rechtslage bewertet wurde.647 c. Beschränkungen der Ersatzpflicht aa. Vorhersehbarkeit des Schadens Der Grundsatz der réparation intégrale wird allerdings in vielen Rechtsordnungen durch das einschränkende Element der Vorhersehbarkeit des Schadens aus der ex ante Sicht des Schuldners bei Vertragsschluss korrigiert. Dies gilt teils nur unter dem Vorbehalt der Schwere des Schuldnerverschuldens, eine Einschränkung, die sich bereits in den mittelalterlichen Interpretationsversuchen des römischen Rechts abzeichnete und sich in den ersten neuzeitlichen Kodifikationen, insbesondere in Art. 287 ff APLR weiterentwickelt hat. Die Begrenzung auf den vorhersehbaren Schaden findet sich nicht nur im common law,648 sondern auch in einigen nationalen Rechten ausdrücklich wieder. So gilt bereits in den ältesten Kodifikationen wie etwa in Art. 1150 CC, aber auch in den jüngsten wie etwa § 379 Satz 2 ObchZ oder § 127 Abs. 3 estSRG die Begrenzung auf vernünftigerweise vorhersehbare Schäden, in letzteren aufgrund des Einflusses der Principles und der CISG.649 Das Element der Vorhersehbarkeit bezieht sich im nationalen Recht regelmäßig auf den Schadenseintritt, seine Ursache und Natur, nicht auf seinen Umfang.650
646
W AGNER, NJW 2002, S. 2049, 2053 f. § 31e Abs. 3 öst. Konsumentenschutzgesetzes sowie EuGH, Rs. C-168/00, 12.3.2002 – Simone Leitner. Nicht nur als Klarstellung wird die Regelung angesehen von HG Wien 26.8.2002, 1 R 235/02h; siehe hierzu LG Feldkirch, 20. 4. 2004, 3 R 93/04f; OGH, 23.11.2004, 5 Ob 242/04f; MICHITSCH, ZVR 2004/63. 648 Vgl. Hadley v. Baxendale (1854) 9 Ex 431. Ist ein Schaden bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar, ist er als zu entfernter Schaden nicht ersatzfähig („consequential damages“, „incidental loss“). Allerdings stellt die englische Rechtsprechung mehr auf die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und die Vorhersehbarkeit für beide Parteien ab, so Czarnikow v. Koufos [1969], 1 A.C., 350; vgl. auch FERRARI, 53 La.L.Rev. (1993), S. 1257 (1267 ff.). 649 Vgl. Art. 7.4.4 UPICC und 9:503 PECL. Die Regel hat auch einen wirtschaftlichen Hintergrund: Ein professioneller Schuldner wird in der Regel aus der Vertragsbeziehung möglicherweise entstehende Schäden in sein ökonomisches Kalkül einfliessen lassen und in der Versicherungssumme berücksichtigen, soweit ihm diese vorab kalkulierbar, d.h. vorhersehbar sind. 650 „Il n’est point requis que l’étendue du dommage soit déjà prévue ou puisse être prévue“, Cass 1re, 11.4.1986, R.C.J.B., 1990, S. 79. DURANT/VERHEYDEN-JEANMART, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 307 (318). 647
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Die Frage nach der Vorhersehbarkeit des Schadens erlangt gerade in Verzugsfällen und insbesondere dort Bedeutung, wo der Gläubiger den ihm geschuldeten Leistungsgegenstand zum Gegenstand eines Vertrages mit einem Dritten gemacht hat. Allerdings sind die Einzelheiten teils streitig. Hat beispielsweise ein Käufer aufgrund des Verzugs seines Lieferanten seinen Vertrag mit der öffentlichen Hand nicht einhalten können, die im Fall des Lieferverzugs Vertragsstrafen vorsieht, und war dem Verkäufer des Erstvertrages bekannt, wer Endabnehmer des Produktes ist, wird auch eine Vertragsstrafe als vorhersehbar betrachtet, und zwar selbst dann, wenn sie sehr hoch ist, da es nicht auf den Umfang des Schadens ankommt.651 Andererseits soll eine auf einem Lieferverzug mit einer Maschine basierende Weiterbeschäftigung eines durch die Maschine zu ersetzenden Mitarbeiters für den Lieferanten nicht vorhersehbar sein.652 Der Grundsatz der Beschränkung auf den vorhersehbaren Schaden gilt zudem in vielen Rechtsordnungen anders als in Art. 74 CISG nicht uneingeschränkt. Da die Beschränkung auf einer Wertung basiert, die zu Gunsten des Schuldners vom Grundprinzip der réparation intégrale abweicht, soll nach einigen Rechtordnungen die Schwere des Verschuldensbeitrags des Schuldners in die Wertung einfliessen. Unter welchen Bedingungen die Schwere des Schuldnerverschuldens die Begrenzung auf den vorhersehbaren Schaden wieder aufhebt, ist unterschiedlich: In Estland gilt die Beschränkung des Schadensersatzes auf den vorhersehbaren Schaden weder bei vorsätzlicher noch bei grob fahrlässiger Vertragsverletzung.653 Nach Art. 1107 spanCC ist die Begrenzung nur im Fall des dolo ausgeschlossen. Dem folgt auch das italienische Recht,654 wobei die Einordnung der groben Fahrlässigkeit streitig ist.655
651
Zu diesem belgischen Fall: Liège, 7e, 24.3.1998, RGDC, 1999, S. 200. Comm. Anvers, 2e, 12. 12. 1972, Jur. Comm., B., 1973, I, S. 166. Beide Fälle werden von DURANT/VERHEYDEN-JEANMART, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 307 (320) erörtert und zu Recht hinterfragt: Im ersten Fall bleibt unklar, ob der Erstverkäufer nur dann in die Pflicht genommen werden kann, wenn ihm die Umstände des Weiterverkaufs bzw. die Person des Endabnehmers postitiv bekannt sind. Im zweiten stellt sich die Frage nach den näheren Eigenschaften der zu liefernden Maschine, denn bedarf sie keiner Bedienung durch entsprechendes Personal, könnte dem säumigen Verkäufer durchaus vorhersehbar sein, dass seine Abnehmer die Maschine als Personalersatz einsetzen möchte. 653 § 127 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 estSRG. 654 Dort Art. 1150 und 1151 CC sowie Art. 1225 italCC: „Se l’inadempimento o il ritardo non dipende da dolo del debitore, il risarcimento è limitato al danno che poteva prevedersi nel tempo in cui è sorta l’obbligazione“; Cass., 24.3.1966, n. 781; Cass., 26. 11.1998, n. 11992. 655 Vgl. hierzu etwa Cass., 9.2.1956, n. 399; Cass., 24.3.2004, 5910: „le conseguenze giuridiche della colpa grave sono trattate allo stesso modo di quelle proprie della condotta dolosa“, vgl. PESCATORE/RUPERTO, Codice Civile, I, Art. 1225, Rn. 3. 652
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Ebenso ist in Frankreich und Belgien der Schadensersatz wegen einer inexécution gem. Art. 1150 CC in seinem Umfang auf den vorhersehbaren Schaden beschränkt, solange keine vorsätzliche Nichterfüllung (dol) vorliegt. Auch hier sind die Einzelheiten streitig.656 Zudem gilt, selbst wenn letzterer Fall bejaht wird, nach französischem und belgischem Recht noch eine zweite Grenze, die Beschränkung auf den „dommage direct et immédiat“, die direkten Folgen der Nichterfüllung in Art. 1151 CC.657 Dem deutschen Recht ist das Konzept der Begrenzung auf vorhersehbare Schäden in Form einer ausdrücklichen Norm fremd. Es korrigiert den Schadensumfang durch die auf einer objektiven nachträglichen Wahrscheinlichkeitsbetrachtung beruhenden Lehre von der adäquaten Kausalität658 und durch die auf einer wertenden Betrachtung beruhenden Lehre vom Schutzzweck der Norm,659 über welche für die Bestimmung des Schadensersatzanspruchs letztlich alle aus objektiver Sicht bei Vertragsschluss erkennbaren Umstände heranzuziehen sind. Einem ähnlichen auf Kausalitätsbetrachtungen beruhenden Ansatz folgen auch das schweizerische und das niederländische Recht.660 Im niederländischen Recht wurde die Rechtsprechung zur adäquaten Kausalität wegen der ihr immanenten variablen Wahrscheinlichkeitsbetrachtung des Schadenseintritts durch eine Kausalitätsbetrachtung ersetzt, die auf den präziseren Elementen der Natur der Haftung (vertragliche, gesetzliche, Verschuldens- oder Garantiehaftung etc.) und der Natur des Schadens (Vermögensschaden, Sachschaden, immaterieller Schaden etc.) gründet661 und floss so in Art. 6:98 NBW ein, der denjenigen Schaden als ersatzfähig betrachtet, der „related to the event giving rise to the liability of the debtor, also having regard to the nature of the liability and of the damages, can be attributed to him as a result
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Es besteht z.B. keine Einigkeit im Hinblick auf die Interpretation des dol, vgl. etwa STIJNS/VAN GERVEN/WÉRY, Chronique de jurisprudence. Les obligations: les sources (19851995), J.T. 1996, S. 733. 657 An sich handelt es sich hier um ein Kausalitätsproblem, das jedoch im Zusammenhang mit Art. 1150 CC steht. 658 Vgl. bereits RGZ 78, 272; 152, 401; 158, 38; Die Möglichkeit des Schadenseintritts darf nicht „außerhalb aller Wahrscheinlichkeit“ liegen, BGH NJW-RR 01, 887, oder muss nach gewöhnlichem Lauf der Dinge geeignet sein, einen Erfolg der genannten Art herbeizuführen, BGH NJW 53, 700 und jüngst NJW 05, 1420. Dies wird teils als weitergehende Zurechnung betrachtet als z.B. gem. Art, 9:503 PECL oder Art. 74 Satz 2 CISG, vgl. BIANCA/BONELL, Commentary on the International Sales Law, Art. 74-77, Rn. 2. 659 So werden Folgeschäden, die außerhalb des Schutzzwecks der verletzten Pflicht liegen, nicht ersetzt. Die Nachteile müssen aus dem Bereich der Gefahren stammen, für die die verletzte Norm erlassen worden ist. Vgl. auch hierzu BGH NJW 05, 1420 und Palandt/ HEINRICHS, Vorb. v. § 249, Rn. 62 f. 660 Vgl. auch TALLON, 40 Am.J.Comp.L. 1992, S. 675 (678). 661 Hoge Raad, 20.3.1970, NJ 1970, 251.
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of such event“.662 Gekoppelt wird die Lösung an eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität.663 Eine systematisch andere und im Ergebnis für den Schuldner günstigere Lösung sieht das österreichische Recht in § 1324 Satz 1 ABGB vor. Die Norm verfolgt zwar ein ähnliches Anliegen, nämlich die Ersatzpflicht des Schuldners zu beschränken, damit sie bei einem nur fahrlässig Handelnden nicht ins Unermessliche steigt.664 Dort geschieht dies jedoch in anderer Form, da nach dem ABGB bereits die Frage, ob „réparation intégrale“ oder „volle Genugtuung“ zu leisten ist, vom Verschulden des Schuldners abhängt und nur im Fall böser Absicht oder auffallender Sorglosigkeit des Schuldners auch der entgangene Gewinn des Gläubigers ersetzt wird. Andernfalls beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den damnum emergens (sog. „eigentliche Schadloshaltung“). bb. Mitverschulden und mitigation of harm Die meisten Rechte treffen eine Regelung zum Mitverschulden des Gläubigers im Zusammenhang mit den schadensrechtlichen Vorschriften. Die Grundsätze sind hier relativ ähnlich: Haben beide Parteien den Schaden in zurechenbarer Weise verursacht, haben sie auch beide für den Schaden einzustehen. Die Betrachtung kann im Einzelnen jedoch variieren. Teils beruht sie auf einer Wertung des jeweiligen Verschuldensgrades,665 teils auf einer Gewichtung der Verursachungsbeiträge der Parteien und damit auf Kausalitätsbetrachtungen666 und teils auf beiden Elementen. Der Geschädigte wäre dann für einen Schaden mitverantwortlich, an dessen Entstehung er in ihm zurechenbarer Weise mitursächlich war.667
662
Art. 6:98 NBW: „Voor vergoeding komt slechts aanmerking schade zodanig verband staat met gebeurtenis waarop aansprakelijkheid schuldenaar berust, zij hem, mede gezien aard aansprakelijkheid, schade, als gevolg deze gebeurtenis kan worden toegerekend.“ Vgl. auch HARTKAMP/TILLEMA/TER HEIDE, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 179, 208. 663 Hoge Raad, 29.11.2002, RdvW 2002, 191. 664 Vgl. v. ZEILLER, Commentar über das ABGB III/1, § 1324, Anm. 2; HARKE, Schuldnerverzug, S. 82. 665 So die belgische Cour de cassation in Cass. 1re, 9.5.1986, Pas. 1986, I, S. 1100. 666 Hingegen aber belg. Cass. 3e, 7.11.1988, Pas. 1989, I, S. 243; vgl. auch Art. 6:101 NBW. 667 Siehe § 254 Abs. 1 BGB und die dortige weitere untechnische Auslegung des Begriffs Verschulden in Kombination mit Elementen der Ursächlichkeit und des Schutzzwecks der Norm, BGH NJW 1999, 2255 (2256): „Bei der Festlegung der Mitverschuldensquote ist in erster Linie auf das Maß der beiderseitigen Schadensverursachung und in zweiter Linie auf das Maß des beiderseitigen Verschuldens abzustellen“; siehe auch BGH NJW-RR 06, 965; zum Ganzen GREGER, NJW 1985, S. 1130 ff.
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Problematischer ist die Herabsetzung des Schadensersatzes, wenn die benachteiligte Partei durch eigene Schritte die Entstehung des Schadens hätte verhindern können. Allerdings gilt auch hier „mitigation has gained recognition.“668 Im niederländischen Recht enthält Art. 6:101 NBW, im deutschen Recht § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB den allgemeinen Grundsatz der Schadensminderungspflicht. Letzterer wird allerdings in Zusammenhang mit der Regelung des § 254 Abs. 1 BGB zum Mitverschulden gelesen, welches auch bejaht wird, wenn der Gläubiger es unterlassen hat, auf die dem Schuldner unbekannte Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens hinzuweisen oder den Schaden abzuwenden oder zu mindern.669 Die Maßnahmen, die ein ordentlicher und verständiger Mensch ergreifen müsste, um den Schaden zu vermeiden oder zu mindern,670 mithin der Umfang der „duty to mitigate“, wird jedoch in den einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich gehandhabt. Die Differenzen zeigen sich besonders beim Deckungsgeschäft: Während im common law der unterbliebene Abschluss eines vernünftigen Deckungsgeschäfts bereits zu einer Verletzung der Schadensminderungspflicht führen würde, würde dies im französischen Recht oder deutschen Recht anders beurteilt.671 Einige Rechtsordnungen wie die schweizerische in Art. 99 Abs. 3, 44 Abs. 2 OR und die niederländische in Art. 6:109 NBW sehen eine „mitigation of harm for reasons of equity“ vor.672 Hierbei geht es nicht um eine Verminderung des Schadensersatzes wegen ex ante oder ex post vorgenommenen Kausalitätserwägungen, sondern um eine Ermäßigung der Ersatzpflicht, wenn der Schuldner andernfalls in eine Notlage versetzt würde oder der volle Schadensersatz unzumutbar wäre. Das Gericht kann in diesen Fällen bei der Festsetzung des Schadens die Ersatzpflicht trotz des Grundsatzes der réparation intégrale ermäßigen, in der Schweiz nach Ermessen des Richters, in den Niederlanden unter Berücksichtigung der Umstände, insbesondere der Natur der Haftung, des Status und des Verhältnisses der Vertragsparteien und deren finanzieller Möglichkeiten,673 wobei die Rechtsprechung diese Ausnahmevorschrift sehr eng auslegt.674 In den meisten Rechtsordnungen ist der Schadensersatz jedoch von der wirtschaftlichen Situation des Schuldners un668
Seit Art. 77 CISG, vgl. TALLON, Am.J.Comp.L. 40 (1992), S. 675 (679). BGH NJW 1997, S. 2234. 670 So bereits BGH NJW 1952, S. 299. 671 Ein Deckungsgeschäft kann allerdings im Einzelfall im Rahmen der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB erfolgen, vgl. auch BGH NJW 2000, S. 1409 (1410). 672 TALLON, Am.J.Comp.L. 40 (1992), S. 675 (677). 673 Die Regel entstand u.a. zur Einschränkung der zunehmenden Fälle gesetzlicher Garantiehaftung, vgl. HARTKAMP/TILLEMA/TER HEIDE, in International Encyclopaedia of Laws, Contracts, Rn. 217. 674 Hoge Raad, 28.5.1999, NJ 1999, 510. 669
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abhängig und eine Begrenzung des Schadens aus Zumutbarkeitsgesichtspunkten ausdrücklich nicht gestattet.675 cc. Naturalerfüllung oder Geldersatz In den nationalen Vertragsrechten zeigt sich nach dem Vorbild skandinavischer Rechte und des common law eher eine Entwicklung zum Grundsatz der Entschädigung in Geld, da eine Naturalherstellung dem Erfüllungsanspruch gleichkäme, der bei Nichterfüllung gerade ausgeschlossen sein soll.676 Dies gilt allerdings nicht als ausschließlicher Grundsatz, wie dies in den PECL677 oder UPICC678 der Fall ist. Vielmehr werden Naturalerfüllung oder Geldersatz meist als alternative Optionen mit jeweils unterschiedlicher Akzentsetzung gesehen. Zum einen kann gesetzessystematisch in erster Linie Ersatz in Geld und nur unter besonderen Voraussetzungen Naturalherstellung vorgesehen werden, wie in 6:103 NBW679 oder § 136 Abs. 5 estSRG.680 Zum anderen kann im Grundsatz Naturalherstellung angeordnet werden, und nur in besonderen Fällen Geldersatz, vgl. § 249 Satz 1 BGB, § 1323 ABGB und Art. 2058 italCC. Nach den traditionellen Kodifikationen gilt Naturalherstellung als die vollkommenere Form der Ersatzleistung, weil sie den Gläubiger in eine Lage bringt, die derjenigen ähnelt, in die er nach dem Vertragszweck kommen wollte. Sie ist die „zweitbeste Lösung“, die der ursprünglich geschuldeten Leistung am nächsten kommt.681 Kombiniert wird sie allerdings in der Regel mit Vorschriften zum Schutz des Schuldners: Naturalherstellung bei unverhältnismäßigem Aufwand für den Schuldner muss zugunsten des Geldersatzes 675
Vgl. für Frankreich Cass. civ. 2e, 21.7.1982, Bull. Civ. II n° 109 : „Un responsable pauvre et non assuré devra indemniser intégralement une riche victime.“ Siehe auch Cass. civ. 1re, 3.7.1996, Bull. Civ., I, n° 296; JOURDAIN, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 263 (267, 274); LE TOURNEAU/CADIET, Droit de la responsabilité et des contrats, n° 2522. Im deutschen Recht mag man allenfalls in § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB eine zum Schutz des Schuldners geregelte Opfergrenze für den Schadensersatzanspruch sehen. 676 Diesbezüglich wird selbst zum deutschen Recht vertreten, dass im Fall der Nichterfüllung die Naturalrestitution ausscheiden soll, da sie dem Erfüllungsanspruch ähnelt. LARENZ, § 28 II, S. 474. 677 Dort Art. 9:502 PECL („Den allgemeinen Maßstab für Schadensersatz bildet der Betrag, der die benachteiligte Partei so weit wie möglich in die Lage versetzt […]“). 678 Art. 7.4.11 UPICC: Damages are to be paid in a lump sum. 679 Dies war vor Geltung des NBW extrem selten, vgl. nachfolgenden Ausnahmefall: Hoge Raad 15.11.1967, NJ 1968, 42. 680 § 136 estSRG: „Manner of compensation for damage […] (5) In the cases provided by law or a contract and in other cases where this is reasonable under the circumstances, the aggrieved person may claim compensation for damage in a manner other than monetary compensation.“ 681 FLESSNER, in BASEDOW, Aufbruch nach Europa, S. 141 (147).
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weichen, § 251 Abs. 2 BGB, 2058 Abs. 2 italCC. Andere Länder räumen hinsichtlich der Art des Schadensersatzes dem Gericht ein weit größeres Ermessen ein, z.B. die Schweiz, die die Entscheidung über Art und Größe des Ersatzes dem Gericht überlässt (vgl. Art. 43 OR). Auch in Frankreich besteht ein weites richterliches Ermessen682 wobei hier im Grundsatz eher zur réparation pécuniaire gegriffen wird.683 Allerdings ist der Anspruch auf Naturalherstellung ein Anspruch, der dem Gläubiger zugute kommen soll. Wünscht dieser Geldersatz, bekommt er ihn in der Regel auch in den Ländern mit grundsätzlichem Vorrang der Naturalrestitution.684 Am sinnvollsten scheinen flexible Systeme, die beide Optionen offenhalten. Sie sind von Vorteil für den Schuldner wie auch den Gläubiger, da die Interessen des Gläubigers nicht immer nur mit Geld zu befriedigen sind. dd. Vereinfachte und abstrakte Schadensberechnung Die Grundsätze des nationalen Rechts helfen auch im Hinblick auf das Verständnis der Art. 9:506 und 9:507 PECL, die in der Auslegung Fragen aufwerfen, wie in Teil 1 Kapitel 3 deutlich wurde. Grundsätzlich wird der Schaden meist nach der Differenzhypothese berechnet, die sich statt einer Zergliederung nach einzelnen Verletzungen und Schadensarten auf eine Schadensermittlung durch Vergleich der Güterlagen vor und nach Schadenseintritt stützt und eine einheitliche Interesseberechnung unter der Berücksichtigung der dem Geschädigten entstandenen Vorteile, des ihm entgangenen Gewinns und der Wertschwankungen der verletzten Güter in einem einzigen Schadensersatzanspruch erlaubt.685 Dort, wo nicht einheitlich der Grundsatz des Geldersatzes gilt, werden hingegen immaterielle Schäden gesondert betrachtet. 686 Hierbei obliegt der Beweis des Schadens grundsätzlich dem Geschädigten, die genaue Festsetzung der Schadenshöhe687 grundsätzlich dem Richter.688 682
Ebenso in Art. 1226 italCC, der die Festlegung des Schadensersatzes nach Billigkeit vorsieht. 683 JOURDAIN, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 263 (269) m.w.N. zur Rspr. 684 So auch FLESSNER, in BASEDOW, Aufbruch nach Europa, S. 141 (146). 685 SCHLECHTRIEM/SCHMIDT-KESSEL, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, Rn. 555; BGH WM 2000, 1017 (1019). Vgl. für Frankreich zu den „toutes causes de préjudice confondues,“ Cass. civ. 2e, 15.12.1986, Bull. Civ., II, n. 193; Cass. civ. 2e, 7.3.1995, Bull. Civ. II, n°. 62. 686 So im deutschen Recht: Grundsatz der Naturalrestitution in § 249 mit Ausnahme des Geldersatzes in § 251 BGB, jedoch Geldersatz gem. § 253 Abs. 1, 2 BGB. 687 Anders als die Höhe des Zinsanspruchs, der in vielen Rechtsordnungen ebenfalls einen (pauschalierten) Schadensersatzanspruch darstellt. 688 Zu den Freiheiten des Richters bei der Festlegung des Schadensersatzes in Form eines Fixbetrages oder einer Geldrente siehe für Frankreich: Cass. civ. 2e, 29.4.1994, Resp.civ. et assur. 1994, comm. n° 243. Zum Problem der Geldwertschwankungen bei Geldrenten vgl.
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Nach nationalem Recht wird dem Gläubiger zur Erleichterung seines Anspruchs teils eine vereinfachte Schadensberechnung gestattet. Ihm wird die Differenz zwischen Vertragspreis einerseits und Marktpreis oder Preis des hypothetischen Deckungsgeschäfts oder des hypothetischem gewinnbringenden Weiterverkauf andererseits zugebilligt, ohne dass er die Einzelheiten eines konkret vorgenommenen Geschäfts offenzulegen hätte.689 Nach deutschem Recht handelt es sich hierbei um eine Beweiserleichterung,690 die man über § 252 Satz 2 BGB und § 376 Abs. 2 HGB gesetzlich zu verankern sucht.691 Bei Waren mit Marktpreis lassen einige Rechtsordnungen, z.B. die englische692 oder die niederländische693, häufig eine abstrakte Schadensberechnung zu. Die objektiv-abstrakte Beurteilung des entstandenen Schadens wird auch im französischen Rechtskreis praktiziert.694 Es handelt sich hierbei stets um eine Alternativmöglichkeit zur konkreten Schadensberechnung.695 d. Schadensersatz und Rücktritt Nach den nationalen Rechten werden Rechtsbehelfe, die sich nicht naturgemäß ausschließen, zunehmend als kumulierbar betrachtet. Dies ist beim Schadensersatz statt der Leistung und der Vertragsaufhebung seit jeher nicht unproblematisch. Das BGB gestattete die Kumulation zwischen Rücktritt und Schadensersatz ursprünglich nicht; es sicherte dem Gläubiger mit Ausnahme des § 467 S. 2 BGB a.F. daher nicht einmal den Ersatz seines Vertrauensschadens.696 Heute sieht es in § 325 BGB Rücktritt und Schadensersatz ausdrückauch VINEY, La responsabilité: effets, L.G.D.J, Rn. 82-85 und Cass. Ch. mixte, 6.11.1974, Gaz. Pal. 1974, 2, 868. Vgl. für Deutschland § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO. 689 Für Deutschland BGH NJW 1998, 2901 f.; BGH NJW 2000, 1409 f.; vgl. bereits BARDO, Die abstrakte Berechnung des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung beim Kaufvertrag, insb. S. 44 ff. und 55 ff. 689 Insbesondere MOMMSEN, Die Lehre von der mora, S. 78. 690 So ausdrücklich BGH NJW 2000, 1409 (1410). 691 Siehe BGHZ 104, 337 (344 ff.) zur abstrakten Schadensberechnung bei Verzug des Schuldners eines Kreditvertrages: Durchschnittszinssatz auf der Basis der zur Verzugszeit marktüblichen Bruttosollzinsen. 692 Sec. 51 Abs. 3 Sale of Goods Act 1979. 693 Vgl. aber zur Ablehnung der abstrakten Schadensberechnung bei nur nominellen Schäden, Hoge Raad, 6.6.1997, NJ 1997, 612. 694 DEJEAN DE LA BÂTIE, Appréciation in concreto et appréciation in abstracto en droit civil français, n. 337 f. Zu den Problemen bei der richterlichen Schadensberechnung aus französischer Sicht vgl. JOURDAIN, in FONTAINE/VINEY, Les sanctions de l’inexécution des obligations contractuelles, S. 263 (267) mit Hinweisen auf die Rechtsprechung. 695 Dies zeigt sich auch im Versuch der Verankerung dieser Lösung über § 252 Satz 2 BGB, der als Beweiserleicherung qualifiziert wird, so schon BGH NJW 59, 1079. 696 RABEL, Das Recht des Warenkaufs, S. 428. Allerdings wurde dies insbesondere im Hinblick auf entstandene Kosten für den Vertragsschuss kritisiert und teils gefordert oder sogar behauptet, der Ausschluss gelte nur für die Kombination von Rücktritt und positivem
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lich nebeneinander vor. Der Gläubiger, der im Zuge des Rücktritts seinen Kaufpreis zurückfordert, kann daneben auch seine Vertragskosten (über § 284 BGB) oder die Kosten eines Deckungsgeschäfts (über § 281 BGB) geltend machen, d.h. entweder das negative oder das positive Interesse ersetzt verlangen.697 Das schweizerische Recht gewährte hingegen bei Rücktritt wegen Verzugs gem. Art. 109 Abs. 2 OR seit jeher den Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenden Schadens, jedoch nur in Höhe des negativen Interesses,698 d.h. die im Lichte des Vertragsschlusses getätigten Aufwendungen und den entgangenen Gewinn, der der benachteiligten Partei bei Vertragsschluss mit einem Dritten zugeflossen wäre. Der Ersatz ist hierbei nicht auf das positive Interesse begrenzt.699 Der Ersatz des negativen Interesses steht auch in einem logischen Zusammenhang mit dem Verständnis des Rücktritts und des Rückabwicklungsanspruchs, der nach seiner Rechtsnatur teils als Vindikationsanspruch,700 teils als Bereicherungsanspruch gedeutet wird, wenngleich dem Rücktritt nach herrschender Ansicht keine ex tunc701 Wirkung zukommen soll.702 Hat sich eine Partei durch Rücktritt von iher Erfüllungspflicht berfreit, könne sie daher nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Vertrag erfüllt worden.703 Zumal auch das Bundesgericht als Rücktrittsfolge in Anlehnung an die deutsche Auffassung eine Umwandlung in ein Rückabwicklungsverhältnis annimmt,704 wird teils eine § 325 BGB
Interesse, nicht aber für den Ersatz des Vertrauensinteresses, MÜLLER, Der Ersatz entwerteter Aufwendungen bei Vertragsstörungen, S. 120 ff. 697 Palandt/GRÜNEBERG, § 325 BGB Rn. 1. Über § 284 BGB sind vergebliche Aufwendungen ohne die Figur der Rentabilitätsvermutung zu ersetzen, vgl. auch Palandt/ HEINRICHS, § 284 Rn. 1. 698 KELLER, Das negative Interesse im Verhältnis zum positiven Interesse; BGE 44 II 500 ff.; vgl. zu den Begründungsansätzen für die Gewährung des negativen Interesses auch den Beitrag von HERHOLZ, AcP 130 (1929), S. 257 ff. 699 Commentaire Romand/THÉVENOZ, Bd. I, Art. 109 OR, Rn. 6; Berner Kommentar/WEBER, Bd. VI/1/5, Art. 109 OR, Rn. 82 ff.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, n° 978 und 2724 ff. Das System wird allerdings kritisiert und die Lösung des deutschen Rechts in § 325 BGB i.V.m. §§ 281, 284 BGB bevorzugt, vgl. MORIN, ZSR 124 (2005), S. 349 ff. 700 In der Schweiz gilt das Kausalitätsprinzip, vgl. Art. 954 Abs. 2 ZGB und BGE 96 II 150, daher sei der Rückgabeanspruch nach Rücktritt ein Herausgabeanspruch dinglicher Natur. 701 So aber die frühere Ansicht, SIMONIUS, ZSR 37 (1918), S. 225 (256). 702 Vgl. zum Streitstand KOLLER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil II, § 55 Rn. 138 ff. 703 SIMONIUS, ZSR 37 (1918), S. 225 (254 ff.); SUTER, Rechtsnatur und Rechtsfolgen des Vertragsrücktritts im Zusammenhangmit dem Schuldnerverzug, S.73 f. m.w.N. 704 BGE 61 II 255 und insb. BGE 114 II 152.
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entsprechende Neuregelung diskutiert.705 Eine Kombination aus Rücktritt und Schadensersatz in Höhe des positiven Interesses ist auch in Art. 1453 italCC, § 351 Abs. 1 ObchZ oder § 921 ABGB vorgesehen. Die Kombination ist auch insofern zweckmäßig, als sich die beiden Rechtsbehelfe von ihrer Tragweite her überschneiden. Schon nach gemeinrechtlicher Tradition enthielt der Schadensersatzanspruch „wegen Nichterfüllung“ den Rücktritt mit, denn bei bereits erbrachter Leistung konnte der Gläubiger zumindest den Wert seiner Leistung als Schadensersatz zurückfordern,706 aber auch darüber hinausgehende Schäden ersetzt verlangen. Die Rechtsbehelfe decken sich daher teilweise und es ist nur schwer begründbar, den zurücktretenden Gläubiger vom Schadensersatz auszuschließen.
705
Commentaire Romand/THÉVENOZ, Code des obligations I, Art. 109 OR, Rn. 15; MORIN, ZSR 124 (2005), S. 349 (377), die jedoch im Ergebnis keine praktische Notwendigkeit einer Neuregelung sieht. 706 Insbesondere MOMMSEN, Die Lehre von der mora, S. 78.
Teil 3: Bewertung: Europäisches Vertragsrecht versus mora – Quo vadis? Do we really want to consign to the dustbin of history the elegant prose of Portalis in the French Civil Code or the limpid clarity of Huber in the Swiss Civil Code? Did Germany want to jettison its BGB when it underwent a major revision […]? And what of the relatively 1 recently revised Dutch Civil Code?
1
GOODE, Ius Commune Lectures on European Private Law, S. 13.
Kapitel 8
Kompromisslösung für ein europäisches Vertragsrecht Nach vorangehender Analyse fällt auf europäischer Ebene eine große Rechtsvielfalt auf. Aus dem Unionsprivatrecht lassen sich einige Grundprinzipien ableiten, die mit europäischen Vertragsrechtsmodellen abzustimmen sind. Die Analyse des römischen Rechts und seiner Entwicklung weist den Weg zu einer Eingliederung der Leistungsverzögerung in die Nichterfüllungshaftung. In den nationalen Rechten zeigte sich ein größerer Gegensatz zwischen allgemeiner Nichterfüllungshaftung und speziellem Verzugstatbestand als in PECL, DCFR, CESL und Code Européen. Diese Vielfalt macht es schwer, die Lösung zu identifizieren, die einen gelungenen Kompromiss für ein EUweites Regelwerk darstellt. Das gewählte Konzept sollte die wirtschaftlichen Parteiinteressen auf optimale Weise zum Ausgleich bringen1, unionsprivatrechtliche Vorgaben möglichst kohärent integrieren, durch Beachtung nationaler Rechtstraditionen größtmögliche Akzeptanz garantieren und in struktureller wie inhaltlicher Hinsicht eine gute Lösung bieten. Dies ist keine leichte Aufgabe.
§ 1 PECL/DCFR als Ausgangsmodell Als Ausgangsmodell eines europaweiten Vertragsrechts und als Lösung der Leistungsverzögerungsproblematik überzeugen aus mehreren Gründen allein die Principles und DCFR, der im Bereich des Leistungsstörungsrechts strukturell wie inhaltlich weitgehend auf den PECL aufbaut.2 Beide Modelle wurden von der Europäischen Kommission aus guten Gründen als Ausgangspunkt für ein künftiges europäisches Vertragsrecht in Form eines Common Frame of Reference (CFR) oder eines optionalen Instruments (OI) bevorzugt3 und nun weitgehend in den Vorschlag für ein optionales Kaufrechtsinstrument (CESL) übernommen.
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SCHÄFER/OTT, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts. Inwieweit der DCFR insgesamt überzeugt, soll hier dahinstehen. Zur Kritik vgl. den Tagungsband SCHMIDT-KESSEL, Der gemeinsame Referenzrahmen, Entstehung, Inhalte, Anwendung. 3 Vgl. Einführung und Grundlagen, Kap. 2, § 1 und Teil 1, Kap. 3. 2
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I. International erprobte Vorbilder Zwischen den PECL und anderen Modellen internationalen Einheitsrechts (CISG, UPICC) wurde ein Synchronisationsakt vollzogen, der sich auch im CESL zeigt.4 Inhaltlich und im Detail ergeben sich zwar in mehreren Punkten Abweichungen, in Systematik und Terminologie der Regelwerke wurde jedoch weitgehender Gleichlauf erzielt.5 Im Lichte internationaler Rechtseinheit und im Interesse der Klarheit für den Rechtsanwender scheint es einzig sinnvoll, neue europäische Regeln an internationalem Einheitsrecht zu orientieren, soweit dies möglich ist und letzteres inhaltlich überzeugt. Einheitsrecht wirkt bereits jetzt sehr stark uniformisierend. Dies zeigt gerade die CISG, die in einer Vielzahl von Ländern gilt und Inspirationsquelle für viele nationale Gesetzgeber war. Die parallele Struktur von CISG und CESL belegt dies anschaulich. Auch die UPICC wirken durch ihre Modellrolle für die Legislative und ihre Anwendung in der Schiedspraxis vereinheitlichend.6 Ähnliches gilt für die PECL. Dies ist ein entscheidender Vorteil dieses Modells, von welchem auch der DCFR profitiert. II. Einfache Struktur Es mag zwar ein Argument für den Code Européen sein, dass Detailregelungen die Anwendung eines neuen Regelwerkes in den durch unterschiedliche Rechtstraditionen und Rechtsprechung geprägten Mitgliedstaaten erleichtern können. Dies setzt allerdings voraus, dass die hierzu ausgearbeiteten Normen die Gefahr national unterschiedlicher Interpretationsergebnisse tatsächlich zu umgehen vermögen. Es gelingt dem Code Européen indes nicht, in diesem Ziel zu überzeugen, denn seine Regeln sind nur nach intensiven Studien verständlich und dem europäischen Bürger, dem diese Detailtreue gewidmet wäre, ist eine solche Komplexität schwer zuzumuten. Insofern ist dem OGH beizupflichten: „Ist eine Vorschrift nur mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten und einer gewissen Lust zum Lösen von Denksportaufgaben verstehbar, verlässt sie den Boden des rechtsstaatlichen Prinzips.“7 Die Principles hingegen entsprechen neben dem Bedürfnis der Praxis nach klaren Rechtsregeln einem der wichtigsten römischrechtlichen Grundsätze: „Regula est, quae rem quae est breuiter enarrat“ – eine Regel stellt die beste4
Zur Sprache der CISG: SPAIC, Approaching Uniformity in International Sales Law, S. 13; Bianca/Bonell/BONELL, Introduction to the Convention, Commentary on the International Sales Law, S. 74-75; FERRARI, Ga. J. Int’l & Comp. L. 24 (1994), S. 203. 5 Vgl. die Beiträge von MAGNUS und REMIEN, in CASHIN-RITAINE/LEIN, The UNIDROIT Principles 2004, S. 57 ff., 65 ff. 6 Vgl. bereits Einführung und Grundlagen, Kap. 2, § 1 und Teil 1, Kap. 3. 7 OGH, 27.4.1999, JBl. 1999, S. 662.
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hende Rechtslage in kurzer Form dar.8 Die Principles folgen hierin der lingua franca der CISG, „transcending national legal systems“.9 Sie achten auf innere Kohärenz und Klarheit. Der Code Européen hingegen benutzt eine national geprägte Rechtssprache, setzt diese teils widersprüchlich ein und birgt dadurch zudem die Gefahr einer nationalen Färbung durch den jeweiligen Rechtsanwender, die er eigentlich gerade zu vermeiden sucht.10 Die klare Struktur der Principles erlaubt zudem größere Flexibilität gegenüber Rechtsfortentwicklungen und macht sie leichter ergänzbar. III. Anerkennung in der Vertrags- und Schiedspraxis Im Gegensatz zum Code Européen wird den Principles zudem bereits weitgehende praktische Anerkennung als einem modernen und praxisgerechten Vertragsrecht11 zuteil. Die den PECL häufig wortgleichen UPICC wurden in der Schiedsgerichtsbarkeit erprobt.12 Ihnen kommt insbesondere als Ersatzrecht oder als Interpretations- und Argumentationshilfe Bedeutung zu.13 Dies gilt zunehmend auch vor staatlichen Gerichten,14 unter anderem in Großbritannien.15
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D. 50, 17, 1. Dies hat auch das Schweizer OR erkannt, das stilistisch ähnlich konzipiert ist. Im Übrigen ist dies auch angesichts der Sprachenvielfalt in der EU zu empfehlen. Auch hier ist das OR beispielhaft, da es dreisprachig konzipiert ist. Das CESL folgt diesem Grundsatz allerdings nicht durchgehend. 9 SPAIC, Approaching Uniformity in International Sales Law, S. 13. 10 „Legal terms can have an elusive, chameleon-quality even in domestic legislation; in international legislation that must be translated into many other languages, the use of domestic legal terminology can produce chaos.“ HONNOLD, Int’l Trade & Bus.L.J. 1 (1995), S. 2-3, http://cisgw3.law.pace.edu/cisg/biblio/honnold3.html. 11 DERAINS, Bulletin de la Cour internationale d’arbitrage de la CCI, Supplément spécial 2002, S. 1; BERGER, The Creeping Codification of the Lex Mercatoria, S. 142 ff.; KESSEDJIAN, Recueil des Cours de l’Académie de droit international de La Haye 300 (2002), S. 79 (81 ff.); MOURRE/JOLIVET, Unif.L.Rev. 2004, S. 275 - 293. 12 Vgl. allein die auf http://www.unilex.info veröffentlichten Schiedssprüche, die die Verwendung der UPICC und teils auch der PECL in der Praxis belegen. Ihr Hauptanwendungsfall ist die Auslegung und Ergänzung internationalen Einheitsrechts und nationalen Rechts. 13 BONELL, Unif. L. Rev. 1999, S. 633 ff.; WILHELMSSON, T., Juridica Int. 6 (2001), S. 23 (24). 14 So beispielsweise Hoge Raad, 22.9.1995, NJ 1996, n° 706, S. 4086; 2.2.2001, R99/120HR; 13.6.2001, C99/315HR; siehe http://www.rechtspraak.nl.; Cour Suprême de la Pologne, III CZP 61/030, 6.11.2003 http://www.unilex.info; Cour d’appel de Grenoble 24.01.1996, Société Harper Robinson v. Société internationale de maintenance et de réalisations industrielles, http://www.unilex.info. Vgl. auch SCHLECHTRIEM, Juridica Int. 6 (2001), S. 16 (17). 15 Court of Appeal 2006 EWCA Civ., Proforce Recruit Ltd c. The Rugby Group Ltd., http://www.unilex.info. Vgl. auch BONELL, Unif.L.Rev. 2006, S. 305 ff.
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Einer noch weitreichenderen praktischen Relevanz steht trotz der schiedskollisionsrechtlichen Zulässigkeit der Rechtswahl anationalen Rechts16 noch eine gewisse Lückenhaftigkeit17 entgegen, die der DCFR durch seinen weiten Anwendungsbereich beheben will.18 Kritisiert wurde unter anderem, dass sich die Principles auf einen Bruchteil der vertragsrechtlichen Gesamtproblematik beschränken, ein Vertragstypenrecht aussparen und weitere vertragsnahe Rechtsgebiete nicht behandeln. Der DCFR kann auch dieses Problem lösen,19 da er unter anderem die Vertragstypisierung durch Richtlinienrecht zum Maßstab nimmt. Inhaltlich gilt dies aber unter Vorbehalt, da hierzu aus Kohärenzgründen einige inhaltliche Änderungen des allgemeinen Vertragsrechts empfehlenswert wären.20 16
So etwa im Unterschied zu Art. 27 EGBGB im deutschen Schiedskollisionsrecht § 1051 ZPO: „(1) Das Schiedsgericht hat die Streitigkeit in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften zu entscheiden, die von den Parteien als auf den Inhalt des Rechtsstreits anwendbar bezeichnet worden sind. (…) (2) Haben die Parteien die anzuwendenden Rechtsvorschriften nicht bestimmt, so hat das Schiedsgericht das Recht des Staates anzuwenden, mit dem der Gegenstand des Verfahrens die engsten Verbindungen aufweist“ (Hervorhebung durch den Autor). Vgl. zur Flexibilität des Begriffs „Rechtsvorschriften“ in § 1051 Abs. 1 ZPO auch SANDROCK, in GERKENS, Mélanges Sturm, S. 1648 ff.; JUNKER, in Festschrift Sandrock, S. 443 (460 ff.). 17 Auch wenn sie als vertragsrechtliches Regelwerk ein weitgehend vollständiges, einheitliches Rechtgebiet umfassen, lässt die Beschränkung auf das Vertragsrecht Interferenzprobleme zum außervertraglichen vertragsnahen Haftungsrecht und insbesondere zum Sachenrecht ungelöst, etwa zu Fragen der Eigentumsübertragung, des Eigentumsvorbehalts, der Sicherungsübereignung oder der Fungibilität von Grundpfandrechten, die vom Vertragsrecht teils schwer trennbar sind. Muss z.B. zur Streitlösung ein nationales Sachenrecht herangezogen werden, ist zweifelhaft, ob die Principles auf dieses ausreichend abgestimmt sind - im Gegensatz zum entsprechenden nationalen Vertragsrecht. Die Schiedspraxis hält sich daher bei der Berufung der Principles als anwendbares Recht zurück. 18 Siehe bereits Buch IV Teil G des DCFR, Personal security. 19 Siehe Buch IV des DCFR, Specific contracts and the rights and obligations arising from them. 20 Vgl. nachfolgende Erörterungen. Abgesehen davon, dass der DCFR das richtlinienrechtliche Vertragstypenrecht zwangsläufig aufnehmen muss, ist das Vertragstypenrecht allerdings ganz grundsätzlicher Kritik ausgesetzt, vgl. DASSER, in HONSELL, Festschrift Rey, S. 207 (214). Das Recht der regulierten Verträge führt heute ein Eigenleben vor den Toren des allgemeinen Vertragsrechts. Die Typisierung von Verträgen ist häufig willkürlich, die Einordnung unter einen Vertragstyp oft schwierig und gesetzlich geregelte Vertragskategorien werden durch ungeregelte Innominatverträge ergänzt. Ist aber das besondere Vertragsrecht angesichts der Vielzahl neuer, atypischer Vertragskonstellationen ohnehin lückenhaft und bleibt oft nur der Rückgriff auf eine Analogie zu einem gesetzlichen Vertragstyp, verliert eine Typisierung ihren Sinn: „Es drängt sich der Vergleich mit den mittelalterlichen Glossatoren auf: In durchaus löblicher Absicht werden allgemeine Grundsätze für immer mehr konkretere Problemfälle immer mehr konkretisiert, bis vor lauter Verkrustungen der Grundgedanke nicht mehr erkennbar ist. Jede Detailregelung mag für sich allein betrachtet sehr sinnvoll und mehrheitsfähig sein; unter dem Gewicht all dieser Verbesserungen zerfällt die Einheit des Vertragsrechts“,
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IV. Anerkennung durch nationale Gesetzgeber UPICC und PECL standen im Gegensatz zum Code Européen bereits Modell für jüngere Zivilrechtsreformen21 in Litauen, Estland, Russland, Ungarn, China und den westafrikanischen OHADA-Staaten.22 Sie beeinflussen auch den ungarischen und spanischen Gessetzgeber23 und entwickeln sich zu einem Standard eines zeitgemäßen Vertragsrechts, an dem sich nationale Rechtsreformen messen lassen müssen: „[…] their key concepts and basic structures represent a kind of yardstick for reformers and drafters. They have to explain, if not to justify, if and why they deviate from this body of common convictions […].”24 Ihr Harmonisierungseffekt auf nationale Rechte ist daher ziemlich konkret. Dass gerade osteuropäische Reformstaaten die UNIDROIT Principles und ihr europäisches Pendant zum Maßstab nahmen, zeigt auch, dass diese Modelle selbst von den Ländern akzeptiert werden, die an ihrem Redaktionsprozess am wenigsten beteiligt waren. Dass die Übernahme durch osteuropäische Gesetzgeber nicht nur aus der Not einer schnellen VertragsDASSER, a.a.O. S. 207. Im typischen Anwendungsfall mögen vertragstypenrechtliche Regelungen in der Rechtspraxis zwar einfacher zu einem sachgerechten Ergebnis führen. Wäre dies aber derart wesentlich, müsste konsequenterweise die gesamte Vielfalt vertragsrechtlicher Kerngebiete berücksichtigt werden, jede moderne Vertragsentwicklung aufgenommen und einer gesetzlichen Spezialregelung unterworfen werden. Die Kritik betrifft gerade auch den grenzüberschreitenden Verkehr. Einerseits zeigt zwar die CISG als Vertragstypenrecht, die ein Ursprung des allgemeinen Vertragsrechts der Principles ist, dass einheitliche allgemeine Regelungen und solche für typische grenzüberschreitende Verträge nicht zwingend wesentlich voneinander abweichen müssen. Dies belegt nun trotz seiner starken Verbraucherschutztendenz auch das CESL. Andererseits werden Verträge im Zuge fortschreitender Globalisierung immer „untypischer“ und auf den jeweiligen Fall „maßgeschneidert“. Die Differenzierung nach unterschiedlichen Vertragstypen kann hier zudem eine besondere Tragweite bekommen, denn die internationale Praxis zeigt, dass Verträge nicht nach jedem Recht gleich qualifiziert werden. Im DCFR und CESL relativiert sich das letzte Argument jedoch, da diese ein europaweites Vertragstypenrecht enthalten. 21 Vgl. insbesodnere zu den UNIDROIT Principles: MIKELENAS, Unif.L.Rev. 2000, S. 243 ff.; HUANG, Unif.L.Rev. 2003, S. 107-117; DOUDKO, Unif.L.Rev. 2000, S. 483 ff.; vgl. zudem die Reformen in Estland und in Ungarn. 22 KOMAROV, Unif.L.Rev. 1996-2, S. 247; XI, in CASHIN- RITAINE/LEIN, The UNIDROIT Principles 2004, S. 107 ff.; ZUKAS, a.a.O., S. 231 ff.; HUANG, Unif.L.Rev. 2003, S. 107; MIKELENAS, Juridica Int. 9 (2005), S. 42 ff.; HARMATHY, La réforme du code civil hongrois, D. 2007, S. 424; NGUYEN, RDAI 5 (2005), S. 619 ff.; FONTAINE, Unif.L.Rev. 2004, S. 253267. 23 Vgl. insb. zum Kaufrecht MORALES MORENO, ADC 2003, 1609 ff., S. 1642-1643; allgemeiner die Überlegungen in BADOSA COLL/ARROYO AMAYUELAS, La armonización del Derecho de obligaciones en Europa. 24 SCHLECHTRIEM, Juridica Int. 6 (2001), S. 16 (19). ERNST in FISCHER-CZERMACK/ HOPF/SCHAUER, S. 85 (110): „Freilich wird der wissenschaftlich beratene Gesetzgeber der Zukunft einen steten Seitenblick auf diese Regelwerke werfen, die schließlich auch zum Kristallisationskern für ein europäisches Vertragsrecht werden könnten.“
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rechtsreform heraus geboren ist, sondern an der inhaltlichen Überzeugungskraft der gewählten Modelle lag, zeigt das litauische Beispiel: Obwohl dort bereits ein ausgearbeiteter Entwurf des Vertragsrechts vorlag, wurde der Redaktionsprozess nach Erscheinen der UPICC neu aufgerollt.25 Es ist ein entscheidendes Argument für die Principles, dass sie sich durch die Neukodifikationen in Litauen oder Estland bereits in einer praktischen Erprobungsphase befinden. Die nationale Praxis wendet sie bereits als staatlich legitimiertes „Recht“ an. Die inhaltlich veränderte Übernahme einzelner Regelungen in diesen Rechten gibt zugleich einen wertvollen Hinweis auf ein Änderungsbedürfnis einzelner Vorschriften und ermöglicht einen wechselseitigen Einfluss. Auch die PECL können sich im Lichte des durch sie gekorenen nationalen Rechts heraus fortentwickeln. Dabei inspirieren die Principles zugleich zur Abschaffung des Dualismus zwischen Zivil- und Handelsrecht. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen rechtfertigen die grundsätzliche Unterscheidung zwischen einem flexibleren Recht des Handelsverkehrs und einem rigideren Zivilrechtssystem nicht mehr. Zu welchen Inkohärenzen diese führen kann, zeigte das tschechische Beispiel, wo das derzeitige dualistische System Rechtsunsicherheit schafft.26 Aufgrund wachsender Geschäftstätigkeit sind im Bereich des Vertragsrechts alle Parteien gleichermaßen auf die Ersparnis von Zeit und Geld angewiesen.27 Regeln zur Vermeidung eines verhandlungstechnischen Ungleichgewichts28 können in den allgemeinen Teil des Vertragsrechts Einzug halten. Bestimmungen für den Handelsverkehr können als Ausnahmen der allgemeinen Vorschrift direkt im Zusammenhang mit dieser geregelt werden. Auch die KMU könnten über allgemeinere Regeln Schwächerenschutz vor Großunternehmen genießen. Sonderregeln des Handelsvertragsrechts und des Verbraucherschutzrechts liessen sich so auf übersichtliche Bestimmungen
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ZUKAS, in CASHIN RITAINE/LEIN, The UNIDROIT Principles 2004, S. 231 (234). Vgl. bereits oben, Einführung und Grundlagen, Kap. 2, § 3 III 2a und Teil 2, Kap. 7. Das Projekt zur Reform des tschechischen Zivilrechts vereint daher mit Ausnahme spezieller handelsrechtlicher Vertragstypen auch das gesamte Obligationenrecht der Verbraucher- und Unternehmensgeschäfte in einem Kodex. Vor allem geht es um die Vereinheitlichung der allgemeinen Institute des Obligationenrechtes. Es ist nicht möglich, dass die Probleme neben dem bürgerlichen Gesetzbuch noch selbständig im Handelsgesetzbuch, im Arbeitsgesetzbuch, gegebenenfalls auch in anderern Gesetzen, wie z.B. im Gesetz über Wertpapiere geregelt werden, siehe ELIÁŠ/ZUKLÍNOVÁ, Principy a východiska nového kodexu soukromého práva, S. 295. 27 Dies vertrat COSENTINI bereits 1937 in der Einleitung zu seinem Code International des Obligations, dort S. 10 und 13: „[T]outes les oppositions entre le droit civil et le droit commercial peuvent être facilement résolues et rien n’empêche aujourd’hui l’unification du Code des obligations.“ 28 Dazu ERNST, in BASEDOW, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 129 (156). 26
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reduzieren.29 Dass eine weitestmögliche normative Gleichbehandlung des Zivil- und Handelsrechts insbesondere im Bereich des Leistungsstörungsrechts möglich scheint, wurde bereits erörtert.30 Dieser Tendenz folgt auch das künftige ungarische Zivilgesetzbuch31 und folgten bereits die neuen Gesetzbücher der baltischen Staaten. V. Anerkennung durch die europäische Rechtswissenschaft Die wachsende Bedeutung der PECL in der Lehre belegt eine Flut wissenschaftlicher Beiträge zu Inhalt und Einfluss des europäischen soft law32, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden. Die Behauptung „[i]n der kleinen wissenschaftlichen Welt der europäischen Rechtsvergleicher sind die Principles of European Contract Law allgemein bekannt und anerkannt“,33 scheint berechtigt. Dies erkannten auch die Verfasser des DCFR. Der Code Européen hat demgegenüber neben seiner weitgehenden praktischen Bedeutungslosigkeit den Nachteil, dass er sehr stark auf dem System des 4. Buches des italienischen Obligationenrechts beruht, das selbst als grundlegend reformbedürftig angesehen wird.34 VI. Anerkennung durch die EU-Institutionen Ein wichtiges Argument ist auch die Anerkennung der Principles durch die Europäischen Institutionen. Die Kommission unterstützte die Lando-Gruppe und später das DCFR-Netzwerks nicht nur finanziell. In Art. 3 Abs. 2 des ursprünglichen Rom I-Verordnungsvorschlags35 wollte sie sogar die kollisionsrechtliche Wählbarkeit von PECL und UPICC verankern.36 Parlament 29
DASSER, in HONSELL, Festschrift Rey, S. 207 (208). Vgl. auch die vorangegangene Analyse, insb. oben unter Teil 2, Kap. 5 und Kap. 7. 31 The new civil code concept, Ungar. GBl. [Magyar Közlöny], 2003/8. 32 Siehe z.B. die umfassenden Beiträge zu den PECL und nationalen Rechten wie BUSCH/ HONDIUS/VAN KOOTEN/SCHELHAAS/SCHRAMA, The Principles of European Contract Law and Dutch Law: A Commentary; ANTONIOLLI/VENEZIANO, Principles of European Contract Law and Italian Law; LEIBLE/LEHMANN, European Contract Law and German Law; auch FAUVARQUE-COSSON, Droit européen et international des contrats: l’apport des codifications doctrinales, D. 2007, S. 97 ff. 33 SCHULTE-NÖLKE, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. 25 (31). 34 Siehe Atti del Convegno per il cinquantenario della Rivista di diritto civile, “Il diritto delle obbligazioni e dei contratti: verso una riforma?” Treviso 23.-25.3.2006, Riv. Dir. Civ., fascicolo n. 5/2006. 35 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht (Rom I), 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg. 36 KOM(2005) 650 endg. In der Begründung zu Art. 3 des Rom-I-Verordnungsentwurf hieß es: „Um die Parteiautonomie – Kernprinzip des Übereinkommens – weiter zu stärken, gestattet Absatz 2 es den Parteien, als anzuwendendes Recht ein nichtstaatliches 30
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und Rat konnte sich jedoch nicht auf eine entsprechende Formulierung des Art. 3 Abs. 2 der Rom I-Verordnung einigen.37 So heißt es nun in den Erwägungsgründen 13 und 14 der Rom I-Verordnung38 lediglich: „Diese Verordnung hindert die Parteien nicht daran, in ihrem Vertrag auf ein nichtstaatliches Regelwerk oder ein internationales Übereinkommen Bezug zu nehmen. Sollte die EU in einem geeigneten Rechtsakt Regeln des materiellen Vertragsrechts, einschließlich vertragsrechtlicher Standardbestimmungen, festlegen, so kann in einem solchen Rechtsakt vorgesehen werden, dass die Parteien entscheiden können, diese Regeln anzuwenden.“ Die kollisionsrechtliche Rechtswahl der Principles wird dadurch praktisch unmöglich. Dabei können ihrem Hauptkritikpunkt, dass sie nicht vom staatlichen Gesetzgeber geschaffenes Recht, sondern eine „Privatschöpfung“ seien, derer es an der Seriosität eines staatlichen Gesetzeswerkes mangele,39 einige Argumente entgegengehalten werden: Auch das klassische römische Recht wurde durch Juristen geschaffen, die die Rechtspflegeorgane berieten.40 Die communis opinio doctorum spielte zur Zeit des ius commune eine entscheidende Rolle. Gerichte der frühen Neuzeit orientierten sich strikt an der europäischen
Recht zu wählen. Dabei wurde die Formulierung so gewählt, dass insbesondere die Wahl von UNIDROIT-Grundsätzen, der Principles of European Contract Law oder eines etwaigen künftigen fakultativen EU-Instruments zulässig, die Wahl der lex mercatoria aber als nicht präzise genug oder private Kodifikationen, die von der internationalen Gemeinschaft nicht hinreichend anerkannt sind, ausgeschlossen sind.“ 37 Hierfür wurden mehrere Argumente vorgebracht. Die Formulierung „auf internationaler oder Gemeinschaftsebene anerkannte Grundsätze und Regeln des materiellen Vertragsrechts“ im Kommissionsvorschlag wurde als ungenügend empfunden, der Verweis auf „allgemeine Prinzipien“ als vage und der Rechtsicherheit abträglich. Zudem wurde hinsichtlich der Erwähnung des gemeinsamen Referenzrahmens kein gemeinsamer Nenner gefunden. Da das Regelwerk noch nicht existierte, konnte darauf nicht ausdrücklich verwiesen werden. Zudem machte es dieses laufende Projekt erforderlich, nicht nur von „anerkannten Grundsätzen“ zu sprechen, da für dessen Annahme die Formalien des EG-Vertrages einzuhalten sind. Nur so hätte zugleich auch die Kontrolle durch das Parlament gesichert werden können. Siehe zur Entwicklung des Art. 3 Abs. 2 seit dem Kommissionsvorschlag KOM 650 (2005) endg.: Dok. Nr. 8022/07 des Rates vom 13.4.2007, Dok. Nr. 1150/07 des Rates vom 25.6. 2007; Kompromissänderungen vom 28.8.2007 (PE 374.427v01-00), Berichtsentwurf vom 22.8.2006 (PE 374.427v01-00), Änderungen vom 7.12.2006 (PE 382.371v01-00) und Änderungen vom 5.3.2007 (PE 386-328v01-00). Im letzten Dokument wurden allein drei verscheidene Formulierungsvorschläge gemacht. 38 Verordnung 593/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. L 177/6, 4.7.2008. 39 „[U]ne création savante qui ne prétend à aucune force obligatoire en elle-même […]“, LALIVE, in ICC INSTITUTE OF INTERNATIONAL BUSINESS LAW AND PRACTICE, The UNIDROIT Principles for International Commercial Contracts: a new lex mercatoria, S. 8. 40 Vgl. KASER/KNÜTEL, Römisches Privatrecht, § 2, S. 25.
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Rechtswissenschaft. „Judices omnes Communi Opinioni debeant adherere“41: Eine von anerkannten Autoritäten vertretene Interpretation des ius commune trug eine Gerichtsentscheidung.42 Zudem war gerade das Vertrags- und Handelsrecht historisch ein „privates“ Recht.43 Ein Beispiel für die Sonderrolle des Vertragsrechts ist die Gerichtspraxis des englischen King’s Court, der im 12. Jahrhundert seine Rechtsprechungsgewalt vorwiegend im Sachenrecht und im Strafrecht ausübte, aber kaum im Vertragsrecht.44 So konnte das Law merchant neben dem „offiziellen“ Recht existieren.45 Die Idee der staatlichen Kodifikation als Maßstab allen Rechts stammt erst aus dem Zeitalter der Aufklärung. Ein von Wissenschaft und Rechtsprechung geschaffenes Recht widersprach dem damaligen rechtspositivistischen Ideal und dem Grundsatz der Rechtsbildung in der Hand der gesetzgeberischen Gewalt,46 die untrennbar mit dem Gebilde „Staat“ verbunden war. Gesetzgebung wurde als nicht zur Rechtswissenschaft gehörig betrachtet. Die Postulate der Aufklärung nahmen jedoch im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter des „Nationalstaats“, eine Entwicklung, die ihren Ursprüngen letztlich widersprach: Die souveränen Gesetzgeber der neuen Nationalstaaten gaben die Rechtseinheit Europas hierdurch dem Zerfall anheim. Dass der Grundsatz der Schaffung von Gesetzen für, aber nicht durch die Rechtspraxis und -wissenschaft letztlich ein wenig anwendungsorientierter Ansatz ist, zeigen in jüngerer Zeit eine wahre Gesetzesflut und zum anderen Probleme der Verständlichkeit und praktischen Anwendbarkeit der Gesetze.47 Für die Redaktion der PECL fanden hingegen nach historischem Vorbild Rechtswissenschaftler ganz Europas zusammen, um europäische Rechtsgrundsätze niederzuschreiben. Da die PECL aber eine wichtige Grundlage des DCFR bilden und beide Instrumente wiederum Grundlage des CESL sind, können sie in absehbarer
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DUCK, Über Gebrauch und Geltung des ius civile der Römer (Übersetzung HINRICHS), S. 73. 42 KNÜTEL, ZEuP 1994, S. 244 (249). 43 Vgl. auch GORLA, zitiert von SPAIC, Approaching Uniformity in International Sales Law, Fn. 126, zum heutigen Einheitsrecht: „[…] uniform law is not the work of governmental legislation. It is a creation of jurists, a kind of res publica jurisconsultorium […].” 44 SIMPSON, A history of the common law of contract, S. 4; GLANVILLE, Tractatus de Legibus et Consuetudinibus Regni Anglie, 10.18. 45 VÉKÁS, in FISCHER-CZERMAK/HOPF/SCHAUER, Das ABGB auf den Weg in das 3. Jahrtausend, S. 213 (216) mit Hinweisen auf die aus COLBERTS Ordonnance sur le Commerce de terre und Ordonnance sur le commerce par mer (1673 und 1681) entwickelten Handelsgesetzbücher in Frankreich (1807), Spanien (1829), den deutschen Staaten (ADHGB, 1861) und Italien (1865, 1883). 46 COING, Europäisches Privatrecht II, S. 2. 47 GÜNDISCH, in BASEDOW, u.a., Aufbruch nach Europa, S. 110, SCHOLZ/MEYER/TESCHENDORF, ZRP 1996, S. 404.
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Zeit über ein EU-Instrument eine gewisse partielle Legitimation erlangen.48 Werden sie zu einem Teil eines darüber hinausgehenden EU-rechtlich legitimierten CFR, wird ihnen schließlich über Umwege eine weitergehende supranationale Legitimation zuteil. VII. Inhaltliche Legitimation Selbst die inhaltliche Legitimation der Principles wurde häufig bestritten und ihre Verankerung in einer gemeinsamen Philosophie geltender nationaler Rechte mangels europäischer Rechtskultur in Frage gestellt. Nach SMITS bewirken sie eine skeletonisation of fact.49 Die Suche nach einem gemeinsamen schuldrechtlichen Nenner führe dazu, dass nicht die beste Regelung gefunden werde, sondern diejenige, mit der sich alle abfänden. Dies gehe auf Kosten der Substanz. Zudem wird der Vorwurf erhoben, das Streben der PECL nach Synthese und nach einem Wieder-Zusammenfinden nationaler Rechte europäischer Tradition resultiere in einem Mangel an Modernität; sie seien dadurch kein Vertragsrecht des 21. Jahrhunderts, sondern wären durch ihre Quellen auf das 19. Jahrhundert konzentriert.50 Ferner seien sie zu unbestimmt und gäben Raum für verschiedenste national gefärbte Interpretationen.51 Eine Unbestimmtheit von Normen auf supranationaler Ebene sei aber umso gravierender, als nationale Gerichte bei der Auslegung die morality and mentality, den sozialen und kulturellen Hintergrund ihres Landes berücksichtigten, eine uniform European mentality zur Auslegung der Principles jedoch bislang nicht existiere.52 Dass eine gemeinsame Rechtskultur aber gerade auch auf der Basis gemeinsamer Rechtstexte entsteht und sich fortentwickelt, wird hierbei verkannt. Auch LEGRAND hinterfragt kritisch, wie die Principles Einheitsrecht schaffen könnten, wo sich doch civil und common law bereits von der Idee her, was Recht ist, völlig unterschieden53 und unvereinbar seien. Hiergegen lässt sich allerdings etwa das Beispiel des schottischen Rechts anführen, das common
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„Nicht zuletzt […] sind es vor allem die Principles of European Contract Law, von denen sich die Europäische Kommission zu ihrem Projekt eines Gemeinsamen Referenzrahmens hat inspirieren lassen.“ SCHULTE-NÖLKE, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. 25 (32). 49 Vgl. SMITS, The Good Samaritan in European Private Law, S. 23. 50 ERNST, in BASEDOW, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 129 (130). 51 GANDOLFI, ZEuP 2002, S. 1 (2). 52 Vgl. SMITS, The Good Samaritan in European Private Law, S. 24 f.. 53 LEGRAND, RIDC 50 (1999), S. 1053 ff.; DERS, Le droit comparé, S.88.
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und civil law verbindet. Dort vollzieht sich seit Langem, was die Principles versuchen: eine Annäherung beider Systeme in einem Recht.54 Auch kann man ihnen einen Rechtsnormcharakter nicht absprechen. Versucht man, diesen zu definieren, hat man darauf abzustellen, dass sich eine Rechtsregel durch hohe Qualität auszeichnet, dem Wohl der Allgemeinheit dient und den Rechtsfrieden sichert.55 Dieses Ziel erreichen die Principles, denn sie sind weitgehend an den Lösungen international anerkannter Regelwerke wie der CISG orientiert und weisen mindestens ebenso hohe Qualität auf.56 Die gleichen Argumente lassen sich auch zugunsten des DCFR anführen. Dieser gleicht zudem die Lücken der PECL im Hinblick auf europäisches Richtlinienrecht aus. Die Geeignetheit als Ausgangsmodell wird nun auch anschaulich durch das CESL belegt. Die Principles sind zudem nicht nur re-statement, sondern „gently pushing soft law“.57 Sie lassen die Möglichkeit der Anpassung an neue Entwicklungen, auch neue internationale Konzepte offen und schreiben damit nicht nur einen status quo bestehender nationaler Rechte fest. Die Technik der „schleichenden Kodifizierung“58 ermöglicht eine Wandelbarkeit ohne zwingenden Systembruch und kann eine „uniform mentality“ schaffen, die die dauerhafte Akzeptanz durch die Mitgliedstaaten erleichtert.
§ 2 Inhaltliche Grundentscheidungen einer europaweiten Regelung Auch wenn das Konzept von PECL und DCFR für die Fragen des allgemeinen Vertragsrechts überzeugend ist, besteht inhaltlich gleichwohl Ergänzungs- und Änderungsbedarf. Der Vergleich mit anderen Regelwerken in den Teil 1 und insbesondere Teil 2 dieser Arbeit zeigte, dass Einzellösungen der Leistungsverzögerungsproblematik inhaltlich weniger überzeugend oder lückenhaft sind und weder Grundentscheidungen des europäischen Gesetzgebers noch europäische Rechtstraditionen stets hinreichend berücksichtigen. 54
Die schottische Law Commission stellt die Ähnlichkeit zwischen den PECL und dem schottischen Recht klar heraus: „[The PECL] involved a pooling of ideas from common law countries ans civil law countries. Perhaps for this reason their solutions and the current Scottish solutions are remarkably compatible.“ SCOTTISH LAW COMMISSION, Discussion Paper 109, April 1999, S. 3. Siehe auch ÖRÜCÜ/ATTWOOLL/COYLE, Studies in Legal Systems: Mixed and Mixing, 1996, 350; TETLEY, Unif.L.Rev. 1999, S. 591. 55 GÜNDISCH, in: BASEDOW, u.a., Aufbruch nach Europa, S. 109 fasst so die Vorstellungen von Savigny bis hin zum deutschen Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Eigenschaften einer Rechtsnorm zusammen. 56 Zur Klarheit der Regelungen hieß es: „[they] have spoken for themselves“, SCHLECHTRIEM, Juridica Int. 6 (2001), S. 16 (19). 57 BERGER, ERPL 1 (2001), S. 22 (33). 58 A.a.O., S. 24.
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Der DCFR hat einigen Mängel bereits abgeholfen, allerdings weniger im Hinblick auf die Regelungen der Leistungsverzögerung. Auch das CESL, das zumindest die nicht geglückten PECL- und DCFR-Regeln zur Leistungszeit abändert, schafft keine Ideallösung und enthält teils missglückte Vorschriften, etwa zum Zahlungsverzug. Die Ergebnisse der vorangehenden Analyse sollen daher hier zusammengefasst und in einigen Detailfragen Änderungen vorgeschlagen werden, „so that only the fittest or best rules survive“.59 I. Einheitstatbestand versus Verzugstatbestand Für die Einheitslösung der Art. 4.301 PECL, Art. I.-1:103 Abs. 1 und Art. III.1:101 Abs. 3 DCFR, Art. 7.3.1 UPICC und Art. 35 CISG60 entscheidet sich mit Art. 89 CE prinzipiell auch der Code Européen sowie nun das CESL. Auch für nationale Rechte ist sie keine radikale Neuerung mehr.61 Ein einheitlicher Leistungsstörungstatbestand kann durchaus als die moderne Lösung62 bezeichnet werden, die ein „système juridique simple, cohérent et complet“ schaffen soll. Selbst dem EU-Recht können mit Art. 3 Abs. 1 der RiL 1999/ 44/EG deutliche Hinweise zugunsten eines Einheitstatbestands entnommen werden.63 Kritische Stimmen gibt es zwar gerade zum Bereich der Leistungsverzögerung, nach denen die übermäßige Vereinfachung des Systems eines Einheitstatbestands, welche insbesondere nicht zwischen zeitlicher Verzögerung entsprechend der traditionellen mora und sachlichen Leistungsmängeln unterscheidet, „zu pauschalierend-primitivisierender Betrachtungsweise“ einlade und hierdurch Schaden stifte.64 Dogmatisch sei der PECL-DCFR-Ansatz problematisch, denn ein Verständnis der Leistungsverzögerung als Nichterfüllung stünde dem nachträglichen Erbringen der Leistung entgegen. Erst der Verzugsbegriff sichere der verspäteten Leistung einen Platz unter den Erfüllungstatbeständen,65 da einzig an ihn dogmatisch sauber spezielle Verzögerungsfolgen geknüpft werden könnten. 59
So zu mixed legal systems: DU PLESSIS, Stellenbosch L.Rev. 3 (1998), S. 343. Hierzu bereits RABEL, Festschrift Dolenc, S. 703 ff. und Gesammelte Aufsätze III, S. 138 ff. 61 Der Begriff Nichterfüllung ist im Gegensatz zum Begriff des Vertragsbruchs neutral. MEDICUS, in BASEDOW, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 179 (182). 62 TREITEL, The Law of Contract, 772; FARNSWORTH, Farnsworth on Contracts, § 12.1, JONES/SCHLECHTRIEM, Breach of Contract, in International Encyclopedia of Comparative Law, vol. VII-15, S. 136. 63 Siehe oben unter Teil 2, Kap. 7. 64 BUCHER, in DUFOUR (et al.), Mélanges Schmidlin, S. 407 (430 f.). 65 Vgl, BUCHER, a.a.O., S. 413. 60
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Teil 3: Bewertung
Es zeigte sich jedoch, dass diese Kritik zu formalistisch ist, weil die Leistungsverzögerung keiner prinzipiell abgesonderten rechtlichen Wertung und Spezialbehandlung bedarf. Die Sonderrolle des Verzugs ist überwiegend durch die Konzeption des römischen Vertragsrechts bedingt. Die Nichteinhaltung der Leistungszeit war im klassischen römischen Recht keine Vertragsverletzung im eigentlichen Sinn, sondern öffnete nur das Tor zu einer Haftung bei zeitlich nachfolgender Unmöglichkeit.66 Der sich aus den Wurzeln der römischen Konsensualkontrakte67 entwickelnde einheitlicher Tatbestand der Nichterfüllung und die Entwicklung der mora im ius commune weisen den Weg zur Assimilierung der Leistungsverzögerungsproblematik an die Nichterfüllungshaftung.68 Es ist daher möglich, auf eine Differenzierung im Tatbestand nach Art der Vertragsstörung zu verzichten, wie dies auch einige nationale Rechte bereits versuchen.69 Allerdings gilt dies nur unter gewissen Einschränkungen, da die derzeitige Lösung der PECL nicht befriedigend ist. Man muss die „[g]éométrie variable des remèdes flexibles“, die der Einheitstatbestand ermöglicht, an die spezifischen Erfordernisse der Leistungsverzögerung stärker anpassen, als dies die Principles tun, ohne jedoch dadurch den Einheitstatbestand in Frage zu stellen.70 Sinnvoll und notwendig scheint es hierbei, einige Wertungen des Unionsprivatrechts und nationaler Verzugsvorschriften kohärent in das System des Einheitstatbestands einzufügen. II. Leistungszeit versus Mahnung 1. Negative Folgen des Verzichts auf ein Mahnungserfordernis Dies gilt besonders für die fehlende Mahnung, an die der Eintritt von Verzögerungsfolgen traditionellerweise geknüpft ist. Die Mahnung ist den Principles wie der CISG unbekannt und wird auch im CESL nicht erwähnt.71 Der Code Européen nimmt sie hingegen in Art. 96 Abs. 1 lit. a CE auf und schafft 66
Vgl. oben Teil 2, Kap. 6, Unterkap. 1. ZIMMERMANN, JZ 1995, S. 480. 68 Zudem war es gerade der Fall des Verzugs, der durch die Einführung des Rücktrittsrechts erst entscheidend zum Entstehen der heutigen typischen Nichterfüllungsfolgen beitrug, vgl. Teil 2, Kap. 6 Unterkap. 2. 69 Vgl. oben Teil 2, Kap. 7. 70 DASSER, Vertragstypenrecht im Wandel, S. 67; EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution et les principes UNIDROIT, S. 97. Zum Verständnis von Unmöglichkeit, Verzug und Schlechtleistung in einem einheitlichen Regime siehe auch MORIN, ZSR 124 (2005), S. 349 ff.; zum deutschen Recht HUBER/FAUST, Schuldrechtsmodernisierung, S. 65 ff.; SCHMIDT-RÄNTSCH, Das neue Schuldrecht, Rn. 257, 306, 312 ff.; MEDICUS, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Rn. 290 ff.; MAGNUS, in SCHULZE/SCHULTE-NÖLKE, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, S. 67 (70). 71 Vgl. oben Teil 1, Kap. 3, § 2 I 2. 67
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ein komplexes Zusammenspiel von Mahnung und Nachfrist.72 Das Unionsprivatrecht schweigt zur Mahnung weitgehend, hält sie aber im Rahmen des Zahlungsverzugs ausdrücklich für entbehrlich.73 Im nationalen Rechtsbewusstsein ist die Mahnung jedoch tief verankert. Hier besteht eindeutig eine Lücke in den einheitsrechtlichen Modellen. Wenn nach Principles und DCFR die Leistungszeitüberschreitung ohne weitere Voraussetzungen zu Rechtsfolgen führen soll, muss der Anknüpfungspunkt dieser Rechtsfolgen ausreichend präzise geregelt sein, um hinsichtlich des Momentes, in dem die Leistungsverzögerung Rechtsfolgen zeitigt, Rechtssicherheit zu schaffen. Geschlossen werden muss diese Lücke allerdings nicht über einen Verzugstatbestand. Dies ist vielmehr auch über eine Neuregelung der Leistungszeit möglich. Die PECL und der DCFR sind bei der Bestimmung der Leistungszeit sehr praktisch orientiert. Sie kehren die klassische Reihenfolge nationaler Kodifikationen konsequent um74 und gehen vom Standardfall der ausdrücklichen Leistungszeitbestimmung oder der aus vertraglicher Gestaltung und dem Handeln der Parteien bestimmbaren Leistungszeit aus. Die Missachtung einer vertraglich festgelegten Leistungszeit als Unterfall der Nichterfüllung zu betrachten, scheint eine logische Konsequenz und ist als Auslöser von Rechtsfolgen akzeptierbar, da ein hinreichend klarer Anknüpfungspunkt besteht. Dass die PECL auch das Verstreichen der lediglich bestimmbaren Leistungszeit als ausreichenden Auslöser von Haftungsfolgen ansehen, ist aus Praxisgesichtspunkten ebenfalls noch konsequent. Zudem entsprechen Art. 7:102 lit. a und b PECL dem Ansatz der Zahlungsverzugsrichtlinie, die in ihrem Art. 3 Abs. 1 lit. b RiL 2000/35/EG (nun Art. 3 Abs. 3 lit. b RiL 2011/7/EU) ähnliche Vorgaben macht. Wie das Beispiel des BGB beweist, sind diese Vorgaben auch über die bloße Geldleistung hinaus in eine allgemeine Leistungszeitregelung integrierbar.75 Die Regel-Ausnahme-Systematik der Leistungszeitregelung der PECL wurde auch von einheitsrechtlich geprägten jüngeren Kodifikationen, wie Art. 6.63 Abs. 3 litZGB, übernommen.76
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Vgl. oben Teil 1, Kap. 4, § 2 I 2 und § 3 II 2 b. Vgl. oben Teil 2, Kap. 5, § 2 III 2. 74 Vgl. als ein solches Gegenbeispiel § 286 Abs. 1 (Mahnungserfordernis) und Abs. 2 BGB (Ausnahmen vom Mahnungserfordernis). 75 § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Zur Frage, ob in das europäische Vertragsrecht wegen der Zahlungsverzugsrichtlinie ausdrücklich auch eine 30-Tages-Frist für Geldleistungen aufgenommen werden sollte, vgl. sogleich unter § 2 II 3. 76 Sie wurde von der ersten Schuldrechtsreformkommission auch für das BGB angedacht, aber nicht realisiert. Nach dem Vorschlag von HUBER sollte im Fall der weder bestimmten noch bestimmbaren Leistungszeit nur dann ein Ersatzanspruch des Glàubigers bestehen, wenn er den Schuldner nach Fälligkeit gemahnt hat, vgl. BUNDESJUSTIZMINISTERIUM, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 672. 73
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Teil 3: Bewertung
Entscheidende Unterschiede ergeben sich allein im Fall der nicht bestimmten oder bestimmbaren Leistungszeit. In den PECL ist bereits das Verstreichen einer „reasonable time“ des Art. 7:102 Abs. 3 PECL (Art. III.-2:102 Abs. 1 DCFR) Auslöser von Rechtsfolgen wie Schadensersatz. Anders sehen dies richtigerweise die meisten nationalen Rechte und der Code Européen, die für den Eintritt von Verzögerungsfolgen eine Mahnung voraussetzen. So sehr das Konzept des Art. 7:102 Abs. 1 und 2 PECL überzeugt, so wenig gilt dies für die auf die Leistung binnen „angemessener Frist nach Vertragsschluss“ gestützte Lösung des Art. 7:102 Abs. 3 PECL. Sie entspricht in nationalen Rechten dem Grundsatz sofortiger Fälligkeit unter Vorbehalt der Spezifika des Vertrages, die eine entsprechende Leistungsfrist erfordern können. Wäre die Fälligkeitsbestimmung losgelöst von Verzögerungsfolgen, wäre Art. 7:102 Abs. 3 PECL durchaus sinnvoller als der „Grundsatz der sofortigen Fälligkeit“ nationaler Rechte, der ohnehin durch die Berücksichtigung der Umstände oder der Natur des Vertrages etc. relativiert wird und letztlich nur ein Unterfall einer „angemessenen Frist nach Vertragsschluss“ ist.77 Die PECLVorschrift enthält jedoch weit mehr, da sie direkter Anknüpfungspunkt von Rechtsfolgen ist. Hieran ist problematisch, dass sich bei der Abwägungsentscheidung zur Ermittlung der Leistungszeit nach Art. 7:102 Abs. 3 PECL und damit als Anknüpfungspunkt für Rechtsfolgen zunächst die Sicht des Gläubigers durchsetzt. Er kann zu Sanktionen greifen und Schadensersatz verlangen, ohne dass seinem Schuldner bewusst sein muss, wann die „angemessene Frist“ tatsächlich abgelaufen sein soll.78 Römischrechtlich ausgedrückt würde der Schuldner haften müssen, ohne eine iusta causa zur Kenntnis der Leistungszeit gehabt zu haben.79 Dieser Ansatz ist nationalen Rechten nicht geläufig. Sie bestehen auf einer Mahnung. Die Bedeutung der Mahnung zeigte selbst die Rechtspraxis im Anwendungsbereich des common law, von dem das Konzept der „reasonable time“ entlehnt ist: Es entspricht nicht dem Verhalten eines „reputable merchand“, ohne „stiff letter demanding delivery by a certain date“ auf Schadensersatz zu klagen.80 Verschärft wird die Situation dadurch, dass sich der Schuldner von der Rechtsfolge des Verzögerungsschadensersatzes nach den PECL nicht durch mangelndes Verschulden befreien kann, sondern einer strengen Haftung mit nur ausnahmsweiser Entlastung unterliegt. Dass Art. 8:108 PECL wie Art. 79 CISG und Art. 9:503 PECL wie 7.4.7 UPICC und Art. 74 CISG den Schadensersatz auf den vorhersehbaren Schaden beschränkt, hilft dem Schuldner nicht, der noch nicht einmal um seine Einstandspflicht als solche weiß. 77
Vgl. oben Teil 1, Kap. 3, § 2 I 1 c. Vgl. oben Teil 1, Kap. 3, § 2 I 2. 79 POMP. D. 12, 1, 5 (SAB. 22). 80 GUTTERIDGE, BYIL 14 (1933), 75 (87); ZWEIGERT/KÖTZ, Einführung in die Rechtsvergleichung, § 36 IV, S. 506. 78
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Das CESL folgt hier einer anderen Lösung. In Art. 95 Abs. 2 für B2CVerträge eine pragmatische, an den Zahlungverzug angelehnte Lösung, indem es in Anlehnung an Art. 18 Abs. 1 RiL 2011/83/EU eine 30-Tages-Maximalfrist für eine Lieferung vorsieht. Diese schafft zwar Rechtssicherheit, ist aber unflexibel und kann zu Lasten des Verbrauchers ausgenutzt werden. Der Unternehmer könnte die Frist voll ausschöpfen, obwohl dies im Einzelfall unangemessen sein kann. Für ein allgemeines Vertragsrecht ist sie daher ungeeignet. Bei B2B-Verträgen ist hingegen gem. Art. 95 Abs. 1 CESL „without undue delay“ zu liefern. Hier ergibt sich jedoch eine ähnliche Problematik wie bei der Lieferung binnen „a reasonable time“. 2. Änderung des Art. 7:102 Abs. 3 PECL/Art. III.-2:102 Abs. 1 DCFR Eine größere Rechtssicherheit könnte erzielt werden, wenn die Mahnung in die Regelung über die Leistungszeit integriert würde. Dies scheint zunächst dogmatisch schwierig, da Fälligkeit und Mahnung insbesondere in der deutschen Rechtstradition voneinander getrennte Konzepte sind. Dass dies indes nicht überall so ist und die Mahnung als Fälligkeitsbestimmung fungieren kann, wurde am Beispiel mehrerer Rechtsordnungen erörtert.81 Auch das römischrechtliche Vorbild der iusta causa82 zur Kenntnis der Leistungszeit kann hier Beachtung finden. Es würde das Problem der Verknüpfung von „Verzugs“regeln und Einheitstatbestand letztlich auch dogmatisch sauberer lösen, wenn Art. 7:102 Abs. 3 PECL und Art. III.-2:102 Abs. 1 DCFR lauten würden: “… in allen anderen Fällen nach Ablauf einer angemessenen Leistungsfrist nach Vertragsschluss, wenn der Schuldner hinreichenden Grund zur Kenntnis der Leistungszeit hatte.”
Präzisiert werden könnte dies durch den Satz: “Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Schuldner gemahnt wurde.”
Diese Lösung würde die Gefahr eines einseitigen Ausnutzens durch den Gläubiger verhindern und den nachträglichen Kontakt zur Konkretisierung der Leistungszeit zwischen den Parteien institutionalisieren. Diese Gefahr ist nicht zu unterschätzen.83 Zugleich würden Fälle umfasst, in welchen die Lei81
Siehe Teil 2, Kap. 7 zu den Beispielen nationaler Rechte. POMP. D. 12, 1, 5 (SAB. 22); vgl. oben Teil 2, Kap. 6, Unterkap. 1, § 2 II 2. 83 Unklare gesetzliche Regelungen können zu gravierenden Folgen für eine Partei führen. Die weite Formulierung des Enthaftungstatbestands („trotz zumutbarer Maßnahmen unvermeidbare außergewöhnliche Umstände“) in Art. 5 Abs. 3 der Flugverspätungsverordnung wurde z.B. seitens der Kommission aus den gleichen Gründen als problematisch angesehen und Zweifel geäußert, ob sich Luftfahrtunternehmen nicht zu häufig auf außergewöhnliche Umstände berufen würden, um Ausgleichszahlungen zu vermeiden, mit für den Reisenden prekären Folgen: „Den Fluggästen bleibt somit praktisch nichts anderes übrig, als die Entscheidung des Luftfahrtunternehmens zu akzeptieren oder aber den Rechtsweg zu beschrei82
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Teil 3: Bewertung
stung für den Schuldner bekannt dringlich ist, ohne dass es hier zwingend auf eine Mahnung ankommt. Dieses Ergebnis trägt dem eigentlichen Ursprung des Verzugsrechts Rechnung, ohne die Einordnung der Leistungverzögerung in die Nichterfüllungshaftung in Frage zu stellen. Die Mahnung hätte hier lediglich die Rolle einer nachträglichen Leistungszeitbestimmung durch den Gläubiger und würde nicht nur mehr oder weniger unstreitig die Fixierung des Beginns einer Verzögerungsschadensersatzpflicht des Schuldners ermöglichen, sondern für beide Parteien vorhersehbar den Moment festlegen, in welchem die Verzögerung des Schuldners zur Nichterfüllung wird. Sanktionen würden zum Schutz des Schuldners erst ab dem Zeitpunkt eintreten können, ab dem nachweislich das Bewusstsein des Schuldners besteht, dass die vertragliche Verpflichtung zu erfüllen ist. Umgekehrt betrachtet könnte sich der Gläubiger hierdurch von einer unklaren Beweislage und der Gefahr seiner eigenen Schadenstragung freisprechen. Für die Lösung spricht auch, dass die Mahnung in der nationalen Rechtstradition für alle Fälle fest verankert ist,84 in denen die Leistungszeit weder bestimmt noch bestimmbar ist und seit jeher eine für den Gläubiger irrelevante von einer relevanten Verzögerung abgrenzt.85 Selbst im deutschen Recht ist anerkannt, dass die Mahnung mit der die Fälligkeit begründenden Handlung verbunden werden kann.86 Vom römischen Recht bis heute hat die Mahnung zudem als humanes Element87 des Vertragsrechts stets eine besondere Rolle gespielt. So zeigte sich etwa in der belgischen Gerichtspraxis, dass selbst bei der „exception d’inexécution“, die nach h.M. keine Mahnung voraussetzt,88 „au nom de la bonne foi“ häufig eine Mahnung verlangt89 und
ten.“, siehe Kommissionsmitteilung vom 4. April 2007 an das Europäische Parlament und den Rat gemäß Artikel 17 der Verordnung 261/2004/EG über die Anwendung und die Ergebnisse der Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Betreuungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen unter 5.2. 84 Vgl. oben Teil 2, Kap. 7, § 2 III. Vgl. zur Bedeutung der Mahnung auch außereuropäische Rechtsordnungen, z.B. Art. 158 Satz 2 des ägyptischen Zivilgesetzbuchs: „Les parties peuvent convenir qu’en cas d’inexécution des obligations découlant du contrat celui-ci sera résolu du plein droit et sans intervention de la justice. Cette clause laisse subsister la nécéssité d’une mise en demeure, à moins que les parties ne conviennent, en termes exprès, qu’elles en seront dispensées.“ 85 Vgl. bereits das historische Beispiel des § 20 I 16 APLR: „Wo die Zeit der Erfüllung weder durch Willenserklärung noch durch richterlichen Ausspruch, noch durch besondere Gesetze bestimmt ist, da muss der Berechtigte den Verpflichteten zur Leistung auffordern.“ 86 RGZ 50, 255, 261; BGH WM 1970, 1141 und zuletzt BGH NJW 2008, 50. 87 BUCHER, in DUFOUR et al., Mélanges Schmidlin, S. 407 (413). 88 Siehe belgische Cass., 18.3.1846, Pas., 1846, I, 368, allerdings mit auf der bonne foi beruhenden Ausnahmen z.B. in Bruxelles, 12.11.1992, J.L.M.B., 1994, S. 72. Zur Rechtslage in Frankreich vgl. bereits oben Teil 2, Kapitel 7; pro Mahnungserfordernis z.B. französische
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diskutiert wird, ob das Mahnungserfordernis nicht auch hier generell gelten sollte.90 Ein geänderter Art. 7:102 Abs. 3 PECL nähme „am Menschsein der jeweiligen Vertragspartner Maß“.91 Er würde zudem die Art. 1:201 Abs. 1 PECL (Treu und Glauben)92 und Art. 1:202 PECL (Zusammenarbeit, um dem Vertrag zu voller Wirkung zu verhelfen)93 konkretisieren. Die Gestaltung des Leistungsstörungsrechts sollte auch im Störungsfall kein Ungleichgewicht der Parteiinteressen fördern und verhindern, dass ein Schuldner das letzte Mal mit einem Gläubiger kontrahiert. Zudem wird, wie Art. 8:108 Abs. 3 PECL zeigt, vom Schuldner erwartet, dass er den Gläubiger kontaktiert, sobald ein Leistungshindernis auftritt.94 Es ist daher nur sachgerecht, diese Kontaktpflicht auch vom Gläubiger zu fordern. Eine Mahnungspflicht des Gläubigers könnte sich jedenfalls im Hinblick auf Schadensersatzansprüche des Gläubigers auch aus seiner Pflicht zur Schadensminderung herleiten lassen, sollte diesem ein Schaden während einer Zeit drohen, die der Schuldner noch als „angemessene” Frist betrachtet. Dieser Ansatz wäre jedoch für sich allein zu vage, um eine befriedigende Lösung zu bieten.95 Hinsichtlich der Frage nach der Form der Mahnung sollten keine anderen Voraussetzungen gelten als für die Nachfrist. Dass letztere nach den PECL nicht ausdrücklich der Schriftform bedarf, ist aus Praxisgesichtspunkten zu begrüßen. Dies entspricht auch den meisten nationalen Rechten. Zum Beweis des Zugangs wird die Mahnung allerdings ohnehin regelmäßig schriftlich erfolgen.
Cass. civ., 21.12.1927, D.H. 1928, S. 82; contra Mahnungserfordernis z.B. Cass. com., 27.1.1970, JCP 1970, II, 16554 („guère compatible avec le mécanisme de l’exception“). 89 Bruxelles, 12.11.1992, J.L.M.B., 1994, S. 72; Prés. Civ. Bruxelles, 2.4.1992, J.T., 1993, S. 459; Pres. Comm. Huy, 28.8.1996, D.A.O.R., n° 42, S. 69; Justice de Paix, Bruxelles, 18.1.1991, J.J.P., 1991, S. 136. 90 STIJNS/VAN GERVEN/WÉRY, J.T. 1996, S. 718, n° 86. 91 BUCHER, in DUFOUR et al., Mélanges Schmidlin, S. 407 (409). 92 Vgl. z.B. Art. 1134 Abs. 3 CC, § 242 BGB etc. 93 Vgl. im Übrigen auch LANDO/BEALE, Bsp. 6 zu Art. 1: 202 PECL. 94 Nationale Rechte übernahmen dieses Konzept wie das estnische Schuldrechtsgesetz, siehe dessen § 102: „Notification obligation An obligor shall notify the obligee of an impediment to performance by the obligor and of the effect of such impediment on the performance of the obligation immediately after the obligor becomes aware of the impediment.“ 95 Ein Ersatz einer Mahnung durch die Gewährung einer Heilungsregelung auf Initiative des Schuldners bietet ganz abgesehen vom ohnehin fraglichen Anwendungsbereich des Art. 8:104 PECL gegenüber Art. 7.1.4 UPICC keine Hilfe bei der Problematik der angemessenen Leistungszeit, wenn der Schuldner gerade nicht weiß, dass er schon leisten muss.
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Teil 3: Bewertung
3. Leistungszeit bei Entgeltforderungen Die PECL sehen in Art. 9:508, der DCFR in Art. III.-3:708 wie Art. 7.4.9 Abs. 1 UPICC, Art. 78 CISG bei Zahlungsverzug einen reinen Fälligkeitszins vor, der auch bei entschuldigter Nichterfüllung greift. Hinsichtlich der Fälligkeit einer Zahlungspflicht treffen weder PECL noch DCFR eine von Art. 7:102 PECL abweichende Regelung. Das fehlende Mahnungserfordernis fällt hier allerdings weniger ins Gewicht. Erstens verzichtet auch das Unionsprivatrecht beim Zahlungsverzug in Art. 3 Abs. 1 lit. b RiL 2000/35/EG (nun Art. 3 Abs. 3 lit. b RiL 2011/7/EU) auf die Mahnung. Zweitens geht es um die Gegenleistung, d.h. die vertragscharakteristische Leistung wurde meist schon erbracht, da eine Vorleistungspflicht des Geldschuldners die Ausnahme ist. Der Zahlung geht mit Rechnungszugang oder Lieferung ein auf die Leistung bezogener „Informationsakt“ an den Geldschuldner voraus. Auch im römischen mahnungsfreundlichen Recht reichte die traditio, um dem Geldschuldner an seine Zahlungspflicht zu erinnern.96 Sinnvoll wäre es hingegen, die Richtlinie 2000/35/EG (nun 2011/7/EU) als Inspirationsquelle für die Regelung der Fälligkeit einer Geldleistung in den PECL zu sehen. Sie sieht eine 30-tägige Zahlungsfrist nach einem konkreten nachweisbaren Appell-Ereignis wie dem Zugang einer Rechnung oder der Lieferung oder Leistung vor. Auch wenn die unionsprivatrechtlichen Vorgaben nicht ausdrücklich eine Fälligkeitsregelung für Geldleistungen darstellen, sondern den Beginn einer Verzugszinspflicht normieren, enthalten sie doch zugleich gesetzliche Rahmenvorgaben für den spätesten Fälligkeitszeitpunkt in den Fällen, in denen keine ausdrückliche Fälligkeitsbestimmung vorgenommen wurde.97 Die Richtlinie lässt zwar nationale Fälligkeitsregeln unberührt, stellt aber zugleich eine Art Standardvorgabe einer gesetzlichen Gnadenfrist für Zahlungsansprüche dar.98 Diese 30-Tages-Frist ist für die von der Richtlinie gedeckten Geschäfte der EU-Standard. Faktisch konkretisiert sie die Regelung zur Leistungszeit. Auch in Art. 7:102 PECL ist daher die Einfügung einer an der Richtlinie orientierten Spezialregelung vorzuschlagen. Im Übrigen sprechen für diese Frist auch historische Erwägungen. So hieß es bereits im Jahr 1840: „Nach althergebrachter Gewohnheit wird bei allen Verkäufen zwischen hiesigen Kaufleuten stillschweigend und wenn auf der Rechnung nichts anderes bemerkt ist, eine vierwöchentliche Zahlungsfrist fest angenommen, mit der Waare auch sogleich die Rechnung überschickt, damit, wenn es über die Qualität oder den Preis der Waare Anstände gäbe, solche sogleich erledigt werden können […].”99 96
Vgl. oben Teil 2 Kap. 6 Unterkap. 1, § 2 II 3. Vgl. oben Teil 2, Kap. 5, § 2 II 2 b. 98 Allerdings belässt die Zahlungsverzugsrichtlinie in Art. 6 II die Option kürzerer Fristen. 99 NÜRMBERGER, Sammlung einiger nürnbergischer Handelsrechts-Gewohnheiten, S. 530, Ordinair comptant, April 1840. 97
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Fraglich bleibt einzig die Reichweite dieser Frist. Im Unternehmensverkehr, den die PECL auch erfassen wollen, scheint eine Regelung nach EUrechtlichem Vorbild zwingend. Für eine Ausweitung auf B2C- und C2C-Geschäften sprechen allerdings ebenfalls einige Argumente: Eine Integration der Richtlinienvorgaben in das allgemeine Vertragsrecht wurde in nationalen Rechten wie dem deutschen als sinnvoller Standard betrachtet.100 Die 30-Tages-Frist hat sich in der Praxis bei vertraglicher Bestimmung der Zahlungszeit mittlerweile für jegliche Art von Vertrag zu einem fast schon universellen Standard entwickelt. Auf den meisten Rechnungsvordrucken wird eine Formulierung wie „zahlbar binnen 30 Tagen“ verwendet. In Art. 7:102 Abs. 4 PECL oder Art. III.-2:102 Abs. 3 DCFR wäre daher eine zusätzliche Regel zur Fälligkeit von Geldschulden aufzunehmen, bei der die Möglichkeit einer früheren Fälligstellung grundsätzlich gewahrt bleiben müsste. Diese könnte lauten: Sofern nichts anderes vereinbart wurde, ist eine Geldleistung zu erbringen: a) spätestens 30 Kalendertage nach dem Zeitpunkt des Eingangs der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung beim Schuldner, b) wenn der Zeitpunkt des Eingangs der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung unsicher ist oder der Schuldner die Rechnung oder die gleichwertige Zahlungsaufforderung vor dem Empfang der Leitung erhält, spätestens 30 Kalendertage nach dem Zeitpunkt des Empfangs der Leistung, c) wenn ein Abnahme- oder Überprüfungsverfahren, durch das die Übereinstimmung der Güter oder Dienstleistungen mit dem Vertrag festgestellt werden soll, gesetzlich oder vertraglich vorgesehen ist und wenn der Schuldner die Rechnung oder eine gleichwertige Zahlungsaufforderung vor oder zu dem Zeitpunkt erhält, zu dem die Abnahme oder 101 Überprüfung erfolgt, 30 Kalendertage nach letzterem Zeitpunkt.
III. Verschuldenshaftung versus Garantiehaftung 1. Als „Verzugs“voraussetzung Mangels Verzugstatbestands stellt sich in den Principles auch das Konzept des Verschuldens nicht als spezielles Problem im Zusammenhang mit einer Leistungsstörungsursache dar, wie dies in einigen (wenigen) Rechtsordnungen wie dem deutschen102 und schweizerischen Recht103 der Fall ist, die die Verzögerung der Leistung in einem eigenen Verzugstatbestand an ein (ver-
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Siehe § 286 BGB Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 BGB. Dies gilt allerdings nicht für alle Vorgaben, so etwa nicht für die Zinshöhe. 101 Vgl. auch Art. 8:406 ACQP, dort erfolgt eine entsprechende Regelung allerdings zum Zinsanspruch bei Unternehmensgeschäften (Interest in commercial contracts). 102 § 286 Abs. 4 BGB. 103 Art. 103 Abs. 2 OR.
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Teil 3: Bewertung
mutetes) Verschulden knüpfen.104 Diesem Problem begegnet auch der Code Européen,105 der wegen des von ihm in Art. 96 CE vorgesehenen Verzugstatbestands – ähnlich der unglücklichen Doppelregelung in § 280 Abs. 1 und § 286 Abs. 4 BGB – einer Parallelregelung der Entschuldigungsgründe in Art. 97 Abs. 1 und Art. 162 Abs. 1 Satz 3 CE bedarf. Diese Duplizitäten bleiben den Principles, dem DCFR und auch dem CESL erspart. Haftungskonzept und Kodifikationstechnik erlauben ihnen die einzig konsequente Verankerung der Vorwerfbarkeit der Verzögerung in den an sie zu knüpfenden Nichterfüllungsrechtsbehelfen. Selbst im nationalen Recht ist das Problem der culpa im Rahmen des „Verzugs“ letztlich ein Problem der culpa im Rahmen der möglichen Rechtsbehelfe. Nach der hier vertretenen Ansicht war ein Verschulden auch im klassisch römischen Recht zur Annahme der mora nicht erforderlich.106 Spätestens die im ius commune zu beobachtende Entwicklung vom Sonderregime der klassisch-römischen mora zu einem Unterfall der allgemeinen Vertragshaftung machte ein spezifisches Verschuldenserfordernis als Verzugsvoraussetzung an sich überflüssig, auch wenn es unter kanonischem Einfluss institutionalisiert wurde. Das ABGB hat dies durch die Eingliederung des Verzugs in die Vertragshaftung bereits 1811 erkannt. Moderne nationale Rechte wie das estnische Recht nehmen ebenso wie die PECL von der mittelalterlichen Verzugsregelung gänzlich Abstand. Im Unionsprivatrecht wird die Verantwortlichkeit als Verzugsvoraussetzung zwar als spezielle Voraussetzung beim Zahlungsverzug diskutiert, ist dort allerdings nach richtiger Ansicht kein Fall des klassischen Verschuldens107 und auch nur insofern notwendig, als es keine „allgemeine Haftungsnorm“ im Unionsprivatrecht gibt, auf die im Rahmen des Zahlungsverzugs hätte Bezug genommen werden können, um ein Sonderregime zu vermeiden. 2. Als allgemeiner Haftungsmaßstab PECL, DCFR und CESL stützen sich wie CISG108 und UPICC bei einer Verzögerung der Leistung auf eine strenge Haftung mit Entschuldigungs- oder 104
Nach richtigem Verständnis des römischen Rechts ist eine subjektive Vorwerfbarkeit der Verzögerung kein zwingendes Konzept. Die Vorstellung, dass der Schuldner die Verzögerung als solche zu vertreten haben musste, liegt am Einfluss des kanonischen Rechts, das im Verzug des Schuldners ein verwerfliches „deliktisches“ Verhalten sah. Vgl. oben, Teil 2, Kap. 2, Unterkap. 2, § 1 und § 2 I. 105 Allerdings auf der Basis eines anderen Haftungsmaßstabs, siehe sogleich. 106 Teil 2, Kap. 2, Unterkap. 1, § 2 II 1. 107 Vgl. oben Teil 2, Kap. 5, § 2 IV 8 b. 108 Die Schadensersatzpflicht hängt nach der CISG nicht von einem Verschulden ab; STAUDINGER/MAGNUS, Art. 74 CISG, Rn. 11; ACHILLES, Kommentar zum UN-
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Entlastungstatbeständen. Sie schließen Gläubigerrechtsbehelfe in der Regel dann aus, wenn der Gläubiger die Nichterfüllung durch seine eigene Handlung verursacht hat oder entlasten den Schuldner nach einem an die force majeure angelehnten Entschuldigungstatbestand.109 Das Haftungsregime der PECL entspricht EU-rechtlichen Vorgaben, die zwar teils inkohärent sind, jedoch gleichwohl relativ eindeutig für eine strenge Haftung mit Entlastungsmöglichkeit wegen Gläubigerfehlverhaltens oder force majeure sprechen.110 Das Prinzip der strict liability folgt der common law-Tradition111 und der modernen Rechtsentwicklung kontinentaleuropäischer Rechte, welche dem römisch-kanonisch beeinflussten112 Verschuldenserfordernis im Rahmen der vertraglichen Haftung immer weniger Gewicht geben.113 Die Haftung für vermutetes Verschulden kommt etwa im BGB aufgrund der Beweislastverteilung zu Lasten des Schuldners, durch strengere Haftungsmaßstäbe bei Übernahme eines Beschaffungsrisikos und durch einen objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstab einer Garantiehaftung bereits sehr nahe.114 Auch das erwähnte Beispiel des § 311a Abs. 2 BGB,115 der den Fall eines Leistungshindernisses bei Vertragsschluss betrifft,116 lässt den Schuldner (nur) dann von seiner EinKaufrechtübereinkommen, Art. 74 Rn. 2; PILTZ, Internationales Kaufrecht, § 5 Rn. 423; Schlechtriem/Schwenzer/STOLL/GRUBER, CISG, Art. 74 Rn. 2 f. 109 Art. 8:101 Abs. 3 PECL. 110 Vgl. oben Teil 2, Kap. 5, § 2 IV 8. Auch RIESENHUBER sieht wie bereits erwähnt in der strengen Haftung für Vertragsverletzungen einen allgemeingültigen Grundsatz des Europäischen Privatrechts, siehe RIESENHUBER, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, § 17, S. 539. Vgl. auch zur Unklarheit der Natur der Haftung nach der Pauschalreiserichtlinie SCHULTE-NÖLKE/MEYER-SCHWICKERATH, in SCHULTE-NÖLKE/TWIGG-FLESSNER/EBERS, Consumer Law Compendium, S. 306. 111 ZWEIGERT/KÖTZ, S. 503 ff.; ZIMMERMANN, JZ 1995, 480; Nicolene Ltd.v. Simmonds [1952] Lloyd’s Rep., 419 (425) per SELLERS, J. 112 Vgl. DRAETTA/LAKE/NANDA, Breach and adaptation of international contracts: an introduction to Lex Mercatoria, S. 33 f.; EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution et les principes UNIDROIT, S. 99. 113 Vgl. Teil 2, Kap. 7, § 3 II 1 und SCHLECHTRIEM, ZEuP 1993, S. 228 ff. EBERHARD, Les sanctions de l’inexécution et les principes UNIDROIT, S. 100: „Alors que la civil law érige la responsabilité pour faute en principe, elle connaît de nombreuses exceptions entraînant l’application d’une responsabilité sans faute, alors que la common law part du principe de la responsabilité sans faute mais admet que le débiteur ne soit tenu que par ses best efforts dans certaines transactions.“ Vgl. auch MEDICUS, in BASEDOW, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 187 ff.; ZIMMERMANN, JZ 1995, 481. 114 Vgl. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, 6.248 Abs. 1 Satz 2 litZGB und Teil 2, Kap. 7, § 3 II 1. 115 Vgl. oben Teil 2, Kap. 7, § 3 II 1. 116 Freilich betrifft diese Norm nicht den Bereich der Nichterfüllung im eigentlichen Sinn, sondern regelt das nach altem Recht umstrtittene „Sonder“problem anfänglicher Leistungshindernisse in Form einer Sonderregelung zum Verschuldensprinzip; siehe auch GRUNDMANN, AcP 2004 (204), S. 569 (581).
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standspflicht freiwerden, wenn er das Leistungshindernis nicht kannte und er seine Unkenntnis nicht zu vertreten hatte. Diese Norm nähert sich stark der Garantiehaftung mit Entlastung im Falle nicht beherrschbarer und nicht vorhersehbarer Leistungshindernisse an.117 Neuere Kodifikationen wie das Principles-orientierte estnische Schuldrechtsgesetz folgen im Grundsatz bereits dem Modell der strengen Haftung, befreien also den Schuldner von einer Haftung für Vertragsverletzungen prinzipiell nur im Fall der force majeure. Allerdings machen sie teils weitergehende Ausnahmen, wo aus Wertungsgesichtspunkten eine Verschuldenshaftung opportun scheint, so gem. §§ 103 und 104 estSRG.118 Für eine strenge Haftung spricht auch eine rollengerechte Risikoverteilung zwischen Schuldner und Gläubiger. Erleidet der Gläubiger einen Schaden durch eine Nichterfüllung des Schuldners, für die er selbst in keiner Weise verantwortlich ist und den der Schuldner zwar nicht verschuldet hat, der aber doch aus dessen Sphäre stammt, ist nicht einzusehen, warum der Gläubiger diesen tragen sollte. Die Leistungsverpflichtung ist naturgemäß „näher am Schuldner“ als am Gläubiger, der auf die Schuldnersphäre meist so gut wie keinen Einfluss hat. Außerdem erhält er in der Regel eine Gegenleistung, so dass ihm auch ein gewisses Risiko aufgebürdet werden darf.119 Dies gilt umso mehr, je unsicherer für den Gläubiger die Durchsetzung des Erfüllungsanspruchs ist. Dieser strenge Maßstab der PECL kann, wie gesehen, auch für die Behandlung der obligations de moyens gelten.120 Der CE wendet hingegen in Anlehnung an Rechtsordnungen wie die französische oder die niederländische zwei Haftungsmaßstäbe an und sieht bei den obligations de moyens eine Exkulpation des Schuldners vor, wenn dieser nachweisen kann, dass er die in seiner Situation erforderliche Sorgfalt eingehalten hat. Diese Dualität im Haftungsmaßstab scheint jedoch nicht zwingend. Wie bereits erörtert, handelt es sich nicht um ein Problem der Graduierung der Einstandspflicht, sondern um ein Problem der Definition des Pflichtenprogramms und eine Frage des Beweisrechts. Natürlich hat die Leistungspflicht im Fall der obligation de moyens insofern eine subjektive Färbung, als sie zwangsläufig nicht an einen allein objektiv messbaren Erfolg anknüpft, sondern an ein Verhalten einer Partei. Allerdings stellen selbst die Rechtsordnungen, in welchen diese Trennung auch in einem binären Haftungssystem resultiert, bei dem Sorgfalts117
Siehe etwa Art. 79 CISG. In § 104 Abs. 2 und 3-5 estSRG unterscheidet das Gesetz dann zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit sowie Vorsatz. 119 Ähnlich auch die Begründung zum CE, S. 404. Hier wird auch angemerkt, dass das Verhalten eines Schuldners als fahrlässig zu betrachten ist, wenn dieser keine Versicherung abschließt, um sich vor eventuellen negativen Folgen seiner Tätigkeit zu schützen. 120 Vgl. oben Teil 1, Kap. 3, § 2 II 3; LANDO/BEALE, Art. 8:102, S. 437. 118
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maßstab, den der Schuldner bei den obligations de moyens zu beachten hat, auf einen standardisierten oder objektivierten Maßstab ab. Selbst bei Dienstleistungen in sensiblen Bereichen, d.h. dem typischen Fall der obligation de moyens, gilt ein objektivierter Haftungsstandard, da es letztlich darauf ankommt, ob das Verhalten des Schuldners dem entspricht, was von einer vergleichbaren Person unter vergleichbaren Umständen erwartet wird.121 So heißt es etwa in einer Entscheidung des BGH vom 13.2.2001,122 der behandelnde Arzt habe „im Hinblick auf den auch im Arzthaftungsrecht maßgeblichen objektivierten zivilrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriff im Sinne des § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB grundsätzlich für sein dem medizinischen Standard zuwiderlaufendes Vorgehen auch dann haftungsrechtlich einzustehen, wenn dieses aus seiner persönlichen Lage heraus subjektiv als entschuldbar erscheinen mag.“ An sich sprechen auch die Ursprünge der strict liability in der Tradition der common law-Länder gegen diese Trennung. Die vertragliche Haftung entwickelte sich im 15./16. Jahrhundert als action of assumpsit, die eine zunächst sachbezogene Schädigung ähnlich einer misfeasance sanktionierte. Ursprünglich betraf sie gerade Fälle, in welchen der Schuldner bestimmte Berufsqualifikationen aufwies, diesen jedoch bei den von ihn durchgeführten Handlungen nicht genügte.123 Man ging davon aus, dass er der Pflicht unterlag, kraft seines Gewerbes vorgenommene Handlungen so auszuüben,124 wie man in dem jeweiligen Gewerbe eine angebotene Leistung auszuüben hat. In gewisser Weise liegt der Ursprung der strengen Haftung damit gerade in Fällen, in welchen man heute eine obligation de moyens annimmt. Besser ist es daher, eine eindeutige Entscheidung zugunsten eines Haftungssystems zu treffen, von einem Grundsatz auszugehen und diesen dann allenfalls durch Elemente des anderen Grundsatzes abzuschwächen.125 Trotz des berechtigten Vorbehaltes, dass man tatsächlich nicht vereinfachen und vereinheitlichen könne, was seit jeher kompliziert ist, sprechen die Principles die Problematik daher zu Recht auch nicht im Zusammenhang mit dem Haftungsmaßstab an, sondern unterscheiden die beiden Pflichtentypen bereits und ausschließlich auf der Ebene des Inhalts der Vertragspflichten. Im Fall der PECL folgt dies unglücklicherweise nur aus dem Kommentar. Die 121
Vgl. ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, S. 712 f.: Der Sorgfaltsmaßstab bezieht sich auf „une personne entrant dans la même catégorie professionnelle, technique ou sociale que lui […] selon les qualifications et les titres ou les grades dont se prévaut le débiteur […]. L’obligé ne peut se disculper en invoquant son inaptitude, son inintelligence, ses défauts de caractère, sa maladresse, son âge, sa fatigue, etc. Les défauts personnels ne peuvent être des excuses que si le créancier les connaissait et les a acceptés.“ 122 BGH, VI ZR 34/00, 13. 2. 2001. 123 BUCHER, ZVglRWiss 105 (2006), S. 164 (189). 124 Vgl. Bukton v. Tounesende [1348] B.&M. 358 und Waldon v. Mareschal [1369] B.&M. 359. 125 SCHNEIDER, Abkehr vom Verschuldensprinzip, S. 7.
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UNIDROIT Principles enthalten hierzu Präzisierungen in Art. 5.1.4 UPICC, die auch in den PECL und im DCFR übernommen werden sollten.126 Ob sich ein solcher Ansatz jedoch tatsächlich konsequent durchsetzen ließe und in der Rechtspraxis nicht auf die traditionelle Argumentation zur Verschuldenshaftung zurückgegriffen würde, bliebe allerdings abzuwarten. An zwei anderen Stellen wäre dann aber konsequenterweise eine weitere Korrektur erforderlich: Das Verschuldenserfordernis im klassischen Sinn hält in Anlehnung an das schon aus dem justinianischen Recht bekannte Korrektiv der Schadensdeckelung auf den vorhersehbaren Schaden im Rahmen der Begrenzung des Schadensumfangs Einzug in Art. 9:503 PECL und Art. III.3:703 DCFR.127 Auch dort scheint die Einfügung eines subjektiven Vorwerfbarkeitselements jedoch nicht notwendig und sollte durch eine weite Auslegung des Vorhersehbarkeitsbegriffs oder eine Betrachtung des Schuldnerhandelns nach den Kriterien von good und bad faith ersetzt werden.128 Das CESL verzichtet in Art. 161 zu Recht auf jegliche Bezugnahme auf ein subjektives Element. Ähnliches gilt für die Lösung des Art. 8:103 lit. c PECL und Art. III.-3:502 Abs. 2 lit. b DCFR, die auf ein vorsätzliches oder leichtfertiges Schuldnerverhalten als Vertragsaufhebungsgrund abstellen. Die Erwähnung des Verschuldensprinzips wird zu Recht kritisiert.129 Eine Lösung wie § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB („besondere Umstände, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen“) wäre hier vorzugswürdig. Das CESL versucht hingegen auch an dieser Stelle zumindest auf eine „technische“ Beschreibung des Schuldnerverhaltens zu verzichten und sieht es in Art. 87 Abs. 2 lit. b CESL als wesentliche Nichterfüllung an, wenn die Nichterfüllung klar erkennen lässt, dass die andere Partei sich nicht auf die Erfüllung durch die nichterfüllende Partei verlassen kann. 3. Zufallshaftung Die Zufallshaftung nationaler Rechte ist ein Relikt der perpetuatio obligationis. Der Code Européen hat sie in Art. 96 Abs. 2 Satz 2 CE als Sonderregelung zum Haftungsmaßstab in Art. 162 Abs. 1 CE verankert. Diese Kombination ist auch in nationalen Rechten nicht ungewöhnlich, die einem strengen Haftungsmaßstab folgen. So zeigt z.B. neben dem tschechischen auch das litau126
Das auf das Kaufrecht und damit verbundene Dienstleistungen beschränkte CESL enthält nur in Teil V (verbundene Dienstleistungen) eine Regelung (dort Art. 148), da Verpflichtungen beim Kaufvertrag Erfolgspflichten sind. Art. 148 CESL ähnelt Art. 5.1.4 UPICC, enthält jedoch präzisere Vorgaben. 127 IUST., C 7, 47, 1. 128 Vgl. oben Teil 1, Kap. 3, § 3 IV 3. 129 SCHWENZER, in SCHLECHTRIEM, Wandlungen des Schuldrechts, S. 37 (43).
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ische Recht, dass im Fall der Verzögerung der Leistung eine Zufallshaftung in Kombination mit einer ohnehin strengen Haftung regelbar ist.130 Für diese Kombination gibt es auch außereuropäische Beispiele.131 Theoretisch wäre es auch in den Principles und im DCFR möglich, während der Verzögerung der Leistung eine strengere Haftung vorzusehen, indem in Art. 8:108 PECL und Art. III.-3:104 DCFR in diesem Fällen von einer Entlastungsmöglichkeit abgesehen wird. Überzeugend wäre dies indes nicht und liefe der einheitlichen Behandlung verschiedener Leistungsstörungen zuwider, der die Regelwerke bislang folgen. Plausible Argumente zugunsten einer solchen Kombinationslösung lassen sich schwer anführen. Die Verzögerung der Leistung wird in der jetzigen Lösung von PECL, DCFR und CESL einer ohnehin strengen Haftung unterstellt, die ausreichende Beugewirkung auf den Schuldner hat. Der normative Rahmen der Regelwerke hält damit bereits genügend Sanktionen bereit, um den säumigen Schuldner zur rechtzeitigen Leistung anzuhalten. 4. Enthaftung vom Zinsanspruch Konsequenter wäre das Konzept von PECL und DCFR zudem, wenn sie auch beim Zinsanspruch eine Enthaftung wegen force majeure zulassen würden. Nach Art. 9:508 PECL ergibt sich, dass der Zinsanspruch auch dann gewährt werden soll, wenn der Schuldner entschuldigt ist.132 Auch historisch war der Zinsanspruch ursprünglich von einem Verschulden unabhängig und als reines Druckmittel gedacht,133 hat sich dann aber durch seinen Entschädigungscharakter im ius commune an die allgemeine Vertragshaftung angenähert. Der Zinsschaden galt bereits damals als vermutet.134 Im nationalen Recht ist der Zinsanspruch häufig objektiv ausgestaltet; hierfür spricht im Grunde auch die Tatsache, dass er als Pendant zum Nutzungsersatz ähnlichen Grundsätzen folgt.135 Ein Gegenbeispiel ist das deutsche Recht in § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 4 BGB, das auch den Zinsanspruch an den verschuldensabhängigen Verzugstatbestand knüpft. Entscheidend ist allerdings, dass sich die Enthaftung vom 130
Vgl. Art. 6.260 Abs. 2 litZGB, der bei verzögerten Leistungspflichten eines Unternehmers trotz der vom Gesetz ohnehin vorgesehenen strengen Haftung gem. Art. 6.256 Abs. 4 litZGB für erforderlich gehalten wird. 131 Das chinesische Vertragsgesetzbuch etwa erlaubt in § 117 ChinVG die Enthaftung wegen force majeure, macht hiervon jedoch eine ausdrückliche Ausnahme während des Schuldnerverzugs. 132 Art. 7.4.9 UPICC macht dies noch deutlicher, denn dort heißt es: „[…] is entitled to interest […] whether or not the payment is excused“. 133 Vgl. Teil 2, Kap. 6, Unterkap. 1, § 3 II 3. 134 Vgl. Teil 2, Kap. 6, Unterkap. 2, § 3 I. 135 Vgl die Beispiele in Teil 2, Kap. 7, § 3 I 2.
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Zinsanspruch mit dem Unionsprivatrecht begründen lässt. Zwar ist aus unionsprivatrechtlicher Sicht der Verantwortungsbeitrag des Schuldners im Rahmen des Zahlungsverzugs wegen der Formulierung der Zahlungsverzugsrichtlinie unklar. Richtigerweise trifft die Richtlinie jedoch keine Aussage zur Verschuldenshaftung, sondern ihre Auslegung und die Zusammenschau mit anderen unionsprivatrechtlichen Regelwerken spricht vielmehr auch beim Zinsanspruch für eine strenge Haftung mit Entlastungsmöglichkeit, wobei letztere jedoch in der Richtlinie nicht näher spezifiziert wird.136 Der europäische Gesetzgeber entscheidet sich damit weder für einen reinen Fälligkeitszins, noch für einen verschuldensabhängigen Zins, sondern für einen Zinsanspruch mit ausnahmsweiser Entlastungsmöglichkeit. Dieser Entscheidung der Zahlungsverzugsrichtlinie würden PECL und DCFR Rechnung tragen, wenn sie die Entlastungsmöglichkeit in Art. 8:108 PECL und in Art. III.-3:104 DCFR wie die Acquis Principles auch auf den Zinsanspruch ausdehnen würden.137 Würde diesem System gefolgt, wäre nicht nur ein Gleichlauf mit der Zahlungsverzugsrichtlinie erzielt, sondern auch ein Gleichlauf des Zinsanspruchs mit der allgemeinen Vertragshaftung. Dies würde den Charakter der Verzögerung der Leistung oder Zahlung als Nichterfüllung noch konsequenter realisieren. Zudem wird ein Fall der force majeure bei einem Geldanspruch ohnehin praktisch selten sein. Die altrömischen Grundsätze hinsichtlich der Lei136
Vgl. Teil 2, Kap. 5, § 2 IV 8 b. Da ein Fälligkeitszins nach der Zahlungsverzugsrichtlinie aber möglich bleibt, weil sie eine strengere Haftung zugesteht, ist diese Lösung nicht zwingend. Article 8:406 ACQP lautet: „Interest in commercial contracts (1) If a business delays the payment of a price for goods or services owed to a business without being excused under Art. 8:401, interest is due at the rate specified in paragraph (4), unless a higher interest rate is applicable. (2) Interest at the rate specified in paragraph (4) starts to run (a) on the day which follows the date or the end of the period for payment provided in the contract, and otherwise (b) 30 days after the date when the debtor receives the invoice or an equivalent request for payment; or (c) 30 days after the date of receipt of the goods or services, if the date under (b) is earlier or uncertain, or if it is uncertain whether the debtor has received an invoice or equivalent request for payment. (3) If conformity of goods or services to the contract is to be ascertained by way of acceptance or verification, the 30 day period under paragraph (2) (c) starts to run on the date of acceptance or verification. (4) The interest rate for delayed payment ("the statutory rate") is the interest rate applied by the European Central Bank to its most recent main refinancing operation carried out before the first calendar day of the half-year in question ("the reference rate"), plus seven percentage points ("the margin"), unless otherwise specified in the contract. For the currency of a Member State which is not participating in the third stage of economic and monetary union, the reference rate is the equivalent rate set by its national central bank. (5) The creditor may in addition recover damages for any further loss.” 137
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stungsunfähigkeit bei Geldleistungen sind auch im nationalen Recht seit langem überholt. Das CESL versucht hingegen in Art. 167 Abs. 1 und Art. 168 Abs. 1 die Entschuldigungsmöglichkeit auf den Zinsanspruch auszudehnen, allerdings sind Systematik und Formulierung der Vorschriften missglückt und bedürfen dringender Überarbeitung.138 IV. Rechtsbehelfssystem Die Präferenzen von PECL, DCFR und nun auch CESL bei den Rechtsfolgen einer Leistungsverzögerung sind weitgehend richtig gesetzt, nach dem Vergleich mit anderen Modellen in Teil 1 Kapitel 4 und insbesondere in Teil 2 der Arbeit jedoch gleichwohl verbesserungswürdig. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den Ausschluss des Erfüllungsanspruchs im Zusammenhang mit Deckungsgeschäften, seinen Vorrang, die Schuldnerschutzmöglichkeiten bei der Vertragsaufhebung und die Voraussetzungen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung. 1. Erfüllungsanspruch a. Recht auf Erfüllung trotz Leistungsstörung PECL und DCFR folgen in Art. 9:102 Abs. 1 und Art. III.-3:302 DCFR wie Art. 7.2.2 UPICC oder Art. 111 CE dem Grundsatz des Erfüllungsanspruchs mit Ausnahmen und gehen damit weiter als die Kompromisslösung in Art. 28 CISG. Die Lösung entspricht auch dem Willen des europäischen Gesetzgebers, der insbesondere in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44/EG,139 aber auch in anderen Rechtsakten eine klare Tendenz in diese Richtung erkennen lässt.140 Wie bereits gesehen, ebnen sich die nationalen Unterschiede hinsichtlich der grundsätzlichen Gewährung des Erfüllungsanspruchs auch zwischen common law- (Erfüllungsanspruch als Ausnahme) und civil law-Systemen (Erfüllungsanspruch mit Ausnahmen)141 zunehmend ein.142 Zwar wird einer Anglei138
Vgl. Teil 1, Kap. 3, § 3 IV 5 b. Jüngst geändert durch RiL 2011/83/EU. 140 Vgl. z.B. auch Art. 8 Abs. 1 lit. b und c der VO 261/2004/EG. „Un tel objectif réjoint parfaitement la volonté du législateur communautaire de privilegier le maintien du contrat.“ GRYNBAUM/POILLOT in AUBERT DE VINCELLES/ROCHFELD, L’acquis communautaire, Les sanctions de l’inexécution du contrat, S. 49. 141 Teil 2, Kap. 7, § 3 II 2 a. 142 Diese Lösung präferierte auch das schottische Recht, indem es im specific implement ein Recht des Gläubigers sieht. WEIR, ZEuP 1998, S. 564 (565). Zur Nähe der Lösungen in den PECL und im schottischen Recht siehe auch MACQUEEN, C.L.P. 54 (2001), S. 205 ff.; SMITH, in REID/ZIMMERMANN, History of Private Law in Scotland II, S. 195 ff., Highland and Universal Properties Ltd. v. Safeway Properties Ltd., 2000 SC 297. 139
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chung des englischen und des kontinentalen Ansatzes mit Ausnahme der auf Geld gerichteten Ansprüche entgegengehalten, die Differenzen im englischen Rechtsschutz- und Gerichtssystem würden eine gemeinsame Lösung verunmöglichen.143 Es hat sich aber gezeigt, dass unter EU-rechtlichem Einfluss die kontinentaleuropäische Idee eines vorrangigen Anspruchs auf specific performance ohnehin Einzug in das englische Rechtssystem hielt. Die Option des Erfüllungsanspruchs, die dem Gläubiger ermöglicht, die ihn zum Vertragsschluss motivierende Leistung doch zu erhalten und zugleich dem Schuldner zu gestatten, seine Leistung noch zu erbringen, ist als Kompromiss zwischen kontinentaleuropäischer Rechtstradition und dem common law die bessere Lösung und wird dem Grundsatz pacta sunt servanda und den Parteiinteressen gerechter. Die Regelung einzelner Ausnahmen vom Erfüllungsanspruch ist hingegen in ihrer Ausgestaltung nicht unproblematisch. b. Ausnahmen vom Erfüllungsanspruch aa. Force majeure und Unmöglichkeit Dass der Erfüllungsanspruch dann nicht geltend gemacht werden kann, wenn die Erfüllung unmöglich ist, überrascht nicht.144 Dem gleichen Prinzip folgt auch Art. 3 Abs. 3 RiL 1999/44/EG.145 Situiert wird dieses Prinzip jedoch nicht nur in Art. 9:102 lit. a PECL und in Art. III.-302 Abs. 3 lit. a DCFR, sondern auch in Art. 8:108 PECL und in Art. III.-3:104 DCFR, die die Enthaftung im Fall der force majeure regeln, die sich grundsätzlich auch auf den Erfüllungsanspruch bezieht (siehe etwa Art. 8:101 Abs. 2 PECL). Fälle der Unmöglichkeit werden daher häufig bereits von Art. 8:108 PECL umfasst und über Art. 8:101 Abs. 2 PECL vom Erfüllungsanspruch ausgenommen sein. Art. 9:102 lit. a PECL wird so zum bloßen Auffangtatbestand für die Fälle, für die Art. 8:108 Abs. 1 PECL nicht greift, weil keine Entlastungsmöglichkeit besteht.146 Ähnlich ist dies auch in Art. 106 Abs. 4 und Art. 110 Abs 3 lit. a CESL. Dies verdeutlicht zugleich die Doppelrolle der Unmöglichkeit als Ausschlussgrund des Primäranspruchs und Haftungsbegrenzung des Sekundäranspruchs.
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Vgl. UNBERATH, Die Vertragsverletzung, insb. S. 263 ff. (268-270), der allein den Kompromiss des Art. 28 CISG für realistisch hält. 144 Art. 9:102 lit. a PECL, III.-3:301 DCFR, 7.2.2 lit. a UPICC, Art. 111 Abs. 1 Hs. 1 CE („Von einem Schuldner […] kann der Gläubiger […] Erfüllung […] verlangen, und zwar in besonderer Form, wenn dies objektiv möglich ist; […]“) und Art. 111 Abs. 2 lit. c CE. 145 „Zunächst kann der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist.“ 146 So auch ZMMERMANN, The New German Law of Obligations, S. 45.
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bb. Unzumutbarkeit Art. 9:102 lit. b PECL, der den Erfüllungsanspruch ausschließt, wenn dieser dem Schuldner unangemessene Anstrengungen oder Kosten verursachen würde, folgt neben Art. 3 Abs. 3 RiL 1999/44/EG147 auch der Auslegung des CISG, wonach der Schuldner keine existenzgefährdenden Erfüllungsanstrengungen unternehmen muss. Dieser Ansatz findet aber keine ausdrückliche Entsprechung im CE. Die Vorschrift nähert sich der common law-Konzeption an, die den Erfüllungsanspruch umgekehrt dann zulässt, wenn dieser in zumutbarer Weise zu „more perfect and complete justice“ führt.148 Das deutsche Recht enthält hingegen in § 275 Abs. 2 BGB eine subjektive Komponente zur Beurteilung der Unangemessenheit des Schuldneraufwands149 und setzt die Anstrengungen des Schuldners vorzugswürdig präziser in Relation zum Leistungsinteresse des Gläubigers.150 Auch das CESL löst dies in Art. 110 Abs. 3 lit. b wesentlich besser, da es den Aufwand des Schuldners ins Verhältnis zum Vorteil des Gläubigers setzt. Dies wäre auch für die PECL eine sinnvolle Ergänzung, da die Ausnahme von der Vertragsbindung streng auszulegen ist und der Erfüllungsanspruch keiner vorschnellen pauschalen Betrachtung weichen darf.151 cc. Persönliche Leistungen Auch der Ausschluss bei Dienst- und Werkleistungen persönlichen Charakters entspricht im Ergebnis einer Mehrzahl nationaler Rechte, die den Grundsatz der nicht erzwingbaren obligations de faire in ihrem materiellen oder Prozessrecht verankert haben. Die Definition der persönlichen Leistungen umfasst aber anders als der eher unglücklich weite Begriff der obligations de faire nur solche Leistungen, die nicht delegierbar sind, also unvertretbare Handlungen, andernfalls wäre jeder Verzug mit einer Leistung eines Werkunternehmers als solcher bereits ein Ausschlussgrund für den Erfüllungsanspruch.152 Die Gren-
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Die Vorschrift erfordert die vorrangige Nachbesserung oder Ersatzlieferung, „sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig“ ist. 148 Vgl. Teil 2, Kap. 7, § 3 II 2 a; MÜLLER-CHEN, Die Folgen der Vertragsverletzung, S. 83; Sky Petroleum Ltd. v V.I.P. Petroleum Ltd. [1974] 1 W.L.R. 576 (Ch.D) per GOULDING, J.; Co-operative Insurance Society Ltd. v. Argyll Stores Ltd., [1998] A.C. 1, 12 ff. (H.L.), [1997] WLR 895. 149 § 275 Abs 2 Satz 2 BGB lautet: „Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.“ 150 § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB spricht von einem „groben Missverhältnis zwischen Aufwand des Schuldners und Leistungsinteresse des Gläubigers.“ 151 Vgl. auch UNBERATH, Die Vertragsverletzung, S. 280. 152 LANDO/BEALE, zu Art. 9:102, S. 481.
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Teil 3: Bewertung
ze zwischen einer persönlichen Leistung in den PECL und einer höchstpersönlichen Leistung nach nationalem Recht ist also fließend. Der CE ist hier allerdings offener und kennt außer dem Fall der Unmöglichkeit keinen Ausschluss des Erfüllungsanspruchs. Es ergibt sich lediglich implizit aus Art. 111 Abs. 2 lit. c 1. Alt. CE153, dass im Fall höchstpersönlicher Leistungen eine Verurteilung des Schuldners auf eigene Leistung ausscheiden wird. Durch diese Regelung bewahrt der CE jedoch die Chance auf Erfüllung. Entgegenhalten kann man dem Konzept der PECL daher, dass sich der Schuldner nun einmal freiwillig zu einem Vertrag entschlossen hat, dessen Gegenstand eine persönliche Leistung ist. Warum dieser plötzlich keinem Erfüllungsanspruch mehr ausgesetzt sein dürfte, ist nicht ganz begreiflich. Häufig wird angeführt, der Schuldner könne unter Zwang keine qualitativ hochwertige Leistung erbringen.154 Einer Erfüllungspflicht unterwarf sich der Schuldner der persönlichen Leistung jedoch bereits mit dem Vertragsschluss. Zum anderen besteht hier gerade ein besonderes Interesse an der Erfüllung in Natur.155 Die Ausnahme bei persönlichen Dienstleistungen sollte man daher sehr eng auslegen. Sinnvoller wäre es zudem, sie wie im deutschen Recht in § 275 Abs. 3 BGB an ein Abwägungselement zu knüpfen156 oder sie nicht im materiellen Recht zu regeln, sondern dem Vollstreckungsrecht zu überlassen, um dem Gläubiger eine größere Chance einzuräumen, dass der Schuldner erfüllt.157 Auch die im CE und den UPICC vorgesehene astreinte ist eine Möglichkeit, einen vorschnellen Ausschluss des Erfüllungsanspruchs zu umgehen. Das CESL enthält die Ausnahme von der Erfüllungspflicht bei persönlichen Leistungen nicht. Dies überrascht nicht, da sich das Regelwerk auf Kaufverträge bezieht. Allerdings wird auch in seinem Teil V über verbundene Dienstleistungen nichts anderes geregelt. Natürlich werden diese eher keine „persönlichen“ Dienstleistungen sein, jedoch deutet auch das CESL darauf hin, dass die PECL-DCFR Lösung so nicht überzeugt.
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Art. 111 Abs. 2 lit. c 1. Alt. CE sieht vor „que le débiteur soit condamné à exécuter son obligation, dans la mesure du possible […]“ und lässt daneben die Option offen, dass statt des Schuldners der Gläubiger oder ein Dritter die Leistung erbringt. 154 Man kann sich also nicht sicher sein, jemals ein Bild von einem Künstler zu bekommen, es sei denn der Druck einer eventuellen Schadensersatzpflicht veranlasst ihn zum Malen. Dann handelt er im Übrigen auch unter einem gewissen Zwang. 155 So auch MÜLLER-CHEN, Die Folgen der Vertragsverletzung, S. 106. 156 Der Schuldner hat danach ein Leistungsverweigerungrecht „[…] wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläiubigers nicht zugemutet werden kann.“ 157 Vgl. § 887 Abs. 1, § 888 ZPO.
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dd. Deckungsgeschäft Den Erfüllungsanspruch wie 9:102 Abs. 2 lit. d PECL auszuschließen, wenn der Gläubiger die verzögerte Leistung vernünftigerweise aus einer anderen Quelle erhalten kann,158 ist zwar grundsätzlich aus ökonomischen Gesichtspunkten sinnvoll. Dies ist im Grunde zugleich eine Folge der Schadensminderungspflicht.159 Hieran zeigt sich aber zugleich, dass dieser Fall als Ausprägung des Schadensersatzrechts und nicht als Ausnahme zum Erfüllungsanspruch geregelt werden sollte. Aus einer schuldnerschützenden Perspektive heraus betrachtet ist nämlich gerade bei Leistungsverzögerungen zu beachten, dass der Fall auch umgekehrt gelagert und der Schuldner an der verspäteten Erbringung der Leistung sehr interessiert sein kann, weil er bereits Anstrengungen zur Leistungserbringung unternommen hat. Die Vorschrift des 9:102 Abs. 2 lit. d PECL ist dann allein gläubigerbegünstigend. Eine bessere Lösung schlägt hier der DCFR vor, der an dieser Stelle von den PECL abweicht. Er regelt das Deckungsgeschäft nicht in Art. III.-3:302 Abs. 3 als Ausnahme zum Erfüllungsanspruch, sondern in einem gesonderten Abs. 5, der auf das Schadensersatzrecht Bezug nimmt und deutlich macht, dass der Gläubiger nicht zu Lasten des Schuldners auf Erfüllung bestehen darf. Im Unterschied zu den PECL vermeidet die Norm, den Gläubiger zu vorschnellen Deckungsgeschäften einzuladen: „The creditor cannot recover damages for loss or a stipulated payment for non-performance to the extent that the creditor has increased the loss or the amount of the payment by insisting unreasonably on specific performance in circumstances where the creditor could have made a reasonable substitute transaction without significant effort or expense.“ Auch der Rechtsgedanke des Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC beziehungsweise der Zusatz, dass ein Deckungsgeschäft „unter Abwägung der beiderseitigen Interessen vernünftig“ sein muss, wäre, da es hier nicht nur um handelsrechtliche Fixkäufe geht, eine bessere Alternative. § 281 Abs. 2 und § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB verfolgen weit gelungener eine ähnliche Idee. Der CE sieht in dieser Hinsicht ebenso eine zweckmäßigere Lösung vor. Er betrachtet den Deckungskauf in Art. 111 Abs. 2 lit. b CE als einen Unterfall der Leistung in besonderer Form, den der Gläubiger bei Gericht zu beantragen hat. Dies kommt der Idee der Ersatzvornahme im nationalen Prozessrecht näher. Der Gläubiger kann also bei Verzug auf Erfüllung gem. Art. 111 Abs. 2 lit. b CE klagen und das Gericht entscheidet darüber, ob sich der Gläubiger die Leistung aus anderer Quelle beschaffen darf. Hier liegt es 158
Entweder als Ersatzvornahme bei vertretbaren Handlungen oder als Ersatzbeschaffung auf dem Markt. 159 Art. 9:505 PECL. Ähnlich auch MÜLLER-CHEN, Die Folgen der Vertragsverletzung, S. 94 und 129 f.
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gerade nicht allein in der Hand des Gläubigers, zwischen der Erfüllung in Natur und dem Deckungsgeschäft zu wählen. Die Ausnahme des Deckungsgeschäfts muss zudem im Lichte der strengen Haftung kritisch gesehen werden: Kann der Schuldner nicht rechtzeitig erfüllen, sind Deckungsgeschäft und Schadensersatz die schnelle Lösung für den Gläubiger. In einem System der strengen Haftung ohne Fristsetzungszwang kann sich für einen um nachträgliche Leistung bemühten Schuldner nämlich ein gravierendes wirtschaftliches Problem ergeben. Eine bessere Lösung – die des DCFR oder des BGB – scheint hier zwingend. Auch das CESL hat in Art. 110 auf die Regelung des Art. 9:102 Abs. 2 lit. d PECL verzichtet. Der Fall könnte dort unter Umständen unter Art. 110 Abs. 3 lit. b CESL fallen, der ein Interessenabwägungselement aufgenommen hat. 2. Vertragsaufhebung und Vorrang des Erfüllungsanspruchs Die Frage des Vorrangs des Erfüllungsanspruchs, den viele nationale Rechte und insbesondere Art. 3 Abs. 3 und 5 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vorsehen, ist an die Problematik der Nachfristsetzungspflicht geknüpft. Beide Fragen werden bei der Verzögerung der Leistung relevant und sind nur in Kombination lösbar. Bei der Vertragsaufhebung konkurrieren mehrere Grundkonzepte: Entweder ein Regelwerk stellt wie Principles, DCFR, CISG oder CESL primär auf die Schwere der Vertragsverletzung ab, gestattet dann die sofortige Vertragsaufhebung und lässt es als Sonderfall zu, eine unwesentliche Leistungsverzögerung durch fruchtlose Fristsetzung wesentlich werden zu lassen. Alternativ ist die Vertragsaufhebung – von Ausnahmen abgesehen – nur nach Fristsetzung möglich. Eines dieser beiden Konzepte ist im Fall der Verzögerung der Leistung zwingend. Die Lösung der europäischen Regelwerke, den Erfüllungsanspruch selbst bei wesentlicher Nichterfüllung als Option des Gläubigers einzuräumen,160 bei nicht wesentlicher Nichterfüllung mit Ausnahme der Leistungsverzögerung161 eine Nachfristsetzung zu ermöglichen, die den Schuldner über seine Pflicht zur Leistungserbringung informiert und zugleich während ihres Laufs vor Rechtsbehelfen schützt,162 und bei nicht wesentlicher Verzögerung der Leistung über die Setzung einer angemessenen Frist ein Rücktrittsrecht zu gewähren,163 scheint zunächst relativ ausgewogen zu sein.
160
Nach Art. 8:106 Abs. 1 PECL und Art. III.-3:103 Abs. 1 DCFR. Z.B. bei nicht wesentlicher Schlechterfüllung. 162 Art. 8:106 Abs. 2 PECL und Art. III.-3:103 Abs. 2 DCFR. 163 Art. 9:301 Abs. 2, Art. 8:106 Abs. 3 PECL, Art. III.- 3:103, 3:503 Abs. 1 DCFR. 161
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Allerdings sind hieran drei Punkte problematisch: die Definition des Wesentlichkeitsbegriffs, die Abstimmung mit dem Unionsprivatrecht und der Vergleich mit nationalen Rechten und dem CE, die versuchen, das Interesse des Gläubigers mit dem des Schuldners in Einklang zu bringen, der bereits in die Vertragserfüllung investiert hat. a. Wesentlichkeitsbegriff Das bereits aus Art. 25 CISG164 bekannte Kriterium der Wesentlichkeit 165 der Nichterfüllung soll eine gewisse Sicherheit vor vorschnellen einschneidenden Rechtsfolgen und einem einseitigen Ausnutzen der Lage durch den Gläubiger bieten166 und zugleich die Vertragsdurchführung sichern.167 Die Vertragsaufhebung ist nur ultima ratio.168 Dieses Konzept ist auch angesichts der Internationalität des Regelwerks verständlich: Die Transaktionskosten für internationale Verträge sind beachtlich, so dass insbesondere bei einer Schlechtleistung eine Vertragsaufhebung zu immensen Rückfuhrkosten führen kann.169 Der Begriff der wesentlichen Nichterfüllung scheint daher sowohl als Druckmittel für den Schuldner grundsätzlich geeignet170 und auch ökonomisch gesehen sinnvoll, da der Gläubiger in der Regel besser steht, wenn er bei einer wesentlichen Vertragsverletzung vom Vertrag Abstand nimmt. Die Formel der Wesentlichkeit ist jedoch ebenso flexibel wie vage,171 „[a] seemingly bottomless sea of a concept […] open as it is to case-by-case interpretation and evaluation.“172 Dies zeigt sich bereits daran, dass alle untersuchten einheitsrechtlichen Konzepte auf einer anderen Wesentlichkeitsdefinition basieren, die mehr oder weniger auf objektive Kriterien abstellt.173 Will man 164
Schlechtriem/Schwenzer/SCHLECHTRIEM, Art. 25 Rn. 2 und 9; Staudinger/MAGNUS, Art. 25 CISG, Rn. 9; BRUNNER, Art. 25 CISG, Rn. 8; PILTZ, Internationales Kaufrecht, § 5, Rn. 157. 165 Art. 9:301 PECL, Art. 7.3.1 UPICC, Art. 107 CE. 166 MÜLLER-CHEN, S. 175; MüKo-HGB/BENICKE VI, Art. 25 CISG, S. 466. 167 Bamberger/Roth/SÄNGER, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Art. 25 CISG, S. 2796. 168 AUDIT, La vente internationale de marchandises, S. 118; OGH, 7.9.2000, http://www. cisg.at/8_2200v.htm; OLG Köln, 14.10.2002, http://cisgw3.law.pace.edu/cisg/wais/db/ cases2/021014d1.html. 169 PAULY, J.L. & Com. 19 (2000), S. 221 (225); FERRARI, RDAI 2005, S. 389. 170 MÜLLER-CHEN, Folgen der Vertragsverletzung, S. 175. 171 Staudinger/MAGNUS, Art. 25 CISG, Rn. 3, 4-6. 172 SCHLECHTRIEM, E.J.L.R. 1999, S. 305 (310). 173 Art. 8:103 lit. b PECL definiert eine Nichterfüllung als wesentlich, „wenn der benachteiligten Partei im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag erwarten durfte, es sei denn, dass die andere Partei diese Folge nicht vorausgesehen hat und vernünftigerweise auch nicht voraussehen konnte“. Art. 25 CISG nimmt eine solche an, „wenn sie für die andere Partei einen solchen Nachteil zur Folge hat, dass ihr im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen, es sei denn, dass die vertragsbrüchige Partei diese Folge
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dieser Formel folgen, scheint zur Vermeidung einer zu weiten Begriffsauslegung durch den Gläubiger die CISG-Definition vorzugswürdig, bei der auf Seiten der vertragsbrüchigen Partei darauf abgestellt wird, dass eine vernünftige Person der gleichen Art die Folgen ihres Verhaltens unter den gleichen Umständen nicht vorausgesehen hätte.174 Sie führt noch am ehesten zu einer Objektivierung des Wesentlichkeitsbegriffs.175 Zwar wurde das objektiv messbare Ausmaß der Nichterfüllung nicht in den Text der CISG aufgenommen, den Folgen des Verstoßes wie dem Wegfall der wesentlichen Vertragsvorteile und dem verursachten oder drohenden Schadensumfang kommt jedoch gleichwohl eine gewisse Rolle bei der Auslegung zu.176 Auch bei der wichtigen Frage, was die beschwerte Partei nach dem Vertrag erwarten durfte und inwieweit ihr Interesse an der Durchführung des Vertrages im Wesentlichen entfallen ist,177 soll insofern ein objektivierter Maßstab angelegt werden, als es stark auf die Art des Vertrages ankommt, der zwischen den Par-
nicht vorausgesehen hat und eine vernünftige Person der gleichen Art diese Folge unter den gleichen Umständen auch nicht vorausgesehen hätte.“ Nach Art. 107 CE ist eine Nichterfüllung wesentlich, „wenn sie eine der Hauptleistungspflichten (und nicht Nebenleistungspflichten) des Vertrages betrifft, und darüber hinaus, wenn – unter Berücksichtigung der Eigenschaften der Parteien und der Art der Leistung – die Nichterfüllung für den Gläubiger einen solchen Nachteil bedeutet, dass sie ihm im Wesentlichen das vorenthält, was er auf Grund des Vertrages erwarten darf.“ Abs. 2 präzisiert dies: „Die Nichterfüllung ist insbesondere dann wesentlich, wenn sie: (a) vollständig ist; (b) teilweise vorliegt, aber das Interesse des Gläubigers an der übrigen Leistung unter verständiger Würdigung des Falles weggefallen ist.“ Nach Art. 87 Abs. 2 lit. a CESL ist eine Nichterfüllung dann wesentlich, wenn „(a) sie der anderen Partei einen erheblichen Teil dessen vorenthält, was diese nach dem Vertrag erwarten durfte, es sei denn, dass die nichterfüllende Partei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses diese Folge nicht vorausgesehen hat und auch nicht voraussehen konnte, oder (b) sie klar erkennen lässt, dass sich die andere Partei nicht auf die künftige Erfüllung durch die nichterfüllende Partei verlassen kann“. 174 In Art. 25 CISG wird auf Seiten der vertragsbrüchigen Partei nicht allein darauf abgestellt, dass sie diese Folge nicht vorausgesehen hat, sondern es ist insofern eine objektivierte Sicht ausschlaggebend, als es darauf ankommen soll, dass auch eine vernünftige Person der gleichen Art diese Folge unter den gleichen Umständen nicht vorausgesehen hätte. 175 KOCH, http://cisgw3.law.pace.edu/cisg/biblio/koch.html, S. 35. 176 Secretariat Commentary zu Art. 23 (jetzt Art. 25), O.R. 25: “[t]he determination whether the injury is substantial must be made in the light of the circumstance of each case, e.g., the monetary value of the contract, the monetary harm caused by the breach, or the extent to which the breach interferes with other activities of the injured party.” BARRY, The Vienna Convention on Contracts for the International Sale of Goods, L.Q.R. 15 (1989), 201 (218); KAROLLUS, UN-Kaufrecht, Art. 25, Rn. 16; BRUNNER, Kommentar zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den Internationalen Warenkauf, Art. 25, Rn. 7; Schlechtriem/Schwenzer/SCHLECHTRIEM, CISG, Art. 25 Rn. 9; MüKoHGB/BENICKE, Art. 25, Rn. 8. 177 Siehe Staudinger/MAGNUS, Art. 25 Rn. 13; Bianca/Bonell/WILL Art. 25, Bem. 2.1.2.1 f; BRUNNER, Art. 25, Rn. 8; Schlechtriem/Schwenzer/SCHLECHTRIEM Art. 25, Rn. 9.
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teien vorliegt.178 Dies mag einen gewissen Schutz vor einseitiger Ausnutzung des Wesentlichkeitsbegriffs durch den Gläubiger und zugleich vor einer zu leichten Verteidigung des Schuldners bieten. Allerdings sollte in die Wesentlichkeitsdefinition der PECL und des DCFR ein schuldnerschützendes Abwägungselement eingefügt werden, wie es die UPICC in Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e vorsehen.179 Sie berücksichtigen nämlich auch, inwieweit die nichterfüllende Partei aufgrund der Vorbereitung oder Erfüllung unverhältnismäßige Einbußen erleidet, wenn der Vertrag aufgehoben wird, ähnlich dem bereits mehrfach erwähnten § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB, der eine sofortige Vertragsaufhebung ermöglicht, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Diese Ergänzung könnte die Problematik des Wesentlichkeitsbegriffs entschärfen, die durch einseitige Vertragsaufhebungsmöglichkeiten des Gläubigers in PECL wie DCFR noch zusätzlich verstärkt wird.180 Der Gläubiger hat es zunächst allein in der Hand zu bewerten, ob die Nichterfüllung die Wesentlichkeitsschwelle überschreitet,181 und kann in der Leistungsstörung vorschnell eine „wesentliche“ Störung sehen und den Vertrag aufheben, weil er seinen Vertragsschluss im Nachhinein bereut.182 Tatsächlich kann er die Vertragsaufhebung ohne jegliches „instrument de prévention de la dureté du créancier et d’humanité pour le débiteur“ bewirken.183 Ist der Schuldner mit dieser Wertung der Sachlage nicht einverstanden, bleibt 178
AUDIT, La vente internationale de marchandises1990, S. 119; FERRARI, RDAI 2005, S. 391. 179 Art. 7.3.1 UPICC lautet: „(1) Eine Partei kann den Vertrag aufheben, wenn die Nichterfüllung einer der anderen Partei nach dem Vertrag obliegenden Pflicht eine wesentliche Nichterfüllung darstellt. (2) Bei der Feststellung, ob die Nichterfüllung einer Pflicht eine wesentliche Nichterfüllung darstellt, soll insbesondere berücksichtigt werden, ob (a) durch die Nichterfüllung der benachteiligten Partei im wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen, es sei denn, dass die andere Partei diese Folge nicht vorausgesehen hat und vernünftigerweise auch nicht hätte voraussehen können; (b) die genaue Einhaltung der nicht erfüllten Vertragspflicht für den Vertrag entscheidend ist; (c) die Nichterfüllung absichtlich oder leichtfertig geschieht; (d) die Nichterfüllung der benachteiligten Partei Grund zur Annahme gibt, dass sie sich auf die zukünftige Erfüllung durch die andere Partei nicht verlassen kann; (e) die nichterfüllende Partei aufgrund der Vorbereitung oder Erfüllung unverhältnismäßige Einbußen erleidet, wenn der Vertrag aufgehoben wird.“ 180 Siehe auch Art. 7.3.1 Abs. 1 und 3 UPICC, Art. 49 CISG. 181 Schlechtriem/SCHWENZER, Kommentar zum einheitlichen UN-Kaufrecht, Art. 25 CISG, Rn. 9. 182 BIANCA, Wesentliche Vertragsverletzung im italienischen und internationalen Kaufrecht, S. 11 f. 183 ROCHFELD, in RÉMY-CORLAY/FENOUILLET, Les concepts contractuels français à l’heure des Principes du droit européen des contrats, S. 213 (216).
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ihm zwar die klageweise Geltendmachung seiner Rechte, dies führt in der Praxis jedoch zu endlosen Prozessen, die vielfach mit einem Vergleich enden werden, der dem Gläubiger in der Gesamtbetrachtung vielleicht sogar noch einen finanziellen Vorteil bringt. Dieser Befund erlangt zusätzliche Schärfe, weil die PECL keine Mahnung des Schuldners kennen. Dass dieser „ungewarnt“ mit einer Vertragsaufhebung seines Gläubigers rechnen muss, obwohl er selbst möglicherweise alle notwendigen Dispositionen getroffen hat, um doch noch zu erfüllen, ist eine unglückliche Folge des PECL- und DCFR-Ansatzes. Eine bessere Lösung bietet allerdings auch der CE nicht. Zwar gestattet er mit Ausnahme einer Vertragsaufhebungsvereinbarung der Parteien die Vertragsaufhebung gem. Art. 114 Abs. 1 CE grundsätzlich nur bei Vorliegen einer wesentlichen Nichterfüllung und nach erfolgloser Nachfristsetzung. Zudem beschränkt Art. 107 Abs. 1 CE den Wesentlichkeitscharakter auf die Nichterfüllung von Hauptleistungspflichten. Die Kombination mit einem Fristsetzungserfordernis, von dem es wenige Ausnahmen gibt und das einer starren Mindestfristdauer unterliegt, ist jedoch ein Exzess in die andere Richtung. Ein derartig weitreichender Schuldnerschutz ist nicht praxisgerecht. b. Nachfrist und Vorrang des Erfüllungsanspruchs Einem besseren Ansatz folgt das Unionsprivatrecht. In Art. 3 Abs. 6 RiL 1999/44/EG erscheint das Wesentlichkeitserfordernis in umgekehrter Form, da Art. 3 vom grundsätzlichen Vorrang der Fristsetzung ausgeht und bei geringfügigen Vertragswidrigkeiten einen Anspruch auf Vertragsaufhebung gänzlich ausschließt. Auch hier ist das Vertragsaufhebungsrecht vom Kriterium der Schwere der Vertragsverletzung abhängig, allerdings in negativer Form. Zentrales Element der Vertragsaufhebung ist hingegen die Fristsetzung. Durch das „Konzept Nachfrist“ und den Ausschluss der Vertragsaufhebung bei geringfügiger Vertragswidrigkeit soll verhindert werden, dass Verbraucher sich durch „Vertragswidrigkeiten stärker belästigt fühlen und daher die Ware möglichst schnell abstossen wollen.“184 Auch diese Einschätzung belegt, dass dem Wesentlichkeitskriterium die Gefahr einer vorschnellen Vertragsaufhebung innewohnt. Für PECL und DCFR wäre eine andere Regel-Ausnahme-Systematik mit generellem Fristsetzungserfordernis die bessere Lösung, die ihre Grundlage in der Idee des Art. 3 Abs. 3 der RiL 1999/44/EG findet. Die Norm bestimmt, dass zunächst die unentgeltliche Nachbesserung oder Ersatzlieferung verlangt
184
So GRUNDMANN, AcP 202 (2002), S. 40 (51) unter Verweis auf HONDIUS, ZEuP 1997, S. 130 (135 ff.) und SCHLECHTRIEM, in ERNST/ZIMMERMANN, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 205 (220).
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werden muss, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist.185 Hieran wurde auch durch RiL 2011/83/EU nichts geändert. Es wurde bereits gezeigt, dass diese Hierarchie der Rechtsbehelfe auch ökonomischen Gesichtspunkten Rechnung trägt186 und die Vorgaben der Richtlinie „[…] zur Verallgemeinerung geeignet waren und in verallgemeinerter Form, teils auch überobligatorisch eine wahre Kodifizierung und eine echte inhaltliche Reform ermöglicht haben.“187 Das Verallgemeinerungspotential der Richtlinie wurde auch vom europäischen Gesetzgeber betont.188 Die Rechtsbehelfshierarchie nach der deutschen Schuldrechtsmodernisierung fußt auch auf den Vorgaben des EU-Rechts.189 Ein weiteres großes Manko der PECL und des DCFR ist es, dass das Fristsetzungserfordernis bei der Vertragsaufhebung wegen Leistungsverzögerung nicht auch ausdrücklich für den Schadensersatz statt der Leistung gilt. Die Differenzierung in Schadensersatz und Schadensersatz statt der Leistung ist im Hinblick auf das überlegene Nachfristmodell sinnvoll. § 281 Abs. 1 BGB oder § 115 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. 114 estSRG sehen dies ausdrücklich vor, das estnische Recht in ganz bewusster Ergänzung zum Modell der Principles. Diese Lücke im Rahmen des Schadensersatzes ist umso prekärer, als sie, begünstigt durch Art. 9:102 lit. d PECL, die vorschnelle Durchführung eines Deckungsgeschäfts und die Geltendmachung der dem Gläubiger entstandenen Zusatzkosten als Schadensersatz ermöglicht. Teilweise wird zwar vertreten, es würden wegen Art. 9:506 PECL (Art. III.-3:706 DCFR) parallele Frister185
„[…] se obliga al consumidor a optar primariamente por su reparación o por su sustitución, por otra sin defectos. Sólo de ser inefectivos tales remedios, se le permite optar por los tradicionales mecanismos del saneamiento“; MOLINA, in BADOSA COLL/ARROYO AMAYUELAS, La armonización del derecho de obligaciones en Europa, 2006. 186 „L’idée d’une hiérarchie des remèdes à l’inexécution en fonction de leurs conséquences économiques apparaît dans le rapport sur la transposition de la directive du 25 mai 1999… [L]a mise en conformité sans frais donne pleine satisfaction à l’acheteur et celui-ci n’a aucune raison sérieuse de la refuser au vendeur pour qui elle peut être beaucoup moins couteuse que la résolution ou la réduction du prix.“, THERY, in RÉMY-CORLAY/FENOUILLET, Les concepts français à l’heure des Principes du droit européen des contrats, S. 235 (242). 187 So zum Einfluss der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auf das ungarische Leistungsstörungsrecht VÉKÁS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. 209 (212). 188 TROCHU, D. chron. 2000, S. 119 zu den Erläuterung der für die Richtlinie zuständigen Kommissarin sowie GRUNDMANN/HOERNING, German Working Papers in Law and Economics 2007, Artikel 16, S. 2. 189 Siehe auch DAUNER-LIEB/HEIDEL/LEPA/RING, Anwaltkommentar, § 437 Rn. 5; DOEHNER, Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, S. 301 ff. Hierzu auch GRUNDMANN/MEDICUS/ROLLAND, Europäisches Kaufgewährleistungsrecht – Reform und Internationalisierung des deutschen Schuldrechts; CANARIS, JZ 2001, S. 499 ff.; Art. 1 des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vom 26.11.2001, BGBl. 2001, S. 3138.
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fordernisse für Vertragsaufhebung und Schadensersatz wegen Nichterfüllung gelten.190 Dies aber implizit aus einer allein die Schadensberechnung betreffenden Vorschrift herzuleiten und davon auszugehen, dass der Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangende Gläubiger ohnehin den Vertrag aufheben wird, ist keine transparente Lösung für den Rechtsanwender. Die Rechtslage ist hier unklar, zumal es ausdrücklich im Kommentar zu den PECL heißt, „dass der Gläubiger unter diesen Grundregeln (mit Ausnahme der Vertragsaufhebung im Falle einer nicht wesentlichen Nichterfüllung) nicht gehalten ist, vor Ausübung eines Rechtsbehelfs […] dem Schuldner davon Mitteilung zu machen.“191 Ein ausdrückliches paralleles Nachfristerfordernis wäre daher eindeutig vorzuziehen. Würde ein Grundsatz der Nachfrist institutionalisiert, würde zudem eine weitere Annäherung an die traditionellen nationalen Mahnungserfordernisse erreicht, da die Nachfrist einem vergleichbaren Zweck dient.192 Sie fungierte dann in Fällen des Art. 7:102 Abs. 3 PECL (III.-2:102 Abs. 1 DCFR) zugleich im Sinn einer iusta causa193 zur Kenntnis der Leistungspflicht und ermöglichte im Leistungsstörungsfall einen obligatorischen „Kontakt“ zwischen Schuldner und Gläubiger, ohne sich der Systematik des Nichterfüllungsrechts zu begeben. Dass sich ein säumiger Schuldner nicht nur Verzögerungsschadensersatzansprüchen ohne Mahnung, sondern auch Schadensersatzansprüchen wegen Nichterfüllung ohne Nachleistungsfrist ausgesetzt sieht, stellt sich im Lichte der strengen Haftung der PECL und des DCFR als eine Lösung dar, die zu wenig auf den Schutz des Schuldners bedacht ist. Auch aus ökonomischen Gesichtspunkten ist der Vorrang des Erfüllungsanspruchs die bessere Lösung: Zwar wird zum Grundsatz pacta sunt servanda vertreten, er werde, wenn man ihn als vorrangig betrachtet, zu pauschal angewandt, denn es sei nicht vertretbar, die Parteien an einem Vertrag festzuhalten, wenn Störungen auftreten, die sie nicht bedacht hätten. Diese seien gerade nicht Gegenstand ihres pactum. Der richtige Rechtsbehelf sei Schadensersatz wegen Nichterfüllung, insbesondere wenn die Kosten der Naturalerfüllung diesen übersteigen.194 Tatsächlich ist Schadensersatz wegen Nichterfüllung statt der Erfüllung aber auch für den Gläubiger nicht unbedingt von Vorteil. Fälle eines nicht beweisbaren Umfangs des Nichterfüllungsschadens, insbesondere hinsichtlich des entgangenen Gewinns, sind häufiger als Mehr190 191
ZIMMERMANN, The German Law of Obligations, S. 53 f. LANDO/BEALE, Principles of European Contract Law, Parts I and II, Art. 8:106, S. 451,
455. 192
Dass in der Gewährung einer Nachfrist zugleich eine Mahnung liegen kann, wird auch im deutschen Recht anerkannt. RGZ 50, 255, 261; BGH WM 1970, 1141; NJW 2006, 3271; NJW 2005, 1772; NJW 2008, 50. Siehe auch MEDICUS, in BASEDOW, Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 179 (184). 193 Vgl. oben unter § 2 II 2. 194 Vgl. oben in Teil 2, Kap. 7, § 3 II 2 a und 5 a.
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kosten der Erfüllung, die der Schuldner aufgrund seiner Erfahrung häufig gering halten kann. Dann ist eine verhältnismäßig schnelle nachträgliche Erfüllung die bessere Alternative, die über das Angemessenheitserfordernis der Nachfrist entsprechend flexibel gestaltet werden kann. Dem Vorrang des Erfüllungsanspruchs folgen auch weitere nationale Rechte, etwa das österreichische, das schweizerische oder das ungarische Recht. Auch von niederländischen Juristen wird dieses Konzept als überlegen angesehen.195 Die Fristsetzung entspricht auch dem üblichen Verhalten in der Praxis. In der Vertragswirklichkeit kommt es vor allem darauf an, sich den Vertragspartner als dauerhaften Geschäftskontakt zu sichern. Wird dieser zu schnell mit Rechtsfolgen belastet, riskiert man die Geschäftsbeziehung. Die Argumente gelten auch für das CESL, das insoweit dem Vorbild von PECL und DCFR folgt. c. Modalitäten der Nachfrist aa. Nachfristlänge Dem Modell des Art. 8:106 Abs. 3 PECL (Art. III.-3:503 Abs. 1 DCFR) ist insoweit zu folgen, als es wie die CISG und die meisten nationalen Rechte lediglich vorgibt, dass die Frist angemessen zu sein hat.196 Auch in Art. 3 Abs. 3 der RiL 1999/44/EG heißt es: „Die Nachbesserung oder Ersatzlieferung muss innerhalb einer angemessenen Frist [...] erfolgen.“ Dies erlaubt Flexibilität im Einzelfall und vermeidet ein bei der Setzung einer Nachfrist häufig genanntes Problem bei Waren mit Marktpreis. Nach der PECL-Lösung kann die Nachfrist kurz gewählt werden, wenn der Gläubiger befürchtet, die Ware aufgrund fallender Marktpreise schlecht verkaufen zu können. Konkrete Kriterien für die Angemessenheit aufzunehmen, wie sie manche nationale Rechte vorsehen,197 die den Erfüllungsort oder die Entfernung zwischen den Parteien ausdrücklich berücksichtigen, scheint entbehrlich. Dem folgt auch Art. 115 Abs. 1 CESL. Art. 115 Abs. 2 CESL sieht zusätzlich vor, dass die Nachfrist als angemessen gilt, wenn der Verkäufer ihr nicht unverzüglich widerspricht. Dies ist eine sinnvolle Ergänzung, die sicher geeignet ist, größere Rechtssicherheit zu schaffen.
195
SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und europäisches Vertragsrecht, S. 117
(125). 196
Teil 2, Kap. 7, § 3 II 3 a. Z.B. die Berücksichtigung des Erfüllungsortes, der Entfernung zwischen den Parteien, etc. Vgl. etwa für das Schweizer Recht VON THUR/ESCHER, § 73/III S. 149; BGE 103 II 102, c. 1b. 197
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Teil 3: Bewertung
Die vom italienischen Recht inspirierte Lösung des CE – „un termine ragionevole, e comunque non inferiore a quindici giorni“198 – ist aufgrund ihrer mangelnden Flexibilität im Einzelfall abzulehnen. bb. Ausnahmen von der Nachfristpflicht Die grundsätzliche Entscheidung für einen Vorrang des Erfüllungsanspruchs bedeutet nicht, dass dieser Vorrang keinen auch weitgehenden Ausnahmen unterzogen werden könnte, um eine sofortige Vertragsaufhebung zu ermöglichen. Über eine umgekehrte Regel-Ausnahme-Systematik kann ein den untersuchten einheitsrechtlichen Modellen vergleichbares Ergebnis erzielt werden, das auch unionsprivatrechtliche Vorgaben der RiL 1999/44/EG berücksichtigt. Dieser Idee folgt auch der CE, im Detail allerdings, wie gesehen, wenig geglückt. Von zentraler Bedeutung für die Leistungsverzögerung sind folgende Ausnahmen: Die Nachfristpflicht verliert bei Fixgeschäften ihren Sinn. In den nationalen Rechten wird hier meist eine spezielle Ausnahme normiert. In europäischen und internationalen Modellen werden die Fälle entweder in einem gesonderten Unterabsatz als Fälle bezeichnet, in welchen die genaue Einhaltung der Verpflichtung für den Vertrag entscheidend ist („strict compliance with the obligation is of the essence of the contract“, Art. 8:103 lit. a PECL)199 oder sie fallen unter obige Wesentlichkeitsdefinition (so Art. III.-3:502 Abs. 2 DCFR200 und Art. 87 Abs. 2 lit. a CESL). Der CE ist hier zu unpräzise. Während Art. 109 Abs. 2 CE das Fixgeschäft ausdrücklich anspricht und von der nach dem Vertrag als wesentlich bezeichneten Frist spricht, stellt Art. 114 Abs. 2 CE nur auf die Vereinbarung einer sofortigen Vertragsaufhebungsmöglichkeit ab. Die Nachfrist wird auch dort obsolet, wo der Gläubiger das Interesse an der Leistung verloren hat. Während die europäischen Modelle dies über die Wesentlichkeitsdefinition in Art. 8:103 lit. b PECL und Art. III.-3:502 Abs. 2 DCFR und der CE differenzierter in Art. 107 Abs. 1 und 2 lit. b, Art. 114 Abs. 1 CE lösen,201 ist dieser Fall in nationalen Rechten eine Ausnahme von der Nachfristpflicht. Hierbei sollten aber die Berücksichtigung der Schuldnerinteressen in Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e UPICC und die Entbehrlichkeit der
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Art. 114 Abs. 1 CE. Vgl. auch Art. 1454 Codice Civile, der selbst allerdings flexibler formuliert ist. Siehe bereits Teil 1, Kap. 4, § 3 II 2 a. 199 Vgl. auch 7.3.1 Abs. 2 lit. b UPICC. 200 Vgl. auch die Definition der „fundamental non performance“ in BAR/CLIVE/ SCHULTENÖLKE, Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference, Outline Edition, S. 554. 201 Der CE sieht den Interessefortfall auch dann als möglich an, wenn die Nichterfüllung nur teilweise vorliegt.
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Nachfrist nach den „beiderseitigen Interessen“ in § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB inspirierend wirken, die ein interessengerechteres Konzept ermöglichen.202 d. Einseitige Vertragsaufhebung Folgt man einem System mit genereller Nachfristpflicht und Ausnahmen, lässt sich zudem auch eine einseitige Vertragsaufhebung besser begründen. Die einseitige Vertragsaufhebung durch Gestaltungserklärung oder die automatische Vertragsaufhebung nach angemessener Nachfrist mit Ablehnungsandrohung sind in den untersuchten europäischen wie internationalen Modellen die Regel.203 Dies wird auf nationaler Ebene seit dem Reformprojekt Catala selbst von französischer Seite anerkannt, obwohl dort der größte Widerstand gegen ein Alternativmodell zur gerichtlichen Vertragsaufhebung herrschte, um die Gefahr eines Missbrauchs durch den Gläubiger zu vermeiden.204 Die geplante Reform des französischen Code civil lässt die Vertragsaufhebung in Art. 1158-2 jedenfalls optional auch durch Parteierklärung zu. Allerdings ist der französische Reformvorschlag ein aktuelles Beispiel dafür, dass diese Lösung mit einer durch den Gläubiger gesetzten Nachfrist einhergehen soll. In Art. 1158-2 des Reformvorschlags heißt es: „Quand il opte pour la résolution, le créancier peut soit la demander au juge, soit, de lui-même, mettre en demeure le débiteur défaillant de satisfaire à son engagement dans un délai raisonnable, à défaut de quoi il sera en droit de résoudre le contrat. Lorsque l’inexécution persiste, le créancier notifie au débiteur la résolution du contrat et les raisons qui la motivent. Celle-ci prend effet lors de la réception de la notification par l’autre partie.“ e. Alternativlösungen Eine bessere Alternative zur Lösung der PECL und des DCFR wäre im Lichte obiger Erörterungen eine an § 323 BGB angenäherte Lösung über ein Nachfristmodell mit Ausnahmen. Letztere sollten Fälle des Fixgeschäfts umfassen und einem angemessenen Interessenausgleich zwischen der Schwere der Vertragsverletzung und dem Leistungsinteresse des Schuldners Rechnung tragen, wie etwa § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Diese Regelung sollte dann mit einer § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB entsprechenden Regelung kombiniert werden, da 202
§ 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB wiederholt dies auch für den Schadensersatz statt der Leistung und schafft, anders als der teils so interpretierte Art. 9:506 PECL, parallele Voraussetzungen. 203 Art. 114 Abs. 1 CE, Art. 49 Abs. 1 CISG, Art. 7.3.2 UPICC, Art. 114 Abs. 1, Art. 115 Abs. 1 und Art. 118 CESL. 204 Dass dies in der Praxis wenig sinnvoll ist, zeigte bereits die Rechtsprechungspraxis der Cour de Cassation seit 1998, die im Fall schwerwiegenden Fehlverhaltens einer Partei einen Rücktritt durch einseitige Parteierklärung zuließ.
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Teil 3: Bewertung
Schlechtleistungen bei fehlender Schwere nach den PECL und dem DCFR nicht zur Vertragsaufhebung führen sollen. Zu überlegen wäre, ob diese dann von einer unwesentlichen statt einer unerheblichen Schlechtleistung sprechen sollte. Man käme zwar auch dann nicht ganz ohne den Begriff der Wesentlichkeit aus, die umgekehrte Regel-Ausnahme-Systematik gleicht aber die oben geäußerten Bedenken hinsichtlich des Begriffs etwas aus. Belässt man die derzeitige Lösung, wäre jedenfalls nach dem Modell der UPICC eine Regelung wie Art. 7.3.1 Abs. 2 lit. e in die Wesentlichkeitsdefinition aufzunehmen. 3. Minderung Die Generalisierung der Minderung als Rechtsbehelf des allgemeinen Leistungsstörungsrechts und ihre Anwendbarkeit auf den Fall der Annahme einer verzögerten Leistung ist sinnvoll und konsequent, wenn einem einheitlichen Nichterfüllungstatbestand gefolgt wird. Die Tatsache, dass Art. 50 CISG und Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 1999/ 44/EG wie auch Art. 120 CESL die Minderung speziell für den Kauf vorsehen, steht ihrer Verallgemeinerung nicht entgegen, da die genannten Regelwerke sachlich auf das Kaufrecht beschränkt sind. Das verallgemeinerbare Konzept der Richtlinie spricht im Gegenteil eher für die Minderung als allgemeinen Rechtsbehelf. Art. 9:401 PECL und Art. III.-3:601 DCFR unterscheiden sich in dieser Hinsicht allerdings nicht nur von den UPICC und vor allem dem Code Européen, der in Art. 113 die Minderung ausdrücklich nur bei Lieferung eines aliud, einer Teilleistung oder einer Schlechtleistung zulässt, sondern auch von den meisten nationalen Rechten. Inhaltlich kommt einem verallgemeinerten Rechtsbehelf der Minderung insofern eine besondere Bedeutung zu, als diese gem. Art. 8:101 Abs. 2 PECL und Art. III.-3:101 Abs. 2 DCFR auch geltend gemacht werden kann, wenn eine Nichterfüllung des Schuldners wegen force majeure entschuldigt ist. Dies gilt auch gem. Art. 106 Abs. 4 sowie gem. Art. 155 Abs. 1 lit. d CESL. Die Minderung übernimmt also eine bedeutende Ersatzfunktion anstelle eines wegen Entschuldigung nicht bestehenden Schadensersatzanspruchs. Dies gilt allerdings notwendigerweise nur dann, wenn zumindest eine Teilleistung – z.B. verspätet – erbringbar war, da es sonst an einer angenommenen Leistung mangelt. Freilich geht die vertragliche Haftung des Schuldners in diesem Fall sehr weit, da er trotz Entschuldigungsgrund mit zwar geringeren, aber doch mit wirtschaftlichen Folgen zu rechnen hat. Die Generalisierung ist aber auch aus ökonomischer Sicht eine gute Lösung, soweit sie dem Gläubiger, der einen Schaden nicht beweisen kann, eine Alternativmöglichkeit gibt, und dem Schuldner zugleich einen Teil seines Geschäftsgewinns belässt. Gerade im Fall der Verzögerung der Leistung stellt die Minderung den Gläubiger zudem
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auch nicht unbedingt schlechter als die Vertragsaufhebung und Schadensersatz, denn im letzteren Fall muss er überlegen, wie er die Leistung anderweitig organisiert oder einen eingetretenen Schaden nachweist. Möglicherweise stellt ihn auch die Minderung zufrieden. Sie erhält zudem den Vertrag und gibt, bei von überkommenen dogmatischen Untermauerungen losgelöster Betrachtung, eine im Grunde recht naheliegende Möglichkeit der Anpassung des Vertrages. So hat Estland dieses Konzept bereits in Art. 101 Abs. 1 Ziff. 5 estSRG als generellen Rechtsbehelf in sein allgemeines Vertragsrecht übernommen. Wie die PECL gewährt es in § 105 estSRG diesen Rechtsbehelf auch im Fall der Entschuldigung des Schuldners. 4. Schadensersatz Die Schadensersatzregelung von PECL, DCFR und nun auch CESL ist bis auf die bereits geschilderte Nachfristproblematik im Rahmen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung gelungen. Die strenge Haftung mit Enthaftung im Fall der force majeure und Beschränkung auf Vorhersehbarkeit des Schadens wurde bereits oben unter § 2 III 2 befürwortet, sofern für den Fall der Leistungsverzögerung die Leistungszeitregelung des Art. 7:102 Abs. 3 PECL entsprechend präzisiert wird und Fälle vermieden werden, in welchen ein Verzögerungsschadensersatzanspruch an eine unklare Leistungszeitregelung anknüpft, da hierdurch Rechtsunsicherheit entsteht. Problematisch bleibt allein der Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Hier sollte der Parallelismus zur Vertragsaufhebung ersichtlicher sein, als es in der derzeitigen Fassung über das Indiz in Art. 9:506 PECL, Art. III.-3:706 DCFR und in Art. 164 CESL der Fall ist. Eine mögliche Lösung wurde neben dem deutschen auch durch das estnische Recht aufgezeigt. Estland folgt in § 115 Abs. 2 und 3 estSRG dem deutschen Beispiel, in bewusster Abkehr von ihrem Vorbild, den PECL. Um eine ähnliche Regelung sollten auch die europäischen Regelwerke ergänzt werden: (2) Compensation for damage in lieu of performance may be required upon the expiry of the additional term provided for in § 114 of this Act. (3) Compensation for damage in lieu of performance may also be required without granting an additional term if it is evident that the grant of the additional term would not have any effect or, in the cases specified in clauses 116 (2) 1)–4) of this Act or under the circumstances, if immediate compensation for the damage is reasonable for any other reason.
Auch hinsichtlich der Art des Schadensersatzes könnte eine Änderung von Vorteil sein: Nationale Rechte sehen bei der Entscheidung zwischen Naturalherstellung oder Geldersatz teils flexible Lösungen vor. Dies kann von Vorteil für den Gläubiger sein, denn seine Interessen sind nicht immer mit Geld zu
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Teil 3: Bewertung
befriedigen. Die Principles fokussieren aber allein auf den Geldersatz. In Art. 7.4.11 UPICC („Damages are to be paid in a lump sum“) und Art. 2 lit. g des Verordnungsvorschlags zum CESL („a sum of money“)205 wird dies noch deutlicher als in den PECL und im DCFR. Dort geben nur Art. 9:502 PECL und Art. III.-3:702 DCFR einen Hinweis auf den Grundsatz des Geldersatzes, wenn es heißt „[…] den allgemeinen Maßstab für Schadensersatz bildet der Betrag, der die benachteiligte Partei so weit wie möglich in die Lage versetzt […]“. Auch das UN-Kaufrecht ist hierzu undeutlich, wobei nach h.M. eher der Grundsatz der Geldentschädigung gilt. Dies mag zwar für CISG wie auch CESL tolerabel sein, die sich auf internationale Kaufverträge beschränken, bei welchen ein Geldersatz ausreichend sein kann. Für die PECL und den DCFR als allgemeinem Vertragsrecht könnte jedoch die Alternativlösung der Naturalrestitution normiert werden.206 5. Zinsanspruch und Zinshöhe Die PECL regeln den Zahlungsverzug gesondert, enthalten allerdings wie erwähnt keine Vorschrift zur Zahlungszeit, weshalb diese in einem Art. 7:102 Abs. 4 PECL nach den Vorgaben der Zahlungsverzugsrichtlinie entsprechend ergänzt werden sollte. Im Ergebnis würde dies in leichter Abweichung zur Zahlungsverzugsrichtlinie zu einem Fälligkeitszins führen, wie dies ursprünglich von der Kommission vorgeschlagen worden war.207 Im CESL wurde aufgrund der Systematik des Regelwerks und seiner Einteilung in Rechte und Pflichten des Verkäufers und des Käufers eine eigene Regel zur Zahlungszeit in Art. 126 CESL aufgenommen. Deren Abstimmung mit Art. 167 Abs. 2 und Art. 168 Abs. 2 CESL scheint jedoch nicht ausgegoren. Der Zinsanspruch war ursprünglich ein Druckmittel, wurde später zur Sanktion und im ius commune vom Verschulden abhängig gemacht. In den meisten nationalen Rechten wurde er nie zu einer typischen Nichterfüllungssanktion, sondern behielt einen objektiven Charakter. Zudem erforderte er keinen Schadensnachweis. Hier wird allerdings vorgeschlagen, in Anlehnung an die Zahlungsverzugsrichtlinie und mit dem Ziel einer besseren Integration des Zinsanspruchs in die Nichterfüllungshaftung den allgemeinen Haftungsmaßstab auch auf den Zinsanspruch anzuwenden.208 Die Variabilität des Zinssatzes in Art. 9:508 PECL, Art. III.-3:708 DCFR, Art. 7.4.9 UPICC, die den Zins nach dem Durchschnittszinssatz der Geschäftsbanken für kurzfristige Kredite am Fälligkeitsort bestimmen,209 ist in 205
COM(2011) 635 final. Vgl. auch FLESSNER, in BASEDOW, Aufbruch nach Europa, S. 141 (149). 207 KOM(1998) 126 endg. 208 Vgl. oben unter III 4. 209 Vgl. PAHLKE, ERPL 2000, S. 689 (693). 206
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Anlehnung an die Zahlungsverzugsrichtlinie sowie aufgrund der Argumente zu begrüßen, die im nationalen Recht seit langem gegen einen unveränderlichen Zinssatz angeführt werden.210 Auch Art. 166 Abs. 2 und Art. 168 Abs. 5 CESL folgen diesem flexiblen Ansatz. Hinsichtlich der Zinshöhe macht es bei Unternehmergeschäften wenig Sinn, von den Vorgaben der Richtlinie 2000/35/EG (nun Richtlinie 2011/83/EU) abzuweichen, auch wenn die Regelung in Art. 9:508 PECL oder Art. III.-3:708 DCFR ebenfalls eine vernünftige Lösung darstellt. Da die Richtlinie allerdings ausdrücklich nur Unternehmensgeschäfte betrifft, ist eine geringere Zinshöhe für Verbrauchergeschäfte durchaus sinnvoll. Folgende Formulierung wird vorgeschlagen: Artikel 9:508: Zinsanspruch (1) Wird die Zahlung einer Geldsumme verzögert, so hat die benachteiligte Partei Anspruch auf Zinsen vom Zeitpunkt der Fälligkeit bis zum Zeitpunkt der Zahlung; Art. 8:108 findet Anwendung. (2) Der Zinssatz errechnet sich aus dem Zinssatz, der von der Europäischen Zentralbank auf ihre jüngste Hauptrefinanzierungsoperation, die vor dem ersten Kalendertag des betreffenden Halbjahres durchgeführt wurde, angewendet wurde, zuzüglich (a) 8 Prozentpunkten, sofern vertraglich nichts anderes bestimmt ist, wenn es sich um Verträge handelt, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist (b) 5 Prozentpunkten, sofern vertraglich nichts anderes bestimmt ist, wenn es sich um Verträge handelt, an denen ein Verbraucher beteiligt ist.
Darüber hinaus stehen weder das Unionsprivatrecht, noch einheitsrechtliche Modelle, noch nationale Rechte der Geltendmachung eines weitergehenden Schadens entgegen. Es sollte daher als Absatz 3 beibehalten werden: (3) Die durch die Verzögerung benachteiligte Partei kann zudem Schadenersatz für jeden 211 weiteren Verlust verlangen, soweit dieser nach diesem Abschnitt ersatzfähig ist.
210
Vgl. oben Teil 2, Kap. 7, § 3 I 2. Das CESL versucht in Art. 168 ff. CESL eine an die Zahlungsverzugsrichtlinie angenäherte Regelung, die jedoch im Verhältnis zu den Art. 166 ff. CESL systematisch wie inhaltlich mißglückt ist. 211
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Abschied vom Verzug im deutschen Recht? In matters that are obscure we always adopt the least difficult view (Ulpian, 50, 17, 9 Sab. 15).
§ 1 Verzug und Pflichtverletzung Dass die tatbestandliche Differenzierung zwischen der Pflichtverletzung in § 280 BGB und den „zusätzlichen“ Voraussetzungen des § 286 BGB zu Missverständnissen führen kann und muss, wurde bereits dargelegt und zeigt sich insbesondere anhand einer Diskussion, die über die Figur einer Schuldnerhaftung wegen „Verzugs vor dem Verzug“ geführt wird. Es wird zu Recht die Frage aufgeworfen, ob ein Schuldner, der noch nicht in Verzug ist, weil noch keine Mahnung erfolgt ist, gleichwohl nach § 280 haftbar gemacht werden kann, indem man in seiner Nichtleistung bei Fälligkeit eine Pflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1 BGB sieht.1 Im Ergebnis neigt man dazu, diese Frage zu verneinen. § 286 BGB sei als lex specialis zu § 280 BGB auszulegen. Es sei gerade keine zeitliche Vorverlagerung der Schuldnerhaftung gewollt. Eine Nichtleistung trotz Fälligkeit ohne Mahnung soll also noch keine Pflichtverletzung sein, eine Nichtleistung zum vereinbarten Leistungszeitpunkt hingegen schon. Auch hierfür kommt man aber nicht mit § 280 BGB aus, sondern hat § 286 BGB heranzuziehen. Weiter stellt sich ein ähnliches Problem bei der Frage der Verantwortlichkeit: Ein Verschuldenserfordernis folgt sowohl aus § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB als auch aus § 286 Abs. 4 BGB. Dass deswegen zwei Verschuldensprüfungen zu unterscheiden wären, nämlich diejenige für den eigentlichen Verzug nach § 286 Abs. 4 BGB und die für die Haftung wegen Nichtleistung bei Fälligkeit nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB, sei aber wiederum eine falsche Schlussfolgerung, da dies zu systematischen Brüchen führe.2
1
Vgl. zur Diskussion HABERZETTL, S. 71 ff.; GRUNDMANN, AcP 204 (2004), S. 569 (590 ff.); HUBER, Leistungsstörungen I, S. 455; WILHELM, ZRP 1986, S. 62; CARL, Voraussetzungen des Schuldnerverzugs. 2 Vgl. kritisch insb. KOHLER, JZ 2004, S. 961 ff.; LORENZ, Karlsruher Forum, 2006, S. 47 f.
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Vermag man die Systematik der § 280 Abs. 1, 2, 286 BGB noch mit viel gutem Willen zu erklären, führt sie doch fast zwangsläufig zu Missverständnissen und gesetzessystematischen Brüchen. Dies muss zumindest Anlass zu der Frage geben, warum das deutsche Recht keine einfachere Lösung zur Einbettung der Leistungsverzögerungsproblematik in die Pflichtverletzungssystematik finden konnte. Wie bereits in der vergleichenden Betrachtung nationaler Rechte und den Vorschlägen zur Ergänzung einheitsrechtlicher Modelle erkennbar, hat § 286 BGB in seinem sachlichen Gehalt aus Schuldnerschutzzwecken und zugunsten einer größeren Rechtssicherheit durchaus eine Berechtigung. Allerdings stellt das deutsche Verzugsrecht im Gegensatz zu anderen nationalen Rechten und PECL, DCFR oder CESL eine sehr ausführliche Regelung dar, die teils auf einer schiefen Interpretation des römischen Rechts beruht, teils Anspruchsvoraussetzungen enthält, die sich bereits aus anderen Normen ergeben3 und die dem intendierten Ziel der Schaffung eines Einheitstatbestands nach internationalem Modell zuwiderläuft. Dies zeigt sich vor allem am Beispiel des § 280 Abs. 1 und Abs. 2: Der Begriff der Pflichtverletzung umfasst Leistungs-, Nebenleistungs- und Verhaltenspflichten, greift also wie der Nichterfüllungsbegriff in Art. 1:301 Abs. 4 PECL weit. Ist auch die Einhaltung der Leistungszeit eine Vertragspflicht, ist eine nicht rechtzeitige Leistung, d.h. das bloße Verstreichen der Leistungszeit, bereits eine Pflichtverletzung.4 Verzögerungsschadensersatz, die eigentlich bedeutende Rechtsfolge bei Verzögerung der Leistung, kann der Gläubiger jedoch erst und „nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286“ verlangen. Logischerweise müsste dem Gläubiger wegen der leistungszeitüberschreitenden Pflichtverletzung des Schuldners sofort Schadensersatz zu gewähren sein, sobald eine Verzögerung festgestellt werden kann. Eine verzögerungsbedingte Pflichtverletzung über § 280 Abs. 2 BGB ausnahmsweise „vorerst für irrelevant“ zu erklären, ist aber nur dann sinnvoll, wenn die Leistungszeitregelung so unklar ist, dass der Schuldner über zusätzliche Normen vor einer vorschnellen Haftung geschützt werden muss. Bislang übernimmt die Rolle der Eröffnung des Rechtsbehelfskatalogs im Grundsatz nach § 286 Abs. 1 BGB die Mahnung. Im Vergleich zum holländischen Recht wurde zum BGB jedoch zu Recht geäußert: „There is one layer extra […] in short: The Dutch code sets forth the unitary concept of non-performance with more rigor than the BGB.“5
3
Dies gilt insbesondere für § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Vergleich zu § 271 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die Leistungszeitvereinbarung und für § 286 Abs. 4 BGB im Hinblick auf § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB im Rahmen des Verzögerungsschadensersatzes. 4 Vgl. auch Palandt/HEINRICHS, § 280 Rn. 12. 5 SMITS, in REMIEN, Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, 2008, S. 117 (123).
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Teil 3: Bewertung
Zu lösen bleibt daher die Frage, inwieweit man die derzeitige Verzugsregelung des BGB nicht kohärenter in ein einheitliches System der Pflichtverletzung eingliedern kann. Hierbei muss jedoch Beachtung finden, dass § 286 BGB aufgrund seiner systematischen Stellung in Abschnitt 1, Titel 1 des Schuldrechts nicht nur auf vertragliche Rechtsverhältnisse anwendbar ist, sondern für das gesamte Schuldrecht gilt. Die Anwendbarkeit der Verzugsregeln außerhalb des engeren Bereichs des Vertragsrechts darf nicht abgeschnitten werden, wenngleich die vertraglichen Schuldverhältnisse der Hauptanwendungsbereich des Verzugsrechts sind. Im Unterschied zu anderen nationalen Rechten wie etwa zum schweizerischen Recht, das zwischen der demeure simple und qualifiée6 unterscheidet, d.h. zwischen Rechtsfolgen des Verzugs, die über synallagmatische Vertragsverhältnisse hinaus eingreifen und solchen, die allein an verzögerungsbedingte Störungen gegenseitiger Verträge anknüpfen, würde ein eventueller Ersatz der Verzugsvorschriften durch die derzeitige Struktur des deutschen Rechts sogar begünstigt: Gerade weil der Verzug als solcher im deutschen Recht nicht in das Haftungskonzept wegen „Nichterfüllung“ in den §§ 323, 281 BGB integriert ist7, sondern Rechtbehelfe „neben“ der (noch zu erbringenden, weiterhin erwarteten) Leistung eröffnet, ist bei der Frage nach der Entbehrlichkeit der Verzugsvorschriften entscheidend, inwieweit die § 280 Abs. 2, §§ 286 f. und § 288 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 2 und 3 i.V.m § 286 BGB sowie § 288 Abs. 4 BGB (Verzugstatbestand und spezifische Verzugsfolgen), die im schweizerischen Recht als demeure simple zu qualifizieren sind, durch eine andere Regelung ersetzbar wären. Nichterfüllungsfolgen bleiben hiervon weitgehend unangetastet. Konkret geht es dabei um den Moment, ab welchem eine rechtsrelevante Verzögerung vorliegt, die Rolle der Mahnung, die Frage des Verschuldens beim Verzug sowie die Verzugsfolgen, d.h. die Zufallshaftung, den Verzögerungsschadensersatz und den Ersatz von Zinsschäden.
§ 2 Leistungszeitregelung Will man die Rechtsrelevanz der Verzögerung der Leistung am Begriff der Leistungszeit festmachen,8 in der Leistungszeitüberschreitung eine Pflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB sehen und unter Verzicht auf einen Verzugstatbestand hieran verzögerungsbedingte Rechtsfolgen knüpfen, erfor6
Vgl. oben unter Teil 2, Kap. 7, § 1 II. Im Unterschied zu Art. 107 Abs. 2 OR. 8 Beispiele für die Anknüpfung von Rechtsfolgen an die Fälligkeit gibt es auch im nationalen Recht, wie etwa in § 1334 ABGB. 7
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dert dies eine sehr präzise Fälligkeitsregelung, wie bereits die Kritik an Art. 7:102 Abs. 3 PECL und Art. III.-2:102 Abs. 1 DCFR zeigte. Die Fälligkeit umschriebe dann den Moment, an welchem der Schuldner zu leisten hat, ohne sich dem Vorwurf einer Pflichtverletzung auszusetzen.9 Es wären daher Rechtsfolgen der Leistungsverzögerung an das Überschreiten der Leistungszeit zu knüpfen und die weiteren verzugsauslösenden Momente in die Leistungszeitregelung aufzunehmen. Den Sinn dieser Lösung belegt bereits die Parallelität von § 286 Abs. 2 Nr. 1 und § 271 Abs. 1 1. Alt. BGB. Beide Normen beziehen sich u.a. auf die Leistungszeitvereinbarung, die nicht nur den Moment der Fälligkeit fixiert,10 sondern bei Verstreichenlassen des vereinbarten Zeitpunkts zugleich rechtsfolgenauslösend wirkt. § 271 BGB müsste daher nur konkretisiert werden und die Vorgaben des § 286 Abs. 1 und 2 BGB aufnehmen, um im Fall des Überschreitens der Leistungszeit die nötige Rechtssicherheit bei der Auslösung von Rechtsfolgen zu schaffen. Anders als in Art. 7:102 Abs. 3 PECL gilt nach deutschem Recht bei fehlender Bestimmung oder kalendermäßiger Bestimmbarkeit der Leistungszeit eine sofortige Leistungspflicht, sofern sich nicht aus den Umständen des Falles ein anderes ergibt. Wenn § 271 Abs. 1 BGB trotz des „Grundsatzes“ der sofortigen Fälligkeit eine Abwägung des Falles „nach seinen Umständen“ erlaubt, impliziert die Regel ohnehin eine abwägende Betrachtung des Falles. Zudem spricht man zwar in der Regel vom „Grundsatz der sofortigen Leistungspflicht“, an sich handelt es sich nach dem Gesetzeswortlaut jedoch um eine subsidiäre Regel.11 Die sofortige Leistungszeit ist damit nichts anderes als ein Sonderfall der angemessenen Leistungszeit, nämlich der Fall, in welchem der aktuelle Moment der einzig angemessene zur Leistung ist. Der Leistungszeitermittlung nach § 271 Abs. 1 BGB wohnt also bereits eine Abwägungsentscheidung inne. Die Fälle des § 271 Abs. 1 BGB lassen sich daher wie in Art. 7:102 Abs. 3 PECL unter dem Begriff der „angemessenen Leistungszeit“ zusammenfassen. Auch der in § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB geregelte Fall der verzugs- und damit rechtsfolgenauslösenden „bestimmbaren“ Leistungszeit kann seinen Platz in Anlehnung an Art. 7:102 Abs. 1 und 2 PECL auch in § 271 BGB finden.12 Im 9
Vgl. hierzu auch BGH, X-ZR 157/05, 12.7.2006, NJW 2006, 3271 f. Dies kann gem. § 315 Abs. 1 BGB auch in Form eines einseitigen Bestimmungsrechts hinsichtlich der Leistungszeit geschehen, allerdings unter dem Vorbehalt des § 315 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Hs. 1 BGB, wonach die Bestimmung durch eine Partei der Billigkeit entsprechen muss. Die Leistungszeitbestimmung durch eine Partei ist dem Kriterium der Angemessenheit verpflichtet. Dieses Kriterium findet sich in § 271 BGB wie in § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB wieder. Vgl. zur jüngeren Rechtsprechung des BGH zur einseitigen Leistungszeitbestimmung gem. § 315 BGB die Urteile X ZR 87/04, 15.2.2005, NJW 2005, 1772 und X ZR 157/05, 12.7.2006, NJW 2006, 3271. 11 SCHLECHTRIEM/SCHMIDT-KESSEL, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Rn. 210. 12 Palandt/HEINRICHS, § 271 Rn. 2 ff. 10
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Einzelnen setzt er voraus, dass ein Ereignis vorliegt, an das sich eine angemessene, nach dem Kalender berechenbare Leistungszeitspanne anknüpft. Wie § 271 BGB nimmt § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB bereits ausdrücklich auf den Begriff der Angemessenheit Bezug. Im Rahmen des heutigen § 271 Abs. 1 BGB wird der Fall unter die Alternative der Ermittlung der Leistungszeit anhand der Umstände des Falles zu subsumieren sein. Dies könnte aber wie in Art. 7:102 Abs. 3 PECL in § 271 BGB deutlicher gemacht werden. Der Rahmen der Leistungszeitregelung könnte aufgrund obiger Überlegungen neu gesteckt und die Formulierung des § 271 Abs. 1 BGB modifiziert werden: Grundfall ist die Leistungszeitvereinbarung. Dies wird der Vertragspraxis, dem Gedanken der Leistungszeit als Teil der Leistungspflicht und der Tatsache gerecht, dass die Leistungszeitvereinbarung zentrales Element nationaler wie europäischer Leistungszeitregelungen ist.13 Als Modell sollten Art. 7:102 Abs. 1 und 2 PECL und Art. III.-2:102 DCFR dienen, die auf die „aufgrund des Vertrages bestimmbare Leistungszeit“ und den „Leistungszeitraum“ Bezug nehmen. Präzisierend sollte jedoch der Gedanke des § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB hinzugefügt werden. Als Auffangnorm könnte schließlich die heutige Formel der „sofortigen“ Leistungspflicht durch die Formel der nach den Umständen des Falles „angemessenen“ Leistungszeit ersetzt werden. Die Notwendigkeit der größtmöglichen Präzision der angemessenen Leistungszeit als Anknüpfungspunkt von Rechtsfolgen führt allerdings zu weiteren Überlegungen dazu, wie diese zu konkretisieren ist: Auch die Mahnung gem. § 286 Abs. 1 BGB dient, wie gesehen,14 der Konkretisierung der Leistungszeit. Dies ist auch in der deutschen Rechtsprechung anerkannt: „Die Mahnung kann mit der Erklärung verbunden werden, welche die Fälligkeit erst herbeiführt.“15 Sinnvoll scheint es daher, die Mahnung in die Leistungszeitregelung zu integrieren.16 Faktisch bewirkt schließlich erst die Mahnung, dass die Leistung nun sofort zu erbringen ist. Da Rechtsfolgen erst mit deren Zugang eintreten, können Fälligkeit und Mahnungszugang, wie dies teils in nationalen Rechten praktiziert wird, auch zusammenfallen.17 Um aber zugleich die Flexibilität des § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB und des Begriffs der Angemessenheit zu erhalten, scheint die in Anlehnung an das römische Recht zu den PECL vorgeschlagene Formulierung geeignet:
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Vgl. Teil 2, Kap. 7, § 2 II 1 und Teil 1, Kap. 3, § 2 I 1 a. Vgl. Teil 2, Kap.7, § 2 III. 15 RGZ 50, 255, 261; BGH WM 1970, 1141; BGH NJW 2006, 3271; BGH NJW 2005, 1772, zuletzt BGH NJW 2008, 50. 16 Vgl. oben § 2 II 2. 17 Vgl. Teil 2, Kap 7, § 2 II 3. 14
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… in allen anderen Fällen nach Ablauf einer angemessenen Leistungsfrist nach Vertragsschluss, wenn der Schuldner hinreichenden Grund zur Kenntnis der Leistungszeit hatte. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Schuldner gemahnt wurde.
Diese Lösung vereint zugleich den Fall des § 286 Abs. 1 BGB und des § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB, lässt aber noch die notwendige Flexibilität, um bei sofortiger oder besonders dringlicher Leistung und selbst im Fall des fur semper in mora eine Mahnung entbehrlich werden zu lassen.18 Die Regelung des § 286 Abs. 3 BGB zu Geldschulden könnte in leicht modifizierter Form ebenfalls in die Leistungszeitregelung aufgenommen werden. Derzeit setzt sie die Fälligkeit voraus, indem es heißt: „wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung […] leistet“. In eine geänderte Fälligkeitsbestimmung integriert könnte die Norm wie folgt lauten: Eine Geldleistung ist spätestens 30 Tage nach Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung zu erbringen; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn er hierauf in der Rechnung oder Zahlungsaufforderung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, ist die Geldleistung spätestens 30 Tage nach Empfang der Gegenleistung zu erbringen.
Dem steht nicht entgegen, dass der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2000/35/EG in Abweichung vom ersten Richtlinienvorschlag nicht auf die Fälligkeit Bezug nimmt,19 und sich nicht als Regelung eines Fälligkeits-, sondern eines Verzugszinses versteht. Denn die 30-Tages-Frist der Richtlinie regelt, wie bereits erörtert,20 zugleich einen spätestmöglichen Fälligkeitstermin.21
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Zu § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB siehe sogleich. Der Fall steht weniger im Zusammenhang mit der Leistungszeit als mit dem Begriff der Pflichtverletzung. 19 Vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a des Vorschlags KOM(1998) 126 endg.: Der Fälligkeitstermin für die Forderungen darf 21 Tage ab Rechnungsdatum nicht überschreiten, sofern nach dem Vertrag oder den allgemeinen Geschäftsbedingungen nichts anderes bestimmt ist. 20 Vgl. oben § 2 II 3. Siehe auch LEIBLE, in SCHULTE-NÖLKE/SCHULZE, Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht, S. 151 (157); SCHMIDT-KESSEL, NJW 2001, S. 97 (99). 21 Zudem ist im Lichte dessen ohnehin nicht ganz unproblematisch, dass die 30-Tage-Frist in § 286 Abs. 3 BGB nicht nur 30 Tage nach dem Zeitpunkt des Eingangs der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung (Art. 3 Abs. 1 lit. b i) RiL 2000/ 35/EG) zu laufen beginnt, sondern gem. § 286 Abs. 3 BGB erst nach deren Zugang und nach Fälligkeit. Dies belässt die theoretische Möglichkeit, dass die Fälligkeit der Entgeltforderung erst nach Leistung und Rechnungsstellung durch den Sachleistungsschuldner eintritt, was dem Sinn der Richtlinie zuwiderliefe. Auch diese Problematik erübrigt sich, wenn die Frist ausdrücklich zugleich den Fälligkeitsmoment fixiert; SCHMIDT-KESSEL, NJW 2001, S. 97 (99).
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§ 3 Erfüllungsverweigerung Der oben genannte Ansatz ermöglicht es zwar, die verzugsauslösenden Momente weitgehend in eine Leistungszeitregelung zu integrieren. Anders ist dies jedoch im Fall des § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Diese Norm reflektiert an sich kein Problem der Leistungszeit, da sie auch vor Fälligkeit eingreifen kann. Tatsächlich begeht der Schuldner, der die Leistung für die Zukunft endgültig und unberechtigt verweigert, völlig unabhängig von der Frage der Leistungszeit stets einen Vertragsbruch. § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB zeigt dies – allerdings für den Zeitraum nach Fälligkeit –, indem er den Verzug ohne Mahnung eintreten lässt. Den Fall der Erfüllungsverweigerung im Verzugsrecht zu verankern, ist jedoch nicht zwingend.22 Dass er kein typisches Problem der Verzögerung der Leistung ist, zeigt auch § 323 Abs. 4 BGB, der in Anlehnung an Art. 72 CISG im Fall des anticipatory breach auch vor Fälligkeit einen Rücktritt vom Vertrag erlaubt.23 Zwar fehlt in § 281 BGB eine § 323 Abs. 4 BGB entsprechende Vorschrift, die ein Schadensersatzverlangen auch bei Leistungsverweigerung vor Fälligkeit erlaubt, jedoch muss auch hier der Fall der Erfüllungsverweigerung entweder unter § 281 BGB analog oder unter § 241 Abs. 2, § 282 BGB (Verletzung einer Leistungstreuepflicht) subsumiert werden können.24 Ansonsten greift in diesen Fällen auch § 280 Abs. 1 BGB ein, da die Erfüllungsverweigerung eine Pflichtverletzung darstellt. Die Erfüllungsverweigerung könnte also nach den allgemeinen Regeln und ohne eine verzugsspezifische Lösung beurteilt werden.
§ 4 Verschulden Die Probleme, die die derzeitige Verschuldensregelung in § 280 Abs. 1 Satz 2 und § 286 Abs. 4 BGB stellt, wurden einleitend bereits genannt. Wie auch immer man diese Duplizität zwischen der allgemeinen Einwendungsnorm des
22
Siehe BGH 2, 312; 49, 60; 65, 377; BGH NJW 2005, 1650; vgl. auch Palandt/HEINRICHS, § 286 Rn. 24, § 281 Rn. 14 und § 323 Rn. 18: Die Regelung „kodifiziert einen schon bisher geltenden ungeschriebenen Rechtsgrundsatz“. 23 Vgl. zur Abgrenzung MOSSLER, ZIP 2002, S. 1831 ff. 24 In der Praxis bereitet das Fehlen einer § 323 Abs. 4 BGB entsprechenden Vorschrift in § 281 BGB und das Nebeneinander von § 281 und § 282 BGB Schwierigkeiten, vgl. hierzu DAUNER-LIEB, Anw-Komm., § 281 Rn. 21.
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§ 280 Abs. 1 Satz 2 und § 286 Abs. 4 BGB25 in der Rechtsanwendung aufzulösen vermag, sie erscheint unnötig: § 286 Abs. 4 BGB beruht, wie bereits mehrfach angeklungen, auf einer Fehlinterpretation des römischen Rechts. Seine Notwendigkeit im modernisierten BGB wird insbesondere mit der Verschuldensabhängigkeit der klassischen Verzugsfolge des Zinsanspruches begründet, den der Gesetzgeber dem Regime des vermuteten Verschuldens unterstellen wollte.26 Auch die Verweisungstechnik des § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB scheint ein Grund für die Existenz des § 286 Abs. 4 BGB zu sein.27 Zugleich erkennt der Gesetzgeber ausdrücklich an, dass sich die Regelung des Verschuldens beim Verzugsschadensersatz bereits in § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB findet.28 Das geltende Recht wird daher teils scharf kritisiert und zu § 286 Abs. 4 BGB geäußert, die Regelung sei „kein Ruhmesblatt des neuen Schuldrechts“29 und im Hinblick auf § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB überflüssig.30 Die Lehre stellt berechtigterweise die Frage, ob § 280 Abs. 1 in Gänze, also einschließlich des Einwands in § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, vor dem über § 280 Abs. 2 BGB anwendbaren § 286 BGB zu prüfen ist, oder ob nur § 280 Abs. 1 Satz 1 und § 286 über § 280 Abs. 2 BGB zu Tatbestandsmerkmalen der Haftungsnorm des Verzugsschadensersatz werden. Ersteres schiene im Hinblick auf den Charakter des § 286 Abs. 4 BGB als Einwendungsnorm seltsam, außer man wollte die Verweisung in § 280 Abs. 2 BGB auf § 286 Abs. 1 bis 3 BGB beschränken, oder man argumentierte mit dem lex specialis-Charakter des § 286 Abs. 4 BGB, bei dem der Bezugspunkt das Verschuldens ein anderer sei: zwar ginge es in § 280 Abs. 1 Satz 1 wie § 286 Abs. 4 um das Vertretenmüssen des Unterbleibens der Leistung, allerdings müssten in letzterem Fall alle Voraussetzungen des Verzugs vorliegen, was den Zeitpunkt konkretisiere, zu welchem der Schuldner den Entlastungsbeweis zu führen habe.31 Bei fehlendem Vertretenmüssen läge bereits kein Verzug vor und damit bestehe über § 280 Abs. 2 BGB auch kein Anspruch auf Schadensersatz.32 Allerdings hieße dies, dass über § 280 Abs. 2 BGB nicht, wie dieser 25
§ 280 Abs. 1 Satz 2 wie § 286 Abs. 4 BGB sind als Einwendungsnormen konzipiert mit der Folge der Beweispflicht des Schuldners für fehlendes Verschulden, Palandt/ HEINRICHS, § 280 Rn. 34. 26 So ausdrücklich die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/6040, S. 148. 27 BT-Drs. 14/6040, S. 148. 28 BT-Drs. 14/6040, S. 148. 29 HIRSCH, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 451. 30 LOOSCHELDERS, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Rn. 583; SCHLECHTRIEM/SCHMIDTKESSEL, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Rn. 673; BROX/WALKER, Allgemeines Schuldrecht, § 23 Rn. 29. 31 Hierzu ausführlich KOHLER, JZ 2004, S. 961 (962 f.); Palandt/HEINRICHS, § 286 Rn. 39. 32 Ein von KOHLER, JZ 2004, S. 961 ff. angeführter Beispielsfall illustriert, dass die Berufung auf die eine oder andere Entlastungsnorm zu anderen Ergebnissen führen kann: Ein
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ankündigt, zusätzliche Haftungsvoraussetzungen geschaffen werden, sondern andere.33 Verzichtet man hingegen auf einen Verzugstatbestand und löst man die Problematik der Verzögerung der Leistung über eine Neuregelung der Leistungszeit, kann im Hinblick auf den Schadensersatzanspruch eine Lösung über § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB gefunden werden und so der Idee des Einheitstatbestands besser entsprochen werden.34 Dies gilt auch im Hinblick auf den Zinsanspruch, der ebenfalls auf § 280 Abs. 1 Satz 2 Bezug nehmen kann.35 Im Übrigen würde dies zugleich Folgeprobleme lösen. Es gibt Fälle, in welchen die Dopplung in § 280 Abs. 1 Satz 2 und § 286 Abs. 4 BGB nicht nur methodisch und praktisch verfehlt scheint, sondern tatsächlich auch systematische Schwierigkeiten bereitet, nämlich dann, wenn das Gesetz zwar Ausnahmen von § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, nicht aber zugleich von § 286 Abs. 4 BGB vorsieht. Ein Beispiel ist § 619a BGB, der dem Arbeitgeber den Verschuldensnachweis für die Pflichtverletzungen seines Arbeitnehmers auferlegt. Teils wird vertreten, der Ausschluss der Verschuldensvermutung müsse zugleich auch für § 286 Abs. 4 BGB gelten,36, nach einer anderen Ansicht soll dies jedoch nicht der Fall sein. 37 Der Verzicht auf doppelte Erfordernisse hätte also nur Vorteile.
§ 5 Zufallshaftung Auch in einem System ohne Verzugstatbestand ist es möglich, den Regelungsgehalt des § 287 BGB aufzunehmen. Die Norm kann als eine Modifikation des vertraglichen Haftungsmaßstabs verstanden werden, die ihren Platz in § 276 BGB finden kann. Auch hierfür gibt es Beispiele in der natio-
Einzelhändler liefert die geschuldete Gattungsware entgegen der Gebote der verkehrserforderlichen Sorgfalt nicht bei Fälligkeit. Die Mahnung und mit ihr der Verzug stehen zu diesem Zeitpunkt noch aus. Im Moment in welchem die Mahnung dem Verkäufer zugeht, verzögert sich die Leistung noch immer, allerdings nun wegen vorübergehenden überschwemmungsbedingten Verkehrsstörungen. Eine Ersatzbeschaffung der Ware ist dem Verkäufer kurzfristig nicht möglich. 33 Der Bezug des Vertretenmüssens ist nämlich im Fall des Verzugs ein anderer und er muss für alle Verzugsfolgen ein einheitlicher sein. Siehe KOHLER, JZ 2004, S. 961 (963). 34 Bereits aus den Gesetzesmaterialien lässt sich ableiten, dass § 286 Abs. 4 BGB im Rahmen des Schadensersatzes entbehrlich ist, weil es § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB gibt. Dies wird selbst seitens der Verfechter des § 286 Abs. 4 BGB anerkannt, siehe KOHLER, JZ 2004, S. 961 (963). 35 Hierzu sogleich unten, § 6. 36 PALANDT/PUTZO, § 619a Rn. 3. 37 Müko/HENSSLER, § 619a BGB Rn. 24.
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nalen Rechtspraxis.38 Statt des § 287 BGB könnte daher folgende Regelung in § 276 BGB als Abs. 2 aufgenommen werden: 39
Ist die Leistungszeit verstrichen, hat der Schuldner jede Fahrlässigkeit zu vertreten. Er haftet wegen der Leistung auch für Zufall, es sei denn, dass der Schaden auch bei rechtzeitiger 40 Leistung eingetreten sein würde.
§ 6 Zinsanspruch Der Zinsanspruch kann ebenfalls an die Leistungszeitregelung anknüpfen. Durch eine präzise Leistungszeitregelung und die Verankerung der umgesetzten Zahlungsverzugsrichtlinie in einem umformulierten § 271 BGB41 könnte der Zins als Fälligkeitszins ausgestaltet werden, gleichwohl aber weiterhin ermöglicht werden, dass der Geldschuldner spätestens 30 Tage nach Rechungseingang oder den anderen genannten Ereignissen zinspflichtig wird oder dass durch vorherige Mahnung die Geldschuld fällig gestellt werden kann. Um die Unterwerfung unter das Haftungsregime des § 280 Abs. 1 BGB zu sichern, kann der Zinsanspruch deutlich als (pauschalierter) Schadensersatzanspruch deklariert werden, wie dies im französischen oder italienischen Recht der Fall ist.42 Diese Qualifizierung zeichnet sich ohnehin durch die Formulierung des § 288 Abs. 4 BGB ab, nach welchem die Geltendmachung eines weiteren Schadens nicht ausgeschlossen ist. Will man den Zinsanspruch der allgemeinen Vertragshaftung unterwerfen, kann er so ausgestaltet werden, dass sich das Erfordernis des vermuteten Verschuldens eindeutig aus einer Verweisung auf § 280 BGB ergibt. Es muss allerdings klargestellt werden, dass es sich um einen (pauschalierten) Schadensersatzanspruch handelt, bei dem der Schadensnachweis entfällt. Eine Regelung eines auf § 280 Abs. 1 Satz 1 und 2 gestützten Zinsanspruchs könnte daher wie folgt lauten: (1) Wegen Verzögerung der Erfüllung einer Zahlungspflicht kann der Gläubiger Zinsen in gesetzlicher Höhe verlangen, ohne einen Schaden nachzuweisen. § 280 Abs. 1 Satz 2 findet Anwendung. (2) Der Zinssatz für Entgeltforderungen beträgt jährlich fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen acht Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. 38
Siehe Teil 2, Kap. 7, § 3 I 1. Die praktische Bedeutung von Satz 1 beschänkt sich auf Nebenpflichten, denn wegen der Leistung haftet der Schuldner sogar für zufällige Leistungshindernisse. 40 Diesem Modell folgen, wie oben in Kap. 8 und in Teil 2, Kap. 7 beschrieben, bereits andere nationale Rechte (z.B. Tschechien und – als außereuropäisches Beispiel – China). 41 Wie oben unter § 2 vorgeschlagen. 42 Art. 1153 Abs. 1 CC und Art. 1224 Abs. 1 Satz 1 italCC. 39
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(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen. (4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.
Problematisch ist allerdings der Haftungsmaßstab des BGB. Dass der Zinsanspruch verschuldensabhängig ausgestaltet sein muss, ist weder im internationalen Vergleich zwingend, noch lässt sich dies aus Art. 3 Abs. 1 lit. c ii) RiL 2000/35/EG (nun RiL 2011/7/EU) herleiten, da die Regelung richtigerweise keine Entlastung wegen fehlenden Verschuldens vorsieht, sondern die Formulierung eher für eine strenge Haftung mit Entlastungsmöglichkeit im Fall der force majeure spricht.43 Sieht man in der Richtlinie sogar einen Hinweis auf eine bewusste Entscheidung des Richtliniengebers zugunsten einer strengen Haftung, ist sie im heutigen deutschen Recht durch die Kopplung des Zinsanspruchs an den Verzugstatbestand jedenfalls für Unternehmensgeschäfte nicht richtig umgesetzt. Sie wäre dies auch im hier vorgeschlagenen System nicht, weil das deutsche Recht einen anderen Haftungsmaßstab zugrundelegt.44 Die kohärenteste Lösung böte daher eine Anpassung des Haftungsmaßstabs in § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB an PECL, DCFR und CISG, zumal die Unterschiede zwischen einer strengen Haftung mit Entlastungsmöglichkeit im Fall der force majeure und einer Haftung wegen vermutetem Verschulden mehr und mehr verwischen45 und § 311a Abs. 2 BGB eine solche Haftung bereits im allgemeinen Schuldrecht des BGB verankert.46
§ 7 Rücktritt und Schadensersatz wegen Nichterfüllung Die weiteren Folgen des Verzugs bei gegenseitigen Verträgen, namentlich Schadensersatz statt der Leistung und Rücktritt, würden von einer Abschaffung des § 286 BGB unberührt bleiben, weil sie sich nicht auf den Verzug als Tatbestandsvoraussetzung stützen. Insoweit wären keine Änderungen vorzunehmen.47 Die Nachfrist könnte jedoch die Mahnung ersetzen, die zur Konkre-
43
So unter Berufung auf die Haftung im UN-Kaufrecht und Art. 79 CISG: SCHULTEBRAUCKS/ONGENA, ERPL 4 (2003), S. 519 (530); SCHULTE-BRAUCKS, NJW 2001, S. 103 (106); SCHMIDT-KESSEL, NJW 2001, S. 97 (99), insb. Fn 23. 44 Um korrekt zu sein, müsste man bereits in § 288 Abs. 1 zwischen Unternehmens- und Verbrauchergeschäften trennen und in § 288 Abs. 1 BGB klarstellen, dass § 280 Abs. 1 Satz 2 nur Anwendung findet, wenn es sich um Geschäfte handelt, an denen ein Verbraucher beteiligt ist. Allerdings ließe diese Lösung keine Enthaftungsmöglichkeit bei Unternehmensgeschäften zu. 45 Vgl. oben Kap. 8, § 2 III 2. 46 Vgl. Teil 2, Kap. 7, § 3 II 1. 47 Allerdings könnte § 283 BGB in 281 Abs. 2 BGB aufgehen, um die Verschiebung der Leistungsstörungskategorien auf die Rechtsfolgenebene, die das BGB n.F. trotz seiner Ent-
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tisierung einer nicht vertraglich näher bestimmten angemessenen Leistungszeit nach wie vor eine Rolle spielen würde.
scheidung für einen Einheitstatbestand nicht vermieden hat, abzumildern. Vgl. die Kritik in Teil 2, Kap. 7, § 3 II 5 a.
Fazit Aus obigen Erwägungen folgt, dass die Wertungsentscheidungen, die der Regelung des Leistungsverzugs im deutschen Recht innewohnen, der derzeitigen Lösung von PECL und DCFR überlegen sind. Im Interesse einer konsequent auf einem Einheitstatbestand beruhenden Haftung sollte der deutsche Verzugstatbestand gleichwohl durch eine schlüssigere Regelungstechnik ersetzt werden. An der Bewertung in Kapitel 1 zeigte sich umgekehrt auch, dass die Lösungen von PECL, DCFR und nun auch des CESL zwar auf einen Verzugstatbestand verzichten können, jedoch ihrerseits durch das Unionsprivatrecht und durch Wertentscheidungen nationaler Rechte inspiriert werden sollten, die einen besseren Ausgleich der Interessen der Vertragsparteien im Leistungsverzögerungsfall ermöglichen. Für ein inhaltlich optimales optionales „Law made in Europe“ ist daher noch ein gewisser Reifungsprozess erforderlich. Verwunderlich ist dies nicht. Auch hier gilt: „Les codes des peuples se font avec le temps.“1
1
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66 ff., 71, 73, 75, 76, 79, 80, 81 ff., 85, 90 f., 92 ff., 114 ff., 129 f., 131 ff., 306, 438, 439, 446, 448, 449, 450 ff., 457 f., 459 ff., 463 ff., 465 ff., 470 ff., 480, 481 f., 482 f., 485, 497 CISG 5, 9, 12 f., 24 ff., 31 ff., 39, 40 ff., 44 f., 45 ff., 52 f., 55 f., 58, 62, 64 f., 66, 69 ff., 77 ff., 82, 84 ff., 92 ff., 102, 114 ff., 129, 132 ff., 151 ff., 159, 167, 173, 175, 183, 193, 197, 207, 211, 215 f., 230, 242 f., 301, 378 ff., 392, 402 ff., 427 f., 439 f., 448, 449, 450 ff., 456, 459, 465 ff., 470 ff., 480, 482, 490, 494 CMR 46 f., 50, 52 f. Code Européen des Contrats 7, 13 ff., 24, 28, 39, 137 ff., 165, 180, 246, 251, 306, 324, 391, 399, 408, 438 ff., 449 ff., 458, 460, 463, 465-470, 471, 474, 478 f., 480 Commission of European Contract Law 8 contributory negligence 125 COTIF 182, 225 f., 238 f., 245 f. Cour de cassation – belgische 329, 336 – französische 382, 391, 412, 415 cure 84 ff. damnum emergens 114, 282, 425, 430 Dauerschuldverhältnis 108 ff., 152, 368 DCFR 7, 8 ff., 13 ff., 24, 39, 40 ff., 44 f., 45 ff., 48 ff., 52 ff., 54 f., 55 f., 56 ff., 61 ff., 64 f., 66 ff., 71, 72 ff., 79, 80 f., 81 ff., 85, 88 f., 90 f., 92 ff., 114 ff., 129 f., 131 ff., 140, 165, 293, 306, 313, 371, 378, 401, 438, 439, 441, 444, 446, 448 f., 451, 453, 456 f., 458, 459, 462, 463 f.,
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Sachverzeichnis
465 ff., 470 ff., 480, 481 f., 483, 485, 487 f., 494, 497 Deckungsgeschäft 68, 76 ff., 86, 117 ff., 125 ff., 131, 148, 161, 296, 394 ff., 400, 431 ff., 465, 469 f., 476 demeure simple 486 Dienstleistung 62, 75 f., 108, 114, 132, 159, 171, 192, 194, 209 f., 218, 234, 236 f., 300, 457, 461, 468 f. dies interpellat 46, 47, 199, 202, 268 ff., 291 f., 326, 336 ff., 344, 401, 421 doctrine of laches 76 E-Commerce 17 Einheitsrecht – historisches 7, 15, 20 ff., 251 ff. – internationales 1, 5, 23, 24, 28, 35, 48, 52, 208, 215, 259, 279, 299, 439, 447 Einheitstatbestand 42, 183 ff., 308 ff., 313 ff., 315, 318, 345 f., 374, 377, 418 f., 423, 449 f., 453, 485, 492, 497 equity 68 ff., 383 f., 431 – Courts of Equity 22 Erfüllungsanspruch 29, 54, 55, 56, 59, 66 ff., 71, 72 ff., 76 ff., 80 f., 84, 90, 92, 117 ff., 127, 131 f., 147 ff., 156, 161, 167, 202 ff., 209, 215 f., 221, 254 f., 279 f., 296, 299 f., 305, 309, 320, 330 f., 336, 371, 373, 383 ff., 401, 413, 432, 460, 465 ff. – historisches Einheitsrecht 279 f., 296, 299 f., 305 – nationale Leistungsstörungsrechte 309, 330 f., 336, 371, 373, 383 ff., 401, 432 – unionsrechtliches Leistungsstörungsrecht 202 ff., 216, 221. Erfüllungsverweigerung 138, 143, 213, 342, 490 Expert Group on a Common Frame of Reference in the Area of European Contract Law 12 Fahrlässigkeit 59 ff., 123, 235 f., 263, 266, 288, 289, 363, 375, 378 f., 428, 459 ff., 493 – grobe 123, 288, 363, 428
– leichte 363 , 379 – objektivierte 378, 459 f. – omissive 263 Fälligkeit siehe Leistungszeit – Grundsatz der sofortigen Fälligkeit 141, 259, 269, 452, 487 favor contractus 69, 84, 89, 282 Fernabsatz 17, 178 f., 189, 190 f., 197, 199 Fixgeschäft 76, 87 f., 97, 150, 153 ff., 216, 304, 305, 320, 336 f., 392, 401, 405, 409 f., 422 f., 478 ff. force majeure 55, 57, 62, 69, 129, 145, 149, 209 f., 240, 243 ff., 273 f., 289, 353 ff., 365, 371, 379 ff., 459 f., 463 ff., 466 f., 480 f., 494 force obligatoire 67 ff., 143, 156, 390 f., 398, 423 frustration 42, 311, 373 fur semper in mora 268, 343, 489 Garantiehaftung siehe Haftung Geldforderung 171, 242, 349, 353, 361 f., 365 Geldleistung 66, 70, 108, 111, 113, 131 ff., 163, 181, 192 ff., 202, 218, 229 f., 255, 269, 277 ff., 296, 297 ff., 339 f., 350, 367, 397, 415 f., 451, 456 f., 465, 489 Gemeinschaftsrechtliches Leistungsstörungsrecht siehe Unionsprivatrechtliches Leistungsstörungsrecht Gewährleistung 40, 174, 308 Gläubigerfehlverhalten 64, 107, 124, 146, 240 f., 352, 355, 459 Gläubigerschutz 70, 193 Gleichlauf 216, 290, 377, 439, 464 f. Haftung 2, 45, 50 f., 55 ff., 61 f., 123 f., 143, 144, 146, 162, 184, 219 ff., 225 ff., 234 ff., 258, 263, 273 f., 275, 279, 282, 289, 292, 293 ff., 296 ff., 301, 308 ff., 325, 348 ff., 355 f., 359, 363 ff., 368, 371 ff., 417 f., 426, 429 ff., 450, 452, 459 ff., 463, 464, 470, 476, 481, 484 f., 494, 497 – Garantiehaftung 56, 117, 238 ff., 273, 308, 319, 371, 375 ff., 417, 429, 457, 460
Sachverzeichnis – Haftungsumfang 117, 260, 274 f., 288, 295 f., 300 – gläubigerorientierte Haftungsvoraussetzungen 44 ff. – objektive Haftung 55 ff., 372 – schuldnerorientierte Haftungsvoraussetzungen 140 ff. – strenge Haftung 45, 51, 60, 146, 162, 243, 273, 294, 371, 381, 459 ff., 464, 481, 494 – Zufallshaftung 39, 271, 273 f., 275, 288, 294 ff., 313, 319, 348 f., 353 ff., 463, 486, 492 hardship 58, 73, 92, 105, 139, 148 Harmonisierung 167 immaterieller Schaden 227 f., 426 ff. Insolvenz 58, 300 Interesse – negatives 114 f., 282, 309, 376, 405, 424 f., 434 f. – positives 114 ff., 162, 282, 376, 424 f., 434 f. Ius commune 15, 20 ff., 44, 251, 445 f., 450, 458, 464 – Erfüllungsanspruch 299 f. – Haftungsumfang 276, 295 f. – Leistungsfähigkeit 289 f. – Mahnung 290 ff. – mora debitoris 285 ff., 293 ff. – Nachfrist 305 – Rücktritt 302 ff. – Schadensersatz 300 ff. – vermutetes Verschulden 288 f. – Zinsen 297 ff., 464, 482 – Zufallshaftung 274, 294 f., 354 iusta causa 263 f., 268 ff., 288, 452 f., 476 judicial penalty 74 f. Kollisionsrecht 2 f., 116, 441, 444 ff. – Rechtswahl 2 f., 30, 441, 445 Lando-Principles siehe PECL late performance 384 law merchant 331, 446 Leistung innerhalb angemessener Frist 47 ff., 190, 322, 325, 400, 451 ff.
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Leistungspflicht, Grundsatz der sofortigen siehe Fälligkeit Leistungsstörungsrechte, nationale 7, 23, 24, 165, 306 ff. – Erfüllungsanspruch 383 ff. – Fehlverhalten des Gläubigers 352 f. – Garantiehaftung 371 ff. – Geldforderungen 349 ff. – Leistungszeit 321 ff. – Mahnung 325 ff. – Mahnungserfordernis, Ausnahmen vom 336 ff. – Minderung 416 f. – Schadensberechnung 417 ff., 433 f. – Schadensersatz 417 ff. – Unmöglichkeit 320, 374 – Verschulden 345 ff, 371 ff. – Vertragsaufhebung 398 ff. – Verzug 313 ff., 352 f., 371 ff. – Vorhersehbarkeit des Schadens 427 ff. – Zinsen 357 ff. – Zufallshaftung 353 ff. Leistungsverzögerung 12, 15, 20, 23 f., 39 – Begriff 1, 44 – Einordnung 2, 6 f. – Erfüllungsanspruch siehe Erfüllungsanspruch – und Gläubigerfehlverhalten siehe Gläubigerfehlverhalten – gläubigerfreundliche Rechtsfolgenregelung 66 ff. – gläubigerorientierte Haftungsvoraussetzungen 44 ff. – und hardship siehe hardship – Leistungszeit siehe Leistungszeit – Nachfrist siehe Nachfrist – nationale Leistungsstörungsrechte 24 ff., 306 ff. – ohne Mahnung 45 ff. – Rechtsbehelfe 66 ff., 146 ff., 202 ff., 278 ff., 293 ff., 353 ff., 465 ff. – Rechtzeitigkeit der Leistung 52 ff., 196 ff. – schuldnerorientierte Haftungsvoraussetzungen 140 ff. – Schuldnerschutz siehe Schuldnerschutz
530
Sachverzeichnis
– Unionsprivatrecht siehe Unionsprivatrechtliches Leistungsstörungsrecht – Vertragsaufhebung siehe Vertragsaufhebung – Voraussetzungen im Einheitsrecht 44 ff., 140 ff. – Wegfall der Leistungspflicht 71 f. Leistungszeit 45 ff., 48 ff., 52, 55, 68, 78, 82 f., 85 ff., 93, 101 ff., 115, 140 f., 141 f., 153, 185, 188 f., 189 ff., 199, 201, 213 f., 222, 255, 258, 259 f., 264 f, 267, 269, 280, 292 f., 312, 314, 320, 321 ff., 323 ff., 326, 327 f., 329, 332, 338 f., 346, 350, 383, 392, 399-409, 421, 448 ff., 450 ff., 453 f., 456, 485, 486 ff., 490, 492, 493, 495 lucrum cessans 114, 282, 297, 425, 430
215 f., 280, 305, 310, 314, 326, 342, 392 f., 401 ff., 423, 450, 455, 474 ff., 495 Naturalerfüllung, siehe Erfüllungsanspruch Nebenleistungspflicht 248 Nichterfüllung, 2, 26, 41 ff., 45 f., 49, 55 f., 57, 62 f., 64 f., 66 ff., 81, 84 ff., 90, 92 ff., 114 ff., 130, 134, 137 ff., 140, 143, 145, 146, 147 ff., 150, 151 ff., 160 ff., 162 f., 174, 184, 215, 219 ff., 233 ff., 249, 258, 260, 266, 279, 280, 282 f., 288, 289, 297, 303 f., 305, 306 ff., 313 ff., 326, 330, 371 ff., 384 ff., 398 ff., 423 ff., 449 f., 451 ff., 456, 459 ff., 465, 471 ff., 480, 481, 486, 494 non-performance siehe Nichterfüllung
Mahnung 39, 45 ff., 49 ff., 107, 117 ff., 133, 140, 141 ff., 144, 149, 156, 161, 186, 199 f., 200 ff., 233, 260, 263 ff., 266 ff., 268 ff., 271, 277, 289, 291 ff., 314 ff., 325-352, 409, 414 f., 418 ff., 450 ff., 474 ff., 484 ff., 490, 493, 495 – Code Européen des Contrats 141 ff. – historisches Einheitsrecht 260 ff. – nationale Leistungsstörungsrechte 325 ff. – Unionsprivatrechtliches Leistungsstörungsrecht 199 ff. Minderung 66, 129 f., 160, 202, 203, 209 f., 308, 416 f., 480 f. Mindestharmonisierung 179 f. mise en demeure 265, 317, 329 f., 333, 335 f., 340, 342, 348, 351, 365, 396, 413, 423 mitigation 126, 132, 430 f. Mitverschulden 65, 247, 282, 430 f. mixed legal system 286, 306, 414 moderate remedy approach 41 Montrealer Übereinkommen 186, 223 f., 234 mora debitoris 23, 146, 251 ff., 258 ff., 271, 272, 285 f., 288, 293, 332
obligation de faire 67, 74 f., 390 f. obligation de donner 68, 147 Obligationenrecht, klassisches römisches 13 ff., 21, 23, 27 f., 30 f., 251 ff., 279, 315, 321, 332, 335, 339, 348, 356, 360, 389, 444 – Corpus Iuris Civilis 20 f., 285 – culpa 260 ff., 273, 277 – Erfüllungsanspruch 279 f. – exceptio iusta 271 – Haftungsumfang 260, 274 ff. – interpellatio 259, 260 ff., 266 ff., 268 ff. – iusta causa 263 f., 268 ff. – Mahnung 260 ff., 266 ff., 268 ff., 271, 277 – mora debitoris 251 ff. – mora ex persona 269, 291 – mora ex re 269, 291 – Nichterfüllungshaftung 251, 252, 257, 260, 278 ff. – Rechtsfolgen der mora debitoris 272 ff. – Rücktritt 278, 282 ff. – Schadensersatz 281 f. – Verschulden siehe culpa – Zufallshaftung 271, 273 f., 275 obligations de moyens 61 f., 144 f., 381 f., 460 f. obligations de résultat 61 f., 144 f., 381
Nachfrist 66 f., 72, 80, 81 ff., 86 ff., 93, 101 ff., 117 f., 142 f., 151 ff., 208 f.,
Sachverzeichnis OHADA 442 ordre public 2 pacta sunt servanda 79, 92, 125, 286 f., 303, 398, 466, 476 PECL siehe Principles of European Contract Law Parteiautonomie 3, 172, 176 Preis – Fahrpreis 218, 225 – Marktpreis 126 f., 433 f., 477 Principles of European Contract Law 6 f., 8 ff., 13 ff., 19 f., 24 ff., 31 ff., 39, 40 ff., 44 f., 45 ff., 48 ff., 52 ff., 54 f., 55 f., 56 ff., 61 ff., 64 f., 66 ff., 71 f., 72 ff., 76 ff., 80, 81 ff., 84 ff., 90 f., 92 ff., 114 ff., 129 f., 131 ff., 137, 140 f., 141 ff., 144 f., 146, 147 ff., 149 f., 151 ff., 160 ff., 165, 170, 173, 180, 190 f., 210, 215, 246, 251, 252, 277, 279, 289, 293, 296, 301, 305, 306 ff., 314 ff., 322, 323, 325, 329, 338 f., 351 f., 356, 362, 371, 378, 380, 387 ff., 394, 398 ff., 417, 423, 427, 432 f., 438, 439, 440 f., 442 f., 444 ff., 447 f., 449 f., 450 ff., 453 ff., 456 f., 457 f., 459 ff., 463 f., 465 ff., 470 ff., 480 f., 481 f., 482 f., 485, 487 f., 494, 497 Privatautonomie 170, 176 Projet Catala 27, 366, 394, 407 f., 412 ff. punitive damages 115, 476 reasonable time, siehe Leistung innerhalb angemessener Frist Rechtssicherheit 2, 49, 51, 89, 105 ff., 119 f., 137, 142 f., 161, 192, 329 f., 364, 418, 451 f., 453, 477, 485, 487 Rechtswahl 2 f., 30, 441, 445 Rechtzeitigkeit – der Leistung 52 ff., 97, 196 ff., 337, 388, 401 – der Zahlung 54 réparation intégrale 114 ff., 120, 136, 366, 424 ff. Restatement 9 ff. Richtlinie über grenzüberschreitende Überweisungen (Überweisungsricht-
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linie (97/5/EG)) 181, 190, 198, 200 f., 229, 231 ff., 240 ff., 244 Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (Klauselrichtlinie (93/13/EWG)) 17, 171, 191, 205, 211, 227 f. Richtlinie über Pauschalreisen (Pauschalreiserichtlinie (90/314/EWG)) 17, 178, 183 f. 190 f., 204 ff., 209 f., 212 ff., 221, 226 ff., 234 ff., 241 ff. Richtlinie über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (2007/64/EG) 190, 233 Richtlinie zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (1999/44/EG)) 17 ff., 25, 29, 34, 167, 175, 178 f., 183, 184, 202 f., 206 ff., 209 f., 211 ff., 221, 228 f., 308, 385, 401, 449, 465 ff., 470, 474 ff., 480 Richtlinie zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien (Timesharingrichtlinie (94/47/ EG)) 183, 217 Richtlinie zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsrichtlinie (85/374/EWG)) 183, 220, 227, 247 Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (Zahlungsverzugsrichtlinie (2000/35/EG bzw. 2011/7/EU)) 17 f., 25, 132 ff., 163, 168, 171 ff., 181 ff., 185 f., 189, 191 ff., 196, 197 f., 200 f., 230 ff., 234, 238 ff., 250, 315, 339, 345, 349 f., 358 ff., 367 ff., 451, 456, 464 f., 482 f., 489, 493 f. Richtlinie zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (Handelsvertreterrichtlinie (86/653/EWG)) 181 ff., 189, 220 Richtlinie über die Rechte der Verbraucher (2011/83/EU)) 17, 181,
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Sachverzeichnis
189, 190 f., 196, 197, 199, 203 f., 208 f., 216, 221, 230, 452, 475, 483 Rückabwicklung 108 ff., 158 f., 206, 211 ff., 217 ff., 283 f., 302 f., 330, 414 f. Rücktritt siehe Vertragsaufhebung Sale and Supply of Goods to Consumers Regulations 2002 29, 385 Sales of Goods Act 1979 385 Schaden – Vorhersehbarkeit 50, 59, 100 f., 116, 120, 121, 122 ff., 162, 275, 282, 296, 301, 366, 379, 417, 427 ff., 452, 462, 481 Schadensersatz 7, 29, 50 ff., 65 ff., 75, 77, 80, 82, 87, 109, 114 ff., 143, 146 ff., 158 ff., 160 ff. 191, 206, 219 ff., 232 ff., 255, 258, 278, 281, 284, 288, 298 ff., 300 ff., 310 ff., 341, 357 ff., 371 ff., 417 ff., 451 f., 470, 476 ff., 491, 494 – Begrenzung 120 ff., 161 f., 226 f., 238 f., 282, 295 ff., 300 f., 417, 427 ff., 462 – Berechnung 118 f., 126 ff., 226, 281, 364 f., 433 f., 476 – Folgeschaden 116, 220, 225, 257, 275, 281, 343 – Garantiehaftung 55 f., 117, 238 ff., 273, 308, 319, 371 f., 375 ff., 417, 429, 460 – liquidated damages 128 f. – Nichterfüllungsschaden 81, 114 ff., 161, 371, 376, 417 f., 423 f., 476 – punitive damages siehe punitive damages – réparation intégrale siehe réparation intégrale – Vertragsstrafe 116, 128 f., 201, 428 – Verzögerungsschadensersatz 49, 66, 117 ff., 133, 161, 232, 248, 299, 314, 349, 362, 371, 417 ff., 452 ff., 476, 481, 485 f. Schadensberechnung – erleichterte 126 f. Schadensminderungspflicht 120, 126, 132, 276, 296, 431, 469 Schiedsgerichtsbarkeit 4, 30, 135, 440
Schuldnerschutz 2, 15, 51, 72 f., 81, 88, 95 f., 100 ff., 143, 152 ff., 233, 259, 271, 287, 290, 294, 295, 297, 312, 330 f., 334, 396, 398, 409 ff., 418 ff., 465, 469, 473 f., 485 specific performance 68, 70, 76, 78 f., 131, 147, 150, 383 ff., 397, 466, 469 spill over-Effekt 19. strenge Haftung 45, 51, 60, 146, 162, 243, 273, 294, 371, 381, 459 f., 464, 481, 494 siehe auch Garantiehaftung strict liability siehe strenge Haftung Teilleistung 88, 93, 109, 303, 406, 416, 480 f. termine essenziale, siehe Fixgeschäft Transportrecht – CMR 46 ff., 52 f. – COTIF 182, 225 f., 238 f., 245 f. – Flugverspätungsverordnung (EG 261/ 2004) 182 f., 186 ff., 189, 190, 196, 204, 213 f., 218 f., 221 ff., 238, 244 – Hamburg Rules 52 – ICC Rules on Multimodal Transport 52 – Montrealer Übereinkommen 182, 186 ff., 196, 223 f., 234 f., 238, 245 ff. – UN Convention on Contracts for the International Carriage of Goods Wholly or Partly by Sea (2009) 52 – Verordnung (EG) 1371/2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr 182, 187 f., 218, 224 f., 238 Treu und Glauben, Grundsatz von 51, 72, 81, 105 ff., 119, 150, 276, 331, 341, 388, 455 UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts siehe UPICC Unionsprivatrechtliches Leistungsstörungsrecht – Erfüllungsanspruch 167, 202 ff., 209, 215 – Fristen und Termine 196 – Grundprinzipien 174, 179, 180 ff. – Haftung 233 ff. – Leistungszeit 185, 188 ff.
Sachverzeichnis – Mahnungserfordernis 199 ff. – Marktorientiertheit 176 f. – Minderung 202 f., 209 ff. – Mindestharmonisierung 179 f. – Rechtsbehelfe 202 ff. – Schadensersatz 220 ff. – Sektorspezifik 177 ff. – Solidarität 176 f. – Systembildung 166 ff. – Verspätung 185 ff. – Vertragsaufhebung 211 ff. – Vertragstreue 250 – Verzug 183 ff., 185 ff. – Zinsen 220 ff. 230 ff. – Zurückbehaltungsrecht 211 UN-Kaufrecht siehe CISG Unmöglichkeit 40 ff., 54 f., 59, 70, 71 f., 110 ff., 138 ff., 147 f., 159, 162, 203 ff., 254 f., 262 f., 267, 270, 272, 273, 275, 293, 450, 466 ff., 469 f., 487 ff. – nationale Leistungsstörungsrechte 309, 315, 320, 332, 353 ff., 368, 374 ff., 388 ff., 410, 418 Unzumutbarkeit 55, 70, 85 f., 102, 162, 206 f., 282, 343, 394, 403, 409, 418, 467 Verbraucherrecht, europäisches 169, 173 ff., 208 – Grünbuch zur Überprüfung des Besitzstandes im Verbraucherschutz 18 – Richtlinie über die Rechte der Verbraucher (2011/83/EU) 17, 181, 189, 190 f., 196, 197, 199, 203 f., 208 f., 215, 221, 230, 452, 475, 483 – Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (1999/ 44/EG)) 17 ff., 25, 29, 34, 167, 175, 178 f., 183, 184, 202 f., 206 ff., 211, 214 ff., 221, 228 f., 308, 385, 401, 449, 465 ff., 470, 474 ff., 480 Verschulden 51, 55 f., 59 ff., 62 ff., 78, 99 f., 117, 123, 144, 162, 234 ff., 247, 271, 273, 277, 287, 300 f., 313 ff., 350, 355 f., 362 ff., 371-382, 405 ff., 417 f., 426 ff., 452, 457 f., 459 ff., 463 f., 482, 484 ff, 490 ff., 493 f.
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– nationale Leistungsstörungsrechte 345 ff., 371 ff. – als Verzugsvoraussetzung 260 ff., 345 ff., 458 – vermutetes Verschulden 60, 61 f., 236 ff., 265 f., 277, 288 f., 290, 314, 345, 359 ff., 366, 375, 379 ff., 418, 459, 491 f., 493 f. Vertragsaufhebung 7, 27 f., 42, 44, 55, 58, 64 f., 66 ff., 72, 81 ff., 84 ff., 90 ff., 92-113, 118 f., 127 f., 136, 141, 146, 150 f., 151 ff., 161, 199, 202, 207 ff., 211 ff., 221, 228, 258, 278 f., 283 f., 293 ff., 302 ff., 305, 310, 313 ff., 330 f., 340 f., 344 ff., 371, 385 ff., 398 ff., 434 ff., 453, 462, 465, 470 ff., 481, 490, 494 – antizipierte 91, 92 f., 103 ff., 414 f. – einseitige 92 ff., 100, 104 f., 112, 156 ff., 217 f., 331, 398, 408, 411 ff., 471 ff., 479 – Vertragsaufhebungserklärung 87 f., 90, 103 ff., 413 – richterliche 92, 100, 103, 155 f., 331, 398, 406 f., 409, 411 ff. – sofortige 89, 92 f., 97, 100 f., 105, 151 ff., 398, 402 f., 410 f., 462, 470 ff., 478 Vertragsstrafe 116, 128, 201, 428 Verzögerungsschaden 49, 51, 66, 82, 87, 116 ff., 133, 161, 225, 232, 248, 299, 314, 349, 362 ff., 371, 376, 417 ff., 452 ff., 476, 481, 485 f. Verzug siehe Leistungsverzögerung vis maior siehe force majeure Vorhersehbarkeit 55, 58 ff., 93 ff., 100 ff., 116 ff., 145, 148 f., 152 f., 162, 235 ff., 244 ff., 275, 282, 296, 301, 362, 366, 377 ff., 402, 427 ff., 452, 454, 460 ff., 481 siehe auch force majeure Vorsatz 55, 98 f., 122 f., 152, 235 f., 264 ff., 268, 288, 363, 374 f., 428, 462 warranty 43, 399 Werkleistung 47, 73 f., 468 Wesentlichkeit, Begriff der 92 ff., 151 ff., 215 f., 399 ff., 471 ff.
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Sachverzeichnis
Zahlungsverzug 42, 66, 132, 136, 172, 183 ff., 185 f., 192 f., 197, 200, 230 ff., 232 f., 239, 278, 312, 327, 335, 339, 349 ff., 352, 357 ff., 448, 450 f., 456, 458, 464, 482 – Verzugszinsen 3, 74, 128 f., 133, 192, 196, 198, 200 f., 229 ff., 278, 297 f., 346, 351, 357-369, 456, 489 – Zahlungsverzugsrichtlinie (2000/35/EG bzw. 2011/7/EU)) 17 f., 25, 132 ff., 163, 168, 171 ff., 181 ff., 185 f., 189, 191 ff., 196, 197 f., 200 f., 230 ff., 233 f., 238 ff., 248,
315, 339, 345, 349 f., 358 ff., 367 ff., 451, 456, 464 f., 482 f., 489, 493 f. Zinssatz 134 ff., 163, 230 ff., 357 ff., 368 f., 483, 493 – Basiszinssatz 230, 358 ff., 493 – Bezugszinssatz 230 ff., 358, 369 – IBOR Satz 135 Zufallshaftung 39, 271, 273 f., 275, 288, 293, 294 f., 295 f., 298, 313, 319, 347 ff., 353 ff., 463, 486, 492 f. Zurückbehaltungsrecht 82, 87, 90 ff., 102, 106, 118, 132, 150, 211, 248