Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr: Die wertende Verteilung sprachenbedingter Verständnisrisiken im Vertragsrecht 9783161512179, 9783161497773

Michael Kling behandelt die Frage nach der Zuweisung des sogenannten 'Sprachrisikos' im Privatrechtsverkehr un

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Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil – Grundlagen
§ 1 Einleitung
A. Thematische Eingrenzung
B. Gegenstand der Untersuchung und begriffl iche Grundlagen
I. Gegenstand der Untersuchung
II. Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen der Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften und dem „Sprachrisiko“ im Vertragsrecht
1. Das „Sprachrisiko“
a) Begriffl iche Herkunft
b) Erweiterung auf sprachenbezogene Verständigungsfragen im Privatrechtsverkehr
c) Begriffliche Umschreibungen und Definitionsversuche
2. Begriffl iche Kritik und alternative Bezeichnungen
3. Die „Sprachregulierung“
C. Gang der Untersuchung
§ 2 Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften
A. EG-primärrechtliche Vorgaben für europäische Sprachregelungen
I. Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft zum Erlaß von Sprachregelungen?
1. Einführung
2. Art. 95 EG
a) Regelungsgehalt und Reichweite der Binnenmarktkompetenz
b) Art. 95 EG als Grundlage für eine europäische Sprachenrichtlinie mit konkreter Sprachenvorgabe?
c) Art. 95 EG als Rechtsgrundlage für eine sprachenbezogene Rahmenrichtlinie?
3. Art. 153 EG
II. Zwischenergebnisse
B. Die EG-sekundärrechtliche Sprachregulierung und ihre Umsetzung durch die Mitgliedstaaten
I. Überblick über das Sprachenregime der EG-Richtlinien
1. Einführung: Die drei Grundtypen von Sprachregelungen
2. Die ausdrückliche Sprachregulierung durch Richtlinien als Ausnahmefall
3. Die verbleibenden Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten
II. Einzelheiten
1. Ausdrückliche Sprachregeln
a) Richtlinie 94/47/EG (Timesharing)
b) Richtlinie 2002/83/EG (Lebensversicherung)
c) Richtlinie 2001/34/EG (Börsenzulassung), Richtlinie 2003/71/EG (Wertpapierprospekte), Richtlinie 94/19/EG (Einlagensicherungssysteme), Richtlinie 97/9/EG (Anlegerentschädigung)
d) Fernabsatz-, Finanzdienstleistungsfernabsatz- und E-Commerce-Geschäfte
e) Vorschriften des Gemeinschaftsrechts über die Etikettierung von Humanarzneimitteln, Tabakerzeugnissen, Lebensmitteln sowie Wein
2. Die Frage nach abgeleiteten Sprachregeln
a) Einführung
aa) Die grundsätzliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Schaffung ausdrücklicher Sprachregeln
bb) Die Bedeutung des Transparenzgebots im sekundären Gemeinschaftsrecht
b) Exkurs: Die etymologische Untersuchung der Begriffe „Klarheit“ und „Verständlichkeit“
aa) Klar, Klarheit
bb) Verständlich, Verständlichkeit
c) „Klarheit“ und „Verständlichkeit“ als Rechtsbegriffe des Gemeinschaftsrechts
d) Folgerungen
aa) Die Möglichkeiten der Sinnerfassung jenseits der Muttersprache des Adressaten
bb) Die Frage nach dem „Ermessen“ der Mitgliedstaaten bei Umsetzung des europäischen Transparenzgebots in das nationale Recht
cc) Die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Piageme II
dd) Die Unterscheidung zwischen einer „leicht verständlichen Sprache“ und „leicht verständlichen Ausdrücken“ durch die Kommission
ee) Verständlichkeit der Angaben versus Verständnis der Sprache
ff) Zwischenergebnisse
gg) Mehrsprachige Verbraucherinformation als „optimaler Ansatz“
3. „Sprachregelungen“ jenseits der Sprachenverwendung: Bilder und Symbole als Ersatz für sprachliche Angaben auf Produkten?
C. Die EG-primärrechtlichen Grundfreiheiten als rechtliche Grenzen gemeinschaftsrechtlicher sowie nationaler Sprachenregelungen
I. Die Grundfreiheiten als Grenzen der Umsetzung des EG-sekundärrechtlichen Klarheits- und Verständlichkeitsgebots
1. Piageme I
2. Piageme II
3. Nationale Sprachregelungen als „Verkaufsmodalitäten“ i. S. der Keck-Doktrin des EuGH?
4. Die Bewertung von Optionsregeln
II. Die Grundfreiheiten als rechtliche Grenzen für die Zulässigkeit sog. nationaler Sprachengesetze
1. Eine historische Sprachregelung
2. Moderne Sprachengesetze
a) Die französische loi Toubon von 1994
b) Das novellierte polnische Sprachschutzgesetz von 2004
3. Vereinbarkeit nationaler Sprachregelungen betreffend die Produktkennzeichnung und die Werbung für Waren ode rDienstleistungen mit Art. 28 EG und Art. 49 EG
a) Etikettierungsvorschriften
aa) Beschränkung des freien Warenverkehrs
bb) Keine bloße Verkaufsmodalität
cc) Rechtfertigung durch die Ziele des Verbraucherschutzes und des Schutzes des nationalen Kulturguts?
b) Sprachvorschriften betreffend die Bewerbung von Produkten und Dienstleistungen
aa) Abgrenzung zwischen den Regeln des freien Waren- und des freien Dienstleistungsverkehrs
bb) Anwendung der Artt. 49 ff. EG auf Maßnahmen der Rundfunk undFernsehwerbung
4. Die Beschränkung der Verpfl ichtung zur Verwendung der Nationalsprache gegenüber einheimischen Verbrauchern und Arbeitnehmern
D. Zusammenfassung
§ 3 Kollisionsrechtliche Vorfragen
A. Grundlagen
I. Die Bedeutung des Internationalen Privatrechts für die Lösung von Sprachenfragen
1. Die Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung durch das staatliche Kollisionsrecht
2. Die mögliche Relevanz des IPR für die Zuweisung des „Sprachrisikos“
II. Die Grundregeln der Anknüpfung und der Auslegung
1. Die Inkorporierung des EVÜ in die Artt. 27 bis 37 EGBGB
a) Das EVÜ und seine Auslegung
b) Weitere Auslegungshilfen
2. Ausdrückliche oder konkludente Rechtswahl gemäß Art. 27 EGBGB
3. Objektive Anknüpfung gemäß Art. 28 EGBGB
4. Die kollisionsrechtlichen Regeln betreffend den Vertragsschluß
a) Die grundsätzliche Geltung des Vertragsstatuts für den Vertragsschluß gemäß Art. 31 Abs. 1 EGBGB
b) Die autonomen Begriffe des „Zustandekommens“ und der „Wirksamkeit“ des Vertrags in Art. 31 Abs. 1 EGBGB und Art. 8 Abs. 1 EVÜ
aa) „Zustandekommen“
bb) „Wirksamkeit“
cc) Zusammenfassung
c) Die kumulative Sonderanknüpfung gemäß Art. 31 Abs. 2 EGBGB
aa) Inhalt und Bedeutung der Vorschrift
bb) Die Bedeutung der Vorschrift für Sprachenfragen im Privatrechtsverkehr
cc) Mögliche Berücksichtigung des Umfeldrechts jenseits des Art. 31 Abs. 2 EGBGB auf materiellrechtlicher Ebene?
dd) Art. 31 Abs. 2 EGBGB und das Problem des Schweigens im Rechtsverkehr
ee) Art. 31 Abs. 2 EGBGB und aktives Tun
ff) Die Erforderlichkeit einer umfassenden Interessenabwägung
gg) Art. 31 Abs. 2 EGBGB und die „Sprachrisiko“-Problematik
hh) Die fehlende Relevanz des Art. 32 Abs. 2 EGBGB für die Beurteilung von Sprachenfragen
B. Einzelfragen der kollisionsrechtlichen Anknüpfung mit Relevanz für „Sprachrisiko“-Konstellationen
I. Die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Gerichtsstandsklauseln in den Vertrag237
1. Allgemeine Geschäftsbedingungen
a) Keine allgemeine Sonderanknüpfung
b) Deutsches Recht
c) Fremde Rechtsordnungen
d) Art. 31 Abs. 2 EGBGB und allgemeine Geschäftsbedingungen
aa) Kaufmännischer Geschäftsverkehr
bb) Nichtkaufmännischer Geschäftsverkehr
cc) Rechtswahlklauseln in AGB
dd) Gerichtsstandsklauseln in AGB
ee) Zwischenergebnis
II. Die Bestimmung des c.i.c.-Statuts und seine Bedeutung für sprachenbezogene Aufklärungspfl ichten im vorvertraglichen Stadium
1. Das Problem der Bestimmung des sog. c.i.c.-Statuts
2. Aufklärungs- und Beratungspfl ichten
3. Obhuts- und Erhaltungspfl ichten
4. Die sog. „Rom II-Verordnung“
5. C.i.c.-Statut und sprachenbezogene Pfl ichtverletzungen
III. Sprachenfragen und Formstatut
1. Das „Sprachrisiko“ – eine Frage der Form?
2. Der Begriff der „Form“ in Art. 11 EGBGB
3. Erweiternde Interpretation des Formbegriffs?
a) Möglicher Inhalt eines erweiterten Formbegriffs
b) Stellungnahme
C. Die Frage nach der Anerkennung einer lex mercatoria jenseits des staatlichen Kollisionsrechts
I. Einführung
II. Der Begriff der lex mercatoria
III. Mögliche Auswirkungen der Anwendung dieser Lehre auf Sprachenfragen
IV. Das umstrittene Verhältnis der lex mercatoria zum staatlichen Kollisionsrecht
1. Die Vorrangtheorie
2. Die Gleichrangtheorie
3. Die Subsidiaritätstheorie
4. Praktische Konsequenzen
D. Ergebnisse
§ 4 System und Prinzipien des Privatrechts
A. Grundlagen
I. Vorbemerkungen: Rechtspositivismus versus Rechtsprinzipien
1. Die „Alleinherrschaft“ des Rechtspositivismus
2. „Mehr an Recht“ und „offenes System“
3. Die Ergänzungsfunktion der Rechtsprinzipien
4. Keine Ersetzung des geschriebenen Rechts durch eine freie Anwendung der Rechtsprinzipien
5. Prinzipienanwendung versus Einzelfallentscheidung bei der Zuweisung des „Sprachrisikos“
II. Die Wurzeln der Rechtsprinzipien in Moral und Ethik
1. Die Antike
a) Die Lehren des Aristoteles
b) Die antike Stoa
c) Die skeptische Akademie
d) Das klassische römische Recht
2. Die strikte Trennung von Recht und Ethik bei Immanuel Kant
3. Die historische Rechtsschule
4. Folgerungen
a) Die Notwendigkeit einer Unterscheid ung zwischender „reinen“ Ethik und der Rechtsethik
b) Die Aufgabe der Rechtsethik und ihre Erfüllung durch die Rechtsprinzipien
c) Die Freiheitsgarantien der Grundrechte als mögliche Grenze für die Beachtung rechtsethischer Elemente im Rahmen der Fallentscheidung
III. Begriffsklärung
1. Die Thesen von Larenz und Canaris
2. Die Thesen von Bydlinski
B. Zu den Rechtsprinzipien des Privatrechts im einzelnen
I. Privatautonomie und Selbstverantwortung
1. Der Begriff der Privatautonomie
2. Grundrechtliche Gewährleistung und richterliche Schutzpfl icht (BVerfG)
3. Die Rechtsordnung als notwendiges Korrelat der Privatautonomie
4. Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Vertrauensschutz als Gründe für die Vertragsbindung
II. Das Problem der Entscheidungsfreiheit als Voraussetzung für selbstbestimmtes Handeln
1. Selbstbestimmung als Element der Privatautonomie
2. Die „ungleiche Machtverteilung“ zwischen den Vertragsparteien und das Selbstbestimmungserfordernis
a) Formales versus materiales Verständnis des Begriffs „Selbstbestimmung“
b) Ungleiche Machtverteilung kein Hindernis für selbstbestimmtes Handeln der schwächeren Partei
c) Zwischenergebnis
3. Das Problem der Willensfreiheit und die geltende Privatrechtsordnung
4. Die Alternative der hoheitlichen Gestaltung
5. Keine generelle „Richtigkeitskontrolle“ von Vertragsinhaltendurch das Recht
III. Schmidt-Rimplers Lehre von der Richtigkeitsgewähr des Vertrags
1. Einführung
2. Schmidt-Rimpler, „Grundfragen der Erneuerung des Vertragsrechts“ (1941)
3. Schmidt-Rimpler, „Zum Vertragsproblem“ (1974)
4. Stellungnahme
IV. „Neue“ Rechtsprinzipien
1. Der Informationsgrundsatz
a) Inhalt und Reichweite
b) Stellungnahme
c) Folgerungen für die Zuweisung des Informationsrisikos bei Rechtsgeschäften mit sprachunkundigen Verbrauchern
2. Das Äquivalenz- und das Kontrollprinzip
a) Das Äquivalenzprinzip
b) Das Kontrollprinzip
3. Das Differenzprinzip oder Prinzip des sozialen Ausgleichs
4. Das Risikoprinzip
5. Die sog. deep pocket-Doktrin
VI. Die Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen den verschiedenen Rechtsprinzipien
1. Keine Reduzierung auf ein einziges Prinzip als Interpretationsgrundlage
2. Wilburgs Lehre vom „beweglichen System“ im Rahmendes vorzunehmen den Ausgleichs
3. Bewertungsmaßstäbe jenseits der Rechtsprinzipien?
Zweiter Teil – Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems im deutschen Zivilrecht
§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung als mögliche materiellrechtliche Kategorien der Zuweisung des „Sprachrisikos“
A. Einführung
B. Die grundsätzliche Fähigkeit von Sprachunkundigen zur Abgabe und zum Empfang von Willenserklärungen
I. Der Grundsatz der Zulässigkeit der Verwendung von Fremdsprachen bei der Abgabe von Willenserklärungen (Grundsatz der freien Sprachenwahl)
II. Mögliche Einschränkungen dieses Grundsatzes bei der Abgabe von Willenserklärungen durch gesetzliche Sprachregeln
III. Das Problem der direkten bzw. analogen Anwendung der §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB auf Willenserklärungen sprachunkundiger Personen in deutscher Sprache
C. Sprachenbezogene Zweifelsfragen betreffend den „Tatbestand“ von Willenserklärungen
I. Die notwendigen Elemente der Willenserklärung
II. Die Konsequenzen für die „Sprachrisiko”-Problematik
D. Die Abgabe von Willenserklärungen
I. Der Begriff
II. Die Abgabe von Willenserklärungen in einer dem Erklärenden fremden Sprache sowie die Abgabe von fremdsprachigen Willenserklärungen gegenüber deutschsprachigen Adressaten
1. Die Irrelevanz eines fehlenden Erklärungsbewußtseins des sprachunkundigen Erklärenden
2. Ausgleichsquittung und Erklärungsbewußtsein
a) Begriff und Bedeutung
b) Die rechtliche Einordnung der „Defektlage“ des ausländischen Arbeitnehmers
c) Die Rechtsprechung des BAG zur Frage der Erkennbarkeit des Anspruchsverzichts aus Sicht des Erklärenden
d) Zwischenergebnis
3. Die Ausnahme fehlender Zurechenbarkeit der Erklärung
a) Die Rechtsprechung des BGH
b) „Sprachrisiko“ als Zurechnungsproblem bei Baumgärtel
c) Kritik
4. Möglichkeit einer bloßen Scherzerklärung?
III. Die Abgabe von Willenserklärungen in deutscher Sprache gegenüber Sprachunkundigen
1. Das Richtungs- oder Adressierungserfordernis als Problem der Abgabe
2. Treu und Glauben als Grenzen einer freien Sprachenwahl des Erklärenden
E. Der Zugang von Willenserklärungen
I. Der Begriff
1. Die Abhängigkeit der Interpretation des Zugangsbegriffs von der Art des gewählten Erklärungsmittels
2. Die Defi nition des Begriffs „Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärung unter Abwesenden“ (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB)
3. Das Fehlen einer gesetzlichen Defi nition des Zugangs nicht verkörperter (nicht „gespeicherter“) Willenserklärungen
II. Das „Sprachrisiko“ und der Zugang von Willenserklärungen
1. Allgemeines
2. Der Zugang „gespeicherter“ Willenserklärungen in einer dem Empfänger unverständlichen Sprache
a) Der sog. „subjektive Zugangsbegriff“
b) Folgerungen
b) Der sogenannte „erweiterte Zugangsbegriff“
c) Kritik
3. Folgefragen
III. Der Zugang nicht „gespeicherter“ empfangsbedürftiger Willenserklärungen
1. Die Zugangsfähigkeit
2. Die Anwendung der (eingeschränkten) Vernehmungstheorie auf den Zugang mündlicher Willenserklärungen
a) Die reine Vernehmungstheorie
b) Die eingeschränkte Vernehmungstheorie
c) Die Bedeutung fehlender Sprachkenntnis des Empfängers für den Zugang der Erklärung
d) Zwischenergebnis
3. Anhang: Tabellarische Übersicht zum Zugang von Willenserklärungen
IV. Der Einsatz von Empfangsboten und Stellvertretern bei mündlichen Erklärungen unter dem Blickwinkel der Sprachenfrage
1. Der Zugang beim Einsatz von Mittelspersonen
2. Stellungnahme zum „Sprachrisiko“ bei dem Einsatz von Mittelspersonen auf Empfängerseite
F. Die Sprache als Problem der Form der Willenserklärung
I. Einführung
II. Die Form der Willenserklärung
1. Entwicklung
2. Der sog. „erweiterte Formbegriff“ und das „Sprachrisiko“
3. Konsequenzen der Anwendung eines „erweiterten Formbegriffs“ für das Sprachenproblem
4. Stellungnahme zum „erweiterten Formbegriff“
§ 6 Sprachrisiken und die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen
A. Einführung
B. Die Auslegung von Willenserklärungen
I. Grundlagen
1. „Gespeicherte“ (verkörperte) Erklärungen
a) Vorüberlegungen betreffend die Auslegung von Willenserklärungen in deutscher Sprache, die gegenüber Sprachunkundigen abgegeben werden
b) Vorüberlegungen betreffend Willenserklärungen in einer Fremdsprache, die gegenüber Deutschen abgegeben werden
2. Nicht „gespeicherte“ (nicht verkörperte) Erklärungen
a) Anwendung der reinen Vernehmungstheorie
b) Anwendung der eingeschränkten Vernehmungstheorie
c) Die verschiedenen Stufen der Auslegung
II. Die Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB und die Lehre vom Empfängerhorizont
1. § 133 und § 157 BGB
2. Die Lehre vom Empfängerhorizont
3. Die Auslegungsregeln des UN-Kaufrechts
4. Berücksichtigung subjektiver Elemente?
5. Die rein objektive Betrachtungsweise der Rechtsprechung
6. Die objektive Auslegung fremdsprachiger Begriffe
III. Die bei der Auslegung zu beachtenden „Umstände der Erklärung“
IV. Die „Auslegungssorgfalt“ oder „Auslegungsverantwortung“ des Erklärungsempfängers
1. Begriff
2. Dogmatische Grundlagen
3. Der Umfang der Auslegungssorgfalt im übrigen
4. Muttersprachler als Empfänger
5. Sprachunkundiger als Empfänger
V. Die Verantwortung des Erklärenden in bezug auf die Erkenntnismöglichkeiten des Erklärungsempfängers („Erklärendenverantwortung“)
VI. Zwischenergebnisse
C. Der Dissens
I. Grundlagen: Konsens und Dissens
1. Natürlicher und normativer Konsens
2. Offener und versteckter Dissens
II. Die Unterscheidung zwischen dem „Totaldissens“ und den in §§ 154, 155BGB geregelten Fällen des Dissenses
1. Der sog. Totaldissens oder logische Dissens
2. Die in §§ 154, 155 BGB geregelten Dissensfälle
3. Die Abgrenzung zwischen Dissens und Irrtum
III. Einordnung des „Sprachrisikos“
1. Vorüberlegungen
2. Das Problem des vom Erklärungsgegner erkannten bzw. für möglich gehaltenen Irrtums bei nicht erkanntem wirklichen Willen des Erklärenden
3. Ausgleichsquittung und Dissens
4. Nonverbale, konkludente Erklärungen und Dissens
D. Die Auslegung von Verträgen
I. Einführung
1. Die ergänzende Vertragsauslegung
2. Die nach beiden Seiten hin interessengerechte Auslegung von Verträgen
II. Das „Sprachrisiko“ und die Methode der ergänzenden sowie der beiderseits interessengerechten Auslegung
III. Die Auslegung fremdsprachiger Rechtsbegriffe im Konfl iktfall
IV. Die Auslegung mehrsprachiger Verträge
§ 7 Die Anfechtung von Willenserklärungen sowie die culpa in contrahendo bei Rechtsgeschäften mit Sprachunkundigen
A. Einführung
I. Grundlagen
II. Die Prämisse vom Vorrang der Auslegung
III. Die für die Anfechtung verbleibenden Fälle
1. Nicht erkannter Irrtum
2. Subjektive Mehrdeutigkeit
3. Verschuldeter Irrtum und Anfechtung
4. Erklärungsbewußtsein und Anfechtung
5. Anfechtung bei Ausübung von Druck und wegen Täuschung
B. Die verschiedenen Anfechtungstypen
I. Das Telos des § 123 BGB
II. Die Arglistanfechtung gemäß § 123 Abs. 1 BGB
1. Täuschungshandlung
a) Aktive Täuschung durch positive Irrtumserregung
b) Irrtumserregung durch Unterlassen bei Bestehen einer Aufklärungspfl icht
c) Exkurs zur Begründung von Aufklärungspfl ichten
aa) Die Unterscheidung von Verträgen der Interessenwahrung und Verträgen des Interessengegensatzes
bb) Weitere Kriterien für die Begründung von Aufklärungspfl ichten
cc) Das Kriterium der Erkennbarkeit
dd) Gesetzliche Informationspflichten
2. Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Erklärung
3. Arglist
4. Widerrechtlichkeit der Täuschung?
5. Anfechtungsfrist
6. Anfechtung trotz eines vom Gegner erkannten Irrtums?
7. Die Begrenzung der Täuschungsanfechtung gemäß § 123 Abs. 2 BGB
8. Zwischenergebnisse
III. Die Anfechtung wegen Drohung gemäß § 123 Abs. 1 BGB
1. Drohung
2. Kausalzusammenhang zwischen Drohung und Erklärung
3. Widerrechtlichkeit der Drohung
4. Subjektiver Tatbestand
5. Anfechtungsfrist
6. Unanwendbarkeit des § 123 Abs. 2 BGB bei der Drohungsanfechtung
IV. Die Abgrenzung zwischen § 123 BGB und § 138 BGB
1. Die Notwendigkeit einer Abgrenzung
2. Unterscheidung zwischen sittenwidrigem Inhalt des Rechtsgeschäfts und sittenwidrigem Parteiverhalten?
3. Weitere mögliche Abgrenzungsmerkmale
V. Die Irrtumsanfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB
1. Entwicklung und Regelungsgehalt
a) Die Irrtumsanfechtung und der Risikogedanke
b) Inhalts- und Erklärungsirrtum als Gegenstände der Irrtumsanfechtung
2. Die Sprachenproblematik im Rahmen der Irrtumsanfechtung
3. Die Anfechtung wegen Inhaltsirrtums, § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB
a) Überblick
b) Die von der Irrtumsanfechtung auszunehmenden Fälle
c) Der sog. Verlautbarungsirrtum (einschließlich des Unterschriftsirrtums)
d) Der sog. Rechtsfolgenirrtum
aa) Überblick
bb) Rechtsfolgenirrtum und „Sprachrisiko“
4. Anfechtung wegen Erklärungsirrtums, § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB
5. Kausalzusammenhang zwischen Irrtum und Erklärung
6. Unverzüglichkeit der Anfechtung
a) Überblick
b) Die Unverzüglichkeit der Anfechtung in den „Sprachrisiko“-Fällen
7. Die Anfechtung von Ausgleichsquittungen nach § 119 Abs. 1 BGB als Problemfall
a) Überblick
aa) Die möglichen Irrtümer im Zusammenhang mit der Unterzeichnung einer Ausgleichsquittung
bb) Unanfechtbarkeit der Ausgleichsquittung?
cc) Anwendung der Grundsätze der Irrtumsanfechtungauch auf Ausgleichsquittungen
dd) Folgerungen
b) Rechtsprechungsanalyse
aa) Überwiegende Ablehnung der Anfechtung von Ausgleichsquittungen durch die Rechtsprechung
bb) Kritische Würdigung
cc) Vereinzelte Zulassung der Anfechtung von Ausgleichsquittungen durch die Rechtsprechung
c) Ergänzende Anwendung des Bereicherungsrechts auf Ausgleichsquittungen?
d) Zusammenfassung
8. Die Anfechtung wegen Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften, § 119 Abs. 2 BGB
a) Grundsätzliches
aa) Die problematische Teleologie der Vorschrift
bb) Die Subsidiarität der Vorschrift
b) Die einzelnen Voraussetzen der Vorschrift
aa) Der Eigenschaftsbegriff
bb) Die Verkehrswesentlichkeit der Eigenschaft
cc) Weitere Erfordernisse
dd) Alternative Lösungskonzepte?
ee) Das Kausalitätserfordernis
VII. Ausschluß der Anfechtung nach Treu und Glauben
1. Voraussetzungen
2. Sprachenbezogene Umstände
3. Das Geltenlassen des Erklärungsinhalts durch den Anfechtungsgegner
4. „Wartepfl icht“ des Anfechtungsberechtigten?
5. Der vorübergehende Wegfall des Anfechtungsgrundes
C. Rangfragen
I. Das Verhältnis des § 123 BGB zu den Regeln der culpa in contrahendo
1. Die parallele Anwendbarkeit nach der Rechtsprechung
2. Kritik und praktische Konsequenzen
a) Die praktischen Folgen der Ansicht der Rechtsprechung
b) Die dogmatischen Bedenken der Literatur
3. Vermögensschaden als Voraussetzung der Haftung wegen Verschuldens beim Vertragsschluß?
a) Der Streitstand
b) Die Rechtslage nach der Schuldrechtsreform
II. Subsidiarität der c.i.c.-Haftung gegenüber den Regeln des Gewährleistungsrechts?
1. Die Rechtslage vor der Schuldrechtsmodernisierung
2. Die Rechtslage nach der Schuldrechtsmodernisierung
a) Die Mehrheitsmeinung in der Literatur
b) Die Gegenauffassung
c) Stellungnahme
III. Haftung nach c.i.c. bei erkanntem Motivirrtum?
1. Die vorsätzliche Ausnutzung eines erkannten Motivirrtums
2. Fahrlässige Irreführung und Motivirrtum
3. Sprachenbedingte Motivirrtümer
§ 8 „Sprachrisiko“ und Allgemeine Geschäftsbedingungen
A. Einleitung
B. Die Einbeziehungskontrolle gemäß § 305 BGB
I. Der Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
II. Die im Hinblick auf Sprachenfragen relevanten Fallgestaltungen
III. Die Einbeziehung von AGB in Verbraucherverträge
1. Überblick
2. Die Einbeziehungsvoraussetzungen gemäß § 305 Abs. 2 BGB
a) Der ausdrückliche Hinweis des Verwenders auf seine AGB
b) Die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme für den Kunden
aa) Schriftliche und mündliche Verträge
bb) Vertragsschluß ohne direkten persönlichen Kontakt der Kontrahenten
cc) Zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme und Verständlichkeit der AGB
dd) Zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme und angemessene Berücksichtigung einer körperlichen Behinderung
c) Der Hinweis auf und die Verwendung von deutschsprachigen AGB gegenüber ausländischen Adressaten
aa) Die rechtliche Bedeutung der Verhandlungs- und der Vertragssprache
bb) Die Konsequenzen des Abstellens auf die Verhandlungs- und Vertragssprache für die Einbeziehung von AGB bei Beteiligung von sprachunkundigen Ausländern am Vertragsschluß
cc) Verhandlungen in einer Fremdsprache und der Hinweis auf AGB
dd) Die Sprache der AGB bei Verträgen mit ausländischen Kunden
d) Der Hinweis auf die AGB durch Aushang am Ort des Vertragsschlusses
aa) Aushang statt Hinweis
bb) Die Sprache des Aushangs
e) Die Einbeziehung von AGB bei sog. Distanzgeschäften
aa) Grundlagen
bb) Mögliche Abweichungen bei gezieltem Ansprechen von Kunden mit Wohnsitz im Ausland
bb) Die Sprachregulierung bei Fernabsatzgeschäften über Finanzdienstleistungen gegenüber Verbrauchern
f) Die Einbeziehung von AGB gegenüber deutschen Verbrauchern,die sich im Ausland aufhalten
aa) Das Problem der Einschränkung von Verbraucherrechten
bb) Die Einbeziehung fremdsprachiger Vertragsbedingun gengegenüber deutschen Verbrauchern im Ausland
g) Die Verwendung fremdsprachiger AGB durch ausländische Verwender gegenüber inländischen Adressaten bei Distanzgeschäften
IV. Die Einbeziehung von AGB in Verträge mit Unternehmern
1. Unanwendbarkeit von § 305 Abs. 2 und Abs. 3 BGB
2. Die abweichenden Anforderungen an den Einbeziehungshinweis
3. Die Sprache des ausdrücklichen Einbeziehungshinweises im unternehmerischen Geschäftsverkehr
4. Die Sprache der AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr
5. Üblichkeit und Handelsbrauch
6. Das Problem der „Weltsprache“
a) Verhandlungssprache statt „Weltsprache“
b) Kritik an dem verhandlungssprachenbezogenen Ansatz der Rechtsprechung
c) Zusammenfassende Thesen
C. Die Transparenzkontrolle gemäß § 305c Abs. 1 BGB
I. Grundlagen
1. Funktion und Bedeutung
2. Anwendbarkeit des § 305c BGB auf Arbeitsverträge
3. Die einzelnen Schritte bei der Prüfung überraschender Klauseln im Sinne des § 305c Abs. 1 AGB
II. Die Tatbestandsmerkmale des § 305c Abs. 1 BGB
1. Ungewöhnlichkeit der Klausel(n)
2. Der Überraschungseffekt auf seiten des Kunden
a) Allgemeines
b) Der konkret-generelle Beurteilungsmaßstab bei der Überrumpelung
aa) Die maßgeblichen Erkenntnismöglichkeiten des Durchschnittskunden
bb) Die Berücksichtigung der konkreten Situation
c) Zwischenergebnisse zur Ausgleichsquittungsproblematik
aa) Der regelmäßig gegebene Überraschungseffekt
bb) Die Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten gemäß § 310 Abs. 4 S. 2 BGB in bezug auf die Ausgleichsquittung
d) Der Überraschungseffekt bei ausländischen Adressaten
aa) Die Nichtberücksichtigung individueller Sprachdefi zite
bb) Die Risikoerklärung: Selbstverantwortung versus Überraschungsschutz
cc) Gruppen von Ausländern als homogene Kundenkreise
e) Der Überraschungseffekt bei unternehmerischen Kunden
D. Die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen
I. Überblick
II. Der Grundsatz der objektiven Auslegung
1. Einführung
2. Verwendung gegenüber Verbrauchern
3. Verwendung gegenüber Unternehmern
4. Fachsprachengebrauch und allgemeiner Sprachgebrauch
5. Der Grundsatz der objektiven Auslegung von AGB und das „Sprachrisiko“
a) AGB in deutscher Sprache
b) Das Verhältnis von Original und Übersetzung
III. Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB
1. Überblick
a) Die Voraussetzungen des § 305c Abs. 2 BGB
b) Die Rechtsfolge
2. Kundenfreundliche versus kundenfeindliche Auslegung
3. Das Verhältnis der ergänzenden Auslegung zur Unklarheitenregel
IV. Das Problem der Revisibilität ausländischer und fremdsprachiger AGB
1. Möglichkeit der Auslegung von AGB in der Revisionsinstanz?
2. Das Problem der Revisibilität ausländischer AGB
a) Die ablehnende Haltung der Rechtsprechung
b) Die Kritik der Literatur
c) Stellungnahme
3. Die Revisibilität fremdsprachiger AGB inländischer Verwender
E. Die Sprachenfrage im Rahmen der Inhaltskontrolle von AGB gemäß §§ 307 ff. BGB
I. Grundlagen
1. Die Entwicklung der Inhaltskontrolle bis zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz
2. § 307 BGB als Zentralnorm der Mißbrauchskontrolle
3. Transparenzgebot und Überrumpelungsschutz
a) Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB
aa) Inhalt und Bedeutung
bb) Die systematische Stellung des Transparenzgebots
cc) Das Problem der isolierten Intransparenz
b) Die getrennte Prüfung des überraschenden Charaktersund der Mißbräuchlichkeit von Klauseln
II. Die Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB im einzelnen
1. Sinn und Zweck der Inhaltskontrolle
2. Genereller versus individueller Beurteilungsmaßstab bei der Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen
a) Die Pflicht zur Berücksichtigung der vertragsschlußbezogenen Umstände
b) Berücksichtigung individueller persönlicher Umstände bei der Inhaltskontrolle im Wege der richtlinienkonformen Auslegung?
c) Mögliche Auswirkungen der Erwägungsgründe der Klauselrichtlinie auf die „Sprachrisiko“-Thematik
3. Die Möglichkeiten der Anfechtung durch den Kunden im Einzelfall
III. Die Frage nach der Verteilung des „Sprachrisikos“ im Rahmen der Inhalts- und Transparenzkontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB
IV. Fazit
V. Die Inhaltskontrolle bei Verträgen mit Unternehmern
1. Überblick
2. Inhaltskontrolle versus Handelsbrauch
a) Der Grundsatz: keine Inhaltskontrolle von Handelsbräuchen
b) Die Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs
c) Treu und Glauben als Grenzen des Handelsbrauchs
d) Die Inhaltskontrolle bei kollektiv ausgehandelten AGB
F. Ausgewählte AGB-rechtliche Besonderheiten außerhalb der §§ 305 ff. BGB im internationalen Handelsverkehr zwischen Unternehmern
I. Überblick
II. Der Grundsatz der Verhandlungs- und Vertragssprache bei der Einbeziehung formularmäßiger Gerichtsstandsvereinbarungen
1. Grundlagen
2. Die sprachlichen Anforderungen an den Einbeziehungshinweis
3. Die formularmäßige Vereinbarung des Erfüllungsortes
III. Die Grundsätze der autonomen und der engen Auslegung im internationalen Prozeßrecht
1. Die autonome Auslegung
2. Die enge Auslegung
3. Die praktischen Auswirkungen dieser Auslegungsgrundsätze
a) Die Unzulässigkeit strengerer nationaler Rechtsvorschriften
b) Keine Berücksichtigung der Wertungen des nationalen AGB-Rechts
c) Kein Verzicht auf eine tatsächliche Willenseinigung bei Gerichtsstandsvereinbarungen – das Problem des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben
aa) Der Zweck der Formerfordernisse des Art. 23 Abs. 1 S. 3 EuGVVO
bb) Form und materieller Konsens gemäß Art. 23 Abs. 1 EuGVVO
cc) Gerichtsstandsvereinbarung und kaufmännisches Bestätigungsschreiben
dd) Der Zusammenhang zwischen Form, Sprache und Handelsbrauch – das „Sprachrisiko“ bei Gerichtsstandsvereinbarungen
§ 9 Zusammenfassung
Zu § 1
Zu § 2
Zu § 3
Zu § 4
Zu § 5
Zu § 6
Zu § 7
Zu § 8
Literaturverzeichnis
Sachregister
Recommend Papers

Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr: Die wertende Verteilung sprachenbedingter Verständnisrisiken im Vertragsrecht
 9783161512179, 9783161497773

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 140

Michael Kling

Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr Die wertende Verteilung sprachenbedingter Verständnisrisiken im Vertragsrecht

Mohr Siebeck

Michael Kling, geboren 1972; 1993–1998 Studium der Rechtswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz; 2000 Promotion; 2002–2008 Wiss. Assistent; 2008 Habilitation; Professor an der Philipps-Universität Marburg.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort. e-ISBN PDF 978-3-16-151217-9 ISBN 978-3-16-149777-3 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Garamond Antiqua belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

„Die Tatsache, daß es verschiedene Sprachen gibt, ist die unheimlichste Tatsache der Welt. Sie bedeutet, daß es für dieselben Dinge verschiedene Namen gibt; und man müßte daran zweifeln, daß es dieselben Dinge sind.“ Elias Canetti, Die Provinz des Menschen

Vorwort Sprachenprobleme stellen sich überall im Recht. Das Zivilrecht bildet hiervon keine Ausnahme. Die Frage, was gelten soll, wenn Privatrechtssubjekte Verträge schließen und es dabei zu sprachenbedingten Mißverständnissen kommt, ist bislang nicht befriedigend geklärt. Es hat in der Vergangenheit nicht an Versuchen gefehlt, pauschale und einfache Lösungen für das Problem des sog. „Sprachrisikos“ zu finden. Das überzeugt indessen nicht. Die Frage nach der wertenden Verteilung sprachenbedingter Verständnisdefizite verlangt nach differenzierenden Lösungen im Rahmen der geltenden Zivilrechtsdogmatik. Die vorliegende Untersuchung, die vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität im Sommersemester 2008 als Habilitationsschrift angenommen wurde, unternimmt den Versuch einer geschlossenen Darstellung der bedeutsamsten der im Vertragsrecht auftretenden Sprachenfragen einschließlich der zugehörigen gemeinschaftsrechtlichen und internationalprivatrechtlichen Vorfragen sowie der rechtssystematischen Grundlagen. Besonderer Dank gilt meinem hochverehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Meinrad Dreher, LL.M., für zehn Jahre fruchtbarer Zusammenarbeit und der intensiven Förderung. Herrn Professor Dr. Peter Huber, LL.M. habe ich für seine Bereitschaft zu danken, das Zweitgutachten ungeachtet des beträchtlichen Manuskriptumfangs zu übernehmen und zügig anzufertigen. Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Horst Konzen danke ich für seine langjährige ungebrochene Diskussionsbereitschaft und für viele wertvolle Ratschläge. Die Mainzer Jahre wären nicht eine so große Bereicherung gewesen, wenn mich nicht eine ganze Reihe von Freunden und Kollegen über lange Zeit hinweg auf vielfältige Weise unterstützt hätten. Dies gilt zunächst für meine Kollegen am Lehrstuhl von Prof. Dreher Dr. Michael Adam, Dr. André Görner, Ref. iur. Hendrik Häußler, Ref. iur. Jens Hoffmann, Ref. iur. Martin Lange, Ass. iur. Johannes Schmidt und Dr. Stefan Thomas; außerdem für zahlreiche weitere Mitarbeiter und Hilfskräfte, die ich dort über einen langen Zeitraum kennenlernen durfte. Es betrifft weiter meine Kollegen am ehemaligen Mainzer „Nachbarlehrstuhl“ von Prof. Dr. Mathias Habersack, denen ich freundschaftlich verbunden bin, namentlich Frau Dr. Angela Koch, Prof. Dr. Jan Schürnbrand, Prof. Dr. Dirk Verse und Dr. Christian Mayer. Hervorhebung verdienen ferner

VIII

Vorwort

meine Freunde Ass. iur. André Barth, Dr. Robert Schmidt, LL.M. und Dr. Erik Kießling. Schließlich bedanke ich mich bei meinen Eltern Hannelore und Helmut Kling sehr herzlich für ihre große Unterstützung. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Mainz, im September 2008

Michael Kling

Inhaltsübersicht Erster Teil – Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §1 §2 §3 §4

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften Kollisionsrechtliche Vorfragen . . . . . . . . System und Prinzipien des Privatrechts . . .

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1

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2 14 93 157

Zweiter Teil – Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems im deutschen Zivilrecht . . . . . . . . .

237

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung als mögliche materiellrechtliche Kategorien der Zuweisung des Sprachrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 Sprachrisiken und die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7 Die Anfechtung von Willenserklärungen sowie die culpa in contrahendo bei Rechtsgeschäften mit Sprachunkundigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8 „Sprachrisiko“ und Allgemeine Geschäftsbedingungen . . § 9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

397 506 631

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

663 681

238 312

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII IX

Erster Teil – Grundlagen § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

A. Thematische Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

B. Gegenstand der Untersuchung und begriffliche Grundlagen . . I. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen der Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften und dem „Sprachrisiko“ im Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das „Sprachrisiko“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriffliche Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erweiterung auf sprachenbezogene Verständigungsfragen im Privatrechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . c) Begriffliche Umschreibungen und Definitionsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriffliche Kritik und alternative Bezeichnungen . . . 3. Die „Sprachregulierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6 7 9

C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12

§ 2 Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften. . . . . . . . . . . . . . .

14

A. EG-primärrechtliche Vorgaben für europäische Sprachregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft zum Erlaß von Sprachregelungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 95 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungsgehalt und Reichweite der Binnenmarktkompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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15

XII

Inhaltsverzeichnis

II.

b) Art. 95 EG als Grundlage für eine europäische Sprachenrichtlinie mit konkreter Sprachenvorgabe? c) Art. 95 EG als Rechtsgrundlage für eine sprachenbezogene Rahmenrichtlinie? . . . . . . . . . . . . . 3. Art. 153 EG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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23 24 26

B. Die EG-sekundärrechtliche Sprachregulierung und ihre Umsetzung durch die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick über das Sprachenregime der EG-Richtlinien . . . 1. Einführung: Die drei Grundtypen von Sprachregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die ausdrückliche Sprachregulierung durch Richtlinien als Ausnahmefall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die verbleibenden Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausdrückliche Sprachregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Richtlinie 94/47/EG (Timesharing) . . . . . . . . . . . b) Richtlinie 2002/83/EG (Lebensversicherung). . . . . . c) Richtlinie 2001/34/EG (Börsenzulassung), Richtlinie 2003/71/EG (Wertpapierprospekte), Richtlinie 94/19/EG (Einlagensicherungssysteme), Richtlinie 97/9/EG (Anlegerentschädigung) . . . . . . . . . . . . d) Fernabsatz-, Finanzdienstleistungsfernabsatz- und E-Commerce-Geschäfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vorschriften des Gemeinschaftsrechts über die Etikettierung von Humanarzneimitteln, Tabakerzeugnissen, Lebensmitteln sowie Wein . . . . . 2. Die Frage nach abgeleiteten Sprachregeln . . . . . . . . . . a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die grundsätzliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Schaffung ausdrücklicher Sprachregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Bedeutung des Transparenzgebots im sekundären Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . b) Exkurs: Die etymologische Untersuchung der Begriffe „Klarheit“ und „Verständlichkeit“ . . . . . . . aa) Klar, Klarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verständlich, Verständlichkeit . . . . . . . . . . . . c) „Klarheit“ und „Verständlichkeit“ als Rechtsbegriffe des Gemeinschaftsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . .

26 26 26 28 29 30 30 30 31

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XIII

Inhaltsverzeichnis

d) Folgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Möglichkeiten der Sinnerfassung jenseits der Muttersprache des Adressaten . . . . . . . . . . . bb) Die Frage nach dem „Ermessen“ der Mitgliedstaaten bei Umsetzung des europäischen Transparenzgebots in das nationale Recht . . . . . cc) Die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Piageme II . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Unterscheidung zwischen einer „leicht verständlichen Sprache“ und „leicht verständlichen Ausdrücken“ durch die Kommission. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verständlichkeit der Angaben versus Verständnis der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Mehrsprachige Verbraucherinformation als „optimaler Ansatz“. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Sprachregelungen“ jenseits der Sprachenverwendung: Bilder und Symbole als Ersatz für sprachliche Angaben auf Produkten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Die EG-primärrechtlichen Grundfreiheiten als rechtliche Grenzen gemeinschaftsrechtlicher sowie nationaler Sprachenregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Grundfreiheiten als Grenzen der Umsetzung des EG-sekundärrechtlichen Klarheits- und Verständlichkeitsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Piageme I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Piageme II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nationale Sprachregelungen als „Verkaufsmodalitäten“ i. S. der Keck-Doktrin des EuGH? . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Bewertung von Optionsregeln . . . . . . . . . . . . . II. Die Grundfreiheiten als rechtliche Grenzen für die Zulässigkeit sog. nationaler Sprachengesetze. . . . . . . . . . 1. Eine historische Sprachregelung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Moderne Sprachengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die französische loi Toubon von 1994 . . . . . . . . . . b) Das novellierte polnische Sprachschutzgesetz von 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vereinbarkeit nationaler Sprachregelungen betreffend die Produktkennzeichnung und die Werbung für Waren oder Dienstleistungen mit Art. 28 EG und Art. 49 EG . .

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XIV

Inhaltsverzeichnis

a) Etikettierungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beschränkung des freien Warenverkehrs. . . . . . bb) Keine bloße Verkaufsmodalität . . . . . . . . . . . cc) Rechtfertigung durch die Ziele des Verbraucherschutzes und des Schutzes des nationalen Kulturguts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sprachvorschriften betreffend die Bewerbung von Produkten und Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . aa) Abgrenzung zwischen den Regeln des freien Waren- und des freien Dienstleistungsverkehrs . . bb) Anwendung der Artt. 49 ff. EG auf Maßnahmen der Rundfunk- und Fernsehwerbung . . . . . . . 4. Die Beschränkung der Verpflichtung zur Verwendung der Nationalsprache gegenüber einheimischen Verbrauchern und Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . .

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D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 3 Kollisionsrechtliche Vorfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bedeutung des Internationalen Privatrechts für die Lösung von Sprachenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung durch das staatliche Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . 2. Die mögliche Relevanz des IPR für die Zuweisung des „Sprachrisikos“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Grundregeln der Anknüpfung und der Auslegung. . . 1. Die Inkorporierung des EVÜ in die Artt. 27 bis 37 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das EVÜ und seine Auslegung . . . . . . . . . . . . . b) Weitere Auslegungshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausdrückliche oder konkludente Rechtswahl gemäß Art. 27 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Objektive Anknüpfung gemäß Art. 28 EGBGB . . . . . 4. Die kollisionsrechtlichen Regeln betreffend den Vertragsschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die grundsätzliche Geltung des Vertragsstatuts für den Vertragsschluß gemäß Art. 31 Abs. 1 EGBGB . . b) Die autonomen Begriffe des „Zustandekommens“ und der „Wirksamkeit“ des Vertrags in Art. 31 Abs. 1 EGBGB und Art. 8 Abs. 1 EVÜ . . . . . . . . . . . . aa) „Zustandekommen“ . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XV

Inhaltsverzeichnis

bb) „Wirksamkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die kumulative Sonderanknüpfung gemäß Art. 31 Abs. 2 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhalt und Bedeutung der Vorschrift. . . . . . . . bb) Die Bedeutung der Vorschrift für Sprachenfragen im Privatrechtsverkehr. . . . . . . . . . . . . . . . cc) Mögliche Berücksichtigung des Umfeldrechts jenseits des Art. 31 Abs. 2 EGBGB auf materiellrechtlicher Ebene? . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Art. 31 Abs. 2 EGBGB und das Problem des Schweigens im Rechtsverkehr . . . . . . . . . . . . ee) Art. 31 Abs. 2 EGBGB und aktives Tun . . . . . . ff) Die Erforderlichkeit einer umfassenden Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Art. 31 Abs. 2 EGBGB und die „Sprachrisiko“Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die These von der Existenz eines eigenständigen „Sprachenstatuts“ . . . . . . . . . . (3) Die scheinbare Stringenz dieses Ansatzes.. . . (4) Die Vertragssprache als zentrales Merkmal . . (5) Kritik an der Lehre vom eigenständigen „Sprachenstatut“ . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Die Reichweite des Art. 31 Abs. 2 EGBGB in bezug auf das „Sprachrisiko“ . . . . . . . . hh)Die fehlende Relevanz des Art. 32 Abs. 2 EGBGB für die Beurteilung von Sprachenfragen . . . . . . B. Einzelfragen der kollisionsrechtlichen Anknüpfung mit Relevanz für „Sprachrisiko“-Konstellationen . . . . . . . . . . I. Die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Gerichtsstandsklauseln in den Vertrag 1. Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . a) Keine allgemeine Sonderanknüpfung . . . . . . . . b) Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fremde Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . d) Art. 31 Abs. 2 EGBGB und allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kaufmännischer Geschäftsverkehr . . . . . . . . bb) Nichtkaufmännischer Geschäftsverkehr. . . . .

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XVI

Inhaltsverzeichnis

cc) Rechtswahlklauseln in AGB . . . . . . . . . . . . . dd) Gerichtsstandsklauseln in AGB. . . . . . . . . . . . ee) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Bestimmung des c.i.c.-Statuts und seine Bedeutung für sprachenbezogene Aufklärungspflichten im vorvertraglichen Stadium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Problem der Bestimmung des sog. c.i.c.-Statuts . . . . 2. Aufklärungs- und Beratungspflichten. . . . . . . . . . . . 3. Obhuts- und Erhaltungspflichten . . . . . . . . . . . . . . 4. Die sog. „Rom II-Verordnung“ . . . . . . . . . . . . . . . 5. C.i.c.-Statut und sprachenbezogene Pflichtverletzungen III. Sprachenfragen und Formstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das „Sprachrisiko“ – eine Frage der Form?. . . . . . . . . 2. Der Begriff der „Form“ in Art. 11 EGBGB . . . . . . . . . 3. Erweiternde Interpretation des Formbegriffs? . . . . . . . a) Möglicher Inhalt eines erweiterten Formbegriffs . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Frage nach der Anerkennung einer lex mercatoria jenseits des staatlichen Kollisionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Begriff der lex mercatoria . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mögliche Auswirkungen der Anwendung dieser Lehre auf Sprachenfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das umstrittene Verhältnis der lex mercatoria zum staatlichen Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Vorrangtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Gleichrangtheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Subsidiaritätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Praktische Konsequenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 4 System und Prinzipien des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkungen: Rechtspositivismus versus Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „Alleinherrschaft“ des Rechtspositivismus . . . . 2. „Mehr an Recht“ und „offenes System“ . . . . . . . . . 3. Die Ergänzungsfunktion der Rechtsprinzipien . . . . 4. Keine Ersetzung des geschriebenen Rechts durch eine freie Anwendung der Rechtsprinzipien . . . . . . . . .

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XVII

Inhaltsverzeichnis

5. Prinzipienanwendung versus Einzelfallentscheidung bei der Zuweisung des „Sprachrisikos“ . . . . . . . . . . II. Die Wurzeln der Rechtsprinzipien in Moral und Ethik . . 1. Die Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Lehren des Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . b) Die antike Stoa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die skeptische Akademie . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das klassische römische Recht . . . . . . . . . . . . . 2. Die strikte Trennung von Recht und Ethik bei Immanuel Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die historische Rechtsschule . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen der „reinen“ Ethik und der Rechtsethik . . . . . . . . b) Die Aufgabe der Rechtsethik und ihre Erfüllung durch die Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Freiheitsgarantien der Grundrechte als mögliche Grenze für die Beachtung rechtsethischer Elemente im Rahmen der Fallentscheidung . . . . . . . . . . . . III. Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Thesen von Larenz und Canaris . . . . . . . . . . . 2. Die Thesen von Bydlinski. . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Zu den Rechtsprinzipien des Privatrechts im einzelnen . . . . . . I. Privatautonomie und Selbstverantwortung . . . . . . . . . . 1. Der Begriff der Privatautonomie. . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechtliche Gewährleistung und richterliche Schutzpflicht (BVerfG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rechtsordnung als notwendiges Korrelat der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Vertrauensschutz als Gründe für die Vertragsbindung . . II. Das Problem der Entscheidungsfreiheit als Voraussetzung für selbstbestimmtes Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Selbstbestimmung als Element der Privatautonomie. . . . 2. Die „ungleiche Machtverteilung“ zwischen den Vertragsparteien und das Selbstbestimmungserfordernis a) Formales versus materiales Verständnis des Begriffs „Selbstbestimmung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ungleiche Machtverteilung kein Hindernis für selbstbestimmtes Handeln der schwächeren Partei . . . c) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XVIII

Inhaltsverzeichnis

3. Das Problem der Willensfreiheit und die geltende Privatrechtsordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Alternative der hoheitlichen Gestaltung . . . . . . . 5. Keine generelle „Richtigkeitskontrolle“ von Vertragsinhalten durch das Recht . . . . . . . . . . . . . III. Schmidt-Rimplers Lehre von der Richtigkeitsgewähr des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schmidt-Rimpler, „Grundfragen der Erneuerung des Vertragsrechts“ (1941) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schmidt-Rimpler, „Zum Vertragsproblem“ (1974) . . . . 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. „Neue“ Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Informationsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt und Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgerungen für die Zuweisung des Informationsrisikos bei Rechtsgeschäften mit sprachunkundigen Verbrauchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Äquivalenz- und das Kontrollprinzip . . . . . . . . a) Das Äquivalenzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Kontrollprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Differenzprinzip oder Prinzip des sozialen Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Risikoprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die sog. deep pocket-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen den verschiedenen Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Reduzierung auf ein einziges Prinzip als Interpretationsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wilburgs Lehre vom „beweglichen System“ im Rahmen des vorzunehmenden Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertungsmaßstäbe jenseits der Rechtsprinzipien? . .

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§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung als mögliche materiellrechtliche Kategorien der Zuweisung des „Sprachrisikos“ . . . .

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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zweiter Teil – Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems im deutschen Zivilrecht

XIX

Inhaltsverzeichnis

B. Die grundsätzliche Fähigkeit von Sprachunkundigen zur Abgabe und zum Empfang von Willenserklärungen . . . . . . . I. Der Grundsatz der Zulässigkeit der Verwendung von Fremdsprachen bei der Abgabe von Willenserklärungen (Grundsatz der freien Sprachenwahl) . . . . . . . . . . . . . II. Mögliche Einschränkungen dieses Grundsatzes bei der Abgabe von Willenserklärungen durch gesetzliche Sprachregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Problem der direkten bzw. analogen Anwendung der §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB auf Willenserklärungen sprachunkundiger Personen in deutscher Sprache. . . . . .

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C. Sprachenbezogene Zweifelsfragen betreffend den „Tatbestand“ von Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die notwendigen Elemente der Willenserklärung . . . . . . . II. Die Konsequenzen für die „Sprachrisiko”-Problematik . . .

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D. Die Abgabe von Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Begriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Abgabe von Willenserklärungen in einer dem Erklärenden fremden Sprache sowie die Abgabe von fremdsprachigen Willenserklärungen gegenüber deutschsprachigen Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Irrelevanz eines fehlenden Erklärungsbewußtseins des sprachunkundigen Erklärenden . . . . . . . . . . . . 2. Ausgleichsquittung und Erklärungsbewußtsein . . . . . a) Begriff und Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die rechtliche Einordnung der „Defektlage“ des ausländischen Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . c) Die Rechtsprechung des BAG zur Frage der Erkennbarkeit des Anspruchsverzichts aus Sicht des Erklärenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Ausnahme fehlender Zurechenbarkeit der Erklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . b) „Sprachrisiko“ als Zurechnungsproblem bei Baumgärtel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Möglichkeit einer bloßen Scherzerklärung? . . . . . . . III. Die Abgabe von Willenserklärungen in deutscher Sprache gegenüber Sprachunkundigen . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Das Richtungs- oder Adressierungserfordernis als Problem der Abgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Treu und Glauben als Grenzen einer freien Sprachenwahl des Erklärenden . . . . . . . . . . . . . . . . E. Der Zugang von Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Begriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Abhängigkeit der Interpretation des Zugangsbegriffs von der Art des gewählten Erklärungsmittels. . 2. Die Definition des Begriffs „Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärung unter Abwesenden“ (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Fehlen einer gesetzlichen Definition des Zugangs nicht verkörperter (nicht „gespeicherter“) Willenserklärungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das „Sprachrisiko“ und der Zugang von Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Zugang „gespeicherter“ Willenserklärungen in einer dem Empfänger unverständlichen Sprache . . . . . a) Der sog. „subjektive Zugangsbegriff“ . . . . . . . . . b) Folgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der sogenannte „erweiterte Zugangsbegriff“ . . . . . c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Zugang nicht „gespeicherter“ empfangsbedürftiger Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Zugangsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Anwendung der (eingeschränkten) Vernehmungstheorie auf den Zugang mündlicher Willenserklärungen a) Die reine Vernehmungstheorie . . . . . . . . . . . . . b) Die eingeschränkte Vernehmungstheorie . . . . . . . c) Die Bedeutung fehlender Sprachkenntnis des Empfängers für den Zugang der Erklärung . . . . . . d) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anhang: Tabellarische Übersicht zum Zugang von Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Einsatz von Empfangsboten und Stellvertretern bei mündlichen Erklärungen unter dem Blickwinkel der Sprachenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Zugang beim Einsatz von Mittelspersonen . . . . .

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2. Stellungnahme zum „Sprachrisiko“ bei dem Einsatz von Mittelspersonen auf Empfängerseite . . . . . . . . . . . . . F. Die Sprache als Problem der Form der Willenserklärung . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Form der Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der sog. „erweiterte Formbegriff“ und das „Sprachrisiko“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konsequenzen der Anwendung eines „erweiterten Formbegriffs“ für das Sprachenproblem . . . . . . 4. Stellungnahme zum „erweiterten Formbegriff“ . .

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§ 6 Sprachrisiken und die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Die Auslegung von Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Gespeicherte“ (verkörperte) Erklärungen . . . . . . . . a) Vorüberlegungen betreffend die Auslegung von Willenserklärungen in deutscher Sprache, die gegenüber Sprachunkundigen abgegeben werden . . . b) Vorüberlegungen betreffend Willenserklärungen in einer Fremdsprache, die gegenüber Deutschen abgegeben werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nicht „gespeicherte“ (nicht verkörperte) Erklärungen . a) Anwendung der reinen Vernehmungstheorie . . . . . b) Anwendung der eingeschränkten Vernehmungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die verschiedenen Stufen der Auslegung . . . . . . . II. Die Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB und die Lehre vom Empfängerhorizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 133 und § 157 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Lehre vom Empfängerhorizont . . . . . . . . . . . . 3. Die Auslegungsregeln des UN-Kaufrechts . . . . . . . . 4. Berücksichtigung subjektiver Elemente? . . . . . . . . . 5. Die rein objektive Betrachtungsweise der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die objektive Auslegung fremdsprachiger Begriffe . . . III. Die bei der Auslegung zu beachtenden „Umstände der Erklärung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Die „Auslegungssorgfalt“ oder „Auslegungsverantwortung“ des Erklärungsempfängers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dogmatische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Umfang der Auslegungssorgfalt im übrigen . . . . . . 4. Muttersprachler als Empfänger. . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sprachunkundiger als Empfänger . . . . . . . . . . . . . . V. Die Verantwortung des Erklärenden in bezug auf die Erkenntnismöglichkeiten des Erklärungsempfängers („Erklärendenverantwortung“) . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zwischenergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Dissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen: Konsens und Dissens . . . . . . . . . . . . . . . 1. Natürlicher und normativer Konsens . . . . . . . . . . . . 2. Offener und versteckter Dissens . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Unterscheidung zwischen dem „Totaldissens“ und den in §§ 154, 155 BGB geregelten Fällen des Dissenses . . . . . . 1. Der sog. Totaldissens oder logische Dissens . . . . . . . . 2. Die in §§ 154, 155 BGB geregelten Dissensfälle. . . . . . . 3. Die Abgrenzung zwischen Dissens und Irrtum . . . . . . III. Einordnung des „Sprachrisikos“ . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorüberlegungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Problem des vom Erklärungsgegner erkannten bzw. für möglich gehaltenen Irrtums bei nicht erkanntem wirklichen Willen des Erklärenden . . . . . . . . . . . . . 3. Ausgleichsquittung und Dissens . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nonverbale, konkludente Erklärungen und Dissens . . . D. Die Auslegung von Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die ergänzende Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . 2. Die nach beiden Seiten hin interessengerechte Auslegung von Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das „Sprachrisiko“ und die Methode der ergänzenden sowie der beiderseits interessengerechten Auslegung . . . . . III. Die Auslegung fremdsprachiger Rechtsbegriffe im Konfliktfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Auslegung mehrsprachiger Verträge . . . . . . . . . . . . Anhang: Die Geltung der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 157 BGB) bei der Auslegung . . . . . . . . . .

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§ 7 Die Anfechtung von Willenserklärungen sowie die culpa in contrahendo bei Rechtsgeschäften mit Sprachunkundigen . . . . . . . . A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Prämisse vom Vorrang der Auslegung . . . . . . . III. Die für die Anfechtung verbleibenden Fälle . . . . . . 1. Nicht erkannter Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subjektive Mehrdeutigkeit . . . . . . . . . . . . . . 3. Verschuldeter Irrtum und Anfechtung . . . . . . . 4. Erklärungsbewußtsein und Anfechtung . . . . . . 5. Anfechtung bei Ausübung von Druck und wegen Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Die verschiedenen Anfechtungstypen . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Telos des § 123 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Arglistanfechtung gemäß § 123 Abs. 1 BGB. . . . . . . . 1. Täuschungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aktive Täuschung durch positive Irrtumserregung. . . b) Irrtumserregung durch Unterlassen bei Bestehen einer Aufklärungspflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Exkurs zur Begründung von Aufklärungspflichten . . aa) Die Unterscheidung von Verträgen der Interessenwahrung und Verträgen des Interessengegensatzes bb) Weitere Kriterien für die Begründung von Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Kriterium der Erkennbarkeit . . . . . . . . . . dd) Gesetzliche Informationspflichten . . . . . . . . . . 2. Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Erklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Arglist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Widerrechtlichkeit der Täuschung? . . . . . . . . . . . . . 5. Anfechtungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Anfechtung trotz eines vom Gegner erkannten Irrtums? 7. Die Begrenzung der Täuschungsanfechtung gemäß § 123 Abs. 2 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Anfechtung wegen Drohung gemäß § 123 Abs. 1 BGB. . 1. Drohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kausalzusammenhang zwischen Drohung und Erklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Widerrechtlichkeit der Drohung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Anfechtungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unanwendbarkeit des § 123 Abs. 2 BGB bei der Drohungsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Abgrenzung zwischen § 123 BGB und § 138 BGB . . . 1. Die Notwendigkeit einer Abgrenzung . . . . . . . . . . 2. Unterscheidung zwischen sittenwidrigem Inhalt des Rechtsgeschäfts und sittenwidrigem Parteiverhalten? . . 3. Weitere mögliche Abgrenzungsmerkmale. . . . . . . . . V. Die Irrtumsanfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB . . . . . . 1. Entwicklung und Regelungsgehalt. . . . . . . . . . . . . a) Die Irrtumsanfechtung und der Risikogedanke. . . . b) Inhalts- und Erklärungsirrtum als Gegenstände der Irrtumsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Sprachenproblematik im Rahmen der Irrtumsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Anfechtung wegen Inhaltsirrtums, § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die von der Irrtumsanfechtung auszunehmenden Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der sog. Verlautbarungsirrtum (einschließlich des Unterschriftsirrtums) . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der sog. Rechtsfolgenirrtum . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsfolgenirrtum und „Sprachrisiko“ . . . . . . 4. Anfechtung wegen Erklärungsirrtums, § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kausalzusammenhang zwischen Irrtum und Erklärung 6. Unverzüglichkeit der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Unverzüglichkeit der Anfechtung in den „Sprachrisiko“-Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Anfechtung von Ausgleichsquittungen nach § 119 Abs. 1 BGB als Problemfall . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die möglichen Irrtümer im Zusammenhang mit der Unterzeichnung einer Ausgleichsquittung . . bb) Unanfechtbarkeit der Ausgleichsquittung? . . . . cc) Anwendung der Grundsätze der Irrtumsanfechtung auch auf Ausgleichsquittungen . . . . dd) Folgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXV

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aa) Überwiegende Ablehnung der Anfechtung von Ausgleichsquittungen durch die Rechtsprechung. . bb) Kritische Würdigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vereinzelte Zulassung der Anfechtung von Ausgleichsquittungen durch die Rechtsprechung. . c) Ergänzende Anwendung des Bereicherungsrechts auf Ausgleichsquittungen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die Anfechtung wegen Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften, § 119 Abs. 2 BGB . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die problematische Teleologie der Vorschrift . . . . bb) Die Subsidiarität der Vorschrift. . . . . . . . . . . . b) Die einzelnen Voraussetzen der Vorschrift . . . . . . . aa) Der Eigenschaftsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Verkehrswesentlichkeit der Eigenschaft. . . . . (1) Verkehrswesentlichkeit bei Sachen . . . . . . . . (2) Verkehrswesentlichkeit bei Personen. . . . . . . cc) Weitere Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Alternative Lösungskonzepte? . . . . . . . . . . . . ee) Das Kausalitätserfordernis . . . . . . . . . . . . . . VII. Ausschluß der Anfechtung nach Treu und Glauben . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sprachenbezogene Umstände. . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Geltenlassen des Erklärungsinhalts durch den Anfechtungsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. „Wartepflicht“ des Anfechtungsberechtigten? . . . . . . . 5. Der vorübergehende Wegfall des Anfechtungsgrundes . . C. Rangfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verhältnis des § 123 BGB zu den Regeln der culpa in contrahendo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die parallele Anwendbarkeit nach der Rechtsprechung . 2. Kritik und praktische Konsequenzen . . . . . . . . . . . a) Die praktischen Folgen der Ansicht der Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die dogmatischen Bedenken der Literatur. . . . . . . 3. Vermögensschaden als Voraussetzung der Haftung wegen Verschuldens beim Vertragsschluß? . . . . . . . . a) Der Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtslage nach der Schuldrechtsreform . . . . .

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XXVI

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II.

Subsidiarität der c.i.c.-Haftung gegenüber den Regeln des Gewährleistungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtslage vor der Schuldrechtsmodernisierung . . 2. Die Rechtslage nach der Schuldrechtsmodernisierung. . a) Die Mehrheitsmeinung in der Literatur . . . . . . . . b) Die Gegenauffassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Haftung nach c.i.c. bei erkanntem Motivirrtum? . . . . . . 1. Die vorsätzliche Ausnutzung eines erkannten Motivirrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fahrlässige Irreführung und Motivirrtum . . . . . . . . 3. Sprachenbedingte Motivirrtümer . . . . . . . . . . . . .

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§ 8 „Sprachrisiko“ und Allgemeine Geschäftsbedingungen. . . . . . . . .

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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Die Einbeziehungskontrolle gemäß § 305 BGB . . . . . . . . . . . I. Der Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . . . II. Die im Hinblick auf Sprachenfragen relevanten Fallgestaltungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Einbeziehung von AGB in Verbraucherverträge . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Einbeziehungsvoraussetzungen gemäß § 305 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der ausdrückliche Hinweis des Verwenders auf seine AGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme für den Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schriftliche und mündliche Verträge . . . . . . . . . bb) Vertragsschluß ohne direkten persönlichen Kontakt der Kontrahenten . . . . . . . . . . . . . . cc) Zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme und Verständlichkeit der AGB . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme und angemessene Berücksichtigung einer körperlichen Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die zentralen Aussagen des Gesetzgebers . . . . (2) Berücksichtigung sprachenbedingter Verständnisdefizite nach § 305 Abs. 2 BGB?. . . c) Der Hinweis auf und die Verwendung von deutschsprachigen AGB gegenüber ausländischen Adressaten

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Inhaltsverzeichnis

XXVII

aa) Die rechtliche Bedeutung der Verhandlungs- und der Vertragssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Konsequenzen des Abstellens auf die Verhandlungs- und Vertragssprache für die Einbeziehung von AGB bei Beteiligung von sprachunkundigen Ausländern am Vertragsschluß cc) Verhandlungen in einer Fremdsprache und der Hinweis auf AGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Sprache der AGB bei Verträgen mit ausländischen Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Hinweis auf die AGB durch Aushang am Ort des Vertragsschlusses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aushang statt Hinweis. . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Sprache des Aushangs . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Einbeziehung von AGB bei sog. Distanzgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mögliche Abweichungen bei gezieltem Ansprechen von Kunden mit Wohnsitz im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Sprachregulierung bei Fernabsatzgeschäften über Finanzdienstleistungen gegenüber Verbrauchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Einbeziehung von AGB gegenüber deutschen Verbrauchern, die sich im Ausland aufhalten . . . . . . aa) Das Problem der Einschränkung von Verbraucherrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Einbeziehung fremdsprachiger Vertragsbedingungen gegenüber deutschen Verbrauchern im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Die Verwendung fremdsprachiger AGB durch ausländische Verwender gegenüber inländischen Adressaten bei Distanzgeschäften . . . . . . . . . . . . IV. Die Einbeziehung von AGB in Verträge mit Unternehmern 1. Unanwendbarkeit von § 305 Abs. 2 und Abs. 3 BGB . . . . 2. Die abweichenden Anforderungen an den Einbeziehungshinweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Sprache des ausdrücklichen Einbeziehungshinweises im unternehmerischen Geschäftsverkehr . . . . 4. Die Sprache der AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXVIII

Inhaltsverzeichnis

5. Üblichkeit und Handelsbrauch. . . . . . . . . . . . 6. Das Problem der „Weltsprache“ . . . . . . . . . . . a) Verhandlungssprache statt „Weltsprache“ . . . . b) Kritik an dem verhandlungssprachenbezogenen Ansatz der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . .

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C. Die Transparenzkontrolle gemäß § 305c Abs. 1 BGB . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktion und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendbarkeit des § 305c BGB auf Arbeitsverträge. . . 3. Die einzelnen Schritte bei der Prüfung überraschender Klauseln im Sinne des § 305c Abs. 1 AGB . . . . . . . . . II. Die Tatbestandsmerkmale des § 305c Abs. 1 BGB . . . . . . 1. Ungewöhnlichkeit der Klausel(n) . . . . . . . . . . . . . 2. Der Überraschungseffekt auf seiten des Kunden . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der konkret-generelle Beurteilungsmaßstab bei der Überrumpelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die maßgeblichen Erkenntnismöglichkeiten des Durchschnittskunden . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Berücksichtigung der konkreten Situation . . c) Zwischenergebnisse zur Ausgleichsquittungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der regelmäßig gegebene Überraschungseffekt . . bb) Die Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten gemäß § 310 Abs. 4 S. 2 BGB in bezug auf die Ausgleichsquittung . . . . . d) Der Überraschungseffekt bei ausländischen Adressaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Nichtberücksichtigung individueller Sprachdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Risikoerklärung: Selbstverantwortung versus Überraschungsschutz . . . . . . . . . . . . cc) Gruppen von Ausländern als homogene Kundenkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Der Überraschungseffekt bei unternehmerischen Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Grundsatz der objektiven Auslegung . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. 3. 4. 5.

Verwendung gegenüber Verbrauchern. . . . . . . . . . . Verwendung gegenüber Unternehmern . . . . . . . . . . Fachsprachengebrauch und allgemeiner Sprachgebrauch Der Grundsatz der objektiven Auslegung von AGB und das „Sprachrisiko“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) AGB in deutscher Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verhältnis von Original und Übersetzung . . . . III. Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Voraussetzungen des § 305c Abs. 2 BGB . . . . . b) Die Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kundenfreundliche versus kundenfeindliche Auslegung 3. Das Verhältnis der ergänzenden Auslegung zur Unklarheitenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Problem der Revisibilität ausländischer und fremdsprachiger AGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Möglichkeit der Auslegung von AGB in der Revisionsinstanz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Problem der Revisibilität ausländischer AGB . . . . a) Die ablehnende Haltung der Rechtsprechung . . . . . b) Die Kritik der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Revisibilität fremdsprachiger AGB inländischer Verwender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Die Sprachenfrage im Rahmen der Inhaltskontrolle von AGB gemäß §§ 307 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entwicklung der Inhaltskontrolle bis zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 307 BGB als Zentralnorm der Mißbrauchskontrolle . . . 3. Transparenzgebot und Überrumpelungsschutz . . . . . . a) Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB . . . . aa) Inhalt und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die systematische Stellung des Transparenzgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Problem der isolierten Intransparenz . . . . . . b) Die getrennte Prüfung des überraschenden Charakters und der Mißbräuchlichkeit von Klauseln . II. Die Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB im einzelnen 1. Sinn und Zweck der Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . .

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XXX

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2. Genereller versus individueller Beurteilungsmaßstab bei der Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen . . . a) Die Pflicht zur Berücksichtigung der vertragsschlußbezogenen Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berücksichtigung individueller persönlicher Umstände bei der Inhaltskontrolle im Wege der richtlinienkonformen Auslegung? . . . . . . . . . . . c) Mögliche Auswirkungen der Erwägungsgründe der Klauselrichtlinie auf die „Sprachrisiko“-Thematik . . 3. Die Möglichkeiten der Anfechtung durch den Kunden im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Frage nach der Verteilung des „Sprachrisikos“ im Rahmen der Inhalts- und Transparenzkontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Inhaltskontrolle bei Verträgen mit Unternehmern . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltskontrolle versus Handelsbrauch . . . . . . . . . . a) Der Grundsatz: keine Inhaltskontrolle von Handelsbräuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Treu und Glauben als Grenzen des Handelsbrauchs . d) Die Inhaltskontrolle bei kollektiv ausgehandelten AGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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F. Ausgewählte AGB-rechtliche Besonderheiten außerhalb der §§ 305 ff. BGB im internationalen Handelsverkehr zwischen Unternehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Grundsatz der Verhandlungs- und Vertragssprache bei der Einbeziehung formularmäßiger Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die sprachlichen Anforderungen an den Einbeziehungshinweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die formularmäßige Vereinbarung des Erfüllungsortes . . III. Die Grundsätze der autonomen und der engen Auslegung im internationalen Prozeßrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die autonome Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die enge Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XXXI

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3. Die praktischen Auswirkungen dieser Auslegungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Unzulässigkeit strengerer nationaler Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Berücksichtigung der Wertungen des nationalen AGB-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kein Verzicht auf eine tatsächliche Willenseinigung bei Gerichtsstandsvereinbarungen – das Problem des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Zweck der Formerfordernisse des Art. 23 Abs. 1 S. 3 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Form und materieller Konsens gemäß Art. 23 Abs. 1 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gerichtsstandsvereinbarung und kaufmännisches Bestätigungsschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Der Zusammenhang zwischen Form, Sprache und Handelsbrauch – das „Sprachrisiko“ bei Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . .

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§ 9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zu § 1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zu § 2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zu § 3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zu § 4. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zu § 5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

636

Zu § 6. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zu § 7. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zu § 8. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

663 681

Erster Teil

Grundlagen

§ 1 Einleitung A. Thematische Eingrenzung Die vorliegende Monographie ist dem Thema der Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr gewidmet. Sie behandelt somit einen Ausschnitt aus dem in jüngerer Zeit vermehrt – auch von philologischer und philosophischer Seite – thematisierten Verhältnis von Sprache und Recht.1 Das Ziel dieses Buches besteht aller1 Literatur: Louis Günther, Recht und Sprache, Berlin 1898; v. Hippel, Das Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, 1936, § 13, S. 159 ff.; Forsthoff, Recht und Sprache: Prolegomena zu einer richterlichen Hermeneutik, Halle 1940 (vgl. auch den unv. Nachdruck, Tübingen 1971); Neumann-Duesberg, Sprache im Recht, Münster 1949; Gadamer (Hrsg.), Das Problem der Sprache: Achter deutscher Kongreß für Philosophie, Heidelberg 1966, München 1967; Fleiner, Recht – Sprache – Wirklichkeit: die Bedeutung der Sprache für das Recht, Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie , Bd. 19 (1972), 165 ff.; Viehweg (Hrsg.), Recht und Sprache: Vorträge auf der Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) in der Bundesrepublik Deutschland, Mainz, 3. 10.–5. 10. 1974, Wiesbaden 1977; Ermert, Sprache und Recht: Sommerakademie vom 27. bis 31. Juli 1980, Rehburg 1980; Kaeber, Recht und Sprache, Bonn 1983; Wassermann, Recht und Sprache: Beiträge zu einer bürgerfreundlichen Justiz, Heidelberg 1983; Baier, Sprache und Recht im alten Österreich, München u. a. 1983; Evangelische Akademie Boll (Hrsg.), Recht und Sprache: Tagung vom 5. bis 7. Oktober 1984 in Bad Boll, 1984; Großfeld, Sprache und Recht, JZ 1984, 1 ff.; ders., Sprache, Recht, Demokratie, NJW 1985, 1577 ff.; Ehrlich, Sprache, Recht, Dichtung, 2. Aufl., Bamberg 1987; Schönherr, Sprache und Recht: Aufsätze und Vorträge, Wien 1985; Öhlinger, Recht und Sprache: Fritz-Schönherr-Gedächtnissymposium 1985, Wien 1986; Hauck, Sprache und Recht: Beiträge zur Kulturgeschichte d. Mittelalters; FS Ruth Schmidt-Wiegand zum 60. Geburtstag, Berlin 1986; Rentsch, Recht und Sprache: die Ungenauigkeit und Wandelbarkeit der Sprache als juristisches Problem, Zürich 1986; Haas, Recht und Sprache: Festschrift zum 10-jährigen Bestehen der Deutschen Anwaltsakademie, Bonn und München 1989; Kaser, Recht, Sprache und elektronische Semiotik: Beiträge zum Problem der elektronischen Medialisierung von Sprache und Wissen in interdisziplinärer Perspektive, Frankfurt a. M. 1992; Nussbaumer, Sprache und Recht, Heidelberg 1997; Engberg/Trosborg (Hrsg.), Linguists and lawyers – issues we confront: Arbeiten zu Sprache und Recht, Tostedt 1997; Großfeld, Sprache und Schrift als Grundlage unseres Rechts, JZ 1997, 633 ff.; Schiffauer (Hrsg.), Sprache und Recht, Paderborn 1998; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, AK Sprache des Rechts: Vermitteln, Verstehen, Verwechseln, Jahrbuch 1999, S. 227 ff.; Schubarth, Sprache und Recht, Basler juristische Mitteilungen 2000, 175 ff.; Dietich/Klein (Hrsg.), Sprache des Rechts, Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Heft 118, Stuttgart 2000; Lohaus, Recht und Sprache in Österreich und Deutschland: Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten als Folge geschichtlicher Entwicklungen; Untersuchung zur juristischen Fachterminologie in Österreich und Deutschland, Gießen 2000; Lötscher, Sprache und Recht – Bericht von einer Tagung am Institut für

§ 1 Einleitung

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dings nicht darin, das Verhältnis von Sprache und Recht zueinander neu zu bestimmen; auch liegt es nicht in der Absicht seines Verfassers, etwa die Rolle der deutschen Sprache als Rechtssprache im europäischen bzw. internationalen Kontext zu untersuchen. 2 Ebensowenig soll hier die Frage nach der Verständlichkeit der Rechtssprache untersucht werden.3 Schließlich wird auch auf eine ausführliche Darstellung des Regionalsprachenproblems verzichtet.4 Die deutsche Sprache in Mannheim, LeGes Bd. 12 (2001), S. 133 ff.; Schmidt-Wiegand, Sprache und Recht: Gedanken zu Friedrich Carl von Savigny und Jacob Grimm, in: Jahrbuch der Brüder-Grimm-Gesellschaft Bd. 7 (2001), S. 15 ff.; Kronauer/Garber, Recht und Sprache in der deutschen Aufklärung, Tübingen 2001; „Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache“: H. G. Gadamer zum 100., Frankfurt a. M. 2001; Haß-Zumkehr (Hrsg.), Sprache und Recht: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache 2001, Berlin 2002; Bungarten/Engberg, Recht und Sprache: eine internationale Bibliographie in juristischer und linguistischer Fachsystematik, Tostedt 2003; Dietrich, Von der weltanschaulichen zur kulturellen Neutralität des Staats?: Überlegungen zum Sprachenrecht, ARSP 2004, 1 ff. 2 Literatur: Wassermann, Recht und Verständigung als Element der politischen Kultur, in: Recht und Sprache, Heidelberg 1983, S. 40 ff. = DRiZ 1983, 3 ff.; Herberger, Unverständlichkeit des Rechts, in: Recht und Sprache, Heidelberg 1983, S. 19 ff.; Weir, Die Sprachen des europäischen Rechts: eine skeptische Betrachtung, ZEuP 1995, 368 ff.; Luttermann, Rechtssprachenvergleich in der Europäischen Union: Ein Lehrbuchfall: EuGH, EuZW 1999, 154 – Codan, EuZW 1999, 401 ff.; Kjaer, Überlegungen zum Verhältnis von Sprache und Recht bei der Übersetzung von Rechtstexten der Europäischen Union, in: Übersetzen von Rechtstexten, Tübingen, 1999, S. 63 ff.; dies., Recht und Sprache in der Europäischen Union: zur Rolle der Mehrsprachigkeit des EU-Rechts im integrationsrechtlichen Prozeß, Kopenhagen 1999; Sandrock, Die deutsche Sprache und das internationale Recht: Fakten und Konsequenzen, FS Großfeld, 1999, S. 971 ff.; Hattenhauer, Zur Zukunft des Deutschen als Sprache der Rechtswissenschaft, JZ 2000, 545 ff.; Kelz (Hrsg.), Die sprachliche Zukunft Europas: Mehrsprachigkeit und Sprachenpolitik, Baden-Baden 2002; Hoheisel, in: Schulze/Ajani (Hrsg.), Gemeinsame Prinzipien des Europäischen Privatrechts: Studien eines Forschungsnetzwerks, BadenBaden 2003, S. 377 ff.; Kürten, Die Bedeutung der deutschen Sprache im Recht der Europäischen Union: Eine Untersuchung der aktuellen sowie zukünftig möglichen Bedeutung der deutschen Sprache in der EU, Berlin 2004; Lohse, Die deutsche Sprache in der Europäischen Union: Rolle und Chancen aus rechts- und sprachwissenschaftliche Sicht, BadenBaden 2004; Müller/Burr (Hrsg.), Rechtssprache Europas: Reflexion der Praxis von Sprache und Mehrsprachigkeit im supranationalen Recht, Berlin 2004; Schnapp, Von der (Un-)Verständlichkeit der Juristensprache, JZ 2004, 473 ff.; Kürten, Die Bedeutung der deutschen Sprache im Recht der Europäischen Union, Berlin 2004 (rezensiert von Flessner, ZEuP 2007, 718 ff.); Creech, Law and Language in the European Union: The Paradox of a Babel „United in Diversity“, Groningen 2005 (rezensiert von Reinkenhof, ZEuP 2007, 714 ff.). 3 Literatur: Weinberger, Syntaktische und semantische Probleme der Gesetzgebung, in: Öhlinger (Hrsg.), Methodik der Gesetzgebung: Legalistische Richtlinien in Theorie und Praxis (Forschungen aus Staat und Recht, Bd. 57), Wien 1982, S. 169 ff.; siehe auch die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Sprache des Rechts. Vermitteln, Verstehen, Verwechseln“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (November 1999 bis Mai 2004) auf den Webseiten http://www.bbaw.de/bbaw/Forschung/Forschungsprojekte/sdr/de/Startseite und http://www.bbaw.de/sdr/. Die Ergebnisse des Projekts sind 2004 bzw. 2005 in der dreibändigen Schriftenreihe „Die Sprache des Rechts“ (Hrsg. Kent D. Lerch) veröffentlicht worden (rezensiert von Roellecke, FAZ v. 9. 5. 2005, Nr. 106, S. 49). 4 Siehe dazu das Europäische Übereinkommen zum Schutz der Regional- und Minderheitensprachen nebst den drei hierzu von der Bundesrepublik Deutschland abgegebenen Erklärungen, Sartorius II, Nr. 121; siehe ferner BGH NJW 2003, 671 zur Unzulässigkeit des Ge-

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Erster Teil: Grundlagen

Sprachwissenschaft ist gleichfalls nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, da sie zur Lösung der anstehenden rechtlichen Wertungsfragen bei der Zuweisung des „Sprachrisikos“ zwischen Privatrechtssubjekten nichts Substantielles beitragen kann.5

B. Gegenstand der Untersuchung und begriffliche Grundlagen I. Gegenstand der Untersuchung 1. In der vorliegenden Untersuchung geht es vielmehr im Schwerpunkt darum, rechtliche Klarheit für Sachverhalte zu gewinnen, in denen – im Zusammenhang mit dem Abschluß privatrechtlicher Verträge – durch sprachenbedingte Mißverständnisse zwischen den Parteien Rechtsprobleme entstehen, die gelöst werden müssen. Kurz: Die Untersuchung behandelt die Frage nach der Zuweisung des sog. „Sprachrisikos“ im Privatrechtsverkehr und damit ein Rechtsproblem, welches „bis heute als ungelöst bezeichnet werden darf“6 und das eine „bislang vollkommen unberechenbare Rechtsprechung“7 hervorgerufen hat. Negativ formuliert bedeutet das vor allem, daß die Frage nach der Sprache vor Gericht und im Verkehr mit Verwaltungsbehörden, also das sog. „Sprachrisiko im Verfahren“, hier keine Beachtung findet. Diese thematische Einschränkung betrifft insbesondere die Frage nach dem Recht ausländischer Personen auf die Verwendung ihrer Muttersprache vor Behörden und Gerichten und korrespondierende Pflichten des Staates zur Bereitstellung von Übersetzungen bzw. Dolmetschern. 8 2. Die Untersuchung beschränkt sich außerdem auf Fragestellungen aus dem Vertragsrecht. Die Besonderheiten des Deliktsrechts einschließlich der praxis-

brauchs niederdeutscher (plattdeutscher) Bezeichnungen im Gebrauchsmusterrecht. – Literatur: Mäder, Sprache und Recht: Minderheitenschutzrecht in Deutschland, JuS 2000, 1150 ff.; Hattenhauer, Zur Zukunft des Deutschen als Sprache der Rechtswissenschaft, JZ 2000, 445 (451); Teissier, Zum Schutz der Regionalsprachen im europäischen Frankreich: Rechtstatsachen und Rechtsprobleme, Hamburg 2005 (zugl. Diss. Universität Hannover, 2004); Weber, Die sprachen- und bildungspolitische Frage in einem Europa der Bürger, ZFSH/SGB 2005, 531 (538). 5 Zum Stand der Sprachwissenschaft siehe z. B. Bisang, Interkulturalität und Sprache: die Grenzen sprachwissenschaftlicher Erkenntnis, Natur & Geist 2007, 9 ff. 6 Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 1. An der Beurteilung des Problems durch Baumgärtel hat sich – trotz einer Reihe inzwischen zu diesem Thema bzw. von zu Einzelfragen erschienenen Werken – nichts geändert. 7 Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 133. 8 Vgl. dazu Ingerl, Sprachrisiko im Verfahren: zur Verwirklichung der Grundrechte deutschunkundiger Beteiligter im Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 1998; Braitsch, Gerichtssprache für Sprachunkundige im Lichte des „fair trial“, Frankfurt a. M. u. a. 1991; Kahl, JuS 2007, 201 (208); ferner BVerfG NJW 2004, 1443.

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relevanten Fallgestaltungen im Arzthaftungsrecht9 sowie Sprachenprobleme aus den Bereichen des Sachen-, Familien-10 und Erbrechts11 oder weiter des Betriebsverfassungsrechts12 werden nicht im einzelnen untersucht oder nur gelegentlich gestreift. Das entspricht dem herkömmlichen Verständnis der „Sprachrisiko“-Thematik in Wissenschaft und Praxis.13 3. Statt dessen wird in einem „vor die Klammer gezogenen“ § 2 der Frage nachgegangen, inwieweit Sprachenkonflikte durch Rechtsnormen gelöst werden können. Das damit angesprochene Thema der „Sprachregulierung“ wäre selbständiger Monographien würdig.14 Hier soll seine Erörterung im Großen und Ganzen auf jene Rechtsnormen beschränkt bleiben, die Einfluß auf die Gestaltung und den Inhalt von privatrechtlichen Verträgen haben, sei es, daß sie das Sprachrisiko im Rahmen ihres Anwendungsbereichs gesetzlich zuweisen, sei es, daß sie sich „reflexartig“ auf die Gestaltung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse auswirken. II. Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen der Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften und dem „Sprachrisiko“ im Vertragsrecht 1. Das „Sprachrisiko“ a) Begriffliche Herkunft Der Begriff des „Sprachrisikos“, der die vorliegende Monographie als ein Leitbegriff begleiten wird, ist kein wirklicher Rechtsbegriff im Sinne eines gesetzlichen oder in der Rechtssprache feststehenden Ausdrucks, mithin kein „Funktionsbegriff“ des Rechts. Gleichwohl hat er sich in der Rechtssprache15 als eine 9 Zur Aufklärungspflicht des Arztes bei einem Sterilisationseingriff an einer ausländischen sprachunkundigen Patientin siehe OLG Düsseldorf NJW 1990, 771; ferner Bergmann, BADK-Informationen 2/2003, 66 (67, 68 f.); ausführlich zur Selbstbestimmungsaufklärung ausländischer Patienten und dem deliktsrechtlichen „Sprachrisiko“ des behandelnden Arztes Muschner, VersR 2003, 826 ff. 10 Zur Sittenwidrigkeit eines ehelichen Unterhaltsverzichts durch eine der deutschen Sprache nicht mächtige, aus Rußland stammende Ehefrau siehe BGH NJW 2007, 907. 11 Zur Sprachenproblematik im Zusammenhang mit der Auslegung letztwilliger Verfügungen vgl. knapp Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 317. 12 Zur Anfechtung einer Betriebsratswahl m Fall der Unterrichtung sprachunkundiger ausländischer Arbeitnehmer über die Wahl in deutscher Sprache siehe OLG Hamm v. 27. 1. 1982–3 TaBV (juris). 13 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Gutmann, AuR 2008, 81 (85) zum Thema „Sprachlosigkeit als Rechtsproblem“. Verf. zieht ebd. das Fazit, daß eine einheitliche Grundstruktur für die sprachlichen Anforderungen nicht zu erkennen sei und daß sich der Gesetzgeber bemühe, diese Anforderungen der Eigenart der einzelnen Rechtsgebiete anzupassen. 14 Vgl. dazu Theme, Sprache und Gesetzgeber, passim. 15 Vgl. Rainer, in: FS Ernst A. Kramer, S. 389 (396): „Rechtssprache ist nicht eine Aneinanderreihung von Begriffen, sondern es sind die Begriffe, die innerhalb einer Sprache das Juristische der Sprache ausmachen.“

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Erster Teil: Grundlagen

Art Umschreibung des Problems, welches Rechtssubjekt im Privatrechtsverkehr die Folgen sprachlichen Nicht- oder Mißverständnisses trägt, durchgesetzt; 16 er ist also mehr „Zeichen für die Sache“ als eine „Defi nition“.17 Es handelt sich dabei um einen relativ jungen „Rechtsbegriff“, der in der Mitte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts am Beispiel des Rechtsverkehrs deutscher Unternehmer mit ausländischen Arbeitnehmern der ersten Generation entwickelt wurde. Die erste publizierte Erwähnung des Begriffs stammt offenbar von Hohn; sie datiert aus dem Jahr 1965 und hat für das Problem eine bestechend einfache Lösung für das dahinterstehende Rechtsproblem parat. Sie lautet: „Das Sprachrisiko muß von einem Gastarbeiter, der die deutsche Sprache nicht beherrscht, getragen werden.“18 b) Erweiterung auf sprachenbezogene Verständigungsfragen im Privatrechtsverkehr Das vorstehende Zitat und seine Herkunft könnten zu der irrigen Annahme verleiten, daß der Begriff „Sprachrisiko“ ausschließlich arbeitsrechtliche Fragen – nämlich solche der Wirksamkeit der Auflösung von Arbeitsverhältnissen – betreffe. Dem möglichen Mißverständnis ist mit der Klarstellung zu begegnen, daß die Judikatur und das Schrifttum den Begriff „Sprachrisiko“ mit Recht auf alle sprachenbezogenen Verständigungsfragen im Privatrechtsverkehr erstreckt haben. Die hinter diesem Begriff verborgene Problematik ist daher keine singulär arbeitsrechtliche, sondern es handelt sich um außerordentlich vielschichtige Fragenkreise des Privatrechtsverkehrs, für die eine generelle und einfache Lösung – wie das obige Zitat suggeriert – gerade nicht zur Verfügung steht. Die Suche nach der Einheitslösung für „das“ Problem „des Sprachrisikos“ wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt. Deshalb darf man sich nicht von jenen Literaturstellen in die Irre führen lassen, welche besagen, daß das „Sprachrisiko“ als Zugangsproblem, als Auslegungsproblem oder nach welchen zivilrechtlichen Kategorien auch immer zu lösen sei. Diese Aussagen haben meist einen richtigen Kern. Unrichtig werden sie erst durch ihre Verabsolutierung. c) Begriffliche Umschreibungen und Definitionsversuche Der Begriff des „Sprachrisikos“ hat in der Literatur verschiedene Umschreibungen und Definitionsversuche erfahren, und zwar je nach Zusammenhang in 16

Siehe Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 220. Vgl. Lichtenberg, Aphorismen, Heft K Nr. 19 (= S. 785 f.), Frankfurt a. M. 2005 (Edition Leitzmann); sie auch dens., a.a.O., Buch A Nr. 109, S. 33: „Es ist ein gantz unvermeidlicher Fehler aller Sprachen, daß sie nur genera von Begriffen ausdrücken, und selten das hinlänglich sagen was sie sagen wollen.“ 18 Hohn, BB-Beilage zu Heft 34/1965 „Ausländische Industriearbeiter und deutsches Recht“, S. 9; ablehnend dazu Schulte, DB 1981, 937 (938). 17

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den Bereichen des Internationalen Privatrechts,19 des allgemeinen Zivilrechts – genauer: der Rechtsgeschäftslehre – 20 sowie des Arbeitsrechts21. Außerdem findet sich der Begriff auch im Internationalen Prozeßrecht 22 . Für die hier vor allem interessierende Rechtsgeschäftslehre hat man dazu folgende Umschreibungen entwickelt: „Das Sprachrisiko bezeichnet die für die Beteiligten aus einer Sprachenkollision entstehende Gefahrenlage im Rahmen eines rechtsbedeutsamen Kommunikationsprozesses.“23 Etwas konkreter ist eine andere Formulierung, wonach man unter dem Begriff „Sprachrisiko“ „allgemein die Frage [versteht], wer die Folgen zu tragen hat, wenn bei einer rechtsgeschäftlichen Erklärung oder der Hinnahme von AGB eine Partei den Inhalt der jeweiligen Erklärung aus sprachlichen Gründen nicht versteht.“24 Gemeint sei die Frage, „wer die nachteiligen Folgen von Verständigungsschwierigkeiten und sprachlichen Mißverständnissen zu tragen hat.“25 , beziehungsweise „die Frage, ob mit einer Willenserklärung die mit ihr bezweckte Rechtswirkung trotz bestehender Sprachprobleme herbeigeführt werden kann.“26 Im Arbeitsrecht bezeichnet der Begriff „Sprachrisiko“ nach einer Beschreibung aus der Literatur „allgemein die Verteilung der Nachteile, die sich aus einem sprachlichen Mißverständnis infolge mangelnder deutscher Sprachkenntnisse des ausländischen Arbeitnehmers ergeben“. 27 Die Liste der Umschreibungen und Definitionen dieses Begriffs ließe sich ohne Mühe erheblich verlängern, was angesichts des fehlenden Mehrwerts einer solchen Aufzählung aber unterbleiben soll. 2. Begriffl iche Kritik und alternative Bezeichnungen a) Im Schrifttum hat man den Begriff „Sprachrisiko“ zum Teil für mißverständlich erklärt. 28 Als Alternative wurde der Ausdruck „Verständigungsrisiko“ vorgeschlagen.29 Diese Kritik hat eine gewisse Berechtigung. Der weiter gefaßte Begriff des „Verständigungsrisikos“ bringt nämlich deutlich zum Ausdruck, daß es um verschiedene sprachbezogene Verständigungsprobleme im Zusammenhang mit dem Abschluß von Rechtsgeschäften geht, und nicht etwa 19 Gola/Hümmerich, BlStSozArbR 1976, 273 (275); Jayme, FS Bärmann, S. 509 (511 mit Fn. 8); Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (466). 20 Jayme, FS Bärmann, S. 509 (511, 515); Linke, ZVR 79 (1980), 1 (46 f.) (zum Begriff „Sprachendivergenz“); Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 2; Kallenborn, Sprachenproblem, S. 7 mit Fn. 23; Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 463. 21 Linke, ZVR 79 (1980), 1 (46 f.); Jancke, Sprachrisiko, S. 1. 22 OGH JBl. 2000, 121 (122). 23 Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 2. 24 Kallenborn, Sprachenproblem, S. 7 mit Fn. 23. 25 Blase/Dornhegge, RIW 2002, 55 (56). 26 Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 463. 27 Jancke, Sprachrisiko, S. 1. 28 Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (466); Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 17 mit Fn. 3. 29 Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (466); ihm folgend Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 17 mit Fn. 3.

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Erster Teil: Grundlagen

um die Verwendung einer ganz bestimmten Sprache, also der deutschen Sprache, der „Verhandlungssprache“, der „Vertragssprache“, usw. In der Sprachenverwendung der Parteien begründete Mißverständnisse sind auch in dem Fall denkbar, daß beide Parteien bei den Vertragsverhandlungen dieselbe Sprache gebrauchen, diese aber unterschiedlich gut beherrschen.30 Die Kritik hat ihren Niederschlag im Untertitel dieses Buches gefunden, für den nur aus sprachlichen Gründen der Begriff „Verständnisrisiken“ gewählt wurde, der mehr auf das Ergebnis als auf den Prozeß der Verständigung zwischen den Kontrahenten abstellt. b) Wenn der Begriff des „Sprachrisikos“ im weiteren Verlauf der Untersuchung gleichwohl Verwendung finden wird, so trägt dies einerseits der Tatsache einer konkretisierenden begrifflichen Erfassung der Problemlage und andererseits dem Umstand seiner besonders weitgehenden Verbreitung Rechnung. Da eingangs aufgezeigt wurde, welche Rechtsfragen sich dahinter verbergen, dürften diesbezügliche Mißverständnisse auszuschließen sein. Um die Sprachenverwendung als Ursache von Mißverständnissen hervorzuheben, wurde der Begriff zudem auch in den Titel aufgenommen. Allerdings war hier der Plural zu setzen. Denn es gibt – in tatsächlicher Hinsicht – nicht ein „Sprachrisiko“, sondern ganz vielgestaltige „Sprachrisiken“, nicht das „Sprachenproblem“, sondern verschiedene „Sprachenprobleme“. Die Vielschichtigkeit der Problematik führt zu der These, daß die verschiedenen sprachenbedingten Verständnisrisiken sich einer einheitlichen materiellrechtlichen Zuweisung entziehen. c) In terminologischer Hinsicht steht auch der zweite Bestandteil des Wortes, also das „-risiko“, in der Kritik. Im Schrifttum wird dazu vertreten, daß der Begriff „Sprachrisiko“ die Auffassung nahelege, es handele sich bei dem angesprochenen Problemkreis um eine gesetzliche oder durch Richterrecht konzipierte Risikoverteilung bzw. Gefahrtragungsregel.31 Das „Sprachrisiko“ werde gewissermaßen nach Gefahrbereichen aufgeteilt.32 Das sei jedoch insofern problematisch, als zweifellos auch die Erklärungen ausländischer Arbeitnehmer an den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 116 ff.) zu messen seien, die an der Willenserklärung und nicht an der Sprachzugehörigkeit anknüpften.33 Der Begriff „Sprachrisiko“ deute zwar auf eine Gefahrtragungsregel – zu Lasten ausländischer Arbeitnehmer – hin, eine solche existiere aber nicht.34 30 Der Schwerpunkt der hier untersuchten Problematik liegt freilich dort, wo die „Verhandlungs- und Vertragssprache“ für eine der Parteien eine Fremdsprache ist. Es ist nicht beabsichtigt, die Verständigungsrisiken unter Muttersprachlern einer umfassenden Erörterung zu unterziehen, doch wird vergleichsweise gelegentlich auch darauf eingegangen. 31 Jancke, Sprachrisiko, S. 65, 113; ebenso Gola/Hümmerich, BlStSozArbR 1976, 273 (274): „eine durch allgemeine Rechtsnormen nicht abgedeckte Gefahrenregelung“. 32 Jancke, Sprachrisiko, S. 66. 33 Jancke, Sprachrisiko, S. 114; vgl. auch Gola/Hümmerich, BlStSozArbR 1976, 273 (275). 34 Jancke, Sprachrisiko, S. 115, 253. Verf. meint, daß der Begriff „Sprachrisiko“ daher aufgegeben werden könnte, jedoch sei er mittlerweile so eingebürgert, daß er zur Bezeichnung

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d) Dazu ist kritisch anzumerken, daß die Verwendung des Wortes „Risiko“ im vorliegenden Zusammenhang nicht als eine gesetzliche oder richterrechtliche Gefahrtragungsregel im Sinne eines Rechtssatzes (miß)verstanden werden darf. Wie dargelegt geht es sachlich um die Rechtsfolgen sprachbezogener Mißverständnisse im Rechtsverkehr zwischen Privatrechtssubjekten, und dies typischerweise unter Beteiligung von fremdmuttersprachlichen Ausländern. Wenn im Privatrechtsverkehr natürliche Personen aufeinandertreffen, die verschiedene Muttersprachen sprechen, besteht die latente „Gefahr“ von Mißverständnissen und damit – nach dem allgemeinen Sprachgebrauch – ein „Risiko“. Es handelt sich um eine rechtstatsächliche Betrachtungsweise, die keineswegs einen ungeschriebenen, durch Richterrecht geprägten Rechtssatz des Inhalts impliziert, daß jeweils die ausländische Partei eines Vertragsverhältnisses die negativen rechtlichen Folgen eines sprachlichen Mißverständnisses zu tragen habe. Das Wort „Risiko“ deutet auch nicht auf eine Unanwendbarkeit der Regeln über die Rechtsgeschäftslehre bei Willenserklärungen ausländischer Privatrechtssubjekte hin. Weiter wäre die hauptsächliche Verortung der Problematik im Deliktsrecht wegen des klaren sachlichen Bezugs zu Schuldverträgen ganz fernliegend. Deshalb ist an dem „Risiko“-Element innerhalb des Begriffs im Ergebnis festzuhalten,35 zumal alternative Bezeichnungen und Umschreibungen der Problematik – z. B. „Sprach(en)fragen“, „Sprach(en)probleme“ – weniger prägnant und aussagekräftig sind. 3. Die „Sprachregulierung“ a) Der Begriff „Sprachregulierung“ wird nicht mit einheitlicher Bedeutung verwendet.36 Er läßt sich dahin umschreiben, daß konkrete sprachenbezogene Inhalte durch Rechtsvorschriften normiert werden. Dabei ist beispielsweise an so unterschiedliche Regelungskomplexe wie die Festlegung der jeweiligen Staatssprache(n) in den nationalen Verfassungen 37 bzw. der der damit verbundenen Problematik kaum mehr zu umgehen sei. Dies stehe jedoch einer sachgerechten Lösung nicht im Wege; a. A. ist Kallenborn, Sprachenproblem, S. 7 Fn. 23, der in seiner Untersuchung die Verwendung des Begriffs „Sprachrisiko“ mit der Begründung ablehnt, es gehe nicht darum, dem Verbraucher bei Sprachenverwendungen gewisse Risiken aufzuerlegen, sondern vielmehr einen adäquaten Sprachenschutz zugunsten des Verbrauchers zu entwickeln. 35 Vgl. auch Bartholomeyczik, FS Ficker, S. 51 (77), der von „der wertenden Verteilung beherrschter Mitteilungs- und Verständnisrisiken“ spricht; ebenso auch Jayme, FS Bärmann, S. 509 (515); Schwarz, IPrax 1988, 278. 36 Zu dem – hier nicht weiter interessierenden – Verständnis der Begriffe „Sprachregeln“ und „Sprachregulierung“ in der Sprachtheorie (Semiotik) eingehend Weinberger (Fn. 3), S. 169 (172 ff.). 37 So in Österreich, der Schweiz und in Frankreich: Art. 7 der Verfassung des Bundesstaates Österreich vom 24. April / 1. Mai 1934 (BGBl. 1934 Nr. 1) lautet: „Die deutsche Sprache ist die Staatssprache. Die den sprachlichen Minderheiten eingeräumten Rechte werden dadurch nicht berührt.“; Art. 2 Abs. 1 der Verfassung der

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Erster Teil: Grundlagen

Amts-38 und Gerichtssprache(n) 39 durch Gesetz zu denken, weiter an Regelungen über die Sprache von zu erteilenden Informationen und die Führung öffentlicher Register,40 ferner an einfachgesetzliche Sprachengesetze, wie es sie in Belgien, Estland, Frankreich, Irland, Litauen, Lettland, Mazedonien, Norwegen, der Slowakei, in Frankreich41 und in Polen42 gab bzw. gibt.43 Das Gleiche gilt für den gesetzlichen Schutz von Regional- und Minderheitensprachen.44 Außerdem gehört auch die Festlegung interner Arbeitssprachen von multinationa-

Französischen Republik (i.d.F. des Gesetzes v. 22. 2. 1996) lautet: „Francais est la langue de la Republique.“ („Französisch ist die Sprache der Republik.“); Art. 4 der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 19. April 1999 lautet: „Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.“ 38 Zur Regelung der Amts- und Arbeitssprachen in der EU siehe Art. 1 der Verordnung Nr. 1/1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die EWG, ABl. 1958 v. 6. 10. 1958, S. 358. Nach der ursprünglichen Fassung der Verordnung gab es vier Amts- und Arbeitssprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch und Niederländisch). Infolge der letzten Änderung zum 1. 1. 2007, mit dem Gälisch, Bulgarisch und Rumänisch hinzukamen, sind es nunmehr deren dreiundzwanzig Regelungen betreffend die Amtssprache in Deutschland enthalten die §§ 23 VwVfG, 87 Abs. 1 AO, 126 PatG und 19 Abs. 1 SGB X. Zur Verwendung eines englischsprachigen Begriffs in einer behördlichen Ordnungsverfügung OVG Münster, NJW 2003, 2246. Zu gesetzlichen Sprachregeln in Verwaltungsordnungen siehe Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 68 f. 39 Siehe z. B. § 184 GVG, § 126 PatG. Zur Frage der Wahrung einer Rechtsmittelfrist durch Einreichung einer in einer fremden Sprache gehaltenen Rechtsmittelschrift vgl. BGH NJW 1982, 532; zu gesetzlichen Sprachregeln in Prozeßordnungen siehe Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 66 f.; zum Sprachenproblem im europäischen Zivilprozeßrecht, d. h. im Europäischen Mahnverfahren und im Europäischen Verfahren für geringe Forderungen, siehe Sujecki, EuZW 2007, 649, Gastkommentar; zum Annahmeverweigerungsrecht gemäß Art. 8 Abs. 1 EuZVO siehe dens., EuZW 2007, 363 ff. und EuZW 2008, 37. 40 Vgl. z. B. die Sprachenregelungen in § 39 Abs. 4, 40 Abs. 5 GWB; Art. 19 der Richtlinie 2003/71/EG (Prospektrichtlinie), umgesetzt durch § 19 des Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetzes; Art. 44 der Richtlinie 2002/83/EG (Lebensversicherungs-Richtlinie), umgesetzt durch § 7 VVG; Art. 20 der Richtlinie 2004/109/EG (Transparenzrichtlinie), ABl. EG Nr. L 390, S. 38; Art. 20 der Richtlinie 2006/43/EG (Abschlußprüferrichtlinie), umgesetzt durch das Bundesaufsichtsreformgesetz v. 3. 9. 2007 (BGBl. I, S. 2178) in § 37 Abs. 1 der Wirtschaftsprüferordnung (WPO). 41 Vgl. Theme, Sprache und Gesetzgeber, 1. Teil. (S. 26 ff.). 42 Siehe dazu Klapsa, WiRO 2000, 233 ff.; Perdeus, WiRO 2004, 72 ff. 43 Einen Überblick über nationalstaatliche Gesetze über die Verwendung bestimmter Sprachen geben Beckmann, Sprachenstatut, S. 27 ff., Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (383 ff.) und Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 18 mit Fn. 12 sowie S. 38. 44 Siehe dazu das Zweite Gesetz zur Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarechts vom 5. 11. 1992, BGBl. II, S. 2450; Bekanntmachung über den Geltungsbereich der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen, BGBl. II v. 13. 3. 2003, S. 207 sowie die Bekanntmachung in BGBl. I v. 2. 6. 2003, S. 607. Die in Deutschland erfaßten Sprachen sind danach Dänisch, Nordfriesisch, Saterfriesisch, Romanes, Niedersorbisch, Obersorbisch und Niederdeutsch. Aus der Rechtsprechung zum Schutz des Niederdeutschen als Regionalsprache BGHZ 153, 1 = NJW 2003, 671 – Läägeünnerloage. Zur Charta der Regional- und Minderheitensprachen vgl. noch Hattenhauer, JZ 2000, 545 (551).

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len Behörden, z. B. durch das Europäische Patentamt45 oder der EU-Kommission46 , thematisch hierher.47 b) In einem solchen extrem weiten Umfang ist das Thema hier freilich nicht von Interesse. Vielmehr bedarf es, um die Einbeziehung in die vorliegend erörterten Fragenkreise zu rechtfertigen, immer eines konkreten Bezugs der „Sprachregulierung“ zum Privatrechtsverkehr. Es geht also darum, daß ein staatliches Sprachengesetz oder ein Rechtsakt der europäischen Gemeinschaft – typischerweise eine EG-Richtlinie – den Gebrauch einer bestimmten Sprache im Zusammenhang mit dem Vertragsschluß innerhalb des jeweiligen Hoheitsgebiets vorschreibt. In diesen Fällen ist die Zuweisung des „Sprachrisikos“ – im Rahmen des konkreten Anwendungsbereichs der Regelung – schon kraft des nationalen Rechts bzw. des Gemeinschaftsrechts rechtsverbindlich vorgegeben. Einer wertenden Zuweisung der auftretenden Verständnisrisiken in Anwendung des allgemeinen Zivilrechts bedarf es dann nicht mehr. Diesem logischen Vorrang entspricht es, daß dem Problem der „Sprachregulierung“, soweit sie einen Bezug zum Rechtsverkehr zwischen Privatrechtssubjekten aufweist, vorab in § 2 nachgegangen wird. c) Im Rahmen dieses Abschnitts der Untersuchung wird – dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts Rechnung tragend – weiter problematisiert, ob sprachregulierende Vorschriften dieser Art mit den europäischen Grundfreiheiten vereinbar sind. Dies geschieht anhand von gesetzlichen Regelungen, die in Frankreich und Polen getroffen wurden.

45 Gemäß Art. 14 Abs. 1 des Europäischen Patentübereinkommens v. 5. 10. 1973 i.d.F. v. 10. 12. 1998 (siehe www.european-patent-office.org) sind Amtssprachen des Europäischen Patentamts Deutsch, Englisch und Französisch. Europäische Patentanmeldungen sind in einer dieser Sprachen einzureichen. BGHZ 102, 118 = NJW 1988, 1464 hat dazu entschieden, daß ein europäisches Patent, dessen Patentschrift in englischer oder französischer Sprache abgefaßt ist und lediglich die Patentansprüche in deutscher Übersetzung enthält, in der Bundesrepublik Deutschland wirksam ist. Die Sprachenregelung für europäische Patente sei mit Art. 24 Abs. 1 GG vereinbar. Das BVerfG hat mehrfach und auch bezüglich der Tätigkeit des Europäischen Patentamts entschieden, daß es seine Gerichtsbarkeit auf supranationaler Ebene nicht ausübt, wenn ein dem grundgesetzlichen vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährleistet ist, vgl. BVerfG NVwZ 2001, 1148 = NJW 2001, 2705, dort mit weiteren Nachweisen zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. 46 Vgl. dazu Präsidium des Europäischen Parlaments, Verhaltenskodex Mehrsprachigkeit vom 19. 4. 2004 (siehe http://www.europapar.eu.int/meetdocs/2004_2009/documents/Dv/ budg 20040727/code%20DE.pdf.); Oppermann, Die Sprachen der Europäischen Union, in: L’Identité de l’Europe / Die Identität Europas (2002), S. 437 ff.; Yvon, Sprachenvielfalt und europäische Einheit – Zur Reform des Sprachenregimes der Europäischen Union, EuR 2003, 681 ff.; Wägenbaur, EuZW 23/2003, Gastkommentar. 47 Die Regelung interner Arbeitssprachen erfolgt aber nicht notwendigerweise durch Rechtsnormen, da hierfür auch innerbehördliche Organisationsakte in Betracht kommen.

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Erster Teil: Grundlagen

C. Gang der Untersuchung Die Untersuchung ist in zwei Teile gegliedert: I. Der erste Teil (§§ 1 bis 4) behandelt jene Vorfragen, die für die Darstellung der Problematik der Sprachrisiken in dem zweiten Teil der Untersuchung von grundlegender Bedeutung sind. Nach der Erörterung der begrifflichen Grundlagen in diesem ersten Paragraphen wird in § 2 zunächst der Frage nachgegangen, welche Vorgaben dem Europäischen Gemeinschaftsrecht in bezug auf Sprachenfragen entnommen werden können („Sprachregulierung“). § 3 ist den kollisionsrechtlichen Vorfragen gewidmet, die mit dem „Sprachrisiko“ im Privatrechtsverkehr in einem Zusammenhang stehen. § 4 bereitet die materiellrechtliche Erörterung des Themas im zweiten Teil des Buches insoweit vor, als vorab untersucht wird, ob mit dem System und den Prinzipien des Privatrechts eine Art „Koordinatensystem“ für die rechtliche Lösung von Sprachenfragen existiert, welches gegebenenfalls Leitlinien zur Lösung der anstehenden Rechtsfragen bereithält, wenn subsumtionsfähige Rechtsnormen fehlen oder wenn zur Ausfüllung wertausfüllungsbedürftiger Generalklauseln bzw. Rechtsbegriffe konkretisierende Maßstäbe benötigt werden. Die ausführliche Darstellung der geltenden Rechtsprinzipien des Privatrechts ist zwei grundlegenden Annahmen des Verfassers geschuldet: Erstens ist die Zuweisung von Sprachrisiken ein Akt rationaler Wertung, der weder durch einen „freien Dezisionismus“ im Sinne einer „Freirechtslehre“ noch durch eine auf Treu und Glauben fußende bloße Billigkeitsrechtsjurisprudenz im Einzelfall ersetzt werden kann. Vielmehr bedarf es der Offenlegung der Grundwertungen und der aus ihnen abgeleiteten Detailwertungen. Zweitens reicht ein eng verstandener Legalismus bzw. Rechtspositivismus für sich genommen nicht aus, um die anstehenden zivilrechtlichen Wertungsakte zu legitimieren und gegebenenfalls zusätzlich abzusichern. Dazu bedarf es, wie unter anderem Franz Bydlinski und Claus-Wilhelm Canaris im einzelnen dargelegt haben, jedenfalls auch der Heranziehung der zentralen Rechtsprinzipien des Privatrechts.48 II. Der zweite Teil (§§ 5 bis 9) der Untersuchung bildet sowohl in thematischer Hinsicht als auch vom Umfang her betrachtet deren Schwerpunkt. Darin wird das Problem der Sprachrisiken unter dem Blickwinkel des materiellen deutschen Privatrechts erörtert. Da dieses – als gemäß dem Internationalen Privatrecht einschlägig unterstellte – Recht keine allgemeine gesetzliche Regelung zur 48 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die gegen den rechtspositivistischen Ansatz von H. L. A Hart (The Concept of Law, 1961) gerichteten Ausführungen von Dworkin, in: Taking Rights Seriously, p. 22 et seqq. Dworkin versteht sein gesamtes Buch als eine „general attack on positivism“ (p. 22).

§ 1 Einleitung

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Lösung von sprachenbedingten Mißverständnissen enthält, 49 werden die Vorschriften des Allgemeinen Teils des BGB sowie des Allgemeinen Schuldrechts detailliert untersucht. Der zweite Teil der Untersuchung umfaßt fünf Paragraphen: § 5 behandelt die Abgabe und den Zugang von Willenserklärungen, § 6 die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen, § 7 die Anfechtung von Willenserklärungen sowie die Frage nach der Existenz und Reichweite sprachenbezogener Aufklärungspflichten, und § 8 schließlich das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. In diesem Kapitel wird zusätzlich auf Fragen des AGB-Rechts im internationalen Handelsverkehr eingegangen, deren Lösung sich nicht nach den §§ 305 ff. BGB, sondern nach Gemeinschaftsrechtsakten wie der EuGVVO oder Internationalen Übereinkommen wie dem Luganer Übereinkommen vollzieht. Die Untersuchung schließt mit einer thesenartigen Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse in § 9.

49 Siehe auch Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 221, der aus dem Umstand des Fehlens einer allgemeinen Regelung zutreffend ableitet, daß „das Sprachrisiko den Sachnormen über Angebot und Annahme, die Auslegung sowie über den Irrtum“ unterfällt.

§ 2 Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften A. EG-primärrechtliche Vorgaben für europäische Sprachregelungen I. Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft zum Erlaß von Sprachregelungen? 1. Einführung a) Die Europäische Gemeinschaft hat eine Vielzahl von Richtlinienregelungen gemäß Art. 249 Abs. 3 EG erlassen, die konkrete Anforderungen an die Sprache einer rechtserheblichen Erklärung stellen. § 2 dieser Untersuchung ist deshalb dem Thema „Sprachregulierung“ gewidmet.1 Die heute existierenden Sprachregeln der EG-Richtlinien betreffen – im Regelfall durch die zu deren Umsetzung ergangenen nationalen Gesetze, in Ausnahmefällen auch im Wege der unmittelbaren Anwendung – die Rechtsverhältnisse von Privatrechtssubjekten unmittelbar. Es handelt sich dabei zumindest teilweise um ausdrückliche Zuweisungen von Verständnisrisiken durch Rechtsnormen. b) In der Rechtsetzung der Gemeinschaft hat das Ziel des Verbraucherschutzes (vgl. Art. 3 lit. t EG) in der jüngeren Vergangenheit eine immer wichtigere Rolle eingenommen. 2 Als Ausdruck dieser Entwicklung enthält inzwischen eine Reihe von EG-Richtlinien Vorgaben über die Klarheit und Verständlichkeit von rechtlich relevanten Angaben im Privatrechtsverkehr. Deshalb soll das Sprachenproblem auch unter dem Aspekt des gemeinschaftsrechtlichen Klarheits- und Verständlichkeitsgebots gewürdigt werden. Dazu fehlt es bislang an einer stimmigen Gesamtkonzeption.3 Fraglich ist insbesondere, ob sich aus dem Klarheits- und Verständlichkeitsgebot mittelbare Sprachregeln – im Sinne einer 1

Vgl. auch Kallenborn, Sprachenproblem, S. 9. Kallenborn, Sprachenproblem, S. 125 spricht von „der Entwicklung eines eigenständigen europäischen Verbraucherrechts mit einer autonomen inhaltlichen Ausgestaltung“. 3 Siehe Fleischer, ZEuP 2000, 772 (792) m. w. N., der die Lösung des Sprachenproblems zu einem Desideratum erklärt. Die EG-Kommission hat in ihrer „Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament betreffend den Sprachengebrauch für die Information der Verbraucher in der Gemeinschaft“, KOM(93) 456 endg. (abgedruckt in EWS 1994, 126, im Amtsblatt der EG nicht veröffentlicht) in Ziff. 2 festgestellt, daß es aus der Sicht des Verbrauchers bislang offensichtlich weder eine einheitliche Vorgehensweise noch einen systematischen Ansatz in der Frage der Beurteilung der Bedeutung des sprachlichen Kriteriums für die Informationsverbreitung gegeben habe. 2

§ 2 Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften

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Verpflichtung zur Verwendung einer der anderen Partei verständlichen Sprache – ableiten lassen. c) Bevor diesen Fragen im Detail nachgegangen wird, soll allerdings der Kompetenzrahmen untersucht und herausgearbeitet werden, wie weit die Befugnisse der Europäischen Gemeinschaft bei der Normierung von Sprachregeln im einzelnen reichen. Dabei wird vor allem auf Art. 95 EG (Binnenmarkt) und Art. 153 EG (Verbraucherschutz) eingegangen. Im Rahmen dessen werden weiter der Subsidiaritätsgrundsatz des Art. 5 Abs. 2 und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Art. 5 Abs. 3 EG untersucht. 2. Art. 95 EG a) Regelungsgehalt und Reichweite der Binnenmarktkompetenz aa) Maßnahmen gemäß Art. 95 Absatz 1 EG sollen die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts verbessern.4 Es widerspräche danach nicht nur dem Wortlaut der Artikel 3 Abs. 1 lit. c EG und 14 EG, sondern wäre auch unvereinbar mit dem Artikel 5 EG immanenten Prinzip der Einzelermächtigung, wenn Art. 95 EG dahin verstanden würde, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber eine allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarkts besäße. Ein auf der Grundlage von Art. 95 EG erlassener Rechtsakt muß zudem tatsächlich den Zweck haben, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern. Zwar kann die Vorschrift als Rechtsgrundlage herangezogen werden, um der Entstehung neuer Hindernisse für den Handel infolge einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen. Das Entstehen solcher Hindernisse muß jedoch wahrscheinlich sein und die fragliche Maßnahme ihre Vermeidung bezwecken. Die allgemeine Harmonisierungskompetenz für den Binnenmarkt gemäß Art. 95 EG – sowie die speziellen Rechtsangleichungsbefugnisse im Rahmen der Grundfreiheiten – geben der Gemeinschaft demnach keinen „Freibrief“ zur Beseitigung sämtlicher Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften unter Berufung auf mögliche Gefährdungen wichtiger Allgemeinwohlinteressen. 5 Zwar wird in Art. 95 Abs. 3 S. 1 EG bestimmt, daß die Kommission bei ihren Vorschlägen für Rechtsakte nach Abs. 1 in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz von einem „hohen Schutzniveau“ ausgeht und dabei insbesondere alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützte neuen Entwicklungen berücksichtigt. 6 Das Parlament und der Rat streben dieses Ziel im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse ebenfalls an 4 EuGH, Urt. v. 5. 10. 2000 – Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419 = EuZW 2000, 694 – Deutschland/Parlament und Rat (= Tabakwerbeverbot). 5 EuGH, Urt. v. 5. 10. 2000 – Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419 – Deutschland/Parlament und Rat (Tabakwerbeverbot). 6 Vgl. Art. III-65 Abs. 3 gescheiterten Verfassungsentwurfs, der Art. 95 Abs. 3 EG erset-

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Erster Teil: Grundlagen

(Art. 95 Abs. 3 S. 2 EG). Der Begriff des hohen Schutzniveaus sollte jedoch nicht zu der irrigen Annahme verleiten, daß eine Rechtsangleichung zwingend auf dem höchstmöglichen Niveau stattzufinden habe. Vielmehr wird mit diesem Ausdruck lediglich die Rechtsangleichung auf dem niedrigsten mitgliedstaatlichen Niveau ausgeschlossen. Das Angleichungsniveau muß – auch unter Berücksichtigung der geringeren Leistungsfähigkeit der schwächeren Mitgliedstaaten gemäß Art. 15 EG – über dem gemeinschaftlichen Durchschnitt liegen. bb) Für eine besonders weitreichende Zuständigkeit der Gemeinschaft bei der Setzung von Sprachregeln könnte sprechen, daß die Kompetenz aus Art. 95 EG nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung als eine ausschließliche7 zu verstehen ist und der Subsidiaritätsgrundsatz des Art. 5 Abs. 2 EG deshalb unanwendbar sein soll. 8 Für diese Auffassung spricht, daß die ratio legis des Art. 95 EG, die in dem Ziel der Verwirklichung des Binnenmarkts besteht, von Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht berührt wird, da diese nur innerhalb der Grenzen ihrer territorialen und personalen Jurisdiktion handeln dürfen.9 Weiter kann man die Überlegung anstellen, daß eine auf den Binnenmarkt insgesamt bezogene Rechtsangleichung gemäß Art. 95 nur durch die Gemeinschaft erfolgen kann.10 Folgt man dem, dann bildet das Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 2 EG bei dem Erlaß europäischer Sprachregeln – sofern diese auf Art. 95 (bzw. auf Art. 153 Abs. 3 lit. a EG i. V. m. 95 EG) gestützt würden – keine zusätzliche rechtliche Schranke für die Kompetenzausübung durch die Gemeinschaft. cc) Der EuGH hat in dieser Frage jedoch abweichend entschieden. Der Subsidiaritätsgrundsatz finde Anwendung, wenn sich der Gemeinschaftsgesetzgeber auf Artikel 95 EG stütze, da diese Vorschrift ihm keine ausschließliche Zuständigkeit für die Regelung der wirtschaftlichen Tätigkeiten im Binnenmarkt verleihe. Die Prüfung, ob der Subsidiaritätsgrundsatz eingehalten worden sei, umfasse zwei Schritte. Erstens sei zu prüfen, ob das Ziel der in Betracht gezogenen Maßnahme auf Gemeinschaftsebene besser erreicht werden könne. Zweitens sei festzustellen, ob die Regelungsdichte der getroffenen Maßnahme nicht über das zen sollte; vgl. weiter a.a.O., Art. II-38: „Die Politik der Union stellt ein hohes Verbraucherschutzniveau sicher.“ 7 Grabitz/Hilf/Tietje, Art. 95 EGV Rn. 50: „Art. 95 EGV ist dem Subsidiaritätsgrundsatz nicht zugänglich“; zur Diskussion siehe dens., a.a.O., Vor Art 94–97 Rn. 58 f.; Groeben/ Schwarze/Taschner, Art. 94 EG Rn. 18. Generalanwalt Fennelly hat in seinen Schlußanträgen im Verfahren betreffend das deutsche Tabakwerbeverbot ausgeführt, daß Art. 95 EG keinen Platz für Erwägungen biete, die sich auf die vermeintliche Souveränität der Mitgliedstaaten beziehen. Die Vorschrift sei durch die Einheitliche Europäische Akte gerade eingeführt worden, um die Integration des Marktes nicht vom Veto eines einzelnen Mitgliedstaats abhängig zu machen (Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8423 Tz. 81). 8 Zum Ganzen siehe Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. 153 EGV Rn. 32, 36; Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 202 m. w. N. 9 Grabitz/Hilf/Tietje, Vor Art. 94–97 EGV Rn. 59. 10 Vgl. Grabitz/Hilf/Tietje, Vor Art. 94–97 EGV Rn. 59 m. w. N.

§ 2 Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften

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hinausgehe, was zur Verwirklichung des von ihr angestrebten Zieles erforderlich sei.11 Der Gerichtshof geht folglich in bezug auf binnenmarktbezogene Rechtsakte von einer zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeit aus. Die von ihm angenommene Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes des Art. 5 Abs. 2 EG dürfte freilich von theoretischer Natur sein; denn es ist – wie die niederländische Regierung und die Kommission in dem Fall überzeugend vorgetragen haben – nicht ersichtlich, wie durch mitgliedstaatliche Maßnahmen das jeweilige binnenmarktbezogene Ziel mindestens ebenso gut wie durch eine Maßnahme der Gemeinschaft verfolgt werden können sollte. Gemäß Art. 2c Abs. 2 lit. a des Vertrags von Lissabon wird der „Hauptbereich“ Binnenmarkt jetzt ebenfalls den zwischen Union und Mitgliedstaaten geteilten Kompetenzen zugerechnet. Im folgenden soll daher mit dem EuGH davon ausgegangen werden, daß erstens die Binnenmarktkompetenz des Art. 95 EG eine konkurrierende ist und zweitens, daß der Subsidiaritätsgrundsatz des Art. 5 Abs. 2 EG auf Maßnahmen mit dem Ziel der Binnenmarktverwirklichung Anwendung findet. b) Art. 95 EG als Grundlage für eine europäische Sprachenrichtlinie mit konkreter Sprachenvorgabe? aa) Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Europäische Gemeinschaft die Möglichkeit hat, einzelne Sprachenregelungen innerhalb einer EG-Richtlinie mit einer nicht spezifisch sprachenbezogenen Zielsetzung auf die Vorschrift des Art. 95 EG zu stützen.12 Diese Frage soll hier nicht weiter untersucht werden. Fraglich 11

EuGH, Urt. v. 10. 12. 2002 – Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, 6. Leitsatz und Tz. 179 ff. = EuR 2003, 80 – The Queen/Secretary of State for Health, ex parte British American Tobacco (Investments) Ltd. und Imperial Tobacco Ltd. Wie der EuGH auch Callies/Ruffert/Kahl, EUV/EGV, Art. 95 EG Rn. 8; vor dieser Entscheidung bereits von Danwitz, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, B II, Rn. 118: „Auf Art. 95 I EGV gestützte Rechtsakte fallen deshalb in den Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips.“; ablehnend Grabitz/Hilf/Tietje, Vor Art. 94–97 EGV Rn. 59 a. E., der kritisiert, daß der Gerichtshof selbst deutlich mache, daß es mit Blick auf den Subsidiaritätsgrundsatz keine rechtsrelevanten Überlegungen geben könne, die über die Tatbestandsmerkmale des Art. 95 EG hinausgehen würden. Die Prüfung des Art. 5 Abs. 2 EG bleibe dann aber nur eine leere Hülse, was nochmals gegen seine Beachtung insgesamt spreche; ablehnend auch Groeben/Schwarze/Taschner, Art. 94 EG Rn. 18, wo das Fehlen einer spezifisch auf die Rechtsangleichung als solche bezogenen Begründung moniert wird. 12 Siehe dazu EG-Kommission, „Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament betreffend den Sprachengebrauch für die Information der Verbraucher in der Gemeinschaft“, KOM(93) 456 endg., Ziff. 40. Danach kann zur Förderung der Homogenität in jeder Gemeinschaftsmaßnahme, die mit der Information des Verbrauchers zu tun hat, die Verpfl ichtung festgelegt werden, unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips und nach Maßgabe der Besonderheiten jedes einzelnen Falles den sprachlichen Status festzulegen. Richtig ist, wenn die Kommission a.a.O., Ziff. 26 konstatiert, daß Informationslücken bei Lebensmitteln (gleiches gilt beispielsweise auch für Medikamente) schwerwiegende Folgen für den Verbraucher haben können, da sie die Gesundheit oder die Sicherheit von Personen zu beeinträchtigen

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Erster Teil: Grundlagen

ist aber, ob es zulässig wäre, wenn die Gemeinschaft eine Richtlinie über die im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr mit Privatpersonen (Verbrauchern) 13 zu verwendenden Sprachen erließe. Man unterstelle für die anschließenden Überlegungen, die gedachte Regelung habe zum Inhalt, daß sämtliche vertragsrelevanten Erklärungen – auch jene, die in der Phase der Verhandlungen abzugeben sind – in der Heimatsprache des Verbrauchers abgefaßt werden müssen. Tatsächlich hat das Europäische Parlament im Jahr 1994 die Kommission aufgefordert, eine derartige Regelung zu erlassen.14 Ein Unternehmer, der grenzüberschreitend mit Verbrauchern in anderen Mitgliedstaaten in geschäftlichen Kontakt treten müßte, sähe sich danach de iure erheblich gesteigerten sprachlichen Anforderungen im Hinblick auf das Zustandekommen des Vertrags, seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die vertragsbegleitende Korrespondenz sowie die Beendigung des Vertrags ausgesetzt. bb) Zunächst ist nach dem für Art. 95 EG erforderlichen Binnenmarktbezug eines solchen Regelungsvorhabens zu fragen. Für dessen Bejahung spricht ohne weiteres, daß sprachliche Hindernisse die geschäftliche Kommunikation zwischen Unternehmer und Verbraucher innerhalb des Binnenmarkts erheblich geeignet sind. Je schwerwiegender und gefährlicher ein sprachlich bedingtes Informationsdefizit ist, desto eher ist eine ausdrückliche, konkrete gemeinschaftsrechtliche Sprachenregelung im Hinblick auf die Anforderungen der primärrechtlichen Grundfreiheiten sowie der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt. Ein Ermächtigung zu einer gleichsam akzessorischen „Mitregelung“ der Sprachenfrage folgt daraus aber nicht. 13 Kennzeichnend für den Verbraucherbegriff im europäischen Gemeinschaftsrecht ist die Einordnung als natürliche Person sowie ein vertragsschlußbezogenes Handeln zu einem privaten Zweck (in Abgrenzung zu einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit). Zum europäischen Verbraucherbegriff siehe Dreher, JZ 1997, 167 ff.; Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. 153 EGV Rn. 24 ff.; vgl. weiter unten § 4 B. IV. 1. a. 14 Europäisches Parlament, „Entschließung zu der Mitteilung der Kommission über die Verwendung der Sprachen beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln (Auslegung der Rechtsvorschriften) im Anschluß an das Urteil ‚Peeters‘“, ABl. EG 1994 Nr. C 128, S. 469 ff. Die Ziff. 8 der Entschließung enthält die Aufforderung an die Kommission, durch eine Rahmenrichtlinie über den Sprachengebrauch für die Information der Verbraucher und in anderer Weise Kohärenz und Klarheit in ihre Bemühungen zu bringen und dabei der veränderten rechtlichen Lage infolge der neuen Artikel 3s und 129a EGV (Verbraucherschutz) sowie Art. 3p und 128 Abs. 4 EGV (Kultur) des Vertrags Rechnung zu tragen. In Ziff. 9 fordert das Europäische Parlament nachdrücklich, in diesem Zusammenhang von dem Grundsatz auszugehen, daß eine wirkungsvolle Information am besten dadurch garantiert sei, daß der Verbraucher sie in seiner jeweiligen Sprache erhalte; deshalb sei davon auszugehen, daß es der Auftrag des gemeinschaftlichen Gesetzgebers sei, alle Mitgliedstaaten zu verpflichten, die Information mindestens (jedoch nicht ausschließlich) in der bzw. den Amtssprache(n) sicherzustellen. Schließlich fordert das Europäische Parlament die Kommission in Ziff. 10 auf, eventuelle Ausnahmen von dieser Regel streng zu begrenzen und rechtlich abzusichern. Insgesamt rät der Vorschlag zu konkreten Vorgaben an die Mitgliedstaaten, so daß damit mehr als eine bloße Rahmengesetzgebung stattfände. Dies ist umso überraschender, als dieselbe Entschließung in lit. O die Erwägung enthält, daß die Zuständigkeit für die Sprachenpolitik bei den Mitgliedstaaten liege und daß das Subsidiaritätsprinzip erfordere, daß die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Sprachenpolitik respektiert werde.

§ 2 Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften

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behindern können.15 Die Kommission hat in ihrer „Mitteilung betreffend den Sprachengebrauch für die Information der Verbraucher in der Gemeinschaft“ dazu den Standpunkt vertreten, daß die Verpflichtung, eine Übersetzung anzufertigen, aufgrund der damit verbundenen Kosten ein potentielles Handelshemmnis darstellen könne, doch gälten die Übersetzungskosten „angesichts der dadurch erschlossenen neuen Märkte generell jedoch nicht als unverhältnismäßig“.16 Der Rat in seiner Entscheidung vom 21. November 1996 über die Annahme eines mehrjährigen Programms zur Förderung der sprachlichen Vielfalt der Gemeinschaft in der Informationsgesellschaft17 die Auffassung vertreten, daß kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bei der Erschließung von Märkten mit anderen Sprachen auf erhebliche Schwierigkeiten stießen und daher unterstützt werden müßten, insbesondere angesichts ihrer Rolle als Quelle für Beschäftigung.18 Art. 1, 3. Spiegelstrich der Entscheidung regelt die Annahme eines Gemeinschaftsprogramms, das unter anderem „die Senkung der Kosten der Informationsübertragung zwischen Sprachen, insbesondere für die KMU“ zum Ziel hat. Die Sprachenverwendung im Geschäftsverkehr ist im Ergebnis ein Topos, dessen Binnenmarkterheblichkeit ohne weiteres bejaht werden kann.19 cc) Man könnte vielleicht einwenden, daß die Regelung der Sprachenverwendung zumindest auch eine kulturelle Angelegenheit 20 sei, die zunächst die an 15

Zum Problem des fehlenden Vertrauens der Verbraucher in grenzüberschreitende Geschäfte siehe die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuß und den Ausschuß der Regionen „Verbraucherpolitische Strategie 2002–2006“, KOM(2002) 208 endg., ABl. EG Nr. C 137, S. 2 (4 f.). Die Kommission sieht als Voraussetzungen für ein solches Vertrauen an: einfachere und einheitliche Rechtsvorschriften, ein ähnlicher Durchsetzungsgrad in der gesamten EU, leichter zugängliche Verbraucherinformationen, Verbraucherbildung und wirksame Rechtsschutzverfahren (a.a.O., S. 5 bei Ziff. 2.3.3). 16 KOM(93) 456 endg., Ziff. 31. Der EuGH hat die marktzugangsbehindernde Wirkung patentrechtlicher Übersetzungspfl ichten als vom Tatbestand des Art. 30 EGV (Art. 28 EG) nicht erfaßt angesehen, da er die beschränkende Wirkung als „zu ungewiß und indirekt“ erachtete, was einer gängigen Formulierung aus der Zeit vor Erlaß des „Keck und Mithouard“Urteils entspricht, die der Gerichtshof gelegentlich auch in seiner jüngeren Rechtsprechung verwendet hat (vgl. statt aller EuGH, Urt. v. 21. 9. 1999 – Rs. C-44/98, Slg. 1999, I-6269, Tz. 21 = EuZW 1999, 730 – BASF). Die Richtigkeit der These, daß Übersetzungspfl ichten im Grundsatz geeignet sind, marktzugangsbehindernde Wirkung zu entfalten und daher je nach Regelungsbereich dem Art. 28 EG oder dem Art. 49 EG unterfallen, wird durch dieses Urteil nicht widerlegt. 17 ABl. EG Nr. L 306, S. 40 ff. Zur Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung siehe EuGH, Urt. v. 23. 2. 1999 – Rs. C-42/97, Slg. 1999, I-869 – Parlament/Rat. 18 A.a.O. (Fn. 17), 3. Erwägungsgrund. 19 Ebenso Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 204. 20 GA Cosmas hat in seinen Schlußanträgen zur Rs. Goerres im Zusammenhang mit der Etikettierung von Lebensmitteln die Nationalsprache als eine „sensible Frage“ gekennzeichnet und zugleich als „ein grundlegendes Element der Kultur“ (Slg. 1998, I-4431, 4433, 4452 Tz. 59 = EuZW 1998, 636). Er beruft sich auf die Tz. 19 und 20 der Schlußanträge von GA Darmon in der Rs. Groener (Slg. 1989, 3967). Dieser hatte a.a.O. ausgeführt, daß der Schutz

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Erster Teil: Grundlagen

einem Geschäft beteiligten Personen selbst gemäß ihrer Privatautonomie und die im Hinblick auf gesetzliche Festlegungen in jedem Fall die Mitgliedstaaten betreffe. 21 Eine solche – auf den ersten Blick plausible – Argumentation wäre kompetenzrechtlich betrachtet allerdings nicht haltbar, weil bei einem bestehenden Binnenmarktbezug feststeht, daß die Gemeinschaft die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 95 EG22 hat. Denkbar sind aber noch weitere Einwände: (1) Zunächst kann bezweifelt werden, ob eine sprachregulierende Richtlinie tatsächlich den Zweck hätte, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern, wie es der EuGH im Tabakwerbeverbot-Urteil ausdrücklich verlangt hat. Das ist eine Tatfrage, die davon abhängt, als wie schwerwiegend sich die sprachlichen Hindernisse auf seiten der Konsumenten für den grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr darstellen. 23 Man wird – ausgehend von den oben angestellten Überlegungen – nicht sagen können, daß es sich um lediglich hypothetische Binnenmarkthindernisse der Sprache zu den Grundsatzfragen gehöre, die man nicht beiseite lassen könne, ohne an das Herz der kulturellen Identität zu rühren. Jeder Staat habe das Recht, sich um den Schutz der Vielfalt seines Kulturerbes zu bemühen und sich die dafür erforderlichen Mittel zu verschaffen. – In der einer Anfrage an die Bundesregierung zum Thema „Zukunft der deutschen Sprache“ haben die Fraktionen der SPD und von Bündnis 90/DIE GRÜNEN eingangs herausgestellt, daß die Sprache zu den herausragenden Kulturgütern eines Volkes gehöre. Sie sei das wichtigste Ausdrucks- und Verständigungsmittel der Menschen untereinander, diene der Selbstvergewisserung, der Verständigung und der Integration aller Bürgerinnen und Bürger. Die Tradition der eigenen Sprache zu pflegen und weiterzuentwickeln gehöre zur Wahrung der eigenen Identität (BT-Drucks. 14/6659, S. 1). Die Bundesregierung hat a.a.O., S. 4 dieser Ansicht zugestimmt: „Die deutsche Sprache ist eine der wesentlichen Grundlagen, auf der das Gemeinwesen der Bundesrepublik Deutschland beruht. Sie ist das zentrale Mittel der Verständigung und damit eine wesentliche Grundlage unserer Kultur. An der Förderung der deutschen Sprache besteht daher ein elementares Interesse.“ 21 Zum Teil wird aus Art. 5 Abs. 2 EG das Gebot der Beachtung mitgliedstaatlicher kultureller und gesellschaftlicher Eigenarten abgeleitet, vgl. v. Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/ Hilf, Art. 3b EG Rn. 33: „Schon bei ihrer Zielformulierung haben die Gemeinschaftsorgane auch zu beachten, daß die Bewahrung mitgliedstaatlicher kultureller, gesellschaftlicher etc. Eigenarten geboten (. . .) sind.“ Das Europäische Parlament hat in seiner „Entschließung zu der Mitteilung der Kommission über die Verwendung der Sprachen beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln (Auslegung der Rechtsvorschriften) im Anschluß an das Urteil ‚Peeters‘“, ABl. EG 1994 Nr. C 128, S. 469 (470) in lit. N die Erwägung angestellt, daß „Sprache als wesentliches Element der Kultur betrachtet werden muß“ und daß dem bei der Problematik der Sprachenverwendung beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln auf kultureller Ebene Rechnung getragen werden müsse. In der vorhergehenden lit. M wird insoweit ausdrücklich Art. 128 Abs. 4 EGV in Bezug genommen, der bestimmte, daß die Gemeinschaft den kulturellen Aspekten bei ihrer Tätigkeit aufgrund anderer Bestimmungen dieses Vertrags Rechnung trägt. 22 Nämlich nach Ansicht des EuGH die konkurrierende, nach a. A. die ausschließliche. 23 Siehe auch Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 203 f.; zum Erfordernis einer „auf Kenntnis gestützte[n] Politik“ im Bereich des Verbraucherschutzes siehe die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuß und den Ausschuß der Regionen „Verbraucherpolitische Strategie 2002–2006“, KOM(2002) 208 endg., ABl. EG Nr. C 137, S. 2. (3, Ziff. 2.2.2).

§ 2 Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften

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handele. Der tatsächliche Zweck der Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts soll im folgenden deshalb nicht angezweifelt werden. Danach wäre es den Gemeinschaftsorganen nicht grundsätzlich verwehrt, auf der Grundlage des Art. 95 EG eine Sprachenrichtlinie in der oben genannten Art zu schaffen. (2) Mit Blick auf die Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 lit. h EG sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 EG) sollte allerdings kritisch gefragt werden, ob eine derartige Regelung auch erforderlich wäre. Die Maßnahme müßte zunächst zur Verfolgung des angestrebten Ziels geeignet sein. Dieses Kriterium spielt in der Rechtsprechung des EuGH nur eine untergeordnete Rolle; lediglich Extremfälle einer Zweckverfehlung werden vom Gerichtshof als offensichtlich ungeeignet zur Verwirklichung des angestrebten Ziels bezeichnet. 24 An der Eignung der Maßnahme zur Verwirklichung des Binnenmarkts scheinen auf den ersten Blick keine Zweifel zu bestehen, weil die Beseitigung der Sprachhindernisse auf seiten der Verbraucher als Maßnahme des Verbraucherschutzes deren Nachfragetätigkeit intensivieren und damit zugleich das Binnenmarktziel fördern würde. Doch ergibt sich auf den zweiten Blick das Problem, daß die Anforderungen der Richtlinie an die Unternehmen – beispielsweise im Hinblick auf Übersetzungskosten für Werbung, Angebote, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Vertragsurkunden und gegebenenfalls den vertragsbezogenen Schriftverkehr nach Vertragsschluß bis hin zur Vertragskündigung – derart erheblich sind, daß sie möglicherweise geeignet sind, die Ausübung der Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 EG) bzw. Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) einzuschränken oder zu unterbinden. Diese Annahme erscheint gerade im Hinblick auf kleine und mittlere Unternehmen nicht fernliegend. Einer Maßnahme aber, welche die Ausübung der primärrechtlichen Grundfreiheiten einzuschränken oder zu verhindern geeignet ist, wäre die erforderliche Eignung zur Verwirklichung des Binnenmarkts abzusprechen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber sähe sich also vor die schwierige Aufgabe gestellt, einerseits den Verbraucherschutz im Wege der Sprachregulierung zu fördern, ohne andererseits den an einer grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeit interessierten Unternehmen Transaktionskosten aufzubürden, die sich als Marktzugangshindernisse und damit als Einschränkung der Waren- bzw. Dienstleistungsfreiheit darstellen. Die Bewältigung dieser rechtspolitischen Aufgabe kommt einer „Quadratur des Kreises“ gleich. 25 24

Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 5 EG Rn. 51. Das Europäisches Parlament hat in seiner Entschließung zu der Mitteilung der Kommission über die Verwendung der Sprachen beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln (Auslegung der Rechtsvorschriften) im Anschluß an das Urteil „Peeters“, ABl. EG 1994 Nr. C 128, S. 469 dazu in lit. B die Erwägung angestellt, „daß einige Ziele in gewissem Umfang miteinander konkurrieren und daß in solchen Fällen eine Abwägung der Interessen erfolgen muß, damit kein einzelnes Ziel vollständig einem anderen geopfert werden muß“, und in lit. F wird die vorsichtige Schlußfolgerung gezogen, „daß die Annahme dieser Vorschriften für den Spra25

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Erster Teil: Grundlagen

(3) Fraglich wäre des weiteren aber auch die Erforderlichkeit einer Sprachenrichtlinie mit dem oben genannten Zuschnitt im Sinne des Art. 5 Abs. 3 EG. Die Erforderlichkeit ist zu verneinen, wenn weniger einschneidende Mittel von gleicher Wirksamkeit existieren. Als Alternative zu einer sekundärrechtlichen Sprachenrichtlinie wäre beispielsweise an einzelne Sprachenregelungen durch die Mitgliedstaaten zu denken. Diese wären aber möglicherweise nicht als ebenso effektiv wie eine Regelung durch die Gemeinschaft hinsichtlich der beabsichtigten Verwirklichung des Binnenmarktziels zu qualifizieren, weil die einzelnen mitgliedstaatlichen Regelungen unterschiedlich ausgestaltet sein könnten und infolgedessen möglicherweise inhomogen wären. Unter dem Prüfungspunkt der Erforderlichkeit – bzw. in einem gesonderten dritten Prüfungspunkt der der Angemessenheit – müßte des weiteren die Wahrung der europäischen Grundfreiheiten und Grundrechte – hier vor allem: der Berufsfreiheit der Unternehmer – untersucht werden. Dabei wären die obigen Ausführungen betreffend mittelständische Unternehmen zu wiederholen. Selbst bei größeren Unternehmen, bei denen sich die zu erwartenden Transaktionskosten nicht als ein unüberwindliches Marktzugangshindernis darstellten, wäre die Wahrung der Erforderlichkeit bzw. Angemessenheit der Regelung indessen in Zweifel zu ziehen. Denn auch aus deren Sicht würde durch eine umfassende gemeinschaftsrechtliche Sprachenregulierung ein starkes Hemmnis für deren grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit geschaffen. So bedeutsam das Ziel des Verbraucherschutzes (Art. 3 Abs. 1 lit. t EG) in der Gemeinschaft auch ist, so rechtfertigt seine Durchsetzung schwerlich Einschränkungen der Grundfreiheiten in der beschriebenen Art. Folglich wäre die Maßnahme nicht erforderlich bzw. nicht angemessen. (4) Die Feststellung, daß eine konkrete vertragsbezogene Sprachregulierung durch die Gemeinschaft nicht erforderlich ist, legt zugleich die Annahme einer Verletzung des Subsidiaritätsgrundsatzes des Art. 5 Abs. 2 EG nahe. Denn dessen Prüfung durch den EuGH umfaßt neben der Beantwortung der Frage, ob das Ziel der in Betracht gezogenen Maßnahme auf Gemeinschaftsebene besser erreicht werden kann die Prüfung, „ob die Regelungsdichte der getroffenen Maßnahme nicht über das hinausgeht, was zur Verwirklichung des von ihr angestrebten Zieles erforderlich ist.“26 chengebrauch bedeutet, daß es aus Gründen des Verbraucherschutzes gerechtfertigt ist, den freien Warenverkehr in gewissem Umfang zu lenken“. 26 EuGH, Urt. v. 10. 12. 2002 – Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, 6. Leitsatz und Tz. 179 ff. = EuR 2003, 80 – The Queen/Secretary of State for Health, ex parte British American Tobacco (Investments) Ltd. und Imperial Tobacco Ltd. Wie der EuGH auch Callies/Ruffert/Kahl, EUV/EGV, Art. 95 EG Rn. 8; vor dieser Entscheidung ebenso bereits von Danwitz, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, B II, Rn. 118: „Auf Art. 95 I EGV gestützte Rechtsakte fallen deshalb in den Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips.“; ablehnend Grabitz/Hilf/Tietje, Vor Art. 94–97 EGV Rn. 59 a. E., wo kritisiert wird, daß der Gerichtshof selbst deutlich mache, daß es mit Blick auf den Subsidiaritätsgrundsatz keine rechtsrelevanten

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dd) Im Ergebnis läßt sich ein umfassendes europäisches Konzept der Sprachenregulierung durch die Gemeinschaftsorgane auf der Basis des Art. 95 EG nicht verwirklichen. Jenseits der Verfolgung einer allumfassenden Sprachregulierung bleiben aber Möglichkeiten einer Teilverwirklichung. Dies betrifft namentlich Sprachenregulierungsmaßnahmen in EG-Richtlinien, die der Rechtsangleichung in bestimmten Bereichen gewidmet sind und die bestimmte Sprachenfragen mitregeln. Das ist zugleich der derzeitige status quo der sprachenbezogenen Rechtsetzung im Gemeinschaftsrecht. Solche einzelnen Sprachregeln sind weder per se erlaubt noch per se verboten. Die Details dazu werden im Text an geeigneter Stelle noch dargelegt. c) Art. 95 EG als Rechtsgrundlage für eine sprachenbezogene Rahmenrichtlinie? aa) Fraglich ist, ob statt des soeben mit negativem Ergebnis untersuchten umfassenden Ansatzes einer europäischen Sprachregelung der Erlaß einer Rahmenrichtlinie mit dem Inhalt in Betracht käme, daß „im Rahmen von Informationspflichten auf die unterschiedlichen Sprachkenntnisse des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen ist“. 27 Im Schrifttum hat man die Schaffung einer Rahmenrichtlinie vorgeschlagen, die inländischen Anbietern bei Vertragsabschlüssen mit einem erkennbar sprachunkundigen ausländischen Verbraucher besondere Aufklärungspflichten über den Vertragsinhalt auferlegt, deren Verletzung zu einem Recht des Verbrauchers zur nachträglichen Vertragsaufhebung führen soll. 28 Das wäre freilich schon die Vorgabe einer konkreten Rechtsfolgenanordnung, die an enge tatbestandliche Voraussetzungen anknüpft; sie geht – anders als die Anordnung eines sprachlichen Rücksichtnahmegebots ohne konkrete Rechtsfolgen – über die Setzung eines bloßen Rahmens hinaus. bb) Das Instrument der Rahmenrichtlinie entsprach der verbraucherpolitischen Strategie der Kommission für die Jahre 2002 bis 200629.30 Es ist keinen grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt. Fraglich dann aber, welche Maßnahmen Überlegungen geben könne, die über die Tatbestandsmerkmale des Art. 95 EG hinausgehen würden. Die Prüfung des Art. 5 Abs. 2 EG bleibe dann aber nur eine leere Hülse, was nochmals gegen seine Beachtung insgesamt spreche; ablehnend auch Groeben/Schwarze/Taschner, Art. 94 EG Rn. 18, wo das Fehlen einer spezifisch auf die Rechtsangleichung als solche bezogenen Begründung moniert wird. 27 Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 206. 28 Kallenborn, Sprachenproblem, S. 11, 200. 29 Siehe dazu die Mitteilung der Kommission „Verbraucherpolitische Strategie 2002– 2006“, KOM(2002) 208 endg., ABl. EG Nr. C 137 v. 8. 6. 2002, S. 2. A.a.O., S. 6 heißt es zu dem mittelfristigen Ziel eines gleichmäßig hohen Verbraucherschutzniveaus in der gesamten EU (Ziff. 3.1): „Dieses Ziel ist nicht dahingehend zu verstehen, dass der gesamte Verbraucherschutz bis ins kleinste Detail auf europäischer Ebene geregelt werden soll. Beabsichtigt ist vielmehr, mit den jeweils am besten geeigneten Mitteln (Rahmenrichtlinien, Normen, optimale Verfahren) eine Harmonisierung nicht nur in Bezug auf die Sicherheit von Waren und Dienstleistungen zu erreichen, sondern auch diejenigen Aspekte der wirtschaftlichen Verbraucherin-

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Erster Teil: Grundlagen

zur Ausfüllung des Rahmens durch die Mitgliedstaaten zulässig sind. Es wäre jedenfalls verfehlt anzunehmen, daß es den Mitgliedstaaten in einem solchen Fall vorbehalten wäre, „ein in sprachenrechtlicher Hinsicht weitergehendes Verbraucherschutzniveau zu implementieren“.31 Denn für die mitgliedstaatliche sprachenbezogene Rechtsetzung fungieren die unmittelbar geltenden Grundfreiheiten als rechtliche Grenze, die es ihnen verwehrt, Sprachengesetze mit marktzugangsbehindernder Wirkung zu erlassen. Insoweit gilt für die Mitgliedstaaten nichts anderes als für die Gemeinschaft selbst, die bei der Schaffung von Richtlinien, also von sekundärem Gemeinschaftsrecht, das primäre Gemeinschaftsrecht einschließlich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beachten muß. Auf die Grundfreiheiten als Grenzen der Sprachengesetzgebung wird deshalb noch im einzelnen zurückzukommen sein (unten C.). 30

3. Art. 153 EG a) Des weiteren ist in kompetentieller Hinsicht fraglich, ob nicht Art. 153 EG der Gemeinschaft die Befugnis verleiht, die Sprachenfrage für den Privatrechtsverkehr – in einem umfassenden Sinn, nicht nur als „weiche“ Vorgabe einer Rahmenrichtlinie – zu regeln. Die kompetenzrechtliche Bedeutung von Art. 153 EG ist umstritten. Richtigerweise verleiht Art. 153 EG der Gemeinschaft keine zusätzlichen, über Art. 95 EG hinausgehenden Kompetenzen.32 Dafür spricht, daß Art. 153 Abs. 3 lit. a EG hinsichtlich der Maßnahmen zur Förderung der Interessen der Verbraucher und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus (Art. 153 Abs. 1 EG) auf die Kompetenznorm des Art. 95 EG verweist und weiter, daß Art. 153 Abs. 3 lit. b EG – der keine Verweisung auf Art. 95 EG enthält – lediglich Maßnahmen zur Unterstützung, Ergänzung und Überwachung der Politik der Mitgliedstaaten zuläßt.33 b) Ungeachtet der problematischen Einordnung des Art. 153 EG in das Gefüge der Kompetenznormen der Gemeinschaft wäre die Frage nach der Zulässigkeit einer eigenständigen europäischen Sprachenrichtlinie, die die Sprachenverwendung im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr mit Verbrauchern einer einheitlichen Regelung zuführen soll, im Ergebnis nicht anders als oben zu Art. 95 EG ausgeführt zu beantworten. Art. 153 EG erfaßt als Maßnahmen des teressen zu regeln, von denen das Vertrauen der Verbraucher und deren Bereitschaft abhängt, überall im Binnenmarkt Geschäfte abzuschließen.“ 30 Inzwischen hat die Kommission mit Datum v. 13. 3. 2007 eine Mitteilung über die „Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007–2013)“, KOM(2007) 99 endg. vorgelegt. Sie verhält sich nicht zum Instrument der Rahmenrichtlinie. 31 So aber Dreißigacker, Sprachenfreiheit (Fn. 8), S. 206. 32 Ebenso Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. 153 EGV Rn. 32. 33 Daraus ergibt sich zugleich, daß der Verbraucherschutz den zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten geteilten Kompetenzen zuzuordnen ist. In Art. 2c Abs. 2 lit. f. des Vertrags von Lissabon wird der „Hauptbereich“ Verbraucherschutz (lit. f) den zwischen Union und Mitgliedstaaten geteilten Kompetenzen zugerechnet.

§ 2 Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften

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Verbraucherschutzes auch die Bereiche der Regulierung von Werbung und Marketing.34 Die hypothetische Rahmenrichtlinie würde dem Ziel der Förderung des Rechts der Verbraucher auf Information 35 dienen (Art. 153 Abs. 1 EG). Sie ließe sich daher tatbestandsmäßig auf Art. 153 Abs. 3 lit. a EG stützen, während Art. 153 Abs. 3 lit. b EG als Kompetenznorm ausscheiden würde, da die Vorschrift bereits tatbestandlich lediglich auf unterstützende, ergänzende und überwachende Maßnahmen abzielt.36 Bewertete man Art. 153 Abs. 3 lit. a EG insgesamt als eine gegenüber Art. 95 EG eigenständige Kompetenznorm mit selbständigem Gehalt,37 würde dies nichts daran ändern, daß die Gemeinschaftsorgane bei Ausübung dieser Kompetenz zwingend die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu beachten hätten. Die diesbezüglichen Erwägungen, die oben bei der Erörterung des Art. 95 EG angestellt wurden, gelten daher entsprechend auch hier. Eine europäische Sprachenrichtlinie mit dem oben formulierten Inhalt würde daher entweder schon an der fehlenden Eignung oder jedenfalls an der fehlenden Erforderlichkeit (bzw. Angemessenheit) der Maßnahme scheitern. c) Die Ansicht von der Unzuständigkeit der Gemeinschaft im Bereich der Regelung von Sprachenfragen wird auch von der EG-Kommission im Bereich des Verbraucherschutzrechts vertreten. Sie hat dazu klargestellt: 38 „Die Frage, welche Sprachen bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz zu verwenden sind, fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.“39 Bereits im Jahr 1993 hatte die Kommission in ihrer „Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament betreffend den Sprachengebrauch für die Information der Verbraucher in der Gemeinschaft“40 festgestellt, daß nach ihrer Auffassung „jede Sprachenregelung wesensgemäß und insbesondere in Anwendung des Subsidiaritätsprinzips in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt“41 und daß den Mitgliedstaaten dabei eine „essentielle Verantwortung“42 zufalle. Die Mitteilung steht unter 34

Heiss, ZEuP 1996, 625 (631); Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. 153 EGV Rn. 14. Kritisch dazu Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. 153 EGV Rn. 15. 36 Siehe dazu Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. 153 EGV Rn. 35. 37 Zum Problem vgl. nochmals Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. 153 EGV Rn. 32, 36. 38 Siehe den achten Erwägungsgrund der Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG, ABl. EG 1997 Nr. L 144, S. 19. 39 Die Kommission hat von ihrem ursprünglichen Vorhaben, in der Richtlinie selbst Vorgaben über die zu verwendende Sprache zu machen, abgesehen. Nach Art. 10 Abs. 1 des Entwurfs der Kommission für eine Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl. EG Nr C 156/92, S. 14, 17) sollte der Verbraucher „schriftlich und in der in der Aufforderung [scil. Bestellaufforderung] verwendeten Sprache“ über die Identität des Lieferers und die Anschrift seiner Niederlassungen, die wesentlichen Eigenschaften des Erzeugnisses oder der Dienstleistung, den Preis und die Menge, die Zahlungsmodalitäten, das Widerrufsrecht und die diesbezüglichen Ausübungsmodalitäten informiert werden; siehe dazu auch Micklitz, ZEuP 1999, 875 (884), Kallenborn, Sprachenproblem, S. 141. 40 KOM(93) 456 endg. 41 A.a.O. (Fn. 40), Ziff. 2. 42 A.a.O. (Fn. 40), Ziff. 39. 35

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Erster Teil: Grundlagen

dem Postulat der „Wahrung der uneingeschränkten Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in Fragen des Sprachengebrauches“43 und der „Freiheit der Mitgliedstaaten im sprachlichen Bereich“44 . Das Europäische Parlament teilt die Ansichten der Kommission zwar im Grundsatz, es geht jedoch mit seinen in Reaktion auf die Mitteilung der Kommission von 1993 formulierten Forderungen sehr deutlich über den von der Kommission vertretenen Ansatz hinaus.45 II. Zwischenergebnisse 1. Eine allgemeine Sprachenrichtlinie im Bereich des Vertragsrechts, die konkret festlegte, daß im Verkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern die Heimatsprache des Verbrauchers oder eine sonstige ihm verständliche Sprache Verwendung finden müsse, fände keine Kompetenzgrundlage in Art. 95 EG oder Art. 153 EG. Sie würde gegen die Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 EG (Subsidiarität) und Art. 5 Abs. 3 EG (Verhältnismäßigkeit) verstoßen. Die Zuständigkeit für die Festlegung konkreter Sprachenvorgaben im Geschäftsverkehr liegt bei den Mitgliedstaaten, die dabei ihrerseits die Anforderungen des primären Gemeinschaftsrechts zu beachten haben. 2. Demgegenüber wäre eine „weiche“ Rahmenregelung der EG, die beispielsweise lediglich eine Berücksichtigungspflicht der unzureichenden Sprachkenntnis von Verbrauchern vorsähe und die Details den Mitgliedstaaten zur Regelung überließe, mit den Vorgaben des primären Gemeinschaftsrechts vereinbar.

B. Die EG-sekundärrechtliche Sprachregulierung und ihre Umsetzung durch die Mitgliedstaaten I. Überblick über das Sprachenregime der EG-Richtlinien 1. Einführung: Die drei Grundtypen von Sprachregelungen Das Sprachenregime der EG-Richtlinien besteht aus drei verschiedenen Grundtypen von Sprachregelungen: a) Ausdruck des oben beschriebenen Subsidiaritätsgrundsatzes sind zunächst jene Optionsregelungen, welche die Entscheidung über den Erlaß von Sprachregelungen bei der Umsetzung der jeweiligen Richtlinie den Mitgliedstaaten

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A.a.O. (Fn. 40), Ziff. 2. A.a.O. (Fn. 40), Ziff. 43. 45 Europäisches Parlament, „Entschließung zu der Mitteilung der Kommission über die Verwendung der Sprachen beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln (Auslegung der Rechtsvorschriften) im Anschluß an das Urteil ‚Peeters‘“, ABl. EG 1994 Nr. C 128, S. 469 (470) in lit. O und Q. 44

§ 2 Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften

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überlassen.46 Dazu zählt beispielsweise Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2000/13/ EG über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür.47 Die Vorschrift bestimmt, daß der Mitgliedstaat, in dem das Erzeugnis vermarktet wird, „in seinem Hoheitsgebiet unter Beachtung der Bestimmungen des EG-Vertrags vorschreiben [kann], daß diese Angaben auf dem Etikett zumindest in einer oder mehreren von ihm bestimmten Amtssprachen der Gemeinschaft abgefaßt sind.“48 b) Den Optionsregelungen steht ein zweiter Regelungstyp gegenüber, der die Mitgliedstaaten zum Erlaß einer Sprachregelung verpflichtet, wobei deren konkrete Ausgestaltung überwiegend den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Vielfach wird dabei die Verwendung einer dem Verbraucher bzw. Käufer „leicht verständlichen Sprache“ oder einer „klaren und verständlichen Sprache“ vorgeschrieben, also ein Transparenzerfordernis statuiert. Was daraus im einzelnen folgt, wird noch erörtert.49 Es ist auch eine Kombination mit anderen Regelungstypen möglich. So bestimmt Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2000/13/EG, daß die Mitgliedstaaten dafür sorgen, daß in ihrem Hoheitsgebiet keine Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden, bei denen die erforderlichen Angaben „nicht in einer dem Verbraucher leicht verständlichen Sprache abgefaßt sind, es sei denn, die Information des Verbrauchers ist durch andere Maßnahmen für eine oder mehrere Angaben auf dem Etikett effektiv sichergestellt“. In dem zweiten Halbsatz wird eine Informationserteilung durch Zeichnungen, Symbole, Piktogramme und dergleichen angesprochen – mithin eine Alternative zur 46 Siehe z. B. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 76/768/EWG (kosmetische Mittel), ABl. EG Nr. C 262, S. 169 ff.; Art. 11 Abs. 5 der Richtlinie 88/378/EWG (Sicherheit von Spielzeug), ABl. EG Nr. L 187, S. 1 ff.; Art. 11 Abs. 5 der Richtlinie 1999/45/EG (gefährliche Zubereitungen), ABl. EG Nr. L 200, S. 1 ff.; Art. 8 Abs. 2 lit. c der Richtlinie 96/74/EG (Textilerzeugnisse), ABl. EG Nr. L 32, S. 38 ff.; Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 1999/44/EG (Verbrauchsgüterkauf), ABl. EG Nr. L 171, S. 12 ff. Ausführlich zu den verschiedenen Sprachenregelungen im EG-Sekundärrecht Kallenborn, Sprachenproblem, S. 155 ff.; Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 207 ff.; EG-Kommission, „Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament betreffend den Sprachengebrauch für die Information der Verbraucher in der Gemeinschaft“, KOM (93) 456 endg., Ziff. 23 ff. 47 Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 3. 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, ABl. EG Nr. L 109, S. 29 ff. Die Vorschrift hat durch die Richtlinie 2001/101/EG zur Änderung der Richtlinie 2000/13/EG (ABl. EG Nr. L 310, S. 19 ff.) keine Änderungen erfahren. Die Vorgängervorschrift zu Art. 16 der Richtlinie 2000/13/EG war Art. 13a der Richtlinie 97/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 1. 1997 zur Änderung der Richtlinie 79/112/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, ABl. EG Nr. L 43, S. 21 ff.; vgl. jetzt auch Art. 16 Abs. 2 des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel, KOM(2008) 40 endg., BR-Drucks. 111/08, S. 34. 48 Vgl. dazu Herrmann/Kraus, ZLR 2001, 679 (690 ff.). 49 Siehe unten 2. d.

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Informationserteilung in dem Medium der Sprache, deren Funktionsfähigkeit im folgenden ebenfalls noch untersucht werden wird. 50 c) Schließlich wird durch eine dritte Gruppe von Richtlinien – in einer allerdings eng begrenzen Zahl von Fällen – die Sprachenverwendung konkret geregelt, indem z. B. die Verwendung der Amts- oder Landessprache desjenigen Landes, in dem ein von der Richtlinie erfaßtes Produkt in Verkehr gebracht wird, obligatorisch vorgeschrieben wird.51 d) Das in den genannten unterschiedlichen Regelungstypen von Richtlinien zum Ausdruck kommende Stufenverhältnis – ausgehend von einem vollen Ermessen der Mitgliedstaaten in bezug auf gesetzliche Sprachregelungen, über ein eingeschränktes Ermessen bei der Bestimmung der in bestimmten Bereichen zu verwendenden Sprachen hin zu konkreten Vorgaben betreffend die Sprachenverwendung – entspricht insgesamt gesehen dem zuvor erörterten Subsidiaritätsprinzip.52 2. Die ausdrückliche Sprachregulierung durch Richtlinien als Ausnahmefall Eine vollständige Auflistung sämtlicher europäischer Richtlinien, die eine der drei genannten Formen der Sprachregulierung sowie ihrer denkbaren Varianten 53 zuzurechnen sind, ist hier weder beabsichtigt noch möglich. Sie wäre zudem auch überflüssig, weil diese Arbeit von anderen Autoren im wesentlichen 50

Siehe unten 3. Ein gänzlich anderer und bislang singulär gebliebener Regelungsansatz ist jener, den der Gemeinschaftsgesetzgeber in Ziff. 8 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern verfolgt. Darin wird es als unter allen Umständen als unlautere, weil irreführende Geschäftspraktik (vgl. Art. 6 der Richtlinie) festgelegt, wenn Verbrauchern, mit denen der Gewerbetreibende vor Abschluß des Geschäfts in einer Sprache kommuniziert hat, bei der es sich nicht um eine Amtssprache des Mitgliedstaats handelt, in dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist, eine nach Abschluß des Geschäfts zu erbringende Leistung zugesichert wird, diese Leistung aber anschließend in einer anderen Sprache erbracht wird, ohne daß der Verbraucher eindeutig hierüber aufgeklärt wird, bevor er das Geschäft tätigt. 52 Hinsichtlich derjenigen Vorschriften, welche es in das Ermessen der Mitgliedstaaten stellen, sprachliche Anforderungen vorzuschreiben, vertritt die Kommission die Ansicht, daß sie diese Vorschriften „nötigenfalls (. . .) einer Analyse unterziehen“ könnte (Kommission, „Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament betreffend den Sprachengebrauch für die Information der Verbraucher in der Gemeinschaft“, KOM(93) 456 endg., Ziffer 40). Die vorsichtige Formulierung ist vermutlich der Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes geschuldet. 53 Als Beispiel für eine Variante der dritten Form sprachregulierender Gemeinschaftsrechtsnormen diene Art. 13 Abs. 1 lit. c der RL 2002/92/EG v. 9. 12. 2002 über Versicherungsvermittlung, ABL. EG Nr. L 9, S. 3. Darin wird bestimmt, daß die den Kunden von Versicherungsvermittlern zustehenden Auskünfte entweder in der Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem die Verpflichtung eingegangen wird, oder in jeder anderen von den Parteien vereinbarten Sprache zu erfolgen hat. Nicht den Mitgliedstaaten, sondern den Parteien des Vertragsverhältnisses bleibt also die Freiheit der Sprachenwahl vorbehalten. § 42d Abs. 1 des VVG a. F. (nunmehr § 62 VVG) setzte die Richtlinienvorgaben – verspätet, aber konsequent – als Klar51

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bereits geleistet wurde.54 Hier geht es zunächst darum aufzuzeigen, daß nur eine geringe Zahl von Richtlinienbestimmungen existiert, die ausdrückliche Sprachregelungen treffen und die Mitgliedstaaten also zum Erlaß einer konkreten sprachregulierenden Norm verpflichten. Dies betrifft Maßnahmen zum Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Sicherheit des Käufers, Verbrauchers oder Produktverwenders, oder Maßnahmen des Geschäftsverkehrs, die als besonders riskant einzuschätzen sind und dementsprechend große Gefahren z. B. für das Anlegerpublikum nach sich ziehen, wie etwa Wertpapiergeschäfte. Soweit solche konkreten Sprachenvorgaben existieren und sie den Geschäftsverkehr betreffen, ist zugleich die zentrale Frage nach der Zuweisung des Verständnisrisikos durch Gemeinschaftsrechtsakt entschieden. Wegen der Verbindlichkeit der Ziele, die sich aus Art. 249 Abs. 3 EG und aus dem in Art. 10 EG normierten Grundsatz der Gemeinschaftstreue ergibt, verbleibt den Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit, abweichende Regelungen zu schaffen. 3. Die verbleibenden Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten Unterhalb der Ebene der konkreten Sprachenvorgaben durch EG-Sekundärrecht läßt die Europäische Gemeinschaft den Mitgliedstaaten – zumindest formal – erhebliche Handlungsspielräume bei der Regelung von Sprachenfragen. Das ist im Hinblick auf die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnimäßigkeit wie ausgeführt ein überzeugender Ansatz. Dabei fällt auf, daß in EG-Richtlinien sehr häufig das Verlangen nach einer für den Verbraucher „klaren und verständlichen Sprache“, d. h. ein Transparenzgrundsatz, statuiert wird. Deshalb soll nachfolgend geklärt werden, was unter dieser Begrifflichkeit zu verstehen ist – etwa nur eine Sprache, die der Verbraucher oder Verwender des betroffenen Produkts selbst beherrscht, so daß dieses Verlangen gegebenenfalls im Sinne einer abgeleiteten Sprachregel zu verstehen wäre? Bejahte man dies, so würde die verbraucherschutzbezogene Rechtsetzung der Gemeinschaft die Sprachenfrage in einem erheblich weitergehenden Umfang betreffen, als das bei einer isolierten Betrachtung der wenigen ausdrücklichen Sprachregeln der Fall wäre. Denn auch ohne ausdrückliche gemeinschaftsrechtliche Anordnung einer konkreten Sprachenverwendung würde man – durch autonome Auslegung des Gemeinschaftsrechts und eine daran anknüpfende gemeinschaftsrechtskonforme Interpretation des einschlägigen nationalen Rechts – auf diese Weise eine abgeleitete Sprachregel gewinnen können.

heits- und Verständlichkeitserfordernis bei der Informationserteilung durch den Vermittler um. 54 Siehe nochmals Kallenborn, Sprachenproblem, S. 155 ff.; Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 207 ff.

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Erster Teil: Grundlagen

II. Einzelheiten 1. Ausdrückliche Sprachregeln55 a) Richtlinie 94/47/EG (Timesharing) Unter den sprachregulierenden Richtlinien mit Privatrechtsbezug56 ist zunächst Art. 4, 2. Spiegelstrich der Timesharing-Richtlinie 94/47/EG zu nennen.57 Nach dieser Regelung sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die schriftlichen Informationen gemäß der Regelung in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie „nach Wahl des Erwerbers in der oder einer zu den Amtssprachen der Gemeinschaft zählenden Sprache des Mitgliedstaats, in dem der Erwerber seinen Wohnsitz hat, oder des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehöriger er ist“, zu erteilen. Der Mitgliedstaat, in dem der Erwerber seinen Wohnsitz hat, kann vorschreiben, „daß der Vertrag auf jeden Fall zumindest in seiner oder seinen zu den Amtsprachen der Gemeinschaft zählenden Sprache(n) abgefaßt ist; und daß der Verkäufer dem Erwerber eine beglaubigte Übersetzung des Vertrags in der oder einer zu den Amtssprachen der Gemeinschaft zählenden Sprache des Mitgliedstaats aushändigen muß, in dem die Immobilie belegen ist“. Die Regelung stimmt sachlich mit dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 94/47/EG überein. Die Bundesrepublik Deutschland hat diese Vorgaben zunächst in § 3 des Teilzeit-Wohnrechtegesetzes vom 29. Juni 2000 umgesetzt, das nach seiner Aufhebung im Wege der Schuldrechtsmodernisierung58 inzwischen – mit inhaltlichen Modifizierungen – in das BGB integriert worden ist. Der einschlägige § 483 Abs. 1 BGB bestimmt nunmehr: „Der Vertrag ist in der Amtssprache oder, wenn es dort mehrere Amtssprachen gibt, in der vom Verbraucher gewählten Amtssprache des Mitgliedstaats der Europäischen Union oder des Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum abzufassen, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Ist der Verbraucher Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats, so kann er statt der Sprache seines Wohnsitzstaats auch die oder eine der Amtssprachen des Staats, dem er angehört, wählen. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für den Prospekt.“

55 Die für die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten geltende Sprachregel des Art. 8 Abs. 1 VO Nr. 1348/2000 (= EuZVO) sowie jene des § 1068 Abs. 2 S. 2 ZPO wird im Zusammenhang mit der Untersuchung der Sprachenfreiheit bei der Abgabe von Willenserklärungen (unten § 5 B. II.) gesondert erörtert; siehe dazu noch Sujecki, EuZW 2007, 363 ff. 56 Ausführlich dazu Kallenborn, Sprachenproblem, S. 161 ff. 57 Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, ABL. EG Nr. L 280, S. 83 ff. 58 Das TzWrG wurde mit Wirkung vom 1. 1. 2002 durch Gesetz v. 26. 11. 2001 (BGBl. I, S. 3138) aufgehoben.

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b) Richtlinie 2002/83/EG (Lebensversicherung) Die Lebensversicherungsrichtlinie 2002/83/EG, die bis zum 1. Januar 2004 in das nationale Recht umzusetzen war, enthält in einem Anhang III betreffend Informationen für Versicherungsnehmer folgende Regelung: 59 „Dem Versicherungsnehmer sind die nachfolgenden Informationen entweder (A) vor Abschluss des Vertrags oder (B) während der Laufzeit des Vertrags mitzuteilen. Die Informationen sind eindeutig und detailliert schriftlich in einer Amtssprache des Mitgliedstaats der Verpflichtung abzufassen. Diese Informationen können jedoch in einer anderen Sprache abgefaßt werden, sofern der Versicherungsnehmer dies wünscht und es nach dem Recht des Mitgliedstaats zulässig ist oder sofern der Versicherungsnehmer das maßgebende Recht frei wählen kann.“ Das entspricht der früheren Rechtslage nach der 3. Lebensversicherungsrichtlinie 92/96/EWG 60 und den Regelungen betreffend die Informationen für den Versicherungsnehmer in Anhang II. 61 Die Umsetzung dieser Vorgaben in das deutsche Recht erfolgte 1994 durch § 10a Abs. 2 VAG: 62 „Die Verbraucherinformation hat schriftlich, bei Fernabsatzverträgen in Textform zu erfolgen. Sie muß eindeutig formuliert, übersichtlich gegliedert und verständlich in deutscher Sprache oder der Muttersprache des Versicherungsnehmers abgefaßt sein.“ Von einer Sprachenwahl durch den Versicherungsnehmer hat der deutsche Gesetzgeber in diesem Fall abgesehen. 63 Die Interessen des Versicherungsnehmers

59 Die Sprachregelung in Art. 44 der Richtlinie ist vorliegend nicht von Interesse, da sie das Verhältnis zwischen Behörden und Mitgliedstaaten betrifft und also nicht den Privatrechtsverkehr regelt. 60 Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. 11. 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung), ABl. EG Nr. L 360, S. 1 ff. 61 „Dem Versicherungsnehmer sind die nachfolgenden Informationen entweder (A) vor Abschluß des Vertrages oder (B) während der Laufzeit des Vertrages mitzuteilen. Die Informationen sind eindeutig und detailliert schriftlich in einer Amtssprache des Mitgliedstaats der Verpfl ichtung abzufassen. Diese Informationen können jedoch in einer anderen Sprache abgefaßt werden, sofern der Versicherungsnehmer dies wünscht und es nach dem Recht des Mitgliedstaats zulässig ist oder sofern der Versicherungsnehmer das anwendbare Recht frei wählen kann.“ 62 § 10a VAG wurde eingeführt durch Gesetz v. 21. 7. 1994 (BGBl. I, S. 1630); Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift wurde mit Wirkung zum 8. 12. 2004 – inhaltlich unmaßgeblich – geändert durch Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen v. 2. 12. 2004 (BGBl. I, S. 3102). 63 Bei der Umsetzung der Richtlinie 2002/92/EG v. 9. 12. 2002 über Versicherungsvermittlung, ABl. EG Nr. L 9, S. 3 hat der deutsche Gesetzgeber hingegen eine Sprachenwahl durch die Parteien akzeptiert. Zwar hat er in § 42d Abs. 1 VVG a. F. (nunmehr: § 62 Abs. 1 VVG) lediglich das Klarheits- und Verständlichkeitserfordernis geregelt. Aus der Gesetzesbegründung (BR-Drucks. 303/06, S. 50) ergibt sich jedoch, daß der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit Art. 13 Abs. 1 lit. c der Richtlinie davon ausgeht, daß die Information (auch) in einer von den Parteien vereinbarten Sprache erfolgen kann.

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werden vielmehr durch die Option zum Gebrauch von dessen Muttersprache gewahrt. c) Richtlinie 2001/34/EG (Börsenzulassung), Richtlinie 2003/71/EG (Wertpapierprospekte), Richtlinie 94/19/EG (Einlagensicherungssysteme), Richtlinie 97/9/EG (Anlegerentschädigung) aa) Im Bereich der Wertpapiergeschäfte ist zunächst der novellierten Börsenzulassungsrichtlinie 2001/34/EG64 Beachtung zu schenken. Mit dieser Richtlinie wurden die sogenannte Transparenzrichtlinie 88/627/EWG 65 sowie die Börsenzulassungsrichtlinie 79/267/EWG 66 aufgehoben. Diese Richtlinien sind allerdings nach wie vor von Interesse, da Normen des deutschen Umsetzungsrechts auf deren Vorgaben beruhen. Art. 10 Abs. 2 UAbs. 2 der Transparenzrichtlinie 88/727/EWG hatte bestimmt, daß die Informationen „in der oder den Amtssprachen oder in einer der Amtssprachen oder in einer anderen Sprache abgefaßt werden [müssen], sofern in dem betreffenden Mitgliedstaat die Amtssprache oder die Amtssprachen oder diese andere Sprache auf finanziellem Gebiet üblich sind und von den zuständigen Stellen akzeptiert werden“. Diese Vorschrift wiederum war die Grundlage einer – bis zum 1. Januar 1995 verzögerten – Umsetzung der Transparenzrichtlinie in das deutsche Wertpapierhandelsgesetz. 67 Gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 WpHG sind die Mitteilungen börsennotierter Gesellschaften mit Sitz im Inland „in deutscher Sprache in einem überregionalen Börsenpflichtblatt (. . .) zu veröffentlichen“. Demgegenüber müssen bei Mitteilungen börsennotierter Gesellschaften mit Sitz im Inland, die auch in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sind, die Veröffentlichung gemäß § 25 Abs. 2 S. 2 WpHG in einer Sprache abgefaßt werden, die in diesem Staat für solche Veröffentlichungen zugelassen ist. Die Veröffentlichungspflichten von Gesellschaften mit Sitz im Ausland regelt § 26 WpHG. Sofern Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat oder einem EWR-Vertragsstaat sowohl im Sitzstaat als auch im Inland zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, müssen die Veröffentlichungen, die das Recht des Sitzstaats auf Grund des 64 Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen, ABl. EG Nr. L 184, S. 1 ff. Sie enthält die Börsenzulassungs-, Börsenprospekt-, Zwischenberichts- und Transparenzrichtlinie in konsolidierter Fassung. 65 Richtlinie 88/627/EWG des Rates vom 12. 12. 1988 über die bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen, ABl. EG Nr. L 348, S. 62 ff. 66 Richtlinie 79/279/EWG des Rates vom 5. 3. 1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse, ABl. EG Nr. L 66, S. 21 ff. 67 Zur Entstehungsgeschichte siehe U. H. Schneider, in Assmann/Schneider, WpHG, Vor § 21 Rn. 1 ff.

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Art. 10 der Richtlinie 88/627/EWG vorschreibt, „im Inland in einem überregionalen Börsenpflichtblatt in deutscher Sprache vornehmen“ (§ 26 Abs. 3 WpHG a. E.). bb) Art. 17 Abs. 2 der früheren Börsenzulassungsrichtlinie 79/267/EWG hatte bestimmt, daß die Informationen gemäß Absatz 1 der Vorschrift „in der oder den Amtssprachen oder in einer der Amtssprachen oder in einer anderen Sprache abgefaßt werden [müssen], sofern in dem betreffenden Mitgliedstaat die Amtssprache oder die Amtssprachen oder diese andere Sprache auf finanziellem Gebiet üblich sind und von den zuständigen Stellen akzeptiert werden“. Dem entsprach die Regelung in § 15 Abs. 3 Nr. 2 WpHG a. F., 68 die festlegte, daß Veröffentlichungen nach Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift in deutscher Sprache vorzunehmen waren (1. Halbsatz). Das Bundesaufsichtsamt konnte dem Emittenten jedoch die Veröffentlichung in einer anderen Sprache gestatten, wenn dadurch eine ausreichende Unterrichtung der Öffentlichkeit nicht gefährdet erschien (2. Halbsatz). § 15 WpHG wurde mit Wirkung vom 30. Oktober 2004 neu gefaßt. 69 In der geltenden Fassung finden sich darin keine sprachenbezogenen Festlegungen mehr. Allerdings enthält § 15 Abs. 7 WpHG eine Verordnungsermächtigung an das Bundesfinanzministerium (Satz 1) bzw. die BaFin (Satz 2) zum Erlaß näherer Bestimmungen über den Mindestinhalt, die Art, den Umfang und die Form der Veröffentlichungen. Die BaFin hat von ihrer Kompetenz gemäß § 15 Abs. 7 S. 2 WpHG durch Erlaß der Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung (WpAIV) vom 13. Dezember 200470 Gebrauch gemacht. § 5 Abs. 1 und § 13 Abs. 1 S. 1 WpAIV regeln, daß die jeweils erfaßten Veröffentlichungen in deutscher Sprache zu erfolgen haben. § 5 Abs. 2 S. 1 und § 13 Abs. 1 S. 4 WpAIV gestatten eine zeitgleiche Fassung der veröffentlichungsbedürftigen Informationen (d. h. Insiderinformationen bzw. Geschäfte) in englischer Sprache. Die Bundesanstalt kann gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 bzw. § 13 Abs. 1 S. 5 WpAIV gestatten, daß Emittenten mit Sitz im Ausland die Veröffentlichung ausschließlich in englischer Sprache vornehmen, wenn da-

68 Im Zusammenhang mit ad-hoc-Publizität gemäß § 15 Abs. 1 WpHG, der im wesentlichen auf die bisherige Regelung in § 44a Abs. 1 S. 1 BörsG zurückgeht, vgl. noch § 70 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Wertpapieren zum amtlichen Markt an einer Wertpapierbörse (Börsenzulassungsverordnung – BörsZulV) i.d.F. der Bekanntmachung v. 9. 9. 1998 (BGBl. I, S. 2832): „Veröffentlichungen auf Grund der §§ 63, 66 und 67 dieser Verordnung sind in deutscher Sprache in einem oder mehreren Börsenpfl ichtblättern vorzunehmen; in jedem Fall muß die Veröffentlichung in einem überregionalen Börsenpfl ichtblatt erfolgen.“ – Weitere Verpflichtungen zur Verwendung der deutschen Sprache sind in den §§ 53 und 58 in bezug auf die Erstattung des Zwischenberichts statuiert. 69 Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes (Anlegerschutzverbesserungsgesetz – AnSVG) v. 28. 10. 2004, BGBl. I, S. 2630. 70 Verordnung zur Konkretisierung von Anzeige-, Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten sowie der Pflicht zur Führung von Insiderverzeichnissen nach dem Wertpapierhandelsgesetz, BGBl. I, S. 3376.

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Erster Teil: Grundlagen

durch eine ausreichende Unterrichtung der Öffentlichkeit nicht gefährdet erscheint.71 cc) Die novellierte Börsenzulassungsrichtlinie 2001/34/EG, durch welche die ursprüngliche Transparenzrichtlinie aufgehoben wurde, hat inzwischen – auch im Hinblick auf ihre sprachregulierenden Inhalte – bedeutsame Abänderungen durch die Wertpapierprospektrichtlinie 2003/71/EG72 erfahren.73 Die erstgenannte Richtlinie enthielt ein eigenständiges Kapitel III über Amtssprachen.74 Die Prospektrichtlinie 2003/71/EG steht im Zusammenhang mit dem Konzept eines integrierten europäischen Kapitalmarkts. Mit ihr verfolgt die Kommission das Ziel einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für europaweite Kapitalanlagen und die europaweite Kapitalbeschaffung.75 Die neue Wertpapierprospektrichtlinie hat gegenüber früheren Richtlinien 76 einen erweiterten Anwendungsbereich. Von der vorerwähnten Richtlinie 2001/34/EG unterscheidet sie sich dadurch, daß deren Geltungsbereich auf die zum amtlichen Börsenhandel zugelassenen Wertpapiere beschränkt, die zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie bekannt waren.77 Die Wertpapierprospektrichtlinie enthält unter anderem wichtige sprachenbezogene Aussagen und Vorgaben. Diese stehen im Spannungsfeld zwischen dem Ziel der Verwirklichung des Anlegerschutzes78 durch Information79 einerseits und dem Ziel der Erleichterung grenzüberschreitender Angebote durch eine Beschränkung der Übersetzungspflichten des Emittenten im Aufnahmestaat auf die Zusammenfassung des Prospekts ande-

71 Siehe dazu auch BaFin, Bekanntmachung einer Allgemeinverfügung zu § 15 WpHG vom 13. 7. 2005, VerBaFin Juli 2005. 72 Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/ EG, ABl. EG Nr. L 345, S. 64 ff. 73 Einen Überblick über den Inhalt der Wertpapierprospektrichtlinie gibt Weber, NZG 2004, 360 ff. 74 Siehe die Artt. 103, 104. Durch Art. 27 Abs. 1 Nr. 1 der Prospektrichtlinie 2003/71/EG wurde Art. 104, nicht aber Art. 103 der Richtlinie 2001/34 zum 1. 7. 2005 aufgehoben. 75 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG vom 9. 8. 2002, ABl. EG 2003 Nr. C 20 E, S. 122. 76 Richtlinie 80/390/EWG des Rates vom 17. 3. 1980 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, die Kontrolle und die Verbreitung des Prospekts, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zu veröffentlichen ist; aufgehoben durch die Richtlinie 2001/34/EG; Richtlinie 89/298/EWG des Rates vom 17. 4. 1989 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, Kontrolle und Verbreitung des Prospekts, der im Falle öffentlicher Angebote von Wertpapieren zu veröffentlichen ist, ABl. EG Nr. L 124, S. 8 ff. 77 Geänderter Vorschlag (Fn. 75), S. 124. 78 Siehe den 16. Erwägungsgrund dieser Richtlinie. 79 Siehe den 21. Erwägungsgrund dieser Richtlinie.

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rerseits. 80 Die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer Beschränkung der Übersetzungspflichten des Emittenten findet ihren Ausdruck in den Bestimmungen der Artikel 4 Abs. 5, 5 Abs. 2 der Richtlinie; danach beschränkt sich die Übersetzungspflicht künftig auf die Zusammenfassung des Prospekts. Zudem enthält die Richtlinie 2003/71/EG in Art. 19 eine umfassende Sprachenregelung, die den vorerwähnten Zielsetzungen zur Verwirklichung verhilft. 81 Die Sprache des Prospekts hängt davon ab, ob das öffentliche Angebot bzw. die Zulassung zum Handel nur im Mitgliedstaat seiner Herkunft (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. m Prospektrichtlinie) erfolgen bzw. beantragt werden soll oder ob dies auch in einem anderen Mitgliedstaat geschieht. Im erstgenannten Fall muß der Prospekt in einer „von der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats anerkannten Sprache“ erstellt werden (Art. 19 Abs. 1 Prospektrichtlinie). Das wird regelmäßig die Amtssprache des Herkunftsmitgliedstaats sein. Im zweitgenannten Fall, d. h. bei grenzüberschreitenden Angeboten bzw. Börsenzulassungen, gilt Art. 19 Abs. 1 S. 1 der Prospektrichtlinie. Danach ist der Prospekt „entweder in einer von den zuständigen Behörden dieser Mitgliedstaaten anerkannten oder in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache“ zu erstellen. Eine Übersetzung des gesamten Prospekts in die Sprache des Aufnahmemitgliedstaats kann danach nicht mehr verlangt werden; Art. 19 Abs. 1 S. 2 Prospektrichtlinie beschränkt die Möglichkeit einer Übersetzungspflicht auf die Zusammenfassung des Prospekts. Art. 19 der Prospektrichtlinie fügt sich in die Funktionsweise des sogenannten „Europäischen Passes“ (einmalige Zulassung) ein und wird von der Kommission zum gemeinschaftlichen Besitzstand auf dem Gebiet der Wertpapiere gerechnet, da die Regelung bereits in der Richtlinie 2001/34/EG verankert sei und in der Prospektrichtlinie nur aktualisiert werde. 82 Nach der früheren Rechtslage bestand gegenüber dem Emittenten die Auflage, den Prospektinhalt vollständig in die Amtssprache des Aufnahmestaats zu 80 Siehe dazu den 35. Erwägungsgrund dieser Richtlinie: „Die Pfl icht eines Emittenten, den gesamten Prospekt in alle relevanten Amtssprachen zu übersetzen, ist grenzüberschreitenden Angeboten oder dem Vielfach-Handel abträglich. Um grenzüberschreitende Angebote zu erleichtern, sollte der Aufnahme- oder Herkunftsmitgliedstaat lediglich eine Übersetzung der Zusammenfassung in seine Amtssprache(n) verlangen können, sofern der Prospekt in einer in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache erstellt wurde.“ 81 Gemäß dem Geänderten Vorschlag (Fn. 75), S. 129 wurde die Sprachregelung des Art. 19 ausgeweitet, „um ausdrücklich alle möglichen Fälle abzudecken“. Der ursprüngliche Vorschlag eines Art. 16 durch die Kommission vom 1. 6. 2001 (ABl. EG Nr. C 240 E, S. 272) war wesentlich knapper gehalten. Darauf folgte Art. 19 des geänderten Richtlinienvorschlags der Kommission vom 9. 8. 2002 (ABl. EG 2003 Nr. C 20 E, S. 14), welcher dem Art. 19 in der Endfassung der Prospektrichtlinie weitgehend entspricht. Zu den in der Zwischenzeit von dem Europäischen Parlament veranlaßten und vom Rat konsentierten Änderungen siehe den Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 25/2003, Begründung des Rates, ABl. EG Nr. C 125 E, S. 21 (55). 82 Geänderter Vorschlag (Fn. 75), S. 135.

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übersetzen. Dies stellt nach der zutreffenden Auffassung der Kommission „nicht gerade einen Anreiz dar, Wertpapiere in mehreren Ländern anzubieten oder dort zum Handel zuzulassen“. 83 Der Neuregelung liegt deshalb ein anderer Ansatz zugrunde. Die zuständigen Behörden der Aufnahmestaaten dürfen lediglich eine Übersetzung der Zusammenfassung des Prospekts verlangen, wenn der Prospekt insgesamt „in einer in Finanzkreisen geläufigen Sprache“ verfaßt ist. 84 Laut dem Geänderten Vorschlag der Kommission zur Prospektrichtlinie ist damit „in der Regel Englisch“ gemeint. 85 Die Kommission geht davon aus, daß diese Regelung die grenzüberschreitenden Geschäfte erleichtern und gleichzeitig einen ausreichenden Schutz für die Kleinanleger sicherzustellen vermag, da sie stets die wesentlichen Informationen in Form einer in ihrer eigenen Sprache abgefaßten Zusammenfassung erhalten. Diese Zusammenfassung hat den Zweck, „insbesondere Kleinanlegern einen sofortigen, präzisen Überblick über die wichtigsten Informationen über den Emittenten und das Wertpapier zu verschaffen.“86 Hinsichtlich der Zusammenfassung des Prospekts bestimmt Art. 5 Abs. 2 S. 3 der Prospektrichtlinie, daß diese „kurz und in allgemein verständlicher Sprache“ die wesentlichen Merkmale und Risiken nennt, die auf den Emittenten, jeden Garantiegeber und die Wertpapiere zutreffen, und daß sie in der Sprache abzufassen ist, in der der Prospekt ursprünglich erstellt wurde. Aus dem 21. Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt sich, daß die Zusammenfassung in der Regel nicht mehr als 2.500 Wörter in der Sprache umfassen sollte, in der der ursprüngliche Prospekt abgefaßt wurde. Eine Kodifizierung dieser Regel unterblieb, weil der Rat in seiner Stellungnahme zum Geänderten Richtlinienvorschlag der Kommission dagegen votiert hatte. 87 Die Mitgliedstaaten können gemäß Art. 19 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 2 RL 2003/71/EG eine Übersetzung der Zusammenfassung – nicht des gesamten Prospekts – in ihre Amtssprache verlangen. Die Richtlinie 2003/71/EG wurde durch das Wertpapierprospektgesetz (WpPG) vom 22. Juni 200588 in das deutsche Recht umgesetzt. Damit gingen 83

Geänderter Vorschlag (Fn. 75), S. 125. Geänderter Vorschlag (Fn. 75), S. 125, 135. 85 Geänderter Vorschlag (Fn. 75), S. 125; ebenso Weber, NZG 2004, 360 (364); Kunold/ Schlitt, BB 2004, 501 (508); Holzborn/Israel, ZIP 2005, 1668 (1673); Kullmann/Sester, WM 2005, 1068 (1070 f.); a. A. (ggf. auch Englisch, Französisch oder Deutsch) Mattil/Möslein, WM 2007, 819 (821) unter Berufung auf den Wortlaut der Richtlinie („eine“, nicht „die“ in Finanzkreisen übliche Sprache) sowie die Auskunft eines Mitarbeiters der GD Binnenmarkt in einer E-Mail v. 5. 4. 2006. 86 Geänderter Vorschlag (Fn. 75), S. 125. 87 Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 25/2003, Begründung des Rates, ABl. EG Nr. C 125 E, S. 21 (51). 88 Gesetz über die Erstellung, Billigung und Veröffentlichung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem organisierten Markt zu veröffentlichen ist, verkündet als Art. 1 des Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetzes v. 22. 6. 2005 (BGBl. I, S. 1698); Inkrafttreten gem. Art. 10 84

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umfangreiche Aufhebungen und Änderungen im Verkaufsprospektgesetz 89 sowie Änderungen des Börsengesetzes einher, die unter anderem auch verschiedene Sprachregulierungsvorschriften90 betrafen. Die Verkaufsprospekt-Verordnung91 wurde aufgehoben. Die gültige Sprachenregelung des Wertpapierprospektgesetzes, mit der Art. 19 der Prospektrichtlinie umgesetzt wird, findet sich in § 19 WpPG.92 Die Sprachenregelung des § 19 WpPG dient der grenzüberschreitenden Verwendbarkeit des Prospekts. Durch sie wird sichergestellt, daß die zuständige Behörde des Aufnahmestaats verlangen kann, daß die Zusammenfassung in der jeweiligen Amtssprache abgefaßt wird.93 § 19 Abs. 1 bis Abs. 3 WpPG enthalten Sprachregelungen für Prospekte, deren Herkunftsstaat die Bundesrepublik Deutschland ist; sie müssen von der BaFin gebilligt werden.94 Die Verwendung einer „in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache“ statt der deutschen Sprache bedarf nach § 19 Abs. 1 Satz 2 der ausdrücklichen behördlichen Gestattung, die jedoch nur „im Einzelfall“ gewährt werden soll. Diese Ausnahmebestimmung soll gemäß der Regierungsbegründung zum WpPG eng ausgelegt werden.95 § 19 Abs. 4 WpPG betrifft die Anforderungen an Prospekte, die von einer anderen Behörde gebilligt dieses Gesetzes am 1. 7. 2005 mit Ausnahme des § 4 Abs. 3, des § 20 Abs. 3, des § 27 Abs. 5 und des § 28 Abs. 2, die bereits am 28. 6. 2005 in Kraft getreten sind. 89 Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz (Verkaufsprospektgesetz) i.d.F. vom 9. 9. 1998 (BGBl. I., S. 2701), maßgeblich geändert durch Art. 2 des Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetzes v. 22. 6. 2005 (BGBl. I, S. 1698), zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG) vom 19. 8. 2005 (BGBl. I, S. 2437). 90 Siehe § 5 Abs. 1, 7 Abs. 2, 8g Abs. 2, 15 Abs. 1 und 3 VerkProspG a. F. Von diesen sprachenbezogenen Vorschriften blieb lediglich § 8g Abs. 2 in VerkProspG n. F. erhalten. Danach ist die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung die zum Schutz des Publikums erforderlichen Vorschriften über die Sprache, den Inhalt und den Aufbau des Verkaufsprospekts zu erlassen. Im Börsengesetz sind im Zuge der Umsetzung der Prospektrichtlinie die Ermächtigungsnormen des § 32 Abs. 1 Nr. 2 und 3 entfallen. 91 Verordnung über Wertpapier-Verkaufsprospekte (VerkProspVO) i.d.F. vom 9. 9. 1998 (BGBl. I, S. 2853), aufgehoben gemäß Art. 9 des Wertpapierprospektgesetzes vom 22. 6. 2005 (BGBl. I, S. 1698). Sie enthielt eine sprachbezogene Vorschrift in § 2 Abs. 1 S. 3 und 4. Danach war der Verkaufsprospekt in deutscher Sprache und in einer Form abzufassen, die sein Verständnis und seine Auswertung erleichterten (Satz 3). Die BaFin konnte gestatten, daß der Verkaufsprospekt von Emittenten mit Sitz im Ausland ganz oder zum Teil in einer anderen Sprache abgefaßt wurde, wenn diese Sprache im Inland auf dem Gebiet des grenzüberschreitenden Wertpapierhandels nicht unüblich war (Satz 4). 92 Siehe dazu detailliert Mattil/Möslein, WM 2007, 819 (820 ff.) sowie Groß, Kapitalmarktrecht, § 19 WpPG Rn. 1 ff. (insb. Rn. 4 zu der im Gesetzgebungsverfahren verlautbarten Kritik an der restriktiven Haltung des deutschen Gesetzgebers betreffend Englisch als Prospektsprache). 93 Gesetzentwurf der BReg zum Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 15/4999, S. 26. 94 Gesetzentwurf der BReg (Fn. 93), BT-Drucks. 15/4999, S. 37. 95 Gesetzentwurf der BReg, BT-Drs. 15/4999, S. 37: „Aus Gründen des Schutzes des Publikums ist die in Satz 2 enthaltene Ausnahme eng auszulegen. In Betracht kommt eine solche Ausnahme beispielsweise, wenn die Wertpapiere im Inland ausschließlich institutionellen Anlegern angeboten werden. Wird ausnahmsweise die Abfassung in einer in internationalen Fi-

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werden, d. h. deren Herkunftsstaat ein anderer EWR-Staat ist und die für ein öffentliches Angebot von Wertpapieren oder deren Zulassung zum Handel an einem organisierten Markt im Inland genutzt werden.96 § 19 Abs. 5 WpPG schließlich enthält eine Sprachregelung für Prospekte mit einer Mindeststückelung von 50.000 Euro, für die eine Zulassung zum Handel an einem organisierten Markt beantragt wird.97 dd) Die Einlagensicherungsrichtlinie 94/19/EG 98 enthält anlegerschutzbezogene Vorschriften, die sich auf die von dem Kreditinstitut an die Einleger zu erteilenden Informationen in bezug auf die Zugehörigkeit zu einem Einlagensicherungssystem beziehen, vgl. Art. 6 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie. Auf diese Informationen beziehen sich die Sprachregeln in Art. 6 Abs. 399 und Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie100 . Danach sind die erforderlichen Informationen in den Amtssprachen des Mitgliedstaats zu erteilen, in dem die Zweigstelle errichtet wurde. Art. 6 Abs. 2 letzter Halbsatz bestimmt zusätzlich, daß die Informationen in klarer und verständlicher Form erteilt werden müssen. Die Anlegerentschädigungsrichtlinie 97/9/EG101 enthält vergleichbare Vorschriften. In Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 97/9/EG ist festgelegt, daß die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, daß die Wertpapierfirmen geeignete Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, daß den vorhandenen oder potentiellen Anlegern die erforderlichen Informationen betreffend das Anlegerentschädigungssystem, dem die Wertpapierfirmen und ihre Zweigstellen in der Gemeinschaft angehören bzw. die getroffenen Alternativmaßnahmen ermitteln können, erteilt werden (Satz 1). Darüber hinaus sind die Anleger über die Bestimmungen des Anlegerentschädigungssystems bzw. der anzuwendenden Alternativvorkehrungen, insbesondere über Höhe und Umfang der von dem Entschädigungssystem gebotenen Deckung, sowie über die gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festgelegten Regeln zu unterrichten (Satz 2). Diese Informationen sind in leicht verständlicher Form zur Verfügung zu stellen (Satz 3). Art. 10 Abs. 2 statuiert eine auf diese Informationen bezogene Sprachregel. Danach sind die in Absatz 1 genanzkreisen gebräuchlichen Sprache gestattet, muss der Prospekt jedoch eine Zusammenfassung in deutscher Sprache enthalten.“ 96 Gesetzentwurf der BReg, BT-Drucks. 15/4999, S. 38. 97 Gesetzentwurf der BReg, ebd. (Fn. 96). 98 Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. 5. 1994 über Einlagensicherungssysteme, ABl. EG Nr. L 135, S. 5 ff. 99 „Die in Absatz 2 bezeichneten Informationen müssen in der oder den Amtssprachen des Mitgliedstaats, in dem die Zweigstelle errichtet wurde, gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Verfügung gestellt werden und in klarer und verständlicher Form abgefaßt sein.“ 100 „Die in Absatz 1 vorgesehenen Angaben müssen entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in der oder den Amtssprachen des Mitgliedstaats verfügbar sein, in dem die Zweigstelle errichtet wurde.“ 101 Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. 3. 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger, ABl. EG Nr. L 84, S. 22 ff.

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nannten Informationen in der im innerstaatlichen Recht vorgeschriebenen Form in der oder den Amtssprachen des Mitgliedstaats zugänglich zu machen, in dem die Zweigstelle ansässig ist. Gemäß Art. 11 Abs. 2 sind vorhandenen und potentiellen Anlegern von Zweigstellen von Wertpapierfirmen mit Sitz außerhalb der Gemeinschaft von der Wertpapierfirma alle sachdienlichen Informationen über die ihre Anlagen schützenden Entschädigungsvorkehrungen zur Verfügung zu stellen. Art. 11 Abs. 3 bestimmt, daß die in Absatz 2 bezeichneten Informationen in der oder den Amtssprachen des Mitgliedstaats, in dem die Zweigstelle ansässig ist, gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Verfügung gestellt werden und in klarer und verständlicher Form abgefaßt sein müssen. Die Umsetzung der beiden Richtlinien 94/19/EG und 97/9/EG in das deutsche Recht erfolgte 1998 durch das Gesetz zur Umsetzung der EG-Einlagensicherungsrichtlinie und der EG-Anlegerentschädigungsrichtlinie vom 16. Juli 1998.102 Durch dieses Gesetz wurde § 23a KWG abgeändert.103 Gemäß dieser Vorschrift hat das Institut Kunden, die nicht Institute sind, vor Aufnahme der Geschäftsbeziehung schriftlich (jetzt: in Textform) in leicht verständlicher Form über die für die Sicherung geltenden Bestimmungen einschließlich Umfang und Höhe der Sicherung zu informieren. Bemerkenswert an dieser Regelung ist der Umstand, daß das Erfordernis der Informationserteilung in der Amtssprache nicht übernommen wurde, sondern lediglich das Klarheits- und Verständlichkeitsgebot gesetzlich normiert wurde. Es handelt sich dabei nicht um ein Redaktionsversehen, sondern um eine absichtliche Regelung, was sich eindeutig aus der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 24. März 1998 ergibt.104 ee) Nicht alle Sprachregelungen des deutschen Bank- und Kapitalmarktrechts sind (unmittelbar) auf EG-Richtlinienbestimmungen zurückzuführen. Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) statuiert eine eigenständige Pflicht zur Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots in deutscher Sprache nach § 10 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 WpÜG105 und eine Pflicht zur Abfassung der Angebotsunterlage nach § 11 Abs. 1 S. 4 WpÜG. Diese beiden Bestimmungen beruhen – anders als die Informationspflichten des WpHG – nicht auf gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben, da die Bemühungen der Kom102

BGBl. I, S. 1842. BT-Drucks. 13/10188, S. 25. 104 BT-Drucks. 13/10188, S. 25: „Einer ausdrücklichen Regelung [scil. in § 23a KWG], daß die Information in deutscher Sprache zu erfolgen hat, bedarf es nicht. Die Sprachregelung für Zweigniederlassungen inländischer Institute in anderen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums ist von den jeweiligen Aufnahmestaaten zu treffen. Entsprechend wird gemäß § 53 Abs. 3 auf Zweigniederlassungen im Inland von Unternehmen mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums § 23a angewendet.“ 105 § 10 Abs. WpÜG ist § 15 WpHG a. F. (Ad-hoc-Publizität) nachgebildet. § 10 Abs. 3 WpÜG orientiert sich an § 15 Abs. 3 S. 1 WpHG a. F. 103

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mission zur Schaffung einer Dreizehnten Richtlinie auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts infolge der Ablehnung durch das Europäische Parlament am 13. Juli 2001 gescheitert waren, als die Bundesregierung ihren Entwurf zum WpÜG vorlegte.106 Differenzierter fällt demgegenüber die Beurteilung der Herkunft der Sprachregelung in § 123 InvG107 aus, welche die Sprachregelungen in § 5 und 15b Abs. 1 S. 1 letzter Halbsatz des bis 31. Dezember 2003 gültigen Auslandsinvestment-Gesetzes (AuslInvestG) zusammenführt.108 Von den beiden genannten Vorschriften ging lediglich § 15b des Auslandsinvestment-Gesetzes auf eine Richtlinienbestimmung zurück, nämlich auf Art. 47 der Richtlinie 85/611/ EWG.109 d) Fernabsatz-, Finanzdienstleistungsfernabsatz- und E-Commerce-Geschäfte aa) Die Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG110 enthält keine ausdrücklichen Vorgaben betreffend die Sprachenfrage.111 Der achte Erwägungsgrund weist die Zuständigkeit zur Regelung der Sprache vielmehr ausdrücklich den Mitgliedstaaten zu.112 Die Kommission hat ihr ursprüngliches Vorhaben, in der Richtlinie selbst die Vorgaben über die zu verwendende Sprache zu normieren, nicht verwirklichen können. Gemäß Art. 10 Abs. 1 des Entwurfs der Kommission für eine Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernab-

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Siehe BT-Drucks. 14/7034, S. 28. Investmentgesetz (InvG) vom 15. 12. 2003, zuletzt geändert durch Art. 5 des Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 22. 6. 2005 (BGBl. I, S. 1698). Gemäß § 123 InvG sind die in § 121 Abs. 1 InvG genannten Unterlagen – Verkaufsprospekte, Vertragsbedingungen, Satzungen und die Jahres- und Halbjahresberichte – in deutscher Sprache abzufassen oder mit einer deutschen Übersetzung zu versehen (Satz 1). Für ausländische Investmentanteile, die keine EG-Investmentanteile sind, sind darüber hinaus sämtliche Veröffentlichungen und Werbeschriften in deutscher Sprache abzufassen und mit einer deutschen Übersetzung zu versehen (Satz 2). Soweit es sich nicht um EG-Investmentanteile handelt, ist der deutsche Wortlaut der in den Sätzen 1 und 2 genannten Unterlagen und Veröffentlichungen maßgeblich (Satz 3). 108 Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/1553, S. 113. 109 Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. 12. 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlage in Wertpapieren (OGAW), ABl. EG Nr. L 375 v. 31. 12. 1985, S. 3 ff. Art. 47 lautet: „Vertreibt ein OGAW seine Anteile in einem anderen als dem Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist, so sind die in letzterem Mitgliedstaat zu veröffentlichenden Unterlagen und Angaben zumindest in einer der Landessprachen des anderen Mitgliedstaats, jedoch gemäß den Modalitäten des Mitgliedstaats, in dem der OGAW ansässig ist, zu veröffentlichen.“ 110 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 5. 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. EG Nr. L 144, S. 19 ff. = NJW 1998, 212. 111 Das wird kritisiert von Heinrichs, NJW 1999, 1596 (1599 mit Fn. 56). 112 Siehe dazu auch MüKo BGB/Wendehorst, § 312c Rn. 85. 107

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satz113 sollte der Verbraucher „schriftlich und in der in der Aufforderung114 verwendeten Sprache“ über die Identität des Lieferers und die Anschrift seiner Niederlassungen, die wesentlichen Eigenschaften des Erzeugnisses oder der Dienstleistung, den Preis und die Menge, die Zahlungsmodalitäten, das Widerrufsrecht und die diesbezüglichen Ausübungsmodalitäten informiert werden.115 Daran wird deutlich, daß der Verbraucherschutz in der Europäischen Gemeinschaft zwar einen hohen Stellenwert, nicht aber absoluten Vorrang genießt und deshalb auch nicht um jeden Preis durch die Gemeinschaft verwirklicht werden muß. Den Mitgliedstaaten bleibt in diesem Bereich die Regelung der Sprachenfrage also selbst überlassen. bb) Die Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen116 trifft ebenfalls keine konkreten Sprachregelungen. Gemäß Art. 3 Nr. 3 lit. g der Richtlinie ist der Verbraucher vor Abschluß des Fernabsatzvertrags darüber zu unterrichten, in welcher Sprache oder in welchen Sprachen die Vertragsbedingungen und die in diesem Artikel genannten Vorabinformationen mitgeteilt werden, sowie darüber, in welcher Sprache oder in welchen Sprachen sich der Anbieter verpflichtet, mit Zustimmung des Verbrauchers die Kommunikation während der Laufzeit dieses Vertrags zu führen. In dem 31. Erwägungsgrund der Richtlinie wird dazu ausgeführt, „die Bestimmungen in dieser Richtlinie betreffend die Wahl der Sprache durch den Anbieter sollten unbeschadet der Bestimmungen der einzelstaatlichen, im Einklang mit den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft erlassenen Rechtsvorschriften über die Wahl der Sprache gelten.“ cc) Die E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG117 statuiert in Art. 10 Abs. 1 lit. d eine sprachenbezogene Informationspflicht der Diensteanbieter gegenüber 113

ABl. EG Nr C 156/92, S. 14 (17). Gemeint ist die Bestellaufforderung. 115 Siehe dazu (ohne Angabe der Quelle) Micklitz, ZEuP 1999, 875 (884); Kallenborn, Sprachenproblem, S. 141. 116 Richtlinie 2002/65/EG vom 23. 9. 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. EG Nr. L 271, S. 16 ff. – In Umsetzung dieser Richtlinie wurde durch Art. 6 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen v. 2. 12. 2004 (BGBl. I, S. 3102) mit Wirkung zum 8. 12. 2004 ein Klarheits- und Verständlichkeitserfordernis in § 48b Abs. 1 VVG (jetzt § 7 Abs. 1 S. 2 VVG) eingefügt. Gemäß Nr. 2 lit. f der zu dieser Vorschrift ergangenen Anlage muß der Versicherer dem Versicherungsnehmer außerdem „die Sprachen, in welchen die Vertragsbedingungen und die in dieser Vorschrift genannten Vorabinformationen mitgeteilt werden, sowie die Sprachen, in welchen sich der Versicherer verpfl ichtet, mit Zustimmung des Versicherungsnehmers die Kommunikation während der Laufzeit dieses Vertrags zu führen“, zur Verfügung stellen. Damit wird Art. 3 Nr. 3 lit. g der Richtlinie 2002/65/EG Rechnung getragen. 117 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. 6. 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. EG Nr. L 178, S. 1 ff. 114

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Erster Teil: Grundlagen

Verbrauchern. Die Anbieter müssen, bevor der Nutzer eines Dienstes seine Bestellung abgibt, unter anderem „klar, verständlich und unzweideutig (. . .) die für den Vertragsabschluß zur Verfügung stehenden Sprachen“ angeben. Im deutschen Recht setzt § 312c Abs. 1 BGB die Vorgaben des Art. 4 der Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG um. Die Vorschrift auferlegt dem Unternehmer zum Zweck der Unterrichtung des Verbrauchers bei Fernabsatzverträgen eine Pfl icht zur klaren und verständlichen Informationserteilung, ohne zugleich selbst eine Sprachenregelung zu treffen. Die Einzelheiten der Informationserteilung regelt die Verordnung über Informations- und Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht.118 § 3 Nr. 4 BGB-InfVO bestimmt in Umsetzung des Art. 10 Abs. 1 lit. d der E-Commerce-Richtlinie, daß der Unternehmer den Kunden bei Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr gemäß § 312e Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB über die für den Vertragsschluß zur Verfügung stehenden Sprachen informieren muß. Eine Verpflichtung des Unternehmers, den Vertragsschluß in einer bestimmten (oder mehreren) Sprachen zu ermöglichen, besteht allerdings nicht.119 Der Unternehmer kann sich also auf eine Vertragssprache beschränken. Die sprachliche Fassung des Internettextes kann als eine konkludente Beschränkung auf eine Sprache interpretiert werden, wenngleich eine entsprechende ausdrückliche Beschränkung empfehlenswert ist.120 Da § 3 BGB-InfVO dem Unternehmer die Sprachenwahl überläßt, handelt es sich nicht um eine gesetzliche Sprachregel, die das „Sprachrisiko“ konkret einer Partei zuweist. Mithin hat nicht nur die Europäische Gemeinschaft den Mitgliedstaaten die Regelung der Sprachenfrage im Bereich der Fernabsatzgeschäfte überlassen, sondern der deutsche Gesetzgeber hat seinerseits den Unternehmern insoweit die Freiheit der Sprachenwahl belassen. Vor dem Hintergrund der bei grenzüberschreitenden Transaktionen naheliegenden beträchtlichen Transaktionskosten und der damit verbundenen Einschränkung der Unternehmerfreiheit wäre eine Verpflichtung zur Ermöglichung des Vertragsabschlusses in mehreren Sprachen oder in der Sprache des Kunden auch kein überzeugender Regelungsansatz gewesen. Allerdings ist der Sinn der in § 3 Nr. 4 BGB-InfVO kodifizierten Informationspflicht fragwürdig, weil bereits durch die Verwendung einer Sprache auf der Internetseite des Unternehmers klargestellt wird, in welcher Sprache (bzw. in welchen Sprachen) der Unternehmer Vertragsschlüsse herbeiführen möchte.121 118 BGB-Informationspflichten-Verordnung (BGB-InfVO) v. 5. 8 2002, BGBl. I, S. 3002. Die Verordnung dient der Umsetzung der Richtlinien 97/7/EG (§ 1), 94/47/EG (§ 2), 2000/31/ EG (§ 3), 90/314/EG (§§ 4, 5, 6, 8, 9), 97/5/EG (§§ 10, 11). 119 Ebenso MüKo BGB/Wendehorst, § 312e Rn. 85. 120 MüKo BGB/Wendehorst, § 312e Rn. 87. 121 Zutreffend MüKo BGB/Wendehorst, § 312e Rn. 85, der einen begrenzten Sinn der Vorschrift darin erkennt daß sie verhindert, daß „der Kunde ohne Not in einer ihm schwer verständlichen Sprache kontrahiert, obgleich zB auch seine Muttersprache verfügbar gewesen wäre“.

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e) Vorschriften des Gemeinschaftsrechts über die Etikettierung von Humanarzneimitteln, Tabakerzeugnissen, Lebensmitteln sowie Wein aa) Das sekundäre Gemeinschaftsrecht enthält zahlreiche Regelungen über die Etikettierung von Produkten. Sofern es sich dabei um Produkte handelt, deren Inhaltsstoffe oder Anwendung durch die Verbraucher mit festgestellten oder möglichen Gefahren – namentlichen solchen für sein Leben oder seine Gesundheit – verbunden sind, sind ausdrückliche Sprachregelungen zu verzeichnen.122 Dies gilt beispielsweise für Humanarzneimittel, Zigaretten und für bestrahlte Lebensmittel.123 Die Kommission hat die Motivation zu der Schaffung solcher 122 Vgl. Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 287; dezidiert a. A. GA Cosmas in seinen Schlußanträgen zu der Rs. Goerres (Slg. 1998, I-4431, 4433 = EuZW 1998, 636). A.a.O., S. 4451 Tz. 56 führt der Generalanwalt aus, daß sich aus den verschiedenen Richtlinienbestimmungen kein Rückschluß auf die Gründe ziehen lasse, die die Gemeinschaftsorgane jeweils dazu bewogen haben, den Gebrauch dieser oder jener Sprachform zu wählen. Es lasse sich insbesondere keine Regel erkennen, nach der für gesundheitsschädliche Erzeugnisse „strenge“ Voraussetzungen zur Anwendung gelangten (z. B. das Erfordernis der National- oder Amtssprache), während für die übrigen (z. B. Lebensmittel) „weniger strenge“ Voraussetzungen genügten (z. B. eine leicht verständliche Sprache). Für seine Ansicht führt der GA die unterschiedlichen Etikettierungsbestimmungen für Fruchtsäfte und Futtermittel einerseits (Etikettierung in National- oder Amtssprachen des Bestimmungslandes) und Lebensmittel (Etikettierung in leicht verständlicher Sprache) andererseits an. 123 Daß die Informationserteilung in der Amtssprache des Mitgliedstaats zu erfolgen hat, in dem ein Produkt in Verkehr gebracht wird, ist eine Regelungstechnik, die im Sekundärrecht immer dann Anwendung findet, wenn ein erhöhtes Maß an Gefährlichkeit vorliegt oder zumindest begründet vermutet werden darf und die Sicherheit der Verbraucher bzw. der Verwender des Produkts gewährleistet werden soll. Ein Beispiel für eine solche Richtlinie (die allerdings keine Rechtsfragen regelt, die den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern betreffen) ist die Richtlinie 95/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 6. 1995 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Aufzüge, ABl. EG Nr. L 213, S. 1 ff. Sie gilt für Aufzüge, die Gebäude und Bauten dauerhaft bedienen (Art. 1 Abs. 1 S. 1). Sprachregelungen im oben genannten Sinn finden sich in den 14 Anhängen der Richtlinie an verschiedenen Stellen (vgl. Anhang I bei Ziff. 6, 6.2.; Anhang II bei B (1), (3); Anhang V bei Ziff. 8; Anhang VI bei Ziff. 7; Anhang X bei Ziff. 5; Anhang XI bei Ziff 5; Anhang XIII bei Ziff. 7 und in Anhang XIV bei Ziff. 7). Sie beziehen sich auf die Betriebs- und Montageanleitung, die Erklärung betreffend Sicherheitsbauteile, die Endabnahmebescheinigung, Erklärungen in bezug auf die Einzelprüfung, damit zusammenhängende Unterlagen und Schriftverkehr, usw. Entsprechendes gilt für die Richtlinie 98/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 6. 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen (ABl. EG Nr. L 207, S. 1 ff.). Die Sprachregelungen finden sich darin in Anhang I bei Ziff. 1.7.2. (Warnung vor Restgefahren), 1.7.4 lit. b (Betriebsanleitung), in Anhang II bei C (1) (EG-Konformitätserklärung für einzeln in Verkehr gebrachte Sicherheitsbauteile), in Anhang V bei Ziff. 4 lit. c (EG-Konformitätserklärung), sowie in Anhang VI bei Ziff. 7 (EG-Baumusterprüfung). Drittens kann für diese Regelungstechnik die Richtlinie 90/396/EWG des Rates vom 29. 6. 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Gasverbrauchseinrichtungen, ABl. EG Nr. L 196, S. 15 ff., angeführt werden. Darin bestimmt Art. 8 Abs. 6, daß die Unterlagen und der Schriftwechsel betreffend die Verfahren zum Nachweis der Konformität in der/den Amtssprache(n) des Mitgliedstaats, in dem die mit der Durchführung der Verfahren betraute Stelle niedergelassen ist, oder in einer von dieser Stelle akzeptierten Sprache abgefaßt werden.

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Erster Teil: Grundlagen

Vorschriften im Jahr 1993 in ihrer „Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament betreffend den Sprachengebrauch für die Information der Verbraucher in der Gemeinschaft“124 dargelegt: „Aus einer gewissen Anzahl praktischer Fälle geht hervor, daß die Verbraucher Schwierigkeiten aufgrund der Mängel im Bereich der sprachlichen Anforderungen haben. Diese Lücken können möglicherweise schwerwiegende Folgen haben, da sie bisweilen die Gesundheit oder die Sicherheit der Personen beeinträchtigen. (. . .) Was die Lebensmittel anbelangt, können Informationslücken den Verbrauchern schweren Schaden zufügen. So könnte das Vorhandensein von Zucker in einem Lebensmittel, dessen Etikettierung für den Käufer unverständlich ist, bei einer Diät oder bei Diabetes Folgen für dessen Gesundheit haben. Das gleiche gilt für die Lebensmittelallergien, von denen ein erheblicher Teil der Verbraucher in der Gemeinschaft betroffen ist. (. . .) Das Fehlen einer Übersetzung bzw. eine unvollständige Übersetzung haben ebenfalls zu schweren Problemen führen können, beispielsweise bei der Benutzung von Mikrowellengeräten oder infolge falscher elektrischer Anschlüsse. (. . .) Sämtliche Verbraucherkategorien sind betroffen, einschließlich der Kinder (hier wird häufig das Beispiel der Lösungsmittel oder der Klebstoffe angeführt), die nicht notwendigerweise mehrere Sprachen beherrschen.“

bb) Der Gesundheitsschutz, ein besonders wichtiges Allgemeininteresse, war in der Folge die Motivation für eine Reihe von ausdrücklichen Sprachregeln in verschiedenen Bereichen, und zwar sowohl im Hinblick auf tatsächliche als auch auf lediglich vermutete Gefahren bzw. Gefahrenpotentiale: (1) Die Richtlinie 2001/83/EG125 bestimmt in Art. 63 Abs. 1 UAbs. 1 hinsichtlich der Vorschriften über die Etikettierung von Humanarzneimitteln und die Packungsbeilage derselben, daß die danach erforderlichen Angaben in der Amtssprache bzw. den Amtssprachen des Mitgliedstaats abgefaßt sein müssen, in dem das Arzneimittel in den Verkehr gebracht wird. Art. 63 Abs. 1 UAbs. 2 eröffnet die Möglichkeit, die Angaben in mehreren Sprachen abzufassen, sofern in allen verwendeten Sprachen dieselben Angaben gemacht werden. Gemäß Art. 63 Abs. 3 können die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem das Arzneimittel in den Verkehr gebracht wird, von der Verpflichtung, das Etikett und die Packungsbeilage in der bzw. den Amtssprachen des Mitgliedstaats abzufassen, entbinden, wenn das Arzneimittel nicht an den Patienten zur SelbstGemäß Anhang I Ziff. 1.2. müssen Anleitungen und Warnhinweise in der/den Amtssprache(n) des Empfängermitgliedstaats abgefaßt sein. Ein viertes Beispiel aus der Rechtsetzung der Gemeinschaft ist die Richtlinie 87/404/EWG des Rates vom 25. 6. 1987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für einfache Druckbehälter, ABl. EG Nr. L 220, S. 48 ff. Deren Art. 8 Abs. 3 schreibt vor, daß die Unterlagen und der Schriftwechsel betreffend die Bescheinigungsverfahren im Sinne der Vorschrift in der oder einer Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem die Prüfstelle zugelassen ist, oder in einer von der Prüfstelle akzeptierten Sprache abgefaßt werden. Gemäß Anhang II Ziff. 2 ist auch die Betriebsanleitung in der bzw. den Amtssprachen des Bestimmungsmitgliedstaats abzufassen. 124 KOM(93) 456 endg., S. 11, Ziff. 26. 125 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 11. 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl. EG Nr. L 311, S. 67 ff.

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medikation abgegeben werden soll. Vergleichbare Regelungsinhalte enthielt auch die inzwischen durch den Gemeinschaftskodex ersetzte Richtlinie 92/27/ EWG über die Etikettierung und die Packungsbeilage von Humanarzneimitteln126 in den Artikeln 4, 8 und 10 Abs. 5. Diese Vorgaben wurden 1994 im Rahmen der Fünften Novelle des Arzneimittelgesetzes in das deutsche Recht umgesetzt. § 10 Abs. 1 S. 1 AMG schreibt seitdem vor, daß die Kennzeichnung von Fertigarzneimitteln in deutscher Sprache erfolgen muß. Gleiches gilt nach § 11 Abs. 1 S. 1 AMG für die sprachliche Fassung der Packungsbeilage. § 10 Abs. 1 S. 2 und § 11 Abs. 1 S. 3 AMG übernehmen die Vorgaben des Art. 63 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG und lassen Angaben im mehreren Sprachen zu, sofern in allen Sprachen die gleichen Angaben gemacht werden. (2) Art. 5 der Richtlinie 2001/37/EG127 regelt die Etikettierung von Zigaretten, indem er nicht nur die Amtssprache bzw. die Amtssprachen des Mitgliedstaats, in dem die Zigaretten in Verkehr gebracht werden vorschreibt, sondern zusätzlich die Größe der betreffenden Angaben davon abhängig macht, wieviele Amtssprachen der jeweilige Mitgliedstaat hat. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie128 betrifft die Angaben über den gemessenen Teer-, Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalt von Zigaretten, während Art. 5 Abs. 6 lit. e der Richtlinie129 die Amtssprache für die nach Art. 5 erforderlichen Warnhinweise und Schadstoffangaben verbindlich vorgibt. Die Vorgaben der Richtlinie 2001/37/EG finden sich im deutschen Recht in der Tabakprodukt-Verordnung vom 20. November 2002130 umgesetzt, die ihrerseits auf den Verordnungsermächtigungen des Dritten Abschnitts des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes131 fußt und damit die erforderliche gesetzliche Grundlage besitzt. Gemäß Art. 8 Abs. 1 Nr. 5 sind die Angaben nach § 6 Abs. 1 und § 7 – es handelt sich um die Angaben über die gemessenen Rauchinhaltsstoffe (Teer, Nikotin, Kohlenmonoxid) und die allgemeinen Warnhinweise – in deutscher Sprache aufzudrucken. Anders als im Recht der Humanarzneimittel sind Ausnahmevorschriften in bezug auf die Sprache bei der Etikettierung von Zigaretten im Gemeinschaftsrecht nicht vor126 Richtlinie 92/27/EWG des Rates vom 31. 3. 1992 über die Etikettierung und die Pakkungsbeilage von Humanarzneimitteln, ABl. EG Nr. L 113, S. 8 ff. 127 Richtlinie 2001/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. 6. 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen, ABl. EG Nr. L 194, S. 26 ff. 128 Die diesbezüglichen Angaben müssen mindestens 10% der betreffenden Fläche einnehmen. Dieser Prozentsatz erhöht sich bei Mitgliedstaaten mit zwei Amtssprachen auf 12% und bei solchen mit drei Amtssprachen auf 15%. 129 Die erforderlichen Warnhinweise und Schadstoffangaben sind „in der bzw. den Amtssprachen des Mitgliedstaats abzufassen, in dem das Erzeugnis in den Verkehr gebracht wird.“ 130 BGBl. I, S. 4434. 131 § 21 Abs. 1 Nr. 1 lit. c bis f und lit. h bis j sowie Nr. 2 i. V. m. § 19 Abs. 1 Nr. 2 lit. b und Abs. 1 Nr. 4 lit. c sowie § 22 Abs. 3 LMBG: Weitere Rechtsgrundlagen der Verordnung sind § 1 des Zuständigkeitsanpassungsgesetzes vom 16. 8. 2002 (BGBl. I, S. 3165) und der Organisationserlaß vom 22. 10. 2002 (BGBl. I, S. 4206).

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Erster Teil: Grundlagen

gesehen und folgerichtig auch im deutschen Recht nicht enthalten. Es handelt sich also um sehr strenge Regelungen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat diese Rechtsvereinheitlichung auf hohem Niveau mit Absicht herbeigeführt. Das ergibt sich beispielsweise aus den Ausführungen im 4. und im 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/37/EG. Im 4. Erwägungsgrund heißt es dazu, daß angesichts der besonders schädlichen Wirkungen des Tabaks dem Gesundheitsschutz der Vorrang eingeräumt werden soll. Im 19. Erwägungsgrund wird es als „nicht hinnehmbar“ bezeichnet, daß die Verbraucher in einem Mitgliedstaat besser über die Gefahren des Tabaks informiert sind als in einem anderen. Diese Unterschiede könnten zu Handelshemmnissen führen und das Funktionieren des Binnenmarkts für Tabakerzeugnisse behindern, weshalb sie beseitigt werden sollten. Hierzu sei es erforderlich, die bestehenden Rechtsvorschriften unter Gewährleistung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus nachdrücklicher und klarer zu gestalten. Ausweislich des 24. Erwägungsgrundes soll den Mitgliedstaaten das Recht verbleiben, strengere Regeln in bezug auf Tabakerzeugnisse zu erlassen, soweit die Vorschriften der Richtlinie nicht berührt und die Bestimmungen des Vertrags eingehalten werden. (3) Ein weiteres Beispiel für konkrete Sprachregelungen im Zusammenhang mit Etikettierungsvorschriften, die mögliche Gesundheitsgefahren der Konsumenten132 verhindern sollen, ist Art. 5 Abs. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2000/13/ EG133 . Die Vorschrift schreibt den Mitgliedstaaten im Wege einer konkreten Sprachregelung und in elf Amtssprachen vor, daß jedes Lebensmittel, das mit ionisierenden Strahlen behandelt wurde, entweder den Hinweis „bestrahlt“ oder „mit ionisierenden Strahlen behandelt“ tragen muß. Die Richtlinie enthält des weiteren Vorgaben über das Mindesthaltbarkeitsdatum (Art. 9) sowie über das Verbrauchsdatum (Art. 10). Letzteres ersetzt gemäß Art. 10 Abs. 1 das Mindesthaltbarkeitsdatum bei „in mikrobiologischer Hinsicht sehr leicht verderblichen Lebensmitteln, die folglich nach kurzer Zeit eine unmittelbare Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen könnten“. Art. 10 Abs. 2 S. 1 schreibt – wiederum in 11 Amtssprachen – vor, daß dem die Angabe „verbrauchen bis“ vorangehen muß. Dem ist entweder das Datum selbst oder ein Hinweis darauf, 132

Ob die Bestrahlung von Lebensmitteln gefahrenträchtig ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung führt der Beschuß mit ionisierter Strahlung zwar zu Einbußen bei dem Vitamingehalt, diese gehen aber nicht über die Folgen einer herkömmlichen Pasteurisierung hinaus. Das eigentliche Problem der Strahlenbehandlung von Lebensmitteln liegt in dem fehlenden Vertrauen des Verbrauchers in diese Methode. Insofern schafft die Richtlinie 2000/13/EG die notwendige Transparenz, die dem Verbraucher eine eigenverantwortliche Entscheidung beim Kauf von Lebensmitteln ermöglicht, statt ihm die Grundlage ihrer Haltbarmachung zu unterschlagen. 133 Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 3. 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, ABl. EG Nr. L 109, S. 29 ff., geändert durch die Änderungsrichtlinie 2001/101/EG, ABl. EG Nr. L 310, S. 19 ff.

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wo das Datum in der Etikettierung zu finden ist, hinzuzufügen (Satz 2). Diese Angaben werden durch eine Beschreibung der einzuhaltenden Aufbewahrungsbedingungen ergänzt (Satz 3). Das deutsche Lebensmittelrecht enthält in § 13 Abs. 1 LMBG134 ein grundsätzliches Bestrahlungsverbot für Lebensmittel. Allerdings schafft § 13 Abs. 2 Nr. 1 LMBG die Möglichkeit, soweit es mit dem Schutz des Verbrauchers vereinbar ist, Ausnahmen von diesem Verbot entweder allgemein oder für bestimmte Lebensmittel durch Rechtsverordnung zu schaffen. Auf dieser Ermächtigungsgrundlage beruht die Lebensmittelbestrahlungsverordnung vom 14. Dezember 2000135 mit ihrer Zulassung der Bestrahlung von getrockneten aromatischen Kräutern und Gewürzen in § 1 LMBestrV. § 3 Abs. 1 LMBestrV enthält die gemeinschaftsrechtlich geforderte Regelung über die Kenntlichmachung durch die Angabe „bestrahlt“ oder die Angabe „mit ionisierenden Strahlen behandelt“ spätestens bei Abgabe an den Verbraucher. Die Richtlinienvorgaben über das Mindesthaltbarkeits- und das Verbrauchsdatum sind in den §§ 7, 7a der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung136 umgesetzt worden, die ihre Ermächtigungsgrundlage in § 19 Nr. 2 lit. b LMBG haben. Die durch das Gemeinschaftsrecht geforderte Angabe „verbrauchen bis“ verlangt ausdrücklich § 7a Abs. 2 LMKV. Daß – unter anderen – das Mindesthaltbarkeits- und das Verbrauchsdatum auf der Fertigpackung bzw. einem mit ihr verbundenen Etikett „an gut sichtbarer Stelle, in deutscher Sprache, leicht verständlich, deutlich lesbar und unverwischbar anzubringen“ sind, ergibt sich aus § 3 Abs. 3 S. 1 LMKV.137 Diese Angaben können gemäß § 3 Abs. 3 S. 2 LMKV „auch in einer anderen leicht verständlichen Sprache angegeben werden, wenn dadurch die Information des Verbrauchers nicht beeinträchtigt wird“.138 Satz 2 134 Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz – LMBG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 9. 9. 1997, BGBl. I, S. 2296. 135 Verordnung über die Behandlung von Lebensmitteln mit Elektronen-, Gamma- und Röntgenstrahlen, Neutronen und ultravioletten Strahlen (Lebensmittelbestrahlungsverordnung – LMBestrV), BGBl. I, S. 1730. 136 Verordnung über die Kennzeichnung von Lebensmitteln (Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung – LMKV) i.d.F. vom 15. 12. 1999 (BGBl. I, S. 2464). 137 Die Vorschrift geht ursprünglich auf Art. 14 der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. 12. 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. EG Nr. L 33, S. 1 ff.) zurück; siehe dazu Burmeister/Miersch, EuZW 1995, 273. Inzwischen gestattet Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2000/13/EG jedem Mitgliedstaat, in dem das Lebensmittel vermarktet wird, in seinem Hoheitsgebiet unter Beachtung der Bestimmungen des EG-Vertrags vorzuschreiben, daß die Angaben auf dem Etikett zumindest in einer oder mehreren von ihm bestimmten Amtssprachen der Gemeinschaft abgefaßt sind. 138 Zur Frage, was die Abfassung einer Lebensmitteletikettierung in einer „leicht verständlichen Sprache“ im einzelnen bedeutet, vgl. Burmeister/Miersch, EuZW 1995, 273 (274 ff.), Herrmann/Kraus, ZLR 2001, 679 (695 f.).

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Erster Teil: Grundlagen

des § 3 Abs. 3 LMKV wurde durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung vom 14. August 1992 und in Umsetzung der Änderungsrichtlinie 89/395/EWG in das deutsche Recht inkorporiert.139 Die Vorschrift entspricht im übrigen den Vorgaben des jüngeren Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2000/13/EG. (4) Bemerkenswert ist schließlich die Verordnung Nr. 2392/89/EWG140 , die die Bezeichnung und Aufmachung von Weinen und Traubenmosten regelt, denn es handelt sich um eine der wenigen „reinen“ verbraucherschützenden Gemeinschaftsregelungen mit unmittelbar geltenden (vgl. Art. 249 Abs. 2 EG) Sprachenvorgaben, welche nicht dem Schutz vor Lebens- oder Gesundheitsgefahren zu dienen bestimmt ist, sondern allein die Information des Endverbrauchers bezweckt. Die Verordnung enthält eine Vielzahl an sprachenbezogenen Vorgaben, die hier nicht im einzelnen erörtert werden können. Die maßgeblichen Sprachregelungen, die sich auf die Etikettierungsvorschrift des Artikels 2 der Verordnung beziehen und die in ihrer überschäumenden Regelungswut befremden, findet sich in Art. 3 Abs. 5, Unterabsätze 1 und 2 wieder.141 Die Moti139

Siehe BR-Drucks. 563/92, S. 11 (Begründung). Verordnung (EWG) Nr. 2392/89 des Rates vom 24. 7. 1989 zur Aufstellung allgemeiner Regeln für die Bezeichnung und Aufmachung der Weine und der Traubenmoste, ABl. EG Nr. L 232, S. 13 ff. 141 „(5) Die Angaben – nach Artikel 2 Absatz 1 müssen in einer oder mehreren anderen Amtssprachen der Gemeinschaften erfolgen, so daß der Endverbraucher jede dieser Angaben ohne weiteres verstehen kann; – nach Artikel 2 Absätze 2 und 3 müssen in einer oder mehreren anderen Amtssprachen der Gemeinschaften erfolgen. Abweichend von Unterabsatz 1 a) muß die Angabe – des Namens einer kleineren geographischen Einheit als der des Mitgliedstaats nach Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe a), – eines Vermerks über die Abfüllung nach Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe f) und – des Namens des Weinbaubetriebs oder des Erzeugerzusammenschlusses nach Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe g) in einer der Amtssprachen des Ursprungsmitgliedstaats erfolgen. Diese Angaben können – bei Tafelwein mit Ursprung in Griechenland in einer oder mehreren anderen Amtssprachen der Gemeinschaft wiederholt werden oder – nur in einer anderen Amtssprache der Gemeinschaft erfolgen, wenn diese der Amtssprache in dem Teil des Hoheitsgebiets des Ursprungsmitgliedstaats, in dem die genannte geographische Einheit liegt, gleichgestellt ist, sofern dies in dem Mitgliedstaat herkömmlich und üblich ist; b) erfolgt die Angabe einer der Bezeichnungen nach Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe i) nach den dort festgelegten Bestimmungen. Diese Angabe kann bei Tafelwein mit Ursprung in Griechenland in einer oder mehreren anderen Amtssprachen der Gemeinschaft wiederholt werden; c) kann beschlossen werden, daß – Hinweise auf die Art des Erzeugnisses oder eine besondere Farbe nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe h), 140

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vationslage des Verordnungsgebers wird im dreizehnten Erwägungsgrund142 dargelegt. Daran wird deutlich, daß auch ein unterstellt hohes Informationsbedürfnis des Verbrauchers nicht etwa die Verletzung der Warenverkehrsfreiheit rechtfertigt. Daher war es notwendig, die Angaben auf dem Etikett in jeder der Amtssprachen zu ermöglichen, statt eine alleinige Zulassung der Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem das Erzeugnis an den Endverbraucher abgegeben wird, festzulegen. cc) Die Information des Endverbrauchers ist kein Ziel, das sich die Gemeinschaft als absolut setzen und das sie gleichsam „um jeden Preis“ verfolgen dürfte. Das zeigen sehr deutlich die Sprachregelungen betreffend die geographischen Herkunftsangaben, die im Grundsatz die Sprache des Ursprungsgebiets als verbindlich festlegen und nur bei Weinen mit Ursprung in Griechenland eine Wiederholung der ursprungsbezogenen Angaben in einer anderen Amtssprache der Gemeinschaft gestatten. Verständnisschwierigkeiten des Verbrauchers werden in diesem Bereich bewußt hingenommen, um einer Verwässerung der Ursprungsbezeichnung entgegenzuwirken. Eine Ausnahme ist vom Gemeinschaftsgesetzgeber nur im Hinblick auf Angaben in griechischer Sprache für notwendig erachtet worden, da er insofern – wegen des griechischen Alphabets mit Recht – „besondere Schwierigkeiten des Verständnisses“ unterstellt.143 – Hinweise auf die Art der Herstellung des Tafelweins nach Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe d) und – Informationen zu den natürlichen oder technischen Weinbaubedingungen oder zu der durch die Lagerung erreichten Reife des Tafelweins nach Artikel 2 Absatz 3 Buchstabe h) nur in einer der Amtssprachen des Ursprungsmitgliedstaats erfolgen dürfen; d) können die Mitgliedstaaten zulassen, daß – die Angaben nach Buchstabe a) erster Gedankenstrich und Buchstabe b) Satz 1 bei Tafelwein, der in ihrem Hoheitsgebiet hergestellt und in den Verkehr gebracht wird, – die anderen Angaben nach Unterabsatz 1 bei Tafelwein, der in ihrem Hoheitsgebiet in den Verkehr gebracht wird, zusätzlich in einer anderen Sprache als einer Amtssprache der Gemeinschaft erfolgen, wenn die Verwendung dieser Sprache in dem betreffenden Mitgliedstaat oder einem Teil seines Hoheitsgebietes herkömmlich und üblich ist. Für die Bezeichnung der zur Ausfuhr bestimmten Tafelweine können die Durchführungsbestimmungen die Verwendung anderer Sprachen zulassen.“ 142 „Die Bezeichnung der Weine und der Traubenmoste sollte in der Gemeinschaft in jeder Amtssprache der Gemeinschaft erfolgen können, um den Grundsatz des freien Warenverkehrs im gesamten Gemeinschaftsgebiet zur Geltung zu bringen. Es ist gleichwohl erforderlich, daß die zwingenden Angaben in der Weise erfolgen, daß sie der Endverbraucher selbst dann verstehen kann, wenn sie auf der Etikettierung in einer Sprache erscheinen, die nicht die Amtssprache seines Landes ist. Es empfi ehlt sich, die Namen der geographischen Einheiten nur in der Amtssprache des Mitgliedstaats anzugeben, in dem die Erzeugung des Weines oder des Traubenmostes erfolgt ist, damit das in dieser Weise bezeichnete Erzeugnis nur unter seiner herkömmlichen Bezeichnung im Verkehr ist. Wegen der besonderen Schwierigkeiten des Verständnisses der Angaben in griechischer Sprache aufgrund der Tatsache, daß keine lateinischen Buchstaben verwendet werden, sollte die Wiederholung dieser Angaben in einer oder mehreren anderen Amtssprachen der Gemeinschaft zulässig sein.“ 143 Siehe das Zitat in Fn. 142 a. E.

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2. Die Frage nach abgeleiteten Sprachregeln a) Einführung aa) Die grundsätzliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Schaffung ausdrücklicher Sprachregeln Ausdrückliche Sprachregeln der Europäischen Gemeinschaft sind wie gezeigt relativ selten. Ihre Intention besteht regelmäßig darin, den geschützten Personenkreis vor erheblichen Gefahren für besonders wichtige Rechtsgüter – insbesondere für das Leben und die Gesundheit von Menschen – zu bewahren.144 Nur in Ausnahmefällen werden Sprachregelungen mit rein verbraucherschützenden Motivation getroffen.145 Jenseits solcher gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen ist es die Sache der Mitgliedstaaten, den Gebrauch einer von ihnen zu wählenden Sprache vorzuschreiben, was z. B. der oben zitierte achte Erwägungsgrund der Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG146 klar zum Ausdruck bringt. Weiter sieht Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2000/13/EG über Etikettierung, Aufmachung und Werbung für Lebensmittel eine optionale mitgliedstaatliche Sprachregel ausdrücklich vor, während Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie zwingend nur verlangt, daß die erforderlichen Angaben in einer „dem Verbraucher leicht verständlichen Sprache abgefaßt sind“. In der – allerdings nicht konsistenten – Judikatur des EuGH finden sich ebenfalls Beispiele für die These von der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für ausdrückliche Sprachregeln.147 Beson144

Vgl. auch Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 287. Ein bisher unerwähnt gebliebenes Beispiel dafür ist die konkrete Sprachregelung in der Spalte c des Anhangs I der Richtlinie 69/493 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Kristallglas. Dort hat der Rat vorgeschrieben, daß zur Bezeichnung der Erzeugnisse der Arten 3 und 4 (Kristallglas) nur die Sprache oder die Sprachen des Landes verwendet werden dürfen, in dem die Ware in den Verkehr gebracht wird. Der EuGH (Urt. v. 9. 8. 1994 – Rs. C-51/93, Slg. 1994, I-3879 – Meyhui NV/Schott Zwiesel Glaswerke AG) hat darin keinen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht gesehen. Weder habe der Rat seine Zuständigkeit überschritten noch sei der Grundsatz des freien Warenverkehrs (Art. 28 EG, damals Art. 30 EWGV) verletzt. Zwar stelle das genannte Erfordernis eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels dar, da die aus anderen Mitgliedstaaten stammenden Erzeugnisse mit anderen Etiketten versehen werden müßten, was zusätzliche Aufmachungskosten verursache. Doch sei diese Bestimmung aus Erwägungen des Verbraucherschutzes gerechtfertigt, da bei den beiden in Rede stehenden Glassorten, die einen geringeren Wert hätten als das Hochbleikristall und das Bleikristall, der Qualitätsunterschied des verwendeten Glases für den durchschnittlichen Verbraucher nicht leicht feststellbar sei und dieser deshalb so klar wie möglich über die gekaufte Ware informiert werden müsse, damit er nicht ein Erzeugnis der Arten 3 und 4 mit einem Erzeugnis der höherwertigen Arten verwechsele und folglich einen nicht gerechtfertigten Preis bezahle. Auch stehe dieses Erfordernis nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Ziel, da nicht ersichtlich sei, daß ein angemessener Schutz des Verbrauchers durch andere und weniger belastende Maßnahmen hätte erreicht werden könnten. 146 ABl. EG 1997 Nr. L 144, S. 19. 147 Siehe EuGH, Urt. v. 3. 6. 1999 – Rs. C-33/97, Slg. 1999, I-3175 = EuZW 1999, 464 – Colim NV/Bigg’s Continent Noord NV. Im dritten Leitsatz stellt der EuGH fest, daß sprachliche Anforderungen des nationalen Rechts bezüglich der Angaben auf eingeführten Erzeug145

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ders deutlich sind in dieser Hinsicht die Feststellungen des Gerichtshofs in der Rechtssache Colim, wo es dazu wörtlich heißt: 148 „Für bestimmte Kategorien von Erzeugnissen schreiben einige Gemeinschaftsrichtlinien die Verwendung der nationalen Sprache(n) vor, um einen besseren Verbraucher- oder Gesundheitsschutz zu gewährleisten. Sind die für ein bestimmtes Erzeugnis geltenden sprachlichen Anforderungen durch diese Richtlinien vollständig harmonisiert worden, können die Mitgliedstaaten keine zusätzlichen sprachlichen Anforderungen festlegen. Ist dagegen die Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene nur teilweise durchgeführt worden oder fehlt sie ganz, sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich weiterhin zur Festlegung zusätzlicher sprachlicher Anforderungen befugt.“

bb) Die Bedeutung des Transparenzgebots im sekundären Gemeinschaftsrecht Im europäischen Sekundärrecht – namentlich im Bereich des Verbraucherschutzrechts – besteht der typische Regelungsansatz des Gemeinschaftsgesetzgebers darin, den Mitgliedstaaten nicht eine bestimmte Sprache konkret vorzuschreiben, sondern statt dessen den Gebrauch einer für den Verbraucher bzw. Verwender „klaren und verständlichen“ Sprache. Als Beispiel diene Art. 4 Abs. 2 der Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG, der bestimmt, daß die Informationen nach Absatz 1 der Vorschrift unter anderem „klar und verständlich erteilt werden“ müssen. In der englischen Textfassung dieser Richtlinie lautet die Vorschrift: „The information shall be provided in a clear and comprehensible manner“; der französische Text lautet: „Les informations doivent être fournies de manière claire et compréhensible“. Die Klauselrichtlinie 93/13/EWG149 verlangt in Art. 4 Abs. 2 und 5 Abs. 1, daß Klauseln (in der Terminologie des deutschen Rechts: Allgemeine Geschäftsbedingungen) stets „klar und verständlich abgefaßt“ sein müssen. Die englische Textfassung der Richtlinie verlangt insoweit die Verwendung einer „plain intelligible language“, die französische, daß die Klauseln „rédigées de façon claire et compréhensible“ sind.

nissen eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels darstellen, wenn aus anderen Mitgliedstaaten stammende Erzeugnisse mit anderen Etiketten versehen werden müssen, wodurch zusätzliche Aufmachungskosten entstehen. In Ermangelung einer vollständigen Harmonisierung dieser Anforderungen könnten die Mitgliedstaaten jedoch einzelstaatliche Maßnahmen erlassen, die die Abfassung dieser Angaben in der Sprache des Gebietes, in dem die Erzeugnisse verkauft werden, oder in einer anderen, für die Verbraucher dieses Gebietes leicht verständlichen Sprache vorschreiben. Diese einzelstaatlichen Maßnahmen müssen unterschiedslos für alle nationalen und eingeführten Erzeugnisse gelten und im Hinblick auf das von ihnen verfolgte Ziel des Verbraucherschutzes verhältnismäßig sein. Ferner müssen sie sich namentlich auf die Angaben beschränken, die der Mitgliedstaat zwingend vorschreibt und bei denen andere Mittel als ihre Übersetzung keine angemessene Information der Verbraucher gewährleisten können. 148 EuGH, Urt. v. 3. 6. 1999 – Rs. C-33/97, Slg. 1999, I-3175, Tz. 33 ff. = EuZW 1999, 464 – Colim NV/Bigg’s Continent Noord NV. 149 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. 4. 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr. L 95, S. 29 ff.

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Fraglich ist, wie dieses gemeinschaftsrechtliche Klarheits- und Verständlichkeitsgebot zu verstehen ist. Im Gemeinschaftsrecht werden die Begriffe „Klarheit“ und „Verständlichkeit“ nirgends definiert. Ihre – zwingend gemeinschaftsrechtsautonome, also nicht dem nationalen Recht folgende – Interpretation bereitet deshalb einige Schwierigkeiten. Ausgehend von der unbestrittenen Erkenntnis, daß der Verbraucher im Absatzgebiet eines Erzeugnisses die dort verbreitete Sprache typischerweise am besten beherrscht,150 könnte man versucht sein, als eine für den Verbraucher „klare und verständliche Sprache“ allein die gängige(n) Verkehrssprache(n) im Heimatstaat des Verbrauchers anzusehen, zumal der EuGH in der Rs. Colim festgestellt hatte, daß die „Informationen, die die Wirtschaftsteilnehmer dem Käufer, vor allem dem Endverbraucher, geben müssen (. . .) ohne praktischen Nutzen sind, wenn sie nicht in einer

150 EuGH, Urt. v. 9. 8. 1994 – Rs. C 51/93, Slg. 1994, I-3879, Tz. 19 – Meyhui NV/Schott Zwiesel Glaswerke AG: „Die Information der Verbraucher des Mitgliedstaats, in dem die Erzeugnisse in den Verkehr gebracht werden, in der Sprache oder den Sprachen dieses Staats ist deshalb ein geeignetes Mittel zum Schutz des Verbrauchers. Dabei ist festzustellen, dass der vom vorlegenden Gericht angesprochene Fall, dass eine andere Sprache für den Käufer leichter verständlich ist, nur ganz selten gegeben ist.“; EuGH, Urt. v. 18. 6. 1991 – Rs. C-369/89, Slg. 1991, I-2971, Tz. 14 – Piageme/Peeters (Piageme I): „Die Sprache des Sprachgebiets erfüllt nämlich das Merkmal ‚leicht verständlich‘ am besten.“ In der Mitteilung der Kommission über die Verwendung der Sprachen beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln (Auslegung der Rechtsvorschriften) im Anschluß an das Urteil „Peeters“, ABl. EG 1993 Nr. C 345, S. 3 (5) heißt es in Ziff. 23, eine dem Käufer leicht verständliche Sprache sei(en) „im allgemeinen die Amtssprache(n) des Landes, in dem der Verkauf erfolgt“. Ausweislich a.a.O., Ziff. 31 schließt es die Kommission allerdings nicht aus, daß in einer Fremdsprache verfaßte Angaben leicht verständlich sind. Die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament betreffend den Sprachengebrauch für die Information in der Gemeinschaft, KOM(93) 456 endg., S. 12 Ziff. 28 stellt klar, daß man sich seinerzeit bei der Frage der sprachlichen Anforderungen in allen Mitgliedstaaten einig war, nämlich daß die Information dem Verbraucher in seiner Sprache übermittelt werden sollte, da er diese am besten verstehe. Wie sich aus a.a.O., S. 10, Ziff. 21 der Mitteilung ergibt, war seinerzeit mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten der Ansicht, daß eine Information des Verbrauchers in seiner eigenen Sprache notwendig sei. Die Praxis der Wirtschaftsakteure bestätige diese Lösung. Vgl. weiter Europäisches Parlament, Entschließung zu der Mitteilung der Kommission über die Verwendung der Sprachen beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln v. 22. 4. 1994, ABl. EG Nr. C, 128, S. 469 (370), lit. H: „(. . .) in der Erwägung, daß der Durchschnittsverbraucher lediglich die eigene Landessprache ausreichend beherrscht; daß die obligatorische Verwendung der Amtssprache für den jeweiligen Markt die beste Garantie bietet, daß die Information möglichst viele Verbraucher erreicht“ sowie a.a.O., lit. Q: „in der Erwägung, daß die Amtssprache(n) für den Markt des betreffenden Mitgliedstaats die beste Garantie dafür bietet/bieten (. . .), daß die Information in dieser/diesen Sprache(n) erfolgt“. Das Europäische Parlament fordert a.a.O., S. 471 bei Ziff. 9 „nachdrücklich, in diesem Zusammenhang von dem Grundsatz auszugehen, daß eine wirkungsvolle Information am besten dadurch garantiert ist, daß der Verbraucher sie in seiner jeweiligen Sprache erhält, und deshalb davon auszugehen, daß es Auftrag des gemeinschaftlichen Gesetzgebers ist, alle Mitgliedstaaten zu verpfl ichten, die Information mindestens (jedoch nicht ausschließlich) in der/den jeweiligen Amtssprache(n) sicherzustellen“. Aus dem Schrifttum siehe Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 90.

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für ihre Adressaten verständlichen Sprache abgefaßt sind.“151 Dies hätte zur Konsequenz, daß die sprachlichen Vorgaben der Gemeinschaft an die Mitgliedstaaten wesentlich umfassender wären als zunächst angenommen. Man würde auf dem Weg der Interpretation der gemeinschaftsrechtlichen Begriffe „leichte und verständliche Sprache“ letztlich zu abgeleiteten, impliziten Sprachregeln gelangen. Auf dem „Umweg“ der Interpretation des Klarheits- und Verständlichkeitsgebots würden gleichsam die Wirkungen einer allgemeinen Sprachenrichtlinie der EG im Bereich des Geschäftsverkehrs mit Verbrauchern eintreten. Einem solchen Interpretationsansatz sollte man mit Skepsis begegnen.152 Gegen ihn spricht schon, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber selbst von der Erkenntnis ausgeht, daß Sprachvorgaben grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fallen. Die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit bzw. Erforderlichkeit stützen diese zutreffende Ansicht, so daß hier die Kompetenz der Gemeinschaft für den Erlaß einer allgemeinen Sprachenrichtlinie im Rechtsverkehr mit dem Verbraucher abzulehnen war.153 Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat deshalb mit Recht konkrete Sprachenvorgaben auf diejenigen Bereiche beschränkt, in denen erhebliche Gefahren für besonders wichtige Rechtsgüter festgestellt oder vermutet werden durften, so daß ihm eine „Höchstharmonisierung“ durch gemeinschaftsrechtliche Sprachregeln erforderlich erscheinen durfte. Es wäre deshalb im Ergebnis verfehlt, wenn man – ausgehend von einem regelmäßig zu bejahenden Verständnis der Heimatsprache des Verbrauchers – die Wendung „für den Verbraucher klaren und verständlichen Sprache“ mit einem zwingenden Gebrauch dieser Sprache gleichsetzen würde. b) Exkurs: Die etymologische Untersuchung der Begriffe „Klarheit“ und „Verständlichkeit“ Die Ablehnung einer Synonymität im vorgenannten Sinn ermöglicht freilich noch keine positive Aussage über den Sinngehalt der Begriffe „Klarheit“ und „Verständlichkeit“ einer zu gebrauchenden Sprache. In Ermangelung entsprechender Hinweise in den Richtlinien und den Vorschlägen hierzu soll deshalb im Wege eines Exkurses versucht werden, aus einer etymologischen Untersuchung dieser Begriffe einige Anhaltspunkte für ein „natürliches Sprachverständnis“ und zugleich für eine mögliche gemeinschaftsrechtsautonome Wortlautinterpretation zu erhalten.

151 EuGH, Urt. v. 3. 6. 1999 – Rs. C-33/97, Slg. 1999, I-3175 – Colim NV/Bigg’s Continent Noord NV. 152 Mit Recht ablehnend Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 284 f. 153 Vgl. oben A. I. 2. b und c.

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aa) Klar, Klarheit Das Adjektiv „klar“ (mittelhochdeutsch „klar“, „clar“) ist – über das französische „clair“ und das mittelniederländische „claer“ – 154 dem lateinischen Wort clarus entlehnt und bedeutete zunächst soviel wie „glänzend“, „hell“. 155 Das Substantiv Klarheit ist auf das lateinische claritas zurückzuführen.156 Im modernen deutschen Sprachgebrauch stellt „klar“ einen Gegensatz zu „trüb“ dar. Ein klarer Tag ist ein solcher ohne Dünste, Wolken und Nebel157, also ein solcher mit klarer Aussicht.158 „Klar“ bedeutet in der deutschen Sprache demgemäß soviel wie „rein, durchscheinend, durchsichtig“.159 Eine weitere Bedeutung des Wortes ist „sinnlich deutlich“, d. h. bezogen auf das Gesicht und das Gehör.160 In einem auf den Bereich des Beobachtens und Erkennens, des Denkens und geistigen Erfassens übertragenen Sinn bedeutet „klar“ soviel wie „offenbar, tatsächlich, unzweifelhaft, unzweideutig, bestimmt, zuverlässig, sicher“.161 Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm führt dazu aus: „das geistig klare ist gedacht entweder als ein gegenstand der vor unserem geistigen ‚auge‘ in hellem licht steht, klar in seinen umrissen, seiner form (. . .) oder gleichsam durchsichtig (. . .) für das geistige auge (vgl. einsehen, durchschauen), klar in seinem inneren, seinem zusammenhang in sich (gegensatz verworren u. ä.).“ Weiter heißt es ebenda: „ebenso heiszt klar die thätigkeit des geistes (. . .) wie uns ein ding, eine wahrheit klar ist, so werden sie klar erfaszt, klar erkannt, verstanden, begriffen, kommen uns klar zum bewusztsein oder zu klarem bewusztsein oder wir kommen zu klarem verständnis“.162 In Adelungs älterem Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart wird „klar“ in seiner übertragenen Bedeutung wie folgt erklärt: „Figürlich, dem Inhalte nach von aller Dunkelheit befreyet, verständlich, begreiflich, keinen Zweifeln unterworfen.“163 Der Begriff „klar“ wird bisweilen mit anderen Wörtern verbunden, um ihm größeren Nachdruck zu verleihen, so auch gerade in der Wendung „klar und 154

Kluge, Etymologisches Wörterbuch, Eintrag „klar“. Vgl. die Begriffserklärungen in Grimms Deutschen Wörterbuch (Quelle: CD-ROM) und in Kluge, Etymologisches Wörterbuch, Eintrag „klar“. 156 Grimms Deutsches Wörterbuch, Eintrag „Klarheit“. 157 Grimms Deutsches Wörterbuch, Eintrag „klar“. 158 Grimms Deutsches Wörterbuch, Eintrag „Klarheit“. 159 Grimms Deutsches Wörterbuch, Eintrag „klar“; Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Zweyter Theil, Eintrag „Die Klarheit“. 160 Grimms Deutsches Wörterbuch, Eintrag „klar“; Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Zweyter Theil, Eintrag „klar, klärer, klärste“. 161 Grimms Deutsches Wörterbuch, Eintrag „klar“. 162 Grimms Deutsches Wörterbuch, Eintrag „klar“. 163 Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Zweyter Theil, Eintrag „klar, klärer, klärste“. Vgl. auch a.a.O. den Eintrag „Die Klarheit“: „Wie auch figürlich, die Eigenschaft einer Sache, da sie bestimmt, deutlich, und keinen Zweifeln unterworfen ist.“. 155

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deutlich“.164 Ein logischer Unterschied wird zwischen diesen beiden Begriffen heute – anders als noch bei Lessing – nicht mehr gemacht.165 Aus etymologischer Sicht ist das deutsche Adjektiv „klar“ mit dem französischen „clair“ und dem englischen „clear“ gleichbedeutend; 166 sie alle gehen auf das lateinische clarus zurück.167 Daraus folgt, daß bei der autonomen Auslegung dieses Begriffes in den EG-Richtlinien in bezug auf die Wortlautauslegung dasselbe „natürliche Begriffsverständnis“ zugrunde gelegt werden darf, sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sich im Lauf der Zeit Bedeutungsverschiebungen in den anderen Mitgliedstaaten ergeben haben. Zu ergänzen ist die Bedeutung des Adjektivs „plain“, das in der Klauselrichtlinie 93/13/EWG statt des Wortes „clear“ Verwendung findet und das seine Wurzeln im Altfranzösischen „plain“ sowie im lateinischen planus hat. In seiner Bedeutung als „evident“ ist es seit circa 1300, in den Bedeutungen „simple, sincere, ordinary“ seit circa 1374 im englischen Sprachraum bezeugt.168 Es kann daher statt mit „klar“ – im Sinne von eindeutig, evident, unzweifelhaft – ohne weiteres auch mit „einfach“ oder „gewöhnlich“ übersetzt werden. bb) Verständlich, Verständlichkeit Das Adjektiv „verständlich“ geht nicht etwa auf das Substantiv Verstand zurück, sondern auf das althochdeutsche „farstantan“.169 Das Altfranzösische kannte für „verstehen“170 das Wort „forstan“, das Altenglische den Begriff

164 Grimms Deutsches Wörterbuch, Eintrag „klar“; Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Zweyter Theil, Eintrag „klar, klärer, klärste“: „Besonders in Gesellschaft der Wörter deutlich, offenbar u.s.f. Das ist klar und deutlich. Deutliche, klare Worte. Ich habe es mir klar und deutlich ausbedungen.“ 165 Vgl. auch dazu Grimms Deutsches Wörterbuch, Eintrag „klar“. 166 Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Zweyter Theil, Eintrag „klar, klärer, klärste“; Ebenso neuniederländisch „klaar“, neuschwedisch „klar“, neunorwegisch „klar“. 167 Für das englische „clear“ siehe Online Etymology Dictionary, Eintrag „clear“. 168 Online Etymology Dictionary, www. etymonline.com, Eintrag „plain (adj.)“. 169 Grimms Deutsches Wörterbuch, Eintrag „verständlich“; Kluge, Etymologisches Wörterbuch, Eintrag „verstehen“. 170 Zu dessen Bedeutung sagt Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Vierter Theil, Eintrag „verstehen“: „(1) Eigentlich. Man versteht jemanden. Man verstehet eine Rede, ein Wort, ein Zeichen, wenn man eben den Gedanken damit verknüpft, welcher der Urheber der Rede oder des Zeichens damit verbindet. (. . .) (2) Figürlich. (. . .) b. Sehr häufig ist das Activum verstehen, klare, und im engsten und wissenschaftlichen Verstande, deutliche Begriffe von etwas haben.“ – Eine prägnante moderne Beschreibung dessen, was „Verstehen“ aus der Sicht der philologischen Hermeneutik bedeutet, hat Schlaffer in seinem Buch „Die kurze Geschichte der deutschen Literatur“ aus dem Jahr 2002 gegeben (S. 90): „Verstehen ist Deuten des Ausdrucks aus den Bedingungen seiner Herkunft. Verstehen geht hinter den Wortlaut zurück, um ihn als Ausdruck von etwas zu fassen, das im Wortlaut nur mittelbar anwesend ist.“

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„forstandan“.171 „Verständlich“ ist in seiner Bedeutung an „verstehen“172 angelehnt: „was verstanden werden kann“.173 Neben dem sinnlichen Erfassen von Worten und Lauten meint es vor allem das geistige Erfassen des Sinnes.174 „Verständlich“ wird auch adverbial gebraucht; es ist entweder selbst Adverb oder wird mit einem den Grad der Verständlichkeit bestimmenden Adverb verwendet, so auch in der der Wendung „leicht verständliche Sprache“. Als Kompositum „(all)gemein verständlich“ bedeutete es ursprünglich „auch den Gemeinen verständlich“.175 Das Substantiv „Verständlichkeit“ bedeutet nach Adelung „die Eigenschaft, da ein Ding, besonders ein Wort oder Rede, verständlich ist, klare und deutliche Begriffe gewähret“.176 Angesichts der gemeinsamen Ursprünge der Begriffe „verständlich“ und „Verständlichkeit“ in der deutschen, der französischen und der englischen Sprache177 und der offenbar parallelen Bedeutungsentwicklung in der Folgezeit liegt die Annahme eines gemeinschaftsweit einheitlichen „natürlichen Begriffsverständnisses“ nahe. Es geht dabei (neben der akustischen Wahrnehmung) vor allem um das geistige Erfassen des Sinns einer Rede oder eines Textes. Eine ältere Definition der Begriffe „Klarheit“ und „Verständlichkeit“, die wegen ihrer Prägnanz besondere Beachtung verdient, findet sich schließlich in Gottfried August Bürgers Lehrbuch des Deutschen Styles: 178 „Die Ausdrücke klar, deutlich, verständlich sind Nahmen ein und derselben Eigenschaft. Der Unterschied besteht nur darin, daß klar ein mehr figürlicher, deutlich und 171

Kluge, Etymologisches Wörterbuch, Eintrag „verstehen“. Die Ausgangsbedeutung des Worts „verstehen“ (althochdeutsch „farstan, farstantan“, mittelhochdeutsch „verstan, versten“) ist offenbar „davor stehen“, vgl. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Vierter Theil, Eintrag „verstehen“ und Kluge, Etymologisches Wörterbuch, Eintrag „verstehen“. Nach Kluge, a.a.O. kommen die Bedeutungen „vor einem Objekt stehen“ (und es damit besser wahrnehmen) oder „vor Gericht, vor etwas oder jemandem stehen“, „eine Sache vertreten“ und damit „sie verstehen“ in Frage. Das Substantiv „Verstand“ gehört bereits einer weiterentwickelten Bedeutung zu. 173 Grimms Deutsches Wörterbuch, Eintrag „verständlich“; Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Zweyter Theil, Eintrag „verständlich“: „was leicht verstanden werden kann, was einen klaren und deutlichen Begriff gewähret“. 174 Grimms Deutsches Wörterbuch, Eintrag „verständlich“. 175 Grimms Deutsches Wörterbuch, Eintrag „verständlich“. 176 Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Vierter Theil, Eintrag „Die Verständlichkeit“. 177 Der englische Ausdruck „intelligible“ geht auf das lateinische Wort intelligibilis zurück und bedeutet „able to understand“ (also fähig sein zu verstehen). In der Bedeutung „capable of being understood“ ist es seit 1601 in England bezeugt. Das Wort „comprehend“ hat seine Wurzeln im lateinischen Ausdruck comprehendere. Es bedeutet „to grasp with the mind“ (also geistig erfassen) und ist im Englischen seit 1340 bezeugt. Zu beiden synonymen Ausdrücken siehe das Online Etymology Dictionary, www.etymonline.com, Einträge „intelligible“ und „comprehend“. 178 Berlin 1826, S. 132 (Hrsg. K. v. Reinhard), zitiert nach Herberger, Unverständlichkeit des Rechts, in: Recht und Sprache, Beiträge zu einer bürgerfreundlichen Justiz, 1983, S. 19 (37). 172

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verständlich aber mehr eigentliche Ausdrücke sind. Klarheit des Vortrags ist also diejenige Eigenschaft, nach welcher der ganze Gedanke des Redenden oder Schreibenden rein und unverfälscht durch den Sprachausdruck hindurch leuchtet. Die Rede ist alsdann einem klaren und durchsichtigen Strome gleich, durch welchen man jeden Gegenstand bis auf den tieffsten Grund und Boden hinab rein und unverfälscht erkennet. Klar heißt dasjenige, was vielen Lichtstrahlen den Durchgang gestattet, und also sehr durchsichtig ist. (. . .) Deutlich heißt, was leicht verstanden werden kann. Beide Nahmen sind also fast gleichbedeutend. Eine deutliche oder verständliche Rede ist also diejenige, deren Sinn sich ohne Mühe entdecken läßt, deren Sinn ein Mensch mit seinem Verstande nicht verfehlen kann.“

Wenn G. A. Bürger die Ausdrücke „klar“, „deutlich“ und „verständlich“ als Namen ein und derselben Eigenschaft bezeichnet, so deckt sich diese Ansicht mit den Ausführungen in Grimms Deutschen Wörterbuch, wonach die Verbindung dieser Begriffe in Wendungen wie „klar und deutlich“ oder „klar und verständlich“ den Zweck haben, der Bedeutung der Begriffe größeren Nachdruck zu verleihen. Ausgehend von einer etymologischen Betrachtung mit dem Ziel, den natürlichen Wortsinn der genannten Begriffe zu ermitteln, kann somit festgehalten werden, daß der Versuch, eine trennscharfe Abgrenzung zwischen den Worten „klar“ und „verständlich“ vorzunehmen, kein sinnvolles Unterfangen wäre. Beiden Worten ist die figurative Bedeutung eigen, daß es zunächst einmal um die richtige, unmißverständliche Sinnerfassung einer Rede oder eines Textes geht. Soweit sich in englischsprachigen Texten statt des Ausdrucks „clear language“ die Wendung „plain language“ findet, ist neben der Bedeutung „eindeutig, unzweifelhaft, evident“ die Verwendung einer einfachen, gewöhnlichen Sprache – d. h. der Alltagssprache – gemeint. Da die Verwendung einer einfachen Sprache dem juristischen Laien zugleich die Sinnerfassung erleichtert, ist damit kein grundsätzlicher Bedeutungsunterschied verbunden, sondern allenfalls eine Akzentverschiebung. Historisch betrachtet finden sich für ein Verfahren der Gesetzgebung, das dem verminderten Begriffsverständnis des Laien Rechnung trägt, durchaus Beispiele.179 So hat die Kaiserin Maria Theresia in Ungarn einen buta ember eingeführt, d. h. einen „dummen Mann“, der nur Grundschulbildung besaß, und dem jeder Ministerialerlaß und jede Gesetzesvorlage im Entwurf vorgelesen werden mußte. Schon Seneca hatte gefordert, die Gesetze kurz zu fassen, damit sie auch von Unerfahrenen verstanden werden, und Montesquieu empfahl dem Gesetzgeber diesbezüglich modération.180 Unter den zeitgenössischen Autoren hat Peter Noll die Forderung nach einer zweckgerechten und sachadäquaten Gesetzessprache aufgestellt, die sich im Interesse der Allgemeinverständ179 Vgl. Ulpian, Digesten, 2.13.5 (über die Bekanntgabe der Klage). Danach wird denjenigen, die wegen ihrer rusticitas, d. h. ihrer ländlichen Einfachheit, die erforderliche Bekanntgabe der Klage versäumt haben, Hilfe gewährt werden. 180 De l’Esprit des Lois, 29. Buch, 1. Kapitel.

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lichkeit der Umgangssprache der Gebildeten orientieren sollte181.182 Paul Kirchhof meint dazu, die Sprache des Rechtslebens sei nicht eine Fachsprache, sondern ein fachlich geprägter Teil einer an die Allgemeinheit gewendeten oder in ihren Inhalten zumindest der Allgemeinheit vermittelbaren Sprache. Recht sei ein Gut für jedermann, es müsse deshalb für jeden verstehbar oder zugänglich bleiben.183 Im Schrifttum zu dem geltenden, gemeinschaftsrechtlich determinierten Verbraucherschutzrecht wird das Transparenzgebot dahin verstanden, daß die Informationen so gefaßt werden müssen, daß der rechtsunkundige Durchschnittsverbraucher zu deren Verständnis in der Lage ist, was die Verwendung etwa von juristischen Fachbegriffen ausschließt.184 Zu achten sei „auf eine laienhafte Sprache und eine Beschränkung auf das Wesentliche“.185 c) „Klarheit“ und „Verständlichkeit“ als Rechtsbegriffe des Gemeinschaftsrechts aa) Der EuGH legt die Begriffe des Gemeinschaftsrechts „autonom“, d. h. ohne einen direkten Rückgriff auf ein bestimmtes Begriffsverständnis in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, aus.186 Bei der grammatikalischen Auslegung kommt es demnach nicht auf das mitgliedstaatliche Wortverständnis an, sondern auf den gemeinschaftsrechtlichen Wortsinn. Soweit sich noch kein spezieller gemeinschaftsrechtlicher Wortsinn herausgebildet hat, erfolgt ein Rückgriff auf den gemeinschaftsweiten Wortsinn. bb) Es wurde bereits festgestellt, daß sich aus dem geltenden Gemeinschaftsrecht selbst keine Hinweise darauf ergeben, welches Verständnis den Begriffen „Klarheit“ und „Verständlichkeit“ zukommt. Weiter sind keine Definitionen aus den nationalen Rechtsordnungen ersichtlich, aus denen im Wege einer differentialdiagnostischen Zusammenschau die autonomen Begriffe des Gemeinschaftsrechts gebildet werden könnten. Insofern ist der „natürliche Wortsinn“, der sprachliche Gebrauch in den Mitgliedstaaten selbst, für die Interpretation von besonderer Bedeutung. Die etymologische Betrachtungsweise hat aufgezeigt, daß die Begriffe „Klarheit und Verständlichkeit“ in Europa gemeinsame Wurzeln haben. Die Entwicklung des Begriffsverständnisses von seinen Ursprüngen bis heute ist in Deutschland, Frankreich und England offenbar parallel verlaufen. Daher kann im Gemeinschaftsrecht grundsätzlich von einem natürli181

Gesetzgebungslehre, 1973, S. 244 ff. Zum gesamten Absatz siehe Schönherr, Gedanken zur Gesetzessprache, in: Öhlinger (Hrsg.) Methodik der Gesetzgebung, 1982, S. 184 (186, 193). 183 In: Isensee/Kirchhof, Hdb. StaatsR, § 18 (Deutsche Sprache), Rn. 24. 184 MüKo BGB/Wendehorst, § 312c Rn. 85. 185 MüKo BGB/Wendehorst, § 312e Rn. 79. 186 EuGH, Urt. v. 14. 1. 1982 – Rs. 64/81, Slg. 1982, 13, 24 = RIW 1982, 458 – Corman: Der Sinn und die Tragweite der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen sei nicht unter Rückgriff auf die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu bestimmen, es sei denn, die Richtlinie sehe dies ausdrücklich vor; siehe auch Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 164. 182

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chen Wortverständnis der Begriffe „Klarheit“ und „Verständlichkeit“ in ihrer figurativen Bedeutung ausgegangen werden, das sich auf die Art des Ausdrucks einer Rede bzw. eines Textes als Voraussetzung für die Ermöglichung ihres geistigen Erfassens bezieht, sowie auf eine alltagssprachliche Ausdrucksweise, die dem Laien verständlich ist – mithin die Sprachebene, englisch register, betrifft. cc) Im Schrifttum zur Klauselrichtlinie 93/13/EWG hat man aus dem Klarheitsgebot die Pflicht zur Bestimmtheit, Durchschaubarkeit, Konkretisierung und Folgenangabe des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher abgeleitet.187 Der Begriff der Verständlichkeit habe demgegenüber bei unbefangener Auslegung etwas mit sprachlicher Verstehensmöglichkeit zu tun. Er verweise auf die Art und Weise der Formulierung, der Anordnung, der Schriftgröße, aber naturgemäß auch der verwendeten Sprache einer Klausel.188 dd) Diese Ausführungen weisen einige Übereinstimmungen mit den Ergebnissen der obigen etymologischen Untersuchung der Begriffe auf, was sich zeigt, wenn man beispielsweise die Begriffserläuterungen G. A. Bürgers mit den soeben wiedergegebenen Bemerkungen aus dem Schrifttum vergleicht. Das Klarheitsgebot hat tatsächlich etwas mit der Durchschaubarkeit – nämlich des Inhalts und Sinns einer rechtlichen Regelung – zu tun. Im Schrifttum zur Klauselrichtlinie hat man dazu herausgearbeitet, daß das Klarheitskriterium „nur Ausdruck der in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ohnehin geltenden Deutlichkeitsobliegenheiten“ sei.189 Negativ bedeutet dies, daß der Begriff der Klarheit sich nicht auf die Form der Übermittlung, etwa die Lesbarkeit, bezieht.190 Positiv läßt sich ihm das Gebot der Bestimmtheit entnehmen, denn das Klarheitsgebot zielt gerade auf die Vermeidung von Zweideutigkeiten und Auslegungszweifeln.191 ee) Die Bedeutung des Verständlichkeitsgebots ist sehr ähnlich, aber nicht völlig deckungsgleich damit. Es geht dabei um die Ermöglichung der intellektuellen Erfaßbarkeit des Sinns der gegebenen Informationen aus der Perspektive des Adressaten, im Fall der Klauselrichtlinie also der angesprochenen Verbraucherkreise. AGB in Verbraucherverträgen müssen stets verständlich abgefasst sein.192 Es kommt auf die Verständlichkeit der „Sprache“ an.193 Damit ist die Verständlichkeit der Formulierung, nicht die Sprachkenntnis des Adressaten, 187 Reich, NJW 1995, 1857 (1859). Die Ausführungen sind allerdings etwas ungenau, da im entscheidenden Absatz sowohl vom Klarheitsgebot als auch von Gebot der Klarheit und Verständlichkeit gesprochen wird. 188 Reich, NJW 1995, 1857 (1860). 189 Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. 5 EGV Rn. 8 m. w. N. 190 Zutreffend Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. 5 EGV Rn. 8 unter Ablehnung einer im italienischen Schrifttum geäußerten Auffassung. 191 Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. 5 EGV Rn. 8. 192 Siehe den 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13/EWG: „Die Verträge müssen in klarer und verständlicher Sprache abgefasst sein.“ 193 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 29.

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angesprochen.194 Die Forderung nach der Verwendung einer „plain and intelligible language“ in dem englischen Text der Klauselrichtlinie bezieht sich auf die Sprachebene und ist im Sinne eines „bürgernahen“ Gebrauchs der Alltagssprache – im Gegensatz zu einer juristischen Fachsprache mit hohem Abstraktionsgrad – zu verstehen.195 Im deutschen Schrifttum zum Verbraucherschutzrecht wird dies insbesondere bezüglich der Pflicht des Unternehmers zur klaren und verständlichen Informationserteilung196 gemäß § 312e Abs. 1 Nr. 2 BGB vertreten.197 Der BGH hat zum AGB-Recht ebenso entschieden.198 Für ein solches Verständnis spricht insbesondere, daß der Begünstigte des Transparenzgebots ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher des jeweiligen Vertragstyps199 ist, also ein juristischer Laie ohne entsprechende Fachsprachenkenntnisse. 200 d) Folgerungen Für die Frage nach der Begründbarkeit abgeleiteter Sprachregeln aus dem Transparenzgebot des Art. 5 Satz 1 der Richtlinie 93/13/EWG201 ergeben sich aus den vorstehenden Erwägungen folgende weitere Überlegungen: aa) Die Möglichkeiten der Sinnerfassung jenseits der Muttersprache des Adressaten Unter dem Blickwinkel der grammatischen Auslegung ließe sich die Festlegung einer konkreten Sprache durch Normierung einer Pflicht zur klaren und verständlichen Informationserteilung und damit zugleich eine abgeleitete Sprachregel nur begründen, wenn zugleich feststünde, daß nur diese eine Sprache die Sinnerfassung durch den Adressaten (d. h. den Käufer, Verwender oder Verbraucher eines Produkts) sicherzustellen vermag. Das wäre jedoch aus zweierlei Gründen zweifelhaft: 194

Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. 5 EGV Rn. 8 unter Hinweis auf die französische („redigée“) und die englische Sprachfassung („plain and intelligible language“). 195 Wolf/Horn/Lindacher, Art 5 RiLi Rn. 4; Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. EGV 5 Rn. 11; Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 238. 196 Zum Verständlichkeitsgebot als Informationsgebot und Verbot der Irreführung siehe insbesondere auch Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. 5 EGV Rn. 9. 197 MüKo BGB/Wendehorst, § 312e Rn. 72, 79. Vgl. dann auch – am Beispiel der Garantieerklärung gem. § 477 Abs. 1 BGB – MüKo BGB/Lorenz, § 477 Rn. 5 sowie Soergel/Wertenbruch, § 477 Rn. 27. 198 BGHZ 70, 304 (309 f.): „Allgemeine Geschäftsbedingungen, die Massengeschäften des täglichen Lebens zugrunde gelegt werden, müssen in einfacher Sprache und leicht verständlichen Formulierungen abgefaßt sein.“ 199 Wolf/Horn/Lindacher, Art 5 RiLi Rn. 4. 200 Zur Frage nach den Folgerungen aus dem europäischen Verbrauchermodell für die Transparenzanforderungen nach Art. 5 der Richtlinie 93/13/EWG siehe insbesondere Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Art. EGV 5 Rn. 19. 201 Betreffend die Inhaltskontrolle siehe auch Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie.

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(1) Zum einen ist aufgrund der sehr weitgehenden Verbreitung namentlich der englischen Sprache als Zweitsprache unter den Unionsbürgern zumindest bei versierteren Kundenkreisen eine Informationserteilung gegenüber dem Verbraucher in dieser Fremdsprache möglich. Das hat der historische Gesetzgeber des deutschen Fernabsatzgesetzes im Grundsatz ebenso gesehen, ohne dabei auf die notwendige Differenzierungen bei der Beschreibung des Verständnishorizonts zu verzichten: 202 „Wie in Artikel 4 Abs. 2 FARL203 vorgesehen, soll sich die Klarheit und Verständlichkeit nach den Möglichkeiten der verwendeten Fernkommunikationsmittel richten. Dies bedeutet beispielsweise, dass die Informationen nicht in jedem Fall in deutscher Sprache vorhanden sein müssen, sondern auch in anderen Sprachen erfolgen darf 204 , wenn der Unternehmer davon ausgehen kann, dass die Informationen trotzdem, wie z. B. bei englischen Angeboten im Internet, für den in Frage kommenden Kundenkreis verständlich sind. Der Unternehmer wird aber in diesem Fall sorgsam prüfen müssen, in welchem Umfang er andere Sprachen verwenden kann. Beispielsweise wird er nicht damit rechnen können, dass ein deutscher Durchschnittsverbraucher Geschäftsbedingungen oder umfangreichere Leistungsbeschreibungen ohne weiteres in Englisch oder anderen Sprachen verstehen kann. Es wird sich deshalb meist empfehlen, derartige Texte in deutscher Fassung bereit zu halten.“

Darüber hinaus ist in grenznahen Regionen Deutschlands wie z. B. im Saarland eine fremdsprachliche Kommunikation zwischen Unternehmer und Verbraucher auch in französischer Sprache denkbar, ebenso wie eine Informationserteilung in deutscher Sprache im Elsaß ggf. von den Adressaten verstanden werden kann. (2) Zum anderen ist auch dem Durchschnittsverbraucher zumindest das Verständnis einzelner Begriffe aufgrund gleicher Wortstämme und ganz ähnlicher Schreibweisen – auch in anderen Fremdsprachen als den genannten – möglich. 205 Die Kommission teilt diese Ansicht, wenn sie formuliert, daß es „nicht ausgeschlossen [ist], daß in einer Fremdsprache verfaßte Angaben leicht verständlich sind.“206 202 Entwurf eines Gesetzes über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro v. 14. 1. 2000, Begründung zu § 2 Abs. 2, BR-Drucks. 25/00, S. 102; dem folgend Micklitz, ZEuP 1999, 875 (884); siehe auch MüKo BGB/Wendehorst, § 312c Rn. 87. Vgl. ferner BT-Drucks. 14/6040, S. 246: eine einfach gehaltene Teilgarantie in englischer Sprache für PC sei möglich; dies im Hinblick auf die (noch) unzureichenden Verständnismöglichkeiten des Durchschnittsverbrauchers ablehnend Soergel/Wertenbruch, § 477 Rn. 29. 203 Fernabsatzrichtlinie. 204 Richtig: dürfen. 205 So auch GA Cosmas in seinen Schlußanträgen in der Rs. Piageme, Slg. 1995, I-2955 (2957, 2966 Tz. 29); siehe dazu die Beispiele aus der Rechtsprechung bei Burmeister/Miersch, EuZW 1995, 273 (274, 276). Natürlich gibt es auch Ausnahmen: Man denke nur an den niederländischen Ausdruck „halve haan“, der eben nicht ein „halbes Hähnchen“ meint, sondern ein Käsebrötchen. 206 Mitteilung der Kommission über die Verwendung der Sprachen beim Inverkehrbrin-

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Beispiel: 207 Die deutsche Bezeichnung „1 Liter deutsche Limonade“ lautet in flämischer Übersetzung „1 liter kaffeinhaltige limonade“; der deutsche Aufdruck „Apfelmus“ auf einem Etikett lautet in Niederländisch „appelmoes“. In beiden Fällen haben die zur Entscheidung aufgerufenen Gerichte keine Zweifel an der Verständlichkeit der Etikettierungen für den nicht die Sprache der Bezeichnung beherrschenden Verbraucher gehegt. Gleiches muß gelten, wenn dem deutschen Verbraucher „Pralinés“ statt „Pralinen“ oder „chocolat“ statt „Schokolade“ offeriert werden. Der Fall, daß „caffè“ statt „Kaffee“ angeboten wird, ist aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers zugegebenermaßen etwas mißverständlich, weil es sich bei ersterem ja nicht um schwarzen Bohnenkaffee handelt; von einem aufgeklärten Durchschnittsverbraucher kann man aber vielleicht schon erwarten, daß er weiß, daß der italienische „caffè“ das Produkt meint, das er unter dem heimischen Namen „Espresso“ kennt. Doch kann die Entscheidung dieser Frage hier auf sich beruhen.

Aus der Rechtsprechung des EuGH kann für die These von der Verständlichkeit von Begriffen aus von dem Verbraucher nicht gesprochenen Sprachen die Rechtssache Meyhui zur Kristallglasrichtlinie 69/493/EWG angeführt werden. Der Gerichtshof hat bezüglich der beiden in der Richtlinie verwendeten Bezeichnungen „Hochbleikristall“208 und „Bleikristall“209 entschieden, daß der Verbraucher hinreichend dadurch geschützt sei, daß bei allen in der Richtlinie gewählten Bezeichnungen das Wort „Kristall“ leicht zu erkennen sei und außerdem der jeweilige Bleigehalt (in Prozent) stets angegeben werde. 210 Das galt seiner Ansicht nach allerdings nicht für die Bezeichnung „Kristallglas“211 ; insoweit ging der Gerichtshof von der Möglichkeit einer Verwechslung mit den genannten höherwertigen Bleikristallarten aus. 212 Die erforderliche Unterrichtung des Verbrauchers durch die Verwendung fremdsprachiger Begriffe mit verständlichem Begriffskern ist daher weder generell ausgeschlossen noch generell gewährleistet. Die vom EuGH in der Rechtssache Goerres213 vertretene gen von Lebensmitteln (Auslegung der Rechtsvorschriften) im Anschluß an das Urteil „Peeters“, ABl. EG Nr. C 345 v. 31. 12. 1993, S. 3, Ziff. 31. 207 Beispiele aus der Rechtsprechung, zusammengestellt von Burmeister/Miersch, EuZW 1995, 273 (274, 276); vgl. dazu auch Herrmann/Kraus, ZLR 2001, 679 (688 mit Fn. 62). 208 Die deutsche Bezeichnung „Hochbleikristall 30%“ lautet in den anderen Sprachfassungen der Richtlinie: „cristal supérieur 30%“, „cristallo superiore 30%“, „volloodkristal 30%“, „cristal superior 30%“, „cristal de chumbo superior 30%“. 209 Die deutsche Bezeichnung „Bleikristall 24%“ lautet in den anderen Sprachfassungen der Richtlinie: „cristal au plomb 24%“, „cristallo al piombo 24%“, „loodkristal 24%“, „lead crystal 24%“, „krystal 24%“, „cristal al plomo 24%“, „cristal de chumbo 24%“. 210 EuGH, Urt. v. 9. 8. 1994 – Rs. C- 51/93, Slg. 1994, I-3879, Tz. 17 = EuZW 1994, 662 – Meyhui/Schott Zwiesel Glaswerke AG. 211 Die Bezeichnung, die zwei geringerwertige Arten abdeckt, lautet in den anderen Sprachfassungen der Richtlinie: „cristallin“, „vetro sonoro superiore“, „kristallynglas“, „sonoorglas“, „crystal glaß“, „crystallin“, „krystallin“, „vidrio sonoro superior“, „vidro sonoro superior“, „verre sonore“, „vetro sonoro“, „vidio sonoro, vidro sonoro“. 212 A.a.O. (Fn. 210), Tz. 18. 213 EuGH, Urt. v. 14. 7. 1998 – Rs. C-385/96, Slg. 1998, I-4431 = EuZW 1998, 636 – Strafverfahren gegen Hermann Josef Goerres.

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Auffassung, daß das nationale Gericht die leichte Verständlichkeit der erteilten Informationen im Licht sämtlicher Umstände jedes Einzelfalls beurteilen müsse, ist demnach zutreffend.214 Freilich ist mit dieser Rechtsprechung zugleich ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit verbunden.215 Es mutet zunächst auch etwas befremdlich an, daß der EuGH, der für die autonome Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Begriffe das Auslegungsmonopol besitzt, die Bewertung im Einzelfall weitgehend den nationalen Gerichten überlassen muß. Letztlich geht es dabei aber nicht um die juristische Begriffsinterpretation, sondern um die Beurteilung von Rechtstatsachen in dem jeweiligen Mitgliedstaat oder der jeweiligen Region. Der Gerichtshof ist schlichtweg außerstande, konkrete und für die Mitgliedstaaten verbindliche Aussagen über die Verständlichkeit bestimmter Angaben in verschiedenen Gebieten der Gemeinschaft zu treffen. bb) Die Frage nach dem „Ermessen“ der Mitgliedstaaten bei Umsetzung des europäischen Transparenzgebots in das nationale Recht Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung über die Verwendung von Sprachen beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln 216 ausgeführt, daß die Festlegung der „leicht verständlichen Sprache“ im „Ermessen“ der Mitgliedstaaten liegen müsse und daß eine Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem der Verkauf erfolgt, „sicher grundsätzlich eine leichte Verständlichkeit der Etikettierung für den Verbraucher“ gewährleiste. Da die Richtlinien grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung entfalten, sind die Mitgliedstaaten aufgerufen, durch Umsetzung der Richtlinienvorgaben Sprachregeln in ihrem nationalen Recht zu treffen. Sie können grundsätzlich eine oder mehrere Sprachen, in denen die Informationserteilung zu erfolgen hat, konkret bestimmen und haben daher an sich ein diesbezügliches „Ermessen“. Insofern besteht allerdings die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 28 EG. 217 cc) Die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Piageme II Unabhängig von der Prüfung des Art. 28 EG hat der EuGH im Urteil Piageme II entschieden, daß die Verpflichtung zur Verwendung der Sprache des Absatzgebiets unzulässigerweise weiter geht als die Verpflichtung zur Verwendung einer „leicht verständlichen Sprache“ nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 79/112/ EWG. Sofern eine Richtlinienbestimmung keine ausdrückliche Ermächtigung an die Mitgliedstaaten zur Festlegung der Amtssprache bzw. der Sprache des Absatzgebiets – als Regelbeispiel einer „leicht verständlichen Sprache“ – enthält, darf eine entsprechende Voraussetzung im nationalen Recht nach der 214 Ebenso GA Cosmas in seinen Schlußanträgen in der Rs. Piageme, Slg. 1995, I-2955 (2957, 2967 Tz. 33). 215 Das kritisiert Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 95. 216 ABl. EG Nr. C 345 v. 31. 12. 1993, S. 3, Ziff. 30 f. 217 Siehe dazu noch unten C. II.; vgl. auch Palandt/Grüneberg, § 310 Rn. 26 a. E.

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Rechtsprechung des EuGH also nicht festgelegt werden. 218 Für diese Auffassung läßt sich unter dem Gesichtspunkt der historischen Auslegung geltend machen, daß der Rat den Vorschlag des Europäischen Parlaments, wonach das Inverkehrbringen von Lebensmitteln verboten werden sollte, wenn die zwingend vorgeschriebenen Angaben nicht in der oder den Landessprachen abgefaßt sind, 219 nicht in den verbindlichen Richtlinientext übernommen hat. Daraus ergibt sich, daß der historische Gemeinschaftsgesetzgeber bei Schaffung der Richtlinie 79/112/EWG unter einer für den Käufer „leicht verständliche Sprache“ nicht ausschließlich die jeweiligen Landessprache(n) verstanden hat. 220 Die These der Kommission vom Bestehen eines „Ermessens“ der Mitgliedstaaten bei der Festlegung einer „leicht verständlichen Sprache“ erscheint vor diesem Hintergrund in einem zweifelhaften Licht. GA Cosmas hat Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 79/112/EWG mit vollem Recht als eine „sibyllinische Vorschrift“221 charakterisiert. Ausgehend von der Piageme-Rechtsprechung und der dort für richtig erachteten Interpretation der streitgegenständlichen Richtlinienbestimmung empfiehlt es sich für die Mitgliedstaaten schon bei isolierter Betrachtung der EG-sekundärrechtlichen Vorgaben, im Wege der Richtlinienumsetzung lediglich das Klarheits- und Verständlichkeitserfordernis in bezug auf konkrete Angaben zu regeln, ohne zugleich eine Informationserteilung in der jeweiligen 218 A. A. GA Cosmas in seinen Schlußanträgen zur Rs. Goerres, vgl. Slg. 1998, I-4431 Tz. 50 = EuZW 1998, 636). Nach Auffassung des GA Cosmas zum Begriff „leicht verständliche Sprache“ in Art. 14 der Richtlinie 79/112/EWG „muß diese Sprache die National- oder sofern gesetzlich festgelegt, die Amtssprache des Staates sein oder, falls es mehr als eine Amtssprache gibt, zumindest eine von diesen nach Wahl des Betroffenen.“ Ein Staat, der verlange, daß die Angaben auf Lebensmitteln zumindest in seiner Amtssprache erfolgen, verstoße nicht gegen Art. 14 der Richtlinie 79/112/EWG. A.a.O., Tz. 76 stellt der GA klar, daß es seines Erachtens keine Zweifel geben kann, daß der Gebrauch der National- oder Amtssprache das am besten geeignete Mittel für die zutreffende Unterrichtung der Verbraucher ist. Dieses Ergebnis ist bei einer isolierten Betrachtung der Richtlinienbestimmung schlüssig, da die Verwendung der Amtssprache des Mitgliedstaats bzw. der Sprache des Absatzgebiets die Informationserteilung gegenüber dem Verbraucher am ehesten sicherzustellen geeignet ist. Problematisch ist das Ergebnis aber, wenn man den normhierarchisch höherstehenden Art. 28 EG in die rechtliche Begutachtung einbezieht und die genannten Sprachregelungen als Marktzugangshindernisse begreift, die der Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls bedürfen, um gemeinschaftsrechtskonform zu sein. 219 Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, Art. 13 Abs. 2 des vom Europäischen Parlaments geänderten Textes, ABl. EG Nr. C 178, S. 52 (56). Der ursprüngliche Richtlinienvorschlag der Kommission ist publiziert in ABl. EG Nr. C 91, S. 3. 220 Ebenso Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 91. 221 Schlußanträge in der Rs. Goerres, Slg. 1998, I-4431 (4433, 4443 Tz. 31) = EuZW 1998, 636. Ähnlich Theme, Sprache und Gesetzgeber (2002), S. 91: Der Wortlaut der Vorschrift sei im Hinblick auf die Unterrichtung des Käufers durch „andere Maßnahmen“ deutlich, nicht jedoch hinsichtlich der „leicht verständlichen Sprache“.

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Amtssprache des Mitgliedstaats zu verlangen. Dies hat der deutsche Gesetzgeber beispielweise bei der Umsetzung des Art. 13 der Versicherungsvermittlerrichtlinie 2002/92/EG222 getan.223 dd) Die Unterscheidung zwischen einer „leicht verständlichen Sprache“ und „leicht verständlichen Ausdrücken“ durch die Kommission Nach Auffassung der Kommission soll weiter zwischen den Formulierungen „leicht verständliche Sprache“ und „leicht verständliche Ausdrücke“ unterschieden werden. Sie benennt dafür beispielshalber die Sprachregelung in der Richtlinie 79/112/EWG, die verlangte, daß die „Angaben“ der Etikettierung leicht verständlich sind. Es sei nicht ausgeschlossen, daß in einer Fremdsprache verfaßte „Angaben“ für den Adressatenkreis leicht verständlich sind. Der These der Kommission ist zuzustimmen. Wie das oben angeführte Beispiel der Kristallglasrichtlinie belegt, sind Fälle denkbar, in denen zumindest einzelne Worte und Bezeichnungen in einer fremden Sprache für den Verbraucher verständlich sind. Dann aber ist gegen eine fremdsprachige Etikettierung grundsätzlich nichts einzuwenden. Umgekehrt darf natürlich nicht von der Kenntnis einzelner Begriffe einer Fremdsprache auf deren Beherrschung insgesamt geschlossen werden. 224 ee) Verständlichkeit der Angaben versus Verständnis der Sprache Jenseits der Verständlichkeit einzelner sprachlicher Ausdrücke und der Interpretation der Lebensmitteletikettierungsrichtlinie ist aber fraglich, ob eine Richtlinienbestimmung, die festlegt, daß die Mitgliedstaaten die Verbraucherinformation in einer dem Käufer „leicht verständlichen Sprache“ bzw. einer „klaren und verständlichen Sprache“ ermöglichen müssen, überhaupt jemals in dem Sinn verstanden werden kann, daß diejenige Sprache Verwendung finden muß, die im Absatzgebiet des jeweiligen Produkts Landes- bzw. Amtssprache ist. 225 222

ABl. EG Nr. L 9, S. 3. Art. 13 Abs. 1 lit. c der RL 2002/92/EG lautet: „Die den Kunden nach Artikel 12 zustehenden Auskünfte sind folgendermaßen zu erteilen: (. . .) c) in einer Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem die Verpfl ichtung eingegangen wird, oder in jeder anderen von den Parteien vereinbarten Sprache.“ § 62 Abs. 1 VVG setzt diese Vorgaben i. S. eines Klarheits- und Verständlichkeitserfordernisses um: „Dem Versicherungsnehmer sind die Informationen (. . .) vor dem Abschluss des Vertrags klar und verständlich in Textform zu übermitteln.“ Die Bundesregierung führt hat zur Entwurfsfassung (§ 42d Abs. 1 des Gesetzentwurfs der BReg v. 5. 5. 2006, BR-Drucks. 303/06, S. 50) aus: „Die Dokumentation muss ferner klar und verständlich sein. D.h. unter anderem, dass sie in deutscher oder in einer anderen von den Parteien vereinbarten Sprache erfolgen muss. Dies entspricht den Vorgaben von Artikel 13 Abs. 1 Buchst. b) und c) der Richtlinie.“ 224 Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (407). 225 Soweit ersichtlich, geht im Schrifttum niemand soweit, statt der jeweiligen Landessprache die Sprache des individuellen Verbrauchers im jeweiligen Absatzgebiet zu fordern. Eine solche Forderung würde beispielsweise bedeuten, daß die Verbraucherinformation der in 223

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Die These von der Begründbarkeit abgeleiteter Sprachregeln begegnet zunächst insoweit Bedenken, als eine solche Anforderung sich als Handelshemmnis darstellen und deshalb möglicherweise gegen Art. 28 EG verstoßen kann. 226 Generalanwalt Tesauro hat in seinen Schlußanträgen in der Rechtssache Piageme gegen Peeters vom 11. Dezember 1990 die Überlegung angestellt, daß „die Bezugnahme auf die Verständlichkeit der Sprache weniger auf das Verständnis der Sprache als solches abzielt als auf die Möglichkeit, den genauen Inhalt der auf dem Etikett befindlichen Angaben zu ermitteln“. 227 Die These des Generalanwalts bezieht sich zwar konkret nur auf Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 79/112/ EWG. Da Sprachregelungen in EG-Richtlinien, welche die Verwendung einer für den Verbraucher „leicht verständlichen“, „klaren und verständlichen“ Sprache usw. vorschreiben aber typischerweise konkrete, in einzelnen Richtlinienartikeln niedergelegte „Angaben“ (sowie in wenigen Fällen „Verträge“228 ) als Bezugspunkte haben, wäre es letztlich verfehlt, die Aussage des Generalanwalts sachlich allein auf die Richtlinie 79/112/EWG zu beschränken. Die Verwendung einer „leicht verständlichen“, „klaren und verständlichen“ Sprache ohne einen konkreten Bezug zu den Inhalten – nämlich die dem Verbraucher gemäß der einschlägigen Richtlinienvorgaben zu erteilenden Informationen – wird vom Gemeinschaftsgesetzgeber nicht praktiziert und ergäbe auch keinen Sinn. Eine mögliche Unterscheidung hat daher nicht zwischen der Verständlichkeit einzelner „Ausdrücke“ und der Verständlichkeit einer „Sprache“ an sich anzusetzen, sondern bei der Verständlichkeit einzelner „Ausdrücke“ und jener der durch die jeweilige Richtlinie vorgeschriebene „Angaben“. „Angaben“ in diesem Sinne umfassen regelmäßig mehr als nur einen leicht verständlichen fremdsprachigen Ausdruck. Selbst wenn einzelne Worte innerhalb einer „Angabe“ auch für Nicht-Muttersprachler verständlich sein können, kann daraus nicht auf die Verständlichkeit einer fremdsprachigen Wortfolge – der „Angabe“ – insgesamt geschlossen werden. Mit Recht wird im Schrifttum zwischen dem Verständnis einzelner Begriffe und dem Verständnis schwieriger Informationen differenziert.229 Vor diesem Hintergrund könnte man die obige These von der angeblichen Pflicht zur Verbraucherinformation in der jeweiligen Landessprache im AbDeutschland lebenden Türken in Türkisch, die der Griechen in Griechisch, usw. stattfi nden müsse. 226 Siehe unten C. II. 227 Slg. 1991, I-2976 (2979), Ziff. 7. 228 So der 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. 4. 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr. L 95, S. 29 ff.: „Die Verträge müssen in klarer und verständlicher Sprache abgefasst sein. Der Verbraucher muß tatsächlich die Möglichkeit haben, von allen Vertragsklauseln Kenntnis zu nehmen. Im Zweifelsfall ist die für den Verbraucher günstigste Auslegung anzuwenden.“ Demgegenüber betreffen die eigentlichen Regelungen in Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 der Richtlinie 93/13 die dem Verbraucher unterbreiteten „Klauseln“ und nicht das Vertragswerk insgesamt. 229 Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (403); siehe ferner – zur Verständlichkeit von Garantieerklärungen in englischer Sprache – Soergel/Wertenbruch, § 477 Rn. 229 m.w.N.

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satzgebiet statt auf die „Sprache“ allerdings ohne weiteres auf die jeweils durch die Richtlinie geforderten „Angaben“ beziehen und auch auf diesem Weg zu abgeleiteten Sprachregeln gelangen. Der Generalanwalt hat in den genannten Schlußanträgen eine solche Forderung nicht aufgestellt. Vielmehr hat er gefordert, bei der Frage nach der Unterrichtung des Verbrauchers „nicht nur eine etwaige Mehrsprachigkeit des Landes [zu] berücksichtigen, sondern insbesondere auch die Art des Produkts und die Vertrautheit des Verbrauchers damit sowie die Tatsache, daß andere Verpackungsformen desselben Produkts die erforderlichen Angaben in einer leichter zugänglichen Sprache enthalten und so eine Art von Annäherung ermöglichen“. 230 Der EuGH hat in der Rechtssache Piageme II entschieden, daß das nationale Gericht in jedem Einzelfall zu beurteilen habe, „ob zwingende Angaben in einer anderen als der in dem betreffenden Mitgliedstaat oder Gebiet hauptsächlich verwendeten Sprache von den Verbrauchern dieses Staates oder Gebiets leicht verstanden werden können“. 231 Der Gerichtshof benennt hierfür verschiedene Faktoren, die gegebenenfalls für sich allein nicht ausschlaggebend sind, als sachdienliche Anhaltspunkte. Dies gilt z. B. für „die etwaige Ähnlichkeit der Begriffe in verschiedenen Sprachen, die allgemeine Kenntnis von mehr als einer Sprache in der betreffenden Bevölkerung und das Vorliegen besonderer Umstände wie umfassender Informationskampagnen oder eine weite Verbreitung des Erzeugnisses, sofern festgestellt werden kann, daß der Verbraucher ausreichend unterrichtet wird“. Die Äußerungen des Generalanwalts sind offensichtlich dem Leitbild eines aufgeklärten Verbrauchers verpflichtet, der sich auch selbst um eine Informationsbeschaffung bemüht und der sich zu gewissen geistigen Transformationsleistungen in der Lage sieht. 232 Auch die Rechtsprechung des EuGH belegt, daß die Auffassung, wonach die Verwendung einer für den Verbraucher „leicht verständlichen Sprache“ mit dem Gebrauch der Landessprache im Absatzgebiet gleichzusetzen sein soll, verfehlt ist. Zugleich steht fest, daß sich im Wege der Auslegung des sekundären Gemeinschaftsrechts eine generelle abgeleitete Sprachregel nicht begründen läßt, auch wenn dieses Ergebnis vom Wortlaut noch gedeckt wäre. 233

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Slg. 1991, I-2976 (2979), Ziff. 7. EuGH, Urt. v. 12. 10. 1995 – Rs. C-85/94, Slg. 1995, I-2955, Tz. 29 = EuZW 1996, 14 m. Anm. Schilling – Piageme/Peeters (Piageme II). 232 Vgl. dazu auch Herrmann/Kraus, ZLR 2001, 679 (687). 233 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 18. 6. 1991 – Rs. C-369/89, Slg. 1991, I-2971 Tz. 14 = EuZW 1992, 701 – Piageme/Peeters (Piageme I): „Es trifft zu, daß Artikel 14 bei grammatikalischer Auslegung einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift nicht entgegensteht, die zur Unterrichtung des Verbrauchers allein den Gebrauch der Sprache oder der Sprachen des Gebiets, in dem die Erzeugnisse verkauft werden, zuließe, da eine solche Regelung den Käufern ermöglichen würde, die Angaben auf den Erzeugnissen leicht zu verstehen. Die Sprache des Sprachgebietes erfüllt nämlich das Merkmal ‚leicht verständlich‘ am besten.“ 231

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Erster Teil: Grundlagen

Der EuGH hat das Problem in seiner Piageme-Rechtsprechung ebenso beurteilt. Nach der von ihm im Fall Piageme I vertretenen Auffassung besteht nur die Verpflichtung, solche Erzeugnisse vom Handelsverkehr auszuschließen, deren Etikettierung für den Käufer nicht leicht verständlich ist, nicht aber darüber hinausgehend, den Gebrauch einer bestimmten Sprache vorzuschreiben. 234 In Piageme II hat der EuGH entschieden, „daß der Ausdruck ‚leicht verständliche Sprache‘, mit dem die Unterrichtung des Verbrauchers gewährleistet und nicht der Gebrauch einer bestimmten Sprache vorgeschrieben werden soll, weder mit dem Ausdruck ‚Amtssprache des Mitgliedstaats‘ noch mit ‚Sprache des Gebiets‘ gleichzusetzen ist.“235 Maßgebend ist daher die Verständlichkeit der konkreten zu vermittelnden Informationen. 236 ff) Zwischenergebnisse (1) Die Ableitung impliziter Sprachregeln durch Auslegung des EG-sekundärrechtlichen Klarheits- und Verständlichkeitsgebots überzeugt im Ergebnis nicht.237 Aus den Richtlinienbestimmungen, die Angaben in einer dem Verbraucher „klaren und verständlichen“ oder „leicht verständlichen Sprache“ vorschreiben, ergibt sich nicht, daß die Amtssprache des Mitgliedstaats, in dem das Produkt Verbreitung finden soll, verwendet werden müsse. 238 Vielmehr geht es darum, daß – innerhalb der gewählten Sprache – die Wortwahl einfach („plain“) ist und auf diese Weise dem Durchschnittsverbraucher 239 das Textverständnis ermöglicht. 240 Der EuGH hat in der Rechtssache Piageme II bei der Untersu234 EuGH, Urt. v. 18. 6. 1991 – Rs. C-369/89, Slg. 1991, I-2971, Tz. 13 – Piageme/Peeters (Piageme I). 235 EuGH, Urt. v. 12. 10. 1995 – Rs. C-85/94, Slg. 1995, I-2955, 1. Leitsatz – Piageme/Peeters (Piageme II). 236 Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (403). 237 Ebenso Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 284 f. 238 Wie hier Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (402): „Zunächst ist klar, daß das Verständlichkeitsgebot nicht zwingend die Verwendung einer bestimmten Sprache, etwa der Marktsprache vorschreibt, sondern fl exibel ist.“ 239 Im unternehmerischen Verkehr – für die die Klauselrichtlinie keine Regelungen enthält – gelten naturgemäß andere Maßstäbe der Transparenz; aufgrund der beruflichen Vorbildung und der Geschäftserfahrung darf die Kenntnis wirtschaftlicher und z.T. auch juristischer Fachausdrücke erwartet werden, zutreffend Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 345. Ein Beispiel für eine Intransparenz im unternehmerischen Geschäftsverkehr bietet die Entscheidung BGH NJW-RR 2005, 1496 (LS 2). Danach kann von „einem durchschnittlichen Vertragshändler als juristischem Laien (. . .) nicht erwartet werden, dass er den Inhalt der BGH-Rechtsprechung zu den so genannten ‚Kardinalpfl ichten‘ kennt. Ihm erschließt sich deshalb ohne nähere Erläuterung auch bei aufmerksamer und sorgfältiger Lektüre des Vertrags nicht, was mit ‚Kardinalpfl ichten‘ gemeint ist. Möglich, aber auch ausreichend ist eine abstrakte Erläuterung des Begriffs der Kardinalpfl icht, wie sie von der Rechtsprechung defi niert wird, ohne dass die für den Typus des Vertragshändlervertrags wesentlichen Vertragspfl ichten, bei deren Verletzung der Vertragszweck gefährdet ist, abschließend aufgezählt werden müssten.“ 240 Siehe auch Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 344: Ob die AGB hinreichend klar und durchschaubar formuliert sind, richte sich im Grundsatz nach den Verständnismöglichkeiten und

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chung des Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 79/112/EWG zutreffend hervorgehoben, daß andere die Etikettierung betreffende Gemeinschaftsvorschriften ausdrücklich die Pflicht zur Verwendung der Amtssprache oder der -sprachen des Mitgliedstaats vorsehen, in dessen Hoheitsgebiet die Erzeugnisse in den Verkehr gebracht werden. 241 Man kann diese systematische Erwägung dahingehend ergänzen, daß selbst die wenigen konkreten gemeinschaftsrechtlichen Sprachregeln zum Teil vorsehen, daß eine andere als die Sprache des Verbrauchers zu seiner Information verwendet werden darf. 242 Daran wird deutlich, daß die Sprache des Verbrauchers nicht generell die einzige dem Verständlichkeitsgebot genügende Sprache ist. (2) Eine Pflicht zur Verwendung der Amtssprache(n) eines Mitgliedstaats im Rahmen der Informationserteilung gegenüber dem Verbraucher läßt sich grundsätzlich rechtfertigen, wenn es um den Schutz des Lebens und der Gesundheit geht. 243 In solchen Fällen hat der Gemeinschaftsgesetzgeber in einer Vielzahl unterschiedlicher Rechtsakte bereits Abhilfe durch konkrete Sprachregeln geschaffen, so daß für abgeleitete bzw. implizite Sprachregeln gleichen Inhalts kein Raum mehr besteht. gg) Mehrsprachige Verbraucherinformation als „optimaler Ansatz“ Im übrigen tragen nicht selten mehrsprachige Etikettierungen dem Ziel einer wirksamen Information des Verbrauchers in besonderer Weise Rechnung. Die mehrsprachige Verbraucherinformation stellt aus der Sicht der Kommission den „optimalen Ansatz“ dar. 244 Mehrsprachige Etikettierungen sind gemeinschaftsrechtlich betrachtet ohne weiteres zulässig, denn es wird nicht verlangt, daß zum Zweck der Verbraucherinformation nur eine „leicht verständliche Sprache“ Verwendung findet. In manchen EG-Richtlinien wird die Zulässigkeit der Mehrsprachigkeit von Angaben ausdrücklich geregelt, so beispielsweise in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2000/13/EG. Freilich kann sich in tatsächlicher Erwartungen der typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden. Der Verwender sei gehalten, in den AGB keine unnötig juristische Sprache zu verwenden. Die AGB müßten vielmehr grundsätzlich so formuliert und gestaltet sein, daß auch juristisch und kaufmännisch nicht vorgebildete Kunden sie ohne besondere Erläuterung verstehen können. Andernfalls müßten entsprechende Erläuterungen in die AGB aufgenommen werden. 241 EuGH, Urt. v. 12. 10. 1995 – Rs. C-85/94, Slg. 1995, I-2955, Tz. 16 – Piageme/Peeters (= Piageme II). 242 Z. B. Art. 19 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie 2003/71/EG (Amtssprache oder in Finanzkreisen übliche Sprache). 243 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 287. 244 Kommission, Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament betreffend den Sprachgebrauch für die Information der Verbraucher in der Gemeinschaft, KOM(93) 456 end., S. 16 Ziff. 38: „Zur Förderung eines harmonischen Funktionierens des Binnenmarktes könnte sich die mehrsprachige Information als optimaler Ansatz darstellen. Sie gewährleistet nämlich die beste Information der Verbraucher und verbessert für die Unternehmen die Bedingungen für die Vermarktung ihrer Erzeugnisse und Dienstleistungen.“

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Erster Teil: Grundlagen

Hinsicht das Problem stellen, daß die Größe der Produktverpackung nicht ausreicht, um die relevanten Informationen in verschiedenen Sprachen wiederzugeben. Dieser Frage soll hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden. 3. „Sprachregelungen“ jenseits der Sprachenverwendung: Bilder und Symbole als Ersatz für sprachliche Angaben auf Produkten? a) Eine mögliche Alternative zu ein- oder mehrsprachigen Angaben, die sowohl die Kommission in ihrer Praxis als auch der EuGH in seiner Rechtsprechung zu EG-sekundärrechtlichen Sprachregeln ausdrücklich in Erwägung ziehen, stellt die Verwendung von Zeichen, Symbolen und Piktogrammen dar. Der Rat hat diese Möglichkeit der Verbraucherinformation erstmals im Jahr 1976 rechtlich anerkannt, indem er – abweichend von dem ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Kommission – in Art. 14 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie 79/112/EWG festlegte, daß die Unterrichtung des Käufers auch durch „andere Maßnahmen“, d. h. durch ein anderes Medium als dasjenige der Sprache, erfolgen kann. 245 Es handelt sich dabei um eine für das (Zivil-)Recht substantiell neue Ausdrucksweise, denn nach überkommener Ansicht – sieht man einmal von Verkehrszeichenregelungen ab – ist das wahre „Zeichen für das Recht“ die Sprache. 246 b) Beide Darstellungsweisen – Sprache einerseits, Zeichen andererseits – stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern ergänzen einander. Zur Illustration diene ein Beispiel aus dem Alltag: In der Etikettierungspraxis ist das Zusammentreffen beider Darstellungsweisen bei Textilien selbstverständlich geworden. In Kleidungsstücken findet sich in aller Regel auf der Innenseite ein eingenähter Zettel mit den Angaben über die Bestandteile des jeweiligen Kleidungsstücks in Worten ausgedrückt, während zum Beispiel die Angaben über die richtige Waschtemperatur, die Maschinenwasch-, Maschinentrocken- und Bügelfähigkeit regelmäßig eine symbolhafte Darstellung erfahren. Zusätzlich kann es geschehen, daß ergänzende Warnhinweise – häufig in englischer Sprache – auf den an- oder aufgenähten Zettel aufgedruckt werden, wie die an den Verwender gerichteten Warnungen „Do not dry“, „Wash separately“, „Do not tumble“247 und dergleichen. Die Gemeinschaftsorgane haben die Nützlichkeit der Verwendung von Bildern, Zeichnungen, Symbolen, Piktogrammen, d. h. von bildhaften Darstellungen, zur Sicherstellung einer effektiven Aufklärung der Verwender der betroffenen Produkte erkannt. Der EuGH betont die Bedeutung des Einsatzes derartiger Mitteln im Zusammenhang mit der Wahrung 245

Zur Genese der Vorschrift siehe Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 91. Vgl. P. Kirchhof, in: GS Friedrich Klein, S. 227; vgl. auch O. v. Gierke, in: Das bürgerliche Gesetzbuch und der deutsche Reichstag, Berlin 1896, S. 10 (zitiert nach Günther, Recht und Sprache, S. 1): „Die Sprache (. . .) ist nicht bloß das Kleid, sie ist der wahre Leib des Rechts.“ 247 Beachte dazu die in der Praxis vorfindliche, aber unzutreffende deutsche Übersetzung „Nicht tumbeln“. 246

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des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. 248 Im Schrifttum wird dazu die plausible These vertreten, daß der Einfallsreichtum bei der Ersetzung von sprachlichen Umschreibungen durch Piktogramme und ähnliches bei weitem noch nicht erschöpft sei.249 c) Als ein Beispiel für die Verwendung von Piktogrammen im EG-Sekundärrecht diene die Richtlinie 94/11/EG über die Kennzeichnung von Materialien für die Hauptbestandteile von Schuherzeugnissen 250 . Die Richtlinie enthält materialbezogene Kennzeichnungsanforderungen an Schuherzeugnisse, die in den Verkehr gebracht werden und die auf dem Schuherzeugnis anzubringen 251 sind. Art. 4 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie legt fest, daß der Hersteller oder sein in der Gemeinschaft niedergelassener Bevollmächtigter die Wahl hat „zwischen den in Anhang I definierten und dargestellten Piktogrammen oder schriftlichen Angaben mindestens in der (den) Sprache(n), die der Mitgliedstaat, in dem die Erzeugnisse verkauft werden, im Einklang mit dem Vertrag bestimmen kann.“ Nach Art. 4 Abs. 2 S. 3 der Richtlinie „stellen die Mitgliedstaaten in ihren einzelstaatlichen Bestimmungen sicher, daß eine angemessene Unterrichtung der Verbraucher über die Bedeutung dieser Piktogramme erfolgt, und achten darauf, daß die Bestimmungen den Handel der Gemeinschaft nicht beeinträchtigen.“ Ergänzend legt Art. 4 Abs. 4 S. 1 der Richtlinie fest, daß die Kennzeichnung lesbar, haltbar und gut sichtbar sein muß (1. Halbsatz) und daß die Piktogramme so groß sein müssen, daß die Angaben leicht verständlich sind (2. Halbsatz); Satz 2 der Vorschrift statuiert zugunsten des Verbrauchers ein Irreführungsverbot betreffend die Kennzeichnung. d) Der EuGH hat zur Zulässigkeit und zum Sinne der alternativen bzw. kumulativen Verwendung von Zeichnungen, Symbolen und Piktogrammen neben 248 EuGH, Urt. v. 3. 6. 1999 – Rs. C-33/97, Slg. 1999, I-3175, Tz. 41 = EuZW 1999, 464 – Colim NV/Bigg’s Continent Noord NV: „Daraus folgt zum einen, dass eine Maßnahme, die die Verwendung einer für die Verbraucher leicht verständlichen Sprache vorschreibt, den möglichen Einsatz anderer Mittel, die die Information der Verbraucher gewährleisten, wie die Verwendung von Zeichnungen, Symbolen oder Piktogrammen, nicht ausschließen darf. Das nationale Gericht hat in jedem Einzelfall zu beurteilen, ob die Kennzeichnungselemente geeignet sind, die Verbraucher in vollem Umfang zu informieren (. . .).“ 249 So Bachmann, EuZW 2001, 18 (19) in seiner Anmerkung zum Geffroy-Urteil des EuGH. 250 Richtlinie 94/11/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 3. 1994 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kennzeichnung von Materialien für die Hauptbestandteile von Schuherzeugnissen zum Verkauf an den Verbraucher, ABl. EG Nr. L 100, S. 37 ff. Siehe auch Art. 62 des oben erörterten Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (Richtlinie 2001/83/EG, ABl. EG Nr. L 311, S. 67 ff.). Art. 63 dieser Richtlinie schreibt zwar die Amtssprache als Sprache des Etiketts und der Pakkungsbeilage vor, doch können gemäß Art. 62, 1. Halbsatz die äußere Umhüllung und die Packungsbeilage zur Veranschaulichung einiger der notwendigen Informationen Zeichen oder Piktogramme enthalten. 251 Dies geschieht ausweislich der Vorgaben in Art. 4 Abs. 3 S. 2 durch aufdrucken, aufkleben, einprägen oder anbringen auf einem befestigten Anhänger.

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Erster Teil: Grundlagen

Sprachregelungen schon mehrfach Stellung bezogen. Hervorzuheben sind zunächst seine Ausführungen zu dem Fall Piageme II 252 : Um dem Erfordernis der Unterrichtung und des Verbraucherschutzes zu genügen, müßten die Verbraucher jederzeit, also nicht nur zum Zeitpunkt des Kaufes, sondern auch zu dem des Verbrauches, von allen in der Richtlinie zwingend vorgeschriebenen Angaben Kenntnis nehmen können. Das bedeute, daß diese Angaben auf der Etikettierung entweder in einer den Verbrauchern des betreffenden Staates oder Gebiets leicht verständlichen Sprache oder mit Hilfe anderer Maßnahmen wie Zeichnungen, Symbole oder Piktogramme erscheinen müßten. Das nationale Gericht habe die leichte Verständlichkeit der erteilten Informationen im Lichte sämtlicher Umstände jedes Einzelfalls zu beurteilen. Im Urteil Goerres253 hat der EuGH zum Verständlichkeitsgebot ausgeführt, daß das nationale Gericht die leichte Verständlichkeit der erteilten Informationen im Licht sämtlicher Umstände jedes Einzelfalls zu beurteilen habe. Diese Beurteilung müsse in bezug auf alle in der Richtlinie vorgeschriebenen Angaben erfolgen und dem Umstand Rechnung tragen, daß die Richtlinie es ermögliche, die vorgeschriebenen Angaben nicht nur unter Verwendung einer Sprache, sondern auch mit Hilfe anderer Maßnahmen wie z. B. Zeichnungen, Symbole oder Piktogramme vorzunehmen. In der Rs. Colim 254 hat der Gerichtshof schließlich festgestellt, daß die Informationen, die die Wirtschaftsteilnehmer dem Käufer, vor allem dem Endverbraucher, geben müssen, ohne praktischen Nutzen seien, wenn sie nicht in einer für ihre Adressaten verständlichen Sprache abgefaßt würden und sofern sie nicht durch Piktogramme oder andere Zeichen als Worte erfolgreich übermittelt werden könnten. e) Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird deutlich, daß sowohl die ausdrücklichen Sprachregelungen im Bereich der Etikettierung als auch die Verwendung von Zeichen, Symbolen und Piktogrammen einem gemeinschaftsrechtlichen Verständlichkeitsgebot verpflichtet sind. 255 Es soll sichergestellt werden, daß die jeweilige Information von dem Adressaten intellektuell erfaßt werden kann. Die Bedeutung der Verständlichkeit der Information ist umso höher, je größer die Gefahren sind, die mit der Verwendung eines bestimmten Produkts einhergehen.256 Dann hat auch die kumulative Verwendung von Spra252 EuGH, Urt. v. 12. 10. 1995 – Rs. C-85/94, Slg. 1995, I-2955, 2. Leitsatz – Piageme/Peeters (Piageme II). 253 EuGH, Urt. v. 14. 7. 1998 – Rs. C-385/96, Slg. 1998, I-4431 – Strafverfahren gegen Hermann Josef Goerres, 2. Leitsatz. 254 EuGH, Urt. v. 3. 6. 1999 – Rs. C-33/97, Slg. 1999, I-3175, Tz. 29 = EuZW 1999, 464 – Colim NV/Bigg’s Continent Noord NV. 255 Vgl. nochmals EuGH, Urt. v. 14. 7. 1998 – Rs. C-385/96, Slg. 1998, I-4431 – Strafverfahren gegen Hermann Josef Goerres, 4. Leitsatz. 256 Als ein weiteres Beispiel (aus dem Bereich gemeinschaftsrechtlicher Rechtsetzung außerhalb des Geschäftsverkehrs zwischen Privatrechtssubjekten) für die kumulative bzw. alternative Verwendung von Zeichen und Text im Zusammenhang mit sicherheitsrelevanten

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che und Zeichen ihren guten Sinn, weil sie dem der verwendeten Sprache nicht mächtigen Verbraucher die Möglichkeit gibt, sich die notwendigen Informationen trotz vorhandener sprachlicher Verständnisdefizite zu verschaffen. Aus Sicht der Hersteller der Produkte bietet die Verwendung von Zeichen, Symbolen und Piktogrammen den großen Vorteil, auf eine Vielzahl verschiedensprachiger Texte auf engem Raum verzichten zu können, ohne daß die Qualität der Informationserteilung respektive die Verständlichkeit aus Sicht der Verbraucher leidet. Das Verständlichkeitsgebot ist weiter insofern flexibel, als daraus nicht unmittelbar die Verwendung einer bestimmten Sprache, insbesondere nicht die Verwendung der jeweiligen „Marktsprache“ – also der Sprache des Landes, in dem das Produkt in den Verkehr gebracht wird –, verlangt werden darf.257 Der EuGH hat in seinem Urteil in der Rechtssache Colim mit Recht ausgesprochen, daß das Verhältnismäßigkeitsprinzip es gebiete, daß eine Maßnahme, die die Verwendung einer für die Verbraucher leicht verständlichen Sprache vorschreibt, den möglichen Einsatz anderer Mittel, die die Information der Verbraucher gewährleisten, wie die Verwendung von Zeichnungen, Symbolen oder Piktogrammen, nicht ausschließen darf. Das nationale Gericht habe in jedem Einzelfall zu beurteilen, ob die Kennzeichnungselemente geeignet sind, die Verbraucher in vollem Umfang zu informieren. 258

C. Die EG-primärrechtlichen Grundfreiheiten als rechtliche Grenzen gemeinschaftsrechtlicher sowie nationaler Sprachenregelungen I. Die Grundfreiheiten als Grenzen der Umsetzung des EG-sekundärrechtlichen Klarheits- und Verständlichkeitsgebots Bisher ist die zentrale Frage unbeantwortet geblieben, ob die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinienregelungen, die lediglich die Verwendung einer für den Käufer leicht verständlichen bzw. klaren und verständlichen Sprache vorgeben, entsprechend ihrem Ermessen die jeweilige(n) eigene(n) Amts-

Fragen diene abermals die Richtlinie 98/37/EG, ABl. EG 1998 Nr. L 207, S. 1 ff. Sie regelt in Anhang I bei Ziff. 1.7.1. die Ausstattung von Maschinen mit Warneinrichtungen (z. B. Signaleinrichtungen), die „eindeutig zu verstehen und leicht wahrnehmbar sein“ müssen. Gemäß Ziff. 1.7.2., 1. Absatz muß der Hersteller auf potentielle, nicht offensichtliche Gefahren – sog. Restgefahren – hinweisen. Gemäß Absatz 2 der Vorschrift müssen diese Hinweise „vorzugsweise in allgemeinverständlichen Piktogrammen dargestellt und/oder in einer der Sprachen des Verwendungslandes sowie, auf Verlangen, in den vom Bedienungspersonal verstandene Sprachen abgefaßt“ sein. 257 Wie hier Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (402). 258 EuGH, Urt. v. 3. 6. 1999 – Rs. C-33/97, Slg. 1999, I-3175, Tz. 41 – Colim NV/Bigg’s Continent Noord NV mit Verweis auf das Urt. v. 12. 10. 1995 in der Rs. C-85/94, Slg. 1995, I-2955, Rn. 28 – Piageme II.

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Erster Teil: Grundlagen

oder Nationalsprache(n) oder die Sprache des Absatzgebiets festlegen dürfen, ohne gegen Art. 28 EG zu verstoßen. 1. Piageme I a) Mit diesem Problem hatte sich der EuGH 259 erstmals in der Rs. Piageme gegen Peeters aus dem Jahr 1991 zu beschäftigen. Sie stellte sich in einem Rechtsstreit zwischen Unternehmen, die Mineralwässer nach Belgien einführten und vertrieben, sowie deren Verbänden einerseits und der im flämischen Sprachgebiet Belgiens niedergelassenen Firma Peeters andererseits, die diese Mineralwässer dort in Flaschen zum Verkauf brachte, deren Etikette ausschließlich in Französisch oder Deutsch abgefaßt waren. Die Kläger des Ausgangsrechtsstreits beriefen sich auf die nationale Regelung260 , mit der die EG-Richtlinie 79/112/EWG in das belgische Recht umgesetzt werden sollte und die bestimmte, daß die vorgeschriebenen Angaben auf den Etiketten zumindest in der oder den Sprachen des Sprachgebiets abgefaßt sein mußten, in dem die Lebensmittel zum Verkauf angeboten wurden. In dem Fall der Firma Peeters wäre das die flämische Sprache gewesen. Die beklagte Firma Peeters berief sich auf die Unvereinbarkeit der nationalen Vorschrift mit Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 79/112/ EWG und sah darin überdies einen Verstoß gegen Art. 30 EWGV, den heutigen Art. 28 EG. Der EuGH erkannte auf einen Richtlinienverstoß. Darüber hinaus sah er auch die Warenverkehrsfreiheit als verletzt an. Die Verpflichtung zur ausschließlichen Verwendung der Sprache des Sprachgebiets sei eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung. Die Begründung des Gerichtshofs beschränkt sich auf die Frage des Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 79/112/EWG. Eine über die lapidare Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 30 EWGV hinausgehende primärrechtliche Begründung enthält das Urteil nicht. Damit sind vor allem sämtliche geschriebenen und ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe unerörtert geblieben. Mit der Feststellung des Verstoßes gegen die Grundfreiheit wurde allerdings implizit deutlich, daß der Gerichtshof die in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründe – insbesondere den Verbraucherschutz und sprachkulturelle Belange – als nicht einschlägig ansah. 261 Damit stimmte er sachlich mit Generalanwalt Tesauro überein, der in seinen Schlußanträgen die Meinung vertreten hatte, daß 259

EuGH, Urt. v. 18. 6. 1991 – Rs. C-369/89, Slg. 1991, I-2971 – Piageme/Peeters (Piageme

I). 260

Art. 11 der königlichen Verordnung vom 13. 11. 1986. Unter den geschriebenen Rechtfertigungsgründen kann Art. 30 EG nicht zugunsten einer nationalen Sprachregel als Ausdruck einer bestimmten Kulturpolitik angeführt werden, denn Art. 30 EG schützt nicht das nationale Kulturgut insgesamt, sondern allein solches von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert. Die Kulturpolitik ist auch kein Aspekt, der zu den Rechtfertigungsgründen des Art. 56 EG zählt, worauf EuGH, Urt. v. 4. 5. 1993 – Rs. C-17/92, Slg. 1993, I-2239 = ZUM 1994, 299 – Federación de Distribuidores cinematográficos im Leitsatz und in Tz. 20 abstellt. 261

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die Verpflichtung, Angaben in einer bestimmten Art und Weise zu machen, als nicht vereinbar mit Art. 30 EWGV (Art. 28 EG) angesehen werden könne, „sofern sie nicht tatsächlich durch Gründe des Allgemeinwohls im Hinblick auf den Verbraucherschutz gerechtfertigt ist“. 262 Der Generalanwalt hatte in Übereinstimmung mit früherer Rechtsprechung des Gerichtshofs des weiteren festgestellt, daß der Rechtfertigungsgrund des Verbraucherschutzes entfalle, „wenn die auf dem ursprünglichen Etikett des Produkts genannten Angaben Informationen enthalten, die denen entsprechen, die durch die Regelung im Einfuhrmitgliedstaat vermittelt werden und die für die Verbraucher dieses Staates verständlich sind“. 263 b) Daraus läßt sich schließen, daß sowohl nach der Auffassung des Generalanwalts als auch nach der Meinung des EuGH der Umstand, daß eine Verbraucherinformation in der Sprache des Absatzgebiets besser verständlich ist als bei Verwendung einer anderen Sprache der Gemeinschaft, unter dem Blickwinkel des Verbraucherschutzes als einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses nicht ausreicht, um die marktzugangsbehindernde Wirkung entsprechender nationaler Vorschriften zu rechtfertigen. 264 2. Piageme II a) Eine zweite Entscheidung des EuGH gleichen Namens datiert aus dem Jahr 1995.265 Grundlage für die erneute Entscheidung des EuGH war ein Vorlageverfahren, das von dem Berufungsgericht des Ausgangsrechtsstreits betrieben worden war. Der EuGH hatte erneut über die Vereinbarkeit der nationalen belgischen Norm mit Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 79/112/EWG und Art. 30 EWGV zu entscheiden. Der Gerichtshof wiederholte und ergänzte seine Ausführungen aus der Entscheidung Piageme I betreffend Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 79/112/EWG; er hielt allerdings eine Überprüfung der nationalen belgischen Regelung unter dem Blickwinkel des Art. 30 EWGV für „nicht erforderlich“. 266 Damit wich der Gerichtshof von der Vorgehensweise des Generalanwalts Cosmas ab, der in seinen Schlußanträgen im Ergebnis neben einem Richtlinienverstoß auch eine Verletzung des Art. 30 EWGV bejaht hatte; in seiner umfassenden Stellungnahme hatte der Generalanwalt erhebliche Differenzierungen bei der Frage einer möglichen Rechtfertigung der Beeinträchtigung für notwendig erachtet. 267 Insofern ist es überraschend und auch bedauerlich, 262 263 264

Slg. 1991, I-2971 (2976, 2978 Ziff. 6). Slg. 1991, I-2971 (2976, 2978 Ziff. 6). Zustimmend Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 285; a. A. Somma, ZEuP 1998, 701

(708). 265

EuGH, Urt. v. 12. 10. 1995 – Rs. C-85/94, Slg. 1995, I-2955 = EuZW 1996, 14. A.a.O, 1. Leitsatz, letzter Satz sowie Tz. 20. 267 Siehe Slg. 1995, I-2955 (2957 ff.). GA Cosmas hatte in seinen Schlußanträgen zwischen Ländern und Sprachgebieten, in denen es nur eine einzige Sprache gibt und solchen mit meh266

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Erster Teil: Grundlagen

daß der EuGH die Beschäftigung mit den Einzelheiten der Vorschrift für entbehrlich hielt. b) Nimmt man die Schlußanträge des GA Cosmas mit in den Blick, so wurde auch durch diese Entscheidung des Gerichtshofs letztlich nicht klargestellt, ob und inwieweit Rechtfertigungsgründe für nationale Sprachregelungen überhaupt in Betracht kommen, wenn diese in Umsetzung des gemeinschaftsrechtlichen Klarheits- und Verständlichkeitsgebots eine nationale Sprache festlegen. Mögliche Zweifel an der Konsistenz der Ergebnisse der Piageme-Rechtsprechung räumte der EuGH mit seinem Urteil in der Rs. Geffroy aus, indem er die bisherige Rechtsprechung bestätigte, ohne allerdings substantielle Ausführungen zur Verletzung des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, möglichen Einschränkungen und Rechtfertigungsgründen hinsichtlich der Sprachenfrage zu machen.268 3. Nationale Sprachregelungen als „Verkaufsmodalitäten“ i. S. der Keck-Doktrin des EuGH? a) Zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils Piageme II, also im Jahr 1995, stand weiter die problematische Frage im Raum, ob Vorschriften wie jene des Art. 11 der streitgegenständlichen belgischen Verordnung nicht als „Verkaufsmodalitäreren Sprachen unterschieden. Im erstgenannten Fall sei die Sprache des Landes oder Sprachgebiets per defi nitionem die einzige Sprache, die der Verbraucher verstehe. Das Verbot, Erzeugnisse anzubieten, die keine Angaben in dieser Sprache enthalten, sei also mit Art. 30 EWGV (heute: Art. 28 EG) und mit Art. 14 der Richtlinie 79/112/EWG vereinbar (Tz. 20). Dies gelte jedoch nicht in Sprachgebieten, in denen die Käufer leicht mehrere Sprachen verstehen, beispielsweise in den Ländern mit mehrsprachiger Tradition. In einem solchen Fall genüge es, die Angaben auf dem Erzeugnis in einer dieser Sprachen anzubringen (Tz. 21). Das Ziel des Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 79/112/EWG sei es nicht, die Verwendung einer bestimmten Sprache vorzuschreiben. Vielmehr sollten Schwierigkeiten beseitigt werden, die der Verbraucher mit dem Verständnis des Inhalts von Angaben auf dem Erzeugnis haben könnte, um seine vollständige, korrekte Unterrichtung sicherzustellen. Diese Unterrichtung sei offensichtlich gewährleistet, wenn die Angaben auf dem Erzeugnis in einer der im Sprachgebiet leicht verständlichen Sprachen abgefaßt seien (Tz. 22). Im Ergebnis gelangt GA Cosmas in Übereinstimmung mit der Entscheidung Piageme I zu der Überzeugung, daß Art. 30 EWGV und Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 79/112/EWG nationalen Regelungen entgegenstehen, die die Verwendung einer bestimmten Sprache bei der Etikettierung von Lebensmitteln vorschreiben, selbst wenn sie nicht verbieten, daß andere den Käufern leicht verständliche Sprachen gleichzeitig verwendet werden (Tz. 24). 268 EuGH, Urt. v. 12. 9. 2000 – Rs. C-366/98, Slg. 2000, I-6579 = EuZW 2001,16 – Geffroy, 2. Leitsatz: „Artikel 14 der Richtlinie 79/112 über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür steht einer nationalen Regelung entgegen, die die Verwendung einer bestimmten Sprache für die Etikettierung von Lebensmitteln vorschreibt, ohne die Möglichkeit vorzusehen, eine andere für den Käufer leicht verständliche Sprache zu verwenden oder die Unterrichtung des Käufers durch andere Maßnahmen zu gewährleisten. Eine solche Verpfl ichtung stellt eine nach Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verbotene Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung dar.“

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ten“ im Sinne der 1993 ergangenen Entscheidung in der Rechtssache Keck und Mithouard 269 qualifiziert werden können.270 Bekanntlich unterscheidet der EuGH seit diesem Urteil zwischen produktbezogenen Regelungen, die von der sog. Dassonville-Formel erfaßt und demgemäß als Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen qualifiziert werden, einerseits und Verkaufs- oder Absatzmodalitäten anderseits, die im Wege einer teleologischen Reduktion aus dem Tatbestand des Art. 28 EG ausgenommen sind. Vorschriften über die Bezeichnung, die Form, die Abmessungen, das Gewicht, die Zusammensetzung, die Aufmachung, die Etikettierung und die Verpackung von Produkten sind ohne weiteres als produktbezogene Regelungen im Sinne der Keck-Rechtsprechung zu qualifizieren, da sie die Verkehrsfähigkeit von Produkten regeln. Damit unterfallen sie dem Tatbestand des Art. 28 EG. 271 Das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen produkt- und verkaufsbezogenen Regelungen ist der Einfluß der jeweiligen Regelung auf den Marktzugang. Scheinbar verkaufsbezogene Regelungen, die tatsächlich den Marktzugang für ausländische Erzeugnisse behindern, unterfallen demnach dem Anwendungsbereich des Art. 28 EG. Der EuGH hat diese Rechtsprechung im Jahr 2001 in seinem Urteil in der Rs. Schwarzkopf bestätigt. Nationale sprachliche Anforderungen sind danach als Beeinträchtigungen des innergemeinschaftlichen Handels zu bewerten, wenn die betreffenden Erzeugnisse mit einer unterschiedlichen Etikettierung versehen werden müssen, weil dies zusätzliche Verpackungskosten zur Folge hat. Um von dem Tatbestand des Art. 28 EG ausgenommene Verkaufsmodalitäten handelt es sich nach der zutreffenden Auffassung des EuGH nicht, wenn das Behältnis oder die Verpackung eines Produkts verändert werden müssen.272 b) Anders als die oben erörterten Urteile untersuchte der Gerichtshof in der Rs. Schwarzkopf die Frage nach der Rechtfertigung der Handelsbeschränkung durch Gründe des Allgemeininteresses und kam diesbezüglich zu einem positiven Ergebnis.273 Seines Erachtens dienten die von der einschlägigen Kosmetikrichtlinie 76/768/EWG geforderten Informationen – es handelte sich um obligatorische Anwendungsbedingungen und Warnhinweise – dem Schutz der 269

EuGH, Urt. v. 24. 11. 1993 – verb. Rss. C-267/91 und C-268/91, Slg. 1993, I-6097 = NJW 1994, 121. 270 Vgl. Martiny, ZEuP 1998, 227 (245). 271 EuGH, Urt. v. 24. 11. 1993 – verb. Rss. C-267/91 und C-268/91, Slg. 1993, I-6097, Tz. 15 – Keck und Mithouard; EuGH, Urt. v. 2. 2. 1994 – Rs. C-315/92, Slg. 1994, I-317, Tz. 13 = NJW 1994, 1207 – Clinique Laboratories und Estée Lauder; EuGH, Urt. v. 3. 6. 1999 – Rs. C-33/97, Slg. 1999, I-3175, Tz. 38 – Colim NV/Bigg’s Continent Noord NV. 272 EuGH, Urt. v. 13. 9. 2001 – Rs. C-169/99, Slg. 2001, I-5901, Tz. 39 = EuZW 2001, 663 – Hans Schwarzkopf GmbH & Co. KG/Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V.; ebenso EuGH, Urt. v. 3. 6. 1999 – Rs. C-33/97, Slg. 1999, I-3175, Tz. 37 – Colim NV/ Bigg’s Continent Noord NV. 273 A.a.O. (Fn. 272), Tz. 40.

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Erster Teil: Grundlagen

Volksgesundheit, also der Verfolgung eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses. Das Urteil in der Rechtssache Schwarzkopf betrifft obligatorische Warnhinweise und kann demgemäß nicht als eine sachliche Korrektur der Piageme-Rechtsprechung verstanden werden. Im Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Marktfreiheit und deren Einschränkung aus Gründen des Verbraucherschutzes bei Etikettierungen gibt der EuGH grundsätzlich der Marktfreiheit den Vorrang. 274 Die Kommission entschied ebenso. 275 Das Kräfteverhältnis verschiebt sich zugunsten der Verfolgung von Allgemeininteressen, wenn nicht allein der Aspekt des Verbraucherschutzes in Rede steht, sondern das Leben und die Gesundheit der Käufer bzw. Verwender des Produkts geschützt werden sollen. Es gilt kein anderer Maßstab als bei entsprechend motivierten Regelungen der Gemeinschaft selbst. In solchen Fällen sind Regelungen der Mitgliedstaaten, die die Verwendung einer bestimmten Sprache vorschreiben, ohne daß der Gemeinschaftsgesetzgeber eine derartige Umsetzungsverpflichtung durch EG-Richtlinien statuiert hätte, folglich mit Art. 28 EG vereinbar. 4. Die Bewertung von Optionsregeln In dem Fall, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber zusätzlich zu der Verpflichtung zur Verwendung einer klaren und verständlichen Sprache den Mitgliedstaaten in einer EG-Richtlinie das Recht einräumt, eine der Amts- oder Nationalsprachen des Mitgliedstaats bzw. eines Sprachgebiets festzulegen, ist von der Gemeinschaftsrechtskonformität einer derartigen Optionsregel auszugehen. Zwar müssen Richtlinienregelungen mit dem höherrangigen Recht des EG-Vertrags vereinbar sein, so daß die Frage nach der Vereinbarkeit einer sekundärrechtlichen Optionsregel im vorerwähnten Sinn mit Art. 28 EG auch in solchen Fällen 274 A. A. GA Cosmas, Schlußanträge in der Rs. Goerres, Slg. 1998, I-4431 (4433, 4450 Tz. 26) = EuZW 1998, 636. Im Falle eines Konflikts zwischen dem Grundsatz des freien Warenverkehrs und dem Grundsatz des Verbraucherschutzes habe grundsätzlich letzterer als wertungsmäßig höherer oder übergeordneter Grundsatz Vorrang. Das ergebe sich daraus, daß der Verbraucherschutz im System des Vertrages Beschränkungen des freien Verkehrs rechtfertige, während das Umgekehrte jedoch nicht gelte. Eine Maßnahme, die den freien Warenverkehr berühre, könne als zulässig angesehen werden, soweit sie die menschliche Gesundheit oder den Verbraucherschutz wesentlich fördere, während eine Maßnahme, die der menschlichen Gesundheit oder dem Verbraucherschutz abträglich sei, nicht zugelassen werden könne, nur weil sie den freien Warenverkehr, sei es auch erheblich, fördere. 275 Siehe dazu die Antwort von Mario Monti im Namen der Kommission vom 30. 11. 1995 auf die schriftliche Anfrage des Abgeordneten Gerhard Schmid (PSE) betreffend die französische loi Toubon vom 18. 10. 1995, ABl. EG Nr. C 56, S. 45: „Die Kommission hat stets die Auffassung vertreten, daß Vorschriften, welche die Verwendung einer bestimmten Sprache bei den Geschäftsbeziehungen zwischen Wirtschaftsbeteiligten vorschreiben, nicht aus Gründen des Verbraucherinteresses gerechtfertigt sind und deshalb im Sinne von Artikel 30 EG-Vertrag ein Handelshemmnis für den freien Warenverkehr darstellen können. Würde eine solche Verpfl ichtung für den Verkauf an den Endverbraucher gelten, stünde dies aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit ebenfalls in Widerspruch zu Artikel 30 EG-Vertrag.“

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gestellt werden muß. Der EuGH geht in seiner neueren Rechtsprechung allerdings davon aus, daß spezielleres sekundäres Gemeinschaftsrecht die Anwendbarkeit des Art. 28 EG tatbestandlich ausschließt, während er früher die Einschlägigkeit des Sekundärrechts auf den Ebenen der Rechtfertigung bzw. der Verhältnismäßigkeit untersuchte. Im Ergebnis führt das dazu, daß es hinsichtlich der Wahrung des Art. 28 EG bei ansonsten inhaltsgleichem Wortlaut einer nationalen Sprachregelung durchaus einen Unterschied macht, ob dafür eine sekundärrechtliche Grundlage (Optionsrecht) besteht oder ob eine solche Optionsregel fehlt. Ist ersteres der Fall, dann ist Art. 28 EG nach der neueren Praxis des EuGH infolge abschließender Harmonisierung durch eine Richtlinie nicht anwendbar; folgt man dem nicht und prüft die Richtlinie erst auf der Rechtfertigungsebene, ist Art. 28 EG wegen der regelmäßig zu bejahenden Rechtfertigung durch ein Allgemeininteresse nicht verletzt.276 Im zweitgenannten Fall – nationale Sprachregelung ohne ausdrückliche sekundärrechtliche Zulassung derselben – kommt ein Verstoß gegen Art. 28 EG in Betracht. Zwar könnte der handelnde Mitgliedstaat das Ziel des Verbraucherschutzes für sich reklamieren. Ein Hinausgehen über das gemeinschaftsrechtliche Klarheits- und Verständlichkeitsgebot wäre aber zugleich im Regelfall unverhältnismäßig. II. Die Grundfreiheiten als rechtliche Grenzen für die Zulässigkeit sog. nationaler Sprachengesetze 1. Eine historische Sprachregelung Das Problem nationaler Sprachregeln ist alt. Vor hundert Jahren wurde dem Reichstag der Entwurf eines Vereinsgesetz277 vorgelegt, das in § 7 Satz 1 bestimmte, daß die Verhandlungen in öffentlichen Versammlungen in deutscher Sprache zu führen seien. Gemäß Satz 2 der Vorschrift waren Ausnahmen mit Genehmigung der Landeszentralbehörde vorgesehen. Diese – nicht rechtsgeschäftliche – Sprachregel richtete sich vor allem gegen nationalistische polnische Bestrebungen, die als Gefährdung des Nationalstaats, d. h. als Bedrohung von Sicherheit und Ordnung, empfunden wurden. 278 Nach überaus kontroverser 276

Mit Recht betonen Bachmann, EuZW 2001, 18 (19) und ihm folgend Streinz, JuS 2001, 494 (495), daß Sprachvorgaben im Sekundärrecht eher den Verhältnismäßigkeitstest vor dem EuGH bestehen werden als solche in nationalen Regeln (Urt. v. 9. 8. 1994 – Rs. C-51/93, Slg. 1994, I-3879, 1. Leitsatz und Tz. 11 – Meyhui NV/Schott Zwiesel Glaswerke AG m.w.N). Zwar gelten die Grundfreiheiten auch für Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane, doch spricht der EuGH im Meyhui-Urteil ausdrücklich von einem „Ermessensspielraum“, den der Rat im Rahmen seiner Zuständigkeit für die Harmonisierung besitzt (a.a.O., 2. Leitsatz und Tz. 21). In diesem Fall hat er keine mildere Maßnahme von gleicher Wirksamkeit erkennen können (a.a.O., Tz. 20). 277 Verhandlungen des Reichstages, XII. Legislaturperiode, I. Session 1907, Bd. 243 Anlage Nr. 482 (vorgelegt von dem Stellvertreter des Reichskanzlers, v. Bethmann Hollweg). 278 Siehe u. a. die vorsichtigen Formulierungen in: Verhandlungen des Reichstages, Bd. 243,

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Erster Teil: Grundlagen

und lesenswerter Diskussion im Reichstag wurde § 7 des Entwurfs in namentlicher Abstimmung mit 196 Ja- zu 177 Neinstimmen bei drei Enthaltungen und zwei ungültigen Stimmen angenommen. 279 2. Moderne Sprachengesetze In neuerer Zeit hat eine Reihe von Mitgliedstaaten nationale Gesetze zum Schutz der eigenen Landessprache(n) erlassen.280 Diese Form der Sprachregulierung ist für die vorliegende Untersuchung insofern von Interesse, als die rechtlichen Regelungen in diesen Gesetzen zugleich sprachliche Vorgaben normieren, die den Privatrechtsverkehr betreffen, beispielsweise solche über die Produktkennzeichnung und die Werbung in der Nationalsprache des Mitgliedstaats. Das gilt namentlich für die Sprachengesetze in Frankreich und Polen, d. h. das am 4. August 1994 verkündete Gesetz Nr. 94–665 über den Gebrauch der französischen Sprache und das Gesetz vom 7. Oktober 1999 über die polnische Sprache. Letzteres hat rechtzeitig zum Beitritt Polens zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 erhebliche Abänderungen erfahren, ohne daß die Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags, namentlich mit Art. 28 EG und Art. 49 EG, damit geklärt wäre. Die oben in bezug auf die Umsetzung von Richtlinien erörterte Frage, ob nationale Sprachregeln, die (auch) den Privatrechtsverkehr betreffen, mit den genannten unmittelbar geltenden EG-primärrechtlichen Bestimmungen vereinbar sind, stellt sich zugleich für nationale Sprachregelungen, die aufgrund nationaler Regelungskompetenzen ergangen sind. a) Die französische loi Toubon von 1994 Das französische Sprachschutzgesetz, die sog. loi Toubon, enthält eine Reihe von Vorschriften über das Angebot und die Bezeichnung von Waren sowie die Werbung hierfür, die unter dem Blickwinkel des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs problematisch sind. 281 Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes legt fest, daß bei der Bezeichnung, dem Angebot, der Aufmachung, der Gebrauchsanweisung Anlage Nr. 482, Begründung zu § 7, S. 34; deutlicher v. Bethmann Hollweg, Bd. 229, 69. Sitzung, S. 2095 B; ders., Verhandlungen des Reichstages, Bd. 232, S. 4666 C: Ausnahmen sollen überall da gewährt werden, „wo (. . .) der Gebrauch des fremden Idioms nicht zu dem ausdrücklichen Zwecke stattfi ndet, die Abkehr vom deutschen Vaterlande zu vertiefen oder Bestrebungen zu fördern, welche dem Deutschen Reiche feindlich gesinnt sind“. 279 Siehe die Protokolle des Reichstags, 12. Legislaturperiode, I. Session 1907/1908, 140. Sitzung v. 4. April 1980, S. 4696. 280 Das gilt namentlich für Belgien, Estland, Frankreich, Irland, Lettland, Litauen, Mazedonien, Norwegen, Polen und die Slowakei (siehe Perdeus, WiRO 2004, 72). Zum Teil haben die Beitrittskandidaten vor dem Beitritt ihre nationalen Sprachengesetze auf Drängen des Assoziationsrates der Europäischen Union hin entschärft, so etwa Estland, Lettland und Polen. 281 Siehe dazu die Antwort von Mario Monti im Namen der Kommission vom 30. 11. 1995

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oder Bedienungsanleitung, der Beschreibung des Umfangs und den Garantiebedingungen von Gütern, Produkten oder Dienstleistungen sowie in Rechnungen und Quittung die französische Sprache zu benutzen ist. Gleiches gilt gemäß Art. 2 Abs. 3 bei jeder schriftlichen, gesprochenen oder audiovisuellen Werbung und gemäß Art. 2 Abs. 4 für mit Markenzeichen eingetragenen Vermerken und Informationen. Art. 3 Abs. 1 bestimmt, daß jede auf offener Straße, in einem der Öffentlichkeit zugänglichen Ort oder in einem öffentlichen Verkehrsmittel angebrachte Aufschrift oder Anzeige bzw. gemachte Mitteilung, die der Unterrichtung der Öffentlichkeit dient, in französischer Sprache verfaßt sein muß. In den Fällen, in denen die nach Art. 2 und Art. 3 genannten Vermerke, Mitteilungen und Aufschriften durch eine oder mehrere Übersetzungen 282 ergänzt werden, muß die französische Fassung gemäß Art. 4 Abs. 2 ebenso leserlich, hörbar oder verständlich sein wie die Fassung in den anderen Sprachen. Gemäß Art. 12 Abs. 1 ist die französische Sprache bei allen Sendungen und Werbungen, die von den Rundfunk- und Fernsehanstalten ausgestrahlt werden, unabhängig von der Art der Ausstrahlung oder Verbreitung und außer bei Kinofilmen und audiovisuellen Werken zu verwenden. Wenn die genannten Sendungen oder Werbungen von Übersetzungen in Fremdsprachen begleitet werden, muß die französische Fassung nach Art. 12 Abs. 4 ebenso leserlich, hörbar oder verständlich sein wie die Fassungen in der Fremdsprache. Grobe Zuwiderhandlungen werden gemäß einer dazu ergangenen Ausführungsverordnung mit Geldbußen belegt.283 Der Conseil constitutionnel hat mit der Entscheidung Nr. 94–345 DC vom 29. Juli 1994284 in Artikel 1 einige Vorschriften der loi Toubon für mit der französischen Verfassung teilweise unvereinbar erklärt. Das Verdikt der Verfassungswidrigkeit betrifft allerdings nicht die oben genannten Vorschriften über das Angebot und die Bezeichnung von Waren sowie die Werbung hierfür, die in Art. 2 Abs. 1 und Abs. 3 sowie in Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes festgelegt sind. Daher bleibt zu klären, ob derartige Bestimmungen mit Art. 28 EG und Art. 49 EG vereinbar sind. b) Das novellierte polnische Sprachschutzgesetz von 2004 Das novellierte Gesetz über die polnische Sprache, das rechtzeitig zum Beitritt Polens zur Europäischen Union am 1. 5. 2004 in Kraft getreten ist, mildert die umfassenden Regelungen des Gesetzes vom 7. Oktober 1999 über die polnische auf die schriftliche Anfrage des Abgeordneten Gerhard Schmid (PSE) vom 18. 10. 1995 betreffend die französische loi Toubon, ABl. EG Nr. C 56, S. 45. 282 Nach Art. 4 Abs. 2 ist die französische Textfassung stets die Ursprungsfassung, fremdsprachige Textfassungen können lediglich beigegeben werden; ebenso Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 101. 283 Zu den Einzelheiten siehe Endrös, RIW 1995, 17 (21). 284 Abrufbar unter der Internetadresse http://www.conseil-constitutionnel.fr/decision/ 1994/94345dc.htm.

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Sprache285 , das in Polen seit dem 8. Mai 2000 galt, erheblich ab. Nach der Novelle ist der Gebrauch der polnischen Sprache im Privatrechtsverkehr mit Verbrauchern sowie bei der Erfüllung arbeitsrechtlicher Vorschriften obligatorisch, sofern der Verbraucher bzw. der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seinen Wohnsitz in Polen hat und die Vertragsleistungen auf dem Territorium der Republik Polen erbracht werden sollen (Erfüllung). Das bedeutet, daß die Bezeichnung von Waren und Dienstleistungen, der Inhalt von Angeboten, Gebrauchsanweisungen, Rechnungen, Garantiebedingungen sowie Werbung nach wie vor in der polnischen Sprache abzufassen sind, wenn sie im Rechtsverkehr mit Verbrauchern Verwendung finden sollen. Das ist lediglich dann entbehrlich, wenn die Gebrauchsanweisungen und Produktinformationen in graphischer Form allgemein verständlich sind. Alle Dokumente, insbesondere Verträge mit Verbrauchern bzw. Arbeitnehmern, sind ebenfalls in polnischer Sprache zu verfassen. Für EG-ausländische Verbraucher und Arbeitnehmer sieht die Neuregelung Ausnahmen vor. Auf Antrag von Arbeitnehmern bzw. Verbrauchern, die aus einem anderen Mitgliedstaat stammen, genügt es, wenn der Vertrag in einer von den Parteien vereinbarten Sprache erstellt wird. Verstöße gegen das Gesetz werden mit Geldbußen geahndet. Bei Verträgen zwischen Unternehmern findet das Gesetz in Abänderung der früheren Rechtslage keine Anwendung mehr, so daß im sogenannten „B2B“-Verkehr die bisherigen sprachlich bedingten Marktzutrittsbeschränkungen des Gesetzes vom 7. Oktober 1999 weggefallen sind. 3. Vereinbarkeit nationaler Sprachregelungen betreffend die Produktkennzeichnung und die Werbung für Waren oder Dienstleistungen mit Art. 28 EG und Art. 49 EG a) Etikettierungsvorschriften aa) Beschränkung des freien Warenverkehrs Nationale Sprachregelungen, die wie beispielsweise Art. 2 Abs. 1 der französischen loi Toubon die Nationalsprache bei der Etikettierung von Waren (sowie der Bezeichnung von Dienstleistungen) vorschreiben, können Hemmnisse für den freien Warenverkehr bedeuten. 286 Zwar zielt die genannte Vorschrift nicht direkt auf eine Beschränkung von Importen EG-ausländischer Waren (und Dienstleistungen) nach Frankreich ab, so daß eine unmittelbare Diskriminierung ausscheidet; doch verursacht das Inverkehrbringen von Waren in Frank285 Dziennik Ustaw Nr. 90/Pos. 999, S. 4782–4784. Ausführlich zu dieser früheren Fassung des Gesetzes, auf die hier nicht näher eingegangen wird, Perdeus, WiRO 2004, 72 ff. und Klapsa, WiRO 2000, 233 ff. 286 Der Aspekt, daß bei der Etikettierung von Lebensmitteln speziellere Richtlinienregelungen einschlägig sind, die die Anwendung der Artt. 28 ff. EG sperren, soll angesichts der obigen umfassenden Darstellung der Problematik hier außer Betracht bleiben.

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reich Kosten, weil die Produkte umetikettiert und gegebenenfalls neu verpackt werden müssen, um den Anforderungen des Art. 2 Abs. 1 zu genügen. Derartige Kosten sind nach der zutreffenden Rechtsprechung des EuGH in der Rs. Mars als Handelshemmnisse zu bewerten.287 Die Regelung gilt zwar formal unterschiedslos für alle in Frankreich in Verkehr gebrachten Produkte, sie benachteiligt aber tatsächlich ausländische gegenüber inländischen Waren und unterfällt damit der sogenannten Dassonville-Formel des EuGH, derzufolge alle unmittelbaren und mittelbaren, tatsächlichen und potentiellen Hindernisse für den freien Warenverkehr von dem Tatbestand des Art. 28 EG erfaßt werden. Es handelt sich zumindest um eine Beschränkung im Sinne dieser Bestimmung. Man kann sie auch als materielle288 , versteckte oder mittelbare Diskriminierung qualifizieren, da die Abgrenzung zwischen den Begriffen der Beschränkung und der mittelbaren Diskriminierung ohnehin nicht trennscharf durchgeführt werden kann. Der Umstand, daß Verstöße gegen Art. 2 Abs. 1 der loi Toubon von der zuständigen Behörde mit Geldbuße geahndet werden können, ist ein zusätzliches Argument für eine tatsächliche Eignung zur handelsbeschränkenden Wirkung der Regelung. bb) Keine bloße Verkaufsmodalität Als produktbezogene Regelung kann Art. 2 Abs. 1 der loi Toubon auch nicht als eine vom Tatbestand des Art. 28 EG ausgenommene Bestimmung über Verkaufsmodalitäten im Sinne der Keck-Rechtsprechung betrachtet werden, da die Produktverpackung verändert werden muß, um den nationalen rechtlichen Anforderungen zu genügen.289 cc) Rechtfertigung durch die Ziele des Verbraucherschutzes und des Schutzes des nationalen Kulturguts? Somit kann die Regelung nur noch über die geschriebenen Rechtfertigungsgründe des Art. 30 EG – die hier sämtlich nicht einschlägig sind – 290 oder über ungeschriebene zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie den Verbraucherschutz oder den Schutz des nationalen Kulturguts gerechtfertigt werden. Die loi Toubon intendiert neben dem im Gesetz ausdrücklich als Ziel genannten Schutz der französischen Sprache als Teil des Kulturerbes Frankreichs (Art. 1 287 EuGH, Urt. v. 6. 7. 1995 – Rs. C-470/93, Slg. 1995, I-1923 Tz. 13 f. = EuZW 1995, 611 – Verein gegen das Unwesen in Handel und Gewerbe Köln e.V./Mars GmbH; zustimmend Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 103; Endrös, RIW 1995, 17 (22); Ludl, JA 1995, 996 (996 f., 998). 288 Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 106. 289 Siehe die Nachweise oben Fn. 272. 290 Siehe dazu die oben in Fn. 261 zu Art. 30 EG gemachten Ausführungen betreffend den Schutz von Kulturgütern von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert, zu denen die Sprachpolitik nicht zählt, und Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 109 f. (zu Art. 4 Abs. 2 loi Toubon).

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Abs. 1) zugleich auch den Schutz der Verbraucher, indem sie in Art. 2 Abs. 1 bestimmt, daß die Etikettierung von Produkten in französischer Sprache zu erfolgen hat.291 Hinsichtlich des Zieles Verbraucherschutz ist die Verhältnismäßigkeit der Vorschrift in Zweifel zu ziehen. Zwar ist Art. 2 Abs. 1 der loi Toubon grundsätzlich geeignet, Verbraucher in Frankreich vor Täuschung und Irreführung zu schützen. 292 Doch ist die Erforderlichkeit der Regelung zu verneinen. 293 Die Bestimmung ist umfassend angelegt; sie gilt für alle Güter, Produkte und Dienstleistungen, die in Frankreich in Verkehr gebracht werden, d. h. die Verpflichtung wurde etwa nicht auf solche Produkte beschränkt, die beispielsweise wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit für die Verbraucher eine umfassende Aufklärung über Bestandteile und Anwendungsrisiken erforderlich machen. Weiter wird nach Maßgabe der Vorschriften der loi Toubon nicht untersucht, ob der Verbraucher eine fremdsprachige Information, die auch einfach gehalten sein kann und die insbesondere bei englischsprachigen Produktnamen und Werbeslogans auf keine ernstzunehmenden Verständnishindernisse bei französischen Verbrauchern stoßen dürfte, tatsächlich verstehen kann. 294 Ein generelles Verbot der Einbettung fremdsprachiger Begriffe in eine ansonsten in französischer Sprache abgefaßten Information erscheint unter dem Blickwinkel des Verbraucherschutzes als unverhältnismäßig und kann allenfalls mit dem Erfordernis des Schutzes der französischen Sprache begründet werden. Des weiteren erlaubt das Gesetz keine Kurzwiedergabe von wesentlichen Informationen in französischer Übersetzung, 295 da Art. 4 Abs. 2 diesbezüglich fordert, daß die französische Fassung ebenso leserlich, hörbar oder verständlich sein muß wie die Fassung in anderen Sprachen. 296 Eine alternative Unterrichtung französischer Verbraucher mit Hilfe von Zeichnungen, Piktogrammen und Symbolen etc. unter Beibehaltung der fremdsprachigen Etikettierung im übrigen ist ebenfalls generell nicht erlaubt. 297 Insgesamt wird der Grundsatz der Verhältnismä291 Die verbraucherschützende Zielsetzung des Gesetzes bejaht Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 107 unter Hinweis auf den Runderlaß vom 19. 3. 1996 zur Ausführung der loi Toubon, S. 4, Rn. 2.1.3.; insoweit zweifelnd Recq, AnwBl. 1997, 151 (156); ablehnend in bezug auf die Verpflichtung zur Übersetzung von Produktnamen, Werbeslogans und eingetragenen Warenzeichen respektive Marken Endrös, RIW 1995, 17 (23). Den Kritikern kann in Einzelfragen durchaus beigepflichtet werden, doch sollte auch außer Frage stehen, daß eine Verbraucherinformation in der Sprache des Absatzgebiets grundsätzlich dem Ziel des Verbraucherschutzes Rechnung trägt, so daß Art. 2 Abs. 1 der loi Toubon jedenfalls grundsätzlich geeignet ist, objektiv den Schutz französischsprechender Verbraucher in Frankreich zu dienen. 292 Ebenso Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 107. 293 Siehe auch Endrös, RIW 1995, 17 (23); a. A. Ludl, JA 1995, 996 (998). 294 Siehe auch Recq, AnwBl. 1997, 151 (156); Endrös, RIW 1995, 17 (24). 295 Siehe Recq, AnwBl. 1997, 151 (156). 296 Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 108 f. qualifiziert Art. 4 Abs. 2 unter dem Blickwinkel des Verbraucherschutzes als unverhältnismäßig. 297 Auf diese Möglichkeit stellt auch Endrös, RIW 1995, 17 (24) ab.

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ßigkeit daher unter dem Blickwinkel des Allgemeininteresses „Schutz der französischen Verbraucher“ von Art. 2 Abs. 1 loi Toubon nicht gewahrt. 298 Es kommt allerdings in Betracht, daß die in Art. 2 Abs. 1 loi Toubon getroffenen Maßnahmen als kulturpolitische Maßnahmen gerechtfertigt werden können. Dazu müßte zunächst die nationale Kulturpolitik der Mitgliedstaaten als ein ungeschriebener zwingender Grund des Allgemeinwohls anerkannt werden können. Im Schrifttum wird das zum Teil bejaht. Die Befürworter dieser Ansicht tragen vor, daß die Maßnahmen der loi Toubon auf einer legitimen kulturpolitischen Entscheidung des nationalen Gesetzgebers beruhten, die dem EGvertraglichen Allgemeininteresse nicht widerspreche und ihren Zweck nicht darin habe, den freien Warenverkehr zu reglementieren. 299 Diese Argumentation begegnet jedoch Bedenken. Die geschriebenen wie die ungeschriebenen Ausnahmen vom Grundsatz des freien Warenverkehrs sind nämlich eng auszulegen. Der EuGH hat zwar eine ganze Reihe an völlig unterschiedlichen Gemeinwohlzielen als zwingende Gründe des Allgemeininteresses anerkannt; das bedeutet aber nicht, daß dies ohne weiteres auch für die staatliche Sprachenpolitik und -gesetzgebung im allgemeinen gelten müsse. Nicht jedes legitime Anliegen nationaler Gesetzgeber ist zugleich auch ein zwingender Grund des Allgemeininteresses im Sinne des europäischen Gemeinschaftsrechts. Anderenfalls würde der dort geltende Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmevorschriften zu den Grundfreiheiten in sein Gegenteil verkehrt und die praktische Wirksamkeit derselben erheblich gefährdet. Wie gezeigt, ist Art. 30 EG vorliegend nicht einschlägig. Der EuGH hat zu Art. 56 EG entschieden, daß die Kulturpolitik der Mitgliedstaaten nicht zu den dort genannten Rechtfertigungsgründen zähle.300 Das Verlangen nach der Beherrschung einer bestimmten Sprache hat der Gerichtshof lediglich in der Rs. Groener anerkannt, wo es um die Kenntnis des Gälischen für eine Vollzeitstelle an einer öffentlichen Berufsbildungseinrichtung in Dublin und damit um mögliche Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit ging. Ist die Erfassung einer nationalen Sprachenpolitik durch die geschriebenen Rechtfertigungsgründe des EG-Vertrags bzw. wie in der Rs. Groener von spezielleren EG-Verordnungen problematisch, so überzeugt es systematisch nicht, nach Ablehnung der Einschlägigkeit des Art. 30 EG als geschriebenem Rechtfertigungsgrund die sprachliche Kulturpolitik als Allgemeininteresse und noch dazu als ein zwingendes zu bezeichnen. Die nationale Sprachenpolitik darf, wie der EuGH in der Rs. Groener festgestellt hat, die Ausübung der Grundfreiheiten nicht beeinträchtigen, sie muß ver-

298 Ebenso Recq, AnwBl. 1997, 151 (156); Endrös, RIW 1995, 17 (23 f.); a. A. Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 108 und Ludl, JA 1995, 996 (998). 299 Ludl, JA 1995, 996 (998). 300 EuGH, Urt. v. 4. 5. 1993 – Rs. C-17/92, Slg. 1993, I-2239; Leitsatz und Tz. 20 – Federación de Distribuidores cinematográficos.

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Erster Teil: Grundlagen

hältnismäßig sein und darf nicht zu einer Diskriminierung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten führen.301 Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung die in Art. 1 des Gesetzes formulierte Zwecksetzung einer nationalen Sprachenpolitik unter dem Aspekt der Wahrung der kulturellen Identität trotz der oben formulierten systematischen Bedenken als einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses akzeptierte, müßte der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt sein. Das ist jedoch auch unter diesem Aspekt nicht der Fall.302 Als ein milderes Mittel käme beispielsweise die Anordnung einer zweisprachigen Etikettierung von Produkten in Betracht. Das ist ein Gedanke, der in Art. 4 Abs. 2 loi Toubon immerhin ansatzweise zum Ausdruck kommt.303 Eine solche Vorgabe verursacht zwar ebenfalls die bereits weiter oben als handelsbeschränkend qualifizierten Kosten, doch wird das Herkunftslandprinzip insoweit praktisch gewahrt, als zumindest der Gebrauch der Sprache des Herkunftslands nicht ausgeschlossen ist. Die Vorgaben in Art. 4 Abs. 2 der loi Toubon sind allerdings ihrerseits als unverhältnismäßig zu qualifizieren, da die Vorschrift verlangt, daß die Etikettierung in französischer Sprache und diejenige des Herkunftsstaats einander in der Größe und in der Plazierung auf der Verpackung entsprechen, statt sich auf eine ausreichend wahrnehmbare und leserliche Etikettierung in französischer Sprache zu beschränken.304 Nationale Sprachvorschriften vom Typus der Artikel 2 Abs. 1 und 4 Abs. 2 loi Toubon sind im Ergebnis mit Art. 28 EG unvereinbar, da sie jedenfalls dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht genügen. b) Sprachvorschriften betreffend die Bewerbung von Produkten und Dienstleistungen aa) Abgrenzung zwischen den Regeln des freien Waren- und des freien Dienstleistungsverkehrs Eine vergleichbare Problematik bieten nationale Sprachvorschriften über die Werbung, soweit sie Regelungen wie in Art. 2 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 sowie Art. 12 Abs. 1 und Abs. 4 loi Toubon beinhalten. Es kann sich dabei entweder um verbotene Beschränkungen des freien Warenverkehrs oder um solche des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 49 EG) handeln. Der im Wortlaut des Art. 50 Abs. 1 EG zum Ausdruck kommende subsidiäre Charakter der 301 EuGH, Urt. v. 28. 11. 1989 – Rs. 379/87, Slg. 1989, 3967 Tz. 19 – Groener/Minister for Education and City of Dublin Vocational Education Committe (Groener). 302 Ebenso Recq, AnwBl. 1997, 151 (156); Endrös, RIW 1995, 17 (23 f.); a. A. Ludl, JA 1995, 996 (998). 303 Die Vorschrift geht allerdings davon aus, daß die französische Fassung das Original darstellt und alle anderen Sprachfassungen Übersetzungen, ohne zwischen in- und ausländischen Produkten zu differenzieren. Das Herkunftslandprinzip des Europarechts fi ndet in dieser Gesetzgebung nirgends einen Ausdruck. 304 Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 108 f.

§ 2 Sprachregulierung durch Rechtsvorschriften

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Dienstleistungsfreiheit macht eine Abgrenzung zwischen der Dienstleistungsund der Warenverkehrsfreiheit erforderlich. Die Abgrenzung zur Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EG kann notwendig werden, wenn die grenzüberschreitende Lieferung einer Ware mit Dienstleistungen verbunden ist, bzw. wenn bei einer gemischten Leistung nicht eindeutig ist, welche Elemente überwiegen. In derartigen Fällen kommt sowohl eine Aufspaltung der Bereiche als auch eine Schwerpunktsetzung in Betracht. Der EuGH hat beide Lösungswege schon vertreten.305 Die Ausstrahlung von Fernsehsendungen hat er ihrer Natur nach als Dienstleistungen im Sinne des Art. 49 EG bewertet.306 Regelungen wie diejenigen in Art. 12 Abs. 1 und Abs. 4 loi Evin sind daher an den Artt. 49 ff. EG zu messen.307 Gleiches gilt nach der zitierten Rechtsprechung des EuGH auch für die Werbung mittels Werbetafeln, während Teile der Literatur insoweit Art. 28 EG für einschlägig halten.308 Auf der Grundlage der Schwerpunkttheorie gelangt man bei Werbemaßnahmen regelmäßig zur Anwendbarkeit der Artt. 49 ff. EG. Dies ist vor dem Hintergrund der Vollwertigkeit des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs und unter der Berücksichtigung der faktischen Derogation der Subsidiaritätsklausel infolge des starken Wachstums des Dienstleistungssektors in der Gemeinschaft in den vergangenen Jahrzehnten auch konsequent. Die Gegenauffassung, die die Maßnahmen der Werbung auf Plakaten, Tafeln, Anzeigen und Blättern den Artt. 28 ff. EG zuordnet und lediglich die Rundfunk- und Fernsehwerbung nach Artt. 49 EG beurteilt, ist jedoch mit guten Gründen vertretbar, insbesondere wenn man darauf abstellt, daß die Subsidiaritätsklausel der Dienstleistungsfreiheit bei keiner der zahlreichen Vertragsrevisionen seit der Gründung der Europäischen (Wirtschafts-)Gemeinschaft gestrichen wurde. Im Ergebnis dürfte die Anwendung des einen wie des anderen Regelungskomplexes auf staatliche Regelungen betreffend die Werbung wegen der weitgehend deckungsgleichen Prüfungsmaßstäbe bei der Rechtfertigung nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen in bezug auf die Gemeinschaftsrechtskonformität führen. bb) Anwendung der Artt. 49 ff. EG auf Maßnahmen der Rundfunkund Fernsehwerbung Maßnahmen der Rundfunk- und Fernsehwerbung, wie sie Art. 12 Abs. 1 und Abs. 4 loi Toubon regeln, sind unstreitig nach Artt. 49 ff. EG zu beurteilen. Daher sollen sich die nachfolgenden Bemerkungen auf diesen Normenkomplex 305

Pache, in: Ehlers, Europäische Grundfreiheiten und Grundrechte, § 11 Rn. 37. EuGH, Urt. v. 30. 4. 1974 – Rs. 155/73, Slg. 1974, 409, 3. Leitsatz = GRUR Int. 1974, 279 – Sacchi; zuletzt EuGH, Urt. v. 13. 7. 2004 – Rs. C-262/02, Slg. 2004, I-6569 Tz. 26 = EuZW 2004, 499 – Kommission/Frankreich („loi Evin“); vgl. auch das Parallelverfahren in der Rs. C-429/02, Slg. 2004, I-6613 = EuZW 2004, 497 – Bacardi France/Télévision française. 307 Ebenso Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 116. 308 Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 116, 124 mit weiteren Nachweisen aus dem Schrifttum a.a.O., S. 115 mit Fn. 502; Endrös, RIW 1995, 17 (19). 306

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Erster Teil: Grundlagen

beschränken.309 Eine Verpflichtung wie jene des Art. 12 Abs. 1 loi Toubon, bei allen Sendungen und Werbungen, die von Rundfunk- und Fernsehsendern in Frankreich ausgestrahlt werden, die französische Sprache zu verwenden, sowie die Regelung in Art. 12 Abs. 4 loi Toubon, wonach Übersetzungen in Fremdsprachen ebenso leserlich, hörbar oder verständlich sein müssen wie die fremdsprachlichen Fassungen, sind grundsätzlich geeignet, den freien Dienstleistungsverkehr zu einzuschränken. Ob Art. 49 EG vorliegend einschlägig ist, hängt allerdings davon ab, ob der Sachverhalt der novellierten Richtlinie 89/552/EWG310 , der sogenannten „Fernsehen-ohne-Grenzen“-Richtlinie, unterfällt. In diesem Fall greift nach der neueren EuGH-Judikatur allein das Sekundärrecht als Beurteilungsgrundlage ein (Anwendungsvorrang des EG-Sekundärrechts). Da Art. 2a Abs. 1 der sogenannten „Fernsehen-ohne-Grenzen“-Richtlinie die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten und den freien Empfang dieser Sendungen gewährleistet, greift Art. 49 EG für Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten, die in Frankreich ausgestrahlt werden, folglich nicht ein. Die Vereinbarkeit von Art. 12 Abs. 1, Abs. 4 loi Toubon mit der Richtlinie 89/552/ EWG ist zu bejahen, soweit Werbemaßnahmen von Fernsehveranstaltern betroffen sind, die der Rechtshoheit der Republik Frankreich unterworfen sind.311 Aus einer Zusammenschau von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie und deren 44. Erwägungsgrund ergibt sich, daß die Mitgliedstaaten sprachpolitische Ziele im Anwendungsbereich der Richtlinie verwirklichen dürfen, die über den Gemeinschaftsrechtsstandard hinausgehen.312 Gemäß Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie un309 Hinsichtlich der gemeinschaftsrechtlichen Beurteilung der anderen genannten Vorschriften über Werbung sei auf die Darstellung bei Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 110 ff. verweisen. 310 Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. 10. 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. EG Nr. L 298, S. 23 ff., geändert durch die Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. 6. 1997 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. EG Nr. L 202, S. 60 ff. Diese Richtlinie ist zuletzt durch die Richtlinie 2007/65/EG vom 11. 9. 2007 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (sog. Richtlinie audiovisuelle Mediendienste), ABl. EU Nr. L 332, S. 27 ff., geändert worden. Der Text bezieht sich auf die Rechtslage nach Maßgabe der Bestimmungen der Richtlinie 89/552/EG. 311 Ebenso Theme, Sprache und Gesetzgeber, S. 143. 312 Der 44. Erwägungsgrund 89/552/EG der Richtlinie bestimmt dazu: „(. . .) Die Mitgliedstaaten können für Fernsehveranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind, strengere oder ausführlichere Bestimmungen in den durch diese Richtlinie koordinierten Bereichen vorsehen, unter anderem Bestimmungen zur Realisierung sprachenpolitischer Ziele, zum Schutz der Interessen der Allgemeinheit in bezug auf den Informations-, Bildungs-, Kulturund Unterhaltungsauftrag des Fernsehens, zur Wahrung der Informations- und Medienvielfalt und zum Schutz des Wettbewerbs im Hinblick auf die Verhinderung des Mißbrauchs beherrschender Stellungen und/oder der Schaffung oder des Ausbaus beherrschender Stellungen

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terliegen diejenigen Fernsehveranstalter der Rechtshoheit der Republik Frankreich, die in Frankreich niedergelassen sind oder auf die Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie anwendbar ist. Nach der letztgenannten Norm gelten auch diejenigen Fernsehveranstalter als Veranstalter, die der Rechtshoheit der Französischen Republik unterliegen, die eine von ihr zugeteilte Frequenz (lit. a), eine ihr gehörende Übertragungskapazität eines Satelliten (lit. b) oder eine Erd-SatellitenSendestation in Frankreich (lit. c) nutzen. Die Niederlassung im Sinne des Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie ist folglich nicht die einzige Möglichkeit, durch die EGausländische Veranstalter gemäß der Richtlinie dem rechtlichen Regime der Französischen Republik – einschließlich der durch Art. 3 Abs. 1 legitimierten strengeren sprachpolitischen Bestimmungen – unterworfen werden können. Die Richtlinie 89/552/EWG gilt allerdings nur für die Fernseh-, nicht aber für die Rundfunkwerbung, die ihrerseits auch von Art. 12 Abs. 1 und Abs. 4 loi Toubon erfaßt wird. In den Fällen, in denen eine bestimmte Form der Werbung – hier die Rundfunkwerbung – vom EG-Sekundärrecht nicht abschließend geregelt wird, greift Art. 49 EG deshalb unmittelbar ein. Die für einen Verstoß erforderliche handelsbeschränkende Wirkung einer Bestimmung, die die Verwendung der Nationalsprache bei der Werbung vorschreibt, wäre wegen der damit verbundenen Transaktionskosten zu bejahen. Bei der Rechtfertigungsprüfung sind mangels Einschlägigkeit der geschriebenen Rechtfertigungsgründe des Art. 46 EG die ungeschriebenen zwingenden Gründe des Allgemeinwohls – hier wiederum der Verbraucherschutz und der Schutz der Nationalsprache als Kulturgut – zu prüfen. Hier ist dasjenige zu wiederholen, was oben zur Rechtfertigung der Beschränkungen des freien Warenverkehrs durch nationale Etikettierungsbestimmungen gesagt wurde, nämlich daß nationale Werbebeschränkungen der genannten Art zumindest gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Dessen ungeachtet ist schon die Qualifizierung einer nationalen Sprachpolitik als ein zwingendes Erfordernis des Allgemeinwohls problematisch. Die Fernsehrichtlinie 89/552/EWG wurde im Dezember 2007 durch die sog. Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste313 erneut novelliert. Die Mitgliedstaaten haben bis zum 19. Dezember 2009 Zeit für die Umsetzung in das nationale Recht. Die Richtlinie 2007/65/EG enthält keine weitergehenden Äußerungen oder Vorgaben des Inhalts, daß die Mitgliedstaaten sprachenpolitische Zielsetzungen verfolgen dürfen, schließt das aber auch nicht aus.314 Art. 3 der durch Zusammenschlüsse, Absprachen, Übernahmen oder ähnliche Maßnahmen. Derartige Bestimmungen müssen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein.“ 313 Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11. 12. 2007 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. EU v. 18. 12. 2007, Nr. L 332, S. 27. 314 Vgl. den ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/65/EG, die unter anderem „die Achtung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt“ sicherstellen soll.

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Erster Teil: Grundlagen

Richtlinie, der den Erlaß strengerer mitgliedstaatlicher Bestimmungen ermöglicht, wurde lediglich neu gefaßt, nicht beseitigt. 4. Die Beschränkung der Verpflichtung zur Verwendung der Nationalsprache gegenüber einheimischen Verbrauchern und Arbeitnehmern a) Das novellierte Gesetz über die polnische Sprache ist wie oben ausgeführt auf Vertragsschlüsse zwischen polnischen und EG-ausländischen Unternehmen nicht anwendbar, so daß insoweit Verstöße gegen Art. 28 oder Art. 49 EG von vornherein ausscheiden. Wird die Verpflichtung zur Verwendung der Nationalsprache oder Amtssprache auf den Privatrechtsverkehr mit Verbrauchern und Arbeitnehmern, die in diesem Mitgliedstaat ansässig sind, beschränkt, so kommt gleichwohl ein Verstoß gegen Art. 28 oder Art. 49 EG in Betracht. Das ist namentlich seit den Osterweiterungen der Gemeinschaft zum 1. Mai 2004 und 1. Januar 2007 von praktischer Relevanz. b) Ausnahmeregelungen des Gesetzes über die polnische Sprache zugunsten nichtstaatsangehöriger Verbraucher oder Arbeitnehmer mildern das Problem ab, beseitigen aber nicht zugleich alle sprachbedingten Kosten und die aus diesen resultierenden Marktzugangshindernisse. Wenn beispielsweise ein Unternehmer aus Deutschland mit einem in Polen ansässigen Verbraucher kontrahieren wollte, von dem er weiß, daß er die deutsche Sprache gut beherrscht, dürfte er gleichwohl keinen Vertrag nur in deutscher Sprache abschließen. Das wäre – auf Antrag – lediglich mit einem in Polen ansässigen deutschen Staatsangehörigen möglich. In einer solchen Regelung liegt eine unverhältnismäßige Beschränkung des freien Waren- bzw. Dienstleistungsverkehrs. Der Aspekt des Verbraucherschutzes der polnischen Bevölkerung erfordert nicht mehr als eine Sicherstellung der Verständlichkeit der Information für den polnischen Verbraucher. Über diese Zielsetzung schießt die Regelung im Beispielsfall hinaus. Die Verfolgung einer nationalen Sprachpolitik kann richtigerweise weder unter die einschlägigen geschriebenen Rechtfertigungsgründe des Vertrags (hier Art. 30 und Art. 46 EG) noch unter die ungeschriebenen zwingenden Gründe des Allgemeinwohls subsumiert werden. Vor dem Hintergrund der wechselvollen Geschichte Polens und der besonderen Bedeutung der Sprachenfrage für die Sicherung der nationalen Identität 315 wird man die politische Legitimität der 315 Das polnische Parlament, der Sejm, hat dem Gesetz vom 7. 10. 1999 vier Erwägungsgründe vorangestellt. Darin wird betont, daß die polnische Sprache „ein Grundelement der nationalen Identität und ein Kulturgut“ sei. Weiter wird auf die geschichtlichen Erfahrungen abgestellt, „als die Bekämpfung der Sprache durch Eroberer und Okkupanten ein Werkzeug der Entnationalisierung war“. Der Schutz der nationalen Identität im Globalisierungsprozeß wird als eine „Notwendigkeit“ bezeichnet. Es wird ausgeführt, „daß die polnische Kultur ein Bestandteil beim Bau des gemeinsamen kulturvielfältigen Europas ist und daß die Bewahrung dieser Kultur nur durch den Schutz der polnischen Sprache möglich ist“. Schließlich wird dieser Schutz als „Pfl icht für alle Organe und öffentliche Institutionen der Republik Polen und als Schuldigkeit ihrer Bürger vor diesem Gesetz“ bezeichnet.

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politischen Zielsetzung einer solchen Sprachegesetzgebung nicht ernsthaft in Zweifel ziehen können. Das ändert aber nichts an der Systemwidrigkeit derselben innerhalb des Systems der Grundfreiheiten und in bezug auf die Zielsetzung der Binnenmarktverwirklichung (vgl. Art. 14 Abs. 2 EG). Anerkennt man die polnische Sprachenpolitik entgegen den hier formulierten Bedenken gleichwohl als einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses, müßte in jedem Fall auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt sein. Das ist aber nicht der Fall, weil mildere Mittel zur Verfügung stehen, um das Ziel eines effektiven Schutzes der polnischen Sprache zu erreichen. Die genannten Vorschriften sind zur Zielverwirklichung zwar geeignet, aber nicht erforderlich. Die nur zugunsten von EG-Ausländern geltende Ausnahmeregelung, die es ermöglicht, einen Vertrag in einer anderen als der polnischen Sprache zu schließen, sofern der Verbraucher bzw. Arbeitnehmer zuvor über sein Recht zur Ausfertigung des Vertrags in polnischer Sprache belehrt wurde, wäre zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf alle Verbraucher und Arbeitnehmer, d. h. auch auf polnische, mit Wohnsitz in Polen auszuweiten. Das heute in der normierten Ausnahmeregelung für EG-Ausländer zusätzlich festgelegte Antragserfordernis müßte entfallen, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen. Eine andere Möglichkeit, um die existierenden Marktzugangshindernisse vollständig zu beseitigen und zur Europarechtskonformität zu gelangen, besteht darin, die EG-ausländischen Unternehmer von dem Sprachschutzgesetz auszunehmen, so daß eine reine – d. h. i. S. des Europarechts – zulässige Inländerdiskriminierung vorläge. Diese Maßnahme nähme dem Gesetz freilich seinen eigentlichen Sinn und erscheint kann daher nur als eine hypothetische betrachtet werden.

D. Zusammenfassung I. Die Zuständigkeit für die Festlegung konkreter Sprachenvorgaben im Geschäftsverkehr liegt bei den Mitgliedstaaten. Diese haben ihrerseits – ebenso wie die EG und ihre rechtsetzenden Organe – die Anforderungen des primären Gemeinschaftsrechts zu beachten. Die Festlegung der Amtssprache(n) der Mitgliedstaaten als im Privatrechtsverkehr zwingend zu verwendendeR Sprache(n) wirken sich als Handelshemmnisse in bezug auf den Binnenmarkt aus. Derartige nationale Sprachregeln können im Ergebnis nicht durch Allgemeininteressen wie den Verbraucherschutz oder den Schutz der nationalen Identität als Element des nationalen Kulturguts gerechtfertigt werden, da sie mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar sind.316

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Zutreffend Endrös, RIW 1995, 17 (23); a. A. Ludl, JA 1995, 996 (998).

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Erster Teil: Grundlagen

II. Der Begriff „leicht verständliche Sprache“ bezieht sich nicht unmittelbar auf die Sprache selbst, sondern auf die Klarheit und Verständlichkeit des Ausdrucks und die Sprachebene. Er darf insbesondere nicht mit einer Verpfl ichtung zur Verwendung der Amts- oder Nationalsprache(n) eines Mitgliedstaats gleichgesetzt werden.

§ 3 Kollisionsrechtliche Vorfragen A. Grundlagen I. Die Bedeutung des Internationalen Privatrechts für die Lösung von Sprachenfragen 1. Die Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung durch das staatliche Kollisionsrecht Die vorliegende Monographie richtet sich vornehmlich auf die Lösung von Sprachenfragen gemäß den Vorschriften des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches. Dessen Anwendbarkeit wird in den Paragraphen 5 ff. dieser Untersuchung also vorausgesetzt. Dies erscheint notwendig, um den Umfang der Untersuchung in einem vertretbaren Rahmen zu halten. Eine rechtliche Wertung des Inhalts, daß sämtliche Sprachenfragen, die sich bei der Beteiligung deutscher Privatrechtssubjekte an Vertragsbeziehungen oder in Prozessen vor deutschen Gerichten ergeben, grundsätzlich nach deutschem Recht zu beantworten wären, enthält diese Einschränkung selbstverständlich nicht. Denn die anwendbare (Vertrags-)Rechtsordnung wird – in einem logisch ersten Schritt – rechtsverbindlich durch die einschlägigen Regeln des Internationalen Privatrechts des Forums festgelegt.1 Gemäß Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB bestimmen bei Sachverhalten mit einer Verbindung zum Recht eines ausländischen Staates „die folgenden Vorschriften, welche Rechtsordnungen anzuwenden sind (Internationales Privatrecht)“. Der Wortlaut der Vorschrift impliziert die Möglichkeit der Anwendung ausländischer Rechtsordnungen durch deutsche Gerichte. 2 Kommt die Anwendung einer ausländischen Rechtsordnung im Einzelfall in Betracht, so hat das Gericht zu ihrer korrekten Bestimmung das Internationale Privatrecht von Amts wegen anzuwenden. Es ist also irrelevant, ob sich zumindest eine der Parteien auf die Anwendung ausländischen Rechts beruft.3 1

Vgl. auch Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (383). Rauscher, IPR, S. 1. Diejenigen Normen, die von überragender Bedeutung für den Privatrechtsverkehr sind – wie beispielsweise § 138 BGB und § 242 BGB – sind über die ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB unter Geltung eines fremden Vertragsstatuts durchsetzbar, vgl. Rauscher, a.a.O., S. 266. Aus der Anwendung ausländischen Rechts resultiert daher keine nicht mehr hinnehmbare Erosion wesentlicher Schutzstandards. 3 BGH NJW 1993, 2305. 2

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Erster Teil: Grundlagen

2. Die mögliche Relevanz des IPR für die Zuweisung des „Sprachrisikos“ a) Die mit dem Begriff des „Sprachrisikos“ verbundenen Fragen betreffen – überwiegend – materiellrechtliche Kategorien wie Angebot und Annahme, die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen, Fragen der Irrtumsanfechtung, die Einbeziehungen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in den Vertrag, usw.4 Gemäß Art. 32 Abs. 1 EGBGB Ziff. 1 bis 5 gilt das auf einen Vertrag anzuwendende Recht für die Auslegung, die Erfüllung bzw. Nicht- oder Schlechterfüllung und deren Folgen, das Erlöschen der Verpflichtungen, die Verjährung und die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags.5 Folglich sind die verschiedenen Aspekte des „Sprachrisikos“ innerhalb einer vertraglichen Beziehung aus dem Blickwinkel des anwendbaren Vertragsstatuts zu betrachten. 6 b) Gleichwohl wäre es verfehlt, die Fragen des „Sprachrisikos“ ausschließlich unter einem nationalen materiellrechtlichen Blickwinkel zu begutachten. Anderenfalls liefe man Gefahr, die materiellrechtliche Lösung der Sprachenfrage nach der falschen nationalen Rechtsordnung bzw. unter Mißachtung von zusätzlich zum Vertragsstatut einschlägigen ausländischen Sachrechts zu erarbeiten.7 Bedauerlicherweise ist die Praxis der Gerichte seit Jahrzehnten und offenbar staatenübergreifend durch das – vom Standpunkt des Kollisionsrechts kritikwürdige – Phänomen des „Heimwärtsstrebens“ zum eigenen Recht8 und damit einhergehend von einer Benachteiligung der ausländischen Vertragspartei9 geprägt. Im Rahmen der „Sprachrisiko“-Problematik stellt sich hier unter anderem die Frage nach einer möglichen Mißachtung des Heimatrechts der nicht sprachkundigen Partei (vgl. Art. 31 Abs. 2 EGBGB), soweit es um das Zustandekommen von Verträgen und also um das vorvertragliche Stadium geht. Man griffe daher letztlich zu kurz, wenn man den Regelungen des Internationalen Vertragsrechts im Zusammenhang mit Sprachenfragen, die im Geschäftsverkehr zwischen Privatrechtssubjekten auftreten, keine Beachtung schenken wollte und allein auf die vertraute Vertragsrechtsordnung schauen würde. 4 Freitag, IPrax 1999, 142 (148) bezeichnet das „sogenannte Sprachrisiko“ als ein „rein sachrechtliches Phänomen“; ebenso Stoll, FS Beitzke, S. 763 (767): Die richtige Zuweisung des Sprachrisikos sei „ein rein materiellrechtliches Problem der richtigen Bewertung eines Auslandssachverhaltes“ und habe mit dem Internationalen Privatrecht nichts zu tun; siehe weiter Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 221: Das deutsche Sachrecht enthalte keine allgemeine gesetzliche Regelung der Sprachenfrage. Grundsätzlich unterfalle das Sprachrisiko den Sachnormen über Angebot und Annahme, die Auslegung sowie über den Irrtum; ferner komme eine Aufklärungspflicht aus Treu und Glauben in Betracht; ferner MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 49, 90. 5 Künftig: Art. 12 Abs. 1 der Rom I-Verordnung. 6 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 220; Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (382, 393). 7 Gegen die sog. „nicht-kollisionsrechtliche Lösungen für auslandsbezogene Sachverhalte“ (vor Inkrafttreten der Artt. 27 ff. EGBGB) schon Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 96. 8 Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 95, 102; Kronke, NJW 1977, 992; Kegel/Schurig, IPR, § 2 II 3 d (S. 143). 9 Insgesamt kritisch zur Rechtsprechung Kronke, NJW 1977, 992 f.

§ 3 Kollisionsrechtliche Vorfragen

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II. Die Grundregeln der Anknüpfung und der Auslegung 1. Die Inkorporierung des EVÜ in die Artt. 27 bis 37 EGBGB a) Das EVÜ und seine Auslegung Der Fünfte Abschnitt des EGBGB regelt in den Artikeln 27 bis 37 die Einzelfragen des internationalen Schuldrechts. Die genannten Vorschriften beruhen nicht auf einer autonomen Setzung des nationalen Gesetzgebers, sondern sie fußen auf einer Vereinheitlichung durch das Römische EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ) vom 19. Juni 1980,10 das seinerseits mit Wirkung zum 17. Dezember 2009 durch die Verordnung Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) ersetzt werden wird.11 Bei der Anwendung der Artt. 27 bis 37 EGBGB ist – auch wenn das EVÜ in seinen kollisionsrechtlichen Bestimmungen in Deutschland nicht unmittelbar anzuwenden ist – zu berücksichtigen, daß die Regelungen des EVÜ einheitlich ausgelegt und angewendet werden sollen, vgl. Art. 18 EVÜ und Art. 36 EGBGB.12 Das impliziert als legitime und notwendige Auslegungshilfe die Berücksichtigung der gerichtlichen Praxis in den anderen Vertragsstaaten.13 Da es sich bei dem EVÜ um ein völkervertragsrechtliches Übereinkommen und nicht etwa um einen Teil des europäischen Gemeinschaftsrechts handelt, besteht insoweit keine originäre Auslegungskompetenz des EuGH14 , was die Bedeutung eines „Blicks über die Grenzen“ unterstreicht. Die Auslegung der in dem Übereinkommen verwendeten Begriffe hat nicht nur einheitlich (Art. 18

10

BGBl. II, S. 810. Siehe Art. 24 Abs. 1, Art. 28, Art. 29 Abs. 2 der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“), ABl. EU Nr. L 177, S. 6 v. 4. 7. 2008. Diese Verordnung fußt auf dem Vorschlag der Kommission v. 15. 12. 2005, KOM (2005) 650 endg. 12 Zum Gebot der einheitlichen Auslegung gemäß Art. 18 EVÜ vgl. Mankowski, ZEuP 2002, 811 (820 ff.) mit Rechtsprechungsnachweisen; kritisch dazu die an die Europäische Kommission gerichtete Stellungnahme der Bundesregierung (genauer: des Bundesministeriums der Justiz) zum Grünbuch über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom vom 2. 10. 2003 (Verf.: Dr. Rolf Wagner), S. 2: „Allerdings wird die von Artikel 18 EVÜ geforderte autonome, rechtsvergleichende Auslegung wie in anderen Vertragsstaaten zuweilen nicht praktiziert, obgleich sie auch nach Artikel 36 EGBG[B] vorgeschrieben ist.“ 13 Rauscher, IPR, S. 237. 14 Die Vertragsstaaten haben in zwei Protokollen vom 19. 12. 1988 entsprechend einer Gemeinsamen Erklärung vom 19. 6. 1980 dem Gerichtshof die Zuständigkeit für die Auslegung des Übereinkommens übertragen, vgl. ABl. EG Nr. C 27 vom 26. 1. 1998, S. 34 (47, 52) bzw. für die verbindlichen Sprachfassungen ABl. EG Nr. L 48, 1 (1, 17). Nach der Ratifikation durch Belgien sind die Protokolle am 1. 8. 2004 in Kraft getreten. Sie gelten für alle 15 Vertragsstaaten mit Ausnahme von Irland, das aus verfassungsrechtlichen Gründen nur das erste Protokoll ratifiziert hat; näher dazu MüKo BGB/Martiny, Art. 36 EGBGB Rn. 5, 32 ff.; Staudinger/Winkler v. Mohrenfels, Art. 11 EGBGB Rn. 41. 11

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Erster Teil: Grundlagen

EVÜ, Art. 36 EGBGB), sondern auch autonom15 zu erfolgen; sie orientiert sich also nicht an einzelnen nationalen Begriffsvorstellungen, sondern berücksichtigt rechtsvergleichend soweit wie möglich die Rechtsprechung und Doktrin aller Vertragsstaaten zum EVÜ.16 Methodisch erinnert das an die Praxis des EuGH bei der Auslegung von Normen des Gemeinschaftsrechts.17 Die in Art. 36 EGBGB normierte Auslegungsmethode statuiert eine Rechtspflicht.18 b) Weitere Auslegungshilfen aa) Eine besonders wichtige Quelle der – historischen – Auslegung des EVÜ und der Art. 27 bis 37 EGBGB ist der umfassende Bericht zu dem Übereinkommen von Giuliano und Lagarde.19 Dieser Bericht ist namentlich dort von Bedeutung, wo im Text des EVÜ Begriffe Verwendung finden, die ihrerseits keine Vorbilder in den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten haben. bb) Am 14. Januar 2003 hat die Europäische Kommission ihr „Grünbuch über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung“20 (Grünbuch Rom I) vorgelegt, das auf Erlaß einer Verordnung abzielte. Als Konsultationsergebnisse liegen die Stellungnahmen verschiedener Regierungen der Vertragsstaaten – auch eine positive Stellungnahme der deutschen Bundesregierung vom 6. Oktober 2003 – sowie weitere Stellungnahmen aus Wirtschaft und Wissenschaft vor. Der EU-Ministerrat hat den vom Europäischen Parlament am 29. November 2007 angenommenen Verordnungstext am 7. Dezember 2007 inhaltlich gebilligt. 21 Der Text der am 4. Juli 2008 veröffentlichten Rom I- Verordnung22 ist eng 15 Staudinger/Magnus, Art. 36 EGBGB Rn. 15 m. w. N.; MüKo BGB/Martiny, Art. 36 EGBGB Rn. 7, 15; Soergel/v. Hoffmann, Art. 36 EGBGB Rn. 4; aus der Rechtsprechung des BGH siehe BGHZ 123, 380 (384) = NJW 1994, 262 zur einheitlichen und autonomen Auslegung des Begriffs „Erbringung von Dienstleistungen“ in Art. 5 EVÜ (Art. 29 Abs. 1 EGBGB); zustimmend OGH Wien, ZfRV 1996, 26. 16 Staudinger/Winkler von Mohrenfels, Art. 11 EGBGB Rn. 41; Staudinger/Magnus, Art. 36 EGBGB Rn. 2, 16, 22; MüKo BGB/Martiny, Art. 36 EGBGB Rn. 27; Soergel/v. Hoffmann, Art. 36 EGBGB Rn. 13. 17 Staudinger/Magnus, Art. 36 EGBGB Rn. 9 fordert eine Auslegung, die nach Möglichkeit sowohl den Postulaten des Völker- als auch des Gemeinschaftsrechts Rechnung trägt. A.a.O., Rn. 21 plädiert er für die Übertragung der Lehre des EuGH vom effet utile auf die zielorientierte Auslegung des EVÜ. 18 Allgemeine Ansicht, vgl. Staudinger/Magnus, Art. 36 EGBGB Rn. 7; MüKo BGB/Martiny, Art. 36 EGBGB Rn. 9. 19 BT-Drucks. 10/503, S. 33. 20 KOM(2002) 654 endg., nicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. 21 Siehe dazu die Pressemitteilung des Rates der Europäischen Union C/07/275 und die Pressemitteilung der EU IP/07/1872. 22 ABl. EU Nr. L 177, S. 6.

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an das Übereinkommen von Rom aus dem Jahr 1980 angelehnt, das seinerseits maßgeblich für die Artt. 27 ff. EGBGB war. 2. Ausdrückliche oder konkludente Rechtswahl gemäß Art. 27 EGBGB Im internationalen Schuldvertragsrecht gilt der Grundsatz der Parteiautonomie23 , der das kollisionsrechtliche Pendant zur materiellrechtlichen Privatautonomie24 bildet. Demgemäß haben die Parteien die Möglichkeit, die für den Vertrag geltende Rechtsordnung frei zu wählen (Art. 27 Abs. 1 S. 1, 2 EGBGB; Art. 3 EVÜ25).26 „Parteiautonomie“ bedeutet daher die Freiheit zur Rechtswahl, während „Privatautonomie“ die Freiheit zur Herbeiführung bestimmter Rechtsfolgen gemäß dem materiellen Recht darstellt. 27 Die Rechtswahl bezieht sich allein auf das staatlich gesetzte Recht. 28 Sie kann entweder ausdrücklich oder stillschweigend 29 erfolgen (Art. 27 Abs. 1 S. 2 EGBGB) und sich auf den 23 Vgl. dazu v. Bar, IPR II, Rn. 412 ff. Im Glossar des Grünbuchs der Kommission über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung vom 14. 1. 2003, KOM(2002) 654 endg., S. 54 wird der Begriff der Parteiautonomie wie folgt erläutert: „Im Internationalen Privatrecht bezeichnet dieser Ausdruck das natürlichen Personen eingeräumte Recht, das auf ihre Rechtsverhältnisse anwendbare Recht zu bestimmen.“ A.a.O., S. 13 wird der Grundsatz des Art. 3 EVÜ als „Eckpfeiler des Systems“ bezeichnet und a.a.O., S. 29 als „Schlüsselbestimmung des Übereinkommens“. 24 Vgl. dazu unten § 4 B. I. 1. 25 Künftig: Art. 3 der Rom I-Verordnung. 26 Einen umfassenden Überblick über den Grundsatz der freien Rechtswahl in Frankreich, Deutschland, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich und Dänemark gibt der Bericht über das EVÜ von Giuliano/Lagarde, BT-Drucks. 10/503, 33 (47 f.); zu Art. 3 EVÜ vgl. noch Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (394). 27 Rauscher, IPR, S. 64. 28 Im Grünbuch der Kommission (Fn. 20), S. 27 wird zur Frage nach der Wahl nichtstaatlicher Regelungen ausgeführt, daß es nicht im Sinne der Verfasser des Übereinkommens sein dürfte, eine Verweisung auf nichtstaatliche Regelungen wie das CISG, internationale Handelsbräuche, allgemeine Rechtsgrundsätze, die lex mercatoria oder private Kodifikationen wie die UNIDROIT-Grundsätze gleichzusetzen. Art. 3 EVÜ beziehe sich wohl nur auf die Wahl von gesetztem Recht. Die meisten Autoren hätten sich bislang gegen die Möglichkeit der Wahl nichtstaatlicher Regelungen ausgesprochen, was insbesondere damit begründet werde, daß diese noch kein geschlossenes und umfassendes Normensystem bildeten. Die Vertreter der Gegenansicht argumentierten damit, daß eine Möglichkeit, die in vielen Staaten Schiedsgerichten eingeräumt werde, staatlichen Gerichten nicht vorenthalten werden könne; siehe dazu noch unten D. IV. 4. im Zusammenhang mit der Novellierung des IPR durch die Rom I-Verordnung. 29 Die stillschweigende Rechtswahl ergibt sich aus Indizien. Die Grenze zu einer objektiven Anknüpfung nach Art. 28 EGBGB, die sich ebenfalls aus verschiedenen Indizien ermittelt, kann wohl nicht ganz trennscharf gezogen werden. Eine stillschweigende Rechtswahl kann beispielsweise wegen Vereinbarung eines Gerichtsstands gerechtfertigt sein, obwohl die gerichtliche Zuständigkeitsvereinbarung und die Rechtswahl strikt zu trennen sind, vgl. BGH NJW 1991, 1420, BGH WM 1964, 1023 sowie BGH VersR 1967, 156 zur verdeckten Rechtswahl in Konossementbedingungen. Eingehend zu der hier nicht im einzelnen erörterten Problematik der verdeckten Rechtswahl Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 85. Im

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gesamten Vertrag oder auf einen Teil desselben beziehen. Letzteres gilt allerdings nur, soweit die in Frage stehenden Vertragsteile voneinander abtrennbar sind (Art. 27 Abs. 1 S. 3 EGBGB). Auch eine nachträgliche Rechtswahl – z. B. während eines Zivilprozesses – ist möglich (Art. 27 Abs. 2 EGBGB). 3. Objektive Anknüpfung gemäß Art. 28 EGBGB a) Haben die Parteien weder ausdrücklich noch konkludent eine Rechtsordnung bestimmt, so entscheiden objektive Kriterien über das anzuwendende materielle Recht. Art. 28 Abs. 1 S. 1 EGBGB (Art. 4 Abs. 1 S. 1 EVÜ) 30 legt dazu fest, daß der Vertrag dem Recht des Staates unterliegt, mit dem er die engste Verbindung aufweist.31 Art. 28 Abs. 1 S. 2 EGBGB (Art. 4 Abs. 1 S. 2 EVÜ) ermöglicht auch im Rahmen der objektiven Anknüpfung des Vertragsstatuts eine ausnahmsweise durchgreifende Abspaltung abtrennbarer Vertragsteile in dem Fall, daß dieser Teil eine engere Verbindung mit einem anderen Staat hat. Die Abtrennbarkeit setzt voraus, daß es um inhaltlich abgrenzbare und gesondert behandelbare Fragen geht.32 Gemäß der in Art. 28 Abs. 2 S. 1 EGBGB (Art. 4 Abs. 2 S. 1 EVÜ) formulierten Vermutung weist der Vertrag die engsten Verbindungen mit demjenigen Staat auf, in dem die Vertragspartei, die die charakteristische Leistung33 – das ist im Synallagma die Hauptleistung,34 nicht die GegenGrünbuch der Kommission (Fn. 20) heißt es dazu auf S. 29, daß die Grenze zwischen einer stillschweigenden Willensbekundung und einem rein hypothetischen Willen fließend sei. Eine Analyse der Rechtsprechung zeige, daß sich die Lösungen in diesem Punkt stark unterschieden. Die deutschen und die englischen Gerichte hätten – vielleicht wegen des etwas weniger restriktiven Wortlauts des Art. 3 EVÜ in ihrer Sprache und unter dem Einfluß ihrer früheren Lösungen – weniger Bedenken als ihre Kollegen aus anderen Mitgliedstaaten, eine stillschweigende Rechtswahl zu bejahen. Die Stellungnahme der Bundesregierung zum Grünbuch (Verf.: Dr. Rolf Wagner) vom 2. 10. 2003 führt dazu a.a.O., S. 7 aus, daß Vorsorge getroffen werden müsse, daß ein Gericht nicht einen angeblichen stillschweigenden Willen der Parteien aus Umständen herleite, die damit in Wirklichkeit nichts zu tun hätten. Das verdient Zustimmung. 30 Künftig: Art. 4. Abs. 4 der Rom I-Verordnung. 31 Allgemein dazu MüKo BGB/Spellenberg, Vor § 11 EGBGB Rn. 20 f.; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 112 ff.; Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (394 f.). 32 Nach Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 119 kommt dies insbesondere für joint venture-Verträge und sehr komplizierte Vertragswerke in Betracht. 33 Die Lehre von der charakteristischen Leistung geht auf den schweizerischen Rechtsgelehrten Adolf F. Schnitzer (Handbuch des Internationalen Privatrechts, Bd. II, 4. Aufl. 1958, S. 639 ff.) zurück und wurde von dem Schweizer Frank Vischer (Int. VertragsR, 1962, S. 108 ff.) fortentwickelt, vgl. die Denkschrift der Bundesregierung zum EVÜ, BT-Drucks 10/503, S. 25. Zu den einzelnen Fällen der charakteristischen Leistung vgl. Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 133 ff. mit Zitat von Schnitzer in Rn. 133. 34 Denn charakteristisch für einen Schuldvertrag ist diejenige Leistung, die ihn von anderen Verträgen unterscheidet, während die Entgeltleistung unspezifisch und wenig aussagekräftig ist, vgl. Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 122; zu den Details vgl. die Denkschrift der Bundesregierung zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, S. 25 sowie das Grünbuch der Kommission (Fn. 20), S. 30; aus der Rechtsprechung siehe z. B. BGH, Urt. v. 1. 2. 2000 – X ZR

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leistung (das Entgelt) – zu erbringen hat, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.35 Bei Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen entscheidet der Ort der Hauptverwaltung, mithin der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft.36 Handelt es sich um die Ausübung einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit, so wird gemäß Art. 28 Abs. 2 S. 2 EGBGB (Art. 4 Abs. 2 S. 2 EVÜ) vermutet, daß der Vertrag die engsten Verbindungen zu dem Staat aufweist, in dem sich die Hauptniederlassung oder, wenn die Leistung nicht von der Hauptniederlassung zu erbringen ist, sich die andere Niederlassung befindet. Nicht entscheidend für die Konkretisierung der engsten Verbindung sind also äußere Umstände wie der Abschlußort oder die Staatsangehörigkeit, die nichts mit der Natur des Schuldverhältnisses zu tun haben.37 b) Fehlt es an einer charakteristischen (Haupt-)Leistung, dann sind die Vermutungsregeln des Art. 28 Abs. 2 S. 1 und 2 EGBGB gemäß Satz 3 der Vorschrift konsequenterweise nicht anwendbar. In solchen Fällen ist zur objektiven Bestimmung der einschlägigen Vertragsrechtsordnung („engste Verbindung“) in Anwendung der Generalklausel des Art. 28 Abs. 1 S. 1 EGBGB eine Gesamtschau von Indizien erforderlich,38 wobei die Grenzen zum Institut der stillschweigenden Rechtswahl etwas verschwimmen.39 Als gewichtige Indizien für die Bestimmung der „engsten Verbindung“ werden Gerichtsstands- und Schiedsklauseln und die Vereinbarung des Erfüllungsorts sowie das Prozeßverhalten der Parteien genannt, während Gesichtspunkte wie die Staatsangehörigkeit40 , der Abschlußort41, die vereinbarte Währung42 und auch die Vertragssprache43 von geringerer Bedeutung sind.44 213/98 (juris): Bei einem Werkvertrag zwischen einem deutschen Werkunternehmer und einer italienischen Bestellerin wird die charakteristische Leistung typischerweise durch den Werkunternehmer erbracht. 35 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 127; so auch künftig Art. 4 Abs. 1 lit. a bis lit. h sowie Art. 4 Abs. 2 der Rom I-Verordnung. 36 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 128. 37 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 121. 38 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 138. 39 Rauscher, IPR, S. 243. Anhaltspunkte sind danach „die Umstände der Leistungserbringung, insbesondere die Erfüllungsorte der beidseitigen Leistungen oder die Belegenheit des Vertragsgegenstandes, eine gemeinsame Staatsangehörigkeit der Parteien, notfalls die Vertragssprache oder der Vertragsschlussort“. 40 Ausführlich und differenzierend zum Kriterium der Staatsangehörigkeit Reithmann/ Martiny, Int. VertragsR, Rn. 145 f. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zu Verträgen, die mit in Deutschland lebenden Ausländern abgeschlossen werden. 41 Näher dazu Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 149. 42 Näher dazu Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 148. 43 Siehe Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 96 m. w. N.: Die Sprache, in der die Verhandlungen geführt und ein schriftlicher Vertrag abgeschlossen worden ist, gebe nur einen schwachen Hinweis auf die Rechtsordnung, in deren Geltungsbereich diese Sprache Vertragssprache ist. 44 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 143: Von minder großer Bedeutung seien vor

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c) Eine weitere Ausnahme von den in Art. 28 Abs. 2, 3 und 4 EGBGB normierten Vermutungsregeln gilt nach der Ausweichklausel des Art. 28 Abs. 5 EGBGB (der seinerseits auf Art. 4 Abs. 5 EVÜ45 zurückgeht) 46 , wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, daß der Vertrag „engere Verbindungen“ mit einem anderen Staat aufweist.47 Es handelt sich dabei um die letzte Stufe der objektiven Anknüpfung.48 Die Notwendigkeit der Vorschrift wird damit begründet, daß die gesetzlichen Vermutungen nicht in allen in Betracht kommenden Fällen zum richtigen Ergebnis führen, so daß dem Gericht die Möglichkeit verbleiben muß, von den Vermutungen im Einzelfall abzuweichen. 49 Dafür ist eine Gesamtabwägung aller Umstände des jeweiligen Rechtsverhältnisses erforderlich.50 Die dabei zu prüfenden Kriterien – es muß sich um andere Umstände handeln, auf denen die gesetzliche Vermutung beruht – sind dieselben wie bei Art. 28 Abs. 1 S. 1 und S. 2 EGBGB.51 Anders als der Wortlaut nahelegt („engere Verbindung“ nach Abs. 5 einerseits, „engste Verbindung“ nach Abs. 1 andererseits), muß für die Ausweichklausel des Abs. 5 eine starke Konzentration im Sinne einer „noch engeren“ Verbindung zu einer Rechtsordnung gegeben sein.52 Es ist denkbar, daß einzelne Kriterien, die für sich genommen nicht hinreichend sind, eine „engere Verbindung“ zu begründen, in ihrer Kumulierung zu einer Konzentration auf eine bestimmte Rechtsordnung führen.53 d) Hinsichtlich der zur Lösung anstehenden Sprachenfragen sei vorab klargestellt, daß die Vertragssprache für sich genommen nur ein schwaches Kriterium ist, welches die Anwendung des Art. 28 Abs. 5 EGBGB grundsätzlich nicht rechtfertigt. Gleiches gilt für die Kriterien der Staatsangehörigkeit der Kontrahenten und des Orts des Vertragsschlusses bei jeweils isolierter Betrachtung.54 allem der Abschlußort, die Vertragssprache, die Vertragswährung und die gemeinsame Staatsangehörigkeit, welche als zuverlässige Indizien meist nur dann angesehen würden, wenn sie durch andere unterstützt werden. 45 Künftig: Art. 4 Abs. 3 der Rom I-Verordnung. 46 Zur Reichweite des Art. 4 Abs. 5 EVÜ vgl. die Entscheidungen des High Court of Justice, Queen’s Bench Division, vom 30. 3. 2001 – Definitely Maybe (Touring) Ltd. v. Marek Lieberberg Konzertagentur GmbH und des Court of Session, Outer House, vom 9. 3. 2001, beide abgedruckt in ZEuP 2002, 804 mit Anmerkung Mankowski, a.a.O., 811. 47 Siehe als Beispielsfall BGH NJW-RR 2005, 206 (209 f.). 48 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 159. 49 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 157. 50 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 158. 51 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 158. 52 Rauscher, IPR, S. 247; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 159. Nach BGH NJWRR 2005, 206 (209) ist die Anwendbarkeit von Art. 28 Abs. 5 EGBGB zu bejahen, wenn Anknüpfungspunkte zu einem anderen als dem nach Art. 28 Abs. 2 EGBGB vermuteten Recht führen, die an Gewicht den von der Vermutung verwendeten Anknüpfungspunkt deutlich übertreffen und sich ein anderes Zentrum des Leistungsaustauschs eindeutig ermitteln läßt, so daß eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Schuldners der charakteristischen Leistung blaß und künstlich wirken müßte. 53 Rauscher, IPR, S. 247. 54 Rauscher, IPR, S. 247.

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Die deutsche Sprache kann aber bei Vertragsabschlüssen mit Verbrauchern über das Internet im Rahmen der Verbraucherschutzvorschrift des Art. 29 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB ein wichtiges Kriterium für die notwendige Ausrichtung auf Deutschland sein, während umgekehrt die Verwendung einer anderen Sprache, etwa der englischen, eine solche Ausrichtung nicht schlechthin ausschließt. 55 4. Die kollisionsrechtlichen Regeln betreffend den Vertragsschluß a) Die grundsätzliche Geltung des Vertragsstatuts für den Vertragsschluß gemäß Art. 31 Abs. 1 EGBGB Art. 31 Abs. 1 EGBGB, der seinerseits auf Art. 8 Abs. 1 EVÜ56 fußt, bestimmt, daß sich das Zustandekommen und die Wirksamkeit „des Vertrages oder einer seiner Bestimmungen“ nach dem Recht beurteilt, das anzuwenden wäre, wenn der Vertrag oder die Bestimmung wirksam wäre“ (sog. hypothetisches oder präsumtives Vertragsstatut). Das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrags richten sich daher nach dem Vertragsstatut, welches sich aus einer Rechtswahl der Parteien (Art. 27 EGBGB) oder aber aus einer objektiven Anknüpfung (allgemein Artt. 28, Art. 29 Abs. 2 bei Verbraucherverträgen, Art. 30 Abs. 2 EGBGB bei Arbeitsverträgen 57) ergibt.58 Art. 31 Abs. 1 EGBGB betrifft zunächst das Zustandekommen des schuldrechtlichen Hauptvertrags. Über die Verweisung des Art. 27 Abs. 4 EGBGB findet Art. 31 Abs. 1 EGBGB darüber hinaus auch Anwendung auf den kollisionsrechtlichen Verweisungsvertrag.59 Art. 31 Abs. 1 EGBGB bewirkt, daß das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Schuldvertrags nach dem Vertragsstatut beurteilt werden und damit nach dem gleichen Recht, das gemäß Art. 32 Abs. 1 EGBGB auch über Auslegung, Erfüllung, Nicht- oder Schlechterfüllung und deren Folgen, das Erlöschen der Verpflichtungen, die Verjährung und die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags entscheidet. Dies entspricht dem kollisionsrechtlichen Ordnungsinteresse an einer möglichst einheitlichen Anknüpfung des jeweiligen Lebenssachverhalts. 60 Art. 31 und Art. 32 EGBGB verfolgen das Ziel, möglichst das gesamte Vertragsverhältnis einer einzigen Rechtsordnung zu unterstellen. 61 Die damit 55 56 57

Rauscher, IPR, S. 251. Künftig: Art. 10 Abs. 1 der Rom I-Verordnung. Zur Bestimmung des auf Arbeitsverträge anwendbaren Rechts vgl. Thüsing, BB 2003,

898. 58 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 30; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 213. 59 BGH NJW 1989, 1431 (1432); BGHZ 123, 380 (383) = NJW 1994, 449; Staudinger/ Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 31; Denkschrift der Bundesregierung zum Übereinkommen, BT-Drucks. 10/503, S. 29. 60 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 11; Kegel/Schurig, IPR, § 2 II 3 (S. 141 ff.). 61 Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 1 und Art. 32 Rn. 1 („materielle Harmonie“ bzw. „materiellrechtliche Harmonie“).

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Gesetz gewordene, früher äußerst umstrittene „Vorwirkung des Vertragsstatuts“62 ist keineswegs unbillig, und zwar schon deshalb nicht, weil das Vertragsverhältnis insgesamt einen einheitlichen Regelungszusammenhang mit fließenden Übergängen zwischen den Teilfragen des Vertragsschlusses, der Auslegung, der Vertragsergänzung und Grenzen der Parteiautonomie darstellt. 63 Nur in besonders gelagerten Einzelfällen, in denen sich die betreffende Partei mit Recht darauf berufen kann, daß das ihr vertraute Recht sie nicht binden würde, läßt sich eine Unbilligkeit der einheitlichen Anknüpfung begründen. Diesen Fall regelt Abs. 2 der Vorschrift. 64 b) Die autonomen Begriffe des „Zustandekommens“ und der „Wirksamkeit“ des Vertrags in Art. 31 Abs. 1 EGBGB und Art. 8 Abs. 1 EVÜ Die Begriffe des „Zustandekommens“ (engl. und frz. existence) und der „Wirksamkeit“ (engl. validity, frz. validité) in Art. 31 Abs. 1 EGBGB sind, da die Vorschrift auf Art. 8 Abs. 1 EVÜ beruht, wie das EVÜ selbst autonom auszulegen. Bei beiden Begriffen handelt es sich um Neuschöpfungen des EVÜ ohne explizite Entsprechungen in den Vertragsrechten der Mitgliedstaaten. 65 aa) „Zustandekommen“ Mit dem Begriff des „Zustandekommens“ ist der äußere Vertragsabschlußtatbestand, also das zum Vertragsschluß führende Verhalten der Parteien, angesprochen. 66 Dazu zählen unter anderem die Regeln über Angebot und Annahme einschließlich der Schlüssigkeit, der Bindungswirkung und der Rechtzeitigkeit von Willenserklärungen, der Dissens sowie die Frage, wer überhaupt als Vertragspartei eines Schuldvertrags in Betracht kommt. 67 Ferner ist die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) in den Vertrag vom Begriff des „Zustandekommens“ erfaßt. 68 Gleiches gilt für die Rechtsfolgen eines Einigungsmangels, d. h. den offenen oder versteckten Dissens. 69 Des weiteren gehört die rechtliche Einordnung des Schweigens auf eine Willenserklärung

62 Den Vorwurf des kollisionsrechtlichen Zirkelschlusses erhob unter Geltung der alten Rechtslage Hepting, RIW/AWD 1975, 457 (458, 463). 63 Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 1. 64 Siehe dazu unten A. II. 4. c. 65 Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 13. 66 Kallenborn, Sprachenproblem, S. 185 f.; v. Hoffmann, RabelsZ 36 (1972), 510 (512 f. mit Fn. 6). 67 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 15; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 213; Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 15 f.; v. Bar, IPR II, Rn. 536. 68 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 19, 72; Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 17. 69 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 13 f.; MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 50 f.; v. Bar, IPR II, Rn. 536.

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hierher.70 Allerdings ist insoweit nicht allein das Vertragsstatut nach Art. 31 Abs. 1 EGBGB entscheidend, sondern es besteht hinsichtlich des Konsenses der Parteien die Möglichkeit einer kumulativen Anwendung des Aufenthaltsrechts des Schweigenden über Art. 31 Abs. 2 EGBGB (Art. 8 Abs. 2 EVÜ), sofern auf der Grundlage der Anwendung des Vertragsstatuts der Vertrag zustandegekommen wäre.71 Mit Recht wird diese „aus Billigkeitsgründen“72 getroffene Ausnahmebestimmung als ein Korrektiv im Sinne eines „Vetorechts“ – gegenüber einem nach Art. 31 Abs. 1 EGBGB zustandegekommenen Vertrag qualifiziert.73 Es handelt sich dabei um eine Einrede, so daß eine Berücksichtigung des Umfeldrechts von Amts wegen in diesem Fall nicht stattfindet.74 Der umgekehrte Fall, daß der Vertragsabschluß nach dem Vertragsstatut gemäß Art. 31 Abs. 1 EGBGB scheitert, führt demgegenüber nicht – in kumulativer Anwendung des Umfeldrechts der anderen Partei gemäß Art. 31 Abs. 2 EGBGB – zu einer wirksamen Einigung,75 denn diese Vorschrift wirkt nur zerstörend, nicht aber vertragsbegründend.76

70 Staudinger/Hausmann, Art. EGBGB 31 Rn. 18; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 214 f. Kallenborn, Sprachenproblem, S. 186 f. kritisiert, daß sich gerade im Fall des Schweigens zeige, daß es bei der Unterscheidung zwischen dem äußeren und dem inneren Vertragsabschlußtatbestand zu gedanklichen Überschneidungen kommen könne und daß es letztlich nur eine Frage der Formulierung darstelle, ob man sich in dem einen oder dem anderen Bereich bewege. Dies gelte beispielsweise für die Fälle des fehlenden Erklärungsbewußtseins. Es erscheine daher angebracht, sich von diesen Begriffl ichkeiten zu lösen. 71 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 18; a. A. aus der Zeit vor der Reform Stoll, FS Beitzke, S. 759 (763 ff.). 72 Denkschrift der Bundesregierung zum Übereinkommen, BT-Drucks. 10/503, S. 29. Dazu auch Linke, ZVglRWiss 79 (1980), 1 (41): Eigentlicher Motor der ganzen umweltrechtsbezogenen Sonderstatutsbewegung seien an bestimmten Einzelfällen oder Fallgruppen exemplifizierte Billigkeits-, Zumutbarkeits- und Schutzerwägungen. Kritisch Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 35 mit der berechtigten Forderung nach einheitlichen Bewertungskriterien, damit die Vorhersehbarkeit und internationale Einheitlichkeit gewährleistet ist. Verf. versteht diese Kriterien nicht als kollisionsrechtliche Kriterien i. e. S., sondern als solche der materiellen Zurechenbarkeit. 73 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 18, 51, ganz h.M. 74 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 54; MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 80. Die Partei muß sich zwar nicht ausdrücklich auf das Recht ihres Heimatstaats berufen, sondern es genügt, daß sie hinreichend deutlich macht, daß sie ihr Verhalten nicht als Zustimmung zu dem nach Maßgabe des Vertragsstatuts geschlossenen Vertrag anerkennen will, vgl. OLG Düsseldorf, RiW 1997, 780; Palandt/Heldrich, Art. 31 EGBGB Rn. 4; Reitmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 217. Dieser Rechtsstandpunkt muß durch ihr Umfeldrecht gedeckt sein. 75 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 51; Palandt/Heldrich, Art. 31 EGBGB Rn. 4; Reitmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 215; Giuliano/Lagarde, Bericht, BT-Drucks. 10/503, S. 60. 76 OLG Düsseldorf, RiW 1997, 780; Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 51 m. w. N.; Schwarz, IPrax 1988, 278 (279) spricht vom Recht am gewöhnlichen Aufenthalt der betreffenden Partei als einem „zusätzlichen Ausschlußgrund“.

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bb) „Wirksamkeit“ Der Begriff der „Wirksamkeit“ des Vertrags in Art. 31 Abs. 1 EGBGB erfaßt den inneren Vertragsschlußtatbestand und damit alle diejenigen Aspekte, die weder dem Zustandekommen noch der Formgültigkeit, sondern der materiellen Wirksamkeit zuzurechnen sind.77 Dazu rechnen vor allem die Vorschriften über Willensmängel – Irrtum, arglistige Täuschung, Drohung – und deren Rechtsfolgen, Rücktritts-, Widerrufs- und Kündigungsrechte, Bedingungen und die Befristung des Vertrags, sowie die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen.78 Auch die Frage der Sittenwidrigkeit eines Schuldvertrags beurteilt sich – sofern ausländisches materielles Recht anwendbar ist – grundsätzlich nach dem Vertragsstatut und nicht etwa über eine Sonderanknüpfung gemäß Art. 34 EGBGB nach dem § 138 BGB.79 Nationalen Rechtsvorstellungen kann insoweit nur über den ordre public des Art. 6 EGBGB Rechnung getragen werden. 80 Die Nichtigkeitsfolgen richten sich gemäß Art. 32 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB ebenfalls grundsätzlich nach dem Vertragsstatut. Eine gespaltene Anknüpfung in bezug auf die Voraussetzungen der Nichtigkeit einerseits und die Rechtsfolgen derselben andererseits findet also nicht statt. 81 Nach Art. 31 Abs. 1 EGBGB zu beurteilen sind weiter die Abänderung und die Aufhebung als actus contrarius eines Vertrags. Dies gilt nicht für ein neues Vertragswerk mit eigenständigem Inhalt, dessen Statut immer selbständig zu bestimmen ist. 82 cc) Zusammenfassung Insgesamt umfaßt die Verweisung auf das Vertragsstatut in Art. 31 Abs. 1 EGBGB sämtliche Aspekte des Zustandekommens und der materiellen Wirk77 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 243; Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 19; Kallenborn, Sprachenproblem, S. 186. 78 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 13 f. m. w. N.; Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 19 ff.; Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 45; Kallenborn, Sprachenproblem, S. 174. 79 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 25; BGHZ 135, 124 (139 f.) = NJW 1997, 1697. Nach Auffassung des BGH handelt es sich bei § 138 BGB um keine zwingende Regel i. S. des Art. 34 EGBGB. Eine Durchsetzung der deutschen Sittenwidrigkeitsmaßstäbe gegenüber ausländischem Recht komme nur über die ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB in Betracht. In dem Fall war das Recht der Isle of Man vereinbart worden, der abgeschlossene Teilzeit-Wohnrechtevertrag betraf eine auf Gran Canaria gelegene Wohnung. – Im umgekehrten Fall der Anwendung deutschen Rechts auf einen Sachverhalt mit Berührungspunkten zum Recht anderer Staaten ist etwaigen abweichenden sozialen Verhältnissen, Rechtsund Moralvorstellungen in diesen Staaten Rechnung zu tragen, vgl. BGH NJW 1968, 1572; OLG Hamburg ZIP 1980, 1088; Staudinger/Hausmann, a.a.O., Rn. 26; MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 174 f. m. w. N. 80 BGHZ 135, 124 (139 f.) = NJW 1997, 1697; Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 25. 81 Vgl. Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 28. 82 Staudinger/Hausmann, Art. 31 Rn. 29; OLG Hamburg IPrax 1999, 168; Palandt/Heldrich, Art. 31 EGBGB Rn. 3.

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samkeit eines Schuldvertrags (bzw. eines Verweisungsvertrags) einschließlich des Rücktritts, Widerrufs und der Kündigung. Ausdrücklich ausgenommen von der Geltung des Vertragsstatuts sind Fragen der Form, deren Beantwortung sich allgemein nach Art. 11 EGBGB bzw. bei Verbraucherverträgen nach Art. 29 Abs. 3 S. 2 EGBGB richtet. 83 Im letztgenannten Fall unterliegt die Form dieser Verträge dem Recht des Staates, in welchem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Des weiteren bestimmt sich die Beurteilung der Rechts- und Geschäftsfähigkeit im Wege einer Sonderanknüpfung. Art. 7 Abs. 1 S. 1 EGBGB legt dazu fest, daß das Recht des Staates maßgeblich ist, dem die Person angehört, also das Heimatrecht der Partei(en). Schließlich gilt noch für die Fragen einer wirksamen Stellvertretung beim Vertragsschluß hinsichtlich der Voraussetzungen und Rechtsfolgen nicht gemäß Art. 31 Abs. 1 EGBGB das Vertragsstatut, sondern das Prinzip einer selbständigen Anknüpfung. c) Die kumulative Sonderanknüpfung gemäß Art. 31 Abs. 2 EGBGB aa) Inhalt und Bedeutung der Vorschrift Art. 31 Abs. 2 EGBGB beruht auf Art. 8 Abs. 2 EVÜ84 , welcher seinerseits auf die frühere Rechtsprechung des BGH zurückgeht. 85 Die Vorschrift gibt einer Partei in Fällen, in denen gemäß dem Vertragsstatut eine Zustimmung hinsichtlich eines Schuldvertrags gegeben wäre, das Recht, sich auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthaltsorts – auch „Umfeldrecht“ oder mißverständlich „Umweltrecht“86 genannt – zu berufen. Danach erfolgt eine kumulative oder ergänzende Sonderanknüpfung des rechtsgeschäftlichen Verhaltens im Stadium des Vertragsschlusses an das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt einer Vertragspartei im Wege einer Mitberücksichtigung aus Billigkeitsgründen. 87 Die Vorschrift bezweckt den Schutz einer Partei vor einer für sie überraschenden rechtlichen Bindung nach fremdem Recht durch ein – regelmäßig vorkon83

Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 36. Künftig: Art. 10 Abs. 2 der Rom I-Verordnung. 85 BGHZ 57, 72 = NJW 1972, 391 – Küchenmöbel mit Anm. v. Hoffmann, RabelsZ 36 (1972), 510; BGH NJW 1973, 2154; BGH NJW 1976, 2075; BGH VersR 1981, 975; BGH NJW 1982, 2733; vgl. dazu auch Fischer, Verkehrsschutz, S. 323 f. Zur Sonderanknüpfung vorkonsensualer Elemente in der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des Art. 31 Abs. 2 EGBGB vgl. Kallenborn, Sprachenproblem, S. 183 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung der Instanzgerichte; Fischer, Verkehrsschutz, S. 325 ff.; kritisch Hepting, RIW/AWD 1975, 457 (460). 86 Zur terminologischen Unterscheidung zwischen dem „Wohnsitzrecht“, dem „Heimatrecht“ und dem „Umweltrecht“ der ausländischen Vertragspartei vgl. Hepting, RIW/AWD 1975, 457 (462). Mit dem Begriff „Umweltrecht“ sei die Rechtsordnung gemeint, in der das rechtserhebliche Einzelverhalten seinen Schwerpunkt hat, in der es sozial eingebettet erscheint. 87 Rauscher, IPR, S. 268; MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 4; Reitmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 215; ebenso zu Art. 8 Abs. 2 EVÜ Linke, ZVglRWiss 79 (1980), 1 (54). 84

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sensuales – Verhalten, dessen Erklärungswert nach diesem Recht sie nicht zu kennen braucht, da ihr Heimatrecht eine vergleichbare Bindung nicht kennt. 88 Nach einer anderen Formulierung beinhaltet die Vorschrift „eine kollisionsrechtliche Zumutbarkeitsregel, mit welcher ein ausnahmsweises berechtigtes Vertrauen auf Freiheit von Bindung geschützt wird“ für die Bewertung von Schuldverträgen einschließlich von Rechtswahlverträgen (vgl. die Verweisung in Art. 27 Abs. 4 EGBGB). 89 bb) Die Bedeutung der Vorschrift für Sprachenfragen im Privatrechtsverkehr Bei Art. 31 Abs. 2 EGBGB handelt es sich nicht um eine allgemeine kollisionsrechtliche Ausweichklausel, mit der die sich aus Art. 27 ff. EGBGB Anknüpfung des Schuldvertrags insgesamt korrigiert werden könnte und mit der etwa eine generelle „Sonderanknüpfung des Sprachrisikos“ bzw. von Sprachenfragen zu rechtfertigen wäre. Das war in der Sache schon vor Inkrafttreten des Art. 31 Abs. 2 EGBGB in Rechtsprechung und Lehre anerkannt.90 Vergleichbare Schutzkonzepte existieren auch außerhalb der EVÜ-Staaten, beispielsweise in der Schweiz. Das schweizerische Recht gestattet gemäß Art. 123 IPRG dem Schweigenden sogar in jedem Fall, d. h. unabhängig von einer Interessenabwägung im Einzelfall, die Berufung auf sein Aufenthaltsrecht.91 Art. 31 Abs. 2 EGBGB schützt vor einer vertraglichen Bindung gemäß dem Vertragsstatut. Es wäre schon wegen des Existenz dieser Norm verfehlt, einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Inhalts aufzustellen, daß derjenige, der in einem anderen Land Rechtsgeschäfte abschließt, zwingend dem dort geltenden Recht unterworfen wäre, ohne daß ihm die grundsätzliche Möglichkeit verbliebe, sich auf sein Heimatrecht zu berufen.92 Freilich kommt es durch Art. 31 Abs. 2 EGBGB lediglich zu einer „Berücksichtigung“ dieses Heimatrechts, d. h. zu einer umfassenden Interessenabwägung, in deren Rahmen beispielsweise der Umstand in Rechnung gestellt werden kann, daß der Betroffene sich im Ausland befand und demgemäß mit der Geltung ausländischen Rechts rechnen mußte.93 Hinsichtlich des Zustandekommens der vertraglichen Einigung führt die Sonderanknüpfung nach Art. 31 Abs. 2 EGBGB zu einer Korrektur der An88

Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 39. Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 36. 90 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 10. 91 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 39 m. w. N. Art. 123 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18. 12. 1987 mit der Überschrift „Schweigen auf einen Antrag“ lautet: „Schweigt eine Partei auf einen Antrag zum Abschluss eines Vertrages, so kann sie sich für die Wirkungen des Schweigens auf das Recht des Staates berufen, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.“ 92 Zutreffend Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 50. 93 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 50, 63 ff.; MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 79. 89

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knüpfung an das Vertragsstatut als Wirkungsstatut. Die Vorschrift betrifft die Frage, ob überhaupt eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung vorliegt, den rechtsgeschäftlichen Erklärungswert des Verhaltens einer Partei94 – d. h. den äußeren Erklärungs- oder Vornahmetatbestand –, nicht aber die materielle Wirksamkeit der Willenserklärung im übrigen, also den inneren Erklärungsoder Vertragsabschlußtatbestand.95 Art. 31 Abs. 2 EGBGB gestattet die Berufung auf das Heimatrecht einer Partei nur insoweit, als ihr Verhalten nach diesem Recht ohne rechtsgeschäftliche Folgen bliebe.96 Das betrifft vor allem den Fall des Vertragsschlusses durch Schweigen auf eine Willenserklärung (vgl. § 362 Abs. 1 HGB),97 des weiteren die im deutschen Zivilrecht getroffene Unterscheidung zwischen invitatio ad offerendum und Angebot98 sowie die Frage nach der Widerruflichkeit eines Angebots bis zur Annahme99.100 Schließlich kann Art. 31 Abs. 2 EGBGB bei Erklärungen eine Rolle spielen, deren Einordnung als bindende Willenserklärung oder bloße Absichtserklärung Schwierigkeiten bereitet, weil verschiedene Rechtsordnungen hierzu unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe entwickelt haben, so daß es denkbar erscheint, daß nach dem Vertragsstatut eine Bindung zustandekommt, mit der der Adressat nach der ihm vertrauten Rechtsordnung nicht gerechnet hat und vernünftigerweise auch nicht rechnen konnte.101 Eine abschließende Aufzählung aller Anwendungsfälle des Art. 31 Abs. 2 EGBGB kann an dieser Stelle nicht gegeben werden. Das scheint auf einen weiten Anwendungsbereich der Norm hinzudeuten.102 Tatsächlich aber ist der Anwendungsbereich im Ergebnis im Vergleich zu Art. 31 Abs. 1 EGBGB eher beschränkt, denn letzterer gilt, wie bereits ausgeführt, sowohl für das Zustandekommen als auch für die materielle Wirksamkeit von Schuldverträgen, d. h. für

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Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 31. BGHZ 135, 124 (137) = BGH NJW 1997, 1697 (1700); Giuliano/Lagarde, Bericht, BTDrucks. 10/503, S. 60 (zu Art. 8 Abs. 2 EVÜ); Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 41; Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 43 f., 55; Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 30. 96 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 75. 97 Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 31; siehe OLG Hamburg NJW 1980, 1232. 98 Abweichend hiervon kann die Übersendung von Preislisten und Katalogen nach französischem Recht ein wirksames Angebot begründen. 99 Die Widerruflichkeit des Angebots bis zur Annahme kennen das englische Recht und das italienische Recht (Art. 1328 c.c.); vgl. dazu MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 16. 100 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 145. 101 Ausführlich MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 147. 102 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 148: „Eine abschließende Aufzählung aller denkbaren Fälle, in denen nach dem Geschäftsstatut eine Bindung entsteht, die nach dem Recht der einen oder anderen Partei nicht einträte, ist nicht möglich. Art. 31 Abs. 2 zieht hier auch keine Grenze, sondern wäre im Prinzip in allen Situationen anwendbar. In den meisten Divergenzfällen freilich ist die alleinige Geltung des Geschäftsstatuts der betroffenen Partei durchaus zumutbar (. . .).“ 95

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den äußeren wie für den inneren Erklärungstatbestand gleichermaßen.103 Die Wirkungen eines geschlossenen Vertrags sind allein nach dem Vertragsstatut zu bestimmen.104 Art. 31 Abs. 2 EGBGB ist lediglich für die Frage relevant, ob überhaupt eine rechtsgeschäftliche Erklärung vorliegt.105 Es geht deshalb nur darum festzustellen, ob dem Verhalten einer Partei – eines Sprachunkundigen – „generell und ursprünglich eine vertragskonstituierende Bedeutung beigemessen werden kann“.106 Eine ergänzende oder analoge Anwendung des Art. 31 Abs. 2 EGBGB auf alle diejenigen Rechtsfragen, die im Zusammenhang mit der Vertragsgültigkeit stehen – Anfechtung wegen Irrtums, Rücktritt, Widerruf, Kündigung, usw. – kommt folglich nicht in Betracht.107 Auch Fragen des Zugangs von Willenserklärungen werden – obwohl sie scheinbar dem „Zustandekommen“ des Vertrags zuzurechnen sind – nicht von Art. 31 Abs. 2 EGBGB erfaßt, denn der Zugang betrifft nicht den rechtsgeschäftlichen Erklärungswert eines bestimmten Verhaltens.108 Soweit die Vertragswirkungen nach dem Geschäftsstatut im Einzelfall inakzeptabel sein sollten, greift als Korrekturmechanismus noch Art. 6 EGBGB ein.109 Die Rechtsfolgen eines gescheiterten Vertrags – also die Rückabwicklung von Leistungen – richten sich grundsätzlich gemäß Art. 32 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB nach dem Vertragsstatut.110 Wenn allerdings schon der äußere Tatbestand des Vertragsschlusses fehlte, greift auch insoweit Art. 31 Abs. 2 EGBGB ein.111 Denn es wäre ungerechtfertigt, ein Verhalten, das für einen Vertragsschluß nicht genügt, dem Vertragsstatut statt dem Umfeldrecht des Erklärenden zu unterwerfen.112 103

Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 41. MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 72. 105 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 245. 106 Kallenborn, Sprachenproblem, S. 188. 107 BGHZ 135, 124 (137 f.) = NJW 1997, 1697; Mankowski, RiW 1998, 287; ders., RiW 1996, 384; ders., RiW 1993, 455; ders., IPrax 1991, 305 (312); Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 41, 44, 46; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 245; Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 32; Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 46, 55 (keine generelle Sonderanknüpfung des Verständigungsrisikos); Kallenborn, Sprachenproblem, S. 187 (für Anfechtung und Widerruf); differenzierend Palandt/Heldrich, Art. 31 EGBGB Rn. 5 (Art. 31 Abs. 2 EGBGB ist für Willensmängel bedeutsam, gilt aber nicht für Widerrufs-, Rücktritts- oder Kündigungsrechte). 108 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 47. 109 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 72. Das setzt voraus, daß das anwendbare ausländische Vertragsstatut keine Vorschriften bereithält, die den Mindesterfordernissen zum Schutz vor Irrtum, Täuschung oder Drohung entsprechen, d. h. daß die anwendbaren Vorschriften des ausländischen Rechts zu Ergebnissen führen, die mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sind, vgl. Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 246. 110 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 249. 111 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 49. 112 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 49. 104

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cc) Mögliche Berücksichtigung des Umfeldrechts jenseits des Art. 31 Abs. 2 EGBGB auf materiellrechtlicher Ebene? Im Schrifttum wird jenseits der rein kollisionsrechtlichen Fragestellungen diskutiert, ob die mangelnde Vertrautheit einer Partei mit dem einschlägigen Vertragsstatut bei der Auslegung des nach Art. 31 Abs. 1 EGBGB maßgeblichen materiellen Rechts Berücksichtigung finden kann.113 Das ist im Grundsatz zu bejahen. Die Auslegung des Vertragsstatuts wird dadurch zu einem möglichen Mittel der wertenden Verteilung von Verständigungsrisiken.114 Hat die ausländische Partei ihre rechtsgeschäftlichen Erklärungen erkennbar an dem ihr vertrauten Recht und den entsprechenden Gepflogenheiten und Verkehrssitten des heimischen Geschäftsverkehrs ausgerichtet, besteht von Rechts wegen kein Zwang, diese in gleicher Weise wie die Erklärungen einer mit dem Vertragsstatut vertrauten Partei zu interpretieren. Die Feststellung eines fremden Vertragsstatuts bei gleichzeitiger Ablehnung einer kumulativen Sonderanknüpfung an das Umfeldrecht einer Partei stellt diese Partei nicht schutzlos, sofern man ihrer Herkunft als Rechtstatsache im Sinne eines tatsächlichen Umstands bzw. – soweit es um die Vertrautheit mit bestimmten Rechtsregeln geht – als „Datum“ im Sinne der Lehren von Jayme115 und Ehrenzweig116 bei der Auslegung der Normen des Vertragsstatuts Rechnung trägt.117

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Bejahend Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 53, 73 m. w. N.; Linke, ZVglRWiss 79 (1980), 1 (41, 56); MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 149; verneinend Hepting, RIW/AWD 1975, 457. 114 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 85. 115 Jayme, FS Bärmann, 509 (520 f.) unterscheidet zwischen der Anwendung ausländischer Normen als „rules of decision“ und der Anwendung fremder Regeln als „data“ zur Konkretisierung inländischer Sachnormen. Sie bedeutet, daß ausländische Regeln – wie andere Fakten – Teil des zu beurteilenden Lebenssachverhalts sein können, daher auf der Sachverhaltsseite am Subsumtionsvorgang unter Tatbestandsmerkmale inländischer Sachnormen teilnehmen und die Entscheidung somit mittelbar beeinflussen können. In diesen Fällen ist die Rechtsfolgenanordnung stets dem inländischen Sachrecht zu entnehmen. Ausländisches Recht kann danach insbesondere zur Konkretisierung inlandsrechtlicher Aufklärungspfl ichten als „Datum“ herangezogen werden. 116 Ehrenzweig, Private International Law, Bd. I, S. 23 ff. 117 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 85; ganz ähnlich Linke, ZVglRWiss 79 (1980), 1 (41, 56): Die eigentlichen Problemfälle ließen sich ohne Sonderanknüpfung bewältigen, denn auch im Rahmen des als Vertragsstatut anzuwendenden Rechts könne erforderlichenfalls dem Umstand der Rechtsfremdheit eines Vertragspartners Rechnung getragen werden, indem man entweder die Voraussetzungen für die Erstreckung nationalrechtlicher Eigenheiten auf den Rechtsverkehr mit dem Ausland erschwere oder die von seinem Umweltrecht geprägten Vorstellungen des ausländischen Vertragspartners bei der Auslegung seiner Erklärung oder seines Verhaltens nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte berücksichtige.

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dd) Art. 31 Abs. 2 EGBGB und das Problem des Schweigens im Rechtsverkehr Art. 31 Abs. 2 EGBGB hat besondere Bedeutung118 für die Frage, ob das Schweigen auf eine Willenserklärung beachtlich ist.119 Dies gilt beispielsweise für ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben120 , das von einem deutschen Kaufmann von Deutschland aus an einen britischen Kontrahenten im Vereinigten Königreich gesendet wurde.121 Das deutsche Handelsrecht wertet das Schweigen des Adressaten im Rechtsverkehr zwischen Kaufleuten als Zustimmung, vgl. § 362 Abs. 1 HGB (sogenanntes „normiertes Schweigen“). Diesen handelsrechtlichen Grundsatz teilen die Rechte anderer Staaten jedoch nicht sämtlich oder jedenfalls nicht in dem gleichen Umfang.122 Das französische Recht beispielsweise verlangt für eine Bindung des Schweigenden eine sogenannte silence circonstancié.123 Schweigen auf eine Willenserklärung begründet danach grundsätzlich keine Annahmeerklärung, es sei denn, zwischen den Parteien bestünden ständige Geschäftsbeziehungen, denen das unbeantwortete Angebot sachlich und 118 Daß die Vorschrift nicht auf den Vertragsschluß durch Schweigen auf eine Willenserklärung beschränkt ist, betont mit Recht MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 145. 119 Die deutsche Rechtsprechung hat vor dem Inkrafttreten der Vorschrift vergleichbare Grundsätze wie in Art. 31 Abs. 2 EGBGB normiert angewendet, vgl. BGHZ 57, 72 (77) = NJW 1972, 391 mit Anm. v. Hoffmann, RabelsZ 36 (1972), 510; BGH WM 1973, 1238 (1240); BGH NJW 1976, 2075; BGH NJW 1982, 2733. 120 Das kaufmännische Bestätigungsschreiben fi xiert regelmäßig einen – jedenfalls nach Auffassung des Absenders – zustandegekommenen Vertrag zwischen Kaufleuten in seinen wesentlichen Ergebnissen in schriftlicher Form (siehe dazu statt aller Canaris, Handelsrecht, § 23 Rn. 17). Durch das Schweigen des Empfängers wird der Vertrag nach dessen Maßgabe verändert oder ergänzt; war der Vertrag noch nicht wirksam geschlossen, kommt er mit dem Inhalt des Bestätigungsschreibens zustande (vgl. zu den Einzelheiten Baumbach/Hopt, HGB, § 346 Rn. 16 ff.). Das Schweigen des Adressaten hat modifizierende oder konstitutive Wirkung. Art. 31 Abs. 2 EGBGB betrifft im erstgenannten Fall ein nachkonsensuales Verhalten, das funktionell und zeitlich im Zusammenhang mit dem Vertragsschluß steht (siehe Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 48). Es wäre unzutreffend, der Vorschrift Wirkungen allein für die vorkonsensuale Phase zuzuerkennen, wie das ein Teil des Schrifttums gefordert hat (vgl. die Nachweise bei Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 218 mit Fn. 2). Denn die Billigung einer nachträglichen einseitiger Vertragsänderung durch Schweigen – etwa im Wege der Übersendung von AGB – wird in Rechtsordnungen, die dem Schweigen im Rechtsverkehr keinen oder nur in Ausnahmefällen einen Erklärungswert beimessen, ebenfalls als ungewöhnlich empfunden; dann aber besteht ein hinreichender Anlaß, im Einzelfall die Sonderanknüpfung an das Umfeldrecht der ausländischen Partei zu gestatten; im übrigen wäre eine Differenzierung nach vertragsbegründenden und vertragsbestätigenden Bestätigungsschreiben nur schwer durchführbar (ebenso Martiny, ebd.). 121 Vgl. OLG Hamburg NJW 1980, 1232. 122 Vgl. aus der Rspr. OLG Köln NJW 1988, 2182 (2183) zum italienischen Recht; OLG Karlsruhe RiW 1994, 1046 (1047) zum italienischen Recht; OLG Hamburg NJW 1980, 1232 zum englischen Recht; OGH JBl. 1975, 89 zum österreichischen Recht. Das dänische Recht geht allerdings weiter als das deutsche Recht, indem es auch Nichtkaufleute an das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben bindet, vgl. Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 96; zur Sachrechtsvergleichung siehe Fischer, Verkehrsschutz, S. 315 ff. 123 Reitmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 214; Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 39.

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zeitlich zuzurechnen wäre.124 Noch enger ist hier das englische Recht, welches dem Schweigen ganz grundsätzlich, selbst bei Bestehen einer Geschäftsverbindung zwischen den Parteien, keinerlei Bedeutung beimißt.125 In fremden Rechtsordnungen hat das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben daher entweder keinerlei oder lediglich eingeschränkte Rechtswirkungen.126 Deshalb ist zu fragen, welche konkreten Rechtsfolgen es hat, wenn ein deutscher Kaufmann an einen Kaufmann in einem der Staaten, die diesbezüglich vom deutschen Recht abweichende Grundsätze anwenden, ein Bestätigungsschreiben übersendet. Ausgangspunkt der rechtlichen Bewertung des Schweigens auf ein aus Deutschland versandtes kaufmännisches Bestätigungsschreiben ist das Vertragsstatut, welches sich aus einer Rechtswahl der Parteien (Art. 27 Abs. 1 EGBGB) oder aus einer objektiven Anknüpfung (Art. 28 EGBGB) ergibt.127 Gälte in dem obigen Beispiel das englische Recht als Vertragsstatut, so wäre dem Schweigen des britischen Kontrahenten keine vertragsbegründende oder vertragsändernde Wirkung zuzuerkennen; einer Anwendung des Art. 31 Abs. 2 EGBGB bedürfte es in diesem Fall nicht, da nach dem englischen Recht ein Vertragsschluß bzw. eine Vertragsänderung nicht zustandegekommen wäre.128 Etwas anderes gilt unter Zugrundelegung des deutschen Rechts. Das Schweigen des britischen Kontrahenten wäre danach als Zustimmung zu bewerten, vgl. Art. 31 Abs. 1 EGBGB. Eine abweichende Bewertung kann aber nach Art. 31 Abs. 2 EGBGB gerechtfertigt sein, wenn und soweit eine kumulative Anknüpfung an das englische Recht zu erfolgen hätte. Die Rechtsprechung des BGH hat – bereits lange Zeit vor Inkrafttreten des Art. 31 Abs. 2 EGBGB – unter anderem anhand der Frage nach einer stillschweigenden Unterwerfung eines Ausländers 124 Reitmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 214; a. A. unter Geltung der früheren Rechtslage Hepting, RIW/AWD 1975, 457 (464), der kritisiert, daß das Bestehen einer längeren Geschäftsbeziehung ein sachrechtlicher Einwand und daher bei der kollisionsrechtlichen Anknüpfung verfehlt sei. 125 Chitty on Contracts, vol. I, 2–063; Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 39; Reitmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 214; siehe insbesondere OLG Hamburg NJW 1980, 1232 f.: An der Bewertung des Schweigens der Beklagten als nach englischem Recht indifferent hätte sich in dem Fall auch dann nichts geändert, wenn seit Aufnahme der Geschäftsverbindung zwischen den Parteien in den Folgejahren jeweils mehrfach Waren unter den gleichen Begleitumständen an die Beklagte verkauft worden wären und diese den Bestätigungsschreiben der Klägerin nicht widersprochen hätte. Aus der Sicht der Beklagten sei der nachträgliche Hinweis der Klägerin auf ihre AGB rechtlich unbeachtlich und begründe auch keine Notwendigkeit zu einer Reaktion. Unter diesen Umständen könne auch kein Geschäftsgebrauch der Parteien (engl. course of dealing) im Hinblick auf eine Einbeziehung der AGB ohne ausdrückliche Erwähnung auf der Grundlage eines entsprechenden allgemeinen Handelsbrauchs angenommen werden. 126 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 91. 127 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 129 f. 128 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 92, vgl. auch Reitmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 215.

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Erster Teil: Grundlagen

unter die deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) den Grundsatz aufgestellt, daß dem Schweigen einer Person keine rechtsgeschäftliche Wirkung beigelegt werden darf, sofern das Heimatrecht bzw. Wohnsitzrecht dieser Person eine solche Wirkung nicht vorsieht und die schweigende Person nach den Umständen des Einzelfalls mit der Anwendung des ihr vertrauten Rechts rechnen durfte.129 Mit Art. 31 Abs. 2 EGBGB ist dieser Grundsatz nunmehr geltendes Recht. Die Vorschrift betrifft beispielsweise Rechtswahlklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie die Rechtswahl im Wege nachgereichter kaufmännischer Bestätigungsschreiben.130 In solchen Fällen kann sich die andere Partei wegen Art. 27 Abs. 4 i. V. m. Art. 31 Abs. 2 EGBGB für die Behauptung, sie habe der Rechtswahlvereinbarung nicht zugestimmt, auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts berufen.131 Bei der Anwendung des Art. 31 Abs. 2 EGBGB ist allgemein danach zu fragen, ob der ausländische Adressat des Bestätigungsschreibens eine Veranlassung hatte, sich hinsichtlich des Vertragsinhalts auf die Geltung von – geschriebenen oder ungeschriebenen – rechtlichen Regelungen einzustellen, die von jenen des ihm vertrauten Rechts abweichen.132 Ist das der Fall, dann kommt eine Berufung auf das Umfeldrecht nicht in Betracht. Für eine Rechtswahlklausel in einem Bestätigungsschreiben wird die Frage von der Rechtsprechung seit jeher zutreffend dahingehend beantwortet, daß sich der Adressat nicht darauf einstellen muß, so daß er sich zur Begründung der Unwirksamkeit der Rechtswahl auf sein Umfeldrecht stützen kann.133 Dies gilt auch für nachgereichte Bestätigungsschreiben, die den materiellen Inhalt des Vertrags nachträglich abändern.134 Insoweit scheidet eine Sonderanknüpfung gemäß Art. 31 Abs. 2 EGBGB also trotz der Einschlägigkeit des Art. 32 EGBGB nicht generell aus. Sie scheitert aber in den Fällen der Kenntnis bzw. des Kennenmüssens des Adressaten von dem Grundsatz des deutschen Handelsrechts, daß Schweigen als Zustimmung gilt, sowie regelmäßig bei reinen Inlandsgeschäften.

129 Vgl. z. B. den sog. Pullover-Fall BGH NJW 1976, 2075 = RIW/AWD 1976, 534 mit abl. Anm. Buchmüller, NJW 1977, 501; dazu auch Stoll, FS Beitzke, 759 (762 f.); Kronke, NJW 1977, 992 f.; vgl. weiter den sog. Küchenmöbel-Fall BGHZ 57, 72 = NJW 1972, 391, in dem der BGH – in Einschränkung des Grundsatzes, daß das Schuldstatut auch über die Frage nach der Gültigkeit eines Geschäfts entscheidet – die Berücksichtigung des Wohnsitzrechts einer Person für erforderlich hielt, wenn streitig war, ob einem bestimmten Verhalten dieser Person (insbesondere dem Schweigen) überhaupt eine rechtsgeschäftliche Bedeutung zukam. 130 BGHZ 135, 124 (137) = BGH NJW 1997, 1697 (1700). 131 Rauscher, IPR, S. 240; Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 40; v. Bar, IPR II, Rn. 477; ausführlich MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 122 ff. 132 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 93. 133 BGH WM 1970, 1050; BGHZ 57, 72 (77) = NJW 1972, 391 mit Anmerkung v. Hoffmann, RabelsZ 36 (1972), 510; Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 93. 134 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 94.

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ee) Art. 31 Abs. 2 EGBGB und aktives Tun Die Anwendung des Art. 31 Abs. 2 EGBGB ist nicht auf die Fälle des Schweigens im Rechtsverkehr beschränkt.135 Vielmehr gilt die Vorschrift unstreitig auch für aktive Verhaltensweisen.136 Hier ist vor allem an die Bewertung von Realakten als konkludente Annahmeerklärung zu denken, etwa die Entgegennahme oder das Behalten von unbestellt zugesandten Waren, die Gegenzeichnung einer Rechnung, die Zahlung eines Kaufpreisteils, usw.137 Auch Gestik und Mimik einer Partei können eine Rolle spielen. Nach Art. 31 Abs. 2 kann sich nicht nur der Adressat des Angebots, sondern auch der Offerent selbst auf sein Umweltrecht berufen.138 Das wird immer dann praktisch, wenn die Bindung an das Angebot in Frage steht bzw. wenn eine Abgrenzung zwischen einem bindenden Angebot und einer bloßen invitatio ad offerendum zu erfolgen hat.139 ff) Die Erforderlichkeit einer umfassenden Interessenabwägung Die Beurteilung der Frage, ob eine kumulative Sonderanknüpfung an das Umfeldrecht einer Partei gemäß Art. 31 Abs. 2 EGBGB erforderlich ist, macht eine umfassende Interessenabwägung erforderlich. Dabei ist das Interesse des Rechtsverkehrs und des Kollisionsrechts an einer nach Möglichkeit einheitlichen Anknüpfung von Schuldverträgen gegen das Interesse derjenigen Partei abzuwägen, die sich hinsichtlich der Bewertung ihres Verhaltens auf die Geltung des ihr vertrauten Heimatrechts beruft und die infolgedessen nicht mit einer vertraglichen Bindung gerechnet hat.140 Eine Sonderanknüpfung nach 135

Denkschrift der Bundesregierung zum Übereinkommen, BT-Drucks. 10/503, S. 29: „Im deutschen Recht werden hierbei vor allem die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens berührt. Artikel 8 Abs. 2 betrifft aber nicht nur die Wirkungen des Schweigens, sondern soll auch anwendbar sein, wenn ein anderes für den Vertragsschluß relevantes ‚Verhalten‘ einer Partei zu beurteilen ist.“ 136 Giuliano/Lagarde, Bericht, BT-Drucks. 10/503, S. 60 (zu Art. 8 Abs. 2 EVÜ; Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 43; Palandt/Heldrich, Art. 31 EGBGB Rn. 5; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 215; Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 31. 137 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 42; OLG Köln RiW 1996, 778. 138 Giuliano/Lagarde, Bericht, BT-Drucks. 10/503, S. 60; Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 43; MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 70. 139 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 43. 140 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 55 m. w. N. – Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind beispielsweise folgende Aspekte beachtlich: die konkreten Umstände der Vertragsanbahnung, die zwischen den Parteien bestehenden Geschäftsbeziehungen und praktizierten Gepflogenheiten, die Kenntnis der Gebräuche und des Rechts am Ort der Erklärungen. Des weiteren hängen die im Einzelfall anzustellenden Zumutbarkeitserwägungen unter anderem davon ab, ob die Partei, die sich auf ihr Heimatrecht beruft, den Geschäftskontakt selbst angebahnt hat oder ob dies durch den anderen Vertragsteil geschehen ist und die Partei sich lediglich passiv verhalten hat, sowie ob es sich bei der Partei um einen Kaufmann oder einen Nichtkaufmann handelt. Schließlich ist der Sorgfaltsmaßstab davon abhängig, ob es sich um ein Geschäft des täglichen Lebens oder um ein wirtschaftlich bedeutendes Ge-

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Erster Teil: Grundlagen

Art. 31 Abs. 2 EGBGB ist insbesondere bei internationalen Distanzgeschäften gerechtfertigt, die nach Art. 31 Abs. 1 EGBGB einem Vertragsstatut unterliegen, das die auf eine Willenserklärung des anderen Teils hin schweigende Partei nicht kennt und auch nicht kennen muß.141 In diesen Fällen ist das Interesse der schweigenden Partei an der Berücksichtigung des Umfeldrechts bei der Bewertung ihres Schweigens größer als bei einem Vertragsabschluß im Inland, weil der Bezug zu dem ihr vertrauten Heimatrecht stärker ist als der bezug zu der Rechtsordnung, die das Vertragsstatut bestimmt.142 Wurde der Vertrag von den Parteien in Deutschland ausgehandelt und unterliegt er gemäß Art. 31 Abs. 1 EGBGB dem deutschen Recht, dann scheidet eine kumulative Sonderanknüpfung an das Heimatrecht einer Partei im Regelfall aus, da bei Inlandsgeschäften das Verkehrsinteresse an einer einheitlichen Anknüpfung überwiegt und etwaige Bezüge zu dem Umfeldrecht dieser Partei geringer als bei Distanzgeschäften ausgeprägt sind.143 Das vielfach und meist undifferenziert gebrauchte Argument der Rechtsprechung, daß derjenige, der sich freiwillig in einen anderen Rechtskreis begibt, sich das dort geltende Recht entgegenhalten lassen müsse, hat – wenn es auch in dieser Allgemeinheit nicht überzeugen kann – jedenfalls kollisionsrechtlich, vor dem Hintergrund der wegen Art. 31 Abs. 2 EGBGB erforderlichen Interessenabwägung, durchaus eine gewisse Überzeugungskraft.144 Es wird aber schon dann brüchig, wenn die Inlandsbeziehung eine „flüchtige, rein verkehrstechnische“145 ist, d. h. in den Fällen, in denen der Vertragsabschluß gleichsam „zufällig“ im Inland erfolgt. Im Schrifttum werden zum Teil weitergehende Einschränkungen der Möglichkeit einer kumulativen Anknüpfung an das Umfeldrecht einer Partei gemäß Art. 31 Abs. 2 EGBGB befürwortet, etwa für den Fall der isolierten Rechtswahlvereinbarung. Darin soll ein Verzicht auf die Geltendmachung des Umfeldrechts liegen.146 Ein weiteres Beispiel einer postulierten Einschränkung ist die objektiv freiwillige Schaffung eines Auslandsbezugs.147 Dieser Literaturmeinung ist zu widersprechen.148 Zwar mag es gerechtfertigt sein, in diesen Fällen erhöhte Anforderungen an die Berücksichtigung des Umweltrechts zu stel-

schäft handelt. Art. 31 Abs. 2 EGBGB ist allerdings keine Norm des Verbraucherschutzes; ausführlich zum Vorstehenden Hausmann, a.a.O., Rn. 55, 57 ff., 61, 66 f. 141 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 63; Reitmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 216: „Die Berufung auf das Recht des Aufenthaltsortes ist umso mehr gerechtfertigt, je weniger Bezüge zu der das Vertragsstatut bildenden Rechtsordnung bestehen.“ 142 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 63. 143 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 64. 144 Vgl. Kallenborn, Sprachenproblem, S. 189 f. 145 Fischer, Verkehrsschutz, S. 344. 146 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 96. 147 V. Hoffmann, RabelsZ 36 (1972), 515; Linke, ZVglRWiss 79 (1980), 1 (32). 148 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 68.

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len. Eine generelle Versagung einer Berufung darauf würde allerdings eine zu starke Einschränkung des Art. 31 Abs. 2 EGBGB bedeuten. gg) Art. 31 Abs. 2 EGBGB und die „Sprachrisiko“-Problematik (1) Grundlagen. Art. 31 Abs. 2 EGBGB ist bei der kollisionsrechtlichen Zuweisung des „Sprachrisikos“ grundsätzlich zu beachten. Diese These findet in der Literatur zum Teil Unterstützung149, zum Teil wird sie bestritten150 . Ausgehend vom Vorstehenden kann es dabei wie in den sonstigen Fallgestaltungen, die unter Art. 31 Abs. 2 EGBGB subsumiert werden, nur um die Frage des „Zustandekommens“ – d. h. um die vertragskonstituierende Wirkung des Verhaltens der sprachunkundigen Partei –, nicht aber um Fragen der Wirksamkeit des Vertrags im übrigen gehen. Die Beantwortung der letzteren richtet sich allein nach dem Vertragsstatut, vgl. Art. 31 Abs. 1, Art. 32 Abs. 1 EGBGB. Die „eigentlichen“ rechtlichen Folgen sprachlichen Unvermögens sind in ihrer weit überwiegenden Mehrzahl im materiellen Recht des Vertragsstatuts zu verorten.151 Die dabei zu behandelnden Fragenkreise des materiellen Rechts sind unterschiedlichster Art.152 Im deutschen Recht sind beispielsweise die Vorschriften über die Abgabe und den Zugang von Willenserklärungen, die Anfechtung von Willenserklärungen in § 119 BGB und § 123 BGB sowie die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB, etc. auf ihre Anwendbarkeit im Hinblick auf spezifische Aspekte des „Sprachrisikos“ zu untersuchen. Insoweit ist den Kritikern, die Art. 31 Abs. 2 EGBGB für die Problematik des „Sprachrisikos“ nur eine geringe Bedeutung zuerkennen, also durchaus beizupflichten. Art. 31 Abs. 2 EGBGB erfaßt mitnichten sämtliche Fragen, die in Schrifttum und Judikatur mit dem Begriff des „Sprachrisikos“ in Verbindung gebracht werden.153 Praktisch wird Art. 31 Abs. 2 EGBGB bei sprachlichen Mißverständnissen in rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen oder in bezug auf AGB154 im Zusammenhang mit dem Abschluß von Distanzgeschäften sowie möglicherweise – al149

V. Bar, IPR II, Rn. 477 mit Fn. 313. MüKo/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 90 hält Art. 31 Abs. 2 EGBGB für „weder nützlich noch einschlägig beim sog. ‚Sprachrisiko‘“. Das sprachlich bedingte Mißverständnis sei wie jedes andere auch mit den Regeln der lex causae über Auslegung, Zugang und Willensmängel zu lösen; Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 113 meint, daß die Problematik des Schweigens, auf deren Grundlage die Theorie des Umweltrechts beruhe, mit der Behandlung von Verständigungsschwierigkeiten nichts zu tun habe, denn diese betreffe das Schweigen auf eine richtig verstandene Erklärung. 151 Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382; vgl. auch Schwarz, IPrax 1988, 278 (279). 152 Ebenso Kallenborn, Sprachenproblem, S. 184. 153 Vgl. Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 46: Es gebe nur selten Sachverhaltskonstellationen, in denen eine Anwendung von Art. 31 Abs. 2 EGBGB auf das Verständigungsrisiko opportun erscheine. Eine generelle Sonderanknüpfung des Verständigungsrisikos sei folglich abzulehnen. 154 Vgl. den Fall OLG Hamm IPrax 1996, 197 = NJW-RR 1996, 1271 (Abtretungsanzeige in englischer Sprache, die von dem rußlanddeutschen Empfänger nicht verstanden wird). 150

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Erster Teil: Grundlagen

lerdings in einem geringeren Umfang – auch bei Inlandsgeschäften mit Ausländern.155 So mag der Sprachunkundige als Adressat einer fremdsprachigen Willenserklärung mit Schweigen reagieren. Diese Fallgestaltung bildet lediglich einen Ausschnitt aus der oben erörterten Frage nach der Sonderanknüpfung des Schweigens überhaupt.156 Dabei ist die Annahme zugrundezulegen, daß die Erklärung in einer Sprache abgefaßt ist, die der Adressat entweder überhaupt nicht versteht oder die er mißversteht. Das muß nicht zwingend die Heimatsprache des Absenders sein. Denkbar ist weiter der umgekehrte Fall, daß der Sprachunkundige ausdrücklich eine Erklärung abgibt, die aus dem objektivierten Empfängerhorizont als wirksame Willenserklärung erscheint, wobei sich allerdings später herausstellt, daß der Erklärende den Inhalt seiner Erklärung nicht verstanden hat.157 Hier stellt sich die Frage nach der „Zurechnung eines nur äußerlich existenten Erklärungsaktes“.158 Wegen Art. 31 Abs. 2 EGBGB ist – unabhängig vom Bestehen materiellrechtlicher Anfechtungstatbestände im Fall des Fehlens des „Erklärungsbewußtseins“159 nach dem einschlägigen Vertragsstatut – das Umfeldrecht der betroffenen Partei daraufhin zu untersuchen, ob der Tatsache des Nichtverstehens seitens des Erklärenden eine „vertragszerstörende“ Wirkung beigemessen wird.160 (2) Die These von der Existenz eines eigenständigen „Sprachenstatuts“. Es hat sich als erforderlich erwiesen, zwischen der kollisionsrechtlichen Frage einer generellen Sonderanknüpfung und einer materiellrechtlichen Zuweisung des Sprachrisikos zu trennen. Im folgenden soll untersucht werden, ob eine von den in Art. 31 Abs. 1 EGBGB normierten Grundsätzen abweichende, generelle Sonderanknüpfung der Sprachenfrage kollisionsrechtlich betrachtet begründet werden kann. Von einem Vertreter des Schrifttums wurde dazu im Jahr 1981 vorgeschlagen, eine einheitliche Anknüpfung des sogenannten „Sprachenstatuts“ vorzunehmen, das die für den jeweiligen Vertrag geltende „Vertragssprache“ bestimme.161 In Parallelität zu der Festlegung des Vertragsstatuts als derjenigen Rechtsordnung, die für einen Vertrag mit Auslandsberührung maßgeblich ist, soll danach auch das „Sprachenstatut“ festgelegt werden, das bei Verträgen mit anderssprachigen Geschäftspartnern die für den jeweiligen Ver155

Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 97. Kallenborn, Sprachenproblem, S. 188. 157 Kallenborn, Sprachenproblem, S. 188. 158 Kallenborn, Sprachenproblem, S. 188. 159 Da Art. 31 Abs. 2 EGBGB auf Art. 8 Abs. 2 EVÜ beruht, ist eine autonome Auslegung der Bestimmung erforderlich; die Verwendung von Begriffen des Allgemeinen Teils des BGB ist geeignet, diesen Sachverhalt zu verdecken und statt einer autonomen Auslegung eine der deutschen Terminologie entsprechende Auslegung zu fördern. 160 Ähnlich Kallenborn, Sprachenproblem, S. 189. 161 Beckmann, Sprachenstatut, S. 22; ders., RIW/AWD 1981, 79 f. 156

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trag maßgebende Sprache bestimme.162 Die Vertragssprache stellt nach dieser Ansicht den Maßstab dar, nach welchem das „Sprachrisiko“ zwischen den Parteien zu verteilen ist: Diejenige Partei, welche sich der Vertragssprache bediene, könne „gewisse Rechtsvorteile“ für sich in Anspruch nehmen, wohingegen jene Partei, welche eine andere als die Vertragssprache verwende, mit „gewissen Rechtsnachteilen“ zu rechnen habe.163 Ebenso wie sich bei Verträgen mit ausländischen Partnern die Frage nach der Rechtsordnung stelle, welcher der Vertrag unterstehe, ergebe sich bei Verträgen zwischen Partnern mit verschiedenen Heimatsprachen die Frage, welche Sprache für den Vertrag maßgebend sei. Deshalb sei es angezeigt, in Parallelität zum Begriff des Vertragsstatuts, das die anwendbare Rechtsordnung bestimme, den Begriff des „Sprachenstatuts“ einzuführen.164 Die Parteien könnten wegen der Geltung des Grundsatzes der Parteiautonomie eine ausdrückliche oder stillschweigende Sprachenwahl vornehmen165 , wobei sie auch mehrere Sprachen ausdrücklich oder stillschweigend als gleichberechtigte Vertragssprachen vereinbaren könnten.166 Ob ein Wille der Parteien, eine solche Sprachenwahl vorzunehmen, tatsächlich existierte, müsse aus den konkreten Umständen des Einzelfalls abgeleitet werden.167 Bei Fehlen einer Sprachenwahl sei von einem „Gleichlauf“ zwischen Vertragsstatut und „Sprachenstatut“ auszugehen. Als Vertragssprache gelte die Sprache desjenigen Landes, dessen Rechtsordnung für den betreffenden Vertrag maßgebend sei.168 Die Vertragssprache bestimme sich nach dem Vertragsstatut.169 Dadurch würden Übersetzungsschwierigkeiten bei der Übertragung von Fachausdrücken und Rechtsinstituten der maßgeblichen Rechtsordnung in eine andere Sprache vermieden.170 In dem Fall, daß in dem Land, dessen Rechtsordnung als Vertragsstatut gilt, mehrere offizielle Sprachen existieren – wie z. B. in der Schweiz sowie in Belgien, Kanada und Finnland –, gelte diejenige Landessprache als Vertragssprache, welche in dem Landesteil gesprochen werde, zu dem der Ver162

Beckmann, Sprachenstatut, S. 3 f., 22 f. Beckmann, Sprachenstatut, S. 15, 137, 190; ders., RIW/AWD 1981, 79. 164 Beckmann, RIW/AWD 1981, 79 (80). 165 Beckmann, Sprachenstatut, S. 14, 32 ff., 46; ders., RIW/AWD 1981, 79 (80). 166 Beckmann, Sprachenstatut, S. 40, 45. Eine stillschweigende Sprachenwahl mehrerer Vertragssprachen ist nach Ansicht des Verf., a.a.O., S. 45 anzunehmen, wenn a) jede der Parteien bereits in den Vertragsverhandlungen ihre eigene Heimatsprache verwendet hat, b) keine der Parteien einer solchen Verwendung der Heimatsprache durch die andere Partei widersprochen hat und wenn c) der Vertrag darüber hinaus sowohl in der Heimatsprache der einen als auch in derjenigen der anderen Partei abgefaßt und unterzeichnet worden ist. Wenn diese drei Voraussetzungen gegeben seien, dann sei davon auszugehen, daß die Parteien die gleichberechtigte Nebeneinandergeltung ihrer beiden Heimatsprachen gewollt hätten, auch wenn dies zwischen ihnen nicht ausdrücklich vereinbart worden sei. 167 Beckmann, Sprachenstatut, S. 35. Verf. benennt a.a.O., S. 36 ff. insgesamt sechs Kriterien, die seines Erachtens als Indizien für eine stillschweigende Sprachenwahl sprechen. 168 Beckmann, Sprachenstatut, S. 57 f., 190; ders., RIW/AWD 1981, 79 (81). 169 Beckmann, RIW/AWD 1981, 79 (81); ders., Sprachenstatut, S. 23. 170 Beckmann, RIW/AWD 1981, 79 (81). 163

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trag seine engste Bindung aufweist.171 Das „Sprachenstatut“ gelte auch schon in der vorkonsensualen Phase.172 Der Grundsatz der einheitlichen Geltung des „Sprachenstatuts“ bedürfe im übrigen keiner Einschränkung durch die Theorie der isolierten Anknüpfung des Annahmeverhaltens an das Heimatrecht des Annehmenden,173 da die Situation des Sprachunkundigen sich nicht mit derjenigen des Schweigenden decke.174 Schließlich soll nach dieser Ansicht auch bei der Verwendung von AGB gegenüber anderssprachigen Geschäftspartnern der Grundsatz gelten, daß allein die Fassung in der Vertragssprache maßgeblich ist. Lediglich zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten im Ausland sei die Beifügung einer unverbindlichen Übersetzung in der Heimatsprache des Adressaten zu empfehlen.175 (3) Die scheinbare Stringenz dieses Ansatzes. Die These von der Existenz eines eigenständigen „Sprachenstatuts“ erscheint auf den ersten Blick stringent: Art. 27 Abs. 1 EGBGB gestattet den Parteien als Ausdruck der Parteiautonomie die ausdrückliche oder stillschweigende Rechtswahl. Die Zulässigkeit einer Sprachenwahl als Ausdruck der Parteiautonomie ist ebenfalls anerkannt.176 Fehlt es – wie häufig – an einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Sprachenwahl durch die Parteien, wurde aber deutsches Recht als Vertragsstatut vereinbart oder weist der Vertrag objektiv die engste Verbindung mit dem deutschen Recht auf, dann soll die deutsche Sprache die entscheidenden Maßstäbe für die Lösung der Sprachenfrage bereithalten, sog. „abgeleitete Anknüpfung“ oder „Gleichlauf von Vertragsstatut und Sprachenstatut“.177 Aus dem Prinzip des Gleichlaufs zwischen Vertragsstatut und „Sprachenstatut“ folgt nach dieser Lehre, daß als Vertragssprache die Sprache desjenigen Landes gilt, dessen Rechtsordnung für den betreffenden Vertrag maßgebend ist.178 Als Argument dafür wird angeführt, daß sich das Sprachenstatut durch eine lediglich abgeleitete Anknüpfung leicht bestimmen lasse179 und daß die Regel des „Gleichlaufs“ von Vertragsstatut und Sprachenstatut klar und eindeutig sei und damit zu einem reibungslosen Geschäftsverkehr im internationalen Handel beitrage.180 Weiter diene die Regel vom Gleichlauf der Rechtssicherheit, weil durch die Be171

Beckmann, RIW/AWD 1981, 79 (81). Beckmann, Sprachenstatut, S. 139, 146 ff., 150 f., 157, 191 f. 173 D.i. der jetzige Art. 31 Abs. 2 EGBGB. 174 Beckmann, Sprachenstatut, S. 157. 175 Beckmann, Sprachenstatut, S. 173 f., 192. 176 Spellenberg, IPRax 2007, 98 (99). 177 Beckmann, Sprachenstatut, S. 47 f., 51. 178 Beckmann, Sprachenstatut, S. 57 f. In Ländern, in denen es mehrere offizielle Sprachen gibt, soll die engste Verbindung zu einem Landesteil maßgebend sein; dort, wo es an einer solchen Verbindung fehlt, könne es zur Geltung von zwei Vertragssprachen kommen, vgl. a. a.O., S. 55 f. 179 Beckmann, Sprachenstatut, S. 52. 180 Beckmann, Sprachenstatut, S. 53. 172

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stimmung des Vertragsstatuts zugleich auch die Vertragssprache feststehe, ohne daß es durch die Unterstellung eines hypothetischen, in Wahrheit aber nicht bestehenden Parteiwillens hinsichtlich einer Sprachenwahl zu überraschenden Ergebnissen kommen könne, mit denen die Parteien bei Vertragsabschluß nicht gerechnet haben.181 Auch liege ein entscheidender Vorteil des Prinzips vom Gleichlauf zwischen Vertragsstatut und Sprachenstatut darin, daß Übersetzungsschwierigkeiten bei der Übertragung von Fachausdrücken und Rechtsinstituten der maßgeblichen Rechtsordnung in eine andere Sprache vermieden würden. Da Sprache und Rechtsordnung desselben Landes maßgebend seien, gälten die rechtlichen Fachausdrücke in ihrer ursprünglichen Fassung. Andernfalls müßten termini technici der maßgeblichen Rechtsordnung in eine andere Sprache übertragen werden, was konfliktträchtig sei.182 Der Grundsatz der Übereinstimmung von Vertragsstatut und Sprachenstatut soll immer dann zum Zuge kommen, wenn die Parteien keine Sprachenwahl vorgenommen haben.183 Aus der Sicht der Parteien sei darüber hinaus wegen der Geltung des „Gleichlaufprinzips“ eine Sprachenwahl verzichtbar.184 Aus dem Umstand, daß die Parteien sich während der gesamten Vertragsverhandlungen einer bestimmten Sprache bedient haben, ist nach dieser Lehre auf eine stillschweigende Sprachenwahl zu schließen.185 (4) Die Vertragssprache als zentrales Merkmal. Der Dreh- und Angelpunkt dieser Lehre ist die Verwendung der einschlägigen – sich aus einer Sprachenwahl der Parteien oder aus dem Prinzip des Gleichlaufs zwischen Vertragsstatut und Sprachenstatut ergebenden – „Vertragssprache“: Hat sich eine Partei bei der Abgabe ihrer Vertragserklärung der Vertragssprache bedient, so muß sich der Empfänger um das Verständnis der Erklärung bemühen.186 Versteht der Empfänger die „Vertragssprache“ nicht, hat das zur Folge, daß er auf seine Kosten eine Übersetzung durch einen Sprachkundigen anfertigen lassen muß.187 Wenn sich der Erklärende seinerseits der Vertragssprache nicht fehlerfrei bedient hat, muß er die sich daraus ergebenden Nachteile tragen.188 Wurde die Erklärung in 181

Beckmann, Sprachenstatut, S. 53. Beckmann, Sprachenstatut, S. 54. 183 Beckmann, Sprachenstatut, S. 54. 184 Beckmann, Sprachenstatut, S. 54. 185 Beckmann, Sprachenstatut, S. 36. 186 Beckmann, Sprachenstatut, S. 82. Dieser Grundsatz soll auch dann greifen, wenn mehrere Vertragssprachen gelten (a.a.O., S. 107). 187 Beckmann, Sprachenstatut, S. 82, 94 ff., 97, 99, 102 f. Im Falle des Unterlassens einer Übersetzung habe der Empfänger das Risiko dafür zu tragen, daß er die in der Vertragssprache abgegebene Erklärung falsch versteht. Wenn der Absender seiner in der Vertragssprache abgefaßten Erklärung eine Übersetzung in der Sprache des Erklärungsempfängers beifüge, so veranlasse er dies aus bloßer Gefälligkeit. Hieraus dürften ihm keine Nachteile entstehen (a.a.O., S. 101). 188 Beckmann, Sprachenstatut, S. 83. 182

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einer „Nicht-Vertragssprache“ abgegeben, dann besteht grundsätzlich keine Pflicht des Empfängers, sich um deren Verständnis zu bemühen. Es soll daher der Grundsatz gelten, daß diejenige Partei die Nachteile für fremdsprachliche Verständnisschwierigkeiten – also das „Sprachrisiko“ – tragen muß, die die „Vertragssprache“ nicht oder nicht korrekt verwendet hat, während diejenige Partei, die sich der „Vertragssprache“ fehlerfrei bedient hat, die Last für ein sprachliches Mißverstehen nicht zu tragen braucht.189 Die These von der Maßgeblichkeit der Vertragssprache ist nicht vereinzelt geblieben. Vielmehr legt sie die deutsche Rechtsprechung im Rahmen des materiellen Rechts wie selbstverständlich zugrunde, und dies keineswegs nur im grenzüberschreitenden kaufmännischen Geschäftsverkehr.190 Allerdings müssen das Kollisionsrecht und das Sachrecht voneinander strikt getrennt betrachtet werden.191 Der Umstand, daß der Vertragssprache im materiellen Recht, z. B. bei der Einbeziehung von AGB in Verträge, nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Bedeutung zukommt, kann für sich genommen den Rekurs auf dieses Merkmal im Rahmen des Kollisionsrechts nicht rechtfertigen. (5) Kritik an der Lehre vom eigenständigen „Sprachenstatut“. Trotz ihrer scheinbaren Stringenz kann die These von der Existenz eines eigenständigen kollisionsrechtlichen „Sprachenstatuts“ insgesamt nicht überzeugen. Sie hat sich deshalb zu Recht nicht durchgesetzt.192 Gegen sie spricht zunächst, daß das deutsche Recht sowie andere Rechtsordnungen den Gebrauch fremder Sprachen zulassen. Man spricht deshalb von dem Grundsatz der Sprachenfreiheit oder Grundsatz der freien Sprachenwahl.193 Anders als im Verkehr mit Behörden194 und Gerichten195 gibt es im deutschen Privatrecht keine Rechtspflicht oder Obliegenheit, sich im Rechtsverkehr der deutschen Sprache zu bedienen.196 Die Verhandlungssprache – d. h. die Sprache, in der die Parteien mündliche oder schriftliche Vertragsverhandlungen geführt haben – und die Vertragssprache – 189 Beckmann, Sprachenstatut, S. 83 ff., 97, 99 f., 102. Dies schließt die Haftung für Übersetzungsfehler ein, vgl. a.a.O., S. 110 f., 113, 115. 190 Siehe nur – zur Frage der wirksamen Einbeziehung von AGB im Rahmen eines Fertighausvertrages – BGHZ 87, 112 (114) = NJW 1983, 1351. 191 Vgl. auch Spellenberg, IPRax 2007, 98 (99 f.). 192 Gegen sie votieren u. a. Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 98; Reithmann/ Martiny, Int. VertragsR, Rn. 220; MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 104; ders., IPRax 2007, 98 (99); Freitag, IPrax 1999, 142 (143 f.); Rott, ZVglRWiss 1999, 382 (392 f.); Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 53; Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 61 ff., 116 ff.; Blase/Dornhegge, RIW 2002, 55 (56 f.). 193 MüKo BGB/Spellenberg, Vor § 11 EGBGB Rn. 104, 106; zur Sprachenfreiheit als „Querschnittsgrundrecht“ aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Kahl, JuS 2007, 201 ff. 194 Gemäß § 23 Abs. 1 VwVfG ist die Amtssprache vor Behörden Deutsch. 195 Gemäß § 184 GVG ist die Gerichtssprache Deutsch. 196 So schon Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 mit Nachweisen zur älteren Gegenansicht in Anm. 4.

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also die Sprache, in der der Vertrag geschossen wurde – unterliegen keinem rechtlichen Zwang zum „Gleichlauf“. Unstreitig sind beispielsweise notarielle Beurkundungen in einer anderen Sprache als derjenigen des Geschäftsstatuts möglich (vgl. § 16 Abs. 1 BeurkG).197 Bei Schecks und Wechseln ist die Verwendung der deutschen Sprache ebenfalls nicht Voraussetzung.198 Die Rechtsprechung hat sogar die Mehrsprachigkeit eines Wechsels unbeanstandet gelassen.199 Weiter ist es bedenklich, wenn – ohne eine gesetzliche Grundlage – dem Faktum der Verwendung einer bestimmten Sprache generell und ausnahmslos eine konkrete rechtliche Bedeutung zukommen soll. Zwar ist es unbestreitbar, daß die Parteien eine „bewußte Sprachenwahl“ mit rechtlich bindendem Charakter treffen können 200 – wenngleich insoweit schon kritisiert werden muß, daß der Fall wohl eher theoretischer Natur ist, da sich Verabredungen dieser Art in der Rechtsprechung nicht nachweisen lassen.201 Auch ist es selbstverständlich für die Vertragsdurchführung nützlich, wenn sich beide Parteien der Sprache des Geschäftsstatuts bedienen. Eine rechtliche Verpflichtung der Parteien, die Sprache des Aufenthaltsorts zu beherrschen, besteht aber wie gesagt nicht. 202 Derartige Verpflichtungen zur Beherrschung der deutschen Sprache bestehen – außerhalb der Privatrechtsordnung – für Ausländer nur dann, wenn sie eine dauerhafte Integration in die Bundesrepublik in Wege der Einbürgerung anstreben.203 Allein aus der Sprachenverwendung darf aber nicht auf einen still197 MüKo BGB/Spellenberg, Vor § 11 EGBGB Rn. 103; ders., 2. FS Ferid, S. 463 (464); a. A. OLG Frankfurt/M., NJW 1982, 1949. Danach muß ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben grundsätzlich, wenn es Abänderungen bringt, in der Sprache gehalten sein, in der mündlich verhandelt worden ist. 198 Siehe Art. 1 Nr. 1 ScheckG; Art. 1 Nr. 1, Art. 75 Nr. 1 WechselG. 199 BGHZ 82, 200 (202 f.): „Unschädlich ist allerdings, daß der vorgedruckte Text der Urkunden in spanischer Sprache abgefaßt ist. Es ist nicht notwendig, daß ein in Deutschland ausgestellter Wechsel einen deutschen Wortlaut hat (vgl. BGHZ 21, 155, 158). Auch die gemischtsprachige Wiedergabe des Ausstellungsdatums mit deutschen und spanischen Worten verletzt keine wechselrechtliche Formvorschrift. Gemischtsprachige Wechsel kommen namentlich in Ländern mit verschiedenen Nationalitäten vor, oder wenn – wie hier – ein Vordruck in einer anderen Sprache ausgefüllt worden ist als derjenigen, in der er abgefaßt ist (. . .).“ Das Gleiche gilt für Testamente, vgl. Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (464) m. w. N. in Anm. 4. 200 Ausführlich zu vertraglichen Sprachregeln als Ausdruck privatautonomer Gestaltung Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 87 ff. 201 MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 138. 202 MüKo BGB/Spellenberg, Vor § 11 EGBGB Rn. 103, 114 f.; a. A. Beckmann, Sprachenstatut, S. 60. 203 So hat z. B. das BVerwG hat mit zwei Urteilen vom 4. 9. 2003 (BVerwGE 119, 6 = Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 100 und BVerwG DVBl. 2004, 448 = NVwZ 2004, 753) entschieden, daß Spätaussiedler Deutsch einigermaßen flüssig und in ganzen Sätzen sprechen können müssen. Für die Fähigkeit nach § 6 Abs. 2 S. 3 BVFG, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, sei die Fähigkeit zu einem einigermaßen flüssigen, in ganzen Sätzen erfolgenden Austausch in Rede und Gegenrede erforderlich. Ein durch Nichtverstehen bedingtes Nachfragen oder Suchen nach Worten oder stockendes Sprechen, also ein langsameres Verstehen und Reden als zwischen in Deutschland aufgewachsenen Personen oder Fehler in Satzbau, Wortwahl

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schweigenden Parteiwillen geschlossen werden, 204 weder im Hinblick auf eine Rechtswahl gemäß Art. 27 EGBGB205 noch in bezug auf einen materiellrechtlichen Rechtsbindungswillen bezüglich der Verbindlichkeit der gebrauchten Sprache selbst.206 Denn die Sprachenwahl wird – vor allem im internationalen Geschäftsverkehr – oftmals eine reine „Verlegenheitslösung“ ohne jeden rechtsverbindlichen Charakter sein, getroffen bloß zu dem praktischen Zweck, überhaupt eine Verständigung zwischen den Kontrahenten und damit einem Vertragsabschluß zu ermöglichen. 207 Dies gilt insbesondere auch für die englische Sprache, die man treffend als „internationale Verkehrssprache für kommunikative Notfälle“208 bezeichnet hat. Beispiel: Wenn ein holländischer und ein italienischer Kaufmann auf der Mailänder Modemesse Vertragsverhandlungen radebrechend in deutscher Sprache führen, weil nur einer der beiden Beteiligten die „Weltsprache“ Englisch verhandlungssicher beherrscht – darf dann schon unterstellt werden, daß nach dem Willen der Parteien allein die deutsche Sprache das künftige Vertragsverhältnis beherrschen soll, und darüber hinausgehend, und Aussprache seien unschädlich, wenn sie nach Art oder Zahl dem richtigen Verstehen nicht entgegenstünden. Mit Urteil v. 20. 10. 2005 (BVerwGE 124, 268 = NJW 2006, 1079 m. krit. Anm. Hailbronner, JZ 2007, 201 ff.) hatte das BVerwG die umstrittene Frage, was unter „ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache“ i. S. des § 10 StAG zu verstehen ist, geklärt. Danach ist für eine Anspruchseinbürgerung gemäß dieser Vorschrift erforderlich, daß neben mündlichen auch gewisse schriftliche Kenntnisse der deutschen Sprache vorliegen. Der Einbürgerungsbewerber müsse sich nicht eigenhändig schriftlich ausdrücken können, sondern dürfe sich der Hilfe Dritter bedienen. Wenn er selbst nicht deutsch schreiben könne, müsse er deutschsprachige Texte des täglichen Lebens lesen und diktieren sowie das von Dritten mit technischen Hilfsmitteln Geschriebene auf seine Richtigkeit überprüfen und so die schriftliche Äußerung als seine „tragen“ können. Diese Rechtsprechung ist mit der Neufassung des § 10 StAG v. 19. 8. 2007 Makulatur geworden. Zwar werden gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 StAG nach wie vor „ausreichende Sprachkenntnisse“ verlangt. Wie sich aus Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift ergibt, liegen diese Voraussetzungen bei Erwachsenen aber nur dann vor, wenn die Anforderungen der Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen) „in mündlicher und schriftlicher Form“ erfüllt sind. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer „altersgemäßen Sprachentwicklung“ erfüllt (§ 10 Abs. 4 S. 2 StAG). – Aus der Rechtsprechung zu § 6 Abs. 2 BVFG betreffend die sog. Spätaussiedler vgl. weiter BVerwG NVwZRR 2002, 697; BVerwGE 99, 133 = NVwZ-RR 1996, 232; BVerwGE NVwZ-RR 1997, 381. 204 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 96. 205 So auch OLG Koblenz NJW-RR 2001, 490 = NZM 2001, 642. 206 Allein dann, wenn der rechtsverbindliche Charakter der Sprachenwahl sicher feststände, ließe sich mit Schäfer, JZ 2003, 879 (883) eine Qualifikation als „Geltungserklärung“ bzw. als „(Begleit-)Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspfl icht i. S. v. § 241 Abs. 2 BGB“ begründen. Richtigerweise genügt es dafür aber nicht, daß sich eine Partei widerspruchslos und freiwillig auf eine Sprache, die von der anderen Partei verwendet wurde, einläßt. Das „widerspruchslose Sicheinlassen“ auf eine bestimmte Sprache ist keine Willenerklärung und kann daher auch ein Begleitschuldverhältnis gemäß § 241 Abs. 2 BGB nicht begründen. 207 Ebenso MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 110. 208 Stickel, ZRP 2002, 417.

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daß das deutsche Recht kraft konkludenter Rechtswahl vereinbart wurde? Nach hier vertretener Auffassung läge eine solche Annahme neben der Sache.

Die Verwendung der deutschen Sprache als „Vertragssprache“ kann allenfalls als ein – im genannten Beispielsfall nur ganz schwaches und leicht zu entkräftendes – Indiz im Rahmen der objektiven Anknüpfung i. S. des Art. 28 EGBGB fungieren.209 So kann ein Vertrag seinen Schwerpunkt in Deutschland haben, obwohl auf Englisch verhandelt wurde. 210 Beispiel: 211 Die Klägerin, eine Aktiengesellschaft französischen Rechts, hatte der Beklagten, einer Herstellerin von Kunststoffprodukten mit Sitz in Deutschland, PVC-Wellpappe geliefert. Sie verlangt die Begleichung von der Höhe nach unstreitigen Rechnungen i.H.v. rd. 33.000 Euro. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung und vertrat die Auffassung, die Verjährung richte sich nach deutschem Recht. Hilfsweise erklärte sie die Aufrechnung mit Gegenforderungen und für den Fall der Unzulässigkeit der Aufrechnung erhob sie Hilfswiderklage. Das Gericht verneinte zunächst die ausdrückliche Wahl französischen Rechts ebenso wie eine – ausdrückliche oder konkludente – Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts gemäß Art. 27 EGBGB. Zwar seien die Bestellungen in deutscher Sprache erfolgt, auch sollte die Ware frei Lager geliefert und die Forderungen in deutscher Währung beglichen werden. Die „Indizwirkung der Vertragssprache“ (a.a.O., Tz. 40) werde jedoch schon dadurch entkräftet, daß die Klägerin in französischer Sprache fakturiert habe. Maßgeblich sei nach Art. 28 Abs. 1, 2 EGBGB das französische Recht (a.a.O., Tz. 42, 45).

Wird die deutsche Sprache von zwei Nicht-Muttersprachlern bei Vertragsverhandlungen verwendet, ist ihre indizielle Wirkung als besonders schwach einzuschätzen. Handelt es sich also bei der Wahl der zur Verständigung der Kontrahenten verwendeten Sprache um eine bloße „Verlegenheitslösung“ – weil vielleicht eine nonverbale Kommunikationsmöglichkeit fehlt – 212 , dann bestehen weder hinsichtlich des Kollisionsrechts noch bezüglich des materiellen Rechts Anknüpfungspunkte für die Begründung bestimmter, darauf bezogener konkreter Rechtsfolgen. 213 Die Sprachenverwendung als solche begründet kein 209 Ebenso MüKo BGB/Spellenberg, Vor § 11 EGBGB Rn. 84; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 96; Hök, ZfBR 2005, 332 f. (zur Verwendung der englischen Sprache als Vertragssprache); vgl. weiter Jayme, Annales de la Faculté de Droit d’Istanbul Bd. 44 (1981), 363 (376): „Die Regeln über die entscheidende Bedeutung der Vertragssprache haben teils Zustimmung, teils Kritik erfahren. M. E. ist es sinnwidrig, von vornherein denjenigen Vertragspartner zu bevorzugen, welcher seine Vertragssprache durchgesetzt hat.“; ders., FS Bärmann, S. 509 (516 f.): „Die Wahl einer bestimmten Vertragssprache mag für die Bestimmung der lex causae bedeutsam sein. Den Ausschlag gibt sie jedoch nicht.“ 210 Jayme, FS Bärmann, S. 509 (517). 211 Nach OLG Hamm IPRspr 2004, Nr. 36, S. 81 (juris). 212 Zu einem möglicherweise nonverbalen Vertragsschluß eines italienischen Staatsbürgers mit einem deutschen Autovermietungsunternehmen am Frankfurter Flughafen siehe OLG Frankfurt, NJW-RR 2003, 704 = IPRspr. 2002, 433 (Nr. 161). 213 Wie hier MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 138 – Die Rechtsfolgenfrage stellt sich mit besonderer Dringlichkeit, wenn die Parteien ihre Willenserklärungen bzw.

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rechtserhebliches Verhalten, sondern sie liegt regelmäßig unterhalb der rechtlichen Ebene. Es fehlt – wenn nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart wurde – an dem erforderlichen Willen der Parteien zu einer rechtlichen Bindung in bezug auf die zu verwendende Sprache. 214 Die Sprachenverwendung ist dann lediglich ein Faktum, das es nicht rechtfertigt, den Parteien eine stillschweigende Einigung über die „Vertragssprache“ als Fiktion zu unterstellen, wo es ersichtlich an einem diesbezüglichen Rechtsbindungswillen der Kontrahenten fehlt. Das gilt für die vorkonsensuale Phase wie für die Phase nach Vertragsschluß gleichermaßen. (6) Zwischenergebnis. Die These, daß bei fehlender Sprachenwahl durch die Parteien ein Gleichlauf zwischen Vertragsstatut und „Sprachenstatut“ (d. h. der zu verwendenden Sprache) zu gelten habe, ist zu verwerfen. Ein solcher Gleichlauf ist rechtlich nicht begründbar. 215 Jenseits der oben formulierten grundsätzlichen Bedenken gegen die Lehre vom „Sprachenstatut“ ist ihr unter normentheoretischen Erwägungen zu entgegnen, daß sie zu erheblichen Abweichungen vom heute geltenden Kollisionsrecht der Artt. 27 ff. EGBGB führen würde, für die es an einer gesetzlichen Grundlage fehlt. Ein besseres Schutzkonzept zugunsten der nicht sprachverständigen Partei bietet sie im Vergleich zu Art. 31 Abs. 1 und 2 EGBGB nicht, wie im folgenden aufgezeigt werden soll. Vielmehr wird durch diese Lehre die auf Einzelfälle und berechtigte Ausnahmen zugeschnittene Regelung des Art. 31 Abs. 2 EGBGB durch mehr oder weniger pauschale Grundsätze ersetzt. Beispiel: Unterstellt, das deutsche Recht ist gemäß Art. 31 Abs. 1 EGBGB Vertragsstatut, beide Parteien sind deutscher Herkunft und der Offerent schickt dem Adressaten ein in chinesischer Sprache verfaßtes Angebot. Die vertragliche Einigung wäre im Normalfall als den Vertrag in einer Sprache abfassen, die nicht ihre Heimatsprache ist. Dieses Vorgehen kann Fehlübersetzungen provozieren, die – sofern sie sich nicht durch Auslegung oder mittels des Grundsatzes falsa demonstratio non nocet beheben lassen – konkrete Rechtsfolgen in bezug auf die Verteilung des „Sprachrisikos“ nach sich ziehen. Dasselbe gilt für die zweisprachige Abfassung von Verträgen, wenn beide Fassungen gleichermaßen verbindlich sind und bestehende Divergenzen nicht durch eine „konkordierende Auslegung“ (vgl. MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 112) behoben werden können, sowie für den Fall, daß eine Willenserklärung in der Originalsprache und in einer Übersetzung vorliegt, deren Inhalte voneinander abweichen. Es handelt sich um „Sprachrisiko“-Konstellationen, die nach den Vorschriften des einschlägigen Vertragsstatuts gelöst werden müssen, und die im zweiten Teil dieses Buches erörtert werden (siehe unten § 6 C. IV.). Um konkrete Rechtsfolgenanordnungen im Sinne eines Sprachenzwangs geht es aber nicht bei der behelfsmäßigen Sprachenwahl im Stadium der Vertragsverhandlungen, wo die verwendete Sprache ein bloßes der Verständigung dienendes Faktum ist. 214 Vgl. dazu auch Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (485). 215 Wie hier ablehnend Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 53, 56; Jancke, Sprachrisiko, S. 92 f.; Reinhart, RIW/AWD 1977, 16 (19); Kallenborn, Sprachenproblem, S. 191 ff.; Schwarz, IPrax 1988, 278 (279).

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gescheitert anzusehen, weil der Adressat dieses Angebot nicht verstehen kann und weil ihn nicht die Pflicht trifft, sich eine deutsche Übersetzung des Angebots zu verschaffen. 216 Der Schutz der nicht sprachmächtigen Partei wird bereits durch Art. 31 Abs. 1 EGBGB gewährleistet, ohne daß es auf die richtige Verwendung einer „Vertragssprache“ in irgendeiner Weise ankäme. Wie aber liegt die Sache, wenn (so ein Schulfall) der Adressat – wie der Absender weiß – fließend Chinesisch lesen und sprechen kann und das Angebot auch verstanden hat, weil er diese Sprache studiert oder weil er lange in China zugebracht hat? Soll die in chinesischer Sprache abgefaßte Willenserklärung rechtlich unbeachtlich sein, obwohl zwischen den Parteien in der Sache selbst Konsens besteht? Dies widerspräche dem Grundsatz, daß wer richtig versteht, sich nicht hinter den Sprachkenntnissen des Durchschnitts verstecken darf. 217 Wenn der Adressat das Angebot mit einer in deutscher Sprache abgefaßten Willenserklärung rechtzeitig annimmt, der Offerent aber von seinem Angebot inzwischen Abstand nehmen will, dann wäre in dem Beispielsfall bei Anwendung des Art. 31 Abs. 1 EGBGB das „Zustandekommen“ eines Vertrags zu bejahen, nach der Lehre vom „Sprachenstatut“ aber zweifelhaft. Unter Zugrundelegung dieser Lehre könnte man allenfalls damit argumentieren, daß der Offerent mit seinem Sinneswandel treuwidrig handele; damit würde man eine materiellrechtliche Argumentationsweise in das Kollisionsrecht einführen, die nicht paßt und überdies auch entbehrlich ist.

Ernstlich problematisch wird die Anwendung der Lehre vom „Sprachenstatut“ in den Fällen, in denen die Vertragsparteien aus Gründen der rechtlichen Vorteilhaftigkeit eine Rechtsordnung als Geschäftsstatut vereinbaren, deren Sprache sie beide nicht beherrschen. Beispiel: Unterstellt sei, ein deutsches Unternehmen X habe mit einer englischen private Limited Company Y kontrahiert, die als „Scheinauslandsgesellschaft“ ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hat und deren Gesellschafter und Beschäftigte sämtlich Deutsche sind. Das Unternehmen X hat ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben in deutscher Sprache an die deutsche „Zweigniederlassung“ (den tatsächlichen Geschäftssitz) der Y geschickt, das Modifikationen des ursprünglich Vereinbarten enthält. Die Y hat daraufhin geschwiegen. Angenommen, zwischen den Unternehmen sei aus Gründen der rechtlichen Vorteilhaftigkeit zuvor das dänische Recht als Vertragsstatut vereinbart worden. Dann müßte nach der These vom Gleichlauf zwischen Vertragsstatut und „Sprachenstatut“ ein Bestätigungsschreiben der X in dänischer Sprache abgefaßt werden, um für den Adressaten Y beachtlich zu sein. Das erscheint wenig sinnvoll, wenn die Parteien diese Vertragssprache nicht beherrschen und die Rechtswahl auf bestimmten – zumindest für eine Partei besonders günstigen – Rechtsfolgen beruht. Nach den Vorgaben des Art. 31 Abs. 1 EGBGB wäre das Bestätigungsschreiben auf der Grundlage des dänischen Rechts wirksam. Für eine „Zerstörung“ der fingierten Zustimmung kraft Schweigens durch Anwendung des Umfeldrechts der Y gemäß Art. 31 Abs. 2 EGBGB besteht kein Anlaß. Zwar handelt es sich bei der Y um eine englische Gesellschaft, so daß unter Berücksichtigung des englischen Rechts eine Zerstörung der Einigung an sich in Betracht käme. Da aber die Gesellschafter und die Beschäftigten der Y sämtlich Deutsche sind, wäre die Anwendung dieses fremden Rechts sachlich nicht gerechtfertigt. 216 217

Vgl. Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 98. Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (468).

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Art. 31 Abs. 2 EGBGB greift daher hier nicht ein. Es bleibt folglich bei der Wirksamkeit der nach dänischem Vertragsstatut fingierten Zustimmung. Hier erweist sich das normierte Kollisionsrecht des EGBGB als eindeutig vorzugswürdig gegenüber der Lehre vom selbständigen „Sprachenstatut“, da es einerseits die in der Rechtswahl zum Ausdruck kommende parteiautonome Vertragsgestaltung respektiert und andererseits den rechtstatsächlichen Umständen in nachvollziehbarer Weise Rechnung trägt.

Aus den vorstehenden Erwägungen ist die Lehre von der Sonderanknüpfung des „Sprachenstatuts“ daher insgesamt zu verwerfen. 218 (7) Die Reichweite des Art. 31 Abs. 2 EGBGB in bezug auf das „Sprachrisiko“. Ist die These von der generellen Sonderanknüpfung der Sprachenfrage durch ein selbständiges „Sprachenstatut“ zu verwerfen, so ergibt sich daraus zwangsläufig, daß die kollisionsrechtlichen Aspekte des „Sprachrisikos“ nur über Art. 31 Abs. 2 EGBGB erfaßt werden können. Die Einschlägigkeit der Vorschrift für sprachenbezogene Sachverhalte wird im Schrifttum allerdings zum Teil bestritten. Gegen die Anwendung des Art. 31 Abs. 2 EGBGB auf „Sprachrisiko“-Konstellationen wird argumentiert, es handele sich dabei um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift, deren Anwendungsbereich sich auf die Rechtsunkenntnis einer Partei, nicht aber auf die sprachbedingte tatsächliche Unkenntnis des Inhalts von Willenserklärungen beschränke. 219 Die Befürworter der Anwendung des Art. 31 Abs. 2 EGBGB entgegnen, daß die Forderung nach der Berücksichtigung des Umfeldrechts des Sprachunkundigen sich in erster Linie auf die Wertung eines bestimmten Verhaltens als Annahme einer Offerte oder sonstigen Erklärungen im Laufe der Vertragsverhandlungen beziehe.220 Insofern paßt der Anwendungsbereich der Vorschrift in der Tat, denn diese regelt, wie bereits ausgeführt wurde, bestimmte Fragen des Vertragskonsenses. Weiter wird in der Literatur auf eine vergleichbare Interessenlage zwischen den „Sprachrisiko“-Fällen und den unstreitig von der Vorschrift erfaßten Fällen des Schweigens auf eine Willenserklärung hingewiesen. Es gehe nicht an, eine Partei an den Inhalt von vertraglichen Erklärungen oder AGB zu binden, wenn diese Bindung nach dem Heimatrecht der Partei nicht eintreten würde, weil insoweit strengere Anforderungen an die beim Vertragsschluß zu verwendenden Kommunikationsmittel und deren Verständlichkeit gelten.221 Das be218 H. M., siehe auch Staudinger/Singer, § 119 Rn. 17 m. w. N.; MüKo/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 49, 105 und Art. 31 Rn. 10. 219 Freitag, IPrax 1999, 142 (144 f.). 220 So schon Linke, ZVglRWiss 79 (1980), 1 (41) vor Schaffung der Vorschrift, aber mit Bezug auf Art. 8 Abs. 2 EVÜ a.a.O., S. 54 f. 221 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 100; Schurig, IPrax 1994, 27 (32); Ferid, IPR, Rn. 5–87; Schwarz, IPrax 1988, 278 (279); Jancke, Sprachrisiko, S. 93 ff.; Petzold, JbItR 2 (1989), S. 77 (95 f.); OLG Karlsruhe RiW 1994, 1046 (1047); vgl. aus der Zeit vor der Reform Jayme, FS Bärmann, S. 509 (514 f.); differenzierend und teilweise kritisch Linke, ZVglRWiss 79 (1980), 1 (43 ff.).

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trifft etwa den Fall, daß das dem Empfänger vertraute Recht abweichend vom Vertragsstatut die Verwendung einer bestimmten Sprache vorschreibt. 222 Die Anwendbarkeit des Art. 31 Abs. 2 EGBGB auf „Sprachrisiko“-Fälle ist richtigerweise zu bejahen, soweit es um Fragen im Zusammenhang mit dem Zustandekommen von Verträgen geht. Art. 31 Abs. 2 EGBGB gilt wie gezeigt vor allem für Distanzgeschäfte. Fehlvorstellungen im Zusammenhang mit fremdsprachigen Willenserklärungen und AGB können – soweit ihnen nicht ohnehin schon über das Mittel der Auslegung gemäß dem Vertragsstatut Rechnung getragen wird – bei Distanzgeschäften gegebenenfalls über Art. 31 Abs. 2 EGBGB berücksichtigt werden, und zwar auch dann, wenn die fremdsprachige Erklärung in einer Sprache abgefaßt wurde, die in dem Staat des Vertragsstatuts Landessprache ist oder die üblicherweise in einer bestimmten Branche Verwendung findet. Weiter kann es darum gehen, daß die Bedeutung bestimmter für das Vertragsstatut typischer Klauseln von einer Partei nicht verstanden wird. 223 Die Berücksichtigung des Umfeldrechts des Adressaten ist in solchen Fällen zwar weder zwingend noch die Regel, doch erscheint es unangemessen, die Anwendung des Art. 31 Abs. 2 EGBGB auf derartige Sprachenprobleme schlechthin zu verneinen. Bei reinen Inlandsgeschäften mit Ausländern wird Art. 31 Abs. 2 EGBGB hingegen – trotz der grundsätzlichen Geltung der Vorschrift für Inlandsfälle – für die „Sprachrisiko“-Problematik nur selten praktisch. 224 Hinsichtlich möglicher Ausnahmen wäre an die Fälle der Unterzeichnung von Ausgleichsquittungen durch sprachunkundige Gastarbeiter in Deutschland zu denken 225 sowie weiter an die Abgabe von Bürgschaftserklärung durch sprachunkundige Ausländer. Beide Konstellationen sind jedenfalls für die materiellrechtliche Zuweisung des „Sprachrisikos“ von Interesse. Fraglich ist, ob Art. 31 Abs. 2 EGBGB bei solchen Sachlagen regelnd eingreift. Nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Art. 31 Abs. 2 EGBGB bzw. des Art. 8 Abs. 2 EVÜ sollte ein Vorbehalt nur gegen die vom Sachrecht angeordnete Bewertung eines Erklärungsverhaltens als rechtsgeschäftlich wirksam eingeführt werden; 226 angesprochen ist also in der deutschen Terminologie das Erklärungsbewußtsein. Bei der Unterzeichnung der Ausgleichsquittung mag der sprachunkundige Ausländer ge-

222 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 100; zur Sprachregulierung im Vertragrecht ausführlich Downes/Heiss, ZVerglRW 98 (1999), 28 ff.; zu den Regelungen in den EGMitgliedstaaten vgl. im einzelnen Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (383 ff.). 223 Vgl. zu dem von einem deutschen Käufer offengelegten Nichtverständnis einer englischsprachigen vertraglichen Abtretungsanzeige OLG Hamm IPrax 1996, 197 = NJW-RR 1996, 1271. 224 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 100; Reitmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 217. 225 Zum Begriff siehe unten § 5 D. II. 2. a. 226 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 65.

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glaubt haben, den Empfang seiner Papiere und des Restlohns zu quittieren 227, der Bürge möglicherweise, daß er eine Kontovollmacht unterzeichne oder daß er als Zeuge für ein Rechtsgeschäft zwischen der Bank und dem Schuldner fungiere. Von einem gänzlichen Fehlen des Bewußtseins um den äußeren Erklärungstatbestand läßt sich in diesen Konstellationen nicht generell, sondern allenfalls in besonderen, untypischen Fallgestaltungen sprechen, bei denen die intellektuellen Defizite der sprachunkundigen Partei so groß sind, daß sie nicht einmal die Vorstellung hat, daß ihr Verhalten einen rechtsgeschäftlichen Erklärungswert besitzt. Abgesehen von solchen Ausnahmefällen wird wegen des bei der sprachunkundigen Partei bestehenden Bewußtseins um die Vornahme eines Rechtsgeschäfts – wenn auch mit einem anderen Inhalt als dem vorgestellten bzw. gewollten (fehlender „Geschäftswille“) – die Berufung auf Art. 31 Abs. 2 EGBGB regelmäßig ausscheiden. 228 Damit verlagert sich die Zuweisung des „Sprachrisikos“ bei Inlandsgeschäften vom Kollisionsrecht hin zum materiellen Recht. Das überzeugt in der Sache in bezug auf Ausländer, die sich längere Zeit in Deutschland aufgehalten haben, denn sie haben keinen Grund, auf die umfassende Anwendung ihres Heimatrechts vertrauen zu dürfen. 229 Je stärker das Rechtsgeschäft von der vertrauten Umwelt gelöst ist, desto eher können von einer Partei auch Überlegungen über das anwendbare Recht verlangt werden, und die Anwendung des Geschäftsstatuts ist in weitergehendem Umfang zumutbar als bei Distanzgeschäften. 230 Ein Bürge aber, der zu einem Kurzbesuch aus dem Iran nach Deutschland anreist und der bei dieser Gelegenheit eine Bürgschaftsurkunde unterzeichnet, befindet sich in einer anderen Situation, da er keine Möglichkeit zur Anpassung an die hiesige Rechtsordnung hatte. 231 Eine kumulative Sonderanknüpfung an dessen Heimatrecht über Art. 31 Abs. 2 EGBGB ist daher nicht von vornherein ausgeschlossen. Zusammenfassend vermag Art. 31 Abs. 2 EGBGB neben dem unstreitigen Fall der fehlenden Rechtskenntnis in bezug auf die Regeln des einschlägigen Vertragsstatuts in recht eng gezogenen Grenzen auch sprachbedingte Mißverständnisse beim Zustandekommen von Verträgen zu erfassen. Die Vorschrift greift vor allem bei Distanzverträgen ein.232 Sie ist theoretisch auch auf Inlands227

Vgl. MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 118. Das Erklärungsbewußtsein bejahend MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 118; noch strenger Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 220: Bei Inlandsgeschäften müsse aus Gründen des Verkehrsschutzes in jedem Fall deutsches Recht gelten. 229 Zum Schutz des Arbeitnehmers gemäß Art. 30 EGBGB siehe aber sogleich unter 5. 230 Fischer, Verkehrsschutz, S. 347 (dort allerdings bezogen auf den Vertragsschluß in einem Drittstaat). 231 Wie hier gegen eine Ablehnung des Verkehrsschutzes in den Fällen der vertragsbedingt gezielten Anreise Fischer, Verkehrsschutz, S. 345 mit Nachweisen auch zur Gegenansicht. 232 Für eine Beschränkung auf Distanzverträge treten Kallenborn, Sprachenproblem, S. 190 und Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 47, 53, ein. 228

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geschäfte mit Ausländern anwendbar. In diesen Fällen werden aber regelmäßig die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sein mit der Folge, daß die anzustellende Interessenabwägung zugunsten einer einheitlichen Anknüpfung an das Vertragsstatut ausgeht. hh) Die fehlende Relevanz des Art. 32 Abs. 2 EGBGB für die Beurteilung von Sprachenfragen Ist ein Schuldvertrag wirksam abgeschlossen worden, gilt diesbezüglich Art. 32 EGBGB. Die in Abs. 1 der Vorschrift angeordnete umfassende Anwendung des Vertragsstatuts wird in Abs. 2 hinsichtlich der Vertragserfüllungsmodalitäten lediglich insoweit modifiziert, als das Recht des Staates zu „berücksichtigen“ ist, in dem die Erfüllung erfolgt.233 Mit einer zwingenden Anwendung dieses Rechts ist das nicht gleichzusetzen.234 Die Vorschrift betrifft vielmehr abweichende Regeln für den äußeren Erfüllungsablauf. 235 Art. 32 Abs. 2 EGBGB hat deshalb für die Phase der Vertragsdurchführung nicht eine vergleichbar große Bedeutung erlangt, wie sie Art. 31 Abs. 2 EGBGB für die Frage der Vertragsperfektion zukommt. Da Art. 32 Abs. 2 EGBGB auch hinsichtlich der Rechtsfolgen mangelhafter Erfüllung die Berücksichtigung des Sachrechts des Erfüllungsorts anordnet, könnte man daran denken, entsprechende Aufklärungspflichten zugunsten der anderen Vertragspartei mit Art. 32 Abs. 2 EGBGB zu begründen, obwohl für vertragliche Nebenpflichten wie Aufklärungs- und Beratungspflichten an sich das Vertragsstatut entscheidend ist, vgl. Art. 32 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB. Die Entstehungsgeschichte der Norm macht allerdings deutlich, daß hiervon vor allem Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten des Käufers bzw. Bestellers erfaßt sein sollten.236 Vor diesem Hintergrund ist die Vorschrift des Art. 32 Abs. 2 EGBGB – anders als Art. 31 Abs. 2 EGBGB – hinsichtlich der Sprachenfragen letztlich nicht von Bedeutung.

233 234 235 236

Künftig: Art. 12 Abs. 2 der Rom I-Verordnung. Rauscher, IPR, S. 269. Staudinger/Magnus, Art. 32 EGBGB Rn. 79, 81. Staudinger/Magnus, Art. 32 EGBGB Rn. 88 ff.

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B. Einzelfragen der kollisionsrechtlichen Anknüpfung mit Relevanz für „Sprachrisiko“-Konstellationen I. Die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Gerichtsstandsklauseln in den Vertrag 237 1. Allgemeine Geschäftsbedingungen a) Keine allgemeine Sonderanknüpfung Die Frage der wirksamen Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in den Vertrag richtet sich zunächst nach dem Vertragsstatut, vgl. Art. 31 Abs. 1 EGBGB.238 Eine allgemeine Sonderanknüpfung von AGB findet nicht statt. 239 Dahin gehende Vorschläge wurden sowohl von den Verfassern des EVÜ als auch vom deutschen Gesetzgeber des Jahres 1986 ausdrücklich verworfen. 240 Folglich sind einer Einbeziehungskontrolle von AGB die §§ 305 ff. BGB zugrundezulegen, wenn der Schuldvertrag gemäß Artt. 27 ff. EGBGB dem deutschen Recht untersteht. 241 Dabei ist zunächst die Wirksamkeit des Vertrags nach dem Vertragsstatut und erst anschließend die Einbeziehung von AGB als Vertragsbestandteile desselben zu prüfen.242 Steht fest, daß unter Geltung des Vertragsstatuts auch die Einbeziehung der AGB wirksam war, ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob wegen der Berücksichtigung des Umfeldrechts des Adressaten ein abweichendes Ergebnis über Art. 31 Abs. 2 EGBGB gerechtfertigt ist.243 Bei Distanzverträgen, für die das deutsche Recht Vertragsstatut ist, muß das Recht des Aufenthaltsorts der Partei, die der Einbeziehung von AGB nicht widersprochen hat, berücksichtigt werden. 244

237 Zur materiellrechtlichen Bewertung der „Sprachrisiko“-Fälle bei der Verwendung von AGB siehe unten § 8. 238 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 229. 239 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 72. 240 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 116. 241 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 72. Allerdings kommt eine Einbeziehungskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen in AGB bzw. Formularverträgen nach §§ 305 Abs. 2, 305c Abs. 1 BGB im Anwendungsbereich des Art. 23 EuGVO – anders als im Anwendungsbereich der §§ 38–40 ZPO – nicht in Betracht, weil anderenfalls die einheitliche Beurteilung von Gerichtsstandsvereinbarungen in den Mitgliedstaaten der EuGVO gefährdet würde; vgl. dazu Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2956, 2984 sowie näher unten § 8 F. III. 242 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 119. 243 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 78; MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 118. 244 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 229.

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b) Deutsches Recht Die Einbeziehung nach § 305 Abs. 2 BGB setzt im Verkehr mit Nichtkaufleuten einen Hinweis (Nr. 1), die Möglichkeit der Kenntnisnahme (Nr. 2) und das Einverständnis der anderen Vertragspartei voraus. Im kaufmännischen Verkehr mit ausländischen Geschäftspartnern – bei dem die Erfordernisse des § 305 Abs. 2 BGB gemäß § 310 Abs. 1 S. 1 BGB nicht gelten – hat die deutsche Rechtsprechung entscheidend auf die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen bezüglich der AGB durch einen entsprechenden verständlichen Einbeziehungshinweis des Verwenders und eine zumindest konkludente Zustimmung der ausländischen Partei abgestellt. 245 Kenntnis bzw. Kennenmüssen darf im Geschäftsverkehr mit ausländischen Geschäftsleuten nicht einfach unterstellt werden. Das gilt gerade auch für den Geschäftsverkehr mit Ausländern. 246 Insgesamt verbietet sich eine generelle und unreflektierte Gleichbehandlung von ausländischen und deutschen Vertragspartnern bei der Frage nach der wirksamen Einbeziehung von AGB. 247 Die erforderliche Kenntnis des ausländischen Vertragspartners kann aber wegen bereits bestehender Geschäftsbeziehungen zu einer bestimmten Branche248 in Deutschland begründet sein oder aufgrund einer Zweigniederlassung des ausländischen Geschäftspartners in Deutschland. 249 c) Fremde Rechtsordnungen Ausländische Rechtsordnungen stellen zum Teil erheblich strengere Anforderungen 250 an eine wirksame Einbeziehung von AGB als das deutsche materielle Recht.251 Das entsprechende Bewußtsein des Empfängers kann – logisch vor245

BGH NJW 1973, 2154; BGH VersR 1971, 619; OLG Karlsruhe NJW-RR 2002, 1722 (Hinweis des italienischen Kunden auf ADSp); LG München NJW 1996, 401 (402). 246 Vgl. Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 235: Es sei nicht ohne weiteres davon auszugehen, daß der ausländische branchenfremde Vertragspartner weiß, daß deutsche Spediteure ausschließlich mit den ADSp arbeiten. 247 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 235. 248 Beispielsweise eine frühere Geschäftsbeziehung zu einem anderen deutschen Spediteur, der den ausländischen Vertragspartner auf die Geltung des ADSp in Deutschland (kraft Handelsbrauchs) hingewiesen hat, vgl. Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 43 f. Entsprechende Grundsätze gelten in bezug auf die deutschen AGB der Banken, vgl. Reithmann/ Martiny, Int. VertragsR, Rn. 237; BGH NJW 1971, 2126; BGH WM 1987, 530. 249 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 236. 250 Als Beispiel diene Art. 1341 Abs. 2 c.c., wonach besonders lästige und gefährliche Abreden (wie z. B. Haftungsbeschränkungen), um Vertragsinhalt zu werden, der schriftlichen Billigung der anderen Partei bedürfen. 251 Ausführlich zur Einbeziehung von AGB im französischen, englischen, kanadischen, italienischen, österreichischen und belgischen Recht Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 74; zur Einbeziehung von AGB in Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich und der Schweiz Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 227. Ist das deutsche materielle Recht Vertragsstatut, so muß zum Schutz der ausländischen Partei nicht auf Art. 31 Abs. 2 EGBGB rekurriert werden, wenn schon die maßgebliche Auslegung der Willenserklärung des deutschen AGB-Verwenders aus dem Empfängerhorizont des ausländischen Adressaten

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Erster Teil: Grundlagen

rangig vor der Anwendung des Umweltrechts gemäß Art. 31 Abs. 2 EGBGB – gegebenenfalls schon bei der Auslegung des jeweils einschlägigen Vertragsrechts berücksichtigt werden. 252 Der Schutz des Adressaten muß also nicht zwingend durch eine kumulative Sonderanknüpfung gemäß Art. 31 Abs. 2 EGBGB bewirkt werden.253 Das führt aber nicht zur Entbehrlichkeit des Art. 31 Abs. 2 EGBGB.254 d) Art. 31 Abs. 2 EGBGB und allgemeine Geschäftsbedingungen Für die Anwendung von Art. 31 Abs. 2 EGBGB ist wie dargelegt entscheidend, ob der betroffene Ausländer im konkreten Einzelfall damit rechnen durfte, sein Verhalten werde nach den – vom Vertragsstatut abweichenden – Regeln seines Heimat- oder Aufenthaltsrechts beurteilt. 255 Dies gilt auch bei der Verwendung von AGB. aa) Kaufmännischer Geschäftsverkehr Die Problematik wird im kaufmännischen Geschäftsverkehr vor allem bei Distanzgeschäften praktisch. Während es von der Warte eines deutschen Kaufmanns als befremdlich erscheint, daß durch die bloße Ignorierung von Erklärungen im kaufmännischen Geschäftsverkehr der Eintritt bestimmter nachteiliger Rechtsfolgen – z. B. die Wahl eines ausländischen Gerichtsstands in AGB – auf seiten des Adressaten generell verhindert werden kann (vgl. § 362 Abs. 1 HGB), muß dies unter Geltung von Vertragsrechtsordnungen, die dem Schweigen keinerlei rechtlichen Erklärungswert beimessen, als bloße Selbstverständlichkeit erscheinen. Dem abweichenden ausländischen Rechtsverständnis kann wie auch sonst über Art. 31 Abs. 2 EGBGB Rechnung getragen werden. Kaufleute gehen nach einem wirksamen Vertragsschluß davon aus – und dürfen davon ausgehen –, daß keine Vertragsänderungen auf Rechnungen und ähnlichen Schriftstücken bewirkt werden. Diesbezüglich greift Art. 31 Abs. 2 EGBGB ein, 256 was oben

ergibt, daß dieser nicht mit der wirksamen Einbeziehung von dessen AGB rechnete, siehe BGH NJW 1976, 2075; BGH NJW 1977, 501; BGH NJW 1981, 298; Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 75; ausführlich zur Einbeziehungsfrage MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 45 ff. 252 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 43 ff., 119 253 BGH NJW 1976, 2075; BGH NJW 1977, 501; BGH NJW 1981, 298; Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 75; ausführlich zur Einbeziehungsfrage MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 45 ff. 254 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 121. 255 BGH NJW 1976, 2075; BGH NJW 1973, 2154; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 230; zu den zu berücksichtigenden Umständen des Einzellfalls vgl. Linke, ZVglRWiss 79 (1980), 1 (47 f.). 256 Zutreffend MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 123.

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bereits am Beispiel vertragsmodifizierender kaufmännischer Bestätigungsschreiben aufgezeigt wurde.257 Man darf sicherlich nicht soweit gehen, die generelle Unbeachtlichkeit fremder AGB zu behaupten, etwa mit dem Argument, sie würden ohnehin nicht gelesen, auch nicht von Kaufleuten.258 Jedenfalls im kaufmännischen Geschäftsverkehr besteht eine Obliegenheit des Erklärungsempfängers, die Schriftstücke des ausländischen Geschäftspartners zur Kenntnis zu nehmen und sich im Rahmen der Zumutbarkeit um das Verständnis von deren Inhalt zu bemühen. Umgekehrt erscheint es nicht gerechtfertigt, einem ausländischen Kaufmann eine allgemeine Obliegenheit zur Erkundigung über die Regeln der Einbeziehung von AGB gemäß dem ihm fremden Vertragsstatut aufzuerlegen.259 Eine Erkundigungspflicht kann sich nur aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergeben. Auch eine in Deutschland bestehende Branchenüblichkeit von AGB wie bei Banken oder – zumindest früher – im Speditionsgewerbe (ADSp) führt bei dem ausländischen Kontrahenten noch nicht automatisch zum Verlust des „Vetorechts“ aus Art. 31 Abs. 2 EGBGB, weil eine Vertrautheit der ausländischen Partei mit den deutschen Gepflogenheiten nicht einfach unterstellt werden kann.260 Daher darf der Verwender nur bei Kunden mit zu vermutender Kenntnis annehmen, daß diese die Einbeziehung der von ihm gestellten AGB akzeptieren.261 In diesem Fall muß der andere Teil der Einbeziehung der AGB also ausdrücklich widersprechen, wenn er sie verhindern möchte. bb) Nichtkaufmännischer Geschäftsverkehr Art. 31 Abs. 2 EGBGB gilt grundsätzlich auch für Verbraucher. Diese werden allerdings bereits durch Art. 29, 29a EGBGB262 besonders geschützt, so daß man die Auffassung vertreten kann, daß es der Anwendung des Art. 31 Abs. 2 EGBGB nicht bedürfe.263 Diese Ansicht überzeugt zwar für den Regelfall, nicht jedoch insgesamt. Denn Art. 31 Abs. 2 EGBGB ist beispielsweise anwendbar, 257

Oben A. II. 4. dd. Dagegen auch MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 124. 259 Ebenso Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 78; a. A. MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 122, 130 (unter Kaufleuten im internationalen Handel seien „eher weitgehende Ermittlungsobliegenheiten anzunehmen“); streitig. 260 BGH NJW 1976, 2075 (Haftungsausschluß in den ADSp. gegenüber belgischem Unternehmen kann unwirksam sein, „denn es braucht jemand nicht ohne weiteres sein Verhalten gegen sich gelten zu lassen, wenn er nach seinem Heimatrecht mit Rechtsfolgen dieses Verhaltens nicht zu rechnen braucht“; vgl. auch MüKo/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 17; Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 78; Fischer, Verkehrsschutz, S. 317, 337 f. 261 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 17; Staudinger/Hausmann, Art. 31 Rn. 78. 262 Künftig: Art. 6 der Rom I-Verordnung. 263 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 125: Im Verkehr mit Konsumenten könnten eher die Voraussetzungen von Art. 31 Abs. 2 EGBGB vorliegen, doch würden ihnen die eigenen Regeln für die Einbindung von AGB praktisch immer durch die Artt. 29, 29a EGBGB garantiert, so daß es einer Anwendung des Art. 31 Abs. 2 EGBGB nicht bedürfe. 258

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wenn das ausländische Privatrecht als Vertragsstatut neben Kaufleuten auch Privatpersonen an ihr Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben bindet. 264 Dies betrifft auch den Fall, daß der nichtkaufmännische Adressat sich der Mühe der Lektüre fremdsprachiger AGB unterzogen hat, aber aus Gründen unzureichender Sprachkenntnis am Verständnis des Inhalt gescheitert ist. Insofern kann man davon sprechen, daß Art. 31 Abs. 2 EGBGB gleichsam mittelbar auch „Sprachrisiko“-Fälle aus dem Bereich des AGB-Rechts zu Lasten des Verwenders erfaßt, 265 ohne daß die Schlußfolgerung gerechtfertigt wäre, die Vorschrift als eine verbraucherschützende Norm zu bezeichnen. cc) Rechtswahlklauseln in AGB Für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Rechtswahlklausel in AGB ist das Recht maßgebend, das nach der Rechtswahlklausel angewendet werden soll.266 Ein Schutz der anderen Partei ist – jenseits der Sondervorschriften zum Schutz von reinen Inlandsverträgen gemäß Art. 27 Abs. 3 EGBGB bzw. von inländischen Verbrauchern gemäß Art. 29 Abs. 1 EGBGB – wegen der Verweisung in Art. 27 Abs. 4 EGBGB wiederum über die Vorschrift des Art. 31 Abs. 2 EGBGB möglich. 267 Hier ist vor allem an den Fall einer durch AGB „eingeschmuggelten“ Rechtswahl zu denken, über die die Vertragsparteien vorab nicht gesprochen oder die eine Partei bei den Vertragsverhandlungen ausdrücklich abgelehnt hat.268 dd) Gerichtsstandsklauseln in AGB Bei der Frage nach der wirksamen vertraglichen Einbeziehung von Gerichtsstandsklauseln durch AGB greift im Anwendungsbereich des Art. 23 EuGVO269 264 Siehe OLG Schleswig IPRspr. 1989 Nr. 48, S. 103 f. (Schweigen eines deutschen Kunden gegenüber dänischer Werft); Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 218. 265 Unmittelbar greift die Vorschrift nicht, weil sie – wie Freitag, IPrax 1999, 142 (145) zutreffend hervorhebt – nur die Fälle erfaßt, in denen sich eine Partei infolge Rechtsunkenntnis anders verhält, als es nach dem Vertragsstatut nötig gewesen wäre, um eine vertragliche Bindung zu vermeiden. Es geht also nicht um eine sprachenbedingte tatsächliche Unkenntnis vom Inhalt des Vertragsangebots des anderen Teils. Wer jedoch infolge fehlender Sprachkenntnis schweigt, wird genauso geschützt wie derjenige, der infolge Rechtsunkenntnis untätig bleibt. 266 BGHZ 123, 380 (383) = NJW 1994, 262; BGH NJW 1989, 1431 (1432); Staudinger/ Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 72. 267 Vgl. auch MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 117 f. 268 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 135. 269 Die nationalen Regelungen der §§ 38–40 ZPO sind auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nur noch anwendbar, wenn keine der Vertragsparteien ihren Wohnsitz bzw. Sitz in einem Mitgliedstaat der EG hat oder wenn die Zuständigkeit der Gerichte eines NichtMitgliedstaats der EG vereinbart wird (z. B. ein Gerichtsstand in der Türkei). Inhaltlich ist der Anwendungsbereich des § 38 Abs. 1 ZPO nicht auf die Regelung der örtlichen Zuständigkeit im inländischen Geschäftsverkehr beschränkt; vgl. dazu Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3107, 3158 mit Nachweisen auch zur Gegenansicht.

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keine zusätzliche Einbeziehungskontrolle durch die nationalen AGB-rechtlichen Vorschriften. 270 In diesem Fall sind die §§ 305 Abs. 2, 305c Abs. 1 BGB folglich unanwendbar. In Konsequenz dessen kommt eine kumulative Sonderanknüpfung an derartige materiellrechtliche Vorschriften über Art. 31 Abs. 2 EGBGB nicht in Betracht.271 Das hat zur Folge, daß diese Bestimmung für Sprachenfragen im Zusammenhang mit Gerichtsstandsvereinbarungen i. S. des Art. 23 EuGVO keine praktische Relevanz besitzt. Die Zuweisung des „Sprachrisikos“ erfolgt für diese Fallgruppe nicht durch das Kollisionsrecht. Vielmehr ist – wie auch sonst bei der Auslegung der Bestimmungen der EuGVO272 – eine autonome Interpretation des Art. 23 EuGVO vorzunehmen. 273 Wenn hingegen für die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit der Anwendungsbereich der §§ 38 bis 40 ZPO eröffnet ist, ist die Rechtslage eine andere. Führt die Anwendung dieser Vorschriften zu dem Ergebnis, daß eine in AGB enthaltene Gerichtsstandsklausel durch das Schweigen des Empfängers zum Vertragsinhalt geworden ist, dann ist weiter zu prüfen, ob die schweigende Partei sich bezüglich dieser rechtlichen Bewertung ihres Verhaltens analog Art. 31 Abs. 2 EGBGB auf das Recht ihres gewöhnlichen Aufenthalts berufen kann.274 Im Verkehr mit Verbrauchern sind die Hürden für eine wirksame Einbeziehung einer in AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel verhältnismäßig hoch: Gemäß § 305 Abs. 2 BGB wird eine Gerichtsstandsklausel nur dann Vertragsbestandteil, wenn der Verwender bei Vertragsschluß ausdrücklich auf seine AGB hingewiesen und dem Verbraucher die Möglichkeit der Kenntnisnahme in zumutbarer Weise verschafft hat. Im Verkehr mit Kaufleuten gilt § 305 Abs. 2 BGB gemäß § 310 Abs. 1 BGB nicht, so daß bei Geltung deutschen Prorogationsstatuts eine Gerichtsstandsklausel auch durch schlüssiges Verhalten wirksam in den Vertrag einbezogen werden kann. 275 Ferner kann im kaufmännischen Rechtsverkehr die Branchenüblichkeit von AGB zu deren Einbeziehung in den Vertrag führen. 276 Wegen dieser erweiterten Einbeziehungsmöglichkeit dürfte Art. 31 Abs. 2 EGBGB eine größere Bedeutung zukommen als 270

Siehe dazu im einzelnen unten § 8 F. III. Näher dazu oben Fn. 239 mit Zitaten aus der Rspr. des EuGH. 272 Zur autonomen Auslegung des mit Wirkung vom 1. 3. 2002 durch die EuGVO ersetzten EuGVÜ betreffend Gerichtsstandsklauseln in fremdsprachigen AGB und mit Bezug auf die „Sprachrisiko“-Problematik Kohler, IPrax 1991, 299. 273 Zur Problematik der Gerichtsstandsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vgl. Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3001 ff., insb. Rn. 3005 (fremdsprachige AGB, die der andere Teil nicht versteht). 274 Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3125; Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 86. 275 Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3127. 276 Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3129 mit dem Beispiel, daß im Verkehr mit einem deutschen Spediteur die Gerichtsstandsklausel nach Nr. 30.2 ADSp n. F. kraft stillschweigender Unterwerfung als vereinbart gilt; vgl. noch Soergel/v. Hoffmann, Art. 31 EGBGB Rn. 43. 271

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im Verkehr mit Verbrauchern. Wenn im Heimatstaat der anderen kaufmännischen Vertragspartei strengere Einbeziehungsvorschriften gelten als in Deutschland, 277 bleibt ihr die Berufung auf diese strengeren Bestimmungen möglich. Doch sollte zumindest mit der Annahme, es handele sich bei der Gerichtsstandsvereinbarung um eine „überraschende“ Klausel (vgl. § 305c Abs. 1 BGB), restriktiv verfahren werden, denn derartige Klauseln haben im internationalen unternehmerischen Geschäftsverkehr inzwischen eine sehr große Verbreitung erfahren.278 Eine Bewertung als „überraschend“ kann nur unter hohen Voraussetzungen gerechtfertigt werden. ee) Zwischenergebnis Unterzieht man Art. 31 Abs. 2 EGBGB einer Gesamtbetrachtung in bezug auf seine Funktion im Zusammenhang mit der Verwendung von AGB, so ist die Bedeutung der Vorschrift ziemlich beschränkt. Die Bestimmung vermag lediglich eine kumulative Sonderanknüpfung hinsichtlich der Einbeziehung von AGB rechtfertigen, nicht aber eine Sonderanknüpfung in bezug auf die Inhaltskontrolle. Denn diese betrifft nicht das „Zustandekommen“, sondern die „Wirksamkeit“ von Verträgen, was sich nach Art. 31 Abs. 1 EGBGB, nicht aber Abs. 2 der Vorschrift richtet.279 Deshalb ist für die Inhaltskontrolle das Vertragsstatut heranzuziehen.280 Bei Geltung des deutschen Rechts sind das die §§ 307 ff. BGB, bei Geltung ausländischen Rechts ist es das AGB-Recht dieses Vertragsstatuts. Im zweitgenannten Fall kann eine Sonderanknüpfung gemäß Art. 27 Abs. 3 EGBGB281 oder gemäß Art. 29 Abs. 1 EGBGB282 in Betracht 277 Zum Schweigen auf eine Gerichtsstandsvereinbarung in einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben vgl. Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3132. 278 Zutreffend Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3131. 279 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 81; MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 126; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 238. 280 Die für die Anwendbarkeit des Art. 31 Abs. 2 EGBGB entscheidende Abgrenzung zwischen der Einbeziehungs- und der Inhaltskontrolle kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Bei der Abgrenzung kann nicht entscheidend sein, wie welche Zuordnung das jeweils geltende nationale Recht trifft; vielmehr muß dem Gebot der einheitlichen Auslegung (Art. 36 EGBGB) Rechnung getragen und danach unterschieden werden, ob die Regelung den Konsens der Parteien oder den Inhalt einer bestimmten Vereinbarung betrifft, so zutreffend Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 88. Das Verbot überraschender Klauseln (§ 305c Abs. 1 BGB, § 864a österr. ABGB) wird trotz der durch die Ungewöhnlichkeitsklausel bewirkten indirekten Inhaltskontrolle dem „Zustandekommen“ des Vertrages zugeordnet, so daß Art. 31 Abs. 2 EGBGB anwendbar ist. Dies wird damit begründet, daß diese Regelung in erster Linie „auf die Transparenz, die Art und Weise der Einbeziehung abzielt“, so Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 240; vgl. noch Hausmann, a.a.O., Rn. 89 m. w. N.; OLG Düsseldorf RiW 1994, 420. 281 Das setzt voraus, daß durch eine wirksame Rechtswahl ausländisches Recht vereinbart wurde und der Vertrag ausschließlich Beziehungen zum inländischen Recht aufweist, vgl. Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 83. 282 Die Vorschrift schränkt die Rechtswahlfreiheit zugunsten von inländischen Verbrauchern ein. Sie erfaßt auch die Vorschriften der Inhaltskontrolle von AGB, vgl. Staudinger/

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kommen. Gilt ausländisches Recht, kann anstößigen Klauseln, die nach dem Vertragsstatut wirksam sind, gegebenenfalls über Art. 34 EGBGB283 oder mit dem ordre public des Art. 6 EGBGB begegnet werden, 284 der allerdings im Internationalen Vertragsrecht eine vergleichsweise geringe Rolle spielt. 285 Die Angemessenheit z. B. einer freien Rechtswahl kann nicht – auch nicht, wenn sie durch AGB vereinbart wurde – über Art. 27 Abs. 4 i. V. m. Art. 31 Abs. 1 EGBGB einer Inhaltskontrolle unterworfen werden; dies ist auch eine Konsequenz der Streichung von § 10 Nr. 8 AGBG a. F. 286 II. Die Bestimmung des c.i.c.-Statuts und seine Bedeutung für sprachenbezogene Aufklärungspfl ichten im vorvertraglichen Stadium 1. Das Problem der Bestimmung des sog. c.i.c.-Statuts Rechtsprobleme im Zusammenhang mit der richtigen Zuweisung des „Sprachrisikos“ stellen sich häufig in der Phase der Vertragsanbahnung. Etwaige Pflichtverletzungen der besser informierten Partei werden materiellrechtlich über § 123 BGB (bei vorsätzlicher Täuschung) sowie über die Regeln der culpa in contrahendo (bei fahrlässigem Pflichtenverstoß) sanktioniert. Im Hinblick auf das Kollisionsrecht stellt sich dabei die vorgängige Frage, welches materielle Recht zur Lösung herangezogen werden muß. 287 Man kann daran denken, im Hinblick auf den künftigen Vertragsschluß das Vertragsstatut gleichsam zu antezipieren mit der Folge, daß die Artt. 31 und 32 EGBGB einschlägig wären.288 Alternativ kann an eine quasi-deliktsrechtliche Einordnung gedacht werden, was zur Anwendbarkeit der Artt. 40, 41 EGBGB führen würde.289 Die früher gewohnheitsrechtlich anerkannte und inzwischen in § 311 Abs. 2 und 3, § 241 Abs. 2, § 280 BGB gesetzlich geregelte Haftung für vorvertragliche Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 84. Im Ergebnis werden inländische Verbraucher bei Vereinbarung ausländischen Rechts hinsichtlich der Inhaltskontrolle von AGB demselben Schutzstandard unterworfen wie bei einem reinen Inlandsgeschäft. 283 Eingehend dazu Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 399 ff., 465 ff.; Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 51 f. 284 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 83; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 239. 285 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 104. 286 Staudinger/Hausmann, Art. 31 EGBGB Rn. 85, streitig. 287 Zur c.i.c. im europäischen Privatrecht und den Wechselwirkungen zwischen IPR und Sachrecht vgl. noch von Hein, GPR 2007, 64 ff. 288 Siehe dazu BGH NJW-RR 2005, 206 (208): Die Artt. 27 ff. EGBGB „sind sowohl maßgebend für den von der Kl. in erster Linie verlangten Schadensersatz wegen Nichterfüllung einer vertraglichen Verpfl ichtung (Art. 32 I Nr. 3 EGBGB) als auch für die hilfsweise geltend gemachte Haftung aus culpa in contrahendo (. . .).“; kritisch von Hein, GPR 2007, 54 (58). 289 Vgl. dazu – betreffend Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ – EuGH v. 17. 9. 2002 – Rs. C-334/00, Slg. 2002, I-7357 – Tacconi/Heinrich Wagner mit Anm. Mankowski, IPrax 2003, 143; siehe auch von Hein, GPR 2007, 54 (58 f.). Der Fall betraf den Abbruch von Vertragsverhandlungen.

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Pflichtverletzungen steht im deutschen Privatrecht systematisch zwischen einer Haftung aus Vertrag und Delikt.290 Im internationalen Vergleich erweist sich diese Sonderstellung als ungewöhnlich. In anderen Rechtsordnungen, die über eine deliktische Generalklausel verfügen, werden derartige Pflichtverletzungstatbestände vielfach deliktsrechtlich qualifiziert. 291 Die kollisionsrechtliche Einordnung der Haftung für vorvertragliche Pflichtverletzungen, das sog. c.i.c.-Statut, bereitet insofern Schwierigkeiten, als unter diesen weiten Haftungstatbestand eine ganze Reihe völlig unterschiedlicher Pflichtverletzungstatbestände subsumiert werden. Grob untergliedert erfassen sie die Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten einerseits wie die Verletzung von Obhutspflichten andererseits. 292 Damit stellt sich generell die Frage, ob das c.i.c.Statut als ein einheitliches anzusehen und gemäß Art. 32 Abs. 1 EGBGB dem Vertragsstatut zuzuordnen ist oder ob es geboten erscheint, zwischen den einzelnen Pflichtenkategorien zu differenzieren. Auf die nationale materiellrechtliche Qualifikation der Haftungstatbestände aus c.i.c. als „quasi-vertraglich“ (wie z. B. in Deutschland) oder „quasi-deliktisch“ (so z. B. in Frankreich) kann es wegen des Gebots der einheitlichen und autonomen Auslegung der Normen des EVÜ und damit auch der Artt. 27 ff. EGBGB nicht entscheidend ankommen. Die unterschiedlichen materiellrechtlichen Sehweisen machen aber deutlich, daß wegen der unterschiedlichen Fallgruppen der c.i.c.-Haftung eine Einheitsanknüpfung nicht naheliegt. 293 Statt dessen wird im Schrifttum überwiegend und in der Sache zu Recht vorgeschlagen, zwischen der Anknüpfung von Aufklärungs- und Beratungspflichten einerseits und Obhuts- und Erhaltungspflichten andererseits zu differenzieren. 2. Aufklärungs- und Beratungspflichten Die Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten, die dem künftigen Vertragspartner gegenüber bestehen, folgt in entsprechender Anwendung des § 32 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 5 EGBGB sowie des § 31 Abs. 1 EGBGB dem Schuldstatut des geschlossenen oder beabsichtigten Vertrags. 294 Dafür spricht der rechtsgeschäftliche Bezug von Aufklärungs- und Beratungspflichten, ihr Bezug zum Leistungsinteresse.295 Dieser Bezug ist unabhängig davon, ob es um eine vor290

Staudinger/Magnus, Art. 32 EGBGB Rn. 116. Mankowski, IPrax 2003, 127 (132 f.). 292 Rauscher, IPR, S. 269; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 282. 293 Rauscher, IPR, S. 269 f.; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 282; MüKo BGB/ Spellenberg, Art. 32 EGBGB Rn. 59. 294 Staudinger/Magnus, Art. 32 EGBGB Rn. 117; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 283; MüKo BGB/Spellenberg, Art. 32 EGBGB Rn. 59; Palandt/Heldrich, Art. 32 EGBGB Rn. 8; Rauscher, IPR, S. 270; v. Bar, IPR II, Rn. 558; Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (393); (Analogie zu Art. 8 Abs. 1 EVÜ und Art. 10 Abs. 1 lit. c und e EVÜ); a. A. LAG Frankfurt IPRspr. 1950/51 Nr. 20. 295 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 283. 291

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vertragliche vertragsbezogene Aufklärung bzw. Beratung geht oder um eine Haftung für die Verletzung einer vertragsbezogenen Nebenpflicht des bereits geschlossenen Vertrags, deren Anknüpfung sich nach dem Schuldstatut richtet (Art. 32 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB). Gegen eine Spaltung – die hinsichtlich des c.i.c.Statuts nur mit einer quasi-deliktsrechtlichen Einordnung begründet werden könnte – spricht, daß möglichst alle Ansprüche im Zusammenhang mit einem Schuldverhältnis dem dafür maßgeblichen Recht unterstellt werden sollen. 296 3. Obhuts- und Erhaltungspflichten Mögliche Verstöße gegen Obhuts- und Erhaltungspflichten, die dem Schutz des Integritätsinteresses der anderen Partei dienen, werden demgegenüber nach einer im Vordringen befindlichen Auffassung im Schrifttum deliktsrechtlich qualifiziert und dem entsprechend dem Deliktsstatut unterstellt. 297 Entscheidend dafür ist gemäß Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB grundsätzlich das Recht des Handlungsorts, d. h. der Ort der Ausführung der schädigenden Handlung bzw. in den Fällen des Unterlassens der Ort, an dem ein die Gefahrverwirklichung abwehrendes Handeln geboten gewesen wäre. 298 Der Verletzte kann gemäß Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB vor Gericht die Anwendung des Rechts des Erfolgsorts verlangen, so daß ein gerichtlicher Günstigkeitsvergleich entbehrlich wird.299 Die Gegenansicht tritt auch in diesen Fällen für die Geltung des Vertragsstatuts ein,300 was damit begründet wird, daß Art. 31 und Art. 32 EGBGB alle Vertragsfragen, auch diejenigen der vorvertraglichen Haftung, erfassen wollten. Vorzugswürdig ist die erstgenannte Ansicht, da sie den betroffenen Interessen – Leistungsinteresse einerseits, Integritätsinteresse andererseits – besser gerecht wird. 4. Die sog. „Rom II-Verordnung“ a) Die sog. „Rom II-Verordnung“ vom 11. Juli 2007301 bringt für den Zeitraum nach dem 11. Januar 2009 eine Klarstellung betreffend das c.i.c.-Statut. Diese 296

Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 283; Rauscher, IPR, S. 270. MüKo BGB/Spellenberg, Art. 32 EGBGB Rn. 59; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 283; Rauscher, IPR, S. 270; v. Bar, IPR II, Rn. 558; Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (393). 298 Rauscher, IPR, S. 274. 299 Abweichend Art. 4 Abs. 1 der Rom II-Verordnung (Erfolgsort maßgeblich); siehe aber auch Art. 17 mit Erwägungsgrund 34 der Rom II-Verordnung (Anknüpfung an den Handlungsort bei Distanzdelikten). Die letztgenannte Vorschrift bezweckt einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den Parteien, siehe nochmals den 34. Erwägungsgrund sowie Wagner, IPRax 2008, 1 (5). 300 Staudinger/Magnus, Art. 32 EGBGB Rn. 118, 120 m. w. N.; Palandt/Heldrich, Art. 32 EGBGB Rn. 8. 301 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 7. 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. EU Nr. L 199, S. 40 v. 31. 7. 2007. 297

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Erster Teil: Grundlagen

Verordnung gilt gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 für außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen. Sie enthält in Art. 12 eine Regelung über das Verschulden bei Vertragsverhandlungen. Gemäß Absatz 1 der Vorschrift ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Abschluß eines Vertrags, unabhängig davon, ob der Vertrag tatsächlich geschlossen wurde oder nicht, das Recht anzuwenden, das anzuwenden gewesen wäre, wenn er geschlossen worden wäre. Die Regelung scheint für eine einheitliche Bestimmung des c.i.c.Statuts zu sprechen. Tatsächlich aber ist zu differenzieren, wie der 30. Erwägungsgrund der Verordnung deutlich macht: „Der Begriff des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen ist für die Zwecke dieser Verordnung als autonomer Begriff zu verstehen und sollte daher nicht zwangsläufig im Sinne des nationalen Rechts ausgelegt werden. Er sollte die Verletzung der Offenlegungspflicht und den Abbruch von Vertragsverhandlungen einschließen. Artikel 12 gilt nur für außervertragliche Schuldverhältnisse, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags stehen. So sollten in den Fällen, in denen einer Person während der Vertragsverhandlungen ein Personenschaden zugefügt wird, Artikel 4 oder andere einschlägige Bestimmungen dieser Verordnung zur Anwendung gelangen.“

b) Der Rekurs auf die allgemeine Kollisionsnorm des Art. 4 der Verordnung 302 bei unerlaubten Handlungen betreffend den Eintritt von Personenschäden zeigt, daß die für das geltende Recht vorgeschlagene Differenzierung zwischen Leistungsinteresse einerseits und Integritätsinteresse andererseits bei der Ermittlung des c.i.c.-Status (oben 2. und 3.) jetzt offenbar auch vom Gemeinschaftsgesetzgeber für richtig gehalten wird.303 5. C.i.c.-Statut und sprachenbezogene Pfl ichtverletzungen a) Im Zusammenhang mit den hier interessierenden Rechtsfolgen der Verletzung sprachbezogener Pflichten einschließlich etwaiger Übersetzungspflichten spielt der Streit um die richtige Anknüpfung von Obhutspflichten in den typischen Fallgestaltungen wohl keine entscheidende Rolle, weil die sprachbezogenen Pflichten der Kategorie der leistungsbezogenen Aufklärungs- und Beratungspflichten zuzurechnen sind, so daß in entsprechender Anwendung des Art. 32 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 5 EGBGB sowie des Art. 31 Abs. 1 EGBGB das

302

Mit dem Begriff des „Schadens“ im Sinne dieser Vorschrift ist der Eintritt einer Rechtsguts- oder Interessenverletzung gemeint (vgl. die englische Fassung des 17. Erwägungsgrundes: „(. . .) in cases of personal injury or damage to property“). Dafür kommt es allein auf den Erfolgsort an, siehe Wagner, IPRax 2008, 1 (4). Damit geht eine Abweichung gegenüber Art. 40 EGBGB einher (Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB: Handlungsort; Art. 40 Abs. 1 S. 2: Option des Geschädigten zugunsten des Erfolgsorts). 303 Siehe auch Wagner, IPRax 2008, 1 (13).

§ 3 Kollisionsrechtliche Vorfragen

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Vertragsstatut maßgeblich ist.304 Das Problem würde sich aber stellen, wenn man den Begriff „Sprachrisiko“ auf deliktsrechtliche und quasi-deliktische Fallgestaltungen erstreckte (z. B. auf ärztliche Aufklärungspflichten gegenüber ausländischen Patienten), bei denen das Integritätsinteresse der anderen Partei betroffen ist. Beispiel: Ein ausländischer Bürge, der bei Unterzeichnung der Bürgschaftserklärung meint, eine Kontoeröffnung bei einer Bank vorzunehmen, wird durch die unterlassene Aufklärung seitens der Bank in einem rein vertragsbezogenen Interesse betroffen. Möglicherweise hat er das erforderliche „Erklärungsbewußtsein“ gehabt und mithin eine wirksame Willenserklärung abgegeben, doch war sein „Geschäftswille“ auf die Vornahme eines ganz anderen Rechtsgeschäfts bzw. einer rechtsgeschäftsähnlichen Handlung gerichtet. 305 Der Umstand, daß hier zugleich Vermögensinteressen der ausländischen Partei betroffen sind, rechtfertigt es nicht, von einer Verletzung des Integritätsinteresses zu sprechen, denn dieses bezieht sich auf Körper- und Sachschäden, nicht aber auf bloße Vermögensinteressen.

b) Sprachenbezogene Aufklärungspflichten können auch in dem Stadium nach Vertragsschluß als vertragliche Nebenpflichten auftreten, wie gerade das Beispiel der von einem ausländischen Arbeitnehmer unterzeichneten Ausgleichsquittung zeigt. Indem nun für beide Stadien das Vertragsstatut für maßgeblich erklärt wird, kommt es in kollisionsrechtlicher Hinsicht zu einem sinnvollen Gleichlauf.306

304 Zur Kritik an diesem Ansatz vgl. Kallenborn, Sprachenproblem, S. 196. Verf. hält ebd. eine Sonderanknüpfung der Bestimmung des Umfangs einzuhaltender Aufklärungspfl ichten an das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des ausländischen Kunden bei Distanzgeschäften – ähnlich der Anknüpfung nach Art. 31 Abs. 2 EGBGB – für vertretbar. Bei reinen Inlandsgeschäften dürfe der Ausländer allerdings nicht auf die Anwendung des eigenen Umweltrechts vertrauen (a.a.O., S. 197). 305 Nach Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 1951 fehlt es bei der Unterzeichnung von Auflösungsverträgen oder Ausgleichsquittungen durch nicht sprachkundige Ausländer am erforderlichen Annahme-(Verzichts-)Willen; die Erklärung sei unwirksam, wenn der Ausländer nicht wisse, worum es geht. 306 Allerdings ist das Bürgschaftsstatut nicht unbedingt akzessorisch zum Statut der gesicherten Verbindlichkeit: Mangels Rechtswahl wird zur Anknüpfung des Bürgschaftsstatuts auf die charakteristische Leistung des Bürgen abgestellt, so daß grundsätzlich gemäß Art. 28 Abs. 2 S. 1 EGBGB das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Bürgen gilt, vgl. Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 1183; Guiliano/Lagarde, Bericht, S. 53. Deutsches Recht ist daher nur dann anwendbar, wenn der Bürge seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat bzw. – wenn die Bürgschaft im Rahmen der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit abgegeben wird – seine Niederlassung in Deutschland liegt, Art. 28 Abs. 2 S. 2 EGBGB. Abgesehen davon kann sich aus der Gesamtheit der Umstände ergeben, daß der Vertrag engere Verbindungen mit einer anderen Rechtsordnung aufweist, Art. 28 Abs. 5 EGBGB. Die Tatsache, daß das Bürgschaftsstatut und das Statut der gesicherten Forderung keinem Gleichlauf unterliegen, spricht jedoch nicht gegen die Ansicht, die einen Gleichlauf zwischen c.i.c.-Statut und Vertragsstatut anstrebt.

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Erster Teil: Grundlagen

c) Im Ergebnis untersteht in den Fällen, in denen deutsches Recht das Vertragsstatut bildet, zugleich auch die Frage nach einer Haftung für eine gebotene, aber unterlassene sprachbezogene Aufklärung dem deutschen Sachrecht, mithin im vorvertraglichen Stadium den §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 BGB. Dies ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von Art. 32 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 5 EGBGB sowie von Art. 31 Abs. 1 EGBGB. Eine Sonderanknüpfung ähnlich derjenigen des Art. 31 Abs. 2 EGBGB ist wegen Fehlens der erforderlichen gesetzlichen Grundlage im EGBGB der Boden entzogen.307 III. Sprachenfragen und Formstatut 1. Das „Sprachrisiko“ – eine Frage der Form? Gemäß Art. 11 EGBGB, der auf Art. 9 des Übereinkommens von Rom 308 zurückgeht, ist ein Rechtsgeschäft formgültig, wenn entweder die Geschäftsform oder die Ortsform gewahrt ist, sog. favor negotii. Die Vorschrift dient primär Verkehrs- und Ordnungsinteressen. Sie verfolgt das Ziel zu verhindern, daß ein im übrigen mangelfreies, formbedürftiges Rechtsgeschäft an Formvorschriften scheitert, sofern nicht triftige internationalprivatrechtliche Gründe gegen dessen Aufrechterhaltung sprechen. Hinter der Vorschrift steht zugleich das dem Internationalen Privatrecht zugrunde liegende Prinzip der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Rechtsordnungen. Im Schrifttum wird die Frage, ob das „Sprachrisiko“ als Formfrage i. S. des Art. 11 EGBGB bzw. des Art. 9 EVÜ qualifiziert werden kann, intensiv erörtert. Vom Standpunkt eines deutschen Juristen, der – ohne eine Definition des Begriffs „Form“ im BGB vorzufinden – darunter die Art der äußeren Erscheinung einer Willenserklärung versteht (vgl. z. B. §§ 125–127 BGB, § 311b Abs. 1, § 1154 Abs. 1 S. 1 BGB), ist die Ablehnung der Frage auf den ersten Blick wohl naheliegend. Das wäre allerdings wegen der Notwendigkeit einer autonomen Auslegung des Formbegriffs in Art. 9 EVÜ bzw. des Art. 11 EGBGB als Umsetzungsnorm gleichwohl sehr fragwürdig. Denn es denkbar, daß die Besonderheiten des Internationalen Privatrechts zu einer abweichenden Definition des Formbegriffs führen können. Es darf jedenfalls nicht einfach auf den Formbegriff des BGB rekurriert werden. 2. Der Begriff der „Form“ in Art. 11 EGBGB a) Eine völlig überzeugende autonome Definition des Formbegriffs in Art. 11 EGBGB konnte bislang nicht gefunden worden werden. Zum Teil wird im Schrifttum bestritten, daß dies überhaupt möglich sei.309 Zwar kann man fest307 308 309

A. A. Kallenborn, Sprachenproblem, S. 196, 198. Künftig: Art. 11 der Rom I-Verordnung. MüKo BGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn. 107.

§ 3 Kollisionsrechtliche Vorfragen

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halten, daß die „Form“ tatbestandlich an die Art und Weise der Äußerung einer Willenserklärung anknüpft und damit im Gegensatz zu deren Inhalt und zum inneren Vornahmetatbestand steht, doch mißt man dem Unterschied zwischen der Äußerungsform und dem Inhalt der Erklärung nur eine geringe Trennschärfe bei.310 Das richtige Verständnis des „Form“-Begriffs erhellt jedenfalls nicht schon durch einen Blick in den Bericht von Giuliano und Lagarde zum Übereinkommen von Rom 311. Darin heißt es zu Art. 9 des Übereinkommens lapidar: „In Artikel 9 wird nicht definiert, was unter der ‚Form‘ der Rechtsgeschäfte zu verstehen ist. Die Gruppe hielt es für wirklichkeitsnäher, zu diesem äußerst schwierigen Qualifikationsproblem nicht Stellung zu nehmen. (. . .) Es ist dessenungeachtet zulässig, jedes äußere Verhalten, das dem Autor einer rechtlich erheblichen Willenserklärung vorgeschrieben wird und ohne das diese Willenserklärung nicht voll wirksam ist, als eine Form im Sinne des Artikels 9 anzusehen. Diese Definition umfaßt nicht die zum Schutz von Geschäftsunfähigen vorgesehenen besonderen Erfordernisse; (. . .) Sie umfaßt ferner nicht die besonderen Erfordernisse, die einzuhalten sind, damit ein Rechtsgeschäft gegenüber Dritten wirksam ist (. . .).“

b) Die Weite dieser Formulierung läßt offen, ob sich die „Form“ i. S. des Art. 9 EVÜ allein auf äußere Umstände im Zusammenhang mit der Abgabe von Willenserklärungen, wie beispielsweise die Schriftform, Unterschrifts-, Beglaubigungs- oder Beurkundungserfordernisse bezieht, oder ob die Vorschrift erweiternd interpretiert werden kann. Ungeachtet dieser Unsicherheiten bei der historischen Interpretation läßt der Passus, wonach das „äußere Verhalten, das dem Autor einer rechtlich erheblichen Willenserklärung vorgeschrieben wird und ohne das diese Willenserklärung nicht voll wirksam ist“ entscheidend ist, erhebliche Zweifel daran aufkommen, ob Einzelfragen des „Sprachrisikos“ darunter subsumiert werden können. Denn diese Formulierung deutet auf ein Verständnis hin, das jenem des Formbegriffs des BGB zumindest nahekommt, wonach vereinfachend unter „Form“ die äußere Gestalt einer Willenserklärung zu verstehen ist. Für ein solches enges Begriffsverständnis hat sich auch die Europäische Kommission ausgesprochen. In dem von ihr im Jahr 2003 vorgelegten Grünbuch zur Novellierung des EVÜ hat sie zum Problem der „Form“ gemäß Art. 9 EVÜ ausgeführt: „Bei Formerfordernissen handelt es sich um alle Äußerlichkeiten, die bei Vornahme eines Rechtsakt[s] von Gesetzes wegen zu beachten sind, wie etwa die Schriftform, die eigenhändige Unterschrift oder eine notarielle Beurkundung.“ Folgt man dieser Ansicht, dann betrifft die „Form“ lediglich Äußerlichkeiten im Zusammenhang mit einem Rechtsgeschäft.312 310

Vgl. dazu MüKo BGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn. 107. BT-Drucks. 10/503, 33 (61). 312 Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 48; Downes/Heiss, ZVglRWiss 98 (1999), 28 (41); vgl. noch zum „allgemeinen Sprachgebrauch“ Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 244 und Reinhart, RIW 1977, 16. 311

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Erster Teil: Grundlagen

Dazu gehören ohne weiteres Äußerungsformen im engeren Sinne wie Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Handschriftlichkeit, öffentliche Beglaubigung und Beurkundung, weiter die Zuziehung von Zeugen und die Mitwirkung von Amtspersonen.313 3. Erweiternde Interpretation des Formbegriffs? a) Möglicher Inhalt eines erweiterten Formbegriffs aa) In der Vergangenheit hat es nicht an Versuchen von Rechtswissenschaftlern gefehlt, die Sprachenfragen des Privatrechtsverkehrs dem Regime des Art. 11 EGBGB zu unterwerfen. Dies setzt ein von dem soeben beschriebenen Formbegriff erheblich abweichendes, erweitertes Begriffsverständnis voraus, das grundsätzlich jedes Erklärungsmittel der Form zuordnet.314 Logisch betrachtet ist es, solange der Gesetzgeber selbst nicht regelnd eingreift, ohne weiteres möglich, den Formbegriff gedanklich dahingehend zu erweitern, daß er neben der Art und Weise der Verkörperung der Willenserklärung und zusätzlicher beweissichernder Maßnahmen (z. B. Beglaubigung, notarielle Beurkundung, etc.) auch die verwendete Sprache bzw. deren Verständlichkeit für den Erklärungsempfänger umfaßt.315 Rechtsmethodisch gesehen ist eine erweiternde Auslegung der Vorschrift des Art. 11 EGBGB bzw. eine Analogie erlaubt, da für die Auslegung des EVÜ die Analogie in einem begrenzten Maß zugelassen wird.316 Die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung fordert als Grundvoraussetzung einer zulässigen Analogie allerdings, daß übereinstimmende rechtspolitische Wertungen in den anderen Vertragsstaaten festzustellen sind.317 Das überzeugt schon wegen der rechtsverbindlichen Anordnung einer einheitlichen Auslegung in Art. 18 EVÜ bzw. Art. 36 EGBGB. bb) Ist demnach eine gemäß Art. 11 EGBGB formwirksame Willenserklärung nur eine solche, die dem Empfänger verständlich ist? 318 Im Schrifttum 313 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn. 108 mit zahlreichen weiteren Beispielen für Formanforderungen aus dem ausländischen Recht in den folgenden Fußnoten. 314 Vgl. dazu Freitag, IPrax 1999, 142 (147); gegen die Einordnung des „Sprachrisikos“ als Formproblem Schwarz, IPrax 1988, 278 (279). 315 Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 48: Die Sprache gehöre wenigstens der äußeren Erscheinung einer Willenserklärung an und sei daher der Wortbedeutung entsprechend zur Form gehörig; vgl. auch Kallenborn, Sprachenproblem, S. 193, der diese Auffassung für vertretbar hält. 316 Staudinger/Magnus, Art. 36 EGBGB Rn. 24; MüKo/Martiny, Art. 36 EGBGB Rn. 30. 317 BGHZ 135, 124 (133 f.). 318 Bejahend Schütze, DB 1978, 2301 (2304): „Das Sprachproblem ist eine Frage der Form der Willenserklärung. Die Willenserklärung, die in einer dem Erklärungsgegner unverständlichen Form abgegeben ist, ist unwirksam, es sei denn, der Erklärungsgegner verzichte auf die Benutzung einer ihm geläufigen Sprache, die Parteien hätten sich auf eine Vertragssprache geeinigt, oder die Benutzung einer bestimmten Sprache entspräche den Usancen.“; ablehnend dazu Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 99 f.

§ 3 Kollisionsrechtliche Vorfragen

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wird zugunsten einer Lösung der Sprachenfragen des Privatrechtsverkehrs mittels der Form der Willenserklärung – unter allerdings fragwürdiger Berufung auf Flume – 319 argumentiert, daß jede Willenserklärung und jedes andere rechtsgeschäftlich erhebliche Handeln eine „Form“ habe, die den Beginn ihrer Rechtswirkung nach außen dokumentiere. Zwar sei die Wahl des Erklärungsmittels allein Sache des Erklärenden, doch müsse die Erklärung dem an ihr Interessierten verständlich sein. Man habe daher die Fähigkeit des Empfängers, die fremde Sprache zu verstehen, zu berücksichtigen.320 b) Stellungnahme aa) Diese Auffassung verdient keine Gefolgschaft. Gegen den Versuch, das „Sprachrisiko“ kollisionsrechtlich mittels des Art. 11 EGBGB zuzuweisen, spricht zunächst der Charakter des Problems als Wertungsproblem. Die „wertende Verteilung von Verständnisrisiken“321 läßt sich sehr viel besser mit den Vorschriften des materiellen Rechts bewerkstelligen als mit Vorschriften über die Form.322 Denn in der Regel dienen die Rechtsvorschriften über die Form dem Schutz des Betroffenen vor Übereilung bzw. dessen Warnung vor der Gefährlichkeit eines Rechtsgeschäfts (wie z. B. bei der Bürgschaft). Darüber hinaus verfolgen sie den Zweck der Beweissicherung.323 Im kollisionsrechtlichen Schrifttum wird die Auslegung des Art. 11 EGBGB an den genannten Funktionen orientiert.324 Dies zugrundegelegt, sind Formvorschriften zur Lösung der vielfältigen Sprachenfragen im Privatrechtsverkehr nicht geeignet. Mit Blick auf die zwingend autonome Auslegung des Art. 11 EGBGB ist eine entsprechend enge Interpretation des Formbegriffs, die sich an den Funktionen materiellrechtlicher Formvorschriften orientiert, zwar nicht zwingend erforderlich. Es läßt sich aber das spezifisch kollisionsrechtliche Argument ins Feld führen, daß Art. 11 EGBGB mit der darin vorgesehenen Alternativanknüpfung an das Geschäfts- bzw. das Ortsstatut die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts erleichtern soll,325 während eine zusätzliche Maßgeblichkeit des Ortsrechts in bezug auf 319 Vgl. dazu Freitag, IPrax 1999, 142 (145); Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 48 mit Fn. 191. Kritisch sowohl gegenüber Flume als auch gegenüber Reinhart äußert sich Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 45 ff. 320 Reinhart, RIW/AWD 1977, 16. 321 Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (465). 322 So schon Freitag, IPrax 1999, 142 (145); Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 48. 323 Freitag, IPrax 1999, 142 (147); Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 48, 50; Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 48; Downes/Heiss, ZVglRWiss 98 (1999), 28 (41 f.). 324 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn. 108 ff. im Anschluß an K. Heldrich, AcP 147 (1941), 89 (91 f.). 325 Freitag, IPrax 1999, 142 (145); Kallenborn, Sprachenproblem, S. 193; MüKo BGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn. 1. Dementsprechend stellt Spellenberg, a.a.O., Art. 11 EGBGB Rn. 78 b fest, daß für Grenzfälle die Frage zu stellen sei, ob es sinnvoll erscheine, durch die alternative Anknüpfung die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts zu fördern.

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Erster Teil: Grundlagen

das Sprachrisiko paradox erschiene.326 Eine solche Statutenkumulation liegt gerade nicht im Interesse des Sprachunkundigen,327 da der ihm durch die Anwendung des einen Statuts gewährte Schutz, welcher insbesondere in der Verneinung bzw. Vernichtung eines (an sich) wirksamen Vertragsschlusses liegen kann (vgl. Art. 31 Abs. 2 EGBGB), wieder durch die Anwendung des anderen Statuts entzogen werden könnte.328 Der Sprachenschutz des Betroffenen würde sich an dem aus seiner Sicht schwächeren Recht ausrichten.329 Bei Anwendung des Art. 11 EGBGB würde also stets die sprachunkundige Partei die schlechteren Chancen haben, ihre Interessen durchzusetzen.330 Der systematische Widerspruch einer solchen Lösung zu der mit Art. 31 Abs. 2 EGBGB angeordneten Berücksichtigung des Heimatrechts des Sprachunkundigen ist offensichtlich, denn der Sprachunkundige kann wie gezeigt ein berechtigtes Interesse haben, der ihm bekannten Rechtsordnung unterstellt zu werden.331 bb) Ein ergänzendes Argument gegen die Anwendung des Formstatuts des Art. 11 EGBGB läßt sich aus dem Grundsatz der Freiheit der Sprachenwahl gewinnen. Wie dargelegt, ist der Erklärende beim Abschluß von Rechtsgeschäften in der Wahl der Sprache grundsätzlich frei. Das gilt unter Gesichtspunkten des deutschen materiellen Rechts wie jenen des Kollisionsrechts gleichermaßen. Wenn im Schrifttum etwa „die dauerhafte und gefestigte Verwendung einer übereinstimmenden Verhandlungs- und Vertragssprache als eine zumindest konkludente Formvereinbarung“ angesehen wird,332 so bestehen dagegen Bedenken, weil es regelmäßig an einem entsprechenden rechtsgeschäftlichen Bindungswillen der Parteien gerade fehlen dürfte. Das Konzept der konkludenten Sprachenwahl wird so oftmals auf eine Fiktion dieses Willens hinauslaufen. Es geht aber nicht an, unterhalb der Ebene der rechtlichen Bindung eine rein tatsächliche Sprachenverwendung über den Umweg des Art. 11 EGBGB (oder der Formvorschriften des einschlägigen Vertragsstatuts) als eine angeblich konkludente Formvereinbarung für rechtlich verbindlich zu erklären. 333 Dort, wo es – wie regelmäßig – an der verbindlichen Anordnung einer Sprachenverwendung durch eine Rechtsnorm oder an einer eindeutigen rechtsgeschäftlichen Verein326

Freitag, IPrax 1999, 142 (145). Eine völlig entgegengesetzte Interessenlage der Fälle des Verkehrs- und Ordnungsinteressen dienenden Art. 11 EGBGB und der „Sprachrisiko“-Fälle konstatiert zu Recht Schwarz, IPrax 1988, 278 (279). Der Sprachunkundige habe ein berechtigtes Interesse daran, vor fremdsprachlichen standardisierten Texten geschützt zu werden und das Rechtsgeschäft nicht zustande kommen zu lassen oder aber zu vernichten. 328 Kallenborn, Sprachenproblem, S. 194; Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 110. 329 Kallenborn, Sprachenproblem, S. 194; Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 50, jeweils bezogen auf den Schutz des Verbrauchers. 330 Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 110. 331 So schon vor Einführung der Vorschrift Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 110. 332 Kallenborn, Sprachenproblem, S. 30. 333 Vgl. Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (483) mit der Forderung nach einer echten vertraglichen Vereinbarung. 327

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barung der Parteien (sog. Sprachenwahl) fehlt, verbietet es sich auch unter diesem Aspekt, das „Sprachrisiko“ als Problem des Formstatuts i. S. des Art. 11 EGBGB zu qualifizieren.334 Im übrigen gibt es auch keine Hinweise dafür, daß die Verfasser des Römischen Übereinkommens von 1980 dem Art. 9 EVÜ ein erweitertes Verständnis des Begriffs der „Form“ zugrundegelegt hätten, welches auch die Einbeziehung der Verständlichkeit der verwendeten Sprache einer Willenserklärung rechtfertigen könnte. Systematische und teleologische Argumente, die unter kollisionsrechtlichen Aspekten dafür sprächen, die Zuweisung des „Sprachrisikos“ dem Art. 9 EVÜ bzw. Art. 11 EGBGB – unter dem Gesichtspunkt der autonomen Auslegung – zu unterwerfen, sind ebenfalls nicht ersichtlich. cc) Man kann nach alledem sagen, daß „die bereits angeführte materiellrechtliche Vielschichtigkeit der Problematik (. . .) einer einheitlichen Sonderanknüpfung des Sprachrisikos auch als Formvorschrift entgegen [steht].“335 Nach hier vertretener Auffassung erfaßt Art. 11 EGBGB zunächst alle diejenigen Rechtsvorschriften, die wie § 483 BGB die Verwendung einer bestimmten Sprache vorschreiben (sog. sprachregulierende Vorschriften).336 Des weiteren ist es vertretbar, die – praktisch äußerst seltenen und in der Rechtsprechung bislang nicht nachweisbaren 337 – Fälle einer ausdrücklichen Sprachenwahl als gewillkürte Formvereinbarung zu bewerten.338 Soweit das Sprachrisiko zwischen Privaten im übrigen ungeregelt und damit ein Wertungsproblem bleibt, muß die richtige Lösung im materiellen Recht bei denjenigen Normen gesucht werden, die rationale Wertungsentscheidungen ermöglichen. Dabei handelt es sich nicht um Formfragen im Sinne der Artt. 11 EGBGB, 9 EVÜ.

334 So – unter dem materiellrechtlichen Aspekt des Formbegriffs und seiner Interpretation durch Reinhart und Flume – im Ergebnis auch Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 49. 335 So mit Recht Freitag, IPrax 1999, 142 (145) unter Hinweis auf Spellenberg, 2. FS Ferid, 463 (466). Ganz ähnlich auch Kallenborn, Sprachenproblem, S. 193: Das Sprachenproblem stelle keine in sich geschlossene Problemstellung dar, sondern weise Bezüge zu den unterschiedlichsten materiellen Fragestellungen auf. Eine Qualifizierung dieser Fragestellung nur als Formfrage würde daher die Problematik auf eine unzulässiges Maß verkürzen. 336 Ebenso MüKo BGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn. 110: „Sprachzwänge, dh. dass der Gebrauch einer bestimmten Sprache bei Strafe der Nichtigkeit vorgeschrieben wird, ist eine Formregelung, nicht dagegen ein Erfordernis, sich auch sprachlich verständlich zu äußern. Wenn in § 483 BGB der Gebrauch einer bestimmten Sprache vorgeschrieben ist, so gilt wegen des verbraucherschützenden Charakters freilich nicht Art. 11, sondern Art. 29a oder eventuell Art. 29.“; vgl. auch Downes/Heiss, ZVglRWiss 98 (1999), 28 (41 f.), die „Sprachenvorschriften“ bzw. „Sprachzwänge“ als Formvorschriften im Sinne des Art. 9 EVÜ qualifizieren. 337 Spellenberg, 2. FS Ferid, 463 (484). 338 Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 60 ff.; zum deutschen materiellen Recht auch Kallenborn, Sprachenproblem, S. 26, 30, 36, 38 ff., 42 f.; gegen ihn Freitag, IPrax 1999, 142 (145).

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Erster Teil: Grundlagen

C. Die Frage nach der Anerkennung einer lex mercatoria jenseits des staatlichen Kollisionsrechts I. Einführung 1. Fraglich ist, ob die vorstehenden Regeln des Internationalen Privatrechts uneingeschränkte Geltung beanspruchen. Das wäre nicht der Fall, wenn im internationalen Handelsverkehr ein eigenes, autonomes und supranationales Welthandelsrecht – die sog. lex mercatoria – neben dem staatlichen Recht Anerkennung verdiente, sofern dieses nichtstaatliche Recht Vorrang vor dem staatlichen Kollisionsrecht – d. h. vor den Artt. 27 ff. EGBGB – oder zumindest Gleichrang mit diesem genösse. Zum Teil wird das staatliche Kollisionsrecht als anachronistisch bewertet und ihm die Funktionsfähigkeit im internationalen Handelsverkehr schlechthin abgesprochen.339 Danach wären sämtliche internationalen Streitfälle auf der Grundlage autonomer kollisionsrechtlicher Wertungen 340 anhand nichtstaatlicher Regeln zu entscheiden, die das Vertrauen der Beteiligten genießen.341 2. Die Diskussion über die Existenz, den Inhalt und den Umfang der lex mercatoria wird international geführt. Die Vielfalt der Positionen,342 die – teilweise basierend auf einem unklaren Begriffsverständnis – 343 zu dem seit Jahrzehnten währenden „postmodernen Ideologiestreit“ und „Glaubenskrieg“344 bisher geäußert wurden, macht eine umfassende Darstellung innerhalb der vorliegenden Untersuchung von vornherein unmöglich. Sie beschränkt sich daher auf die wesentlichen Fragen 345 und konzentriert sich auf die Geltung der lex mercatoria vor den staatlichen Gerichten. Das ist insofern von Bedeutung, als die Kontroverse um die lex mercatoria im Zusammenhang mit ihrer rechtlichen und praktischen Relevanz in Schiedsverfahren – auf das hier gerade nicht detailliert eingegangen werden soll – besonders intensiv geführt wird. Es ist bemerkenswert, daß manche Vertreter der Lehre von der lex mercatoria aus dem deutschen Schrifttum von ihrer Anwendung durch den staatlichen Richter abraten, ihr 339 Zur angeblichen Unangemessenheit der kollisionsrechtlichen Lösung Stein, Lex mercatoria, S. 19 ff. 340 Zur Praxis des internationalen Schiedsverfahrensrechts, passende Kollisionsnormen selbst zu entwickeln, vgl. Stein, Lex mercatoria, S. 122 ff., 131. 341 Vgl. Stein, Lex mercatoria, S. 32, 144 (allerdings zum Schiedsverfahren). 342 Weick, FS Traub, S. 451 (454) konstatiert „eine kaum noch überschaubare Meinungsvielfalt mit wechselnden und oft schwer abgrenzbaren Positionen“. 343 Siehe nur Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3521. 344 Stein, Lex mercatoria, S. 6. 345 Vgl. Stein, Lex mercatoria, S. 5: „Niemand vermag heute präzise anzugeben, welche sachlichen oder rechtlichen Fragestellungen es im einzelnen sind, die im Zusammenhang mit der lex mercatoria eine Antwort fordern, oder auch nur mit einiger Verläßlichkeit zumindest festzustellen, welche Sach- oder Rechtsprobleme jedenfalls außerhalb des Themenbereichs liegen.“

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praktisches Wirkungsfeld also auf die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (die Arbitrage) beschränkt wissen wollen.346 II. Der Begriff der lex mercatoria Mit dem Begriff der lex mercatoria werden supranationale außerstaatliche Regeln bezeichnet, die im internationalen Handel einheitlich zur Anwendung gelangen sollen.347 Das betrifft u. a. Geschäftsbedingungen, internationale Handelsbräuche und allgemeine Rechtsgrundsätze.348 Es wird behauptet, die typischen Vertragsverhältnisse des internationalen Handels seien „schon ihrem Wesen nach ungeeignet, innerhalb einer einzigen Rechtsordnung lokalisiert zu werden“.349 Seit ihren erstmals Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts formulierten Ansätzen 350 hat die Lehre von der lex mercatoria351 vor allem im französischen Schrifttum namhafte Befürworter352 gefunden. Im deutschen Schrifttum überwiegt die – mitunter heftige – Kritik,353 und dies – 346 Stein, Lex mercatoria, S. 246: „Die gelegentlich erhobene Forderung, auch staatliche Richter hätten die lex mercatoria zu praktizieren, erweist sich bei näherem Besehen als durchaus zwiespältiges Desiderium (. . .).“; Weise, Lex mercatoria, S. 169: „Eine unmittelbare Anwendung der lex mercatoria durch staatliche Gerichte ist de lege lata nur sehr eingeschränkt möglich (. . .).“; vgl. auch Blaurock, in: Das selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft, S. 57 (74 f.). 347 Soergel/v. Hoffmann, BGB, Art. 27 EGBGB Rn. 14; Ehricke, JuS 1990, 967. Ausführlich zu verschiedenen Definitionen des Begriffs Stein, Lex mercatoria, S. 183 ff.; Weise, Lex mercatoria, S. 5 ff., 54. 348 Soergel/v. Hoffmann, BGB, Art. 27 EGBGB Rn. 14. Nach dems., in: FS Kegel, S. 215 (220) speist sich die lex mercatoria vornehmlich aus folgenden Quellen: (1) dem Vertrag, (2) internationalen Handelsbräuchen, (3) internationalen Abkommen und (4) allgemeinen Rechtsgrundsätzen. 349 Bonell, RabelsZ 42 (1978), 485 (490). 350 Großmann-Doerth, JW 1929, 3447; siehe auch v. Bar/Mankowski, IPR I, Rn. 74. 351 Umfassende Nachweise zum Schrifttum zum Problem der lex mercatoria finden sich bei Soergel/v. Hoffmann, Art. 27 EGBGB Rn. 13; siehe noch Stein, Lex mercatoria, 1995. 352 V. Bar/Mankowski, IPR I, Rn. 73 benennen für diese Ansicht die französischen Autoren Goldman, Kahn und Fouchard, den Engländer Schmitthoff und den Dänen Lando; zu den Schrifttumsnachweisen siehe Soergel/v. Hoffmann, Art. 27 EGBGB Rn. 13; zu den Befürwortern dieser Lehre in Frankreich vgl. MüKo BGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 277; Gruber, DZWiR 1997, 353 (357); Bonell, RabelsZ 42 (1978), 485 (491); zu Schmitthoff sowie zu Goldstajn (Jugoslawien) und Luithlen (Schweiz) näher Weick, FS Traub, S. 451 (456 f.). Aus dem amerikanischen Rechtskreis ist Juenger zu den Befürwortern dieser Lehre zu rechnen, siehe dens., FS Rittner, S. 233 ff. 353 Siehe statt aller nur die scharfe Ablehnung durch v. Bar/Mankowski, IPR I, Rn. 75: „Die Lehre von ‚der‘ lex mercatoria hält in keinem der von ihr für sich reklamierten Punkte näherer Kritik stand. Sie ist rechtsquellentheoretisch falsch, begriffl ich verschwommen und rechtspolitisch verfehlt.“; dies., a.a.O., Rn. 77: „Denn etwas, das nicht existiert [scil. die lex mercatoria] läßt sich auch nicht dadurch schaffen, daß man ihm einen Namen gibt.“; dies., a.a.O., Rn. 85: „Denn die ‚Lex Mercatoria‘ gibt es als eine Summe von Rechtsnormen nur in der Phantasie ihrer Erfi nder. (. . .) Die deutsche öffentliche Ordnung kann es nicht hinnehmen, daß auf ihrem Territorium Privatleute objektives Recht ‚setzen‘.“; siehe noch Canaris, Bank-

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wie sich zeigen wird – mit Recht. Auch hat die deutsche staatliche Rechtsprechung diese Lehre nicht rezipiert.354 Die Lehre von der lex mercatoria hat ihren praktischen Schwerpunkt deshalb in der Schiedsgerichtsbarkeit. 355 III. Mögliche Auswirkungen der Anwendung dieser Lehre auf Sprachenfragen Mit Blick auf die hier zu erörternden Sprachenfragen hätte eine Verpflichtung zur vorrangigen Anwendung nichtstaatlicher welthandelsrechtlicher Regeln unter Ausblendung des staatlichen Internationalen Privatrechts die Konsequenz, daß die zugunsten der mit dem Vertragsstatut nicht vertrauten Partei etablierten Schutzmechanismen des Art. 31 Abs. 2 EGBGB ausgeschaltet wären. Das hängt freilich von dem konkreten Inhalt der anwendbaren Grundsätze der lex mercatoria ab, die leider diffus sind.356 Des weiteren fehlt es an unmittelbar anwendungsfähigen Normsätzen.357 Bezüglich der Verteilung des „Sprachrisikos“ im grenzüberschreitenden unternehmerischen Geschäftsverkehr wäre an einen ungeschriebenen welthandelsrechtlichen allgemeinen Rechtsgrundsatz358 oder einen Handelsbrauch des Inhalts zu denken, daß jeder am internationalen Handel Beteiligte eine oder mehrere Weltsprachen (z. B. Englisch, Französisch, gegebenenfalls auch Spanisch oder Arabisch) sprechen müsse. Das „Sprachrisiko“ läge danach jedenfalls bei Kaufleuten, die sich am Welthandel beteiligen, ohne die einschlägige Sprache richtig zu beherrschen, immer auf seiten des Sprachunkundigen. Die Auswirkungen eines solchen unvertragsrecht, Rn. 925 (betreffend die „Einheitlichen Richtlinien und Gebräuche für Dokumentenakkreditive“); ferner Weick, FS Traub, S. 451 (458). 354 Eine Ausnahme bildet LG Hamburg, Urt. v. 23. 4. 1954–62 O 31/54, MDR 1954, 422; siehe dazu J. Gruber, DZWiR 1997, 353 (354, 357). Anders als in Deutschland hat der österreichische OGH die lex mercatoria mit Urteil vom 18. 11. 1982 ausdrücklich anerkannt, vgl. OGH, RIW 1983, 868 – Norsolor/Pabalk und dazu Weise, Lex mercatoria, S. 110, 152 ff. 355 Zur lex mercatoria im Schiedsverfahren vgl. v. Hoffmann, FS Kegel, S. 215; Weise, Lex mercatoria; Stein, Lex mercatoria; Blaurock, in: Das selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft, S. 57 (74 f.). 356 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 72; Reithmann/Martiny/Hausmann, a.a.O., Rn. 3525; Triebel/Balthasar, NJW 2004, 2189 (2193); Triebel/Petzold, RIW 1988, 245 (250); vgl. auch Ehricke, JuS 1990, 967 (968); vom Standpunkt der Befürworter dieser Lehre Stein, Lex mercatoria, S. 200: „Ein einheitliches Konzept der lex mercatoria existiert nicht.“ – Es herrscht immerhin Einigkeit darüber, daß Handelsbräuche Teilelemente der lex mercatoria sind. Gleiches gilt für international anerkannte Rechtsgrundsätze, z. B. das Prinzip „pacta sunt servanda“, den Grundsatz von Treu und Glauben, die Verpflichtung zur Schadensminderung, der Grundsatz des Verbots des Rechtsmißbrauchs, die culpa in contrahendo, die clausula rebus sic stantibus, der Schutz wohlerworbener Rechte, der Grundsatz des Vertrauensschutzes, usw. 357 V. Hoffmann, FS Kegel, S. 215 (233). 358 Zur Rechtsfortbildung seitens der internationalen Handelsgerichtsbarkeit (Arbitrage) im Bereich nichtstaatlicher materieller „Normen“ ausführlich Stein, Lex mercatoria, S. 148 ff., 175 f.

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geschriebenen Rechtsgrundsatzes in einer globalisierten Welt wären offensichtlich ganz erheblich. IV. Das umstrittene Verhältnis der lex mercatoria zum staatlichen Kollisionsrecht Zur Frage der Geltung einer lex mercatoria und ihres Verhältnisses zum staatlichen Kollisionsrecht läßt sich sagen, daß die Kollisionsnormen des Internationalen Privatrechts ausschließlich auf staatliches Recht verweisen.359 Das gilt auch für die durch diese Normen ermöglichten Rechtswahlbefugnisse.360 Art. 27 Abs 3 EGBGB macht das mit dem Passus „Wahl des Rechts eines anderen Staates“ deutlich.361 Daraus wird im Schrifttum mit Recht geschlossen, daß ein autonomes „Recht“ des Welthandels nur relevant wird, wenn das vom IPR berufene materielle staatliche Recht die privatautonome Bezugnahme auf Regelwerke der Wirtschaft zuläßt.362 Umgekehrt kann man sagen, daß aus der Sicht des staatlichen Kollisionsrechts das „unechte Einheitsprivatrecht“ und das IPR des Forums niemals in direkten Kontakt zueinander treten.363 Eine Möglichkeit der Anwendung supranationaler Regelwerke auf einen Sachverhalt, der dem IPR unterfällt, gibt es daher nicht.364 1. Die Vorrangtheorie Abzulehnen ist zunächst die sog. autonomistische Theorie oder Vorrangtheorie, derzufolge das autonome „Welthandelsrecht“ unmittelbar gelten soll, ohne daß

359 Canaris, in: Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 5 (18); MüKo BGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 270; MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 27; MüKo BGB/Martiny, Art. 27 EGBGB Rn. 33; a. A. Juenger, FS Rittner, S. 233 (237 ff.); Schinkels, GPR 2007, 106 (111); zur Diskussion vgl. noch Jud, JBl. 2006, 695 (696 ff.). 360 MüKo BGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 267; v. Bar/Mankowski, IPR I, Rn. 86; a. A. Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3525, der die Auffassung vertritt, daß eine ausdrückliche oder mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen zu entnehmende konkludente Wahl der lex mercatoria durch die Partei grundsätzlich Anerkennung verdiene. Dies entspreche nicht nur der inzwischen überwiegenden internationalen Schiedspraxis, sondern trage auch der zunehmenden Verfestigung und Fortbildung der lex mercatoria als einer eigenständigen Rechtsquelle durch die staatliche Gerichtsbarkeit Rechnung, welche die auf dieser Grundlage ergangenen Schiedssprüche anerkenne und vollstrecke. 361 MüKo BGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 267, 269. 362 MüKo BGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 267; MüKo BGB/Martiny, Art. 27 EGBGB Rn. 37; Staudinger/Magnus, Art. 27 EGBGB Rn. 49 (Verweisungen auf die lex mercatoria haben die Wirkung einer „subsidiären materiellrechtlichen Verweisung“); Kegel/Schurig, IPR, § 1 IX (S. 127). 363 V. Bar/Mankowski, IPR I, Rn. 73. 364 Vgl. MüKo BGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 267.

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es insoweit der Anwendung staatlichen Kollisionsrechts bedürfte.365 Eine unmittelbare Anwendung der lex mercatoria würde derselben einen vor dem Hintergrund der rechtlichen Verbindlichkeit des staatlichen Kollisionsrechts untragbaren „ungezügelten Geltungsanspruch“ zubilligen.366 Das staatliche Recht aber ist verbindlich, es hat „stets das letzte Wort“367. Erst recht abzulehnen ist daher die Lehre vom „rechtsordnungslosen“ Vertrag, die unterstellt, der Parteiwille sei dazu imstande, Recht zu setzen.368 Das ist aus rechtsquellentheoretischen Gründen unhaltbar.369 2. Die Gleichrangtheorie Aber auch eine Gleichstellung von staatlichem Recht und lex mercatoria im Wege der Rechtswahl gemäß der Gleichrangtheorie muß ausscheiden, da Art. 27 EGBGB allein staatliches Recht als Vertragsstatut zur Wahl stellt.370 Das Gleiche gilt für eine objektive Anknüpfung nach Art. 28 EGBGB, die sich ebenfalls nur auf staatliches Recht bezieht.371 Die staatliche Anerkennung von Schiedssprüchen auf Basis der lex mercatoria besagt nichts über eine generelle Gleichsetzung der lex mercatoria mit dem IPR.372 365 MüKo BGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 268; MüKo BGB/Martiny, Art. 27 EGBGB Rn. 37; v. Bar/Mankowski, IPR I, Rn. 73; Weise, Lex mercatoria, S. 112; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 73: „Diese Auffassung ist für die staatliche Gerichtsbarkeit inakzeptabel, weil sie das nationale materielle Recht einfach beiseite schieben würde. Auch für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit ist sie bedenklich.“ – Gegen eine Unterscheidung bei der Beurteilung des Verhältnisses der lex mercatoria zu den nationalen Rechtsordnungen nach den Kategorien der Über- Gleich- oder Unterordnung wendet sich – nicht überzeugend – Stein, Lex mercatoria, S. 195 ff. 366 MüKo BGB/Martiny, Art. 27 EGBGB Rn. 37. 367 V. Bar/Mankowski, IPR I, Rn. 76. 368 Ebenso Bonell, RabelsZ 42 (1978), 485 (492 ff., insb. 494); von Standpunkt der Befürworter der lex mercatoria ablehnend zu dieser Rechtsfigur Weise, Lex mercatoria, S. 69 ff. 369 Vgl. Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 925. 370 MüKo BGB/Martiny, Art. 27 EGBGB Rn. 37: „Eine Wahl der lex mercatoria als Vertragsstatut würde ins Leere gehen.“ Weniger deutlich Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 73; a. A. Weise, Lex mercatoria, S. 113. 371 MüKo BGB/Martiny, Art. 27 EGBGB Rn. 37; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 73: „Welchen Weg man auch immer einschlagen mag, dem staatlichen Richter kann man eine direkte Anwendung der lex mercatoria aufgrund objektiver Anknüpfung nicht gestatten. Er hat sich an das Kollisionsrecht der lex fori zu halten.“; Weick, FS Traub, S. 451 (463), der es als einen „Kurzschluß, der von kaum einer Rechtsordnung gebilligt wird“ bezeichnet, wenn man statt gemäß Art. 28 EGBGB die „engste Verbindung“ des Vertrages für maßgebend zu erachten generell ein transnationales Institut heranzöge. Nur wenn eine „engste Verbindung“ nicht leicht zu finden sei und demgemäß die Unterstellung unter ein nationales Recht keine Überzeugungskraft habe, komme letzteres in Betracht. 372 Zutreffend MüKo BGB/Sonnenberger, Einl. IPR Rn. 268, streitig. Nach Weick, FS Traub, S. 451 (459) reichen die Stellungnahmen verschiedener staatlicher Gerichte in Europa zu Schiedssprüchen von positiver Aufnahme (Österreich, Frankreich) über eine wohlwollender Duldung (Italien), distanzierte Zurückhaltung (Deutschland) bis hin zu entschiedener Ablehnung (Großbritannien).

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3. Die Subsidiaritätstheorie a) Die lex mercatoria kann somit allenfalls eine subsidiäre Anwendung im Rahmen des durch das Kollisionsrecht bestimmten materiellen Rechts erfahren, sog. Subsidiaritätstheorie. Vertragsstatut ist stets ein nationales staatliches Recht.373 Der lex mercatoria kommt gegebenenfalls die Bedeutung einer subsidiären materiellrechtlichen Verweisung zu.374 Dies gilt namentlich dann, wenn die Parteien eine entsprechende „Rechtswahl“ getroffen haben, die wegen der Beschränkung des Art. 27 EGBGB auf die Wahl staatlichen Rechts ins Leere geht. Die so in Bezug genommenen nichtstaatlichen Regeln können zunächst Anhaltspunkte für die Auslegung von Generalklauseln wie §§ 138, 242, 315 BGB liefern.375 Überdies sind die darin verkörperten Handelsbräuche (die sich im Ausnahmefall sogar zu einem Handelsgewohnheitsrecht verdichtet haben können) 376 ebenso bei der Vertragsauslegung zu beachten wie nationale Handelsbräuche.377 Dafür streitet bei einer entsprechenden praktischen Übung der Parteien – auch ohne eine explizite „Rechtswahl“ – das Postulat des BGH von der beiderseits interessengerechten Auslegung. Es erschiene nicht tragfähig, wenn bei einer offensichtlich internationalen Ausrichtung der Vertragspraxis der Parteien der staatliche Richter dazu gezwungen wäre, ausschließlich nationale Handelsbräuche in die juristische Interpretation des ihm zur Entscheidung vorgelegten Sachverhalts einzubeziehen. b) Im Schiedsverfahren können – im Rahmen der Geltung einer staatlichen Rechtsordnung – die internationalen Grundsätze der lex mercatoria ebenfalls ergänzend zur Anwendung gelangen; das gilt vor allem dann, wenn es sich um eine von dem Schiedsgericht zu treffende Billigkeitsentscheidung handelt, zu der die Parteien dieses ermächtigt haben.378 Der praktische Schwerpunkt der 373

Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 73. Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 73; Weise, Lex mercatoria, S. 173 (bei 15.). 375 Kegel/Schurig, IPR, § 1 IX (S. 128) zu § 138 BGB. 376 Nach Hök, ZfBR 2004, 332 (333) m. w. N. haben sich die FIDIC-Bedingungen, d. h. englischsprachige Vertragsmuster nichtstaatlicher Herkunft für die Bewältigung von Ingenieurbauprojekten, trotz ihres großen Bekanntheitsgrades und ihrer großen Verbreitung nicht zu einer von den nationalen Rechtsordnungen unabhängigen lex mercatoria entwickelt; auch sei ein eigener Geltungsanspruch etwa im Sinne eines Handelsgewohnheitsrechts zu verneinen. Diese restriktive Sicht der Praxis zeigt, daß der generelle Schluß von einer großen Verbreitung und praktischen Bedeutung privatautonom zustande gekommener Vertragsmuster auf die Existenz eines entsprechenden Handelsbrauchs vorschnell wäre. 377 Vgl. Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 925 f.: Es sei „eine rechtsquellentheoretische Selbstverständlichkeit, daß Handelsbräuche nur nach Maßgabe des einschlägigen nationalen Rechts Relevanz erlangen und folglich nach der deutschen lex lata nur auf dem Umweg über die Auslegung und Ergänzung von Rechtsgeschäften gemäß §§ 157 BGB, 346 HGB wirksam werden.“ Es bestünden keine grundsätzlichen Bedenken rechtsquellentheoretischer Art, die ERG als Gewohnheitsrecht oder als Handelsbräuche i. S. von § 346 HGB anzusehen. 378 Näher dazu v. Hoffmann, FS Kegel, S. 215 (231 ff.); vgl. auch Weise, Lex mercatoria, S. 172 (bei 11.). 374

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Lehre von der lex mercatoria liegt offenbar in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit,379 nicht in der Rechtsprechung staatlicher Gerichte. 4. Praktische Konsequenzen Für die praktische Fallanwendung hat das folgende Konsequenzen: Zunächst ist bei internationalen Sachverhalten immer zu prüfen, welche staatliche Rechtsordnung durch das staatliche IPR des Forums zur Anwendung gelangt. Daran anschließend ist zu untersuchen, ob beispielsweise international gebräuchliche AGB wirksam in den Vertrag einbezogen worden sind oder ob ein bestimmter international praktizierter Handelsbrauch – ohne selbst als Rechtsnorm qualifiziert werden zu können – ähnlich wie eine Rechtsnorm wirkt.380 Regelungen, die die Wirtschaft sich selbst gegeben hat, sind nur insoweit wirksam, als das staatliche Recht entsprechenden Raum für eine privatautonome Gestaltung läßt.381 Man kann von einer Ergänzung des anwendbaren staatlichen Rechts sprechen,382 ohne daß der lex mercatoria deshalb der Charakter einer eigenständigen Rechtsordnung zuzubilligen wäre.383 Denn nationale Handelsbräuche werden mit Recht ebenfalls nicht als eine eigenständige Rechtsordnung verstanden. Es handelt sich dabei für sich gesehen nicht einmal um Recht, sondern zunächst einmal nur um Gewohnheiten.384 Gegen eine Einordnung als Rechtssystem spricht weiter, daß die lex mercatoria keine subsumtionsfähigen Rechtssätze bereithält; vielmehr müssen solche erst aus ihr gewonnen werden. Ein Rechtssystem – verstanden als „offenes“ System – das ausschließlich aus Prinzipen besteht und keinerlei subsumtionsfähigen Normsätze beinhaltet, ist aber schwer vorstellbar.385 Auch gibt es nach zutreffender herrschender Ansicht in Schrifttum und Rechtsprechung kein uneingeschränktes „Selbstbestimmungsrecht der Wirtschaft“ mit der Folge einer Ersetzbarkeit des staatlichen Rechts durch anationale Regeln der Wirtschaft.386 Deren Praktiken mögen zukünftig Eingang in ein einheitliches kodifiziertes europäisches Vertragsrecht („Europäisches Zivilgesetzbuch“) finden.387 Dann aber wären sie als Teil einer echten – alternativ zum nationalen Recht wählbaren – Rechtsordnung zu qualifizieren und 379

Weise, Lex mercatoria, S. 172 (bei 10.). V. Bar/Mankowski, IPR I, Rn. 72. 381 V. Bar/Mankowski, IPR I, Rn. 76; Weick, FS Traub, S. 451 (466). 382 Staudinger/Magnus, Art. 27 EGBGB Rn. 49. 383 A. A. Stein, Lex mercatoria, S. 243; Weise, Lex mercatoria, S. 60 ff., 170. 384 Im deutschen Handelsrecht erlangen sie zwar kraft der gesetzlichen Verweisung in § 346 HGB Rechtsgeltung, isoliert betrachtet sind sie jedoch keine Rechtsnormen. 385 A. A. Weise, Lex mercatoria, S. 170. 386 V. Bar/Mankowski, IPR I, Rn. 76 a. E.; Bonell, RabelsZ 42 (1978), 485 (496); RG JW 1936, 2058 (2059); Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 925. 387 Vgl. dazu die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialauschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum europäischen Vertragsrecht“, KOM(2001) 398 endg., ABl. EG Nr. C 241, S. 1, Ziff. 1.4. 380

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sähen sich daher den oben formulierten rechtsquellentheoretischen Einwänden hinsichtlich Normsetzungsbefugnissen und Rechtsverbindlichkeit nicht ausgesetzt.388 Die Europäische Kommission hat in ihrem Vorschlag für die sog. Rom I-Verordnung389, die das EVÜ ersetzen wird, zwar in Art. 3 Abs. 2 eine Möglichkeit der Parteien zur Wahl nichtstaatlichen Rechts aufgenommen.390 Danach soll „insbesondere die Wahl von UNIDROIT-Grundsätzen, der Principles of European Contract Law oder eines etwaigen künftigen fakultativen EU-Instruments“ zulässig sein, während die „Wahl der lex mercatoria aber als nicht präzise genug“ ausgeschlossen wird, ebenso wie die Wahl privater Kodifikationen, „die von der internationalen Gemeinschaft nicht hinreichend anerkannt sind.“391 In der vom Europäischen Parlament am 29. November 2007 angenommenen Fassung der Rom I-Verordnung wurde Art. 3 Abs. 2 infolge des 42. Änderungsantrages gestrichen.392 Der Inhalt der Bestimmung findet sich statt dessen – gemäß dem 14. Änderungsantrag – lediglich in der neuen Erwägung 8b wieder.393

D. Ergebnisse I. Die Problematik der richtigen Zuweisung des „Sprachrisikos“ läßt sich mit den Regelungen des Internationalen Privatrechts nur in einem beschränkten Maße bewältigen.394 Eine isolierte395 „Sonderanknüpfung der Sprachenfrage“ 388 Wie hier v. Bar/Mankowski, IPR I, Rn. 75 (zu den „Principles on European Contract Law“, welche zu einer „inhaltlichen Anreicherung der lex mercatoria beitragen“ könnten). 389 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) v. 15. 12. 2005, KOM(2005) 650 endg. 390 Zur Kritik siehe Jud, JBl. 2006, 695 (698 ff.); Schinkels, GPR 2007, 106 ff.; Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493 (495). 391 A.a.O., Begründung zu Artikel 3 – Freie Rechtswahl, S. 5; siehe dazu auch Canaris, in: Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, S. 5 ff.; Schinkels, GPR 2007, 106 ff. 392 Siehe den Bericht des Rechtsausschusses des EUP über den Vorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) v. 21. 11. 2007, A6–0450/2007, S. 26. 393 Siehe den Bericht des Rechtsausschusses (Fn. 390), S 11 mit der Begründung, auf nichtstaatliche Rechtsorgane wie UNIDROIT (Internationales Institut zur Vereinheitlichung des Privatrechts) sei in einer Erwägung und nicht im verfügenden Teil hinzuweisen. 394 Kallenborn, Sprachenproblem, S. 197 f., Linke, ZVglRWiss 79 (1980), 1 (41, 47); a. A. Jayme, FS Bärmann, 509 (515), der unter Geltung der früheren Rechtslage für eine „Sonderanknüpfung des Sprachrisikos“ votierte, d. h. bei Distanzverträgen sollte das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des sprachunkundigen Ausländers anzuwenden sein; ihm folgend im Hinblick auf die Beurteilung sprachlicher Mißverständnisse von ausländischen Arbeitnehmern Jancke, Sprachrisiko, S. 97 ff., 102 f.; für eine isolierte Anknüpfung in bezug auf die Unterwerfung unter AGB bzw. unter die ADSp Hepting, RIW/AWD 1975, 457 (462 ff.). 395 Zur Methode der isolierten oder echten Sonderanknüpfung im Unterschied zu einer bloßen „Mitberücksichtigung“ des Sonderstatuts Linke, ZVglRWiss 79 (1980), 1 (7 f.).

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wäre nach hier vertretener Auffassung unzulässig.396 Die richtigen Lösungen für die vielgestaltigen Sprachenfragen sind vornehmlich im materiellen Recht zu suchen, welches wiederum unter Anwendung der Normen des Internationalen Privatrechts zu bestimmen ist.397 Das Internationale Privatrecht regelt damit vor allem die entscheidende Vorfrage nach dem einschlägigen materiellen Recht. II. Die im Zusammenhang mit dem „Sprachrisiko“ wichtigste Vorschrift des deutschen Internationalen Privatrechts ist Art. 31 Abs. 2 EGBGB, der in bestimmten, relativ eng begrenzten Fällen zugunsten der ausländischen Partei eine kumulative Sonderanknüpfung an deren vertrautes Heimatrecht anordnet, soweit dies das Zustandekommen eines Vertrags betrifft. Die Norm kann im Rahmen ihres engen Anwendungsbereichs lediglich mittelbar für die Lösung von Sprachenproblemen zugunsten des Sprachunkundigen fruchtbar gemacht werden, indem ihre den Konsens zerstörende Wirkung auch zugunsten sprachunkundiger Ausländer eingreift (Beispiel: Schweigen des ausländischen Geschäftspartners auf ein nicht verstandenes kaufmännisches Bestätigungsschreiben des deutschen AGB-Verwenders). Einschränkend besteht ein berechtigtes Vertrauen auf die Anwendung des Heimatrechts der ausländischen Partei regelmäßig bei Distanzverträgen, nicht aber bei reinen Inlandsgeschäften. Lediglich in seltenen Fällen ist die Anwendung des Art. 31 Abs. 2 EGBGB auch bei Inlandsgeschäften diskutabel, so etwa bei sehr kurzfristigen Aufenthalten der ausländischen Partei in Deutschland. In allen übrigen Fällen ist allein das Vertragsstatut anzuwenden, in dessen Rahmen allerdings dem Umstand der Rechtsfremdheit des Vertragspartners gegebenenfalls im Wege der Vertragsauslegung Rechnung zu tragen ist.398 Diesen Fragen wird im zweiten Teil der Untersuchung nachgegangen. III. Das „Sprachrisiko“ ist kein Teilproblem der sog. lex mercatoria, da es sich dabei nicht um eine Rechtsordnung handelt, auf die im Wege des Kollisionsrechts verwiesen werden könnte. Man gestatte daher den Abschluß dieses Kapitels mit einem diesbezüglichen Bonmot aus dem angelsächsischen Rechtskreis: „English law is law, foreign law is fact, and international law is fiction.“399

396

Kallenborn, Sprachenproblem, S. 200; MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 105: „Das sog. Sprachrisiko, dh. die Zurechnung sprachlich bedingter Missverständnisse, ist kein tauglicher Gegenstand einer eigenen Anknüpfung.“ 397 Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382. 398 Siehe auch Linke, ZVglRWiss 79 (1980), 1 (41). 399 A Contributor, 1995 Cambridge Law Journal 230 (zit. nach ZEuP 1995, 374, Rubrik „aufgespießt“).

§ 4 System und Prinzipien des Privatrechts A. Grundlagen I. Vorbemerkungen: Rechtspositivismus versus Rechtsprinzipien 1. Die „Alleinherrschaft“ des Rechtspositivismus Wer heute, unter der Herrschaft eines positivistischen Rechtswissenschaftsbegriffs, die fundamentalen Rechtsprinzipien der Privatrechtsordnung zur Lösung von Rechtsfragen heranzieht, muß mit Kritik rechnen.1 Vor dem Hintergrund eines umfassenden Corpus geschriebener Privatrechtsnormen wird die Beachtung von Rechtsprinzipien bei der Lösung eines Rechtsfalles als nebulös angesehen, gelten die Rechtsprinzipien geradezu als Pseudo-Recht. Man hat deshalb zutreffend von einer „verbreiteten Frontstellung“ gegen das methodische Rechtsdenken gesprochen.2 Der heutige Jurist versteht offenbar die Subsumtion eines Sachverhalts unter eine Rechtsnorm als Fallösung; Rechtsnormen nimmt er günstigstenfalls als Ausdruck eines Rechtsprinzips wahr.3 Dieses selbst ist jedoch nicht subsumtionsfähig und daher für die Fallösungstechnik scheinbar gänzlich irrelevant. 2. „Mehr an Recht“ und „offenes System“ a) Die „Alleinherrschaft“ des Rechtspositivismus in der Rechtstheorie ist von einem der bedeutendsten Rechtsmethodiker ganz zu Recht als „echter wissen-

1

Bydlinski, AcP 188 (1988), 447 (449): „Zunächst wirkt ein positivistisch-empiristischer Wissenschaftsbegriff, der die normativen Fragestellungen im Extremfall überhaupt für Aberglauben erklärt.“; ders., Die praktische Bedeutung der Rechtsethik und die Möglichkeiten ihrer Vermittlung, in: Bydlinski/Mayer-Maly (Hrsg.), Rechtsethik und Rechtspraxis, 11 (16); Jørgensen, Recht und Gesellschaft, S. 10; zu Theorie und Dogmatik in der Jurisprudenz vgl. Canaris, JZ 1993, 377 (390). 2 Bydlinski, AcP 188 (1988), 447 (449). 3 Alexy, ARSP Beiheft 25 n. F. (1985), 13 (21) spricht von den Prinzipien als „Gründe für Regeln“. Zur Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien aus der Sicht eines Nicht-Positivisten vgl. Dworkin, Taking Rights Seriously, chapter 2 („The Model of Rules I“, p. 14 et. seqq.), chapter 3 („The Model of Rules II“, p. 46 et seqq.); zu diesem Konzept ausführlich Alexy, a.a.O., 14 ff.

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schaftsgeschichtlicher Unglücksfall“ bezeichnet worden.4 Tatsächlich ist das geltende (Privat-)Recht nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Wie das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, kann gegenüber dem geschriebenen „positiven Recht“ ein „Mehr an Recht“ bestehen.5 Von dem führenden Vertreter der sog. Interessenjurisprudenz, Philipp Heck, stammt der „klassische Satz“6 aus dem Jahr 1932, daß der Richter – der dem Gesetz keinen blinden, sondern einen „denkenden Gehorsam“ schuldet – 7 zwar den Einzelfall zu entscheiden habe, „aber unter Anwendung der ganzen Rechtsordnung“. 8 Demnach erschöpft sich das Privatrecht nicht in seinen unmittelbaren Anordnungen und Einzelwertungen, sondern es wird von dahinter stehenden Ordnungsgesichtspunkten, Grundwertungen und „Interessen“ beeinflußt.9 Ein vorgegebenes und zugleich lückenloses Rechtssystem, aus dem sich die rechtlichen Entscheidungen durchweg logisch stringent ableiten ließen, existiert entgegen den Annahmen der Begriffsjurisprudenz10 nicht.11 Juristische Entscheidungen erschöpfen sich folglich nicht in logischen Subsumtionsschlüssen eines Tatbestands unter eine Rechtsnorm,12 sie sind kein bloßes „Rechnen mit Begriffen“,13 sondern jedenfalls auch das Ergebnis von Wertungsprozessen, also Wertungsakte.14 4 Bydlinski, AcP 188 (1988), 447 (451); ders., Rechtsethik, S. 31; monographisch dazu Ott, Rechtspositivismus, passim. 5 BVerfGE 34, 269 (287) = NJW 1973, 1221. 6 Rittner, EuZW 2007, 745, Gastkommentar. 7 Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 106 f., 201; ders., AcP 112 (1914), 20; siehe auch Rüthers, JZ 2006, 53 (57, 58). – Mit seiner erstgenannten Schrift richtete sich Heck gegen die Kritik von Oertmann an der Interessenjurisprudenz mit dem Titel „Interesse und Begriff in der Rechtswissenschaft“, Leipzig 1931. Heck bekämpfte in seinem Werk die von ihm sog. „technische Begriffsjurisprudenz“, d. h. die „Verwendung von wissenschaftlichen Ordnungsbegriffen zur Normgewinnung, mit den sich aus ihr ergebenden Folgen“ (a.a.O., S. 13). Diese technische Begriffsjurisprudenz solle „verschwinden“ (ebd., im Original gesperrt gedruckt). Er selbst berief sich auf die Lehren von Jhering, auf die sog. „genetische Interessenjurisprudenz“ (a.a.O., S. 32 f. in Anm. 7). 8 Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 107; siehe auch a.a.O., S. 110 Anm. 2, S. 118 f.; dem folgend Rittner, in: Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, S. 261 (276). 9 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 97. 10 Zur Begriffsjurisprudenz siehe Staudinger/Coing/Honsell, Einl. BGB Rn. 177 ff. 11 Vgl. dazu auch Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 3, 91 f., 130 f., 163 ff.: Die Begriffsjurisprudenz habe die Rechtsordnung als ein „geschlossenes“ System von Rechtsbegriffen aufgefaßt und zwar als ein deduktives (analytisches). Danach war der Richter auf die Anwendung des Rechts durch formallogische Subsumtion der gegebenen Sachlage unter die Rechtsbegriffe beschränkt. – Zur Interessenjurisprudenz seit Rudolf v. Jhering als Ausformung einer systematisch-teleologischen Betrachtungsweise siehe Staudinger/Coing/ Honsell, Einl. BGB Rn. 182 ff. 12 Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 106 f. 13 Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 91 f. 14 Jørgensen, Recht und Gesellschaft, S. 97; siehe nochmals Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 106 f.

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b) Die Rechtssystem des Privatrechts ist außerdem in gewisser Hinsicht „unfertig“, weil „offen“ im Sinne einer Fähigkeit zur wissenschaftlichen Modifizierung und Fortentwicklung und jedenfalls in bestimmten Teilbereichen auch „beweglich“ im Sinne Wilburgs.15 Das juristische System, innerhalb dessen sich die Rechtsanwendung vollzieht, ist axiologischer Natur,16 d. h. es ist weder logisch noch teleologisch geschlossen. Die innerhalb einer Rechtsordnung erforderlichen Wertentscheidungen lassen sich daher nicht abschließend formulieren.17 Folglich können Wertungslücken und damit auch Systemlücken auftreten.18 c) Die hier getroffenen und noch herauszuarbeitenden methodischen Aussagen haben ihre Stütze vor allem in den modernen grundlegenden rechtmethodischen Werken von Franz Bydlinski19, Karl Larenz20 und Claus-Wilhelm Canaris 21. Deren Kernthesen lauten zusammengefaßt, daß die „Herausarbeitung und anwendungsadäquate Bereitstellung der (. . .) stabilen Leitzwecke und Wertungsgesichtspunkte, also der ‚Elemente‘ oder der Prinzipien des Rechts (. . .) die zentrale theoretische Aufgabe der Jurisprudenz“ ist.22 Die Aufgabe der Dogmatik besteht darin, „Gerechtigkeitsfragen in ihren Einzelbereichen juristisch operational zu machen“; 23 Werturteile müssen „in einer Form vollzogen bzw. nachvollzogen werden, die sich als ‚Denken‘ i. S. von Objekt-Erkenntnis (. . .) versteht“.24 Die Jurisprudenz erschöpft sich demnach nicht in einer „wertungsneutralen Begriffsarbeit“25 , sondern muß als „wertorientiertes Denken“ ver-

15 Jørgensen, Recht und Gesellschaft, ebd. (Fn. 14); ausführlich Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 22 ff., 47, 61 ff., 86 ff., 106, 157. 16 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 22, 156 und öfter. Verf. weist nach, daß der Versuch, das System einer bestimmten Rechtsordnung als formal-logisches oder axiomatisch-deduktives zu konzipieren, scheitern muß. Die Merkmale des allgemeinen Systembegriffs sind die axiologische oder teleologische Ordnung im Sinne einer wertungsmäßigen Folgerichtigkeit und die innere Einheit des Rechts, a.a.O., S. 11 ff., 40 ff., 155. Das juristische System kann man folglich als „axiologische oder teleologische Ordnung allgemeiner Rechtsprinzipien“ definieren (a.a.O., S. 47, 156). Dieses System ist „offen“ und jedenfalls teilweise „beweglich“ im Sinne Wilburgs. 17 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 29, 133; vgl. dazu auch Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 181. 18 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 29, 111, 133. 19 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996; ders., Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982/91; ders., Fundamentale Rechtsgrundsätze, 1988; ders., Die praktische Bedeutung der Rechtsethik und die Möglichkeiten ihrer Vermittlung, in: Bydlinski/Mayer-Maly (Hrsg.), Rechtsethik und Rechtspraxis, 1990, 11 ff. 20 Larenz, Richtiges Recht, passim; ders., 2. FS Wilburg, S. 217 ff. 21 Feststellung von Lücken, 3. Abschnitt: Allgemeine Rechtsprinzipien und Rechtswerte (S. 93 ff.); ders., Systemdenken und Systembegriff, passim. 22 Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 f. 23 Esser, AcP 172 (1972), 97 (113). 24 Esser, ebd. (Fn. 23). 25 So aber Esser, AcP 172 (1972), 97 (103).

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standen werden.26 Es geht um die Herausbildung von „Methoden eines wertorientierten Denkens“. 27 Das Ziel bestmöglicher normativer Orientierung fordert, daß der Begriff des Rechts „sowohl das ‚positive Recht‘ umfaßt (. . .) wie auch allgemeine und (. . .) rechtsethische Elemente, die als zusätzliche Richtpunkte und Leitziele zur Reduzierung der Mängel des positiven Rechts benötigt werden und die insbesondere auch den unentbehrlichen methodischen Regeln der Jurisprudenz Stütze und Entwicklungsmöglichkeiten bieten.“28 Sie konstituierten das „‚ethische Minimum‘ im Recht, ohne welches eine eigentlich normative Bedeutung von Recht überhaupt fehlt und bloß, in Wahrheit ohne jede Plausibilität, definitorisch festgesetzt werden kann.“29 3. Die Ergänzungsfunktion der Rechtsprinzipien Um zu Beginn möglichen Mißverständnissen vorzubeugen: Es wäre naiv zu glauben, daß sich allein aus „dem System“ als solchem die offenen rechtlichen Wertungsfragen im Zusammenhang mit der Zuweisung von Sprachrisiken lösen ließen.30 Um die Wertungsakte des Rechtsanwenders rational auszugestalten, die Lücken im positiven Recht zu schließen 31 und um eine sinnvolle Rechtsfortbildung zu ermöglichen, bedarf es aber gerade im Privatrecht der ergänzenden Heranziehung von rechtsethischen Prinzipien.32 Denn ein strikter Gesetzespositivismus vermag die Rechtsfragen des Privatrechts – auch die hier zu untersuchenden – nicht in ihrer Gesamtheit zu lösen. Die Lösung der Rechtsprobleme steht weiter unter dem Gebot, daß ein „prinzipienloser Dezisionismus“ – unter dem Deckmantel der Gebote von Treu und Glauben oder der „Einzelfallgerechtigkeit“33 – vermieden werden muß: Statt einer freien Wertung 26 Larenz, 2. FS Wilburg, S. 217 (218, 226), der einen Verzicht der Jurisprudenz auf die Bildung genau definierter Begriffe oder auf das begriffliche „äußere“ System freilich ablehnt (vgl. a.a.O., S. 228 f.). 27 Larenz, 2. FS Wilburg, S. 217 (229); siehe auch Bydlinski, AcP 188 (1988), 447 (448). 28 Bydlinski, AcP 188 (1988), 447 (482). 29 Bydlinski, ebd. (Fn. 28). 30 Vgl. allgemein Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 110. 31 Zur Ausfüllung der Lücken aus dem System vgl. Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 95 ff.; zu den Grenzen der Lückenergänzung a.a.O., S. 119 sowie ausführlich ders., Feststellung von Lücken, S. 31 ff., 55 ff. 32 Bydlinski, Bedeutung der Rechtsethik, 11 (27); siehe auch Canaris, Feststellung von Lücken, S. 97: Erst das „innere System“ gewährleiste die Einheit und Folgerichtigkeit einer Rechtsordnung. – Zur Unverzichtbarkeit der Theorie vgl. Canaris, JZ 1993, 377 (390). Er kennzeichnet a.a.O., S. 384 eine juristische Theorie als eine Trias aus Wertungen bzw. allgemeinen Rechtsprinzipien, Regeln und paradigmatischen Problemlösungen, so daß die Ansicht von der Unverzichtbarkeit der Theorie zugleich jene der Rechtsprinzipien mitumfaßt. Zur Abgrenzung zwischen dem „äußeren“ von dem „inneren“ System Bydlinski, FS Canaris, Bd. II, S. 1017 ff. 33 Bydlinski, Bedeutung der Rechtsethik, S. 11 (27) sowie ders., AcP 188 (1988), 447 (451): Ein strikter Rechtspositivismus habe als Abhilfe stets nur das richterliche oder behördliche Ermessen anzubieten. Dieser Ausweg sei nichtssagend und er führe nirgends hin; vgl. auch

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ist die gebundene Wertung zu setzen.34 Dafür müssen die im System vorhandenen Wertungen „zu Ende gedacht“ werden.35 4. Keine Ersetzung des geschriebenen Rechts durch eine freie Anwendung der Rechtsprinzipien Eine Verselbständigung und Übersteigerung der Prinzipienanwendung im Sinne einer Abkoppelung vom Gesetz muß – das ist selbstverständlich – gleichfalls vermieden werden. Die allgemeinen Rechtsprinzipien können „nur in engem Zusammenwirken mit dem positiven Recht konkretisiert werden“.36 Die lex lata – selbst Ausdruck von Interessenwertungen 37 und „objektivierende Verfestigung des Rechtsgedankens im gebundenen sprachlichen Ausdruck“38 – ist für den Rechtsanwender, vorbehaltlich eines nur in ganz selten Ausnahmefällen möglichen contra legem-Judizierens39 sowie im Fall des Auftretens von SystemLarenz, 2. FS Wilburg, S. 217 (228 f.); Breitschmid, in: FS Ernst A. Kramer (2004), S. 105 (112) spricht von einer „(immerhin systemkonformen) Verwirklichung von Einzelfallgerechtigkeit“, der die Auslegung diene. Das entspricht in der Sache der hier vertretenen Ansicht. Vgl. in diesem Zusammenhang auch v. Tuhr, BGB AT II/1, S. 546 mit Fn. 60: § 242 BGB biete die „allerdings mit Vorsicht und Taktgefühl zu benutzende Möglichkeit, eine gelegentlich hervortretende Unvollkommenheit oder Starrheit des Gesetzes zu mildern“. Der Richter dürfe „sein Billigkeitsgefühl und die ihm richtig scheinende Wertung der Interessen aber gegenüber der autoritativen Entscheidung des Gesetzes nicht zur Geltung bringen, außer bei solchen Rechtslagen, die zwar unter den Wortlaut eines Rechtssatzes fallen, aber den Erwägungen des Gesetzgebers offensichtlich ferngelegen haben“. 34 Zutreffend Jørgensen, Recht und Gesellschaft, S. 98; siehe auch Bydlinski, FS Canaris, Bd. II, S. 1017 (1025 f.): „Die Einzelregelung oder Einzelfallentscheidung ist also durch ihre teleologischen Grundlagen und in deren Rahmen, also im Rahmen teleologischer Folgerichtigkeit, endgültig erst durch präzisierende Entscheidungen begründet. Solche dürfen also gerade nicht durch freie, unkontrollierte Wertungen auf einer vermeintlichen Tabula rasa erfolgen. Das adäquate System bietet vielmehr auch außerhalb der Möglichkeiten strikter voller Deduktion der Regelbildung Orientierung und Stütze.“; vgl. auch die strikte Unterscheidung zwischen der Interessenjurisprudenz und der Freirechtsschule bei Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 124 f., 200 ff.; siehe ferner Staudinger/Coing/Honsell, Einl. BGB Rn. 182 ff. (Interessenjurisprudenz), Rn. 205 (Freirechtsschule) mit der Feststellung a.a.O., Rn. 206: „Zu einer klaren Methode drangen insofern nur die Vertreter der Interessenjurisprudenz vor.“ 35 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 134. 36 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 113. 37 Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 100: „Die Normen unserer Gesetze sind Ergebnisse der Interessenwertung, sie sind nicht ‚Durchführung‘ von Ordnungsbegriffen oder Theorien.“; siehe auch dens., a.a.O., S. 106: „Ausgangspunkt ist die Erwägung, daß der Gesetzgeber die menschlichen Interessen nach Werturteilen gegeneinander abgrenzen will und daß der Richter die Aufgabe hat, dieses Endziel durch seine Fallentscheidung zu verwirklichen.“ 38 Forsthoff, Recht und Sprache, S. 9. 39 Zur Gesetzeskorrektur contra legem vgl. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 108; siehe auch Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 111, 124: Der Richter hat die Befugnis zur Gebots- bzw. Begriffsberichtigung nur in besonderen Ausnahmefällen; vgl. dazu noch Staudinger/Coing/Honsell, Einl. BGB Rn. 126 a. E.

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lücken, die ein begrenztes Einfallstor für eine „topische“ Argumentation bieten,40 verbindlich.41 Eine davon abweichende, nicht-systemorientierte, also rein „topische“ Argumentation im Einzelfall verbietet sich schon wegen der in Artt. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG angeordneten richterlichen Bindung an Recht und Gesetz.42 5. Prinzipienanwendung versus Einzelfallentscheidung bei der Zuweisung des „Sprachrisikos“ a) Die Rechtsprinzipien haben auch für die schwierige Frage nach der richtigen Zuweisung des „Sprachrisikos“ zwischen Privatrechtssubjekten erhebliche Relevanz. Dies gilt zunächst für die rationale Ausfüllung von Gesetzeslücken,43 die nicht einfach ignoriert werden können, wenn das gesetzte Recht keine Maßstäbe zu ihrer Ausfüllung bietet, weil dies auf Rechtsverweigerung hinauslie-

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Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 134, 151 f. Zutreffend daher Neuner, JuS 2007, 881, der eine rein prinzipiengeleitete Argumentation mit den jeweils maßgeblichen Grundsätzen der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung einerseits sowie dem Vertrauens- und Verkehrsschutz andererseits für irrelevant erachtet, solange es auf der gesetzlichen Regelebene klare Vorgaben gibt; siehe auch Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 200 ff., der sich gegen den Vorwurf wehrt, die Interessenjurisprudenz gefährde die Gesetzestreue: „Es ist in der Tat nicht abzusehen, weshalb der denkende Gehorsam, den wir vertreten, weniger gesetzestreu sein sollte, als der Buchstabengehorsam oder eine logische Subsumtion, die von den legislativen Wertideen absieht.“ (a.a.O., S. 201 unten). 42 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 144, 146, 149; siehe auch Rüthers, JZ 2006, 53 (53, 57); zur Bedeutung der Bindung der Gerichte an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 Abs. 3 G siehe BVerfGE 88, 145 (147) = NJW 1993, 2861: „Art. 20 Abs. 3 GG verpfl ichtet die Gerichte, ‚nach Gesetz und Recht‘ zu entscheiden. Eine bestimmte Auslegungsmethode (oder gar eine reine Wortinterpretation) schreibt die Verfassung nicht vor. Eine Rechtsfortbildung ‚praeter legem‘ bedarf zwar sorgfältiger Begründung, ist jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen (. . .).“ 43 Allgemein dazu Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 133; siehe ferner BVerfGE 82, 6 (11 ff.) = NJW 1990, 1593: Danach gewährleistet Art. 20 Abs. 3 GG „als Element des Rechtsstaatsprinzips zugleich das Maß an Rechtssicherheit, das im Interesse der Freiheitsrechte unerläßlich ist (. . .).Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine Judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (. . .).Die tatsächliche oder rechtliche Entwicklung kann jedoch eine bis dahin eindeutige und vollständige Regelung lückenhaft, ergänzungsbedürftig und zugleich ergänzungsfähig werden lassen. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Lückensuche und -schließung fi ndet ihre Rechtfertigung unter anderem darin, daß Gesetze einem Alterungsprozeß unterworfen sind. Sie stehen in einem Umfeld sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschauungen, mit deren Wandel sich auch der Norminhalt ändern kann (. . .). In dem Maße, in dem sich aufgrund solcher Wandlungen Regelungslücken bilden, verliert das Gesetz seine Fähigkeit, für alle Fälle, auf die seine Regelung abzielt, eine gerechte Lösung bereit zu halten. Die Gerichte sind daher befugt und verpfl ichtet zu prüfen, was unter den veränderten Umständen ‚Recht‘ im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG ist.“; zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung siehe noch BVerfGE 69, 315 (372) = NJW 1985, 2395. 41

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fe.44 Um solche Lücken systematisch-teleologisch stimmig auszufüllen, kann auf allgemeine Rechtsprinzipien zurückgegriffen werden. Das ist methodisch keineswegs fragwürdig, sondern entspricht der berechtigten Forderung: „Wer eine Lücke füllen oder eine neue Form schaffen will, soll bekennen, woher das Normgut kommt.“45 Es ist eine Eigentümlichkeit der Rechtswissenschaft und -praxis im Privatrecht, daß man es nahezu ausschließlich mit Wertungen zu tun hat.46 Diesen Wertungen wiederum liegen bestimmte, zum Teil konfligierende Prinzipien des Privatrechts zugrunde, die, auch soweit sie nicht oder nur unvollkommen Eingang in die Normen des Privatrechts gefunden haben, geeignet sind, Einzelfallentscheidungen zu rationalisieren und damit zumindest ihren groben Umrissen vorhersehbar zu machen. Der Entscheidungsfindung jedes einzelnen Rechtsfalls soll eine Struktur gegeben werden, die auf bestimmten Grundeinsichten basiert. Dafür wird ein geeignetes methodisch-theoretisches, dogmatisches Fundament für die praktische Arbeit am konkreten Fall benötigt. b) Die Heranziehung von Rechtsprinzipien dient außerdem der dogmatischen Absicherung der durch Subsumtion unter eine Norm des Privatrechts gefundenen Ergebnisse. Auch hier kann nicht davon gesprochen werden, daß die Prinzipienfrage sich nicht stelle. Dies gilt insbesondere für jene Materien, wo das geschriebene Recht auf heute überholten Grundanschauungen beruht, wie beispielsweise das Recht der Irrtumsanfechtung im BGB, das auf der sog. psychologischen Irrtumslehre fußt. Wenn die ins Gesetz aufgenommenen Begriffe (hier: „Inhaltsirrtum“ und „Erklärungsirrtum“ in § 119 Abs. 1 BGB) auf überholten Annahmen beruhen, liegt es nahe, erst einmal die dahinter stehenden Wertungen freizulegen, statt lediglich unreflektiert unter die Gesetzesbegriffe zu subsumieren; dies zumal der historische Gesetzgeber an die Zuweisung von Sprachrisiken zwischen Privatrechtssubjekten offensichtlich nicht gedacht hat. c) Der hier verfolgte Ansatz steht in einem strikten Gegensatz zu einer außerhalb systematischer Strukturen durchgeführten, praktisch allein an Treu und Glauben orientierten „Billigkeitsdezision“ im Einzelfall.47 Sie wird verworfen, weil ihr zwangsläufig die Kohärenz fehlen muß und ihre Ergebnisse nicht wie44 Vgl. auch Breitschmid, FS Ernst A. Kramer, S. 105 (107 mit Fn. 8, 110 mit Fn. 16); siehe weiter Staudinger/Coing/Honsell, Einl. BGB Rn. 121: Der Richter dürfe die Entscheidung nicht verweigern, weil er im Gesetz keine Lösung findet. Er müsse jeden Rechtsstreit entscheiden und dürfe sich nicht auf ein non liquet berufen, wie das noch der römische Richter habe tun können. 45 Scheuerle, ZZP 78 (1965), 32 (59); vgl dazu auch Säcker, JurA 1971, 509 (512 mit Fn. 10). 46 Bydlinski, Bedeutung der Rechtsethik, S. 11 (62, 70); Larenz, 2. FS für Wilburg, S. 217; ders., Methodenlehre, S. 214 f.; Jørgensen, Recht und Gesellschaft, S. 8; zur Wertungsjurisprudenz als Fortführung der Interessenjurisprudenz Hecks vgl. auch Rüthers, JZ 2006, 53 mit Fn. 1. 47 Zur Kritik daran vgl. Bydlinski, Bedeutung der Rechtsethik, S. 11 (26). Ohne die Prinzipien von Treu und Glauben ist im Zivilrecht kein Auskommen, doch bietet § 242 BGB nicht das einzige Instrument zur Lückenschließung.

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derholbar48 sind, so daß sie auch nicht entsprechend und systemkonform auf zukünftige, noch unbekannte Einzelfälle der „Sprachrisiko“-Problematik übertragen werden können. Gemäß einer allgemeinen zivilrechtsdogmatischen Forderung besteht das Ziel darin, die „rationale Rechtsfindung aus nachvollziehbaren Gründen [zu] fördern und die Beliebigkeit freier Dezision einzudämmen“.49 Gefordert ist demnach eine „methodische Interessenabwägung“.50 d) Den richtigen Weg, der zu einer systematisch abgeleiteten und kontrollierten Rechtsfindung auf der Basis von fundamentalen rechtsethischen Prinzipien als normativer Grundlage führt, hat namentlich Bydlinski 51 – unter Rückgriff auf systemtheoretische Überlegungen von Canaris52 – in einem gemischt induktiv-deduktiven Verfahren wie folgt überzeugend beschrieben: Einerseits soll induktiv von den gesetzlichen Einzelregelungen 53 , andererseits deduktiv von den fundamentalen rechtsethischen Prinzipien her argumentiert werden, um auf diese Weise am Schnittpunkt beider Überlegungen die immanenten Prinzipien eines bestimmten Rechtsgebiets – mit häufig rechtsethischem Cha48 Die Wiederholbarkeit von Entscheidungen ist ein zentraler Aspekt, vgl. dazu auch Fikentscher, FS Canaris, Bd. II, S. 1091 (1098) am Beispiel der „Kommentatoren“ an den norditalienischen Universitäten; siehe weiter Rüthers, JZ 2006, 53, li. Sp., 2. Spiegelstrich. 49 Bydlinski, Bedeutung der Rechtsethik, S. 11 (28); vgl. auch a.a.O., S. 86 bei Ziffer 3 sowie dens., Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 58 (kein „Freibrief für beliebige Dezision“); vgl. noch Jørgensen, Recht und Gesellschaft, S. 8 f., 98 ff., der aufzeigt, daß die juristische Entscheidung nicht das Ergebnis einer freien, sondern einer rationalen, gebundenen Wertung ist; abweichend Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, passim, der grundsätzlich bezweifelt, daß sich Vertragsgerechtigkeit durch Subsumtion unter a priori geltende Rechtssätze, Prinzipien und Leitideen herstellen lasse (a.a.O., S. 4). Wertungen über den Inhalt materialer Gerechtigkeit seien einer rationalen Begründung nicht zugänglich (a.a.O., S. 21). Zum Erfordernis der „Wiederholbarkeit“ von Entscheidungen ders., a.a.O., S. 39; siehe dazu auch Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (687): Qualitätsvolle und vertiefte rechtsdogmatische Arbeit greife stets über das „positiv“ vorfindliche, etatistisch-autoritativ vorformulierte Rechtsmaterial auf grundlegende und daher maßstabsgebende Rechtselemente zurück, die erst eine konsistente, wiederholbare Rechtsanwendung und Rechtsgestaltung ermöglichten. 50 Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 180 (betreffend die Auslegung bzw. Willensergänzung nach Treu und Glauben); siehe auch Bydlinski, AcP 188 (1988), 447 (456) (gegen nachträglich „aufgesetzte“ formelhafte und nichtssagende quasi-Begründungen). 51 Bydlinski, Bedeutung der Rechtsethik, S. 11 (75); ders., Methodenlehre, S. 133; ders., JBl. 118 (1996), 683 (690, 692). 52 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 97 f., 100, 114, 128, der allgemeine Rechtsgedanken aus einzelnen Normen des positiven Rechts durch Induktion – im Gegensatz zur Analogie bzw. Rechtsanalogie – gewinnen will. Schon um die Prinzipien zu füllen, bedürfe es des Rückgriffs auf das positive Recht (a.a.O., S. 114); vgl. dazu noch dens., Systemdenken und Systembegriff, S. 68. 53 Dabei ist jedoch im Auge zu behalten, daß nicht jede Abweichung einer Parteivereinbarung vom dispositiven Gesetzesrecht zu einer vertraglichen Ungerechtigkeit führt, wie Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 139 zutreffend ausführt. Gleichwohl spricht nichts dagegen, die durch gesetzliche Festlegung positivierten Gerechtigkeitsgehalte zum Ausgangspunkt der rechtlichen Bewertung zu nehmen, jedenfalls soweit sie einer vorherigen teleologischen Präzisierung nicht bedürftig sind; vgl. zu diesem Aspekt am Beispiel des Fahrlässigkeitsbegriffs in § 276 BGB Oechsler, a.a.O., S. 226.

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rakter – herauszuarbeiten. Hinsichtlich der Induktion aus den Einzelregelungen ist zu ergänzen, daß diese auch negativ beachtlich bleiben, nämlich insoweit, als eine Gewinnung oder besser Konkretisierung von Prinzipien 54 einer Verwirklichung des positiven Rechts nicht entgegenstehen darf.55 e) Gemäß diesem Ansatz sind einseitige Fixierungen auf bloß ein für fundamental erachtetes normatives Prinzip zu vermeiden.56 Es wäre beispielsweise verfehlt, bei der Zuweisung des „Sprachrisikos“ nur einseitig die Schutzmechanismen des Privatrechts zugunsten des „Schwächeren“ – also des Sprachunkundigen – eingreifen zu lassen,57 etwa mit dem fragwürdigen Ziel, „Vertragsparität“ zwischen den wirtschaftlich und bzw. oder intellektuell ungleichen Partnern herstellen zu wollen, ohne die Frage zuzulassen, ob der „schwächere“ Vertragspartner nicht doch selbstbestimmt gehandelt hat und es ihm gerade deshalb zugemutet werden kann, die negativen Folgen dieses Handelns zu tragen. f) Der Rückgriff auf Rechtsprinzipien im Sinne von offengelegten Bewertungsmaßstäben löst sicherlich nicht sämtliche Schwierigkeiten, die mit der Subsumtion eines Sachverhalts unter die Normen des positiven Rechts einhergehen. Die wichtige Erkenntnis der philosophischen Hermeneutik, daß jeder Rechtsanwender ein „Vorverständnis“58 oder „Vorurteil“59 mitbringt, das als 54 Zur Erforderlichkeit einer Konkretisierung der allgemeinen Rechtsprinzipien durch Unterprinzipien und Einzelwertungen mit selbständigem Sachgehalt Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 57. 55 Canaris, Feststellung von Lücken, S. 113. 56 Bydlinski, Bedeutung der Rechtsethik, S. 21. 57 Siehe auch Canaris, AcP 200 (2000), 273 (301, 304) gegen BGHZ 80, 153 (160 f.). 58 Dazu Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 70 m. w. N., 83 f., 132; Canaris, JZ 1993, 377 (390); ders., Feststellung von Lücken, S. 117 f.; Jørgensen, Recht und Gesellschaft, S. 101, 111; Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 136 ff. Aus der philosophischen Literatur zur „apriorischen existenzialen Verfassung des Verstehens“ oder „Vor-Struktur des Verstehens“ Heidegger, Sein und Zeit, S. 149 ff., insbesondere a.a.O., S. 153: Der „Zirkel des Verstehens ist (. . .) der Ausdruck einer existenzialen Vor-Struktur des Daseins selbst“. Zur Vorstruktur des Verstehens bei Heidegger siehe Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 270 ff., insb. S. 271: „Wer einen Text verstehen will, vollzieht immer ein Entwerfen. Er wirft sich einen Sinn des Ganzen voraus, sobald sich ein erster Sinn im Text zeigt. Ein solcher zeigt sich wiederum nur, weil man den Text schon mit gewissen Erwartungen auf einen bestimmten Sinn hin liest. Im Ausarbeiten eines solchen Vorentwurfs, der freilich beständig von dem her revidiert wird, was sich bei weiterem Eindringen in den Sinn ergibt, besteht das Verstehen dessen, was dasteht.“; siehe weiter a.a.O., S. 274: „Es gilt, der eigenen Voreingenommenheit innezusein, damit sich der Text selbst in seiner Andersheit darstellt und damit in die Möglichkeit kommt, seine eigene sachliche Wahrheit gegen die eigene Vormeinung auszuspielen.“ – Diese Erkenntnisse der philosophischen Hermeneutik können ohne weiteres auf die Jurisprudenz übertragen werden, denn auch die Jurisprudenz ist eine hermeneutische Wissenschaft und keine „Handlungswissenschaft“, vgl. dazu Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 147 sowie a.a.O., S. 23: Die Hermeneutik als Lehre vom richtigen Verstehen und die Kriterien für die Objektivierbarkeit von Wertungen spielen eine maßgebende Rolle innerhalb des juristischen Denkens. 59 Das nicht notwendig ein falsches Urteil sein muß, zeigt Gadamer, Wahrheit und Metho-

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„Element der Eigenwertung“60 wie selbstverständlich in die Bewertung eines Sachverhalts eingeht, wird hier nicht in Frage gestellt. Der Umstand, daß verschiedene Rechtsanwender unterschiedlichen Zugang zu den Problemen der Vertragsgerechtigkeit haben, macht die jeweilige Entscheidung im konkreten für sich genommen aber weder irrational noch untragbar. Er führt allerdings dazu, daß es die wünschenswerten, gleichsam mathematisch exakten „Punktlandungen“, in denen verschiedene Rechtsanwender unabhängig voneinander immer zu dem exakt gleichen Ergebnis finden, bei echten Wertungsfragen im Recht nur selten gibt. 61 Mit dieser „Unschärfe“ des Rechts muß man sich abfinden, eben weil es sich nicht um ein „Rechnen mit Begriffen“ handelt. Nicht hinnehmbar ist jedoch die These, daß die vom Richter oder Rechtspraktiker für zutreffend erachtete Lösung durch das persönliche „Vorverständnis“ bereits legitimiert werde. 62 Das „Vorverständnis“ im Sinne der philosophischen Hermeneutik63 bedeutet nicht mehr als das Bestehen einer vorläufigen Sinnerwartung, die sich berichtigen lassen muß, „wenn der Text es fordert“. 64 Für die Rechtsde, S. 275: Das Vorurteil der Aufklärung gegen die Vorurteile überhaupt habe die „Entmachtung der Überlieferung“ bedeutet, vor allem die Entmachtung der christlichen Überlieferung. Am Beispiel des Begriffs des Klassischen führt Gadamer, a.a.O., S. 295 aus, daß das Verstehen „nicht so sehr als eine Handlung der Subjektivität zu denken“ sei, sondern als ein „Einrücken in ein Überlieferungsgeschehen, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart beständig vermitteln“. Die Hermeneutik müsse davon ausgehen, daß wer verstehen wolle, mit der Sache, die mit der Überlieferung zur Sprache komme, verbunden sei und an die Tradition Anschluß habe oder Anschluß gewinne, aus der die Überlieferung spreche. Auf der anderen Seite wisse das hermeneutische Bewußtsein, daß es mit dieser Sache nicht in der Weise einer fraglos selbstverständlichen Einigkeit verbunden sein könne, wie es für das ungebrochene Fortleben einer Tradition gelte. In diesem Zwischen liege der „wahre Ort der Hermeneutik“ (a.a.O., S. 300). Der Horizont der Gegenwart bilde sich also gar nicht ohne die Vergangenheit. Vielmehr sei Verstehen immer der Vorgang der Verschmelzung solcher vermeintlich für sich seiender Horizonte (a.a.O., S. 311); zustimmend Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 138 ff. m. w. N.; siehe Rüthers, JZ 2006, 53 (58): Auslegung sei zunächst eine „historische Forschungsaufgabe“; siehe weiter Staudinger/Coing/Honsell, Einl. BGB, Rn. 120, 137, 161. 60 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 147; vgl. auch Breitschmid, FS Ernst A. Kramer, S. 105 (106). 61 Damit steht die Jurisprudenz wieder einmal nicht allein. Aristoteles hat in seiner Lehre vom Guten betont, daß es sich in der praktischen Philosophie nicht um Genauigkeit höchsten Ranges handeln könne, wie sie der Mathematiker leiste, vgl. z. B. Nikomachische Ethik, Zweites Buch, Kapitel 2 sowie a.a.O., Erstes Buch, Kapitel 7; zu den aristotelischen Aussagen siehe Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 318. 62 Dagegen schon mit Recht Canaris, JZ 1993, 377 (390); zum Problem, daß die Rechtspraxis die Methoden der Rechtsfindung nur benutzt, um die nach ihrem Rechts- und Sachverständnis angemessenste Entscheidung lege artis zu begründen, vgl. Esser, Vorverständnis, Vorbemerkung. 63 Daß der Abstand der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik von der juristischen Hermeneutik entgegen der herrschenden Gegenansicht nicht so groß ist, wie man im allgemeinen annimmt, betont mit Recht Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 330, 334; vgl. dazu auch Jørgensen, Recht und Gesellschaft, S. 24 f.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 147 f.; Rittner, Freiburger Dies universitatis 1967 Bd. 14 (1968), S. 43 (64 f.). 64 Canaris, JZ 1993, 377 (390); Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 296.

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dogmatik bedeutet das, daß die subjektive Einstellung des Auslegers 65 nicht über den Sinn des Rechts entscheiden darf, ohne den Gesetzes- oder Vertragstext selbst zu Wort kommen zu lassen. 66 II. Die Wurzeln der Rechtsprinzipien in Moral und Ethik 1. Die Antike a) Die Lehren des Aristoteles Die Beeinflussung des Rechts durch ethische Prinzipien hat ihre frühesten Wurzeln in der griechischen Philosophie. Bereits Aristoteles hielt in seiner Nikomachischen Ethik eine Korrektur des Gesetzes durch die „Billigkeit“ (griechisch Epieikeia) im Einzelfall für erforderlich, sofern es wegen der ihm inhärenten Verallgemeinerung mangelhaft sein sollte: „Die Schwierigkeit kommt daher, daß das Billige zwar Recht ist, aber nicht dem Gesetze nach, sondern als eine Korrektur des gesetzlich Gerechten. Die Ursache ist, daß jedes Gesetz allgemein ist, in einigen Dingen aber in allgemeiner Weise nicht korrekt gesprochen werden kann. Wo man nun allgemein reden muß, es aber nicht angemessen kann, da berücksichtigt das Gesetz die Mehrzahl der Fälle, ohne über diesen Mangel im unklaren zu sein. Dennoch geht es richtig vor. Denn der Fehler liegt nicht am Gesetz oder am Gesetzgeber, sondern in der Natur der Sache. (. . .) Wenn nun das Gesetz allgemein spricht, dabei aber ein Fall eintritt, der dem Allgemeinen widerspricht, so ist es, soweit der Gesetzgeber allgemein formulierend eine Lücke läßt, richtig, dies zu verbessern, wie das auch der Gesetzgeber selbst täte, wenn er dabei wäre; wenn er diesen Fall gewußt hätte, hätte er ihn ins Gesetz aufgenommen. Daher ist das Billige ein Recht und besser als ein gewisses Recht, nicht als das Recht im Allgemeinen, sondern als der Mangel, der entsteht, weil das Gesetz allgemein spricht. Dies ist also die Natur des Billigen, eine Korrektur des Gesetzes, soweit es auf Grund seiner Allgemeinheit mangelhaft ist.“ 67

Wer rechtlich billig denkt, darf sich nach Aristoteles bei der konkreten Rechtsausübung nicht allein auf den bloßen Buchstaben des Gesetzes berufen: „Daraus ergibt sich auch, wer der Billige ist. Denn wer sich für solches entschließt und danach handelt, und wer es nicht zum Schaden anderer mit dem Recht übermäßig genau nimmt, sondern zur Duldsamkeit bereit ist, auch wenn er das Gesetz auf seiner Seite hat,

65

Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 281: „Der Fokus der Subjektivität ist ein Zerrspie-

gel.“ 66 Vgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 271: „Alle rechte Auslegung muß sich gegen die Willkür von Einfällen und die Beschränktheit unmerklicher Denkgewohnheiten abschirmen und den Blick ‚auf die Sachen selber‘ richten (. . .). Sich dergestalt von der Sache bestimmen lassen, ist für den Interpreten offenkundig nicht ein einmaliger ‚braver‘ Entschluß, sondern wirklich ‚die erste, ständige und letzte Aufgabe‘. Denn es gilt, den Blick auf die Sache durch die ganze Beirrung hindurch festzuhalten, die den Ausleger unterwegs ständig von ihm selbst her anfällt.“ 67 Nikomachische Ethik, Fünftes Buch, Kapitel 14 (in der Übersetzung von Olof Gigon).

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Erster Teil: Grundlagen

der ist billig. Das entsprechende Verhalten ist die Billigkeit, eine Art von Gerechtigkeit also, und das Verhalten von ihr nicht verschieden.“68

Mit seiner grundsätzlichen Unterscheidung zwischen einem „natürlichen Recht“ und einem „gesetzlichen Recht“69 wandte sich Aristoteles gegen einen extremen Gesetzespositivismus, was im Ausgangspunkt durchaus eine „moderne“ Sicht der Dinge ist.70 b) Die antike Stoa Ähnliche Vorstellungen wie Aristoteles hatte auch die antike Stoa, die – unter Beibehaltung eines prinzipiellen Unterschieds zwischen Ethik und Recht – den aristotelischen Dualismus zwischen Recht und Billigkeit zu einem konsequenten Gedankengebäude ausbaute, nämlich einerseits zu einem ius civile als einem System von Freiheitsrechten und andererseits zu einem ergänzenden System aus Prinzipien mitmenschlicher Solidarität, die als Korrekturprinzipien des Rechts fungierten.71 Einschränkend ist allerdings festzuhalten, daß auch das Rechtssystem der Stoa zum Teil außerordentliche Härten aufwies, die – so ein Schulbeispiel von Cicero – etwa zur Rechtfertigung eines Eigentümers führte, der einen alten, dicken und daher „wertlosen“ Sklaven in Seenot als unnützen Ballast von Bord wirft, um den Vermögenswert eines an Bord befindlichen wertvollen Rennpferds zu sichern.72 Es gab innerhalb dieser Lehre gleichwohl Gegenströmungen, die dem mitmenschlichen Solidaritätsprinzip den Vorrang gaben und die soziale Gerechtigkeit im Recht herzustellen versuchten. 73 c) Die skeptische Akademie Die skeptische Akademie um Karneades und seine Schüler als der großen Kritikerin der Stoa vertrat demgegenüber die Grundthese, daß das Recht als Zivili68 Nikomachische Ethik, Fünftes Buch, Kapitel 14 (in der Übersetzung von Olof Gigon); zur Billigkeitskorrektur bei Aristoteles vgl. noch Jørgensen, Recht und Gesellschaft, S. 80; Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 324; zu Aristoteles auch Larenz, Richtiges Recht, S. 14. 69 Nikomachische Ethik, Fünftes Buch, Kapitel 10 (in der Übersetzung von Olof Gigon): „Von dem politischen Recht ist das eine natürlich, das andere gesetzlich.“; weiterführend und vertiefend Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 324, u. a. mit dem ergänzenden Hinweis auf den sophistischen Ursprung dieser Unterscheidung. 70 Zur hermeneutischen Aktualität der aristotelischen Ethik Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 317 ff.; zu dessen Unterscheidung der Austauschgerechtigkeit ( lat. iustitia commutativa) und der Verteilungsgerechtigkeit (lat. iustitia distributiva) Jørgensen, Recht und Gesellschaft, S. 78; dazu eingehend Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, S. 9 ff.; Otto, JZ 2005, 473 (474 f.), jeweils m. w. N. 71 Näher dazu Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (14). Es handelt sich um die Entwicklung eines allgemeinen und spezieller Schädigungsverbote und das in vorklassischer Zeit entwickelte Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (lat. in integrum restitutio). 72 Cicero, De Officiis III, 23, 89. 73 Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (16).

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sationsordnung die Voraussetzung aller weiteren Kultur schaffe. Es sei jedoch für den Menschen unmöglich, das Recht in einen Zusammenhang zu stellen, der es der menschlichen Bedingtheit entziehe.74 Die „natürliche Gerechtigkeit“ (lat. naturalis iustitia) als Standpunkt der reinen Ethik oder Moral ist nach dieser Lehre nicht Bestandteil des Rechts und wird richterlich nicht sanktioniert. 75 Während die Stoa einen Konflikt zwischen Recht und Ethik nicht zulassen konnte – was wie dargelegt die Rechtfertigung großer, unnachgiebiger Härten zur Konsequenz haben konnte –, unterschied die skeptische Schule genauer. Nach dieser war der „Verständige“, der seinen vom Recht gewährten Vorteil wahrnahm, keineswegs notwendig auch im rein ethischen Sinn mitmenschlich gerecht.76 Diese Differenzierung erlaubte es den Skeptikern, „eine Inhumanität, auch wenn sie vom Recht gedeckt wird, beim Namen zu nennen“. 77 d) Das klassische römische Recht Das klassische römische Recht gewährleistete die Billigkeit (lat. civilis aequitas) nicht durch eine rechtliche Billigkeitskorrektur, sondern allein durch die Befehle der Magistrate. Beim Erlaß derartiger Befehle herrschte der Gedanke vor, daß der Zweck des Rechts, den Güterschutz im weitesten Sinne zu gewährleisten, von der Gerichtsbarkeit ergänzt bzw. korrigiert werden könne und müsse, wenn das Recht wegen seines Formalismus andernfalls diesen Zweck verfehlen würde.78 2. Die strikte Trennung von Recht und Ethik bei Immanuel Kant a) Anders als Aristoteles, die Stoa und die Jurisprudenz seit der römischen Vorklassik vollzog Immanuel Kant 79 in der Rechtslehre seiner „Metaphysik der Sitten“ von 1797 eine vollständige, radikale Trennung von Recht und Ethik. Dort heißt es: „Die Ethik giebt nicht Gesetze für die Handlungen (denn das thut das Jus) sondern nur die Maximen der Handlungen“. 80 Für Kant gehören alle Pflichten „blos darum, weil sie Pflichten sind, mit zur Ethik (. . .); aber ihre Gesetzgebung ist darum nicht allemal in der Ethik enthalten, sondern von vielen

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Behrends, ebd. (Fn. 73). Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (16 f.). 76 Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (17). 77 Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (18). 78 Vgl. auch Behrends, ebd. (Fn. 78). 79 Zur Auffassung Kants, die eine radikale Ablehnung jeglicher rechtserheblicher Billigkeitsprinzipien beinhaltet, vgl. Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (10 ff.); knapp auch Jørgensen, Recht und Gesellschaft, S. 65. 80 Metaphysik der Sitten, Zweyter Teil, Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, Einleitung bei B. VI, S. 18. 75

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derselben außerhalb derselben“. 81 Am Beispiel der Pflicht zur Vertragserfüllung führt er aus: „Also nicht in der Ethik, sondern im Jus liegt die Gesetzgebung, daß angenommene Versprechen gehalten werden müssen. Die Ethik lehrt hernach nur, daß, wenn die Triebfeder, welche die juridische Gesetzgebung mit jener Pflicht verbindet, nämlich der äußere Zwang, auch weggelassen wird, die Idee der Pflicht allein schon zur Triebfeder hinreichend sey.“82 b) Im vorliegenden Zusammenhang ist an Kants Rechtslehre bemerkenswert, daß materiale Rechtsprinzipien darin keinen Platz haben.83 Die Billigkeit zählt er in dem Anhang zur Einleitung in die Rechtslehre von 1797 zwar zum Recht, qualifiziert sie allerdings als „Recht ohne Zwang“, d. h. als gerichtlich nicht durchsetzbares Recht. 84 Für Kant stellt „ein Gerichtshof der Billigkeit (in einem Streit Anderer über ihre Rechte) einen Widerspruch in sich“ dar. Ein Richter könne „nach unbestimmten Bedingungen nicht sprechen“. 85 Die Billigkeit selbst bezeichnet Kant als „eine stumme Gottheit, die nicht gehöret werden kann“. 86 Er zitiert den Sinnspruch der Billigkeit, wonach das strengste Recht das größte Unrecht ist – summum ius summa iniuria -, meint aber, diesem Übel sei „auf dem Wege Rechtens nicht abzuhelfen, ob es gleich eine Rechtsforderung betrift, weil diese für das Gewissengericht (forum poli) allein gehört, dagegen jede Frage Rechtens vor das bürgerliche Recht (forum po[pu]li) gezogen werden“ müsse. 87 c) Mit seiner radikalen Vernunftrechtslehre stellte sich Kant gegen die römischrechtliche Tradition und die gesamte zeitgenössische Rechtslehre, die auf ersterer fußte. 88 Man hat die Strenge dieser Lehre zutreffend darin begründet gesehen, daß Kant das Recht aus einem nichtempirischen, aus der Vernunft hergeleiteten Freiheitsbegriff89 konzipiert hatte. In diesem Rechtssystem können 81 Metaphysik der Sitten, Erster Theil, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Einleitung bei III, S. XVI. 82 Ebd. (Fn. 81). 83 Metaphysik der Sitten, Erster Theil, Rechtslehre, Anhang zur Einleitung in die Rechtslehre, S. XXXIX f.; siehe auch Behrends, Grundlagen, 1 (11). 84 Siehe dazu Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (11) mit Fn. 20, der mit Recht behauptet, daß Kants Vernunftrechtssystem der Rechtserfahrung von der Antike bis zur Gegenwart widerspricht. 85 Ebd. (Fn. 83). 86 Ebd. (Fn. 83). 87 Ebd. (Fn. 83). 88 Ebd. (Fn. 83). 89 Metaphysik der Sitten, Erster Theil, Rechtslehre, Einleitung bei IV, S. XVIII f.: „Der Begriff der Freyheit ist ein reiner Vernunftbegriff, der eben darum für die theoretische Philosophie transcendent, d. i. ein solcher ist, dem kein angemessenes Beyspiel in irgend einer möglichen Erfahrung gegeben werden kann, welcher also keinen Gegenstand einer uns möglichen theoretischen Erkenntniß ausmacht, und schlechterdings nicht für ein constitutives, sondern lediglich als regulatives und zwar nur negatives Prinzip der speculativen Vernunft gelten kann, im practischen Gebrauch derselben aber seine Realität durch practische Grundsätze beweiset, unabhängig von allen empirischen Bedingungen, (dem Sinnlichen überhaupt) die

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unbestimmte Wertbegriffe, die zu ihrer Sinnentfaltung der Empirie des konkreten Falls bedürfen, nicht zugelassen werden.90 Eine Milderung der Rechtsregeln durch ethische Prinzipien kam nach dieser Lehre nicht in Betracht. Man hat gegen diese Rechtslehre – vom heutigen Standpunkt aus berechtigt – den Vorwurf „einer kritiklosen Verklärung der strikten Rechtsregel als solcher“91 erhoben. Statt Wertungen zu ermöglichen, mache Kant es der Gesinnung zur Pflicht, auch die Härten der formalen Rechtsregeln als Vernunftgebote zu verteidigen, beispielsweise die von ihm als „vernünftig“ aufgestellte Regel, daß jede Tötung die Todesstrafe fordere, ohne daß mildernde Umstände anerkannt werden dürften.92 3. Die historische Rechtsschule Friedrich Carl von Savigny und die von ihm begründete Historische Rechtsschule vertraten die Auffassung, daß die Rechtsausübung keine Gewähr dafür biete, auch im ethischen Sinne richtig zu handeln.93 Eine sittliche Grundlage und eine rechtsethische Bedeutung hat das Vermögensrecht für Savigny nur insoweit, als es die Freiheit des Einzelnen gewährleistet, selbst in freier Verantwortung über seine Handlungen zu entscheiden. Das Recht ermöglicht dem Einzelnen rein sittliches Handeln: „Das Recht dient der Sittlichkeit, aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freie Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen innewohnenden, Kraft sichert. Sein Daseyn aber ist ein selbständiges, und darum ist es kein Widerspruch, wenn im einzelnen Fall die Möglichkeit unsittlicher Ausübung eines wirklich vorhandenen Rechts behauptet wird.“94

Dem einzelnen Privatrechtssubjekt wird damit – im Sinne einer „Wahlfreiheit in der sozialen Welt“ – die volle Verantwortung für seine Freiheitsausübung, Willkühr bestimmen, und einen reinen Willen in uns beweisen, in welchem die sittlichen Begriffe und Gesetze ihren Ursprung haben.“ 90 Siehe Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (12) mit Fn. 23, der darauf hinweist, daß das Recht für Kant geradezu ein Paradigma für seine Transzendentalphilosophie gewesen sei, von der er in der „Kritik der reinen Vernunft“ (1. Aufl. 1781, 2. Aufl. 1787) ausdrücklich schreibe, „daß ihr Gegenstand außer dem Begriffe gar nicht angetroffen wird (wie bei Recht und Unrecht)“ (Zitat nach der Gesamtausgabe von Weischedel, Bd. IV, S. 451). 91 Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (12). 92 Ablehnend Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (13): Kants Rechtslehre sei eine Art „Vernunfttheologie“, welche die in Regeln auftretende „raison“ als „être suprême“ verehre, unbekümmert darum, daß die geschichtliche Erfahrung seinerzeit längst bewiesen hatte, daß die Aufgabe des Rechts allein auf formale Begriffe gestützt nicht bewältigt werden könne. Kant habe dem Recht ein falsches Ideal formuliert und mit seinem gewaltigen geistigen Einfluß maßgebend dazu beigetragen, die früh erkannte und verwirklichte Tatsache für das theoretische Bewußtsein in den Hintergrund zu drängen, daß jedes entwickelte Recht auf Form- und Wertbegriffe zugleich gegründet sein müsse. 93 Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (21). 94 Savigny, System, Bd. 1, S. 332.

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also die Wahl zwischen Gut und Böse, aufgebürdet.95 Im Gegensatz zu Kant erkannte die Historische Rechtsschule die Notwendigkeit einer Beschränkung und Kontrolle des Rechts durch das Prinzip der Billigkeit.96 4. Folgerungen a) Die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen der „reinen“ Ethik und der Rechtsethik aa) Aus dem kurzen Abriß über die Frage, wie sich das Verhältnis von Ethik und Recht entwickelt hat, ergeben sich konkrete Folgerungen für das moderne Privatrecht. Zunächst ist eine Trennung zwischen der „reinen“ Ethik und der Rechtsethik erforderlich. Weiter darf die Anerkennung einer Relevanz rechtsethischer Prinzipien für das positive Recht nicht mit einer Gleichsetzung von Recht und Moral verwechselt werden.97 Außerrechtliche, ethisch-moralisch begründete Wertungen sind bei der Rechtsanwendung vielmehr gerade auszuscheiden,98 soweit nicht nachgewiesen ist, daß die Rechtsordnung die jeweiligen sittlichen Wertungen für auch rechtlich relevant erklärt.99 Jenseits dessen bleibt regelmäßig nur der Aufruf der Rechtspraxis an den Gesetzgeber, de lege ferenda eine dem sittlichen Empfinden besser gerecht werdende Regelung zu treffen, vorbehaltlich einer impliziten Gesetzeskorrektur im Wege der höchstrichterlichen Rechtsprechung und den seltenen Fällen eines zulässigen contra legemJudizierens. bb) Das Ergebnis – eine strikte Trennung zwischen ethischen und rechtlichen Regeln – hat für die „Sprachrisiko“-Fälle erhebliche praktische Bedeutung, und zwar vor allem im Hinblick auf die Frage nach dem Bestehen von Aufklärungs95

Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (23) m. w. N. Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen S. 1 (25 f.), mit einem Hinweis auf Puchtas Cursus der Institutionen (Bd. I, S. 19) und der dort getroffenen Unterscheidung zwischen dem „strikten“ oder „reinen Recht“ einerseits und dem das den individuellen Bedürfnissen genügende und den Stoff der Lebensverhältnisse aufnehmende „billigen Recht“ andererseits. 97 So – nach eingehender Erörterung – auch das Ergebnis von Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 212 f., 232 f. 98 Positiv gewendet, kann man mit Rittner, AcP 188 (1988), 101 (129) formulieren, daß das Recht den Beteiligten soviel Raum lassen muß, daß sie ihren ethischen Grundsätzen entsprechend handeln können. 99 Vgl. dazu Canaris, Feststellung von Lücken, S. 115 in sehr kritischer Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Großen Strafsenats des BGH in BGHSt 6, 46, der zur Begründung der Qualifizierung des Geschlechtsverkehrs zwischen Verlobten als „Unzucht“ im Sinne der ehemaligen Kuppeleitatbestände auf die Gebote des „Sittengesetzes“ und die „vorgegebene und hinzunehmende Ordnung der Werte“ rekurriert hatte. Nach Ansicht von Canaris, a.a.O., S. 117 ist die Heranziehung des Sittengesetzes als solchem – wenn überhaupt – nur in ganz seltenen Ausnahmefällen und nur mit äußerster Sorgfalt hinsichtlich der juristischen Transformation möglich; vgl. auch Stein, NJW 1964, 1745 (1749), der dem BGH vorwirft, daß seinem Urteil „persönliche, moralische Werturteile zugrundeliegen, nicht aber allgemeine, Gesetz gewordene Ordnungsprinzipien“. 96

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pflichten der besser informierten Partei gegenüber sprachunkundigen, d. h. intellektuell schwächeren Vertragspartnern. Würde man ethische Gebote als quasi-rechtliche Befehle akzeptieren, läge die Konsequenz in einer erheblichen Ausweitung von Aufklärungspflichten zu Lasten der besser informierten Partei.100 So wäre etwa in dem Fall101, daß nach Abschluß der Vertragsverhandlungen, aber vor Vertragsschluß, eine erhebliche Preissenkung des Herstellers für die verkaufte Ware angekündigt wird, eine Aufklärungspflicht des Verkäufers gegenüber dem diesbezüglich in Unkenntnis befindlichen Käufer anzunehmen. Es läge dann nahe, gegenüber sprachunkundigen Ausländern in einem noch weitergehenden Umfang als gegenüber Muttersprachlern zum Ausgleich bestehender Informationsdefizite entsprechende Aufklärungspflichten zu begründen. b) Die Aufgabe der Rechtsethik und ihre Erfüllung durch die Rechtsprinzipien Die Aufgabe der Rechtsethik besteht darin, einen vernünftigen Ausgleich zwischen Freiheit und Rücksichtnahme zu finden.102 § 242 BGB, das „soziale Rücksichtsgebot des Rechts“ formuliert nicht das oberste Prinzip des Rechts, sondern ist lediglich der allgemeinste Ausdruck der Notwendigkeit, das Freiheitsprinzip innerhalb des Rechts zu kontrollieren.103 Dies leisten gewissermaßen auch die verschiedenen, miteinander zum Teil widerstreitenden Rechtsprinzipien, die zueinander in „praktische Konkordanz“, d. h. in einen angemessenen Ausgleich, gebracht werden müssen.104 Die Rechtsprinzipien haben – wenngleich manchmal nur unvollkommen – Ausdruck im geschriebenen Recht gefunden, weshalb sie zunächst dort auch „aufzusuchen“, also aus dem geltenden Recht zu gewinnen sind. Umgekehrt ist bei der Anwendung des positiven Rechts auf die dahinter stehende Prinzipienordnung zu schauen, um nicht dem oben abgelehnten „blinden Dezisionismus“ anheim zufallen.105 Diese Gefahr besteht vor allem dort, wo das anwendbare positive Recht aus Generalklauseln wie z. B. §§ 138, 242 BGB besteht. Mit solchen Vorschriften läßt sich bekannt100 Dies zu recht ablehnend Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 232 f., der die außerrechtlichen Haftungsgründe unter Einschluß der Ethik als „nicht überzeugende Wertungskriterien“ für eine Verlagerung des Informationsrisikos von einer Partei zu der anderen bezeichnet. Die Frage nach Aufklärungspflichten stelle sich immer im Verhältnis einer Partei, die informationell überlegen ist, zu einer Partei, die der Information bedarf. Daraus schon eine Aufklärungspfl icht zu folgern, greife offensichtlich zu kurz, weil die normative Berechtigung einer Aufklärungspflicht, die das Informationsrisiko verlagere, auf diese Weise nicht begründet werden könne. 101 Vgl. BGH NJW 1983, 2493. 102 Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (28 f.). 103 Behrends, Die rechtsethischen Grundlagen, S. 1 (29). 104 Vgl. Bydlinski, AcP 188 (1988), 447 ( 454); siehe auch Canaris, AcP 200 (2000), 273 (280); Alexy, ARSP Beiheft 25 n. F. (1985), 13 (19 ff.). 105 Für eine Offenlegung der Wertungsmaßstäbe und gegen einen „singularen, willkürlichen Dezisionismus“ plädiert auch Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 39.

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lich „Alles und Nichts“ begründen,106 weil eine Wertung „unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls“ vorzunehmen ist. Die Frage ist dann nur, nach welchen – nicht weiter offengelegten – Maßstäben sich diese Wertung „eigentlich“ vollzieht. Die Rechtsprinzipien der Privatrechtsordnung liefern insoweit das Fundament oder das makrodogmatische107 „Koordinatensystem“ für die Subsumtion. Sie bilden jedenfalls einen Teil der entscheidenden Maßstäbe für die zu treffenden „Gerechtigkeitsentscheidung“.108 Ein wissenschaftliches „Glasperlenspiel“ ist das nicht. Eine praktische Bedeutung haben die rechtsprinzipiellen Grundwertungen beispielsweise dann, wenn die Teleologie der lex lata unklar oder nicht ermittelbar ist. Ein prominentes Beispiel dafür ist § 119 Abs. 2 BGB,109 dem ein unfreundlicher Kritiker zum Vorwurf gemacht hat, es handele sich um „eine Fahrt des Gesetzgebers ins Blaue, ein Sprung ins Dunkle, eine Vorschrift aufs Geratewohl“.110 Je weniger gelungen die Umsetzung der Rechtsprinzipien im geltenden Recht ist, umso gefährlicher erscheint eine „rechtstechnische“ begriffsjuristische Arbeitsweise durch bloße Subsumtion des zu entscheidenden Sachverhalts unter die jeweilige Norm. c) Die Freiheitsgarantien der Grundrechte als mögliche Grenze für die Beachtung rechtsethischer Elemente im Rahmen der Fallentscheidung Schließlich muß, wenn es um das Verhältnis von Rechtsanwendung zum (rechts)ethischem Empfinden geht, der Grundsatz der grundrechtskonformen Auslegung beachtet werden. Beispiel: 111 Wegen der weitreichenden grundrechtlichen Vorgaben der Meinungs- und Pressefreiheit in Art. 5 Abs. 1 GG ist es grundsätzlich nicht möglich, moralisch anstößige Werbemaßnahmen, die etwa das Leid von Menschen oder Tieren thematisieren – wobei durchaus die ökonomischen Interessen der Hersteller, nicht aber die kritische Auseinandersetzung mit der Sache selbst, im Vordergrund stehen können – als unlautere Wettbewerbshandlungen gemäß § 3 UWG 2004112 zu verbieten. Eine Gleichsetzung des Sittlichkeitsurteils selbst einer großen Mehrheit der Adressaten mit dem rechtlichen Unlauterkeits106 Zu der mit der Aufnahme von Generalklauseln in eine Kodifikation verbundene Gefahr einer unübersehbaren, am Einzelfall orientierten Billigkeitsjurisprudenz und ihrer Bewältigung durch die Bildung konkreter Rechtssätze vgl. Staudinger/Coing/Honsell, Einl. BGB Rn. 72. 107 Zur Notwendigkeit einer „Makrodogmatik“ siehe Bydlinski, JBl. 1996, 683. 108 So eine Formulierung von Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 39. 109 Siehe dazu im einzelnen noch unten § 7 VI. 8. 110 Raape, AcP 150 (1949), S. 481 (501); siehe auch Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 280 mit Fn. 1301: § 119 Abs. 2 BGB sei „nicht zu rechtfertigen“. 111 Vgl. BVerfG WRP 2001, 129 – Benetton; BGHZ 149, 247 = BGH WRP 2002, 434 – H. I. V. POSITIVE II; BVerfG WRP 2003, 633 – H. I. V. POSITIVE II. 112 Künftig wird es – gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, 2 UWG 2008 – „unlautere geschäftliche Handlungen“ heißen. Dabei handelt es sich um eine sprachliche Annäherung an die Terminologie der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken; siehe dazu im

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urteil verbietet sich. Nur wenn die betreffende Wettbewerbshandlung zugleich auch die Menschenwürde des Art. 1 GG verletzt, ist auch das rechtliche Unlauterkeitsurteil gerechtfertigt. Ungeachtet der grundrechtlichen Verbindlichkeit ist dies ist im übrigen auch in der Sache tragfähig, weil der Verbraucher seine „Schiedsrichterfunktion im Wettbewerb“113 ausüben und seinem moralischen Empfinden durch eine Ablehnung bei der Nachfrage der beworbenen Produkte oder Dienstleistungen Ausdruck verleihen kann.114 Es wäre für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung wie der bundesrepublikanischen bedenklich, wenn sie in der Absicht, dem „Sittengesetz“ zur maximalen Durchsetzung zu verhelfen, ihr Privatrecht einschließlich des Wettbewerbsrechts vollständig „ethisierte“115 , so daß für eine Bewertung nach den Kategorien „gut“ und „böse“ in der rein gesellschaftlichen Sphäre kein meßbarer Spielraum verbliebe. Ohne die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Diskussion würde außerdem die Fortentwicklung des Rechts in einer kaum wünschenswerten Weise gehemmt.

III. Begriffsklärung 1. Die Thesen von Larenz und Canaris a) Nach einer Beschreibung von Karl Larenz sind „Rechtsprinzipien (. . .) leitende Gedanken einer (möglichen oder bestehenden) rechtlichen Regelung, die selbst noch keine der ‚Anwendung‘ fähige Regeln sind, aber in solche umgesetzt werden können.“ Die Rechtsprinzipien „weisen daher bereits einen zu einer Regelung hinführenden gedanklichen Gehalt auf, sind ‚materiale‘ Prinzipien, entbehren aber noch des rechtssatzförmigen Charakters, d. h. der Verknüpfung eines näher umrissenen ‚Tatbestandes‘ mit einer bestimmten ‚Rechtsfolge‘.“ Sie „geben (. . .) lediglich erst die Richtung an, in der die zu findende Regel gelegen ist (. . .) sie stellen einen ersten, aber für alle nachfolgenden Schritte richtungsweisenden Schritt zur Gewinnung der Regeln dar.“116 Aufzusuchen sind diese Prinzipien als „Leitgedanken und Rechtfertigungsgründe einer Regelung“ dort, wo sie sich, wenn auch in einer beschränkten Weise zu erkennen geben, nämlich im positiven Recht. Denn alles positive Recht, sofern es „Recht“ ist, befindet

einzelnen den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Ersten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb v. 23. 5. 2008, S. 39 f. 113 Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, WettbR, § 4 Rn. 1.150. 114 Zum Marktgeschehen als einer Art von „permanentem Plebiszit“ siehe Franz Böhm, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, S. 51; Canaris, iustitia distributiva, S. 51. 115 Zum Begriff der Ethisierung des Privatrechts und den dahinter stehenden, ganz unterschiedlichen Vorstellungen, Rittner, AcP 188 (1988), 101 (129 f.). 116 Larenz, Richtiges Recht, S. 23; vgl. noch dens., 2. FS für Wilburg, S. 217 (222 f.) mit einer negativen und einer positiven Begriffsbestimmung: Danach sind Rechtsprinzipien keine Rechtssätze, da es sowohl an einem festgelegten Tatbestand als auch an einer Verbindung dieses Tatbestandes mit dieser Rechtsfolge fehle. Positiv gesprochen handelt es sich bei Rechtsprinzipien um „Leitgedanken, die der gesetzlichen Regelung oder auch einer sich entwickelnden Rechtsprechung in der Weise zugrundeliegen, daß diese von ihnen her ihren spezifi schen Sinn erhält“. Sie seien also „rationes legis“.

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sich nach Larenz „auf dem Weg zum richtigen Recht“.117 Nur so könne sein Geltungsanspruch begründet werden. Dann aber müßten Prinzipien richtigen Rechts Eingang in das positive Recht gefunden haben, auch wenn sie in diesem nur unter den besonderen Bedingungen dieser Rechtsordnung und dieser Zeit, in einer besonderen Weise in die Erscheinung träten und erfaßt werden könnten. 118 Das Prinzip werde durch das Zurückgehen von einer Regelung auf den ihr zugrundeliegenden Rechtsgedanken gewonnen. Das Prinzip wird von Larenz nur als ein erster Schritt gesehen, dem weitere folgen müssen, um zu einer konkreten Regelung zu gelangen.119 b) Dem folgt Larenz’ Schüler C.-W. Canaris, wenn er zum Begriff des allgemeinen Rechtsprinzips ausführt, ein solches habe keinen Normcharakter und lege demgemäß für sich allein noch keine Rechtsfolge fest, sondern sei der Abstufung, Einschränkung und Kombination mit anderen Prinzipien zugänglich und bedürftig, enthalte aber doch eine gewisse „Tendenzaussage“ über Voraussetzungen und Folgen der daraus zu bildenden Regel.120 Rechtsprinzipien besitzen nach Canaris – als Bestandteile eines teleologischen Systems – eine teleologische oder wertungsmäßige Ableitungseignung.121 Systemwidrige Normen könnten sogar – wegen des in ihnen enthaltenen Wertungswiderspruchs allerdings nur in Ausnahmefällen – gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen und daher nichtig sein.122 2. Die Thesen von Bydlinski Als ein wesentliches Kriterium für Rechtsprinzipien hat Franz Bydlinski das Merkmal der größeren oder geringeren Allgemeinheit ausgemacht. Eine Wertung müsse, um ein Prinzip zu sein, einem umfassenden Regelungskomplex, d. h. mindestens einem ganzen Rechtsinstitut zugrundeliegen und damit zugleich ein breites Spektrum von generell umschriebenen Sachverhalten betreffen.123 Daneben sei für die Anerkennung eines Rechtsprinzips wesentlich, ob es 117 Larenz, Richtiges Recht, S. 25, 184 mit unverkennbaren Anklängen an Hegels Rechtsphilosophie. 118 Larenz, Richtiges Recht, S. 25, 174. 119 Larenz, Richtiges Recht, S. 26. 120 Canaris, JZ 1993, 377 (383); ders., Systemdenken und Systembegriff, S. 58; zur Unterscheidung zwischen allgemeinen Rechtsprinzipien und Rechtswerten siehe auch dens., Feststellung von Lücken, S. 51 f., 123 ff. 121 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 88, 157 innerhalb der Erörterung der bejahten Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit, das System für die Rechtsgewinnung fruchtbar zu machen. Das Systemargument sei nur eine besondere Form der teleologischen Begründung und müsse als solches ohne weiteres zulässig und relevant sein; vgl. noch a.a.O., S. 100, wo in Auseinandersetzung mit Heck ausgeführt wird, daß systematische Einordnungen Wertungen in sich schließen. 122 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 125 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG. 123 Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (691).

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nach juristischer Erfahrung eine eigenständig orientierende Bedeutung besitze.124 Wegen der Relativität des Kriteriums größerer oder geringerer Allgemeinheit bedürfe es, vor allem für das „wieweit“ eines Prinzips, häufig der Ausfüllung durch die Anforderungen der Gerechtigkeit als Gleichmaß, der „Rechtsidee“ – d. h. Gerechtigkeit, Rechtssicherheit, Zweckmäßigkeit – 125 überhaupt und durch alle ohne Verstoß dagegen wohletablierten, bekannten Prinzipien des Rechtssystems, die den Kontext darstellen, in den das nunmehr gesuchte Prinzip möglichst widerspruchslos eingepaßt werden soll.126

B. Zu den Rechtsprinzipien des Privatrechts im einzelnen127 Der Katalog der Rechtsprinzipien des Privatrechts ist umfangreich und weder in logischer noch in teleologischer Hinsicht geschlossen. Zu ihm zählen unter anderem die Prinzipien der formalen Rechtsgleichheit, der Privatautonomie und der Selbstbestimmung, der Vertrauens- und der Verkehrsschutz, das Äquivalenzprinzip, das Differenzprinzip, das Risikoprinzip, usw.128 Soweit für die folgenden Erörterungen im Hauptteil dieser Monographie relevant, sollen die für die im Hauptteil erörterten Fragen wichtigen Prinzipien und Maximen des Privatrechts sogleich vorab erläutert werden. I. Privatautonomie und Selbstverantwortung 1. Der Begriff der Privatautonomie a) Was unter Privatautonomie verstanden werden kann, hat Werner Flume in seinem Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Rechts in die folgenden einprägsamen Worte gefaßt: „Privatautonomie nennt man das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen. Die Privatautonomie ist ein Teil des allgemeinen Prinzips der Selbstbestimmung des Menschen. Dieses Prinzip ist nach dem Grundgesetz als ein der Rechtsordnung vorgegebener und in ihr zu verwirklichender Wert durch die Grundrechte anerkannt.“129 124

Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (692 f.). Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (687 mit Fn. 21). 126 Bydlinski ‚ JBl. 118 (1996), 683 (691). 127 Im folgenden soll es vornehmlich um die Rechtsprinzipien des deutschen Privatrechts gehen. Die Prinzipien des Europäischen Privatrechts werden hier ergänzende Berücksichtigung finden, ausführlich dazu Riesenhuber, System und Prinzipien, passim. 128 Vgl. die nicht abschließende Auflistung von Rechtsprinzipien bei Canaris, JZ 1993, 377 (383 f.); ders., Systemdenken und Systembegriff, S. 39, 48; Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, S. 173 f.; Hönn, Interpretation des Vertragsrechts, S. 87 (88); siehe auch Neuner, FS Canaris, Bd. I, S. 901 (902). 129 Flume, BGB AT, S. 1; ebenso Hönn, Jura 1984, 57; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 6, 247. 125

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b) Franz Bydlinski definiert die Privatautonomie als „bloße, reale Möglichkeit der Selbstbestimmung der Rechtsfolgen durch den (geäußerten) eigenen Willen (nicht durch sonstige Steuerung des eigenen Verhaltens)“.130 Die Privatautonomie umfaßt als individualistisches Prinzip „die Anerkennung der Selbstbestimmung des einzelnen in der Gestaltung seiner Rechtsverhältnisse“131 bzw. die Anerkennung der „Selbstherrlichkeit“ des einzelnen in der schöpferischen Gestaltung der Rechtsverhältnisse132 und ermöglicht also die Selbstbestimmung im privaten Bereich mit rechtlicher Wirkung.133 Die wichtigste Ausprägung der Privatautonomie ist das Prinzip der Vertragsfreiheit.134 Dieses Prinzip prägt nicht nur die deutsche Zivilrechtsordnung, sondern ist zugleich ein zentraler Grundsatz des Europäischen Vertragsrechts.135 2. Grundrechtliche Gewährleistung und richterliche Schutzpflicht (BVerfG) a) Für den BGH und das BVerfG ist die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Privatautonomie136 ein „Strukturelement einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung“137. Die in ihrem Rahmen getroffenen Regelungen muß der Staat – auch aus Gründen der Rechtssicherheit – respektieren.138 Das schließt die Beachtung 130 Bydlinski, Privatautonomie, S. 173. Ders., System und Prinzipien, S. 157 f. unterscheidet zwischen der Privatautonomie im engen Sinn als der bewußten willentlichen Setzung bestimmter Rechtsfolgen und der Privatautonomie im weiteren Sinn, daß bestimmte Rechtsfolgen in der fehlerfreien Sicht eines Gegenbeteiligten als rechtsgeschäftlich gewollt erscheinen. Der Begriff „Privatautonomie im weiteren Sinn“ solle vor allem hervorheben, daß der Freiheits- und damit der Autonomiegedanke hinsichtlich der privaten Rechtssetzung auch noch im Bereich derjenigen Regeln und Institute des Rechtsgeschäftsrechts zureichend gewahrt sei, die sich primär vom Vertrauens- und Selbstverantwortungsprinzip (und den ihn entsprechenden Zurechnungskriterien) herleiten. 131 Flume, BGB AT, S. 15; ebenso Canaris, Vertrauenshaftung, S. 413: „Privatautonomie ist Selbstbestimmung der Person durch rechtliche Selbstgestaltung.“; ders., Bewegliches System und Vertrauensschutz, S. 103 (115). 132 Flume, BGB AT, S. 6. 133 Hönn, Jura 1984, 57 (59). 134 Hönn, Jura 1984, 57; Jørgensen, Recht und Gesellschaft, S. 47, der die Vertragskonstruktion als das „Organon der Privatautonomie“ bezeichnet; siehe noch Biedenkopf, Vertragliche Wettbewerbsbeschränkung und Wirtschaftsverfassung, S. 106 (Verwirklichung des Prinzips der Privatautonomie durch das Institut des Rechtsgeschäfts); kritisch Zweigert, FS Rheinstein Bd. II, S. 493 (503), der von der Vertragsfreiheit als „Traumschloß“ und „Utopie“ spricht. 135 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 557 ff. 136 Vgl. BVerfGE 89, 214 (231) = NJW 1994, 36 (38): „Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ist die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen ein Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit (vgl. BVerfGE 8, 274 (328) = NJW 1959, 475; BVerfGE 72, 155 (170) = NJW 1986, 1859).“; zuletzt BVerfGE 114, 73 = NJW 2005, 2376, bei C I. 1. a (Rn. 59) und 782/94, BVerfGE 114, 1 = NJW 2005, 2363, bei C I. 1. a aa (Rn. 130). 137 BVerfGE 81, 242 (253) = NJW 1990, 1469 (1470). 138 BVerfGE 81, 242 (253) = NJW 1990, 1469 (1470); BVerfGE 89, 214 (231) = NJW 1994, 36 (38); BVerfGE 103, 89 (101); BVerfGE 114, 73 = NJW 2005, 2376, bei C I. 1. a (Rn. 61) und BVerfGE 114, 1 = NJW 2005, 2363, bei C I. 1. a aa (Rn. 131); BGH NJW 1991, 923 (925).

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unterschiedlicher Verhandlungsmacht und -spielräume grundsätzlich ein.139 Beschränkungen der Privatautonomie sind nach der Rechtsprechung allerdings dann unentbehrlich, wenn einer der Vertragsteile ein so „starkes Übergewicht“ hat, daß er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann.140 In solchen Fällen sog. „gestörter Vertragsparität“ ist der Richter141 – insbesondere bei der Anwendung der Generalklauseln der §§ 138, § 242 und 315 BGB,142 die im Rahmen der Inhaltkontrolle von Verträgen als Übermaßverbote wirken – zum Schutz der grundrechtlich gewährleisteten Privatautonomie des Art. 2 Abs. 1 GG verpflichtet, der er „mit den Mitteln des Zivilrechts“143 Geltung verschaffen muß. Der Gesetzgeber hat „der Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben einen angemessenen Betätigungsraum eröffnen“.144 Dabei muß er stets beachten, daß jede Begrenzung der Vertragsfreiheit zum Schutze des einen Teils gleichzeitig in die Freiheit des anderen eingreift. Den konkurrierenden Rechtspositionen muß ausgewogen Rechnung getragen werden (praktische Konkordanz).145 b) Aus einer inzwischen umfänglichen Rechtsprechung des BVerfG und des BGH, die hier nicht im einzelnen erörtert werden kann, sollen exemplarisch die Ausführungen des Ersten Senats des BVerfG im Urteil vom 6. 2. 2001 zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen über Unterhalt146 herausgegriffen werden.147 Darin heißt es: „Die durch Art. 2 I GG gewährleistete Privatautonomie setzt voraus, dass die Bedingungen der Selbstbestimmung des Einzelnen auch tatsächlich gegeben sind (. . .). Maßgebliches Instrument zur Verwirklichung freien und eigenverantwortlichen Handelns in Beziehung zu anderen ist der Vertrag, mit dem die Vertragspartner selbst bestimmen, wie ihre individuellen Interessen zueinander in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Wechselseitige Bindung und Freiheitsausübung finden so ihre Konkretisierung. Der zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien lässt deshalb in der Regel auf einen durch den Vertrag hergestellten sachgerechten Interessenaus139

Hönn, Jura 1984, 57 (61). BVerfGE 89, 214 (232) = NJW 1994, 36; BVerfGE 103, 89 (101) = NJW 2001, 957; BVerfGE 114, 73 = NJW 2005, 2376, bei C I. 1. a (Rn. 62) und BVerfGE 114, 1 = NJW 2005, 2363, bei C I. 1. a aa (Rn. 132). 141 Den Gesetzgeber trifft nach der Rechtsprechung des BVerfG ebenfalls eine Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie – soweit es um die Durchsetzung einer Position geht, die objektivrechtlich vom Schutz der Eigentumsgarantie erfaßt wird – aus Art. 14 Abs. 1 GG, vgl. BVerfGE 114, 73 = NJW 2005, 2376, bei C I. 1. a (Rn. 63). 142 BVerfGE 81, 242 (255) = NJW 1990, 1469 (1470); BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, 36 (Leitsatz). 143 BVerfGE 81, 242 (255) = NJW 1990, 1469 (1470). 144 BVerfGE 89, 214 (230) = NJW 1994, 36 (38). 145 BVerfGE 81, 242 (253) = NJW 1990, 1469 (1470); BVerfGE 89, 214 (231) = NJW 1994, 36 (38); BGH, NJW 1991, 923 (925). 146 BVerfGE 103, 89 (100) = NJW 2001, 957 (958). 147 Vgl. noch BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, 36; BVerfGE 114, 73 = NJW 2005, 2376, bei C I. 1. a (Rn. 60 ff.) und BVerfGE 114, 1 = NJW 2005, 2363, bei C I. 1. a aa (Rn. 129 ff.). 140

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gleich schließen, den der Staat grundsätzlich zu respektieren hat (. . .). Ist jedoch auf Grund einer besonders einseitigen Aufbürdung von vertraglichen Lasten und einer erheblich ungleichen Verhandlungsposition der Vertragspartner ersichtlich, dass in einem Vertragsverhältnis ein Partner ein solches Gewicht hat, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, ist es Aufgabe des Rechts, auf die Wahrung der Grundrechtspositionen beider Vertragspartner hinzuwirken, um zu verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine Fremdbestimmung verkehrt (. . .).“

3. Die Rechtsordnung als notwendiges Korrelat der Privatautonomie Die Gestaltung von Rechtsverhältnissen durch Privatrechtssubjekte setzt neben der Privatautonomie die Rechtsordnung als Korrelat voraus.148 Denn die Rechtsgestaltung erfolgt durch bestimmte Vertragstypen, die von der Rechtsordnung anerkannt werden.149 Die Form und der mögliche Inhalt von Rechtsverhältnissen werden durch die Rechtsordnung in weitgehendem Umfang vorgegeben.150 Die an sich naheliegende Frage, ob die privatautonome Gestaltung des einzelnen oder die Rechtsordnung der „eigentliche“ Grund für die Geltung des privatautonomen Akts ist, entbehrt letztlich des Sinns.151 Denn beide, die privatautonome Gestaltung des Rechtsverhältnisses – z. B. der Kauf einer beweglichen Sache zu einem bestimmten Preis – und die Rechtsordnung – hier: § 433 BGB – gehören als Rechtsgründe der Geltung des privatautonomen Akts untrennbar zusammen. Die privatautonome Gestaltung hat nur Rechtswirksamkeit, wenn und soweit die Rechtsordnung dies bestimmt, während die Rechtsordnung die Rechtsfolgen gemäß der privatautonomen Gestaltung bestimmt, weil die Anerkennung der Privatautonomie als Teil der Anerkennung der Selbstbestimmung des Menschen ein Grundprinzip der Rechtsordnung ist.152 4. Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Vertrauensschutz als Gründe für die Vertragsbindung a) Werner Flume vertritt in seinem Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Rechts die Auffassung, daß die privatautonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen keiner anderen Rechtfertigung bedürfe, als daß sie der einzelne wolle,153 respektive daß der Geltungsgrund des Rechtsverhältnisses nur die 148 Flume, BGB AT, S. 1; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 (147); Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 19; ders., Jura 1984, 57; Bonell, RabelsZ 42 (1978), 485 (494); Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 6 ff. 149 Flume, BGB AT, S. 2. 150 Flume, ebd. (Fn. 149). 151 Flume, ebd. (Fn. 149). 152 Flume, ebd. (Fn. 149); vgl. auch Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, S. 41. 153 Flume, BGB AT, S. 6; so zunächst auch M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 23, 25 (unter Hinweis auf die Motive des BGB, Bd. I, S. 126), der allerdings a.a.O., S. 26, 75 ff., 266 ff. die im Text thematisierten Vertrauensschutz- und Verkehrsschutzaspekte als Gründe für die Bindung ausdrücklich anerkennt.

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Selbstbestimmung und ihre Anerkennung durch die Rechtsordnung sei.154 Dieser Meinung ist beispielsweise Reinhard Singer in seiner Habilitationsschrift beigetreten.155 b) Die Begründung der Vertragsbindung allein mit dem Prinzip der Selbstbestimmung vermag jedoch nicht voll zu überzeugen. Die Vertragsbindung kann nicht allein damit erklärt werden, daß sie gewollt ist.156 Der rechtsgeschäftliche Wille des einzelnen ist nicht gleichbedeutend mit der Möglichkeit, beliebige „Rechtsfolgen“ zu setzen, denn erst durch das übereinstimmende Zusammenwirken der Vertragspartner entstehen diese „Rechtsfolgen“ in Form des Vertrags.157 Daß für den Vertragsschluß nicht nur der Wille eines Rechtssubjekts maßgebend sein kann, läßt sich am Beispiel der Fiktion einer Willenserklärung im Fall der Rechtsscheinvollmacht ebenso aufzeigen wie am Zustandekommen eines Vertrags durch bloßes Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben.158 Des weiteren müßte der Fortbestand der vertraglichen Bindung konsequenterweise allein von dem frei veränderbaren Willen des Erklärenden abhängen.159 Der Grundsatz pacta sunt servanda würde dadurch in sein absurdes Gegenteil verkehrt. Tatsächlich sind Vertragsfreiheit und Vertragsbindung untrennbar miteinander verbunden.160 Vertragsfreiheit ist die Freiheit, sich rechtlich zu binden161, nicht aber die Freiheit, jederzeit durch Willensänderung 154

Flume, BGB AT, S. 5. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 54 ff. und öfter. 156 Bydlinski, Privatautonomie, S. 69 (gegen Flume); ders., System und Prinzipien, S. 153 (in Auseinandersetzung mit Larenz und Canaris) sowie a.a.O., S. 671: „Ein Privatrecht, das allein auf Willensfreiheit aufgebaut gewesen wäre, hat es nie gegeben (. . .).“; siehe auch S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 35 ff.; Hönn, Jura 1984, 57 (60). P. Hanau, AcP 165 (1965), 220 (222) spricht davon, daß es nicht weiter erstaunlich sei, daß unter dem weiten Dach der Willenserklärungen auch Tatbestände beheimatet seien, „deren Rechtswirkung nicht aus der Anerkennung privatautonomer Entschlüsse, sondern nur aus objektiver Zurechnung legitimiert werden kann“. Anders noch Savigny, System, Bd. 1, S. 334 bei der Definition des Rechtsverhältnisses: Jedes Rechtsverhältnis erscheine „als eine Beziehung zwischen Person zu Person, durch eine Rechtsregel bestimmt“. Diese Bestimmung durch eine Rechtsregel bestehe darin, „daß dem individuellen Willen ein Gebiet angewiesen ist, in welchem er unabhängig von jedem fremden Willen zu herrschen hat“. 157 Hönn, Jura 1984, 57 (61). 158 Hönn, Jura 1984, 57 (61, 72). Jedenfalls beim Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben liegt keine Bindung aufgrund privatautonomen Handelns, sondern eine Bindung kraft objektiven Rechts vor (richtig Hönn, a.a.O., S. 72). Die dogmatische Einordnung der Duldungsvollmacht ist hingegen umstritten. Richtigerweise ist sie mit Canaris, Handelsrecht, § 14 Rn. 13 und entgegen einer verbreiteten Meinung, die sie als echte rechtsgeschäftliche Vollmacht deklariert, als Rechtsscheinshaftungstatbestand zu qualifizieren. Für die Anscheinsvollmacht ist die dogmatische Einordnung als Rechtsscheintatbestand nahezu allgemein anerkannt (Canaris, a.a.O., § 14 Rn. 16). 159 A. A. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 55: Wenn die Rechtsgestaltung perfekt sei, bestehe kein Grund, die Verpflichtung zur Erfüllung vom Fortbestand des Willens abhängig zu machen. 160 Vgl. auch S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 35 ff., 511 f. 161 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 345. 155

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beliebig Rechtsfolgen zu verändern.162 Neben dem Willen des Erklärenden – in Anerkennung seiner Privatautonomie und Selbstbestimmung – stehen deshalb jedenfalls auch die Interessen des Vertragspartners sowie des Rechtsverkehrs überhaupt,163 letztlich also Vertrauensschutzgesichtspunkte und allgemeine Verkehrsschutzerwägungen,164 als Verpflichtungsgründe und schutzwürdige Positionen im Raum.165 Walter Wilburg hatte daher Recht, als er die These formulierte: „Wenn jemand eine Erklärung abgibt, so fordert es die Verkehrssicherheit, daß er grundsätzlich an diese gebunden ist.“166 Für die rechtliche Begründung der Vertragsbindung sind nach hier vertretener Auffassung neben den Prinzipien der Privatautonomie und Selbstbestimmung daher auch die mit diesen divergierenden167 Prinzipien des Vertrauensschutzes bzw. des Verkehrsschutzes sowie das Prinzip der Selbstverantwortung von Bedeutung.168 c) Der von Wilburg angeführte Gesichtspunkt der „Verkehrssicherheit“ – besser: das Rechtsprinzip des Verkehrsschutzes – ist im Bereich der privatautonomen Rechtsgestaltung von einem ganz erheblichen Gewicht.169 Ohne Rückgriff 162 Dies anerkennt im Ergebnis auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 172, wenn er die positive Bindung, die gemäß §§ 119, 121 BGB infolge Präklusion des Anfechtungsrechts eintritt, mit einem „generellen“ statt einem „individuellen“ Vertrauensschutz rechtfertigt. Es solle „eine verkehrsstörende Behinderung der Rechtsgeschäfte in Maßen gehalten und dabei zugleich der durch das Wahlrecht des anfechtenden drohenden Spekulationsgefahr vorgebeugt werden“. 163 Bydlinski, Privatautonomie, S. 69. 164 Treffend MüKo BGB/Kramer, Vor § 116 Rn. 39: „Selbstverantwortung und rechtsgeschäftlicher Vertrauensschutz sind somit Vorder- und Kehrseite ein und derselben Medaille. Der Vertrauensschutzgedanke liegt folglich nicht außerhalb der Rechtsgeschäftslehre, sondern ist in sie integriert.“; siehe auch Canaris, AcP 200 (2000), 273 (279); Hönn, Jura 1984, 57 (60 f.); Säcker, JurA 1971, 509 (519, 528 f., 536); Jancke, Sprachrisiko, S. 154; Henrich, RabelsZ Bd. 35 (1971), 55 (66 f.). 165 A. A. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, 54 ff. 166 Wilburg, Elemente des Schadensrechts, S. 235; ebenso Bydlinski, Privatautonomie, S. 138; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 5; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 (171 f.) (allgemein), 183 (zum Irrtum). Die Frage, warum der einzelne sein vertragliches Versprechen halten soll, hat Kant in seiner Rechtslehre von 1797 vor unüberwindliche Schwierigkeiten gestellt. Wörtlich heißt es a.a.O. (Fn. 81), § 19, S. 100: „Die Frage war: warum soll ich mein Versprechen halten? Denn daß ich es soll, begreift ein jeder von selbst. Es ist aber schlechterdings unmöglich, von diesem categorischen Imperativ noch einen Beweis zu führen (. . .).“ 167 Säcker, JurA 1971, 509 (536). 168 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 154 f.; S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 35 ff., 511 f.; Canaris, AcP 200 (2000), 273 (279); Oechsler, in: Staudinger, Eckpfeiler, S. 544; vgl. auch Säcker, JurA 1971, 509 (536 f.), der jedoch den Gedanken der Selbstverantwortung für mit dem „Willkür-Freiheitsbegriff“ nicht vereinbar erachtet und deshalb die Beschränkung der Selbstbestimmung mit Verkehrsschutzerwägungen begründet. A.a.O., S. 519 spricht Verf. indessen selbst davon, daß „die Willenserklärung sowohl Momente der Selbstgestaltung wie der auferlegten Verantwortung für den gesetzten Erklärungstatbestand mitumfaßt“. Mit der zweiten Passage ist der Begriff der Selbstverantwortung korrekt beschrieben. 169 Zur Bedeutung des Prinzips des Vertrauensschutzes innerhalb der Rechtsgeschäftslehre Bydlinski, Privatautonomie, S. 69; ausführlich ders., a.a.O., S. 131 ff., insbesondere S. 137 ff.

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auf dieses Rechtsprinzip ließe sich nach Aufgabe des Erklärungsbewußtseins170 als einem notwendigen Element der Willenserklärung durch die Rechtsprechung171 die Vertragsbindung auch nicht erklären.172 Das hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 7. Juni 1984 selbst hervorgehoben: „Das Recht der Willenserklärung baut nicht nur auf der Selbstbestimmung des Rechtsträgers auf; es schützt in §§ 119,157 BGB das Vertrauen des Erklärungsempfängers und die Verkehrssicherheit, indem es den Erklärenden auch an nicht vorgestellte und, was dem gleichzuachten ist, an nicht bewußt in Geltung gesetzte Rechtsfolgen bindet. Die Befugnis des Erklärenden, der in beiden Fällen die tatsächlich in seiner Erklärung zum Ausdruck gebrachten Rechtsfolgen nicht gewollt hat, diese durch Anfechtung rückwirkend (§ 142 Abs. 1 BGB) zu vernichten oder gelten zu lassen, trägt dem Gedanken der Selbstbestimmung ausreichend Rechnung (. . .).“173

d) Eine dezidiert abweichende Ansicht hinsichtlich der Begründung der Vertragsbindung mit Vertrauensschutzerwägungen hat Canaris in seiner Habilitationsschrift vertreten.174 Er sieht den Geltungsgrund für die Verbindlichkeit des Rechtsgeschäfts im Prinzip der Privatautonomie, das gegenüber dem Vertrauensgedanken selbständigen Rang besitze. Auch die vorläufige Bindung des Anfechtungsberechtigten in den Fällen der §§ 119, 123 BGB sei nicht durch den Vertrauensgedanken zu erklären.175 Die vorläufige Gültigkeit des Rechtsgeschäfts sei auch in diesen Fällen allein mit den Mitteln der Rechtsgeschäftslehre zu erklären, nämlich durch das ergänzende Element der Selbstverantwortung, das sich im Zurechnungsgedanken konkretisiere.176 Aus seiner Sicht stehen die Rechtsgeschäftslehre und die Vertrauenshaftung selbständig nebeneinander,177 letztere allerdings durchaus als Korrelat der Privatautonomie.178 Der Vertrauenshaftung wird von ihm die Funktion zugewiesen, die privatautonome Selbstbindung dort zu ergänzen, wo die Rechtsgeschäftslehre Schutzlücken offenläßt und wo des(„Vertrauensprinzip und Verkehrssicherheit“); M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 144 f.; Canaris, Bewegliches System und Vertrauensschutz, 103 (105 ff.). Gegen ein grundsätzliches Übergewicht des Verkehrsschutzes als Ordnungsprinzip zu Lasten der individuellen Selbstbestimmung argumentiert Jancke, Sprachrisiko, S. 157 f. Vielmehr solle „die Selbstbestimmung grundsätzlich den Ausschlag geben“. 170 Ausführlich dazu Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 128 ff. 171 BGHZ 91, 324 = NJW 1984, 2279; BGHZ 109, 171 = NJW 1990, 454. 172 Hellsichtig daher Henrich, RabelsZ Bd. 35 (1971), 55 (67): „Die aufgezeigten Tendenzen sowohl im internationalen als auch im Bereich des deutschen Rechts lassen einen baldigen Abschied vom Erklärungsbewußtsein erwarten. Für diesen Fall kann mit Nutzen auf die im Ausland gesammelten Erkenntnisse zum Vertrauensprinzip zurückgegriffen werden.“ 173 BGZ 91, 324 (330); bestätigt durch BGHZ 109, 171 (177) sowie BGHZ 149, 129 (136) = NJW 2002, 363. 174 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 412 mit Fn. 1, 414 (mit zahlreichen Nachweisen zur hier vertretenen Gegenansicht). 175 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 421. 176 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 422 f., 433. 177 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 428, 430 f. 178 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 439 ff.

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halb das Prinzip der Selbstverantwortung – im Sinne einer gesteigerten Selbstverantwortung – als Korrelat neben das der Selbstbestimmung treten müsse.179 Bemerkenswert ist, daß Canaris in einer jüngeren Monographie im Rahmen der Erörterung von Drohung, Täuschung und Irrtum als von der Vertragsrechtsordnung aus Gründen der Sicherung der Entscheidungsfreiheit grundsätzlich zu berücksichtigenden Aspekten das Bedürfnis nach einem Vertrauensschutz für die andere Partei als gegenläufiges Interesse ausdrücklich anerkannt hat.180 e) Für die Begründung der Vertragsbindung ist nach hier vertretener Auffassung das Prinzip der Selbstverantwortung heranzuziehen.181 Die Treue zum gegebenen Wort ist auch eine spezifische Konkretisierung des Selbstverantwortungsprinzips: Wer frei und bewußt anderen seinen auf den Eintritt von Rechtsfolgen gerichteten Willen erklärt, dem ist der Erklärungseffekt seines Verhaltens jedenfalls als bindend zuzurechnen.182 Das Prinzip der Selbstverantwortung läßt sich allgemeiner dahingehend fassen, daß es grundsätzlich eigene Angelegenheit ist, die eigenen Rechte zu kennen und zu wahren.183 Die Selbstverantwortung ist dabei nicht für alle am Privatrechtsverkehr Beteiligten gleichermaßen stark ausgeprägt; so gelten im Handelsrecht wesentlich strengere Zurechnungskriterien als sie im sonstigen Zivilrecht üblich sind, was wiederum den Bedürfnissen des Handelsverkehrs entspricht und im übrigen durch die geschäftliche Ausbildung und Erfahrung der Kaufleute gerechtfertigt ist.184 Das Prinzip der Selbstverantwortung gilt auch im europäischen Primär- und Sekundärrecht sowie im internationalen Vertragsrecht.185 Es ist unter anderem von wesentlicher Bedeutung für die Regeln über die Sprache des Vertrags186 und wird damit im Kontext der hier zu erörternden Themata relevant. 179 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440, 442; MüKo BGB/Kramer, Vor § 116 Rn. 39: „Daraus ergibt sich zwingend, daß Selbstbestimmung ohne das Korrelat der Selbstverantwortung nicht gesehen werden kann.“; siehe auch Jancke, Sprachrisiko, S. 153. 180 Vgl. Canaris, iustitia distributiva, S. 47, S. 64. 181 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 101 f. stellt die eigenständige normative Bedeutung des Selbstverantwortungsprinzips heraus. Danach ist das Prinzip der Selbstverantwortung der „allererste Ansatz zur Lösung von Zurechnungsfragen“ (a.a.O., S. 105 f.). Nicht der Grundsatz der Selbstbestimmung als solcher, sondern der – zu diesem tretende – andere Grundsatz der Selbstverantwortung erkläre im Ansatz die bindenden, d. h. vom geänderten Willen eines Beteiligten unabhängigen Wirkungen eines Rechtsgeschäftes (a.a.O., S. 154). Es verweise damit auf die als zurechenbare Folge des Erklärungsverhaltens entstehende Vertrauensposition des Erklärungsempfängers; eingehend dazu auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440, 442; ders., iustitia distributiva, S. 57, 61 f.; zur Gegenauffassung von Säcker siehe die Ausführungen in Fn. 168. 182 So wörtlich Bydlinski, System und Prinzipien, S. 164. 183 So eine prägnante Formulierung von Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 561, mit der zutreffenden weiteren Feststellung, daß es für ein liberales Vertragsrecht ganz ungewöhnlich ist, daß ein Vertragspartner verpflichtet ist, den anderen über seine Rechte zu belehren. 184 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 511. 185 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 242, 123 ff., 560. 186 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 280 ff., 560.

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II. Das Problem der Entscheidungsfreiheit als Voraussetzung für selbstbestimmtes Handeln 1. Selbstbestimmung als Element der Privatautonomie a) Indem die Rechtsordnung die Privatautonomie anerkennt, gesteht sie dem einzelnen das Recht zur selbstbestimmten Gestaltung seiner Rechtsverhältnisse zu. Das Prinzip der Selbstbestimmung ist ein notwendiges Element der Privatautonomie.187 Die Selbstbestimmung ist zugleich ein Korrelat der Privatautonomie: Weil die Privatautonomie ihre Rechtfertigung nur darin hat, daß die Selbstbestimmung als Wert anerkannt ist, kann die Privatautonomie als Rechtsprinzip nur verwirklicht werden, wenn auch tatsächlich die „Macht zur Selbstbestimmung“ besteht.188 Die Selbstbestimmung wird mit Recht als „eine Grundfähigkeit des Menschen als Person“ bezeichnet.189 Das Leitbild der Privatautonomie bei der Schaffung des BGB war – insoweit auch im Anschluß an die Ideen Kants190 – die Willensherrschaft der Individuen. Die Legitimation der Willensherrschaft liegt in der vermuteten Freiheit des Individuums zur Selbstbestimmung: Privatrechtssubjekte regeln ihre Rechtsverhältnisse selbständig durch Vertrag (Vertragsfreiheit).191 Dieser Vertrag hat, wenn er funktionsfähig sein soll, die freie Entscheidung der Parteien zur Voraussetzung.192 Das erforderliche Maß der vorausgesetzten Freiheit ist seit jeher umstritten; die Forderungen reichen von einem „Rest“ an Entscheidungsfreiheit als Mindestmaß bis hin zu einer vollständigen wirtschaftlichen Machtgleichheit (dazu sogleich unter 2.).

187 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 147 setzt dementsprechend beide Prinzipien gleich: „Prinzip der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie (Selbstbestimmung)“; abweichend Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (22). Danach soll der Gedanke der Selbstbestimmung des einzelnen niemals als solcher ein Prinzip der Rechtsordnung sein können. 188 Flume, BGB AT, S. 10; kritisch zur Begriffl ichkeit Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 24: Es sei unklar, was mit dem Begriff „Macht zur Selbstbestimmung“ gemeint sei; konkrete Anhaltspunkte, nach welchem Maßstab hier vorzugehen sei oder welchen speziellen Grundsätzen das positive Recht insoweit folge, fänden sich bei Flume nicht. – Richtigerweise ist davon auszugehen, daß es eines Mindestmaßes, d. h. eines „Rests“ oder „Kerns“ an Entscheidungsfreiheit der Vertragspartner bedarf. Daß dies keine rechtstechnische Defi nition des Begriffs „Macht zur Selbstbestimmung“, sondern lediglich eine wertungsmäßige Annäherung bedeutet, sei zugestanden; vgl. dazu auch Hönn, Jura 1984, 57 (62). 189 Larenz, Richtiges Recht, S. 63. 190 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785, S. 87 f. (Überschrift: „Die Autonomie des Willens als oberstes Prinzip der Sittlichkeit“), S. 97 ff. (Überschrift: „Der Begriff der Freyheit ist der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens“). 191 Vgl. Flume, BGB AT, S. 10 und S. 609; Larenz, Richtiges Recht, S. 63; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 10. 192 Rittner, AcP 188 (1988), 101 (124).

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b) Die Gegenbegriffe193 zum Begriff der Selbstbestimmung sind Fremdbestimmung194 und Zwang,195 denkbar insbesondere durch hoheitliches Eingreifen in die Abschlußfreiheit (etwa im Wege des Kontrahierungszwangs) 196 bzw. in die Inhaltsfreiheit (namentlich durch Eingriffe in die Preisgestaltung). Die hoheitliche Gestaltung der Lebensverhältnisse ist die einzige – allerdings wertungsmäßig nachrangige – Alternative zum Vertrag.197 2. Die „ungleiche Machtverteilung“ zwischen den Vertragsparteien und das Selbstbestimmungserfordernis a) Formales versus materiales Verständnis des Begriffs „Selbstbestimmung“ aa) Nach einem eher formalen Verständnis liegt die Selbstbestimmung in der Zustimmung der Parteien zum Vertrag, sofern die Geschäftsfähigkeit beider Vertragspartner gegeben ist und deren Erklärungen frei von Willensmängeln (Irrtum, Täuschung, Drohung) sind.198 Demgegenüber soll nach einem materialen Verständnis des Begriffs der Selbstbestimmung mehr erforderlich sein. Der einzelne muß danach die Möglichkeit haben, „wirklich“ selbst zu bestimmen, was er möchte.199 So meint ein Vertreter des Schrifttums: „Soll die privatautonome Vertragsgestaltung Wirklichkeit, Vertragsfreiheit somit ‚material‘ verwirklicht werden, so setzt dies eine Aufhebung der Ungleichheit schlechthin voraus. (. . .) Praktisch bedeutet dies zum einen die Schaffung materieller Egalität, zum anderen sind sonstige Hindernisse, die nicht (allein) auf wirtschaftlicher Benachteiligung beruhen (Sozialisationsnachteile, Bildungsnach193

Ein frühes historisches Beispiel dazu bietet das umfassende Höchstpreisedikt (edictum de pretiis rerum venalium) des römischen Kaisers Diocletian aus dem Jahr 301, das für Leistungen aller Art Höchstpreise festschrieb. Das Edikt verfolgte – allerdings ohne Erfolg – das Ziel, den Käufer gegen die Nachteile der fortschreitenden Geldentwertung zu schützen, vgl. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, § 41 Rn. 15 m. w. N. (S. 259). 194 Dazu Flume, BGB AT, S. 609; a. A. M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 114; vgl. noch BVerfG, NJW 2001, 957 (958); BVerfG, NJW 1994, 36 (38); BVerfGE 1990, 1469 (1470). 195 Vgl. aber Savigny, System, Bd. 3, S. 102 und 103 f.: Zwang und Freiheit seien nicht als einander ausschließende Zustände anzusehen. Die Fähigkeit, unter mehreren denkbaren Entschlüssen eine Wahl zu treffen, könne auch bei dem „Gezwungnen“, d. h. bei dem Bedrohten, nicht bezweifelt werden. Obgleich nun der Zwang zu einer Willenserklärung die Freiheit des Handelnden an sich nicht aufhebe, folglich der „natürlichen Wirksamkeit“ der Erklärung nicht im Wege stehe, so stehe er dennoch „im geraden Widerspruch mit dem Zweck alles [sic!] Rechts welcher auf die sichere und selbstständige Entwicklung der Persönlichkeit gerichtet ist“. Demnach liege im Zwang „eine in das Rechtsgebiet störend eingreifende Unsittlichkeit“; sie sei „dem Unrecht verwandt, wenngleich kein wirkliches, unmittelbares Unrecht“. 196 Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 261. 197 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 (165); Rittner, AcP 188 (1988), 101 (123, 131). 198 Vgl. Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 558; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, passim. 199 Vgl. Riesenhuber, ebd. (Fn. 198).

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teile, sprachliche Nachteile u. a.) durch geeignete Maßnahmen auszugleichen.“200 Der Wirtschafts- und Sozialausschuß des Europäischen Parlaments hat sich in ähnlicher Weise geäußert. Seines Erachtens ist es erforderlich „einen verstärkten Schutz für eine als schwächer angesehene Partei zu gewährleisten, um die für die Ausübung der Vertragsfreiheit, die ein universales Prinzip des Vertragsrechts in den liberalen Volkswirtschaften darstellt, unerläßliche Gleichheit zwischen den Vertragspartnern herzustellen“.201 Medicus – als Gegner dieser Meinung – hat die wesentlichen Überlegungen einprägsam zusammengefaßt: „Die Privatautonomie soll dadurch zu ausgewogenen Verträgen führen, daß beim Vertragsschluß jede Partei ihre eigenen Interessen wahrnimmt. Das gelingt aber annähernd nur unter Gleichstarken, also in »Gleichgewichtslagen«. Dagegen scheitert in Ungleichgewichtslagen für den Schwächeren die Interessendurchsetzung. Daher muß der Schwächere vor ungerechten Verträgen geschützt werden.“202 bb) Die systemsprengende Kraft eines solchen Verständnisses des Selbstbestimmungsbegriffs, das im Extrem auf die Freiheit von jeglichen Fremdeinflüssen hinauslaufen würde, 203 bzw. auf ein „Sonderprivatrecht für Ungleichgewichtslagen“, 204 ist offensichtlich. 205 Wäre die Ansicht von der „unerläßlichen Gleichheit zwischen den Vertragspartnern“ richtig, hätte dies enorme Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung des rechtsgeschäftlichen Handelns von Sprachunkundigen. Um ihnen zur „Gleichheit“ mit dem Vertragspartner zu verhelfen, müßten von Rechts wegen unterstützende Maßnahmen, etwa weitreichende Aufklärungs- 206 und Übersetzungspflichten der anderen Vertragspartei, sowie entsprechende Sanktionsmaßnahmen – Schadensersatzansprüche

200 Jancke, Sprachrisiko, S. 145 f.; siehe auch Biedenkopf, Vertragliche Wettbewerbsbeschränkung und Wirtschaftsverfassung, S. 109 mit der Forderung, daß die Vertragspartner „nicht lediglich formal, sondern faktisch annähernd ebenbürtig“ sein müßten. 201 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses des Europäischen Parlaments zu der Mitteilung der Kommission zum europäischen Vertragsrecht, ABl. EG Nr. C 241, S. 1, Ziff. 2.2.3. 202 Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 18. 203 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 558. 204 Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 18 (mannigfache Einschränkungen der Privatautonomie durch einseitig zwingendes Recht mit der Konsequenz eines Sonderprivatrechts für Ungleichgewichtslagen). 205 Siehe nur Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, 21; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 143 f., die zutreffend klarstellt, daß die Anerkennung einer allgemeinen wirtschaftlichen Unterlegenheit des Verbrauchers „in ihrer logischen Konsequenz nicht auf Beseitigung einzelner Mißstände abzielt, sondern die Wirtschaftsordnung als ganzes angreift“. 206 Vgl. dazu Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 28.

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aus culpa in contrahendo207 ; Anordnung der Unwirksamkeit des Vertrags oder einzelner Vertragsbestandteile – 208 vorgesehen werden.209 b) Ungleiche Machtverteilung kein Hindernis für selbstbestimmtes Handeln der schwächeren Partei aa) Die Selbstbestimmung wird durch eine ungleiche „Machtverteilung“ zwischen den Vertragsparteien, die auf wirtschaftlichen oder intellektuellen Unterschieden beruht, nicht grundsätzlich in Frage gestellt.210 Im Gegenteil: Die „Ungleichheit“ ist dem Vertragsmodell des BGB immanent 211 und eher die Regel als die Ausnahme. 212 Das Gesetz geht von den Gedanken der Selbstbestimmung und der Selbstverantwortung aus. Gesetzgeberische Interventionen zugunsten der „schwächeren“ Partei sind begründungsbedürftige Ausnahmen, 213 deren Reichweite überdies durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzt wird.214 207

§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB. Vgl. Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45 (89), 1. These (evidente Störungen der Freiheit führen zur Unwirksamkeit des Vertrages als Rechtsfolge und nicht zur Inhaltskontrolle); nach Auffassung des Verf. genügt die bloße Ungleichheit zwischen den Vertragspartnern dafür jedoch nicht. 209 Solche Versuche hat es gegeben. In einer Entwurfsfassung zur Klauselrichtlinie 93/13/ EWG hatte die Kommission in Art. 4 vorgesehen, daß bei der Bewertung von vorformulierten Klauseln (AGB) das wirtschaftliche und bzw. oder intellektuelle Machtungleichgewicht zwischen den Parteien (scil. einem Gewerbetreibenden und seinem Kunden) im Rahmen der Inhaltskontrolle Beachtung finden müsse, siehe dazu den Geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, KOM(92) 66 endg., ABl. EG 1992, Nr. C 73, S. 7. In Art. 4 Abs. 1 der schließlich in Kraft getretenen Richtlinie wird lediglich die Berücksichtigung aller Umstände des Vertragsschlusses verlangt; die h.M. liest in diese Bestimmung allerdings die Aussagen in dem 16. Erwägungsgrund der Richtlinie hinein, die das Machtungleichgewicht zwischen den Parteinen für berücksichtigungsfähig erklärt. Zu dieser Problematik eingehend unten § 8 E. II. 2. b. 210 Flume, BGB AT, S. 609; Bydlinski, System und Prinzipien, S. 625; ders., Privatautonomie, S. 172; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 51, 57 f., 60, 70, 103 f., 104 mit Fn. 209, 129 f.; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 24, 92; ders., JuS 1990, 953 (956); Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45 (52 ff.); Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 19 ff.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 3, 91 mit Fn. 23, S. 107 ff., 193 f., 293; Rittner, AcP 188 (1988), 101 (108 ff., 127 f., 131). 211 Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45 (53 f.): „Der Vertrag stellt geradezu eine Beschreibung des Machtgefälles zwischen beiden Parteien dar, wenn sie ihre Ziele bestmöglich und mit höchstem Einsatz bei den Vertragsverhandlungen verfolgen.“ 212 Hönn, Jura 1984, 57 (74). 213 Siehe Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 103 f.: „Staatliche Korrekturen des freien Spiels der Kräfte, d. h. der Eingriffe in die Privatautonomie zugunsten des Verbrauchers, sind daher nur dann erforderlich, soweit die Funktionsbedingungen dieses Systems gestört sind.“ 214 Neuner, JuS 2007, 881 (887 f.) mit einer Erörterung der verschiedenen Stufen der gesetzlichen Eingriffe in Privatautonomie (angefangen von Formerfordernissen mit Warnfunktion über Belehrungspflichten, Widerrufs- und Anfechtungsrechte bis zur Nichtigkeitsfolge des § 138 Abs. 2 BGB). 208

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bb) Auch jenseits der Frage, ob die erforderliche Selbstbestimmung vorliegt, ist die These, daß es eines wirtschaftlichen Gleichgewichts zwischen den Verhandlungs- bzw. Vertragspartnern bedürfe, abzulehnen. 215 Ob es eine wirkliche Gleichheit zwischen zwei Verhandlungspartnern überhaupt geben kann, ist fraglich.216 Sie beruht auf unbestimmten Faktoren und Einzelkriterien und ist letztlich einer rationalen, methodisch exakten Bestimmung nicht zugänglich. 217 Daher fehlt es an einem geeigneten – jedoch aus Rechtsgründen unverzichtbaren – Maßstab für die Ermittlung des Verhandlungsmacht(un)gleichgewichts. Die Lage stellt sich nicht anders dar, wenn man nicht ein Gleichgewicht im Hinblick auf Einzelfaktoren, sondern lediglich ein „Gesamtgleichgewicht“ fordert.218 Richtigerweise gilt daher der Grundsatz, daß wer wegen des Bestehens eines faktischen Zwangs nur „zähneknirschend“ auf ein Vertragsangebot eingeht, nicht bereits deshalb fremdbestimmt handelt, so daß er vorbehaltlich anderer Nichtigkeitsgründe einen wirksamen Vertrag abschließt. 219 cc) Einem rein formalen Verständnis der Selbstbestimmung wäre allerdings ebenfalls die Zustimmung zu versagen. Dagegen spricht, daß es Vetragsschlußtatbestände gibt, bei denen derart schwerwiegende Defekte auf seiten eines Beteiligten vorliegen, daß von der Selbstbestimmung gleichsam nur eine „leere Hülse“ übrig ist, so daß „sich die formale Betrachtung der Vereinbarung nach dem Grundsatz stat pro ratione voluntas220 als unbefriedigend [erweist] und der Vertragsmechanismus als Verfahren (. . .) nicht einmal eine Richtigkeitschance verbürgen [kann]“.221 Auf derartige Defektlagen hat das Recht zumindest mit der Forderung nach einem Mindestmaß an Entscheidungsfreiheit zu reagieren. Um im Bild zu bleiben: Die Hülse darf also nicht ganz leer sein. c) Zwischenergebnis aa) Zusammengefaßt ergibt sich daraus folgendes: Solange nur ein Mindestmaß an Selbstbestimmung, d. h. ein Mindestmaß an Entscheidungsfreiheit der Ver215 Siehe auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 104, 129; Zöllner, AcP 196 (1996), 1 (30); Canaris, FS Lerche, S. 873 (882); a. A. Pickert, ZfA 1986, 199 (251). 216 Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 23. 217 Ebenso Hönn, JuS 1990, 953 (956); ders., Jura 1984, 57 (74); Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (695, 697); Rittner, AcP 188 (1988), 101 (127); Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45 (54); Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 19, 23; Zöllner, AcP 196 (1996), 1 (35). Nörr, Republik der Wirtschaft, Bd. II, S. 84 defi niert den Begriff der wirtschaftlichen Macht als „Kausalität plus negativer Alternativität“. Seiner Ansicht nach übt dieser Begriff in seiner Allgemeinheit auf die Rechtsordnung „vielleicht eine appellative oder evokative Wirkung“ aus, aber „die Erkenntnis, die Arbeit am Recht“ vermag er „nicht im geringsten zu fördern“ (a.a.O., S. 87). Aus der Sicht der Rechtsordnung sei der Begriff unbrauchbar (ebd.). 218 Richtig Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 20, 23. 219 Flume, BGB AT II, S. 609; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 24; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 101, 103. 220 „Der Wille gilt an Stelle der Vernunft“. 221 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 426.

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tragspartner, 222 vorhanden ist, sind die auf dieser Basis abgeschlossenen Verträge grundsätzlich, d. h. vorbehaltlich anderer Unwirksamkeitsgründe, wirksam.223 Ein Machtgleichgewicht zwischen den Kontrahenten ist dafür nicht Voraussetzung, weil das Prinzip der Selbstbestimmung Machtgleichheit weder im Hinblick auf die Einzelfaktoren – wirtschaftliche Macht, intellektuelle Fähigkeiten, etc. – noch im Wege der Gesamtbeurteilung voraussetzt. Das ist eine Konsequenz des Selbstverantwortungsprinzips, welches „das Ansinnen zumutbarer Opfer bei der selbsttätigen Wahrnehmung der Interessen ein[schließt] (. . .). Erst wo die selbsttätige Abwehr des Ansinnens unangemessener Vertragsbedingungen unzumutbare Opfer erfordert, muß das Recht autoritär für Angemessenheit sorgen, um seiner ethischen Verantwortung gerecht zu werden. Das aber ist – wie die §§ 138, 826 BGB belegen – seit jeher unzweifelhaft.“224 bb) Eine ungleiche „Machtverteilung“ zwischen den Kontrahenten wird rechtlich betrachtet somit erst dann problematisch, wenn sie bereits die „Chance zum gerechten Vertragsschluß“ verhindert. 225 Die Ausnutzung der Machtposition eines Vertragspartners führt beim Einzelvertrag nur dann zwingend zur Unwirksamkeit des Vertrags, wenn die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 oder 2 BGB erfüllt sind.226 Selbst der infolge eines Irrtums, einer arglistigen Täuschung oder einer Drohung – also aufgrund fehlerhafter Selbstbestimmung – zustande gekommene Vertrag ist vorbehaltlich der Anfechtung des Irrenden, Getäuschten oder Bedrohten zunächst einmal wirksam. 227 Dafür spricht, daß eine bloß fehlerhafte Selbstbestimmung noch nicht aufhört, Selbstbestimmung zu sein. 228 Freilich hat das BGB in § 123 und § 138 die dauerhafte Gültigkeit der Willenserklärung von der unbeeinträchtigten Ausübung der Selbstbestimmung abhängig gemacht.229 Man kann daher die grundsätzliche Aussage treffen, daß die Entscheidungsfreiheit eine Gültigkeitsvoraussetzung der Willenserklärung

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Vgl. Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 27; dens., Jura 1984, 57 (62); M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 5, 111 ff., 146 ff., 180; Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union IV, A 5, Art. 4 Rn. 12 f. (zu Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWF). M. Wolf will allerdings – über § 138 BGB hinausgehend – den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch einen „selbständigen Tatbestand“ (a.a.O., S. 153) gewährleistet wissen. Diesem Vorschlag wird hier nicht beigetreten; ablehnend auch S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 231 f. 223 Zöllner, AcP 196 (1996), 1 (35); Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 11, 96 f.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 3. 224 Reuter, Freiheitsethik und Privatrecht, in: Bydlinski/Mayer-Maly, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, 1994, S. 105 (118). 225 Hönn, JuS 1990, 953 (956). 226 Flume, BGB AT, S. 609. 227 Flume, ebd. (Fn. 226). 228 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 422; dort auch zum ergänzenden Element der Selbstverantwortung. 229 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 61, 79, 119 f.

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ist, ohne die eine verbindliche Vereinbarung nicht getroffen werden kann. 230 Sie muß jedenfalls als ein substantieller „Rest“ vorhanden sein, wenn man von einer dem Erklärenden zurechenbaren und rechtserheblichen Willenserklärung sprechen will. 231 Mit dem Bestehen eines realen „Machtgleichgewichts“ zwischen den potentiellen Vertragsparteien darf das – wie ausgeführt – jedoch nicht gleichgesetzt werden. 3. Das Problem der Willensfreiheit und die geltende Privatrechtsordnung a) In der modernen Psychologie und in den Neurowissenschaften wird in jüngerer Zeit vermehrt die These vertreten, daß der einzelne nicht selbstbestimmt handelt, weil eine wie auch immer geartete „Willensfreiheit“ des Menschen nicht existiere.232 Die Willensfreiheit und die Freiheit der Wahl zwischen alternativen Handlungsweisen seien bloße Illusionen. b) Eine deterministische Sicht dieser Art hat sich wohl keine der existierenden Privatrechtsordnungen je zu eigen gemacht. 233 Anderenfalls würde sie sich zugleich selbst ad absurdum führen. Dies gilt für das Kriminalstrafrecht – ohne Handlungsfreiheit keine Schuld, ohne Schuld keine Strafe – 234 wie für das Zivilrecht gleichermaßen. Vom hier vertretenen Standpunkt ist die Willensfreiheit – als Handlungsfreiheit bzw. als „subjektiv feststellbare Wahlfreiheit“235 – entgegen den Annahmen mancher Neurowissenschaftler eine konkrete, in der Rechtswirklichkeit erfahrbare Tatsache, doch das ist, weil sich dabei um keine belastbare (natur-)wissenschaftliche Erkenntnis handelt, nicht entscheidend. Die Überzeugung von der grundsätzlichen Fähigkeit zur Selbstbestimmung der natürlichen Person als Rechtssubjekt muß zumindest als eine – durch die geltende Privatrechtsordnung verbindlich vorgegebene – „fiktive Grundannah-

230 So M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 254, 278, 280 mit Fn. 4 (mit dem Hinweis auf die Motive zum BGB, Bd. I, 206), 293. 231 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 433. 232 Siehe dazu Geyer (Hrsg.), Hirnforschung und Willensfreiheit, 2004 sowie die Zitate und Nachweise bei Heun, JZ 2005, 853 (855). 233 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 111 f. m. w. N., auch zur Gegenansicht. 234 Zur Selbstbestimmung im Strafrecht vgl. GrS BGHSt 2, 200, (201): „Der innere Grund des Schuldvorwurfes liegt darin, dass der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden, sobald er die sittliche Reife erlangt hat und solange die Anlage zur freien sittlichen Selbstbestimmung nicht durch die in § 51 StGB genannten krankhaften Vorgänge vorübergehend gelähmt oder auf Dauer zerstört ist. Voraussetzung dafür, daß der Mensch sich in freier, verantwortlicher, sittlicher Selbstbestimmung für das Recht und gegen das Unrecht entscheidet, ist die Kenntnis von Recht und Unrecht.“ 235 Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 10; a. A. M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 113 f.

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me“, als Axiom oder Postulat des Gesetzgebers, Gültigkeit behalten.236 Um es mit Savigny auszudrücken: „Mit den speculativen Schwierigkeiten des Freyheitsbegriffs haben wir im Rechtsgebiet nichts zu schaffen; uns berührt blos die Freyheit in der Erscheinung, das heißt die Fähigkeit, unter mehreren denkbaren Entschlüssen eine Wahl zu treffen.“237 Schon Kant meinte 1785: „Freyheit muß als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden“. 238 c) Bisher ist es den Neurowissenschaften nicht gelungen, den erforderlichen naturwissenschaftlichen Beweis dafür zu erbringen, daß mentale Vorgänge ausschließlich durch deterministische physische Hirnprozesse bestimmt werden und daß mentale Vorgänge keine eigenständigen Wirkungen entfalten können.239 Wenn ein solcher naturwissenschaftlicher Beweis gelänge, wäre der Gesetzgeber zum Handeln aufgerufen, die Privatrechtsordnung nicht aber schon im Zeitpunkt der Beweiserbringung außer Kraft gesetzt. d) Der Jahrhunderte währende Streit um die menschliche Willensfreiheit, der Konflikt zwischen Determinismus und Indeterminismus, kann und soll hier nicht diskutiert werden.240 Ohne das Postulat, daß selbstbestimmtes Handeln im Rechtsverkehr nicht nur möglich, sondern die Regel sei – bei grundsätzlicher Herausnahme des Handelns Geschäftsunfähiger durch die §§ 104 f. BGB – 241, ist das Recht, insbesondere das Privatrecht, nicht sinnvoll denkbar. Konsequent gewährleistet auch das Grundgesetz die Selbstbestimmung des einzelnen in 236

Vgl. auch Neuner, JuS 2007, 881 (883) m. w. N. in Fn. 32. Savigny, System, Bd. 3, S. 102. 238 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785, S. 99 (Überschrift). A.a.O., S. 100 f. legt Kant dem Handeln vernünftiger Wesen die „Idee der Freiheit“ zugrunde, ohne diese auch theoretisch zu beweisen. Folgt man dem, so „können [wir] uns hier also von der Last befreyen, die die Theorie drückt.“ (ebd., Fußnote). Dahinter steht ein Postulat der „praktischen Vernunft“: „Man kann sich unmöglich eine Vernunft denken, die mit ihrem eigenen Bewußtseyn in Ansehung ihrer Urtheile anderwerts her eine Lenkung empfi nge, denn alsdenn würde das Subject nicht seiner Vernunft, sondern einem Antriebe, die Bestimmung der Urtheilskraft zuschreiben. Sie muß sich selbst als Urheberin ihrer Prinzipien ansehen, unabhängig von fremden Einfl üssen, folglich muß sie als practische Vernunft, oder als Wille eines vernünftigen Wesens, von ihr selbst als frey angesehen werden, d. i. der Wille desselben kann nur unter der Idee der Freyheit ein eigener Wille seyn, und muß also in practischer Absicht allen vernünftigen Wesen beygelegt werden.“ (a.a.O., S. 101). Siehe noch a.a.O., S. 103: „Es scheint also, als setzten wir in der Idee der Freyheit eigentlich das moralische Gesetz, nämlich das Prinzip der Autonomie des Willens selbst, nur voraus, und könnten seine Realität und objective Nothwendigkeit nicht für sich beweisen (. . .).“ 239 Heun, JZ 2005, 853 (857). 240 Die Frage offenlassend auch M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 112. 241 Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 140 ff. Der Schutz der nicht voll Geschäftsfähigen wird von Canaris, Feststellung von Lücken, S. 104 als ein „Fundamentalprinzip unserer Rechtsordnung“ bezeichnet. Ders., Vertrauenshaftung, S. 416 mit Fn. 16 ergänzt, daß die Regelungen über die Geschäftsfähigkeit ihre Rechtfertigung nur darin finden, daß dem Erklärenden die Fähigkeit zur Selbstbestimmung fehlt und daß ihm seine Erklärungen daher nicht „zugerechnet“ werden können. 237

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Form der Handlungsfreiheit 242 durch die Grundrechte als ein Prinzip der Gemeinschaftsordnung. 243 Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG schützt den Vorrang der Privatautonomie gegenüber der hoheitlichen Gewalt.244 Der Grundsatz der Vertragsfreiheit liegt auch dem europäischen Primärrecht, vor allem den unmittelbar geltenden Grundfreiheiten, zugrunde. 245 Der europäische Normgeber geht weiter in verschiedenen von ihm verabschiedeten Richtlinien ganz selbstverständlich von der Geltung der Vertragsfreiheit als Grundsatz aus, so daß die Vertragsfreiheit auch dem europäischen Sekundärrecht immanent ist.246 Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts und das Prinzip der Gemeinschaftstreue implizieren, daß der nationale Gesetzgeber in den gemeinschaftsrechtlich geregelten Bereichen des nationalen Rechts daran gehindert wäre, die Willens- und Handlungsfreiheit von natürlichen Personen als Illusion zu betrachten. Das gilt sowohl für unmittelbar geltende Normen des Gemeinschaftsrechts, also das Primärrecht des EG-Vertrags und die Verordnungen gemäß Art. 249 Abs. 2 EG, als auch für jene Normen, die der Umsetzung in das nationale Recht bedürfen, namentlich EG-Richtlinien nach Art. 249 Abs. 3 EG, Art. 10 EG. 4. Die Alternative der hoheitlichen Gestaltung a) Folgte man der Gegenthese und nähme an, daß der einzelne niemals autonom, also selbstbestimmt handeln könne, dann bliebe nur die Alternative einer weitgehend hoheitlichen Gestaltung der Rechtsverhältnisse. Daß dies eine „gerechtere“ Ordnung zur Folge haben würde, kann man vernünftigerweise wohl nicht behaupten.247 Denn nur durch das Abschleifen gegenläufiger Individual242 Näher dazu Heun, JZ 2005, 853 (854 f.), der argumentiert, daß die Gewährleistung der Handlungsfreiheit sogar mit der These von der deterministischen Willensbestimmung vereinbar sei. Die grundrechtliche Sicherung individueller Freiheitssphären werde durch deterministische Konzepte der Willensbestimmung nicht tangiert. Der Schutz der grundgesetzlich garantierten Autonomie des einzelnen durch die Grundrechte gelte unabhängig von der Frage, ob die Willensbildungsprozesse nach physikalischen Gesetzen neurobiologisch determiniert sind oder nicht. Der grundrechtliche Freiheitsschutz abstrahiere davon. 243 Ausführlich Flume, BGB AT, S. 17; Pfl ug, Kontrakt und Status, S. 63 ff.; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 24 ff.; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 20 ff.; siehe auch BVerfGE 8, 274; BVerfGE 72, 155; BVerfGE 81, 242; BVerfGE 89, 214. 244 Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, § 4 Rn. 23; Rittner, AcP 188 (1988), 101 (129, 134). 245 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 240 ff., 557. 246 Vgl. die Nachweise bei Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 557 mit Fn. 18. 247 Treffend Bydlinski, Privatautonomie, S. 135: Es sei „ein erstaunlicher Wunderglaube“, wenn man meine, daß eine Regelung umso gerechter sein müsse, je mehr sie „hoheitlich“ gestaltet wurde bzw. daß das öffentliche Interesse umso besser gewahrt sei, je stärker eine behördliche Instanz kontrollierend, ordnend und genehmigend in den Rechtsverkehr eingeschaltet werde. Siehe dazu auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 432: Die Festlegung privater Beziehungen durch behördlichen oder richterlichen Gestaltungsakt sei mit dem Gedanken der Privatautonomie grundsätzlich unvereinbar. Anders aber Reuter, Freiheitsethik und Pri-

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interessen, nicht aber durch hoheitliche – also gesetzliche oder behördliche – Festlegungen kann überhaupt eine Tendenz zur „Richtigkeit“ des Vertrags entstehen. Im Vergleich zwischen hoheitlicher und privatautonomer Gestaltung durch Austauschvertrag ist letztere vorzugswürdig, „weil der Vertrag eine viel höhere Chance [hat], ein wenigstens von den Parteien als richtig angesehenes Ergebnis zustande zu bringen“. 248 Diese Ansicht hat sich auch das BVerfG durch die wiederholte Feststellung zu eigen gemacht, daß der auf der Grundlage der Privatautonomie aus Art. 2 Abs. 1 GG zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien in der Regel auf einen durch den Vertrag hergestellten sachgerechten Interessenausgleich schließen lasse, welchen der Staat grundsätzlich zu respektieren habe. 249 b) In einer auf dem Prinzip der Vertragsfreiheit aufbauenden Rechts- und Wirtschaftsordnung, der das Prinzip der Freiwilligkeit vertraglicher Bindung zugrunde liegt, kommt es deshalb entscheidend auf die Gewährleistung der Voraussetzungen bzw. der Rahmenbedingungen für ein „relatives Maximum an faktischer Entscheidungsfreiheit und Fairneß beim Vertragsschluß“250 an. Darum geht es bei dem Schutz vor Drohung, Täuschung und Irrtum im Rahmen der Rechtsgeschäftslehre ebenso wie bei den Regelungen zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Märkte und des Wettbewerbs.251 Die Privatautonomie und der Wettbewerb sind also komplementäre Institute.252 5. Keine generelle „Richtigkeitskontrolle“ von Vertragsinhalten durch das Recht a) Wenn das Recht Vertragsfreiheit und Wettbewerb gewährleistet, dann ist es damit grundsätzlich unvereinbar, die Ergebnisse einer generellen Richtigkeitsoder Gerechtigkeitskontrolle zu unterwerfen. Bei einer solchen „Ergebniskonvatrecht, S. 105 (107): Das Verständnis des Privatrechts als Verfassung gesellschaftlicher Freiheit müsse keine perfekte Lösung des Gerechtigkeitsproblems bereithalten. Es könne im Gegenteil sehr zweckmäßig sein, den Privatrechtsverkehr von der Verantwortung für Teilaspekte zu entlasten, indem man kompensierende staatliche Leistungs- und/oder Überwachungssysteme schaffe. Namentlich die Reaktion auf vorübergehende Ausnahmesituationen überlasse man besser dem öffentlichrechtlichen Maßnahmegesetz, als daß man privatrechtliche Institutionen tendenziell dauerhaft verändere. 248 Rittner, AcP 188 (1988), 101 (128 f.) mit der zutreffenden Feststellung, daß dies nur auf den ersten Blick ein bescheidenes Resultat ist, in Wahrheit aber zu den größten Leistungen gehört, die das Recht überhaupt vorweisen kann. Die privatautonome Rechtsgestaltung der einzelnen habe sich insgesamt, auch was das Ziel der Gerechtigkeit angehe, als leistungsfähiger erwiesen. 249 BVerfG NJW 2001, 957 (958); BVerfG NJW 1990, 1469 (1470). 250 Canaris, iustitia distributiva, S. 50. 251 Canaris, iustitia distributiva, ebd. (Fn. 250). 252 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 626 f.; Rittner, AcP 188 (1988), 101 (107); vgl. noch Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 114 ff., insbesondere S. 117; dens., Verständnis und Interpretation des Vertragsrechts, S. 87 (90).

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trolle“ handelte es sich geradezu um einen Selbstwiderspruch der Rechtsordnung und um eine Mißachtung der Vertragsfreiheit sowie um eine Verfälschung des Wettbewerbsprozesses.253 Wenn das wesentliche Kriterium in der Freiwilligkeit der vertraglichen Bindung liegt, dann „kann das Gerechtigkeitsurteil nicht primär von der Verwirklichung bestimmter Ziele und Inhalte durch den Vertrag abhängen“254 . Ein System, das auf Vertragsfreiheit, Marktwirtschaft und Wettbewerb beruht, wird statt dessen grundsätzlich mit den Mitteln „prozeduraler“ Gerechtigkeit verwirklicht. 255 Prägend für das deutsche Vertragsrecht ist – wenn man die aristotelischen Gerechtigkeitskategorien der iustitia commutativa und der iustitia distributiva zugrunde legt – die erstgenannte Kategorie, also die Austauschgerechtigkeit. 256 Der Hauptgrund dafür liegt in der Dominanz der Vertragsfreiheit.257 b) Ein auf den Prinzipien der Vertragsfreiheit und des Wettbewerbs aufbauendes Vertragsrecht hat demnach grundsätzlich Neutralität gegenüber deren Ergebnissen zu wahren. 258 Deshalb ist es konsequent, wenn die inhaltliche Kontrolle von Verträgen auf Extremfälle259 – wie beispielsweise ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung in § 138 Abs. 2 BGB bei Vorliegen der dort genannten weiteren, die Entscheidungsfreiheit eines Beteiligten wesentlich beeinträchtigenden Umstände – beschränkt wird. 260 Diese Vorschrift hat „Modellcharakter“ für eine „Materialisierung des Vertragsrechts“.261 Denn die generalisierende Regelung in § 138 Abs. 2 BGB zeigt sehr deutlich, daß es bestimmte „Defektlagen“ gibt, die eine Schutzwürdigkeit des 253

Treffend Canaris, iustitia distributiva, S. 55. Canaris, iustitia distributiva, S. 50. 255 Canaris, iustitia distributiva, S. 75; ders., AcP 200 (2000), 273 (283 ff.); zustimmend Fastrich, FS Canaris, Bd. II, S. 1071 (1075). 256 Canaris, iustitia distributiva, S. 75, 126. Zu den legitimationsbedürftigen Ausnahmen, in denen vertragsrechtliche Normen zur Verwirklichung distributiver Zwecke eingesetzt werden dürfen, vgl. a.a.O., S. 119, 128. Zu den Konsequenzen für die Auslegung und Fortbildung des positiven Rechts vgl. a.a.O., S. 121. 257 Canaris, iustitia distributiva, S. 126. 258 Canaris, iustitia distributiva, S. 56. 259 Für eine Beschränkung der Vertragskontrolle auf besonders grobe Fehler tritt Rittner, AcP 188 (1988), 101 (128) ein. Das objektive Recht sei viel zu grob, um die Gerechtigkeit auch nur im Durchschnitt einigermaßen zu treffen. 260 Vgl. dazu Canaris, iustitia distributiva, S. 52 mit Fn. 102 sowie S. 59. 261 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (280 f.): „Geradezu den Charakter eines Grundmodells scheint mir § 138 Abs. 2 BGB zu haben. Die Vorschrift baut nämlich auf drei Elementen auf, die zentral für nahezu jede Lösung sind, auch wenn sie diese nicht immer konstituieren. (. . .) So stimmig und überzeugungskräftig dieses auf der Kombination von Beeinträchtigung der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit, inhaltlicher Unausgewogenheit des Vertrags und Zurechenbarkeit aufbauende Modell in sich selbst ist, so eng ist doch andererseits seine tatbestandliche Ausformulierung in § 138 Abs. 2 BGB. Daher nimmt es nicht wunder, daß die Rechtsentwicklung in allen drei Punkten über die Voraussetzungen dieser Vorschrift hinausgegangen ist. Hier fi nden sich demgemäß in der Tat wichtige Ansätze zu einer ‚Materialisierung des Vertragsrechts‘ (. . .).“ 254

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sie aufweisenden Subjekts begründen können und auf deren Auftreten das Zivilrecht angemessen zu reagieren hat. Derartige gesetzlich normierte „strukturelle Ungleichgewichtslagen“262 indizieren – jedenfalls im Zusammenwirken verschiedener Umstände – das Fehlen selbstbestimmten Handelns und das Versagen des „Vertragsmechanismus“, so daß der Richter aufgerufen ist, in eine Einzelfallprüfung mit Bezug auf das Vorliegen selbstbestimmten Handelns und in eine Analyse „vertragsbezogener Schutzbedürftigkeit“ 263 einzutreten. Der Richter muß dabei lediglich ein „Mindestmaß an Selbstbestimmung“, nicht aber Vertragsparität schlechthin gewährleisten. 264 c) Weitergehende Eingriffe des Staates in die Abschluß- und die Inhaltsfreiheit, d. h. in das vertragliche Preisgefüge, sind ultima ratio. Sie haben vor allem dann zu erfolgen, wenn „der Wettbewerb nicht funktioniert“, 265 d. h. wo wegen monopolistischer266 oder oligopolistischer Marktstrukturen ein Abschleifen gegensätzlicher Interessen der Marktbeteiligten nicht stattfinden kann.267 Jenseits dieser Ausnahmefälle kann es nur um die Gewährleistung des im Wettbewerb erzielbaren Maßes an Selbstbestimmung gehen. 268 III. Schmidt-Rimplers Lehre von der Richtigkeitsgewähr des Vertrags 1. Einführung Daß es die Privatrechtssubjekte und nicht der Staat sind, welche die „Richtigkeit“ des Vertrags „gewährleisten“, ist eine fundamentalen Erkenntnis Walter 262 Der vom BVerfG verwendete Begriff geht zurück auf Limbach, JuS 1985, 10 und auf Reichs Buch mit dem Titel „Markt und Recht“ aus dem Jahr 1977, vgl. dazu und zur Kritik am Begriff Adomeit, NJW 1994, 2467 (2469). 263 So eine Formulierung von Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 80. 264 Auch das BVerfG (E 89, 214 [232]; NJW 1994, 2749 [2750]) geht in seiner Rechtsprechung davon aus, daß nicht bei jeder Gleichgewichtsstörung zwischen den Parteien der Vertragsinhalt in Frage gestellt werden dürfe, sondern nur, wenn es sich um eine typisierende Fallgestaltung handele, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lasse und in ihren Folgen für den Unterlegenen ungewöhnlich belastend sei. Die Frage, ob es sich dabei gegenüber der früheren Rspr. (BVerfGE 81,242 [255]) um einen „Paradigmenwechsel“ handelt – so Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 31 –, muß hier nicht entschieden werden. 265 Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 260, 263; dazu auch M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 92. Zum Schutz des Wettbewerbs als dem „besten Mittel“ zur Gewährleistung der Rahmenbedingungen für die Funktionsfähigkeit der Märkte Canaris, iustitia distributiva, S. 48. 266 Zur Monopolrechtsprechung des RG und des BGH vgl. M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 104 ff.; vgl. auch Rittner, AcP 188 (1988), 101 (107 f.). 267 Ein praktisches Beispiel dafür ist die frühere Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP), die nach Umwandlung in die Bundesnetzagentur (BNetzA) und nach der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes 2004 nun auch für die Kontrolle der Energiepreise zuständig ist. 268 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 110.

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Schmidt-Rimplers, dessen berühmter und vielkritisierter269 Aufsatz über die Grundfragen der Erneuerung des Vertragsrechts aus dem Jahr 1941270 leider nicht immer im zeitlichen Kontext gelesen und vielfach in seinen Kernaussagen bis heute fehlgedeutet wird. 271 Der zentrale, aber letztlich sehr unglücklich gewählte Ausdruck 272 von der Richtigkeitsgewähr – statt der wirklichkeitsnäheren, weil Ausnahmen zulassenden Ausdrücke Richtigkeitstendenz, Richtigkeitschance273 oder Richtigkeitswahrscheinlichkeit 274 – hat in inhaltlicher Hinsicht unnötiges kritisches Sperrfeuer provoziert. 275 Schmidt-Rimpler hat die Mißverständlichkeit des Ausdrucks später selbst zugestanden. 276 Das der Ab269 Vgl. Flume, BGB AT, S. 7 f. sowie die Polemik von Adomeit, NJW 1994, 2467 (2468 f.), wo es heißt, „Richtigkeit“ gewähre das Vertragsrecht keinem Vertragspartner, und der die These von der Richtigkeitsgewähr des Vertrages als „Unsinn“ abtut; kritisch zuletzt Neuner, JuS 2007, 881 (888), der Schmidt-Rimplers Lehre zum Vorwurf macht, daß die Vertragsfreiheit nur mehr eine untergeordnete Bedeutung erlange und daß die Vertragsfreiheit als eigenständiges, verfassungsrechtlich garantiertes Abwehrrecht gerade unter keinem generellen „Richtigkeitsvorbehalt“ stehe; vgl. zur Zurückweisung der Kritik an Schmidt-Rimpler den Beitrag von Rittner, in: Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, S. 261 (276 ff.). 270 AcP 147 (1941), S. 130 ff. 271 Eine erfreuliche Ausnahme bildet Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 109 ff. mit seiner ausführlichen Gegenüberstellung der Lehren von Schmidt-Rimpler und Flume. 272 Vgl. Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 126 f., der die fehlende Transparenz des Begriffsinhalts und das Fehlen einer eigenen rechtlichen Substanz rügt; siehe auch Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 110, der meint, Schmidt-Rimpler verantworte es selbst, häufig mißverstanden worden zu sein. 273 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 73 f.; Canaris, iustitia distributiva, S. 49. 274 Schmidt-Rimpler hat auf die terminologische Kritik von Raiser und M. Wolf in der Festschrift für Raiser (1974), S. 1 reagiert. Er spricht dort von einer Richtigkeitswahrscheinlichkeit des Vertrages (S. 12), was er allerdings für ein „abstoßendes Wort“ hält, sowie von der für jedes Rechtsinstitut unbedingt erforderlichen „Tendenz zur Gerechtigkeit“ (S. 8). Sachlich dürften zwischen den Termini „Tendenz zur Richtigkeit“, „Richtigkeitschance“ und „Richtigkeitswahrscheinlichkeit“ keine erheblichen Unterschiede liegen (a. A. aber Schmidt-Rimpler selbst, a.a.O., S. 12). Die alternativen Begriffsbestimmungen haben allerdings den Vorzug, auf die Begrenztheit der Richtigkeit deutlicher als der Ausdruck „Richtigkeitsgewähr“ hinzuweisen. Weiter betonen sie den auch von Schmidt-Rimpler herausgestellten (vgl. a.a.O., S. 21) Prozeßcharakter des Vertrages, also die prozeduralen Elemente, während SchmidtRimplers Terminologie eher auf ein bestimmtes Ergebnis zu verweisen scheint. Kritisch zum Begriff der „Richtigkeitswahrscheinlichkeit“ hat sich aber Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 10 geäußert, der meint, daß Schmidt-Rimpler damit eingeräumt habe, daß der Vertragsmechanismus nur sehr eingeschränkt funktioniere, so daß die Grundvoraussetzung der Theorie stark erschüttert sei. A.a.O., S. 40 stellt Singer zum Problem der Richtigkeit selbst fest, daß eine objektiv feststellbare Richtigkeit nicht verbürgt sei, sondern die subjektive Bewertung der Beteiligten über Angemessenheit und Richtigkeit entscheide. Diese zutreffende Einschätzung scheint mir mit den Thesen Schmidt-Rimplers ohne weiteres vereinbar zu sein. 275 Der Fragwürdigkeit dieser Kritik geht Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 111 ff., nach. 276 Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (11 f.).

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neigung der Nationalsozialisten gegenüber der liberalen Willensfreiheit geschuldete, angeblich nur aus taktischen Gründen 277 erfolgte Abstellen SchmidtRimplers auf den von ihm so genannten „Mechanismus des Vertragsschlusses“ – in scheinbarem Gegensatz zum Vertragsschluß als Ergebnis der Ausübung privatautonomer Gestaltungsmacht – 278 war gleichfalls dazu geeignet, Verwirrung zu stiften. Um das Konzept von der Richtigkeitsgewähr des Vertrags besser zu erfassen, ist es deshalb unabdingbar, den über dreißig Jahre später in der Festschrift für Raiser 279 veröffentlichten Beitrag desselben Autors ergänzend zu berücksichtigen, wenn man sich mit dieser Lehre auseinandersetzen will. 2. Schmidt-Rimpler, „Grundfragen der Erneuerung des Vertragsrechts“ (1941) a) Doch zunächst zu der erstgenannten Abhandlung aus dem Jahr 1941, der Schmidt-Rimpler einen ausschließlich rechtspolitischen, nicht etwa dogmatischen Charakter beimaß.280 Darin wird vom Verfasser zunächst die folgende Definition der Richtigkeit gegeben: „Unter Richtigkeit verstehe ich einerseits die ethisch bestimmte Gerechtigkeit im engeren Sinne, andererseits aber auch die von der Gemeinschaft aus gesehene Zweckmäßigkeit, also das, was erforderlich ist, um das Gemeinschaftsdasein und das Gemeinschaftsleben zu verwirklichen und in seiner konkreten Gestalt durchzuführen, einschließlich dessen, was notwendig ist, um bestimmte konkrete Gemeinschaftszwecke zu erreichen.“281 Unter den von ihm ermittelten Richtigkeitsprinzipien nehmen die Rechtssicherheit – einschließlich der Rechtsklarheit – und die Verkehrssicherheit einen besonderen Platz ein. 282 Das „rechtspolitische Problem“ des Rechtsgeschäfts, insbesondere des Vertrags, wird als „Ordnungsproblem“ qualifiziert. 283 Die zentrale Frage gehe dahin, inwieweit eine Gemeinschaftsordnung – das Richtigkeitsprinzip vorausgesetzt – dadurch herbeigeführt werden könne, „daß den Volksgenossen die Gestaltung ihrer Beziehungen zueinander in eigener Verantwortung überlassen wird“284 , wobei das „Wollen der Rechtsfolge“ 285 als „Grundproblem“ der Regelung des Rechtsgeschäfts und des Vertrags angesehen wird. Der Vertrag sei „ein Mechanismus, um ohne hoheitliche Gestaltung 277 Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (9); Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 124. 278 Vgl. auch Biedenkopf, Vertragliche Wettbewerbsbeschränkung und Wirtschaftsverfassung, S. 108, der im Anschluß an Schmidt-Rimplers Thesen die Funktion des Vertrages als eines Mechanismus zur Regelung der menschlichen Beziehungen ohne hoheitlichen Eingriff für „die einzig mögliche Begründung des Vertrages als einer Institution des Rechtes“ erachtet. 279 A.a.O. (Fn. 274). 280 So ausdrücklich a.a.O. (Fn. 148), S. 130. 281 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130 (132 f.). 282 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130 (133). 283 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130 (138). 284 Schmidt-Rimpler, ebd. (Fn. 283). 285 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130 (145, 149, 150 f.).

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in begrenztem Rahmen eine richtige Regelung auch gegen unrichtigen Willen herbeizuführen“286 . Im Vertrag ordne nicht der Vertragschließende, sondern „der Gesetzgeber durch die Vertragschließenden in ihrer Verbindung im Vertragsmechanismus“; oder anders ausgedrückt: „die Parteien regeln das Verhältnis, der Gesetzgeber ordnet es durch ihre Einsetzung im Vertragsmechanismus“. 287 Canaris hat diese Lehre als „die wohl nach wie vor wirkungsmächtigste Theorie zum Verständnis der Vertragsgerechtigkeit“ in prozeduraler Hinsicht gewürdigt. 288 b) Eine wichtige Einschränkung der Reichweite dieser Lehre wird leider häufig übersehen. Schmidt-Rimpler hat nämlich selbst schon damals die Richtigkeitsgewähr des Vertrags als „eine sehr begrenzte“ bezeichnet 289 und für die Fälle ihres Fehlens auf „kein anderes Mittel als das hoheitlicher Gestaltung“290 verwiesen. Für ihn war „auch das Vertragsprinzip Ausdruck der ewigen rechtlichen Tragik, daß menschliche Ordnung nicht schlechthin richtig sein kann“. 291 Schmidt-Rimpler hat also schon im Jahr 1941 und nicht erst 1974 ausdrücklich zugestanden, daß die Funktionsvoraussetzungen des Vertragsmechanismus typischerweise oder auch im Einzelfall fehlen können bzw. daß der Mechanismus versagen kann.292 Dann sei der Vertrag überhaupt kein geeignetes Mittel zur Ordnung der Lebensverhältnisse.293 Einer der von ihm für den Einzelfall und jenseits der „persönlichen Wertungsunfähigkeit“, d. h. Geschäftsunfähigkeit, herausgearbeiteten Ausnahmetopoi ist der der „fehlenden Voraussetzungen des Mechanismus“. 294 Danach fehlt es an der Richtigkeitsgewähr erstens, wenn die Entscheidung infolge Drohung oder Notlage „unfrei“ war, zweitens, wenn die Wertungsfähigkeit z. B. wegen Mangels an Sachkenntnis, geistiger Schwäche oder Unerfahrenheit in concreto beschränkt war sowie drittens, wenn die Wer286 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130 (156). Verf. verteidigt sich gegen eine von ihm offenbar erwartete Mißbilligung seitens der nationalsozialistischen Rechtslehre mit der zeitbedingten zusätzlichen Bemerkung, diese „einzig mögliche Begründung des Vertrages [sei] alles andere als liberal oder liberalistisch“. A.a.O., S. 159 wird der Begriff der Privatautonomie gar als „unzutreffend“ bezeichnet, Vertrag und Rechtsgeschäft werden die Eigenschaft als Rechtsquellen abgesprochen. A.a.O., S. 170 betont Verf. nochmals, „[w]ie unrichtig es ist, die hier vertretenen [Richtigkeitsgründe für das Rechtsgeschäft] als liberalistisch und individualistisch abzulehnen“. 287 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130 (163). 288 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (284 ff.). 289 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130 (165); vgl. auch Rittner, AcP 188 (1988), 101 (123 f.) 290 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130 (165); siehe auch a.a.O., S. 159 („hoheitliche Gestaltung durch Gericht oder Verwaltungsstelle“). 291 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130 (167). 292 Typische Fälle sowie Einzelfälle, in denen der Vertrag kein geeignetes Ordnungsmittel darstellen soll und deshalb durch hoheitliche Gestaltung ersetzt werden müsse, benennt Schmidt-Rimpler in einer umfangreichen Liste, vgl. AcP 147 (1941), S. 130 (157 f. mit Fn. 34). 293 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130 (157). 294 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130 (157 f. mit Fn. 34).

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tung wegen Motivirrtums oder Täuschung über die Wertungsgrundlagen auf falschen Grundlagen beruhte. 295 c) Die genannten Ausnahmetatbestände sind weitreichend. Es fällt auf, daß die Einzelfälle, in denen Schmidt-Rimpler die Richtigkeitsgewähr ausdrücklich verneint, in weitem Umfang mit den Konstellationen übereinstimmen, in denen hier vom Fehlen oder zumindest einer rechtserheblichen Beschränkung der Selbstbestimmung ausgegangen wird. Ausgehend von diesen Annahmen bedeutet das im vorliegenden Zusammenhang, daß eine generelle Zuweisung des „Sprachrisikos“ an eine natürliche Person, der die Selbstbestimmung fehlte oder deren Selbstbestimmung erheblich eingeschränkt war, nicht pauschal mit dem Argument gerechtfertigt werden kann, Vertrag sei Vertrag, auch dann sei der abgeschlossene Vertrag noch „richtig“ im Sinne Schmidt-Rimplers. Die „Richtigkeitsgewähr“ des Vertrags schließt zwar den Abschluß ungünstiger Verträge mit ein, 296 nicht aber solche, die auf den oben genannten schwerwiegenden „Defektlagen“ beruhen, welche die erforderliche Selbstbestimmung nur als „leere Hülse“ erscheinen lassen. 297 3. Schmidt-Rimpler, „Zum Vertragsproblem“ (1974) a) Dreiunddreißig Jahre nach seiner bedeutenden – wenngleich nach wie vor umstrittenen – Abhandlung bezog Schmidt-Rimpler 1974 erneut zum „Vertragsproblem“ Stellung. Nun wiederholte er seine wesentlichen Thesen aus dem Jahr 1941 in Auseinandersetzung mit der Gegenauffassung Raisers, der die Richtigkeitsgewähr des Vertrags grundsätzlich in Frage gestellt hatte: Durch den vertraglichen „Mechanismus“298 sei eine Richtigkeitsgewähr des Vertrags 295 Schmidt-Rimpler, ebd. (Fn. 294) bei 6 a.; zu der fehlenden „Richtigkeit“ des Vertrages im Irrtumsfall vgl. auch Bydlinski, Privatautonomie, S. 144: Das gegensätzliche Interesse der Vertragspartner könne hier keinerlei Kontrollfunktion ausüben, da ja der Vertragsinhalt ohne den Willen eines der Beteiligten festgelegt sei. Von einer wechselseitigen Abschleifung der Interessen im Vertragsschluß könne hier keine Rede sein. 296 Siehe dazu Flume, BGB AT, § 14 4 d (S. 326): „Ein ‚törichter‘ oder ‚ungerechter‘ Vertrag ist nicht durch die ergänzende Auslegung zu einem ‚vernünftigen‘ oder ‚gerechten‘ zu machen. Denn für die rechtliche Entscheidung gibt es keine ‚törichten‘ oder ‚vernünftigen‘ und nicht ‚ungerechte‘ oder ‚gerechte‘ Verträge.“; ebenso Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 41: „Unvernünftige, leichtsinnige oder gar selbstgefährdende Entschlüsse stellen deshalb die Vertragsgerechtigkeit nicht grundsätzlich in Frage.“ 297 Vgl. auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 43: Vollkommene Chancengleichheit und Entscheidungsfreiheit müsse ein Vertragsrecht auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten nicht gewährleisten. Der Primat der Vertragsfreiheit werde nur bei gravierenden Störungen des Interessenausgleichs in Frage gestellt. 298 Es ist bemerkenswert und überrascht zunächst, daß Schmidt-Rimpler den Mechanismus-Begriff in seinem Festschriftbeitrag von 1974 beibehalten hat. In der Abhandlung von 1941 war dieser den Vertrag scheinbar gerade nicht als Ergebnis privatautonomer Gestaltungsmacht beschreibende Ausdruck von ihm gewählt worden, weil unter der Herrschaft des Nationalsozialismus die liberalistische These, daß Richtigkeit durch privatautonome Vertragsgestaltung gewährleistet werde, nicht durchsetzbar war. Um „den Vertrag vor dem Zu-

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gegeben, und zwar ohne hoheitlichen Eingriff und unter Wahrung der Initiative und der persönlichen berechtigten Interessen der Vertragspartner. 299 Hinsichtlich dieser Richtigkeitsgewähr will Schmidt-Rimpler nun eine positive und eine negative Form unterscheiden. Die positive Richtigkeitsgewähr gehe dahin, daß der Vertrag, wenn er richtig zustande komme, richtig sei, die negative dahin, daß ein Antrag auf Abschluß eines unrichtigen Vertrags abgelehnt werden würde, so daß unrichtige Verträge verhindert würden. Das Gesetz gebe selbst bei grober Unrichtigkeit – d. h. in den Fällen der §§ 134, 138 BGB – nur eine negative Richtigkeitsgewähr, indem es das Geschäft jeweils für nichtig erkläre. Freilich habe die Rechtsprechung über § 242 BGB Berichtigungen vorgenommen und insofern eine hoheitliche positive Richtigkeitsgewähr geboten.300 Diese Richtigkeitsgewähr trete nur unter bestimmten Voraussetzungen und in bestimmten Grenzen ein, aber nicht schlechthin.301 Trotz der Begrenztheit dieser Richtigkeitsgewähr des Vertrags sei diese Regelungsform der hoheitlichen gegenüber vorzuziehen, weil diese wegen der Unmöglichkeit der Berücksichtigung aller individuellen Interessen eine schwächere sei.302 Die „Richtigkeit des Vertragssystems“ begründet Schmidt-Rimpler damit, „daß der Vertrag eine Richtigkeit wenigstens in Grenzen mit gewisser Wahrscheinlichkeit bietet“, so daß er die für jedes Rechtsinstitut unbedingt erforderliche „Tendenz zur Gerechtigkeit“ feststellen kann.303 Bei typischer Machtungleichheit will SchmidtRimpler den Vertrag als „richtiges Ordnungsmittel“ ablehnen; hierfür fordert er eine „hoheitliche Modifizierung des Vertrages oder der Machtlage“, was er am Beispiel des Arbeits- und des Mietrechts, des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und der monopolistischen Herrschaft erläutert. 304 Der Machtausgleich gelinge nur, wenn ein „gewisses Gleichgewicht der Kräfte gewährleistet“ sei.305 Der Machtunterschied müsse aber „eine ziemlich hohe Stärke haben, um den Vertragsmechanismus zerstören zu können“.306 griff des autoritären Staates zu bewahren“ mußte Schmidt-Rimpler also die These von der Richtigkeitsgewähr auf „den Vertragsmechanismus“ stützen, da der Nationalsozialismus der „der freien Entwicklung der Persönlichkeit (. . .) nicht gerade freundlich gewogen war“, siehe Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (9). Befreit von derartigen historischen Zwängen läßt sich der „Mechanismus“ heute ohne weiteres als ein Prozeß deuten, durch den gegensätzliche Interessen der Kontrahenten abgeschliffen werden. Das setzt die Annahme privatautonomen Handelns und damit ein „liberales“ Verständnis des Vertrages jedoch voraus. 299 Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (5 f.). 300 Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (6). 301 Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (6 f.). 302 Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (8). 303 Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (8, 16). 304 Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (13); vgl. dazu – am Beispiel der AVB von Versicherungsunternehmen – Dreher, Versicherung als Rechtsprodukt, S. 98 ff., 213 ff., 238 ff., 317 und öfter. 305 Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (14). 306 Schmidt-Rimpler, ebd. (Fn. 305). Der Macht der Anbieter stellt er die Macht der Abnehmer gegenüber, die etwa durch den Ausbau der Verbraucherorganisationen, publizistische

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b) Schmidt-Rimpler wie Raiser halten wegen des Wertes des Vertrags als Element des Freiheitsschutzes bzw. als Ordnungsprinzip gewisse Unebenheiten, Widersprüche und weniger schwerwiegende Unrichtigkeiten für hinnehmbar, solange nicht die Grundanforderungen der Gerechtigkeit verletzt werden.307 Ungeachtet der Differenzen wird die Verwandtschaft zwischen der Lehre von der Richtigkeitsgewähr Schmidt-Rimplers und der Selbstbestimmungslehre von Raiser deutlich.308 Der kleinste gemeinsame Nenner liegt wohl in der von Schmidt-Rimpler wiedergegebenen 309 Äußerung Raisers, von einer Richtigkeitsgewähr könne allenfalls „insofern gesprochen werden, als es unserem Gerechtigkeitsvorstellungen entspricht, daß der Vertrag als Rechtsinstitut besteht, d. h. daß den Rechtsgenossen Freiheit zur selbstverantwortlichen Gestaltung ihrer Beziehungen eingeräumt wird“.310 Der richtigen Bemerkung SchmidtRimplers über den – angeblich übersehenen – „Prozeßcharakter des Vertrages“311 wird auch von den Vertretern der Selbstbestimmungslehre zugestimmt.312 Schließlich gehen beide Autoren darin konform, daß es im Falle des Versagens des Vertragsmechanismus’ gestaltender hoheitlicher Eingriffe bedarf.313 Die versöhnliche Abschlußbemerkung Schmidt-Rimplers, daß die sich in der Frage der Richtigkeitsgewähr des Vertrags widersprechenden Auffassungen beider Autoren stärker berührten, als es zunächst den Anschein habe,314 trifft daher in Aufklärung, Zusammenschlüsse der Verbraucher, Käuferstreiks und dergleichen durchaus wirksam werden könne. Das setze freilich einen einigermaßen funktionsfähigen Wettbewerb voraus, aber keineswegs die sog. vollständige Konkurrenz. Daran fehle es vielfach, weshalb hoheitlich auf ihn – d. h. auf einen funktionsfähigen Wettbewerb – hingewirkt werden müsse. 307 Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (23). 308 Zutreffend Bydlinski, Privatautonomie (Fn. 128), S. 106 f. 309 Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (17). 310 Raiser, Vertragsfunktion und Vertragsfreiheit, S. 101 (119). Allerdings übt SchmidtRimpler, FS Raiser, S. 1 (19 ff.) eine hier nicht gebilligte, sondern als rabulistisch empfundene Grundsatzkritik am Begriff der Selbstbestimmung: Man müsse sich fragen, ob Selbstbestimmung, wie sie als besonders hoher Wert in der Freiheit der Persönlichkeit auch durch das Grundgesetz zum staatlichen Fundament gemacht worden sei, beim Vertrag überhaupt vorliege – wegen der „Einwirkung anderer“, d. h. wegen der Erforderlichkeit der Zustimmung des Vertragspartners (a.a.O., S. 19). Ein Verhältnis zwischen zwei Rechtsgenossen werde nicht vom Einzelnen nach seinem Willen, sondern von den Vertragspartnern nach ihrem gemeinschaftlichen Willen bestimmt, sei also nicht nur selbstbestimmt, sondern auch fremdbestimmt (a.a.O., S. 20). 311 Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (21). 312 So ausdrücklich M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 69: SchmidtRimplers Verdienst liege darin, daß er den Funktionszusammenhang zwischen dem vertraglichen Einigungsprozeß und dem vertraglichen Interessenausgleich deutlich gemacht und die Eignung des vertraglichen Einigungsprozesses für diese Aufgabe nachgewiesen habe. Zum prozeduralen Grundcharakter der insoweit betroffenen iustitia commutativa als besonderer Erscheinungsform der Verfahrensgerechtigkeit vgl. Canaris, iustitia distributiva, S. 46 ff., 50 f. 313 Ausführlich dazu Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (25 f.). 314 Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (26).

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der Sache zu. Für die nachfolgenden Ausführungen kann daher die wichtige und befriedigende Erkenntnis zugrundegelegt werden, daß zwischen der Selbstbestimmungslehre und der Lehre von der Richtigkeitsgewähr keine solchermaßen fundamentalen inhaltlichen Unterschiede bestehen, daß eine Entscheidung für die eine und gegen die andere Ansicht erforderlich wäre. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, daß Schmidt-Rimpler selbst der unrichtigen Auffassung war, der Gedanke der Selbstbestimmung des Einzelnen könne niemals als solcher ein Prinzip einer Rechtsordnung sein, da dieses Prinzip zur Herrschaft der Willkür führen würde.315 4. Stellungnahme a) Schmidt-Rimplers Thesen zur Richtigkeitsgewähr des Vertrags waren und sind wie gesagt bis heute umstritten. Dabei scheint – wie eingangs angedeutet – die Kritik am Begriff der Richtigkeitsgewähr stärker zu sein als jene an den verschiedenen Anliegen, die sich hinter dieser Lehre verbergen.316 In der Sache geht es Schmidt-Rimpler um eine möglichst weitgehende Verwirklichung eines gerechten Interessenausgleichs317 zwischen Privatrechtssubjekten und zugleich um die Zurückdrängung hoheitlicher Eingriffe in diesem Bereich. Heute steht fest, daß es auf eine – wie auch immer zu ermittelnde – inhaltliche „Richtigkeit“ des Vertrags grundsätzlich nicht ankommen kann.318 Die problematische Frage nach dem „gerechten Preis“ eines Gutes wird nicht mehr gestellt, weil man für sie keine Antwort finden kann.319 Gemäß dem subjektiven Äquivalenzprinzip wird von der Rechtsordnung grundsätzlich diejenige Gegenleistung als ange315

Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 1 (22). – Nach Rittner, in: Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler, S. 261 (278) gründet Schmidt-Rimplers Vertragslehre „nämlich – in erklärtem Gegensatz zu den Verfechtern der bloßen Privatautonomie – primär nicht auf dem Gedanken der Freiheit und der Willkür des Einzelnen, sondern auf dem Gerechtigkeitsgedanken“. 316 Der Lehre Schmidt-Rimplers zustimmend Bydlinski, Privatautonomie, S. 62 ff. A.a.O., S. 62 stellt Verf. dazu fest, daß der gedankliche Gehalt von Schmidt-Rimplers „dogmatisch exakt ausgearbeiteter Vertragstheorie“ ihm für den Zweck einer einheitlichen Erfassung der rechtsgeschäftlichen Grundlagen „noch längst nicht ausreichend ausgeschöpft“ zu sein scheine. Zwar ist dem Urteil, diese Vertragstheorie sei dogmatisch exakt ausgearbeitet, nicht zuzustimmen, denn es handelte sich bei dem Beitrag von 1941 um eine Abhandlung rechtspolitischer, nicht dogmatischer Natur, wie Schmidt-Rimpler selbst a.a.O., S. 1 eingangs feststellt; außerdem sollten die Einzelfragen in einer weiteren Anhandlung ausgearbeitet werden, die aber nie erschienen ist. Gleichwohl sind die in dem Beitrag von 1941 formulierten grundlegenden Erkenntnisse bedauerlicherweise bis heute nicht zu einem geschlossenen, bruchlosen System von „Richtigkeitsprinzipien“ ausgearbeitet worden, so daß Bydlinskis 1967 formulierter Befund wohl im Ergebnis auch heute noch richtig ist. 317 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 74. 318 Vgl. Canaris, iustitia distributiva, S. 46, 55 f.; Brox, JZ 1966, 761 (762). 319 Treffend Canaris, AcP 200 (2000), 273 (286): „Daß man sich jahrhundertelang mit dem Problem des iustum pretium abgeplagt hat, ohne seiner Lösung auch nur im geringsten näher zu kommen, spricht (. . .) eine beredte Sprache.“

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messen anerkannt, die die Parteien als solche vereinbart haben.320 Die Vertragparteien genießen daher ganz erhebliche Gestaltungsspielräume hinsichtlich des Inhalts der von ihnen abgeschlossenen Verträge. Das impliziert die Möglichkeit vorteilhafter bzw. nachteiliger und rechtlich verbindlicher Vertragsinhalte für eine Partei in den Grenzen des vom Gesetzgeber u. a. durch §§ 104 f., 119, 123, 138 Abs. 1 und Abs. 2 BGB vorgegebenen Rahmens. b) Wenn die Kritiker Schmidt-Rimplers statt von einer Richtigkeitsgewähr lieber von einer Richtigkeitschance, Richtigkeitstendenz oder – so ein Vorschlag von Schmidt-Rimpler 321 selbst – Richtigkeitswahrscheinlichkeit sprechen wollen, ist ihnen beizupflichten. Dadurch wird nämlich die Begrenztheit der Schaffung von „richtigen“ Vertragsinhalten zutreffend hervorgehoben. Eine Überprüfung des Inhalts eines einzelnen Vertrags nach vorgeblich „objektiven Richtigkeitskriterien“ scheidet aus, weil eine derartige Kontrolle mit unseren Vorstellungen von einer selbstverantwortlichen Person als unvereinbare Bevormundung angesehen werden würde.322 Der Gedanke einer Richtigkeitsgewähr durch den „Vertragsmechanismus“ des Aushandelns ist vielmehr prozeduraler Natur.323 Man hat der These von der Richtigkeitsgewähr des Vertrags allerdings vorgeworfen, daß eine ihrer Schwächen darin liege, daß in einer modernen Marktwirtschaft nur ein kleiner Bruchteil der Verträge wirklich ausgehandelt werde, während die meisten zu standardisierte Bedingungen, d. h. zu Marktpreisen und Marktkonditionen, abgeschlossen würden. Eine Konzeption von Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit 324 , für die die Möglichkeit zu einem Aushandeln des Vertrags eine notwendige Voraussetzung darstelle, sei daher „nichts anderes als eine ridiküle Chimäre, die für einen Basar passen mag, nicht aber für eine moderne Markt- und Wettbewerbswirtschaft“.325 Das spricht indessen nicht gegen die Lehre Schmidt-Rimplers, denn in einer liberalen Wirtschaftsordnung sind Vertrag und Wettbewerb komplementäre Institute.326 Es muß nicht zu einem Aushandeln zwischen den konkreten Vertragsparteien „wie 320

Vgl. Canaris, ebd. (Fn. 318); ders., AcP 200 (2000), 273 (286) ergänzt, daß es den Grundprinzipien einer pluralistischen und „offenen“ Gesellschaft entspreche, dem Bürger von Staats wegen möglichst wenige inhaltliche Vorgaben zu machen und sich weitgehend auf die Gewährleistung von Regeln für ein faires Verfahren im Umgang miteinander zu beschränken. 321 In: FS Raiser, S. 1 (12). 322 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1947), S. 130 (165 ff.); M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 68 m. w. N.; Brox, JZ 1966, 761 (762). 323 Canaris, iustitia distributiva, S. 51; siehe auch dens., AcP 200 (2000), 273 (285 f.): Die Problematik der Vertragsgerechtigkeit lasse sich nicht allein mit prozeduralen Mitteln bewältigen, sondern es bedürfe hierzu des vertragsergänzenden dispositiven Rechts. Gleichwohl habe die Vertragsfreiheit in ihrer formalen Erscheinungsform einen hohen Gerechtigkeitsgehalt. Man solle grundsätzlich von einem Primat der formalen Vertragsfreiheit gegenüber der materialen Vertragsgerechtigkeit ausgehen. 324 Zur Offenheit dieses Begriffs vgl. die ironischen Bemerkungen von Canaris, iustitia distributiva, S. 123. 325 Canaris, iustitia distributiva, S. 49 f. 326 Rittner, AcP 188 (1988), 101 (107) spricht von einem „unmittelbaren und untrennbaren,

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auf einem Basar“ kommen, um die Richtigkeitschance des Vertrags bejahen zu können, wenn bereits der Wettbewerb dafür sorgt, daß der Nachfrager – der „aufgeklärte Durchschnittsverbraucher“ – unter verschiedenen Angeboten mit unterschiedlichen Preisen wählen kann. c) Das kontrollbedürftige Versagen von Richtigkeitsgewähr darf weiter nicht mit dem Bestehen einer wie auch immer konturierten Ungleichgewichtslage gleichgesetzt werden.327 Der Gedanke der Richtigkeitsgewähr bildet vielmehr die Grundlage auch für einen Vertrag zwischen ungleichen Vertragspartnern.328 Die Richtigkeitsgewähr des Vertrags vermindert sich nicht entsprechend dem Maß des Ungleichgewichts.329 Für die aus der Sachproblematik herrührende angebliche „Kontrollhektik“ darf man nicht die Lehre von der Richtigkeitsgewähr als „Sündenbock“ verantwortlich machen; erst recht kann keine Rede davon sein, daß durch diese Lehre die Privatautonomie „teilweise geradezu im Kern bedroht“ sei.330 Dies gilt vielmehr umgekehrt für die Forderung nach einer Parität zwischen den jeweiligen Kontrahenten. e) Wenn von einem selbstbestimmten Handeln eines Rechtssubjekts schlechthin nicht mehr gesprochen werden kann, kann es nicht mit der Feststellung einer beiderseitigen Bindung an den Vertrag sein bewenden haben, sondern es muß nach einem rechtlichen Ausweg aus dem „Vertragsdilemma“ gesucht werden. Eine Prüfung mit dem Ziel zu ermitteln, ob die Selbstbestimmung eines Vertragsteils in concreto fehlte oder eingeschränkt war, ist möglich und erforderlich,331 weil die „Möglichkeit zur Selbstbestimmung“ eine zentrale Voraussetzung für die „Zurechenbarkeit“ rechtsgeschäftlichen Handelns ist.332 Wenn der einzelne das Rechtsgeschäft nicht in Selbstbestimmung vollzieht, sondern sich fremder Gewalt beugt, stellt sich das Problem der Fehlerhaftigkeit des Rechtsgeschäfts wegen dieses Mangels an Selbstbestimmung. Dieses Problem ist nach den einschlägigen Normen des Privatrechts, insbesondere gemäß den §§ 119, 123 und 138 BGB, zu lösen.333 Die Sicherung der Freiwilligkeit des Vertragsschlusses ist eine zentrale Aufgabe der Vertragsrechtsordnung.334 Daraus resultiert sowohl ein Sanktionsbedürfnis bei Drohung, Täuschung und der Ausnutzung von Zwangslagen als auch die Beachtlichkeit von Irrtümern des um nicht zu sagen ontologischen Zusammenhang“ zwischen Austauschvertrag und Wettbewerb. 327 Vgl. Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 220 f. 328 Näher dazu Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45 (57). 329 Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45 (57); vgl. auch – treffend ironisch – Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 20: „Ganz grob gesagt: Um wie viel soll jemand relativ reicher sein müssen, um die eigene relative Dummheit auszugleichen?“ 330 So aber Canaris, iustitia distributiva, S. 49 f. 331 Vgl. Larenz, Richtiges Recht, S. 79. 332 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 82. 333 Flume, BGB AT, S. 20; siehe auch Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45 (68). 334 Canaris, iustitia distributiva, S. 47.

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Erklärenden. Ein Rechtsgeschäft ist jedenfalls insoweit auf seine „Richtigkeit“ hin überprüfbar, als es um die Voraussetzungen für das Funktionieren des „Vertragsmechanismus“ zwischen den Parteien geht, nämlich das Vorliegen von selbstbestimmtem Handeln als solchem. Diese Frage ist jener so umstrittenen Fragestellung nach der Überprüfbarkeit der „subjektiven Äquivalenz“, des „gerechten Preises“ vorgelagert und wohl nicht geeignet, vergleichbare Kontroversen hervorzurufen. Das BVerfG 335 hat dafür mit seiner Rechtsprechung zu Bürgschaften von Familienmitgliedern einleuchtende Paradigmata geliefert.336 Verfassungsrechtliche Vorgaben wie der Schutzpflichtgedanke337 können über eine grundrechtskonforme Interpretation zivilrechtlicher Generalklauseln wie § 138 Abs. 1 BGB in die geltende Privatrechtsordnung inkorporiert werden, wenn und soweit die Defizite in der Entscheidungsfreiheit nicht schon ohnehin im Wege der Auslegung der jeweiligen Vorschrift des einfachen Rechts Beachtung finden können.338 Die These von der Überprüfbarkeit des Vorliegens bzw. 335

BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, 36; BVerfG NJW 1994, 2749. Die dort genannten Gründe für eine fehlende Selbstbestimmung – geringes Lebensalter, Fehlen einer qualifizierten Berufsausbildung, Fehlen von Lebenserfahrung, fehlende Erfahrung in Geldgeschäften und die aus diesen Umständen resultierende Undurchschaubarkeit des übernommenen Risikos, gepaart mit auf familiärer Bande beruhendem Druck zur Unterschriftsleistung – werden typischerweise zu einem Versagen des „Vertragsmechanismus“ führen und „unrichtige“ Ergebnisse zur Folge haben. Siehe dazu auch Canaris, AcP 200 (2000), 273 (296), der seine positive Bewertung der Aussage dieser Rechtsprechung des BVerfG – „ebenso zentral wie zutreffend“ – auf die Feststellung des BVerfG bezieht, daß eine Verkennung der grundrechtlich gewährleisteten Privatautonomie darin gelegen habe, daß der BGH die Frage, ob und inwieweit beide Vertragspartner über den Abschluß und den Inhalt des Vertrages tatsächlich frei entscheiden konnten, nicht gestellt hatte. Dem BVerfG gehe es um ein materiales Verständnis der Privatautonomie im Sinne tatsächlicher Entscheidungsfreiheit. Der Ansatz von BVerfGE 89, 214 (231) sei „in keiner Weise revolutionär, ja nicht einmal besonders neuartig“, da er sich in das Modell von § 138 Abs. 2 BGB einfüge. 337 Siehe dazu Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 60 m. w. N. am Beispiel der Parabolantennenentscheidung BVerfGE 90, 27 (der eine Vielzahl an Kammerentscheidungen zu der gleichen Frage nachgefolgt ist); ders., iustitia distributiva, S. 119 f., 127; a. A. Zöllner, AcP 196 (1996), 1 (36), demzufolge die Grundrechte im Vertragsrecht keine Schutzgebotsfunktion entfalten und nicht gegen die „konsentierte Selbstschädigung“ instrumentiert werden können. Wenn Zöllner meint, im Vertragsgeschehen gehe es entgegen der Auffassung des BVerfG nicht um die Herstellung von Grundrechtskonkordanz, sondern um die Validität des Grundrechtsverzichts des durch den Vertrag möglicherweise benachteiligten Partners, verkennt er die Bedeutung des Schutzpflichtgebots, das genau bei solchen „Verzichtslagen“ eingreift. Jedenfalls hat das vom BVerfG entwickelte Schutzpflichtgebot nicht den Zweck, eine Handhabe für die Aushebelung der Bindung an Verträge zu bieten – mit dem gleichen Recht könnte man diesen Vorwurf gegen die Vorschrift des § 138 BGB richten. Ablehnend zur Schutzpflichttheorie des BVerfG hat sich aber auch Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 31 ff., geäußert, der dieser Rechtsprechung zum Vorwurf macht, dahinter stehe eine nach außen nicht erkennbare Regelungsidee, die durch eine Reihe schwer rationalisierbarer Begriffe (scil. typisierende Fallgestaltung, strukturelle Unterlegenheit eines Vertragsteils, ungewöhnliche Belastung für den Unterlegenen) für Dritte verborgen bleibe. Wie § 138 Abs. 2 BGB deutlich macht, sind Vorwürfe dieser Art kaum berechtigt (vgl. die vorige Fußnote). 338 Vgl. am Beispiel des wucherähnlichen Geschäfts BGHZ 98, 174 (178) mit dem Erfor336

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Fehlens selbstbestimmten Handelns ist allerdings von grundsätzlicher Natur und deshalb nicht auf die umstrittenen Bürgschaftsfälle beschränkt. Gerade die im folgenden zu erörternden „Sprachrisiko“-Konstellationen geben Anlaß zur Untersuchung, ob selbstbestimmtes Handeln vorlag. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht sollte man den Topos des Fehlens von Selbstbestimmung nicht allein auf das zu enge Element des Zwangs reduzieren.339 IV. „Neue“ Rechtsprinzipien 1. Der Informationsgrundsatz a) Inhalt und Reichweite aa) Das System des geltenden Privatrechts ist – wie zu Beginn hervorgehoben – ein offenes System. Es erweist sich damit der Weiterentwicklung fähig, was die Möglichkeit der Entwicklung neuer allgemeiner Rechtsprinzipien ausdrücklich einschließt.340 Der Frage nach der Anerkennung einzelner neuer Rechtsprinzipien soll im folgenden – in der gebotenen Kürze – nachgegangen werden. Die Bemühungen der Rechtswissenschaft im nationalen wie im europäischen Vertragsrecht um „den Verbraucherschutz“341 und die vielfältigen Arten von „Unterlegenheit“, die auf seiten eines Kontrahenten auftreten können, haben in neuerer Zeit – das ist trotz aller Grundsatzkritik an einem typisierten Verbraucherschutz anzumerken – in bezug auf die hier thematisierten Rechtsprinzipien einige diskussionswürdige Ergebnisse erbracht, wie beispielsweise die Anerkennung des Transparenzgrundsatzes innerhalb der Verbraucherschutzdoktrin.342 dernis, daß der andere Teil „sich auf den objektiv belastenden Vertrag nur wegen seiner wirtschaftlich schwächeren Lage, Rechtsunkundigkeit und Geschäftsungewandtheit eingelassen haben muß“. Daß es hier um Defizite der Entscheidungsfreiheit ging, bemerkt zutreffend Canaris, iustitia distributiva, S. 52 mit Fn. 102. 339 So aber Zöllner, AcP 196 (1996), 1 (32): Die Selbstbestimmung im Sinn des Privatrechts sei erst dann berührt, wenn die Entscheidungsfreiheit in der Weise eingeschränkt sei oder ganz fehle, daß ein Vertragspartner einem Zwang unterliege, den Vertragsantrag des anderen anzunehmen. Verf. sieht den Zwang aber selbst nicht als allein entscheidend an, wenn er a.a.O., S. 33 formuliert, daß man die Angewiesenheit auf den Vertragsschluß nicht mit Unausweichlichkeit gleichsetzen dürfe. 340 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 70 f. 341 Siehe dazu Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 220 ff., 572 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, passim; Dreher, JZ 1997, 167 ff.; rechtsvergleichend Fleischer, Informationsasymmetrien im Vertragsrecht, passim. 342 Das sog. Transparenzprinzip wird von Staudinger, ZIP 1999, 1546 (1550) als „ein Fundamentalprinzip des gesamten europäischen Verbraucherschutzrechts“ bezeichnet; so auch Nasall, JZ 1995, 689 (692): Es gehöre „gemeinschaftsrechtlich zu den Grundprinzipien des Verbraucherschutzes“. Mit Recht kritisiert Riesenhuber, a.a.O., S. 573 ff. sowie a.a.O., S. 383 mit Fn. 139, daß ein einziges, homogenes Transparenzprinzip nicht existiert. Das „Transparenzgebot“, das die Informationspflichten als Pflichten zu klarer und verständlicher Informa-

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Erster Teil: Grundlagen

bb) Zunächst sei hervorgehoben, daß ein „allgemeines Verbraucherschutzrecht“ i. S. eines statusbezogenen Verbraucherschutzes nicht überzeugen würde.343 Vielmehr wird „der Verbraucher“ in bestimmten einzelnen – auch vertragsabschlußbezogenen – Situationen geschützt. Durch das Verbraucherschutzrecht werden also konkrete entscheidungserhebliche Defizite behoben.344 Man darf dem Verbraucherschutzgedanken dementsprechend nicht die Annahme „unterschieben“, es gehe dabei um den Schutz wehrloser oder gesellschaftlich schwächerer Personen gegenüber wirtschaftlich überlegenen Unternehmern: „Der Verbraucherschutz ist nicht das Recht der sozial Benachteiligten, sondern das der Wohlstandsbürger, die bei der Verfolgung ihrer Konsuminteressen geschützt werden. (. . .) Das klassische bürgerliche Recht kennt keine ‚geborenen‘ Schwachen.“345 cc) Wichtig ist ferner die Herausarbeitung des Informationsgefälles als einer gegebenenfalls relevanten Art von „Unterlegenheit“ sowie dessen Abmilderung als einem grundsätzlichen Leitziel des Rechts.346 Wie bereits dargelegt, besteht aber ohne gesetzliche Anordnung keine Pflicht zur unentgeltlichen Preisgabe wertvoller Informationen.347 Die insgesamt gewachsene Bedeutung von Informationspflichten über vertragsrelevante Umstände ist vor dem Hintergrund ihrer Funktion für die Sicherung der Freiheit des Vertragsschlusses zu sehen.348 Der durch das Recht angestrebte (Verbraucher-)Schutz durch Information 349 beinhaltet dabei zugleich eine Beschränkung des Schutzkonzepts dahingehend, daß dem einzelnen die Verantwortung für seine Vertragsentscheidung vertion ausgestaltet, betrifft nicht das „Ob“ der Information, sondern die Art und Weise ihrer Gewährung. 343 Vgl. Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 261 ff., 556 m. w. N.; Canaris, AcP 200 (2000), 273 (359): „Die Überlegungen zu den Schutzzwecken des HaustürWG und des VerbrKrG lassen zugleich deutlich werden, daß der Anknüpfung an die Eigenschaft als Verbraucher unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten nur vergleichsweise geringes Gewicht zukommt.“ 344 Riesenhuber, ebd. (Fn. 343); siehe auch Canaris, AcP 200 (2000), 273 (359): „Ausschlaggebend ist vielmehr die Besonderheit der Gefahr, die der vertraglichen Entscheidungsfreiheit jeweils droht.“ 345 Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 1 Rn. 31 m. w. N. 346 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 749; ebenso Fleischer, ZEuP 2000, 772 (777), der mit Recht darauf hinweist, daß die Hauptaufgabe von Informationspflichten in der Herstellung realer Entscheidungsfreiheit liegt; zum Gedanken der Kompensation durch Aufklärung (sowie durch Aufhebungs- und Widerrufsrechte) siehe noch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 69 ff., 103 ff., 147, insb. S. 104; ablehnend zu Dauner-Liebs Konzeption aber Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 28 ff., insb. S. 29. 347 BGH NJW 1993, 1643 (1644) = BB 1993, 1042; siehe auch – unter dem Gesichtspunkt der Anfechtung gemäß § 119 Abs. 2 BGB – Adams, AcP 186 (1986), 453 (471, 474 f.). 348 Canaris, iustitia distributiva, S. 47. 349 Fleischer; ZEuP 2000, 772 (783): „Antithetisch zugespitzt wird Verbraucherschutz also nicht vor, sondern durch Verbraucherinformation gewährt.“; siehe auch Dreher, JZ 1997, 167 (178) mit einem Plädoyer zugunsten des „verständigen Verbrauchers“ und des „Verbraucherschutzes durch Information“ bei zutreffender Ablehnung des „Verbrauchers“ als normativer Kategorie; siehe auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 104, 106.

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bleibt.350 Das gilt für den Umgang mit erhaltenen Informationen und mit der Eröffnung von Informationsmöglichkeiten.351 Das Informationsmodell ist gegenüber dem Inhaltsschrankenmodell vorzugswürdig,352 denn prozedurale Voraussetzungen für einen fairen Vertragsschluß lassen sich meist wesentlich leichter rechtfertigen als konkrete Anforderungen an den Inhalt des Vertrags. Die Bereitstellung zusätzlicher Informationen gewährleistet die Funktionsbedingungen der Privatautonomie, indem sie eine Basis für rationale Entscheidungen des Informierten schafft, ohne freilich die Rationalität bzw. Richtigkeit der Entscheidung selbst garantieren zu können.353 In einer Zusammenschau der umfassenden vorvertraglichen und vertraglichen Aufklärungs-, Belehrungsund Informationspflichten des allgemeinen Zivilrechts mit den Informationspflichten aus neueren Verbraucherschutzgesetzen sieht Bydlinski als ein eigenständiges Prinzip der Rechtsgeschäftslehre und des Schuldrechts den sog. Informationsgrundsatz als begründet an, der in seiner Formulierung wie folgt lautet: „Im geschäftlichen Kontakt ist bei starkem (konkretem oder typischem) Informationsgefälle der besser informierte Partner verpflichtet, den anderen, insbesondere einen Verbraucher, im zumutbaren Ausmaß über die für diesen wesentlichen Umstände zu informieren; wo Informationspflichten nicht ausreichen, sind weitere rechtliche Maßnahmen erforderlich, die die Auswirkungen des Gefälles mildern.“ 354

Der besondere Umstand, auf den es dabei entscheidend ankommen soll, ist „das deutliche und strukturelle, dh an relativ dauernde Umstände anknüpfende Informationsgefälle“.355 Die ausdrückliche Aufnahme des Verbrauchers als von dem Informationsgrundsatz geschützten Subjekt rechtfertigt Bydlinski damit, daß ein legitimes Informationsbedürfnis zwar „gewiß nicht nur und nicht immer beim Verbraucher besteht“, aber unter den beiden Aspekten „fachlicher und allgemein geschäftlicher Vorsprung“ beim Verbraucher „typischer“ sei und 350

Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 559; zur Risikoverteilungskonzeption des BGB siehe auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 57 f., 146 unter II. 351 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 559 f. m. w. N. Aus der Sicht der Europäischen Kommission ist Information „die entscheidende Voraussetzung dafür, daß der Verbraucher sich die Vorteile des Binnenmarkts zunutze macht“, siehe EG-Kommission, Verbraucherpolitik – Zweiter dreijähriger Aktionsplan – 1993–1995 – der Binnenmarkt im Dienst der europäischen Verbraucher, KOM(93) 378 endg., S. 19. 352 Zur Kritik am „Informationsmodell“ siehe aber Stürner, FS Canaris, Bd. I, S. 1489 ff., der a.a.O., S. 1501 ein zwiespältiges Fazit zieht; grundsätzlich das „Informationsmodell“ befürwortend, allerdings zum Teil kritisch auch Schön, FS Canaris, Bd. I, S. 1191 (1211). Die dort genannten kritischen Punkte sind beachtenswert; ihnen im einzelnen nachzugehen, ist hier nicht möglich. 353 Breidenbach, Informationspflichten beim Vertragsschluß; vgl. auch Canaris, AcP 200 (2000), 273 (303): Das Informationsmodell sei gleichermaßen zur Förderung der materialen wie der formalen Vertragsgerechtigkeit geeignet. 354 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 749. 355 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 750; ders., JBl. 118 (1996), 683 (695).

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unter dem Aspekt des „organisatorischen Vorsprungs“ generell gerade beim Verbraucher gegeben sei.356 Von einer generellen Schutzwürdigkeit des Verbrauchers unter dem Aspekt des „Schwächerenschutzes“ geht aber auch Bydlinski nicht aus; vielmehr hält er es für „geboten, Sachverhalte herauszusondern, in deren Rahmen einseitige Unterlegenheit konkret beschriebener Art feststellbar ist und in denen korrigierende Rechtsfolgen der Art der Unterlegenheit angepaßt werden können.“357 Die Erwägungen, die für eine generelle Privilegierung „des Verbrauchers“ vorgebracht würden, bedürften „ganz entschiedener Relativierung“.358 Eine globale Privilegierung von Verbrauchern beliebigen Umfangs kann danach nicht gerechtfertigt werden.359 Der Verbraucherbegriff sollte „keine zentrale Rolle spielen; und zwar weder als Grundbegriff eines Sonderprivatrechts noch als gesetzlicher Tatbestandsbegriff.“360 Bydlinski geht selbst soweit, die fehlende Eignung des Verbraucherbegriffs als eines systematischen Grundbegriffs festzustellen.361 Das trifft zu, denn die Verbraucherschaft schließt „alle denkbaren Abstufungen an Kapitalausstattung, rechtlicher und geschäftlicher Erfahrung, Fähigkeit zu vorausschauenden wirtschaftlichen Überlegungen etc. ein. Daraus folgt: Wertungen, die an die Verbraucherposition anknüpfen, führen konsequenterweise zu allgemeinem Privatrecht.“362 dd) Eine interessante parallele Entwicklung im Hinblick auf das Thema nach Information und Verbraucherschutz hat sich im Schrifttum zum europäischen Gemeinschaftsrecht ergeben. Diese Entwicklung ist namentlich auf Norbert Reich zurückzuführen.363 Nach seiner Auffassung soll dem Verbraucherschutz seit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags infolge der textlichen Veränderungen in Art. 153 EG im Vergleich zu Art. 129a EGV i.d.F. des Maastrichter Vertrags, aufgrund der neueren Judikatur des EuGH sowie wegen zahlreichen 356

Bydlinski, System und Prinzipien, S. 749. Bydlinski, System und Prinzipien, S. 752. Mit Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 105 und öfter ist Bydlinski der Auffassung, daß eine typisierende Annäherung an die „wirtschaftliche Unterlegenheit“ ausscheiden muß, wenn man diese in einem nicht oder sach- und problemfremd definierten Sinn versteht (Bydlinski, a.a.O., S. 751). Dem ist nach dem im Text Ausgeführten ohne weiteres beizupflichten. 358 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 750. 359 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 751. 360 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 766; ausführlich begründet von dems., JBl. 118 (1996), 683 (694). 361 Bydlinski, ebd. (Fn. 360). Gegen eine Personalisierung der Schutzzwecke i. S. von Verbraucherschutz eingehend Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (693 ff.); Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 160 ff. 362 Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (694). 363 Reich ist der Verfasser des Buches „Markt und Recht“ aus dem Jahr 1977; er gilt als der „Erfinder“ des Verbraucher(schutz)rechts; vgl. dazu auch dens., Bürgerrechte in der Europäischen Union (1999); dens., Verbraucherrechte als – unverzichtbare – subjektive Rechte passiver Marktbürger, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts (2000), S. 481 ff.; vgl. weiter dens., ZEuP 1994, 381 ff.; dens., Europäisches Verbraucherrecht, passim; dens., EuZW 1997, 581 ff.; dens., VuR 2000, 261 ff. 357

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EG-Richtlinienregelungen zum Vertragsrecht einer neue, wichtigere Rolle zukommen. Dies betreffe namentlich das Recht des Verbrauchers auf Information. Dem Art. 153 EG wird von Reich eine „Unterstützungsfunktion von sekundärem Gemeinschaftsrecht“ zugesprochen, „wo dieses konkrete und bestimmte, bedingungslos gewährte Informationsrechte enthält“.364 Man könne von einem „Informationsparadigma des gemeinschaftlichen Verbraucherschutzes“365 sprechen. Dem Recht des Verbrauchers auf Information soll angeblich eine „positive“ horizontale Direktwirkung zukommen.366 Dieses Recht könne auch eine Folge für die Auslegung von mehrdeutigen Gemeinschaftsrechtsakten haben, welche die Verbraucherinformation betreffen. Das Recht auf Information könne sich auf diese Weise zu einem Grundsatz in dubio pro informatione verdichten.367 b) Stellungnahme aa) Was zunächst die ausdrückliche Aufnahme des Verbrauchers in die Definition des Informationsgrundsatzes durch Bydlinski betrifft, so ist diese entbehrlich, weil die Reichweite des von ihm formulierten Grundsatzes größer ist und beispielsweise auch reine Unternehmerbeziehungen erfaßt.368 Sie birgt zudem einige Gefahren: Man könnte beispielsweise die Auffassung vertreten, daß immer dann, wenn es an der Verbrauchereigenschaft fehlt, von einem erhöhten Begründungsaufwand für die Annahme einer Informationspflicht auszugehen wäre. Das wäre aber vor dem Hintergrund der vielfältigen „Sprachrisiko“-Fallgestaltungen, die unabhängig von dem Vorliegen der Verbrauchereigenschaft sein können, nicht recht überzeugend. Umgekehrt ist das Prädikat der Verbrauchereigenschaft keineswegs ein sicherer Indikator für ein tatsächlich bestehendes Informationsgefälle,369 so daß in den „atypischen“ Fällen des gegenüber dem Unternehmer besser informierten Verbrauchers eine falsche „Indizwirkung“ für die Annahme der Aufklärungspflicht angenommen werden könnte. Nicht umsonst legen sowohl das europäische als auch das deutsche Wettbe364 Reich, VuR 1999, 3 (8); zu den vertragsschlußbezogenen Informationspflichten im Gemeinschaftsprivatrecht siehe auch Fleischer, ZEuP 2000, 772 (zu Art. 153 EG knapp a.a.O., S. 773 und 782 f.). 365 Reich, VuR 1999, 3 (6). 366 Reich, VuR 1999, 3 (7 f.). 367 Reich, VuR 1999, 3 (8); vgl. dazu auch Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 116. 368 So bereits Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 106: „Die Problematik ausreichender Information bzw. einer angemessenen Verteilung der Informationslasten betrifft (. . .) nicht allein den Verbraucher oder sonst schutzbedürftige Personengruppen, sie stellt sich vielmehr potentiell immer dann, wenn ein Rechtssubjekt rechtsgeschäftlich tätig wird, ohne im Hinblick auf einen konkret abzuschließenden Vertrag über berufl iche Spezialkenntnisse zu verfügen.“; Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (696) will „solche Informationspfl ichten auf allgemeiner Grundlage“ ebenfalls nicht auf Beziehungen zu Verbrauchern beschränken. 369 Klar gesehen von Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (695).

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werbsrecht der lauterkeitsrechtlichen Bewertung des Wettbewerbsgeschehens das Leitbild eines „aufgeklärten, durchschnittlich informierten Verbrauchers“ zugrunde. Die für sich genommen gleichwohl plausible Annahme, daß eine Differentialdiagnose zum Informationsstand bei Verbrauchern und Unternehmern zu dem Ergebnis führen würde, daß erstere im Durchschnitt, d. h. typischerweise, schlechter informiert sind als letztere, hilft bei der rechtlichen Begutachtung des Einzelfalls nicht weiter. Denn ohne eine Einzelfallbegutachtung kann man nicht wissen, ob man den „Normalfall“ des besser informierten Unternehmers oder den „Ausnahmefall“ des besser informierten Verbrauchers vor sich sieht. Eine Vereinfachung für die rechtliche Lösung bietet der Umstand, daß einer der Kontrahenten Verbraucher ist, mithin gerade nicht. Er ist eher umgekehrt geeignet, die richtige Fragestellung zu vernebeln. Beispiel: Ein geschäftsgewandter und juristisch beschlagener Multimillionär, der einen „kleinen Handwerker“ damit beauftragt, seine Luxusyacht zu modernisieren, wäre ohne Rücksicht auf die tatsächlich abweichenden „Machtverhältnisse“ zwischen den Kontrahenten als Verbraucher einzustufen und daher „schützenswert“ im Sinne der „Verbraucherschutzdoktrin“.370 Der richtige Ansatz kann demgegenüber nur darin bestehen, den Rechtstatsachen gerecht zu werden und adäquate rechtliche Maßstäbe im geltenden Recht aufzufinden oder zu entwickeln, soweit dies zum Ausgleich tatsächlich gegebener „Defektlagen“ eines Vertragspartners erforderlich ist. 371 Daß eine „umfassende Prinzipienabwägung in Optimierungsabsicht“ unter Umständen zu einer „‚wohldosierten‘ Typisierung“ führen kann, wie Bydlinski annimmt, ist nicht zu bestreiten.

bb) Die Verbrauchereigenschaft als solche ist mithin nicht gleichbedeutend mit einer von Rechts wegen beachtlichen Schutzbedürftigkeit.372 Der Status als Verbraucher bzw. dessen angebliche „strukturelle Unterlegenheit“ genügt nicht, um dessen Schutzbedürftigkeit zu begründen.373 Maßnahmen zugunsten „des Verbrauchers“ tragen ihre rechtspolitische Rechtfertigung nicht bereits in sich.374 Die Verbrauchereigenschaft kommt auch Geschäftsführern von GmbH375 und sogar Vorstandsmitgliedern einer AG (bei Abschluß eines Anstellungsvertrags mit dieser) 376 zu, ohne daß diese geschäftsgewandten Perso370 Richtig Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 167 mit der Feststellung, „daß selbst auf einen deutschen Bill Gates verbraucherrechtliche Regeln anzuwenden wären, wenn er nur ein Geschäft zu privaten Zwecken abschließt.“ 371 Ebenso Bydlinski, System und Prinzipien, S. 752; ders., JBl. 118 (1996), 683 (695). 372 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 250. 373 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 261. 374 So schon Dreher, JZ 1997, 167 (177). 375 BGHZ 133, 71 (77 f.) = NJW 1996, 2156; BGHZ 144, 370 (380) = NJW 2000, 3133; BGH NJW 2004, 3039 (3039). 376 OLG Hamm AG 2007, 910 (911 f.); Mülbert, FS Hadding, S. 575 (582); MüKo BGB/ Micklitz, 2006, § 13 Rn. 49. Der Vorstand agiert zwar selbständig (vgl. § 76 AktG), das wirtschaftliche Risiko der Vorstandstätigkeit wird aber nicht von seinen Mitgliedern, sondern von der Aktiengesellschaft getragen (OLG Hamm, a.a.O., S. 912).

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nenkreise in irgendeiner Weise rechtlich als besonders schutzbedürftig erscheinen würden. (Durchschnitts-)Verbraucher werden nicht als solche geschützt, sondern nur vor spezifischen Gefahren im Rechtsverkehr.377 Den Verbraucherschutz kann man deshalb nicht als allgemeines Rechtsprinzip bezeichnen.378 Die Zwecke von Informationspflichten, soweit sie zur Behebung bestimmter Defizite gesetzlich geregelt worden sind, erlauben keine generelle Beschränkung auf Verbraucher. Vielmehr dienen sie zum Teil darüber hinausgehend dem Jedermannschutz,379 genauer: der Herstellung realer Entscheidungsfreiheit des jeweiligen Aufklärungsgläubigers.380 Eine grobe Typisierung, wie sie der Verbraucher als Rechtssubjekt darstellt, kann die erforderliche Problemanalyse mithin nicht ersetzen.381 Deshalb ist „der Verbraucher“ als systematische Kategorie untauglich.382 Verbraucherschutz hat nicht am Status anzusetzen, sondern – ausgehend von einer verständigen, durchschnittlich informierten, eigenverantwortlichen Rechtsperson – an dem jeweiligen Informationsbedürfnis (Verbraucherschutz durch Information).383 cc) An dieser Stelle sei nochmals an die Beschränkung des Schutzkonzepts bei Informationsasymmetrien erinnert: Es bleibt trotz Anerkennung des Informationsprinzips grundsätzlich die Sache des einzelnen – sei er ein „Jedermann“, ein Verbraucher oder ein Unternehmer – die für die Vertragsentscheidung relevanten Informationen auszuwählen und einzuholen.384 Belehrungs- und Informationspflichten sind von vornherein auf enge Sachverhaltskonstellationen begrenzt, existieren gerade nicht allgemein, so daß – entgegen Reich – auch ein 377 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 575. Daß Art. 153 EG den Verbraucherschutz als ein Ziel der Gemeinschaft bestimmt, ändert daran nichts. 378 Riesenhuber, ebd. (Fn. 377). 379 Siehe auch Breidenbach, Informationspflichten beim Vertragsschluß, S. 29 ff.; DaunerLieb, Verbraucherschutz, S. 106; Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 307. 380 Fleischer, ZEuP 2000, 772 (777) mit der konsequenten Forderung (a.a.O., 797), daß die vertragsschlußbezogenen Aufklärungspfl ichten im Gemeinschaftsrecht nicht auf einen verbraucherspezifischen Begründungsansatz verengt, sondern weiträumiger ausgelegt werden sollten; siehe auch Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 3 sowie S. 161, wo ganz in dem hier vertretenen Sinne dargelegt wird, daß Informationsdefizite nicht verbraucherspezifisch sind, sondern jeden Marktteilnehmer betreffen. Informationsdefizite seien ein „omnipräsentes Phänomen“. 381 Siehe auch Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 160, 167. 382 So schon Dreher, JZ 1997, 167 (176) unter der unmißverständlichen Überschrift „Verbraucherrecht als Erosion des Privatrechts“: „Ausgangspunkt des Privatrechts ist die Rechtsperson. Der Verbraucher als normative Kategorie ist (. . .) ohne genaue Defi nition im jeweiligen Sachzusammenhang und daher als solche nicht zu gebrauchen.“ 383 Dreher, JZ 1997, 167 (178) in Übernahme des europäischen Verbraucherleitbildes des EuGH. 384 Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 300, 561 zum Europäischen Vertragsrecht; Fleischer, ZEuP 2000, 772 (798) m. w. N. fordert, daß es auch im zukünftigen Gemeinschaftsprivatrecht bei dem Regel-Ausnahme-Verhältnis bleiben sollte, wonach es keine allgemeine Pflicht gibt, relevante Informationen mit dem Vertragspartner zu teilen; ausführlich dazu ders., Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 573 ff.

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Erster Teil: Grundlagen

Grundsatz in dubio pro informatione für das Vertragsrecht und zugunsten des wie auch immer zu definierenden Verbrauchers nicht anerkannt werden kann. Ein allgemeines oder zumindest sehr weitreichendes Verbraucherinformationsrecht wäre mit der Rechtsfigur des aufgeklärten und verständigen Verbrauchers unvereinbar: Es gibt gerade deshalb kein allgemeines Verbraucherschutzdogma. Es kann nur darum gehen, bestimmte einzelne Defizite im Bereich der Verbraucherinformation zu beseitigen, um die berechtigten Interessen der betroffenen Personen oder Personengruppen zu wahren.385 Das hier befürwortete „liberale Informationsmodell“, das Verbraucherschutz durch Information (oder Aufklärung) 386 verwirklicht,387 steht somit in einem deutlichen Gegensatz zu dem abgelehnten „sozialen Verbraucherschutzmodell“, das an dem Status des Verbrauchers und an dessen postulierter wirtschaftlicher und intellektueller Schwäche ansetzt.388 c) Folgerungen für die Zuweisung des Informationsrisikos bei Rechtsgeschäften mit sprachunkundigen Verbrauchern aa) Aus den vorstehenden Ausführungen zu dem „liberalen Informationsmodell“ sowie aus dem Selbstverantwortungsprinzip389 ergibt sich, daß das „Sprachrisiko“ in seiner Erscheinungsform als Informationsrisiko ebenfalls im Grundsatz die Sache des einzelnen ist und Ausnahmen davon einer Begründung bedürfen, die gegebenenfalls mit dem Informationsgrundsatz gelingen kann.390 Es ist daher nicht überzeugend, wenn besondere Aufklärungspflichten gegenüber sprachunkundigen Verbrauchern mit „dem Verbraucherschutzgedanken und dem darin zu beachtenden Gebot einer gleichartigen Information aller Verbraucher“391 begründet werden sollen. bb) Ein rechtsökonomischer cheapest cost avoider-Ansatz, demzufolge immer der regelmäßig besser informierte sprachkundige Unternehmer den unterstellt schlechter informierten sprachunkundigen Verbraucher umfassend aufzuklären hätte, wäre für das geltende Zivilrecht abzulehnen.392 Denn nach der 385

So schon Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 106 f. Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 69 f., 147 unter III. 2. 387 Siehe statt aller Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 98: Die „subjektiv-intellektuelle Unterlegenheit ist grundsätzlich durch Information zu kompensieren“. 388 Siehe auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 26, 107. 389 Vgl. dazu – am Beispiel des informierten Verbrauchers – auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 70. 390 Zu dem Prinzip dezentraler Risikoverteilung gemäß dem „liberalen Sozialmodell“ des BGB siehe Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 57 f., 60 f. 391 So aber im Ergebnis Kallenborn, Sprachenproblem, S. 199. 392 Zu diesem rechtsökonomischen Ansatz siehe Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 149 ff. m. w. N.; vgl. auch Breidenbach, Informationspflichten beim Vertragsschluß, S. 41 ff., 46 ff., der zutreffend von der Unhaltbarkeit eines umfassenden Geltungsanspruchs der ökonomischen Analyse des Rechts und ihres Effizienzkonzepts ausgeht. Das Recht lasse sich nicht auf das Ziel der Durchsetzung wirtschaftlicher Effizienz reduzieren 386

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Rechtsprechung des BGH ist der Verkäufer gegenüber dem Verkäufer nicht zur unentgeltlichen Offenbarung einer Information verpflichtet, die er selbst entgeltlich erworben hat.393 Die gegenteilige Annahme wäre auch ökonomisch sehr fragwürdig, da Informationen häufig einen „ökonomischen Wert“ haben, so daß man sie als „Eigentumsrechte“ bezeichnet hat.394 Es ist nicht ersichtlich, warum der homo oeconomicus sich ihrer freiwillig und ohne Gegenleistung des Informationsempfängers begeben sollte.395 Weiter wäre es nicht richtig, die Nichtweitergabe anstrengungslos erworbener Informationen als eine Beeinträchtigung der Effizienz des Vertragssystems zu bewerten 396 und einen Automatismus der Weitergabe von unentgeltlich erlangten Informationen zu propagieren, denn auch diese Informationen haben einen „Wert“. Zur Begründung einer Offenbarungspflicht des besser informierten Vertragspartners bedarf es eines von dem cheapest cost avoider-Ansatz zu trennenden juristischen Wertungsakts, bei dem die Wichtigkeit der jeweiligen Information für den Vertragspartner ein bedeutsames Teilelement der Beurteilung bildet.397 Der Umstand, wie eine rechtmäßig beschaffte Information erlangt wurde – nämlich zufällig oder planvoll und mit Kosten verbunden – besagt nichts über den „Zuweisungsgehalt“, über das „property right“ daran, kann demgemäß eine darauf bezogene – unentgeltliche oder entgeltliche – Weitergabepflicht nicht begründen.398 Andernfalls wäre das so, „wie wenn bei Sportwettkämpfen der schlechter Trainierte einen seinen Trainingsrückstand ausgleichenden Vorsprung erhielte“. 399 (a.a.O., S. 42 f.). Deshalb dürfe die ökonomische Analyse des Rechts nicht zu einer ausschließlich ökonomischen Begründung des Rechts führen (a.a.O., S. 43). Allerdings will Verf. eine Informationsweitergabe von präsentem Wissen mit dem cheapest cost avoider-Grundsatz begründen (a.a.O., S. 46, 70 f.), was – wie sich aus dem Text ergibt – keine Zustimmung verdient. Gegen das Coase-Theorem, demzufolge derjenige ein Handlungsrecht erwirbt, der es am produktivsten nutzen kann – wobei es gleichgültig ist, wem das Recht ursprünglich zugewiesen war – mit Recht Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 68 ff. sowie Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, § 1 Rn. 37. Das Coase-Theorem führt zu einer Aushöhlung der Privatautonomie, die ohne weiteres auch ökonomisch sinnwidriges Verhalten zuläßt. Allgemein dazu Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 113 ff. 393 BGH NJW 1993, 1643 (1644) = BB 1993, 1042. 394 Kronman, 7 Journal of Legal Studies 1 (1978); dazu und zur Kritik siehe Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 151 ff.; siehe ferner Adams, AcP 186 (1986), 453 (468 ff.) unter der Überschrift „Wer sät, der soll auch ernten: ‚Eigentumsrechte‘ an Informationen im Vertragsrecht“; zustimmend Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 21 f. 395 Zutreffend daher Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 133: „Unzumutbar ist eine Aufklärung etwa dann, wenn es sich um eine wertvolle Information handelt, für deren Preisgabe sie [scil. die informationsüberlegene Vertragspartei] keine Gegenleistung erhält.“ 396 Vgl. aber Adams, AcP 186 (1986), 453 (474), der das allerdings nur bei „wichtigen Produktinformationen“ für notwendig erachtet. 397 Zur Begründung von Aufklärungspfl ichten siehe noch unten § 7 B. II. 1. c. 398 Gegen den abweichenden Ansatz in der rechtsökonomischen Literatur argumentiert Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 288 f., unter anderem am Beispiel der Regelung über den Schatzfund in § 984 BGB, die nicht zwischen Zufallsfunden und planmäßigen Entdeckungen unterscheidet. 399 Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 22.

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cc) Mit dem Vorstehenden wird die grundsätzliche Richtigkeit des Informationsgrundsatzes bzw. des Informationsprinzips400 nicht in Frage gestellt. Angesichts der bis zu Cicero zurückreichenden, bis heute nicht abgeschlossenen Diskussion um die richtige Lösung der von ihm in De Officiis formulierten Schulfälle401 muß aber auch die Feststellung getroffen werden, daß das Informationsprinzip nicht als singulärer Lösungsansatz taugt, sondern daß es wie die weiteren hier erörterten Rechtsprinzipien lediglich als ein Element zur Ermittlung tragfähiger Lösungen des Einzelfalls fungieren kann.402 Gerade das Zusammenwirken verschiedener Umstände bzw. Elemente kann dazu führen, daß ein Rechtsgeschäft nicht als gültig qualifiziert wird.403 Beispiel: Das ist der Fall, wenn bei einer Bürgschaft zwar das Formerfordernis des § 766 BGB gewahrt wurde, aber bezüglich der Information und der Entscheidungsalternativen ein „unverkennbares und starkes Gefälle“ besteht. In diesem Fall soll nach einer Ansicht in der Literatur der völlige Äquivalenzmangel jedenfalls dann durchschlagen, wenn (1 a) die Zwangslage bzw. (1 b) das Informationsdefizit dem Gläubiger entweder (2 a) leicht erkennbar war oder (2 b) von ihm selbst herbeigeführt wurde. Andernfalls müßten die Erwägungen des (3) Vertrauens- und Verkehrsschutzes für die Gültigkeit der Bürgschaft ins Gewicht fallen.404

Die vielfältigen Einzelfragen des Bestehens und der Reichweite von Informationspflichten werden in bezug auf Sprachenfragen unten noch ausführlich erörtert.405

400 Bydlinski verwendet beide Begriffe nebeneinander, den des Informationsprinzips z. B. in System und Prinzipien, S. 750. 401 Eines der Beispiele von Cicero lautet wie folgt: Ein gutgesinnter Mann hat bei einer Hungersnot der Rhodier und einer beträchtlichen Steigerung der Lebensmittelpreise eine große Ladung Getreide von Alexandria nach Rhodos gebracht. Dieser Mann hat Kenntnis davon, daß von Alexandria aus mehrere Kaufleute in See gestochen sind; er selbst hat auf der Fahrt mit Getreide beladene Schiffe in Richtung Rhodos fahren sehen. Wird er das den Rhodiern sagen oder sein Getreide möglichst teuer verkaufen? Zu den Schulfällen Ciceros und ihren modernen Gegenstücken vgl. Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 11 ff.; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 203 ff. 402 Vgl. auch Bydlinski, System und Prinzipien, S. 751, der die Beschränkung auf das „Informationsmodell“ für fragwürdig hält und deshalb a.a.O., S. 752 für eine „gemäßigte Variante“ des kompensatorischen Modells eintritt, die nicht an eine ganz unbestimmte wirtschaftliche Unterlegenheit oder ähnliches anknüpft, sondern an „einseitige Unterlegenheit konkret beschriebener Art“; siehe dazu auch dens., JBl. 118 (1996), 683 (697). 403 Die in die Beurteilung des Falls eingestellten Prinzipienerwägungen sind im Text kursiv gedruckt. 404 So Bydlinski, System und Prinzipien, S. 761 f. 405 Siehe § 7 B. II. 1. c.

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2. Das Äquivalenz- und das Kontrollprinzip a) Das Äquivalenzprinzip aa) Im Schrifttum findet sich verbreitet die These, daß das Vertragsrecht auch nach dem heutigen positiven Recht nicht ausschließlich von den Prinzipien der Selbstbestimmung und Selbstbindung, sondern daneben auch von einem Gerechtigkeitsprinzip, dem Prinzip einer „objektiven Äquivalenz“ – neben der „subjektiven Äquivalenz“ der Kontrahenten – mitbestimmt werde.406 Als Leitgedanke fungiere dieses Prinzip – als ein Unterprinzip des Prinzips der ausgleichenden Gerechtigkeit – bei der Ausgestaltung des den Vertrag ergänzenden, meist dispositiven Gesetzesrechts; in seiner negativen Funktion als Grenze des noch zulässigen Vertragsinhalts in extremen Fällen – d. h. Wucher, laesio enormis –, bei allgemeinen Geschäftsbedingungen und in den Fällen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.407 Den Prinzipien der Selbstbestimmung und Selbstbindung soll dabei im Verhältnis zum Prinzip der objektiven Äquivalenz der Vorrang zukommen.408 bb) Die Bewertung der Leistungsfähigkeit des Äquivalenzprinzips bereitet gewisse Schwierigkeiten. Außer Frage steht, daß eine „negative“ Äquivalenzkontrolle in den Fällen des Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB), des wucherähnlichen Geschäfts (§ 138 Abs. 1 BGB) und beim Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB stattfindet und daß sie eine richterliche Vertragskorrektur zur Folge haben kann. Letzteres findet z. B. statt, wenn die Rechtsprechung § 315 Abs. 3 S. 2 BGB analog auf die Anpassung von Erbbauzinsen oder Geschäftsführergehältern in GmbH anwendet. Daß im Hinblick auf Nebenbestimmungen – nicht aber hinsichtlich der essentialia negotii – eines Vertrags die AGB-Kontrolle gemäß § 307 BGB eingreift, verfängt demgegenüber nicht, da insoweit das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht betroffen ist. Auch das Beispiel der laesio enormis begegnet Bedenken. Dieses Institut ist zwar im Jahr 1811 in § 934 des österreichischen ABGB409 gesetzlich geregelt worden und hat dort bis heute Bestand. Es wurde allerdings ganz bewußt nicht in das BGB übernommen410 , was der BGH mit folgender Begründung ausdrücklich klargestellt hat: 411 406

Larenz, Richtiges Recht, S. 79. Larenz, ebd. (Fn. 406); Bydlinski, System und Prinzipien, S. 160. 408 Larenz, ebd. (Fn. 406). 409 Unter der Überschrift „Schadloshaltung wegen Verkürzung über die Hälfte“ bestimmt § 934 ABGB: „Hat bei zweiseitig verbindlichen Geschäften ein Teil nicht einmal die Hälfte dessen, was er dem andern gegeben hat, von diesem an dem gemeinen Werte erhalten; so räumt das Gesetz dem verletzten Teile das Recht ein, die Aufhebung und die Herstellung in den vorigen Stand zu fordern. Dem andern Teile steht aber bevor, das Geschäft dadurch aufrecht zu erhalten, daß er den Abgang bis zum gemeinen Werte zu ersetzen bereit ist. Das Mißverhältnis des Wertes wird nach dem Zeitpunkte des geschlossenen Geschäftes bestimmt.“ 410 Hönn, JuS 1990, 953 (955); Canaris, AcP 200 (2000), 273 (287). 411 BGHZ 80, 153 (156) = NJW 1981, 1206; bestätigt durch BGH NJW 2002, 286 = ZIP 2003, 80. 407

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„Die (. . .) Anlehnung an Normen einer ausländischen Rechtsordnung, des österreichischen Rechts (§ 934 ABGB), oder eine Anknüpfung an Grundsätze einer Rechtsordnung der Vergangenheit (an die »laesio enormis« des gemeinen Rechts) ist verfehlt. Der Gesetzgeber hat sich in Kenntnis des österreichischen und des gemeinen Rechts gegen eine gesetzliche Regelung entschieden, nach der schon ein objektives Ungleichgewicht, und sei es auch ein erhebliches Ungleichgewicht, zwischen Leistung und Gegenleistung ohne Mißbrauch der Vertragsfreiheit, insbesondere der Vertragsgestaltungsfreiheit, die Sittenwidrigkeit eines Vertrages begründet (. . .). Daher ist auch in der Rechtsprechung anerkannt, daß zu dem objektiv auffälligen Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung ein subjektives Tatbestandselement, insbesondere eine verwerfliche Gesinnung des Gläubigers, hinzutreten muß, um ein sittenwidriges Geschäft im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB bejahen zu können (. . .). Andernfalls würde die durch das Bürgerliche Gesetzbuch beseitigte laesio enormis im Ergebnis wieder eingeführt (. . .).“

Den Vorwurf Flumes412 , daß der V. Zivilsenat mit seinem Urteil vom 19. Januar 2001413 die subjektiven Merkmale zugunsten einer laesio enormis aufgegeben habe, hat der derselbe Senat bereits mit Entscheidung vom 19. Juli 2002414 zurückgewiesen.415 Dies begründete der Senat im Grunde zutreffend416 damit, daß die erstgenannte Entscheidung sich gerade mit der Frage befaßt habe, welche objektiven Umstände den Schluß auf das subjektive Merkmal der verwerflichen Gesinnung zulassen.417 Später hat er noch einmal klargestellt, daß er das 412

ZIP 2001, 1621 f. BGHZ 146, 298 = NJW 2001, 1127. 414 BGH NJW 2002, 3165 (3166). 415 Siehe dazu auch Finkenauer, FS H. P. Westermann, S. 183 ff., insbes. S. 185 ff. („Die laesio enormis von Diocletian bis zum BGB“). 416 Zutreffend deshalb, weil positive Kenntnis und das bewußte bzw. grob fahrlässige SichVerschließen in bezug auf das Vorliegen eines groben Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung mit Recht gleichgestellt werden (BGHZ 146, 298, 302 m. w. N. = NJW 2001, 1127). Es handelt sich dabei jedenfalls um „eine beweiserleichternde tatsächliche Vermutung“ (BGHZ 146, 298, 305 = NJW 2001, 1127; BGH NJW 2002, 3165, 3166). Die neuere Rechtsprechung behandelt die Frage nach der Kenntnis von der Äquivalenzstörung mithin als ein Beweislastproblem. 417 Allerdings nähert sich der Senat terminologisch in einer gefährlichen Weise an die laesio enormis an, wenn er die Schlußfolgerung von einem groben Äquivalenzmißverhältnis (hier: Wert der Leistung knapp doppelt so hoch wie der Wert der Gegenleistung) auf das subjektive Merkmal der verwerflichen Gesinnung selbst dann für möglich hält, „wenn der Begünstigte keine Kenntnis von den Wertverhältnissen hatte“ (BGH NJW 2002, 3165, 3166); siehe auch BGHZ 146, 298, 303 = NJW 2001, 1127: „Allein das besonders grobe Äquivalenzmißverhältnis erlaubt es, auf die verwerfl iche Gesinnung (. . .) zu schließen.“ Daher wirft Flume dem BGH vor, er habe die Nichtigkeit des Kaufvertrages in BGHZ 146, 298 „in Wirklichkeit allein mit dem Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung in Höhe etwa der Hälfte des Wertes des Kaufgegenstandes begründet“ (ZIP 2001, 1621, 1622). Finkenauer, FS H. P. Westermann, S. 183 (193) sieht in dem Verzicht auf die Kenntnis des Begünstigten von der Äquivalenzstörung den „entscheidenden Schritt zur vollständigen Aufgabe des subjektiven Tatbestands, und zwar im Widerspruch zu seiner früheren Rechtsprechung“. „Methodenehrlicher“ sei es, wenn man – wie etwa MüKo BGB/Armbrüster, § 138 Rn. 117, 129 f. und Bork, JZ 2001, 1138 (1139) vorgeschlagen haben – auf das subjektive Merkmal ganz verzichtete. Daran ist richtig, daß es eine reine Fiktion wäre, wenn man von dem Vorliegen eines besonders gro413

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subjektive Unrechtsmerkmal der verwerflichen Gesinnung als für das Unwerturteil des § 138 Abs. 1 BGB unerläßlich ansieht.418 Die grundlegende Wertungsentscheidung des Gesetzgebers, das objektive Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung, und sei es auch ein erhebliches, nicht zum Anknüpfungspunkt für eine „objektive“ Vertragskorrektur – die grundsätzlich am „Marktpreis“ zu orientieren wäre419 – zu nehmen, verdient Respekt und sollte nicht ohne Not aufgegeben werden.420 Die geistige Nähe des Bemühens um eine „objektive“ Äquivalenz zu der „Grundfrage des Naturrechts“421 nach dem „gerechten Preis“ (dem iustum pretium) ist unverkennbar.422 Wenn man die kontrollierende Funktion des Äquivalenzgedankens auf „krasse Abweichungen“ beschränken möchte, 423 darf man jedenfalls nicht über die in der lex lata normierten Fälle hinausgehen und sie beispielsweise nicht auch diejenigen Sachverhalte, bei denen es an einer Voraussetzung des § 138 Abs. 1 BGB fehlt, über den Gedanken der „objektiven Äquivalenz“ einer ben Mißverhältnisses zwingend (d. h. unwiderlegbar) auf die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten schlösse; gerade das tut die Rechtsprechung jedoch nicht. Mehr als ein Indiz für eine verwerfliche Gesinnung kann man aus dem Vorliegen eines groben Mißverhältnisses nicht ableiten. In dem Fall BGHZ 160, 8 (17) = NJW 2004, 2671 hat der V. Zivilsenat denn auch klargestellt, daß dem Verkäufer nicht vorgeworfen werden könne, er habe sich leichtfertig der Erkenntnis der Zwangslage seines Vertragspartners oder des besonders groben Mißverhältnisses verschlossen, wenn er die nach einer anderen Methode ermittelte Wertverzerrung nicht kennt. Klüger oder rücksichtsvoller als die anderen Marktteilnehmer brauche er nicht zu sein. Dem Erfahrungssatz, aus dem der Senat den Schluß auf die verwerfl iche Gesinnung des Begünstigten herleite, außergewöhnliche Gegenleistungen würden nicht ohne Not oder andere den Benachteiligten hindernde Umstände zugestanden, fehle es in diesem Fall an Substrat. 418 BGHZ 160, 8 (14) = NJW 2004, 2671. 419 Dazu grundsätzlich – im Anschluß an Gschnitzer – befürwortend Larenz, Richtiges Recht, S. 72: Wo sich ein Marktpreis nicht gebildet hat oder wo der Markt selbst im Verdacht ungerechter Preisbildung steht, soll auf den Ertrags- oder Gestehungskostenwert abgestellt werden dürfen. Für Larenz ergeben sich daraus immerhin vage Ober- und Untergrenzen der Äquivalenz. 420 Deshalb ist die Argumentation von MüKo BGB/Armbrüster, § 138 Rn. 117, daß die verwerfliche Gesinnung nicht als notwendiges Tatbestandselement der Sittenwidrigkeit anzusehen sein solle – weil § 138 BGB nicht dazu diene, als bedenklich angesehene Gesinnungen zu unterdrücken, sondern anstößig erscheinende Rechtsgeschäfte zu unterbinden – im Ergebnis nicht überzeugend. Wenn Verf. konsequent ausführt, daß sich die Anstößigkeit eines Geschäfts allein schon aus seinem objektiven Inhalt ergeben könne (wobei die gebotenen Differenzierungen im Wege der stets erforderlichen Gesamtwürdigung vorzunehmen seien), wird damit ein Weg zu einer umfassenderen Vertragskorrektur aufgezeigt, als sie unter Geltung des eingrenzenden subjektiven Tatbestands der Sittenwidrigkeit praktiziert werden kann. Zuzustimmen ist aber der These von Flume, BGB AT, § 18, 3 (S. 373), daß es auf den subjektiven Tatbestand des § 138 BGB nicht ankommt, wenn der „der unmittelbare Inhalt eines Rechtsgeschäfts als solcher“ gegen die guten Sitten verstößt. 421 Larenz, Richtiges Recht, S. 70. 422 Anders wohl Bydlinski, System und Prinzipien, S. 160. 423 So Bydlinski, ebd. (Fn. 422) sowie diejenigen Autoren, die entgegen dem BGH auf das subjektive Merkmal der verwerflichen Gesinnung bei § 138 BGB verzichten wollen.

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richterlichen Vertragskorrektur unterstellen. Im Ergebnis steht das geltende Recht dem Prinzip der objektiven Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung ablehnend gegenüber; eine entsprechende Fortentwicklung der Prinzipienordnung des Privatrechts erscheint nicht empfehlenswert. cc) Ein Blick auf das europäische Gemeinschaftsrecht führt zu keiner abweichenden Einschätzung, denn auch dort ist die laesio enormis nicht anerkannt.424 Dies findet seinen Ausdruck beispielsweise in der Privilegierung von Preis- und Hauptleistungsklauseln im Rahmen der Mißbrauchskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch Art. 4 Abs. 2 der Klauselrichtlinie 93/13/EWG.425 Diese Richtlinienbestimmung wurde im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung des Jahres 2001 durch § 307 Abs. 3 S. 2 BGB umgesetzt.426 Danach findet bei transparent formulierten Klauseln, die den Preis oder den Umfang der Hauptleistungspflichten der Vertragspartner festlegen, eine Mißbrauchskontrolle nicht statt. dd) Nimmt man die positive Komponente der objektiven Äquivalenz in den Blick, so wird man nur in einem sehr begrenzten Sinn von einem entsprechenden Grundsatz der Vertragsauslegung sprechen dürfen,427 nämlich insoweit, als der BGH den – terminologisch vorzugswürdigen – Grundsatz der beiderseits interessengerechten Vertragsauslegung praktiziert. Insoweit ist aber vor einer Überdehnung zu warnen. Unter dem Gesichtspunkt der Vertragsauslegung sollen die Interessen der Vertragsparteien und die Verwirklichung der von ihnen verfolgten Vertragszielen maßgebend sein, nicht aber ein an sich klar und deutlich gefaßter Vertragstext entgegen dem Wortlaut und den Intentionen der Kontrahenten „interessengerecht“ umgedeutet werden. Manche der zahlreichen Entscheidung des BGH, in denen der Grundsatz der beiderseits interessengerechten Auslegung bisher praktiziert wurde, begegnet diesbezüglich gewissen Bedenken.428 ee) Insgesamt ist vor einer Heranziehung des Gedankens der objektiven Äquivalenz zu warnen. Die Gefahr, daß der verfehlte Schritt in eine an „dem Marktpreis“ orientierte, „objektive“ Äquivalenzkontrolle gegangen wird – was ein contra legem-Judizieren bedeuteten würde – darf nicht unterschätzt werden. Wenn Bydlinski fordert, daß das Äquivalenzprinzip „wo formale Vertragsfreiheit nicht ausreicht, weil massive Informationsdefizite oder ungleiche Freiheitsbzw. Zwangslagen Beachtung fordern, samt den genannten Voraussetzungen als 424 Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union IV, A 5, Art. 4 Rn. 23 m. w. N. 425 Siehe dazu im einzelnen unten § 8 E. II. 2. 426 Zum Streit um das richtige Verständnis der Vorschrift siehe Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 354. 427 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 767 faßt das Äquivalenzprinzip als umfassende, subsidiäre Regel und als Auslegungsziel auf. 428 Siehe dazu noch im einzelnen unten § 6 D. I. 2.

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zwingende Norm akzentuiert werden“ müsse,429 trägt diese richtige These aufgrund der Weite ihrer Formulierung den Keim und die nicht unerhebliche Gefahr einer Überdehnung des Äquivalenzprinzips in sich. b) Das Kontrollprinzip aa) Allerdings hat Bydlinski selbst einen Beitrag zur Präzisierung des Äquivalenzprinzips geleistet, indem er das von ihm sog. Kontrollprinzip formulierte, das wie folgt lautet: „Dem Partner eines Geschäftskontakts, zu dessen Gunsten ein deutliches und insbesondere ein strukturelles Gefälle an relevanter Information bzw. an Freiheit der Wahl zwischen zumutbaren Alternativen besteht, ist es verboten, den Vertragsinhalt zu Lasten des anderen auffallend inäquivalent zu gestalten.“430 bb) Auch wenn dieses „kompensatorische“ Modell des Schwächerenschutzes keine „systemsprengende“ Wirkung entfalten soll,431 so ist doch das Kontrollprinzip gleichfalls Bedenken ausgesetzt. Diese beziehen sich zunächst auf die Begriffe „strukturelles“ bzw. „deutliches“ Informationsgefälle. Man wird hierfür auf einen evident unterschiedlichen Zugang zu den für den Vertragsschluß wesentlichen Informationen abzustellen haben.432 Der „Typus des Verbrauchers“ ist insoweit ohne Bedeutung. Des weiteren ist fraglich, was unter einer „auffallenden Inäquivalenz“ des Vertragsinhalts zu verstehen sein soll.433 Es sei daher nochmals betont, daß mit der Einführung eines solchen Topos in die Prinzipienabwägung das geltende Recht, namentlich § 138 Abs. 1 und Abs. 2, § 313, § 315 Abs. 2 S. 2 BGB, keinesfalls zugunsten einer Äquivalenz- oder Richtigkeitskontrolle zurückgedrängt werden darf, die unterhalb der hohen Schwellen der lex lata zu einer richterlichen Vertragskorrektur zugunsten der benachteiligten Partei führen würde. Soweit technische und wirtschaftliche Entwicklungen ein Bedürfnis erkennen lassen, strukturelle Ungleichgewichtslagen im Sinne von evidenten Informationsgefällen bei vertragswesentlichen Umständen zu begegnen,434 ist dem rechtlich durch ein „Mehr an Information“, d. h. durch 429

Bydlinski, ebd. (Fn. 427). Bydlinski, ebd. (Fn. 427). 431 Bydlinski, ebd. (Fn. 427); ders., JBl. 118 (1996), 683 (696): „Systemverträglichkeit“. 432 Nach Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (695) sind massive strukturelle Ungleichgewichtslagen als Ausgangspunkte für weitere Überlegungen häufig gut erkennbar. Diese ergäben sich nicht aus abstrakten ökonomischen Rollen wie der Rolle als Verbraucher oder Unternehmer oder aus unterschiedlichen Kapitalausstattungen, sondern folgten aus „strukturell und massiv (und daher gut erkennbar) unterschiedlichem Zugang für die für die Vertragsentscheidung relevanten Informationen einerseits, aus dem Fehlen zumutbarer Entscheidungsalternativen bei den Verhandlungsparteien andererseits“. Solche Situationen seien „keineswegs auf Verbraucher-Unternehmerbeziehungen beschränkt und keineswegs in allen solchen Beziehungen zu beobachten“. 433 Vgl. Larenz, Richtiges Recht, S. 71 f.: Es lasse sich kein sicherer Maßstab dafür angeben, „wann ein Preis noch einigermaßen einen gerechten Gegenwert darstellt“. 434 Mit Recht bejahend Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (695). 430

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Aufklärungspflichten der besser informierten Partei435 , sowie durch Anfechtungs- bzw. Rücktritts- und Widerrufsrechte zugunsten der benachteiligten Partei,436 zu begegnen. Die essentialia negotii des Vertrags aber sollen grundsätzlich einer richterlichen Vertragskorrektur entzogen bleiben, denn der Richter ist nicht „Herr des Vertrags“.437 Im Ergebnis geben das Äquivalenz- und das Kontrollprinzip durchaus richtige Gedanken in Form von Rechtsprinzipien wieder, aber die Weite mancher Formulierungen birgt erhebliche Gefahren einer Überdehnung dieser Gedanken, was eine sehr vorsichtige Anwendung dieser Grundsätze nahelegt. 3. Das Differenzprinzip oder Prinzip des sozialen Ausgleichs a) Das Differenzprinzip oder Prinzip des sozialen Ausgleichs fordert rechtliche Maßnahmen zur langfristigen Verbesserung der Lage von schlechtergestellten Personengruppen.438 Es handelt sich dabei um eine Konkretisierung der „sozialen“ Gerechtigkeit.439 Dahinter verbergen sich vielfältige Maßnahmen, die dem Gesetzgeber obliegen, um eine Ausbeutung von Schwächeren im Rechtsverkehr zu verhindern, oder positiv gesprochen, um „Chancengleichheit“440 zu gewährleisten.441 Als Beispiele dafür kann man das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Regelungen betreffend den Arbeitsschutz sowie die Bestimmungen über die Prozeßkostenhilfe nennen. Das Prinzip des sozialen Ausgleichs reicht aber auch in das Steuer- und Sozialrecht hinein. Es ist Teil des großen Bereichs der staatlichen Daseinsvorsorge. 442 Angesprochen ist davon immer der Staat, d. h. der Gesetzgeber. b) Da die vorliegende Studie das Verhältnis von Privatrechtssubjekten zueinander betrifft, ist hier nicht im einzelnen auf das Differenzprinzip einzugehen. Zwar wird dieses Prinzip unter anderem zur Begründung für die vorerwähnten Grundsätze, z. B. das Informationsprinzip, herangezogen.443 Doch liefert es für sich allein betrachtet angesichts seiner Offenheit und Vagheit in bezug auf die schwächeren Gruppen und eine entsprechende Kriterienbildung, die eine Kon435

Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (696) spricht von „Aufklärungs- und Belehrungspfl ich-

ten“. 436 Vgl. auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 104; Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (695) spricht von „Auflösungsrechten“. 437 Ebenso Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (697). 438 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 575; ausführlich zu diesem Prinzip Larenz, Richtiges Recht, S. 132 ff. 439 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 576. 440 Larenz, Richtiges Recht, S. 133. 441 Siehe dazu bereits Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 105. Wirtschaftliche Schwachheit im Sinne eines geringen Einkommens könne bei Unterschreitung bestimmter Grenzen Anlaß für fürsorgerische Maßnahmen sein, nicht aber Anknüpfungspunkt für eine allgemeine Reform des Privatrechts bilden. 442 Larenz, Richtiges Recht, S. 134. 443 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 749.

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kretisierung zwingend erforderlich macht,444 keinen zusätzlichen Nutzen und Erkenntnisgewinn. Daher war hier nur näher auf den Informationsgrundsatz einzugehen. 4. Das Risikoprinzip Das Risikoprinzip ist durch drei außervertragliche „gesetzliche“ Zurechnungskriterien gekennzeichnet. Danach muß eine Partei ein bestimmtes Risiko tragen, wenn sie aus diesem Vorteile zieht (Äquivalenz), wenn das Risiko für sie beherrschbar ist (Prävention) oder wenn das Risiko aus ihrem räumlichen Einflußbereich stammt (Sphärengedanke).445 Das Prinzip hat seinen guten Sinn im außervertraglichen Bereich, d. h. dort, wo es um den zufälligen Eintritt eines Schadens und dessen Kompensation geht. Für die hier zu erörternden Sprachenfragen auf vertraglicher Ebene ist es weit weniger ergiebig. Ausgerechnet das Risikoprinzip findet also bei den „Sprachrisiko“-Fällen im Vertragsrecht kein praktisches Anwendungsfeld. In diesem Zusammenhang ist die weitverbreitete Bezeichnung „Sprachrisiko“ für die mit Sprachenproblemen des Vertragsrechts zusammenhängenden Rechtsfragen durchaus mißverständlich. 5. Die sog. deep pocket-Doktrin Völlig ungeeignet zur Lösung der in der vorliegenden Untersuchung zu erörternden Konflikte ist die heute kaum mehr vertretene sog. deep pocket-Dokrin, nach der im Zweifel der leistungsfähigere, wohlhabendere Vertragspartner die Risikofolgen tragen soll. Diese „trivialisierte Variante der ausgleichenden Gerechtigkeit“446 läuft auf eine pauschale Verantwortung des leistungsfähigeren Vertragspartners hinaus, indem sie die Sachprobleme durch Personalisierung ersetzt.447 Sie ist daher vergleichbaren Vorwürfen wie die oben kritisierte Verbraucherschutzdoktrin ausgesetzt, deren typologischer Ansatz zu falschen Antworten auf die zu lösenden rechtlichen Konflikte führen kann.448 Die deep pocket-Doktrin hat eine sachlich nicht mehr hinnehmbare Risikoverteilung zur 444 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 749 f.; zum Erfordernis der Konkretisierung allgemeiner Rechtsprinzipien durch Unterprinzipien und Einzelwertungen mit selbständigem Sachgehalt siehe Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 57. 445 Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 176. 446 Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 182. 447 Oechsler, ebd. (Fn. 446) und S. 48. 448 Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 48: Nach seiner Auffassung ist die Bezugnahme auf personal strukturelle Rollen und Statuten ein grober, pauschaler Weg, denkbaren Schutzanliegen gerecht zu werden. Er erfasse zwangsläufig auch Fälle, in denen ein sachlicher Regelungsbedarf gerade nicht nachweisbar sei. Dort fi ndet sich das treffende Zitat aus Pound, An Introduction to the Philosophy of Law, 2nd edition 1953, p. 164: „A debtor is by no means always the underdog which humanitarian thinking postulates (. . .).“; ausführlich gegen eine Personalisierung der Schutzzwecke unter dem Blickwinkel des Verbraucherschutzes Oechsler, a.a.O., S. 160 ff., 409; Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (693 ff.).

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Folge, die allein mit dem Argument „gerechtfertigt“ wird, die wohlhabendere Partei könne diese ungerechte Belastung besser ertragen.449 Von einer Differenzierung mit dem Ziel, gerechte Wertungen und dogmatisch tragfähige Antworten des Rechts450 zu finden, kann dabei nicht die Rede sein.451 Im deutschen Schadensersatzrecht hat die dem deep pocket-Ansatz nahestehende Argumentation mancher Gerichte, die Schadensersatzansprüche gegenüber dem „wohlhabenderen“ Schädiger unter anderem – manchmal auch unausgesprochen – damit begründete, daß er versichert sei oder daß er das verwirklichte Risiko habe leichter als der „weniger wohlhabendere“ Geschädigte versichern können, mit Recht Ablehnung erfahren. Der deep pocket-Ansatz wird daher im folgenden nicht mehr berücksichtigt. VI. Die Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen den verschiedenen Rechtsprinzipien 1. Keine Reduzierung auf ein einziges Prinzip als Interpretationsgrundlage Aus dem zuvor Erörterten ergibt sich bereits, daß die Deutung des Privatrechts von einem einzigen Rechtsprinzip her zum Scheitern verurteilt wäre. Statt dessen bedarf es der Vermittlung zwischen mehreren Prinzipien im Sinne eines Ausgleichs. Diese Erkenntnis ist nicht neu.452 Würde man anders vorgehen und etwa den Vorrang des die Privatrechtsordnung unbestritten konstituierenden Selbstbestimmungsprinzips als absolut qualifizieren, dann müßte irrtümlich abgegebenen Willenserklärungen von vornherein jede Verbindlichkeit abgesprochen werden und eine Irrtumsanfechtung solcher Erklärungen wäre an sich überflüssig, um die Rechtswirkungen der Erklärung zu beseitigen. Denn das 449 Gegen die deep pocket-Doktrin ausführlich Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 162 ff. m. w. N. 450 Zum dogmatischen Denken als Antwort auf Fragen an das Recht vgl. Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 376. 451 Zu der Gefahr der Verdeckung von Wertungen durch „personengebundenes Theoretisieren“ Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 164. 452 Siehe z. B. Bydlinski, Privatautonomie, wo im Vorwort empfohlen wird, „das Rechtsgeschäft nicht von einem einzigen Prinzip aus zu deuten und alles Gewicht entweder auf die Privatautonomie oder den Vertrauensschutz oder die Vertragstreue oder die Vertragsgerechtigkeit zu legen, sondern die genannten Grundsätze in ihrem variablen Zusammenwirken als Grundlage des Vertragsrechts zu erkennen“; ebenso Canaris, Vertrauenshaftung, S. 433, demzufolge allgemeine Rechtsprinzipien ihrem Wesen nach grundsätzlich keinen Ausschließlichkeitscharakter beanspruchen können; ders., Systemdenken und Systembegriff, S. 115 führt dazu aus, daß Prinzipiengegensätze notwendig zum Wesen einer Rechtsordnung gehören, dieser erst die ganze Sinnfülle geben, so daß sie nicht beseitigt, sondern durch eine „mittlere“ Lösung „ausgeglichen“ werden müssen; vgl. noch Larenz, Richtiges Recht, S. 84: Es zeige sich, daß rechtliche Regelungen oft zwischen mehreren Prinzipien zu vermitteln suchten; dabei ließen sich verschiedene Lösungen denken, die alle als „richtiges Recht“ verstanden werden könnten.

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Auseinanderfallen von Wille und Erklärung ist „pathologisch“, der irrtümlichen Willenserklärung fehlt hinsichtlich des Inhalts der Rechtsfolgen die Rechtfertigung durch die Selbstbestimmung.453 Daß der Erklärende seine Erklärung trotz abweichenden Willens – vorbehaltlich einer wirksamen Anfechtung nach §§ 119, 142 BGB – gelten lassen muß, wird unterschiedlich begründet,454 z.T. mit einem neben der Privatautonomie stehenden Prinzip des Vertrauensschutzes, z.T. mit einem Prinzip der Selbstverantwortung, das Teil der Selbstbestimmung sein soll oder – als eigenständiges Prinzip – jedenfalls Teil einer den Grundwert der Selbstbestimmung anerkennenden, widerspruchslosen Rechtsordnung. Zutreffend wird die Selbstverantwortung als Korrelat455 bzw. als Konsequenz456 der Selbstbestimmung beschrieben. Es entspricht der Gerechtigkeitsidee, wenn die Rechtsordnung, die dem einzelnen weitreichende Möglichkeiten zugesteht, seine Rechtsvorstellungen gemäß seinem eigenen Willen zu gestalten, ihm für dabei unterlaufende Fehler auch eine strenge Verantwortlichkeit im Sinne einer Folgenverantwortung auferlegt.457 Die gedankliche Geschlossenheit dieser Rechtsgeschäftslehre ist in der Tat „imponierend“458 : Die volle Wirkung gültiger Rechtsgeschäfte hängt von der Vornahme „echter“ Selbstbestimmungsakte ab. „Mißlungene“ Rechtsgeschäfte ziehen hingegen – nach erfolgter Anfechtung der Erklärung – lediglich die Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 122 BGB nach sich. Hier treffen die Prinzipien Privatautonomie, Selbstverantwortung und Verkehrsschutzerfordernisse aufeinander. Eine tragfähige Begründung dafür, warum es statt eines Ausgleichs, einer „praktischen Konkordanz“ zwischen diesen Prinzipien nur die Durchsetzung eines, nämlich des „stärksten“ Prinzips geben sollte, ist nicht ersichtlich. Abgesehen davon wäre die Beantwortung der Frage, welches Prinzip abstrakt oder im konkreten Fall Vorrang genießen soll, mit den größten Schwierigkeiten behaftet und vor allem vom Gerechtigkeitsempfinden des jeweils Urteilenden abhängig. Das Recht der Verpflichtungsgeschäfte kann demnach nicht von einem „archimedischen Punkt“ her begriffen werden. Weder der Wille des Erklärenden noch Vertrauensschutz- oder Verkehrsschutzaspekte, die Vertragsgerechtigkeit oder der Gedanke der Vertragstreue können für sich allein entscheidend sein. Ein vollständiges und wirklichkeitsgetreues Bild des geltenden Rechts der Verpflich-

453

Bydlinski, Privatautonomie, S. 53. Zu den verschiedenen Auffassungen vgl. Bydlinski, Privatautonomie, S. 53 ff. 455 Bydlinski, Privatautonomie, S. 53; ders., System und Prinzipien, S. 150 mit Fn. 150 und S. 165; Flume, BGB AT, S. 158; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 439 ff.; Jancke, Sprachrisiko, S. 157. 456 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, S. 81. 457 Bydlinski, Privatautonomie, S. 55; grundlegend zur Vertrauenshaftung als Korrelat der Privatautonomie Canaris, Vertrauenshaftung, S. 439 ff.; vgl. auch Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 37 f. 458 Bydlinski, ebd. (Fn. 457). 454

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Erster Teil: Grundlagen

tungsgeschäfte ergeben vielmehr erst alle diese Gesichtspunkte zusammengenommen.459 2. Wilburgs Lehre vom „beweglichen System“ im Rahmen des vorzunehmenden Ausgleichs a) Walter Wilburg460 hat die Notwendigkeit eines solchen Ausgleichs früh erkannt. Seine Erkenntnisse vom Zusammenspiel der Kräfte in einem „beweglichen System“461 können für die vorliegende Studie fruchtbar gemacht werden.462 Wie in den Arbeiten Wilburgs geht es auch im Bereich der „Sprachrisiko“-Fälle darum, möglichen „Gerechtigkeitsdefiziten“ gerecht zu werden, mit denen das Recht durch gesellschaftliche Veränderungen konfrontiert wird, ohne aber „den Schritt in die freie Rechtsfindung“463 gehen zu müssen. Das Ziel besteht darin, „das System des Privatrechts464 so zu gestalten, daß es ohne Verlust seines inneren Haltes die Eignung erlangt, die vielfältigen Kräfte des Lebens in sich aufzunehmen“.465 Das darf nicht mit einer bloßen Billigkeitsjurisprudenz verwechselt werden. Der „Idee der Billigkeit“ fehlt es nach Wilburg nämlich an der „Grundsätzlichkeit“, so daß sie als für den Richter geltendes Prinzip gefährlich wäre.466 Es sei gerade der Sinn seiner Lehre, „zu vermeiden, daß das Gericht nur auf Billigkeit, auf jeweiliges Rechtsempfinden, auf gute Sitten oder ähnlich inhaltslose Begriffe verwiesen wird“.467 Der Richter solle „nach gelenktem Ermessen, 459 Bydlinski, Privatautonomie, S. 124; ähnlich Zöllner, AcP 196 (1996), 1 (34) mit der Forderung, die Vertragstheorie solle sich „von dem Ehrgeiz lösen, das Weh und Ach ungerechter Vertragsinhalte aus einem Punkte zu erklären“. 460 Wilburg, Die Elemente des Schadensrechts, 1941; ders., Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950 (Grazer Rektoratsrede); ders., AcP 163 (1963), 346 ff. 461 Die „Beweglichkeit“ des Systems besteht darin, daß kein festes Rangverhältnis zwischen den „Elementen“ und damit auch keine starre Hierarchie von Prinzipien bzw. Wertungen existiert, so daß je nach Problem einmal dieser und ein andermal ein anderer Lösungsgesichtspunkt den Vorrang hat, vgl. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 108 f. mit Fn. 172 sowie dens., Systemdenken und Systembegriff, S. 75. 462 Bydlinski, Privatautonomie, S. 25.; vgl. auch dens., JBl. 118 (1996), 683 ff. sowie die Beiträge in: Bydlinski/Krejci/Schilcher/Steininger (Hrsg.), Bewegliches System und juristische Methodenlehre, in: Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986 (= Sammelband anläßlich eines Symposions zum 80. Geburtstag Wilburgs). 463 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, S. 1 (6). 464 Daß Wilburgs Ansatz nicht auf das Schadensrechts beschränkt ist, für den er 1941 ursprünglich entwickelt wurde, betont zutreffend Koller, Möglichkeiten und Grenzen eines beweglichen Rechtssystems, in: Wertung und Interessenausgleich im Recht (1975), S. 1 (6). 465 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems, S. 1 (22). 466 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems, S. 1 (6). Die „Gerechtigkeit“ faßt Wilburg ebd. als ein höheres Prinzip auf, „das für Gesetz und Richter eine psychologische Stütze in der Abwägung der Interessen bildet“. 467 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems, S. 1 (22); dazu Koller, Möglichkeiten und Grenzen eines beweglichen Rechtssystems, S. 1. Im Anschluß an Wilburg für eine Zurückdrängung des subjektiven Entscheidungsermessens Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (687 und S. 693 mit Fn. 34). Prägnant ders., Bewegliches System und juristische Methodenlehre,

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nicht aber (. . .) frei seine Entscheidung treffen“. 468 Daß durch die Anwendung einer „beweglichen Gestaltung“ die Verantwortung des Richters erhöht wird, rechtfertigt Wilburg damit, daß dessen Stand noch viel schwerer sei, wenn er Grundsätze anwenden solle, die zu unannehmbaren Konsequenzen führten. Oftmals müßten Künste der Auslegung, die eine versteckte Korrektur des Gesetzes seien, oder Gewaltmittel der Sachverhaltsfeststellung zu diesem Zweck verhelfen.469 Wilburg bestreitet nicht generell den „guten Sinn“ von Rechtsprinzipien, bemängelt aber, ihr Fehler liege darin „daß sie die Alleinherrschaft anstreben und absolute Geltung in Anspruch nehmen wollen“.470 Die daraus entstandenen Gegensätze hätten schließlich „zur Resignation der Lehre und zum Verzicht auf eine grundsätzliche Lösung geführt“.471 Der seinerzeit herrschenden Lehre macht er zum Vorwurf, „daß sie zusehr an absolute Prinzipien denkt und die gegebenen Kräfte an bestimmte historisch gewordene Zusammenhänge bindet. Sie gleicht einem Feldherrn, der über seine strategischen Mittel nicht beweglich und souverän verfügt“.472 Ein Gesetz hingegen, „das elastisch die maßgebenden Gesichtspunkte bestimmt, kann sogar eine festere Stütze sein, ebenso wie ein elastisches Band oft besser hält als ein starres Gefüge, das nicht die Fähigkeit besitzt, den Bewegungen zu folgen.“473 Eine bewegliche Entwicklung liege auch im Geist des Gesetzes, dem die Vorstellung eines Zusammenspiels der Kräfte keineswegs fernliege.474 Für vorbildlich erachtet Wilburg insoweit § 7 des öABGB, der dem Richter die Vollmacht erteilt, diejenigen Fälle, die der Gesetzgeber nicht erwogen hat, mit Hilfe der Analogie und nach natürlichen Rechtsgrundsätzen zu lösen.475 Die Wesensmerkmale des so verstandenen „beweglichen Systems“ sind die grundsätzliche Ranggleichheit und wechselseitige Austauschbarkeit der „Elemente“ als den maßgeblichen Prinzipien bzw. Gerechtigkeitskriterien bei gleichzeitigem Verzicht auf eine abschließende Tatbestandsbildung.476 b) Wilburgs Lehre hat, vor allem auf Grund einer bis heute leider kaum geleisteten präzisierenden Fortentwicklung,477 zu einigen Mißverständnissen Anlaß gegeben.478 So meinte Viehweg, den Gedanken des beweglichen Systems exemS. 21 (33) sowie ders., Methodenlehre, S. 533. Danach ist das „bewegliche System“ nicht gleichbedeutend mit „Freirecht, Billigkeitsjudikatur oder aussichtslose[r] Diskussion im Kreis“. 468 Wilburg, ebd. (Fn. 467). 469 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems, S. 1 (23). 470 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems, S. 1 (12). 471 Wilburg, ebd. (Fn. 470). 472 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems, S. 1 (22). 473 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems, S. 1 (22 f.). 474 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems, S. 1 (23). 475 Wilburg, ebd. (Fn. 474). 476 So Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 75. 477 Vgl. aber Bydlinski/Krejci/Schilcher/Steininger, Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, 1986; Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 ff. 478 Vgl. dazu Koller (Fn. 464), 1 (6); Bydlinski, Methodenlehre, S. 531 ff.

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plarisch für seine Topik-Lehre beanspruchen zu können. 479 Die Deutung des beweglichen Systems als Topoikatalog konfligiert in Wahrheit jedoch mit der Zielsetzung, eine richterliche Entscheidung nach „gelenktem Ermessen“ herbeizuführen und ein Abstellen „nur auf Billigkeit, auf jeweiliges Rechtsempfinden, auf gute Sitten oder ähnliche inhaltslose Begriffe“ zu vermeiden.480 Wie sich aus Wilburgs leider unpubliziert gebliebener Wiener Ehrenpromotionsrede von 1975 ergibt, verstand er unter den materiellen „Elementen“ seiner Lehre „die im Recht anerkannten Wertungsgesichtspunkte“ nach denen der einzelne Fall zu entscheiden sei, „nicht nach freiem Willen, sondern nach einer vorgegebenen Wertung im Gesetz“.481 Im Unterschied zur Topik, die sich „in dem Nebeneinander einer unbegrenzten Vielzahl mehr oder weniger beliebiger Gesichtspunkte – eben topoi – ohne verbindliche Eingrenzung und unter Verzicht auf jede Systembildung“482 erschöpft, besteht ein prägendes Charakteristikum des beweglichen Systems „in der Beschränkung der maßgeblichen Entscheidungskriterien auf einen verhältnismäßig kleinen Kreis, der nicht ad hoc ausgeweitet werden kann“.483 Die Elemente des beweglichen Systems werden durch Induktion gewonnen.484 c) In Fortführung der Lehren Wilburgs hat es in der Folgezeit vor allem Koller versucht, dem beweglichen System durch die Verwendung von Typusbegriffen „eine formal strengere Fassung zu geben“.485 Dieser Versuch muß – bei grundsätzlicher Anerkennung eines Bedürfnisses nach „festeren Regeln“ für eine bewegliche Gestaltung und Anwendung des Rechts – 486 als gescheitert angesehen werden, wie überhaupt der Typusbegriff die Schwierigkeiten der Rechtsanwendung eher erhöht; das wurde oben paradigmatisch an der Dichotomie zwischen den Typen des „Verbrauchers“ und des „Unternehmers“ bereits gezeigt.487 Das im Schrifttum immer wieder vorgebrachte Desiderat nach mehr Präzision der Lehre vom beweglichen System und insbesondere einer Bestimmung des Gewichts der einzelnen sie tragenden Elemente ist verständlich und 479

Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 105 ff.; dagegen Bydlinski, Methodenlehre,

S. 533. 480 Koller, Möglichkeiten und Grenzen eines beweglichen Rechtssystems, S. 1 (7); siehe auch Bydlinski, Methodenlehre, S. 532 f.; ders., Bewegliches System und juristische Methodenlehre, S. 21 (32 f.); Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 84; ders., Bewegliches System und Vertrauensschutz im rechtsgeschäftlichen Verkehr, S. 103. 481 Zitiert nach dem bei Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (690) wiedergegebenen Tonbandprotokoll dieser Rede. 482 Canaris, Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, S. 103; ähnlich Bydlinski, Methodenlehre, S. 533: „grundsätzlich endlose Aneinanderreihung beliebiger antinomischer Gesichtspunkte bei der Diskussion eines Problems“. 483 Canaris, Das Bewegliche System und Vertrauensschutz im rechtsgeschäftlichen Verkehr, S. 103 (104). 484 Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (690). 485 Koller (Fn. 464), 1 (7 ff.). 486 Bydlinski, Bewegliches System und juristische Methodenlehre, S. 21 (30). 487 Vgl. Bydlinski, JBl. 118 (1996), 683 (693 ff.).

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sachlich berechtigt. Allerdings hat nun gerade Wilburg eine solche Bestimmung selbst für „weder möglich noch erstrebenswert“ gehalten.488 Schon das Verschulden allein würde sich mit seinen verschiedenen Stärkegraden einer starren Festlegung entziehen.489 Bei der Anwendung des beweglichen Systems nach „festeren Regeln“ ist der von Bydlinski 490 unterbreitete Vorschlag zur praktischen Vorgehensweise beachtlich. Seines Erachtens ist zunächst eine „Basiswertung“491 notwendig, die aus den vom Gesetzgeber für den „Durchschnittsfall“ normierten gesetzlichen Tatbeständen zu ermitteln ist. Diese Basis muß in einem methodisch nachprüfbaren Zusammenhang mit dem geltenden Recht, d. h. mit dessen Regeln und Prinzipien stehen, um Legitimität zu besitzen. Sodann sind nach dem Vorschlag von Bydlinski die einzelnen „Elemente“ der Wertung im logischen Sinn als „komparative Sätze“492 nach dem Schema: „Je mehr (vom graduell abstufbaren Kriterium), umso mehr (umso eher) die Rechtsfolge“ zu gebrauchen. Canaris spricht von einer einzelfallbezogenen Ermittlung der Rechtsfolge „aus dem Zusammenwirken der Elemente je nach Zahl und Stärke“.493 Das gilt – wegen des Vorrangs unbeweglicher Systemteile, d. h. solchen mit fester Tatbestandsbildung und feststehender Rechtsfolge – jedoch nur dort, wo im Ausnahmefall überhaupt von einer Beweglichkeit des Systems des Privatrechts gesprochen werden kann, etwa bei Fragen des Mitverschuldens (§ 254 BGB) oder bei der Anwendung von Generalklauseln.494 d) Man hat gegen die Konzeption Bydlinskis eingewandt, komparative Sätze mit dem Gehalt „je mehr, desto“ seien „der Sache nach nicht erkennbar“. 495 Die Elemente des Vertragsrechts könnten aber dergestalt mit einem beweglichen System in Verbindung gebracht werden, daß man – in Konkretisierung des materialen Vertragsprinzips – auf das Eingreifen der Rechtsordnung schlechthin und den Gehalt der zu erwartenden Regelung abstelle.496 Danach gelten folgende abstrakte Grundsätze: Privatautonomie wird um so mehr eingeräumt, als sie nicht zu Gefährdungen der Beteiligten, Dritter oder öffentlicher Interessen führt. Solche Gefährdungen sind um so eher anzunehmen, als es um wichtige 488

Wilburg, AcP 163 (1963), 346 (347). Wilburg, ebd. (Fn. 488). 490 Bydlinski, Bewegliches System und juristische Methodenlehre, S. 21 (30, 37) sowie ders., Methodenlehre, S. 531 argumentiert auf der Basis der Arbeiten Wilburgs, Schilchers und Ottes. 491 Der Begriff stammt von Schilcher, Theorie der Schadensverteilung, 1977, S. 204. Für eine solche Basiswertung votieren Bydlinski, Bewegliches System und juristische Methodenlehre, S. 21 (30) und ders., Methodenlehre, S. 531 sowie Canaris, Bewegliches System und Vertrauensschutz, S. 103 (111). 492 Otte, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 2: Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft (1972), S. 301 ff. 493 Canaris, Bewegliches System und Vertrauensschutz, S. 103 (104). 494 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 78 ff. 495 Hönn, Verständnis und Interpretation des Vertragsrechts, S. 87 (96). 496 Hönn, ebd. (Fn. 495). 489

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Erster Teil: Grundlagen

Vertragsinteressen geht. Gefährdungen werden unter Berücksichtigung des Wettbewerbs- und Sozialstaatsprinzips so bewältigt, daß es zu einer möglichst geringen Beschränkung der Privatautonomie kommt.497 Bydlinski geht davon aus, daß die Lehre Wilburgs anwendbar ist, wenn das Gesetz nicht in komparativen Tatbeständen, sondern in Gestalt der üblichen „starren“ Tatbestände formuliert ist.498 Damit ist die von ihm beschriebene komparative Struktur keine allgemeingültige, die in jedem Fall Platz greift. „Vor der letzten Zuflucht bei der persönlichen Eigenwertung des Beurteilers (. . .) und im Interesse einer rational nachprüfbaren Entscheidung“ erinnert er daran, daß dem Gesetz, welches selbst die „Basiswertung“ bietet, „eine letztlich zusammenfassende Wertung als Resultat verschiedener Einzelwertungen“ zugrunde liege, wie „aus der Mehrheit abstufbarer Tatbestandsmerkmale erkennbar“ sei.499 Der Hinweis Bydlinskis auf die Gefahr, daß an die Stelle der ratio legis die eigene Wertung des Beurteilers gesetzt wird, ist von besonderer Wichtigkeit. Denn es muß in jedem Fall vermieden werden, daß im Gewande des beweglichen Systems eine freie Rechtsfindung betrieben wird. Die Rationalität der Wertungen, die dem geschriebenen Recht zugrundeliegen, darf also nicht durch nicht legitimierte subjektive Erwägungen des jeweiligen Beurteilers unterlaufen werden.500 e) In der Gesamtbetrachtung führt das Zusammenspiel der Kräfte im „beweglichen System“ nur wenig über das hinaus, was Bydlinski zum Verhältnis der Rechtsprinzipien zueinander ausgeführt hat: Im Recht der Verpflichtungsgeschäfte geht es um eine Prinzipienabwägung, deren Ziel darin besteht, daß sich jedes Prinzip im Rahmen seines Realbereichs „noch in einem spürbaren Mindestmaß behaupten“ kann.501 Die fundamentalen Rechtsprinzipien und die 497

Hönn, ebd. (Fn. 495). Bydlinski, Methodenlehre, S. 537: „Kurz gesagt: Die Behandlung eines gewöhnlichen (nicht ‚beweglichen‘) gesetzlichen Tatbestandes als ‚bewegliches System‘ ist möglich und jedenfalls legitim, sobald kein anderer Weg an der persönlichen Eigenwertung vorbeiführt.“ 499 Bydlinski, Methodenlehre, S. 535 f., 538. Allerdings sieht er durch die von ihm vorgeschlagene „kombinatorische Auslegung“ in den von ihm erörterten Grenzfällen die Notwendigkeit der persönlichen Eigenwertung nicht völlig beseitigt. In derartigen Zweifelsfällen scheint mir die Praktikabilität des beweglichen Systems gemindert und die Gefahr einer Entscheidung auf rein subjektiver Basis erhöht zu sein. Bydlinski bestreitet das, indem er sich a.a.O., S. 537 f. gegen das stereotype Lamentieren über einen angeblich drohenden Verlust an Rechtssicherheit wendet und darauf verweist, daß die Alternative in den angesprochenen Grenzfällen gerade „die unkontrollierbare und unvorhersehbare, weil höchstpersönliche, globale Eigenwertung des Beurteilers“ sei. 500 Zur Bedeutung der Rationalität von Wertungen und Entscheidungen vgl. noch Jørgensen, Recht und Gesellschaft, S. 8 f., 98 ff. 501 Bydlinski, System und Prinzipien, S. 332; sehr kritisch dazu Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 159: Durch die typologische Kombination werde die fehlende teleologische Trennschärfe der Einzelinhalte nicht beseitigt, sondern das zugrundeliegende Problem lediglich auf die Ebene eines noch weniger durchsichtigen Zusammenspiels von Prinzipien transferiert. Im Einzelfall vermisse der Rechtsanwender folglich einen konkreten Maßstab dafür, welche Kombination von Gerechtigkeitsinhalten in welcher Intensität An498

§ 4 System und Prinzipien des Privatrechts

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daraus abgeleiteten Unterprinzipien sind bei der Gewinnung der Elemente des jeweiligen beweglichen Systems heranzuziehen. 502 Es ist sinnvoll und praktikabel, bei der Suche nach konkreten Rechtsregeln die „Tendenzaussage“ eines für relevant erachteten Prinzips durch jene eines widersprechenden Prinzips in seinem Inhalt bzw. seiner Reichweite zu begrenzen, um auf diese Weise einen Ausgleich zu leisten.503 Denn die Prinzipien „entfalten ihren eigentlichen Sinngehalt erst in einem Zusammenspiel wechselseitiger Ergänzung und Beschränkung“.504 Eine allgemeingültige, positive Vorrangregel für sämtliche relevanten Rechtsprinzipien (Elemente) nach der Formel „Das Prinzip (Element) X ist wichtiger als das Prinzip (Element) Y, ihm kommt daher der Vorrang zu“, läßt sich abstrakt nicht formulieren. Richtig ist nur, daß um so mehr Privatautonomie eingeräumt wird, je geringer die „Gefährdungen“ der Beteiligten und des Rechtsverkehrs sind. Vom Vorhandensein der Privatautonomie bzw. Selbstbestimmung wird – jenseits der §§ 104, 105 BGB – im Privatrechtsverkehr zunächst einmal ausgegangen, 505 um dann von den „Defektlagen“ her zu Einschränkungen derselben zu gelangen. Das entspricht dem „liberalistischen“ Modell des Bürgerlichen Gesetzbuches ebenso wie dem Menschenbild des Grundgesetzes und dem „modernen“ Leitbild vom aufgeklärten Verbraucher im Wettbewerbsrecht. So betrachtet kann man sagen, daß das Prinzip der Privatautonomie sicherlich ein sehr großes Gewicht besitzt, doch ist mit dieser positiven Aussage für die Lösung der Einzelfallprobleme, in denen die besagten „Gefährdungen“ oder „Defektlagen“ in mehr oder weniger starken Grade zu wendung finden müsse. Das Mit- und Gegeneinander der Einzelprinzipien finde also in einem teleologisch unklaren Verhältnis statt. 502 Bydlinski, Methodenlehre, S. 542 f. 503 Alexy geht davon aus, daß die rechtlichen Möglichkeiten der Erfüllung eines Prinzips – außer durch Rechtsregeln – durch gegenläufige Prinzipien bestimmt würden. Gegenläufige Prinzipien begrenzten die rechtlichen Möglichkeiten ihrer Realisierung, siehe Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 120 sowie dens., ARSP Beiheft 25 n. F. (1985), 13 (20). Die Abwägung sei die für Prinzipien kennzeichnende Form der Anwendung, siehe Begriff und Geltung des Rechts, ebd. In einer früheren Veröffentlichung (in: Krawietz [Hrsg.], Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz, 1979, S. 59, 80) hat Alexy die Auffassung vertreten, Rechtsprinzipien gingen nicht auf volle Verwirklichung aus, sondern brächten nur Wertungen zum Ausdruck, die „mehr oder weniger stark“ erfüllt werden könnten, was insbesondere von konkurrierenden anderen Prinzipien abhänge. Das entspricht in der Sache der hier vertretenen Auffassung. Zum Zusammenhang der Lehre Alexys zum beweglichen System Wilburgs vgl. Bydlinski, Bewegliches System und juristische Methodenlehre, S. 21 (23); zur Leistungsfähigkeit des beweglichen Systems in bezug auf fundamentale Rechtsprinzipien siehe a.a.O., S. 27 ff. 504 Zur Problematik der Gegensätzlichkeit von Prinzipien Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 52 ff., 55; ders., iustitia distributiva, S. 23. 505 Wie hier Hönn, Verständnis und Interpretation des Vertragsrechts, S. 57 (72): Die Macht zur Selbstbestimmung werde bei vorhandener Geschäftsfähigkeit als bestehend zugrunde gelegt. Von dieser Ausgangsbasis sei es ein Hauptproblem, inwieweit sich der reale Wille beim Abschluß von Rechtsgeschäften durchzusetzen in der Lage sei: Die Rechtsgeschäftslehre sei das zentrale Thema.

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Erster Teil: Grundlagen

Tage treten, praktisch wenig gewonnen. Richtig ist auch, daß ein Zusammenwirken der Systemelemente nach Zahl und Stärke für die Ermittlung der Rechtsfolge im Einzelfall relevant wird. Darin liegt ein – notwendiger – „Verzicht auf eine feste Tatbestandsbildung“.506 Trotz dieses Umstands ist die Rationalisierungsleistung der Lehre vom beweglichen System als erheblich einzuschätzen. Dabei ist im Privatrecht vor allem an die Auslegung der gesetzlichen Generalklauseln zu denken. In dieser Hinsicht vermag das bewegliche System offenen Tatbeständen eine gewisse Ordnung und Struktur zu geben, die einen großen Vorzug gegenüber einer bloßen Billigkeitsjurisprudenz „unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls“ bietet. 507 Das bewegliche System weist gegenüber den unbeweglichen Systemteilen des geltenden Privatrechts zwar eine geringere Rechtssicherheit auf.508 Gleichwohl hat es Canaris als „einen besonders glücklichen Kompromiß der verschiedenen Postulate der Rechtsidee“ bezeichnet.509 Denn das bewegliche System, das aus einer beschränkten Zahl von „Elementen“ aufgebaut ist, dient sowohl der generalisierenden Tendenz der Gerechtigkeit durch eine allgemeine Festlegung der maßgeblichen Gerechtigkeitskriterien als auch der individualisierenden Tendenz durch Abhängigmachen der konkreten Rechtsfolge von Zusammenwirken dieser Gesichtspunkte im Einzelfall.510 Auch ist die Rechtssicherheit immerhin noch in weit stärkerem Maß gewahrt als bei einer bloßen Billigkeitsklausel. Es bringt deren „Polarität“ in einer „mittleren Lösung“ zum Ausgleich und hält sich von den Rigorismen starrer Normen gleichermaßen fern wie von der Konturlosigkeit reiner Billigkeitsklauseln.511 Das aber ist ein entscheidender Gesichtspunkt. Jenen Kritikern, die auf die geringe Rechtssicherheit bei Anwendung des beweglichen Systems verweisen, wäre also entgegenzuhalten, daß ein Rückgriff auf unbewegliche Systemteile, die die Rechtssicherheit besser gewährleisten, in den einschlägigen Fällen nicht möglich ist, so daß vom Standpunkt der Gegner aus nach Treu und Glauben, Billigkeit o.ä. zu entscheiden wäre. Demgegenüber ist die Anwendung des beweglichen Systems vorzugswürdig, weil konturenschärfer und rationaler ausgestaltet. Dies betrifft beispielsweise die praktisch so bedeutsame Frage nach der Begründung von Aufklärungspflichten des besser informierten Teils zugunsten seines schlechter informierten Verhandlungs- oder Vertragspartners. Bei dieser Frage hilft der Hinweis auf Treu und Glauben ge506

Canaris, Bewegliches System und Vertrauensschutz, S. 103 (104). Siehe Bydlinski, Methodenlehre, S. 539. Das bewegliche System habe sich „als geeignet erwiesen, das vielfältige normative Material, dessen man zur Konkretisierung einer gesetzlichen Generalklausel bedarf („benachbarte“ gesetzliche Grundwertungen; soziale Regeln und Standards, auf die die Generalklausel verweist; Präjudizien) zu ordnen und leichter und konsequenter anwendbar zu machen“. 508 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 82. 509 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 84. 510 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 83. 511 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 84. 507

§ 4 System und Prinzipien des Privatrechts

233

mäß § 242 BGB nicht weiter, sondern man muß – ausgehend von dem Prinzip, daß jeder der Kontrahenten für sich selbst verantwortlich ist – Einzelkriterien oder „Elemente“ herausarbeiten, die je nach Zahl und Stärke eine Aufklärungspflicht begründen können. Für die im folgenden zu erörternden „Sprachrisiko“-Konstellationen erweist sich das bewegliche System im Vergleich zur Billigkeitsdezision als ein eminent wichtiger wissenschaftlicher Fortschritt, 512 und zwar schon deshalb, weil es zur nachprüfbaren Offenlegung der „eigentlichen“ Einzelwertungen des Beurteilers führt, statt vorzugeben, dieser habe unter die „Rechtsnorm“ des § 242 BGB „subsumiert“.513 In der Literatur zu § 242 BGB wird die Forderung erhoben, es gelte, den Rechtsstoff zu systematisieren und auf verallgemeinerungsfähige Wertungsgrundsätze zu reduzieren, die das Verständnis und die wertende Nachvollziehbarkeit des geschaffenen Rechts erleichtern, im Prozeß der weiteren Rechtsfortbildung eingesetzt werden können und so deren Vorhersehbarkeit und damit die Rechtssicherheit verbessern. 514 Diese Forderung deckt sich mit den Anliegen der Vertreter des beweglichen Systems. An ihr wird deutlich, daß Entscheidungen nach Billigkeit und die Schaffung einer Kasuistik zu § 242 BGB in systematischer wie in rechtspraktischer Hinsicht unbefriedigend sind. f) Die Grenzen des beweglichen Systems liegen dort, wo das positive Recht klare und eindeutige Vorgaben enthält. Dieses ist, auch wenn es möglicherweise zum Teil als sachlich verfehlt erscheinen sollte, zu respektieren und als verbindlich zu behandeln.515 Das bewegliche System darf deshalb in methodischer Hinsicht schon aus Gründen der Gesetzesbindung nicht dazu mißbraucht werden, das geltende Recht umzudeuten oder zu umgehen (vgl. Artt. 20 Abs. 3 GG, 97 Abs. 1 GG). Das gilt in bezug auf die „Sprachrisiko“-Problematik auch für systemfremde Gesichtspunkte der materialen Vertragsgerechtigkeit, die gegenüber dem positiven Recht und Systemargumenten nur in den seltenen Fällen der Rechtsfortbildung beachtlich sind. 516 g) Das bewegliche Systemdenken ermöglicht über die Lösung von Einzelfällen hinaus unter anderem die Bewältigung der nicht seltenen Konfliktsituation, daß Auslegungs- oder Rechtsfortbildungsargumente in unterschiedliche Rich-

512 Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 85 bescheinigt der Lehre vom beweglichen System, eine entscheidende Bereicherung des gesetzgeberischen wie des methodologischen Instrumentariums darzustellen; sie zähle daher zweifellos zu den bedeutenden juristischen „Entdeckungen“. 513 Dazu, daß es sich bei § 242 BGB nicht um eine subsumtionsfähige Rechtsnorm handelt, siehe MüKo BGB/G. H. Roth, § 242 Rn. 2: „Er ist keine Rechtsnorm, unter deren Tatbestand ein Sachverhalt subsumiert und aus deren Rechtsfolgeaussage dann ein eindeutiges Ergebnis abgeleitet werden könnte.“ 514 MüKo BGB/G. H. Roth, § 242 Rn. 4. 515 Bydlinski, Methodenlehre, S. 541. 516 Vgl. allgemein Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 110.

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Erster Teil: Grundlagen

tungen deuten.517 Bydlinski hat dazu die These vertreten, daß die Grundgedanken des beweglichen Systems vor allem der systematischen und der teleologischen Auslegung große zusätzliche Möglichkeiten eröffneten. Man müsse dabei allerdings von den formulierten Rechtsnormen auf die zugrundeliegenden Wertungen zurückgehen, weil sehr häufig einer gesetzlichen Norm nicht eine Interessenbewertung oder Zweckerwägung, sondern eine Mehrheit von solchen zugrunde liege. Bei ganzen Rechtsinstituten oder Rechtsgebieten sei jeweils eine Mehrzahl von allgemeinen rechtlichen Wertungen („Rechtsprinzipien“) wirksam, so daß es unvermeidlich sei, bei der theoretischen Erklärung sowie bei der Auslegung und Anwendung der Rechtsnormen auf die verschiedenen allgemeinen Wertungs- und Zweckgesichtspunkte in der Kombination zurückzugehen, die dem betreffenden Rechtsbereich zugrundeliege. 518 Es handele sich um eine systematisch-teleologische Auslegung und Rechtsfortbildung gleichsam „zweiter Stufe“, wobei die ratio legis als eine aus mehreren Teilbewertungen resultierende Gesamtbewertung verstanden werden müsse.519 Die sachliche Nähe dieses Verfahrens zu jenem der Analogie – allerdings nicht verstanden als die Ausfüllung planwidriger Lücken des Gesetzes, sondern richtig als bewußte „Vollendung“ des Regelungsplans des Gesetzgebers520 , als teleologisch folgerichtiges „Zuendedenken“ der bestehenden Regelung auf die zu schließende Lücke hin – 521 ist offensichtlich.522 Methodisch korrekter als die Bezeichnung „Analogie“ ist wohl die Bezeichnung als „Rechtsfortbildung mit Hilfe allgemeiner Rechtsprinzipien“523 .

517

Bydlinski, Bewegliches System und juristische Methodenlehre, S. 21 (27). Bydlinski, Bewegliches System und juristische Methodenlehre, S. 21 (36); ders., Methodenlehre, S. 538. 519 Bydlinski, Bewegliches System und juristische Methodenlehre, S. 21 (36 f.); ders., Methodenlehre, S. 538. 520 Richtig gesehen und in Wilburgs System eingeordnet von Steininger, Walter Wilburg als Lehrer und Forscher in der Erinnerung seiner unmittelbaren Schüler und das Bewegliche System im Gesamtgefüge der Wissenschaften, in: Das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht (1986), S. 1 (7). 521 So eine Formulierung von Säcker, JurA 1971, 509 (514). 522 Siehe Bydlinski, AcP 188 (1988), 447 (454 mit Fn. 10): ): „Bei der Entscheidung einer nicht unmittelbar durch positivierten Rechtssatz geregelten Frage geht es jeweils darum, die in Betracht kommenden Prinzipien der geltenden Rechtsordnung festzustellen und in Analogie zu den Konsequenzen zu entscheiden, die im geltenden Recht bereits aus diesen Prinzipien gezogen wurden.“ – Vgl. dazu am Beispiel des Typusbegriffs Jørgensen, Recht und Gesellschaft, S. 19: Wenn man einen Tatsachenkomplex unter einen Typus qualifizieren wolle, könne man dies nicht durch Subsumtion tun. Die Denkform, die dem Wertungsakt zugrunde liege, sei die Analogie. 523 Dabei handelt es sich um eine von Canaris verwandte Bezeichnung, die sich gegen Bydlinskis – allerdings nur vorläufig gewählten – Terminus „Substitutionsanalogie“ richtet, siehe Canaris, Bewegliches System und Vertrauensschutz, S. 103 (116) und Bydlinski, Methodenlehre, S. 540; vgl. in diesem Zusammenhang auch MüKo BGB/G. H. Roth, § 242 Rn. 5. 518

§ 4 System und Prinzipien des Privatrechts

235

3. Bewertungsmaßstäbe jenseits der Rechtsprinzipien? Die zuvor erörterten Rechtsprinzipien sind für die Beurteilung der „Sprachrisiko“-Fälle eine wichtige Beurteilungsgrundlage. Das bedeutet allerdings nicht, daß es jenseits des Prinzipienstoffes keine weiteren Umstände rechtlicher oder tatsächlicher Art gäbe, die für die Fallösung von Relevanz sein könnten. Ein Umstand, der jenseits des oben erörterten „Prinzipienkosmos“ liegt und der gleichwohl für die Problemlösung vertragsbezogener Sprachenfragen bedeutsam sein kann, ist das Bestehen eines Dauerschuldverhältnisses. 524 Die rechtliche Einordnung eines Vertragsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis kann fruchtbar gemacht werden, soweit es um die Begründung selbständiger Aufklärungs- und Informationspflichten geht. Die Frage nach dem Bestehen eines Dauerschuldverhältnisses ist nicht Teil des Rechtsprinzipienkatalogs. Gleichwohl fügt sich dieser Aspekt in das oben erörterte „bewegliche System“ im Sinne Wilburgs ohne weiteres ein. Denn es handelt sich nicht nur um eine tatsächliche, sondern zugleich um eine rechtliche Kategorie, und nicht etwa nur um ein bloß „topisches“ Element im Rahmen einer gänzlich freien Rechtsfindung.

524 Vgl. Zöllner, AcP 196 (1996), 1 (34), für den das Bestehen eines Dauerschuldverhältnisses – im Arbeitsrecht wie bei der Wohnungsmiete – „viel wichtiger als die fehlende Entscheidungsfreiheit“ ist. Zu den Problemen der Dauerschuld, insbesondere zu deren Kontextabhängigkeit bzw. Situationsgebundenheit, eingehend Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 262 ff. mit zahlreichen weiterführenden Nachweisen.

Zweiter Teil

Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems im deutschen Zivilrecht

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung als mögliche materiellrechtliche Kategorien der Zuweisung des „Sprachrisikos“ A. Einführung I. Nach erfolgter Klärung der maßgeblichen Vorfragen in den ersten vier Paragraphen ist in dem folgenden Hauptteil dieser Untersuchung der Frage nach der materiellrechtlichen Beurteilung von Verständnisrisiken nachzugehen. Dabei gilt die kollisionsrechtliche Prämisse, daß das materielle deutsche (Privat-)Recht als Vertragsstatut auf den zu beurteilenden Sachverhalt Anwendung findet. Auf eine eigenständige Begutachtung des Problems nach ausländischen Rechtsordnungen muß verzichtet werden. II. Von Verfassungs wegen ist der Staat nicht verpflichtet, für einen Ausgleich sprachenbedingter Erschwernisse zu sorgen, die im Tatsächlichen auftreten.1 Besondere Regelungen zum Schutz sprachunkundiger Ausländer im Privatrechtsverkehr hat der Gesetzgeber des BGB nicht geschaffen, übrigens in bewußter Abkehr der Ersten Kommission 2 von den Regelungen des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten vom 5. Februar 1794, das die Betroffenen auf die Abfassung schriftlicher Verträge vor Gericht bzw. vor dem Notar 1 So – betreffend die Anwendung des besonderen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 3 GG auf die Sprache des Strafurteils – BVerfGE 64, 135 (156) = NJW 1983, 2762 (2765): „Nicht jede Benachteiligung oder Bevorzugung reicht für eine Verletzung des Art. 3 Abs. 3 GG aus, vielmehr hat dieses Differenzierungsverbot nur die Bedeutung, daß die aufgeführte Verschiedenheit keine rechtlichen, nicht aber auch, daß sie keine sonstigen Wirkungen haben dürfte (. . .). Zum Ausgleich sprachbedingter Erschwernisse, die im Tatsächlichen auftreten, verpfl ichtet das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG nicht.“ – Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen einer europäischen Sprachregelung für Patente vgl. noch BGHZ 102, 118 (122 f., 125), wo der BGH die wirtschaftliche Mehrbelastung durch die für das Verständnis fremdsprachiger Patentbeschreibungen erforderlichen Übersetzungen als für deutsche Gewerbetreibende zumutbar gehalten und einen Verstoß gegen Art. 24 GG verneint hat. 2 Schubert, Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, AT Bd. 2, S. 91 (= S. 71 des Originaldrucks von 1881): „Der Entwurf vermag sich auch diesen Bestimmungen nicht anzuschließen. (. . .) Wer aber einen Vertrag in einer ihm unbekannten Sprache schließt, wird, auch in den Grenzprovinzen, darauf verwiesen werden dürfen, daß er sich über den Inhalt der Schriftstücke zu vergewissern habe; (. . .).“

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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verwiesen 3 und damit das „Sprachrisiko“ als Formproblem geregelt hatte. Außerdem war im ALR auch eine Übersetzungspflicht zugunsten des Sprachunkundigen angeordnet worden.4 III. Die Antwort auf die Frage der richtigen Zuweisung bzw. Verteilung des „Sprachrisikos“ muß heute in den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen über Willenserklärungen und Verträge gesucht werden, die „das Fundament für die Behandlung des Sprachproblems darstellen“.5 In § 5 soll unter dieser Prämisse zunächst untersucht werden, ob das „Sprachrisiko“ als eine Frage der Abgabe, des Zugangs oder der Form empfangsbedürftiger Willenserklärungen qualifiziert werden kann. Dabei werden zwei Grundkonstellationen Beachtung finden, nämlich erstens Willenserklärungen in deutscher Sprache, die an Personen gerichtet sind, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind und zweitens fremdsprachige Willenserklärungen gegenüber Personen, deren Muttersprache Deutsch ist. Die Untersuchung beider Grundkonstellationen wird im folgenden weiter danach gegliedert, ob es sich um eine schriftliche Willenserklärung unter Abwesenden oder um eine mündliche Willenserklärung unter Anwesenden handelt. Darin steckt eine vereinfachende Reduzierung auf zwei Grundtypen verkörperter bzw. nicht verkörperter Willenserklärungen. Neben der „klassischen“ verkörperten Willenserklärung in Schriftform sind heute andere Formen der „Verkörperung“ von Willenserklärungen oder besser der „Speicherung“6 von Erklärungsinhalten möglich; man denke an Erklärungen per Telefax, E-Mail, usw. Entsprechendes gilt für andere Willenserklärungen unter Anwesenden als mündliche Erklärungen, etwa solche in Gebärdensprache. Es wäre in darstellungstechnischer Hinsicht wenig glücklich, hier die Erörterung der Problematik der Verständnisrisiken im Hinblick auf das Wirksamwerden von Willenserklärungen durch Abgabe und Zugang auf sämtliche denkbaren Handlungsformen zu erstrecken, weil dies die Darstellung unnötig komplizieren würde. Eine Reduzierung auf die beiden genannten Grundtypen ermöglicht demgegenüber eine klare Positionierung und führt auch nicht zu untragbaren Erkenntnisverlusten, weil die „neuen“ Erklärungsformen wie E-Mail, Telefax, 3 Pr. ALR, Erster Teil, Fünfter Titel, §§ 172, 179: „§. 179. Wer der Sprache, worin das Instrument abgefaßt werden soll, unkundig ist, wird einem, der nicht schreiben kann, gleich geachtet. (§. 172).“; „§. 172. Personen, die des Schreibens und Lesens unkundig oder durch einen Zufall am Schreiben verhindert sind, müssen in Fällen, wo es eines schriftlichen Contracts bedarf, solchen gerichtlich oder vor einem Justizcommissario errichten.“; siehe dazu auch ROHG, Urt. v. 3. 10. 1871 – Rep. 440/71, ROHGE III, 305 – Schott/Gorecki. 4 Pr. ALR, Erster Teil, Fünfter Titel, § 182: „§. 182. Mit dem Hauptinstrument zugleich muß der Richter oder Justizcommissarius dem der Sprache unkundigen Contrahenten eine Uebersetzung desselben zur Unterschrift vorlegen. (§. 178.).“ – Für den Fall des Sprachunkundigkeit des Gerichts oder des Justizkommissarius (d. h. Notars) bezüglich des eines solchen Kontrahenten mußte gemäß § 180 ein „vereydeter Dollmetscher“ zugezogen werden. 5 Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 28. 6 John, AcP 184 (1984), 385 (391). Zum Begriff der „Speicherung“ siehe noch unten E. I. 3.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

Telefon grundsätzlich entweder dem einen oder dem anderen Grundtypus zugeordnet werden können. Eine Willenserklärung des Erklärenden gegenüber dem physisch „abwesenden“ Empfänger am Telefon wird beispielsweise behandelt wie eine mündliche Erklärung unter Anwesenden,7 während ein vom Erklärenden dem persönlich anwesenden Empfänger überreichtes Schriftstück nach den Grundsätzen der schriftlichen Erklärung unter Abwesenden bewertet wird. 8 Denn es kommt entscheidend darauf an, ob der Gedankeninhalt der Erklärung, eben weil er verkörpert oder „gespeichert“ ist, vom Erklärungsempfänger immer wieder „abgerufen“ werden kann, oder ob dies wegen der „Verflüchtigung“ des Erklärungsinhalts gerade nicht möglich ist.9

B. Die grundsätzliche Fähigkeit von Sprachunkundigen zur Abgabe und zum Empfang von Willenserklärungen I. Der Grundsatz der Zulässigkeit der Verwendung von Fremdsprachen bei der Abgabe von Willenserklärungen (Grundsatz der freien Sprachenwahl) 1. Zu Beginn soll der Frage nachgegangen werden, ob fremdsprachige Willenserklärungen unter Geltung des deutschen Rechts zulässig sind. a) Eine entgegenstehende allgemeine gesetzliche Sprachregel des Inhalts, daß bei Rechtsgeschäften zwischen Privatrechtssubjekten, die sich nach deutschem Privatrecht richten, die deutsche Sprache verwendet werden müsse, existiert nicht. Wie in § 2 dieser Untersuchung am Beispiel der französischen loi Toubon sowie des polnischen Sprachengesetzes gezeigt werden konnte, würde eine derartige generelle Sprachregel mit den europäischen Grundfreiheiten, namentlich mit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, in einem unauflösbaren Konflikt stehen. Überdies würde sie mit den Vorgaben der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit), Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsäußerungsfreiheit) und Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsausübungsfreiheit als Unternehmerfreiheit) in Konflikt stehen. Kurz gesagt ist die Sprachenfreiheit ein Verfassungsprinzip.10 7

Leipold, BGB I, § 12 Rn. 5. Siehe z. B. den Leitsatz der Entscheidung BAG NJW 2005, 1533 zum Zugang einer schriftlichen Kündigung (§ 623 BGB) gegenüber einem anwesenden Arbeitnehmer: „Für den Zugang einer schriftlichen Kündigungserklärung unter Anwesenden (. . .) genügt die Aushändigung und Übergabe des Schriftstücks, so dass der Empfänger in der Lage ist, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen.“; siehe ferner RGZ 61, 414 (415); BGH NJW-RR 1996, 641; BGH NJW 1998, 3344. 9 Siehe auch Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 39. 10 Siehe P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Hdb. StaatsR, Bd. 1, § 18 Rn. 58 ff. Die Sprachenfreiheit, d. h. das Recht zum Gebrauch der Muttersprache, sei eine wesentliche Voraussetzung für die Ausübung anderer Freiheitsrechte, insbesondere der Meinungsäußerungsfreiheit, des Erziehungsrechts, der Pressefreiheit, der Freiheit von Wissenschaft und Kunst, der 8

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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b) Im einfachen Recht geht aus § 16 Abs. 1 BeurkG hervor, daß notarielle Beurkundungen auch „in einer anderen als der deutschen Sprache“ erfolgen können.11 Dann aber muß im Zivilrechtsverkehr zwischen Privatrechtssubjekten – jenseits der Niederschrift vor dem Notar – erst recht die Abgabe einer Willenserklärung in schriftlicher oder mündlicher Form in einer anderen als der deutschen Sprache grundsätzlich zulässig sein.12 Dem folgt auch die Rechtsprechung. Beispiel: 13 Der BGH hat entschieden, daß ein in Deutschland ausgestellter Wechsel auch in spanischer Sprache abgefaßt werden könne. Selbst die gemischtsprachige Wiedergabe des Ausstellungsdatums mit deutschen und spanischen Worten verletze keine der wechselrechtlichen Formvorschriften – d. h. Artt. 75, 76 WG – und sei daher zulässig. Einem möglichen Vertragspartner des sich in einer Fremdsprache Erklärenden ist folglich der Einwand verwehrt, Willenserklärungen unter der Geltung deutschen Rechts hätten generell in deutscher Sprache zu erfolgen. In dem Beispiel des gemischtsprachigen Wechsels hat der BGH vielmehr für die Formgültigkeit gemäß Artt. 75 Nr. 1, 76 WG verlangt, daß die in spanischer Sprache ausgestellten Urkunden in ihrem Text die Bezeichnung enthalten, die in der spanischen Rechtssprache für das dem deutschen Eigenwechsel entsprechende Papier gebraucht wird, oder das spanische Wort für Wechsel, letra de cambio.14

c) Was für den Staat und dessen „Amtssprache“ (§ 23 Abs. 1 VwVfG, § 87 Abs. 1 AO, § 126 PatG) bzw. für die „Gerichtssprache“ (§ 184 GVG) vorgeschrieben ist – nämlich eine Verpflichtung zur Verwendung der deutschen Sprache –, gilt somit nicht entsprechend für Privatrechtssubjekte. Der gelegentlich anzutreffende Hinweis auf § 184 GVG und die dort getroffene Festlegung der deutschen Sprache als Gerichtssprache geht fehl, weil § 185 Abs. 1 S. 1 GVG die Beiziehung eines Dolmetschers anordnet, wenn „unter Beteiligung von Personen verhandelt [wird], die der deutschen Sprache nicht mächtig sind“.15 Auch bei bestehenReligionsfreiheit, der Handels- und Gewerbefreiheit, der Vereins-, Versammlungs- und Parteienfreiheit sowie der Unterrichtsfreiheit zu qualifizieren. Die Freiheit des Geistes und der Geistesäußerungen setze den Gebrauch der Muttersprache voraus. Deshalb sichere die im allgemeinen Persönlichkeitsrecht und in besonderen Freiheitsrechten gewährleistete Sprechfreiheit grundsätzlich auch, daß der Sprechfreie die Sprache seiner Wahl sprechen darf. Die Sprachenfreiheit schütze in der Regel das Recht zum Gebrauch der Muttersprache, jedoch ebenso das Recht zur Verwendung anderer Sprachen eigener Wahl, zum freien Gebrauch jeder beliebigen Sprache in Wort und Schrift. 11 Vgl. auch Spellenberg, IPRax 2007, 98 (101). – Den sich in einem solchen Fall aus § 16 Abs. 2 und Abs. 3 BeurkG ergebenden Übersetzungspflichten soll hier nicht nachgegangen werden. 12 Wie hier Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (477); ders., IPRax 2007, 98 (101) mit der zutreffenden Ergänzung (a.a.O., S. 492 mit Fn. 104 bzw. S. 99 mit Fn. 11), daß die Rechtslage abweicht, wenn das gewählte Statut eine Sprache vorschriebe (sog. Sprachenzwang); a. A. Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 88. 13 BGHZ 82, 200 (202 f.); siehe auch BGHZ 21, 155 (158). 14 BGHZ 82, 200 (204). 15 Vgl. auch Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 18 f.; monogra-

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

den Verträgen läßt sich entgegen einer These aus dem Schrifttum ohne ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung keine Nebenpfl icht begründen, die die Verwendung einer bestimmten „Vertragssprache“ zum Gegenstand hätte.16 Vielmehr gilt der Grundsatz der freien Sprachenwahl auch hier.17 Die Wahl einer bestimmten Sprache bei Willenserklärungen ist regelmäßig bloß ein Faktum, das der Verständlichmachung des Gewollten dient. Ihr kann ohne weitere Anhaltspunkte ein diesbezüglicher Rechtsbindungswille nicht entnommen werden.18 2. Vor allem im älteren Schrifttum wurde ungeachtet dessen nicht selten die Forderung nach dem Gebrauch einer verkehrsüblichen Sprache als Erklärungsmittel erhoben und daraus der Schluß gezogen, daß im Geltungsbereich des deutschen Rechts grundsätzlich die deutsche Sprache als Rechtsgeschäftssprache gelte. In dem Erfordernis der Verkehrsüblichkeit des Erklärungsmittels sei die Notwendigkeit der Erklärung in der verkehrsüblichen Sprache inbegriffen.19 Dem hat man mit Recht entgegengehalten, 20 daß die Forderung nach der phisch Ingerl, Das Sprachrisiko im Verfahren – Zur Verwirklichung der Grundrechte deutschunkundiger Beteiligter im Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 1988. 16 Ablehnend auch Jayme, ZHR 142 (1978), 105 (111 mit Fn. 34), der es zutreffend als „unerfi ndlich“ bezeichnet, auf welche Rechtssätze sich die Figur der „Vertragssprache“ stützt; a. A. Schäfer, JZ 2003, 879 (883), der die Vertragssprache für einen „gut vertretbaren und vor allem für Geltungsvereinbarung und Kenntnisnahme geeigneten Ansatz“ hält. Er qualifiziert die Vertragssprache „als ein (Begleit-)Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspfl icht i. S. v. § 241 Abs. 2 BGB (. . .), das durch rechtsgeschäftlichen Kontakt – nämlich dem widerspruchslosen Einlassen auf eine bestimmte Sprache – zustandekommt.“ Das ist aber die pure Fiktion eines Schuldverhältnisses. 17 Ebenso Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (478): Die Existenz eines Vertrages allein führe noch nicht dazu, daß eine Partei sich der anderen Partei sprachlich anpassen müsse. Die Parteien seien auch insoweit gleichberechtigt. 18 Treffend Spellenberg, 2. FS Ferid, 1988, 463 (481): „Wenn jemand mit Mühe mehr oder weniger radebrechend z. B. Deutsch spricht, bringt er gewiß nicht den rechtsgeschäftlichen Willen zum Ausdruck, jedwede Erklärung in Deutsch als zugegangen anerkennen zu wollen oder eine Übersetzungspfl icht zu übernehmen. Er zeigt nur faktische Sprachkenntnis, dies jedoch nur in dem konkreten Umfang (. . .).“; a. A. jedoch Schäfer, JZ 2003, 879 (883). 19 Siehe Staudinger/Coing, 10./11.Bearb. 1967, Vorb. 13 vor § 116; so schon Staudinger/ Rietzler, BGB Bd. I, 5./6. Aufl. 1910, III. Abschnitt Rechtsgeschäfte 5 c (S. 391): „In dem Erfordernis der Verkehrsüblichkeit des Erklärungsmittels ist die Notwendigkeit der Erklärung in der verkehrsüblichen Sprache inbegriffen. Es ist nicht verkehrsüblich, seinen rechtsgeschäftlichen Willen dem Adressaten in einer toten oder in einer unseren Kultursphäre fremden Sprache, die nicht die Muttersprache des Adressaten ist, zu erklären; der Adressat, der nicht Chinese ist, braucht daher eine ihm in Deutschland in chinesischer Sprache zugegangene Willenserklärung selbst dann nicht gegen sich gelten zu lassen, wenn er zufällig diese Sprache beherrscht. Verkehrsüblich kann aber innerhalb bestimmter Gebiete Deutschlands auch eine fremde Sprache sein, so die französische, polnische, dänische.“ Ausführlich zu dieser Ansicht mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch aus dem neueren Schrifttum und der arbeitsgerichtlichen Instanzrechtsprechung) Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 15 ff., insb. S. 17. 20 Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 43 f.; ablehnend auch Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 19.

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Verkehrsüblichkeit des Erklärungsmittels im Gesetz nicht ausdrücklich aufgestellt werde und daß sich gerade bei der Verwendung von Fremdsprachen – insbesondere bei Distanzgeschäften im Rechtsverkehr mit Ausländern – 21 eine Verkehrsüblichkeit häufig nur schwer ausmachen lasse. Die Verkehrssitte ist keine Rechtsnorm. 22 Ihr kommt allenfalls im Handelsverkehr eine gewisse „Leitbildfunktion“ zu, 23 die der Leichtigkeit und Schnelligkeit des internationalen Geschäftsverkehrs unter Kaufleuten bzw. Unternehmen geschuldet ist. Wenn die Forderung nach der Verkehrsüblichkeit der verwendeten Sprache bedeuten soll, daß unter Geltung des deutschen Zivilrechts – jedenfalls bei Beteiligung mindestens einer deutschen Partei – allein die deutsche als verkehrsübliche Sprache des Rechtsgeschäfts gelten soll, so liefe das auf die Einführung einer de facto-Sprachregel zugunsten der deutschen Sprache „durch die Hintertür“ hinaus, der entsprechend den obigen Ausführungen zu widersprechen wäre. Dies trifft auch dann noch zu, wenn man statt von der Verkehrsüblichkeit der Sprache auf deren Zumutbarkeit für den Empfänger abstellt.24 Zwar kann sich die Verwendung einer Fremdsprache gegenüber nicht sprachmächtigen Empfängern in Einzelfällen als rechtsmißbräuchlich erweisen, 25 doch liegt ein solcher Rechtsmißbrauch noch nicht in dem Einsatz einer Fremdsprache an sich.26 Die These, wonach die Verwendung eines verkehrsüblichen Erklärungsmittels27 die Verwendung einer bestimmten Sprache – nämlich der deutschen – mit 21

Pointiert Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 44: „Ist bei einem Distanzgeschäft eines Deutschen mit einem Franzosen Deutsch, Französisch oder vielleicht Englisch üblich?“ 22 Mit Recht kritisiert Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 44, daß es fragwürdig ist, von der Üblichkeit auf die Rechtmäßigkeit zu schließen. Was im Verkehr üblich sei müsse noch nicht rechtens sein, könne sogar jeglicher Gerechtigkeit zuwiderlaufen. 23 Es läßt sich im internationalen Handelsverkehr – jedoch beschränkt auf einzelne Branchen – der Gebrauch der englischen Sprache als verkehrsüblich feststellen, so z. B. im Seefracht- und Chartergeschäft und im Bereich des Seeversicherungsrechts, siehe Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (477). Von einer Verpfl ichtung der Akteure, beim Abschluß von Rechtsgeschäften die englische Sprache zu verwenden, kann aber auch hier nicht ausgegangen werden (offengelassen von Spellenberg, ebd. mit Fn. 105). 24 A. A. Kallenborn, Sprachenproblem, S. 29: „Der Erklärende wird im Regelfall nämlich nur darauf vertrauen können, daß der Erklärungsempfänger lediglich die eigene Sprache oder eine in dem jeweiligen Geschäftskreis anerkannte Sprache verstehen wird. Bei Benutzung einer anderen Sprache dürfte aber die Grenze einer zumutbaren Möglichkeit der Kenntnisnahme überschritten sein, so daß in diesem Fall der Zugang zu verneinen wäre.“ 25 Beispiel (nach Crome, System des bürgerlichen Rechts, Bd. 1, 1900, S. 391 f.; MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 140): Ein Gymnasialprofessor kündigt seinem Vermieter, einem biederen Handwerksmeister, die Wohnung auf Altgriechisch. 26 Siehe dazu auch unten D. III. 2. A. A. Kallenborn, Sprachenproblem, S. 29, der den Zugang auch in dem Fall verneint, daß dem Erklärenden die bestehenden Verständnisschwierigkeiten seines zukünftigen Vertragspartners hinsichtlich einer bestimmten Sprache bereits vorher bekannt waren, er aber dennoch auf diese Sprache bei der Anbahnung der ersten Geschäftskontakte zurückgegriffen hat. 27 Das Problem der Verwendung eines verkehrsüblichen Erklärungsmittels wurde bald nach Inkrafttreten des BGB unter anderem am Beispiel des Zugangs verkörperter Willenserklärungen gegenüber einem anwesenden Blinden diskutiert. Während man früher zum Teil

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einschließe, ist unrichtig. 28 Es geht nicht an, die Rechtstatsachen mit dem geltenden Recht gleichzusetzen und aus der Ungewöhnlichkeit des gewählten Erklärungsmittels dessen generelle rechtliche Unzulässigkeit zu folgern. Aus der Üblichkeit der deutschen Sprache im Rechtsverkehr deren obligatorische Geltung herzuleiten – sei es als „Vertragssprache“, sei es als (einziges) „verkehrsübliches Erklärungsmittel“ –, 29 liefe auf die Fiktion eines ungeschriebenen Rechtssatzes hinaus.30 Die Problematik der Wirksamkeit von Willenserklärungen, die gegenüber Sprachunkundigen abgegeben werden, kann demnach „nicht allein

angenommen hatte, daß die Verkehrsüblichkeit des Erklärungsmittels in diesem Fall nicht gegeben sei (Planck, BGB, 3. Aufl. 1903, § 130 Anm. 2), wurde dem von Titze, Mißverständnis, S. 68 zutreffend entgegengehalten, daß der Erklärende „sehr wohl ein Verhalten [beobachtet], aus dem der rechtsgeschäftliche Ernst und die rechtsgeschäftliche Absicht hervorleuchten. Denn wenn auch der Blinde im Augenblick den Inhalt der Willenserklärung nicht in sich aufzunehmen vermag, so kann er sie sich doch nachträglich von dritten Personen vorlesen lassen, also auf dem Wege Kenntnis von ihr nehmen, der ihm auch hinsichtlich aller übrigen an ihn einlaufenden Schriftstücke einzig und allein offensteht. Und weil hier eine nachträgliche Kenntnisnahme möglich ist, so entfällt der Widerspruch, der vorhin bei der bewußtermaßen an den Tauben gerichteten mündlichen Erklärung zwischen dem Verhalten des Erklärenden und der vermeintlichen Erklärungsabsicht bestand. Ja, überall wo nach dem Gesetzbuch ein Rechtsgeschäft in schriftlicher Form vorgenommen werden muß, ist für die Willenserklärung dem Blinden gegenüber gar keine andere Möglichkeit als die eben geschilderte gegeben“. Daraus erhellt, daß die Wahl eines Erklärungsmittels nicht zwingend die ad hoc-Verständlichkeit der Erklärung für den Empfänger einschließt; entscheidend ist die „Verkörperung“ oder „Speicherung“ der Erklärung, die eine nachträgliche Übermittlung des Inhalts an den Empfänger ermöglicht. Insoweit sind die Fälle der Blindheit und der fehlenden Sprachbeherrschung ganz ähnlich gelagert. Der Zusammenhang wird deutlich bei v. Tuhr, BGB AT Bd. II/1, § 61 (S. 439): „[I]st die Erklärung in einem Schriftstück verkörpert, so besteht mit dem Zugang des Schriftstücks die dauernde und jederzeitige Möglichkeit der Kenntnisnahme; gewisse Hindernisse der Kenntnisnahme, z. B. Blindheit oder Unkenntnis der Schrift oder Sprache, können durch fremde Hilfe überwunden werden. Dagegen ist die mündliche Erklärung ein vorübergehendes Ereignis, welches nur im Gedächtnis des Adressaten Spuren hinterläßt und dies nur dann, wenn die Erklärung von ihm verstanden wurde.“ Zur Abgabe von Willenserklärungen gegenüber Blinden siehe auch Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (689 f.); ausführlich Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 8 ff., der a.a.O., S. 10 und S. 61 die schriftliche Willenserklärung gegenüber einem Blinden als ein grundsätzlich geeignetes Erklärungsmittel qualifiziert, das zu deren Wirksamkeit führt. Aus der Rechtsprechung siehe LAG Hamm v. 4. 1. 1979, AR-Blattei Kündigungsschutz Entsch. 231 = AR-Blattei ES 1020 Nr. 231. Gemäß diesem Beschluß des LAG Hamm kann ein blinder Arbeitnehmer, der als Masseur und Bademeister voll im Beruf steht, die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage nicht mit der Begründung verlangen, daß die Unkenntnis von der dreiwöchigen Klagefrist (§ 5 KSchG) unverschuldet sei, solange der Arbeitgeber keine entsprechende Belehrung erteile. 28 Siehe dazu auch Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 15 ff. 29 So ein fundamentaler Grundsatz der älteren Literatur, vgl. dazu die Nachweise aus der Literatur bei Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 15 mit Fn. 38 sowie jene aus der Rechtsprechung, a.a.O., S. 16 mit Fn. 45. 30 Wie hier Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 19; siehe ferner a.a.O., S. 23 f., S. 29 f.

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anhand des Satzes, daß die deutsche Sprache im Geltungsbereich des deutschen Rechts rechtsgeschäftsmaßgeblich sei, durchgeführt werden“.31 3. Die oben erhobenen Bedenken in bezug auf die EG-primärrechtlichen Grundfreiheiten und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bleiben auch dann bestehen, wenn man die deutsche Sprache statt durch eine ausdrückliche nationale gesetzliche Sprachregel nur mittelbar – kraft Richterrechts – durch einen ungeschriebenen Rechtssatz im Wege der Auslegung des nationalen Zivilrechts ableiteten wollte. Abgesehen von gesetzlichen Sprachregeln in bestimmten Bereichen (dazu sogleich) bleibt es daher Sache den Parteien überlassen, im Bedarfsfall die Sprachenverwendung durch Rechtsgeschäft zu regeln. II. Mögliche Einschränkungen dieses Grundsatzes bei der Abgabe von Willenserklärungen durch gesetzliche Sprachregeln 1. Eine Ausnahme von dem Grundsatz der freien Sprachenwahl bei der Abgabe von Erklärungen gilt für die grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen gemäß der VO 1348/2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (im folgenden: EuZVO32). Wie sich aus § 894 ZPO ergibt, kann ein gerichtliches Urteil die Abgabe einer Willenserklärung mit Eintritt der Rechtskraft ersetzen. § 894 ZPO gilt auch für die Abgabe von Erklärungen des Schuldners im Ausland.33 Die Vorschrift des § 894 ZPO besitzt damit, soweit sie die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke betrifft, für das Thema der Abgabe von Willenserklärungen Relevanz. Soweit die Rechtskraft ausländischer Urteile betroffen ist, sind die Artt. 33 ff. EuGVVO bzw. §§ 328, 722 f. BGB anzuwenden. Die Vorschriften der EuGVVO gelten für Zivil- und Handelssachen (Art. 1 EuGVVO). Ein besonderes Anerkennungsverfahren gibt es nicht (Art. 33 Abs. 1 EuGVVO). Jedenfalls dann, wenn die ausländische lex fori eine dem § 894 ZPO entsprechende Vorschrift kennt, entfaltet die Fiktion einer Willenserklärung durch ein ausländisches Urteil auch in der Bundesrepublik Deutschland – in den Grenzen des Art. 34 EuGVVO – entsprechende Rechtswirkungen. Für die gleichfalls von der EuZVO erfaßte Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke (Art. 16 EuZVO) ist die Relevanz nicht weiter begründungsbedürftig, da es sich dabei fraglos auch um Willenserklärungen handeln kann. 2. Als Verordnung im Sinne des Art. 249 Abs. 2 EG findet die EuZVO in Deutschland unmittelbare Anwendung, ergänzt um die Vorschriften der 31

Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 24. Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. 5. 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, ABl. EG Nr. L 160, S. 37 ff. 33 BLAH/Hartmann, § 894 ZPO Rn. 2. 32

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§§ 1067 ff. ZPO. Art. 8 EuZVO ist zu entnehmen, daß der Empfänger die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks verweigern darf, wenn dieses in einer anderen als der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats (hier: Deutschland) oder – wenn es im Empfangsmitgliedstaat mehrere Amtssprachen gibt – der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Ortes, an dem die Zustellung erfolgen soll, abgefaßt ist (Art. 8 Abs. 1 lit. a EuZVO), bzw. wenn das zuzustellende Schriftstück nicht in einer Sprache des Übermittlungsstaats abgefaßt ist, die der Empfänger versteht (Art. 8 Abs. 1 lit. b EuZVO).34 Diesbezügliche sprachliche Mängel des zuzustellenden Schriftstücks sind nach der Rechtsprechung des EuGH durch die nachträgliche Übersendung der geforderten Übersetzung heilbar.35 Für Zustellungen im Ausland beträgt die Frist zur Erklärung der Annahmeverweigerung durch den Adressaten im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EuZVO gemäß § 1068 Satz 1 ZPO zwei Wochen. In bezug auf Zustellungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durch die Post nach Art. 14 Abs. 1 EuZVO legt § 1068 Abs. 2 S. 1 ZPO – was wegen Art. 14 Abs. 2 EuZVO eine zulässige mitgliedstaatliche Konkretisierung ist – das Einschreiben mit Rückschein als die einzige zulässige Zustellungsart fest. Die Sprachregel des § 1068 Abs. 2 S. 2 ZPO bestimmt, daß das zuzustellende Schriftstück bzw. eine beigefügte Übersetzung desselben entweder in Deutsch abgefaßt sein muß oder in der Amtssprache bzw. einer der Amtssprachen des Übermittlungsmitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit der Adressat besitzt. Bemerkenswert ist, daß die Vorschrift auf die Staatsangehörigkeit des Adressaten abstellt und nicht wie Art. 8 Abs. 1 EuZVO auf dessen tatsächliches Sprachverständnis. Diese Abweichung von der Regelung in Art. 8 Abs. 1 EuZVO erfolgte absichtlich; es sollte nämlich im Gesetz an ein eindeutig feststellbares, praxistaugliches Merkmal angeknüpft werden.36 34 Ausführlich zum Annahmeverweigerungsrecht im Europäischen Zustellungsrecht Sujecki, EuZW 2007, 363 ff. Der BGH hat mit Beschluß v. 21. 12. 2006 dem EuGH drei Fragen betreffend die Auslegung von Art. 8 Abs. 1 EuZVO vorgelegt, siehe NJW 2007, 775 und ABl. EU Nr. C 56 v. 10. 3. 2007, S. 22. Der Fall betrifft speziell das Problem, ob ein Empfänger die Annahme des zuzustellenden fremden Schriftstücks verweigern darf, wenn zwar die zuzustellende Klageschrift in die Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats übersetzt ist, nicht jedoch die Anlagen hierzu und der Empfänger behauptet, die Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats nicht zu verstehen, obwohl er in Ausübung seiner gewerblichen Tätigkeit einen Vertrag abgeschlossen hat, in dem die Benutzung der Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats zwischen den Parteien einerseits und den Behörden und öffentlichen Institutionen andererseits vereinbart wurde. Die Generalanwältin Trstenjak hat ihre Schlußanträge dazu am 29. 11. 2007 vorgelegt. In Ziff. 3 schlägt sie dem Gerichtshof vor, für den o.g. Fall dem Empfänger das Annahmeverweigerungsrecht zu versagen; zustimmend Sujecki, EuZW 2008, 37 f. Dem ist der EuGH mit Urt. v. 8. 5. 2008 – Rs. C-14/07, EuZW 2008, 337 – Weiß und Partner gefolgt (3. Leitsatz). 35 EuGH v. 8. 11. 2005 – Rs. C-443/03, Slg. 2005, I-9611 = NJW 2006, 491 – Götz Leffler/ Berlin Chemie AG; siehe dazu den Besprechungsaufsatz von Rösler/Siepmann, NJW 2006, 475. 36 Heidrich, EuZW 2005, 743 (745) m. w. N.

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3. Die Kommission hat am 11. Juli 2005 einen Vorschlag für eine Änderungsverordnung zur VO Nr. 1348/2000 vorgelegt,37 der inzwischen zur Verabschiedung der Verordnung Nr. 1393/2007 geführt hat.38 Gemäß Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung wird die Annahmeverweigerungsfrist einheitlich für alle Mitgliedstaaten auf eine Woche festgesetzt, während § 1070 S. 1 ZPO derzeit noch eine Annahmeverweigerungsfrist von zwei Wochen vorsieht. Innerhalb der Wochenfrist des Art. 8 Abs. 1 der VO Nr. 1393/2007 darf der Empfänger die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks verweigern oder dieses zurückschikken, wenn das Schriftstück nicht in einer zulässigen Sprache abgefaßt ist oder keine Übersetzung in eine dieser Sprachen beigefügt wurde; darauf weist ihn eine schriftliche Belehrung der Empfangsstelle mit Hilfe eines Formblatts hin. Gemäß Art. 8 Abs. 1 lit a der Verordnung genügt es, wenn der Empfänger die Sprache des zuzustellenden Schriftstücks versteht, unabhängig davon, ob es sich um eine Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats handelt. Art. 8 Abs. 1 lit b der Verordnung bestimmt, daß die Zustellung in der bzw. den Amtssprache(n) des Empfangsmitgliedstaats respektive jener am Ort der Zustellung erfolgen kann. Im Fall der Annahmeverweigerung kann die Zustellung gemäß Art. 8 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung dadurch bewirkt werden, daß neben der Übersetzung auch das Original zugestellt wird. Die Zustellung nur der Übersetzung genügt nicht. In Art. 8 Abs. 3 Satz 2 und 3 sind erstmals die Rechtsfolgen einer wirksamen Annahmeverweigerung geregelt.39 4. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß in Ermangelung einer generellen Sprachregel im Privatrecht der Grundsatz der freien Wahl der Erklärungssprache gilt. Willenserklärungen können daher unter Geltung des deutschen Privatrechts auch in anderen Sprachen als der deutschen abgegeben werden. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Ausnahmen stellen zunächst einzelne, auf bestimmte Erklärungssachverhalte oder Erklärungstypen beschränkte gesetzliche Sprachregeln dar, welche die Wahl einer oder mehrerer Sprachen verbindlich vorgeben (wie z. B. Art. 8 Abs. 1 EuZVO, § 1068 Abs. 2 S. 2 ZPO und § 483 Abs. 1 BGB). Abgesehen von der weiteren Möglichkeit einer ausdrücklichen oder konkludenten Sprachenvereinbarung durch die Parteien hat der Erklärende bei der Wahl der Erklärungssprache die Grenze des Rechtsmißbrauchs (§ 242 BGB) zu beachten, worauf noch eingegangen werden wird.

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KOM(2005) 305 endg. Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13. 11. 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates, ABl. EU Nr. L 324 v. 10. 12. 2007, S. 79. Die Verordnung gilt gemäß Art. 26 Abs. 2 und 3 ab dem 13. 11. 2008 in allen ihren Teilen unmittelbar in den Mitgliedstaaten. 39 Siehe dazu auch das in Fn. 35 genannte Urteil des EuGH. 38

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

III. Das Problem der direkten bzw. analogen Anwendung der §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB auf Willenserklärungen sprachunkundiger Personen in deutscher Sprache 1. Fraglich ist, ob die §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB auf Willenserklärungen von Sprachunkundigen in deutscher Sprache direkt oder entsprechend angewendet werden können. Das tertium comperationis zwischen den Fällen einer dauernden „krankhaften Störung der Geistestätigkeit“ (§ 104 Nr. 2 BGB), der „Bewußtlosigkeit“ (§ 105 Abs. 2, 1. Fall BGB), dem „vorübergehenden Zustand der Bewußtlosigkeit“ (§ 105 Abs. 2, 2. Fall BGB) und der fehlenden Sprachkunde des Erklärenden liegt in der jeweils schwerwiegenden intellektuellen „Defektlage“40 des Erklärenden, die dazu führt, daß die Handlungen, die der so Beeinträchtigte im Rechtsverkehr begeht, seine rechtlichen Interessen zu beeinträchtigen geeignet sind. Der Gesetzgeber hat darauf in den im BGB geregelten Fällen mit der Nichtigkeitsfolge bei Erklärungen des Geschäftsunfähigen gemäß § 105 Abs. 1, 2 BGB reagiert.41 Der Schutz des Geschäftsunfähigen hat in diesen Fällen absoluten Vorrang vor entgegenstehenden Verkehrsinteressen.42 Als Beispiel diene die Abgabe einer Willenserklärung durch einen stark Betrunkenen, der sich in einem Zustand hochgradiger Bewußtseinstrübung befindet, was für die „Bewußtlosigkeit“ gemäß § 105 Abs. 2 BGB genügt.43 Allerdings muß die Störung auf seiten des Erklärenden ein Ausmaß erreichen, welches die freie Willensbestimmung nicht nur einschränkt, sondern vollständig ausschließt.44 In dieser Einschränkung liegt zugleich ein wichtiger Ansatzpunkt für die Begründung der These, daß § 105 Abs. 2 BGB auf Erklärungen eines Sprachunkundigen weder direkt noch analog anzuwenden ist. 2. Bei vordergründiger Betrachtung sind beide Fallkonstellationen – die Erklärung im Zustand der Volltrunkenheit einerseits und die Erklärung ohne Sprachkunde45 andererseits – sehr ähnlich gelagert, denn der Erklärende leidet 40

Der Begriff, der die „Werkzeugeigenschaft“ des unmittelbar Handelnden bei der mittelbaren Täterschaft im Strafrecht begründet, wird auf die vorliegende Problematik übertragen, ohne daß damit eine Identität mit den strafrechtlichen Fallgestaltungen gemeint wäre. 41 Der Zugang von Erklärungen an Geschäftsunfähige bzw. beschränkt Geschäftsfähige richtet sich nach § 131 BGB. 42 Soergel/Hefermehl, Vor § 104 Rn. 10. 43 Palandt/Heinrichs/Ellenberger, § 105 Rn. 2; Soergel/Hefermehl, § 105 Rn. 6; Erman/ Palm, § 105 Rn. 5; AnwKomm/Baldus, § 105 Rn. 4; OLG Nürnberg NJW 1977, 1496 (keine wirksame Zustimmung zum Gebrauch des Fahrzeugs bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 3,4 Promille); OLG Nürnberg WM 1988, 1407 = WuB I F 1 a Bürgschaft 15.88 mit Anmerkung Schröter (zu einer unter Alkoholeinfluß abgegebenen Bürgschaft). Weitere Fälle der „Bewußtlosigkeit“ i. S. des § 105 Abs. 2 BGB sind die starke Übermüdung, die Hypnose, der Fieberwahn und der Drogeneinfluß. 44 Siehe BGH WM 1972, 972, Leitsatz; LAG Köln NZA-RR 1999, 232, 2. Leitsatz. 45 Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 37 bezeichnet dies als eine „unnatürliche, aber trotzdem häufig vorkommende“ Konstellation. Er hat den Fall vor Augen, daß der Sprachunkundige auf eine invitatio ad offerendum hin seinen Antrag abgibt. Dabei komme es zur Konfrontati-

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jeweils an einem schwerwiegenden intellektuellen Defizit, obgleich er sich aus Sicht des Vertragspartners („Empfängerhorizont“) bzw. des Verkehrs in der Sache scheinbar eindeutig erklärt hat. Trotz dieser Ähnlichkeiten sind Willenserklärungen von Sprachunkundigen den Erklärungen von Geschäftsunfähigen – schwer Betrunkenen, geistig Behinderten, etc. – rechtlich nicht gleichzustellen, weil es bei ersteren an dem zentralen Erfordernis eines vollständigen Ausschlusses der freien Willensbildung fehlt. Während die genannten geschäftsunfähigen Personen als „Werkzeuge gegen sich selbst“ oder als „Gefangene ihrer selbst“ nicht einmal einen Rest an privatautonomem Gestaltungswillen, d. h. ein Minimum an rechtsgeschäftlicher Selbstbestimmung aufweisen – andernfalls greifen die §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB wie gezeigt nicht ein – führt die fehlende Sprachbeherrschung, selbst wenn sie eine nahezu vollständige ist, nur zu einer Verminderung, nicht aber zum Ausschluß der freien Selbstbestimmung46 respektive Selbstverantwortung.47 Anders als bei den in §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB geregelten Fällen überwiegen bei Willenserklärungen von Sprachunkundigen folglich die Verkehrsschutzinteressen die Interessen des Erklärenden. Daraus folgt, daß auf Willenserklärungen von Sprachunkundigen die herkömmlichen Regeln des Allgemeinen Teils des BGB und der Rechtsgeschäftslehre anzuwenden sind. Ein Ausländer, der die deutsche Sprache für seine Willenserklärung wählt, kann sich deshalb nicht auf die Nichtigkeitsfolge des § 105 BGB berufen, wenn er diese Sprache nicht oder nicht ausreichend beherrscht, um den wahren Sinn seiner Worte zu erfassen. Vielmehr ist er nach der Feststellung, daß Wille und Erklärung sich nicht decken, auf die Regeln der Anfechtung zu verweisen.48

on des Sprachunkundigen mit vorgefertigten Antragsformularen, die regelmäßig auch AGB zum Gegenstand hätten. Kallenborn, Sprachenproblem, S. 86 mit Fn. 259 benennt – bezogen auf den verbraucherspezifischen Bereich – als weitere praktische Beispiele die sog. Bankschaltergeschäfte sowie Schadensfälle mit Versicherungsbezug, bei denen für Ausländer „der faktische Zwang zur Benutzung der deutschen Sprache besteht“; siehe dazu auch Schlechtriem, FS Weitnauer, S. 127 (138), der die Lehrbuchfälle der Verwendung mißverstandener fremdsprachlicher Ausdrücke und das Paradigma des Unterschreibens einer unverstandenen Vertragsurkunde ins Feld führt. Weiter ist an jene Fälle zu denken, bei denen ausländische Besucher, die sich nur kurzfristig in Deutschland aufhalten, sich darum bemühen, Erklärungen in deutscher Sprache abzugeben, obgleich sie nur rudimentäre Sprachkenntnisse besitzen. 46 Zu diesem Erfordernis siehe BGH WM 1972, 972; LAG Köln NZA-RR 1999, 232; Palandt/Heinrichs/Ellenberger, § 105 Rn. 3; Soergel/Hefermehl, § 105 Rn. 6 f.; AnwKomm/Baldus, § 105 Rn. 4; Erman/Palm, § 105 Rn. 6. 47 Vgl. auch Jancke, Sprachrisiko, S. 132 f., 141 f.: Der „Restbereich“ bzw. „kleine Raum“ an vertraglicher Selbstbestimmung sei für den ausländischen Arbeitnehmer auf Grund seiner sprachlichen Schwierigkeiten und sozialen Lage zusätzlich reduziert. 48 Siehe dazu unten § 7.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

C. Sprachenbezogene Zweifelsfragen betreffend den „Tatbestand“ von Willenserklärungen I. Die notwendigen Elemente der Willenserklärung 1. Ausgehend von dem soeben gefundenen Zwischenergebnis, daß sprachunkundige Ausländer, die Willenserklärungen in deutscher Sprache abgeben, Geschäftsunfähigen nicht gleichzustellen sind, so daß ihre Willensäußerungen auch nicht gemäß § 105 BGB nichtig sind, ist die Anschlußfrage zu stellen, ob es ungeachtet dessen möglicherweise an den Voraussetzungen, d. h. am Tatbestand der Willenserklärung, fehlt. Nach einer klassischen Definition ist die Willenserklärung die Äußerung eines auf einen Rechtserfolg gerichteten Willens. Sie besteht aus zwei Elementen, dem inneren Willen und der Äußerung dieses Willens. Wille und Erklärung bilden als Willensäußerung eine Einheit.49 Der innere Wille des Erklärenden wird herkömmlich in drei Willenselemente aufgespalten, nämlich in einen Handlungswillen, ein Erklärungsbewußtsein und einen Geschäftswillen.50 a) Von den drei genannten Elementen ist nahezu unbestritten 51 der Handlungswille – also der Wille zur Vornahme eines äußeren Verhaltens, die finale Setzung eines „Erklärungszeichens“52 – für die Bejahung des Tatbestands einer Willenserklärung erforderlich und regelmäßig auch bei Erklärungen ausländischer Privatrechtssubjekte gegeben (dazu sogleich unter II.).53 b) Demgegenüber wird – zumindest nach Ansicht der Rechtsprechung des BGH54 und eines Teils des Schrifttums55 – das Erklärungsbewußtsein, also das

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Brox/Walker, BGB AT, Rn. 83. Ablehnend Flume, BGB AT, § 4 I 3 (S. 48): „In Wirklichkeit hat es gar keinen Sinn, den Willen als Moment der Willenserklärung zu dem Zwecke zu zergliedern, um festzustellen, dieser oder jener Willensteil gehöre zum ‚Wesen‘ der Willenserklärung.“ 51 Ablehnend zur Lehre vom Handlungswillen aber Neuner, JuS 2007, 881 (884): Aus dem Handlungswillen könne man keine Rückschlüsse auf das Vorliegen eines Kommunikationsakts in Form einer Willenserklärung ziehen. Der Handlungswille erlange weder im inneren noch im äußeren Tatbestand einer Willenserklärung Bedeutung. Ausreichend und erforderlich für die Zurechnung der Handlung sei im Umkehrschluß zu § 105 Abs. 2 BGB somit allein die Handlungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Herbeiführung des äußeren Erklärungstatbestands. 52 Flume, BGB AT, § 4 I 2 a (S. 46). 53 Jancke, Sprachrisiko, S. 161; Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 167 f., 174 f. 54 Grundlegend BGHZ 91, 324 = NJW 1984, 2279, Leitsatz; bestätigt durch BGHZ 109, 171 (177) = NJW 1990, 454. 55 Ahrens, JZ 1984, 986; Emmerich, JuS 1984, 971; Medicus, BGB AT, Rn. 607; Leipold, BGB I, § 7 Rn. 18; Bork, BGB AT, Rn. 596 a. E.; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 Rn. 13; MüKo BGB/Kramer, Vor § 116 Rn. 13, 18; Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 172, 175 ff., insbesondere S. 178.; a. A. (d. h. für das Erfordernis des Erklärungsbewußtseins) Canaris, NJW 1984, 2281 f.; ders., Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 427 ff.; Schubert, JR 1985, 15 f.; Singer, JZ 1989, 1030 (1034 f.); ders., Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, 50

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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Bewußtsein, eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben,56 heute nicht mehr als ein notwendiger Bestandteil der Willenserklärung angesehen. Das ist auch zutreffend,57 handelt es sich doch um „eine Konsequenz des Gedankens der Selbstverantwortung und des mit diesem korrespondierenden Vertrauensschutzprinzips im Rechtsgeschäftsverkehr“.58 Dem namentlich von Canaris59 formulierten Bedenken, daß wenn das Erklärungsbewußtsein fehlt, keine privatautonome Rechtsgestaltung in Selbstbestimmung vorliege, ist mit Bydlinski 60 entgegenzuhalten, daß das Recht der Willenserklärung nicht allein auf dem Gedanken der Selbstbestimmung aufbaut. Vielmehr schützt es auch das Vertrauen des Erklärungsempfängers und die „Verkehrssicherheit“, indem es den Erklärenden – vorbehaltlich der Anfechtung – nach den Prinzipien der Veranlassung (Zurechnung) und des Vertrauensschutzes61 an die erklärten, aber nicht bewußt in Geltung gesetzten Rechtsfolgen bindet. 62 Für den Erklärungsempfänger aber hat die Erklärung normalerweise den Anschein eines vollgültigen Erklärungsakts, 63 so daß Vertrauensschutz geboten ist. 64 Das Erklärungsbewußtsein ist selbst ein „Zurechnungsfaktor“, der es rechtfertigt, „dem Irrenden wenigstens vorläufig die von ihm gar nicht gewollten, aber erklärten Rechtsfolgen des Geschäftes und endgültig die Haftung auf den Vertrauensschaden aufzuerlegen“. 65 Hier zeigt sich die Richtigkeit der oben66 formulierten These, daß die Selbstbestimmung nicht ohne das Korrelat der Selbstverantwortung gesehen werden kann. 67 c) Weiter herrscht Einigkeit darüber, daß der Geschäftswille (scil. der Wille, mit der Erklärung einen bestimmten Geschäftserfolg, eine konkrete RechtsfolS. 169 ff.; abweichend Brehmer, JuS 1986, 440 (444 f.); aus der älteren Literatur siehe z. B. v. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 404). 56 Flume, BGB AT, § 4 I 2 b (S. 46); Bork, BGB AT, Rn. 593. In terminologischer Hinsicht abweichend Neuner, JuS 2007, 881 (886): Man solle statt von einem „Erklärungsbewußtsein“ besser von einem „Partizipations-“ oder „Teilnahmewillen“ sprechen. 57 Die Konsequenzen des Fehlens des Erklärungsbewußtseins auf seiten des Sprachunkundigen – namentlich die Fragen nach der Anfechtbarkeit der Erklärung gemäß § 119 BGB und nach der Verpflichtung zum Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 122 BGB – werden unten in § 7 erörtert. 58 MüKo BGB/Kramer, Vor § 116 Rn. 18a unter Hinweis auf OLG Celle WM 1988, 1436 (1437); siehe ferner ders., a.a.O., § 116 Rn. 39 sowie bezüglich der Anfechtung ders., a.a.O., § 119 Rn. 96; Bydlinski, JZ 1975, 1 (4 f.); Larenz/Wolf, BGB AT, § 35 Rn. 1. 59 In: NJW 1984, 2281 f.; zuvor bereits ders., Vertrauenshaftung, S. 427 f., 548 ff. und in NJW 1974, 521 (528). 60 In: JZ 1975, 1 ff.; insb. S. 6. 61 Bork, BGB AT, Rn. 586. 62 Vgl. dazu auch Jancke, Sprachrisiko, S. 129 mit Fn. 1 und ausführlich S. 131 (Überschrift: „Selbstbestimmung contra Verkehrs-/Vertrauensschutz“). 63 Flume, BGB AT, § 23, 1 (S. 450). 64 Bork, BGB AT, Rn. 586 f. 65 Bydlinski, JZ 1975, 1 (4). 66 Siehe § 4 B. II. 1. 67 Siehe auch MüKo BGB/Kramer, § 116 Rn. 39 m. w. N.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

ge herbeizuführen) kein notwendiger Bestandteil der Willenserklärung ist. 68 Vor dem Hintergrund des Prinzips und der sachlichen Notwendigkeit des Verkehrsschutzes ist dem zuzustimmen. 69 d) Der BGH hat die wesentlichen Punkte in einem Urteil aus dem Jahr 1994 einleuchtend zusammengefaßt: „Soweit einem tatsächlichen Verhalten auch ohne ein solches Erklärungsbewußtsein und ohne einen Rechtsbindungswillen die Wirkungen einer Willenserklärung beigelegt werden (. . .), geschieht dies zum Schutze des redlichen Rechtsverkehrs und setzt einen Zurechnungsgrund voraus, der nur dann gegeben ist, wenn der sich in mißverständlicher Weise Verhaltende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, daß die in seinem Verhalten liegende Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefaßt werden durfte, und wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat. Diese Grundsätze gelten insbesondere auch für schlüssiges Verhalten ohne Erklärungsbewußtsein (. . .). Soll es als Willenserklärung rechtliche Folgen haben, muß der sich Äußernde fahrlässig bei dem Erklärungsempfänger das Vertrauen auf einen bestimmten Erklärungsinhalt seines Verhaltens geweckt haben.“70

2. Im Ergebnis setzt der Mindest- oder Minimaltatbestand einer Willenserklärung ein äußeres Verhalten voraus, das objektiv auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen läßt (Handlungswille), sofern der Handelnde mit einer solchen Deutung nach den Umständen rechnen konnte und mußte (sog. „Zurechenbarkeit“ des äußeren Erklärungstatbestands71). Nur wenn die Willenserklärung dem Erklärenden im Einzelfall objektiv nicht zurechenbar war, ist das Fehlen des Erklärungsbewußtseins ausnahmsweise beachtlich und der „Tatbestand“ der Willenserklärung folglich nicht erfüllt. 72 II. Die Konsequenzen für die „Sprachrisiko”-Problematik 1. Übertragen auf die „Sprachrisiko“-Problematik ist zunächst zu fragen, ob in dem Fall der Äußerung eines Sprachunkundigen in deutscher Sprache oder in dem Fall der Unterzeichnung eines deutschsprachigen Schriftstücks, dessen Inhalt er nicht versteht, der Tatbestand der Willenserklärung abzulehnen ist, weil

68 So aus der Literatur zum „Sprachrisiko“ auch Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 172 f.: „Ein Fehlen des Geschäftswillens ist im Rahmen der Frage, ob eine Willenserklärung überhaupt vorliegt, ohne Bedeutung. Dies ergibt sich aus der Existenz der §§ 119 ff. BGB.“, siehe ferner a.a.O., S. 178 f. 69 Für einen Vorrang des Verkehrsschutzes beim Fehlen des Geschäftswillens auch Jancke, Sprachrisiko, S. 167 (der im übrigen die These vom Vorrang des Prinzips der Selbstbestimmung ablehnt). 70 BGH NJW 1995, 953. 71 Flume, BGB AT, § 23, 1 (S. 450); BGHZ 91, 324; BGHZ 109, 171; BGH NJW 1995, 953. 72 Ebenso Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 178.

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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es an dem erforderlichen Handlungswillen fehlt.73 Da für es einen solchen Handlungswillen weder auf den Willen zur Herbeiführung eines Geschäftserfolgs noch auf den Willen zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts, d. h. nicht auf „Inhalte“, sondern lediglich auf einen Willen zu einem äußeren Verhalten ankommt, sind Sprachprobleme des Erklärenden für den Handlungswillen grundsätzlich ohne Bedeutung.74 Das „Sprachrisiko“ ist daher jedenfalls nicht bei dem Kriterium des Handlungswillens zu verorten. 2. Weiter ist fraglich, ob es möglicherweise an der vom Bundesgerichtshof verlangten Zurechenbarkeit des äußeren Akts mangelt, wenn der Erklärende unter Sprachproblemen leidet.75 In dem Fall, daß ein Sprachunkundiger einem Deutschen auf eine an ihn gerichtete Frage mit „Ja“ antwortet, bestünden an der Zurechenbarkeit keine Zweifel. Auch dann, wenn von dem Ausländer ein Schriftstück in deutscher Sprache unterzeichnet wird, ist der Handlungswille noch gegeben, obgleich der Wortlaut der Erklärung von einem anderen herrührt. Die Zurechnung scheitert letztlich nur dann, wenn der Empfänger das äußere Verhalten des Erklärenden selbst nicht als Willenserklärung aufgefaßt hat, indem er z. B. die fehlende Sprachkunde des Erklärenden sofort erkannt hat und deshalb ohne weiteres darauf schließen konnte, daß entgegen dem objektiven Schein keine Zustimmung des anderen gegeben war. In diesem Fall wäre das Vertrauen des Rechtsverkehrs auf das Vorliegen einer Willenserklärung erschüttert.76 Allerdings dürften Fälle, in denen der Erklärungsempfänger ein solches überlegenes Wissen aufweist, in der Praxis überaus selten sein. Vorstellbar sind sie, wenn der Erklärende und der Empfänger sich bereits früher einmal begegnet sind und der spätere Erklärungsempfänger bei dieser Gelegenheit von den Sprachdefiziten des anderen Teils erfahren hat. Bei einem erstmaligen Kontakt wird der vom BGH geforderte Zurechnungstatbestand indessen regelmäßig zu bejahen sein, weil der Empfänger den äußeren Erklärungsakt gemäß dem objektiven Eindruck als eine Willenserklärung auffaßt. Daher trägt regelmäßig der Sprachunkundige das „Sprachrisiko“ in seiner Erscheinungsform als „Erklärungsrisiko“.77 Dies gilt vorbehaltlich der Anfechtung der Erklärung gemäß 73 Auf das Fehlen des Erklärungsbewußtseins kommt es nicht an, weil dieses Element nach hier vertretener Auffassung nicht zum Mimimaltatbestand einer Willenserklärung zählt, siehe oben C. I. 74 Ebenso Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 175: „Für den Handlungswillen sind Sprachprobleme des Erklärenden somit ohne Bedeutung.“; Jancke, Sprachrisiko, S. 161: „In den hier zu erörternden Fällen von sprachlichen Mißverständnissen zwischen Arbeitgeber und ausländischem Arbeitnehmer kann stets vom Handlungswillen des ausländischen Arbeitnehmers ausgegangen werden.“ 75 Solche Zweifel an einer zurechenbar abgegebenen Erklärung äußert Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 58. 76 Bejahte man selbst dann noch den Tatbestand einer Willenserklärung, so liefe das auf eine Fiktion hinaus; für eine solche Annahme lassen sich – auch unter Rückgriff auf die in § 4 erörterten Rechtsprinzipien – keine tragfähigen Argumente fi nden. 77 Zum Begriff siehe auch – unabhängig von der Sprachenfrage – Bydlinski, JZ 1975, 1 (4):

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

§ 119 BGB und einer daraus resultierenden Schadensersatzpflicht des Erklärenden nach § 122 BGB.78

D. Die Abgabe von Willenserklärungen I. Der Begriff 1. Der Begriff der Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist gesetzlich nicht geregelt, sondern er wird, wie sich aus § 130 Abs. 1 bis 3 BGB ergibt, im Gesetz vorausgesetzt. Üblicherweise definiert man die „Abgabe“ als das willentliche Inverkehrbringen der Willenserklärung in Richtung auf den Empfänger und auf eine Weise, daß unter normalen Umständen mit dem Zugang zu rechnen ist.79 Der Erklärende muß alles getan haben, was für das Wirksamwerden der Willenserklärung erforderlich ist. 80 Die Abgabe ist der „Akt des rechtsgeschäftlichen Handelns (. . .), das In-Geltung-Setzen der Erklärung durch den Erklärenden, ungeachtet dessen, ob die Erklärung sogleich mit der Abgabe wirksam wird“. 81 2. Die empfangsbedürftige Willenserklärung82 unterscheidet sich von der nicht empfangsbedürftigen Erklärung83 dadurch, daß die erstere in Richtung „Was spricht eigentlich dafür, ihm [scil. dem sorgfältigen Erklärenden] und nicht dem ebenfalls sorgfältigen Adressaten das Erklärungsrisiko aufzubürden? Man wird schwerlich eine andere Antwort finden als die, daß er bewußt und im eigenen Interesse dieses spezielle Erklärungsrisiko geschaffen hat. Er hat sich bewußt auf das risikoreiche Parkett des geschäftlichen Verkehrs begeben, auf dem u. U. auch bei aller Sorgfalt des Erklärenden mit Divergenzen seiner Vorstellung und dem objektiven Inhalt der Erklärung zu rechnen ist.“ Der Begriff des „Erklärungsrisikos“ ist ohne weiteres auf – sorgfältig wie unsorgfältig agierende – Sprachunkundige anwendbar. 78 Siehe dazu unten § 7. 79 Brox/Walker, BGB AT, Rn. 143; Leipold, BGB I, § 12 Rn. 11; Bork, BGB AT, Rn. 611; Köhler, BGB AT, § 6 Rn. 12 (ohne den im Text zitierten letzten Satzteil). Ähnlich Palandt/ Heinrichs/Ellenberger, § 130 Rn. 4: Die Erklärung sei abgegeben, wenn der Erklärende seinen rechtsgeschäftlichen Willen erkennbar so geäußert habe, daß an der Endgültigkeit der Äußerung kein Zweifel möglich sei. Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 81 f. spricht von der Abgabe als der Entäußerung der Willenserklärung mit Kundgebungszweck. 80 Medicus, BGB AT, Rn. 265; MüKo BGB/Einsele, § 130 Rn. 13; Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 183. 81 Flume, BGB AT, § 14, 2 (S. 226); dem folgend Bork, BGB AT, Rn. 611; Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 183; Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 81. 82 Die empfangsbedürftige Willenserklärung stellt den Regelfall dar. Zur Begründung siehe v. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 429): „Der legislative Grund der Empfangsbedürftigkeit ist darin zu suchen, daß die meisten Erklärungen in das Rechtsgebiet einer anderen Person eingreifen, und es wünschenswert ist, daß die Erklärung zur Kenntnis dieser Person gelangt (. . .). Wird dagegen eine unbestimmte Anzahl von Personen von den Wirkungen einer Erklärung betroffen und fehlt es daher an einem durch die Rechtslage bestimmten Empfänger der Erklä-

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auf den Empfänger abgegeben werden muß. 84 Daraus folgt, daß eine mündliche Erklärung unter Anwesenden so zu dem Adressaten hin gesprochen werden muß, daß mit der Kenntnisnahme durch ihn zu rechnen ist, 85 d. h. auf eine Weise, die ihn objektiv86 in die Lage versetzt, die Erklärung auch zu vernehmen. 87 Eine schriftliche Erklärung muß – mit dem Willen des Erklärenden, 88 mindestens aber mit dessen Vertretenmüssen89 – in Richtung auf den Empfänger auf den Weg gebracht,90 d. h. an den Adressaten abgesandt oder aber einem Erklärungsboten übergeben werden.91 Der Erklärende muß zugleich damit rechnen können, daß das Schreiben den Adressaten erreichen werde.92 3. Fraglich ist, ob das Kriterium der Abgabe „in Richtung auf einen anderen“ die Annahme rechtfertigt, daß Erklärungen in einer bestimmten (Fremd-)Sprache nicht als wirksam abgegeben gelten, wenn der Adressat die (Fremd-)Sprache der Erklärung nicht beherrscht und der Erklärende von diesem Umstand Kenntnis hat. Falls die Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung in solchen Fällen gleichwohl wirksam ist, soll in einem zweiten Schritt untersucht werden, ob es möglicherweise am Zugang und damit an der Wirksamkeit der Erklärung fehlt. 83

rung, so verlangt das Gesetz entweder Erklärung an eine Behörde, oder es begnügt sich mit einer Erklärung, die an keinen bestimmten Adressaten gerichtet ist. Nach diesen Erwägungen ist, wenn das Gesetz die Empfangsbedürftigkeit nicht ausdrücklich vorschreibt, zu entscheiden, ob die Erklärung empfangsbedürftig ist.“; siehe auch Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 184 f. 83 Beispiele: Testament (§ 2247 BGB), Auslobung (§ 657 BGB), Dereliktion (§ 959 BGB), Gründung einer Stiftung. 84 MüKo BGB/Einsele, § 130 Rn. 13; Soergel/Hefermehl, § 130 Rn. 6. Zur Abgabe nicht empfangsbedürftiger Willenserklärungen siehe Medicus, BGB AT, Rn. 264; MüKo BGB/Einsele, ebd.: In diesen Fällen genügt die Vollendung des Erklärungsvorgangs (Aussprechen der Erklärung bzw. vollständige Errichtung der Urkunde). 85 Medicus, BGB AT, Rn. 265. 86 Subjektives Vernehmen bedeutet Zugang der Erklärung, dazu sogleich. 87 Larenz/Wolf, BGB AT, § 26 Rn. 5. 88 BGHZ 65, 13 (14) = NJW 1975, 2101; BGH NJW 1979, 2032; BGH NJW-RR 2003, 384. 89 MüKo BGB/Einsele, § 130 Rn. 14; Larenz/Wolf, BGB AT, § 26 Rn. 7; a. A. (d. h. wie der BGH den Willen des Erklärenden verlangend) Köhler, BGB AT, § 6 Rn. 12; Brox/Walker, BGB AT, Rn. 147; Flume, BGB AT, § 14, 2 (S. 226); Soergel/Hefermehl, § 130 Rn. 5. Der Streit um das Willenselement ist für die Sprachenfrage irrelevant und daher hier nicht zu entscheiden. Die Entscheidung hängt davon ab, ob man die Selbstbestimmung des Erklärenden oder aber dessen Selbstverantwortung und den Verkehrsschutz als vorrangig bewertet. 90 Brox/Walker, BGB AT, Rn. 147. 91 Medicus, BGB AT, Rn. 265; MüKo BGB/Einsele, § 130 Rn. 13; Soergel/Hefermehl, § 130 Rn. 5. Allgemeiner formulieren Larenz/Wolf, BGB AT, § 26 Rn. 6, daß der Schreiber „auch noch die erforderlichen Schritte getan haben [muß], um den Brief an den Empfänger gelangen zu lassen“; Beispiele für Abgabevorgänge werden a.a.O., Rn. 7 gegeben. 92 BGH NJW 1979, 2032 (2033); Köhler, BGB AT, § 6 Rn. 12; Brox/Walker, BGB AT, Rn. 147.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

II. Die Abgabe von Willenserklärungen in einer dem Erklärenden fremden Sprache sowie die Abgabe von fremdsprachigen Willenserklärungen gegenüber deutschsprachigen Adressaten 1. Die Irrelevanz eines fehlenden Erklärungsbewußtseins des sprachunkundigen Erklärenden a) Äußert ein Ausländer, der die deutsche Sprache nicht richtig beherrscht, in Deutschland gegenüber einem Muttersprachler mündlich „radebrechend“ eine Willenserklärung in deutscher Sprache oder unterzeichnet er eine deutschsprachige Erklärung (z. B. ein Vertragsangebot) und sendet diese in Richtung auf den Empfänger zurück, stellt sich grundsätzlich die Frage nach einer wirksamen Abgabe einer solchen Erklärung. Wie ausgeführt, scheidet die Annahme der Nichtigkeit einer solchen Erklärung gemäß oder analog § 105 BGB wegen Sprachunkenntnis des Erklärenden aus. In Fällen dieser Art kann dem Erklärenden aber möglicherweise das Erklärungsbewußtsein fehlen. Dies setzt voraus, daß der Erklärende bei der Abgabe nicht die Vorstellung hatte, eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben, was nicht mit einem Irrtum des Erklärenden über den Inhalt seiner Erklärung gleichbedeutend ist. Das Erklärungsbewußtsein zählt zwar zum sog. „Volltatbestand“ der Willenserklärung. Für die wirksame Abgabe einer Willenserklärung ist aber lediglich das Vorliegen des Handlungswillens sowie die Zurechenbarkeit des Verhaltens – also nur ein „Minimaltatbestand“ – erforderlich. Der Umstand, daß der Erklärende um die Rechtserheblichkeit seines Tuns infolge seiner mangelhaften Sprachkenntnisse nichts weiß, spielt für die Abgabe und die Wirksamkeit der Erklärung nach den Grundsätzen der Entscheidung des BGH vom 7. Juni 198493 keine Rolle mehr, sofern nur die Zurechenbarkeit gegeben ist. Beispiel: Instruktiv sind in dieser Hinsicht die Urteile des BGH vom 27. Oktober 199494 und vom 15. April 199795 , denen derselbe Sachverhalt zugrunde lag. Eine im Iran ansässige iranische Staatsbürgerin, die kein Wort Deutsch sprach, hatte in Deutschland zugunsten Ihres der deutschen Sprache kundigen und in Deutschland als Arzt praktizierenden Vetters eine Bürgschaftserklärung über eine Mio. DM unterschrieben, die der Absicherung eines zur Finanzierung eines Hauskaufs gewährten Bankdarlehens diente. Im Prozeß machte die Iranerin geltend, daß sie geglaubt habe, eine Unterschrift zu leisten, die sich auf ihre eigene Geldanlage bei der beklagten Bank mit Sitz in Deutschland bezog. Hier fehlte es der Betroffenen, wenn man ihren Vortrag als wahr unterstellt, nicht an dem Bewußtsein, irgendeine rechtserhebliche Erklärung abzugeben, das Erklärungsbewußtsein lag also vor. Nicht gewollt war die konkrete Rechtsfolge, also die Abgabe einer Bürgschaftserklärung zugunsten des Vetters. Es fehlte somit am Geschäftswillen, der 93

BGHZ 91, 324 = NJW 1984, 2279 = JZ 1984, 984. Az. IX ZR 168/93, ZIP 1994, 1840 = WM 1994, 2274 = NJW 1995, 190 = BB 1994, 2439 = DB 1995, 1073. 95 Az. IX ZR 112/96, ZIP 1997, 1058 = BB 1997, 1273. 94

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für die Wirksamkeit der Willenserklärung freilich unbeachtlich ist. Das Problem des Falles lag somit in der Frage, ob die „Bürgin“ ihre irrtümlich abgegebene Bürgschaftserklärung nach § 119 BGB oder nach § 123 BGB anfechten konnte.

b) Im Schrifttum hat man als einen Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins angeführt, daß ein Ausländer keine rechtserhebliche Erklärung abgeben wollte, er aber aufgrund des irrtümlichen Gebrauchs rechtserheblicher Begriffe in der ihm fremden Sprache einen gegenteiligen Anschein beim Gesprächspartner erweckte.96 Das trifft sachlich zwar zu, ist aber keine praktische Konstellation. Letztlich sind Fälle, in denen es dem ausländischen Erklärenden an jeglichem Bewußtsein der Rechtserheblichkeit seines Tuns fehlt, lediglich als extrem seltene Ausnahmefälle vorstellbar.97 2. Ausgleichsquittung und Erklärungsbewußtsein Ein Fall des Fehlens des Erklärungsbewußtseins kann möglicherweise die sog. Ausgleichsquittung des ausländischen Arbeitnehmers aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses darstellen, an der sich die „Sprachrisiko“-Problematik in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts erstmals gezeigt hat.98 a) Begriff und Bedeutung Ausgleichsquittungen dienen der Bereinigung der Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Sie bestehen üblicherweise aus drei getrennt voneinander zu untersuchenden Erklärungen: (1) Zum einen quittiert der Arbeitnehmer den Empfang seiner Arbeitspapiere und eines etwaigen Restlohns. Insoweit handelt es sich um eine einfache Quittung i. S. des § 368 S. 1 BGB, also um eine reine Wissenserklärung.99 (2) Zum anderen erklärt der Arbeitnehmer, keine weitergehenden Ansprüche mehr gegen den Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis zu haben. Rechtlich kann es sich dabei um einen Erlaßvertrag gemäß § 397 Abs. 1 BGB oder – je nach Fallkonstellation – um ein konstitutives oder deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis gemäß § 397 Abs. 2 BGB handeln.100 Die Erklärungen der Parteien bringen die bestehenden Rechte nur 96

Freitag, IPrax 1999, 142 (143). Siehe auch Freitag, IPrax 1999, 142 (145). 98 Siehe Jancke, Sprachrisiko, S. 162; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Aufl. 2002, Rn. 1254 ff. (zum „Sprachrisiko“ siehe Rn. 1257 [Einwand der Arglist]). 99 Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290 Rn. 6. 100 Siehe dazu BAG NZA 2004, 554 (555) = AP BGB § 611 Konkurrenzklausel Nr. 50: „Ein Erlassvertrag ist dann anzunehmen, wenn die Parteien vom Bestehen einer bestimmten Schuld ausgehen, diese aber übereinstimmend als nicht mehr zu erfüllen betrachten. Ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis liegt dann vor, wenn der Wille der Parteien darauf gerichtet ist, alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen. Ein deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis ist anzuneh97

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

dann zum Erlöschen, wenn es sich nicht um unverzichtbare Ansprüche – wie z. B. die tariflichen Rechte gemäß § 4 Abs. 4 TVG oder den gesetzlichen Mindesturlaub – handelt.101 Dem Arbeitnehmer ist es wegen des Grundsatzes des Vorrangs der Privatautonomie insbesondere erlaubt, schon vor Ablauf der Frist des § 4 KSchG auf seinen Kündigungsschutz zu verzichten.102 (3) Schließlich erklärt der Arbeitnehmer regelmäßig auch, daß er keine Kündigungsschutzklage gemäß § 4 KSchG erheben werde. Dabei handelt es sich im Normalfall um ein sog. pactum de non petendo, also um einen prozeßrechtlichen Vertrag, mit dem sich der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber verpfl ichtet, sein Klagerecht nicht wahrzunehmen.103 Hat der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Erklärung bereits Kündigungsschutzklage erhoben, ist die – auch dann noch zulässige – Erklärung grundsätzlich als Klagerücknahmeverpflichtung auszulegen.104 In diesem Fall sind nach der Rechtsprechung an die Eindeutigkeit der Verzichtserklärung besonders strenge Anforderungen zu stellen.105

Ein Formulierungsbeispiel für eine solche – vom Arbeitgeber vorformulierte – Erklärung lautet etwa wie folgt: 106 „Hiermit erkläre ich ausdrücklich, daß alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung abgegolten sind und daß ich keine Forderungen gegen die Fa. . . . – gleich aus welchem Rechtsgrund – mehr habe. Ich verzichte ausdrücklich auf das Recht, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses aus irgendeinem Rechtsgrund gerichtlich geltend zu machen. Insbesondere werde ich keine Kündigungsschutzklage erheben.“

men, wenn die Parteien nur die von ihnen angenommene Rechtslage eindeutig dokumentieren und damit fi xieren wollen.“; siehe auch Schulte, DB 1981, 937 (re. Sp.); Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290 Rn. 15 ff.; Kibler, ZIAS 1995, 51 (55 ff.). Die rechtliche Einordnung als Vergleich (§ 779 BGB) ist bei Ausgleichsquittungen in der Praxis selten möglich, weil im Vorfeld der Unterzeichnung einer Ausgleichsquittung kaum je Vergleichsverhandlungen geführt werden, die in einem beiderseitigen Nachgeben resultieren; erforderlich ist auch ein Nachgeben des Arbeitgebers. 101 Ausführlich zu unverzichtbaren Ansprüchen bzw. Rechten aus dem Arbeitsverhältnis und zur Zulassung sog. Tatsachenvergleiche Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290 Rn. 61 ff.; Kibler, ZIAS 1995, 51 (64 ff.). 102 Siehe BAG NJW 1979, 2267 = AP Nr. 6 zu § 4 KSchG 1969, 1. Leitsatz; BAG, NJW 1979, 287 = AP Nr. 5 zu § 4 KSchG 1969; BAG NJW 1977, 1983 = AP Nr. 4 zu § 4 KSchG 1969; siehe auch Kramer/Marhold, a.a.O., Rn. 116; Kibler, ZIAS 1995, 51 (62) mit Nachweisen zur Gegenansicht. 103 BAG AP Nr. 33 zu § 112 BetrVG 1972 m. Anm. Weber = EzA § 4 KSchG n. F. Ausgleichsquittung Nr. 1; LAG Berlin ZIP 1982, 1352 (1353); Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290 Rn. 24 ff.; Kibler, ZIAS 1995, 51 (57); MüHdbArbR/Wank, § 127 Rn. 15 a. E. 104 Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290, Rn. 24, 26; Kibler, ZIAS 1995, 51 (57). 105 BAG AP Nr. 4 zu § 4 KSchG = BB 1977, 1400, 2. Leitsatz. 106 Nach Hess. LAG, Urt. v. 1. 4. 2004 – 13 Sa 1240/02 (juris).

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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b) Die rechtliche Einordnung der „Defektlage“ des ausländischen Arbeitnehmers Über den Verzicht auf bestehende Ansprüche bzw. Klagerechte waren sich die betroffenen, der deutschen Sprache nicht mächtigen „Gastarbeiter“ der ersten Generation häufig nicht klar,107 wie die dazu alsbald ergangene Rechtsprechung der Arbeitsgerichte sehr deutlich zeigte. Vielmehr glaubten die Betroffenen offenbar häufig, lediglich den Erhalt ihrer Papiere quittiert zu haben.108 Das konkrete Bewußtsein, eine Erklärung abzugeben, die das Erlöschen der Forderung durch Vertrag109 bewirkt, fehlte in den entschiedenen Fällen häufig. Gleichwohl wird man nicht sagen können, daß dem die Unterschrift unter das vorgelegte Formular leistende ausländische Arbeitnehmer die grundsätzliche rechtliche Relevanz seines Verhaltens entgangen sei. In aller Regel muß ihm bewußt geworden sein, daß er eine im weitesten Sinne rechtserhebliche Handlung vorgenommen hat,110 denn auch wer glaubt, den Empfang seiner Arbeitspapiere zu quittieren (vgl. § 368 BGB),111 handelt noch in rechtserheblicher Weise. Für das Erklärungsbewußtsein ist es ausreichend, daß der ausländische Arbeitnehmer wußte, daß die von ihm verlangte Unterschrift irgendeine rechtliche Bedeutung hatte.112 Nur in Extremsituationen läßt sich in den Fällen der Unterzeichnung 107 Die Situation besteht offenbar fort, vgl. Kibler, ZIAS 1995, 51 (53 f.), der dafür sowohl die äußere Gestaltung – d. h. die Bezeichnung als „Ausgleichsquittung“ und die Verbindung verschiedener Erklärungen in einem Formular – als auch die Drucksituation durch Unterschriftsleistung in den Büroräumen des Arbeitgebers verantwortlich macht. 108 Jancke, Sprachrisiko, S. 163; Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (471). 109 Das BGB kennt keinen einseitigen Forderungsverzicht, sondern lediglich den einseitigen Verzicht auf die Ausübung von Gestaltungsrechten (BGH NJW 1987, 3203; Birk, EzA § 119 BGB Nr. 6; MüKo BGB/Schlüter, § 397 Rn. 1; Palandt/Grüneberg, § 397 Rn. 1; a. A. Kleinschmidt, Der Verzicht im Schuldrecht, S. 312, 379 f.). Demgemäß ist die Ausgleichsquittung – soweit sie den Verzicht auf Ansprüche i. S. des § 194 BGB regelt – als Erlöschen von Forderungen durch Vertrag zu qualifizieren. Dies kann durch Erlaßvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB) oder negatives Schuldanerkenntnis (§ 397 Abs. 2 BGB) geschehen (MüHdbArbR/ Wank, § 127 Rn. 5; B. Müller, BB 1976, 1466, 1467; Vogler, DB 1966, 1689, 1691), aber auch durch Aufhebungsvertrag oder – selten, da ein Nachgeben beider Parteien voraussetzend – durch Vergleich (§ 779 BGB). Der weitere Regelungsteil, der Klageverzichtsvertrag (das pactum de non petendo) umfaßt auch das vertragliche Klagerücknahmeversprechen einer bereits erhobenen Kündigungsschutzklage (Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290 Rn. 24, 26; Hess. LAG, Urt. v. 1. 4. 2004 – 13 Sa 1240/02, juris); siehe dazu auch Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz, Rn. 1254; Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (477 mit Fn. 59). 110 Ebenso Jancke, Sprachrisiko, S. 164; MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 118. 111 Der Arbeitgeber hat gegen den scheidenden Arbeitnehmer einen Anspruch auf die Abgabe einer schriftlichen Empfangsbestätigung gemäß § 368 S. 1, siehe B. Müller, BB 1976, 1466 (1467). Ein Anspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer auf Abgabe einer Ausgleichsquittung (Anspruchsverzicht) besteht demgegenüber nicht, so daß sie nicht erzwungen werden kann, zutreffend Vogler, DB 1966, 1689 (1690 f.); Neumann, DB 1960, 1453 (1454, 1456). 112 Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (471). A.a.O., S. 472 wird ausgeführt, daß der sprachunkundige Gastarbeiter vorbehaltlich konkreterer Vorstellungen von dem Inhalt der Urkunde wenigstens annehmen dürfe, daß „es schon seine Richtigkeit habe“.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

von Ausgleichsquittungen durch ausländische Arbeitnehmer also das Fehlen des Erklärungsbewußtseins begründen.113 Die rechtliche Problematik verlagert sich damit in den Bereich der Auslegung sowie der Anfechtung gemäß § 119 BGB oder § 123 BGB. c) Die Rechtsprechung des BAG zur Frage der Erkennbarkeit des Anspruchsverzichts aus Sicht des Erklärenden Der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seiner Entscheidung vom 20. August 1980114 sehr strenge Anforderungen an die Interpretation von Ausgleichsquittungen als Anspruchsverzicht gestellt: Mit seiner Unterschrift habe der Arbeiter den Empfang der Papiere quittiert und möglicherweise die Richtigkeit der Lohnabrechnung anerkannt. Ein weitergehender Verzicht, insbesondere ein Verzicht auf einen etwaigen Lohnfortzahlungsanspruch, könne in einer solchen „Erklärung“ nur dann gesehen werden, wenn sich aus den Umständen ergebe, daß der Arbeiter diese Bedeutung seiner Unterschrift erkannt habe. In der Literatur hat man daraus auf den baldigen „Abschied von der Ausgleichsquittung“ geschlossen. Denn über einen an sich eindeutigen und klaren Wortlaut hinaus dürfe es wohl schwer sein, dem Arbeitnehmer die sonstigen Umstände „nachzuweisen“, aus denen sich ergibt, daß er die Bedeutung seiner Erklärung für den Kündigungsschutz erkannt hat.115 Dieser nachvollziehbaren Schlußfolgerung der Literatur steht jedoch zumindest die unveröffentlichte Entscheidung des 7. Senats des BAG vom 29. April 1983116 entgegen. Nach diesem Urteil steht eine Ausgleichsquittung der Geltendmachung von Ansprüchen auf Spesen und Gehaltszahlung entgegen, wenn der Arbeitnehmer in der Ausgleichsquittung bestätigt hat, keine Ansprüche mehr aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung gegen den Arbeitnehmer zu haben. Für die Wirksamkeit der Anfech113 Unrichtig daher die Feststellung der (im Ergebnis richtigen) Entscheidung Hess. LAG, Urt. v. 1. 4. 2004 – 13 Sa 1240/02 (juris), wonach der Kläger bei Unterzeichnung der Ausgleichsquittung ohne jedes Erklärungsbewußtsein gehandelt habe. – Vgl. auch Jancke, Sprachrisiko, S. 163 f. mit Beispielen (Analphabeten; ausländische Arbeitnehmer, die gerade erst nach Deutschland eingereist sind). Die Ausführungen des Verf. sind insofern widersprüchlich, als einerseits das Bewußtsein des Arbeitnehmers, eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben, zunächst grundsätzlich bejaht und nur für Extremsituationen verneint wird, andererseits a.a.O., S. 164 davon gesprochen wird, daß im Zusammenhang mit dem subjektiven Tatbestand dem Arbeitnehmer bei Unterzeichnung einer Ausgleichsquittung oftmals das rechtsgeschäftliche Erklärungsbewußtsein fehlt. Richtig ist, daß dem Arbeitnehmer das Bewußtsein fehlt, einen Erlaßvertrag i. S. des § 397 Abs. 1 BGB zu schließen, d. h. das Bewußtsein einer konkreten, aber von der Vorstellung abweichenden Rechtsfolge. In dogmatischer Hinsicht fehlt nicht das Erklärungsbewußtsein, sondern der Geschäftswille. Das ist jedoch für die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts unbeachtlich. 114 BAG NJW 1981, 1285 = ZIP 1980, 1121 = EzA § 9 LohnFG Nr. 7 mit Anm. Herschel/ Burg, AP Nr. 3 zu § 9 LohnFG und Bespr. Reuter, JuS 1981, 697. 115 Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz, Rn. 1255. 116 Az. 7 AZR 678/79 (juris).

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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tung gemäß § 119 Abs 1 BGB müsse der Arbeitnehmer nachweisen, daß er sich bei Unterzeichnung der Ausgleichsquittung in einem Irrtum über deren Inhalt befunden habe. d) Zwischenergebnis Die Frage nach der Wirksamkeit der Ausgleichsquittung ist nicht bei der Kategorie „Fehlen des Erklärungsbewußtseins“ anzusiedeln, weil dem ausländischen Arbeitnehmer im Normalfall nicht das Erklärungsbewußtsein, sondern lediglich der Geschäftswille fehlt. Nach den Maßstäben der Rechtsgeschäftslehre ist ein erklärter Anspruchs- und Klageverzicht zunächst wirksam, kann aber gegebenenfalls rückwirkend im Wege der Irrtumsanfechtung beseitigt werden.117 Außerdem kommt es in Betracht, daß derartige Erklärungen, weil sie in aller Regel vom Arbeitgeber vorformuliert zur Unterzeichnung vorgelegt werden, an den Klippen des AGB-Rechts scheitern.118 3. Die Ausnahme fehlender Zurechenbarkeit der Erklärung a) Die Rechtsprechung des BGH Die Rechtsprechung des BGH macht ihre These, wonach das Erklärungsbewußtsein grundsätzlich für den Tatbestand einer Willenserklärung entbehrlich ist, davon abhängig, daß die Erklärung als solche dem Erklärenden zugerechnet werden kann. In der Entscheidung des BGH vom 8. Juni 1984 heißt es dazu: „Eine Willenserklärung liegt bei fehlendem Erklärungsbewußtsein allerdings nur dann vor, wenn sie als solche dem Erklärenden zugerechnet werden kann. Das setzt voraus, daß dieser bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, daß seine Erklärung oder sein Verhalten vom Empfänger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefaßt werden durfte (. . .).“119 Schon Larenz hatte in seiner Habilitationsschrift120 von 1930 formuliert: „Ein Verhalten ist dann als Willenserklärung anzusehen, wenn der Erklärende erwarten konnte und mußte, daß es ein anderer so verstehen würde.“ b) „Sprachrisiko“ als Zurechnungsproblem bei Baumgärtel Baumgärtel hat die von ihm als „normativ individualisierende Theorie“ bezeichnete Auffassung von Larenz in seiner im Jahr 1982 erschienenen Disserta-

117 118 119 120

Siehe unten § 7 B. V. Siehe unten § 8. BGHZ 91, 324 (330). Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. X und S. 72.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

tion121 zum Ausgangspunkt eines eigenen, den Zurechnungstopos erweiternden Ansatzes zur Lösung der „Sprachrisiko“-Problematik genommen.122 Die Hauptaussage seiner Untersuchung lautet, „daß das Sprachrisiko beim Zustandekommen von Verträgen ein Zurechnungsproblem ist“.123 Mangels eines entsprechenden Willens handele es sich bei den Erklärungen eines Sprachunkundigen nicht um echte Willenserklärungen, sondern allenfalls um solche, die als Willenserklärungen behandelt würden. Ohne die Voraussetzungen einer Zurechnung kraft Gesetzes – wie in den Fällen der §§ 346, 362 HGB – sei in jedem Einzelfall die Zurechnung aus Kriterien des Vertrauensschutzes zugunsten des Empfängers gemäß § 157 BGB zu prüfen; dabei seien die Hilfsmittel der Auslegung heranzuziehen. Scheitere eine Zurechnung anhand der genannten Kriterien, so liege keine – echte oder fiktive – Willenserklärung vor, mit der Folge, daß der Vertrag nicht zustandegekommen sein könne. In diesem Fall greife die Möglichkeit der Irrtumsanfechtung gemäß § 119 BGB nicht ein, da die Anfechtung voraussetze, daß eine Erklärung durch Vertrauensschutz (§ 157 BGB) zugerechnet werden könne und nicht am AGB-Recht scheitere. Das Sprachrisiko sei „also weder originär noch hauptsächlich ein Anfechtungsproblem“124 und ferner „nie ein Problem des offenen oder versteckten Einigungsmangels (§§ 154, 155 BGB)“,125 sondern „ein Problem des subjektiven Tatbestands einer Willenserklärung“.126 c) Kritik Die Thesen Baumgärtels vermögen nicht zu überzeugen.127 Es kann ihnen insbesondere nicht entnommen werden, wann genau die von Larenz und anderen Autoren bzw. später vom BGH formulierte Zurechnungsvoraussetzung – nämlich daß der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, daß seine Erklärung oder sein Verhalten 121

Baumgärtel, Das Sprachrisiko oder Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Sprachen im deutschen materiellen und Internationalen Schuldvertragsrecht. 122 A.a.O. (Fn. 121), S. 57 ff., 70 ff. 123 A.a.O. (Fn. 121), S. 70. 124 A.a.O. (Fn. 121), S. 71. 125 A.a.O. (Fn. 121), S. 72. 126 A.a.O. (Fn. 121), S. 72. 127 Gegen ihn, allerdings mit abweichenden Begründungen, Kallenborn, Sprachenproblem, S. 90 f. und Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 96 f. Das gegen Baumgärtel vorgetragene Argument, daß das Problem des Sprachrisikos durch Auslegung von Willenserklärungen (so Kallenborn) bzw. durch Auslegung und Zugang (so Dreißigacker) zu bewältigen sei, trifft die Sache insofern nicht, als sich im Hinblick auf die Frage nach dem Erklärungsbewußtsein das Zurechnungsproblem nach den zitierten Entscheidungen des BGH ausdrücklich stellt. Daß die Auslegung und der Zugang weitere zivilrechtliche Kategorien bilden, die im Hinblick auf das Sprachenproblem auf ihre Tauglichkeit zu untersuchen sind, steht auf einem anderen Blatt. John, AcP 184 (1984), 385 (397) hat Zugang, Auslegung und Anfechtung treffend als „Konkurrenzinstitute“ bezeichnet.

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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vom Empfänger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefaßt werden durfte – gegeben sein soll. Es geht dabei primär um die an den Erklärenden selbst zu stellenden Sorgfaltsanforderungen. Dies wird bestätigt durch das Urteil des BGH vom 2. November 1989128 , welches die dargelegten Grundsätze auch auf schlüssige Verhaltensweisen ohne Erklärungsbewußtsein erstreckt hat. Schlüssiges Verhalten wird als Willenserklärung wirksam, wenn der sich Äußernde fahrlässig nicht erkannt hat, daß sein Verhalten als Willenserklärung aufgefaßt werden konnte und wenn der Empfänger es tatsächlich auch so verstanden hat. Überträgt man diese Voraussetzungen auf den Schulfall zum Fehlen des Erklärungsbewußtseins, den „Trierer Weinversteigerung“, bereitet die Begründung der Zurechnung keine besonderen Schwierigkeiten. Wer – sei er nun Ausländer oder Deutscher – sich zu einer Versteigerung begibt, das dortige Treiben beobachtet und trotzdem nach Ausruf einer Nummer den Arm hebt, um von weitem einen Freund zu begrüßen, muß sich entgegenhalten lassen, er habe fahrlässig nicht erkannt, daß sein Verhalten als Abgabe eines Gebots aufgefaßt werde; daß der Auktionator das Verhalten als ein Gebot auffassen wird, ist nicht weiter begründungsbedürftig. Wer als Ausländer z. B. auf eine wegen Unkenntnis der Sprache nicht verstandene, auf Deutsch formulierte Frage aus Gründen der Höflichkeit mit „Ja“ antwortet, ohne seine Sprachunkenntnis zu offenbaren, erfüllt den Zurechnungstatbestand ebenfalls. Handelte der Ausländer dabei ohne Erklärungsbewußtsein, trifft ihn gleichwohl ein Fahrlässigkeitsvorwurf. Denn es wäre ihm zumutbar gewesen, die eigene Sprachunkenntnis entweder in der eigenen Sprache oder aber durch Gestik und Mimik irgendwie für sein Gegenüber erkennbar zum Ausdruck zu bringen.129 Im Beispielsfall mußte der „Ja“ sagende Erklärende davon ausgehen, daß der Erklärungsgegner seine Äußerung als Zustimmung – wozu in rechtlicher Hinsicht auch immer – auffassen werde. Dies kann man dahingehend verallgemeinern, daß ein Ausländer, der sich in einer von ihm nicht beherrschten Fremdsprache äußert, grundsätzlich erwarten muß, daß der Verkehr diese Erklärung ernstnimmt, und daß sie aus Sicht des Verkehrs eben auch rechtliche Relevanz besitzen kann. Der Gebrauch einer vom Erklärenden nicht beherrschten Sprache im Rechtsverkehr ist im Regelfall vorwerfbar, soweit für den Erklärenden irgendeine Möglichkeit besteht, dem Erklärungsempfänger die eigene Sprachunkenntnis zu verdeutlichen. Danach scheitert die Zurechnung im Beispielsfall nur dann, wenn der Erklärungsgegner kein Vertrauen auf die Gültigkeit der Erklärung bilden konnte, weil er selbst richtig erkannt hat, daß der Erklärende die Bedeutung seiner eigenen Erklärung nicht korrekt erfaßt hat. Diese Ausnahme ist insofern praktisch vorstellbar, als die Parteien sich bereits vorher einmal begegnet sein können, und daß bei dieser Begegnung die sprach128 129

BGHZ 109, 171 (177) = NJW 1990, 454 = ZIP 1990, 56. Siehe auch Brinkmann, Zugang von Willenserklärungen, S. 94 f.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

lichen Defizite des Ausländers gegenüber dem Deutschen offenbar geworden sein können. 4. Möglichkeit einer bloßen Scherzerklärung? a) § 118 BGB bestimmt, daß eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden, nichtig ist. Hat aber der Erklärungsempfänger – im Fall einer empfangsbedürftigen Willenserklärung – einen Schaden dadurch erlitten, daß er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut hat, so ist ihm der Erklärende gemäß § 122 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Im Hinblick auf die Sprachenfrage kann sich dabei das Problem stellen, ob eine ernstgemeinte Willenserklärung vorliegt. Eine bloße Scherzerklärung wäre beispielsweise denkbar, wenn vom Erklärenden eine wenig geläufige, „extravagante“ Fremdsprache gewählt wird. b) § 118 BGB verlangt zunächst, daß der Erklärende seine Erklärung – gleich aus welchem Grund – nicht ernst gemeint hat. Das setzt nicht unbedingt eine Scherzabsicht voraus. Vielmehr unterfällt dem Tatbestand der Vorschrift jede Erklärung, die nach der Absicht des Erklärenden nicht gelten soll und von der er annimmt, auch der Adressat werde dies erkennen.130 Das kann auch bei wütenden, prahlerischen oder spöttisch gemeinten Erklärungen der Fall sein.131 c) Weiter verlangt die Vorschrift, daß der Erklärende – nicht etwa (auch) ein objektiver Dritter – erwartet hat, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden.132 Ob ihm diesbezüglich Fahrlässigkeit zur Last fällt, ist irrelevant.133 Eine wichtige Einschränkung ergibt sich jedoch daraus, daß der Erklärende, wenn er bemerkt, daß der Empfänger seine Erklärung ernstgenommen hat, zur unverzüglichen Aufklärung verpflichtet ist. Unterläßt er dies, muß er seine Willenserklärung – nach einer Ansicht als Mentalreservation i. S. des § 116 BGB,134 nach anderer Ansicht wegen Verstoßes gegen § 242 BGB135 – als von Anfang an gültig gegen sich gelten lassen. d) Die Vorschrift des § 118 BGB hat in der Judikatur bisher keine praktische Rolle gespielt, auch nicht im Zusammenhang mit Sprachenfragen. Auf eine ausführliche Erörterung von „Schulbeispielen“136 wird mangels praktischer Rele130

Flume, BGB AT, § 20, 3 (S. 413). Soergel/Hefermehl, § 118 Rn. 5; Bamberger/Roth/Wendtland, § 118 Rn. 5. 132 Bamberger/Roth/Wendtland, § 118 Rn. 2 m. w. N.: „Die Bestimmung setzt lediglich voraus, dass der Erklärende (subjektiv) der Ansicht ist, der Mangel der Ernstlichkeit werde erkannt werden; auf die tatsächliche (objektive) Erkennbarkeit für einen Erklärungsempfänger kommt es nicht an.“ 133 Flume, BGB AT, § 20, 3 (S. 413). 134 Flume, BGB AT, § 20, 3 (S. 414). 135 Soergel/Hefermehl, § 118 Rn. 6; Bamberger/Roth/Wendtland, § 118 Rn. 7. 136 Etwa: Der Erklärende formuliert seine Erklärung in sumerischen, ägyptischen oder asiatischen Schriftzeichen oder er stenographiert sie, wobei er zu wissen glaubt, der Empfän131

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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vanz der Thematik verzichtet; sie sind ebensowenig praktisch wie bestimmte extravangante Formen der Erklärungsabgabe.137 Festzustellen bleibt daher lediglich, daß das Thema der Abgabe einer Willenserklärung durch die Möglichkeit einer Scherzerklärung in keiner praktisch bedeutsamen Weise relativiert wird. III. Die Abgabe von Willenserklärungen in deutscher Sprache gegenüber Sprachunkundigen 1. Das Richtungs- oder Adressierungserfordernis als Problem der Abgabe a) Die Abgabe einer Willenserklärung setzt – neben dem willentlichen Inverkehrbringen der Erklärung durch den Erklärenden – weiter voraus, daß die Abgabe in Richtung auf den Empfänger erfolgt und dies und auf eine Weise, daß unter normalen Umständen mit dem Zugang bei dem Adressaten zu rechnen ist. Im älteren Schrifttum hat namentlich James Breit die Gerichtetheit der Erklärung auf den Adressaten und die Verkehrsüblichkeit der Erklärung gleichgesetzt.138 Diese Prämisse hatte konkrete Folgen für die Abgabe von Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen. Diskutiert wurde diese Frage – neben anderen139 – unter Berücksichtigung folgender „klassischer“ Beispiele: (1) Der Mieter ist Chinese und versteht kein Wort Deutsch. Muß der Vermieter Chinesisch lernen, um wirksam kündigen zu können? Oder hat er zum Zwecke der Kündigung wenigstens einen Dolmetscher hinzuzuziehen? 140 (2) Die deutsche Zimmervermieterin legt ihrem Chambregarnisten eine in deutscher Sprache abgefaßte Kündigungserklärung auf seine Stube, obwohl ihr bekannt ist, daß er als Ausländer die deutsche Sprache nicht versteht.141 (3) Ein Gutsbesitzer schreibt seinem deutschen Knecht einen französischen Brief.142 (4) Ein humanistisch gebildeter Käufer läßt es sich einfallen, die Mängelanzeige griechisch oder lateinisch abzufassen.143

ger verstehe diese Zeichen nicht, während dieser in Wahrheit gerade einen einschlägigen Volkshochschulkurs besucht hat und den Inhalt der Erklärung doch versteht, usw. 137 Siehe Titze, Mißverständnis, S. 63: Schreiben der Erklärung auf eine Mauer, an der der Empfänger regelmäßig vorüberkehrt; Hineinwerfen eines Schriftstücks in den Garten des Adressaten. 138 Siehe Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (684). 139 Insbesondere: Wahl des richtigen Erklärungsmittels; Zugang. 140 Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (685). 141 Titze, Mißverständnis, S. 205; Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 6. 142 Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (685 f.); Titze, JhJ 47 (1904), 379 (414 f. mit Fn. 57); Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 6 m. w. N. Ähnlich Titze, Mißverständnis, S. 69: Ein Gutsherr in der Provinz Posen händigt seinem lediglich polnisch sprechenden Knecht einen deutschen Kündigungsbrief aus. 143 Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (686).

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

In den Fällen dieser Art lehnte James Breit die Wirksamkeit der Abgabe ab. Grundsätzlich müsse der Erklärende die Mängel des Wahrnehmungsvermögens seines Gegners respektieren. Die in eine für den Gegner nicht verständliche Form gekleidete Erklärung sei unwirksam. Diese Regel gelte jedoch nicht für alle Fälle des mangelnden Wahrnehmungsvermögens. Es müsse vielmehr nach den Gründen der Aufhebung oder Minderung der Apperzeptionsfähigkeit unterschieden werden. Mangelnde Sprachkenntnis könne nicht ebenso behandelt werden wie Mängel des Gehörs oder des Gesichts144 . Weiter sei zu fragen, ob nicht die Wahrnehmungsfähigkeit des Gegners bei mündlicher Abgabe der Erklärung in höherem Grade zu berücksichtigen ist als bei schriftlicher Abfassung.145 Breit legt seinen Ausführungen die These zugrunde, daß die deutsche Sprache im Privatrechtsverkehr „zwar nicht die obligatorische, aber doch jedenfalls die normale Rechtsgeschäftssprache“ sei, „mit deren Anwendung jeder rechnen muß und mit deren Kenntnis jeder rechnen darf“.146 Daraus leitet er konkrete Folgerungen ab, die sich sowohl auf den Abgabetatbestand als auch auf diesbezügliche Einschränkungen aus Treu und Glauben beziehen.147 So gelangt Breit auf der Basis einer Gleichsetzung des Richtungserfordernisses mit der Verkehrsüblichkeit des gewählten Erklärungsmittels zu dem Grundsatz, daß die wirksame Abgabe einer Erklärung in einer Fremdsprache zu verneinen sei.148 Regelmäßig verkehrsüblich sei die deutsche Sprache. Wenn die fremde Sprache in dem betreffenden Gebiet (scil. des Deutschen Reiches) verkehrsüblich sei – Breit nennt hierfür die französische Sprache in gewissen Teilen Lothringens und die polnische in Posen – können nach seiner Ansicht Rechtsgeschäfte jedoch auch in dieser Fremdsprache vorgenommen werden.149 144

Also der Sehfähigkeit. Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (686). 146 Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (687); ebenso Titze, Mißverständnis, S. 69: „Als Regel wird hier aufzustellen sein, daß im Gebiet des deutschen Rechtes eine Erklärung, die durch Übergabe eines Schriftstücks erfolgt, stets in deutscher Sprache abgegeben werden kann, einerlei ob der Adressat dieser Sprache mächtig ist oder nicht, und ob der Erklärende in letzterem Falle um die Unkenntnis weiß oder nicht weiß.“ 147 Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (688 f.). 148 Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (686). Den Begriff der (zulässigen) Form verwendet – neben dem Begriff „Erklärungsmittel“ – auch Titze, Mißverständnis, S. 69. Von den modernen Autoren behandelt Flume, BGB AT, § 15 I 5 (S. 249 f.) die Frage der Sprachenverwendung als Problem der Form; siehe dazu auch Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 25 ff. 149 Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (692); abweichend Titze, Mißverständnis, S. 69: „Als Regel wird hier aufzustellen sein, daß im Gebiet des deutschen Rechtes eine Erklärung, die durch Übergabe eines Schriftstückes erfolgt, stets in deutscher Sprache abgegeben werden kann, einerlei ob der Adressat dieser Sprache mächtig ist oder nicht, und ob der Erklärende in letzterem Falle um die Unkenntnis weiß oder nicht weiß. (. . .) [Der Erklärende] darf annehmen, daß der andere Teil, wenn er die deutsche Sprache nicht beherrscht, sich das Schreiben von denjenigen übersetzen lassen wird, auf deren Hilfe er auch sonst bei seinem Verkehr im fremden Sprachgebiet angewiesen ist. Wie jeder, der im Deutschen Reiche lebt, dessen Münze anerkennen und in ihr zahlen muß, so muß er auch dessen Sprache im Rechtsverkehr gegen 145

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b) Die These von dem grundsätzlichen Fehlen einer Abgabe „gegenüber“ bzw. „in Richtung auf“ den Adressaten – kurz: das Adressierungs- oder Richtungserfordernis der Erklärung – im Fall der Verwendung einer Fremdsprache vermag nicht zu überzeugen. Sie hat im Schrifttum bereits früh Widerspruch gefunden.150 Breit hatte seinerzeit selbst richtig erkannt, daß es sich bei dem Erfordernis der Richtung – im Gegensatz zu dem Erfordernis der Wahrnehmbarkeit, welches sich auf die Substanz der Erklärung bezieht – um „etwas rein Technisches“ handelt.151 Ganz gleich, ob die Willenserklärung von dem Erklärenden gegenüber einem Tauben, Blinden oder Sprachunkundigen ausgesprochen (mündliche Erklärung) bzw. an ihn – d. h. an seine Wohnadresse – abgesandt wird (schriftliche Erklärung), das Richtungserfordernis ist jeweils gewahrt. Breits Annahme, daß sich das Richtungserfordernis und die Verkehrsüblichkeit des Erklärungsmittels – d. h. die Sprache der Erklärung – deckten, ist unzutreffend. Das Richtungs- oder Adressierungserfordernis ist für die Zuweisung des „Sprachrisikos“ bei der Abgabe einer Willenserklärung ungeeignet.152 Apperzeptionshemmnisse auf seiten des Erklärungsempfängers, Sprachschwierigkeiten eingeschlossen, sind für den „Tatbestand“ der Willenserklärung, genauer: für die Abgabe derselben, irrelevant.153 2. Treu und Glauben als Grenzen einer freien Sprachenwahl des Erklärenden a) Da James Breit das „Sprachrisiko“ bei schriftlichen Willenserklärungen nicht als Zugangsproblem charakterisiert, bilden für ihn „Treu und Glauben (. . .) in sich gelten lassen. Und diese Forderung gilt unabhängig davon, ob in einzelnen Landstrichen die deutsche Sprache tatsächlich in Übung ist oder nicht. Auch der Gutsbesitzer in der Provinz Posen, der seinem lediglich polnisch sprechenden Knechte einen deutschen Kündigungsbrief aushändigt, hat die Erklärung in zulässiger Form abgegeben.“ 150 Siehe Titze, Mißverständnis, S. 67 Anm. 8: „Wer einem Tauben mündlich kündigt, hat nach der Meinung von Breit nicht ‚ihm gegenüber‘ gekündigt, hat also das Adressierungs- oder Richtungserfordernis verletzt. Diese Auffassung hängt damit zusammen, daß Breit im Erfordernis der Adressierung das der Wahrnehmbarkeit der Erklärung von selbst enthalten findet. Indem aber Breit für die Adressierung die Wahrnehmbarkeit schlechthin verlangt, kommt er dahin, die oben unterschiedenen Fälle, wo dem Erklärenden die auf seiten des Adressaten vorliegenden Defekte erkennbar sind, und wo sie ihm nicht erkennbar sind, übereinstimmend zu behandeln und die Möglichkeit der Geschäftsgültigkeit hier wie dort zu leugnen. (. . .) In Wahrheit kann denn auch keine Rede davon sein, daß derjenige, der – sei es wissentlich, sei es unwissentlich – einem Tauben eine mündliche Erklärung überbringt, die Erklärung nicht ‚gegenüber‘ dem Tauben, nicht ‚in Richtung‘ auf den Tauben abgegeben habe. Im Gegenteil, gerade weil er sein Verhalten einem Tauben gegenüber beobachtet hat, kann darin, wenn er es wissentlich oder fahrlässig getan hat, eine Erklärung im Rechtssinn nicht gefunden werden.“ 151 Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (684). 152 Im Ergebnis auch Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 191: „Sprachprobleme des Erklärenden können sich somit nicht auf die ‚In-Richtung-auf-den-Erklärungsempfängerin-Bewegung-Setzen‘ auswirken.“ 153 Ebenso Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 181 sowie S. 195 f. (Sprachprobleme des Erklärungsempfängers sind für die Abgabe empfangsbedürftiger Willenserklärungen ohne Bedeutung).

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diesen Fällen die einzige Richtschnur“, um „einen verkehrten, die fundamentalen Grundsätze von Treu und Glauben erschütternden Chauvinismus“ zu verhindern.154 Dies gilt sowohl für die Erklärungsabgabe in deutscher Sprache gegenüber einem Ausländer als auch für den umgekehrten Fall der bewußten Abgabe in einer Fremdsprache gegenüber einem Erklärungsgegner, der diese Sprache nicht versteht.155 Als Minimaltatbestand rechtsmißbräuchlichen Verhaltens kann eine Sprachenverwendung charakterisiert werden, die in der Kenntnis der Erklärenden erfolgt, daß der Adressat der Erklärung deren Sprache nicht beherrscht, und in der darauf beruhenden Erwartung, daß dieser ihm zustehende Rechte nicht wahren bzw. bestehende Ansprüche nicht durchsetzen werde, so daß eine Rechtsschutzverkürzung eintritt. Denn es ist ein Leitgedanke von Treu und Glauben, daß die formale Gestaltungsmöglichkeit – hier: die freie Sprachenwahl durch den Erklärenden – nicht zum Nachteil einer Partei missbraucht werden darf, um deren Rechte zu vereiteln.156 b) Die Frage nach dem Verhältnis von Sprachenwahl zu Treu und Glauben ist allerdings umstritten. Sie wurde in der älteren Literatur – am Beispiel des Schulfalls des in deutscher Sprache abgefaßten Kündigungsbriefs, den der in Posen ansässige deutsche Gutsbesitzer seinem Knecht aushändigt – kontrovers diskutiert. Der Zugang einer solchen Erklärung wurde vom älteren Schrifttum überwiegend bejaht.157 Während Breit158 aus Gründen von Treu und Glauben eine Pflicht des Gutsbesitzers annahm, dem nur polnisch sprechenden Knecht die Kündigung in seiner Sprache auszuhändigen, widersprach ihm Titze159, der die 154

Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (688). Für die zweitgenannte Fallgestaltung siehe Titze, Mißverständnis, S. 70: „Wird in Deutschland eine Erklärung statt in deutscher in ausländischer Sprache abgegeben, so ist sicher, daß sie von vornherein unwirksam ist, wenn sie bewußtermaßen an einen Gegner gerichtet wird, der die fremde Sprache nicht versteht.“ 156 Bamberger/Roth/Grüneberg, § 242 Rn. 81: „Eine Rechtsausübung ist mißbräuchlich, wenn ihr im Einzelfall überhaupt kein schutzwürdiges Interesse zukommt. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der einzig mögliche Sinn der Rechtsausübung nur die Benachteiligung des Betroffenen sein kann.“ Das Schädigungsverbot des § 226 BGB kommt praktisch kaum in Betracht, da es zur Voraussetzung hat, daß die Rechtsausübung das alleinige Ziel verfolgt, einem anderen Schaden zuzufügen. 157 Anders Oertmann, BGB, Bd. I, 2. Aufl. 1909, S. 405, dessen Auffassung Titze, Mißverständnis, S. 70 f. mit Fn. 12 als „ganz abwegig“ bezeichnet. Zugegangen sei die Kündigung zweifellos, sobald der Adressat den französischen oder englischen Brief in seiner Hand halte; ebenso Titze, JhJ 47 (1904), 379 (414 mit Anm. 57), dort gegen die Auffassung Rietzlers in der 2. Auflage des Kommentars von Staudinger gerichtet. 158 Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (688); ebenso Staudinger/Rietzler, BGB Bd. I, 5./6. Aufl. 1910, III. Abschnitt Rechtsgeschäfte 5 c (S. 391): „Ja ich muß nach den Grundsätzen von Treu und Glauben im rechtsgeschäftlichen Verkehr (. . .) die Erklärung in dieser fremden Sprache abgeben bzw. übermitteln lassen, wenn ich weiß, daß der Adressat nur ihrer mächtig ist; daher kann z. B. ein Gutsbesitzer seinem polnischen Knecht, der nicht Deutsch versteht, eine Kündigung nur in polnischer Sprache erklären bzw. übermitteln“. 159 Titze, Mißverständnis, S. 69, 220. Verf. schränkt diesen Grundsatz a.a.O., S. 69 für mündliche Willenserklärungen und den Fall des Vorzeigens eines Schriftstücks ein: „Wer 155

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Ansicht vertrat, daß im Geltungsbereich des deutschen Rechts eine Erklärung, die durch Übergabe eines Schriftstücks erfolgt, stets – d. h. ausnahmslos – in deutscher Sprache abgegeben werden könne. c) Der umgekehrte Fall, daß eine Erklärung in Deutschland statt in deutscher Sprache in einer Fremdsprache abgegeben wird, kann unter Geltung des deutschen Rechts grundsätzlich ebenfalls als Verstoß gegen § 242 BGB zu bewerten sein, wenn dies in der Kenntnis der Erklärenden erfolgt, daß der Adressat diese Sprache nicht beherrscht.160 Vor einer extensiven Interpretation des § 242 BGB ist allerdings – schon vor dem Hintergrund der EG-primärrechtlichen Freiheitsgewährleistungen im europäischen Binnenmarkt und unterschiedlicher „verkehrsüblicher“ Sprachen in den Mitgliedstaaten – zu warnen. Die Verwendung einer in den Mitgliedstaaten der EG gebräuchlichen Sprache ist, jenseits der eindeutigen Fälle einer böswilligen Intention des Erklärenden, nicht schon als solche als Rechtsmißbrauch161 zu qualifizieren. Hat der Erklärende keine Kenntnis von der fehlenden Sprachbeherrschung des Erklärungsempfängers und mußte er diese Kenntnis auch nicht haben, darf ein „objektiver“ Verstoß gegen Treu und Glauben nicht einfach unterstellt werden.162 Zu eng ist insbesolchenfalls die Erklärung einem Gegner gegenüber abgibt, von dem er weiß oder wissen muß, daß er des Deutschen unkundig ist, kann sich auf den Kurswert der deutschen Sprache nicht berufen: er hat sich, wie wenn er sich an einen Wahrnehmungsunfähigen gewandt hätte, mit seiner eigenen Erklärungsabsicht in Widerspruch gesetzt, also kein Verhalten an den Tag gelegt, das den Schluß auf den Rechtsfolgewillen gestattet.“ Dagegen ist einzuwenden, daß es nicht an einem Rechtsfolgewillen des Erklärenden mangelt, so daß die Willensäußerung keineswegs „schon als ‚Erklärung‘ nichtig“ ist, wie Titze a.a.O., S. 70 annimmt. Vielmehr wird die Intention des Erklärenden, die Rechte des Adressaten zu verkürzen, an seinem Verhalten offenbar. Wie sich aus den Erläuterungen a.a.O., S. 220 ergibt, soll sich die Annahme, daß es bei schriftlichen Erklärungen keiner Ausnahme von der Empfangstheorie bedürfe, aus dem bleibenden Charakter des Erklärungsmittels ergeben. Daran ist richtig, daß die dem Erklärenden im Voraus bekannte Unfähigkeit des Adressaten, das Schriftstück zu lesen, den Zugang gemäß § 130 Abs. 1 BGB nicht hindert. Das besagt jedoch noch nichts über die davon getrennt zu beurteilende Frage, ob ein solches Verhalten mit dem Grundsatz von Treu und Glauben vereinbar ist. Daß ein solcher Verstoß gegen § 242 BGB möglich ist, wurde bereits dargelegt (siehe oben D. III. 2.). 160 Titze, Mißverständnis, S. 70: „Wird in Deutschland eine Erklärung statt in deutscher in ausländischer Sprache abgegeben, so ist sicher, daß sie von vornherein unwirksam ist, wenn sie bewußtermaßen an einen Gegner gerichtet wird, der die fremde Sprache nicht versteht.“ 161 Genauer: als eine mißbilligte Inanspruchnahme des Rechts zur Verwendung einer Fremdsprache unter Geltung des deutschen Rechts. 162 § 242 BGB hat seine Wurzeln in der gemeinrechtlichen exceptio doli generalis (vgl. MüKo BGB/G. H. Roth, § 242 Rn. 17). Die Vorschrift geht über die klassischen Fälle des (arglistigen) Rechtsmißbrauchs hinaus und erfaßt wie ihr gemeinrechtliches Vorbild auch rein objektive Unbilligkeiten, siehe Roth, a.a.O., Rn. 184; Bamberger/Roth/Grüneberg, § 242 Rn. 59. § 242 BGB setzt kein Verschulden voraus, BGHZ 64, 5 (9); Palandt/Heinrichs, § 242 Rn. 5, 43; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 242. Vielmehr genügt ein objektiver Verstoß gegen Treu und Glauben, siehe BGH, ebd. Daraus folgt, daß auch eine nicht dolose Sprachenverwendung gegenüber einem dieser Sprache unkundigen Erklärungsgegner objektiv unbillig und damit rechtsmißbräuchlich sein kann (nicht: ist).

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sondere die Auffassung Titzes, wonach beide Parteien nicht nur voneinander wissen müssen, daß sie in einer bestimmten Sprache verkehren können, sondern der Erklärende zusätzlich auch noch einen vernünftigen, dem Gegner erkennbaren Grund gehabt haben muß, um seinen Willen in einer fremden statt in deutscher Sprache auszudrücken.163 Beispiel: 164 Wenn eine Wohnungsverwaltungsgesellschaft englischen Rechts mit Sitz in Großbritannien in Frankfurt am Main Wohnblocks zu Eigentum erwirbt, stellt sich die Frage, ob sie den Mietern, die sich in Zahlungsverzug befinden, schriftlich in englischer Sprache kündigen kann, wobei unterstellt werden soll, daß die Voraussetzungen der §§ 543 Abs. 2 Nr. 3, 549 Abs. 1 BGB eingehalten sind. Wäre die Kündigung in einer Fremdsprache gegebenenfalls als rechtsmißbräuchlich zu bewerten?

Wie dargelegt, sind fremdsprachige Erklärungen unter Geltung des deutschen Rechts gemäß dem Grundsatz der freien Sprachenwahl grundsätzlich zulässig. Es gibt weder eine zwingende gesetzliche Sprachregel, die den Gebrauch der deutschen Sprache im Zivilrechtsverkehr allgemein vorschreibt, noch liegt typischerweise eine ausdrückliche oder konkludente rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Vertragsparteien über die Sprachenverwendung vor, es sei denn, man fingierte entgegen der hier vertretenen Ansicht165 die deutsche Sprache – z. B. wegen des auf Deutsch formulierten Mietvertrags zwischen dem Rechtsvorgänger der Wohnungsverwaltungsgesellschaft und ihren Mietern – als „Vertragssprache“. Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags sprechen ebenfalls für die Zulässigkeit fremdsprachiger Erklärungen. Die Gesellschaft hat mit dem Erwerb der Wohnungen von ihren Freizügigkeitsrechten, d. h. der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 EG bzw. der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 EG166 Gebrauch gemacht. Die für die Kündigung einschlägige Vorschrift des § 568 163 Titze, Mißverständnis, S. 71: „Es muß nämlich der Erklärende einen vernünftigen, dem Gegner erkennbaren Grund gehabt haben, seinen Willen in ausländischer, statt in deutscher Sprache auszudrücken. Die bloße Tatsache also, daß sich jemand erinnert, er und ein Anderer haben in der Schule einstmals Englisch und Französisch gelernt, gibt ersterem noch kein Recht, mit letzterem nicht deutsch, sondern englisch oder französisch zu reden.“ 164 Dazu, daß es sich dabei um ein zumindest theoretisch mögliches Szenario handelt, siehe ZfV 2006, Heft 8 (15. April 2006), Editorial („Deutschland im Ausverkauf“): „Die sächsische Landeshauptstadt Dresden ist mit einem Schlag schuldenfrei geworden. Sie hat den städtischen Wohnungsbestand an einen ausländischen Investor verkauft und mit dem Erlös die Schulden getilgt. (. . .) Andere Städte, Länder und Institutionen in Deutschland gingen und gehen den gleichen Weg (wird ausgeführt).“ 165 Oben § 3 A. II. 4. gg (5); vgl. auch Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 5, der die vorbehaltslose Unterschriftsleistung des Sprachunkundigen einer Billigung der sprachlichen Formulierung des Vertrages gleichachtet, durch die die Vertragssprache festgelegt wird. Die Festlegung der Vertragssprache stütze sich hauptsächlich auf die Parteiautonomie. 166 Sofern das Unternehmen eine Zweigniederlassung in Deutschland begründete, wäre die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG einschlägig.

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Abs. 1 BGB verlangt lediglich die Wahrung der Schriftform (§§ 126, 126a BGB), was nicht notwendigerweise die Verwendung der deutschen Sprache bedeutet. Der Gesetzgeber – zumal der Reformgesetzgeber der Mietrechtsreformgesetzes von 2000/2001 – hätte die Möglichkeit gehabt, zum Schutz der Mieter eine schriftliche Kündigung in einer dem Mieter verständlichen Sprache zu verlangen.167 Dies ist nicht geschehen. Daraus folgt, daß in dem genannten Fall nicht per se von einem rechtsmißbräuchlichen Verhalten der Gesellschaft ausgegangen werden kann, denn dies liefe in letzter Konsequenz auf die Einführung einer de facto-Sprachregel zugunsten der deutschen Sprache „durch die Hintertür“ hinaus. d) Die Annahme eines objektiv rechtsmißbräuchlichen Verhaltens ist aber dann nicht ausgeschlossen, wenn die Erklärung aufgrund ihrer Komplexität, etwa infolge der Verwendung juristischer Fachtermini, mit den herkömmlichen Fremdsprachenkenntnissen168 (z. B. „Schulenglisch“-Kenntnissen) von dem Empfänger nicht verstanden werden könnte. In diesem Fall könnte der Erklärende aus seiner Willenserklärung keine Rechte herleiten.169 In dem Beispielsfall wird man ein arglistiges Verhalten der Wohnungsbaugesellschaft infolge der Wahl der englischen statt der deutschen Sprache mit dem Ziel, die rechtlichen Interessen der Mieter zu beeinträchtigen, allerdings kaum begründen können. Denn ein Mieter, der eine Kündigung infolge ihrer sprachlichen Fassung nicht verstehen kann, wird aus der betreffenden Wohnung schon wegen dieses Nichtverständnisses nicht ausziehen. Die Wohnungsverwaltungsgesellschaft würde also wider ihr eigenes Interesse an einem reibungslosen Auszug der säumigen Mieter handeln und ihr Ziel nur durch einen Zivilrechtsstreit vor dem zuständigen deutschen Amtsgericht erreichen können, den sie dann aber in deutscher Sprache führen müßte (§§ 184, 142 Abs. 3 GVG). In einem solchen Fall der „Selbstschädigung“ durch Verwendung einer Fremdsprache vermag die These, die Gesellschaft handele arglistig in bezug auf die betroffenen Mieter, nicht zu überzeugen.170 Zwar könnte man daran denken, daß nach wirksamer Kündi167 Eine derartige, sozial motivierte und auf einen konkreten Bereich des Zivilrechtsverkehrs beschränkte gesetzliche Sprachregel wäre nach hier vertretener Ansicht mit den europäischen Grundfreiheiten unter Einschluß des Verhältnismäßigkeitsprinzips vereinbar. 168 Strengere Anforderungen in sprachlicher Hinsicht können bei Erklärungen gegenüber bestimmten Gruppen auftreten. So kann man bei Spätaussiedlern aus Rußland, soweit sie in Deutschland keine Schule besucht haben, Englischkenntnisse nicht voraussetzen, weil diese Personen in ihrer Heimat nur Deutsch- und Russischkenntnisse erworben haben. 169 Zu den Rechtsfolgen der unzulässigen Rechtsausübung siehe MüKo BGB/G. H. Roth, § 242 Rn. 197. 170 Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen die Kündigung durch Versäumung einer Frist rechtlich unangreifbar wird (wie bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses, vgl. § 4 KSchG; dazu sogleich) oder wenn die Fristversäumung dazu führt, daß der andere Teil einen vollstreckbaren Titel erwirbt (so im Mahnverfahren, wo die Versäumung des Vorgehens des Schuldners gegen den Mahnbescheid zum Erlaß des Vollstreckungsbescheids gemäß § 699 ZPO führt).

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gung des Mieters ein Urkundsprozeß auf Räumung mittels fremdsprachiger Urkunden geführt werden könnte, was tatsächlich im Hinblick auf Treu und Glauben bedenklich erschiene. Doch steht dem § 592 ZPO entgegen, der im Urkundenprozeß nur Leistungsklagen, gerichtet auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder die Leistung anderer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere, zuläßt, nicht jedoch Klagen gerichtet auf eine individuelle Leistung, die Herausgabe von Sachen, die Vornahme einer Handlung oder Unterlassung oder die Abgabe einer Willenserklärung.171 e) Ein Fall des (individuellen) Rechtsmißbrauchs wegen mangelnder Schutzwüdigkeit des verfolgten Zwecks oder Eigeninteresses172 ist nur in sehr eng begrenzten Fallgestaltungen denkbar. Der BGH qualifiziert ganz allgemein den Gebrauch eines Rechts zu Zwecken, „die zu schützen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt gerechtfertigt ist“, als Rechtsmißbrauch.173 Diese Rechtsprechung kann ohne Schwierigkeiten auf die Freiheit der Sprachenwahl bei der Abgabe von Willenserklärungen unter Geltung des deutschen Rechts erstreckt werden. Beispiel: Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines bei einem in Deutschland ansässigen Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmers wird vom Arbeitgeber absichtlich in englischer Sprache und im Bewußtsein der mangelhaften Englischkenntnisse des Mitarbeiters ausgesprochen, um auf diese Weise nach Möglichkeit zu verhindern, daß der betreffende Mitarbeiter die Kündigung fristgerecht (vgl. §§ 3 bis 5 KSchG) als sozial ungerechtfertigt (vgl. § 1 KSchG) angreift.

In diesem Fall läge ein rechtsmißbräuchliches Verhalten des Arbeitgebers vor. Denn er darf wegen § 242 BGB das ihm gemäß dem Grundsatz der freien Sprachenwahl zustehende Recht zur Verwendung der englischen Sprache nicht gezielt dazu einsetzen, die dem Arbeitnehmer als Adressaten der Kündigungserklärung zustehenden Rechte zu verkürzen. f) Als Zwischenergebnis kann somit nur eine Sprachenwahl des Erklärenden, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr gerechtfertigt ist, als rechtsmißbräuchlich qualifiziert werden. So betrachtet hat die oben als zu weitgehend bezeichnete Forderung Titzes nach einem „vernünftigen Grund“ für die Sprachenwahl einen richtigen Kern. Der Gebrauch der vom Erklärenden selbst am besten beherrschten Sprache, die für den Erklärungsgegner eine Fremdsprache ist, begründet die Annahme eines Rechtsmißbrauchs jedoch für sich genommen noch nicht. 171

Siehe Thomas/Putzo/Reichold, § 592 Rn. 3 f. Siehe Bamberger/Roth/Grüneberg, § 242 Rn. 94; Palandt/Heinrichs, § 242 Rn. 50; AnwKomm/Krebs, § 242 Rn. 27: „Rechtsausübung mangels sachlichen Eigeninteresses völlig nutzlos“; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 260; Soergel/Teichmann, § 242 Rn. 291, 293. 173 BGH NJW 1987, 1946 = JZ 1987, 632 (zur Verweigerung der Zustimmung zum Parteiwechsel im Zivilprozeß). 172

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E. Der Zugang von Willenserklärungen I. Der Begriff 1. Die Abhängigkeit der Interpretation des Zugangsbegriffs von der Art des gewählten Erklärungsmittels Der Zugangsbegriff des Allgemeinen Teils des BGB ist kein einheitlicher. Man unterscheidet im Hinblick auf empfangsbedürftige Willenserklärungen zwischen dem Zugang unter Anwesenden und Abwesenden,174 sowie – in Abhängigkeit von der Wahl des Erklärungsmittels – den Zugang von schriftlichen und mündlichen, verkörperten und nicht verkörperten,175 (bzw. von „gespeicherten“ und nicht „gespeicherten“) Erklärungen176 sowie den Zugang solcher Erklärungen, die telefonisch, mittels Telefax oder per E-Mail zugehen, usw.177 Die folgende Darstellung beschränkt sich aus Gründen der Klarheit und Vereinfachung schwerpunktmäßig auf zwei besonders wichtige Grundtypen, nämlich zum einen auf den Zugang verkörperter – d. h. schriftlicher, „gespeicherter“ – 178 Erklärungen unter Abwesenden und zum anderen den Zugang nicht verkörperter – d. h. mündlicher, im folgenden: nicht „gespeicherter“ – Erklärungen unter Anwesenden. Obgleich in beiden Fällen von „Zugang“ gesprochen wird, handelt es sich doch um verschiedene Dinge. Das kommt in der heutigen Rechtspraxis mittelbar durch die Anwendung unterschiedlicher Zugangstheorien – Erklärungstheorie versus Vernehmungstheorie – zum Ausdruck. Die Unterschiede in der Sache wurden vom älteren Schrifttum, als man noch keine volle Klarheit über die exakte Bedeutung von § 130 BGB und den Begriff des Zugangs gewonnen hatte, sehr deutlich herausgearbeitet.179 Diese sachlichen Unterschiede bieten möglicherweise auch heute noch beachtliche Gründe für eine 174 John, AcP 184 (1984), 385 konstatiert, daß fast alle Autoren ihre Darstellung danach einteilen, ob die Erklärung unter Anwesenden oder unter Abwesenden übermittelt wird. Diese Unterscheidung wird vom Verf. im folgenden kritisiert (S. 387). 175 Zur Kritik siehe John, AcP 184 (1984), 385 (387 ff.). 176 So erstmals John, AcP 184 (1984), 385 (391 f., 395, 403 ff., 412). Der Begriff der „Speicherung“ drückt die fortgesetzte Verfügbarkeit der Information, die Abrufbarkeit durch den Empfänger aus, und dies auch bei unverkörperten Informationen (z. B. E-Mail, Computerfax). Der „Machtbereich“ des Empfängers meint die Möglichkeit des Informationszugriffs, den „Abrufbereich“ (a.a.O., S. 404 unten). Zum Zugang von Willenserklärungen bei Nutzung moderner Kommunikationsmittel siehe Burgard, AcP 195 (1995), 74 ff. 177 Abweichend Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 208 f. 178 John, AcP 184 (1984), 385 (391 f. 395, 403 ff., 412); zustimmend Medicus, BGB AT, Rn. 274. 179 Entgegen Schlechtriem, FS Weitnauer, S. 127 (136 mit Fn. 32) erscheint es sachlich nicht gerechtfertigt, die unterschiedlichen Ansichten in der älteren Literatur mit der Begründung zu vernachlässigen, daß sie zum Teil die noch nicht geklärten Unsicherheiten über die Voraussetzungen wirksamen Zugangs verkörperter Erklärungen widerspiegelten. Gerade diese Unsicherheiten machten nämlich grundsätzliche Überlegungen erforderlich, die sich für das Sprachenproblem zum Teil als fruchtbar erweisen.

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differenzierte Behandlung der beiden zu untersuchenden Grundtypen des Zugangs im Hinblick auf die Sprachenfrage. 2. Die Definition des Begriffs „Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärung unter Abwesenden“ (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB) a) § 130 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt, daß empfangsbedürftige Willenserklärungen, die gegenüber einem abwesenden Adressaten abgegeben werden, in dem Zeitpunkt wirksam werden, in welchem sie ihm zugehen. Die ständige Rechtsprechung und das Schrifttum verstehen dieses Wirksamkeitserfordernis als ein „Hineingelangen der Erklärung in den Macht- oder Herrschaftsbereich des Empfängers auf eine Weise, die diesem unter normalen Umständen die Kenntnisnahme ermöglicht“.180 § 130 BGB verlangt nicht die tatsächliche Kenntnisnahme des Empfängers von der Erklärung, denn eine solche Regelung würde „die Interessen des Erklärenden zu sehr schädigen (. . .), als daß der Verkehr bei ihr bestehen könnte“181. Die Vorschrift ist somit der Gesetz gewordene Ausdruck der sogenannten Empfangstheorie, die die Ankunft der Erklärung bei dem Adressaten für die Wirksamkeit der Erklärung als maßgeblich erachtet.182 Sie beinhaltet eine Risikoverteilung nach Sphären183 : Der Erklärende trägt das 180 BGHZ 137, 205 (208) = NJW 1998, 976: „Zugegangen ist eine Willenserklärung, sobald sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt, daß bei Annahme gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen ist, er könne von ihr Kenntnis erlangen (BGHZ 67, 271, 275).“; früher schon RGZ 50, 191 (194); BGH NJW 1965, 965 (966); aus dem Schrifttum siehe Bork, BGB AT, Rn. 619; Köhler, BGB AT, § 6 Rn. 13; Brox/Walker, BGB AT, Rn. 149; Flume, BGB AT, § 14, 3 b (S. 230 f.); Leipold, BGB I, § 12 Rn. 13; Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (476); Enneccerus/Nipperdey, BGB AT, S. 975. Prägnant auch Staudinger/Rietzler, BGB Bd. I, 5./6. Aufl. 1910, III. Abschnitt Rechtsgeschäfte, 5 e (S. 392): „Zugegangen ist die Willenserklärung aber dann, wenn alle Umstände verwirklicht sind, welche die empirisch begründete Möglichkeit einer Wahrnehmung durch den Adressaten herstellen.“; ablehnend noch Titze, JhJ 47 (1904), 379 (384 f.) mit der Begründung, die Begriffe „Möglichkeit“, „Herrschaftsbereich“ und „Machtbereich“ enthielten kein juristisches Element, dessen sich der Praktiker als Handhabe bedienen könnte. Das von ihm für den Zugang eines Schriftstücks verlangte Kriterium des Besitzerwerbs (vgl. a.a.O., S. 410; ebenso Breit, SächsArch 15 [1905], 637, 658) wird heute einhellig und zutreffend abgelehnt. Abweichend von der im Text wiedergegebenen Definition – wenngleich der Empfangstheorie im Grundsatz folgend – Burgard, AcP 195 (1995), 74 (134); Burgard bejaht den Zugang, wenn die empfangsbedürftige Willenserklärung „vollständig derart in den Aufnahmebereich des Empfängers gelangt ist, daß dieser bei Annahme gewöhnlicher Verhältnisse die Möglichkeit hat, die Erklärung zu speichern“. 181 Titze, Mißverständnis, S. 255; siehe auch Motive, Bd. I, § 74 (S. 156 = Mugdan, Materialien, Bd. I, S. 438); Flume, BGB AT, § 14, 3 a (S. 228). 182 Titze, Mißverständnis, S. 192. Der historische Gesetzgeber des BGB hatte vier Theorien betreffend die Frage, wann eine Willenserklärung wirksam werden soll, vorgefunden, nämlich die Äußerungstheorie (nach ihr trat die Wirksamkeit in dem Zeitpunkt ein, in dem die Erklärung äußere Gestalt gewann), die Entäußerungstheorie (sie verlangte, daß die fertige Erklärung zusätzlich auch abgegeben wurde), die Empfangstheorie (s. o.) und die Vernehmungstheorie (nach ihr trat Wirksamkeit mit der sinnlichen Wahrnehmung durch den Adressaten ein; dazu sogleich). 183 Bork, BGB AT, Rn. 608 f., 619; Weiler, JuS 2005, 788 (789).

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sog. Transportrisiko, also das Risiko, daß die Erklärung den Empfänger überhaupt nicht, nicht rechtzeitig oder nicht richtig erreicht,184 während der Adressat die Gefahr trägt, von der in seinen Herrschaftsbereich gelangten Erklärung nichts zu erfahren.185 § 130 BGB bezweckt den Schutz des Erklärenden, der die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Empfänger normalerweise nicht beeinflussen kann. Die bloße Möglichkeit einer nachträglichen Kenntnisnahme von der „gespeicherten“ bzw. verkörperten Erklärung reicht aus, wenn die Erklärung in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist.186 b) Die Interpretation des § 130 Abs. 1 BGB durch die Rechtsprechung und das Schrifttum in dem obengenannten Sinn ist mit den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers vereinbar. Dieser hatte für verkörperte Willenserklärungen von dem „Idealfall“ des Zugangs – d. h. von der Kenntnisnahme und dem Verständnis der Erklärung durch den Empfänger gemäß der schon im Gemeinen Recht vertretenen Vernehmungstheorie – bewußt Abstand genommen, weil eine solche Regelung den Bedürfnissen des Verkehrs nicht gerecht werde. Die Ablehnung der Vernehmungstheorie wurde seinerzeit wie folgt begründet: „Soviel in grundsätzlicher Hinsicht indessen auch für die hierauf abstellende Vernehmungstheorie sprechen mag: den Bedürfnissen des Verkehres wird die Theorie nicht gerecht. Sie hat gegen sich, daß in der Mehrzahl der Fälle es völlig in dem Belieben des anderen Theiles stehen würde, ob und wann er die Willenserklärung wirksam werden lassen will; er braucht nur der Kenntnisnahme des Inhalts des die Erklärung enthaltenden Briefes bezw. Telegrammes oder dem Anhören des Boten sich zu verschließen, und die Erklärung ist wirkungslos. Ferner würde nach dieser Theorie derjenige, welcher eine Willenserklärung abgegeben hat, im Streitfalle zu dem Beweise genöthigt sein, daß der Empfänger die Erklärung in sein Bewußtsein aufgenommen habe, – ein Beweis, der nur in seltenen Fällen gelingen könnte, da es sich um einen inneren, aus den begleitenden Umständen für den Urheber der Willenserklärung nicht unmittelbar erkennbaren Vorgang handelt.“ 187

c) Die Regelung des § 130 Abs. 1 BGB gilt auch für verkörperte Erklärungen unter Anwesenden.188 Entgegen dem Anschein, den der Wortlaut der Vorschrift erweckt,189 ist also nicht etwa zwischen Erklärungen unter Abwesenden einer184

Bork, BGB AT, Rn. 619. Siehe auch v. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 435) sowie § 61, 5 (S. 447). 186 Titze, Mißverständnis, S. 194 f. 187 Motive, Bd. I, § 74 (S. 156 f. = Mugdan, Materialien, Bd. I, S. 438); siehe auch Flume, BGB AT, § 14, 3 a (S. 228). – Vom heutigen Standpunkt der Dogmatik kann das Argument, ein Sich-Verschließen des Empfängers habe die Wirkungslosigkeit der Erklärung zur Folge, freilich nicht mehr überzeugen. 188 Medicus, BGB AT, Rn. 291; Leipold, BGB I, § 12 Rn. 28; Titze, Mißverständnis, S. 196. 189 Der historische Gesetzgeber hat § 130 BGB allerdings bewußt für Erklärungen unter Abwesenden konzipiert und für diese Erklärungen die Empfangstheorie statuiert, während er die Lösung der Frage nach dem Zugang von Erklärungen unter Anwesenden in der „Natur der Sache“ sah und etwaige Zweifelsfälle als außerhalb der Gesetzgebung liegend erachtete, siehe dazu die Motive, Bd. I, 1896, § 74 (S. 156 f.); Protokolle, Bd. I, 1897, S. 69 und zusammenfassend Oertmann, Das Recht 1906, 722. Daß der Gesetzgeber des § 130 BGB auf das Moment 185

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seits und solchen unter Anwesenden andererseits zu unterscheiden,190 sondern zwischen verkörperten („gespeicherten“) und nicht verkörperten (nicht „gespeicherten“) Willenserklärungen.191 Entscheidend ist mithin nicht das räumliche Verhältnis der Parteien zueinander, sondern das Mittel, dessen sich der Erklärende bedient.192 Die dauernde Wahrnehmbarkeit der verkörperten Willenserklärung unterscheidet sie maßgeblich von der nicht verkörperten Erklärung und rechtfertigt einen Verzicht auf die Kenntnisnahme bei der Beurteilung der Wirksamkeit der ersteren.193 3. Das Fehlen einer gesetzlichen Definition des Zugangs nicht verkörperter (nicht „gespeicherter“) Willenserklärungen a) Fraglich ist, wie der Zugang nicht „gespeicherter“ – also vor allem mündlicher194 – Willenserklärungen zu verstehen ist.195 Zu denken ist an die Situation, der Abwesenheit des Erklärungsgegners statt auf die Verkörperung abstellte, erachtete schon Oertmann, a.a.O., S. 726, für nicht sonderlich gelungen, doch konnte er auch feststellen, daß dies „zum Glück dem richtigen Verständnis und einer sachgemäßen Behandlung kein ernsthaftes Hindernis [bereitet]“. 190 Gegen eine solche Unterscheidung schon Oertmann, Das Recht 1906, 722 (726): „Auf den Unterschied der Erklärungen unter An- und Abwesenden darf dagegen grundsätzlich nicht abgestellt werden (. . .).“; ebenso Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (667), der die „Werthlosigkeit“ einer solchen Unterscheidung feststellt. Diese Unterscheidung erledige sich sofort, „wenn man den Nachdruck auf die Gegensätze Mündlichkeit – Schriftlichkeit legt und unter dem Zugang nur das Gelangen einer Urkunde in den tatsächlichen Machtbereich des Adressaten versteht“. Mit Recht stellt Weiler, JuS 2005, 788 (789 f.) fest, daß die Unterscheidung zwischen der An- und Abwesenheit der Kommunikationspartner schon bei telefonischen Willenserklärungen zweifelhaft wird. 191 Medicus, BGB AT, Rn. 291; so schon Titze, Mißverständnis, S. 195 f. mit Fn. 5 sowie S. 201 mit Fn. 15; siehe auch v. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 433); ablehnend Enneccerus/Nipperdey, BGB AT, S. 974 mit Fn. 3 mit Nachweisen zur Gegenansicht. 192 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 433). 193 Siehe Titze, Mißverständnis, S. 195 sowie a.a.O., S. 196 f. (Unterscheidung nach der Dauer der Wahrnehmbarkeit des Erklärungsmittels); Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (655). Wenn demgegenüber Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 277 meint, der Erklärungsempfänger könnte eine am Telefon abgegebene Willenserklärung auf Tonband mitschneiden und diesen Mitschnitt später übersetzen lassen, hat diese bloß theoretische Möglichkeit als lebensfern außer Betracht zu bleiben. Ebensowenig hat die vom Verf. ebd. erwogene Möglichkeit der Anwesenheit einer sprachkundigen Person als Sprachhilfe im Moment des Zugangs unberücksichtigt zu bleiben. 194 So schon Titze, Mißverständnis, S. 202: „Diese zweite Gruppe von Willenserklärungen können wir nach ihrem wichtigsten Repräsentanten in erlaubter Breviloquenz als die Gruppe der mündlichen Willenserklärungen bezeichnen.“ 195 Daß eine mündliche Erklärung abgespeichert werden kann und dieser Umstand eine abweichende rechtliche Einordnung rechtfertigt, ist schon früh erkannt worden. Titze, Mißverständnis, S. 198 hat dazu das Beispiel entwickelt, daß die Parteien ihre Botschaften phonographisch fixieren und dann die Walze dem jeweiligen Erklärungsgegner zugeschickt wird, damit dieser sie in seinen Apparat einspanne und die Erklärung reproduziere. Der Zugang trete in dem Augenblick ein, in dem die Walze beim Destinatär eintrifft und nicht erst dann, wenn der Adressat die von dem Phonographen wiedergegebenen Worte vernimmt. Gleiches

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daß sich die Parteien entweder persönlich gegenüberstehen oder telefonischen Kontakt haben.196 Ausgehend von dem von John entwickelten Erfordernis der „Speicherung“ ist es begrifflich notwendig, daß ein direkter beiderseitiger Übermittlungskontakt besteht und daß es an einer Speicherungsmöglichkeit für die abgegebenen Erklärungen fehlt.197 Gälte die Definition des Zugangsbegriffs in § 130 Abs. 1 BGB entsprechend auch für nicht verkörperte Willenserklärungen, müßte konsequenterweise auf das Verstehen des Erklärungsinhalts, d. h. auf die richtige Interpretation198 durch den Empfänger völlig verzichtet werden und die bestehende Möglichkeit der akustischen Wahrnehmung, also die bloße Vernehmung der sinnlichen Reize, für die Bejahung des Zugangs ausreichend sein; 199 kurz: schon der bloße „Eintritt in den Gehör- oder Gesichtskreis des Empfangsberechtigten“200 begründete dann den Zugang. Dieses Kriterium würde der Möglichkeit der Kenntnisnahme bei verkörperten Willenserklärungen und dem von dem historischen Gesetzgeber zu § 130 BGB formulierten Kriterium des „Hineingelangens in den Bereich des Empfängers“ entsprechen. Die richtige Deutung, also das Verständnis des Erklärungsinhalts, läge dann ganz in der Sphäre des Empfängers. Eine akustisch wahrgenommene, aber nicht verstandene oder mißgedeutete Erklärung wäre danach wirksam geworden. Nicht die Frage der Wirksamkeit der Erklärung, sondern der Inhalt derselben wäre fraglich und im Wege der Auslegung aus Sicht eines objektiven Empfängers zu klären. 201 b) Die heute herrschende Ansicht verlangt bei mündlichen Erklärungen die Vernehmung bzw. Wahrnehmung der Willenserklärung durch den Empfänger. Nicht die Möglichkeit der Kenntnisnahme, sondern die Kenntnisnahme selbst, wäre heute anzunehmen, wenn die Parteien die jeweilige Erklärung auf Diktierkassetten sprechen würden, um diese anschließend einander zuzusenden. Das Beispiel Titzes zeigt besonders gut die Prägnanz und Funktionsfähigkeit des Begriffs der „Speicherung“, der dem weiter verbreiteten Begriff der „Verkörperung“ überlegen ist. 196 Zu der Annahme, daß auch die telefonische Willenserklärung eine Erklärung unter Anwesenden ist, siehe Medicus, BGB AT, Rn. 288. Zu der Verwendung von Übermittlungspersonen (Erklärungs- bzw. Empfangsboten) siehe Flume, BGB AT, § 14, 3 f (S. 240 ff.). 197 John, AcP 184, 385 (390 ff.); dem folgend Medicus, BGB AT, Rn. 288; AnwKomm/ Faust, § 130 Rn. 12. Kritisch Burgard, AcP 195 (1995), 74 (91 f., 98 f.). 198 Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 71 spricht plastisch von der „geistigen Verarbeitung der sinnlichen Empfi ndung durch das Gehirn“. 199 Eine in der älteren Literatur vielfach vertretene Auffassung erweiterte den Anwendungsbereich des § 130 BGB auf einem Anwesenden gegenüber abgegebene (mündliche) Erklärung und ließ eine „gewisse Wahrnehmungsmöglichkeit“ ausreichen; vgl. dazu und zur Gegenansicht, die seinerzeit schon verlangte, daß die (mündliche) Willenserklärung vom Adressaten vernommen wird, die Nachweise bei Planck/Flad, § 130 Anm. 2; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 438 f.); vgl. auch Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 204 f.; Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 67 ff. 200 Leonhard, BGB AT, S. 285 (zitiert nach Breit, SächsArch 15 [1905], 637, 660); vgl. auch Titze, Mißverständnis, S. 216. 201 Vgl. Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 68.

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die „wirkliche Kenntniserlangung“202 , ist danach die entscheidende Wirksamkeitsvoraussetzung für die Erklärung. Dieser Umstand wird üblicherweise damit umschrieben, daß bei mündlichen Erklärungen nicht die Empfangstheorie (vgl. § 130 Abs. 1 BGB), sondern – zugunsten des Adressaten – die Vernehmungstheorie Anwendung finde.203 Das ältere Schrifttum hatte die Unterschiede zwischen schriftlichen und mündlichen Erklärungen wie oben erwähnt sehr deutlich herausgearbeitet und zum Teil den Begriff des Zugangs für mündliche Erklärungen als ganz verfehlt abgelehnt.204 Als eine Konsequenz dieser unterschiedlichen rechtlichen Behandlung hat es die Regel formuliert, daß die Bewußtlosigkeit und die vorübergehende Störung der Geistestätigkeit auf seiten des Adressaten nach allgemeinen Grundsätzen zwar die Wirksamkeit der wahrnehmungsbedürftigen – d. h. der nicht verkörperten – Erklärung hinderten, nicht jedoch den Zugang der zugangsbedürftigen – d. h. der in einer Urkunde verkörperten – Erklärung.205 c) Der Anwendung der Vernehmungstheorie auf nicht „gespeicherte“ Willenserklärungen unter Anwesenden ist grundsätzlich zuzustimmen. Die Abweichung von der § 130 Abs. 1 BGB immanenten Risikoverteilung ist dadurch gerechtfertigt, daß mündliche Erklärungen nach dem Aussprechen schon vergangen sind und wegen der fehlenden „Speicherung“ eine wiederholte Kenntnisnahme durch den Empfänger nicht möglich ist. 206 Die vorstehenden Aussa202

Köhler, BGB AT, § 6 Rn. 19. Medicus, BGB AT, Rn. 289; Larenz/Wolf, BGB AT, § 26 Rn. 36; Köhler, BGB AT, § 6 Rn. 19; Bork, BGB AT, Rn. 609, 631; ebenso Brinkmann, Zugang von Willenserklärungen, S. 85 f.; Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 94 f.; siehe auch Enneccerus/Nipperdey, BGB AT, S. 981: Zugang einer mündlichen Willenserklärung erfolgt „erst dann, wenn sie verstanden ist, nicht wenn das Wort nur unverstanden ans Ohr klingt, mag das Nichtverstehen auf Taubheit, Sprachunkenntnis oder irgendwelchen anderen Gründen beruhen; Empfang und Vernehmung fallen hier also zusammen. Die Gefahr trägt der Erklärende.“ 204 Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (653 f., 657 f.): Der Zugang sei nur zu bejahen, wenn die Erklärung in einer Urkunde verkörpert sei; entgegen der herrschenden Meinung ließen sich mündliche und schriftliche Erklärungen „nicht nach einer Schablone behandeln“. A.a.O., S. 657 gelangt er zu dem Schluß, daß der Begriff des Zugangs bei nicht verkörperten Erklärungen „schlechthin unanwendbar“ sei. Mündliche Erklärungen könnten von Adressaten zwar wahrgenommen werden, aber niemals zugehen, weil es an dem materiellen Substrat, von dem der Adressat Besitz ergreifen könnte, fehle. Konsequent trennt er zwischen wahrnehmungsbedürftigen und zugangsbedürftigen Erklärungen (a.a.O., S. 658). V. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 439) bezeichnet die mündliche Erklärung als „ein vorübergehendes Ereignis, welches nur im Gedächtnis des Adressaten Spuren hinterläßt und dies nur dann, wenn die Erklärung von ihm verstanden wurde“. Die Erklärung könne aber nur in demselben Augenblick verstanden werden, in welchem sie abgegeben werde. Wenn der Angeredete in diesem Moment wegen Taubheit, Zerstreutheit oder Unkenntnis der Sprache an der Kenntnisnahme gehindert sei, so könnten die an ihn gerichteten Worte nicht nachträglich zu seiner Kenntnis kommen. 205 Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (680); Enneccerus/Nipperdey, BGB AT, S. 984 mit Fn. 3. 206 Larenz/Wolf, BGB AT, § 26 Rn. 34; Leipold, BGB I, § 12 Rn. 28; Titze, Mißverständnis, S. 219, 250. 203

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gen gelten jedoch nicht unbeschränkt, sondern nur insoweit, als der Erklärende einerseits alles dafür getan haben muß, daß der Adressat die Erklärung richtig vernehmen kann und er andererseits nach den Umständen annehmen durfte, daß der Adressat die Erklärung auch richtig verstanden habe. 207 Ist der Empfänger z. B. schwerhörig, gibt er diesen Umstand dem Erklärenden nicht deutlich kund und ist er diesem auch nicht erkennbar, dann besteht kein Anlaß, die Risikoverteilung zu Lasten des Erklärenden vorzunehmen. Gleiches gilt im Normalfall auch, wenn der unverständige Adressat auf Nachfrage das Verstehen bejaht, obgleich es tatsächlich nicht vorliegt. 208 Diese vermittelnde Auffassung209 wird als modifizierte, abgeschwächte oder eingeschränkte Vernehmungstheorie bezeichnet. Sie hat bereits im älteren Schrifttum 210 einige prominente Fürsprecher gefunden und darf heute wohl als herrschende Auffassung bezeichnet werden. 211 Die in Anwendung dieser Theorie vollzogene Risikoverteilung ist vor dem Hintergrund der Rechtsprinzipien der Selbstverantwortung und des Verkehrsschutzes überzeugender als jene nach der reinen Vernehmungstheorie, welche einseitig den Adressaten vor der Wirksamkeit der Erklärung schützt und dem Erklärenden Risiken zuweist, die aus der Sphäre des Adressaten stammen und denen er – mangels Erkennbarkeit – nicht praktisch begegnen kann. 212 Die Anwendung der reinen Vernehmungstheorie würde auf das Erfordernis hinauslaufen, dem Erklärenden nach Abgabe der mündlichen 207

Hat der Erklärende hingegen erkannt oder hätte er erkennen können, daß der Adressat seine mündliche Erklärung nicht oder nicht richtig verstanden hat, so würde es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn sich der Erklärende auf die Wirksamkeit der Erklärung beriefe, siehe Titze, Mißverständnis, S. 220, 258. 208 Ebenso Larenz/Wolf, BGB AT, § 26 Rn. 35; Bork, BGB AT, Rn. 631; vgl. auch Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 99 m. w. N., der zutreffend meint, daß es für die rechtliche Behandlung des Sprachproblems äußerst wichtig sei, daß der Sprachunkundige selbst zu erkennen gebe, daß er den Inhalt des Vertrages nicht verstehen könne. 209 Sie steht zwischen der Empfangstheorie und der reinen Vernehmungstheorie, siehe Titze, Mißverständnis, S. 218. 210 Siehe v. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 439); ausführlich Titze, Mißverständnis, S. 214 ff. 211 Larenz/Wolf, BGB AT, § 26 Rn. 36; Medicus, BGB AT, Rn. 289; Köhler, BGB AT, § 6 Rn. 19; John, AcP 184 (1984), 385 (394, 399); Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 75 ff., 90; Freitag, IPrax 1999, 142 (143); Brinkmann, Zugang von Willenserklärungen, S. 92 ff.; wohl auch Schlechtriem, FS Weitnauer, S. 127 (137 f.), der von einem Beweis des ersten Anscheins für ein „Vernehmen“ bei deutschsprachigen Erklärungen gegenüber Ausländern in Deutschland spricht; Leipold, BGB I, § 12 Rn. 28. 212 Siehe auch die Kritik von Titze, Mißverständnis, S. 214: Der Verkehr habe keine Veranlassung, in dem Interessenstreit einseitig zugunsten des Adressaten oder des Erklärenden Partei zu nehmen; a.a.O., S. 219 stellt er die berechtigte Forderung auf, daß die Gefahr eines Wahrnehmungsfehlers grundsätzlich dem Adressaten als demjenigen auferlegt werden müsse, in dessen Person er sich eingestellt habe, daß sie ihm aber dann nicht aufgebürdet werde, wenn der Erklärende unmittelbar nach der Erklärungsabgabe den Mangel der gegnerischen Wahrnehmung bemerkt habe oder doch wenigstens bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bemerken konnte. Damit sei ein billiger Ausgleich zwischen den kollidierenden Interessen geschaffen und eine Lösung gefunden, die der Gerechtigkeit und dem Verkehrsbedürfnis entspreche.

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Erklärung die Obliegenheit aufzuerlegen, den Adressaten zu fragen, ob er die Erklärung verstanden hat. Eine solche Nachfrage müßte im Verkehr aber sehr befremdlich, ja mangels Sozialadäquanz sogar peinlich wirken. 213 Bei Anwendung der modifizierten Vernehmungstheorie bleibt der Schutz des Adressaten im Vergleich zu dem Schutz beschränkt geschäftsfähiger Personen vor dem Zugang von Willenserklärungen zurück, 214 denn er erstreckt sich lediglich auf die Situation, daß dem Erklärenden aus den Umständen erkennbar war, daß die Erklärung von dem Adressaten nicht verstanden wurde. Dies betrifft zunächst den Fall, daß der Adressat das Nichtverstehen gegenüber dem Erklärenden offenbart hat, sei es durch Worte, Gestik oder Mimik. Aber auch ohne eine solche Mitwirkungshandlung kann das fehlende Verständnis auf seiten des Adressaten für den Erklärenden deutlich werden. Im Ausnahmefall kann dies dazu führen, daß sogar trotz einer Nachfrage des Erklärenden, ob der Adressat ihn auch verstanden habe, die mit einem Kopfnicken oder einem einfachen „Ja“ durch den Erklärungsgegner beantwortet wird, sich aus den Umständen ergibt, daß auf ein Verständnis nicht vertraut werden darf. 215 Muß sich 213

So schon v. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 439): Zwar könne sich der Erklärende schützen, indem er sich durch die Frage vergewissere, ob seine Worte verstanden wurden. Aber eine so weitgehende Vorsicht sei im Verkehr nicht üblich. Man pflege damit zu rechnen, daß mündliche Erklärungen vom Gegner verstanden würden, „eine Erwartung, die regelmäßig, man kann wohl sagen, fast immer zutrifft“; Burgard, AcP 195 (1995), 74 (93) hält eine solche Nachfrage für „im Verkehr unüblich und lebensfremd“; a. A. Spellenberg, 2. FS Ferid (1988), S. 463 (474): Auch nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland sei „der Ausländer nicht etwa irgendwie verpfl ichtet, Deutsch zu können“. Man dürfe insbesondere erwarten, „daß die deutsche Partei bei dem möglicherweise sprachunkundigen Gegenüber nachfragt, ob er denn auch verstanden habe; siehe auch Schlechtriem, FS Weitnauer, S. 127 (137): Für die Erklärung unter Anwesenden komme es auf das Vernehmen des Empfängers an; der Erklärende bleibe deshalb mit dem Risiko sprachlicher Verständnisbarrieren belastet. Das sei wohl angemessen, denn er könne sich durch Rückfragen vergewissern, ob er verstanden worden sei. 214 LAG Düsseldorf DB 1970, 1135, Leitsatz: „Richtet der Arbeitgeber eine Kündigungserklärung an einen beschränkt Geschäftsfähigen (Minderjährigen), so kann mit dem Zugang an diesen nicht angenommen werden, daß sie gleichzeitig auch dem gesetzlichen Vertreter zugeht.“; vgl. auch Becker-Schaffner, BB 1998, 422 (425). 215 Vgl. auch die von Brinkmann, Zugang von Willenserklärungen, S. 95 angeführte Konstellation, daß der Adressat aufgrund eines in seiner Person liegenden Kenntnisnahmehindernisses nicht erkennen konnte, daß eine Willenserklärung abgegeben wurde. Ein solcher, seltener Fall liege etwa vor, wenn ein schwerhöriger oder sprachunkundiger Adressat dem Erklärenden freundlich zunicke und dabei in dem Glauben sei, bei der von ihm nicht verstandenen Erklärung handele es sich um eine belanglose Äußerung. Nach der hier vertretenen Auffassung ist der Erklärende nur dann schutzwürdig, wenn ihm nicht erkennbar war, daß der Adressat die Erklärung nicht verstanden hat. Brinkmann entscheidet sich gegen den Verkehrsschutz und zugunsten des Adressaten; er begründet dies damit, daß der Erklärende mit der unverkörperten Erklärung ein risikoreicheres Erklärungsmittel eingesetzt habe. Er sei weniger schutzwürdig als der Adressat, der aufgrund geistiger oder körperlicher Mängel von vornherein keine Möglichkeit habe, die unverkörperte Erklärung zu verstehen und die Kenntnisnahme wegen der fehlenden Perpetuierung der Erklärung nicht nachholen könne. Dem ist aus den im Text genannten Gründen nicht zu folgen. Die weitere Argumentation Brinkmanns (a.a.O., S. 95 f.), der in den §§ 131, 104 ff. BGB eine Stütze für seine Auffassung zu fi nden

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dem Erklärenden aus den Umständen der Schluß aufdrängen, sein Gegenüber habe keineswegs begriffen, worum es in der Sache geht, sondern offenbar nur aus Höflichkeit oder Scham so getan als wäre dies der Fall, besteht kein schützenswertes Vertrauen im Hinblick auf die Wirksamkeit der Erklärung, so daß diese folglich nicht durch „Zugang“ wirksam geworden ist. 216 II. Das „Sprachrisiko“ und der Zugang von Willenserklärungen 1. Allgemeines Nachdem vorstehend die Grundlagen des Zugangsbegriffs in bezug auf die Grundkonstellationen der „gespeicherten“ und der nicht „gespeicherten“ Willenserklärung erarbeitet wurden, ist im folgenden der Frage nachzugehen, ob das „Sprachrisiko“ anhand des Zugangsbegriffs des BGB zugewiesen werden kann. Ausgehend von der Konstellation der „gespeicherten“ Erklärung ist zwischen fremdsprachigen Willenserklärungen, die an deutschsprachige Adressaten gerichtet werden und in deutscher Sprache abgefaßten Erklärungen, die an einen sprachunkundigen – regelmäßig ausländischen – Adressaten gerichtet sind, zu unterscheiden. Des weiteren ist die Sprachenfrage bei nicht „gespeicherten“ – d. h. vor allem mündlichen – Erklärungen zu untersuchen, und zwar sowohl in bezug auf fremdsprachige als auch auf in deutscher Sprache geäußerten Erklärungen. 2. Der Zugang „gespeicherter“ Willenserklärungen in einer dem Empfänger unverständlichen Sprache a) Der sog. „subjektive Zugangsbegriff“ aa) Fraglich ist, ob der Zugang „gespeicherter“ Willenserklärungen von subjektiven Merkmalen – unter anderem von der Sprachkenntnis des Empfängers – abhängig gemacht werden kann. Ein „subjektiver Zugangsbegriff“ wurde früher vom Bundesarbeitsgericht und von einigen Landesarbeitsgerichten vertreten. Der 7. Senat des BAG hatte zunächst mit Urteil vom 16. Dezember 1980 217 entschieden, daß ein an die Heimatanschrift des im Urlaub befindlichen Arbeitnehmers gerichtetes Kündigungsschreiben diesem nicht vor der Rückkehr von seiner Urlaubsreise zugehe, wenn dem Arbeitgeber bekannt sei, daß der Arbeitglaubt, überzeugt ebenfalls nicht, da die genannten Ausnahmevorschriften den Fall der Sprachunkenntnis wie oben unter B. III. ausgeführt nicht erfassen. 216 Abweichend Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 77, 79: Die Problematik der Erkennbarkeit einer mißverstandenen Erklärung sei keine Frage des Wirksamwerdens der Willenserklärung, sondern eine Frage ihrer Auslegung. 217 BAGE 34, 305 = NJW 1981, 1470 = AP § 130 BGB Nr. 11. Es handelt sich um die Übernahme der Zugangsdefinition von Corts, DB 1979, 2081 (so ausdrücklich BAG NJW 1989, 606).

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nehmer sich auf Reisen befindet. Zur Begründung hatte des BAG seinerzeit auf die Merkmale des „Hineingelangens in den Machtbereich“ und der „Möglichkeit der Kenntnisnahme“ rekurriert. 218 Wenn dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Abgabe der Kündigungserklärung bekannt sei, daß der Arbeitnehmer in seinem Urlaub verreist ist, könne er im Regelfall nicht erwarten, daß das Kündigungsschreiben vor Ablauf des Urlaubs bzw. Rückkehr von der Urlaubsreise zugehe. Umgekehrt dürfe der Arbeitnehmer mangels gegenteiliger Anhaltspunkte darauf vertrauen, daß sich während seiner dem Arbeitgeber bekannten Urlaubsreise an dem Arbeitsverhältnis nichts ändern werde. bb) Die angeführte arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zum „subjektiven Zugangsbegriff“ beschränkte sich nicht auf das Merkmal der An- bzw. Abwesenheit des Empfängers, sondern erstreckte sich teilweise auch auf das subjektive Merkmal der Sprachkenntnis. Dies hatte zur Konsequenz, daß das „Sprachrisiko“ bei verkörperten Willenserklärungen als Zugangsproblem qualifiziert wurde. 219 Das LAG Hamm hatte 1979 den Fall der Kündigung einer türkischen Arbeitnehmerin zu entscheiden, „die die deutsche Sprache kaum verstehen, in keinem Fall aber lesen“ konnte. 220 In dem Fall war der Adressatin ein 16-zeiliges „ausführlichst motiviertes Kündigungsschreiben“ übergeben worden. Nach Ansicht des LAG Hamm war der Zugang dieses Schreibens erst nach Ablauf einer angemessenen Zeitspanne vollzogen, die nach Treu und Glauben zur Erlangung einer Übersetzung erforderlich war. Für den Zugang komme es nicht auf den Besitzerwerb an der Erklärungsurkunde an. Vielmehr sei die Machterlangung über die Erklärung selbst, d. h. über ihren Gedankeninhalt, vorauszusetzen. Das Gericht stellte in seinem Beschluß vom 4. Januar 1979 auf die Merkmale des „Hineingelangens in den Machtbereich des Empfängers“ und der „Möglichkeit der Kenntnisnahme“ ab. Über die räumlich-zeitliche Komponente hinausgehend integriert das LAG aber auch eine intellektuelle Komponente in den Zugangsbegriff. Die Erklärung sei vollendet, wenn zur wirklichen Kenntnisnahme nur noch die vom Erklärungsgegner zu erwartende Tätigkeit 218 Zustimmend Schlechtriem, FS Weitnauer, S. 127 (136 f.); siehe auch Staudinger/Singer, § 119 Rn. 18: „Empfangsbedürftige Willenserklärungen erlangen erst dann Wirksamkeit, wenn sie auch sprachlich dem Adressaten zugegangen sind. (. . .) Insofern kann man bei schriftlich verkörperten Willenserklärungen unter Abwesenden im Regelfall Zugang annehmen, wenn sich der Absender der Verhandlungs- und Vertragssprache bedient (. . .) Wer sich auf eine ihm fremde Sprache als Verhandlungs- und Vertragssprache einläßt, trägt zwangsläufig das Risiko einer gelungenen Verständigung.“ 219 Insoweit besteht kein sachlicher Unterschied zu dem sogleich zu erörternden „erweiterten Zugangsbegriff“. 220 LAG Hamm NJW 1979, 2488 mit abl. Anm. Schlüter, EzA Nr. 9 zu § 130 BGB; LAG Hamm, AP Nr. 9 zu § 5 KSchG 1969; siehe weiter ArbG Wiesbaden, BB 1975, 471. Nach dieser Entscheidung geht die einem ausländischen Analphabeten, der nicht deutsch spricht, an einem Freitagnachmittag übergebene schriftliche Kündigung in deutscher Sprache diesem frühestens am darauffolgenden Montag zu; a. A. Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 213.

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fehle. Diese Voraussetzung wäre in dem Fall aber nur dann zu bejahen gewesen, wenn die Kündigungserklärung in türkischer Sprache abgefaßt oder wenigstens eine Übersetzung hinzugefügt worden wäre. Da es sich tatsächlich um eine Mitteilung in einer der Erklärungsgegnerin fremden Sprache gehandelt habe, die sie nicht habe lesen können, sei der Zugang unter solchen Verhältnissen erst vollendet, wenn der Empfänger unter normalen Umständen die Möglichkeit hatte, sich eine Übersetzung zu verschaffen. Andernfalls gelange man – insbesondere bei der fristlosen Entlassung – zu untragbaren Ergebnissen. Der ausländische Gastarbeiter könne nicht gehalten sein, sofortige Wirkungen einer schriftlichen Erklärung anzuerkennen, die er gar nicht verstehe. Sowohl bei der außerordentlichen Kündigung als auch bei der fristgerechten Kündigung handele es sich daher „um das Zugangsproblem“. Die in der älteren arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung aufgestellte These, der Erklärungsempfänger könne sich ein in deutscher Sprache abgefaßtes Schreiben von einem dieser Sprache halbwegs mächtigen Landsmann übersetzen lassen, wird vom LAG schon im Hinblick auf den Umfang der streitgegenständlichen Kündigungserklärung verworfen, die die Hinzuziehung eines Dolmetschers erforderlich gemacht habe. cc) In der weiteren Entwicklung hatte der 2. Senat des BAG die Frage der Wirksamkeit einer Abmahnung einer ungelernten Arbeiterin griechischer Nationalität zu beurteilen. Die Erklärungsempfängerin war in dem Fall unstreitig Analphabetin und nach den Feststellungen im Sachverhalt „der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig“. Ihr wurde vom Abteilungsleiter des Arbeitgebers ein in deutscher Sprache abgefaßtes Abmahnungsschreiben übergeben, in dem das bisherige Fehlverhalten – unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit – im einzelnen aufgezählt und für den Fall der Fortsetzung dieses Verhaltens die Auflösung der Arbeitsverhältnisses angedroht wurde; eine Übersetzung des Schreibens in griechischer Sprache lag nicht vor. Das BAG entschied mit Urteil vom 9. August 1984221, daß zur Wirksamkeit einer Abmahnung über den Zugang hinaus grundsätzlich auch die Kenntnisnahme des Empfängers von ihrem Inhalt erforderlich sei, ohne aber die Frage nach dem Zugang des Abmahnungsschreibens überhaupt zu entscheiden – der Zugang wurde vielmehr zugunsten der beklagten Arbeitgeberin unterstellt. Hinsichtlich dieser Frage wurden vom Senat jedoch die weiterführende Überlegungen zum Zugangserfordernis angestellt: Folge man der bisherigen Rechtsprechung, so bestünden Bedenken, in der Person des Empfängers liegende Umstände wie Sprach-, Schreib- und Lesekenntnisse für den Zugang für maßgeblich zu erachten. Stelle man dagegen – wie der 7. Senat in BAGE 34, 305 – darauf ab, ob dem Erklärenden besondere, in der Person des Erklärungsempfängers liegende und die Kenntnisnahme von dem Erklärungsinhalt hindernde Umstände bekannt sind, weil er dann eine Kenntnisnahme berechtigterweise nicht erwarten durfte, so sei es „vertretbar, 221

BAG NJW 1985, 823 = JZ 1985, 148 = NZA 1985, 124.

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den Zugang in Fällen der vorliegenden Art zumindest erst nach Ablauf einer angemessenen Zeitspanne anzunehmen, die bei verkehrsüblicher Sorgfalt erforderlich ist, um eine Übersetzung zu erlangen“. dd) Die Frage nach der Übertragbarkeit der Rechtsprechung des 7. Senats des BAG, also des anhand des Falls des urlaubsabwesenden Arbeitnehmers entwikkelten „subjektiven Zugangsbegriffs“ auf Sachverhalte, bei denen die Sprachunkenntnis das entscheidende subjektive Element auf seiten des Erklärungsempfängers ist, blieb in der Rechtsprechung des BAG zunächst offen. Sie erledigte sich, als der 7. Senat die in BAGE 34, 305 vertretene Ansicht für die Ausgangskonstellation des Zugangs eines Kündigungsschreibens bei dem im Urlaub verreisten Arbeitnehmer mit Urteil vom 16. März 1988 aufgab. 222 Der Senat begründet die Rechtsprechungsänderung damit, daß die früher vertretene Ansicht weder der Rechtsklarheit gedient habe noch wegen der Interessenlage des Erklärungsempfängers geboten sei. Zur Erreichung einer sachgerechten, den Interessen beider Beteiligter gerecht werdenden Verteilung des Transportrisikos des Erklärenden und des Kenntnisnahmerisikos des Empfängers, wie sie der Empfangstheorie und der traditionellen Zugangsdefinition zugrunde lägen, sei davon auszugehen, daß grundsätzlich auch bei Kenntnis des Arbeitgebers von der urlaubsbedingten Ortsabwesenheit des Arbeitnehmers diesem ein an die Heimatanschrift gerichtetes Kündigungsschreiben wirksam zugehen könne. Dies gelte in aller Regel selbst dann, wenn der Arbeitnehmer seine Urlaubsanschrift dem Arbeitgeber mitgeteilt habe. Lediglich bei besonderen Umständen des Einzelfalls könne sich eine aus § 242 BGB abweichende Würdigung ergeben. Gegen die früher vertretene Ansicht spreche zum einen die mit den Bedürfnissen des rechtsgeschäftlichen Verkehrs schwer zu vereinbarende Unsicherheit einer konkreten Erwartung des Erklärenden von der Kenntnisnahme durch den Empfänger.223 Zum anderen bestehe auch keine rechtliche Notwendigkeit, dem Urlaub des Arbeitnehmers allein in der Rechtsbeziehung zum Arbeitgeber eine zugangshemmende Wirkung zukommen zu lassen, während dies in seinem sonstigen Rechtsverkehr nicht der Fall sei. Konsequent gelangte der 7. Senat zu der Auffassung, daß das streitgegenständliche Kündigungsschreiben durch Einwurf in den Hausbriefkasten der urlaubsabwesenden Klägerin zugegangen sei. 224 222 BAG NJW 1989, 606, Leitsatz: „Ein an die Heimatanschrift des Arbeitnehmers gerichtetes Kündigungsschreiben geht diesem grundsätzlich auch dann zu, wenn dem Arbeitgeber bekannt ist, daß der Arbeitnehmer während seines Urlaubs verreist ist (Abweichung vom Senat, BAGE 34, 305 = NJW 1981, 1470 = AP § 130 BGB Nr. 11).“ Die Aufgabe der früheren Rechtsprechung betrifft insbesondere das zusätzliche Zugangserfordernis „wenn und sobald der Erklärende die Kenntnisnahme des Adressaten vom Erklärungsinhalt berechtigterweise erwarten kann“. 223 Siehe auch Staudinger/Singer, § 119 Rn. 18 a. E. 224 In dem Urteil prüfte der 7. Senat die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand i. S. des § 5 KSchG, der jedoch wegen Fristablaufs (§ 5 Abs. 3 KSchG) scheiterte.

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ee) Der Rechtsprechungsänderung durch den 7. Senat ist der 2. Senat des BAG unter Berufung auf eine von ihm getroffene, unveröffentlichte Entscheidung 225 sowie in Übernahme der Argumente des Urteils des 7. Senats vom 11. August 1988 alsbald gefolgt. 226 In dem Fall bejahte der 2. Senat den Zugang eines Kündigungsschreibens durch Einwurf in den Wohnungsbriefkasten des Klägers, der sich nach seiner Flucht aus Deutschland und der Festnahme in Frankreich zu diesem Zeitpunkt in Auslieferungshaft in einer französischen Untersuchungsstrafanstalt befunden hatte. Das Kündigungsschreiben wäre dem Kläger bei einem regelmäßigen Verlauf der Dinge noch am Tag des Einwurfs in den Hausbriefkasten zur Kenntnis gelangt. Es sei unerheblich, daß dies wegen seiner Inhaftierung tatsächlich nicht geschehen konnte. Für den Zugang komme es nur darauf an, ob unter gewöhnlichen Umständen – also bei einer normalen Gestaltung der Lebensverhältnisse ohne Inhaftierung und Flucht – eine Kenntnisnahme erwartet werden konnte. b) Folgerungen Durch die Urteile der beiden genannten Senate des BAG ist der „subjektive Zugangsbegriff“ obsolet geworden. Der Aufgabe des „subjektiven Zugangsbegriffs“ ist zuzustimmen, denn eine Abweichung von der herkömmlichen Definition des Zugangs war schon in den Ausgangsfällen der Kündigung bzw. Abmahnung des urlaubsabwesenden Arbeitnehmers nicht gerechtfertigt. 227 Die in § 130 BGB vorgenommene Risikoverteilung darf nicht auf Kosten der Rechtssicherheit verändert werden mit dem Ziel, besonderen subjektiven Merkmalen auf seiten des Erklärungsempfängers Rechnung zu tragen. Für den Fall der Kündigung des im Urlaub befindlichen Empfängers ist durch die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 5 KSchG ein geeignetes gesetzliches Schutzinstrument geschaffen worden, 228 dessen Grenzen – wie z. B. die Zweiwochenfrist des § 5 Abs. 3 S. 1 und die Sechsmonatsfrist des § 5 Abs. 3 S. 2 KSchG – respektiert werden müssen. Eine „Umgehung“ dieser gesetzlichen Vorgaben durch eine abweichende Interpretation des § 130 BGB dahingehend, daß der Zugang erst nach der – ohnehin nicht sicher bestimmbaren – angemessenen Frist zur Einholung einer Übersetzung eintritt, ist abzulehnen.229 In Konsequenz dessen geht es nicht an, für den hier interessierenden Fall der fehlenden Sprachkenntnis des Empfängers ein „Sonderrecht“ des Zugangs von Willenserklärungen für fremdmuttersprachliche Erklärungsempfänger zu schaffen. Die in § 130 BGB verankerte Risikoverteilung ist nämlich auch bei 225 226 227 228 229

BAG, Urt. v. 2. 8. 1978 – 2 AZR 693/76 (juris). BAG NJW 1989, 2213. Ebenso Brinkmann, Zugang von Willenserklärungen, S. 76, 81. Ebenso Brinkmann, Zugang von Willenserklärungen, S. 76, 81. Ebenso Brinkmann, Zugang von Willenserklärungen, S. 82.

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solchen Empfängern grundsätzlich angemessen. Verbleibenden Schutzdefiziten kann jedenfalls nicht im Wege der Interpretation des § 130 BGB Rechnung getragen werden, sondern allenfalls über § 242 BGB. 230 Die neuere Rechtsprechung liegt auf der soeben beschriebenen Linie. So hat beispielsweise das LAG Hamburg231 entschieden, daß eine schriftliche Kündigung einem ausländischen Arbeitnehmer gemäß § 130 BGB zugehe, auch wenn der Empfänger der deutschen Sprache und Schrift unkundig sei. Für den Zugang einer Willenserklärung komme es auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze und nicht auf das „Sprachrisiko“ an. In solchen Fällen sei die Nichtkenntnis der Klagefrist auch nicht unverschuldet i. S. von § 5 KSchG. b) Der sogenannte „erweiterte Zugangsbegriff“ aa) Über die oben erörterten rein arbeitsrechtlich gelagerten Sachverhalte hinaus behandelt eine im Schrifttum verbreitete Auffassung232 sowie ein Teil der Rechtsprechung233 das „Sprachrisiko“ gleichwohl als Zugangsproblem. Die Frage des Zugangs „gespeicherter“ Willenserklärungen wird nach dieser Auffassung „über das bloße Wahrnehmen der Erklärung hinaus in den Bereich des richtigen Verstehens erweitert“.234 Genauer: Die Wendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Definition des Zugangsbegriffs in § 130 BGB von der „Möglichkeit der Kenntnisnahme“ wird auf das Verständnis des Inhalts – im Sinne einer „Machterlangung über die Erklärung selbst, über ihren Gedankeninhalt“235 übertragen. 236 Man kann nach dieser Ansicht den Zugangsbegriff 230 Eine Korrektur von Extremfällen ist mittels § 242 BGB prinzipiell möglich, da die Grundsätze von Treu und Glauben das gesamte Zivilrecht beherrschen. Die Anwendung von § 242 BGB ist jedoch von der Definition des Zugangsbegriffs unabhängig. Zur Reichweite des § 242 BGB siehe insbesondere BGHZ 68, 299 (304) = NJW 1977, 1234: „Die Anwendung des § 242 BGB ist in keinem Rechtsbereich ausgeschlossen und muß daher, soweit die gesetzlichen Vorschriften einen im Einzelfall bestehenden Interessenkonfl ikt nicht hinreichend zu erfassen vermögen und für einen der Beteiligten ein unzumutbar unbilliges Ergebnis zur Folge haben würden, immer in Betracht gezogen werden. Doch muß die Anwendung des § 242 BGB, soweit sie von der gesetzlichen Regelung abweicht, auf Ausnahmefälle beschränkt werden.“ 231 LAG Hamburg, Urt. v. 6. 7. 1990 – 1 Ta 3/90, LAGE § 130 BGB Nr. 16. 232 Schlechtriem, FS Weitnauer, S. 127 (136); ders., IPrax1996, 184; Hohn, BB 1963, 273 (275); Jancke, Sprachrisiko, S. 269; Petzold, Jb. Ital. Recht Bd. 2 (1989), S. 77 (96); vgl. auch Erman/Palm, § 130 Rn. 7 a. E. 233 Aus der Rechtsprechung zum Familienrecht siehe OLG Karlsruhe NJW-FER 2000, 130: Wenn einem nicht der deutschen Sprache mächtigen Unterhaltsschuldner die Rechtswahrungsanzeige nach § 37 IV BAföG nur in deutscher Sprache ohne beigefügte Übersetzung übergeben wird, geht sie erst dann zu, wenn der Empfänger unter normalen Umständen die Möglichkeit hatte, sich eine Übersetzung zu beschaffen. 234 Medicus, BGB AT, Rn. 295. Der von Medicus mehrfach für diese Ansicht zitierte Autor Flume behandelt die Sprachenfrage zunächst als eine Frage der Form, doch nimmt er auch die Unwirksamkeit der Erklärung wegen fehlenden Zugangs an; vgl. auch Schlechtriem, FS Weitnauer, S. 127 (136). 235 LAG Hamm NJW 1979, 2488 = EzA Nr. 9 zu § 130 BGB. 236 Schlechtriem, FS Weitnauer, S. 127 (136 f.).

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in eine „äußeren“, räumlich-körperliche Komponente und eine „innere“, intellektuelle Komponente unterteilen. Im folgenden soll dafür der Ausdruck „erweiter ter Zugangsbegriff“ Verwendung finden, um eine Unterscheidung gegenüber dem herkömmlichen Begriffsverständnis sowie dem „subjektiven Zugangsbegriff“ der früheren arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. bb) Nach der Lehre vom erweiterten Zugangsbegriff ist auch bei fremdsprachigen Erklärungen auf die allgemeine Zugangsdefinition zurückzugreifen. Es komme dabei wesentlich darauf an, ob der ausländische Arbeitnehmer die Möglichkeit hatte, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Denn bei der „Sprachrisiko“-Problematik gehe es nicht darum, ob der ausländische Arbeitnehmer das Schreiben erhalten habe, sondern ob er es verstehen konnte. 237 Mit der Kenntnisnahme durch den Empfänger soll bei Erklärungen, die in einer dem Adressaten unverständlichen Sprache abgegeben werden, erst nach Eingang einer Übersetzung zu rechnen sein. Insofern liege das „Sprachrisiko“ beim Erklärenden.238 Nach einer Variante dieser Auffassung ist Zugang im Zeitpunkt einer zumutbaren Übersetzungsmöglichkeit anzunehmen.239 Sprachunkenntnis schließe die Möglichkeit der Kenntnisnahme nicht aus, wenn der Empfänger sich bei einer Weltsprache unschwer eine Übersetzung verschaffen könne; anderenfalls gehe ihm die Erklärung erst nach Ablauf einer angemessenen Zeitspanne zu.240 Die Konsequenz dieser Auffassung besteht darin, daß eine in deutscher Sprache verfaßte Erklärung einem sprachunkundigen Adressaten in der Regel nicht schon in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie in seinen räumlichen Machtbereich gelangt, weil es angeblich an einer zumutbaren Möglichkeit der Kenntnisnahme fehlt. 241 Diese Möglichkeit soll erst dann gegeben sein, wenn eine Übersetzung vorliegt bzw. wenn üblicherweise mit einer solchen zu rechnen ist. c) Kritik aa) Die Ansicht vom „erweiterten Zugangsbegriff“ ist abzulehnen. 242 Zwar ist ihren Vertretern zuzugeben, daß sie das Sprachenproblem geschmeidig in den 237

Jancke, Sprachrisiko, S. 269. Bork, BGB AT, Rn. 629 unter Berufung auf LAG Hamm NJW 1979, 2488; vgl. auch AnwKomm/Faust, § 130 Rn. 43 zur Kündigung eines türkischen Arbeitnehmers in einer anderen Sprache als jener, in der die Vertragsverhandlungen geführt wurden. Eine Übersetzungspflicht des Arbeitnehmers bestehe nicht, das Risiko der Falschübersetzung trage der Arbeitgeber. 239 Erman/Palm, § 130 Rn. 7 a. E. 240 Soergel/Hefermehl, § 130 Rn. 8; MüKo BGB/Förschler, Bd. 1, 3. Aufl. 1993, § 130 Rn. 19. 241 Jancke, Sprachrisiko, S. 272 f., 278 (für ausländische Arbeitnehmer als Adressaten). 242 Ebenso Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 216 f.; Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 64 ff.; Neuner, NJW 2000, 1822 (1826). 238

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Zugangsbegriff inkorporieren, doch widerspricht diese Lehre, wie auch der „subjektive Zugangsbegriff“, den Erfordernissen der Rechtssicherheit und des Verkehrsschutzes. Der historische Gesetzgeber hat für verkörperte Erklärungen bewußt von dem Erfordernis einer subjektiven Kenntnisnahme vom Erklärungsinhalt durch den Adressaten abgesehen, 243 indem er für verkörperte Willenserklärungen die Vernehmungstheorie ausdrücklich abgelehnt hat. 244 Wenn die Vernehmungstheorie somit bei „gespeicherten“ Erklärungen nicht gilt, kann auch die Sprache, in der die Erklärung abgefaßt wurde, für den Zugang keine rechtliche Relevanz besitzen. Denn der Gesetzgeber hat die Kenntnisnahme von dem Inhalt bewußt nicht verlangt, sondern die bloße Zugriffsmöglichkeit des Adressaten auf die Erklärung für ausreichend erachtet. Die auf der Befähigung zum Zugriff auf die verkörperte Erklärung beruhende abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme245 ist aber nicht gleichzusetzen mit der konkreten Kenntnisnahmemöglichkeit, also der intellektuellen Fähigkeit des Verstehens ihres Inhalts. Die Gegenansicht führt zu einer unzulässigen Individualisierung des Zugangs im Einzelfall. Da es keine Erfahrungswerte darüber gibt, wann im Regelfall mit einer Übersetzung zu rechnen ist bzw. wie lange eine angemessene Zeitspanne zur Erlangung einer Übersetzung genau währt, wird der Zugangsbegriff „entmaterialisiert“ und die vom Gesetzgeber in § 130 BGB verankerte Risikoverteilung zugunsten einer anderen, jedoch nicht generalisierungsfähigen Risikoverteilung aufgegeben.246 Deshalb ist der Vorwurf berechtigt, daß eine individualisierende Betrachtungsweise, die auf besondere Behinderungen auf seiten des konkreten Empfängers abstellt, zu ähnlichen Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten führe wie die vom Gesetzgeber abgelehnte Vernehmungstheorie.247 bb) Mit dem Ziel, den unverständigen Adressaten vor der Wirksamkeit von Willenserklärungen in für ihn fremden Sprachen zu schützen, kann nicht über243

Das betont auch Neuner, NJW 2000, 1822 (1826). Vgl. auch Schlüter, EzA Nr. 9 zu § 130 BGB, der in dem Urteil des LAG Hamm zutreffend „eine deutliche Hinwendung zur Vernehmungstheorie“ erkennt. 245 Schlüter, EzA Nr. 9 zu § 130 BGB m. w. N.; Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 225 ff.; Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 49 ff. m. w. N.; Kallenborn, Sprachenproblem, S. 27; siehe auch LAG Köln NJW 1988, 1870 (2. Leitsatz). 246 Ebenso Schlüter, EzA Nr. 9 zu § 130 BGB, der dem LAG Hamm zu Recht vorwirft, daß seine stark individualisierende Betrachtungsweise mit der in § 130 Abs. 1 BGB vorgenommenen Interessenabwägung und Risikoverteilung „schwerlich zu vereinbaren sein dürfte“; dem folgend LAG Köln NJW 1988, 1870 bei 2.: „Konkrete Umstände in der Sphäre des Empfängers, z. B. Unkenntnis der Sprache oder Analphabetentum fallen in die Risikosphäre des Empfängers und bleiben unbeachtet, wie in der Anmerkung zu der Entscheidung des LAG Hamm in EzA § 130 BGB Nr. 9 zutreffend ausgeführt ist (. . .)“. Von einer Umgehung der mit der Empfangstheorie intendierten Risikoverteilung spricht Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 65. Er beanstandet weiter zutreffend, unklar sei die Behandlung des Falles, daß die dem Sprachunkundigen überreichte Willenserklärung verlorengeht oder vernichtet wird, bevor sie diesem übersetzt wird. 247 Schlüter, EzA Nr. 9 zu § 130 BGB. 244

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zeugend zugunsten einer Erweiterung des Zugangsbegriffs argumentiert werden. Wie sich aus § 131 Abs. 1 BGB (Geschäftsunfähigkeit) und § 131 Abs. 2 BGB (beschränkte Geschäftsfähigkeit) erschließt, hat der Gesetzgeber individuelle Elemente beim Zugang nur ausnahmsweise und in engen Grenzen für berücksichtigungsfähig erklärt. Der Zugang ist selbst bei Bewußtlosen und vorübergehend Geistesgestörten (§ 105 Abs. 2 BGB) möglich. Damit hat der Gesetzgeber im übrigen den Verkehrsinteressen den Vorrang eingeräumt. 248 Auf die Sprachunkenntnis des Empfängers kann es für den Zugang gemäß § 130 Abs. 1 BGB daher nicht ankommen.249 Für den Zugang „gespeicherter“ Erklärungen spielt es auch keine Rolle, ob den Erklärenden erkennbar war, daß der Adressat der Sprache der Erklärung nicht mächtig ist. 250 cc) Es ist eine logische Folge der gesetzgeberischen Entscheidung für die Erklärungstheorie, daß – unter Umständen schwerwiegende, weil rechtlich relevante – Verständnisdefizite auf seiten des Adressaten bei der Beurteilung der Wirksamkeit von „gespeicherten“ Willenserklärungen keine Berücksichtigung finden. Individuelle intellektuelle Defizite sind insoweit unbeachtlich. Anderenfalls müßte man konsequenterweise die Auffassung vertreten, daß rechtserhebliche Erklärungen gegenüber juristischen Laien erst in dem Zeitpunkt zugehen und wirksam werden, wenn mit der Aufklärung über ihren Inhalt durch einen Rechtsanwalt zu rechnen ist; Willenserklärungen mit spezifisch versicherungsrechtlichem Gehalt würden erst zugehen, wenn der Versicherungsnehmer durch einen Versicherungsfachmann über die Bedeutung der Erklärung informiert wird, usw. Es wäre wie folgt zu verallgemeinern: Jedes dem Empfänger in seinen wesentlichen Inhalten nicht verständliche Schreiben ginge erst in dem Zeitpunkt zu, wenn ihm der Inhalt auf sein eigenes Betreiben hin von dem Erklärenden selbst oder einem Dritten verständlich gemacht wurde. Mit den Gedanken der Rechtssicherheit und des Verkehrsschutzes wäre diese Auffassung offensichtlich unvereinbar. Die Kenntnisnahme durch den Empfänger sollte nach dem Willen des Gesetzgebers zum Schutz des Erklärenden gerade nicht Voraussetzung für den Zugang sein. Im Ergebnis geht es daher nicht an, die Wendung von der „Möglichkeit der Kenntnisnahme“ mit der „Möglichkeit des Verstehens“ gleichzusetzen und die vom Gesetzgeber in § 130 BGB vorgenommene Verteilung des Übermittlungs- und Verlustrisikos abzuändern. dd) Nach Auffassung der älteren Literatur war der Zugang schriftlicher Erklärungen gegeben mit dem Hineingelangen der Erklärung in den Machtbe248 Siehe auch Schlüter, EzA Nr. 9 zu § 130 BGB. Entgegen den Überlegungen von Brinkmann, Zugang von Willenserklärungen, S. 95 f. ist § 131 BGB auf den Fall des sprachunkundigen Adressaten weder direkt noch analog anwendbar. 249 Ebenso Schlüter, EzA Nr. 9 zu § 130 BGB: „Angesichts dieser gesetzlichen Wertung liegt die Schlußfolgerung nahe, daß einem sprach- und leseunkundigen Ausländer erst recht keine Sonderstellung in bezug auf den Zugang zuzubilligen ist.“; siehe auch Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 219 f. 250 A. A. Jancke, Sprachrisiko, S. 238, 277 f.

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reich des Empfängers und der Möglichkeit der Kenntnisnahme von dem Schriftstück gegeben. 251 Die Möglichkeit der Kenntnisnahme war von der Möglichkeit des intellektuellen Verständnisses des Inhalts zu trennen. Dies galt ungeachtet der vom Erklärenden gewählten Sprache, d. h. auch in den Fällen des Gebrauchs einer Fremdsprache. Das „Sprachrisiko“ wurde nicht als Zugangsproblem verstanden.252 Lediglich pars pro toto sei für die ältere Literatur eine prägnante Stellungnahme Andreas von Tuhrs aus dessen Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des BGB angeführt: „Abwesenheit oder vorübergehende geistige Zustände, welche die Kenntnisnahme ausschließen, § 105 II, sind kein Hindernis des Zugehens; ebensowenig der Umstand, daß der Adressat Analphabet oder der Landessprache nicht mächtig ist; denn er kann sich den Brief vorlesen oder übersetzen lassen. Die Erklärung ist selbst dann zugegangen, wenn der Absender weiß, daß solche Hindernisse beim Adressaten vorliegen. Dieser Standpunkt des Gesetzes ergibt eine der Billigkeit und dem praktischen Bedürfnis entsprechende Lösung des Problems. Denn so sehr die Kenntnisnahme das ideale Ziel jeder Erklärung ist, so darf doch der Absender nicht darunter leiden, daß die Kenntnisnahme durch Umstände, die im Lebenskreise des Adressaten liegen, verzögert oder verhindert wird.“253

ee) Der Ansicht des älteren Schrifttums, die im modernen Schrifttum 254 sowie in der neueren Rechtsprechung255 einige Befürworter gefunden hat, ist zuzustimmen. Das „Sprachrisiko“ ist, soweit es um „gespeicherte“ – verkörperte, schriftliche – Willenserklärungen geht, also kein Zugangsproblem. 256 Nach der Empfangstheorie kommt es für den Zugang nicht auf eine Kenntnisnahme des Adressaten von der „gespeicherten“ Erklärung an. 257 Die Erfordernisse „Hineingelangen der Erklärung in den Machtbereich des Adressaten“ und „Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den Adressaten“ betreffen die räumlichen und zeitlichen Verhältnisse, nicht aber die individuellen intellektuellen Ver251

Breit, SächsArch Bd. 15 (1905), S. 637 (657 f., 661). Planck/Flad, § 130 Anm. 1 d a; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 435); Titze, Mißverständnis, S. 202 f., 205 f. 253 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 435). Lesenswert sind auch die in der vorigen Fußnote zitierten anderen Autoren, von deren Wiedergabe im Wortlaut abgesehen wurde, um Text und Fußnotenapparat zu entlasten. 254 Unter den modernen Autoren siehe MüKo BGB/Einsele, § 130 Rn. 32; Staudinger/Singer/Benedict, § 130 Rn. 72; Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 232; Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 48, 62; Brinkmann, Zugang von Willenserklärungen, S. 82. 255 LAG Köln NJW 1988, 1870 (2. und 3. Leitsatz). 256 Ohne Beschränkung auf „gespeicherte“ Willenserklärungen Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 38 ff.; Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 406 ff.; vgl. auch Neuner, NJW 2000, 1822 (1825) in bezug auf Willenserklärungen Körperbehinderter; teilweise a. A. MüKo BGB/ Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 130 ff., 136. 257 Der denkbare kritische Einwand, daß die hier vertretene Ansicht zu einer künstlichen Aufspaltung von Kenntnisnahme und Verstehen führe, geht daher ins Leere; siehe auch Titze, Mißverständnis, S. 195. 252

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ständnisfähigkeiten des Adressaten. 258 Bei der fehlenden Sprachkunde des Adressaten handelt es sich um einen individuellen Umstand, der seiner Risikosphäre zuzuordnen ist. 259 Individuelle Hindernisse der Kenntnisnahme, deren Ursache allein in dem Bereich des Empfängers liegen, stehen dem Zugang der Erklärung generell nicht entgegen. 260 § 130 BGB enthält somit eine formalisierte Risikozuweisung, die durch subjektive und einzelfallabhängige Erwägungen gerade nicht durchbrochen werden soll. Der Gesetzgeber hat – in dem Bewußtsein, daß die Kenntnisnahme durch den Empfänger das „Ideal“ darstellt – bei der Konstruktion des § 130 BGB den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Verkehrsschutzes den Vorrang vor der Berücksichtigung individueller Defekte oder Interessen eingeräumt; diese hat er ausdrücklich der Risikosphäre des Empfängers zugewiesen.261 Die damit verbundenen Härten hat der Gesetzgeber – mit Ausnahme der Fälle des Rechtsmißbrauchs – bewußt in Kauf genommen. 262 ff) Die Wertentscheidungen des Gesetzgebers sind hinzunehmen und der Interpretation des § 130 BGB zugrundezulegen.263 Das gefundene Ergebnis steht mit den in § 4 untersuchten Rechtsprinzipien der Privatautonomie, der Selbstverantwortung und des Verkehrsschutzes in vollem Einklang: Wer in Deutschland Rechtsgeschäfte tätigt, muß zumindest mit dem Gebrauch der ihm fremden deutschen Sprache durch seine potentiellen deutschen (Vertrags-) Partner rechnen und sich demgemäß darauf einstellen, daß Willenserklärun-

258 Ebenso Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 57 f.; Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 40 f.; a. A. MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 131 f. 259 Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 48. 260 Vgl. auch Kallenborn, Sprachenproblem, S. 27; Neuner, NJW 2000, 1822 (1826). 261 Schlüter, EzA Nr. 9 zu § 130 BGB: „Besondere Umstände, die im Lebenskreis des Adressaten liegen und sich auf seine konkrete Möglichkeit der Kenntnisnahme – seine tatsächliche Machterlangung über den Erklärungsinhalt – auswirken, wie z. B. eine Beeinträchtigung der Wahrnehmungsfähigkeit infolge Blindheit, Unkenntnis der Landessprache oder Analphabetentum, fallen in die Risikosphäre des Empfängers und müssen (. . .) unberücksichtigt bleiben“. 262 Besonders deutlich ist das folgende Beispiel von Titze, Mißverständnis, S. 68: Die Übergabe eines Schriftstücks an einen Blinden führt – ebenso wie der Einwurf in dessen Hausbriefkasten – ohne weiteres zur Bejahung des Zugangs: Es handelt sich um ein ernstzunehmendes rechtliches Verhalten und die nachträgliche Kenntnisnahme ist dem Blinden durch Einschaltung eines Dritten möglich; ebenso Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 8, 10. In Ausnahmefällen kommt auch hier ein Verstoß gegen Treu und Glauben in Betracht: Wenn der Erklärende beispielsweise weiß, daß der Adressat blind ist und er diesem einen Mahnbescheid zukommen läßt in der begründeten Hoffnung, der Empfänger werde wegen seiner Blindheit von seinem Widerspruchsrecht gemäß § 694 ZPO keinen Gebrauch machen, so daß auf der Grundlage des wirksamen Mahnbescheids ohne gerichtliche Prüfung der Berechtigung der behaupteten Forderung ein Vollstreckungsbescheid ergeht (§ 699 ZPO), kann darin ein Fall des Rechtsmißbrauchs liegen. 263 So im Ergebnis auch LAG Hamburg, Urt. v. 6. 7. 1990 – 1 Ta 3/90, LAGE § 130 BGB Nr. 16.

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gen in deutscher Sprache ihm gegenüber Rechtswirkung entfalten.264 Das ist kein Chauvinismus, 265 sondern entspricht den Rechtsprinzipien der Selbstverantwortung, der Rechtssicherheit und des Verkehrsschutzes.266 Der Erklärende ist grundsätzlich nicht zur Beibringung einer Übersetzung verpflichtet. Aus dem Selbstverantwortungsprinzip folgt, daß der „Defekt“ der Sprachunkenntnis hinsichtlich des Zugangs von Willenserklärungen grundsätzlich von demjenigen zu tragen oder zu beseitigen ist, bei dem er besteht. Abweichungen von diesem Grundsatz können sich allenfalls aus gesteigerten Treupflichten ergeben, was gegebenenfalls bei Dauerschuldverhältnissen begründbar ist. gg) Eine zusätzliche Überlegung vermag die obigen Thesen zu unterstützen: Titze hat zutreffend festgestellt, daß der Empfänger den Zugang der Erklärung zwar verzögern, aber nicht auf Dauer verhindern könne. 267 Wenn sich nun ein Ausländer nach Deutschland begäbe und daselbst beschlösse, die deutsche Sprache nicht zu erlernen, könnte er dadurch den Zugang von mündlichen Er264 A. A. Jancke, Sprachrisiko, S. 154: Bei ausländischen Arbeitnehmern scheide eine Selbstverantwortung in aller Regel aus, denn sie seien auf Grund ihrer sprachlichen und sozialen Situation weniger als Deutsche in der Lage, die Verantwortung für den äußeren Eindruck zu tragen, den ihr Verhalten deutschen Adressaten gegenüber erweckt. 265 P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Hdb StaatsR, Bd. 1, § 18 Rn. 64 f. geht weiter als hier vertreten von einer Anpassungpflicht (Assimilationspflicht) von Anderssprachigen aus. Wer nicht im überlieferten Geltungsbereich seiner Muttersprache wohne, dürfe grundsätzlich nicht erwarten und beanspruchen, daß sich seine deutsche Umgebung auf seine Fremdsprachigkeit einstelle; vielmehr müsse er sich selbst der Eigenart seiner neuen Umgebung anpassen. Kirchhof meint weiter (a.a.O., Rn. 64), daß die „Spracheinheit“ Anderssprachige dazu verpflichte, „die für das jeweilige Gebiet bestimmende Sprache als Teil des von ihnen gewählten Wohnsitzes oder Berufsortes anzuerkennen und sich dieser Sprache zu unterstellen“. Diese Auffassung ist als zu weitgehend abzulehnen. Es gibt keine sprachliche Assimilationspflicht im deutschen Recht. Durch die Verwendung des Begriffs der „Spracheinheit“ und die daran anschließenden Folgerungen setzt sich Kirchhof mit dem von ihm a.a.O., Rn. 58 ff. befürworteten Grundsatz der Sprachenfreiheit in einen unaufgelösten Widerspruch. 266 Jancke, Sprachrisiko, S. 155, 157 kritisiert an der Literatur eine Überbetonung des Verkehrsschutzgedankens. Ein grundsätzliches Übergewicht des Verkehrsschutzes als Ordnungsprinzip sei nicht anzuerkennen. Indessen rechtfertigt die hohe Bedeutung desselben nach hier vertretener Ansicht auch bei dem vorliegenden Konfl ikt zwischen Individual- und Verkehrsschutz eine Entscheidung zugunsten des letzteren. Daß der historische Gesetzgeber für § 130 BGB ebenso entschieden hat, wurde hier bereits dargelegt. Anderenfalls wäre es nicht möglich, einem Blinden durch Einwurf in dessen Hausbriefkasten eine verkörperte Willenserklärung zugehen zu lassen. Gleichwohl bestreitet Jancke, a.a.O., S. 158, daß ein Überwiegen des Verkehrsschutzes angeordnet worden sei. Vielmehr basiere das BGB auf dem Gedanken der Privatautonomie als geistiger Grundlage. Das bedeute, daß die Willenserklärung als normativer Begriff nach geltendem Recht im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Verkehrsschutz stehe, „wobei stets zu beachten ist, daß die Selbstbestimmung grundsätzlich den Ausschlag geben muß“. 267 Siehe Titze, JhJ 47 (1904), 379 (445): Der Adressat vermöge durch sein Verhalten auf die Vollendung des Zugangs einen nicht unwesentlichen Einfluß auszuüben. Dieser Einfluß erschöpfe sich aber darin, daß der Empfänger den Zugang der Willenserklärung verzögern, also zeitlich hinausschieben könne. Hingegen sei er außer Stande, diesen auf Dauer völlig zu verhindern.

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klärungen – infolge der Anwendung der Vernehmungstheorie – ganz verhindern und den Zugang von schriftlichen Erklärungen mindestens bis zu dem Zeitpunkt verzögern, in dem normalerweise mit einer Übersetzung zu rechnen wäre. Mit dem Einwurf eines Schriftstücks in den Hausbriefkasten des Betroffenen wäre der Zugang jedenfalls nicht erfolgt, selbst ein Einschreiben mit Rückschein besagte dafür nichts. Die herkömmliche Risikoverteilung, auf die der Rechtsverkehr auch vertraut, wäre weitgehend außer Kraft gesetzt, und dies ohne daß der Erklärende davon überhaupt erführe. 268 Das spricht entscheidend gegen einen erweiterten oder subjektiven, auf individuelle Sprachkenntnisse abstellenden Zugangsbegriff. Beispiel: Die angestellten Überlegungen sind nicht als bloß theoretisch zu verwerfen, denn die Lebenswirklichkeit kennt durchaus praktische Beispielsfälle. Als ein prominentes Beispiel fehlender Fremdsprachenkenntnis kann der französische Schriftsteller André Breton angeführt werden, der sich während seiner Emigration in den USA in den 1940er Jahren beharrlich weigerte, Englisch zu lernen, und diese Weigerung gegenüber seinem Kollegen Julien Green ganz ernsthaft damit begründete, daß er die Reinheit seines Französisch nicht durch das Erlernen der englischen Sprache beeinträchtigen wolle. Der portugiesische Fußballstar Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro sprach Medienberichten 269 zufolge auch nach einer dreijährigen aktiven Zeit bei dem international agierenden Fußballclub Manchester United kein Englisch. Schließlich berichtete das deutsche Fernsehen davon, daß in manchen Berliner Grundschulen der Unterricht nur mit Hilfe von Dolmetschern aufrecht erhalten werden könne, was darauf beruhe, daß die türkischstämmigen Schüler die deutsche Sprache nicht erlernt hätten, obwohl ihre eigenen Eltern dieser Sprache mächtig seien. Der Umstand wurde mit der patriacharlichen Zielsetzung einer Wahrung der eigenen türkischen Identität in der Fremde erklärt. Vermutlich lassen sich diesen wenigen Beispielen weitere hinzufügen. Der bewußte Verzicht auf die Erlernung der jeweiligen Verkehrssprache rechtfertigt es in den angeführten Beispielen Breton und Ronaldo nicht, daß sich der Rechtsverkehr auf diesen Umstand einstellt, sondern statt dessen hat der Betroffene die Konsequenzen seiner selbstverantwortlich getroffenen Entscheidung zu tragen. Der Schutz der angesprochenen Kinder erfolgt im Rechtsverkehr über § 131 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 BGB, ohne daß hierfür die Tatsache der fehlenden Sprachkunde eine Rolle spielte.

3. Folgefragen a) Ausgehend von der These, daß Sprachprobleme auf seiten des Empfängers den Zugang „gespeicherter“ Willenserklärung nicht hindern, ist weiter zu un268

§ 242 BGB würde regelmäßig nicht zugunsten des Erklärenden greifen, denn die Nichterlernung der deutschen Sprache kann unmöglich als Treupfl ichtverstoß gegenüber allen künftigen Erklärenden qualifiziert werden; lediglich der Fall, daß der Betroffene ganz bewußt von der Erlernung der deutschen Sprache absieht, um den Zugang bestimmter Erklärungen eines bestimmten Adressaten zu verhindern, käme einer sog. Zugangsvereitelung gleich, die letztlich zum Zugang führen würde. 269 So das Magazin stern, Nr. 22 v. 24. 5. 2006, S. 146.

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tersuchen, ob Ausnahmen von diesem Grundsatz anerkannt werden können. Man könnte beispielsweise daran denken, als Grenze des Zugangsbegriffs die Erkenntnisfähigkeit des Adressaten zu bestimmen, daß es sich um irgendeine rechtserhebliche Erklärung handelt. Dies betrifft namentlich die Verwendung von Textzeichen, deren Textverständnis in Deutschland im Verkehr von nicht erwartet werden kann, z. B. für arabische, alt- oder neugriechische, kyrillische, asiatische Schriftzeichen und die stenographische Kurzschrift. b) An dem Erklärungstatbestand und an der Abgabe in Richtung auf den Empfänger wäre im Fall der Verwendung derartiger Zeichen nicht zu zweifeln. 270 Gleiches gilt auch für den „technischen“ Zugang, wenn man, wie hier für richtig erachtet, das Hineingelangen in den Machtbereich bei Möglichkeit der Kenntnisnahme genügen läßt. Richtigerweise sind weitere Eingrenzungen, die auf eine Modifikation des Zugangsbegriffs hinauslaufen würden, ungeachtet der fehlenden Verkehrsüblichkeit und aus den oben genannten Gründen abzulehnen. § 130 BGB ist nicht der richtige Ansatzpunkt für den Schutz des unverständigen Empfängers. Dessen Schutzbedürfnis ist hier allerdings gegenüber dem Normalfall fehlender Sprachkenntnis erhöht, wenn und soweit für ihn nach dem äußeren Erscheinungsbild nicht zu Tage tritt, daß überhaupt eine rechtserhebliche Erklärung vorliegt; außerdem ist dann seine Selbstverantwortung erheblich herabgesetzt. c) Der Frage nach dem Schutz des Adressaten soll anhand des Schulfalls aus der älteren Literatur271 nachgegangen werden, daß einem deutschsprachigen Adressaten ein in chinesischer Sprache (Mandarin) 272 verfaßtes Schriftstück zugeht, das er nicht lesen kann. Zugang ist mit dem Hineingelangen in den Machtbereich des Adressaten ohne weiteres zu bejahen. Handelt es sich um ein Vertragsangebot, führt das Schweigen auf die Erklärung nicht zu Rechtsfolgen, wenn man handelsrechtliche Besonderheiten, namentlich § 362 HGB, einmal beiseite läßt. Sofern es sich um die Annahme eines Angebots der Erklärung handelte, ergibt die Auslegung aus Sicht eines objektiven Empfängers keinen

270 A. A. Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 87: Eine in stenographischer Form abgefaßte Willenserklärung sei nicht wirksam, da die Niederschrift der Willenserklärung in stenographischen Zeichen kein taugliches Erklärungsmittel zur Kundgabe der Willenserklärung darstelle. Daher werde eine solche Willenserklärung nicht wirksam, obwohl sie den Machtbereich des Adressaten erreicht habe. 271 Staudinger/Rietzler, 9. Aufl. 1925, Vor §§ 116 ff., Einl. III. 3. (= S. 455); Staudinger/ Coing, 11. Aufl. 1957, Vor §§ 116 ff. Rn. 13; Kisch, KritV Bd. 61 (1932), 356 (365); Reinhart, RIW/AWD 1977, 16 (19 mit Fn. 34); Beckmann, Sprachenstatut, S. 141 mit Fn. 210; Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 20 m. w. N. 272 Hochchinesisch (Mandarin) ist die offizielle Sprache in der Volksrepublik China sowie der Republik China (Taiwan) und Singapur. Es wird von über 867 Millionen Menschen auf dem Festland und auf Taiwan gesprochen und ist damit die weltweit meistgesprochene Muttersprache (Quelle: Wikipedia, Eintrag „Hochchinesisch“, http://de.wikipedia.org, April 2008).

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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Vertragsschluß. 273 Problematisch sind jedoch einseitige, den Empfänger belastende fremdsprachige Erklärungen, deren Inhalt der Erklärungsempfänger wegen Unkenntnis der Schriftzeichen nicht erkennen kann. Am Zugang ist des Schriftstücks nicht zu zweifeln. Sofern es um die Wahrung einer gesetzlichen Frist geht, wäre eine Berufung auf den Fristablauf seitens des Erklärenden aber rechtsmißbräuchlich, weil der Absender wissen muß, daß ein Empfänger in Deutschland eine in chinesischer Sprache (Mandarin) verfaßte Erklärung nicht verstehen kann und daß seine Rechte dadurch verkürzt werden. Vor dem Arbeitsgericht wäre einem in chinesischer Sprache gekündigten Arbeitnehmer gegebenenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 5 KSchG zu gewähren. Der Einwand des Rechtsmißbrauchs und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bieten somit Ansätze für den Schutz des Adressaten. c) Bei dem weit wahrscheinlicheren Beispiel einer Willenserklärung in der „Weltsprache“ Englisch kann Rechtsmißbrauch nicht generell angenommen werden. 274 Erkennt der Empfänger anders als im vorherigen Schulfall nämlich tatsächlich, daß es sich um eine rechtserhebliche Erklärung handeln muß, die er selbst nicht richtig versteht, muß er reagieren: Entweder er weist den Absender auf sein Unverständnis hin oder er beschafft sich eine Übersetzung. Die These, daß er die Erklärung von Rechts wegen zurückweisen und auf einer deutsche Fassung bestehen dürfe‚ daß er also einen Anspruch auf eine Erklärung in Deutsch habe – wie gelegentlich gefordert wird –, dürfte jenseits gesetzlicher Sprachregeln nur schwer begründbar sein. Verweigert der – unterstellt: nur – englischsprachige Absender eine Fassung der Erklärung in Deutsch, beseitigt das nicht die Wirksamkeit der zugegangenen fremdsprachigen Willenserklärung. Denn es gibt keinen allgemeinen Sprachenzwang des Inhalts, daß außerhalb der gesetzlichen Sprachregeln die deutsche Sprache Verwendung finden müsse. In der „Pattsituation“ beiderseits fehlender Sprachkenntnis trägt der Adressat das Sprachrisiko, d. h. er ist auf die Beibringung einer Übersetzung angewiesen; anders gewendet kann der Erklärende die ihm vertraute (englische) Sprache „aufdrängen“, sofern sein Verhalten nicht als intendierte Rechtsverkürzung des anderen Teils erscheint und somit rechtsmißbräuchlich ist. III. Der Zugang nicht „gespeicherter“ empfangsbedürftiger Willenserklärungen 1. Die Zugangsfähigkeit a) Die ältere Literatur hatte teilweise bestritten, daß eine mündliche Erklärung „zugehen“ könne, da es ihr – anders als der dauernd wahrnehmbaren schriftli-

273 274

Siehe auch Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (479). Siehe dazu schon oben B. I.

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chen Erklärung – an einem zugangsfähigen Substrat fehle. 275 Oertmann276 hat diese Kritik in folgende Worte gefaßt: „‚Zugehen‘ kann nur etwas sinnlich Wahrnehmbares, real Vorhandenes, mit anderen Worten, nicht die Erklärung als Akt, sondern die Verkörperung der Erklärung durch Schriftzeichen oder sonstige Beurkundungsmittel. Die mündliche Erklärung aber ist dazu ihrer Natur nach völlig ungeeignet. (. . .) Die mündliche Erklärung erschöpft sich in dem Akte ihrer Abgabe; ihr fehlt das allein zum Gegenstand späteren Zugehens fähige Substrat.“

In Konsequenz dieser Auffassung war § 130 BGB weder direkt noch analog auf mündliche Erklärungen anzuwenden: „Für die Abgabe mündlicher, einer Verkörperung entbehrender Erklärungen ist somit § 130 in vollem Umfang unverwendbar, da das bei ihnen fehlt, was allein Gegenstand des ‚Zugehens‘ bilden kann. Es bleibt danach nichts übrig, als die Empfangsbedürftigkeit bei ihnen durch Vernehmungsbedürftigkeit zu ersetzen; ihre Wirksamkeit ist durch ein wirkliches Vernehmen des Gegners bedingt, nicht nur durch ein Vernehmenkönnenoder -müssen.“277

Das Verhältnis von § 130 BGB zu den mündlichen Willenserklärungen wurde von den Vertretern des älteren Schrifttums dahin bestimmt, daß die gesetzliche Regelung „sich ausschließlich mit den schriftlichen Willenserklärungen befasse, ohne damit der Normierung der nicht schriftlichen Erklärungen irgendwie vorgreifen zu wollen“. 278 Hinsichtlich der mündlichen Erklärungen habe die Wissenschaft freie Hand bei der selbständigen Bestimmung der Wirksamkeit dieser Erklärungen auf Grund des Verkehrsbedürfnisses.279 b) Diese ältere Auffassung ist zwar im Hinblick auf die begriffliche Kritik am Zugangsbegriff heute überholt, 280 in sachlicher Hinsicht gilt das aber nicht, denn es fehlt der „flüchtigen“ mündlichen Erklärung ja tatsächlich an einem Substrat, welches dem Empfänger oder einem von ihm eingeschalteten Dritten die Wiederholung der Kenntnisnahme vom Inhalt der Erklärung ermöglichen 275 Breit, SächsArch 15 (1905), 637 (658, 661 ff.); Planck/Flad, § 130 Anm. 2 b; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 433, 436); ausführlich Titze, Mißverständnis, S. 234 ff.: Er kritisiert, daß man einen doppelten Zugangsbegriff bekomme, ohne daß den beiden Spezies des Zugangs ein gemeinsames Genus, ein Oberbegriff, entspräche. Es sei daher abzulehnen, bei mündlichen Willenserklärungen von einem „Zugehen im technischen Sinne“ zu sprechen. Gleiches galt nach dieser Auffassung für die „mittels Fernsprechers von Person zu Person abgegebene Erklärung“, siehe dazu Planck/Flad, a.a.O., Anm. 3. 276 In: Das Recht 1906, 722 (724). 277 Oertmann, Das Recht 1906, 722 (726); ausführlich dazu Titze, Mißverständnis, S. 208 f. 278 Titze, Mißverständnis, S. 210. 279 Titze, Mißverständnis, S. 210. 280 Für eine Beschränkung des Zugangsbegriffs auf verkörperte Willenserklärungen tritt Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 74, ein. Für nicht verkörperte Willenserklärungen verwendet er den Begriff der Wahrnehmung, die als ein Zustand der Möglichkeit der Kenntnisnahme verstanden werden müsse.

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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würde.281 Die neuere Lehre282 bestreitet heute die Zugangsfähigkeit mündlicher Erklärungen nicht mehr, betont aber den Aspekt des fehlenden Substrats durch Abstellen auf das Kriterium der „Speicherung“ bzw. der „Speicherungsmöglichkeit“ von Erklärungen, die bei mündlichen Erklärungen unter Anwesenden nicht besteht. Das ältere Schrifttum hatte überwiegend auf das Merkmal der „Dauer der Wahrnehmbarkeit“ abgestellt. 2. Die Anwendung der (eingeschränkten) Vernehmungstheorie auf den Zugang mündlicher Willenserklärungen a) Die reine Vernehmungstheorie Für den Zugang von mündlichen Willenserklärungen gilt – wie oben ausgeführt – nicht die Empfangs-, sondern die Vernehmungstheorie.283 Deren Geltung wird zutreffend damit begründet, daß wegen der Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes – der fehlenden „Speicherung“ bzw. „Speicherungsmöglichkeit“ – eine Wiederholung der Kenntnisnahme durch den Adressaten oder einen von ihm eingeschalteten, zur Kenntnisnahme befähigten Dritten, nicht möglich ist. 284 Die Anwendung der Vernehmungstheorie hat zur Konsequenz, daß nicht zwischen der akustischen Vernehmung der Erklärung und dem sprachlichen Verständnis derselben durch den Empfänger zu trennen ist. Bei mündlichen Erklärungen ist – gemäß der Vernehmungstheorie – nicht die Möglichkeit der Kenntnisnahme infolge akustischen Zugangs ausreichend, sondern vielmehr die Kenntnisnahme zu verlangen. Die Folge dieser Theorie besteht darin, daß der Erklärende bei mündlichen Erklärungen unter Anwesenden das Sprachrisiko trägt.285

281 Oertmann, Das Recht 1906, 722 (724) gesteht zu, daß das gehörte Wort Spuren seines Daseins in der Erinnerung dessen hinterlasse, der es gehört hat; das sind für ihn aber „nur sozusagen historische Reminiszenzen, kein Festhalten oder Aufsichwirkenlassen der Erklärung als einer noch gegenwärtig andauernden“; a. A. Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 277, 286, der die Auffassung vertritt, daß es dem Erklärungsempfänger regelmäßig möglich sei, sich eine einfache unverkörperte Willenserklärung – etwa ein „Ja“ als Annahme eines Vertragsangebots im Sinne des § 147 BGB – phonetisch zu merken, auch wenn er die Sprache nicht beherrscht. Später könne er eine Person, welche die Sprache, in der das „Ja“ gefaßt ist fragen, welche Bedeutung diese Willenserklärung habe. Diese bloß theoretische Möglichkeit ist freilich ganz lebensfern und kann nicht zu einer generellen rechtlichen Gleichstellung verkörperter und unverkörperter Erklärungen führen. 282 Seit John, AcP 184 (1984), 385 ff. 283 Siehe oben E. I. 5. Vgl. weiter Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 72 ff. 284 Siehe Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 73, 90. 285 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 20.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

b) Die eingeschränkte Vernehmungstheorie Nach heute überwiegender, hier geteilter Ansicht, gilt diese Theorie jedoch nicht in ihrer ursprünglichen Form, sondern in einer weiterentwickelten Form als eingeschränkte oder modifizierte Vernehmungstheorie. 286 Ausschlaggebend hierfür sind Verkehrsschutzerwägungen: Der Erklärende, der nicht erkennen kann, daß der Adressat die Erklärung nicht verstanden hat, soll auf die Wirksamkeit derselben gleichwohl vertrauen dürfen.287 Der eingeschränkten Vernehmungstheorie ist daher gerade auch im Hinblick auf die Sprachenfrage der Vorzug zu geben. 288 Es macht im übrigen keinen rechtlich relevanten Unterschied, ob die Sprachunkenntnis des Adressaten eine völlige oder beschränkte ist, weil in beiden Fällen die akustisch vernommene Erklärung nicht richtig verstanden wird. c) Die Bedeutung fehlender Sprachkenntnis des Empfängers für den Zugang der Erklärung Die vorstehenden Grundsätze führen zu der Folgerung, daß sprachenbedingte Verständnisschwierigkeiten des Adressaten beim Zugang mündlicher Erklärungen zu berücksichtigen sind.289 Die fehlende Sprachkenntnis wird der Taubheit des Adressaten 290 bzw. Schwerhörigkeit rechtlich grundsätzlich gleichge286

Siehe oben E. I. 5. sowie aus der Literatur zum „Sprachrisiko“ Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 75 ff., 78 ff.; Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (476); Staudinger/Singer, § 119 Rn. 20. 287 Siehe oben E. I. 5. sowie Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 73, 75 288 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 20. 289 Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 71 f. 290 Wie hier Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 78 f.; Palandt/ Heinrichs, § 130 Rn. 14; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 439); Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (476); a. A. Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 281, der argumentiert, daß die Taubheit des Erklärungsempfängers dazu führe, daß dieser die Erklärung weder sinnlich wahrnehmen noch geistig verarbeiten könne, während Sprachprobleme des Erklärungsempfängers nur bei fehlender Speicherung dazu führten, daß dieser keine Kenntnis vom Erklärungsinhalt nehme. Es ist jedoch lebensfremd, in bezug auf unverkörperte Erklärungen gegenüber sprachunkundigen Empfängern auf die Möglichkeit der Speicherung abzustellen; a. A. auch Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 42: Der Vernehmungstheorie sei nicht zu folgen, denn der Sprachunkundige habe die Erklärung sehr wohl vernommen, nur eben nicht verstanden. Es sei „sehr gewagt, die bloße Sprachunkenntnis dem physischen Gebrechen der Taubheit gleichzustellen, denn der Taube versteht nicht nur nicht, sondern er vernimmt auch akustisch nichts. Schließlich heißt die hier nach der h.M. maßgebende Theorie auch nicht Verständnis-, sondern Vernehmungstheorie: Verstehen ist ein geistiger Prozeß, Vernehmen hingegen ein physischer.“ Gegen die geltend gemachten Unterschiede läßt sich sachlich nichts einwenden. Gleichwohl ist die wertungsmäßige Gleichstellung der Taubheit mit der Sprachunkenntnis des Adressaten auf der Basis der Vernehmungstheorie konsequent. Baumgärtels terminologische Kritik entbehrt freilich nicht einer gewissen Plausibilität. Der Begriff Verständnistheorie würde sowohl das akustische Vernehmen als auch das intellektuelle Verstehen erfassen und gäbe wohl keinen Grund für Mißverständnisse.

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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stellt.291 Eine Trennung zwischen dem „Zugang“ der Erklärung und dem Verständnis durch den Empfänger findet daher nicht statt. Zwar unterscheidet man grundsätzlich zwischen einem akustisch richtigen Verständnis und der richtigen Interpretation des vernommenen Reizes. 292 Doch hat diese Unterscheidung nur Sinn, wenn der Empfänger auch die entsprechenden sprachlichen Fähigkeiten besitzt, die ihm die intellektuelle Verarbeitung des vernommenen akustischen Reizes ermöglicht.293 Ist der ausländische Empfänger – für den Erklärenden erkennbar – der deutschen Sprache nicht mächtig, geht ihm eine in deutscher Sprache gerichtete Willenserklärung nicht zu. 294 Bei nicht erkennbarer Sprachunkenntnis des Adressaten wird der Erklärende allerdings geschützt, wenn und soweit er nach den Umständen alles getan hat, um erwarten zu dürfen, er sei verstanden worden. 295 Darin liegt die Einschränkung der „einge291

Der Schutz des Betroffenen ist allerdings auch hier nicht absolut; vgl. dazu aus der Rechtsprechung LAG Baden-Württemberg BB 1980, 630 zum Zugang mündlicher rechtsgeschäftlicher Erklärungen des Arbeitnehmers bei Schwerhörigkeit des Arbeitgebers. Nach dieser Entscheidung kann sich der Arbeitgeber nicht darauf berufen, die Erklärung infolge Schwerhörigkeit nicht verstanden zu haben. Zugang ist zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer die Schwerhörigkeit nicht kannte und aufgrund des Verhaltens des Arbeitgebers davon ausgehen mußte, daß dieser verstanden habe. Das entspricht der hier befürworteten modifizierten Vernehmungstheorie; ebenso (für die Fälle der Taubheit und der Schwerhörigkeit) Weiler, JuS 2005, 788 (791); a. A. Neuner, NJW 2000, 1822 (1826) mit der nicht überzeugenden Begründung, daß eine Aufklärungspflicht des Empfängers gegenüber dem Erklärenden nicht bestehe, da niemand über seine Behinderung ohne weiteres Auskunft zu geben brauche. Etwas anderes gelte, sobald der Behinderte mit dem Erklärenden in rechtsgeschäftlichem Kontakt oder einer anderen Sonderverbindung stehe und mit dem Zugang allfälliger Willenserklärungen zu rechnen sei. In diesem Fall wäre es treuwidrig, wenn der Empfänger die Unterrichtung des Erklärenden über Zugangshindernisse unterlassen würde. Anders auch Enneccerus/Nipperdey, BGB AT, S. 974 mit Fn. 7: Eine Erklärung durch ein Mittel, das überhaupt dem Adressaten nicht zum Bewußtsein gelangen könne, sei keine Erklärung an diesen. Das mündliche, an einen Tauben gerichtete Wort sei ebensowenig eine Erklärung an diesen wie das Wort, das an jemanden gerichtet wird, der so weit entfernt ist, daß das Vernehmen unmöglich ist. In beiden Fällen sei die Erklärung nicht bloß nicht vernommen, sondern auch nicht empfangen, nicht zugegangen. 292 So AnwKomm/Faust, § 130 Rn. 73: Die richtige Interpretation des akustischen Reizes sei keine Frage der Wirksamkeit, sondern der Auslegung; siehe auch Larenz/Wolf, BGB AT, § 26 Rn. 34: Vernehmung bedeute in erster Linie die akustisch vollständige Wahrnehmung unabhängig von dem interpretatorisch richtigen Verständnis. 293 Siehe dazu auch Larenz/Wolf, BGB AT, § 26 Rn. 34: Der akustischen Wahrnehmung gleichzustellen sei die Verständigung in einer dem Empfänger verständlichen Sprache. 294 Brinkmann, Zugang von Willenserklärungen, S. 92: „So kann ein sprachunkundiger Ausländer eine Erklärung in deutscher Sprache akustisch einwandfrei vernehmen. Es wäre jedoch unbillig, die Rechtswirkungen der Erklärung eintreten zu lassen, auch wenn der Ausländer den Erklärungsinhalt in keiner Weis[e] erfaßt hat und das für den Erklärenden klar erkennbar war. (. . .) Es erweist sich somit als verfehlt, für das Wirksamwerden unverkörperter Erklärungen allein auf die akustische oder optische Wahrnehmung des Adressaten abzustellen.“; siehe auch Staudinger/Singer, § 119 Rn. 20: „Das Risiko einer nicht erkennbaren Sprachunkenntnis des ausländischen Geschäftspartners braucht der Erklärende nicht zu tragen (. . .). Entscheidend ist, wie sich der Geschäftspartner präsentiert.“ 295 MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 134.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

schränkten Vernehmungstheorie“ im Verhältnis zur „reinen Vernehmungstheorie“. d) Zwischenergebnis Die fehlende Verständnismöglichkeit des Adressaten, die auf nicht vorhandenen oder unzureichenden Sprachkenntnissen beruht, hindert im Fall ihrer Erkennbarkeit für den Erklärenden den Zugang mündlicher Willenserklärungen. 296 Insoweit trägt der Erklärende das „Sprachrisiko“, weil es ihm dann an einem schützenswerten Vertrauen auf die Wirksamkeit der Erklärung fehlt. 297 War dem Erklärenden das Nichtverstehen des Adressaten jedoch nicht erkennbar, so schützt ihn die modifizierte Vernehmungstheorie in seinem berechtigten Vertrauen auf den Zugang der Erklärung. In diesem Fall trägt der Empfänger das „Sprachrisiko“. Als Zwischenergebnis kann daher festgehalten werden, daß das „Sprachrisiko“ bei nicht „gespeicherten“ Willenserklärungen als Zugangsproblem qualifiziert werden kann. 3. Anhang: Tabellarische Übersicht zum Zugang von Willenserklärungen „Gespeicherte“ Willenserklärung

Nicht „gespeicherte“ Willenserklärung

Adressat: Blinder: Zugang (+) Analphabet: Zugang (+) Sprachunkundiger: Zugang (+)

Adressat: Gehörloser/Tauber: Zugang (-) Sprachunkundiger: Zugang (-)

Einheitliche Anwendung der Empfangstheorie. Kein besonderer, abweichender Zugangsbegriff bei fremdsprachigen Willenserklärungen.

Einheitliche Anwendung der Vernehmungstheorie. Keine Trennung zwischen der akustischen Wahrnehmung der Willenserklärung und dem sprachlich-intellektuellem Verständnis durch den Empfänger. Begründung: Ein Blinder bzw. ein Anal- Begründung: Die nur gehörte, aber nicht phabet kann sich durch andere Personen richtig verstandene – aus Sicht des AdresKenntnis vom Inhalt des Schriftstücks saten fremdsprachige – Information ist verschaffen. Die Information ist „gespei- nicht „gespeichert“. Selbst wenn der chert“. Sprachunkundige die Information aku-

296

Ebenso Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 90. Siehe auch Kallenborn, Sprachenproblem, S. 85. Danach ist der Zugang immer zu verneinen, wenn die tatsächlichen Umstände einem Vertrauensschutz des Erklärenden entgegenstehen. Dies sei der Fall, soweit der Erklärende bereits vor der Abgabe seiner Erklärung über die Verständnisschwierigkeiten des Erklärungsempfängers hinsichtlich der von ihm zu verwendenden Sprache Kenntnis erlangt habe sowie bei grob fahrlässiger Unkenntnis dieses Umstands. 297

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Der Sprachunkundige verfügt ebenfalls über eine „gespeicherte“ Information, anders als bei Blinden und Analphabeten ist es jedoch nicht immer gewährleistet, daß er durch einen anderen Kenntnis vom Inhalt erhält, da die anderen Personen in seinem Umfeld nicht unbedingt die Sprache der Willenserklärung beherrschen. Trotzdem ist Zugang grundsätzlich zu bejahen wegen der erfolgten „Speicherung“ und Verfügbarkeit der Information beim Adressaten, aus der die abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme resultiert, die für den Zugang ausreicht.

stisch richtig vernommen hätte, würde sich die Information mangels Verkörperung schnell wieder „verflüchtigen“, so daß eine nachträgliche Kenntnisnahmemöglichkeit für ihn nicht eröffnet ist, wenn er nicht ausnahmsweise außergewöhnliche Memorierungsfähigkeiten besitzt. Es ist gerechtfertigt, den ausländischen Adressaten hier von Rechts wegen wie einen Gehörlosen zu behandeln. Jedoch erfolgt eine Begrenzung durch die Anwendung der eingeschränkten oder modifizierten Vernehmungstheorie: Der Adressat trägt das Sprachrisiko, wenn er dem Erklärenden sein Nichtverständnis der Sprache nicht durch Gestik, Mimik oder mittels Äußerung in seiner eigenen Sprache deutlich macht, so daß der Erklärende redlicherweise davon ausgehen durfte, der Adressat habe das akustisch Vernommene richtig verstanden.

Grenzen (eng zu ziehen): Treu und Glauben, Rechtsmißbrauch.

An den Voraussetzungen für die Anwendung der eingeschränkten Vernehmungstheorie fehlt es, wenn der Erklärende erkannt hat oder erkennen mußte, daß dem Adressaten die zum Verständnis erforderliche Sprachkunde fehlt. Gleiches gilt, wenn die Erklärung in einer Sprache abgegeben wird, deren Verständnis durch den Adressaten der Erklärende keinesfalls erwarten darf. In diesem Fall kann sich kein berechtigtes Vertrauen auf die Wirksamkeit der Erklärung bilden. Es gelten die Grundsätze der reinen Vernehmungstheorie, d. h. der Erklärende trägt das Sprachrisiko.

IV. Der Einsatz von Empfangsboten und Stellvertretern bei mündlichen Erklärungen unter dem Blickwinkel der Sprachenfrage Fraglich ist, wie der Fall zu behandeln ist, daß der Erklärende und der Erklärungsempfänger über eine von dem letzteren eingeschaltete Mittelsperson – einen Empfangsboten oder, wohl praktisch seltener, einen Empfangsvertreter – mündlich verkehren und diese Mittelsperson infolge eines sprachenbezogenen Defizits die nicht richtig verstandene Erklärung falsch oder unvollständig übermittelt.

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1. Der Zugang beim Einsatz von Mittelspersonen a) Handelt es sich bei der Mittelsperson um einen Empfangsvertreter des Adressaten, geht die Erklärung gemäß § 164 Abs. 3 BGB mit Zugang bei dem Vertreter zu. Auf die Weiterleitung der Erklärung an den Adressaten kommt es dann für den Zugang nicht mehr an.298 b) Ist die Mittelsperson lediglich Empfangsbote 299, geht die Erklärung dem Empfänger nach überwiegender Ansicht in dem Zeitpunkt zu, zu dem regelmäßig die Weitergabe an ihn zu erwarten ist; 300 nach anderer Ansicht ist Zugang bereits mit der Mitteilung des Erklärenden an den Empfangsboten anzunehmen.301 Nach allgemeiner Auffassung trägt der Adressat das Risiko, daß der von ihm eingesetzte Empfangsbote die Erklärung nicht, unrichtig oder verspätet weitergibt.302 Umgekehrt trägt der Erklärende das Übermittlungs-, Verfälschungs- und Verspätungsrisiko, wenn es sich um einen von ihm eingesetzten Erklärungsboten handelt.303 Es gilt daher der Grundsatz, daß das Ausfallrisiko diejenige Partei zu tragen hat, die die Mittelsperson eingesetzt hat.304

298 BGH NJW-RR 1989, 757 (758); Larenz/Wolf, BGB AT, § 26 Rn. 39; MüKo BGB/Einsele, § 130 Rn. 27; Palandt/Heinrichs, § 130 Rn. 9. 299 MüKo BGB/Einsele, § 130 Rn. 30 lehnt die Figur des Empfangsboten bei nicht verkörperten Willenserklärungen ab und anerkennt lediglich den Empfangsvertreter mit ggf. konkludenter Empfangsvollmacht. Konsequent verlangt er bei nicht verkörperten Erklärungen unter Abwesenden die richtige sinnliche Wahrnehmung der Erklärung durch den Adressaten selbst. Dem ist nicht zu folgen. Verkehrsschutzerwägungen sprechen entscheidend dafür, die Figur des Empfangsboten grundsätzlich auch bei mündlichen Erklärungen anzuerkennen. Man denke z. B. an den Fall, daß der Erklärende in Abwesenheit des Adressaten – unmittelbar oder durch telefonische Kontaktaufnahme – einem Mitglied von dessen Familie gegenüber die Erklärung abgibt. Es geht wohl nicht an, für die Familienmitglieder und sonstige Mitglieder des Hausstands (z. B. Haushaltshilfen, Pflegekräfte, Gärtner, usw.) eine konkludente Empfangsvollmacht pauschal und für jede Art von Erklärung zu unterstellen (so schon Titze, Mißverständnis, S. 317 f.). Der Erklärende ist aber insoweit schutzbedürftig, als daß er grundsätzlich – jedenfalls bei erwachsenen Mittelspersonen, die die erforderliche geistige Reife aufweisen, vgl. RGZ 60, 324 und RGZ 61, 12; Staudinger/Rietzler, BGB Bd. I, 5./6. Aufl. 1910, III. Abschnitt Rechtsgeschäfte 3 d (S. 452) – damit rechnen darf, daß die Erklärung dem Empfänger übermittelt wird, sei es inhaltlich richtig oder unrichtig, sei es rechtzeitig oder verspätet. Daher ist der Empfangsbote auch bei mündlichen Erklärungen anzuerkennen. 300 BGH NJW-RR 1989, 757; MüKo BGB/Einsele, § 130 Rn. 25; Brinkmann, Zugang von Willenserklärungen, S. 120. 301 Medicus, BGB AT, Rn. 285. 302 Medicus, BGB AT, Rn. 285; Brox/Walker, BGB AT, Rn. 152; Erman/Palm, § 130 Rn. 12; Palandt/Heinrichs, § 130 Rn. 9; anders noch Titze, Mißverständnis, S. 300, der von der Nichtigkeit der falsch übermittelten Erklärung ausging. 303 Medicus, BGB AT, Rn. 284; Brox/Walker, BGB AT, Rn. 152; MüKo BGB/Einsele, § 130 Rn. 26. 304 Larenz/Wolf, BGB AT, § 26 Rn. 40; Köhler, BGB AT, § 6 Rn. 15.

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2. Stellungnahme zum „Sprachrisiko“ bei dem Einsatz von Mittelspersonen auf Empfängerseite a) Die vorstehend beschriebene Risikoverteilung ist angemessen. Wenn bei der eingesetzten Mittelsperson, dem Empfangsboten, sprachliche Verständnisschwierigkeiten vorliegen, so sind diese der Verantwortungssphäre des Adressaten zuzuweisen, weil die „menschliche Empfangseinrichtung“ zum Einflußbzw. Organisationsbereich 305 des Adressaten gehört.306 Es kann im Hinblick auf die Risikoverteilung beim Zugang keinen Unterschied machen, ob eine von der Mittelsperson richtig vernommene Erklärung falsch übermittelt wurde oder ob eine unrichtig vernommene Erklärung mit dem so vernommenen unrichtigen Inhalt an den Adressaten weitergegeben wurde.307 Es entspricht den Wertungen der hier favorisierten eingeschränkten Vernehmungstheorie, daß der Verkehr – hier der Erklärende – vor dem Risiko einer unrichtigen Übermittlung, das aus der Sphäre des Adressaten – in Gestalt der Mittelsperson – herrührt, geschützt wird.308 In diesem Fall trägt folglich der Adressat das „Sprachrisiko“. 305 Der Ausdruck ersetzt die Formulierung „Machtbereich“, die hinsichtlich des Verhältnisses des Empfängers zu natürlichen Personen, die seinem Hausstand angehören, mißverständlich ist, siehe Brinkmann, Zugang von Willenserklärungen, S. 123 mit Fn. 75. 306 Brinkmann, Zugang von Willenserklärungen, S. 119: „Da der Empfangsbote gleichsam als menschliche Empfangseinrichtung fungiert, hat der Adressat das aus der Einschaltung dieser Mittelsperson sich ergebende Übermittlungsrisiko zu tragen.“ 307 Abweichend Flume, BGB AT, § 13 3 f (S. 241) auf der Grundlage der reinen Vernehmungstheorie: „Hat der Empfangsbote die Erklärung richtig vernommen, so gilt sie mit dem Inhalt der Abgabe als zugegangen, auch wenn der Empfangsbote die Erklärung dem Adressaten unrichtig übermittelt oder dieser sie akustisch unrichtig vernimmt. Ein Übermittlungsfehler geht zu Lasten des Empfängers. Wenn dagegen der Empfangsbote die Erklärung unrichtig vernimmt, so ist die Erklärung ebenso nicht zugegangen, wie wenn die Erklärung unmittelbar dem Empfänger gegenüber abgegeben wird und dieser sie unrichtig vernimmt.“ 308 A. A. MüKo BGB/Einsele, § 130 Rn. 30 a. E.; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 61 (S. 436 f.); ausführlich Titze, Mißverständnis, S. 314 ff. Die Gegenansicht argumentiert damit, daß die Erfahrung lehre, daß auf die rechtzeitige und korrekte Ausrichtung mündlicher Botschaften nicht gerechnet werden könne. Das trifft sicher auch heute noch im Grundsatz zu, jedoch ist zu festzuhalten, daß sich die Hausgemeinschaft heute anders als zur Zeit des Kaiserreichs auf wenige Personen beschränkt, so daß sich zumindest das Problem, daß das Dienstpersonal Nachrichten nur unzuverlässig übermittelt (siehe Titze, a.a.O., S. 315), praktisch erledigt hat. Die Frage lautet aber natürlich nach wie vor, ob der Erklärende oder aber der Adressat die Verantwortung für das Manko fehlerhafter Nachrichtenübermittlung im Rechtsverkehr tragen soll. Nach hier vertretener Auffassung ist der Hausgenosse der Sphäre des Adressaten zuzurechnen, was eine entsprechende Risikoverteilung zu dessen Lasten zur Folge hat, s. o. V. Tuhr, a.a.O., S. 437 und Titze, a.a.O., S. 323 f. gehen für den Fall, daß dem Hausgenossen die Vertretungsmacht fehlt, davon aus, daß der Hausgenosse als Bote des Erklärenden (§ 120 BGB) handele, so daß die Erklärung erst dann zustandekomme, wenn sie dem Erklärenden ausgerichtet werde. Dieses Resultat entspreche auch den Bedürfnissen des Verkehrs. Der Erklärende könne sich gegen die Gefahrtragung dadurch schützen, daß er mündliche Erklärungen in Abwesenheit des Adressaten nicht abgebe oder indem er die Erklärung schriftlich hinterläßt. Nach dieser Auffassung wird der Fall der Empfangsvertretung und der Fall der Emp-

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b) Es besteht allerdings kein Anlaß, den Erklärenden vor den Folgen einer Falschübermittlung zu schützen, wenn er selbst die sprachlichen Mängel der Mittelsperson erkannt hat oder sie erkennen konnte. In dieser Situation wird der Adressat von der Verantwortung für den Einsatz einer untauglichen Mittelsperson zwar nicht frei, aber dies gereicht dem Erklärenden nicht zum Vorteil. Es fehlt an den Voraussetzungen für die Anwendung der eingeschränkten Vernehmungstheorie. Die Situation ist derjenigen gleichzustellen, daß der Erklärende unmittelbar zu dem Erklärungsempfänger spricht und ihm dessen Nichtverständnis deutlich wird. Hier bleibt es nach den obigen Ausführungen bei den Grundsätzen der reinen Vernehmungstheorie, d. h. der Erklärende trägt das „Sprachrisiko“ in der Form des „Zugangsrisikos“. Es hätte im übrigen einen Verstoß gegen Treu und Glauben zur Folge, wenn der Erklärende trotz Kenntnis bzw. Kennenmüssen von den sprachlichen Defiziten der Mittelsperson – was die Erwartung der Nicht- oder Falschübermittlung bei dem Erklärenden geradezu schüren muß – auf einer unterstellten Wirksamkeit der Erklärung gegenüber dem Empfänger bestehen dürfte, obgleich sein Vertrauen auf die Wirksamkeit in erheblichem Maße erschüttert war.

F. Die Sprache als Problem der Form der Willenserklärung I. Einführung 1. In § 3 dieser Untersuchung wurde unter anderem der Frage nachgegangen, ob die Sprachenwahl kollisionsrechtlich betrachtet als eine Frage der Form gemäß den Artt. 9 EVÜ, 11 EGBGB qualifiziert werden kann. Das war im Ergebnis – bei der geforderten autonomen Auslegung der genannten Vorschriften und damit zugleich des kollisionsrechtlichen „Form“-Begriffs – zu verneinen. Die Frage nach der Einordnung der Sprache der Willenserklärung als Formproblem stellt sich ein weiteres Mal auf der Ebene des materiellen Rechts. Vor dem Hintergrund, daß nach den in diesem Paragraphen gewonnenen Ergebnissen das „Sprachrisiko“ jedenfalls bei „gespeicherten“ Willenserklärungen nicht als Zugangsproblem zu behandeln ist, verdient die Frage der Kategorisierung der vom Erklärenden gewählten Sprache als Formproblem eine erneute Untersuchung. Es könnte sich dabei nämlich um eine allgemein geltende, zusätzliche materiellrechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung handeln. Die Konsequenzen eines solchen Ansatzes wären beträchtlich: Erklärungen, die nicht in einer oder sogar fangsbotenschaft in bezug auf die Risikoverteilung beim Zugang der Erklärung unterschiedlich behandelt (siehe Titze, a.a.O., S. 325 ff.), während sie nach der im Text vertretenen Ansicht weitgehend einander angeglichen sind. Das erscheint vor dem Hintergrund der schwierigen Abgrenzung zwischen konkludent erteilter Vollmacht und bloßer Botenschaft sowie aus Gründen des Verkehrsschutzes klar vorzugswürdig.

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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der einzigen erlaubten „Vertragssprache“ bzw. die in einer „nicht verkehrsüblichen“ Sprache oder nicht zumindest in einer anerkannten sog. „Weltsprache“ abgegeben werden, sähen sich – je nach der Reichweite des materiellrechtlichen „Form“-Begriffs – dem Diktum der Unzulässigkeit bzw. der Unwirksamkeit ausgesetzt. 2. Hier soll nicht noch einmal wiederholt werden, aus welchen Gründen das Konzept der Vertragssprache innerhalb der Kategorie der Form der Willenserklärung verfehlt ist. Dieses Diktum trifft wie gezeigt gleichermaßen die These, daß die Erklärungssprache eine verkehrsübliche sein müsse. Schließlich überzeugt das Konzept der „Weltsprache“ ebenfalls nicht, denn nach der Rechtsprechung sind nicht einmal Kaufleute zur Beherrschung einer oder mehrerer „Weltsprache(n)“ verpflichtet.309 Umso weniger kann es sich dabei um eine allgemeingültige, auch Nichtkaufleute erfassende zivilrechtliche Kategorie handeln. Vielmehr gilt nach hier vertretener Auffassung der Grundsatz der freien Sprachenwahl, der nur insoweit eingeschränkt wird, als gesetzliche Sprachregeln die Verwendung einer oder mehrerer Sprachen vorschreiben oder aber, daß sich die Sprachenverwendung in dem konkreten Einzelfall als rechtsmißbräuchlich erweist. So betrachtet ist die oben gestellte Frage nach der Sprache als Kategorie der Form vielleicht irritierend, weil es auf der Hand liegt, daß ihre Bejahung den zuvor begründeten Grundsatz der freien Sprachenwahl konterkarieren würde: Die Verwendung einer Fremdsprache wäre zwar nach den Kategorien der Abgabe und des Zugangs von Willenserklärungen zulässig und hinderte die Wirksamkeit nicht, doch würde die Unwirksamkeit wegen Verwendung einer unzulässigen Erklärungsform eintreten. Eine solche Systematisierung vermöchte selbstverständlich nicht zu überzeugen. 3. Gleichwohl gilt es im Hinblick auf die Praxis zu bedenken, daß die „Vertragssprache“ nach der herrschenden Lehre und einer ständigen ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung als den „Dreh- und Angelpunkt“ der vertragsrechtlichen und vor allem der AGB-rechtlichen Problematik des Vertragsschlusses mit nicht deutschkundigen Verbrauchern verstanden wird.310 Solange die Lehre von der „Vertragssprache“ noch als herrschend bezeichnet wird, erscheint die Erörterung der Anschlußfrage nach der Sprachenwahl als Formproblem unabdingbar. Sie ist weiter unabhängig von dieser Lehre auch deshalb sinnvoll, weil – wie Flume311 mit Recht festgestellt hat – jede Willenserklärung 309 OLG Hamm NJW-RR 1996, 1271, 4. red. Leitsatz: „Nach deutschem Recht ist die Lösung des Sprachrisikos keiner generalisierenden Betrachtungsweise dahingehend zugänglich, daß von einem international tätigen Kaufmann Weltsprachenkenntnisse verlangt werden können. Erkennt der weltsprachenunkundige deutsche Kaufmann aber, daß es sich bei den ihm förmlich zugegangenen Schriftstücken um rechtsgeschäftlich bedeutsame Erklärungen handeln muß, so muß er sich beim Erklärenden nach deren Bedeutung erkundigen oder aber die Erklärung – in der Vertragssprache – als unverständlich zurückweisen.“ 310 Schäfer, JZ 2003, 879. 311 Flume, BGB AT, § 15 I 4 (S. 249).

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

eine „Form“ hat, in welcher das In-Geltung-Setzen der rechtsgeschäftlichen Regelung dokumentiert wird („Geltungserklärung“312), die sich seiner Ansicht nach von der Form „an sich“ unterscheiden soll, von welcher die §§ 125 ff. BGB handeln. 4. Läßt man sich auf die Kategorie der „Vertragssprache“ trotz der gegen sie erhobenen Bedenken ein 313 , wäre weiter danach zu unterscheiden, ob die (Vertrags-)Sprache unmittelbar unter die genannten, die Form betreffenden Rechtsnormen des BGB subsumiert werden kann oder ob die Sprache als Form in einem weiteren Sinn – d. h. über die Begrifflichkeiten des § 125 BGB hinausgehend –, d. h. genauer: als eine zusätzliche ungeschriebene Wirksamkeitsvoraussetzung, verstanden werden muß. Für die zweitgenannte Alternative soll im folgenden die Bezeichnung „erweiterter Formbegriff“ Verwendung finden. 5. Die ausdrücklichen gesetzlichen Sprachregeln, denen bereits oben in § 2 nachgegangen wurde, sollen im folgenden ebenfalls nicht noch einmal untersucht werden. Man kann sie als „Formvorschriften i. w. S.“ bezeichnen.314 Mit dem unten erörterten „erweiterten Formbegriff“ haben sie nichts zu tun, denn es handelt sich bei ihnen um im Gesetz niedergelegte besondere Wirksamkeitsvoraussetzungen und nicht um ungeschriebene Erweiterungen des allgemeinen gesetzlichen Formbegriffs. Als Beispiel für sprachenbezogene gesetzliche Formvorschriften können Art. 1 ScheckG und Art. 75 Nr. 1 WG angeführt werden, die die Bezeichnung als Scheck bzw. als Wechsel im Text der Urkunde, und zwar in der Sprache, in der sie ausgestellt ist, verlangen. II. Die Form der Willenserklärung 1. Entwicklung a) Im römischen Zivilrecht war die Zulässigkeit eines Rechtsgeschäfts davon abhängig, daß der von den Kontrahenten gewählte Vertragstyp anerkannt war. Vereinbarungen, die nicht einem der festgelegten Vertragstypen entsprachen, konnten keine rechtliche Gültigkeit erlangen, denn es fehlte ihnen an der erforderlichen „inneren Form“.315 Das BGB kennt derartige Restriktionen nicht. Wenn es – wie in § 125 BGB – von der „Form“ des Rechtsgeschäfts, d. h. der Form einer Willenserklärung, spricht, kann daher nur die „äußere Form“ gemeint sein, die „nur noch als Attribut des ihr gegenüber selbständig gedachten rechtsgeschäftlichen Akts“316 erscheint, d. h. als „äußere Gestalt“317 der jeweili312

Zu dem Begriff der Geltungserklärung siehe Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts,

S. 44 f. 313 314 315 316 317

Siehe z. B. Schäfer, JZ 2003, 879 (883). Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 245, 248. Flume, BGB AT, § 15 I 1 (S. 244 f.). Flume, BGB AT, § 15 I 1 (S. 245). Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 244.

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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gen Erklärung. Das Rechtsgeschäft und seine Form stehen im modernen Zivilrecht daher logisch getrennt voneinander.318 Ausgehend von diesen Prämissen mußte der historische Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Frage beantworten, ob er die Formbedürftigkeit der – inhaltlich (form)freien – Erklärung, also die Wahrung der „äußeren Form“, als eine generelle Voraussetzung statuieren sollte. Nach eingehender Erörterung der Vor- und Nachteile der Formbedürftigkeit und der Formfreiheit von Rechtsgeschäften 319 entschieden sich die Entwurfsverfasser schließlich, dem französischen Vorbild folgend, für den Grundsatz der Formfreiheit.320 Diese gesetzgeberische Grundentscheidung ist in dem vorliegenden Zusammenhang von großer Bedeutung. b) Den Parteien bleibt es von Rechts wegen unbenommen, als ein Akt privatautonomer Rechtsgestaltung die Einhaltung einer bestimmten Form bei Rechtsgeschäften zu vereinbaren und diese gegebenenfalls auch wieder abzuändern oder ganz aufzuheben.321 Es handelt sich in diesen Fällen um eine – vom Gesetzgeber zugelassene – „durch Rechtsgeschäft bestimmte Form“ (gewillkürte Form) i. S. des § 125 S. 2 BGB.322 Deren Verletzung zieht „im Zweifel“ die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach sich. Entgegen der wohl herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum – der Lehre von der „Vertragssprache“ – liegt in dem widerspruchslosen Gebrauch einer bestimmten Sprache jedoch keine rechtsgeschäftliche Vereinbarung und demgemäß auch keine Formvereinbarung i. S. des § 125 S. 2 BGB.323

318

Flume, BGB AT, § 15 I 1 (S. 245): „Im allgemeinen ist nach modernem Denken die Form in den Fällen der Formbedürftigkeit nur ein Attribut des gegenüber der Form selbständig gedachten Rechtsgeschäfts.“ 319 Motive, Bd. I, § 91, S. 179 f. (bzw. Mugdan, Materialien Bd. I, S. 451 f.); siehe auch die Wiedergabe bei Flume, BGB AT, § 15 I 2 (S. 246). 320 Flume, BGB AT, § 15 I 2 (S. 246). 321 Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 250 f.; siehe auch a.a.O., S. 252: „Das Recht, vertragliche Sprachregeln zu treffen, ist Ausdruck der Privatautonomie. Ausdruck der Privatautonomie ist es ebenfalls, jederzeit getroffene Vereinbarungen aufzuheben oder abzuändern, da die Aufhebung bzw. Änderung wiederum eine vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien darstellt.“ 322 Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 251. 323 Für eine Gleichsetzung der Begriffe „allgemeine Sprachregeln“, „Sprachenstatut“ und „Vertragssprache“ Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 255 mit Fn. 458. Da Verf. a.a.O., S. 257 jedoch zwischen „allgemeinen Sprachregeln“, „vertraglichen Sprachregeln“ und „gesetzlichen Sprachregeln“ unterscheidet und nur den beiden letzteren Verbindlichkeit beimißt, nähert er sich der hier vertretenen Auffassung zumindest an. Der Begriff der „allgemeinen Sprachregel“ ist jedoch unkonturiert und wird hier nicht übernommen. Die Untauglichkeit zeigt sich an der ebd. gezogenen Schlußfolgerung, daß die „Missachtung einer allgemeinen Sprachregel nicht deren Formnichtigkeit zur Folge [hat], es sei denn, diese Folge ihrer Missachtung sieht die allgemeine Sprachregel selbst vor“. Damit bleibt nämlich offen, wo die Grenze zu einer „vertraglichen Sprachregel“ gezogen werden soll.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

2. Der sog. „erweiterte Formbegriff“ und das „Sprachrisiko“ a) Für einen „erweiterten Formbegriff“324 , der die Sprache als Element der Form der Willenserklärung erfaßt, werden im Schrifttum zum „Sprachrisiko“325 die Ausführungen Flumes 326 in seinem Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Rechts als grundlegend angeführt. Die betreffende Textpassage ist allerdings mißverständlich, weil Flume an dieser Stelle nicht allein von der „Form“ der Willenserklärung, sondern auch von der „Zurechenbarkeit“ des sprachlichen Verständnisses spricht und schließlich ausdrücklich den „Zugang“ einer fremdsprachigen Erklärung verneint, wenn der Adressat diese Fremdsprache nicht versteht. Bezogen auf die Sprachenfrage ist dies äußerst problematisch, weil die drei von Flume in einer Textpassage zusammengebrachten Aspekte der Form, der Zurechnung und des Zugangs jeweils eigenständige Möglichkeiten der Zuweisung des Sprachrisikos darstellen bzw. als voneinander getrennte Prüfungspunkte fungieren.327 Letztlich versteht Flume das Sprachrisiko wohl doch als Zugangsproblem und nicht als Problem der Form der Willenserklärung. Für die Entwicklung einer eigenständigen Kategorie „Sprachrisiko als Formproblem“ sind seine Ausführungen jedenfalls denkbar ungeeignet.

324

Zum Begriff vgl. oben § 3 B. III. 3. Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 48, 58. 326 Flume, BGB AT, § 15 I 5 (S. 249): „Ist die Erklärung in einer Form abgegeben, daß sie unverständlich ist, ist insbesondere die empfangsbedürftige Erklärung für den Empfänger unverständlich, so ist die Erklärung unwirksam.Das gilt von der unleserlichen Erklärung ebenso wie von der sprachlich unverständlichen Erklärung. Die empfangsbedürftige Willenserklärung muß auf das sprachliche Verständnis des Empfängers ausgerichtet sein. Für die sprachliche Form kommt es darauf an, ob dem Adressaten das sprachliche Verständnis zurechenbar ist. Dies bestimmt sich nach den besonderen Umständen. Das Verständnis einer fremden Sprache ist nur zurechenbar , wenn sich dies nach den persönlichen Verhältnissen des Erklärenden und des Adressaten und nach der Besonderheit des zwischen ihnen bestehenden Verhältnisses ergibt. In der Regel braucht sich der Empfänger einer auf ein Rechtsverhältnis im Inland bezogenen Erklärung, wenn diese in einer anderen als der Landessprache abgefaßt ist, um das Verständnis der Erklärung nicht zu bemühen. Versteht er die Erklärung in der fremden Sprache nicht, so braucht er die Erklärung nicht gelten zu lassen, mit der Folge, daß die nicht verstandene Erklärung als nicht zugegangen anzusehen ist.“ (Hervorhebungen nicht im Original). 327 Mit Recht sehr kritisch (gegen Flume und Reinhart) Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 46: Letztlich verbleibe dem Leser die Aufgabe, sich das ihm geeignete Institut (Form, Zurechnung, Zugang, Erklärungsmittel oder Berücksichtigung der Verständnisfähigkeit) auszuwählen. Für Baumgärtel, a.a.O., S. 49 liegt die Verwendung einer bestimmten Sprache unter dem Gesichtspunkt der Erklärungsform „unterhalb der Schwelle rechtlicher Erfassung“. Unter dem Aspekt der Form dürfe grundsätzlich jede Sprache zur Abfassung einer Willenserklärung benutzt werden. Die Einordnung des „Sprachrisiko“-Problems unter das Institut der Form durch Flume und Reinhart sei deshalb nicht vertretbar. 325

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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b) In der Literatur wird die Auffassung vertreten, daß das „Sprachrisiko“ als eine Frage der Form der Willenserklärung zu qualifizieren sei.328 Die Konsequenz dieser Ansicht besteht in der (Form-)Unwirksamkeit, d. h. Nichtigkeit, fremdsprachiger Willenserklärungen, die der Adressat – ggf. auch der Erklärende selbst – 329 nicht versteht bzw. die nicht in der „richtigen“ Sprache abgefaßt wurden, gemäß § 125 S. 1 oder § 125 S. 2 BGB. Im einzelnen gibt es unter den Vertretern dieser These jedoch erhebliche Unterschiede im Detail, auf die hier allerdings nicht im einzelnen eingegangen werden kann. 3. Konsequenzen der Anwendung eines „erweiterten Formbegriffs“ für das Sprachenproblem a) Unterstellt man einmal, daß die Sprache als eine Frage der Form der Willenserklärung zu qualifizieren wäre, so erschiene es konsequent, entsprechend der gesetzgeberischen Grundentscheidung zugunsten des Grundsatzes der Formfreiheit auch in bezug auf die Form von einem Grundsatz der Sprachen(wahl)freiheit auszugehen.330 Schon wegen der Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Formfreiheit der Erklärung kann das „Sprachrisiko“ nicht generell als ein Problem der Form von Willenserklärungen qualifiziert werden. Dies wird bestätigt durch die in § 125 S. 2 BGB geregelte gewillkürte Form, die deutlich macht, daß der Gesetzgeber neben den gesetzlichen Formbestimmungen gemäß § 125 S. 1 BGB auch privatautonome Formregeln zulassen wollte. Übertragen auf die Sprachenfrage als Formfrage würde das unter Zugrundelegung der obigen Prämisse bedeuten, daß den Parteien außerhalb der wenigen gesetzlichen Sprachregeln die vertragliche Vereinbarung von Sprachregeln überlassen bliebe. b) Ausgehend von dem Grundsatz der Formfreiheit bzw. Sprachen(wahl)freiheit ist eine Lösung für diejenigen Fälle, in denen das Gesetz ausnahmsweise die Wahrung einer bestimmten Form verlangt,331 noch nicht gefunden worden. Denn die gesetzlichen Bestimmungen könnten – wiederum unter Zugrundele328 Reinhart, RIW/AWD 1977, 16 (19); Schütze, DB 1978, 2301 (2304); Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 26; Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 62. 329 Z. B. bei Unterzeichnung einer vorgefertigten Bürgschaftsurkunde in deutscher Sprache durch einen nicht sprachmächtigen Ausländer. 330 Siehe auch Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 257: Für die Wirksamkeitsvoraussetzung „Form“ könne es keinen Unterschied machen, ob der Erklärende nach dem „Grundsatz der Formfreiheit“ bei der Fassung seiner Willenserklärung einerseits überhaupt Sprache verwende oder nicht oder welcher Sprache er sich bei der Verwendung von Sprache bediene. Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 48 f. formuliert zutreffend: „Als bloßes Formproblem verstanden, wäre sie [scil. die Sprache] im übrigen aus systematischen Gründen frei verfügbar, weil der Grundsatz der Formfreiheit regiert, wenn weder gesetzlicher noch rechtsgeschäftlich vereinbarter Formzwang vorliegt. (. . .) Unter dem Aspekt der Form darf grundsätzlich jede Sprache zur Abfassung einer Willenserklärung benutzt werden.“ 331 Vgl. z. B. § 81 BGB; § 311b Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4 BGB; § 518 Abs. 1 BGB; § 761 S. 1 BGB; § 766 S. 1 BGB; §§ 780 S. 1, 781 S. 1 BGB; § 784 Abs. 2 S. 1 BGB.

310

Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

gung eines „erweiterten Formbegriffs“ – wenigstens insoweit um die ungeschriebene Wirksamkeitsvoraussetzung einer bestimmten – nämlich der deutschen – Erklärungssprache zu ergänzen sein. Überall dort, wo das BGB oder andere Normen des Privatrechts mindestens die Schriftform (§ 126 BGB) verlangen, bis hin zur notariellen Beurkundung als der strengsten Formvorgabe, könnte gemäß einem so verstandenen „erweiterten Formbegriff“ die deutsche Sprache für in Deutschland abgeschlossene Rechtsgeschäfte als eine zusätzliche Voraussetzung der Formwirksamkeit der Erklärung verstanden werden. 4. Stellungnahme zum „erweiterten Formbegriff“ a) Ob ein so verstandener „erweiterter Formbegriff“ zumindest der gesetzlichen Formvorschriften Sinn ergibt, muß anhand der Zwecke von Formvorschriften beantwortet werden. Dazu hat der historische Gesetzgeber wertvolle Hinweise gegeben, indem er als Vorteile des Formzwangs die Aspekte Wecken eines juristischen Bewußtseins, besonnenere Überlegung (also den Schutz vor Übereilung), Ernstlichkeit der Entschließung, Klarstellung des rechtlichen Charakters, Außerzweifelstellung der Vollendung des Rechtsakts, Sicherung des Beweises des Rechtsgeschäfts seinem Bestande und Inhalt nach sowie Verminderung, jedenfalls Abkürzung und Vereinfachung der Prozesse, benannte.332 Die genannten Funktionen – vor allem: die Beweisfunktion, die Warnfunktion und der Übereilungsschutz – gelten mit unterschiedlichen Akzentuierungen im einzelnen für alle gesetzlichen Vorschriften, welche die Wahrung einer bestimmten Form als Wirksamkeitsvoraussetzung für ein Rechtsgeschäft verlangen. b) Was die Beweisfunktion fremdsprachiger Erklärungen betrifft, so ist diese zu bejahen. Die Verkörperung der Erklärung macht den Erklärungsinhalt – gegebenenfalls nach Einholung einer Übersetzung – nämlich dem Beweis zugänglich. Zwar verursacht die Einholung einer Übersetzung gewisse Unannehmlichkeiten wie etwa die Verzögerung des Rechtsgeschäfts und die Verursachung zusätzlicher Kosten, doch darf man daraus nicht schließen, daß die Beweisfunktion nicht erfüllt sei, da hierfür die bloße Verkörperung als solche bereits genügt. Die Erfüllung der Warnfunktion und der Übereilungsschutz scheinen hier auf den ersten Blick fragwürdig zu sein. Ein Erklärungsadressat, dem eine rechtsgeschäftliche Erklärung in einer ihm fremden Sprache ohne Aufklärung über den Inhalt zur Unterzeichnung vorgelegt wird – z. B. eine vorformulierte Bürgschaftserklärung –, wäre gefährdet, die vom Gläubiger geforderte Erklärung übereilt, d. h. dem „Druck der Situation“ folgend, zu unterzeichnen. § 16 Abs. 2 BeurkG erfaßt das Problem und fordert in diesem Fall bei der notariellen Beurkundung von Willenserklärungen die Übersetzung der Niederschrift zugunsten des nicht sprachkundigen Beteiligten. Die Übersetzung erfolgt entweder über den Notar selbst oder durch Hinzuziehung eines Dolmetschers (§ 16 332

Motive, Bd. I, § 91 (Mugdan, Materialien Bd. I, S. 451).

§ 5 Abgabe, Zugang und Form der Willenserklärung

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Abs. 3 BeurkG). Das Gesetz geht mithin für die strengste Formvorschrift des Privatrechtsverkehrs – die notarielle Beurkundung – davon aus, daß die Erklärung in einer Fremdsprache grundsätzlich wirksam ist. § 16 BeurkG spricht eindeutig gegen einen „erweiterten Formbegriff“ in dem oben beschriebenen Sinn. Zwar könnte die Vorschrift vom Standpunkt dieser Lehre als eine Ausnahmevorschrift aufgefaßt werden. Doch ergibt eine Beschränkung des „erweiterten Formbegriffs“ auf nicht beurkundungsbedürftige – d. h. vor allem: privatschriftliche Erklärungen – keinen Sinn. Der BGH333 hat zu § 766 BGB entschieden, daß dem Schriftformerfordernis genügt sei, wenn eine iranische Staatsbürgerin eine deutschsprachige Bürgschaftsurkunde unterzeichne. Damit hat der BGH der theoretisch möglichen Erweiterung des Schriftformerfordernisses um das Element der Verständlichkeit der Sprache – hier: für die Erklärende, nicht für den Adressaten – für Erklärungen mit Schriftformerfordernis eine klare Absage erteilt.334 Insoweit ist dem BGH beizupflichten. Nimmt man die eingangs zunächst außer Acht gelassenen Bedenken gegen die Lehre von der „Vertragssprache“ noch hinzu, ist die Auffassung vom „erweiterten Formbegriff“ der Willenserklärung insgesamt zu verwerfen. Das „Sprachrisiko“ kann daher jenseits von eindeutigen gesetzlichen Sprachenvorgaben nicht als Formproblem qualifiziert werden.335

333 BGH NJW 1995, 190 f.: „[D]ie gem. § 766 BGB erforderliche Schriftform der Bürgschaftserklärung [ist] gewahrt. Die Urkunde drückt den Willen des Bürgen aus, für fremde Schuld einzustehen, und bezeichnet den Gläubiger, den Hauptschuldner und die verbürgte Schuld (. . .). Die Warnfunktion der Schriftform hat die Bekl. mißachtet, indem sie die Urkunde unterzeichnet hat, ohne sich zuvor die Tragweite dieses Schritts durch Kenntnisnahme vom Inhalt der Urkunde klarzumachen.“ 334 So bereits Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 48: „Jede Sprache kann den genannten Funktionen gerecht werden; es muß keine bestimmte sein. Vielmehr kann eine Willenserklärung auch dann schriftlich, notariell beurkundet oder öffentlich beglaubigt sein, wenn ihr Inhalt nicht in deutscher, sondern beispielsweise in englischer Sprache abgefaßt sind.“ 335 Ebenso Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 49.

§ 6 Sprachrisiken und die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen A. Einführung In diesem Paragraphen soll der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit das „Sprachrisiko“ als ein Problem der Auslegung qualifiziert werden kann. Es ist zu klären, welche der an einem Rechtsgeschäft beteiligten Parteien im Fall des Vorliegens sprachlicher Defizite das Auslegungsrisiko1 zu tragen hat („Sprachrisiko“ als Auslegungsrisiko). Die Darstellung trennt dabei zwischen der Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen (unten B.) und der Auslegung von Individualverträgen (unten C.). Innerhalb der Untersuchung in Abschnitt B. wird – entsprechend der bereits in § 5 getroffenen Unterscheidung – zwischen „gespeicherten“ Willenserklärungen unter Abwesenden und „nicht gespeicherten“ Erklärungen unter Anwesenden unterschieden. 2 Auf eine Untersuchung der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird hier zunächst verzichtet; sie erfolgt umfassend und in sich geschlossen in § 8.

B. Die Auslegung von Willenserklärungen I. Grundlagen Die empfangsbedürftige Willenserklärung, deren Bedeutung ermittelt werden soll, muß durch Zugang beim Adressaten wirksam geworden sein.3 Wie in § 5 im einzelnen dargelegt, ist dafür die Einordnung als „gespeicherte“ (verkörperte) oder „nicht gespeicherte“ (nicht verkörperte) Erklärung von entscheidender Bedeutung.

1 Der Begriff wird in anderem Zusammenhang gebraucht von Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 17. 2 Grundlegend John, AcP 184 (1984), 385 ff. 3 Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen sind ohne Zugang bei einem anderen wirksam. Folglich kommt es auch nicht auf das Verständnis des Empfängers an, sondern nur auf den Willen des Erklärenden, siehe Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 94.

§ 6 Sprachrisiken und die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen

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1. „Gespeicherte“ (verkörperte) Erklärungen „Gespeicherte“ Erklärungen unter Abwesenden gehen nach § 130 BGB zu, sobald sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt sind und dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat. Die Sprache, in der diese Willenserklärung abgefaßt ist, spielt – das ist eines der zentralen Ergebnisse des § 5 dieser Untersuchung – für den Zugang keine Rolle. Daher ist bei diesem Typus von Willenserklärungen ein erheblicher Spielraum für die Auslegungsproblematik gegeben. Bei der Auslegung sind die Vorgaben der §§ 133, 157 BGB zu beachten; sie muß aus dem „Empfängerhorizont“, d. h. aus der Sicht eines objektiven Empfängers an der Stelle des konkreten Adressaten, erfolgen. Was das im einzelnen bedeutet, wenn der konkrete Empfänger unter Sprachdefiziten leidet, ist nunmehr zu untersuchen. a) Vorüberlegungen betreffend die Auslegung von Willenserklärungen in deutscher Sprache, die gegenüber Sprachunkundigen abgegeben werden Für die folgenden Ausführungen sei unterstellt, daß eine bestimmte Willenserklärung einen klaren Wortlaut habe, den ein durchschnittlich sprachkundiger Empfänger im Normalfall richtig versteht. Grundsätzlich ist fraglich, ob Erklärungen, die einen „klaren und eindeutigen“ Wortlaut haben, überhaupt noch der Auslegung zugänglich sind. Besteht in solchen Fällen vielleicht schon deshalb kein Auslegungsbedürfnis, weil Maßstab der Auslegung ein „objektiver Empfänger“ ist? Hat also das Nichtverstehen des konkreten sprachunkundigen Adressaten keine Bedeutung, wenn nur nach dem zugrunde gelegten objektiven Maßstab die richtige normative Bedeutung der Erklärung ermittelt werden kann? Oder muß der objektivierte Empfängerhorizont gegebenenfalls durch konkret-individuelle Elemente ergänzt werden? Im Zusammenhang mit der Lehre vom Empfängerhorizont drängen sich weitere Folgefragen auf: Wie ist der objektive Empfänger im Vergleich zu dem wirklichen Adressaten strukturiert? Gibt es ihn nur als gedankliches Konstrukt, das eine normative Auslegung unter Außerachtlassung konkreter subjektiver Umstände auf seiten der Beteiligten erlaubt? Oder kann man die Gruppe, der er angehört – im Sinne eines „repräsentativen Durchschnitts“ – für den zu entscheidenden Einzelfall ermitteln? b) Vorüberlegungen betreffend Willenserklärungen in einer Fremdsprache, die gegenüber Deutschen abgegeben werden aa) Der umgekehrte Fall, daß eine fremdsprachige Erklärung, einem dieser Sprache unkundigen deutschen Muttersprachler zugegangen ist, birgt ebenfalls Spielraum für Auslegungsfragen. Dies betrifft beispielsweise einseitige Willenserklärungen in einer fremden Sprache wie etwa Kündigungserklärungen oder

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

sonstige einseitige vertragsbezogene Erklärungen wie etwa die einseitige Abänderung von Vertragsbedingungen. Besondere Brisanz hat hier vor allem die Fallgruppe „Sprachrisiko als Rechtsbegriffsrisiko“, die bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen eine bedeutsame Rolle spielt. bb) Es kann vorkommen, daß der Adressat der Erklärung, die in einer Fremdsprache abgegeben wurde, trotz vorhandener Fremdsprachenkenntnis in bezug auf einzelne, aber zentrale Begriffe des Rechts einem Fehlverständnis unterliegt. Ein praktisches Beispiel dafür ist der englische Begriff act of God. Dabei handelt es sich um eine typische Klausel des englischen Rechts, die eine Auslegung im Sinne des englischen Rechts nahelegt. 4 In den gängigen Rechtswörterbüchern 5 und Online-Übersetzungshilfen6 wird dieser Begriff häufig mit dem Ausdruck „höhere Gewalt“ übersetzt.7 Das ist unzutreffend, denn der Begriff act of God ist auf „Naturereignisse“8 beschränkt und daher weder mit dem Be4 LG Hamburg MDR 1954, 422; zu diesem Problem Reithmann/Martiny/van Dieken, Int. VertragsR, 5. Aufl. 1996, Rn. 1215; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 95. 5 Siehe Schöffl er/Weis, Wörterbuch der englischen und deutschen Sprache, 1967, wo der Begriff „act of God“ mit „höhere Gewalt“ und „unabwendbares Ereignis“ übertragen wird; Dietl/Lorenz, Wörterbuch für Recht, Wirtschaft und Politik übersetzen ihn mit „höhere Gewalt (durch Naturereignisse; cf. force majeure)“; von Herbst/Ammann, Wörterbuch der Handels-, Finanz- und Rechtssprache, 1998, wird „höhere Gewalt“ mit engl. „act of God“ und frz. „force majeure“ sowie „acte de Dieu“ übertragen. 6 Das umfassende Onlinewörterbuch „LEO“ enthält auf seiner Webseite dazu folgende Einträge: „act of God [law]“ – „höhere Gewalt“, „act of God“ – „das Naturereignis“ und „damage due to an Act of God [insur.]“ – „Schaden durch höhere Gewalt“ (siehe www.dict. leo.org). 7 Unter „höherer Gewalt“ ist im deutschen Recht – nach der gängigen, von der Rechtsprechung entwickelten straßenverkehrsrechtlichen Definition – „ein außergewöhnliches, betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter (betriebsfremder) Personen herbeigeführtes und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares Ereignis zu verstehen, das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch nach den Umständen äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und das auch nicht im Hinblick auf seine Häufigkeit in Kauf genommen zu werden braucht“ (so Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 7 StVG Rn. 32). Es muß sich verkürzt gesprochen um eine Einwirkung von außen handeln, die außergewöhnlich, nicht voraussehbar und durch äußerste Sorgfalt nicht abwendbar ist. Diese Definition gilt cum grano salis auch für die reisevertragsrechtliche Vorschrift des § 651j BGB (BGHZ 100, 185, 188; Palandt/Sprau, § 651j Rn. 3). Auch sonst sind im Zivilrecht sehr hohe Anforderungen an die „höhere Gewalt“ zu stellen. Das verhindernde Ereignis darf etwa bei § 206 BGB (Hemmung der Verjährung bei höherer Gewalt) durch die äußerste, billigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht vorausgesehen und verhütet werden können (BGHZ 81, 353, 355 = NJW 1982, 96; BGH NJW 1997, 3164; Palandt/Heinrichs, § 206 Rn. 4). 8 Aus der Rechtsprechung siehe die folgenden Fallbeispiele: Ryan v. Youngs, All ER vol. 1 1938, 522: act of God gegeben bei unentdeckt gebliebener Herzkrankheit („fatty degeneration of the heart“) eines Lastwagenfahrers, die zu dessen plötzlichem Tod während der Fahrt führte, wodurch die Klägerin verletzt wurde; J. & J. Makin, Ltd. v. London and North Eastern Railway Co., All ER vol. 1 1943, 645 (Court of Appeal vom 15./16. 4. 1943): Dammbruch infolge eines Sturms und daraus resultierende Beschädigungen ist ein act of God. Siehe auch J. & J. Makin, Ltd. v. London and North Eastern Railway Co., All ER vol. 1 1943, 362 (365) (Queen’s Bench Division vom 18. 1. 1943). Danach ist ein act of God „an extraordinary

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griff der „höheren Gewalt“ im deutschen Recht9 noch mit dem des „unabwendbaren Ereignisses“10 identisch.11 Eine bessere Übersetzung des deutschen Begriffs „höhere Gewalt“ in die englische Sprache wäre der dem Französischen entnommene Ausdruck force majeure12 bzw. vis maior 13 , der allerdings im Common Law nicht gebräuchlich ist.14 Eine schuldbefreiende force majeure liegt vor, wenn das schädigende Ereignis unvorhersehbar15 und unabwendbar (»irresistible«) war.16 Unabwendbarkeit ist gegeben, wenn es für den Schuldner unmöglich ist, den Vertrag zu erfüllen.17 Typische Beispiele dafür sind Exportverbote, die von der Regierung gegenüber Staatsunternehmen verhängt werden.18 cc) Neben den soeben beschriebenen Fällen, in denen sich das Sprachrisiko als Fremdsprachen- und Übersetzungsrisiko bei Rechtsbegriffen zeigt, sind – wenngleich seltener – Fallkonstellationen denkbar, in denen der Adressat trotz im Grundsatz bestehender Sprachkenntnis sich nicht die richtige Vorstellung über die Bedeutung des Begriffs gebildet hat. Dies gilt gerade auch für Begriffe in der Muttersprache des Empfängers.19 Die Problematik, daß mit scheinbar richtig verstandenen Begriffen falsche Vorstellungen verbunden werden, ist nicht auf fremdsprachige Ausdrücke beschränkt, sondern kann den Rechtsaninterruption of the usual course of events which an ordinary man would not anticipate and could not be expected to guard against“; eine andere Definition ebd. lautet: „The act of God is natural necessity, as wind and storms, which arise from natural causes (. . .)“. Die Formulierung betrifft also nur Naturereignisse. 9 Siehe §§ 206, 651j, 701 Abs. 3 BGB, §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 3 Nr. 3 HpflG, § 7 Abs. 2 StVG, § 22 Abs. 2 WHG. 10 Siehe § 17 Abs. 3 StVG, § 7 Abs. 2 StVG a. F. 11 Siehe dazu Chitty on Contracts, vol. 1, 14–137: „It has rightly been observed that the concept of force majeure is wider than that of ‚Act of God‘ or vis major, as there latter expressions appear to denote events due to natural causes, without any human intervention (. . .).“ 12 Triebel/Balthasar, NJW 2004, 2189 (2191 mit Fn. 12). 13 Vgl. auch Doll, Von der vis maior zur höheren Gewalt, passim. 14 Chitty on Contracts, vol. 1, 14–135: „Force majeure is not a term of art in English law.“; ebenso Hök, ZfBR 2005, 332 (333, 336). 15 Damit ist gemeint, daß es im Zeitpunkt seines Eintretens keinen Grund zu der Annahme gegeben hat, daß es eintreten werde. 16 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 272. 17 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 272. 18 Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 272 mit Hinweis auf: House of Lords, [1978] 2 All ER 1043 – Czarnikow Ltd. v. Rolimpex (Widerruf einer Exportgenehmigung für Zucker durch die polnische Regierung nach Mißernte); Sowjetische Außenhandelsschiedskommission, RabelsZ 24 (1959), 540 – Jordan Investments Ltd. v. Sojusnefteksport (Widerruf einer Exporterlaubnis für Rohöl nach Israel durch ein sowjetisches Staatsunternehmen nach dem israelischen Angriff auf Ägypten). 19 Siehe den Fall BGH WM 1970, 1050: Welcher deutschsprachige Adressat weiß oder kann wissen, daß ein als „Garnschlußbrief“ bezeichnetes Schriftstück in Österreich rechtlich als Allgemeine Geschäftsbedingungen einzuordnen ist? Der Fall betraf das Zustandekommen eines Schiedsvertrages infolge Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben bzw. eine Auftragsbestätigung.

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wender ohne weiteres etwa auch bei Austriazismen, bei Begriffen aus dem schweizerischen Deutsch 20 und bei selteneren deutschen Ausdrücken treffen. Hier steht freilich das in der Verwendung fremdsprachiger Ausdrücke fußende Mißverständnis im Zentrum des Interesses. 2. Nicht „gespeicherte“ (nicht verkörperte) Erklärungen Die Beurteilung des Zugangs nicht gespeicherter Willenserklärungen unter Anwesenden ist, wie im vorigen Paragraphen aufgezeigt, nach wie vor umstritten. Die Entscheidung für oder gegen eine der insoweit diskutierten Theorien hat rechtliche Konsequenzen für die Problematik der Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit. Hier soll der Fall der Erklärung eines deutschen Muttersprachlers gegenüber einem nicht (ausreichend) sprachmächtigen Ausländer als Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen dienen. a) Anwendung der reinen Vernehmungstheorie Ausgehend von der reinen Vernehmungstheorie stellen sich keine Auslegungsfragen. Denn mangels Zugangs ist die Erklärung nicht wirksam geworden, sie ist rechtlich betrachtet „nicht in der Welt“, wenn der Empfänger die Erklärung lautlich nicht zutreffend aufgenommen hat. 21 Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn man zwischen dem akustischen Vernehmen und dem sprachlichen Verständnis weiter unterscheiden wollte. Doch hat eine solche Unterscheidung zwischen akustisch richtigen Verständnis und richtiger Interpretation des vernommenen Reizes22 nur Sinn, wenn der Empfänger auch die entsprechenden sprachlichen Fähigkeiten besitzt, die eine intellektuelle Verarbeitung des akustischen Reizes ermöglichen. 23 Wegen der mit dieser Theorie einhergehenden Defizite im Bereich des Verkehrsschutzes wurde sie hier in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in der Literatur zugunsten der eingeschränkten Vernehmungstheorie verworfen. b) Anwendung der eingeschränkten Vernehmungstheorie aa) Nach der eingeschränkten Vernehmungstheorie erfolgt der Zugang der Erklärung grundsätzlich auch bei Nichtverstehen des Erklärungsinhalts seitens des Adressaten. Fraglich ist, ob sich in diesem Fall Auslegungsprobleme stellen. Nach der Lehre vom Empfängerhorizont ist Erklärungsinhalt dasjenige, was ein objektiver Empfänger als Inhalt zugrundelegen würde. Das wird bei norma20 Beispiel: Der Begriff der „Bundesanstalt“ steht aus der Sicht eines Schweizers für ein Gefängnis oder eine psychiatrische Anstalt, während von der Warte eines Deutschen damit eine Bundesbehörde wie die BaFin gemeint ist. 21 Vgl. Larenz/Wolf, BGB AT, § 26 Rn. 35. 22 AnwKomm/Faust, § 130 Rn. 73. 23 Larenz/Wolf, BGB AT, § 26 Rn. 34.

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tiver Betrachtung regelmäßig der Inhalt sein, den der Erklärende äußern wollte und von dem er berechtigterweise annimmt, daß ihn der Adressat ebenso erfaßt habe. Hier ist die Frage aufzuwerfen, ob es möglich ist, die Ausländereigenschaft und die konkret fehlende Sprachmächtigkeit des Empfängers rechtlich in Ansatz zu bringen, um die Wirkungen der Bezugnahme auf einen objektiven Empfänger abzumildern. Dabei gilt es zu beachten, daß der Wechsel des Bezugspunkts hin zu einem nicht objektivierten „unverständigen Empfänger“ die Ergebnisse konterkarieren würde, die aus Gründen des Verkehrsschutzes zu der Entscheidung für die eingeschränkte Vernehmungstheorie im Rahmen des Zugangs geführt hat. So wäre es beispielsweise fragwürdig, den Zugang der Erklärung zu bejahen, jedoch mit einem anderen Inhalt als demjenigen, den der objektive Empfänger zugrundelegen würde. Beispiel: 24 Wenn der Arbeitgeber gegenüber einem seiner ausländischen Arbeitnehmer mündlich erklärt, er könne sich „im Lohnbüro seine Arbeitspapiere abholen“, so ist diese Aufforderung nach dem üblichen Sprachgebrauch aus objektiver Empfängersicht als Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen, 25 auch wenn der konkrete Arbeitnehmer möglicherweise eine inhaltlich abweichende Vorstellung mit der Erklärung damit verbindet. Die Erklärung ist dem Arbeitnehmer mit der Bedeutung zugegangen, die sie nach der objektiven Verkehrsbedeutung, hier also nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, hat. Der Fall ist heute insofern nicht mehr praktisch, als der betroffene Arbeitnehmer inzwischen durch das Schriftformerfordernis des § 623 BGB geschützt wird.

bb) Gleichwohl muß genau untersucht werden, ob in bestimmten Fällen „Randkorrekturen“ bei der Auslegung zugunsten des ausländischen Empfängers durchgeführt werden können oder müssen. Entsprechendes kommt bei der Interpretation von Verträgen bei der Anwendung der vom BGH in ständiger Rechtsprechung vertretenen Figuren der ergänzenden und der beiderseits interessengerechten Auslegung in Betracht. 26 Die Bejahung des Zugangs einer unter Anwesenden abgegebenen mündlichen Erklärung gemäß der eingeschränkten 24

In Anlehnung an LAG Baden-Württemberg DB 1961, 1620. Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 35. 26 Siehe dazu Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 43 f. sowie ausführlicher unten D. In der Entscheidung BGH NJW 1998, 2280 (2281), die die Zulässigkeit der Bürgschaft auf erstes Anfordern betraf, kommt die Schutzfunktion der interessengerechten Auslegung besonders beiläufig zum Ausdruck. Der BGH führt aus, daß bei Verträgen, deren Bestimmungen nicht dem AGB-Gesetz unterliegen, der Schutz von Personen, die mit dem Inhalt und den Rechtsfolgen einer Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht hinreichend vertraut sind, „durch eine interessengerechte Auslegung der Willenserklärungen sowie dadurch zu verwirklichen [ist], daß den geschäftskundigen Teil besondere Hinweis- und Aufklärungspfl ichten treffen, wenn derjenige, der eine solche Verpfl ichtung übernehmen soll, nach Treu und Glauben eine Belehrung erwarten darf, durch die ihm der Unterschied zur gesetzlichen Bürgschaft sowie die daraus folgenden Risiken deutlich vor Augen geführt werden.“ Bei Verletzung der Hinweispflicht komme nur ein gewöhnlicher Bürgschaftsvertrag zustande. Dasselbe sei i.d.R. anzunehmen, wenn beiden Vertragsparteien die notwendige Rechtskenntnis gefehlt haben. 25

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Vernehmungstheorie muß logisch nicht zwingend auch in jedem Einzelfall zur Folge haben, daß die Erklärung bei Vorhandensein intellektueller oder sprachlicher Defizite auf seiten des Adressaten nicht doch „in seinem Sinne“ ausgelegt werden kann. Diese Vorüberlegungen machen deutlich, daß der Grundsatz der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont noch der näheren Untersuchung bedarf. c) Die verschiedenen Stufen der Auslegung aa) Der Auslegungsvorgang vollzieht sich bei Willenserklärungen in mehreren Stufen.27 Der Auslegung nach dem Empfängerhorizont geht dabei die Erforschung des wirklichen Willens der an einem Rechtsgeschäft Beteiligten immer vor. 28 Das beruht darauf, daß eine Willenserklärung, also das Mittel privater Setzung einer rechtlichen Regelung kraft Parteiwillens, ihre Geltung von eben diesem Parteiwillen ableitet. Deshalb wäre es, wenn bei keinem der Beteiligten ein Mißverständnis vorliegt, nicht zu rechtfertigen, eine andere rechtliche Regelung als die wirklich gewollte zur Geltung zu bringen, dies selbst dann nicht, wenn die Erklärung diesen Willen nicht oder nicht genau wiedergibt. 29 Unbeachtlich ist daher, wenn der Wortlaut der Erklärung(en) objektiv etwas anderes bedeutet als das Verständnis, das die Parteien ihren Erklärungen zugrunde gelegt haben: falsa demonstratio non nocet.30 Nach der Rechtsprechung tritt die Bedeutung des Wortlauts bei der Auslegung völlig zurück, wenn die Vertragschließenden mit einem unvollkommenen, unrichtigen oder einem sogar sinnlosen Ausdruck 31 eine übereinstimmende Vorstellung bestimmten Inhalts verbunden haben, der von dem Wortlaut nicht ohne weiteres oder überhaupt nicht gedeckt ist.32 Stimmt der innere Wille der Parteien überein, wird demnach allein

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Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 29. A.a.O., Rn. 19 unterscheiden vier einzelne Auslegungsschritte: (1) Bestimmung des Gegenstands der Auslegung, (2) Überprüfung der tatsächlichen Übereinstimmung des Willens und der Vorstellungen, (3) Ermittlung der normativen Erklärungsbedeutung nach dem Empfängerhorizont und mangels eines solchen nach dem verkehrstypischen Verständnis sowie (4) Prüfung der Zurechenbarkeit des Auslegungsergebnisses gegenüber den Beteiligten. Nach dieser Zählung ist die Ermittlung der Erklärungsbedeutung aus dem Empfängerhorizont also erst der dritte Schritt. 28 BGH NJW 1984, 721; BGH, Urt. v. 25. 1. 1990 – IX ZR 101/89 (juris); BGHZ 121, 13 (16) = NJW 1993, 721; BGH NJW 1994, 1528; BGH NJW 2001, 144. 29 So – wörtlich – BGH NJW 1984, 721. 30 Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 30; Medicus, BGB AT, Rn. 327; MüKo BGB/MayerMaly, 42001, § 133 Rn. 14; Flume, BGB AT, § 16 2 a (S. 303); aus der Rechtsprechung siehe RGZ 99, 147 (148) – Haakjöringsköd; BGH NJW 2002, 1038. Der Grundsatz falsa demonstratio non nocet gilt nicht nur für formbedürftige Rechtsgeschäfte, sondern für alle empfangsbedürftigen Willenserklärungen und Verträge, siehe Flume, a.a.O., § 16 2 a (S. 304 oben). 31 RGZ 68, 6 – Semilodei. 32 BGHZ 20, 109 (110) = NJW 1956, 665, zur Vertragsauslegung.

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auf den sog. „natürlichen Konsens“ abgestellt und der normativ verstandene Erklärungsgehalt ist unbeachtlich.33 bb) Für die hier zu untersuchenden Fragestellungen ist der zu Recht angenommene Vorrang des wirklichen Willens – jenseits der Fälle übereinstimmend unzutreffend interpretierter fremdsprachiger Begriffe (wie „act of God“ oder „Haakjöringsköd“) – ohne echte praktische Relevanz, da er voraussetzt, daß beide Parteien denselben Willen, wenn auch unvollständig oder falsch, erklärt haben. Die „Sprachrisiko“-Problematik ist jedoch gerade durch das Vorhandensein eines Mißverständnisses mindestens eines der Beteiligten gekennzeichnet. cc) Nach zutreffender Auffassung des BGH darf der Richter die Auslegung nicht abbrechen, wenn es ihm nicht gelungen ist festzustellen, was der Erklärende wirklich gewollt und daß der Empfänger die Erklärung in diesem Sinne verstanden hat. Vielmehr kommt es alsdann nach der Rechtsprechung in einer weiteren Stufe des Auslegungsvorganges gemäß §§ 133, 157 BGB darauf an, wie der Empfänger der empfangsbedürftigen Willenserklärung diese bei objektiver Würdigung aller Umstände und mit Rücksicht auf Treu und Glauben zu verstehen hatte.34 Dementsprechend soll nun sogleich zu der zweiten Stufe der Auslegung, nämlich der Würdigung des Erklärungsinhalts aus Empfängersicht, übergegangen werden. II. Die Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB und die Lehre vom Empfängerhorizont 1. § 133 und § 157 BGB a) Bei unbefangener Lektüre des BGB scheint ein grundlegender Unterschied zwischen der Auslegung von Willenserklärungen und der Auslegung von Verträgen zu bestehen. Während § 133 BGB für die erstgenannten die Erforschung des wirklichen Willens einfordert, sollen letztere so ausgelegt werden, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte35 es erfordern, d. h. offenbar nach einem objektiven Maßstab.36 In Wahrheit spielt – entgegen dem Wortlaut des § 133 BGB – der wirkliche (innere) Wille des Erklärenden als psychische Tatsache bei der Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen nach heutigem Kenntnisstand keine Rolle.37 Auch darauf, wie der Erklärende seine Verlautbarung subjektiv verstanden hat, kommt es nicht (allein) an. § 133 BGB statuiert nach modernem Verständnis vor allem ein Verbot der Buchstabeninterpretation. 33

S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 237. BGH NJW 1984, 721. 35 Zum Begriff der Verkehrssitte ausführlich Flume, BGB AT, § 16 3 d (S. 312 ff.). Es handelt sich dabei um die den (Handels-)Verkehr beherrschende tatsächliche Übung. 36 Vgl. AnwKomm BGB/Looschelders, § 133 Rn. 3. 37 AnwKomm BGB/Looschelders, § 133 Rn. 25, 35. 34

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b) In Rechtsprechung und Literatur herrscht seit langer Zeit Einigkeit darüber, daß die Verständnismöglichkeiten des Empfängers für die Auslegung empfangsbedürftiger Erklärungen bedeutsam sind, sog. Lehre vom Empfängerhorizont. Das BGB schützt das Vertrauen des Adressaten auf die objektive Bedeutung des Erklärten, wenn dieser den davon abweichenden Willen des Erklärenden nicht verstanden hat.38 Deshalb sind Treu und Glauben sowie die Verkehrssitte gemäß § 157 BGB bei der Auslegung beachtlich,39 sog. objektivnormative Auslegung.40 Die Auslegung von Willenserklärungen bewegt sich damit immer im Spannungsverhältnis zwischen zwei Rechtsprinzipien, nämlich dem Willensprinzip (scil. Privatautonomie, Selbstbestimmung) und dem Verantwortlichkeitsprinzip (scil. Selbstverantwortung, Verkehrsschutz).41 c) Ein grundlegender Unterschied des Deutungshorizonts zwischen der Auslegung von Willenserklärungen und der Auslegung von Verträgen besteht – entgegen der scheinbaren Dichotomie von § 133 und § 157 BGB – nach der ganz überwiegenden Meinung von Rechtsprechung und Schrifttum nicht.42 Die genannten Regelungen des BGB über die Auslegung beruhen auf der Vorstellung, daß der Wille des Erklärenden für die Interpretation seiner Erklärung entschei38

Staudinger/Singer, § 133 Rn. 11. Exkurs: Das Verhältnis von § 157 BGB zu § 242 BGB ist im Hinblick auf die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen unklar. Flume, BGB AT, § 16 3 a (S. 309) meint dazu, es gebe heute keine klare Abgrenzung mehr zwischen § 157 BGB und § 242 BGB. In Entscheidungen würden die Vorschriften oft auch nebeneinander genannt, ohne daß ihre Anwendung gegeneinander abgegrenzt würde. § 242 BGB habe insofern einen weiteren Anwendungsbereich, als er nicht auf rechtsgeschäftlich begründete Verpflichtungen beschränkt sei. In der Anwendung überschnitten sich die Vorschriften insbesondere hinsichtlich der ergänzenden Auslegung. Die Überschneidung sei ohne Belang, da beide Vorschriften keinen konkreten Inhalt hätten. Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 105 sieht demgegenüber einen unterschiedliche Sinn in dem Hinweis auf Treu und Glauben in § 157 BGB und § 242 BGB: Bei der Auslegung nach § 157 BGB stelle sich der Richter auf den Standpunkt der Parteien und frage, welche Bedeutung die Erklärung für sie hatte. Bei der Ergänzung nach § 242 BGB stelle er sich auf den Standpunkt des Gesetzgebers und frage, welche allgemeingültige Regelung er als Gesetzgeber für diesen Fall treffen würde. Die Rechtsprechung nimmt teilweise einen Vorrang des § 157 BGB vor § 242 BGB bei der Auslegung an, so ausdrücklich etwa BGHZ 9, 273 (277) und BGHZ 16, 4 (8) unter Hinweis auf Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 314. In der praktischen Anwendung des Gedankens von Treu und Glauben im Rahmen der Auslegung besteht kein Konfl ikt, so daß die unterschiedlichen dogmatischen Grundauffassungen keine unterschiedlichen praktischen Ergebnisse zur Folge haben. Der Grundsatz von Treu und Glauben wäre selbstverständlich auch dann gültig, wenn es weder § 157 BGB noch § 242 BGB gäbe (zutreffend Flume, a.a.O., § 16 3 a, S. 308). Nach der vorzugswürdigen Auffassung der zitierten älteren Rechtsprechung ist der Gedanke von Treu und Glauben, soweit es um die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen geht, gleichwohl bei § 157 BGB zu verankern, weil diese Vorschrift für die Auslegung gilt. Aus § 242 BGB können ggf. selbständige vertragliche Nebenpfl ichten abgeleitet werden. 40 Staudinger/Singer, § 133 Rn. 11 a. E., 18. 41 Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 31 f. betreffend die Lehre von Manigk. 42 Staudinger/Singer, § 133 Rn. 3; Flume, BGB AT, § 16 3 a (S. 308); Medicus, BGB AT, Rn. 320 f.; so schon Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 7 m. w. N.; vgl. auch BGHZ 21, 319 (328). 39

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dend sei (Auslegung als Tätigkeit der Willenserforschung, „Willenstheorie“43); 44 der von Jhering45 schon früh formulierte Standpunkt, in der Interpretation werde nicht der wirkliche Wille des Redenden ermittelt, sondern darüber entschieden, wie der Gegner die Erklärung nach den ihm vorliegenden Umständen habe auffassen müssen, war seinerzeit von den Entwurfsverfassern des BGB als unhaltbar angesehen worden.46 Der historische Gesetzgeber hat ganz bewußt auf die Festlegung allgemeiner Auslegungsregeln verzichtet, weil er dem Richter keine „Belehrungen über praktische Logik“ durch solche Regeln erteilen wollte.47 Er hat die Notwendigkeit des § 133 BGB selbst als „fraglich“ bezeichnet; wegen der positiven Wirkungen des gleichen Ausspruchs in Art. 278 HGB kam es schließlich zu dessen Aufnahme in das BGB, 48 während Albert Gebhard, der Redaktor des Allgemeinen Teils für den Ersten Entwurfs des BGB, noch gegen die Aufnahme einer Auslegungsregel plädiert hatte, die sich gegen die verborum interpretatio richtet.49 43 Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 59 bezeichnet als den „Kerngedanken“ der Willenstheorie, daß der Wille als solcher die rechtsschöpferische Kraft sei, die nur irgend eines äußeren Erkennungszeichens bedürfe, um ihre Wirkungen zu entfalten. Die bekanntesten Vertreter dieser Theorie waren Savigny, Windscheid und Zitelmann. Gemäß dieser Theorie wird die Willenserklärung als die Mitteilung eines Wollens qualifiziert, auf das sich wiederum die Auslegung bezieht, vgl. Larenz, a.a.O., S. 61 f. 44 Siehe dazu Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 278; Larenz/Wolf, BGB AT, § 24 Rn. 26. 45 In: Jb. f. d. Dogmatik d. heutigen röm. u. dt. Privatrechts, Bd. 4 (1861), S. 1 (72 mit Anm. 78): „(. . .) der Richter darf also solche Thatsachen und Umstände, welche zwar den wirklichen Willen des Redenden außer Zweifel setzen, aber dem Gegentheil nicht bekannt waren oder bekannt zu sein brauchten, nicht berücksichtigen, er hat m. a. W. nicht die Frage zu entscheiden: was war der wirkliche Sinn der Erklärung des Redenden, sondern wie mußte der Gegner nach den ihm vorliegenden Umständen sie auffassen.“ 46 Siehe Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 278 mit Fn. 7. 47 Motive, Bd. I, § 73 (S. 155): „(. . .) Vorschriften dieser Art sind im Wesentlichen Denkregeln ohne positiv rechtlichen Gehalt; der Richter erhält Belehrungen über praktische Logik. Dabei liegt die Gefahr nahe, daß die Vorschriften für wirkliche Rechtssätze genommen werden und daß der Sinn des gesprochenen Wortes als die Hauptrichtschnur behandelt wird, von welcher nur insoweit abgewichen werden dürfe, als das Gesetz dies besonders erlaubt habe, während doch die Aufzählung aller möglicherweise maßgebenden Umstände im Gesetze nahezu ausgeschlossen ist.“; siehe dazu auch Flume, BGB AT, § 16 3 a (S. 307 f.). – Vgl. weiter die Feststellung von Albert Gebhard im Ersten Entwurf: „Regel bleibt, daß der Richter bei Lösung der Willensfrage vom Gesetz ein Wegweiser nicht gesetzt werden kann. Die praktische Logik ist wegen ihrer Unerschöpfl ichkeit nicht kodifizierbar.“, in: Schubert, Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, AT Bd. 2, S. 271 (= S. 251 des Originaldrucks von 1881). Die Aussage bezieht sich auf gesetzliche Bestimmungen, welche den Schluß von einer Handlung auf den Willen ziehen. 48 Motive, ebd. (Fn. 47). 49 Siehe Schubert, Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, AT Bd. 2, S. 274 (= S. 254 des Originaldrucks). Wörtlich heißt es an der angegebenen Stelle: „Mit der Aufstellung solcher Regeln ist wenig geholfen. Sie enthalten keinen Befehl und keine Bedrohung mit dem Rechtsnachtheil einer ungünstigen Auslegung, sondern kehren sich gegen eine kurzsichtige Beachtung des Willensdogma. Dabei liegt die Gefahr nahe, daß man sie für wirkliche Rechtssätze

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d) Die §§ 133, 157 BGB werden von der Literatur bis heute als „vage und konkretisierungsbedürftig“ bezeichnet.50 § 157 BGB wird weithin als „Basisnorm objektiv normativer Auslegung“ verstanden.51 Ausgehend von der Prämisse, daß für die Auslegung nach § 157 BGB der Empfängerhorizont maßgeblich sei, ist im folgenden zu klären, was sich dahinter genau verbirgt: ein rein normativobjektiver, ein auch-subjektiver oder ein „vereinheitlicht“ objektiv-subjektiver Auslegungsmaßstab? Die Klärung dieser Frage ist notwendig, um die nachgeordnete Problematik bestehender Sprachdefizite auf Empfängerseite rechtlich bewältigen zu können. 2. Die Lehre vom Empfängerhorizont Die Lehre vom Empfängerhorizont wurde von Rechtsprechung und Lehre entwickelt. Sie ist heute unbestritten für die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen maßgeblich.52 a) Eine frühe Umschreibung des Empfängerhorizonts stammt aus dem berühmt gewordenen Beitrag von Philipp Heck mit dem Titel „Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz“: 53 „Unter dem Empfängerhorizont verstehe ich die Gesamtheit des Materials, das dem hypothetischen Ausleger zugerechnet wird, sowohl das Umstandswissen wie das Regelwissen, also sowohl die Kenntnis der vorausgegangenen Verhandlungen, begleitenden Umstände, als die Kenntnis von Sprache und Verkehrssitte“. b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es im Rechtsverkehr bei der Auslegung von Willenserklärungen stets „auf den objektiven Erklärungswert an, darauf also, wie sich die Erklärung nach Treu und Glauben für den Empfänger darstellt“.54 Gemäß einer Standardformulierung ist darauf abzustellen, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen mußte.55 Durch nimmt und den Sinn des gesprochenen Wortes als die Hauptrichtschnur betrachtet, von welcher nur insoweit abgewichen dürfe, als dies der Gesetzgeber besonders erlaubt hat, während doch die Aufzählung aller möglicherweise konkludenten Umstände geradezu ausgeschlossen ist. Der Entwurf glaubt deshalb, sich der Aufnahme solcher Vorschriften enthalten zu dürfen.“ 50 Staudinger/Singer, § 133 Rn. 5; Flume, BGB AT, § 16 3 a (S. 308). 51 Staudinger/Singer, § 133 Rn. 5. 52 Die Lehre vom Empfängerhorizont gilt nicht für die Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments, siehe z. B. BGH NJW-RR 2002, 292. Gleiches gilt – mangels Empfangsbedürftigkeit der Willensbetätigung – für die Fälle des § 151 S. 1 BGB, siehe BGH NJW 2000, 276 (277), BGHZ 111. 97 (101) = NJW 1990, 1655. 53 Heck, AcP 112 (1914), 1 (43). 54 BGHZ 36, 30 (33) zu der Frage, ob jemand als Vertreter oder im eigenen Namen handelt. 55 BGHZ 47, 75 (78); BGH LM Nr. 18 zu § 157 BGB (Ga) (insoweit in MDR 1971, 208 und JZ 1971, 505 nicht abgedruckt); BGH NJW 1986, 984 (985); BGH NJW 1988, 2878; BGH BauR 1999, 668; ähnlich auch BGH NJW 1984, 721.

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Formulierungen dieser Art, die sich am Wortlaut des § 157 BGB orientieren, wird zum einen klargestellt, daß der objektive Erklärungswert und nicht die subjektiven Vorstellungen des Erklärenden für die Auslegung entscheidend sind.56 Zum anderen wird der Zeitpunkt für die bei der Auslegung zu berücksichtigenden Umstände auf den des Zugangs festgelegt.57 Nach der Rechtsprechung sind nur diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die dem Empfänger bei Zugang der Willenserklärung erkennbar waren. Aus Umständen, die erst nach Zugang der Erklärung zutage treten, kann mithin nicht der Schluß gezogen werden, daß der Empfänger diese Erklärung in einem anderen als in dem zum Zeitpunkt des Zuganges erkennbaren Sinn verstehen mußte.58 Bei der Auslegung eines Rechtsgeschäfts kann das nachträgliche Verhalten der Partei nur in der Weise berücksichtigt werden, daß es Rückschlüsse auf ihren tatsächlichen Willen und ihr tatsächliches Verständnis im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung zulassen kann.59 3. Die Auslegungsregeln des UN-Kaufrechts Das Schrifttum weist hinsichtlich des Unterschieds zwischen dem tatsächlichen und dem normativen Verständnis von Willenserklärungen ergänzend auf die UN-kaufrechtliche Regelung des Art. 8 CISG hin. 60 Art. 8 Abs. 2 formuliert mit der „vernünftigen Person in der gleichen Art wie die andere Partei“ einen normativen Maßstab für die Auslegung von Willenserklärungen nach dem Übereinkommen. 61

56 Siehe z. B. BGH NJW 2007, 64 (65): Maßgebend für die Auslegung des Schreibens des Klägers – des Erklärenden – sei nicht, welche Schlüsse er, der Kläger, daraus gezogen habe. Für die Auslegung des Schreibens komme es vielmehr auf den objektiven Empfängerhorizont an. 57 Siehe Flume, BGB AT, § 16 3 c (S. 310) m. w. N. 58 BGH NJW 1988, 2878. 59 BGH NJW-RR 2007, 529. 60 Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 15. – Exkurs: Nach Art. 8 CISG gilt für die Auslegung und Erklärung von Verhaltensweisen im einzelnen folgendes: Gemäß Abs. 1 sind Erklärungen und das sonstige Verhalten einer Partei nach deren Willen auszulegen, wenn die andere Partei diesen Willen kannte oder darüber nicht in Unkenntnis sein konnte. Ist das nicht der Fall, hat die Auslegung gemäß Abs. 2 so zu erfolgen, wie eine vernünftige Person der gleichen Art wie die andere Partei sie unter den gleichen Umständen aufgefaßt hätte. Um den Willen einer Partei oder die Auffassung festzustellen, die eine vernünftige Person gehabt hätte, sind nach Abs. 3 CISG alle erheblichen Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Verhandlungen zwischen den Parteien, die zwischen ihnen entstandenen Gepflogenheiten, die Gebräuche und das spätere Verhalten der Parteien. 61 Ähnlich Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 15: „ein normativer Maßstab, an Hand dessen zu bestimmen ist, welche Anforderungen an die Auslegungssorgfalt des Erklärungsempfängers zu stellen sind“.

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4. Berücksichtigung subjektiver Elemente? Nach den Grundsätzen der Lehre vom Empfängerhorizont dürfte sich eine „konkrete Betrachtungsweise“ der Person des Empfängers unter Einschluß seines intellektuellen und sprachlichen (Un-)Vermögens verbieten; vielmehr legt diese Lehre einen modellhaft-abstrakten62 , eben verobjektivierten Empfänger (den „hypothetischen Ausleger“ i. S. Hecks) statt eines konkreten Individuums als Bezugspunkt der Auslegung nahe. Der subjektiv-konkrete Empfängerhorizont scheint danach bei der Auslegung keine Rolle zu spielen. Man könnte es dabei bewenden lassen, wenn nicht eine Analyse der einschlägigen Literatur gewisse Zweifel an der Allgemeingültigkeit dieser Feststellung zulassen würden. Nicht selten wird nämlich im Schrifttum auf die Objektivierung des Empfängerhorizonts – zumindest nach dem Wortlaut der verwendeten Umschreibung – verzichtet, was zu Mißverständnissen führen kann. 63 Manche Äußerungen in der Literatur können teilweise als Versuch einer Überwindung des Dualismus zwischen subjektiver und objektiver Auslegung verstanden werden. 64 Zudem stellt aber auch die Rechtsprechung bisweilen ausdrücklich auf subjektive Umstände auf seiten des Empfängers ab. 65 Wären danach die subjektiven Fähigkeiten des konkreten Empfängers beachtlich, so müßte man fragen, 62 Auf einen „abstrakten Empfängerhorizont“ stellt BGH NJW-RR 2006, 491 (492) bezüglich der Auslegung eines Insolvenzplans ab. Diese Auslegung steht nach der Rechtsprechung im Gegensatz zu einer Auslegung „nach dem objektiven Erklärungsbefund“ (a.a.O., S. 493), wie sie bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Gesellschaftsverträgen von Publikumsgesellschaften, Emissionsprospekten und Satzungen von Körperschaften stattfi ndet. Diese Regelungen richten sich an einen weiten, im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung nicht absehbaren Personenkreis, dem der Wille des bzw. der Erklärenden nicht bekannt sein kann. Demgegenüber muß eine Bestimmung in dem gestaltenden Teil des Insolvenzplans nach Ansicht des BGH (ebd.) aus dem Empfängerhorizont, d. h. „nach dem ungekünstelten Verständnis derjenigen, an die sich die Erklärung richtet – das sind die den Insolvenzplan beschließenden Gläubiger und allenfalls noch der Schuldner, der dem Insolvenzplan widersprechen kann (§ 247 I InsO)“, ausgelegt werden. 63 Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 19 II a (S. 339 f.): Es sei anerkannt, „daß die Auslegung empfangsbedürftiger Erklärungen mit Rücksicht auf die Verständnismöglichkeiten des Empfängers der Erklärung zu erfolgen hat. Dieser hat sich seinerseits in den Grenzen zumutbarer Sorgfalt zu bemühen, die Meinung des Erklärenden zu erkennen.“; ebenso Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 6: „(. . .) Vielmehr kann nach Sinn und Zweck des Zugangs die Willenserklärung nur mit dem Inhalt gelten, wie er beim Empfänger angekommen ist. Ziel ist deshalb die Auslegung nach dem Empfängerhorizont, d. h. zu ermitteln, wie der Empfänger, dem die Willenserklärung zugehen muß, diese verstehen konnte. Bei dieser Form der Auslegung können nicht alle, sondern nur solche Erkenntnismöglichkeiten herangezogen werden, die dem Empfänger bei gehöriger Anstrengung erkennbar waren (. . .)“; Medicus, BGB AT, Rn. 323: „Der Inhalt der empfangsbedürftigen Willenserklärung ist also von der beim Zugang gegebenen (. . .) Verständnismöglichkeit des Empfängers (dem Empfängerhorizont) her zu bestimmen.“ 64 So namentlich bei Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, passim. Das Zitat aus seinem Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des BGB in der vorigen Fußnote ist Ausdruck dieses Verständnisses. 65 BGH BB 2006, 2494 betreffend die Auslegung eines Treuhandvertrages; BGH NJW 2005, 1115; BGH NJW 2004, 2156.

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ob auch fehlende oder unzureichende Sprachkenntnisse des tatsächlichen Empfängers bei der Auslegung aus dem Empfängerhorizont Berücksichtigung finden müssen. 66 Eine genaue Analyse der Rechtsprechung rechtfertigt diese Annahme indessen nicht. Die subjektive Tendenz der betreffenden Aussagen läßt sich nämlich entkräften, wenn man zwischen dem subjektiven Bekanntsein von bestimmten Umständen (Tatsachen) und der Interpretation von Willenserklärungen und den diesbezüglichen sprachlichen Fähigkeiten trennt. Nur für ersteres liefert die untersuchte Rechtsprechung eindeutige Belege. 67 5. Die rein objektive Betrachtungsweise der Rechtsprechung a) Bisweilen hat die höchstrichterliche Rechtsprechung ausdrücklich klargestellt, daß die Auslegung aus dem Empfängerhorizont eine rein objektive Betrachtungsweise verlange. Dies gilt nicht nur für die Interpretation bestimmter gesetzlicher Begriffe 68 oder für das Verständnis von Allgemeinen Geschäftsbedingungen69, sondern auch in bezug auf Willenserklärungen und die Beurteilung ihnen ähnlicher Handlungen wie z. B. der Leistungsbestimmung im Bereicherungsrecht70 . Sogar zur Auslegung von Leistungsbeschreibungen in Vergabeverfahren nach der VOB/A hat der BGH mehrfach entschieden, daß „der objektive Empfängerhorizont, also die Sicht der potentiellen Bieter“ maßgebend sei.71 Wenn bei der Auslegung die Frage gestellt wird, wie der Empfänger die Erklärung auffassen durfte, ist dessen subjektives Verständnis also offensichtlich ebensowenig entscheidend wie der jeweilige Wille des Erklärenden.72 Vielmehr wird der Erklärung ein normatives Verständnis zugrundegelegt.73 Das Prinzip der normativen Auslegung zielt auf Allgemeingültigkeit ab.74 Gegenüber dem als Ideal angestrebten übereinstimmenden Verständnis der an dem 66 Vgl. auch Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (468): Fraglich sei, ob – wenn relevante Begleitumstände fehlen – bei der Auslegung einer aus der Sicht ihres Empfängers fremdsprachigen Willenserklärung der normale Wortsinn der gebrauchten Sprache, die durchschnittliche Kenntnis dieser Sprache im Lande des Empfängers oder seine individuelle Sprachkenntnis zugrunde zu legen sei. 67 Siehe z. B. BGH BB 2006, 2494: „Für die Auslegung einer Willenserklärung sind nur solche Umstände heranzuziehen, die dem Erklärungsempfänger bekannt oder erkennbar waren.“ 68 Siehe dazu BGH NJW 2004, 3555 zur Auslegung des Begriffs „Sender“ einer Gewinnmitteilung gemäß § 661a BGB aus der Sicht eines durchschnittlichen Verbrauchers in der Lage des Empfängers. 69 Siehe dazu BGHZ 101, 271 (273 f.). 70 BGH NJW 1986, 251 (1. Leitsatz). 71 BGH NJW 2002, 1952; BGH NZBau 2000, 500; BGH BauR 1999, 897 = ZfBR 1999, 256; BGH BGHZ 124, 64 = BauR 1994, 236 = ZfBR 1994, 115; BGH BauR 1994, 625 = ZfBR 1994, 222; BGH 1993, 595 = ZfBR 1993, 219. 72 Leipold, BGB I, § 15 Rn. 12. 73 Leipold, BGB I, § 15 Rn. 19; ebenso Medicus, BGB AT, Rn. 323 in Anlehnung an Flume („normativer Wille“ als dasjenige, was von Rechts wegen als gewollt zu verstehen ist). 74 Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (468 f.).

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Rechtsgeschäft Beteiligten ist die normative Auslegung lediglich ein „Notbehelf“75 . Der Erklärungsempfänger wird dahingehend verobjektiviert, daß die zu treffenden Wertungen an einem „reasonable man“ ausgerichtet und außerdem die Umstände, unter denen die Erklärung erfolgt, mit einbezogen werden.76 Die Auslegung ist folglich aus der Sicht eines objektiven Dritten an der Stelle des konkreten Empfängers vorzunehmen. Dieser „vernünftige Empfänger“ liegt auch Art. 8 Abs. 2 CISG zugrunde. Eine „Individualisierung“ oder „Subjektivierung“ des Empfängerhorizonts findet nicht statt. Die Wortlautauslegung aus Sicht des Empfängers ist mithin eine „generelle“, bei der es auf die Ermittlung der normalen, typischen Bedeutung ankommt.77 b) Titze hat bereits im Jahr 1910 festgestellt, daß bei der Auslegung von Verkehrsgeschäften „rein objektiv“ zu verfahren sei: Inhalt der Erklärung sei „das Rechtsprogramm, das der Erklärende nach der Auffassung der Allgemeinheit durch sein Verhalten zum Ausdruck gebracht hat“.78 Dieser Feststellung schloß sich die Kritik von Titze an, daß dieser Satz, der in der Sache „geradezu als Gemeingut der heutigen Doktrin“ bezeichnet werden könne, häufig in der unrichtigen Formulierung erscheine, „es habe im Verkehrsleben die Auslegung stets vom Standpunkt des Erklärungsempfängers zu geschehen“. Dadurch werde der Empfänger „ohne weiteres mit einem objektiv auslegenden Menschen identifiziert“, was irreführend sei.79 Auch heute noch kann man sagen, daß die Bezeichnung der normativen Auslegungsmethode als Lehre vom Empfängerhorizont überaus unglücklich gewählt ist. 80 6. Die objektive Auslegung fremdsprachiger Begriffe Die Praktizierung der Lehre vom Empfängerhorizont bedeutet auch unter Geltung des deutschen materiellen Rechts nicht, daß die Auslegung von Willenserklärungen schlechthin aus der Sicht eines deutschsprachigen objektiven Empfängers zu erfolgen habe. Die Rechtsprechung hat dies namentlich für die Verwendung fremdsprachiger Begriffe klargestellt. 81 Bei Verträgen, die dem 75

Flume, BGB AT, § 16 3 c (S. 311). Flume, BGB AT, § 16 3 c (S. 311). Bei der Figur des „reasonable man“ handelt es sich um einen normativen Idealtypus, dessen Charakterzüge näherer Bestimmung bedürfen. Diese Figur findet sich vor allem im US-amerikanischen Zivilrecht, siehe vor allem Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 274 ff. mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen. Maßgeblich ist nach dieser Rechtsfigur der Sinn, von dem der Erklärende vernünftigerweise erwarten kann, daß ihn der Empfänger versteht, vgl. Lüderitz, a.a.O., S. 275, 457. 77 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 64 (S. 537). 78 Titze, Mißverständnis, S. 86 f. 79 Titze, Mißverständnis, S. 87 mit Fn. 7. 80 Dies zumal bei der Auslegung, wie noch zu zeigen sein wird, subjektive Elemente auch auf seiten des Empfängers Berücksichtigung finden müssen, was aber von der Lehre vom Empfängerhorizont getrennt betrachtet werden muß. 81 Siehe BGH NJW 1996, 2233 (2234): „Im übrigen wäre es, wenn das Schreiben eine rechtsgeschäftliche Erklärung zum Inhalt gehabt hätte, für deren Verständnis auf den Emp76

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deutschen Recht unterstehen und die fremdsprachige Klauseln enthalten oder vollständig in einer Fremdsprache abgefaßt sind, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob das Verständnis des deutschen oder des fremden Rechts gelten soll. 82 In bezug auf die Lehre vom Empfängerhorizont kann mit der Rechtsprechung nachgewiesen werden, daß die normative Auslegung dabei auch aus der Sicht eines fremdsprachigen Angehörigen eines anderen Rechtskreises erfolgen kann – ohne daß dabei auf einen konkreten ausländischen Empfänger abzustellen wäre. 83 In einem Fall bedeutete dies, daß das englische Wort „property“ statt mit „Eigentum“ (§ 903 BGB) übersetzt zu werden wesentlich weiter – nämlich i. S. von Eigentum, Besitz, Gut, Habe, Vermögen bzw. dem schuldrechtlichen Anspruch auf Übertragung eines Vermögensgegenstands – zu verstehen war. 84 III. Die bei der Auslegung zu beachtenden „Umstände der Erklärung“ Bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen sind – in einem weiteren Schritt nach der Wortlautauslegung – die außerhalb des Erklärungsakts liegenden Begleitumstände 85 einzubeziehen. 86 1. Man könnte fragen, ob sich subjektive Erwägungen im Rahmen der Auslegung von Willenserklärungen vielleicht insoweit anstellen lassen, als bei der Berücksichtigung der Begleitumstände möglicherweise auch solche aus der Sphäre des konkreten Adressaten Eingang in die Interpretation finden können. Doch sind mit den Umständen in diesem Sinne jedenfalls nicht persönliche Fähigkeiten oder Defizite gemeint, denn es kommt nicht auf die Umstände des Erklärungsempfängers, sondern auf die Umstände der Erklärung an. 87 Die fehlende Sprachbeherrschung einer Partei ist als personenbezogener Umstand deshalb kein für die Auslegung beachtlicher Begleitumstand der Erklärung. 2. Die Rechtsprechung hat sich verschiedentlich zur Berücksichtigung von Begleitumständen einer Erklärung geäußert. Dies betrifft zumeist solche Umstände, die für die Sprachenfrage irrelevant sind, wie etwa die „Entstehungsgeschichte“ des Vertragsschlusses – also die Umstände, unter denen ein Vertrag fängerhorizont angekommen. Wie ein englischsprachiger Angehöriger des angelsächsischen Rechtskreises den Begriff ‚property‘ (. . .) verstehen durfte, ist nicht festgestellt.“ 82 Dem wird unten D. III. noch im einzelnen nachgegangen. 83 Vgl. nochmals das Zitat „ein englischsprachiger (. . .)“, nicht: „der englischsprachige Adressat“. 84 Vgl. BGH NJW 1996, 2233 (2234). – Entsprechendes kann man für das englische Verb „to lease“ sagen, das neben dem Abschluß von Leasingverträgen auch die Miete mitumfaßt. 85 Siehe dazu auch Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 41. 86 BGH NJW-RR 2000, 1002 (1003). Larenz, BGB AT, 7. Aufl.1989, § 19 II a (S. 342) unterscheidet zwischen der Erklärung als dem „Gegenstand“ der Auslegung und allen übrigen mit zu berücksichtigenden Umständen als „Hilfsmittel der Auslegung“. Die Begründung dafür lautet, daß nur die Erklärung selbst ein Verhalten ist, dem Kundgabesinn zukommt. 87 So richtig Flume, BGB AT, § 16 3 c (S. 311).

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verhandelt und abgeschlossen wurde – 88 , aber auch Umstände wie die „konkreten Verhältnisse des Bauwerks“ im Zusammenhang der Interpretation der Leistungsbeschreibung bei einer Ausschreibung nach der VOB/A. 89 3. Es finden sich allerdings einige Urteile betreffend die Berücksichtigung der Begleitumstände der Erklärung, die im Zusammenhang mit der Sprachenfrage gewisse Beachtung verdienen. a) So hat der BGH beispielsweise mit Urteil vom 20. Oktober 200590 entschieden, daß bei der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont auch Umstände zu berücksichtigen seien, „welche die Internationalität des Rechtsgeschäftes betreffen“. In casu ging es um die sog. „große FOB-Klausel“ („FOB Zielhafen“). Der von der Beschwerde gestellten Rechtsfrage, ob sich der Erklärungsempfänger bei der Auslegung einer Willenserklärung im internationalen Rechtsverkehr auf die Anwendung der für seine nationale Rechtsordnung geltenden Grundsätze verlassen könne, maß der IX. Zivilsenat keine grundsätzliche Bedeutung bei. Daß die „Internationalität des Rechtsgeschäfts“ bei der Auslegung desselben Beachtung finden muß, trifft zu. Mit einer Pflicht zur Beachtung individueller sprachlicher Fähigkeiten hat das jedoch nichts zu tun. Mit der „Internationalität des Rechtsgeschäfts“ als beachtenswerter Umstand läßt sich beispielsweise die Literaturansicht begründen, daß bei einer Bestellung aus dem Ausland in Kanada unter „Dollar“ im Zweifel kanadische und nicht US-amerikanische Dollar zu verstehen sind.91 Allerdings ist die allgemeinere These „Soweit (. . .) der Sprachgebrauch unterschiedlich ist, muß auf den Sprachgebrauch beim Empfänger abgestellt werden“,92 zumindest mißverständlich. Denn sprachliche Defizite auf seiten des Empfängers rechtfertigen wie dargelegt nicht die Annahme eines „subjektivierten Empfängerhorizonts“, weil es „nicht schlechthin maßgebend sein [kann], wie der Empfänger die Erklärung tatsächlich aufgefasst hat“.93 Wie soeben dargelegt, ist der Empfängerhorizont niemals konkret-individuell, sondern immer objektiv zu verstehen. Das Abstel88

BGH NJW 2004, 2233; BGH NJW-RR 2000, 1002 (1004); BGHZ 63, 359 (362) = NJW 1975, 536; BGH NJW 1981, 2295; BGH NJW 1987, 2437 (2438). – Ein Beispiel dazu: Werden Vergleichsverhandlungen von den beiderseits durch französische Anwälte vertretenen Parteien in Frankreich in französischer Sprache geführt und der daraus resultierende Vergleich in französischer Sprache abgefaßt, liegt es nahe, daß hierfür das französische Recht gelten sollte, selbst wenn der ursprüngliche Vertrag dem deutschen Recht unterstand. 89 BGH NZBau 2002, 500; BGH NJW 2002, 1952; BGHZ 124, 64 (67) = BauR 1994, 236. 90 Az. IX ZR 246/03 (juris). 91 Leipold, BGB I, § 15 Rn. 11. Die Lösung der Währungsfälle ist umstritten, wenn in den Herkunftsländern beider Parteien die Währung denselben Namen trägt, siehe z. B. den Kronenfall bei Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 302. Eine Auslegungsregel des Inhalts, daß in den Fällen der Namensgleichheit immer die Währung des Landes, in dem der Lieferant ansässig ist, maßgeblich ist, läßt sich nicht begründen. Mangels Einigung über die essentialia negotii kann es dann zum Dissens kommen, sofern sich nicht aus den sonstigen Umständen ein klares Auslegungsergebnis ergibt. 92 Leipold, ebd. (Fn. 91). 93 So klarstellend Leipold, BGB I, § 15 Rn. 12.

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len auf den Sprachgebrauch eines verobjektivierten fremdsprachigen Empfängers aus einem fremden Rechtskreis ist aber immerhin insoweit vorstellbar, als es um die Interpretation fremdsprachiger Rechtsbegriffe in Willenserklärungen geht. b) Von Interesse ist weiter ein Urteil des X. Zivilsenats des BGH vom 1. Februar 2000 94 , das die Auslegung der Korrespondenz zu einem Werkvertrag zwischen einem italienischen Besteller und einem deutschen Werkunternehmer zum Gegenstand hatte. Das Berufungsgericht in Deutschland hatte die in italienischer Sprache abgefaßten Schreiben der Klägerin unter Heranziehung eines Wörterbuchs der italienischen Sprache durchgeführt. Die Revision verwies darauf, daß ein vom Berufungsgericht zur Grundlage seiner Auslegung gemachter Begriff95 der italienischen Sprache in der täglichen Verwendung eine andere Bedeutung habe als in der juristischen Fachsprache. Dem hielt der Senat entgegen, daß empfangsbedürftige Willenserklärungen wie diejenigen, die zum Abschluß eines Vertrags führen sollen, nach den §§ 133, 157 BGB aus der Sicht des jeweiligen Erklärungsempfängers auszulegen seien, d. h. danach, wie der Erklärungsempfänger sie nach Treu und Glauben verstehen mußte. Daß der Beklagten die Bedeutung der Begriffe in der italienischen juristischen Fachsprache geläufig gewesen seien und sie mit diesem Inhalt von ihr im täglichen Gebrauch zugrundegelegt würden, hatte die Klägerin nicht geltend gemacht und dafür waren aus der Sicht des Gerichts auch sonst keine Anhaltspunkte ersichtlich. Demgemäß sei davon auszugehen, daß die Beklagte – soweit sie nicht selbst auf Wörterbücher angewiesen gewesen sei – die Erklärungen der Klägerin im Sinne der normalen Umgangssprache verstanden habe.96 Bei fremdsprachigen Willenserklärungen wird der Konflikt zwischen einem fachsprachlichen und dem umgangssprachlichen Verständnis vom Senat zutreffend zugunsten des letzteren entschieden. Methodischer Ansatzpunkt hierfür ist wiederum die Lehre vom Empfängerhorizont. Dieser Lehre wohnt eine sprachenbezogene Komponente inne: Das natürliche Sprachverständnis, also die Umgangssprache genießt – vorbehaltlich besonderer Erklärungsumstände, die zu einer abweichenden Auslegung führen können – Vorrang vor einem speziellen fachsprachlichen Verständnis, das bei bestimmten Verkehrskreisen, nicht aber vom Rechtsverkehr insgesamt, vorausgesetzt werden darf. c) In einem Urteil vom 18. Mai 199997 hat der X. Zivilsenat des BGH festgestellt, daß der Wortlaut der Erklärung zwar die wichtigste, aber nicht die alleinige Erkenntnisquelle sei. Vielmehr müsse zur Ermittlung des Erklärungswerts auch der mit der Äußerung verfolgte Zweck sowie die Interessenlage der Betei94

BGH, Urt. v. 1. 2. 2000 – X ZR 213/98 (juris). Die Urteilsgründe benennen diesen Begriff nicht. Es handelt sich in der Sache offenbar um die „Annulierung“ bzw. „Stornierung“ der Aufträge. 96 Siehe dazu im einzelnen noch unten § 8 D. I. 1. c bezüglich der Auslegung von AGB. 97 Az. X ZR 100/98 (juris). 95

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ligten berücksichtigt werden. Außerdem könne eine Willenserklärung regelmäßig nicht losgelöst von dem Geschehen erfaßt werden, das zu ihr geführt habe. Dagegen ist nichts einzuwenden. Mit dieser Rechtsprechung läßt sich eine Subjektivierung des Empfängerhorizonts ebenfalls nicht begründen. Sie kann aber immerhin zur Berücksichtigung der konkreten Situation der Beteiligten bei der Auslegung führen und damit eine rein objektive Wortlautinterpretation verhindern. d) Schließlich hat der VII. Zivilsenat mit Urteil vom 25. Februar 1999 98 am Beispiel der Auslegung eines Architektenvertrags ausgeführt, daß bei der Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen durch den Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte auch außerhalb der Erklärung liegende Begleitumstände einzubeziehen seien, „soweit sie für den Erklärungsempfänger erkennbar waren und einen Schluß auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen“. Dies entspricht der oben formulierten These, daß es zwar einen subjektiven Erklärungshorizont als Bezugspunkt für die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen nicht gibt, durchaus aber eine Berücksichtigung von aus dem Empfängerhorizont erkennbaren Begleitumständen der Erklärung stattfindet. 4. Die Berücksichtigung der (Begleit-)Umstände der Erklärung ist ein Teilelement der Lehre vom Empfängerhorizont. a) In dogmatischer Hinsicht lassen sich daraus einige Schlußfolgerungen ziehen: (1) Die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände kann zu einem „speziellen Empfängerhorizont“99 führen. Das Auslegungsergebnis aus der Sicht dieses speziellen oder konkretisierten Empfängerhorizonts weicht ggf. von dem „normalen Wortsinn“ ohne Berücksichtigung dieser Umstände ab. Ein und dieselbe Erklärung kann daher mehrere voneinander abweichende „objektive Bedeutungen“ haben.100 (2) Da die Konkretisierung des Empfängerhorizonts auf den Umständen der Erklärung, nicht aber auf den persönlichen Umständen des Erklärungsempfängers beruht, lassen sich individuelle Sprachdefizite des konkreten Empfängers mittels dieser Erkenntnisse nicht erfassen. (3) Ein spezieller Empfängerhorizont liegt rein begriffl ich auch in den Fällen der bewußten Fehlbezeichnungen („falsa demonstratio“) vor, wenn die richtige Bedeutung dem Empfänger bekannt ist. Das gilt z. B. für das berühmte Schul-

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BauR 1999, 668 = ZfBR 1999, 210. Heck, AcP 112 (1914), 1 (44). Verf. nennt als Beispiel dafür die Korrespondenz in einer Geheimsprache. 100 So schon Heck, AcP 112 (1914), 1 (44): „Die Verschiedenheit der Annahmen führt daher zu einer Mehrheit von Unterbegriffen des objektiven Sinns. Dieselbe Erklärung kann eine Mehrheit von objektiven Bedeutungen aufweisen.“ 99

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beispiel der Bezeichnung eines Weinkellers als „Bibliothek“101 oder für die Wahl von Phantasiebezeichnungen. Diese Fälle sind wie gezeigt nach dem Grundsatz, daß ein übereinstimmendes individuelles Wortverständnis Vorrang genießt zu behandeln, so daß die – logisch nachrangige – Lehre vom Empfängerhorizont mit ihrer normativen Interpretation nicht zur Anwendung gelangt. Beispiel zur Problematik der Auslegung von Phantasiebezeichnungen: 102 Die Parteien hatten das Phantasiewort „Semilodei“ als Erklärung einer festen Bestellung von mehreren Tonnen Weißmetall bei dem in New York ansässigen Lieferanten vereinbart. Das RG stellte fest, „Semilodei“ sei an sich nur „ein inhaltsloses Phantasiewort“, „die Erklärung eines inhaltslosen Nichts“.103 Gleiches gelte von der gleichlautenden Annahme der Erklärung. Während die (vermutlich in Hamburg ansässigen) Beklagten die Annahme eines Kaufangebots ohne Garantiezusage hatten abgeben wollen, faßte P. in New York dies infolge unrichtiger Übermittlung durch den Dritten R. in New York als Annahme mit Garantiezusage auf. Das RG verneinte trotz scheinbar übereinstimmenden Wortlauts das Zustandekommen eines Vertrags, nahm also Dissens an.104 In Wahrheit hätte jede Partei durch Gebrauch des Phantasieworts „Semilodei“ etwas anderes im rechtsgeschäftlichen Verkehr erklärt, nämlich P. ein Kaufangebot mit Garantiezusage und die Beklagten die Annahme eines solchen ohne Garantiezusage. Da sich die Parteien über den Punkt der Garantiezusage nicht geeinigt hatten, deckten sich Angebot und Annahme nicht. Es konnte auch nicht zu Ungunsten des P. gesagt werden, er habe sich durch den Gebrauch des von den Beklagten gebrauchten Phantasieworts das angeeignet, was diese damit bezeichnen wollten, so daß der Vertrag ohne Garantiezusage zustandegekommen wäre. Der Fall war daher nach Bereicherungsrecht zu lösen.

b) Das Beispiel macht deutlich, daß auch bei scheinbar eindeutig übereinstimmendem Sprachgebrauch, der von dem herkömmlichen Sprachgebrauch abweicht, Mißverständnisse möglich sind, so daß die Grundsätze der falsa demonstratio keineswegs in jedem Fall des Gebrauchs einer speziellen Terminologie einschlägig sind. 5. Der Bildung eines speziellen Empfängerhorizonts eng verwandt ist die Frage, wie ein unterschiedlicher örtlicher Sprachgebrauch zu bewältigen ist, dessen Vorhandensein den Parteien im Zeitpunkt der Erklärung verborgen geblieben ist. Beispiel: Der Erklärende mit Wohnsitz in Hessen bestellt bei dem Empfänger in Bayern Metallträger mit einer Länge von je „acht ein Viertel Fuß“, die er zur Errichtung einer Grill101

Vgl. dazu Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, S. 158 f.; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 201; Titze, Mißverständnis, S. 106 mit Fn. 1 (zur Testamentsauslegung), S. 201; Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 80 f. (zur Testamentsauslegung); Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 123 (zur Testamentsauslegung). 102 RGZ 68, 6 – Semilodei. 103 A.a.O., S. 8. 104 A.a.O., S. 9.

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hütte benötigt. Dabei soll unterstellt werden, daß die Verwendung der Längeneinheit „Fuß“ in der metallverarbeitenden Branche üblich sei, wobei jedoch der Erklärende davon ausgeht, die Einheit „ein Fuß“ entspreche einer Länge von 25 cm, während der Empfänger 30 cm als Entsprechung zugrundelegt. Wenn beide Vorstellungen in dem jeweiligen örtlichen Umfeld der Parteien verkehrsüblich sind, hat keiner der Beteiligten einen Anlaß, die Richtigkeit seiner Vorstellung in Frage zu stellen. Die schließlich gelieferten Metallträger sind für die Zwecke des Erklärenden zu lang und daher untauglich. Wäre in diesem Fall ein Vertrag zustandegekommen und wenn ja mit welchem Inhalt?

a) Es bereitet erhebliche Schwierigkeiten, in dem Beispielsfall den allgemeinen Vorrang der einen oder der anderen allgemeinen Verkehrsbedeutung der Erklärung zu begründen.105 Jede denkbare allgemeine Festlegung hierzu mutet willkürlich an: Nimmt man den Sprachgebrauch am Ort des Empfängers als maßgeblich an,106 dann kommt es zum Vertragsschluß nach den Vorstellungen des bayerischen Empfängers; der Erklärende muß seine Erklärung nach § 119 BGB anfechten und er haftet dem anderen Teil gemäß § 122 BGB auf das negative Interesse. Es erscheint aber zweifelhaft, warum der Erklärende, wenn er sich eines in seinem räumlichen Umfeld üblichen Ausdrucks bedient, für ein abweichendes Verkehrsverständnis am Ort des Empfängers, das er weder kennt noch kennen muß, schlechthin auf Schadensersatz gemäß § 122 BGB haften sollte.107 105 Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 19 II e (S. 347) zufolge ist bei örtlich verschiedenem Sprachgebrauch der Sprachgebrauch des Ortes maßgebend, an dem die Urkunde ausgestellt ist. Bei Erklärungen an die Öffentlichkeit in Form einer Zeitungsanzeige müsse allerdings wohl der Sprachgebrauch des Verbreitungsgebiets der Zeitung maßgebend sein. Dazu ist kritisch anzumerken, daß damit erstens der Fall der (fern-)mündlichen Erklärung nicht erfaßt ist und zweitens, daß ein einheitlicher Sprachgebrauch im Verbreitungsgebiet einer Zeitung allenfalls für Regionalzeitungen in Betracht kommt; auch ist in manchen Regionen die Einheitlichkeit des Sprachgebrauchs nicht generell gewährleistet. In seiner Habilitationsschrift hat Larenz ohne weitere Begründung den für den Empfänger maßgeblichen örtlichen Sprachgebrauch (den der Erklärende nicht kannte) für entscheidend gehalten, siehe Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 20. Flume, BGB AT, § 16 3 e (S. 316) will bei mehrdeutigen und örtlich verschieden verstandenen Ausdrücken gemäß der gemeinrechtlichen Überlieferung und den dieser entsprechenden Kodifikationen (Art. 1159 frz. Code civil; Art. 1368 ital. codice civile) nach dem Ort der Erklärung oder dem Ort des Vertragsschlusses auslegen. Bei Distanzgeschäften sei aber schon zweifelhaft, welches der für das Geschäft maßgebende Ort ist. Dieser sei auch nicht allein maßgeblich. Die ältere Literatur hat bei Distanzgeschäften die Worte überwiegend in dem Sinn auslegen, den sie am Ort desjenigen haben, der sie gebraucht (Planck/Flad, § 157 Anm. 5; Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, § 25 [S. 224]; Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 388 f.); ebenso das Reichsgericht in RGZ 68, 6 – Semilodei. 106 Was überraschenderweise nicht die Mehrheitsmeinung ist, siehe die vorige Fußnote. 107 So im Ergebnis schon Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 76: „Nicht nur der Gegner muß sich auf die Worte des Erklärenden verlassen können, sondern auch der Erklärende darauf, daß seinen Worten kein anderer Sinn beigemessen wird, als der, den sie für ihn selbst haben konnten. Die Billigkeit verlangt es insbesondere, daß seine Worte nicht an einer Verkehrssitte gemessen werden, die er nicht nur nicht kannte, sondern auch nicht kennen konnte.“ Dies soll nach Larenz aus § 133 BGB folgen, der die Berücksichtigung der dem Erklärenden objektiv möglichen und gebotenen Auffassung (im Gegensatz zu seiner subjektiven Auffassung) fordere. § 133 BGB sei so auszulegen, daß er besage: „Es ist derjenige Sinn zu

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Die Prinzipien der Selbstverantwortung und des Verkehrsschutzes rechtfertigen eine solch weitgehende Haftung jedenfalls nicht per se. Umgekehrt kann sich der Empfänger mit Fug und Recht darauf berufen, er habe die ihm bekannte Wortbedeutung vorausgesetzt und wisse nichts von einer abweichenden Verkehrsbedeutung am Ort des Erklärenden. Daß bei Distanzgeschäften das Wortverständnis des Erklärenden Vorrang haben sollte, ist allenfalls damit begründbar, daß es sich dabei um die für die Auslegung relevante (§ 157 BGB) „örtliche Verkehrssitte“ handelt.108 In dogmatischer Hinsicht ist keine der divergierenden Vorrangthesen zwingend. Vom häufig beschworenen „Wert des Ergebnisses“ her gedacht ergäbe der Vorrang des Verständnisses am (Wohn-)Sitz des Empfängers allerdings einen gewissen Sinn, weil dieser – anders als der Erklärende – keine Anfechtungsmöglichkeit hat und weil die Lehre vom Empfängerhorizont Ausdruck des Prinzips des Verkehrsschutzes ist. b) Nach hier vertretener Auffassung führt ein unterschiedlicher, am Sitz der Parteien jeweils üblicher Sprachgebrauch jedenfalls bei Distanzgeschäften109 im Zweifel zum versteckten Dissens, weil das Mißverständnis weder der Verantwortungssphäre des Erklärenden noch derjenigen des Empfängers eindeutig zugeordnet werden kann.110 Dabei bleibt es sich letztlich gleich, ob man – aberforschen, den der Erklärende als verständlich auch für Ortsfremde ansehen darf“ (zurechenbarer Sinn). 108 Siehe dazu Soergel/M. Wolf, § 157 Rn. 66. 109 Inwieweit lokale Verkehrssitten auch für ihrer unkundige Ortsfremde, die ihre Erklärung am Wohn- oder Geschäftssitz des Gegners abgeben, generelle Geltung beanspruchen, wird hier nicht untersucht; zum Problem der örtlichen Verkehrssitte haben sich ausführlich geäußert Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 388 ff. und Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, § 25 (S. 221 ff.); siehe auch MüKo BGB/Busche, § 157 Rn. 23 (Vorrang der Verkehrssitte am Ort der Erklärungsabgabe). Daß die Verkehrssitte am Abschlußort für die Auslegung grundsätzlich beachtlich ist, wird hier nicht bestritten. Oertmann hat dies a.a.O., S. 399 mit den folgenden Erwägungen begründet: „[W]er sich an einem fremden Orte befi ndet und dort Geschäfte macht, begibt sich damit in einen fremden Verkehrskreis und muß unter allen Umständen damit rechnen, daß Sprachgebrauch und Verkehrsübungen dort von denen seines eigenen Wohnortes abweichen. Wie alsdann der objektive Erklärungsort seiner Erklärungen (. . .) sich nach den Anschauungen des Erklärungsortes bestimmt, so muß auch darüber hinaus für die Beurteilung des abgeschlossenen Geschäfts die dortige Verkehrssitte entscheiden.“ Gleichwohl rechtfertigt dies nicht, den Ort des Vertragsabschlusses zum allein maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Verkehrssitte zu machen, namentlich nicht bei Distanzgeschäften. Die Frage der Beurteilung unterschiedlicher regionaler Verkehrssitten ist ebenso umstritten wie das Problem des regional unterschiedlichen Sprachgebrauchs. Ihnen im einzelnen nachzugehen, ist hier nicht möglich. 110 So im Ergebnis auch RGZ 68, 6 – Semilodei. Dissens erzielt man in diesem Fall auch, wenn man die Erklärungen vom Standpunkt des Gegners auslegt, so zutreffend Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 21, der dieses Resultat allerdings für „befremdlich“ erachtet. A.a.O., S. 74 gelangt er für den von ihm gebildeten Fall der Anmietung einer Wohnung im „Hochparterre“ jedoch ebenfalls zum Dissens, wenn die Parteien aufgrund unterschiedlicher Wortbedeutung in einigen Teilen Deutschlands diesbezüglich abweichende Vorstellungen haben. Zurechenbar sei dem Erklärenden nur die ihm geläufige Bedeutung, und die Erklärung des Gegners würde wiederum in dessen Sinn ausgelegt. A.a.O., S. 75 hält er die Feststellung

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weichend von den herkömmlichen Auslegungsgrundsätzen, aber entsprechend dem Reichsgericht im vieldiskutierten „Semilodei“-Fall – bei der Auslegung die Vorstellungen der Parteien von ihrer eigenen Erklärung zugrundelegt oder ob man die Lehre vom Empfängerhorizont bemüht. Denn die doppelte Anwendung der Lehre vom verobjektivierten Empfängerhorizont führt ebenfalls zu unterschiedlichen Wortverständnissen, weil die objektive Bedeutung der gebrauchten Worte divergiert.111 Zur Erläuterung: In dem Beispielsfall würde ein objektiver Dritter an der Stelle des bayerischen Lieferanten – da ja das in Bayern übliche Verkehrsverständnis112 zugrundelegt werden muß – unter „Fuß“ ein Längenmaß von 30 cm verstehen. Die Annahmeerklärung des Bayern wäre gemäß der Lehre vom Empfängerhorizont – entsprechend der in Hessen üblichen Bedeutung113 – im Sinne von „Fuß = 25 cm“ zu verstehen. Ein absolut objektives Verständnis der Wortbedeutung im Sinne der einen oder anderen Alternative gibt es in diesen Fällen nach hier vertretener Auffassung nicht.

IV. Die „Auslegungssorgfalt“ oder „Auslegungsverantwortung“ des Erklärungsempfängers 1. Begriff a) Der Erklärungsempfänger ist im Hinblick auf die Beachtung der jeweiligen Begleitumstände nicht frei, d. h. er darf Umstände, die für ihn erkennbar zu einer von der generellen Bedeutung abweichenden Interpretation des Wortlauts führen, nicht ignorieren.114 Ihm obliegt vielmehr die Beachtung der sog. Auslegungssorgfalt (auch Auslegungsverantwortung oder Deutungsdiligenz115 gedes Reichsgerichts im „Semilodei“-Fall, daß Dissens vorgelegen habe, trotz übereinstimmenden Wortlauts der Erklärungen für „geboten“. Für Dissens tritt auch Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 133, 388, 401ein, siehe insbesondere S. 406. 111 Zu dem letztgenannten Punkt siehe Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 71 f. 112 Dieses in Bayern übliche Verständnis kann man ebenfalls als einen „speziellen Empfängerhorizont“ bezeichnen. 113 Vgl. Fn. 112. 114 Staudinger/Singer, § 133 Rn. 19; BGH NJW 1981, 2295 (2296); Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (467): „Die Erkennbarkeit mangelhafter Sprachkenntnisse im konkreten Fall und für das konkrete Rechtsgeschäft ist entscheidend.“; siehe auch v. Tuhr, BGB AT II/1, § 64 (S. 539 f.): „Bei der Auslegung der ihm zugehenden Erklärung kann der Empfänger vom objektiven, verkehrsüblichen Sinn der Worte ausgehen, muß dabei aber die ihm bekannten Umstände berücksichtigen, aus denen sich ein abweichender Wille des Erklärenden ergibt (. . .).“; siehe auch RGZ 66, 427 (429): „Der wirkliche Wille hat (. . .) seine erforderliche Erklärung gefunden, wenn der Erklärende, um ihm Ausdruck zu verleihen, das Wort gebraucht, und der Empfänger der Willenserklärung trotz des Fehlgriffs im Wort aus demselben den Sinn entnommen hat, den der Erklärende zur Kundgebung seines Willens mit dem versehentlich gebrauchten Wort verbunden hatte.“ 115 Heck, AcP 112 (1914), 1 (43): „Die Deutungsdiligenz bezieht sich auf Anforderungen, die an die Auslegungsarbeit gestellt werden, auf den Grad der Aufmerksamkeit, dasjenige

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nannt), die ihn dazu verpflichtet, zumindest zu erkennen zu versuchen, was der Erklärende tatsächlich gemeint hat.116 Dem bei normativer Interpretation „klaren Wortlaut“ einer schriftlich oder mündlich formulierten Erklärung kommt danach lediglich eine Indizwirkung zu; d. h. die Erklärung bildet nur dann eine Vertrauensgrundlage für den Empfänger, wenn sie nicht durch das sonstige – ggf. auch nonverbale – Verhalten des Erklärenden entkräftet wird.117 Dies gilt allgemein und nicht nur für Erklärungen, die von Fremdmuttersprachlern auf Deutsch abgegeben werden, sowie gleichermaßen für verkörperte und nicht verkörperte Erklärungen.118 b) Durch die grundsätzliche Anerkennung einer Auslegungsverantwortung des Empfängers der Erklärung wird die normativ-objektive Auslegung gemäß der Lehre vom Empfängerhorizont durch ein selbständiges konkret-subjektives Auslegungselement ergänzt, welches nicht Teil dieser Lehre ist.119 Die Obliegenheit des Empfängers zur sorgfältigen Beachtung der Begleitumstände der Erklärung (wie z. B. Vorverhandlungen, Verkehrssitte usw.) kann sowohl zu Erweiterungen als auch zu Einschränkungen der „allgemeinen Wortbedeutung“ führen.120 Verhalten, das erwartet oder gefordert wird, das vorgezeichnet ist durch die Gewohnheit oder ein eingreifendes Verbot.“ 116 Zutreffend Medicus, BGB AT, Rn. 323; vgl. auch Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (467): Maßstab der Auslegung sei „der sorgfältige und verständige Rechtsgenosse“. Was er gegebenenfalls unter Beachtung der ihm erkennbaren Begleitumstände als vom Erklärenden gewollt verstehen durfte und mußte, sei die richtige Bedeutung. Diese Regel passe auch auf die Situation, in der der Erklärende die von ihm gebrauchte Sprache erkennbar oder gar nicht beherrsche. Der sorgfältige Erklärungsempfänger müsse hier oft damit rechnen, daß die Worte nicht so gemeint seien wie sie lauteten. Er dürfe nicht einfach die ihm genehme Wortbedeutung in Anspruch nehmen, sondern müsse nachfragen, wenn ernsthafte Zweifel hieran beständen, so daß die Erklärung zweideutig werde; siehe ferner Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 287: Das „Erfolgsinteresse“ (d. h. die Befriedigung individueller Bedürfnisse) bei der Auslegung vom jeweiligen Empfänger fordere, „die das Rechtsgeschäft ganz oder teilweise konstituierende Erklärung möglichst gründlich zu prüfen, den Willen des Erklärenden möglichst weitgehend zu erforschen“. 117 Kallenborn, Sprachenproblem S. 88; dem folgend Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 93. 118 Zweifelhaft erscheint mir die These von Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (468), der meint, die Gefahr unerkennbarer sprachlicher Fehler sei bei schriftlichem Verkehr „naturgemäß“ größer als bei Erklärungen unter Anwesenden, weil die Begleitumstände weniger deutlich würden und der Erklärende sich nicht sofort korrigieren könne. Doch bedarf diese Frage keiner Entscheidung, weil die Auslegungssorgfalt ohnehin beide Erklärungstypen erfaßt. 119 Beide Aspekte zusammenführend aber Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 74: „So ist die Methode der Auslegung zugleich normativ und individualisierend: sie geht nicht auf die gemeinte, sondern auf die rechtsverbindliche, die zurechenbare Bedeutung aus, bestimmt diese aber nicht generell, sondern individuell nach den konkreten Umständen und den Verständnismöglichkeiten der Parteien. Durch den Grundsatz, die dem Erklärenden zurechenbare Bedeutung als die rechtsmaßgebliche anzusehen, wird das einseitige Abstellen auf das Verständnis des Gegners vermieden, wie es die ‚objektive Auslegungsmethode‘ mit sich brachte, und es wird dadurch vermieden, daß der Erklärende für eine Bedeutung verantwortlich gemacht wird, die er nicht voraussehen konnte und die daher für ihn zufällig ist.“ 120 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 64 (S. 542).

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2. Dogmatische Grundlagen a) Die Auslegungssorgfalt oder Auslegungsverantwortung des Empfängers kann in dogmatischer Hinsicht in dem Erfordernis von Treu und Glauben gemäß § 157 BGB verankert werden.121 Obgleich die der Ermittlung der normativen Erklärungsbedeutung dienende Lehre vom Empfängerhorizont ebenfalls mit den Grundsätzen von Treu und Glauben begründet wird, sollte man die Frage der Beachtung der Auslegungssorgfalt seitens des Empfängers gedanklich davon klar trennen. Im modernen Schrifttum wird insoweit allerdings nicht mehr genau unterschieden,122 sondern beide Aspekte werden in die Lehre vom Empfängerhorizont integriert.123 Demgegenüber haben die Vertreter des älteren Schrifttums – namentlich Titze124 und von Tuhr 125 – begrifflich sehr deutlich zwischen einer „generellen Auslegung“, bei der objektiv zu verfahren war, und einer „individuellen Auslegung“ durch den konkreten Adressaten unterschieden. Diese gedankliche Trennung zwischen der Ermittlung der objektiven Verkehrsbedeutung einerseits und einer möglicherweise abweichenden (d. h. weiteren oder engeren) individuellen Bedeutung der Erklärung andererseits ist kein dogmatisches Glasperlenspiel, sondern ein logisch notwendiges Verfahren bei der Auslegung von Willenserklärungen, das zudem eine klare Hierarchie der verschiedenen Bedeutungen – mit einem Vorrang der Privatautonomie – ermöglicht. Würde man die objektive und die subjektive Seite der Auslegung vermengen, so hätte dies beträchtliche Schwierigkeiten bei der Ermittlung der typischen Bedeutung der Erklärung nach § 157 BGB ebenso wie bei der Bestimmung der Auslegungssorgfalt des konkreten Adressaten zur Folge; die objektive Bedeutung würde durch subjektive Elemente „verwässert“ und umgekehrt. Beispielsweise wäre dann unklar, ob es im Hinblick auf die Berücksichtigung der Begleitumstände der Erklärung darauf ankommt, ob der Empfänger sie wahrgenommen hat oder nicht.126 Gleiches gilt für die Frage nach der Kenntnis von der Verkehrssitte.127 Es ist also notwendig, beide Auslegungsaspekte voneinander zu trennen, damit in den Fällen, bei denen nicht sicher festgestellt 121 Siehe Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, S. 159 (für die Fälle des abweichenden Sprachgebrauchs des Erklärenden wie „Bibliothek“ statt „Weinkeller“); ferner Titze, Mißverständnis, S. 103 f.; Staudinger/Singer, § 133 Rn. 18; für eine zusätzliche Begründung mit § 116 Abs. 1 BGB tritt S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 237 mit Rn. 137 ein. 122 Offenbar in Übernahme der „Einheitslehre“ von Larenz (vgl. Fn. 119). 123 Siehe z. B. Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 29; Jancke, Sprachrisiko, S. 179 f. 124 Titze, Mißverständnis, S. 86 ff., 136 ff., 148 ff., 494 ff. (generelle Auslegung); S. 91 ff., 105 ff., 494 (individuelle Auslegung). 125 V. Tuhr, BGB AT II/1, S. 535 ff. (generelle Auslegung); S. 540 ff. (individuelle Auslegung). 126 Für die normative Auslegung kann es nicht darauf ankommen, ob der Erklärungsempfänger die Umstände der Erklärung perzipiert hat; siehe dazu schon oben Fn. 87. 127 Für die normative Auslegung gilt die Verkehrssitte nämlich per se, ohne daß es darauf ankommt, ob der Erklärungsempfänger sie kannte, siehe Flume, BGB AT, § 16 3 d (S. 313).

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werden kann, wie der konkrete Adressat die Erklärung verstanden hat, grundsätzlich der Rekurs auf die objektive Verkehrsbedeutung gemäß der normativen Auslegung möglich bleibt.128 Von Rechts wegen muß das Ziel in der Festlegung einer „richtigen“ Bedeutung der Erklärung bestehen.129 Dabei ist ein Vorrang der „individuellen Auslegung“ vor der „generellen Auslegung“130 schon wegen des Verfassungsrangs der privatautonomen Rechtsgestaltung (Art. 2 Abs. 1 GG) gerechtfertigt.131 b) Der Vorrang der „individuellen Auslegung“ vermag in den Fällen übereinstimmender Fehlbezeichnung durch die Parteien („falsa demonstratio“) 132 besonders zu überzeugen. Denn es leuchtet nicht ein, warum Parteien, die einen Konsens erzielt haben, dabei aber – absichtlich oder unabsichtlich – eine nach der objektiven Verkehrsbedeutung unrichtige Wortwahl gebraucht haben, an letztere gebunden sein sollten.133 Beispiel: Man denke an den Haakjöringsköd-Fall des Reichsgerichts (RGZ 99, 148). Wenn „Haakjöringsköd“ im Norwegischen Haifischfleisch bedeutet und bei Auslegung aus der Sicht eines objektiven Empfängers sich dieses Verständnis ergibt, die Parteien aber unstreitig Walfischfleisch meinten, ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen würde, den Parteien die objektive Verkehrsbedeutung als allein maßgeblich aufzunötigen.134

c) Der Vorrang der individuellen Wortbedeutung vor dem normativen Verkehrsverständnis greift auch dann, wenn der Empfänger das Gemeinte trotz objektiv unrichtigen Wortgebrauchs zutreffend erkannt hat.135 Denn es gibt 128 Vgl. auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 46: „Bleiben die individuellen Absichten dagegen verborgen, so ist es allein vernünftig, die objektive Bedeutung der Erklärung zugrunde zu legen.“ 129 Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (467). 130 Siehe Titze, Mißverständnis, S. 91; ebenso Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 114 f.; Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, S. 66 mit Fn. 1. 131 Siehe auch Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 231 f. 132 Siehe. auch Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 19 II a (S. 339); ders., Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 78 f.; Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, S. 63. 133 Vgl. auch Staudinger/Singer, § 133 Rn. 13, der die Unschädlichkeit solcher Falschbezeichnungen sowohl aus den §§ 117 Abs. 1 und 2, 116 S. 2 und 122 Abs. 2 BGB als auch aus dem „für die Privatautonomie grundlegenden Prinzip der Selbstbestimmung“ ableitet. 134 So im Ergebnis auch Singer, ebd. (Fn. 133); Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 235; Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 102; Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 298; Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 112. 135 Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (467): „Die Erkennbarkeit mangelhafter Sprachkenntnisse im konkreten Fall und für das konkrete Rechtsgeschäft ist entscheidend.“; ebenso Staudinger/Singer, § 119 Rn. 21 und 133 Rn. 13 m. w. N. Aus der Rechtsprechung des RG siehe RGZ 66, 427 (429) – Quadratrute/Quadratfuß: „Der wirkliche Wille hat, es sei denn, daß eine besondere Form für die Erklärung vorgeschrieben ist, seine erforderliche Erklärung gefunden, wenn der Erklärende, um ihm Ausdruck zu verleihen, das Wort gebraucht, und der Empfänger der Willenserklärung trotz des Fehlgriffs im Wort aus demselben den Sinn entnommen hat, den der Erklärende zur Kundgebung seines Willens mit dem versehentlich gebrauchten Wort

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keinen Grund, die erfolgreiche Beachtung der Auslegungssorgfalt nicht mit einer Bindung des Empfängers an seinen Auslegungserfolg zu versehen.136 Der Adressat muß sich daher nach Treu und Glauben an einer richtigen137 individuellen Auslegung festhalten lassen, auch wenn die normative Auslegung möglicherweise günstiger für ihn wäre.138 Allerdings obliegt der Beweis der Kenntnis demjenigen, „der die Worte in einer von der verkehrsüblichen abweichenden Bedeutung gebraucht hat“.139

verbunden hatte.“; ebenso RG, Urt. v. 4. 11. 1912, Recht 1913 Nr. 470. Aus der Rechtsprechung des BGH siehe noch BGH VersR 1995, 648 = NJW-RR 1995, 859; BGH VersR 1959, 497 = BB 1959, 646 m. w. N.; BGH WM 1972, 1422; BGH WM 1983, 92 = BB 1983, 927; OLG Düsseldorf MittBayNot 2001, 321 (323). Die zitierte Rechtsprechung nimmt teilweise ausdrücklich auf die Rechtsfigur der falsa demonstratio Bezug. Aus der älteren Literatur siehe Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 102,103 f., 116 f.; Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, § 99 (S. 457); Danz, Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, 1911, S. 158 f.; dem zustimmend Oertmann, § 133 Anm. 3 b) β) ββ) (S. 468). 136 Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 233: „Gelungenes Verständnis erübrigt die Frage, wie es gelingen konnte. Wird das Gewollte verstanden, so gilt es, auch wenn eine objektive Deutung der Erklärung ein anderes Ergebnis zeitigt. Gemeinsame Auslegung durch die Parteien bindet grundsätzlich den Richter.“ 137 Bemerkt der Erklärungsgegner nur den Irrtum des Erklärenden, ohne einen „positiven wahren Willensgehalt“ zu erkennen, ist die Erklärung „als überhaupt unwirksam“ anzusehen, siehe Oertmann, § 119 Anm. 11 b (S. 408). 138 Treffend Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (468): „Wer tatsächlich richtig versteht, kann sich nicht, wenn es ihm günstig dünkt, hinter Sprachunkenntnis des Durchschnitts verstekken.“; Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 175 f.: Die Berufungsmöglichkeit auf die objektive Erklärungsbedeutung „kann dem Erklärungsempfänger nicht zustatten kommen, da sie offensichtlich dem Kriterium von Treu und Glauben, das nach § 157 BGB für die Vertragsinterpretation maßgebend ist, widerspräche“; Staudinger/Singer, § 133 Rn. 13: „Wer das wirklich Gewollte erkennt, wäre auch in Bezug auf die objektive Bedeutung der Erklärung ‚bösgläubig‘.“; S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 237 mit Fn. 137 (Fall des erkannten und ausgenutzten Erklärungs- oder Inhaltsirrtums); Kallenborn, Sprachenproblem, S. 87 (Vergewisserungspflicht, deren Nichtbeachtung dem Empfänger die Berufung auf den normalen Wortsinn verwehrt); Jancke, Sprachrisiko, S. 190: „Für einen Vertrauensschutz reicht es nicht aus, daß der Erklärungsempfänger vertrauen durfte. Vielmehr muß er auch tatsächlich vertraut haben.“; allgemein Canaris, Vertrauenshaftung, S. 504 (unter der Überschrift „Der gute Glaube“): „Wenn jemand die Unrichtigkeit eines Vertrauenstatbestands durchschaut, wenn er also die wahre Sach- oder Rechtslage erkennt, so hat er keinen Grund zu vertrauen und verdient daher insoweit den Schutz der Rechtsordnung nicht: er ist ‚bösgläubig‘.“ Aus dem älteren Schrifttum siehe Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 97, 109; dens., § 119 Anm. 11 b (S. 408) m. w. N.; Danz, Jherings Jb., Bd. 46 (1904), S. 381 (424); Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 16 (gegen die objektive Auslegungslehre von Rudolf Leonhard), a. A. Titze, Mißverständnis, S. 94, 108 mit Fn. 3. 139 Danz, Jherings Jb., Bd. 46 (1904), S. 381 (425); ebenso MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB, Rn. 123: „Es spricht viel dafür, dem Erklärenden die Beweislast aufzuerlegen, dass der Erklärungswille mit dem Urkundeninhalt für den Empfänger erkennbar nicht übereinstimmte.“ – Der allgemein formulierte Satz von Spellenberg, daß der Erklärende das Verständigungsrisiko nur in dem beschränkten Sinn trägt, daß der Adressat seine tatsächlich fehlende Sprachkenntnis nicht erkennen kann (a.a.O., Rn. 115), muß entsprechend ergänzt werden: Der Erklärende trägt das Verständigungsrisiko, wenn der Adressat seine fehlende

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d) Entschiede man in diesen Konstellationen anders und hielte man also die objektive Verkehrsbedeutung für maßgeblich, müßte der Erklärende gemäß § 119 BGB die Anfechtung erklären, was als Konsequenz die Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB nach sich ziehen würde. Das erscheint angesichts der Tatsache, daß der Empfänger den abweichenden Sprachgebrauch richtig aufgefaßt hat und somit ein Vertrauen auf die objektive Verkehrsbedeutung nicht entstanden ist, jedoch nicht überzeugend.140 Der dem Gegner erkennbare Fehlgebrauch der Sprache ist mithin schon bei der Auslegung zu berücksichtigen. Die Erklärung gilt so, wie sie vom Empfänger verstanden wurde.141 Andernfalls bliebe ein nicht hinnehmbarer Freiraum für Rechtsmißbrauch für den Erklärungsadressaten bestehen. Beispiel: Unterstellt man in dem Haakjöringsköd-Fall des Reichsgerichts, daß für den Verkäufer die objektive Bedeutung „Haifischfleisch“ günstiger wäre, obgleich er – wie der Erklärende – im Zeitpunkt des Vertragsschlusses fälschlich von der Bedeutung „Walfischfleisch“ ausging, würde unredliches Verhalten durch den nachträglichen Rückgriff auf die normative Erklärungsbedeutung belohnt. Richtig ist es daher, den Adressaten an der erkannten Bedeutung „Walfischfleisch“ festzuhalten.142

e) Schließlich kann es nicht darauf ankommen, ob das Ergebnis der Vereinbarung aus Sicht des Auslegenden (d. h. des zuständigen Gerichts) „vernünftig“ oder „unvernünftig“ ist.143

Sprachkenntnis nicht erkannt hat oder wenn er, der Erklärende, nicht beweisen kann, daß der Adressat die fehlende Sprachkenntnis des Erklärenden erkannt hat. 140 Vgl. auch Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, § 102 (S. 468 f.): „Wir erhalten vielmehr den wichtigen Satz: Der dem Gegner erkennbare Irrtum des Erklärenden ist schon bei der Auslegung zu berücksichtigen. (. . .) Die Anwendung von §§ 119, 122 bleibt dem Erklärenden erspart. Dies entspricht nicht nur allein der Billigkeit; es ergibt sich auch aus § 122. Denn der Gegner, der auf Grund von ihm zugänglichen Umständen genau weiß, was der Erklärende mit seinem fehlgreifenden Ausdruck meint, gelangt nicht erst in die dem § 122 zu Grunde liegende Position, in der er auf die Gültigkeit des fehlgreifenden Ausdrucks vertraute, bedarf also auch nicht des Schutzes dieser Norm.“ 141 Zutreffend Danz, Jherings Jb., Bd. 46 (1904), S. 381 (391 m. w. N., 424); Oertmann, § 119 Anm. 11 b (S. 408) m. w. N.; a. A. Titze, Mißverständnis, S. 94, 108 mit Fn. 3. Vgl. auch Kallenborn, Sprachenproblem, S. 87 mit Fn. 265, der daneben auch einen versteckten Dissens für möglich hält. Dem ist nicht zu folgen, weil der versteckte Dissens nur in Betracht kommt, wenn sich der Empfänger auf den normalen Wortsinn beruft (vgl. Henrich, RabelsZ 35, 1971, 55, 68). Das wird ihm aber gerade dann nicht gestattet, wenn er den abweichenden Wortsinn erkannt hat. 142 Wie hier schon Danz, ebd. (Fn. 141): „Mit dem Einwand, daß diese Bedeutung nicht die verkehrsübliche sei, wird sie [scil. die Gegenpartei] nicht gehört, weil solche Behauptung gegen Treu und Glauben verstieße und demnach nach § 157 B. G. B. überhaupt nicht beachtet werden kann.“; siehe ferner Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 97. 143 Ebenso Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 233. „Gemeinsame Auslegung bindet daher (. . .) selbst dort, wo sie zu einem ‚unvernünftigen Ergebnis‘ führen würde. Gegenteiliges behaupten heißt Parteiautonomie leugnen!“

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

f) Problematisch sind diejenigen Fallgestaltungen, bei denen das Erkennen erst nach Ablauf eines gewissen Zeitraums nach Abgabe der Erklärung erfolgt. Richtig, weil von Treu und Glauben gefordert, ist es wohl, auf das Erkennen bis zum Zeitpunkt einer rechtsgeschäftlichen Reaktion des Empfängers (z. B. Annahme eines Vertragsangebots) abzustellen, nicht also auf den Zeitraum unmittelbar nach Abgabe der (ersten) Willenserklärung. Denn warum sollte sich der Adressat wegen eines behobenen Mißverständnisses der Erklärung des anderen Teils nachträglich, ggf. noch in einem Prozeß, auf die „falsche“ Bedeutung berufen dürfen, ohne dabei rechtsmißbräuchlich zu handeln? Der Zeitpunkt des Zugangs ist zwar für die Ermittlung der normativen Verkehrsbedeutung nach der Lehre vom Empfängerhorizont – gleichsam als Fixierung dieser Bedeutung – entscheidend,144 nicht aber für die aus Treu und Glauben resultierende Auslegungsverantwortung des tatsächlichen Empfängers. Geht diesem etwas später „ein Licht auf“ und erkennt er, was der Erklärende mit seinem Angebot wirklich gemeint hat, gilt dieser Inhalt auch für die Frage, mit welchem Inhalt der Vertrag zustandekommt, wenn der Erklärende nun seinerseits die Annahme erklärt. g) Wenn der Empfänger die Selbstinterpretation des Erklärenden hinnimmt, ohne sich den Inhalt der Erklärung ausdrücklich zu eigen zu machen,145 kann er sich später ebenfalls nicht auf ein abweichendes, ihm günstigeres objektives Verständnis berufen.146 h) Dem Fall des richtigen Erkennens steht das Erkennenmüssen gleich, wenn sich das Fehlverständnis des Erklärenden geradezu aufdrängt und also ohne Schwierigkeiten von dem Empfänger erkannt werden könnte, so daß der Bereich der Evidenz147 erreicht ist.148 Mußte der sorgfältige Erklärungsempfänger damit rechnen, daß die Worte des Erklärenden nicht so gemeint sind wie sie lauten, darf er die normale Verkehrsbedeutung nicht für sich in Anspruch neh144

BGH NJW 1988, 2878; BGH NJW-RR 2007, 529. Ebenso im Ergebnis Staudinger/Singer, § 133 Rn. 13 m. w. N.; so auch schon Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 118: „[W]er den wahren Sinn der Erklärungsworte erkennt und sie in seiner Antwort ohne Vorbehalt in Bezug nimmt, macht damit den ihm bekannten Sinn ohne weiteres zum Sinn seiner beantwortenden Erklärung. Daß er aber diese dann nicht annulieren kann, dafür läßt sich nun § 116 anführen. Denn ist in solchem Fall eine Annahmeerklärung im Sinne des Angebots zu verstehen, so kann der Mangel eines entsprechenden Geschäftswillens nur als bewußter Widerspruch zur Erklärung gewertet werden.“ 146 Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 282 mit Hinweis auf BGH WM 1962, 373; Staudinger/Singer, § 133 Rn. 13. 147 Vgl. auch Flume, BGB AT II/1, § 29, 3 (S. 543) mit einer Gleichsetzung von Kennenmüssen und Evidenz bei § 123 Abs. 2 und § 122 Abs. 2 BGB. Damit geht eine Beweiserleichterung für den Erklärenden einher. 148 So auch Staudinger/Singer, § 133 Rn. 18: „Wer das Gemeinte zwar nicht erkennt, aber erkennen kann, ist in seinem Vertrauen nicht schutzwürdig und darf sich nicht auf sein individuelles Verständnis vom Inhalt der Willenserklärung berufen (. . .).“; ablehnend (entgegen der seinerzeit ganz herrschenden Lehre) Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 128 ff., insb. 132 f.; siehe auch BGH VersR 1959, 497 = BB 1959, 656 (näher dazu unten § 7 A. II. 2.). 145

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men. Ihm obliegt es nachzufragen; tut er das nicht, ist ihm die Berufung auf den herkömmlichen Wortsinn verwehrt.149 Die Auslegungssorgfalt geht jedoch nicht so weit, daß sich der Adressat der Erklärung lange mit der Erforschung des wahren Willens des Erklärenden abgeben müßte.150 In dieser Hinsicht stehen die Fälle des Erkennens und des Erkennenmüssens auf ein und derselben Stufe; letztere sind also nicht als Erweiterung ersterer auf alle nur denkbaren Zweifelsfälle zu verstehen.151 Hat der Empfänger Zweifel an der Bedeutung der Erklärung gehabt und sie gegenüber dem Erklärenden offenbart und gibt dieser ihm daraufhin eine falsche Antwort, kann dem Empfänger keine Obliegenheitsverletzung (scil. Verletzung der Auslegungsverantwortung) vorgeworfen werden. Alles andere liefe auf eine erweiterte Nachforschungspflicht des Adressaten hinaus, die dem Prinzip der Selbstverantwortung (in bezug auf den Erklärenden) widerspräche. Es gilt nach hier vertretener Ansicht gleichsam eine informationsbezogene „Spielballtheorie“: Hat der Adressat nachgefragt, weil ihm die Bedeutung der Erklärung des anderen Teils nicht klar genug war, kehrt sich die Informationsverantwortung zunächst einmal um, so daß die andere Partei gemäß ihrer Erklärendenverantwortung zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Informationserteilung verpflichtet ist.152

149 Ebenso bzw. ähnlich Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (467); ders., in: MüKo BGB, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 116; Kallenborn, Sprachenproblem, S. 87; Jancke, Sprachrisiko, S. 181 ff.; Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 324 mit Fn. 597. 150 Insoweit ist Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 129 zuzustimmen: Man kann dem Gegner nicht zumuten, sich mit dem wahren Sinn der Erklärung lange abzugeben; er muß sich in allen ihm zweifelhaft bleibenden Fällen auf das Verkehrsübliche verlassen können. Die in der vorigen Fußnote zitierten Autoren gehen hier zum Teil weiter, ohne allerdings irgendwelche Grenzen hinsichtlich des Grades der Zweifelhaftigkeit der Erklärungsbedeutung zu bestimmen. 151 Dem Erklärenden obliegt die Beweislast dafür, daß der Gegner den abweichenden Sprachgebrauch richtig verstanden bzw. aus den Umständen erkannt hat, daß die Bedeutung der Erklärung vom üblichen Sinn abwich, ebenso Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, § 99 (S. 458 f.). Ziviprozessual betrachtet dürften mit der Erfassung des „Erkennenmüssens“ gewisse Beweiserleichterungen für den Erklärenden einhergehen, wenn der Empfänger der Erklärung im Prozeß das richtige Verstehen der abweichenden Wortbedeutung nicht eingestehen will, um sich treuwidrig (§ 157 BGB) auf die ihm günstigere verkehrsübliche Bedeutung berufen zu können. 152 Siehe Erman/Palm, § 123 Rn. 14 mit Nachw. aus der Rspr.: Zu einer wahrheitsgemäßen Aufklärung sei der Erklärungsgegner stets verpfl ichtet, wenn eine Nachfrage zu einem bestimmten Punkt oder zu einem Fragenkomplex erfolge; vgl. auch Breidenbach, Informationspflichten beim Vertragsschluß, S. 80, der folgenden Grundsatz – auf der Basis des „beweglichen Systems“ von Aufklärungspfl ichten – aufstellt: Gibt der Gläubiger, obwohl keine Aufklärungspflicht besteht, Auskunft über die Verhältnisse des Schuldners – entweder auf Befragen oder von sich aus –, dann müssen seine Angaben sowohl wahr als auch vollständig sein. Verf. bezieht sich dabei auf den in MDR 1982, 847 = DAR 1982, 294 publizierten Fall des OLG Frankfurt a. M. zum Kaufrecht.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

Beispiel: 153 Gewissen Zweifeln begegnet in dieser Hinsicht ein von dem OLG Hamm zur Problematik der Abtretungsanzeige entschiedener Fall. Die in Deutschland ansässige Bestellerin – die spätere Beklagte – hatte von der italienischen Hausbank der in Italien ansässigen Herstellerin und Lieferantin der erworbenen Socken formularmäßige Abtretungsanzeigen betreffend die Kaufpreisforderungen in englischer und französischer Sprache erhalten. Auf Nachfrage bei seinem italienischen Agenten erhielt der Geschäftsführer der Bestellerin zur Antwort: „Das brauchst Du nicht zu beachten, das ist ganz normal, das machen viele so, da kriegen wir billiger Geld.“ Die italienische Herstellerin fiel in Insolvenz und die Zessionarin (die Hausbank der Herstellerin) begehrte – auf der Grundlage des italienischen Zivilrechts – die Zahlung des Kaufpreises von der Beklagten. Die Beklagte wandte ein, die Forderungen seien gegenüber der Herstellerin bezahlt worden, die Bank möge sich an diese halten. Das OLG entschied zugunsten der Klägerin und führte unter anderem aus, daß die Antwort des italienischen Agenten „in keiner Weise nachvollziehbar gewesen“ sei. Die in Art. 1335 Codice Civile aufgestellte Vermutung der Kenntnisnahme des Erklärungsempfängers mit Zugang sei nicht erschüttert.

Ausgangspunkt des OLG ist die zutreffende Annahme, daß unter den gegebenen Umständen zu erwarten war, daß sich die Bekl. zuverlässige Kenntnis vom Inhalt der Erklärungen verschafft. Nach Ansicht des OLG kam danach eine Rückfrage bei der Herstellerin als Absenderin der Erklärungen bzw. bei der Klägerin selbst oder eine Rücksendung der Erklärungen, verbunden mit der Bitte um erneute Zustellung in deutscher oder italienischer Sprache, in Betracht.154 Fragwürdig wäre die Richtigkeit der Ansicht des OLG jedenfalls dann gewesen, wenn die „nicht nachvollziehbare“ Erklärung von derjenigen Vertragspartei gestammt hätte, die vom Empfänger um Aufklärung ersucht wurde. Hätte also die Herstellerin der Socken und nicht der Agent der Bestellerin mit dem o.g. Zitat geantwortet, wäre darin eine Verletzung der Obliegenheit des Erklärenden zu sehen, sich dem Empfänger verständlich zu machen.155 Dieser hingegen hätte die ihm obliegende Auslegungssorgfalt beachtet und es wäre allenfalls zu fragen, ob die inhaltlich unzureichende Antwort der anderen Partei eine erneute Nachfrageobliegenheit nach sich ziehen kann.156 Man kann fragen, ob sich der Empfänger damit zufriedengeben durfte, er habe sich „keine Sorgen machen“ müssen. Vorzugswürdig erscheint es, die Auslegungsverantwortung nicht zu überdehnen und es bei beruhigenden Antworten des Erklärenden, möge ihr eigentlicher Sinn auch nicht ersichtlich sein, bei einmaligem Nachfra153

OLG Hamm NJW-RR 1996, 1271 (1272) = IPrax 1996, 197. OLG Hamm NJW-RR 1996, 1271 (1272). 155 Ebenso Basedau, BB 1969, 1316 (1318): „Jeder, der selbst eine Willenserklärung abgibt oder einen anderen auffordert, ihm gegenüber eine bestimmte Erklärung abzugeben, muß sich oder die gewünschte Erklärung des anderen verständlich machen.“ 156 Vgl. auch MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 116: „Die durch Auslegung nicht zu behebende Mehrdeutigkeit oder Unbestimmtheit kann gerade bei Sprachunkenntnis vorkommen. Jedenfalls darf der Empfänger den Erklärenden nicht an einer der mehreren möglichen Deutungen festhalten. Er muss vielmehr nachfragen.“ 154

§ 6 Sprachrisiken und die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen

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gen durch den Adressaten sein Bewenden haben zu lassen. Denn diesem obliegt es wie gesagt nicht, die ursprüngliche Erklärung der anderen Partei durch immer weiter fortgesetztes Fragen nach und nach zu konkretisieren und endlich verständlich zu machen – zumal „bohrende Fragen“ im internationalen Geschäftsverkehr von den potentiellen Vertragspartnern möglicherweise als unschicklich oder sogar geschäftsschädigend angesehen werden dürften. i) Die genannten Fallkonstellationen eines übereinstimmend abweichenden oder von seiten des Empfängers erkannten abweichenden Sprachgebrauchs spielen für die „Sprachrisiko“-Problematik wie dargelegt keine wirkliche praktische Rolle. Denn die „Sprachrisiko“-Fälle sind gerade dadurch gekennzeichnet, daß der Empfänger der Willenserklärung (bzw. eine Vertragspartei) infolge sprachlichen Unvermögens den Sinn der Erklärung überhaupt nicht oder aber unrichtig erfaßt. Deshalb ist die normative Auslegung von besonderer Wichtigkeit für die Sprachenfrage: Gäbe es die Lehre vom objektiven Empfängerhorizont nicht, so wäre die Auslegung unter Zugrundelegung eines individuellen Verständnisses bei Sprachproblemen auf Empfängerseite praktisch zum Scheitern verurteilt, was wiederum Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erheblich stören würde.157 Es wäre somit verfehlt, in diesen Fällen immer dem Erklärenden das Sprachrisiko zuzuweisen. Denn das sprachliche Defizit des Empfängers rührt aus seiner eigenen Sphäre her und ist daher gemäß dem Prinzip der Selbstverantwortung grundsätzlich von diesem zu tragen.158 Im Wege der Anwendung der Lehre vom Empfängerhorizont werden durch eine normative Auslegung somit die berechtigten Interessen des Erklärenden geschützt. Das entspricht den Prinzipien der Selbstverantwortung und des Verkehrsschutzes. 3. Der Umfang der Auslegungssorgfalt im übrigen Die Anforderungen an die Auslegungssorgfalt sind abhängig von den jeweiligen Umständen, beispielsweise davon, ob es sich bloß um eine flüchtige Wahrnehmung der Erklärung handelt oder vielmehr um eine reflektierte.159 Je unbestimmter und je mehrdeutiger eine Erklärung erscheint, desto vorsichtiger hat der Empfänger bei der Deutung zu verfahren; wenn Mehrdeutigkeit und ein Widerspruch zu den Interessen des Erklärenden zusammentreffen „obliegt dem Empfänger [die] genaue Überprüfung seines ersten Eindrucks“.160 Kann der 157

Vgl. auch Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 235. Vgl. auch Manigk, Willenserklärung und Willensgeschäft, § 99 (S. 458). 159 So schon Heck, AcP 112 (1914), 1 (44): „Nicht minder verschieden wie der Empfängerhorizont können die Anforderungen sein, die an die Diligenz des hypothetischen Interpreten gestellt werden. Es gibt viele Erklärungen, namentlich zusammenhängende Darstellungen, die bei fl üchtiger Wahrnehmung anders aufgefaßt werden als bei eingehender Ueberlegung. Welcher Sinn hat als der ‚objektive‘ zu gelten? Eine Antwort läßt sich nicht allgemein, sondern immer nur für bestimmte, aufzustellende Verhältnisse geben.“ 160 Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 288. 158

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

Empfänger beispielsweise erkennen, daß dem Erklärenden die für die Auslegung maßgeblichen Umstände und Kriterien – insbesondere auch die Verkehrssitte – unbekannt sind, so dürfen diese bei der Auslegung nicht herangezogen werden.161 4. Muttersprachler als Empfänger a) Ist dem Empfänger erkennbar, daß der Erklärende Ausländer ist und liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß er sich einer Sprache bedient, der er nicht hinreichend mächtig ist oder kommen Bedeutungsverwechslungen in Betracht162 , so kann die normative Erklärungsbedeutung gemäß dem objektiven Empfängerhorizont für die Auslegung nicht mehr allein entscheidend sein.163 Zumindest ein Sich-Aufdrängen der Verwechslung muß im Hinblick auf die Auslegungssorgfalt des Empfängers zu seinen Lasten gehen.164 Der Empfänger darf sich dementsprechend nicht darauf verlassen, daß der sprachunkundige Ausländer wirklich meint, was er objektiv erklärt hat.165 An die Stelle der „generellen Auslegung“ tritt in diesen Fällen eine „individuelle Auslegung“.166 Beispiel: Ein schönes, wenngleich humorvoll überzeichnetes Beispiel dafür bietet der folgende Fernsehwerbespot einer bayerischen Brauerei: Drei Männer, dem äußeren Erscheinungsbild nach offenbar Inder, sitzen in einem Biergarten. Einer der Männer hebt die Hand in Richtung der weiblichen Bedienung. Die Frau, bekleidet mit einem Dirndl, begibt sich zu den Männern. Der Mann, der zuvor die Hand erhoben hatte, schaut in ein Wörter161

Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 60. Medicus, BGB AT, Rn. 323: Verwechslung Milliarden – Billionen bei Verwendung des engl. Worts billion(s). 163 Vgl. auch MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 119 sowie v. Tuhr, BGB AT II/1, § 64 (S. 540): Es bestehe eine Pflicht zur Berücksichtigung eines eigentümlichen Sprachgebrauchs des Erklärenden im Rahmen der individuellen Auslegung; abweichend Titze, Mißverständnis, S. 89, 93 f., der im Rahmen der Ermittlung der objektiven Verkehrsbedeutung die Rücksichtnahme auf individuelle Sprachgewohnheiten für beide Parteien ablehnt. Der wesentliche Unterschied zu der Ansicht v. Tuhrs und der im Text vertretenen besteht in folgendem: Hat der Erklärende ein Wort in einem außergewöhnlichen Sinn verwendet, ohne daß individuelle Beziehungen (z. B. bestehende Geschäftsbeziehungen, Vorverhandlungen) zum Gegner solche Abweichungen rechtfertigten, so wohnt der Erklärung nach Ansicht Titzes lediglich die ihr nach der allgemeinen Auffassung zukommende Bedeutung inne, und der Adressat braucht sie in keinem anderen als in diesem Sinne gegen sich gelten zu lassen, „auch wenn er zufälligerweise die Entgleisung, die dem anderen Teile bei Abgabe der Erklärung zugestoßen ist, kannte oder kennen mußte“ (a.a.O., S. 94; siehe auch a.a.O., S. 108 mit Fn. 8 und S. 109). Wenn keine persönlichen Beziehungen zwischen dem Erklärenden und dem Erklärungsempfänger bestehen, soll eine individuelle Auslegung nach Meinung Titzes nur stattfinden, wenn der Erklärende erkennen läßt, daß die Erklärung „nach einem eventuellen Sondersprachgebrauch des Adressaten ausgelegt werden soll“ (a.a.O., S. 122). 164 So im Ergebnis auch – allerdings ohne dogmatische Sonderung dieses Aspekts – Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 29. 165 Staudinger/Singer, § 133 Rn. 19 a. E. 166 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 64 (S. 540). 162

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buch, blickt auf und sagt zu der Frau: „Ich möchte diesen Teppich nicht kaufen (. . .) bitte.“ Die Bedienung schaut zunächst verwirrt, äußert ein fragendes „Hmm?“, lächelt kurz, dreht sich um, verschwindet und kehrt mit einem Tablett mit drei Weißbiergläsern zurück, die sie den Männern reicht. Der Besteller sagt daraufhin „Gute Reise“ und beginnt, sein Bier zu trinken. Die Bedienung antwortet darauf mit „Scho’ recht.“

Hier war der Bedienung die Ausländereigenschaft am Äußeren des Bestellers sowie an der unter den gegebenen Umständen geäußerten Erklärung, den Teppich nicht kaufen zu wollen, offensichtlich. Da nun in einem Biergarten etwas getrunken wird und die Kellnerin offenbar die Erfahrung gemacht hat, daß Männer, die den Biergarten aufsuchen, Weißbier trinken und nicht etwa Limonade oder Wasser, konnte sie leicht „zwei und zwei“ zusammenzählen, ohne Gefahr laufen zu müssen, bei ihrer Interpretation167 völlig fehlzugehen. Angesichts des ganz abwegigen Wortlauts der Erklärung versagt hier die objektivnormative Erklärungsbedeutung. Ausgehend von der Lehre vom Empfängerhorizont wäre die Bestellung als Willenserklärung wegen Perplexität als nichtig anzusehen. b) Im Ergebnis ist das „Sprachrisiko“ nicht nur als eine Frage der „generellen Auslegung“, also der objektiv-normativen Auslegung aus dem Empfängerhorizont, sondern auch als eine Frage der „individuellen Auslegung“ zu qualifizieren. Ein praktisches Beispiel hierfür ist die Ausgleichsquittung des ausländischen Arbeitnehmers, die dieser unterzeichnet, ohne Kenntnis von der wahren Bedeutung der Erklärung zu haben, wenn der Arbeitgeber das Nichtwissen des Erklärenden erkannt hat.168 In diesem Fall tritt die normative Auslegung aus der Sicht eines „objektiven Dritten“ zurück. Der konkrete Empfänger darf – ohne gegen Treu und Glauben (vgl. § 157 BGB) zu verstoßen – diese „eigentliche“, will heißen: die der Verkehrserwartung entsprechende, normative Erklärungsbedeutung, seinem Verständnis gerade nicht zugrunde legen,169 so daß ein Erlaßvertrag bzw. ein negatives Schuldanerkenntnis in Fällen dieser Art wegen Dissenses nicht zustande kommt.170 Vor Gericht dürfte es dem ausländischen 167 Dies betrifft insbesondere die richtige Bewertung der Erklärung als Vertragsangebot und nicht etwa als bloße invitatio ad offerendum. 168 Siehe Medicus, BGB AT, Rn. 323; abweichend Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 1951, der die Erklärung des Ausländers für unwirksam hält, weil es auf seiner Seite „am erforderlichen Annahme- (Verzichts-)willen fehlt“. Als Zugangsproblem bewertet diese Fälle MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 136: „Bei den Ausgleichsquittungen der Gastarbeiter hätten die Vertreter der Arbeitgeber, die die Quittungen unter Anwesenden vorlegten, dies gegebenenfalls erkennen können, so dass ihre Offerten nicht zugegangen waren.“ 169 Siehe auch MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 118 f., 136. 170 So im Ergebnis schon B. Müller, BB 1976, 1466 (1469); Basedau, BB 1969, 1316 (1318); Trinkner, BB 1967, 999 (1000), allerdings mit der Begründung, es fehle am Verzichtswillen (Rechtsbindungswillen); zutreffend auch Staudinger/Singer, § 119 Rn. 21 f.: Es liege keine gültige Willenserklärung vor, wenn der Empfänger erkenne oder erkennen müsse, daß der Geschäftspartner wegen mangelnder Sprachkenntnisse den Inhalt seiner Erklärung nicht durchschaue. Hauptanwendungsfall sei die Unterzeichnung von Ausgleichsquittungen durch

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

Arbeitnehmer aber nur schwer gelingen, den Beweis zu führen, daß der Arbeitgeber seinen Irrtum erkannt hat, namentlich dann, wenn der Arbeitgeber die Mitarbeiter seines Lohnbüros als Zeugen für eine Aufklärung über den wahren Inhalt der Erklärung benennen kann. c) Ob die jeweilige Erklärung irgendeinen positiven Sinngehalt hat, ist eine Frage des Einzelfalls. Möglicherweise kommt ihr – nach „Wegfall“ der normativen Erklärungsbedeutung – keinerlei Erklärungswert mehr zu, so daß sie wie eine perplexe Erklärung als nichtig zu bewerten ist.171 Das ist aber nicht entscheidend, wenn nur festgestellt werden kann, daß jedenfalls die normative Erklärungsbedeutung (hier: der Ausgleichsquittung) nicht das Ergebnis der Auslegung sein kann. Der Erklärende wird dadurch geschützt, daß der Empfänger sich nicht auf diese herkömmliche Bedeutung stützen darf. d) Fehlt es an der erforderlichen Kenntnis des Arbeitgebers vom wirklich gewollten Erklärungsgehalt oder ist es im Prozeß nicht nachweisbar, so gilt die Erklärung des ausländischen Arbeitnehmers im Sinne der herkömmlichen Verkehrsbedeutung; es handelt sich also um den Verzicht auf sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer zur Anfechtung seiner Willenserklärung befugt ist.172 Diese Frage wird in § 7 dieses Buches untersucht. 5. Sprachunkundiger als Empfänger a) Ist umgekehrt der Empfänger der Erklärung nicht hinreichend sprachkundig, so muß auch dieser sich – im Rahmen seiner beschränkten Erkenntnismöglichkeiten – um das Verständnis derselben bemühen; denn es gibt keinen Grund, ihn von der Auslegungssorgfalt von vornherein ganz freizustellen. Das heißt aber zunächst nur, daß er sich den ihm möglichen Erkenntnissen nicht verschließen darf, weil auch derjenige, der die Sprache des Erklärenden nicht gut beherrscht, aus den Umständen doch noch das Gewollte richtig erkennen mag. Beispiel: 173 Der ausländische Kreditnehmer A, des Lesens mächtig, behauptet im Prozeß gegen die kreditgewährende Bank, er sei infolge unzureichender Sprachkenntnisse – entgegen der sprachunkundige Ausländer. Der Arbeitgeber dürfe ohne deutlichen Hinweis auf den wirklichen Inhalt von Ausgleichsquittungen nicht annehmen, daß Arbeitnehmer auf Forderungen oder die Erhebung der Kündigungsschutzklage verzichten wollten. Erst recht gelte dies, wenn erkennbar sprachunkundigen ausländischen Arbeitnehmern Ausgleichsquittungen zur Unterschrift vorgelegt würden. 171 A. A. Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 324 (gegen ArbG Wiesbaden, BB 1980, 630 gerichtet): Die Willenserklärung erhalte im Wege der Auslegung nach dem falsa-demonstratio-Grundsatz den Inhalt des Formulars (scil. der Ausgleichsquittung) in der Muttersprache des Arbeitnehmers. Eine nicht auslegungsfähige Willenserklärung ist aber auch nach seiner Auffassung (ebd.) nichtig. 172 Vgl. Staudinger/Singer, § 119 Rn. 24. 173 Nach OLG Hamm WM 1991, 1460.

§ 6 Sprachrisiken und die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen

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im Vertragstext klar erkennbaren Darlehenssumme – von einer geringeren Summe ausgegangen. Selbst wenn A wie behauptet die mündlichen Erklärungen des Bankmitarbeiters nicht verstanden haben sollte, ergibt sich doch aus der im Vertrag genannten Kreditsumme auch für ihn die Höhe des gewährten Darlehens.

b) Die Auslegungssorgfalt begründet als solche keine Pflicht des ausländischen Empfängers zur Einschaltung eines Übersetzers oder Dolmetschers.174 Denn auch in dem umgekehrten Fall, daß der Adressat kein Ausländer ist, besteht eine derartige Pflicht nicht, wenn die Erklärung in einer Fremdsprache erfolgt. Hier wie dort gibt es keine Verpflichtung des Empfängers, die über die Beachtung des vorhandenen Tatsachenmaterials – also dem Wortlaut der Erklärung und ihrer Begleitumstände – hinausgeht. Auslegungssorgfalt bedeutet nicht mehr als die Beachtung von Treu und Glauben bei Auslegung der Erklärung, und diese Grundsätze sind eng zu begrenzen. V. Die Verantwortung des Erklärenden in bezug auf die Erkenntnismöglichkeiten des Erklärungsempfängers („Erklärendenverantwortung“) 1. Bedeutsam für die Auslegung sind ferner die konkreten Erkenntnismöglichkeiten des Erklärenden selbst. In der Literatur herrscht Einigkeit darüber, daß dem Erklärenden seine Erklärung nur dann als eigene zugerechnet wird, wenn er bei gehöriger Sorgfalt ihre objektive Bedeutung erkennen konnte, sog. Zurechenbarkeit des Erklärungsinhalts.175 2. Dies ist dahingehend zu ergänzen, daß der Erklärende in den Grenzen des Zumutbaren auch auf den Verständnishorizont des Erklärungsempfängers Bedacht nehmen muß. Entsprechend der Auslegungsverantwortung des Empfängers trifft den Erklärenden danach zunächst die Obliegenheit, sich dem anderen Teil durch klaren Ausdruck möglichst verständlich zu machen – Klarheits- und Verständlichkeitsobliegenheit oder Ausdruckssorgfalt –, und darüber hinaus – nach Treu und Glauben – auch eine begrenzte Verantwortung hinsichtlich der (fehlenden) Verständnismöglichkeiten des Empfängers; letztere wird hier vorläufig in Ermangelung eines besseren Ausdrucks als Erklärendenverantwortung bezeichnet.176 Sie hat zur Folge, daß der Erklärende, wenn er ein Fehlver174

A. A. Staudinger/Singer, § 133 Rn. 19, § 119 Rn. 18. H. M., siehe Staudinger/Singer, § 133 Rn. 20; Flume, BGB AT, § 16 3 c (S. 311); Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 31, 70 ff.; Bydlinski, Privatautonomie, S. 160; Jancke, Sprachrisiko, S. 175, 181; Kallenborn, Sprachenproblem, S. 89 ff.; a. A. Kellmann, JuS 1971, 609 (614 f.). Tragender Grund für dieses Zurechnungskriterium ist die Gleichbehandlung von Erklärendem und Erklärungsempfänger. 176 Anders als der Begriff der Auslegungsverantwortung ist der Begriff der Erklärendenverantwortung im Schrifttum bisher nicht gebräuchlich, wenngleich einige Äußerungen in der Literatur die Problematik ansprechen. Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (469, 475) legt dar, daß der Erklärende sich grundsätzlich den Verständnismöglichkeiten des Empfängers anpas175

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

ständnis seiner – unterstellt in der Wortwahl präzisen, vollständigen und daher der Verständlichkeitsobliegenheit genügenden – 177 Erklärung auf seiten des Empfängers erkannt hat oder erkennen mußte, sich grundsätzlich nicht darauf berufen darf, daß eine objektive Auslegung aus dem Empfängerhorizont zu einem bestimmten Auslegungsergebnis führen würde. Beispiel: Der Erklärende gibt ein mündliches Vertragsangebot gegenüber einem aus Asien stammenden jungen Besucher ab. Dieser lächelt, nickt und antwortet auf die Fragen, ob er alles verstanden habe und ob er zustimme, mit „Ja“. Wenn sich aus Gestik, Mimik und Habitus des Asiaten für den Erklärenden klar ergibt, daß der Adressat offenbar nur aus Gründen der Konvention und Höflichkeit seine Zustimmung signalisiert hat, darf er sich auf das Zustandekommen des Vertragsschlusses nicht berufen.

Es handelt sich wiederum um eine aus Treu und Glauben (vgl. § 157 BGB) abzuleitende, individuelle Obliegenheit des Erklärenden.178 Sie betrifft allerdings nur Fälle, in denen das Fehlverständnis durch den Empfänger gleichsam evident ist.179 Eine allgemeine Nachfrageobliegenheit des Erklärenden im Sinne einer umfassenden Verständniskontrolle gegenüber jeglichem Empfänger wäre nicht begründbar180 und verstieße gegen das Prinzip der Selbstverantwortung.181 sen müsse. Nach einer anderen Formulierung dieses Autors „darf der Offerent nicht davon ausgehen, der Gegner habe das Angebot richtig verstanden und mit diesem Sinn angenommen“ (bezogen auf den Fall des erkennbar sprachunkundigen Empfängers, siehe MüKo BGB/ Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 119). Weiter ist in der Literatur anerkannt, daß den Erklärenden bei mehrdeutiger Ausdrucksweise aus vorangegangenem Tun die Pfl icht bzw. Obliegenheit zu widersprechen trifft, wenn von ihm erkannt wurde, daß der Empfänger die Erklärung in einem bestimmten anderen Sinn verstanden hat, so Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 281 f. am Beispiel des Falles RGZ 68, 126. Nach hier vertretener Ansicht kommt es weniger auf die „Mehrdeutigkeit“ oder „Eindeutigkeit“ der Erklärung an – denn auch eine „eindeutige“ Erklärung kann vom Adressaten mißverstanden werden –, sondern vielmehr darauf, ob der Erklärende das Mißverständnis des Empfängers erkannt hat. Das kann auch aus den Begleitumständen, d. h. nicht bloß aus Wort und Schrift, folgen. Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 108 f. legt dem Erklärenden die Obliegenheit auf, alles ihm mögliche zu tun, um dem Erklärungsgegner die Erklärung verständlich zu machen. Vom Standpunkt seiner Vertragssprachendoktrin in diese Richtung gehend auch Beckmann, Sprachenstatut, S. 92, 108: Bei Mehrdeutigkeit einer Vertragserklärung in der Fassung der Vertragssprache müsse der Erklärende Klarheit schaffen, andernfalls habe er die für ihn ungünstige Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten zu lassen. 177 Siehe dazu Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 287: Das „Entlastungsinteresse“ des Erklärenden, das sich auf die Entlastung von aller Ermittlung und auf möglichst einfache Schlußfolgerung bezieht, fordere vom Erklärenden „präzisen und vollständigen Ausdruck“. 178 Vgl. auch Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 108 f. 179 Vgl. nochmals Flume, BGB AT, § 29, 3 (S. 543). 180 Insoweit besteht eine inhaltliche Parallele zur Auslegungsverantwortung, der eine fortgesetzte Nachforschungspflicht auch nicht entnommen werden kann. 181 So im Ergebnis auch Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 295: Der Zweck der Kommunikation erzwinge Rücksichtnahme auf den schwächeren Teil. Rechtlich sei ihr aber die Grenze gesetzt, daß es nicht nötig sei, konkrete Schwächen des Gegners zu erforschen;

§ 6 Sprachrisiken und die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen

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Daß die Erklärung von dem Adressaten nicht richtig aufgefaßt wurde, muß sich dem Erklärenden also geradezu aufdrängen. Dies hat zur Folge, daß die Erklärung in dem vom Erklärenden gewollten Sinn gilt, wenn das Unverständnis des Gegners dem Erklärenden nicht bekannt ist.182 3. Eine sachliche Einschränkung der Erklärendenverantwortung ist insoweit zu machen, als ihm „die Rechtsausübung nicht unbillig erschwert werden [darf], wenn ihm einseitige Gestaltungsrechte eingeräumt sind“.183 In der Tat „muß es möglich sein, einseitige gestaltende Erklärungen in deutscher Sprache mit Wirkung für das Inland184 abzugeben“.185 Wer als Adressat einer Erklärung etwa nicht weiß, was die Ausübung eines Rücktrittsrechts durch den Erklärenden für ihn bedeutet, trägt nach dem Prinzip der Selbstverantwortung die Folgen dieses intellektuellen Defizits grundsätzlich selbst.186 In bestimmten Fällen sind – jenseits der Kategorie der Auslegung – Aufklärungspflichten des Erklärenden über die Bedeutung der Rechtsausübung als vertragliche Nebenpflichten oder als selbständige Aufklärungspflichten aus § 242 BGB denkbar, doch kann das wiederum nicht die Regel sein, weil anderenfalls von einer Selbstverantwortung des ausländischen Kontrahenten im Ergebnis nicht mehr gesprochen werden könnte. 4. Unzulässig wäre es demgegenüber, „die Unerfahrenheit anderer durch vage oder verklausulierte Sprache auszunutzen“.187 Das läßt sich unproblematisch auf die Fälle des artifiziellen oder technischen Sprachgebrauchs des Erklärenden mit der Intention der Ausnutzung der Unerfahrenheit des anderen Teils erweitern. Die Aussage gilt im übrigen auch für bestimmte Fälle eines präzisen, fachsprachlich korrekten Ausdrucks des Erklärenden. Beispiel: Der von Lüderitz als Beispiel für seine Einschränkung genannte Protokollfall188 aus der US-amerikanischen Rechtsprechung zeichnet sich gerade durch einen präzisen, korrekten Sprachgebrauch (durch die Verwendung des Nomens „transcript“) aus.189 In dem ebenso Beckmann, Sprachenstatut, S. 92 (statt „Empfänger“ muß es dort allerdings richtig „Erklärender“ heißen). 182 So schon Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 295. 183 Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 295. 184 Zu ergänzen ist: gegenüber einem der Landessprache nicht kundigen Ausländer. 185 Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 296. 186 Vom Standpunkt der Vertragssprachendoktrin im Ergebnis ebenso Beckmann, Sprachenstatut, S. 92: „Wenn die Erklärung aber in der Fassung der Vertragssprache klar und eindeutig ist, sprachliche Verständnisschwierigkeiten auf Seiten des Empfängers vielmehr auf dessen mangelnder Beherrschung der Vertragssprache beruhen, so geht dies zu seinen, des Empfängers, Lasten.“; siehe auch Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 296, der dazu meint, es sei „Aufgabe des ausländischen Empfängers, nicht des deutschen Erklärenden, sich um einen Dolmetscher zu bemühen“. 187 Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 295. 188 Sansom v. Levich, 244 N. W. D. 23 (N. D. 1932). 189 Siehe die Übersetzung durch LEO (http://dict.leo.org): „transcript [law] das Protokoll – bei Gericht“.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

Fall lag ein raffiniertes Täuschungsmanöver und eine Ausnutzung der Unerfahrenheit eines kleinen Krämers auf dem Lande vor. Dieser hatte von einem Gerichtsstenografen das „transcript“ eines anhängigen Musterprozesses von 25 Cent pro Seite angeboten bekommen, wobei die Länge von 4900 Seiten nicht genannt worden war. Es geht hier – entgegen den Ausführungen des Gerichts – nicht darum, daß „transcript“ als ein „elastisches Wort“ (also ein vages, mehrdeutiges Wort) zu verstehen gewesen wäre, sondern darum, daß dem klagenden Gerichtsstenographen den Umständen nach klar sein mußte, daß der Besteller mit einem solch riesigen Umfang der Gerichtsprotokolle nicht rechnen konnte und bei Kenntnis desselben von einer Bestellung wegen der damit verbundenen Kosten mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit abgesehen hätte. Damit stand der Vorwurf arglistigen Verhaltens des Gerichtsstenographen im Raum. Es überzeugt letztlich nicht, wenn Lüderitz diesen Fall als Beleg für seine These, es sei nicht erlaubt, die Unerfahrenheit anderer durch vage oder verklausulierte Sprache auszunutzen, anführt.190 Im übrigen ist auch die rechtliche Lösung des Falles nicht zweifelsfrei. Ohne größere Schwierigkeiten ließe sich – wegen des eindeutigen Wortlauts – das wirksame Zustandekommen des Vertrags über das „transcript“ begründen, so daß sich das Problem in den Bereich der Täuschungs- bzw. Irrtumsanfechtung des Krämers verlagern würde. Dem ist hier aber nicht weiter nachzugehen.

5. Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, daß ein an sich klarer und präziser Sprachgebrauch die Erklärendenverantwortung jedenfalls nicht von vornherein ausschließt. Dogmatisch sollte man das Problem der individuellen Erklärendenverantwortung – trotz der Verankerung in dem Grundsatz von Treu und Glauben –, wie bei der Auslegungsverantwortung geschehen, von der Lehre vom Empfängerhorizont und der normativen Auslegung logisch getrennt betrachten, um die Ermittlung der objektiven Erklärungsbedeutung nicht durch einzefallbezogene subjektive Elemente zu beeinträchtigen.191 6. Als ein Beispiel für die Verständlichkeitsobliegenheit und die Erklärendenverantwortung betreffs der „Sprachrisiko“-Problematik kann der oben erwähnte Fall dienen, daß ein deutscher Arbeitgeber seinem ausländischen Arbeitnehmer mitteilt192 , er solle „seine Arbeitspapiere abholen“.193 Ein rein normatives Verständnis dieser Erklärung gemäß dem „allgemeinen Sprachgebrauch“194 , der „Verkehrssitte“195 führt entsprechend der Lehre vom Empfängerhorizont ohne weiteres zu der Auslegung, daß es sich dabei um die Kündigung des betreffenden Arbeitsverhältnisses handelt.196 Man wird dem Arbeitgeber auch nicht einen undeutlichen Sprachgebrauch vorwerfen können, wenn der Rechts190

A.a.O., S. 295. Bei der normativen Auslegung sind die Umstände des Erklärenden nach Flume, BGB AT, § 16 3 c (S. 311) insoweit zu berücksichtigen, als dem Erklärenden der Sinn seiner Erklärung auch zurechenbar sein muß. 192 Ob dies mündlich oder schriftlich geschieht, ist hinsichtlich der Auslegung ohne Bedeutung. 193 LAG Baden-Württemberg DB 1961, 1620. 194 Siehe dazu Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 34. 195 Siehe dazu Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 47, 49. 196 Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 35; Erman/Belling, § 620 Rn. 89. 191

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verkehr die Erklärung richtig auffaßt. Wenn der Arbeitgeber aber sicher weiß oder wissen muß, daß der betroffene ausländische Arbeitnehmer diesbezüglich einem Fehlverständnis unterliegt,197 kann es dabei nicht sein Bewenden haben. Wenn der Erklärende das Mißverständnis des ausländischen Erklärungsempfängers erkennt, kann er sich nach hier vertretener Auffassung nicht erfolgreich auf das „klare Ergebnis“ der normativen Auslegung berufen.198 Treu und Glauben sperren hier die Berufung auf die normative Erklärungsbedeutung und gebieten es, daß der Arbeitgeber die Kündigung mit einem klaren und deutlichen – d. h. eindeutigen – Wortlaut (z. B. „Ich kündige das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum [. . .]“) sowie in der geforderten Schriftform (§ 623 BGB) wiederholt. Dafür sprechen schon der Dauerschuldcharakter des Arbeitsverhältnisses und die aus ihm resultierenden gesteigerten wechselseitigen Treupflichten. 7. In diesem Zusammenhang ist noch auf ein weiteres Problem einzugehen, nämlich darauf, daß die Eindeutigkeit des Wortlauts ebenfalls eine Frage der Auslegung ist.199 a) Der Sache nach wohnt der Aufforderung an den Arbeitnehmer, sich seine Arbeitspapiere abzuholen, ein nicht unbeträchtliches, sprachenunabhängiges Mißverständnispotential inne, d. h. auch ein deutschsprachiger Arbeitnehmer könnte eine solche Erklärung im Einzelfall mißverstehen. 200 Versagt man der Eindeutigkeit von Erklärungen als Kategorie der Wortlautauslegung mit der heute herrschenden Meinung die Anerkennung, so daß in letzter Konsequenz sämtliche Willenserklärungen auslegungsfähig sind, wird man aber doch zuge197 Dafür spricht jedenfalls bei mittelständischen Betrieben, daß die Beteiligten einander bei der täglichen Zusammenarbeit gut kennengelernt haben können. 198 So im Ergebnis auch Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 296: „Ähnliche Fragen stellen sich, wenn Erklärungen gegenüber einem der Landessprache nicht kundigen Ausländer abzugeben sind. Ist dem Erklärenden dieser Umstand bekannt, so hat er darauf Rücksicht zu nehmen. Dies gilt erst recht, wenn der Erklärende den Eindruck erweckt, er berücksichtige im übrigen das Unverständnis des Empfängers; das kann dadurch geschehen, daß die Verhandlungen überwiegend in der Sprache des Empfängers geführt werden.“ 199 Zutreffend Staudinger/Singer, § 133 Rn. 9 m. w. N.; Neuner, JuS 2007, 881 (882); Jancke, Sprachrisiko, S. 184. – Exkurs: Der Grundsatz claris non fi t interpretatio gilt für Rechtsnormen, während seine Anwendbarkeit auf Willenserklärungen umstritten ist. Im römischen Recht galt die Maxime von Paulus: „Cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti voluntatis questio“ (Paulus D. 32, 25, 1). In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Auffassung herrschend, ein klarer, unzweideutiger Wortlaut schließe die Auslegung von Rechtsgeschäften aus (siehe z. B. Planck/Flad, § 133 Anm. 3 a [S. 346] m. w. N.; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 65 m. w. N.). Heute ist die Gegenauffassung in Literatur und Rechtsprechung herrschend. So lautet die Position des BGH in NJW 2002, 1260 (1261): „Auch ein klarer und eindeutiger Wortlaut einer Erklärung bildet keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände, und zwar weder bei der einfachen Auslegung noch bei der ergänzenden Auslegung eines lückenhaften Rechtsgeschäfts.“ 200 Auch wenn nach der allgemeinen Lebenserfahrung damit gerechnet werden kann, daß die Erklärung von jedermann zutreffend verstanden wird, bedeutet das natürlich nicht, daß niemals Mißverständnisse auftreten können.

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ben können, daß die Erklärung „Ich kündige Ihnen zum (. . .)“ immerhin sehr viel deutlicher ist als die Aufforderung zur Abholung der Arbeitspapiere im Lohnbüro. Gleiches gilt im Verhältnis zu Formulierungen, die in bezug auf die gewollte Rechtsfolge nicht klar sind, wie etwa die von der Rechtsprechung zu beurteilenden Aufforderungen des Arbeitgebers an einzelne Arbeitnehmer „geht heim“ und „verschwindet“ in einem Handwerksbetrieb. 201 Das Gleiche gilt für konkludente Verhaltensweisen wie die bloße Übergabe der Arbeitpapiere202 , die in der Kommentarliteratur als weitere Fälle des Beendigungswillens des Dienstberechtigten aufgeführt werden. 203 Verglichen damit ist die Erklärung „Ich kündige Ihnen usw.“ insoweit „eindeutig“, als sie den Beendigungswillen des Arbeitgebers aus der Sicht eines „reasonable man“ unmißverständlich zum Ausdruck bringt. b) Wenn auch die „Eindeutigkeit“ des Wortlauts nach dem heutigen Stand der Zivilrechtsdogmatik die Auslegung einer Erklärung nicht ausschließt, so kann man doch nach der Maxime verfahren: Je mehr die Vertrauensgrundlage durch eine prima facie klare und vollständige Ausdrucksweise gestärkt ist, desto weniger besteht Anlaß, nach sonstigen Deutungsmöglichkeiten zu fragen. 204 In Übereinstimmung damit betont der BGH in seiner Rechtsprechung zur Vertragsauslegung immer wieder die Bedeutung des Wortlauts.205 Der Eindeutigkeitsformel hat man zutreffend entgegengehalten, sie sei mißverständlich. 206 Das Ziel der Auslegung bestehe darin, den erklärten Parteiwillen zur Geltung zu bringen, ein eindeutiger Wortlaut der Erklärung könne deshalb die Auslegung nicht von vornherein entbehrlich machen. 207 Die Auslegung entgegen dem klaren Wortlaut ist allerdings immer einer besonderen Begründung bedürf-

201

LAG Bayern ABl. BayArbM 1968 C 35. LAG Hamburg PraktArbR 1959 § 1 Abs. 1 KSchG Nr. 13. 203 Erman/Belling, § 620 Rn. 89. 204 So Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 287 f. 205 BGH NJW 2000, 2099: „Damit hat das BerGer. den Grundsatz verletzt, dass in erster Linie der von den Parteien gewählte Wortlaut und der dem Wortlaut zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen ist (. . .).“; BGH NJW 2001, 144, 1. Leitsatz: „Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen hat die Vertragsauslegung in erster Linie den von den Parteien gewählten Wortlaut der Vereinbarung und den diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen zu berücksichtigen.“; BGH NJW-RR 2000, 1002 (1003): „Nach §§ 133, 157 BGB ist bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen (. . .). In einem zweiten Auslegungsschritt sind sodann die außerhalb des Erklärungsakts liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen (. . .).“; BGH NJW 1997, 461 (462): „Diese Auslegung widerspricht dem eindeutigen Wortlaut des Vertrags (. . .).“; siehe ferner BGH NJW 1995, 1212 (1213); BGHZ 124, 39 (45); BGHZ 121, 13 (16) = NJW 1993, 721; BGH DStR 2002, 1228; Leipold, BGB I, § 15 Rn. 10; Staudinger/Singer, § 133 Rn. 9 mit Nachweisen aus der älteren Rechtsprechung. 206 Staudinger/Singer, § 133 Rn. 9. 207 Staudinger/Singer, § 133 Rn. 9; Jancke, Sprachrisiko, S. 185. 202

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tig, 208 weil diesem jedenfalls eine Indizwirkung für einen entsprechenden Geschäftswillen zukommt.209 Ungeachtet dessen ist es aber möglich, daß sich aus den sonstigen erklärungsrelevanten Umständen ergibt, daß der „eindeutige Wortlaut“ keine Vertrauensgrundlage für den Empfänger bietet.210 Das Paradebeispiel dafür ist dasjenige der von einem sprachunkundigen Arbeitnehmer unterzeichneten Ausgleichsquittung. 211 Ist dem Arbeitgeber die Sprachunkenntnis des ausländischen Arbeitnehmers bekannt oder erkennbar, hat dies wegen der Erfordernisse von Treu und Glauben wie dargelegt schon bei der Auslegung der Erklärung Berücksichtigung zu finden (§ 157 BGB), ohne daß es des Rückgriffs auf arbeitsrechtliche Besonderheiten wie die Fürsorgepfl icht des Arbeitnehmers oder vertragliche Nebenpflichten aus § 242 BGB bedürfte. 212 VI. Zwischenergebnisse 1. Im Ergebnis treffen die Beteiligten eines Rechtsgeschäfts besondere Verantwortlichkeiten in bezug auf die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen. Die Literatur unterscheidet zutreffend zwischen der dem Erklärenden zukommenden Ausdruckssorgfalt und der dem Empfänger obliegenden Auslegungssorgfalt, die man mit einem Fremdwort auch als Deutungsdiligenz bezeichnet. 213 Das Auslegungsergebnis muß dem Erklärenden in vollem Umfang „zurechenbar“ sein (Zurechnungsprinzip). 214 208

Leipold, BGB I, § 15 Rn. 10. So auch Staudinger/Singer, § 133 Rn. 9. 210 Jancke, Sprachrisiko, S. 185. 211 Vgl. MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 118 f.,136. 212 Vgl. MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 136. 213 Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 16, 55 ff. 214 Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 55 ff.; Medicus, BGB AT, Rn. 326. – Exkurs: Der auf Jhering zurückgehende Lehrbuchfall der entwendeten und erst sehr viel später in das Restaurant zurückgebrachten Speisekarte erweist sich allerdings entgegen der überwiegenden Ansicht in der Literatur im Hinblick auf die angenommene Zurechnung als äußerst problematisch. Wenn man – wie Medicus, a.a.O., Rn. 323 – zutreffend davon ausgeht, daß es eine Übertreibung der Sorgfaltsanforderungen bedeuten würde, „wenn man den Wirt mit einer vorvertraglichen Organisationspfl icht des Inhalts belasten wollte, ständig nach wieder aufgetauchten Speisekarten zu fahnden“, muß man ein Verschulden des Wirts bei Vertragsverhandlungen ablehnen, und die Annahme, die von einem Dritten nach Jahren zurückgebrachte Speisekarte sei den Wirt „zurechenbar“, erweist sich als fragwürdig. Jedenfalls bei einem geringen zeitlichen Abstand zwischen dem Ablegen der alten Speisekarte durch den Dritten und der Bestellung durch den ahnungslosen Gast ist eine Zurechnung gegenüber dem Wirt abzulehnen. Das Argument, die Karte stamme aus seiner Sphäre, kann man gelten lassen, wenn ein Zeitraum verstrichen ist, innerhalb dessen der Wirt die Speisekarten realistischerweise hätte sichten und die alte Karte hätte aussondern können. Insoweit spielt die Verschuldensfrage tatsächlich keine Rolle. Man darf dem Wirt aber keine generelle verschuldensunabhängige Haftung für das Tun von außen hinzutretender Dritter auferlegen, wenn sich ein tragfähiger Zurechnungszusammenhang nicht finden läßt. Der obige Schulfall läßt sich ohne weiteres dahin abändern, daß der Gast die alte Karte mit den längst ungültigen Preisen direkt von dem Dritten überreicht bekommt, ohne daß der Wirt dessen gewahr wird und daher die Karte 209

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2. Dies ist dahingehend zu ergänzen, daß den Erklärenden im Einzelfall eine – von der Ausdruckssorgfalt zu trennende – Erklärendenverantwortung trifft, die ihn in engen Grenzen dazu verpflichtet, von ihm erkannte Mißverständnisse des Adressaten seiner Erklärung nicht zu ignorieren. Da dieses Erfordernis einen konkret-individuellen Bezug aufweist, ist es in dogmatischer Hinsicht von der Lehre vom objektiven Empfängerhorizont zu trennen, obgleich beide in dem Gedanken von Treu und Glauben wurzeln (§ 157 BGB). 3. Entsprechendes gilt richtigerweise für die Auslegungssorgfalt des Erklärungsempfängers. Auch sie ist ein individuelles Erfordernis, das aus dem Gedanken von Treu und Glauben (§ 157 BGB) resultiert und das die Auslegung aus der Sicht eines „modellhaften“ objektiven Dritten an seiner Stelle im Einzelfall zu überlagern vermag. 4. Bezüglich des „Sprachrisikos“ hat die obige Analyse ergeben, daß es dogmatisch gesehen 215 nicht bei der normativen Auslegung verankert werden kann. Die modellhaft-abstrakte normative Auslegung aus der Sicht eines objektiven Empfängers berücksichtigt subjektiv-personale Elemente nicht. Gerät die Auslegung in den Konflikt zwischen einem „normalen Verständnis“ wie es gemäß der Verkehrssitte „jeder“216 zugrunde legt und einem einseitigen abweichenden (Fehl-)Verständnis durch eine Partei, so vermag die Lehre vom objektiven Empfängerhorizont subjektive Elemente lediglich über den „Umweg“ der Berücksichtigung der Umstände des Rechtsgeschäfts in die Bewertung einzustellen. Dies sind aber nicht die Umstände des Erklärungsempfängers, nicht „seine“ Umstände im Sinne der oben 217 zitierten Umschreibung Flumes. Gleichwohl kann das „Sprachrisiko“ als Auslegungsproblem zu bewerten sein. Dies resultiert aus den genannten individuellen auslegungsbezogenen Verantwortlichkeiten der Parteien, die im Gedanken von Treu und Glauben wurzeln. Insofern spielt die Erkennbarkeit von Ausdrucks- oder Verständnisdefiziten des einen Teils für den anderen Teil eine ganz zentrale Rolle. Die individuellen Obliegennicht auswechseln kann. Auf der Grundlage der herrschenden Ansicht müßte auch in diesem Fall die Zurechnung bejaht werden, weil dem Gast die Ungültigkeit der Karte nicht erkennbar wäre und weil die Karte „eher in die Sphäre des Erklärungsempfängers“ (Medicus, ebd), also des Wirts, gehört. Eine derart weite Haftung läßt sich weder mit dem Prinzip der Selbstverantwortung noch mit Verkehrsschutzerwägung rechtfertigen. Die bisweilen gezogene Parallele zur Verantwortung für Willensmängel (Staudinger/Singer, § 133 Rn. 21) überzeugt daher nicht. Die Verschiedenheit der Verständnishorizonte hindert vielmehr das Zustandekommen eines Bewirtungsvertrages, führt also zum Dissens; i.E. ebenso Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, S. 342; S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 239, MüKo BGB/ Kramer, § 155 Rn. 12. Das Verhältnis zwischen Gast und Wirt ist daher nach Bereicherungsrecht (§§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 2 und 3 BGB) abzuwickeln (zutreffend Larenz, a.a.O., S. 342; skeptisch Wieser, AcP 184, 40, 43; a. A. Medicus, ebd.; Larenz/Wolf, a.a.O., Rn. 58; Staudinger/Singer, § 133 Rn. 20 ff.). 215 Jenseits der Bildung spezieller Empfängerhorizonte mit Auslandsbezug. 216 Siehe nochmals Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 49. 217 Fn. 87.

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heiten der Parteien stehen in einem Spannungsverhältnis zu dem Prinzip der Selbstverantwortung, dessen Beachtung eine enge Grenzziehung bei ersteren erforderlich macht; dies geschieht durch die Kriterien Erkennen und Erkennenmüssen. Vorstehendes darf also nicht als Plädoyer für die Abschaffung der normativen Auslegung und zur Ersetzung durch eine „subjektive Auslegungstheorie“ mißverstanden werden. Nur dann, wenn für eine Partei klar erkennbar ist, daß die andere Partei sich eines unzutreffenden Ausdrucksmittels bedient hat bzw. daß sie den Sinn der an sie gerichteten Erklärung nicht richtig erfaßt hat, kann es – gleichsam auf einer dritten Stufe der Auslegung – 218 zu Korrekturen aus Gründen von Treu und Glauben kommen. Die Anforderungen hieran sind – wie immer bei Verstößen gegen Treu und Glauben – hoch. Führt die Auslegung der Erklärung zu einem zweideutigen Ergebnis („A oder B“), ist die Erklärung ist wegen Unbestimmtheit nichtig. 219 5. Für die hier vorgeschlagene gedankliche Trennung zwischen objektiven und subjektiven Elementen der Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen spricht entscheidend, daß man anderenfalls, also bei „einschichtiger“ Betrachtungsweise, den objektiven Dritten an der Stelle des Empfängers in gewissen Grenzen „subjektivieren“ müßte, um den konkreten Anforderungen an die Auslegung des Rechtsgeschäfts entsprechen zu können. Das aber würde letztlich auf die Bestimmung einer „relevanten Personengruppe“ bzw. eines „durchschnittlichen Empfängerhorizonts“ hinauslaufen, ähnlich der Bestimmung der relevanten Verkehrskreise bei der Ermittlung einer bestimmten Verkehrssitte220 oder der Befragung der relevanten Verkehrskreise im Lauterkeitsrecht. Die Fragestellungen im Wettbewerbsrecht – namentlich die Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen einer Irreführung i. S. des § 5 UWG 2004 218 Die erste betrifft den übereinstimmenden Fehlgebrauch von Wort und Schrift ohne Mißverständnis, die zweite Stufe die objektiv-normative Auslegung. 219 Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 304 f.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 65; Flume, BGB AT, § 16 3 e (S. 314); Staudinger/Singer, § 133 Rn. 23; so schon Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 81: „Ist eine Erklärung weder vom Erklärungsgegner so verstanden, wie sie gemeint war, noch auch in einem bestimmten Sinne eindeutig zu verstehen, so fehlt es an einer rechtlich maßgeblichen Bedeutung. Derartige Erklärungen können nur wegen Unbestimmtheit nichtig sein.“ – Singer ist darin beizupflichten, daß die These der früheren Rechtsprechung (RG JW 1910, 801; RG JW 1916, 405, 407; BGHZ 20, 109, 110), wonach in sich widerspruchsvolle und ganz und gar widersinnige Erklärungen nicht auslegungsfähig sein sollten, zu widersprechen ist (a.a.O., § 133 Rn. 10). Die Perplexität der Erklärung kann sich nur durch einen Auslegungsvorgang herausstellen, sie ist also Ergebnis der Auslegung (vgl. auch Neuner, JuS 2007, 881, 882). Verzichtete man auf die Auslegung unter Berufung auf einen widerspruchsvollen Wortlaut, führte dies zu einem Verstoß gegen das Verbot der Buchstabeninterpretation. 220 Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 50 f. lassen das Verständnis im verkehrsüblichen Sinn nur dann zu, wenn der Erklärende und der Empfänger demselben Verkehrskreis angehören. Anderenfalls gälten die Verständnismöglichkeiten des Empfängers, weil der Erklärende bestimmen könne, wo und wem gegenüber er seine Erklärung abgibt und sich daher seine Auswahl grundsätzlich zurechnen lassen müsse.

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vorliegen – sind aber einfacher als die mitunter komplexen Bewertungszusammenhänge bei der Beurteilung von Rechtsgeschäften, so daß eine solche demoskopische Verfahrensweise („Wie verstehen Sie die folgende Erklärung [. . .]“) im vorliegenden Zusammenhang vermutlich zum Scheitern verurteilt wäre.

C. Der Dissens I. Grundlagen: Konsens und Dissens 1. Natürlicher und normativer Konsens a) Der Vertragsschluß setzt voraus, daß zwischen den Parteien ein Konsens besteht.221 Für den erforderlichen Konsens kommt es dabei nicht entscheidend auf den wirklichen inneren Willen der Parteien i. S. des tatsächlich Gemeinten an, sog. realer oder natürlicher bzw. innerer Konsens, sondern auf die normative Bedeutung der jeweiligen Willenserklärungen, sog. normativer oder objektiver bzw. äußerer Konsens.222 Das wirkliche Verständnis der Willenserklärung geht dem normativen Verständnis nur im Fall des übereinstimmenden Willens beider Parteien 223 vor sowie in den Fällen des von dem Adressaten erkannten Irrtums des Erklärenden. Grundsätzlich genügt für die Bejahung des Vertragsschlusses daher ein normativer Konsens. 224 Genau formuliert erfordert der Vertragsschluß mithin nicht eine „Willensübereinstimmung“ zwischen den Parteien, sondern „sich gegenseitig entsprechende und ergänzende Erklärungen“225 . Weiter ist es nicht erforderlich, daß die Parteien vom Vorliegen des vollen Tatbestands Kenntnis haben; ihnen muß insbesondere nicht bekannt sein, daß der Konsens durch Vorliegen der korrespondierenden Erklärungen zustande gekommen ist.226

221 Umfassend zum Konsenserfordernis bei zweiseitig verpfl ichtenden Verträgen Kramer, FS Canaris, Bd. I, S. 665 ff. 222 S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 237; Larenz/Wolf, BGB AT, § 29 Rn. 72 f.; Flume, BGB AT, § 34, 1 (S. 619) sowie a.a.O., § 16, 3 (S. 310) und § 34, 3 (S. 620); Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 203; ders., FS Canaris, Bd. I, S. 665 (669). 223 Flume, BGB AT, § 34, 3 (S. 621); Staudinger/Bork, § 155 Rn. 10 m. w. N.; Palandt/Heinrichs, § 155 Rn. 3; Soergel/Wolf, § 155 Rn. 12, 14; Diederichsen, FS Jur. Ges. Berlin, S. 81 (85 f.); BGH NJW-RR 1986, 724 (725). Zur Unanwendbarkeit des § 155 BGB bei Vorliegen eines natürlichen Konsenses nach dem Grundsatz falsa demonstratio non nocet siehe MüKo BGB/ Kramer, § 155 Rn. 4 und § 119 Rn. 60. 224 Näher dazu MüKo BGB/Kramer, § 155 Rn. 3; ders., Grundfragen der vertraglichen Einigung, S. 175 ff.; S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 237; Flume, BGB AT, § 34, 3 (S. 620). 225 Zutreffend Flume, BGB AT, § 34, 1 (S. 619), siehe auch v. Tuhr, BGB AT II/1, S. 481. 226 Ausführlich v. Tuhr, BGB AT II/1, S. 486; Titze, Mißverständnis, S. 352.

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Beispiel: 227 Wenn eine ausländische Arbeitnehmerin mangels Kenntnis der deutschen Sprache die ihr bei Einstellung angebotenen Arbeitsbedingungen nicht versteht, liegt nach Ansicht der Rechtsprechung in der späteren tatsächlichen Arbeitsleistung und der vorbehaltlosen Entgegennahme des Lohnes ihr Annahmewille, so daß ein Vertrag zustande gekommten ist. 228 Ein Abstellen auf das „Nachverhalten“ der Arbeitnehmerin nach dem Vertragsschluß ist richtigerweise nicht erforderlich, um in dem Fall Konsens anzunehmen. Dies ergibt sich aus der Kategorie der sog. „Risikoerklärung“229. Denn wenn sich eine ausländische Arbeitnehmerin, der wie in dem Beispielsfall „jegliche Kenntnis der deutschen Sprache fehlt“ und die nicht einmal einfache Sätze in Deutsch versteht, bei der Leitung eines Betriebes um Beschäftigung bewirbt, so weiß sie selbstverständlich, daß ihr dafür bestimmte Arbeitsbedingungen angeboten werden. 230 Gemäß dem Prinzip der Selbstverantwortung muß sie sich an dem normativen Inhalt des Arbeitsvertrags bzw. der Arbeitsbedingungen zunächst einmal festhalten lassen, zumal dann, wenn es ihr wie in dem Fall nicht darauf ankam, von einem bestimmten Unternehmen eingestellt zu werden, sondern lediglich darauf, dort zu arbeiten, „wo auch ihre Bekannte S. arbeitete“. Gibt ein sprachunkundiger Arbeitnehmer eine Willenserklärung im obigen Sinne – d. h. eine „Risikoerklärung“ – ab, so trifft ihn das „Sprachrisiko“ insofern, als der Vertrag mit dem objektiv-normativen Inhalt zustande kommt, den ein vernünftiger Empfänger an der Stelle des Arbeitgebers zugrunde legt. 231

b) Dissens – mit der Folge, daß ein Vertrag nicht zustande gekommen ist – liegt mithin nur in den Fällen vor, in denen weder ein natürlicher noch ein normativer Konsens gegeben ist, 232 d. h. wenn die Parteien weder eine tatsächliche Willenseinigung noch eine äußere Übereinstimmung der Erklärungen erreicht haben.233 Ob das der Fall ist, muß im Wege der Auslegung ermittelt wer-

227

Nach LAG Hamm v. 7. 9. 1992 – 19 Sa 531/92, LAG-E 68 (Juli 1993), § 611 Nr. 6. So das LAG Hamm, ebd. (Fn. 227). Das Gericht ging in dem Fall von einem Geschäft für den, den es angeht aus, da es der Arbeitnehmerin lediglich darauf ankam, im Unternehmensbereich der Beklagten zu arbeiten, es ihr aber gleichgültig war, mit wem der Arbeitsvertrag zustande kam, wer somit ihr Arbeitgeber war. 229 Darauf wird noch näher unten § 7 B. V. 7 b bb im Rahmen der Irrtumsanfechtung eingegangen. 230 So zu Recht das LAG Hamm unter Berufung auf die Entscheidung LAG BadenWürttemberg/Stuttgart v. 12. 6. 1968 – 4 Sa 37/68, BB 1968, 912. 231 Zu weit gefaßt ist der zweite Leitsatz des Urteils des LAG Hamm (Fn. 227): „Grundsätzlich trifft den ausländischen Arbeitnehmer das Sprachrisiko beim Abschluß eines Arbeitsvertrages.“; siehe ferner LAG Tübingen, Urt. v. 12. 7. 1968, BerlWirt 1968, 932. Nach dieser Entscheidung trägt ebenfalls der ausländische Gastarbeiter, der die deutsche Sprache nicht oder nicht hinreichend beherrscht, das „Sprachrisiko“. Er kann die Begründung eines Dauerarbeitsverhältnisses nicht unter Berufung darauf herleiten, daß er bei den Vertragsverhandlungen die Einstellungsbedingungen des deutschen Arbeitgebers, der ihm nur einen Zeitvertrag oder eine Probebeschäftigung auf bestimmte Zeit angeboten hat, nicht verstanden habe. 232 S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 237 f.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 29 Rn. 74. 233 So die Formulierung bei Staudinger/Bork, § 155 Rn. 3. 228

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den. 234 Liegt Dissens vor, ist es irrelevant, ob ein Irrtum der Parteien gegeben war.235 2. Offener und versteckter Dissens Man unterscheidet allgemein den offenen von dem versteckten Dissens. Offener Dissens liegt vor, wenn die Kontrahenten wissen, daß sie einen Vertrag entweder noch nicht geschlossen haben oder sich noch nicht über alle Vertragspunkte geeinigt haben.236 Versteckter Dissens ist gegeben, wenn die Parteien der Meinung sind, sie hätten den intendierten Vertrag geschlossen, während dies in Wahrheit nicht der Fall ist.237 II. Die Unterscheidung zwischen dem „Totaldissens“ und den in §§ 154, 155 BGB geregelten Fällen des Dissenses Innerhalb der Kategorie des Dissenses ist zwischen den Fällen des sog. Totaldissenses, auch logischer Dissens genannt, 238 und den in §§ 154, 155 BGB geregelten Dissensfällen zu unterscheiden. 1. Der sog. Totaldissens oder logische Dissens Der Totaldissens betrifft die Fälle der Uneinigkeit der Parteien über die Hauptpunkte des Vertrags, also die essentialia negotii.239 Dieser Fall ist im BGB nicht 234 Staudinger/Bork, § 154 Rn. 4, Trinkner, BB 1967, 999 (1000); Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 122; siehe auch Diederichsen, FS Hübner, S. 421 ff. 235 V. Tuhr, BGB AT II/1, S. 481: „Ob beim Dissens ein Irrtum der Parteien mitgewirkt hat, ist für das negative Resultat, Scheitern der Vertragsverhandlungen, gleichgültig.“ 236 Flume, BGB AT, § 34, 4 (S. 622); Staudinger/Bork, § 154 Rn. 2; aus der Rechtsprechung siehe z. B. BGH NJW-RR 1993, 450 = FamRZ 1993, 1191. 237 Flume, BGB AT, § 34, 4 (S. 622); Staudinger/Bork, § 154 Rn. 2. 238 Diederichsen, FS Jur. Ges. Berlin, S. 81 (89 ff.); Staudinger/Bork, § 154 Rn. 3. 239 So ist etwa ein Kaufvertrag nicht als zustandegekommen anzusehen, wenn die Parteien sich nicht über den Kaufpreis geeinigt haben; dies gilt selbst dann, wenn sie den Preis nicht für essentiell gehalten haben sollten, siehe Medicus, BGB AT, Rn. 438; Flume, BGB AT, § 34, 6 (S. 627); Staudinger/Bork, § 154 Rn. 5; siehe ferner BGH NJW-RR 1999, 927 (Nichtzustandekommen eines Kaufvertrages im Falle offenen Einigungsmangels über eine Kaufpreisverrechnungsabrede bei mehreren bestrittenen Forderungen), BGH DB 1978, 978 = WM 1977, 1349 (Dissens bei Kaufpreisänderung infolge der Veränderung steuerlicher Wertansätze) sowie RGZ 124, 81 (84), wo nur die obere Grenze des Kaufpreises bestimmt worden war. Eine gewisse Ausnahme bildet der Fall BGHZ 149, 129 = NJW 2002, 363 zur Frage des Zustandekommens des Kaufvertrages bei einer Versteigerung im Internet durch vorweggenommene Annahmeerklärung des Verkäufers in bezug auf das zukünftige Höchstgebot. – Eine richterliche Vertragsergänzung entsprechend §§ 315 BGB ist bei Fehlen der essentialia negotii eigentlich nicht möglich, zutreffend Flume, BGB AT, § 34, 6 (S. 631). Nach BGH NJW 2002, 817 (818) gilt dies jedoch nicht, wenn eine Vertragsbindung gewollt ist: § 154 Abs. 1 S. 1 BGB sei unanwendbar, wenn sich die Parteien trotz der noch offenen Punkte erkennbar vertraglich binden wollten. Anzeichen für einen dahingehenden Bindungswillen sei die begonnene Ver-

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geregelt; 240 insbesondere gelten die §§ 154, 155 BGB dafür nicht, 241 weil diese Vorschriften nur die Fälle der Uneinigkeit der Parteien über Nebenpunkte, die accidentalia negotii, regeln.242 Der erste Entwurf zum BGB hatte in § 78 noch eine Regelung des Totaldissenses enthalten; 243 sie wurde vom Gesetzgeber zu Recht als überflüssig angesehen. Denn eine vertragliche Bindung kommt nach dem Grundsatz der Privatautonomie nicht in Betracht, wenn sich die Parteien (noch) nicht über die Hauptpunkte des Vertrags geeinigt haben. 244 Ein versteckter Einigungsmangel ist allerdings nur gegeben, wenn die Erklärungen der Parteien sich ihrem Inhalt nach nicht decken. Daß die Parteien möglicherweise inhaltlich Verschiedenes gewollt haben, reicht für die Annahme eines Dissenses gerade nicht aus.245

tragsdurchführung. Beziehe sich die Lückenhaftigkeit des Vertrags auf die Höhe der Vergütung, so sei, wenn eine Bindung gleichwohl gewollt sei, diese Lücke entweder über eine ergänzende Vertragsauslegung oder über die (ggf. entsprechende) Anwendung einer gesetzlichen Regelung (d. h. §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2 BGB) zu schließen; siehe auch BGH NJW-RR 1992, 517; BGH NJW 1997, 2671 (2672). Danach kann selbst ohne jegliche Vereinbarung über den Mietzins ein Mietvertrag zustande kommen, sofern sich die Parteien bindend über eine entgeltliche Überlassung des Gebrauchs geeinigt haben. Alsdann gilt eine angemessene oder ortsübliche Miete als vereinbart, wiederum entweder im Wege ergänzender Vertragsauslegung oder entsprechend §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2 BGB. Durch die §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2 und 653 Abs. 2 BGB kann das Gesetz die Dissensfolgen vermeiden (vgl. BGH NJW-RR 1996, 952; Larenz/Wolf, BGB AT, § 29 Rn. 75). – Aus dem Grundsatz der Privatautonomie folgt umgekehrt, daß die Parteien das Recht haben, einen objektiv gesehen nebensächlichen Punkt übereinstimmend zu einem vertragswesentlichen zu erklären. So könnte z. B. die Vertragsperfektion bei dem Kauf eines seltenen sammelwürdigen Gegenstandes, z. B. eines kostbaren Buchs oder eines Gemäldes, bei feststehendem Preis ohne weiteres davon abhängig gemacht werden, daß sich das Sammelobjekt in einem einwandfreien Zustand befindet. Denn aus Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise – Händler und Sammler – handelt es sich dabei um einen ganz zentralen, wertbestimmenden Faktor. 240 S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 236; Flume, BGB AT, § 34, 6 (S. 627); Soergel/Wolf, § 155 Rn. 18, Larenz/Wolf, BGB AT, § 29 Rn. 75; Diederichsen, FS Jur. Ges. Berlin, S. 81. – Paradigmatisch für den Totaldissens ist der Weinsteinsäurefall des RG (RGZ 104, 265), wo die Parteien jeweils annahmen, daß der andere Teil kaufen wolle, während er in Wahrheit verkaufen wollte; siehe dazu MüKo BGB/Kramer, § 155 Rn. 7 und Medicus, BGB AT, Rn. 438 mit abweichendem Ergebnis unter Berücksichtigung des Kontexts. 241 S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 236; MüKo BGB/Kramer, § 154 Rn. 5. 242 S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 240, 243; MüKo BGB/Kramer, § 154 Rn. 4 f. und § 155 Rn. 14; Larenz/Wolf, BGB AT, § 29 Rn. 79. 243 Die Vorschrift sollte lauten: „Solange die Vertragsschließenden über die nach dem Gesetze zum Wesen des zu schließenden Vertrages gehörenden Theile sich nicht geeinigt haben, ist der Vertrag nicht geschlossen.“ 244 Staudinger/Bork, § 154 Rn. 8; vgl. aber auch BGHZ 149, 129 = NJW 2002, 363 – ricardo. de. 245 Zutreffend BGHZ 130, 150 (153) = NJW 1995, 269; BGH NJW 1993, 1798.

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2. Die in §§ 154, 155 BGB geregelten Dissensfälle a) § 154 BGB regelt den offenen, § 155 BGB den versteckten Dissens. Beide Vorschriften erfassen als gesetzliche Auslegungsregeln für Zweifelsfälle246 – wie erwähnt – nur Einigungsmängel, die sich auf Nebenpunkte des Vertrags, d. h. auf die accidentalia negotii, beziehen (sog. Teildissens 247).248 Die im Hinblick auf „Sprachrisiko“-Fragen bedeutsameren Fälle des Totaldissenses liegen außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Vorschriften. b) Sind die Voraussetzungen des normativen oder des natürlichen Konsenses gegeben, greift weder § 154 BGB249 noch § 155 BGB ein.250 Für den versteckten Dissens nach § 155 BGB bleiben nur diejenigen Fälle übrig, in welchen die Kontrahenten trotz fehlenden – natürlichen oder normativen – Konsenses übereinstimmend von der Wirksamkeit des Vertragsschlusses ausgegangen sind.251 Das ist praktisch wenig relevant, kann aber z. B. bei Mehrdeutigkeit der Erklärungen einmal der Fall sein.252 3. Die Abgrenzung zwischen Dissens und Irrtum a) Fraglich ist, wie die Fälle des Dissenses von jenen des zur Anfechtung berechtigenden Irrtums (§ 119 Abs. 1 BGB) abzugrenzen sind. Eine solche Abgrenzung ist schon wegen des nach einer Irrtumsanfechtung bestehenden Verpfl ichtung des Irrenden zum Ersatz des Vertrauensschadens (§ 122 Abs. 1 BGB) notwendig. Begrifflich ist dem versteckten Dissens, und zwar sowohl dem versteckten Totaldissens als auch den in § 155 BGB geregelten Fällen, ein Irrtum 246 MüKo BGB/Kramer, § 154 Rn. 1, 6, 13; Staudinger/Bork, § 154 Rn. 6 und § 155 Rn. 15; Soergel/Wolf, § 154 Rn. 5, 11; Larenz/Wolf, BGB AT, § 29 Rn. 81, 84; Diederichsen, FS Hübner, S. 421 (427 f.). Konsequenz der Einordnung als Zweifelsregelung ist, daß der offene Dissens die Vertragsperfektion nicht hindert, wenn sich die Parteien trotz der noch offenen Nebenpunkte erkennbar vertraglich binden wollten (BGH NJW 1997, 2671). Dies kann insbesondere aus der tatsächlichen Vertragsdurchführung folgen (BGHZ 119, 283, 288 = NJW 1993, 64; BGH NJW 2002, 817, 818). 247 MüKo BGB/Kramer, § 155 Rn. 7. 248 Flume, BGB AT, § 34, 6 (S. 627). 249 § 154 Abs. 1 BGB betrifft den offenen Dissens über Nebenpunkte, d. h. den Fall, daß sich beide Parteien bewußt sind, daß sie noch nicht über alle Vertragspunkte einig geworden sind; siehe MüKo BGB/Kramer, § 154 Rn. 3: „agree to disagree“ bzw. „agree to not yet agree“. Diese Regelung ist für die „Sprachrisiko“-Fälle ohne praktische Relevanz und wird daher hier nicht weiter untersucht; vgl. dazu noch MüKo BGB/Kramer, § 154 Rn. 4 mit Fn. 10, u. a. mit Hinweis auf die in den Rechtsfolgen abweichenden Regelungen in Art. 2 Abs. 1 des schweizerischen Obligationenrechts und Art. 2. 1. 14 Abs. 1 der UNIDROIT Principles. 250 S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 243. 251 S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 245; MüKo BGB/Kramer, § 155 Rn. 1 f.; Soergel/Wolf, § 155 Rn. 5. 252 Soergel/Wolf, § 155 Rn. 10 m. w. N.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 29 Rn. 86; siehe auch RGZ 68, 6 – Semilodei; RGZ 104, 265 – Weinsteinsäure; RGZ 116, 274 – Typenflug (ein Begriff, mit dem der Verkehr nach den Feststellungen des Berufungsgerichts keinen bestimmten Sinn verband, vgl. a.a.O., S. 276).

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inhärent, nämlich die Fehlvorstellung der Parteien über die Vertragsperfektion; damit liegt zugleich ein Irrtum bezüglich der abgegebenen Erklärungen vor. 253 Aus der Gesetzesgeschichte ergibt sich, daß der versteckte Dissens ursprünglich als Irrtumsfall behandelt wurde (vgl. die Regelungen der §§ 10, 98 des Ersten Entwurfs zum BGB). Erst durch die zweite Kommission wurde der Dissens von der Irrtumsregelung deutlich abgegrenzt. 254 b) Üblicherweise grenzt man beide Institute heute wie folgt ab: Dissensfälle betreffen den Irrtum über den Inhalt der Erklärung des Gegners, die Fälle der Irrtumsanfechtung betreffen hingegen den Irrtum über die eigene Erklärung. 255 Ein Irrtum i. S. des § 119 Abs. 1 BGB, der zur Anfechtung berechtigt, liegt insbesondere vor, wenn ein normativer Konsens gegeben ist, eine Partei jedoch über den normativen Inhalt der – eigenen – Erklärung irrt. 256 Normativer Konsens und damit die Vertragsperfektion liegt auch in den in der Praxis seltenen Fällen des beiderseitigen Inhalts- oder Erklärungsirrtums vor.257 Erst recht gilt dies bei Vorliegen unterschiedlicher Motivirrtümer der Kontrahenten. 258 c) Nach Ansicht von Stephan Lorenz sollen sich Abgrenzungsprobleme zwischen Dissens und Irrtum insbesondere aus den an den normativen Konsens zu stellenden Anforderungen ergeben. 259 Lege man beide Vertragserklärungen der Kontrahenten nach dem Sinn aus, den der jeweilige Erklärungsempfänger der Erklärung nach objektiviertem Maßstab zumessen durfte, so würden Dissensfälle oft Irrtumsfälle verdrängen, da ein Irrtum über die eigene Erklärung indirekt auch Dissens begründen könne. „Irre“ nämlich der Erklärende über den normativen Inhalt der eigenen Erklärung, dürfe er – sofern sich aus seiner Warte der normative mit dem wirklichen Inhalt decke – auch die darauf reagierende Vertragserklärung des anderen Teils in dem Sinne seiner Erklärung verstehen. Diese Auffassung vermag nicht zu überzeugen: Das normative Verständnis der Erklärung des Gegners ist – gemäß der Lehre vom Empfängerhorizont – immer ein objektives, d. h. es gibt kein normatives Verständnis der Erklärung des Gegners aus der Sicht des irrenden Kontrahenten, das von dem „normalen“ normativen Verständnis abweicht. Die Gegenauffassung von Lorenz vermengt objektiv-normative und konkret-individuelle Auslegungsgesichtspunkte innerhalb 253

Flume, BGB AT, § 34, 4 (S. 622). Staudinger/Bork, § 155 Rn. 2. 255 Palandt/Heinrichs, § 119 Rn. 8; Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 27 III (S. 525); Larenz/ Wolf, BGB AT, § 29 Rn. 77. 256 Flume, BGB AT, § 34, 4 (S. 623); S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 238. 257 Soergel/Wolf, § 155 Rn. 11: „Sofern jedoch ein beiderseitiger Inhalts- oder Erklärungsirrtum vorliegt, der jeden getrennt zur Anfechtung nach § 119 berechtigt, ist der Vertrag ohne Anfechtung insgesamt und nicht nur in seinem Restbestand wirksam.“ 258 Soergel/Wolf, § 155 Rn. 11: „Ein beiderseitiger unterschiedlicher Motivirrtum führt jedoch weder zur Anfechtung noch zur Unwirksamkeit nach § 155. Die Wertungen in § 119 dürfen insoweit nicht durch § 155 verdrängt werden.“ 259 S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 238. 254

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der normativen Auslegung und verfährt somit in einer Weise, vor der oben gewarnt wurde. Ein mögliches „‚Patt‘ zweier normativ-inhaltlich divergierender Erklärungen“260 gibt es nach hier vertretener Ansicht nicht. Ungeachtet dessen sind die von Lorenz gefundenen Ergebnisse261 letztlich richtig: (1) Die normative Auslegung von Willenserklärungen führt zu einem vermehrten Auftreten nicht (so) gewollter Verträge: Im Zweifel ist der erforderliche normative Konsens gegeben und der Vertragsschluß – zumindest vorläufig – perfekt. 262 Die Gegenpartei wird in ihrem Vertrauen auf die objektive Bedeutung der Erklärung geschützt. 263 Das entspricht nach Auffassung des historischen Gesetzgebers dem „Interesse des Verkehres an thunlichster Aufrechterhaltung der Verträge“.264 Das Recht der Willenserklärungen bietet somit aus Gründen des Verkehrs- und Vertrauensschutzes nur einen ziemlich geringen präventiven Schutz vor dem Zustandekommen unerwünschter Verträge. 265 (2) Der Erklärende kann seine irrtumsbehaftete Vertragserklärung grundsätzlich nach § 119 Abs. 1 BGB anfechten. 266 Der Schutz des Irrenden ist damit kein präventiver, sondern ein nachträglicher, und er ist mit dem Nachteil der Verpflichtung zum Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 122 Abs. 1 BGB behaftet. Vor dem Hintergrund des Vertrauens- und Verkehrsschutzes überzeugt dieser Regelungsansatz gleichwohl. III. Einordnung des „Sprachrisikos“ 1. Vorüberlegungen a) Die „Sprachrisiko“-Konstellationen sind dadurch gekennzeichnet, daß eine Partei – die nicht hinreichend sprachkundige – entweder über die Bedeutung ihrer eigenen Erklärung oder über die Bedeutung der Erklärung des Gegners irrt. Dieser Irrtum bezieht sich in aller Regel auf die bedeutsamen Vertragsteile, 260

So S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 238. S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 238 f. 262 MüKo BGB/Kramer, § 155 Rn. 3 spricht treffend von dem „pathologischen“ Fall eines „normativen“ Konsenses. 263 Staudinger/Bork, § 155 Rn. 3. 264 Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. I, 1896, S. 28, entspricht Mugdan, Materialien, Bd. I, S. 837 (zu § 151 des Entwurfs, dem jetzigen § 155 BGB). 265 Wie der „Speisekartenfall“ Jherings zeigt, gilt dies selbst in den Fällen, in denen sich ein externes, von den Parteien nicht oder nicht ohne weiteres beherrschbares Risiko verwirklicht. Richtigerweise ist – mangels Zurechenbarkeit der alten Speisekarte gegenüber dem Wirt – Dissens anzunehmen (siehe oben Fn. 214). In solchen Fällen der von den Parteien nicht zu verhindernden Risikoverwirklichung besteht also – wenn man mit einem Teil der Literatur Dissens annimmt – ein Schutz vor dem Zustandekommen unerwünschter Verträge. Das überzeugt vor dem Hintergrund der im Text angesprochenen Rechtsprinzipien des Verkehrs- und Vertrauensschutzes sowie dem Prinzip der Selbstbestimmung, weil keiner der beiden Kontrahenten für das heimliche Zurücklegen der Speisekarte durch einen Dritten einzustehen hat. 266 Siehe dazu unten § 7 B. V. 261

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also auf die essentialia negotii und nicht die accidentalia negotii. Für die „Sprachrisiko“-Fallgestaltungen haben die § 154, 155 BGB daher nur eine sehr geringe Bedeutung. Fraglich ist aber, ob wir es mit einem Totaldissens oder einem Irrtum i. S. des § 119 Abs. 1 BGB (Inhalts- oder Erklärungsirrtum) zu tun haben. b) Hier sind verschiedene Grundfälle zu unterscheiden: (1) Da das Vertragsrecht des BGB den normativen Konsens für die Wirksamkeit des Vertragsschlusses ausreichen läßt, kommt es in den Fällen, in denen der Gegner den Irrtum nicht erkannt hat, zum Vertragsschluß mit dem Inhalt der objektiven Verkehrsbedeutung des Erklärten.267 Der Sprachunkundige ist in diesem Fall auf die Anfechtung seiner Erklärung wegen Irrtums gemäß § 119 BGB zu verweisen. (2) Hat der Gegner den Irrtum und das wirklich Gewollte erkannt, gilt die Erklärung in dem gewollten Sinn (also z. B. Quittung statt Verzicht im Fall der Ausgleichsquittung). Hat die Erklärung in diesem gewollten Sinn für den Gegner keine Tauglichkeit – Beispiel: die kreditgewährende Bank will keine Vollmachtserklärung erhalten, sondern eine Bürgschaft zugunsten des Hauptschuldners –, kommt es nicht zum Vertragsschluß. Das als bloße Kontovollmacht unterschriebene Bürgschaftsformular wäre als solches eine perplexe Erklärung. Damit liegt der im Gesetz wegen Selbstverständlichkeit ungeregelt gebliebene Fall des Totaldissenses vor. 2. Das Problem des vom Erklärungsgegner erkannten bzw. für möglich gehaltenen Irrtums bei nicht erkanntem wirklichen Willen des Erklärenden a) Hält es der Gegner für möglich oder erkennt er, daß der Erklärende etwas anderes erklären wollte als er tatsächlich erklärt hat, ohne aber trotz Wahrung der Auslegungssorgfalt den tatsächlichen Willen des anderen Teils erkennen zu können, dann liegt ein Problemfall vor. Hier wird dafür plädiert, die Erklärung zumindest vorläufig im objektiv-normativen („normalen“) Sinne gelten zu lassen. Denn es liegt im Interesse des Erklärenden – insbesondere dann, wenn eine ad hoc-Aufklärung über das wirklich Gewollte nicht möglich ist –, der Erklärung überhaupt irgendeinen Erklärungswert beizumessen und sie nicht von vornherein wegen Perplexität für ungültig zu erklären.268 Es handelt sich um ein 267

Neuner, JuS 2007, 881 (883). Ebenso S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 237 mit Fn. 137 m. w. N.: „Erkennt der Erklärungsgegner nur den Fehler, nicht aber das wirklich Gewollte, ergibt sich wohl aus § 122 Abs. 2 BGB die (vorläufige) Geltung des objektiv Erklärten, bei objektiver Mehrdeutigkeit muß Perplexität angenommen werden (. . .).“; vgl. ferner MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 116: „Wenn nur erkennbar wird, dass die abgegebene Erklärung so wie sie lautet nicht gewollt ist, ohne dass die wirkliche Vorstellung der Partei erkennbar ist, kann man dann die Erklärung für perplex oder nicht genügend konkret ansehen, oder dass der Vertrag wegen Dissenses nicht zustande komme.“ – Hierzu sei noch einmal auf das oben erörterte Beispiel der indischen Touristen im bayerischen Biergarten hingewiesen. Die Erklärung „Ich möchte diesen Teppich nicht kaufen, bitte“ ist nicht als Bierbestellung (auch nicht aus 268

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Argument des Verkehrsschutzes, und zwar nicht nur zugunsten des Adressaten, sondern gerade auch zugunsten des Erklärenden, dem mit der Annahme eines perplexen Erklärungsinhalts nicht gedient ist, namentlich dann nicht, wenn er keinem Irrtum unterlag. Beispiel 1: Die Bank B hat eine formgültige Bürgschaftserklärung zugunsten des Hauptschuldners A von dem Bürgen C, einem Ausländer, erlangt. A, der den C nicht um die Abgabe der Erklärung gebeten hat, fragt sich nun, ob der C als Ausländer die Erklärung auch richtig verstanden hat, ob er wirklich wußte, was er unterschrieben hat. Die Erklärung ist in dem objektiv-normativen Sinn, d. h. als Bürgschaftserklärung zu verstehen, solange der C diese nicht nach § 119 Abs. 1 BGB anficht. Es liegt kein Dissensfall vor. Beispiel 2: 269 Der Händler X bietet dem Y schriftlich „Haakjöringsköd“ zu einem ungewöhnlich günstigen Preis an. Y weiß als Fachmann, daß es sich dabei um die norwegische Bezeichnung für Haifischfleisch handelt. Er fragt sich angesichts des günstigen Preises aber, ob der X wirklich Haifischfleisch anbieten wollte, oder nicht z. B. das am Markt günstiger zu bekommende Walfischfleisch. Auch hier gilt die Erklärung in dem objektiv-normativen Sinn, d. h. das Angebot ist – vorbehaltlich der Irrtumsanfechtung durch den X – auf Haifischfleisch gerichtet.

b) Teilweise wird angenommen, es liege Dissens i. S. des § 155 BGB vor, „wenn ein Kontrahent die objektive Zwei- bzw. Mehrdeutigkeit der Erklärung seines Vertragspartners erkennt, den tatsächlichen Willen des Partners aber nicht kennt“, 270 sowie bei „Mehrdeutigkeit der Erklärung“.271 Diese Annahme würde nicht überzeugen, sofern sie auch für die Fälle gelten sollte, daß sich der besagte Irrtum nicht auf einen Nebenpunkt, sondern auf ein Hauptelement des Vertrags bezieht. Dann müßte konsequenterweise Totaldissens angenommen werden, weil § 155 BGB für diese Fälle nicht gilt. Unabhängig von dem Bezugsden Umständen) erkennbar. Aus Sicht eines objektiven Empfängers entbehrt die Erklärung in ihrem Kontext jeden Sinnes und ist daher nichtig. Im Normalfall müßte auch die reale Empfängerin in dem Beispiel an der Ermittlung des wahren Sinns scheitern: Eine erfahrene Kellnerin mag zwar erahnen, daß es sich um eine Getränkebestellung handelt, möglicherweise auch noch, daß die Herren wahrscheinlich Bier trinken wollen; sie weiß dann aber immer noch nicht, welche Biersorte genau sie bringen soll, da im Normalfall ja mehrere davon zur Auswahl stehen. Hier würden also sowohl die vorrangige „individuelle Auslegung“ als auch die objektiv-normative Auslegung zum Ergebnis der Nichtigkeit wegen Perplexität gelangen. 269 In Abwandlung des Sachverhalts der Entscheidung RGZ 99, 147. 270 MüKo BGB/Kramer, § 155 Rn. 5. 271 Nach MüKo BGB/Kramer, 155 Rn. 5 gilt § 122 Abs. 2 BGB nicht in den Fällen der auch unter Berücksichtigung des „Gesamttatbestands“ der Erklärung verbleibenden Mehrdeutigkeit der Erklärung. Normativer Konsens – und nicht versteckter Dissens wegen objektiver Mehrdeutigkeit – sei anzunehmen, wenn ein Angebot tatsächlich – isoliert betrachtet – eine gewisse Widersprüchlichkeit (Unklarheit) aufweise, eine systematische Interpretation aber doch zu einem klaren Auslegungsergebnis führe (Kramer, a.a.O., § 155 Rn. 3 mit Fn. 7 unter Hinweis auf BGH NJW 2003, 743).

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punkt (also Haupt- oder Nebenpunkt des Vertrags) ist die Geltung der Erklärung im objektiv-normativen Sinn gegenüber der Annahme, es liege (Total-)Dissens vor, vorzugswürdig. Zuzugeben ist allerdings, daß es sich bei dieser in der Praxis nur selten auftretenden Fragestellung in dogmatischer Hinsicht um einen Grenzfall handelt. 3. Ausgleichsquittung und Dissens a) In den Fällen der Unterzeichnung von Ausgleichsquittungen ist im älteren Schrifttum die These vertreten worden, es handele sich um Anwendungsfälle des offenen Dissenses. 272 Diese Auffassung wurde argumentativ darauf gestützt, daß sich durch Auslegung nach den Regeln der §§ 133, 157, 242 BGB ergebe, „daß einerseits der unterzeichnende Arbeitnehmer überhaupt keinen Erklärungswillen hinsichtlich eines Verzichts auf Kündigungsschutz hatte, und daß andererseits der Arbeitgeber diesen Mangel an Erklärungswillen erkannte oder erkennen mußte.“273 Etwas anderes solle nur dann gelten, „wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zu verstehen gab, daß er die Kündigung widerspruchslos hinnehmen wolle“.274 Dann dürfe man auch ohne besonderen Hinweis des Arbeitgebers von der Unterschriftsleistung auf einen entsprechende Verzichtswillen schließen. 275 b) Diese Ansicht hat im Schrifttum schon früh Widerspruch erfahren. 276 Ihre Kritiker argumentierten, daß sowohl der offene als auch der versteckte Dissens voraussetzen, daß sich Wille und Erklärung jeder Partei decken, es jedoch an der Kongruenz der Willenserklärungen mangele. Daran fehle es in den Fällen der ungelesen unterschriebenen Ausgleichsquittung. Die Parteien hätten weder einen Punkt vergessen noch fehle es einer der Parteien am Erklärungswillen, denn beide Erklärungen stimmten objektiv überein. 277 Wenn der Erklärende eine so kurze Urkunde, wie es die Ausgleichsquittung in der Regel sei, ungelesen unterzeichne, so könne nicht davon ausgegangen werden, daß er im Hinblick auf den objektiven Erklärungswert der Urkunde keinen Erklärungswillen habe. 278 Diese Kritik, die sich zunächst nur auf die Fälle der ungelesen unterzeichneten Ausgleichsquittungen bezog, wurde später auf die „Sprachrisiko“Fälle übertragen. Ein Vertreter des Schrifttums hat dazu geäußert, das Sprachrisiko sei „nie ein Problem des offenen oder versteckten Einigungsmangels 272

Trinkner, BB 1967, 999 (1000 f.). Trinkner, BB 1967, 999 (1000); siehe auch dens., BB 1968, 125 (127). Demgegenüber nahm ArbG Wiesbaden, Urt. v. 6. 2. 1980 – 6 Ca 5295/79, BB 1980, 630 (LS) versteckten Dissens an. 274 Trinkner, BB 1967, 999 (1001). 275 Trinkner, BB 1967, 999 (1001). 276 Stahlhacke, NJW 1968, 580 (581 f.); Küster, DB 1968, 1204 (1206); ablehnend betreffend die Annahme eines offenen Dissenses Jancke, Sprachrisiko, S. 242. 277 So Küster, DB 1968, 1204 (1206). 278 Stahlhacke, NJW 1968, 580 (582). 273

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(§§ 154, 155 BGB)“, da der einschlägige Erklärungssachverhalt stets eine objektive Geltungserklärung darstelle. 279 c) Richtigerweise ist danach zu unterscheiden, ob der Erklärungsgegner – d. h. der Arbeitgeber – den fehlenden Verzichtswillen des Arbeitnehmers erkannt hat oder nicht. In dem erstgenannten Fall muß er sich wie gezeigt an seiner Kenntnis festhalten lassen (Vorrang der Auslegung). Dann liegt mangels Kongruenz der Erklärungen kein wirksamer Verzicht, genauer: kein Erlaßvertrag i. S. des § 397 Abs. 1 BGB vor. Vielmehr ist von einem Totaldissens auszugehen; die §§ 154, 155 BGB sind auch hier nicht einschlägig. 280 Anders ist jedoch der Fall zu bewerten, daß der Arbeitgeber von dem fehlenden Verzichtswillen des Arbeitnehmers nichts wußte und auch nichts wissen mußte. Dann nämlich ist entscheidend, daß sich die Erklärungen der Parteien objektiv betrachtet decken. Es liegt normativer Konsens vor. Der Arbeitnehmer muß, wenn er von dem Erlaßvertrag loskommen möchte, seine Erklärung gemäß § 119 Abs. 1 BGB wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtums anfechten. Ob und inwieweit ihm diese Möglichkeit offensteht, wird unten in § 7 untersucht. 281 4. Nonverbale, konkludente Erklärungen und Dissens Fraglich ist, was bei Irrtümern über den Inhalt konkludenter, nonverbaler Erklärungen zu gelten hat. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß in Griechenland eine bestimmte Form des Kopfnickens Ablehnung bedeuten kann. Sie besteht in einer senkrechten Bewegung des Kopfes von unten nach oben. 282 Wird eine derartige Willenserklärung in Deutschland gegenüber einem Nichtgriechen abgegeben, ist ein Mißverständnis – nämlich die Wertung durch den Gegner als Zustimmung statt als Ablehnung – immerhin möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich. Ob in diesem Fall ein normativer Konsens, d. h. Vertragsperfektion, oder aber Dissens vorliegt, ist nicht leicht zu entscheiden. Denn wegen der ungewöhnlichen Art des Nickens (von unten nach oben statt wie in Deutschland üblich von oben nach unten) sowie wegen des damit unter Umständen verbundenen Begleitgeräuschs des Schnalzens mit der Zunge läßt sich nicht einfach sagen, daß sich die Erklärungsinhalte der Parteierklärungen objektiv decken. So betrachtet liegt also kein normativer Konsens, sondern der im BGB ungeregelt gebliebene Fall des Totaldissenses vor. Einer Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB bedarf es mangels Vertragsschlusses daher nicht.

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Baumgärtel, Sprachrisiko, S. 72. Das wurde in den einschlägigen älteren Monographien und Aufsätzen, die sich mit der Frage der Anfechtung von Ausgleichsquittungen durch ausländische Arbeitnehmer auseinandersetzen, sehr häufig übersehen. 281 Siehe unten § 7 B. V. 282 Eine senkrechte Bewegung des Kopfes von oben nach unten bedeutet hingegen dem Vernehmen nach auch unter Griechen Zustimmung. 280

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D. Die Auslegung von Verträgen I. Einführung Für die Vertragsauslegung ist § 157 BGB ebenso wie für die Auslegung von Willenserklärung von entscheidender Bedeutung. Die zuvor erfolgte Erörterung der Auslegung von Willenserklärungen macht eine eigenständige Darstellung der Vertragsauslegung nicht obsolet, insbesondere wegen der Institute der ergänzenden und der interessengerechten Auslegung. Im folgenden ist daher zu untersuchen, welche Bedeutung diese Auslegungsmethoden allgemein – namentlich in der Rechtsprechung des BGH – haben und daran anschließend, ob sie sich zur Bewältigung der „Sprachrisiko“-Fälle eignen. Insbesondere ist zu untersuchen, ob diese Methoden als Schutzinstrumente zugunsten des nicht sprachmächtigen Vertragspartners fungieren können (unten II.). In diesem Zusammenhang ist weiter auf die Frage einzugehen, wie fremdsprachige Rechtsbegriffe und Vertragsklauseln unter der Geltung des deutschen Rechts auszulegen sind. 1. Die ergänzende Vertragsauslegung a) Die ergänzende Vertragsauslegung hat ihre dogmatische Grundlage in dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 157 BGB).283 Ihr liegt das Leitbild eines redlich und loyal denkenden Vertragspartners zugrunde.284 Die Rechtsprechung verwendet sie zur Ausfüllung planwidriger Regelungslücken. 285 Eine im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließende Regelungslücke liegt vor, „wenn der Vertrag innerhalb des durch ihn gesteckten Rahmens oder innerhalb der objektiv gewollten Vereinbarung ergänzungsbedürftig ist, weil eine Vereinbarung in einem regelungsbedürftigen Punkt fehlt (. . .). Unmaßgeblich ist grundsätzlich, auf welchen Gründen die Unvollständigkeit der Regelung beruht (. . .). Die ergänzende Vertragsauslegung kommt allerdings zumeist nicht in Betracht, wenn das dispositive Recht Regelungen für die offen gebliebene Problematik bereit hält (. . .).“286 b) Regelungslücken können z. B. infolge der Unwirksamkeit einzelner Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auftreten 287 oder deshalb, weil die Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keinen Anlaß hatten, einen be283 So schon Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 175; zur Entwicklung siehe Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 390 ff.; ablehnend Wieacker, JZ 1967, 385 (390) m. w. N., der diese Figur ganz durch eine objektive Bestimmung der Leistungspfl icht nach § 242 BGB ersetzen wollte. 284 Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 108. 285 BGH NJW 1997, 652; BGHZ 90, 69 (73 ff.) = NJW 1984, 1177. 286 BGHZ 158, 201 (206) = NJW 2004, 1590. 287 Siehe BGHZ 90, 69.

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stimmten Punkt zu regeln 288 . Voraussetzung dafür ist, daß das dispositive Gesetzesrecht die bestehende vertragliche Regelungslücke nicht schließt. 289 In der Sache handelt es sich bei der ergänzenden Vertragsauslegung nicht um Auslegung im eigentlichen Sinn des Wortes, 290 sondern um die Ergänzung einer unvollkommenen vertraglichen Regelung. Diese Erkenntnis ist keineswegs neueren Datums. Bereits von Tuhr sprach davon, es handele sich „nicht um Auslegung, sondern um Ergänzung der Willenserklärung“. 291 c) Um die aufgetretene Lücke zu füllen, ist – sofern hier nicht ergänzendes, dispositives Gesetzesrecht eingreift – 292 der hypothetisch-normative Wille der Parteien zu ermitteln. Das ist derjenige Wille, der sich aus der konkreten Interessenlage der Parteien und aus den Umständen bei vernünftiger Abwägung als sachgerechte und angemessene Regelung ergibt (Gedanke der ausgleichenden Vertragsgerechtigkeit). 293 Irreführend ist die in der Literatur geäußerte These, daß auch der hypothetische Parteiwille 294 „so individuell wie möglich“295 zu ermitteln sei.296 Dafür streitet zwar die Parteiautonomie. Doch hat gerade die Rechtsprechung in einer sonst nicht gekannten Offenheit die Normativität und die Objektivität dieser Auslegungsmethode immer wieder betont: Textbeispiel 1: „Der hypothetische Parteiwille in dem hier in Betracht kommenden Sinne besteht (. . .) nicht in hypothetischen subjektiven Vorstellungen der Vertragsparteien. Die Ermittlung 288

BGH NJW 1997, 652. BGH, Urt. v. 25. 10. 2000 – XII ZR 136/98, Rn. 23 (juris). 290 Siehe Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 410: Der Satz „Ergänzende Auslegung setzt eine Lücke voraus“ besage nichts anderes als: Ergänzung setzt ergebnislose Auslegung voraus. Bei normativer Bestimmung der „Lücke“ entscheide die ergänzende Auslegung zugleich über ihre Voraussetzungen. Lüderitz bezeichnet die Trennung zwischen Lücke und Ergänzung im normativen Bereich als „Selbstbetrug“. Von einer Lücke zu reden, werde damit sinnlos (a.a.O., S. 406). Dem entspricht die Auffassung von Canaris, Feststellung von Lükken, S. 148 ff. (für teleologische Gesetzeslücken). 291 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 64 (S. 545 f.); siehe auch Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 167; Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, S. 145; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 391, 395; a. A. aber Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 101 f. 292 Siehe Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 454. 293 BGH NJW 1997, 652; BGHZ 90, 69 (75) = NJW 1984, 1177; BGHZ 16, 71 (76) = NJW 1955, 337; Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 116. 294 Näher dazu Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 395 ff. 295 Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 117. Diese Aussage wird durch die Feststellung in der folgenden Randnummer indessen stark im Sinne der Linie der Rechtsprechung relativiert, wenn es dort heißt, der hypothetisch-normative Wille werde geprägt von der normativ-interessengerechten Regelung, die die Parteien aus Sicht des Richters im Hinblick auf den mit dem Vertrags oder ihrer sonstigen Regelung verfolgten Zweck nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte vernünftigerweise gewollt hätten. 296 Abweichend Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 102, der die ergänzende Auslegung nicht an einem hypothetischen Parteiwillen, sondern lediglich an der Verständnismöglichkeit der Beteiligten messen will. 289

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des hypothetischen Parteiwillens bedeutet vielmehr das Suchen nach dem Anknüpfungspunkt, der sich aus der Eigenart des zu entscheidenden Sachverhalts und aus der Interessenlage, in die gegebenenfalls auch das Allgemeininteresse einzubeziehen ist, unter Berücksichtigung rein objektiver Gesichtspunkte ergibt. Dabei kommt der Frage besonderes Gewicht zu, wo sich der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses befindet.“297 Textbeispiel 2: „Die dem Tatrichter vorbehaltene Auslegung hat sich deshalb, wo ein eindeutiger Parteiwille nicht feststellbar ist, nicht so sehr auf die Feststellung hypothetischer subjektiver Vorstellungen der Parteien, als vielmehr auf eine vernünftige Interessenabwägung auf rein objektiver Grundlage zu richten (. . .).“298 Textbeispiel 3: „Für die ergänzende Vertragsauslegung trifft es nicht zu, daß die Vorschriften der §§ 157, 133 BGB nur ein »Hilfsinstrument« zur Ermittlung des Parteiwillens seien (. . .). Denn nicht den wirklichen Willen der Vertragsparteien hilft die ergänzende Vertragsauslegung zu erforschen, sondern eine lückenhafte vertragliche Regelung am Maßstab des – objektiv zu ermittelnden – hypothetischen Parteiwillens zu schließen (. . .). Denn die ergänzende Vertragsauslegung hat sich nicht nur an dem hypothetischen Parteiwillen, sondern auch an dem objektiven Maßstab von Treu und Glauben zu orientieren und muß zu einer die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigenden Regelung führen (. . .). Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß es nicht in erster Linie um die Ermittlung des tatsächlichen Parteiwillens geht (. . .), sondern daß sich die ergänzende Vertragsauslegung unter Anlegung eines objektiven Maßstabes (. . .) daran auszurichten hat, was die Parteien bei redlicher Denkungsweise als gerechten Innenausgleich akzeptiert hätten (. . .).“299

d) Der Ausgangspunkt der Rechtsprechung, daß es sich bei der Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens um eine vernünftige Interessenabwägung auf rein objektiver Grundlage handelt, läßt sich bis auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zurückverfolgen.300 Der BGH hat sie bereits früh übernommen 301 und 297

BGHZ 19, 110 (112) = NJW 1956, 377. BGHZ 33, 163 (165) = BGH NJW 1960, 2332. 299 BGHZ 90, 69 (76, 78, 80) = NJW 1984, 1177. Zutreffend daher die Feststellung von Flume, BGB AT, § 16 4 a (S. 322): „Im allgemeinen wird heute, soweit bei der ergänzenden Auslegung die Formel des ‚hypothetischen Parteiwillens‘ verwandt wird, diese mehr oder weniger objektiviert, indem gesagt wird, daß die an dem Rechtsgeschäft Beteiligten ‚nach Treu und Glauben‘ oder ‚verständigerweise‘ oder ‚unter Berücksichtigung der Verkehrssitte‘ usw. die Regelung getroffen haben würden, die der Richter in der ergänzenden Auslegung feststellt.“; siehe auch das Fazit von Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 101: „Die ergänzende Auslegung ist nach alledem ein unentbehrliches Hilfsmittel, um dem einzelnen Fall ‚sein‘ Recht werden zu lassen.“ 300 Siehe z. B. RGZ 126, 196 (206 f.), ein „Währungsfall“. 301 So bereits die „Währungsfälle“ BGH NJW 1952, 540 (542) und BGHZ 7, 231 (235) = NJW 1953, 340 (341): Bei dem hypothetischen Parteiwillen handele es sich in Wirklichkeit nicht um die Ermittlung hypothetischer subjektiver Vorstellungen der Parteien, sondern um eine vernünftige Interessenabwägung auf rein objektiver Grundlage, die an Hand der bestehenden tatsächlichen Verhältnisse vom Richter vorzunehmen sei. 298

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in ständiger Rechtsprechung fortgeführt. In bezug auf die Frage einer Rechtswahl durch stillschweigende Vereinbarung und der Anwendung des deutschen Rechts auf Grund des hypothetischen Parteiwillens bestätigte er dessen Ansicht, daß der hypothetische Parteiwille nicht durch die subjektiven Vorstellungen der Parteien bestimmt werde – weshalb auch der Begriff des „mutmaßlichen“ Parteiwillens ungenau sei –, sondern daß es sich darum handele, „die Interessen der Beteiligten auf objektiver Grundlage abzuwägen und zu ermitteln, ob der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses objektiv auf eine bestimmte Rechtsordnung für das ganze Vertragsverhältnis hinweist.“302 Das ältere Schrifttum legte bei der Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens ebenfalls einen objektiven Maßstab an.303 Die ergänzende Vertragsauslegung fungiert demnach letztlich nicht wirklich als ein Instrument zur Vollendung eines tatsächlich nur lückenhaft erklärten Parteiwillens, sondern gerade als Mittel zur Herstellung von Vertragsgerechtigkeit durch den Richter.304 Sie ist in diesem Punkt mit der noch zu erörternden Methode der beiderseits interessengerechten Auslegung sehr eng verwandt. e) In Literatur und Rechtsprechung wird ungeachtet des normativen Ausgangspunkts der Rechtsprechung immer wieder darauf hingewiesen, daß der Richter den Parteien nicht seine eigenen Maßstäbe aufdrängen, sondern lediglich die von ihnen zugrunde gelegten Wertungen zu Ende denken dürfe.305 Die 302

BGHZ 61, 221 (223) = WM 1973, 1236; siehe auch BGHZ 17, 89 (92) = WM 1955, 656; BGHZ 19, 110 (112) = NJW 1956, 377; BGHZ 57, 72 (75) = NJW 1972, 391. 303 Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 181: „Der ‚vermutliche Parteiwillen‘ kann m. E. auch nur als ein objektiv richtender Faktor gedacht werden, der eine unparteiische, beiden Parteien gleichmäßig dienende Interessenregelung zu bewirken habe.“; kritisch Larenz, Auslegung des Rechtsgeschäfts, S. 97: Der hypothetische Parteiwille werde damit zu einer überflüssigen Fiktion. An seine Stelle trete „das nach objektiver Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu Verstehende, das sachlich Richtige“; Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 153 meint, von einem wirklichen Parteiwillen könne man nicht sprechen. Die Parteien hätten an den zu regelnden Punkt nicht gedacht; die Regelung sei aber auch dann unerläßlich, wenn sie nicht daran gedacht hätten. Es wäre „bare Fiktion, dabei doch den Willen als wirklich maßgebendes Tatbestandsmoment zu beachten“; vgl. auch v. Tuhr, BGB AT II/1, S. 547. 304 Die englischen Gerichte verfahren ganz ähnlich, indem sie „bestimmte Rechtsfolgen, die sie an Verträge zu knüpfen für richtig halten, als von den Parteien stillschweigend vereinbart ansehen (implied terms)“, so Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 253. Die „Auslegung“ hat danach nicht zu untersuchen „what the parties actually intended, but what as reasonable men they should have intended“ (Joseph Constantine S. S. Line v. Imperial Smelting Group, [1942] Law Reports, Appeal Cases 154, House of Lords). Mit Recht kritisieren Reithmann/Martiny, ebd., daß dies als Auslegungsregel ausgegeben wird, während es sich in Wirklichkeit um Fragen der Vertragswirkung handelt. 305 Vgl. Medicus, BGB AT, Rn. 344, der kritisiert, daß infolge der ohne klares Rangverhältnis nebeneinander verwendeten Argumentationsebenen des hypothetischen Parteiwillens, der Üblichkeit und Billigkeit sich das Ergebnis der Argumentation kaum voraussehen lasse. Dies schaffe Rechtsunsicherheit. Der Richter werde letztlich zum „Herrn des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien“, er entscheide letztlich, wie diese ihr Geschäft hätten gestalten sollen. Dabei könne der Richter unter Berufung auf Treu und Glauben oder das redliche Verhalten Geschäfte dekretieren, die keinerlei Verbindung mehr zu einem realen oder hypotheti-

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ergänzende Auslegung finde ihre Grenze in einem erkennbar entgegenstehenden Willen der Parteien, eine Erweiterung des Vertragsgegenstands sei deshalb unzulässig.306 Der Richter habe die rechtsgeschäftliche Regelung „so, wie sie von den Parteien gesetzt worden ist“, zu respektieren; er dürfe einen „törichten“ oder „ungerechten“ Vertrag nicht durch die ergänzende Auslegung zu einem „vernünftigen“ oder „gerechten“ machen.307 Vor dem Hintergrund der ganz zentralen Bedeutung der Privatautonomie für die Bestimmung von Vertragsinhalten kann der Kritik eine gewisse Überzeugungskraft nicht abgesprochen werden. Denn wenn die Rechtsprechung wie gezeigt bei der Lückenausfüllung ausdrücklich einen objektiven Maßstab anlegt, kann das im Einzelfall „bei sachgerechter Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte“308 durchaus zu einer Regelung führen, die die Parteien abweichend (und „weniger gerecht“) geregelt hätten, wenn sie sich der Lücke im Zeitpunkt des Vertragsschlusses wirklich bewußt gewesen wären. Man sollte die ergänzende Vertragsauslegung also besser nicht dadurch „verharmlosen“, daß man ihr bloß eine Ergänzungsfunktion entsprechend dem unvollkommen erklärten Parteiwillen zuspricht. Wesentlich realistischer ist die Einschätzung, daß es sich dabei jedenfalls auch um ein Instrument der „objektiven Vertragskorrektur“ durch den Richter handelt. Zwar darf nach Ansicht der Rechtsprechung eine inhaltliche Abänderung des geschlossenen Vertrags durch den Richter entgegen dem tatsächlichen Willen der Vertragsparteien nicht erfolgen.309 Das heißt aber nicht, daß sich die Richterschaft bisher daran gehindert gesehen hätte, im Wege der Lückenausfüllung, dem Vertrag eine „objektivere Tendenz“ mit dem Ziel eines „angemessenen Interessenschen Parteiwillen hätten. Aus Privatautonomie könne so leicht richterliche Gängelung werden. 306 Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 120; BGH NJW 1995, 1212; BGHZ 77, 301 (304) = NJW 1980, 1176; BGHZ 40, 91 (104) = NJW 1963, 2071; BGHZ 29, 107 (110) = WM 1959, 350; BGHZ 12, 337 (343); so schon Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, S. 137 (betreffend die Auslegung gemäß der Verkehrssitten): „Der Richter hat nicht das Recht, eine Art Obergutachten abzugeben und danach, nach seinen Gedanken, die von den Parteien nicht bestimmten Punkte zugunsten der einen oder anderen Partei zu bestimmen und damit zugleich den Inhalt des Rechtsgeschäfts festzusetzen.“ 307 Flume, BGB AT, § 16 4 d (S. 326); MüKo BGB/Busche, § 157 Rn. 11: § 157 BGB sei eine im Zeichen der Privatautonomie stehende Vorschrift. Sie dürfe nicht dazu benützt werden, ein im übrigen eindeutiges Auslegungsresultat zugunsten eines anderen mit besserer Gemeinwohlverträglichkeit zu korrigieren. Nur wenn nach dem Einsatz der anderen interpretatorischen Instrumente Zweifel blieben, entspreche es Treu und Glauben, einem mit rechtlich artikuliertem Gemeinwohl besser harmonierenden Resultat den Vorzug zu geben (ebenso Mayer-Maly in Vorauflage, a.a.O., Rn. 10). 308 Konsequent gegen die Formulierung „was die Parteien unter Berücksichtigung von Treu und Glauben“ oder „verständigerweise gewollt haben würden“ wendet sich Flume, BGB AT, § 16 4 d (S. 327). In Wirklichkeit sei diese Formel falsch; gänzlich ablehnend zu dieser Rechtsfigur Neuner, FS Canaris, Bd. I, S. 901 (918, 924). 309 BGHZ 9, 273 (279); BGHZ 90, 69 (77) = NJW 1984, 1177.

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ausgleichs“ zu geben, als sie der Vertrag unter Einschluß der unwirksamen Teilregelung zunächst hatte.310 Ein bloßes „Zu-Ende-Denken“ des Vertrags durch den Richter dürfte sich auf die Fälle reduzieren lassen, wo die beiderseitigen Leistungen ohnehin in einem prima vista ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen.311 Konsequenterweise spielt dann auch der tatsächliche Parteiwille eine wichtigere Rolle bei der Lückenausfüllung.312 f) Für den von der Rechtsprechung praktizierten normativen Ansatz bei der Lückenausfüllung läßt sich ins Feld führen, daß dem unparteiisch urteilenden Richter die Fortschreibung einseitig begünstigender bzw. belastender Verträge ungerecht und geradezu befremdlich erscheinen müßte – ungeachtet der Tatsache, daß es gerade die grundgesetzlich gewährleistete Privatautonomie ist, die den Parteien den Abschluß „schiefer“ und „ungerechter“ Verträge ermöglicht.313 Ein neutraler, objektiv urteilender Richter wird sich nicht zum „Handlanger“ einer Partei machen lassen, indem er auf der Basis einer einseitig begünstigenden, aber noch rechtmäßigen Vertragsgestaltung die vorgefundenen Regelungen bloß in der vorgegebenen Richtung und auf der Basis der bestehenden Schieflage „zu Ende denkt“.314 Der Rückzug auf eine objekiv-normative Methode der Lückenausfüllung ermöglicht ihm die Herstellung „gerechter“ Vertragsergebnisse im neutralen Gewand der ergänzenden Auslegung.315 In extrem gelagerten Fällen von „Ungleichheit“ zwischen den Beteiligten kann sich der Richter außerdem darauf berufen, daß er die von Verfassungs wegen geforderte Schutzpflicht zugunsten der belasteten Partei zu beachten habe. Im übrigen ist der normative Ansatz jenem der Ermittlung des tatsächlichen hypothetischen Parteiwillens insofern überlegen, als er auch dann noch funktionsfähig ist, wenn keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, welche Regelung die Parteien zum 310 Siehe Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 181 (unparteiische, beiden Parteien gleichmäßig dienende Interessenregelung); Titze, Mißverständnis, S. 497 (Vereinigung widerstreitender Interessen auf mittlerer Linie); Oertmann, Rechtsgeschäft und Verkehrssitte, S. 167 (der Richter habe nicht die Aufgabe, den nicht geäußerten Willen der Beteiligten zu ergründen, sondern dem Willen Geltung zu verschaffen, der nach Maßgabe dieser Grundsätze als erklärt anzusehen ist). 311 Vgl. z. B. BGHZ 90, 69 (77 f.) = NJW 1984, 1177; BGHZ 77, 301 = NJW 1980, 1176. 312 Vgl. BGHZ 90, 69 (78) = NJW 1984, 1177; BGHZ 77, 301 (304 f.) = NJW 1980, 1176. 313 Vgl. BGHZ 90, 69 (78 f.) = NJW 1984, 1177. 314 Vgl. nur Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 383: „Redlichen Willen ermitteln heißt: im Rahmen empirisch möglichen, nicht unwahrscheinlichen Willens das Ergebnis erzielen, das am ehesten Fairness sowie Treu und Glauben entspricht. Die beiderseitigen Opfer sind abzuwägen, ungleiche Machtlagen zu vermeiden und bei bestehender ungleicher Macht die Interessen des schwächeren Teils vorzuziehen. Dies führt zur engen Auslegung von Bestimmungen, die einseitige Machtbefugnisse gewähren, Beschränkungen auferlegen oder sonstige Rechtsverluste herbeiführen.“ 315 Die Warnung von Medicus, BGB AT, Rn. 344, der Richter müsse sich davor hüten, die Sache von seinem Standpunkt aus und im Nachhinein zu beurteilen, sondern er habe sich nach Möglichkeit in die Rolle der Beteiligten bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts zu versetzen, ist unter Berücksichtigung des Rangs der Privatautonomie berechtigt.

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Zweck der Lückenausfüllung getroffen hätten, wenn sie sich der Lücke bewußt gewesen wären.316 g) Die Grenzen zwischen einer noch zulässigen ergänzenden Vertragsauslegung und einer unzulässigen inhaltlichen Abänderung des Vertrags durch den Richter lassen sich abstrakt wohl nicht exakt bestimmen. Die von der Rechtsprechung geschaffenen Entscheidungsfreiräume des Richters bei der Ausfüllung von Vertragslücken sind als ziemlich weitgehend einzuschätzen. Mit Recht fordern manche Stimmen in der Literatur demgegenüber, die weit gezogenen privatautonomen Gestaltungsspielräume zu beachten und den Anwendungsbereich der ergänzenden Vertragsauslegung in engen Grenzen zu halten.317 2. Die nach beiden Seiten hin interessengerechte Auslegung von Verträgen a) Die beiderseits interessengerechte Auslegung von Verträgen ist mit der soeben erörterten ergänzen Vertragsauslegung eng verwandt; die Grenzen zwischen beiden Methoden der Auslegung sind fließend.318 Die Rechtsprechung trennt nicht scharf zwischen beiden Instituten. Gleichwohl handelt es sich nicht lediglich um zwei verschiedene Ausdrücke für dasselbe rechtliche Phänomen. Eine getrennte Darstellung ist deshalb erforderlich. b) Die beiderseits interessengerechten Auslegung ist eine anerkannte und von der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung sehr häufig praktizierte „Auslegungsregel“.319 Die „korrigierenden“ richterlichen Eingriffe in das ver316 BGHZ 90, 69 (80 f.) in Einengung von BGHZ 54, 106 (115); BGHZ 62, 83 (90) und BGH WM 1977, 741 (743). 317 Vgl. dazu Medicus, BGB AT, Rn. 344. 318 Siehe auch Schürnbrand, Schuldbeitritt, S. 189 f. 319 Aus der Vielzahl an Entscheidungen siehe aus jüngerer Zeit z. B. BGH NJW 2007, 1346 (1348); BGHZ 161, 255 = NJW 2005, 888; BGHZ 152, 153 (156) = BGH NJW 2003, 819 – Anwalts-Hotline; BGHZ 150, 32 (37 ff.) = GRUR 2002, 532 – Unikatrahmen; BGHZ 149, 337 (353) = NJW 2002, 3106; BGHZ 146, 318 (326 f.) = NJW 2001, 2622; BGHZ 146, 280 (284) = NJW 2001, 1928; BGHZ 137, 69 (72) = NJW 1998, 449; BGHZ 131, 136 (138) = NJW 1996, 248 – Spielsperre; BGHZ 129, 371 (375) = NJW 1995, 2290; BGHZ 115, 1 (5) = NJW 1991, 2488; BGHZ 109, 19 (22) = NJW 1990, 441; BGH NJW 2006, 2254; BGH NJW 2005, 753; BGH NJW-RR 2004, 1265; BGH NJW-RR 2004, 1452 (1453); BGH NJW 2003, 3769; BGH NJW 2003, 2235 (2237); BGH NJW 2003, 1734; BGH NJW-RR 2003, 584 (585); BGH NJWRR 2003, 577 (578); BGH GRUR 2003, 699 (701) – Eterna; BGH GRUR 2002, 972 (974) – FROMMIA; BGH GRUR 2002, 280 (281) = WRP 2002, 221 – Rücktrittsfrist; BGH NJW 2002, 2869; BGH NJW 2002, 2710 (2711); BGH NJW 2002, 1946 (1947); BGH NJW 2002, 1878 (1879); BGH NJW 2002, 1875; BGH NJW 2002, 1488 (1489); BGH NJW-RR 2002, 1108 (1111); BGH NJW 2002, 1038; BGH NJW 2002, 967; BGH NJW 2002, 888 (891); BGH NJW-RR 2002, 852; BGH NJW 2002, 669; BGH NJW 2002, 506; BGH NVwZ 2002, 761 (762 f.); BGHReport 2002, 575; BGH NVersZ 2002, 13 (15) = VersR 2002, 117; BGH NJW 2001, 3777; BGH WM 2001, 1914; BGH NJW-RR 2001, 1105; BGH NJW 2000, 2584; BGH NJW 2000, 2099; BGH ZIP 2000, 799 (801); BGH GRUR 2000, 788 (789) – Gleichstromsteuerschaltung; BGH ZfBR 2000, 98; BGH WM 1999, 2517; BGH NJW 1999, 3776 (3777); BGH NJW 1999, 3037 (3038); BGH NJW 1999, 1331; NJW 1999, 1259 (1260); BGH NJW 1999, 1105 (1107); BGH NJW 1998, 3268; BGH NJW 1998, 2274 (2275); BGH NJW 1998,

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tragliche Regelungsgefüge sind hier aber mitunter noch stärker als bei der ergänzenden Auslegung. Ausgangspunkt der interessengerechten Auslegung ist das Postulat, daß die Parteien ein wirksames Rechtsgeschäft mit einem sinnvollen Inhalt vereinbaren wollten. Diese Annahme ist berechtigt und als Ausgangspunkt für die Auslegung von Verträgen nicht grundsätzlich angreifbar.320 c) Problematisch wird die Anwendung dieses Auslegungsgrundsatzes, wenn die Parteien eine Regelung getroffen haben, die – ohne interessengerechte Auslegung – rechtlich nicht zulässig wäre. Beispiel: Mit Urteil vom 26. September 2002 hat der I. Zivilsenat des BGH die Zulässigkeit der gebührenpflichtigen Beratung durch Rechtsanwälte, die sog. „Anwalts-Hotline“ bejaht.321 Die Vorinstanz hatte – an sich naheliegend, weil der Auslegung der wechselseitigen Erklärungen aus dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont durchaus entsprechend – angenommen, der Anrufer schließe mit der Betreiberin des telefonischen Rechtsberatungsdiensts einen Vertrag über die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten. Konsequent bejahte das OLG einen Verstoß gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG. Dem widersprach der BGH auf der Grundlage des Grundsatzes der nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung.322 Die Würdigung des Berufungsgerichts werde vor allem dem Grundsatz nicht gerecht, dass der Wille der vertragsschließenden Parteien im Zweifel auf eine den Vertragszweck nicht gefährdende Gestaltung gerichtet sei.323 Ein Geschäftsbesorgungsvertrag, mit dem ein Vertragspartner eine unzulässige Rechtsberatung verspricht, ist nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig. Hätte im Streitfall das Angebot des Anrufers auf einen Vertragsschluss mit der Betreiberin der Hotline abgezielt, wäre die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet gewesen, denn der Vertrag wäre auf eine nach Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG unzulässige Rechtsberatung gerichtet gewesen. Der BGH stellt in seiner Entscheidung klar, daß die Vertragschließenden in aller Regel eine derartige, von ihrem Willen unabhängige Gefährdung des Vertragszwecks nicht in Kauf nehmen wollten. Dieser Gesichtspunkt kam auch im Streitfall zum Tragen: Sei den Umständen nicht eindeutig zu entnehmen, an welchen von zwei möglichen Adressaten sich das Angebot zum Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrags richte, dann sei nur diejenige Auslegung nach beiden Seiten interessengerecht, welche die Nichtigkeit des angestrebten Vertrags vermeide. Auf den konkreten Fall bezogen bedeutete dies, daß bei verständiger Würdigung in dem Anruf – in Ermangelung eines erkennbaren entgegenstehenden Willens des Anrufers – das Angebot zum Abschluß eines Beratungsvertrags mit dem jeweils sich meldenden Rechtsanwalt zu den in der Werbung im einzelnen wiedergegebenen Bedingungen lag. 1079 (1081); BGH GRUR 1998, 673 (676) – Popmusikproduzenten; BGH NJW 1997, 1778 (1779); NJW-RR 1996, 789 (791); NJW 1994, 2018 (2019); BGH NJW-RR 1993, 1203 (1204). Die Figur der beiderseits interessengerechten Auslegung hat der 5. Strafsenat des BGH in NStZ 2006, 625 = wistra 2006, 262 für die Auslegung eines Verwaltungsakts herangezogen, siehe auch die Rechtsprechung desselben Strafsenats in BGHSt 49, 147 = BGH NJW 2004, 2248 zur interessengerechten Auslegung im Aktienkonzernrecht. 320 Siehe auch Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 344. 321 BGHZ 152, 153 (156) = BGH NJW 2003, 819. 322 BGH NJW 2003, 819 (820). 323 Ebenso BGH NJW-RR 2003, 1056 (1058).

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d) Der Fall – er ließe sich unproblematisch um ähnlich gelagerte Beispiele vermehren – zeigt die Problematik der Figur der interessengerechten Auslegung sehr deutlich. Sie dient der höchstrichterlichen Rechtsprechung in manchen Fällen nämlich nicht zur Auslegung, sondern zu Eingriffen in das Vertragsverhältnis, die bis zu einer echten Vertragskorrektur reichen können. Gelegentlich wird diese Methode in der Rechtsprechung dahingehend umschrieben, daß durch den Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung „eine Abrede auf einen vertretbaren Sinngehalt zurückzuführen ist“. 324 Klarstellend heißt es dann aber auch, es gehe nicht darum, „dem Rechtsgeschäft nachträglich zu einem Inhalt zu verhelfen, der nunmehr interessengerecht erscheint, sondern um den Einfluß, den das Interesse der Parteien auf den objektiven Erklärungswert ihrer Äußerungen bei deren Abgabe hatte“.325 In einem Urteil vom 18. September 1997 formuliert der BGH, es gehe „nicht an, ein bestimmtes Auslegungsergebnis mit Interessenerwägungen zu begründen, die die ‚begünstigte‘ Vertragspartei ersichtlich zu keinem Zeitpunkt in Betracht gezogen hat“.326 Andere höchstrichterliche Entscheidungen heben die Bedeutung des Wortlauts hervor, ohne daß dies die Reichweite der interessengerechten Auslegung in irgendeiner Weise einschränken würde.327 Vielmehr stehen beide Aspekte als – vom Revisionsgericht überprüfbare – eigenständige Auslegungsregeln nebeneinander. e) Ungeachtet dieser restriktiven Tendenzen in den Verlautbarungen der Rechtsprechung läßt sich die Methode der nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung ohne größere praktische Schwierigkeiten dazu verwenden, den Parteien einen „interessengerechten“ normativierten Willen zu unterstellen, den sie tatsächlich nicht gehabt haben – beispielsweise, um auf diese Weise die in der Tat nicht interessengerechte Konsequenz des Nichtzustandekommens328 oder der Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts zu vermeiden.329 Das ist wie gesagt keine „echte“ Auslegung mehr, sondern Fehlerkorrektur.330 Da we324

BGH NJW 2000, 2508 (2509 f.); BGH LM § 138 BGB Nr. 21 = WM 1979, 918. BGHZ 143, 175 (178) = NJW 2000, 805; BGH NJW 1998, 3268 (3269 f.). 326 BGH NJW 1998, 62 (64). 327 Siehe BGH NJW 1998, 900 (901) zur Haftung des Anwalts auf entgangenen Gewinn bei Grundstücksverkauf. 328 Vgl. BGH NJW 2001, 143 = ZIP 2000, 2259, wo der BGH die interessengerechte Auslegung anwandte, während das Berufungsgericht offenen Dissens zwischen den Parteien angenommen hatte. 329 Siehe BGH VersR 2006, 1497; MüKo BGB/Busche, § 157 Rn. 14 m. w. N.; vgl. auch BGHZ 20, 109 (110): Ausgehend von dem Erfahrungssatz, daß die Vertragschließenden auch bei einem unzulänglichen oder widerspruchsvollen Wortlaut mit dem Vertragsabschluß einen bestimmten wirtschaftlichen Zweck ins Auge gefaßt und verfolgt haben und mit der von ihnen gewählten Formulierung zum Ausdruck bringen wollten, könne nur in einem besonders gelagerten Ausnahmefall die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, daß die Auslegung eines Vertrages wegen seines absolut widerspruchsvollen oder widersinnigen Inhalts unmöglich sei. 330 Auslegung fordert Zurückhaltung des Auslegenden, d. h. er darf nicht seine Erklärung 325

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gen § 157 BGB das Gebot einer „möglichst rechtskonformen Interpretation“331 gilt, fügt sie sich aber wohl noch in eine moderne Auslegungsdoktrin ein. Eröffnet ein Vertrag zwei Auslegungsmöglichkeiten, von denen nur eine Variante zu einem rechtmäßigen Vertragsinhalt führt, fordert es der „Wert des Ergebnisses“ – genauer: das Postulat, daß die Parteien rechtkonform agieren wollten –, von dem Auslegenden, zu diesem Auslegungsergebnis zu gelangen (hier sog. „rettende“ oder salvatorische interessengerechte Auslegung). f) Über diese Fallgruppe hinaus eignet sich die interessengerechte Auslegung aber auch zu einer Vertragskorrektur im Hinblick auf bestehende wirtschaftliche Risiken, d. h. in Fällen, bei denen die herkömmlichen Auslegungsmethoden zu einem Ergebnis führen, welches die eine Partei wirtschaftlich begünstigt bzw. umgekehrt die andere Partei entsprechend benachteiligt. Die beiderseits interessengerechte Auslegung ist nach der Rechtsprechung selbst bei widerstreitender Interessenlage der Parteien anwendbar.332 Sie greift beispielsweise dann ein, „wenn das gefundene Auslegungsergebnis zu einem für die Beklagten nicht mehr kalkulierbaren Haftungsrisiko führen würde“.333 Diese Fallgruppe ist sehr viel problematischer als die soeben untersuchte Fallgruppe der „rettenden“ (salvatorischen) interessengerechten Auslegung; denn die euphemistisch als Auslegung deklarierte richterliche Ergebniskorrektur bezieht sich auf privatautonom rechtswirksam zustande gekommene Rechtsgeschäfte. Diese erweisen sich von der objektiven Richterwarte aus betrachtet als nicht interessengerecht und werden daher als „ungerecht“ und korrekturbedürftig empfunden.334 Der BGH hat mehrfach entschieden, daß das Gebot einer interessengerechten Auslegung bei Erklärungen, die als Verzicht, Erlaß oder in ähnlicher Weise rechtsvernichtend gewertet werden sollen, berücksichtigt werden müsse.335 Sofern feststehe, dass eine Forderung entstanden sei, verbiete dieser Umstand im allgemeinen die Annahme, der Gläubiger habe sein Recht einfach wieder aufgegeben.336 Der Verzicht stelle die Ausnahme dar. Selbst bei eindeutig erscheinender Erklärung des Gläubigers dürfe ein Verzicht nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche an die Stelle einer (mehrdeutigen, unwirksamen) Erklärung der Parteien setzen, so Flume, BGB AT, § 16 3 e (S. 314) mit dem richtigen Hinweis, daß für den zur Auslegung Berufenen stets die Verführung besteht, daß er die Erklärung zu einer eindeutigen „umbiegt“. 331 Vgl. MüKo BGB/Busche, § 157 Rn. 14 m. w. N. 332 Siehe BGHZ 161, 255 = NJW 2005, 888 betreffend Schadensersatz wegen fehlerhafter Geburtshilfe. 333 BGH NJW-RR 2002, 1076 (betreffend den Umfang einer Altlastenbeseitigungspfl icht in einem notariellen Vertrag). 334 Siehe dazu den Holzeinschlag-Fall bei Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 354 und dazu Schürnbrand, Schuldbeitritt, S. 188. 335 BGH NJW 2006, 298 (299); BGH NJW-RR 2006, 1264 (1265); BGH NJW-RR 2005, 34; BGH NJW 2002, 1044 (1046); BGH NJW 2002, 748; BGH NJW 2001, 2325 (2326). 336 BGH NJW 2006, 298 (299); BGH NJW-RR 2006, 1264 (1265); BGH NJW 2002, 1044 (1046); BGH NJW-RR 1996, 237; BAG NJW 2008, 461 (462).

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Begleitumstände berücksichtigt wurden.337 Gerade in den „Verzichtsfällen“ erscheint eine korrigierende interessengerechte Auslegung gegen den klaren Wortlaut einer Erklärung oder eines Vertrags denkbar (in den zitierten Rechtsprechungsbeispielen lag sie allerdings nicht vor). Dagegen wäre der Einwand zu erheben, daß die Privatautonomie und die Selbstverantwortung den Privatrechtssubjekten in erheblichem Umfang den Abschluß von Rechtsgeschäften ermöglichen, die ihren wirtschaftlichen Interessen widersprechen. Das bedeutet, daß die Anwendung der Figur der interessengerechten Auslegung nicht schon damit legitimiert werden kann, daß ihre Ergebnisse vernünftiger, besser oder gerechter sind als die Ergebnisse der „klassischen“ Auslegungsmethoden. Zwar ist der „Wert des Ergebnisses“ ein zentraler Gesichtspunkt der Vertragsauslegung.338 Aber der Auslegende ist nicht befugt, ein „gerechtes Ergebnis“ herbeizuführen, indem er den Parteien einen Willen oktroyiert, den diese bei Abschluß des Rechtsgeschäfts tatsächlich nicht hatten.339 Mit anderen Worten ist es von dem zur Entscheidung berufenen Richter grundsätzlich hinzunehmen, wenn die Parteien etwas „Unvernünftiges“ rechtswirksam geregelt haben.340 Das gilt ohne weiteres auch für die Übernahme erheblicher Haftungsrisiken, wie sie beispielsweise im Zusammenhang mit einer Altlastenbeseitigung auftreten können.341 Es geht nicht an, eine bestehende oder angenommene Gerechtigkeitslücke in zu einem auslegungsbedürftigen Sachverhalt umzudeuten und diese angebliche planwidrige Regelungslücke des Rechtsgeschäfts – sei es im Wege der ergänzenden oder der beiderseits interessengerechten Ausle337 BGH NJW-RR 2006, 1264 (1265); BGH NJW 2002, 1044 (1046); BGH NJW 2001, 2325 (2326); BAG NJW 2008, 461 (462). Vgl. auch BGH NJW-RR 2006, 496 (497), wo entgegen dem „formalen Wortlaut“ einer Vereinbarung über die Veräußerung von GmbH-Geschäftsanteilen unter Würdigung der maßgebenden Umstände und auf der Grundlage des Grundsatzes beiderseits interessengerechter Vertragsauslegung eine „umfassendere Auslegung“ vor allem unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Vertragsziels „Unternehmensverkauf“ dahin erfolgte, daß nach Sinn und Zweck der Klauseln auch der Verkauf der GmbH als solcher gemeint war. Bedenklich auch BGH NJW-RR 2003, 584 (585), wonach die Regelung in einem Gaststättenpachtvertrag „nach Ankündigung von Baumaßnahmen erster und zweiter Stock und Speicher innerhalb von vier Wochen geräumt werden“ entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht eindeutig sei und bei interessengerechter Auslegung nicht als vollständige Abbedingung der Schutzvorschrift des § 541b BGB ausgelegt werden könne. Ebenfalls bedenklich BGH, Urt. v. 1. 2. 2000 – X ZR 213/98 (juris): Die Erklärung der Beklagten, die Aufträge der Klägerin seien „nach wie vor gestoppt“ und würden von ihr, der Beklagten, „als annuliert betrachtet“, konnte nach Ansicht des BGH nicht dahin verstanden werden, daß die Beklagte zu einer Aufhebung der Verträge bereit gewesen sei. Dies entnahm der BGH einer Gesamtwürdigung eines Schreibens der Beklagten an die Klägerin und dem „Gebot der allseits gerechten Auslegung“. 338 Flume, BGB AT, § 16 3 e (S. 316); Schürnbrand, Schuldbeitritt, S. 190. 339 Ebenso Flume, BGB AT, § 16 3 e (S. 317); Schürnbrand, Schuldbeitritt, S. 190. 340 So auch Schürnbrand, Schuldbeitritt, S. 193: „Überspitzt formuliert steht es den Parteien frei, ein für ihre Zwecke (jedenfalls teilweise) unzweckmäßiges Rechtsgeschäft abzuschließen.“ 341 Vgl. BGH NJW-RR 2002, 1076.

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gung – zu schließen.342 Vielmehr ist es nach wie vor die Aufgabe des Gesetzgebers, die von ihm als zu weitgehend empfundenen Freiräume der Privatautonomie durch gesetzliche Regelungen sinnvoll zu begrenzen. Der Richter ist demgegenüber – ungeachtet der ihm obliegenden Schutzpflicht für die Grundrechte der Parteien – nicht zu einer Generalrevision „ungerechter“ Verträge aufgerufen. Denn die Schutzpflichtfälle betreffen ausschließlich besonders extrem gelagerte Sachverhalte von Verhandlungsungleichgewicht, die gleichsam „pathologischer“ Natur sind, nicht aber „ungerechte“ Rechtsgeschäfte schlechthin. Vielmehr gilt hier der Vorrang der Privatautonomie: Erklärt also die Partei A gegenüber der Partei B, sie verzichte auf die gegen sie bestehende Forderung, kann es keine Rolle spielen, ob auch ein vernünftiger Dritter an der Stelle des A einen solchen Verzicht erklärt hätte. g) Als Zwischenergebnis kann daher festgehalten werden: Gegen die Figur der nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung ist in methodologischer Hinsicht nichts Grundsätzliches einzuwenden, denn das Ziel der Vermeidung widersinniger Vertragsergebnisse ist als solches legitim.343 Es ist auch nichts dagegen zu erinnern, wenn beispielsweise in Anwendung dieser Methode die rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses durch die Parteien im Wege der nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung richtiggestellt wird; 344 auch insoweit schadet die Falschbezeichnung durch die Parteien nicht. Ob es dieser Methode unbedingt bedarf, d. h. ob sich die problematischen Fälle in der Praxis nicht ebenso gut mit der ergänzenden Vertragsauslegung – unter Berücksichtigung „sämtlicher Umstände“ des Rechtsgeschäfts – bewältigen ließen,345 342 So auch die Rechtsprechung, siehe BGHZ 161, 90 (104) = NJW 2005, 359: „Mit der vermeintlichen ergänzenden Auslegung des Rahmenvertrags will die Revision daher nicht die Schließung einer Lücke im Vertrag, sondern die inhaltliche Abänderung der vertraglichen Risikoverteilung erreichen.“ 343 Vgl. dazu BGH NJW 2002, 440; BGH NJW 1999, 3704 (3705); BGH WM 1998, 1535. 344 Siehe BGH NJW 2002, 506, wo das vereinbarte „100%-ige Rücktrittsrecht“ vom VIII. Zivilsenat als Wiederverkaufsrecht qualifiziert wurde, weil der Klägerin lediglich das Absatzrisiko, nicht aber das Risiko des zufälligen Untergangs bzw. der zufälligen Verschlechterung abgenommen werden sollte; siehe ferner BGH NJW 2002, 747: Danach verletzt es den Grundsatz beiderseits interessengerechter Vertragsauslegung, wenn eine mit „Bürgschaftsvereinbarung“ überschriebene und im Text mit „selbstschuldnerische Bürgschaft“ bezeichnete Abrede ausschließlich nach dem Wortlaut ausgelegt und ihre Wirksamkeit nach formalrechtlichen Kriterien verneint wird, wenn nach dem Sinn des Vertrages anzunehmen ist, daß der eine Teil den anderen Teil in jedem Fall von einer Inanspruchnahme durch dessen Gläubiger freistellen wollte. 345 In BGH NJW 2004, 2449 konnte die undurchführbar gewordene Altersversorgungsregelung in einem Sozietätsvertrag durch Anwendung beider Auslegungsmethoden in einen Anspruch auf Abfindung nach dem Wert der Beteiligung der Partner zum Zeitpunkt des Ausscheidens ausgelegt werden; zur parallelen Anwendung der ergänzenden und der interessengerechten Auslegung siehe auch BGH NJW 1997, 652; BGHZ 158, 354 (368 f.) = NJW 2004, 1243; BGH GuT 2003, 210 = NJ 2004, 75; BGH DNotZ 2003, 431 = ZMR 2003, 408; BGH NJW 2002, 669 = GRUR 2002, 280. BGH NJW 2000, 1581 (1582) führt beide Methoden terminologisch zu einer „interessengerechten ergänzenden Auslegung (§§ 133, 157 BGB)“ zu-

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kann hier offen bleiben.346 Die überaus häufige Anwendung der beiderseits interessengerechten Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung etwa seit der Mitte der 1990er Jahre weckt freilich Zweifel daran, ob die überkommenen Auslegungsmethoden und die Auslegungsgrenze des erklärten Parteiwillens noch die volle Akzeptanz der Gerichte finden.347 Es ist vorstellbar, daß der Vorrang der Parteiautonomie mit der Zeit an Bedeutung verlieren und durch einen Vorrang der beiderseitigen Interessen aus Richtersicht ersetzt werden könnte. Weiter besteht die Gefahr, daß der prozessuale Grundsatz, wonach die Auslegung Aufgabe des Tatrichters und als solche nicht revisibel ist, zunehmende weitergehende Einschränkungen erfahren könnte als das bisher der Fall war; denn der BGH muß, um eine interessengerechte Auslegung eines Vertrags vornehmen zu können, einen Auslegungsfehler feststellen. Die bisher vorliegende Judikatur ist betreffs dieser Feststellung keineswegs in jedem Fall überzeugend. Insgesamt gesehen wohnt der nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung ein erhebliches Mißbrauchspotential inne. Dies beruht darauf, daß sich das Instrument sehr gut dazu eignet, Korrekturen an „unvernünftigen“ Rechtsgeschäften vorzunehmen, die ohne besondere Schwierigkeiten als bloße Auslegung derselben deklariert werden können und daher methodisch betrachtet scheinbar unangreifbar sind. Jedenfalls sollte man sich von den durch diese Methode ermöglichten „gerechten“ Auslegungsergebnissen nicht „blenden“ lassen; der „Wert des Ergebnisses“ rechtfertigt Abweichungen von der rechtswirksam vereinbarten „Unvernunft“ der Parteien nämlich für sich gesehen nicht. Vor dem Hintergrund der zentralen Prinzipien der Privatautonomie und Selbstbestimmung sowie der Selbstverantwortung348 bedürften die so ermittelten interessengerechten Ergebnisse jedenfalls der Gegenkontrolle durch die klassischen Auslegungsmethoden.

sammen. – In dem Fall BGHReport 2002, 744 hatten die Parteien eines Pachtvertrages über einen Hof vereinbart, daß der Pächter „beim Abzug vom Hof“ die ihm zugeteilte Milchquote in bestimmter Höhe „mitnehmen“ durfte. Aufgrund des Alters des Pächters war bereits bei Abschluß dieser Vereinbarung absehbar, daß er spätestens nach Beendigung des Pachtverhältnisses die Landwirtschaft aufgeben würde. Der Senat für Landwirtschaftssachen entschied, daß unter Beachtung des Gebots der interessengerechten Vertragsauslegung der wirtschaftliche Sinn der Vereinbarung nur darin liegen könne, daß dem Pächter die Möglichkeit eröffnet werden sollte, die von ihm erarbeitete Milchquote durch Übertragung an Dritte zu verwerten. Die Möglichkeit einer ergänzenden Auslegung wurde nicht angesprochen, sie hätte aber ohne weiteres zu demselben Ergebnis geführt. 346 Siehe Schürnbrand, Schuldbeitritt, S. 190. 347 Diese Methode wird allerdings von der Rechtsprechung nicht einseitig verwendet, um Abweichungen vom Wortlaut des Rechtsgeschäfts zu begründen. In BGHZ 160, 377 (381) = NJW 2005, 51 führte sie – entgegen den Annahmen des Berufungsgerichts – zur Bestätigung der Wortlautauslegung; ebenso die Wortlautauslegung stützend BGHReport 2003, 1075; BGH NJW-RR 2003, 1171; BGH GRUR 2003, 545 – Hotelfoto; BGH NJW 1996, 3338 (3340); siehe dazu auch den amtlichen Leitsatz der Entscheidung BGH NJW 2001, 143. 348 Siehe dazu oben § 4.

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II. Das „Sprachrisiko“ und die Methode der ergänzenden sowie der beiderseits interessengerechten Auslegung 1. Die Methoden der ergänzenden und der beiderseits interessengerechten Auslegung finden auch auf fremdsprachige Verträge zwischen Privaten Anwendung. Die Rechtsprechung ordnet die jeweilige Vereinbarung zunächst rechtlich gemäß dem deutschen materiellen Recht ein. Sodann führt sie die Interpretation der Vereinbarung durch. Letzteres läßt sich instruktiv an zwei Beispielsfällen aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufzeigen: Beispiel 1: Der „guidelines“-Fall Mit Urteil vom 28. Oktober 1997349 hatte der XI. Zivilsenat des BGH über die Haftung einer deutschen Privatbank gegenüber einem iranischen Kunden wegen positiver Vertragsverletzung eines entgeltlichen Vermögensverwaltungsvertrags zu entscheiden. Der Kunde hatte eine Einlage in Höhe von 500.000 DM erbracht. Durch „guidelines“ in englischer Sprache bestimmte er im einzelnen, wie die Anlage erfolgen sollte (nämlich in deutschen Aktien sowie in Deutschen Mark). Die Bank mißachtete diese Vorgaben häufig und trug im Schadensersatzprozeß des Kunden gegen sie vor, die „guidelines“ des Klägers seien für sie unverbindlich gewesen. Das Berufungsgericht war dem Vortrag der Beklagten gefolgt. Bei den „guidelines“ des Klägers habe es sich schon dem Wortlaut nach nicht um verbindliche Weisungen gehandelt, sondern um unverbindliche Richtlinien im Sinne von Sollbestimmungen, die nicht strikt befolgt werden müßten; konsequent lehnte es einen Schadensersatzanspruch des Klägers ab. Dem hielt der BGH zutreffend entgegen, daß das Berufungsgericht die „guidelines“ des Klägers, die Inhalt des zwischen den Parteien geschlossenen Vermögensverwaltungsvertrags (§ 675 BGB) geworden seien, nicht interessengerecht ausgelegt habe. 350 Ein Vermögensverwaltungsvertrag sei ein entgeltlicher Dienstvertrag in Form eines Geschäftsbesorgungsvertrags, der den Verwalter zur Verwaltung des Vermögens eines Kunden in dessen Interesse verpfl ichte. Aufgrund des Vertrags sei der Verwalter berechtigt und verpflichtet, fortlaufend über das Vermögen des Kunden zu disponieren, d. h. ohne die Einholung von Weisungen im Einzelfall tätig zu werden und selbständig Anlageentscheidungen zu treffen. Ob der Verwalter dabei freies Ermessen genieße oder nicht, richte sich danach, ob die Parteien Anlagerichtlinien vereinbart hätten. Sei letzteres der Fall, so müsse sich der Verwalter bei seinen Entscheidungen im Rahmen der Richtlinien halten. Andernfalls sei er dem Kunden wegen positiver Verletzung des Vermögensverwaltungsvertrags schadensersatzpflichtig. Anlagerichtlinien hätten somit üblicherweise den vom Berufungsgericht unberücksichtigt gelassenen Sinn, den Ermessensspielraum des Vermögensverwalters einzuschränken und ihn bei seiner Tätigkeit an die Vorgaben des Kunden zu binden. Bei den vom Kläger formulierten „guidelines“ handelte es sich um solche Anlagerichtlinien, was der Senat im einzelnen anhand des Textes der „guidelines“ nachzuweisen vermochte.351

349 350 351

BGH NJW 1998, 449. BGH NJW 1998, 449. BGH NJW 1998, 449 (450).

§ 6 Sprachrisiken und die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen

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Beispiel 2: Der „Standby Letter of Credit“-Fall Einige Jahre zuvor hatte derselbe Senat über die Auslegung eines in englischer Sprache abgefaßten „Standby Letter of Credit“ zu entscheiden, den die A.-Bank AG zum Zwekke der teilweisen Absicherung von Kaufpreisforderungen gegenüber der Klägerin erteilt hatte.352 In dem amtlichen Leitsatz zu diesem Urteil heißt es, daß ein „Standby Letter of Credit“ ebenso wie ein Dokumenten-Akkreditiv einer Auslegung zugänglich sei, die nicht nur auf den Wortlaut, sondern auch auf den aus der Urkunde erkennbaren Sinn und Zweck der in ihm enthaltenen Bestimmungen abstellt. Dem stehe weder die Unzulässigkeit von Einwendungen aus dem Grundgeschäft noch der Grundsatz der Garantiestrenge entgegen. Der XI. Zivilsenat vertrat die Auffassung, daß das Berufungsgericht den Grundsatz der interessengerechten Auslegung verletzt habe, indem es den „Letter of Credit“ dahin interpretiert habe, daß auf Teilrechnungen jeweils der volle Betrag zu zahlen sei.353

2. Die beiden genannten Beispiele aus der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats zeigen deutlich, daß fremdsprachige Erklärungen bzw. Verträge nicht notwendigerweise besondere Auslegungsschwierigkeiten hervorrufen müssen und also mit den gängigen Methoden erfaßt werden können. Es bleiben allerdings einige Fragen offen: Was gilt für die Auslegung, wenn ein fremdsprachiger Rechtsbegriff – unter Geltung des deutschen Vertragsrechts – Verwendung findet, der keine Entsprechung im deutschen Zivilrecht hat? Wie ist umgekehrt der Fall zu beurteilen, daß eine Übersetzung beispielsweise eines deutschen Vertragstextes in die englische Sprache Auslegungsschwierigkeiten hervorruft, weil die Begriffe rechtlich nicht kongruent sind? Hat sich die Vertragsauslegung dann an dem deutschen „Originaltext“ oder an der Übersetzung auszurichten, oder sind beide Fassungen rechtlich als gleichwertig anzusehen? Fungieren die ergänzende und die interessengerechte Auslegung darüber hinaus allgemein als Instrumente zum Schutz des nicht sprachmächtigen Vertragspartners, wie es in der Rechtsprechung zumindest gelegentlich angeklungen ist? III. Die Auslegung fremdsprachiger Rechtsbegriffe im Konfliktfall 1. Es kommt in der Vertragspraxis nicht selten vor, daß ein Vertrag dem deutschen Recht unterliegt, während der Vertragstext in einer Fremdsprache abgefaßt ist.354 So ist es beispielsweise bei Seefrachtverträgen seit vielen Jahrzehn352 BGH NJW 1994, 2018 = ZIP 1994, 857; siehe auch OLG Frankfurt/Main ZIP 1997, 1782 (1783) = WM 1997, 1893. Nach dieser Entscheidung können auf einen „Standby Letter of Credit“ die Rechtsgrundsätze angewendet werden, die für eine Garantie auf erstes Anfordern entwickelt worden sind; dies gilt insbesondere für den Rechtsmißbraucheinwand. 353 BGH NJW 1994, 2018 (2019). 354 Siehe BGH VersR 1992, 595 (596) = NJW-RR 1992, 423: Die Vertragsparteien waren Deutsche, sie hatten ihre Niederlassungen in Deutschland, der Vertrag war in Deutschland geschlossen worden, für die Beförderung sollten deutsche Schiffe verwendet werden, und die Fracht sollte in deutscher Währung bezahlt werden. Außerdem war (durch eine Schiedsgerichtsklausel in deutscher Sprache) ein Schiedsgericht in Hamburg vereinbart worden.

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ten üblich, den Vertrag auch dann, wenn auf beiden Seiten Deutsche stehen, in englischer Sprache zu formulieren.355 In diesen Fällen stellt sich die Frage, nach welchen Maßstäben die Auslegung vorzunehmen ist. Art. 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB legt dazu rechtsverbindlich fest, daß das für den Vertrag anwendbare (Sach-)Recht auch für die Auslegung (einschließlich der ergänzenden Auslegung) 356 maßgebend ist. Damit wird zugleich klargestellt, daß die gängigen Auslegungsmethoden und -prinzipien des einschlägigen Privatrechts anwendbar sind.357 Das ist wiederum insofern von Bedeutung, als fremde Rechtsordnungen teilweise mit anderen Auslegungsprinzipen arbeiten, als sie im deutschen Recht praktiziert werden.358 Der Rückgriff auf diese besonderen Methoden fremder Rechtsordnungen bei der Vertragsauslegung wird durch Art. 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB versperrt. Lediglich bei der Beurteilung der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten als Willenserklärung zu bewerten ist, kommt wegen Art. 31 Abs. 2 EGBGB die Möglichkeit der Berufung auf das Heimatrecht in Betracht, soweit es um die Zustimmung zu einem Vertrag geht. Das betrifft wie oben in § 3 erörtert insbesondere die Fälle des Schweigens auf eine Willenserklärung.359 2. Unabhängig von der kollisionsrechtlichen Beurteilung des Hauptvertrags unterliegt die Vollmacht als eigenständiges Rechtsgeschäft nach der Rechtsprechung zum Internationalen Privatrecht einem besonderen Vollmachtsstatut und damit einer Sonderanknüpfung.360 Der Grund hierfür besteht darin, daß darauf Rücksicht genommen werden muß, wie der Drittkontrahent die Vollmacht nach 355

J. Gruber, DZWiR 1997, 353. MüKo BGB/Spellenberg, Art. 32 EGBGB Rn. 9. 357 Plastisch MüKo BGB/Spellenberg, Art. 32 EGBGB Rn. 7: Das Geschäftsstatut beherrscht die Auslegung „in allen Teilen“; siehe auch Triebel/Balthasar, NJW 2004, 2189 (2192); Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 252; Weick, FG Söllner, S. 607 (612). 358 Im englischen Recht gilt z. B. die parol evidence rule, nach der der Wortlaut einer Vereinbarung entscheidend ist und extrinsic evidence unzulässig. Die Heranziehung eines vorvertraglichen Briefwechsels bei der Auslegung einer Vertragsurkunde scheidet danach aus, siehe Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 253. – Die für das deutsche Recht grundlegende Auslegung nach Treu und Glauben (§ 157 BGB) findet sich in der völkerrechtlichen Bestimmung des Art. 31 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention (BGBl. 1985, S. 927) wieder; ihre Übertragung auf mehrsprachige Geschäftsverträge befürwortet Beckmann, Sprachenstatut, S. 132. Durch Schaffung des Art. 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB ist diese Analogie überflüssig geworden. 359 Siehe dazu oben § 3 sowie Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 214. Aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Art. 31 Abs. 2 EGBGB siehe auch BGHZ 76, 72 (77) = NJW 1972, 391 sowie BGH NJW 1973, 2154 (2155), jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen. Nach der letztgenannten Entscheidung darf der Grundsatz, daß das sog. Wirkungsstatut grundsätzlich auch über die Geschäftsvoraussetzungen entscheidet, also darüber, ob ein gültiges Geschäft vorliegt, dann nicht durchbrochen werden, wenn der Betroffene nach den Umständen des Geschäftsabschlusses nicht damit rechnen darf, daß sein Verhalten nach Heimatrecht beurteilt wird. Das soll jedenfalls dann der Fall sein, wenn der Vertrag in Deutschland geschlossen wird, wie es im Streitfall geschehen ist. 360 BGH DB 1958, 1010 = BB 1958, 351; BGH RIW 1977, 433 = WM 1977, 332. 356

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den ihm vertrauten Auslegungsgrundsätzen interpretiert.361 Sie wird deshalb nach dem Recht des Wirkungslandes beurteilt, also nach dem Recht des Landes, in dem sie gebraucht wird.362 Für fremdsprachige Vollmachtsurkunden, die in Deutschland verwendet werden, sind daher die Auslegungsgrundsätze des deutschen Rechts – namentlich die §§ 133, 157 BGB – maßgebend.363 Bei Widersprüchen zwischen dem fremdsprachigen und dem deutschen Text einer Vollmacht geht nach der Rechtsprechung der deutsche Text vor, wenn von der Vollmacht in Deutschland Gebrauch gemacht werden soll.364 3. Die Allgemeingültigkeit des unter 1. beschriebenen sachrechtsbezogenen Ansatzes stößt dort auf Zweifel, wo typische Rechtsbegriffe fremder Rechtsordnungen im Vertragstext Verwendung gefunden haben. Die Problematik wurde oben bereits am Beispiel des Begriffs act of God aufgezeigt.365 Die Bezeichnung act of God entspricht sachlich nicht dem Rechtsbegriff der „höheren Gewalt“ im deutschen Recht,366 gleichwohl ist dieser Ausdruck insoweit „korrekt“, als er in einer deutschen Übersetzung der Bedeutung des englischen Originals noch am nächsten kommt; insbesondere scheidet eine wörtliche Übersetzung in die deutsche Sprache offensichtlich aus. Nach der Rechtsprechung ist die bloße wortgetreue Übersetzung einer Klausel vom Englischen ins Deutsche „bei Texten mit rechtlichem Bezug ohnehin stets problematisch“.367 Dem ist zuzustimmen, weil Rechtstermini sehr häufig als Funktionsbegriffe fungieren, so daß sie sich aus dem Kontext ihres Heimatrechts nicht ohne weiteres lösen und in das deutsche materielle Recht transferieren lassen, ohne gewissen Bedeutungsveränderungen zu unterliegen, wenn man sie in die deutsche Sprache übersetzt. Dies gilt nicht nur für spezifische Rechtsbegriffe des fremden Rechts wie den act of God, sondern zudem auch dann, wenn der jeweilige Rechtsbegriff eine (scheinbar) passende Entsprechung im deutschen Recht hat (z. B. penalty – Vertragsstrafe, bankruptcy – Insolvenz). Es wäre nun gewiß seltsam, wenn man aus Art. 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB den Grundsatz ableiten wollte, daß sämtliche Vertragsklauseln und Rechtsbegriffe des fremden Rechts selbst bei 361

Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2429 f., 2432, 2462. BGHZ 43, 21 (26) = NJW 1965, 487; BGHZ 64, 183, 192 = GRUR 1975, 561; BGH NJW 1982, 2733; BGH NJW 1990, 3088; BGH DNotZ 1994, 485, 487; RG SeuffArch 83 Nr. 153 = IPRspr 1929 Nr. 29; LG Essen RIW 1992, 227 = WM 1992, 1208; Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2431; siehe ferner BGHZ 32, 250 zu einer Unterbevollmächtigung in englischer Sprache nach deutschem Recht betreffend den Verkauf einer Uhr. 363 RG, Urt. v. 31. 5. 1943, DNotZ 1944, 151 = SeuffArch 97 Nr. 53. 364 RG, Urt. v. 21. 11. 1927, HRR 1928 Nr. 303 = IPRspr 1928 Nr. 27. 365 Siehe oben B. I. 1. b. 366 Triebel/Balthasar, NJW 2004, 2189 (2191): „Für den Begriff Act of God hält das Deutsche keine Entsprechung bereit.“; Weick, FG Söllner, S. 607 (619): „Dieser Begriff ist eindeutig dem englischen Recht entnommen und hat durch die englische Rechtsprechung eine ganz bestimmte Bedeutung erhalten. Er deckt sich nicht mit dem deutschen Begriff der höheren Gewalt oder dem französischen Begriff der force majeure.“ 367 Siehe BGH NJW 1987, 591. 362

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internationaler Gebräuchlichkeit gemäß dem Verständnis ihrer Übersetzung im deutschen Recht auszulegen seien. Dies gilt erst recht, wenn die verwendeten Rechtsbegriffe und Vertragsklauseln keine genaue Entsprechung in der deutschen Sprache haben. 4. Die Rechtsprechung bewältigt dieses Problem, indem sie fremde Rechtsbegriffe und Vertragsklauseln im Grundsatz gemäß dem Verständnis ihres Herkunftsrechts auslegt, jedenfalls dann, wenn es sich um solche handelt, die auf die Besonderheiten des fremden Rechts zugeschnitten sind und also für dieses Recht typisch sind.368 Dies wird flankiert durch eine Rechtsprechung, derzufolge das zuständige Gericht bei der Auslegung fremdsprachiger Klauseln 369 bzw. bei der Anwendung ausländischen Rechts370 im Prozeß verpflichtet sein kann, sich sachverständig beraten zu lassen. Die Heranziehung eines Dolmetschers ist dafür grundsätzlich nicht ausreichend, es sei denn, er verfügte über die erforderlichen Kenntnisse der fremden Rechts- und Wirtschaftssprache.371 5. Die Problematik soll ebenfalls durch zwei Rechtsprechungsbeispiele veranschaulicht werden: Beispiel 1: Der „conditions“-Fall des OLG Hamburg 372 Das OLG Hamburg hat in einem Urteil vom 22. Dezember 1994 einzelne Klauseln eines in englischer Sprache abgefaßten Transportversicherungsvertrags – genauer: einer sog. „Rejection“-Versicherung – welcher dem deutschen Versicherungsvertragsrecht unterlag, gemäß dem englischen Recht ausgelegt, soweit es sich „um auf die Besonderheiten englischen Rechts zugeschnittene Vereinbarungen handelt[e]“.373 In dem Fall wurde 368 BGHZ 6, 127 = NJW 1952, 1134 (Geltung deutschen Rechts trotz Konnossementbedingungen in englischer Sprache); BGH VersR 1968, 62 (Seetransportversicherungsvertrag in englischer Sprache); BGH VersR 1992, 595 = NJW-RR 1992, 423; RGZ 11, 100 (104) (Konnossementklauseln in englischer Sprache); RGZ 19, 33 (34) (penalty clause nach englischem Recht); RGZ 39, 65 (67) (indemnity clause und penalty clause nach englischem Recht); siehe auch RGZ 68, 203 (209) (zu der Klausel „The Act of God excepted, even when occasioned by negligence“ in einem zwischen englischen Schiffsmaklern in London abgeschlossenen Chartervertrag, auf den englisches Recht zur Anwendung kam); OLG München IPrax 1989, 42 (Auslegung eines in englischer Sprache abgefaßten Filmverleihvertrages zwischen einer deutschen GmbH und einer niederländischen Gesellschaft). Gegenbeispiel: OLG Frankfurt ZIP 1997, 1782 = WM 1997, 1893 (Verwendung der englischen Vertragssprache zwischen Partnern im internationalen Handel mit jeweils nichtenglischer Muttersprache ist als „neutral“ anzusehen). 369 BGH NJW 1987, 591 f.; MüKo BGB/Spellenberg, Art. 32 EGBGB Rn. 15. 370 Nur bei Anwendung ausländischen Sachrechts muß das Gericht auch die für dieses Recht geltenden Auslegungsregeln (statt der §§ 133, 157 BGB) anwenden (Art. 31 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB), siehe BGH NJW-RR 1990, 248, 1. Leitsatz. Die rechtsirrtümliche Anwendung der §§ 133, 157 BGB bei der Vertragsauslegung durch das zuständige Instanzgericht würde wegen Verletzung des deutschen internationalen Privatrechts zur Urteilsaufhebung in der Revisionsinstanz führen (BGH, a.a.O., S. 249). 371 BGH NJW 1987, 591 (592). 372 Siehe auch BGH VersR 1968, 62 (Seetransportversicherungsvertrag in englischer Sprache). 373 OLG Hamburg VersR 1996, 229; differenzierend nach der Typizität der verwendeten

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eine „condition“ des Vertrags vom OLG nicht als Bedingung i. S. des BGB qualifi ziert. Vielmehr knüpfte das OLG – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des RG374 und des BGH375 – an die Bedeutung des Begriffs „conditions“ im englischen Recht an. Es handele sich um eine auf die Besonderheiten des englischen Rechts zugeschnittene Vertragsvereinbarung, zu der ein unmittelbares Pendant im deutschen Recht fehle. „Conditions“ bezeichnen im englischen Versicherungsrecht grundlegende Vertragsbestimmungen, deren Verletzung dem Versicherer das Recht zur Verweigerung der Ersatzleistung gewährt.376 Das Leistungsverweigerungsrecht setzt kein Verschulden des Versicherungsnehmers voraus.377 Beispiel 2: Der „indemnity clause“-Fall des BGH Der BGH hatte in einem Urteil vom 2. Dezember 1991 über die Interpretation einer „indemnity clause“ in einem Seefrachtvertrag (Chartervertrag) zu befinden. Er entschied, daß die zahlreichen, dem englischen Rechtsdenken angehörigen Begriffe und Vertragsklauseln „grundsätzlich nach dem Rechtsverständnis des Landes interpretiert werden, in dem sie entwickelt worden sind“.378 Mit Recht werde deshalb überwiegend gefordert, die Indemnity-Klausel i. S. des englischen Rechtsverständnisses auszulegen.379 Da seit einem Gesetz Wilhelms III. von 1697 sog. „penalty clauses“, verstanden als Vertragsstrafeklauseln, verboten waren, konnte die Indemnity-Klausel nicht im Sinne einer Penalty-Klausel interpretiert werden.380 Zulässig wäre jedoch ein Verständnis gewesen, wonach die Indemnity-Klausel den Umfang des bei Vertragsbruch zu zahlenden Schadensersatzes vorab festlegt („indemnity“ i. S. von Schadloshaltung, Entschädigung, Ersatz, Ersatzleistung, Schadensersatz, Abfindung), d. h. als Regelung eines pauKlausel im englischen Recht Weick, FG Söllner, S. 607 (618); ebenso J. Gruber, DZWiR 1997, 353 (357 f.). 374 Zitiert wird RGZ 39, 65 (67). 375 Zitiert wird BGH VersR 1992, 595 (597) = NJW-RR 1992, 423. 376 Chitty on Contracts, vol. 2, 43-042 (p. 1112): „A condition is a promise in respect of which the parties have agreed, whether by express words or by implication, that any failure of performance by one party, irrespective of the gravity of the event that has in fact resulted from the breach, shall entitle the other party to treat the contract as discharged.“; siehe auch a.a.O., 41–050 (p. 1008 seq.): „(. . .) the term ‚condition precedent‘ may also simply refer to a condition which, if it is not fulfilled, entitles the insurer to refuse payment under the policy, without necessarily importing the right to treat the entire contract as discharged.“ 377 In dem Fall OLG Hamburg VersR 1996, 229 genügte die objektive Nichteinhaltung der ägyptischen Einfuhrbestimmungen für Gefrierfleisch durch den Versicherungsnehmer, um die Leistungsverweigerung durch den Versicherer zu rechtfertigen. 378 BGH VersR 1992, 595 (597) = NJW-RR 1992, 423 = WM 1992, 612. 379 So schon RGZ 19, 33 (34 f.); RGZ 39, 65 (67 f.); OLG Lübeck HansGZ 1887, 44. Weitergehend LG Hamburg MDR 1954, 422 (423): Das LG leitet aus dem Umstand, daß die von der englischen Rechtspraxis entwickelten Klauseln mit derselben Bedeutung von den übrigen seefahrenden Nationen übernommen wurde ab, daß diese Klauseln eine „fertige Rechtsordnung“ darstellten, der sich die Parteien durch ihre formularmäßige Verwendung unterwürfen. Hier klingt der Gedanke der lex mercatoria an, der sich zu Recht nicht durchgesetzt hat; siehe dazu oben § 3 C. IV. sowie J. Gruber, DZWiR 1997, 353 (357) sowie ausführlich Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 3520 ff. 380 Zur Auslegung einer „penalty clause“ nach englischem Recht siehe auch RGZ 19, 33. Das Berufungsgericht hatte dazu – vom RG unwidersprochen – festgestellt, daß nichts darauf hindeute, daß die penalty clause als Konventionalstrafe i. S. des deutschen Rechts habe vereinbart werden sollen.

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schalierten Schadensersatzes.381 Darauf kam es im Fall nicht an, weil die Parteien nach Ansicht des BGH übereinstimmend etwas anderes mit diesem Begriff verbunden hatten, so daß sich Gültigkeitszweifel nach englischem Recht nicht stellten.

Die Begründung des BGH in diesem Fall ist allerdings nicht ganz unproblematisch: 382 Gerade der Umstand, daß die Rechtsgeltung der „indemnity clause“ in England seit Jahrzehnten zweifelhaft sei, sie aber gleichwohl in deutschen Schiffahrtskreisen in Kenntnis dieser Tatsache weiterverwendet werde, soll nach Ansicht des BGH dafür sprechen, daß die Parteien – in casu deutsche Kaufleute – sich nicht von dem angelsächsischen Rechtsverständnis hätten leiten lassen. Fraglich ist hier schon, ob die relevanten Verkehrskreise außerhalb Englands wirklich um die Problematik der rechtlichen Zulässigkeit der „indemnity clause“ wissen. Dies unterstellt, könnten sie der Meinung sein, daß die 381

Zu der Unterscheidung zwischen pauschaliertem Schadensersatz (engl. liquidated damages) und unzulässigen Vertragsstrafen (engl. penalties) im englischen Recht siehe auch Weick, FG Söllner, S. 607 (621 f.). 382 Der BGH befindet sich insoweit allerdings in Übereinstimmung mit der frühen Rechtsprechung des Reichsgerichts. Das RG hat in RGZ 11, 100 (104 f.) die Auslegung der Klausel „perils of Navigation“ nach englischem Rechtsverständnis abgelehnt, weil sowohl der Reeder als auch die Verfrachter (mit einer Ausnahme) Deutsche waren, die Frachtverträge in Deutschland geschlossen und von Deutschland aus zur Ausführung gebracht hatten. Außerdem war das Bremer Recht für anwendbar und die Bremer Gerichte für allein zuständig erklärt worden. Bei einer solchen Sachlage, meint das Reichsgericht, könne weder aus dem Gebrauch der englischen Sprache noch aus der Aneignung von Ausdrucksweisen, wie sie sich gerade im englischen Seeverkehr zuerst fi xiert hätten, allein gefolgert werden, daß sie insbesondere von den Verfrachtern gerade im Sinne des englischen Seeverkehrs aufgefaßt werden müßten. Bei Zugrundelegung des deutschen Rechts und deutscher Begriffe sei zu einem durchaus naheliegenden und angemessenen Verständnis des Inhaltes der Konnossemente zu gelangen. Dabei sei „selbstverständlich die Verwertung der Meinungen englischer Richter als Förderungs- und Anregungsmittel durchaus nützlich“. Im Ergebnis sieht das RG keine Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung und interpretiert die Klausel „perils of Navigation“ i. S. von „Gefahren der Seeschiffahrt“, was alle Gefahren umfasse, „welche mit dem Zeitpunkte beginnen, in welchem die Güter zum Zwecke der Einladung in das Schiff vom Lande scheiden“ (a.a.O., S. 106). Alle Schäden, die dem Schiff oder der Ladung oder beiden nach vollendeter Abladung zugefügt würden, fielen unter die große Havarie (heute § 700 HGB). – Die Entscheidung RGZ 11, 100 wird durch die Entscheidung RGZ 39, 65 jedoch erheblich relativiert. Der Fall betraf eine „indemnity clause“; auch hier war deutsches Recht anwendbar. Statt nun wie in der Vorgängerentscheidung die Bedeutung der Klausel nach den Vorstellungen der deutschen Vertragsparteien zu interpretieren, legt das RG das englische Rechtsverständnis zugrunde. Dem Berufungsrichter wird in dem Urteil vorgeworfen, er habe verkannt, daß das benutzte Formular „durchweg von der dem englischen Rechte eigentümlichen Auffassung des Seefrachtgeschäftes getragen ist“ (a.a.O., S. 67). Es handele sich offensichtlich nicht nur um die Übersetzung eines „von deutschen Rechtsgedanken und deutscher Rechtsauffassung zeugenden Kontraktes“ (ebd.). Das Reichsgericht führt zur Begründung eine Reihe von Klauseln an, die für das englische Seefrachtrecht typisch sind, wie die „exception clause“ und die „cesser of liability clause“. Es könne nicht angehen, den Sinn dieser Klauseln einfach durch eine Übersetzung ins Deutsche ermitteln zu wollen. Vielmehr müsse angenommen werden, daß, wenn sich die Parteien derartiger, im englischen Seefrachtverkehr allgemein eingebürgerter Wendungen bedienten, sie damit auch den Sinn verbinden wollten, der diesen Klauseln in England beigemessen werde (a.a.O., S. 68).

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Klausel jedenfalls nach deutschem Recht unproblematisch wirksam sei, so daß sich die Wirksamkeitsfrage für sie nicht stellen würde; dem ging der BGH allerdings nicht nach. Man könnte argumentieren, daß ungeachtet der Gültigkeitsfrage nach englischem Recht eine Indemnity-Klausel, wenn man sie als Vertragsstrafeklausel auslegte,383 jedenfalls nach dem deutschen Sachrecht wirksam sein müsse, weil dieses Vertragsstrafen grundsätzlich zulasse (vgl. § 339 BGB). Dessen ungeachtet hat die betreffende Klausel, wenn sie wie festgestellt seit Jahrzehnten von deutschen Vertragsparteien praktiziert wird, Geltung als Handelsbrauch erlangt. Interpretation (Ermittlung des Sinngehalts gemäß dem Recht des Herkunftslandes) und Rechtsgeltung (Frage nach der rechtlichen Gültigkeit gemäß dem einschlägigen Sachrecht) sollten besser getrennt voneinander untersucht werden. Eine Klausel, die gemäß dem Recht ihrer Herkunft ausgelegt wird, ist nicht schon deshalb unwirksam, weil dieses Recht sie für unzulässig erklärt, sondern nur dann, wenn das auch nach dem einschlägigen Sachrecht der Fall ist. Schließlich steht in dem Fall mit Bejahung der Kenntnis der Parteien von dem Gültigkeitsproblem noch fest, daß ein übereinstimmendes (Fehl-)Verständnis hinsichtlich der betreffenden Klausel zwischen den Parteien vorlag. Die falsa demonstratio bedarf vielmehr immer einer positiven Feststellung im konkreten Einzelfall. Gleiches gilt für die Feststellung eines entsprechenden Handelsbrauchs durch das zuständige Gericht.384 6. Die Vorgehensweise der Rechtsprechung hat in der Literatur teils Zustimmung,385 teils aber auch heftigen Widerspruch erfahren. 386 Die Kritiker werfen der Rechtsprechung vor, sie führe zu Ungereimtheiten und praktischen Problemen, denen man nur entgehen könne, wenn man die Lösung der Rechtsprechung aufgebe und sich konsequent für jeden Einzelfall an den §§ 133, 157 BGB orientiere.387 383 Das ist aber nicht der Fall; siehe dazu RGZ 39, 65 (70): Es lagen keine Umstände vor, aus denen hätte abgeleitet werden können, daß die Parteien an ein eigentliches Strafgedinge gedacht hätten. Der Ausdruck „Indemnity“ spreche dafür, daß das Interesse an der Erfüllung im voraus vertragsmäßig festgesetzt werden sollte. Diese Annahme sei auch deshalb gerechtfertigt, weil nach den meisten Seerechten – wie z. B. nach den §§ 581 bis 585 HGB – die Entschädigung des Verfrachters für den Rücktritt des Befrachters auch gesetzlich in einem Teilbetrag oder im ganzen Betrag der vereinbarten Fracht bestehe. 384 Siehe Baumbach/Hopt, HGB, § 346 Rn. 13. 385 W. Lorenz, IPrax 1989, 22 (23); Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (468); Weick, FG Söllner, S. 607 (618 f., 627 f.); Staudinger/Magnus, Art. 32 EGBGB Rn. 30; Palandt/Heldrich, Art. 32 EGBGB Rn. 3; Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 254; Römer/Langheid, VVG, Vor § 1 Rn. 22; enger MüKo BGB/Spellenberg, Art. 32 EGBGB Rn. 10 sowie a.a.O., Vor Art. 11 EGBGB Rn. 110 (englischer Sprachgebrauch ist nur dann zu berücksichtigen, wenn die Parteien diesen erkennbar meinten). 386 Triebel/Balthasar, NJW 2004, 2189. 387 So Triebel/Balthasar, NJW 2004, 2189 (2193). Eine detaillierte Auseinandersetzung mit diesem kritischen Beitrag ist hier nicht möglich. Die Kritik überzeugt insgesamt gesehen nicht. Die Hauptthese, daß englische Vertragsklauseln bzw. Rechtsbegriffe nur dann nach englischem Verständnis auszulegen seien, wenn auf beiden Seiten englische Verhandlungs-

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7. Darauf ist im einzelnen folgendes zu erwidern: a) Es ist zutreffend, mit der ständigen Rechtsprechung und der herrschenden Literaturansicht fremdsprachige Rechtsbegriffe und Vertragsklauseln auch unter Geltung des deutschen Sachrechts grundsätzlich nach der Bedeutung ihres Heimatrechts auszulegen,388 statt „den Sinn dieser Klauseln einfach durch eine Übersetzung ins Deutsche ermitteln zu wollen“.389 Denn Rechtsbegriffe sind wie ausgeführt nicht ohne weiteres in andere Rechtsordnungen transferierbar,390 weil sie in ihrem Heimatrecht regelmäßig eine bestimmte rechtliche Funktion erfüllen, die keine echte Entsprechung in der Rechtsordnung des Sachrechts haben muß; der Begriff act of God ist dafür nur eines von vielen denkbaren Beispielen.391 Deshalb spricht eine Vermutung dafür, daß sie auch unter Geltung des deutschen Rechts dieselbe Funktion haben sollen. Auch bei Identität der rechtlichen Funktionen von Originalbegriff und Übersetzung kann es zu wichtigen Bedeutungsunterschieden in den Randbereichen kommen,392 die den Parteien möglicherweise unbekannt geblieben sind.393 Es geht nicht an, eine bestimmte Klausel z. B. des englischen Seefrachtrechts einem Bedeutungswandel zu unterziehen, indem man sie dem deutschen Sachrecht unterstellt: Wenn die Klauseln „penalty for non-performance“ und „indemnity for non-performance“ nach dem englischen Rechtsverständnis nicht als Ver-

führer beteiligt waren, im übrigen aber nach dem Verständnis des deutschen Vertragsstatuts (a.a.O., S. 2195), verdient keine Zustimmung. Überzeugend ist aber der Vorschlag, beim Gebrauch englischer Rechtsbegriffe in Klammern eine deutsche Übersetzung anzugeben, wenn das deutsche Rechtsverständnis maßgeblich sein soll. Gleiches gilt für den Vorschlag, etwaige generalklauselartige Begriffe zu defi nieren und außerdem – wie in der englischen Vertragspraxis üblich – eine construction clause (d. h. eine Regelung für die Auslegung) zu vereinbaren (a.a.O., S. 2196). 388 Ebenso Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 254. 389 RGZ 39, 65 (68). 390 Das schließt es nicht aus, daß der Begriff des fremden Rechts tatsächlich einmal eine Entsprechung im deutschen Zivilrecht hat, so daß der Transfer von der einen in die andere Rechtsordnung gelingt; siehe dazu z. B. BGHZ 145, 170 (176) = VersR 2001, 526 (527): Der Begriff „agent“ in einem Luftfrachbrief entspreche, obgleich grundsätzlich mehrdeutig, jedenfalls dann, wenn er als Rechtsbegriff verwendet werde, in der deutschen Übersetzung dem Stellvertreter i. S. des § 164 BGB. Lege der Agent bei seinem rechtsgeschäftlichen Handeln die Person seines Geschäftsherrn offen, so trete die rechtliche Bindung nach dem englischen Recht unmittelbar in der Person des Geschäftsherrn ein. In dem Fall war nicht ersichtlich, daß die Parteien etwas anderes gewollt hätten. 391 Für ein Verständnis des Begriffs act of God gemäß seiner originären Bedeutung im englischen Recht treten ein RGZ 68, 203 (209) und Weick, FG Söllner, S. 607 (619). Triebel/ Balthasar, NJW 2004, 2189 (2190) weisen darauf hin, daß der deutsche Begriff „Prokura“ als Rechtsterminus nur in der deutschen Sprache verständlich sei, so daß hier der englische Vertragstext durch Erläuterung oder Rückübersetzung des Begriffs ergänzt werden müsse. 392 Vgl. Triebel/Balthasar, NJW 2004, 2189 (2190). 393 So auch Triebel/Balthasar, NJW 2004, 2189 (2190): „Oft unterliegen die Parteien aber dem Irrglauben, jeder Begriff habe in der anderen Sprache seine Entsprechung und wählen einen Terminus, der dem gemeinten allenfalls nahekommt.“

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tragsstrafeklauseln zu qualifizieren sind, darf ihnen eine solche Bedeutung auch nicht unter Geltung des deutschen Rechts „untergeschoben“ werden.394 b) Etwas anderes gilt dann, wenn sich aus den Umständen ergibt, daß es sich lediglich um die unrichtige Übersetzung eines deutschen Vertragstextes handelt,395 sowie in den falsa demonstratio-Konstellationen, bei denen die Parteien mit einem fremdsprachigen Begriff übereinstimmend eine bestimmte Bedeutung verbunden haben.396 Der vielzitierte „Haakjöringsköd“-Fall des Reichsgerichts ist auch in dieser Hinsicht paradigmatisch.397 Außerdem ist es denkbar – namentlich wenn keine der Parteien Englisch als Muttersprache spricht, sie über keine andere Verständigungsmöglichkeit als die englische Sprache verfügen und wenn in der betreffenden Branche englische Vertragsmuster bzw. Klauseln nicht typischerweise gebräuchlich sind –, daß die Verwendung der englischen „Vertragssprache“ lediglich der Ermöglichung des Vertragsschlusses diente und damit im Gesamtkontext gesehen rechtlich als „neutral“ zu bewerten ist.398 In allen diesen Fällen hat die Auslegung nach dem deutschen Rechtsverständnis zu erfolgen, wenn das deutsche Recht Geschäftsstatut ist (vgl. Artt. 27, 28 EGBGB). c) Eine weitere Einschränkung des Grundsatzes, daß fremde Rechtsbegriffe gemäß dem Rechtsverständnis in ihrer Heimatrechtsordnung auszulegen sind, muß für diejenigen Fälle angenommen werden, in denen die Praktizierung einer solchen Auslegungsmethode zu einem Rechtsverstoß gegen das einschlägige Sachrecht führen würde. Denn es ist wie dargelegt davon auszugehen, daß die Parteien einen Vertrag mit rechtlich zulässigem Inhalt schließen wollten.399 394 Vgl. RGZ 39, 65 (68 f.); abweichend wohl J. Gruber, DZWiR 1997, 353 (358) für die „penalty clause“. 395 OLG Hamburg VersR 1996, 229 (230). 396 Ebenso Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 254. 397 Zutreffend J. Gruber, DZWiR 1997, 353 (357). – Aus der Rechtsprechung zum Seefrachtrecht siehe BGH VersR 1992, 595 = NJW-RR 1992, 423: Die „Indemnity-Klausel“ sei, auch wenn der Vertrag deutschem Recht unterstehe, grundsätzlich nach englischem Rechtsverständnis auszulegen. Die Parteien könnten ihr jedoch übereinstimmend einen anderen Sinn beilegen. Gegenstand des Rechtsstreits war die folgende Klausel: „Indemnity for nonperformance of this Charterparty, proved damages, not exceeding estimated amount of freight.“; siehe auch BGHZ 109, 345 (348) = NJW 1990, 2257: Der verwendete Begriff deadfreight ist mit dem Begriff „Fautfracht“ (Fehlfracht) der §§ 580 ff. HGB nicht identisch. Die Parteien hatten das Wort „deadfreight“ i. S. von Fehlfracht verstanden, weil die betreffende Vertragsklausel nur im Zusammenhang mit § 588 Abs. 3 S. 1 HGB einen vernünftigen Sinn ergab; siehe dazu ferner BGH TranspR 1988, 1999 = BGHR § 587 HGB Fehlfracht 1. 398 OLG Frankfurt ZIP 1997, 1782 (1783) = WM 1997, 1893 (betreffend einen „Standby Letter of Credit“ durch eine in der Exportfi nanzierung tätige polnische Bank). 399 So grundsätzlich auch Weick, FG Söllner, S. 607 (623). Das von ihm angeführte Beispiel, daß eine bestimmte Rechtsordnung die Abgrenzung zwischen „liquidated damages“ und „penalties“ nicht kennt, deutet allerdings gerade darauf hin, daß sie im Sinne des englischen Rechts auszulegen sind, während Weick dieses Beispiel als Beleg für seine Ansicht benennt, daß nicht sämtliche Bestimmungen eines Vertrages im Sinne des fremden Statuts ausgelegt und praktiziert werden müßten.

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Führt also die Auslegung nach dem fremden Recht zum Ergebnis der rechtlichen Unwirksamkeit, während bei anderer, ebenfalls möglicher Auslegung ein rechtswirksamer Vertrag vorliegt, so ist grundsätzlich der letzteren der Vorzug zu geben. Das entspricht einer Übertragung der „rettenden“ beiderseits interessengerechten Auslegung auf Fälle mit Fremdsprachenbezug. Auch dazu findet sich in der Rechtsprechung des BGH zum Seefrachtrecht ein interessantes Beispiel: 400 Das in englischer Sprache abgefaßte Konnossementformular enthielt eine sogenannte „Landschadensklausel“. Danach hafteten der Verfrachter oder seine Vertreter nicht für den Verlust oder die Beschädigung der Ware in der Zeit vor der Beladung und nach der Löschung des Seeschiffes, und zwar unabhängig davon, auf welche Weise der Verlust oder die Beschädigung zustande gekommen war. In dem Fall war Madeirawein durch Tiefkühlen nach erfolgter Entladung von dem Schiff unbrauchbar geworden; die Schiffsbesatzung hatte es unterlassen, dem Kaipersonal entsprechende Weisungen für den Umgang mit der Ware zu geben. Der BGH entschied, daß eine Haftung der Beklagten für ein Fehlverhalten der Schiffsbesatzung durch die Landschadensklausel in den Konnossementbedingungen nicht ausgeschlossen sei. Das gelte, obwohl der Schaden erst nach dem Ausladen des Containers eingetreten sei, als sich dieser schon in der Obhut der Kaianstalt befunden habe. Würde man die von der Beklagten verwendete Landschadensklausel demgegenüber dahin auslegen, daß durch sie die Haftung grundsätzlich ausgeschlossen sein solle, wenn der Schaden nach dem Ausladen eingetreten ist, und zwar auch dann, wenn die Schadensursache vor dem Ausladen durch die Schiffsbesatzung schuldhaft gesetzt worden ist, würde sich am Ergebnis nichts ändern. Eine Klausel dieses Inhalts wäre nämlich nach § 662 Abs. 1 in Verbindung mit § 663 Abs. 2 Nr. 2 HGB unwirksam.401 Die Haftung dafür, daß die Schiffsbesatzung vor der Übergabe der Ware an die Leute der Kaigesellschaft fahrlässig nicht die nötigen Weisungen gegeben habe, könne nicht einmal durch eine Individualabrede wirksam ausgeschlossen werden, erst recht nicht durch eine Klausel in einem Formularvertrag. Es bedarf nur weniger Ergänzungen, um diesen Fall für das angesprochene Problem fruchtbar zu machen: Hätte in casu festgestanden, daß nach englischem Rechtsverständnis eine Haftung für Schäden an der transportierten Ware nach Löschung der Ladung ausgeschlossen ist, wäre die Landschadensklausel nach den genannten Vorschriften des deutschen Seehandelsrechts unwirksam und somit von vornherein funktionslos. Vom „Wert des Ergebnisses“ her gedacht ist das vom BGH gefundene Ergebnis vorzugswürdig. Es handelte sich dann um einen Fall der „rettenden“ beiderseits interessengerechten Auslegung.

8. Im Ergebnis kann daher zusammenfassend festgestellt werden:

400

BGH NJW-RR 1993, 490 = TranspR 1993, 248. Nach § 662 Abs. 1 HGB kann die Verpflichtung des Verfrachters unter anderem zum Wertersatz bei Verlust oder Beschädigung der Güter nicht im voraus durch Rechtsgeschäft ausgeschlossen oder beschränkt werden. Gemäß § 663 Abs. 2 Nr. 2 HGB findet § 662 HGB keine Anwendung „auf die Verpflichtungen, die dem Verfrachter hinsichtlich der Güter in der Zeit vor ihrer Einladung und nach ihrer Ausladung obliegen“. 401

§ 6 Sprachrisiken und die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen

391

a) Die Sprache des Vertrags und das anwendbare Sachrecht müssen nicht zwingend kongruent zueinander sein. Das kann dazu führen, daß Rechtsbegriffe und Vertragsklauseln in einem fremdsprachigen Vertrag trotz der Geltung deutschen Rechts nach dem Verständnis ihrer Herkunftsrechtsordnung ausgelegt werden müssen. Diese Fragen sind vor allem bei Seefrachtverträgen und diesbezüglichen Versicherungsverträgen praktisch geworden, die traditionell in englischer Sprache unter Verwendung typischer Klauseln des englischen Seevertrags- und -versicherungsrechts formuliert werden.402 Dies gilt wegen des Vorrangs des Prinzips der Privatautonomie bzw. der Selbstbestimmung nicht, wenn die Parteien übereinstimmend den Begriff der fremden Rechtsordnung abweichend, d. h. im Sinne des deutschen materiellen Rechts oder Prozeßrechts verstanden haben („falsa demonstratio non nocet“),403 oder wenn sich aus den relevanten Begleitumständen ergibt, daß es sich bei dem Vertrag entweder lediglich um eine Übersetzung aus der deutschen Sprache oder um die das wechselseitige Verständnis erst ermöglichende Sprache handelt. Dann nämlich greift das zentrale Argument nicht durch, daß es sich bei den relevanten Begriffen um Funktionsbegriffe mit genau umrissener Bedeutung in dem Heimatrecht handelt. Ungeachtet dieser Grundsätze empfiehlt es sich, in Verträgen in verschiedenen Sprachfassungen nicht nur das anwendbare Sach- und Prozeßrecht sowie den Gerichtsstand zu bestimmen, sondern mittels einer sog. „construction clause“ zusätzlich auch festzulegen, nach welchem Rechtsverständnis die Vertragsauslegung im Zweifel erfolgen soll. 404 b) Die gängigen Auslegungsmethoden sind keine Instrumente, die vornehmlich dem Schutz nicht sprachmächtiger Personen dienen sollen. Gleichwohl 402

Siehe z. B. BGH VersR 1968, 62 (63): Mit der Klausel „Insurance Conditions: Against all marine risks according to the Institute Cargo Clauses (W. A.)“ hatten die Parteien – abweichend von dem deutschen Rechtsgrundsatz der Tragung aller Gefahren durch den Versicherer (§ 820 HGB, § 28 Allgemeine Deutsche Seeversicherungsbedingungen) – vereinbart, daß der Versicherer nur bestimmte Gefahren trägt mit der Folge, daß der Schaden auf eine versicherte Gefahr als nächste Ursache zurückzuführen sein mußte. Die betreffende Klausel entsprach nach den Feststellungen des BGH im wesentlichen der Klausel „perils at sea“. Danach muß ein Unfall bzw. Verlust vorliegen, der nicht nur auf der gewöhnlichen Bewegung von Wind und Wellen beruht. Die „all risks“-Versicherung erfaßt nach anglo-amerikanischem Verständnis auch fahrlässig vorgenommene Stauungen als gedeckte Gefahr. 403 Siehe z. B. OLG Frankfurt/Main IPRspr. 2001 Nr. 23: Die Auslegung des streitgegenständlichen Vorvertrags über ein in Italien belegenes Grundstück zwischen deutschen Parteien unterstand wegen Art. 28 Abs. 1 und 3 EGBGB dem italienischen Recht. Die Auslegung ergab, daß die Parteien den Begriff „caparra confirmatoria“ (vgl. Art. 1385 Cc) lediglich als „Anzahlung“ i. S. des deutschen Rechtsverständnisses und nicht als Draufgabe (für den Fall, daß es nicht zum Kauf kommt) verstanden hatten. 404 Siehe dazu J. Gruber, DZWiR 1997, 353 (358 a. E.); Triebel/Balthasar, NJW 2004, 2189 (2196 a. E.), jeweils mit Formulierungsbeispiel(en); siehe ferner BGH NJW-RR 2000, 1002 : „Dieser Vertrag ist in deutscher und französischer Sprache abgefasst. Im Zweifelsfalle ist die deutsche Fassung zwischen den Parteien maßgeblich.“; siehe weiter W. Lorenz, IPrax 1989, 22 (24) (zu OLG München IPrax 1989, 42): „This agreement shall be interpreted and construed under and pursuant to the laws of the State of Californa, USA.“

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

wird ein solcher Schutz in einem begrenzten Ausmaß erreicht, wenn bei der Auslegung maßgeblich darauf abgestellt wird, ob der Empfänger den vom Erklärenden gewollten Inhalt erkennen konnte, statt dem anderen Teil die Berufung auf die objektive Verkehrsbedeutung zu versagen. Es besteht daher kein Anlaß, die Methoden der ergänzenden und beiderseits interessengerechten Auslegung zu spezifischen Schutzinstrumenten für nicht sprachkundige Privatrechtssubjekte weiterzuentwickeln, indem man bei bestehender ungleicher Macht die Interessen des schwächeren Teils vorzieht.405 IV. Die Auslegung mehrsprachiger Verträge 1. Liegt ein Vertrag in mehreren Sprachfassungen vor, stellt sich die Frage, wie im Konfliktfall die Auslegung zu erfolgen hat. Sofern die Parteien vereinbart haben, daß eine Sprachfassung den Vorrang haben soll, so ist das wegen des Vorrangs der Privatautonomie zu akzeptieren; andere Sprachfassungen fungieren dann rechtlich als unverbindliche Übersetzungen des Originals.406 Fehlt es an einer Parteiabrede über den Vorrang einer Sprachfassung, so sind alle existierenden Fassungen des Vertrags grundsätzlich gleichwertig und daher bei der Auslegung heranzuziehen407 – es sei denn, die Parteien gehen auch ohne Vorrangregel übereinstimmend von dem Vorrang einer Fassung aus oder es ergibt sich aus der „Entstehungsgeschichte“, daß eine Vertragsfassung lediglich als nicht maßgebliche Übersetzung fungieren sollte.408 2. In dem Fall, daß zwei rechtlich gleichwertige Sprachfassungen des Vertrags vorliegen409 und Streit über die Bedeutung eines Begriffs herrscht, muß das Ziel 405 So aber – allerdings ohne Bezug zu der Sprachenproblematik – Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 383. 406 Beckmann, Sprachenstatut, S. 93. 407 Beckmann, Sprachenstatut, S. 93, 150; MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 112 (konkordierende Auslegung). 408 MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 113: „Soll die Übersetzung das Original erkennbar nicht ersetzen, so kann der Empfänger, der die Originalsprache nicht versteht, die Abweichung der Übersetzung zwar vielleicht nicht erkennen, kann sich aber auch nicht auf die Übersetzung verlassen. Versteht er die Sprache – und sieht er das Original – dann kann er sich nicht auf die erkennbar falsche Übersetzung stützen. Und dasselbe gilt, wenn die Übersetzung offenbar von zweifelhafter Qualität ist.“ 409 Siehe z. B. OLG Frankfurt/Main IPRspr. 2001 Nr. 23 zur Auslegung eines zwischen deutschen Staatsangehörigen abgeschlossenen Vorvertrags über ein in Italien belegenes Grundstück, der italienischem Recht unterstand. Das OLG gelangt zu dem Ergebnis, daß die italienische und die deutsche Fassung gleichberechtigt nebeneinander standen, weil die Parteien auch die auszugsweise deutsche Übersetzung unterzeichnet hatten. – Zu dieser Konstellation näher Beckmann, Sprachenstatut, S. 105 ff., 115 ff. (auf der Basis seiner Vertragssprachendoktrin). Mit einer Obliegenheit des jeweiligen Empfängers, sich um das Verständnis der Erklärung in der anderen Vertragssprache zu bemühen, (a.a.O., S. 107) und einer Obliegenheit des Erklärenden, die eigene Erklärung in der benutzten Vertragssprache klar und eindeutig abzufassen (a.a.O., S. 108), läßt sich das Problem freilich nicht lösen. Im folgenden unter-

§ 6 Sprachrisiken und die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen

393

der Auslegung darin bestehen, trotz der Gleichwertigkeit beider Sprachen eine Begriffsbedeutung zu bestimmen, weil anderenfalls keine Regelung (wegen Perplexität) oder Dissens410 vorliegt. Die gänzliche Unwirksamkeit des Vereinbarten ist aber ein Ergebnis, das der Privatautonomie am allerwenigsten gerecht wird. Daher muß der Richter versuchen, vornehmlich durch teleologische Auslegung gemäß dem Sinn und Zweck der jeweiligen Vereinbarung – und ggf. unter Beachtung der vorvertraglichen Korrespondenz sowie der Begleitumstände bei Vertragsschluß – nach Möglichkeit zu einer positiven Feststellung des Bedeutungsgehalts zu gelangen.411 Dabei kann es vorkommen, daß das Auslegungsergebnis mit dem Wortlaut einer der Vertragsfassungen in einem gewissen Spannungsverhältnis steht. Auch ist es denkbar, daß eine abweichende Interpretation ebenfalls plausibel und vertretbar erscheint. Hier kann nicht mehr gefordert werden, als daß der zur Auslegung berufene (Schieds-)Richter die seiner Entscheidungen zugrundeliegenden Wertungen offenlegt. a) Handelt es sich bei der streitigen Regelung um eine für das fremde Recht typische Klausel, kann dies als ein Indiz für eine Auslegung gemäß dem fremde Recht verstanden werden, wenn und soweit keine Anzeichen für ein übereinstimmendes Fehlverständnis durch die Parteien (d. h. ein Übersetzungsfehler) gegeben ist.412 Entsprechend ist zu entscheiden, wenn Vertragsmuster Verwendung gefunden haben, die für die fremde Rechtsordnung typisch sind; das ist wie erörtert bei Seefrachtverträgen und diesbezüglichen Versicherungsverträgen der Fall, die ihre Herkunft im englischen Rechtskreis haben.

sucht Verf. verschiedene völkerrechtliche Auslegungsregeln umfassend und zutreffend mit jeweils verneinendem Ergebnis (a.a.O., S. 117 ff.). 410 MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 112 m. w. N. 411 Es geht nicht darum, trotz der postulierten Gleichwertigkeit den Vorrang der einen oder anderen Sprachfassung zu bestimmen, sondern um die Ermittlung desjenigen Vertragsinhalts, der den Parteiinteressen am ehesten gerecht wird (ohne diese durch verobjektivierende Richtersicht implizit durch Auslegung abzuändern); so im Ergebnis auch Beckmann, Sprachenstatut, S. 127, 131 f., 134 ff.; vgl. auch die völkerrechtliche (d. h. staatenbezogene) Regelung in Art. 33 Abs. 4 der Wiener Vertragsrechtskonvention (BGBl. II, S. 927): „Außer in Fällen, in denen ein bestimmter Text nach Absatz 1 vorgeht, wird, wenn ein Vergleich der authentischen Texte einen Bedeutungsunterschied aufdeckt, der durch die Anwendung der Artikel 31 und 32 nicht ausgeräumt werden kann, diejenige Bedeutung zugrunde gelegt, die unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Vertrags die Wortlaute am besten miteinander in Einklang bringt.“ 412 So auch Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 95: Die Verwendung von juristischtechnischen Klauseln deute auf das Recht hin, auf das diese Klauseln abgestellt seien. Dies gelte insbesondere bei der Verwendung bestimmter Rechtsbegriffe oder von für ein Recht typischen Klauseln. Anders liege es, wenn die Formulierungen ebenso gut als analoger sprachlicher Ausdruck für auch dem deutschen Recht geläufige Einrichtungen angesehen werden können. – Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung in den Fällen, in denen der Klausel nur eine isolierte Bedeutung zukommt, siehe OLG Hamburg TranspR 2002, 120 = IPRspr. 2001 Nr. 45, S. 95 f. (keine stillschweigende Rechtswahl zugunsten des englischen Rechts durch „to follow“-Klausel in Seeversicherungsvertrag).

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

b) Handelt es sich hingegen um einen Begriff, der – mit unterschiedlichen Bedeutungen – in verschiedenen Rechtsordnungen vorkommt (z. B. Bedingung – conditions; Garantie – warranty) und gibt es keine weiteren Anhaltspunkte, die für eine Interpretation gemäß dem fremden Recht sprechen – gewissermaßen eine non liquet-Situation –, dann ist wegen Art. 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB eine Auslegung gemäß dem Verständnis im deutschen Recht vorzugswürdig. Ein genereller Vorrang des deutschen Begriffsverständnisses läßt sich mit dieser Vorschrift allerdings nicht begründen, denn dies würde dazu führen, daß die sonstigen Begleitumstände keine Berücksichtigung bei der Auslegung mehr finden könnten.413 Art. 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB fungiert allenfalls als „Rettungsanker“ in den genannten non liquet-Konstellationen. c) Das Schrifttum will bei Widersprüchen zwischen den verschiedenen Fassungen zum Teil Unwirksamkeit des Vertrags wegen Dissenses annehmen.414 Das ist immer dann besonders mißlich und möglicherweise ein vorschneller Schluß, wenn die in Betracht kommenden Auslegungsalternativen einander überschneidende Begriffskerne haben, weil bei der Annahme von Dissens nicht einmal dieser gemeinsame Begriffskern Geltung erlangt. Das dürfte in der Praxis relativ häufig vorkommen. Vorzugswürdig ist deshalb der Versuch, ein tragfähiges Auslegungsergebnis zu erzielen. Gelingt das nicht, sollte die Annahme von Dissens auf den streitigen Teil der Regelung beschränkt werden. Beispiel: 415 Die deutsche mobilcom hatte mit der France Télécom in englischer Sprache einen Vertrag abgeschlossen, der aufgrund Rechtswahl der Parteien (Art. 27 EGBGB) dem deutschen Recht unterstand, so daß für die Vertragsauslegung gemäß Art. 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB ebenfalls das deutsche Recht heranzuziehen war. Gemäß der Vereinbarung der Parteien sollten 90% der „direct and indirect proceeds“ aus der Desinvestition oder der Nutzung von UMTS-Vermögenswerten an die France Télécom gehen. Fraglich war, ob der Begriff „direct an indirect proceeds“ auch Vorsteuererstattungszahlungen der Bundesrepublik Deutschland an die mobilcom Gruppe erfaßte. Die Parteien hatten dazu unterschiedliche Vorstellungen. Läßt man die oben formulierten, hier konsentierten Rechtsprechungsgrundsätze einer Auslegung nach englischem Rechtsverständnis für das Beispiel 413 Vgl. in diesem Zusammenhang nochmals OLG Hamburg TranspR 2002, 120 = IPRspr. 2001 Nr. 45, S. 95 f.: Die Parteien hatten im allgemeinen keine Verbindung zum englischen Recht. Der Seeversicherungsvertrag war durch Vermittlung eines deutschen Maklers in Deutschland geschlossen worden. Die Parteien hatten Versicherungsbedingungen aus den USA vereinbart und diese um die englische „to follow“-Klausel ergänzt. Diese Klausel war die einzige Verbindung des Vertrages zum englischen Recht, insbesondere waren weitere wichtige Bestandteile von Verträgen der Klägerin mit englischen Versicherern nicht in den Vertrag übernommen worden. – Vgl. weiter OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 1995, 36 (38) zur Auslegung des Begriffs „termination indemnity“ im Rahmen eines Anstellungsvertrages mit einer GmbH, auf den deutsches Recht Anwendung fand: „Da auf den Anstellungsvertrag des Kl. mit der Bekl. deutsches Recht anwendbar ist (. . .), gilt für Auslegungsregeln zu fremdsprachigen Erklärungen innerhalb dieser Rechtsbeziehungen deutsches Recht.“ 414 MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 112 m. w. N. 415 Der Fall ist der Homepage der mobilcom entnommen.

§ 6 Sprachrisiken und die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen

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einmal beiseite, entsteht das im Text angesprochene Problem: Wegen des nach den Parteivorstellungen gemeinsamen Begriffskerns des Begriffs „proceeds“ i. S. von „Erlös, Ertrag, Einnahmen“ aus dem UMTS-Geschäft wäre es untragbar, den Parteien wegen der verbleibenden Widersprüche zwischen den Fassungen in bezug auf Vorsteuererstattungszahlungen einen umfassenden Dissens betreffend die Erlösauskehr zu unterstellen, wo doch der rechtliche Konflikt lediglich in der Reichweite der Begriffsbedeutung besteht.

3. Bei international standardisierten Vertragswerken und internationalen Handelsklauseln (wie z. B. den International Commercial Terms = Incoterms) 416 kommt hingegen nur eine autonome Auslegung der Begriffe in Betracht,417 weil die Auslegung nach einem nationalen Recht (dem Vertragsstatut) gemeinhin als „offensichtlich unbefriedigend“ empfunden wird.418 Die Incoterms streben eine internationale Vereinheitlichung üblicher Klauseln an. 419 International standardisierte Vertragswerke lehnen sich begrifflich nicht an eine bestimmte nationale Rechtsordnung an.420 Sie enthalten zumeist Auslegungsregeln für die im Katalog erfaßten Klauseln und unterliegen somit einer vereinheitlichenden Auslegung.421 Durch die begriffliche Emanzipation von nationalen Verständnissen und die angestrebte terminologische Vereinheitlichung wird das Sprachenproblem bewältigt. Deshalb ist dem hier nicht im einzelnen nachzugehen. Anhang: Die Geltung der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 157 BGB) bei der Auslegung

Lehre vom Empfängerhorizont

„Auslegungsverantwortung“ des Empfängers

(= objektiv-normative Auslegung)

(= individuelle Auslegung)

Zurechenbarkeit ggü. Erklärendem, Verständlichkeitsobliegenheit (Ausdruckssorgfalt) sowie „Erklärendenverantwortung“ (= individuelle Auslegung)

I. Die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 157 BGB) dominieren die Auslegung von Willenserklärungen (WE) und Verträgen. Sie gelten sowohl für die objektiv-normative Auslegung gemäß der Lehre vom Empfängerhorizont als 416

Z. B. fob = free on board, cif = cost, insurance, freight. Ein Beispiel für international standardisierte Vertragswerke bieten die von der FIDIC 1999 herausgegebenen vier Vertragswerke (Red Book, Silver Book, Yellow Book, Green Book); zum Red Book (das größere Bauvorhaben betrifft) siehe Hök, ZfBR 2005, 742 ff. 418 Weick, FG Söllner, S. 607 (614). 419 MüKo BGB/Spellenberg, Art. 32 EGBGB Rn. 11. 420 Weick, FG Söllner, S. 607 (614). 421 K. Schmidt, Handelsrecht, § 30 I 3 b und c (S. 841). 417

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

auch für die individuellen Sorgfaltsanforderungen der Beteiligten in bezug auf die Auslegung der Erklärung(en) des anderen Teils. Den konkreten Empfänger einer Willenserklärung trifft unstreitig die sog. Auslegungsverantwortung, d. h. Treu und Glauben verpflichten ihn dazu, sich zu erkennen zu bemühen, was der Erklärende mit seiner Willenserklärung hat ausdrücken wollen. Auf seiten des Erklärenden verlangt die Literatur, daß die Willenserklärung dem Erklärenden zurechenbar sein muß. Dem ist zuzustimmen, doch muß die Geltung von Treu und Glauben darüber hinaus auch bei der Auslegung dazu führen, daß der Erklärende immer dann, wenn der Empfänger die Willenserklärung nicht oder falsch verstanden hat und dies dem Erklärenden erkennbar war (= Bereich der Evidenz), sich nicht auf die objektive Wortbedeutung berufen kann. Dies wird hier mit Erklärendenverantwortung bezeichnet. Rechtlich handelt es sich dabei um eine Obliegenheit. Im modernen Schrifttum werden objektiv-normative Elemente und subjektive Elemente der Auslegung miteinander vermengt; beide werden der Lehre vom Empfängerhorizont untergeordnet. Demgegenüber hat die ältere Literatur genauer zwischen der „generellen Auslegung“ und der „individuellen Auslegung“ unterschieden. II. Die hier angestellten Betrachtungsweise, die objektive und subjektive Auslegungselemente im Rahmen des § 157 BGB und der Grundsätze von Treu und Glauben getrennt voneinander behandelt, beruht auf der Erwägung, daß die Lehre vom Empfängerhorizont nicht durch subjektive Elemente des konkreten Falles „verwässert“ werden soll. Es soll gewährleistet sein, daß (vorbehaltlich der seltenen Fälle der Perplexität) jeder Willenserklärung eine objektive Verkehrsbedeutung zukommt. Die subjektive Auslegung durch die Parteien hat zwar immer Vorrang (siehe die falsa demonstratio-Problematik, d. h. den Haakjöringsköd-Fall des Reichsgerichts, usw.). Ergibt sich danach kein klares Auslegungsergebnis, greift ergänzend die normative Auslegung ein. Scheitert auch sie, liegt – soweit es um die Frage des Vertragsschlusses zwischen den Parteien geht – (Total-)Dissens vor.

§ 7 Die Anfechtung von Willenserklärungen sowie die culpa in contrahendo bei Rechtsgeschäften mit Sprachunkundigen A. Einführung I. Grundlagen 1. Unter Geltung des deutschen Rechts müssen Willenserklärungen nicht unbedingt in deutscher Sprache abgegeben werden, da der Grundsatz der freien Sprachenwahl gilt. Ungeachtet des Rechts zur Sprachenwahl sehen sich Fremdmuttersprachler in Deutschland häufig zur Abgabe ihrer Erklärungen in der üblichen „Verkehrssprache“ Deutsch gezwungen. Die Tatsache unzureichender Sprachbeherrschung hindert die Erklärungsabgabe nicht, und zwar weder bei verkörperten – insbesondere von sprachkundiger Seite vorformulierten – Erklärungen noch bei unverkörperten Erklärungen.1 2. Die Übereinstimmung von Wille und Erklärung ist nach Friedrich Carl von Savigny „nicht etwas Zufälliges, sondern ihr naturgemäßes Verhältnis“. 2 Die Möglichkeit von Störungen dieses „naturgemäßen Verhältnisses“, also Divergenzen zwischen Wille und Erklärungsinhalt auf seiten des ausländischen Erklärenden, liegen in den Fällen fehlender Sprachbeherrschung des Erklärenden 3 auf der Hand. Im folgenden soll untersucht werden, ob in Fällen dieser Art eine Anfechtung nach §§ 119, 123 BGB in Betracht kommt.4 Daß die nach §§ 119, 123 BGB beachtlichen Irrtümer nicht eo ipso zur Unwirksamkeit der Erklärung führen,5 sondern zu der Anfechtungsmöglichkeit als Gestaltungsrecht, ist ein 1

So schon RG JW 1907, 505 (506). Savigny, System, Bd. 3, S. 258. 3 Der Empfängerirrtum, also das Falschverstehen der vom Erklärenden richtig geäußerten Willenserklärung durch den Adressaten, führt nicht zur Anfechtbarkeit. Erst wenn der Empfänger hierauf eine durch seinen Irrtum beeinflußte Erklärung abgibt, kann er wegen Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 BGB anfechten, siehe Medicus, BGB AT, Rn. 749. 4 Der Umstand, daß eine Vertragspartei die Sprache, in der sie die Erklärung abgibt, nicht beherrscht, bedeutet nicht zwangsläufig, daß die abgegebene Erklärung nicht dem wirklichen Willen entspricht. Hier ist sowohl eine Übereinstimmung als auch eine Abweichung zwischen Wille und Erklärung möglich, so zutreffend RG JW 1907, 505 (506). 5 Nicht überzeugend daher Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 1951: angebliche Unwirksamkeit der Willenserklärung des sprachunkundigen Ausländers wegen Fehlen des „Annahme-(Verzicht-)Willens“. 2

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

Kompromiß zwischen der sog. Willens- und der sog. Erklärungstheorie, 6 der vor dem Hintergrund der Rechtsprinzipien des Vertrauens- und Verkehrsschutzes – jedenfalls bei den Irrtümern des § 119 BGB – überzeugt.7 3. Die folgende Darstellung hat keine Generalrevision der „psychologischen“ Irrtumslehre des BGB unter dem Blickwinkel moderner Ansätze zum Ziel. Im folgenden wird vielmehr von den gesicherten Erkenntnissen der Rechtsprechung und Lehre zu § 119 und § 123 BGB ausgegangen. Die verschiedenen „Sprachrisiko“-Konstellationen werden im Rahmen der bestehenden Systematik erörtert. Soweit erforderlich, werden dabei auch Grundsatzfragen und Streitfragen angesprochen. Auf die modernen Entwicklungen im europäischen Vertragsrecht und auf internationale Aspekte wird – entsprechend der in § 1 getroffenen thematischen Eingrenzung auf das geltende nationale Zivilrecht – nur am Rande eingegangen. Dies erscheint gerechtfertigt, weil das europäische Vertragsrecht zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine geschlossene Materie darstellt, die an die Stelle des nationalen Rechts treten könnte. Der Umstand, daß die §§ 119 ff. BGB auf veralteten Prämissen – nämlich der sog. psychologischen Irrtumslehre – beruhen, beeinträchtigt ihre Geltung nicht. Etwaige Gesetzeskorrekturen wären mit den „makroteleologischen“ Rechtsprinzipien der Zivilrechtsordnung zu rechtfertigen, nicht aber mit vermeintlich oder tatsächlich modernen Entwicklungen, die noch nicht zu rechtlich verbindlichen Aussagen geführt haben. II. Die Prämisse vom Vorrang der Auslegung 1. Bevor man zur Frage der Anfechtung einer Willenserklärung wegen Sprachdefiziten des Erklärenden gelangt, ist zunächst zu klären, ob es der Anfechtung überhaupt bedarf. Denn im Verhältnis zur Anfechtung genießt die Auslegung einer Willenserklärung unstreitig Vorrang. 8 Daraus folgt: Wenn der Erklärungsempfänger trotz der Sprachdefizite des Erklärenden erkennt, was dieser wirklich gewollt hat (oder wenn er dies hätte erkennen müssen), gilt das vom Erklärenden Gewollte und eine Anfechtung scheidet grundsätzlich aus.9 Dieses Ergebnis resultiert aus der – von Treu und Glauben im Rahmen der Auslegung (§ 157 BGB) geforderten – Auslegungsverantwortung des Empfängers.10 6

Staudinger/Singer, § 119 Rn. 2 m. w. N. Siehe Staudinger/Singer, § 119 Rn. 5. 8 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 7; Erman/Palm, § 119 Rn. 4; Medicus, BGB AT, Rn. 317; Brox/Walker, BGB AT, Rn. 407, 410 a. E.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 29 f. und § 36 Rn. 30; Schulte, DB 1981, 937 (939); Titze, FS Heymann, Bd. II, S. 72 (73). 9 Erman/Palm, § 119 Rn. 4; Brox/Walker, BGB AT, Rn. 133 f., 408; Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 122; kritisch Schlechtriem, FS Weitnauer, S. 129 (139). 10 Ähnlich Flume, BGB AT, § 25 (S. 493); Flumes Lösung als zu weitgehend ablehnend S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 283 f. 7

§ 7 Die Anfechtung von Willenserklärungen sowie die culpa in contrahendo

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2. Der Vorrang der Auslegung ist im Zusammenhang mit Sprachproblemen des Erklärenden von Bedeutung. Insbesondere in Konstellationen wie der Unterzeichnung von Ausgleichsquittungen durch ausländische Arbeitnehmer kann nämlich der Fall eintreten, daß der Adressat – also der Arbeitgeber, der die von ihm vorformulierte Erklärung11 dem Arbeitnehmer zur Unterzeichnung vorgelegt hat – positiv wußte (oder zumindest hätte wissen müssen), daß der Erklärende bei Unterschriftsleistung nicht die Vorstellung hatte, auf sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zu verzichten, sondern lediglich eine Empfangsbestätigung (Wissenserklärung) abgeben wollte.12 Erkennt der Adressat – hier also der Arbeitgeber –, was der Erklärende statt des objektiv in der Urkunde Erklärten wirklich erklären wollte, muß er sich nach Treu und Glauben an dem Ergebnis dieser „individuellen Auslegung“ festhalten lassen.13 Für die Anfechtung durch den Erklärenden bleibt dann – jedenfalls vorbehaltlich eines noch zu untersuchenden Problemfalls – 14 kein Raum mehr, da der erkannte Irrtum wertungsmäßig einer falsa demonstratio gleichsteht.15 Der Vorrang der Auslegung vor der Anfechtung entspricht im übrigen der ständigen Rechtsprechung des BGH.16 Die Literatur entscheidet im Ergebnis ebenso, wenngleich dies bisweilen auf die fragwürdige Kurzformel gebracht wird, es liege schon keine Willenserklärung vor, wenn der Erklärungsempfänger erkennen konnte, daß Wille und Erklärung nicht übereinstimmten.17 Dabei handelt es sich um eine unzulässige Verkürzung, denn wenn es dem Empfänger gelingt, 11

Zur Kontrolle solcher Erklärungen an den Maßstäben des AGB-Rechts siehe unten § 8. Allgemein für die Einordnung als Auslegungsproblem MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 125, 128. A.a.O., Rn. 136 will Verf. die rechtliche Einordnung der Ausgleichsquittungsfälle davon abhängig machen, ob die Offerten von den (Vertretern der) Arbeitgeber ausgingen (dann Zugangsproblem) oder von den Arbeitnehmern (dann Auslegungsproblem). Diese Unterscheidung überzeugt angesichts der diesbezüglichen Zufälligkeiten nicht und spricht entscheidend gegen die Einordnung des „Sprachrisikos“ von schriftlichen Willenserklärung als Zugangsproblem. 13 Ebenso S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 237 mit Fn. 137; MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 62 m. w. N., Rn. 113 (Gedanke der Mitverantwortlichkeit des Partners des Irrenden); vgl. auch BGHZ 139, 177 (184) = NJW 1998, 3192 zur Problematik des erkannten Kalkulationsirrtums: Es kann es eine unzulässige Rechtsausübung gemäß § 242 BGB darstellen, wenn der Empfänger ein Vertragsangebot annimmt und auf der Durchführung des Vertrages besteht, obwohl er wußte oder sich treuwidrig der Kenntnisnahme entzog, daß das Angebot auf einem Kalkulationsirrtum des Erklärenden beruht. 14 Siehe unten bei B. I. 1. c. 15 S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 237 mit Fn. 137; MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 62; Erman/Palm, § 119 Rn. 5; Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 30 und § 36 Rn. 29; Medicus, BGB AT, Rn. 745; Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 112. 16 BGH VersR 1995, 648 = NJW-RR 1995, 859; BGH VersR 1959, 497 = BB 1959, 646 m. w. N.; BGH WM 1972, 1422; BGH WM 1983, 92 = BB 1983, 927; OLG Düsseldorf, MittBayNot 2001, 321 (323). Die zitierte Rechtsprechung nimmt teilweise ausdrücklich auf die Rechtsfigur der falsa demonstratio Bezug. 17 Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 98. 12

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das wirklich Gewollte zu erkennen, und es sich dabei um eine Willenserklärung handelt, gilt die Erklärung mit dem gewollten Inhalt.18 In dem beispielshalber angeführten Fall der Ausgleichsquittung ist die rechtliche Einordnung – keine Willenserklärung – allerdings zufällig korrekt, weil die in Wahrheit von Arbeitnehmer gewollte Quittung eine bloße Wissens-, aber gerade keine Willenserklärung ist.19 III. Die für die Anfechtung verbleibenden Fälle 1. Nicht erkannter Irrtum Der Vorrang der Auslegung vor der Anfechtung bedeutet selbstverständlich nicht, daß für die Anwendung der Anfechtungsregeln des BGB in den „Sprachrisiko“-Fällen von vornherein kein Raum wäre. Denn es ist durchaus denkbar, daß dem Empfänger die sprachbedingten Verständnisschwierigkeiten des Erklärenden verborgen bleiben, so z. B. in den Fällen der Unterzeichnung unverstandener Schriftstücke durch einen Sprachunkundigen. Mangels erkannten Irrtums gibt es in diesem Fall kein vorrangiges Auslegungsergebnis. Dies gilt auch dann noch, wenn es dem Adressaten „an sich“, d. h. bei etwas sorgfältigerer Beachtung der „Auslegungssorgfalt“ oder „Deutungsdiligenz“, möglich gewesen wäre, das Sprachdefizit des Erklärenden zu bemerken. 20 Als Auslegungsergebnis gilt dann – soweit ermittelbar – dasjenige, was ein objektiver Empfänger an der Stelle des wirklichen Adressaten als Erklärungsinhalt aufgefaßt hätte, also die normative Erklärungsbedeutung. Für den erforderlichen vertraglichen Konsens der Parteien kommt es dementsprechend nicht auf den wirklichen inneren Willen der Parteien i. S. des tatsächlich Gemeinten an – sog. realer oder natürlicher Konsens –, sondern auf die normative Bedeutung der jeweiligen Willenserklärungen. 21 In diesen Fällen stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit der Irrtumsanfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB, wenn der Erklärende von den

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Vgl. auch Jayme, FS Bärmann, S. 509 (518 mit Fn. 38). Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290 Rn. 6. 20 BGH VersR 1959, 497 = BB 1959, 656 erklärt die Irrtumsanfechtung nur in dem Fall für entbehrlich, daß der Empfänger erkannt hat, was der Erklärende in Wirklichkeit wollte. Dann sei der wahre Wille maßgebend. Der Irrtumsanfechtung bedürfe es jedoch, wenn der Empfänger zwar den wahren Willen des Erklärenden hätte erkennen können oder müssen, ihn aber tatsächlich nicht erkannt hat. Der BGH läßt (a.a.O., S. 498 li. Sp.) allerdings eine „Erkenntnis, die sich angesichts der Klarheit des Schreibens einem selbst nur oberfl ächlichen Leser aufdrängen mußte“ zutreffend zur Bejahung der Kenntnis des Klägers ausreichen. Bleiben Zweifel daran, daß der Empfänger den Irrtum des Erklärenden wirklich wahrgenommen hat, darf man dieses Erkennen nicht einfach für die Auslegung unterstellen, sondern dann ist in der Tat die Anfechtung wegen Erklärungsirrtums durch den Erklärenden erforderlich. 21 S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 237; Flume, BGB AT, § 16, 3 (S. 310) und § 34, 3 (S. 620). 19

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Wirkungen seiner Erklärung22 in der normativen Verkehrsbedeutung „loskommen“ möchte. 23 2. Subjektive Mehrdeutigkeit a) Weiter ist es möglich, daß der Adressat zwar erkannt hat, daß der Erklärende unter einem sprachlichen Defizit leidet und möglicherweise etwas anderes erklären wollte, daß es ihm – dem Adressaten – aber nicht gelingt, aus der für ihn mehrdeutigen Erklärung selbst das wirklich Gewollte zu erkennen. In diesen Fällen kommt der Erklärung – zumindest vorläufig – der normative Erklärungswert zu, wenn und soweit aus der Sicht eines objektiven, vom realen Adressaten zu unterscheidenden Empfängers die Ermittlung der normalen Verkehrsbedeutung möglich ist. 24 Anderenfalls ist die Erklärung wegen Nichtermittelbarkeit ihrer Bedeutung nichtig (Fall der Perplexität). 25 Fraglich ist, ob bestehende Unsicherheiten über den tatsächlichen Erklärungsinhalt den Erklärenden zur Anfechtung berechtigen, bzw. ob auch eine wegen nicht ermittelbaren Bedeutungsinhalts nichtige Willenserklärung von ihm sicherheitshalber angefochten werden kann. Es zeigt sich, daß das Kriterium der Erkennbarkeit des gewollten Erklärungsinhalts für den Adressaten offenbar sowohl bei der Auslegung als auch bei der Frage einer möglichen Anfechtung Bedeutung erlangen kann. 26 b) Wenn es dem Empfänger gelungen ist zu verstehen, was der sprachunkundige Erklärende zum Ausdruck bringen wollte, liegt ein „Sprachrisiko“-Fall vor, der mittels Auslegung bewältigt werden kann. Hat der Erklärungsempfänger den vom Wortlaut der Erklärung – z. B. eines Vertragsangebots – abweichenden wahren Willen des Erklärenden erkannt und stimmt er dem zu, dann kommt es zum Vertragsschluß mit diesem Inhalt und der widersprechende Wortlaut des Angebots bleibt völlig außer Betracht. 27 Nimmt der Empfänger hingegen, obwohl er den wahren Willen des Erklärenden erkannt hat, bloß auf den Wortlaut des Angebots Bezug, scheitert der Vertragsschluß am Dissens der 22 Liegt ein Irrtum über die Erklärung des Gegners vor, handelt es sich um einen Fall des Dissenses, siehe dazu oben § 6 C. 23 Grundsätzlich bejahend MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 Rn. 128. 24 Vgl. auch MüKo BGB/Kramer, § 155 Rn. 3 mit Fn. 7 (mit Hinweis auf BGH NJW 2003, 743): Es liegt normativer Konsens (und nicht versteckter Dissens infolge objektiver Mehrdeutigkeit) vor, wenn ein Angebot – isoliert betrachtet – eine gewisse Widersprüchlichkeit oder Unklarheit aufweist, eine systematische Interpretation aber doch zu einem sinnvollen, klaren Auslegungsergebnis führt. 25 Ebenso S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 237 mit Fn. 137 m. w. N. 26 Vgl. auch Art. 3.5 Abs. 1 lit. a der UNIDROIT Grundregeln der internationalen Handelsverträge 2004. Danach ist die Anfechtungsmöglichkeit im Irrtumsfall gegeben, wenn die andere Partei „ihn kannte oder hätte kennen müssen, und es den angemessenen Maßstäben eines redlichen Geschäftsgebarens widersprach, die irrende Partei in ihrem Irrtum zu belassen“. 27 So schon Henrich, RabelsZ Bd. 35 (1971), 55 (57).

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Vertragspartner.28 Gelingt die Auslegung durch den individuellen Adressaten nicht und ist die Erklärung auch nicht zu unbestimmt, um rechtliche Wirksamkeit zu erlangen, so ist der Fall der Kategorie der Anfechtung zuzuordnen.29 Im übrigen ist zu fragen, ob eine Anfechtung auch zu dem Zweck zugelassen werden kann, den falschen Rechtsschein einer Willenserklärung zu beseitigen.30 3. Verschuldeter Irrtum und Anfechtung Die Frage nach der Zulassung der Anfechtung wegen Irrtums stellt sich dann noch, wenn der Irrtum durch Nachfrage seitens des Erklärenden hätte vermieden werden können.31 Die Anfechtung ist nämlich auch bei einem „selbstverschuldeten“ Irrtum des Erklärenden nicht ausgeschlossen, 32 ja sie kommt sogar „bei gröbster Fahrlässigkeit in Betracht“.33 Dies scheint dem Prinzip der Selbstverantwortung und den Erfordernissen des Verkehrsschutzes prima vista zuwiderzulaufen, doch liegt der erforderliche Ausgleich zugunsten des Anfechtungsgegners darin, daß auch die Verpflichtung des Anfechtenden gemäß § 122 Abs. 1 BGB zum Ersatz des negativen Interesses ohne Rücksicht auf Verschulden eintritt.34 Dies zugrundegelegt, muß hier unter anderem der Frage nachgegangen werden,35 ob auch derjenige, der ein Schriftstück ungelesen unterschrieben hat und also bei Abgabe seiner Erklärung „schuldhaft“ gehandelt hat, diese Erklärung anfechten kann, wenn und soweit er sich von deren Inhalt eine abweichende unrichtige Vorstellung gemacht hat.36 28

Zutreffend Henrich, RabelsZ Bd. 35 (1971), 55 (57, 59). MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 128. 30 Siehe dazu unten B. II. 6. 31 MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 126, 128. Unrichtig daher OLG Köln FamRZ 2002, 457, wo die Anfechtung einer notariellen Vereinbarung über den Güterstand der Gütertrennung wegen mangelnder Beherrschung der deutschen Sprache auf seiten der Frau mit der Begründung abgelehnt wird, es sei ihre Sache gewesen, den Notar auf das fehlende Verständnis hinzuweisen und nachzufragen (so auch Spellenberg, a.a.O., Rn. 126 mit Fn. 395). 32 MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 126; ebenso Flume, BGB AT, § 21, 5 (S. 420). Unter Zugrundelegung einer generellen Betrachtensweise wäre das Kriterium des Verschuldens – neben anderen Kriterien – durchaus zulässig gewesen, zutreffend Medicus, BGB AT, Rn. 737. 33 Medicus, BGB AT, Rn. 738; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 587). 34 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 587). 35 Siehe unten B. III. 5. 36 Siehe aus der Rechtsprechung insbesondere BGH NJW 1995, 190 (191); BGH BB 1956, 254; BAG NJW 1971, 639 (640) = BAGE 22, 424 = BAG AP Nr. 33 zu § 133 BGB; ferner LAG Baden-Württemberg BB 1968, 912 (schriftliche Bestätigung eines mündlich geschlossenen, befristeten Arbeitsvertrages durch eine griechische Gastarbeiterin); LG Memmingen NJW 1975, 451; LG Köln WM 1986, 821; AG Kerpen ZMR 2001, 899; ebenso die Literatur, Soergel/ Hefermehl, § 119 Rn. 13; Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 27; Flume, BGB AT, § 23, 2 (S. 453); Flume selbst will den Fall, daß jemand einem anderen die Formulierung der Urkunde überläßt und im Vertrauen auf den anderen die Urkunde ungelesen unterschreibt, nicht als Irrung qualifizieren (a.a.O., S. 454). 29

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4. Erklärungsbewußtsein und Anfechtung Die vieldiskutierte Frage nach dem Vorliegen des Erklärungsbewußtseins ist für die Anfechtungsproblematik in den „Sprachrisiko“-Fällen letztlich nicht von entscheidender Bedeutung. Das beruht auf den folgenden grundsätzlichen Überlegungen: Das Erklärungsbewußtsein ist nach dem heutigen Stand der Zivilrechtsdogmatik kein zwingender Bestandteil einer Willenserklärung mehr; es wird insoweit nur verlangt, daß eine zurechenbare Erklärung vorliegt.37 Sein Fehlen ermöglicht die Anfechtung wegen Erklärungsirrtums gemäß § 119 Abs. 1 BGB.38 Für die „Sprachrisiko“-Fälle ist indessen von entscheidender Bedeutung, daß das Erklärungsbewußtsein bereits dann gegeben ist, wenn der Erklärende sich der Rechtserheblichkeit seines Tuns bewußt war.39 Das ist, wie ausgeführt40 , auch bei sprachunkundigen Personen, die etwa ein Schriftstück „ungelesen“ – genauer: unverstanden – unterschrieben haben, regelmäßig der Fall.41 Das bei diesen Personen vorhandene Bewußtsein, irgendeine rechtserhebliche Erklärung abzugeben, begründet das Erklärungsbewußtsein, genügt für sich gesehen jedoch gerade nicht, um die Anfechtung wegen Erklärungsirrtums zu rechtfertigen.42 Dafür ist vielmehr eine von dem Erklärten abweichende konkrete Vorstellung vom Inhalt vonnöten.43 Ob eine konkrete abweichende Vorstellung gegeben war, ist für das Auseinanderfallen von Wille und Erklärung und folglich für die Anfechtungsmöglichkeit die entscheidende Frage. Diese Begrenzung der Anfechtungsmöglichkeit ist durch die Rechtsprinzipien der Selbstverantwortung und des Verkehrsschutzes gerechtfertigt.44 37

Siehe im einzelnen oben § 5 D. II. 1. So z. B. MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 103. 39 Das betont auch Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 98; abweichend Erman/Palm, § 119 Rn. 35 unter (2), der bei ungelesen unterschriebenen Urkunden durch Gastarbeiter, die der deutschen Sprache nur unzureichend mächtig sind, von einer Anfechtung analog § 119 Abs. 1 BGB wegen fehlenden Erklärungsbewußtseins ausgeht. 40 Siehe dazu schon oben § 5 II. 1. b. 41 Ebenso MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 118: „Man wird zwar oft annehmen dürfen, dass die Arbeitnehmer mit ihrer Unterschrift schon irgendeine Vorstellung rechtlicher Bedeutung verbunden haben, und kann daher nicht von einem völligen Fehlen eines Erklärungsbewusstseins sprechen.“ 42 Zutreffend daher Flume, BGB AT, § 23, 2 (S. 453): „Sicher ist es richtig, daß, wenn jemand eine ungelesene Urkunde unterschreibt im Bewußtsein, eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben, ohne sich von deren Inhalt eine Vorstellung zu machen, von einem Irrtum hinsichtlich der Erklärung keine Rede sein kann und deshalb eine Anfechtung nicht in Frage kommt.“; ebenso Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290, Rn. 156 betreffend die Unterzeichnung einer ungelesenen Urkunde durch einen Arbeitnehmer, der sich keine ernstlichen Gedanken über den Urkundeninhalt gemacht hat. 43 RGZ 62, 201 (205); RGZ 77, 309 (312); RGZ 88, 278 (282); BAG AP Nr. 33 zu § 133 BGB; BGH NJW 1995, 190 (191); BGH NJW 1999, 2664 (2665); BGH NJW 2002, 956 (957); MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 51 ff.; Staudinger/Singer, § 119 Rn. 11. 44 Vgl. allgemein Flume, BGB AT, § 25 (S. 492): „Ist die Vorstellung des Erklärenden von der Wirklichkeit aber nicht Bestandteil des Rechtsgeschäfts, so ist es nur sachgerecht, daß der 38

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5. Anfechtung bei Ausübung von Druck und wegen Täuschung Weiter ist schließlich zu fragen, ob die Fälle der Ausübung von Druck und der Täuschung des Erklärenden für die „Sprachrisiko“-Problematik relevant sind. Der Systematik des Gesetzes folgend ist zwischen der Anfechtung gemäß § 123 BGB wegen Drohung und arglistiger Täuschung sowie den beiden Varianten der Irrtumsanfechtung gemäß § 119 BGB zu trennen. Wegen der Schwere der „Defektlage“ auf seiten des Erklärenden wird hier entgegen der gesetzlichen Reihenfolge § 123 BGB vor § 119 BGB untersucht (dazu sogleich unter B.).45 Dies entspricht auch einer pragmatischen Wertung aus der Sicht des Anfechtungsberechtigten, der wegen der Schadensersatzpflicht aus § 122 Abs. 1 BGB die Anfechtung gemäß § 119 BGB neben jener aus § 123 BGB lediglich eventualiter – falls er mit der Behauptung, arglistig getäuscht worden zu sein, vor Gericht nicht durchdringen sollte – in Betracht ziehen wird.46

B. Die verschiedenen Anfechtungstypen I. Das Telos des § 123 BGB Der sachliche Grund für die Regelung in § 123 BGB liegt in der rechtswidrigen Beeinträchtigung des Willensentschlusses des Erklärenden, 47 also in der Beeinträchtigung der freien Selbstbestimmung,48 und nicht etwa in der Rechtswidrigkeit oder sittlichen Verwerflichkeit, wie sie sich in der Täuschung oder Drohung manifestiert.49 Zwang – durch Drohung, sog. vis compulsiva – und Irrtum – infolge arglistiger Täuschung – bewirken, anders als die Ausübung physischer Erklärende das Risiko der Richtigkeit seiner Vorstellungen von der Wirklichkeit trägt.“; zur gebotenen Begrenzung der Irrtumsanfechtung siehe Staudinger/Singer, § 119 Rn. 1. 45 Innerhalb des § 123 BGB ist die Drohung als die schwerwiegendere Störung des Rechts zu bewerten, siehe Flume, BGB AT, § 27, 2 (S. 531); MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 37; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 60; vgl. auch Savigny, System, Bd. 3, § 115 (S. 117). Die rechtliche Konsequenz besteht darin, daß bei der Drohungsalternative das Anfechtungsrecht per se besteht, während die Täuschungsanfechtung nur gegenüber dem Täuschenden und demjenigen erfolgt, welcher die Täuschung kannte oder kennen mußte. 46 Flume, BGB AT, § 27, 4 (S. 532); Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 91; Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 19. 47 Flume, BGB AT, § 27, 1 (S. 528 f.). Anders als § 263 StGB schützt die Vorschrift nicht das Vermögen. Auch unterscheiden sich beide Vorschriften darin, daß nur der Straftatbestand eine Schädigungsabsicht verlangt, siehe Medicus, BGB AT, Rn. 789; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 614). 48 Motive, Bd. I, § 103 (S. 204); RGZ 134, 43 (55); BGHZ 51, 141 (147) = NJW 1969, 925; MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 1; Erman/Palm, § 123 Rn. 1; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 603); Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 1; vgl. auch BGH DB 2007, 457 zur Unzulässigkeit eines vertraglich vereinbarten Ausschlusses der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung aus Gründen des Schutzes der freien Selbstbestimmung. 49 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 603).

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Gewalt (sog. vis absoluta),50 für sich genommen nicht schon die Unwirksamkeit der Erklärung, vielmehr bleibt die abgegebene Erklärung vorerst gültig.51 Wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung der freien Selbstbestimmung bedarf es jedoch einer positiven Korrektur des Gesetzes.52 Sie findet sich in der Anfechtungsmöglichkeit gemäß § 123 BGB. Der Getäuschte bzw. Bedrohte hat also die Wahl, ob er trotz Täuschung oder Drohung das Rechtsgeschäft gelten lassen möchte oder nicht.53 II. Die Arglistanfechtung gemäß § 123 Abs. 1 BGB 1. Täuschungshandlung Täuschung i. S. des § 123 BGB ist jedes Verhalten – positives Tun oder Unterlassen – 54 , durch das in einer anderen Person vorsätzlich eine unrichtige Vorstellung erregt, bestärkt oder aufrechterhalten wird,55 welche den Getäuschten zur Abgabe einer Willenserklärung überhaupt oder mit bestimmtem Inhalt motiviert.56 Die Täuschungshandlung kann in Angaben bestehen, die nachprüfbare Tatsachen 57 vorspiegeln, entstellen oder bei Bestehen einer Aufklärungspflicht verschweigen.58 Sofern sie nur geeignet ist, den entstandenen Irrtum hervorzurufen und hierdurch den Entschluß zur Abgabe der Willenserklärung zu beeinflussen, kommt nach der Rechtsprechung59 als Täuschungshandlung aber auch „jede andere Handlung“ in Betracht, wenn der Handelnde sich der Eignung

50 Savigny, System, Bd. 3, § 114 (S. 100 f.); Flume, BGB AT, § 27, 1 (S. 530); MüKo BGB/ Kramer, § 123 Rn. 39; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 61; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 39; Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 27; Neuner, JuS 2007, 881 (884). 51 Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 27; siehe auch Neuner, JuS 2007, 881 (887): Bei der widerrechtlichen Drohung bleibe die Selbstbestimmung zwar formal gewahrt, die materiale Entscheidungsfreiheit sei jedoch faktisch eliminiert. 52 So schon Savigny, System, Bd. 3, § 114 (S. 100, 108); Flume, BGB AT, § 27, 1 (S. 530). 53 Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 1. 54 Siehe dazu im einzelnen Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 5 ff. 55 Flume, BGB AT, § 29, 1 (S. 541); Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 6; Medicus, BGB AT, Rn. 788; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 2. 56 Zum ursächlichen Zusammenhang zwischen Täuschung und Willenserklärung siehe MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 12; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 26; Soergel/ Hefermehl, § 123 Rn. 4. Die Kausalität der Täuschung ist rein subjektiv, also nicht nach dem Maßstab eines verständigen Rechtsgenossen zu beurteilen, so daß es an der Kausalität fehlt, wenn der Erklärende die Täuschung durchschaut hat (BGH WM 1978, 221, 222; BGH NJW 1971, 1795, 1798; Kramer, ebd.; Singer/v. Finckenstein, ebd.). 57 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 605). Wenn Erwartungen wachgerufen werden, welche nach ihrer Natur unsicher sind (Beispiel: steigende Konjunktur), liegt keine Täuschung vor (v. Tuhr, ebd.). 58 BGH NJW-RR 2005, 1082 (1083); BGH GRUR 2003, 702 (703) – Gehäusekonstruktion. 59 BGH NJW-RR 2005, 1082 (1083) m. w. N.

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bewusst ist 60 oder jedenfalls mit der Möglichkeit rechnet, der Gegner werde bei Kenntnis die Willenserklärung nicht oder nicht mit dem gewünschten Inhalt abgeben61. Da es sich hierbei um subjektive Gegebenheiten handelt, die dem unmittelbaren Beweis nicht zugänglich sind, muß regelmäßig aus den objektiv feststellbaren Umständen des Falles auf das Wissen und Wollen des Anfechtungsgegners geschlossen werden. 62 a) Aktive Täuschung durch positive Irrtumserregung Die Täuschung kann zunächst aktiv als positive Irrtumserregung durch falsche oder irreführende Angaben in Wort oder Schrift – z. B. in Form einer Lüge, durch Entstellung von Tatsachen oder eine „Behauptung ins Blaue hinein“63 – erfolgen. 64 Nicht hierzu zählen marktschreierische Anpreisungen und subjektive Werturteile ohne Tatsachenkern. 65 Beispiel: Eine positive Täuschung läge beispielsweise in der Bemerkung eines Arbeitgebers gegenüber einem ausländischen Arbeitnehmer, daß er durch Unterschrift auf einem Ausgleichsquittungsformular lediglich den Empfang der Arbeitspapiere quittiere, denn dies 60 BGH NJW 1985, 156 (157): unrichtige Beantwortung von Fragen bei der Erstellung eines „großen ärztlichen Zeugnisses“. 61 BGHZ 83, 283 (291) = NJW 1982, 2861 (2863) – Hartmetallkopfbohrer m. w. N. aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts. 62 Siehe dazu im einzelnen BGH NJW-RR 2005, 1082 (1083) m. w. N.: In den Fällen, in denen eine Täuschung durch ein Anschreiben in Frage stehe, böten vor allem dessen Inhalt und Aufmachung Anhaltspunkte. Wenn das Schreiben objektiv unrichtige Angaben enthalte, könne regelmäßig bereits hieraus auf den erforderlichen subjektiven Tatbestand geschlossen werden. Die Eignung zur Irreführung genüge als solche jedoch für die Annahme eines Täuschungswillens nicht, denn die irreführende Darstellung könne beispielsweise auch auf einem bloß ungeschickten Vorgehen bei der Formulierung beruhen, das allein nicht Ausdruck einer arglistigen Täuschung sei. Bei lediglich irreführender Darstellung komme es darauf an, wie stark die maßgeblichen Punkte verzerrt oder entstellt wiedergegeben wurden und darauf, ob der Absender wegen des Grads der Verzerrung oder Entstellung hätte erwarten können, daß Adressaten die wahren Umstände nicht richtig oder nicht vollständig erkennen können. Die erforderliche Abwägung im Einzelfall sei Sache des Tatrichters. 63 BGH NJW 1981, 1441 (1442); BGH NJW-RR 1986, 700; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 28; Erman/Palm, § 123 Rn. 29; Medicus, BGB AT, Rn. 788; S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 315; siehe insbesondere auch BGH NJW 1980, 2460, wo der BGH entschieden hat, daß arglistig auch derjenige täusche, dem jegliche zur sachgemäßen Beurteilung des Erklärungsgegenstandes erforderliche Kenntnis fehle und der diese Tatsache verschweige. Der gute Glaube an die Richtigkeit des Erklärten schließe in einem solchen Falle Arglist nicht aus. 64 Flume, BGB AT, § 29, 1 (S. 541); Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 5 ff.; Erman/Palm, § 123 Rn. 12; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 9; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 5; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 606 f.); vgl. auch Savigny, System, Bd. 3, § 115 (S. 119). 65 MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 15; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 7; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 3. Hat die werbemäßige Anpreisung einen Tatsachenkern, der nachweislich objektiv falsch ist, ist die Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB hingegen zulässig, zutreffend Singer/v. Finckenstein, ebd.

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kann dazu führen, daß der Arbeitnehmer die tatsächlich darin enthaltenen Verzichtserklärungen abgibt, ohne zuvor den Formulartext zu lesen. 66

b) Irrtumserregung durch Unterlassen bei Bestehen einer Aufklärungspflicht Weiter kann auch ein Unterlassen, d. h. ein Verschweigen bestimmter Umstände, als Täuschung zu qualifizieren sein. 67 Bereits Savigny hatte das wissentliche, stillschweigende Dulden eines fremden Irrtums der Täuschung durch positives Tun gleichgestellt. 68 Dies setzt allerdings voraus, daß eine Rechtspflicht des anderen Teils zur Aufklärung besteht. 69 Wann das der Fall ist, hängt vom Vertragstyp – genauer: von der vertraglichen Risikoverteilung – 70 bzw. den Vertragsverhandlungen71 und von weiteren Umständen ab. Der historische Gesetzgeber war der Meinung, daß sich die Rechtspflicht zur Aufklärung des anderen Teils einer allgemeinen gesetzlichen Regelung entziehe, so daß er auf die richterliche Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben verweisen mußte.72 Wie die Abgrenzung im einzelnen zu geschehen hat, ist bis heute nicht abschließend geklärt.73 Die Rechtsprechung behilft sich mit der – dem Verständnis des historischen Gesetzgebers entsprechenden – recht vagen Formel,74 daß eine Pflicht zur Mitteilung ohne Nachfrage bestehe, wenn eine Aufklärung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte geboten erscheine und der Vertragspartner daher mit einer Aufklärung der Sachlage redlicherweise rechnen durfte.75 Vereinzelt hat sie die Voraussetzungen für besondere Teilgebiete des Zivil66 Zutreffend Stahlhacke, NJW 1968, 580 (582); abweichend Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 392 f. 67 Flume, BGB AT, § 29, 1 (S. 541); Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 10; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 6; Erman/Palm, § 123 Rn. 13; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 607); vgl. auch Savigny, System, Bd. 3, § 115 (S. 119); aus der Rechtsprechung siehe BGH NJW 2001, 3331 (3332): In dem Schweigen zu dem von den Klägern selbst geweckten, ihnen bekannten Erwartung lag unter den gegebenen Umständen eine Täuschung durch konkludentes Verhalten. 68 Savigny, System, Bd. 3, § 115 (S. 119). 69 Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 6; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 607). 70 MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 17 und § 119 Rn. 120. 71 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 607 f.). 72 Motive, Bd. I, § 103 (S. 208) = Mugdan Bd. I, S. 467; siehe auch MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 17; Breidenbach, Informationspfl ichten beim Vertragsschluß, S. 1; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 6. 73 Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 10: „Viele Defi nitionen sind vage und unpraktikable Leerformeln.“ 74 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 77 mit Fn. 77 kritisiert, daß diese gebräuchliche Formel viel zu weit sei, als daß sich daraus vorhersehbare, konkrete Ergebnisse ableiten ließen. Die Kritik erscheint berechtigt. 75 Siehe z. B. BGH NJW 1989, 763 (764): Aufklärungspflicht bejaht, „wenn das Verschweigen von Tatsachen insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Vereitelung des Vertragszwecks gegen Treu und Glauben verstoßen würde und der Erklärungsgegner die Mitteilung der verschwiegenen Tatsache nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte“; siehe auch BGH NJW 1983, 2493 (2494) m. w. N.; BGH NJW 1980, 2460 (2461); BGH NJW 1979, 2243; RGZ 111,

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rechts konkretisiert. So ist beispielsweise nach der Rechtsprechung des BAG zum Individualarbeitsrecht eine Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem künftigen Arbeitgeber an die Voraussetzung gebunden, daß die verschwiegenen Umstände dem Arbeitnehmer die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Leistungspflicht unmöglich machen oder sonst für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind.76 Allerdings berechtigt etwa die Falschbeantwortung der Frage nach einer Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht zur Anfechtung des Arbeitsvertrags, wenn die Schwerbehinderung für den Arbeitgeber offensichtlich war und deshalb bei ihm ein Irrtum nicht entstanden ist.77 c) Exkurs zur Begründung von Aufklärungspflichten78 aa) Die Unterscheidung von Verträgen der Interessenwahrung und Verträgen des Interessengegensatzes Bei der Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben wird üblicherweise typologisch zwischen den Verträgen der Interessenwahrung 79 und den Verträgen des Interessengegensatzes80 unterschieden. 81 Bei ersteren sind Aufklärungspflichten grundsätzlich eher und in weitergehendem Umfang als bei letzteren anzunehmen. 82 Wegen des Prinzips der Selbstverantwortung und der 233 (234); so im Ausgangspunkt auch Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 8; kritisch hingegen Medicus, BGB AT, Rn. 795: Die in Rechtsprechung und Literatur verwendeten Formulierungen seien wenig hilfreich. 76 BAGE 15, 261 = AP § 276 BGB Verschulden bei Vertragsabschluß Nr. 6; BAG AP § 123 BGB Nr. 19; BAGE 49, 214 = NZA 1986, 635 = AP § 123 BGB Nr. 30; BAGE 59, 285 = NZA 1989, 178; BAG NJW 1991, 2723 (2724); BAG NJW 1994, 1363 (1364); BAG AP § 123 BGB Nr. 49 = NZA 1999, 584. – Für den Fall der Täuschung durch unterlassene Aufklärung wird das Anfechtungsrecht nach § 123 Abs. 1 BGB nicht durch das Recht zur außerordentlichen Kündigung verdrängt, siehe BAGE 15, 159 = AP § 123 BGB Nr. 2; BAG NJW 1991, 2723. 77 BAG NJW 2001, 1885 = AP § 123 Nr. 59 = AP § 242 Auskunftspflicht Nr. 34. 78 Die folgenden Ausführungen sind allgemeiner Natur und gelten daher entsprechend auch für die Beurteilung von Aufklärungspfl ichten nach den §§ 280 Abs 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 1 BGB. Zur Vertiefung siehe Breidenbach, Informationspflichten beim Vertragsschluß, passim; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, passim; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragrecht, passim. 79 Dazu zählen Auftrags-, Geschäftsbesorgungs-, Versicherungs- und Gesellschaftsverträge. 80 Dazu zählen z. B. Kauf-, Werk- und Mietverträge. 81 Ausführlich Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 248 ff., insb. S. 259 (Unterscheidung von interessenwahrnehmenden und interessengegensätzlichen Verträgen bzw. Vertragssegmenten ist für die Begründung von Aufklärungspfl ichten „zentral“); siehe dazu auch v. Tuhr, BGB AT II/1, S. 608. 82 Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 6; Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 8; differenzierend v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 608): Bei Kauf und Miete ständen sich die Parteien in ehrlichem Gegensatz der Interessen gegenüber. Daher sei keine Partei verpflichtet, der anderen Tatsachen mitzuteilen, welche auf die Preisbildung (Angebot und Nachfrage) Einfluß haben. Anders verhalte es sich mit den Eigenschaften der Sache. Da der Verkäufer in der Regel die Sache

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daraus resultierenden Obliegenheit der Parteien, sich die relevanten Informationen grundsätzlich selbst und auf eigene Kosten zu beschaffen, müssen die Aufklärungspflichten bei Verträgen, bei denen die Parteien wie z. B. bei Kaufverträgen entgegengesetzte Interessen verfolgen, grundsätzlich eng begrenzt werden. 83 Die Rechtsprechung hat wiederholt entschieden, daß jeder Vertragspartner verpflichtet sei, den anderen Teil über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und daher für seinen Entschluß von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrssitte erwarten konnte. 84 Die Aufklärungs- und Beratungspflicht des Verkäufers beschränkt sich beispielsweise auch im Fachhandel auf diejenigen für den ihm bekannten Verwendungszweck bedeutsamen Eigenschaften des Kaufgegenstands, die er kennt oder kennen muß, so daß der Käufer grundsätzlich keine Aufklärung über ganz entfernt liegende Risiken erwarten kann, die allenfalls dem Hersteller der Ware auf Grund dessen überragender Sachkunde bebesser kenne als der Käufer, sei er nach Treu und Glauben verpflichtet, einen Irrtum des Käufers zu beseitigen respektive nicht aufkommen zu lassen. 83 Vgl. auch Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 12, die Aufklärungspflichten in erster Linie dort in Betracht ziehen, „wo die Funktionsvoraussetzungen der Privatautonomie nicht gewährleistet oder erheblich beeinträchtigt sind“. Die treffe insbesondere zu, „wenn dem Partner die erforderliche Geschäftserfahrung fehlt und daher von Selbstbestimmung in Selbstverantwortung nur noch sehr eingeschränkt die Rede sein kann“. Für eine enge Begrenzung von Aufklärungspflichten tritt Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 128 ff., ein. Verf. geht davon aus, daß im Grundsatz jede Partei das Informationsrisiko selbst trägt (a.a.O., S. 128, 195). Für eine strukturelle Unterlegenheit einer Vertragspartei, welche eine Aufklärungspflicht rechtfertigen könne, genüge nicht schon jedes wirtschaftliche oder intellektuelle Gefälle (a.a.O., S. 131). Bei intellektueller Überlegenheit müsse sich der Informationsvorsprung auf einen zentralen Aspekt des Vertrages beziehen. Eine Aufklärungspflicht komme nur in Betracht, wenn sich die andere Partei in einer informationellen und ökonomischen Zwangslage befinde, die es ihr unmöglich mache, ihren Informationsbedarf bei Dritten zu decken und wenn sie auf den Vertrag in besonderer Weise angewiesen sei, so daß der Marktmechanismus versage (a.a.O., S. 133). Schließlich müsse die Aufklärung auch zumutbar sein, was nicht der Fall sei, wenn es sich um eine wertvolle Information handele, für deren Preisgabe sie keine Gegenleistung erhalte (ebd.). – Aus der Rechtsprechung siehe BGH NJW 1989, 763 (764): Die Aufklärungspflicht des Verkäufers gehe nicht so weit, daß der Verkäufer den Käufer von sich aus über alle Umstände aufzuklären habe, die für dessen Willensbildung von Bedeutung sein können. Vielmehr müsse der gegenläufige Grundsatz berücksichtigt werden, daß derjenige, der einen Vertrag schließt, sich selbst darüber zu vergewissern hat, ob er für ihn von Vorteil ist oder nicht. Darauf dürfe sich der andere Vertragsteil einstellen und braucht deshalb nicht auf Umstände hinzuweisen, von denen er annehmen darf, daß er nach ihnen gefragt werde, falls auf sie Wert gelegt wird. 84 BGH, Urt. v. 4. 4. 2001 – VIII ZR 33/00 (juris); BGH NJW-RR 1996, 429; BGH NJW 1993, 2107; BGH NJW-RR 1988, 1290; BGH NJW 1983, 2493 (2494); BGH NJW 1980, 2460 (2461); OLG Köln VersR 2000, 243 (245); siehe auch RGZ 97, 325 (327); RGZ 103, 47 (50); RGZ 114, 155 (159) und dazu noch Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 6. Weitergehend und insofern nicht konform mit den Grundaussagen der Rechtsprechung ist die Entscheidung BGHZ 47, 217 = NJW 1967, 1025 zur Aufklärungspflicht gegenüber einem zwar der deutschen Sprache nicht vollständig mächtigen, aber geschäftserfahrenen Betreiber mehrerer Gaststätten im Rahmen eines Abzahlungskaufs von drei Perserteppichen.

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kannt sind. 85 Die wirtschaftlichen Folgen der Verwirklichung eines solchen Risikos kann der Käufer im Regelfall nicht dadurch auf den Verkäufer abwälzen, daß er ihn um Beratung über den Kaufgegenstand bittet. Es gilt nämlich der Grundsatz, daß außerhalb der kaufrechtlichen Gewährleistung das Verwendungsrisiko beim Käufer liegt. 86 Aufklärungspflichten sind im Ausnahmefall auch bei interessengegensätzlichen Verträgen begründbar. 87 So hat der BGH hat beispielsweise hinsichtlich der Umsatz- und Ertragslage eines Unternehmens eine „gesteigerte Aufklärungspflicht“ des Verkäufers (hier: eines Unternehmens bzw. Veräußerers eines GmbH-Geschäftsanteils) angenommen und an die hierbei anzuwendende Sorgfalt einen „strengen Maßstab“ angelegt. 88 Angesichts der heutigen Möglichkeiten des Erwerbers, im Rahmen einer due diligence-Prüfung alle wesentlichen Unternehmensdaten vorab einsehen zu können und daraus Rückschlüsse auf die wahre Ertragslage und die Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu ziehen, ist die Annahme gesteigerter Aufklärungs- und Informationspflichten des Verkäufers und die damit einhergehende Zurückdrängung des Grundsatzes der Selbstverantwortung nicht selbstverständlich. Sie überzeugt aber zumindest in bezug auf für das Unternehmen überlebenswichtige Umstände. 89 Die Verletzung der Aufklärungspflicht kann die Arglistanfechtung begründen bzw. – bei Vorliegen eines (Vermögens-)Schadens – Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo 90 nach sich ziehen.91

85

BGH NJW 2004, 2301. BGH NJW 2004, 2301 (2302). 87 Auf den Ausnahmecharakter abstellend und die weitreichende Rechtsprechung des BGH zum Bürgschaftsrecht (BGH NJW 1992, 1446, 1447; BGH ZIP 1998, 905, 907) kritisierend Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 247. 88 BGH, Urt. v. 4. 4. 2001 – VIII ZR 33/00, Tz. 19 (juris). Dies wird ebd. gerechtfertigt mit der Erschwerung der Bewertung des Kaufobjekts durch einen außenstehenden Interessenten, die auch durch dessen möglicherweise vorhandene Sachkunde nicht ausgeglichen werde, und seine besondere Abhängigkeit von der Vollständigkeit und Richtigkeit der ihm erteilten Informationen vor allem zur Umsatz- und Ertragslage des Unternehmens sowie die regelmäßig weitreichenden wirtschaftlichen Folgen der Kaufentscheidung. Die Aufklärungspfl icht des Verkäufers bei einer Beteiligung des Erwerbers an einem lebensfähigen Unternehmen erstrekke sich namentlich auch auf alle Umstände, welche die Überlebensfähigkeit des Unternehmens ernsthaft gefährden, insbesondere eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. 89 BGH, Urt. v. 4. 4. 2001 – VIII ZR 33/00, Tz. 23 (juris) geht von einer Verpflichtung des Veräußerers aus, den Erwerber auch ungefragt über gewichtige Anzeichen für eine anhaltende Krise der Gesellschaft „umfassend und wahrheitsgemäß“ zu unterrichten. 90 Zum Verhältnis der Arglistanfechtung gemäß § 123 BGB und den Schadensersatzansprüchen aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB siehe im einzelnen unten C. I. 91 BGH, Urt. v. 4. 4. 2001 – VIII ZR 33/00 (juris); BGH NJW 1996, 2503; BGH NJW-RR 1997, 144. Die Darlegungs- und Beweislast ist in diesen Fällen umgekehrt, d. h. der Verkäufer muß beweisen, daß der Schaden des Käufers auch bei pflichtgemäßer Aufklärung entstanden wäre. 86

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Weiter können sich nach der Rechtsprechung während den Vertragsverhandlungen Umstände ergeben, die nach den Grundsätzen von Treu und Glauben eine Rechtspflicht des Verkäufers zur Aufklärung des Vertragspartners begründen.92 Eine derartige Situation könne vorliegen, „wenn sich die Vertragsverhandlungen über einen längeren Zeitraum hinwegziehen, ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragspartnern entstanden ist und seitens des Verkäufers im Rahmen dieser Verhandlungen Angaben gemacht werden, die für die Kaufentscheidung erkennbar von wesentlicher Bedeutung sind, deren tatsächliche Grundlagen aber noch vor Vertragsschluß entfallen und die sich damit als unrichtig herausstellen.“93 Die Voraussetzungen für die Annahme von Aufklärungspflichten sind – namentlich bei Risikogeschäften wie der Übernahme von Bürgschaften sowie bei Verträgen des Interessengegensatzes – recht hoch. Der BGH hat dazu – bezogen auf die Bürgschaft einer sprachunkundigen Ausländerin und eine mögliche Aufklärungspflicht der begünstigten Bank – aufschlußreiche Ausführungen gemacht, deren Wortlaut hier pars pro toto wiedergegeben werden soll: „Bei der Anbahnung eines Vertrags hat eine Partei dem anderen Teil nur diejenigen entscheidungserheblichen Umstände mitzuteilen, über die dieser eine Aufklärung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben im Rechtsverkehr (§ 242 BGB) redlicherweise erwarten darf (. . .). Danach besteht keine regelmäßige Pflicht einer Partei, von sich aus – ungefragt – einen anderen vor oder bei Vertragsschluß über das damit verbundene Risiko zu unterrichten. Jedermann darf grundsätzlich davon ausgehen, daß sich sein künftiger Vertragspartner selbst über die Umstände, die für seine Vertragsentscheidung maßgeblich sind, sowie über Art und Umfang seiner Vertragspflichten im eigenen Interesse Klarheit verschafft hat. Es ist im allgemeinen nicht rechtliche Aufgabe des Vertragsgegners, gegenüber dem anderen Teil die Nachteile und Gefahren zu verdeutlichen, die mit den Pflichten aus dem beabsichtigten Vertrag verbunden sind, und diese bei einem gegenseitigen Vertrag gegen die Vorteile abzuwägen. Nur ausnahmsweise kann eine Auf92

BGH NJW 1983, 2493 (2494) unter Hinweis auf BGH NJW 1964, 811. BGH NJW 1983, 2493 (2494). In dem Fall hat der VIII. Zivilsenat des BGH eine Aufklärungspflicht des Verkäufers gegenüber dem Käufer darüber, daß der Hersteller nach Abschluß der Vertragsverhandlungen, aber vor Unterzeichnung des Vertrages den Listenpreis erheblich gesenkt hat, zutreffend verneint. – Vgl. in diesem Zusammenhang auch Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 266. Verf. stellt zunächst zutreffend klar, daß es nicht genügt, den Vertragspreis und den Marktpreis miteinander zu vergleichen, um Aufklärungspflichten annehmen oder ablehnen zu können. Anderenfalls wäre es den Parteien verwehrt, ein gutes Geschäft abzuschließen und jedes Geschäft würde mittelbar einer Preiskontrolle unterzogen. Ausgehend von diesen richtigen Prämissen will Verf. gleichwohl die Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis als ein – wenn auch nicht abschließendes – Indiz für Aufklärungspflichten anerkennen. Das ist äußerst problematisch. Ein im Verhältnis zum Marktpreis niedriger Vertragspreis kann z. B. gerade ein gewichtiges Indiz dafür sein, daß die Parteien übereingekommen sind, dem Käufer das Fehlerrisiko bezüglich des Kaufgegenstandes zuzuweisen. Beispiel: Wenn ein Pfälzer Winzer einem Kunden eine Kiste Wein aus dem besonders guten 1959er Jahrgang für einen sehr geringen Preis überläßt, weil beide Parteien nicht wissen, ob und gegebenenfalls wieviele Flaschen inzwischen verdorben sind, weil sie „Kork haben“, handelt es sich um ein unter dem Gesichtspunkt der Privatautonomie einwandfreies Geschäft. 93

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klärungs- und Warnpflicht nach Treu und Glauben dann bestehen, wenn wegen besonderer Umstände des Einzelfalls davon auszugehen ist, daß der künftige Vertragspartner nicht hinreichend unterrichtet ist und die Verhältnisse nicht durchschaut (. . .). Dies gilt auch bei einem Vertragsschluß mit einem Ausländer. Aus dessen Sicht hat die Vorlage einer Urkunde zur Unterschrift Warnfunktion in dem Sinne, daß von ihm eine rechtlich bedeutsame Erklärung erwartet wird. Nutzt er eine zumutbare Möglichkeit, sich Kenntnis von ihrem Inhalt zu verschaffen, nicht, so muß er das mit der Unterzeichnung der ungelesenen Urkunde verbundene Risiko tragen, daß der Inhalt der Urkunde nicht seinen Vorstellungen entspricht (. . .).“94

Zu den interessengegensätzlichen Verträgen zählt unter anderem auch das Arbeitsverhältnis, da sich vor dessen Abschluß der künftige Arbeitgeber und der künftige Arbeitnehmer als Parteien mit verschiedenen Interessen gegenüberstehen.95 Der Interessengegensatz wird durch den Dauerschuldcharakter und die sog. „Fürsorgepflicht“ des Arbeitgebers (vgl. § 618 BGB) zwar abgemildert. Es wäre aber ungeachtet des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht gerechtfertigt, aus der allgemeinen „Fürsorgepflicht“ des ersteren eine generelle Aufklärungspflicht zugunsten des letzteren zu begründen, deren Umfang deutlich über die Aufklärungspflichten bei sonstigen Dauerschuldverhältnissen hinausgeht.96 Denn auch für den Arbeitnehmer beanspruchen die grundlegenden Rechtsprinzipien der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung Geltung. Die vereinzelt gebliebene These, daß die Vertragsfreiheit nur zugunsten des Arbeitnehmers wirken dürfe,97 verdient keine Gefolgschaft. Aus dem Vorstehenden ergibt sich beispielsweise die Konsequenz, daß der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, sämtliche Arbeitnehmer – oder sämtliche ausländische Arbeitnehmer – von sich aus über den Inhalt und die rechtliche Bedeutung z. B. von Ausgleichsquittungen zu informieren.98 Jedoch kommt die Annahme einer aus dem Dauerschuldcharakter des Arbeitsvertrags resultierenden, gesteigerten Aufklärungspflicht jedenfalls in Betracht, wenn es sich bei dem betroffenen Arbeitnehmer um einen sprachunkundigen Ausländer99 handelt.100 Dies setzt voraus, daß der Arbeitgeber erkannt hat oder erkennen muß, 94

BGH NJW 1997, 3230 (3231 f.); siehe auch BGHZ 87, 112 (114 f.) = NJW 1983, 1489. Stahlhacke, NJW 1968, 580 (582); LAG Düsseldorf/Köln BB 1968, 125 m. abl. Anm. Trinkner. 96 Gola/Hümmerich, BlStSozArbR 1976, 273 (274). 97 Vgl. Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 10; nur mit Einschränkungen – in bezug auf Ausgleichsquittungen – Jancke, Sprachrisiko, S. 144 f. 98 Stahlhacke, NJW 1968, 580 (582); im Ergebnis auch LAG Düsseldorf/Köln BB 1968, 125. 99 Die Ausländereigenschaft als solche genügt nicht, wie LAG Düsseldorf/Köln BB 1968, 125 belegt: In diesem Fall hatte der Kläger zwar die italienische Staatsangehörigkeit besessen, aber er gehörte der südtiroler Volksgruppe an, deren Muttersprache Deutsch ist. 100 Vgl. auch Vogler, DB 1966, 1689 (1690); a. A. Küster, BB 1968, 1204 (1206): Es bestehe weder ein Bedürfnis noch eine Berechtigung, die Fürsorgepfl icht des Arbeitgebers gegenüber Ausländern zu erweitern. Die Unterzeichnung einer Ausgleichsquittung durch einen Gastarbeiter sei nicht anders zu behandeln als der Fall der Unterzeichnung einer Ausgleichsquittung 95

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daß der Arbeitnehmer wegen seiner Sprachdefizite den wahren Erklärungsinhalt nicht richtig zu erfassen vermag.101 Dafür genügt ein Hinweis des Arbeitnehmers auf sein fehlendes Verständnis.102 Auch ohne daß fehlende Sprachkenntnisse im Vordergrund stehen, nimmt die Rechtsprechung – je nach Bedeutung des Rechtsgeschäfts und der bestehenden „Gefahrenlage“ – im Einzelfall Aufklärungspflichten gegenüber Ausländern an. Beispiel: 103 Die Rechtsprechung hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob eine Pflicht zur Belehrung des Arbeitnehmers bei einer durch vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers finanzierten außerbetrieblichen stillen Beteiligung i. S. des § 230 HGB angenommen werden kann. Die Beklagte hatte sich mit ihrem Angebot – eine Kombination aus Bausparvertrag und stiller Beteiligung – gezielt an ausländische Arbeitnehmer gewandt. Der Kläger des Falles war türkischer Staatsbürger. Der BGH entschied unter Berufung auf zwei ältere Urteile104 , daß Inhalt und Umfang vorvertraglicher Aufklärungspflichten sich nach den konkreten Umständen, insbesondere den Gefahren bestimmten, die dem Vertragspartner aus dem Vertragsabschluß typischerweise drohen. Eine Pflicht zur Aufklärung über alle für den Vertragspartner erheblichen Umstände bestehe nicht; entscheidend sei, ob eine solche Aufklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung im Einzelfall erwartet werden dürfe. Insbesondere sei über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck vereiteln könnten und daher für den anderen Teil von wesentlicher Bedeutung seien, so daß er nach der Verkehrsauffassung eine Mitteilung erwarten dürfe. Die Beklagte habe sich insbesondere an ausländische Arbeitnehmer gewandt. Bei diesem Personenkreis habe sie redlicherweise nicht die Kenntnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge voraussetzen können, die es ihm gestattet hätte, die in den Vertragsbedingungen enthaltene Zusage einer 50%-igen Gewinnbeteiligung und einer 4%-igen Mindestverzinsung in den schriftlichen Vertragsbedingungen realistisch zu bewerten. Deshalb hätte zumindest darüber aufgeklärt werden müssen, daß das Beteiligungsunternehmen erst vor kurzem gegründet worden war und hohe Verluste verzeichnete, so daß eine über die Mindestverzinsung hinausgehende Rendite nur zu erwarten gewesen wäre, wenn es gelungen wäre, das Unternehmen aus der Verlustzone zu führen; auch über die Schmälerung der Mindestrendite durch die nicht unerheblichen Vertragskosten hätte der Kläger aufgeklärt werden müssen.

Die Begründung von Aufklärungspflichten im Rahmen von § 123 Abs. 1 BGB und c.i.c. ist keine spezifisch auf die „Sprachrisiko“-Thematik zugeschnittene Fragestellung. Wenn es im Hinblick auf die Voraussetzungen der Arglistandurch einen deutschen Arbeitnehmer, der diese nicht lesen kann, weil er seine Brille nicht mit sich führt. 101 Stahlhacke, NJW 1968, 580 (582); Trinkner, BB 1967, 999 f.; ders., BB 1968, 125 (127); zum Kriterium der Erkennbarkeit siehe unten B. I. 1. b cc. 102 Vgl. Vogler, DB 1966, 1689 (1690). 103 Nach BGH NJW 1993, 2107 = ZIP 1993, 1089; vgl. auch LG Köln WM 2002, 1928 = NJW-RR 2002, 1491 zum Beitritt einer Polin zu einer stillen Gesellschaft nach Vertragsverhandlungen in polnischer Sprache und dessen Widerruf nach dem HWiG. 104 BGHZ 72, 93 (103) zur finanzierten Unternehmensbeteiligung von Arbeitnehmern sowie BGH WM 1974, 512 (514 f.).

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fechtung auch kein „Sonderrecht für Ausländer“ gibt,105 so hat doch die fehlende Sprachkunde und die damit teilweise einhergehende Geschäftsunerfahrenheit in rechtstatsächlicher Hinsicht zur Folge, daß die Täuschung möglicherweise leichter gelingt als bei einem deutschen Vertragspartner. Beispiel: 106 Der Veräußerer eines bebauten Grundstücks verschwieg den Käufern, beide türkische Staatsangehörige ohne hinreichende Deutschkenntnisse, daß aufgrund des Bebauungsplans der Stadt E. die Möglichkeit bestand, einen nicht nur geringfügigen Grundstücksteil zum Zweck des Baus einer Tiefgarage im Wege bodenordnender Maßnahmen (durch Enteignung oder Umlegung) zu entziehen. Das OLG entschied zutreffend, daß die Kläger ihre Vertragserklärungen wirksam wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten hätten.107 Auch bei Vertragsverhandlungen, in denen die Parteien entgegengesetzte Interessen verfolgten, bestehe für jeden Vertragspartner die Pflicht, den anderen Teil über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des anderen vereiteln könnten und daher für seinen Entschluß von wesentlicher Bedeutung seien, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten konnte. Die Verletzung einer solchen Offenbarungspflicht sei im Rahmen des § 123 BGB erheblich. Die Festsetzungen des Bebauungsplans seien hier geeignet gewesen, den mit dem Grundstückskauf verfolgten Zweck zu gefährden. Da in dem Fall auch die weiteren Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 BGB (dazu sogleich) gegeben waren, griff die Arglistanfechtung im Ergebnis durch. Vermutlich hätte die Rechtsprechung ebenso entschieden, wenn die Käufer nicht Türken, sondern sprachkundige Deutsche gewesen wären. In rechtstatsächlicher Hinsicht ist dann aber fraglich, ob es überhaupt zu einer Täuschung der Käufer gekommen wäre, da ein geschäftsgewandter Deutscher vielleicht eher Einsicht in den Bebauungsplan genommen und dessen Festsetzungen verstanden hätte. Ganz selbstverständlich ist dies freilich nicht. Erst recht wäre eine Rechtspflicht oder Obliegenheit des Käufers zur Einsichtnahme in den Bebauungsplan nicht anzuerkennen.108 Im Ergebnis kann diese Rechtsprechung wohl nicht zugunsten einer Begründung gesteigerter Aufklärungspflichten in bezug auf ausländische Vertragspartner in Anspruch genommen werden.

105 Im Ergebnis abweichend Küster, BB 1968, 1204 (1206), die es für „nicht gerechtfertigt“ hält, dem Gastarbeiter bei Berufung des Arbeitgebers auf eine Ausgleichsquittung den Einwand der Arglist zuzubilligen, wenn ersterer die Ausgleichsquittung nicht verstanden hat. Das Sprachrisiko müsse dem Ausländer aufgebürdet werden. Wer in Deutschland Arbeit aufnehme, unterwerfe sich den deutschen Gepflogenheiten und Rechten im Arbeitsleben; mit Recht ablehnend hierzu Basedau, BB 1969, 1316 (1318), der zutreffend hervorhebt, daß es bei Unterzeichnung einer Ausgleichsquittung durch einen ausländischen Arbeitnehmer um die Auslegung einer Willenserklärung des Arbeitnehmers und nicht um die Erfüllung von Vertragspflichten geht. Verallgemeinernd Jayme, FS Bärmann, S. 509 (519). „Ist deutsches Recht (. . .) anwendbar, so ist das Sprachrisiko nicht stets vom Ausländer zu tragen.“ 106 Nach OLG Köln VersR 2000, 243. 107 OLG Köln, VersR 2000, 243 (245). 108 Vgl. auch BGH NJW-RR 1988, 1290: Es bestehe kein allgemeiner Grundsatz des Inhalts, daß beim Kauf eines Grundstücks zum Preis von über 3 Millionen DM der Käufer grob fahrlässig handelt, wenn er nicht in Grundakten und Bauakten Einsicht nimmt.

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bb) Weitere Kriterien für die Begründung von Aufklärungspflichten Im Schrifttum hat man im Hinblick auf die Begründung von Aufklärungspflichten verschiedene bedeutsame Aspekte – wie z. B. Vertrauensschutzerwägungen, die Art des Schuldverhältnisses,109 das Vorhandensein besonderer Sachkenntnis des einen und die Unerfahrenheit des anderen Vertragspartners, das Bestehen einer laufenden dauernden Geschäftsbeziehung, die Unzugänglichkeit der Information für den Vertragspartner, die Gefahr der Vereitelung des Vertragserfolgs, etc. – zu einem „beweglichen System“ im Sinne Wilburgs110 verknüpft. Der Bestand und die Intensität von Aufklärungspflichten ergeben sich aus dem Zusammenspiel dieser Kriterien nach ihrer Zahl und Stärke.111 Beispiel: Die Annahme einer Pflicht des Verkäufers zur Aufklärung über Unfallschäden an einem Kraftfahrzeug112 überzeugt vor allem dann, wenn mögliche Sicherheitsmängel des Fahrzeugs damit einhergehen.113 Denn hier sind nicht nur wirtschaftliche Erwägungen anzustellen, sondern es ist auch die körperliche Unversehrtheit des Kaufinteressenten, ein besonders wichtiges Rechtsgut, als Element in die Bewertung einzustellen. Anders liegt es demgegenüber bei bloßen Bagatellschäden, z. B. bei einer unerwähnt gebliebenen Lackreparatur an einem gebrauchten Pkw.114

Ausgangspunkt der kombinatorischen Bewertung der verschiedenen Elemente im Hinblick auf die Begründung von Aufklärungspflichten ist jeweils das zentrale Prinzip der Selbstverantwortung des Erklärenden.115 Je stärker seine freie Selbstbestimmung gestört ist, um so eher läßt sich – unter Beachtung der Prinzipien des Vertrauens- und des Verkehrsschutzes – eine Aufklärungspfl icht bejahen. So hat die Rechtsprechung beispielsweise aus der Zusammenschau der Rechts- und Sprachunkenntnis eines ausländischen Staatsbürgers eine Aufklärungspflicht eines Versicherungsunternehmens mit dem Inhalt angenommen, daß eine gesetzliche Haftung des Ausländers gemäß § 832 BGB für einen von

109 Siehe die nach Vertragstypen geordnete Darstellung bei Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 13 ff. 110 Siehe dazu bereits oben § 4 V. 2. 111 Bydlinski, JBl. 1980, 393 (397); Breidenbach, Informationspflichten beim Vertragsschluß, S. 47, 61 ff., 78 ff., 91 ff.); Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 11; speziell zum Versicherungsvertragsrecht Kieninger, AcP 199 (1999), 194 (230 ff.); ablehnend S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 320, der die nötige Rechtssicherheit durch Fallgruppenbildung erzielen will (a.a.O., S. 416 ff.). 112 Siehe BGHZ 29, 148 (150) = NJW 1959, 620; BGHZ 63, 382 (386) = NJW 1975, 642; BGHZ 74, 383 (391) = NJW 1979, 1886. 113 So auch Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 16 m. w. N. (Verkehrsunsicherheit des Fahrzeugs nach nicht vollständig durchgeführter Reparatur). 114 BGH NJW 2008, 53 (54); BGH NJW 2008, 1517 (1518); Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 16; Erman/Palm, § 123 Rn. 18 mit Nachw. aus der Rspr. 115 Vgl. Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 10, 12.

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seinem 15-jährigen Sohn verursachten Schaden eines Spielgefährten nicht bestand.116 cc) Das Kriterium der Erkennbarkeit Das Kriterium der Erkennbarkeit ist auch bei der Begründung von Aufklärungspflichten von erheblicher Bedeutung.117 Dies gilt beispielsweise für den Fall, daß der Verkäufer einer Sache weiß, daß das Kaufobjekt zu dem vom Käufer intendierten Zweck unbrauchbar ist.118 Denn nach der Rechtsprechung besteht auch bei Vertragsverhandlungen, bei denen die Parteien wie beim Kaufvertrag entgegengesetzte Interessen verfolgen, eine Pflicht, den anderen Teil über solche Umstände aufzuklären, die den von ihm verfolgten Vertragszweck vereiteln können und daher für seinen Entschluß von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte (Fallgruppe „Vereitelung des Vertragszwecks“) 119.120 Beispiel: Mit der gekauften Maschine lassen sich Gegenstände, wie sie der Käufer zu produzieren wünscht, nicht herstellen. Der Verkäufer weiß dies oder muß es wissen. Nach dem Rechtsprinzip der Selbstverantwortung müßte der Käufer seinen Motivirrtum eigentlich selbst verantworten. Erwägungen des Vertrauens- und Verkehrsschutzes greifen insoweit nicht ein.121 Doch verbieten es Treu und Glauben, daß der Verkäufer die andere 116

OLG Stuttgart NJW 1982, 2608. Breidenbach, Informationspflichten beim Vertragsschluß, S. 31 ff.; dazu schon v. Tuhr, BGB AT II/1, S. 607 f.: „Aber wenn man sieht, daß der Gegner sich in einem erheblichen Irrtum befi ndet oder in Gefahr schwebt, in einen solchen Irrtum zu verfallen, so entspricht es der Anschauung des reellen Geschäftsverkehrs, ihn in gewissem Maße aufzuklären. Wie weit diese Pfl icht geht, richtet sich nach den Umständen. Vor allem nach der Natur des einzugehenden Vertrages.“ 118 Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 9; aus der Rechtsprechung siehe BGH NJW 2000, 2497 (2498). 119 Nach Ansicht von S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 417 ist die Fallgruppe „Vereitelung des Vertragszwecks“ die bedeutsamste für die Begründung vorvertraglicher Informationspflichten. 120 So BGH NJW 2001, 2021; BGH NJW 1983, 2493 (2494); ebenso Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 9; siehe auch LG Rostock, Urt. v. 22. 7. 1998 – 1 S 343/97 (juris). Danach trifft einen Kfz-Händler, der zwecks Finanzierung eines Verkaufsgeschäfts einen Kredit- und Bürgschaftsvertrag vermittelt, gegenüber einem ausländischen, erkennbar geschäftsunerfahrenen und der Vertragssprache unkundigen Bürgen eine Pflicht zur Aufklärung über die Bedeutung und Risiken einer Bürgschaft, wenn der ausländische Bürge nicht in zumutbarer Weise, z. B. durch Hinzuziehung eines Dolmetschers oder durch Einholung von Rechtsrat Kenntnis von der Bedeutung der Unterschrift erlangen kann. Das Gericht ging von einer Überrumpelungssituation aus. Der Beklagten sei die Vertragsurkunde vorgehalten worden und man habe ihr nur noch gezeigt, wo sie zu unterschreiben habe. Eine Verweigerung der Unterschrift sei von ihr in dieser Situation nicht zu erwarten gewesen. Im übrigen lagen die Voraussetzungen einer finanziellen Überforderung vor, so daß der Bürgschaftsvertrag gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig war. 121 Vertrauensschutz ist, soweit dies Irrtümer im rechtsgeschäftlichen Bereich betrifft, nur im Erbrecht – bei Verfügungen von Todes wegen – entbehrlich. Daher ist dort der Motivirr117

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Partei sehenden Auges gleichsam „ins offene Messer laufen“ läßt und damit den Vertragszweck aus der Sicht des anderen Teils vereitelt.

Die überwiegende Rechtsprechung nimmt eine Aufklärungspflicht ferner in dem Fall an, daß ein Versicherungsnehmer – für den Versicherer oder den ihm über § 278 BGB als Erfüllungsgehilfen zurechenbaren122 Agenten erkennbar – „über einen für ihn ganz wesentlichen Vertragspunkt eine irrige Vorstellung hat“.123 In der Regel ist ein Versicherungsagent nicht verpflichtet, den Versicherungsnehmer darüber aufzuklären, daß in den Versicherungsbedingungen die Haftung für bestimmte Fälle ausgeschlossen wird. Die Rechtsprechung geht nämlich von dem Grundsatz aus: „Wer eine Versicherung eingeht, muß mit dem Bestehen von Risikoausschlüssen rechnen; er muß sich über deren Inhalt und Umfang durch Einsichtnahme in die Versicherungsbedingungen (. . .) vergewissern und beim Versicherungsagenten oder Versicherer rückfragen, wenn er dann noch Zweifel hat“.124 Von dieser Regel besteht jedoch nach der Rechtsprechung eine Ausnahme, „wenn der Versicherungsagent erkennt oder erkennen muß, daß sich der Versicherungsnehmer über den Umfang der Versicherung irrige Vorstellungen macht. In diesem Fall muß der Versicherungsagent, auch wenn die Versicherungsbedingungen klar und eindeutig gefaßt sind, den Versicherungsnehmer über den Umfang der Versicherung aufklären.“125 Diese Verpflichtung besteht auch dann noch, „wenn der Versicherungsagent zwar nicht mit Sicherheit zu erkennen braucht, daß der Versicherungsnehmer sich irrige Vorstellungen macht, er aber mit der naheliegenden Möglichkeit eines derartigen Irrtums rechnen muß.“126 Fälle dieser Art sind praxisrelevant. Beispiel: Die Rechtsprechung hatte sich mehrfach mit der folgenden Sachverhaltskonstellation zu beschäftigen: Ein türkischer Kraftfahrer wird im asiatischen Teil der Türkei mit seinem Pkw in einen Verkehrsunfall verwickelt. Er ist im Besitz der Internationalen Versicherungskarte, der sog. „Grünen Karte“. Wegen § 2 Abs. 1 AKB erstreckt sich der Versicherungsschutz lediglich auf Versicherungsfälle in Europa, wobei der Begriff „Europa“ rein geographisch verstanden wird und deshalb den asiatischen Teil der Türkei nicht mit ein-

tum gemäß den §§ 1949 Abs. 1, 2078 f., 2281 BGB beachtlich; siehe auch Medicus, BGB AT, Rn. 744. 122 BGHZ 108, 200 (206) = VersR 1989, 948; BGH VersR 1987, 457 (458); OLG Köln r + s 1990, 400. 123 So wörtlich Österr. OGH VersR 1995, 943 (944) m. w. N.; grundlegend für das deutsche Recht BGHZ 2, 87 = NJW 1951, 885; siehe vor allem noch RGZ 147, 186 (188 m. w. N.) sowie BGHZ 40, 22 (26 f.) = NJW 1963, 1978; vgl. jetzt auch § 5a Abs. 2 UWG 2008 zur Irreführung durch Unterlassen im Wettbewerbsrecht. 124 BGH NJW 1963, 1978 (1979), insoweit in BGHZ 40, 22 nicht abgedruckt; siehe auch BGH NJW 1957, 140; zu den vorvertraglichen Aufklärungspflichten des Versicherers vgl. noch Heiss, ZVersWiss 2003, 339 ff.; Kieninger, AcP 199 (1999), 194 ff. 125 BGH NJW 1963, 1978 (1979). 126 BGH NJW 1963, 1978 (1979 f.).

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schließt.127 Der Versicherungsnehmer war auf diesen Umstand von dem Versicherer (bzw. von dem Vermittler) nicht hingewiesen worden. Die deutschen Sprachkenntnisse des Versicherungsnehmers waren in den entschiedenen Fällen regelmäßig128 nicht ausreichend, um anspruchsvolle Texte zu verstehen, so daß er von dem fehlenden Versicherungsschutz nichts wußte. Die Rechtsprechung bejahte mit Recht das Bestehen einer Aufklärungspflicht unter dem Gesichtspunkt des dem Versicherer bzw. dem Agenten erkennbaren Irrtums des Versicherungsnehmers über einen wesentlichen Vertragspunkt.129 Sie begründet dies damit, es sei „eine allseits bekannte und jedes Jahr insbesondere während der Sommerferien zu beobachtende und nicht zu übersehende Tatsache, daß zahllose türkische Familien, die in Österreich oder Deutschland wohnen und arbeiten, mit ihren Pkw in die Heimat reisen, um dort ihren Urlaub zu verbringen. Da es sich bei dem europäischen Teil der Türkei gegenüber dem asiatischen Teil um ein verschwindend kleines, wenn auch dichtbesiedeltes Gebiet handelt, liegt die große Wahrscheinlichkeit, daß die Reise in den asiatischen Teil der Türkei geht, auf der Hand.“130 Dabei geht die Rechtsprechung von dem Erfahrungssatz aus, „daß die Anforderungen an die Deutschkenntnisse von Ausländern, die als Arbeiter beschäftigt sind und kaum mit Büroarbeiten und Schriftverkehr zu tun haben, nicht allzu hoch gesetzt werden dürfen, insbesondere wenn es um das Verständnis eines in der Rechtsterminologie gehaltenen schriftlichen Textes geht. Die Länge des Aufenthalts in einem deutschsprachigen Land und auch der Umstand, daß der Ausländer inzwischen ganz gut deutsch spricht,

127 Die Versicherungsnehmer waren daher darauf angewiesen, den Versicherungsschutz vertraglich auf den asiatischen Teil zu erstrecken, was regelmäßig jedoch nicht erfolgte. In dem Fall BGHZ 108, 200 = VersR 1989, 948 war die „Grüne Versicherungskarte“ auf den asiatischen Teil der Türkei erstreckt worden, allerdings bestand für den Unfall, der sich in dem zur Türkei zählenden Nord-Zypern ereignete, trotz dieser Erweiterung kein Versicherungsschutz. In dem Fall BGH VersR 1993, 88 lag eine vertragliche Erweiterung auf den asiatischen Teil der Türkei vor, für die der Versicherer vollumfänglich einzustehen hatte. Sie bestand darin, daß die Abkürzung „TR“ auf der Grünen Karte – im Gegensatz zu anderen Abkürzungen – nicht gestrichen worden war. 128 Eine Ausnahme lag in dem Fall BGHZ 40, 22 = NJW 1963, 1978 vor, wo der Kläger, ein Türke, an einer Technischen Hochschule in Deutschland studierte. Ihm fiel, da die Versicherungsbedingungen (§ 2 Abs. 1 AKB) selbst klar und eindeutig waren, nach Ansicht des BGH ein erhebliches Mitverschulden zur Last. 129 So Österr. OGH VersR 1995, 943 (944); im Ergebnis ebenso BGH NJW 1963, 1978 (1979); OLG Karlsruhe Schaden-Praxis 1993, 187; OLG Karlsruhe VersR 1988, 486; OLG Stuttgart Schaden-Praxis 1993, 188; OLG Frankfurt VersR 1987, 579; OLG Hamm ZfSch 1991, 97 = NZV 1991, 314; LG Freiburg/Breisgau DAR 1987, 227; OLG Innsbruck ZVR 1991, 281; a. A. OLG Köln r + s 1990, 400: Ein Anspruch aus Erfüllungs- oder Vertrauenshaftung setze voraus, daß der Agent dem Versicherungsnehmer objektiv falsch mitteilt, der Versicherungsvertrag erstrecke sich auch auf den asiatischen Teil der Türkei, oder jedenfalls den Versicherungsnehmer bewußt in einem entsprechenden falschen Glauben läßt; a. A. auch Schmidt-Salzer, VersR 1995, 1261 (1265); vgl. zum Ganzen noch Kieninger, AcP 198 (1998), 190 (200 f.). Nach OLG Hamm VersR 1984, 131 erfüllt der Versicherer die ihm gegenüber einem türkischen, in Deutschland lebenden Versicherungsnehmer obliegenden Hinweis- und Beratungspflichten hinsichtlich des örtlichen Geltungsbereichs der AKB durch Vorlage eines in deutscher und türkischer Sprache abgefaßten Vordrucks, aus dem die Beschränkung des Geltungsbereichs der AKB auf den europäischen Teil der Türkei klar hervorgeht und den der Versicherungsnehmer unterschreibt. 130 Österr. OGH VersR 1995, 943 (944).

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lassen noch nicht den Schluß zu, daß er auch schriftliche Texte problemlos verstehen kann.“131

Diesen Ausführungen ist in der Sache beizupflichten, und zwar auch unter Beachtung des novellierten VVG und der in § 6 Abs. 1 S. 1 geregelten vorvertraglichen Beratungspflichten aus Gründen der „Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation“.132 Künftig muß die Beratung also situationsbezogen erfolgen, d. h. der Berater muß erfragen, wofür der Versicherungsschutz benötigt wird (hier: Heimreise in die Türkei). Die Überzeugungskraft der bisherigen Rechtsprechung zu den sog. „Türkenfällen“ wird noch verstärkt, wenn man bedenkt, daß das richtige Verständnis von juristischen Texten bei Deutschmuttersprachlern, die juristische Laien sind, ebenfalls nicht unterstellt werden kann, sowie durch den Umstand, daß die Bezeichnung der „Grünen Karte“ als „Internationale Versicherungskarte für Kraftverkehr“ den irreführenden Eindruck eines geographisch umfassenden Versicherungsschutzes erweckt.133 Im neueren Schrifttum hat man daher beispielsweise für den Fall, daß der Versicherungsnehmer dem Versicherer mitteilt, daß er eine Stelle in Ankara antreten wird und hierfür Versicherungsschutz wünscht, konsequent eine Pflicht des Versicherungsunternehmens zum Hinweis auf den Ausschluß gemäß der Europaklausel angenommen.134 Die Rechtsprechung hat das Kriterium der Erkennbarkeit darüber hinaus auch in Dreipersonenverhältnissen angewendet. Im Zusammenhang mit der sog. „Schrottimmobilien“-Problematik entschied der BGH in Erweiterung seiner früheren Rechtsprechung zur Risikoaufklärung bei steuersparenden Immobiliengeschäften, daß eine Bank ihren kreditsuchenden Kunden nicht nur auf eine von ihr erkannte Sittenwidrigkeit der Kaufpreisvereinbarung, sondern auch auf eine erkannte arglistige Täuschung des Verkäufers gemäß § 123 BGB und bzw. oder auf eine damit häufig verbundene vorsätzliche culpa in contrahendo ungefragt hinweisen muß.135 Die Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit des 131

OGH VersR 1995, 943 (944). Stöbener, ZVersWiss 2007, 465 (473). 133 Darauf stellt auch OGH VersR 1995, 943 (944) ab. 134 Stöbener, ZVersWiss 2007, 465 (473); siehe auch OLG Koblenz NVersZ 1999, 430 = ZfS 1998, 261. Nach Ansicht des Gerichts besteht eine Aufklärungspflicht des Versicherungsagenten, wenn besondere Umstände auf eine naheliegende Nutzung des Kfz im außereuropäischen Raum oder eine unrichtige Vorstellung des Versicherungsnehmers hindeuten und dieser nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung erwarten durfte. Im Ergebnis verneinte das OLG Koblenz eine solche Aufklärungspflicht, da der beweisbelastete Kläger den Beweis nicht erbringen konnte, daß er bei Aufnahme des Versicherungsantrags in der Geschäftsstelle der Beklagten auf seine bevorstehende Reise in die Türkei hingewiesen hatte. Für dieses Ergebnis spricht im übrigen, daß es sich bei dem Kläger um einen Rechtsreferendar handelte, von dem eher als von einem juristischen Laien eine richtige geistige Erfassung des Inhalts der „Europaklausel“ erwartet werden konnte. 135 BGH VersR 2007, 246. 132

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Kaufvertrags nach § 138 BGB (und die daraus resultierende Entbehrlichkeit der Anfechtung bzw. schadensersatzrechtlichen Rückabwicklung über culpa in contrahendo) entlaste die Bank nach dem Schutzgedanken der Aufklärungsund Hinweispflicht nicht. Die Rechtsprechung geht in Fällen eines institutionalisierten Zusammenwirkens der kreditgebenden Bank mit dem Verkäufer oder Vertreiber des finanzierten Objekts von einer tatsächlichen Vermutung eines die Aufklärungspflicht auslösenden Wissensvorsprungs der Bank aus.136 Die Kenntnis der Bank von einer solchen arglistigen Täuschung wird widerleglich vermutet, wenn Verkäufer oder Fondsinitiatoren, die von ihnen beauftragten Vermittler und die finanzierende Bank in institutionalisierter Art und Weise zusammenwirken, auch die Finanzierung der Kapitalanlage vom Verkäufer oder Vermittler, sei es auch nur über einen von ihm benannten besonderen Finanzierungsvermittler, angeboten wurde und die Unrichtigkeit der Angaben des Verkäufers, Fondsinitiators oder der für sie tätigen Vermittler bzw. des Verkaufs- oder Fondsprospekts nach den Umständen des Falles evident ist, so daß sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluß aufdrängt, die Bank habe sich der Kenntnis der arglistigen Täuschung geradezu verschlossen.137 Die arbeitsrechtliche Literatur hat das Kriterium der Erkennbarkeit – in Konkretisierung der sog. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers – darüber hinaus auch zur Begründung von Aufklärungspflichten des Arbeitgebers gegenüber unzureichend sprachmächtigen Arbeitnehmern herangezogen.138 Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Auslegung und Aufklärungspflicht, wenn in dem Fall, daß der Arbeitgeber erkannt hat, daß der Arbeitnehmer bei Unterschriftsleistung unter eine Ausgleichsquittung nur den Empfang der Arbeitspapiere bestätigen wollte, sowohl eine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers angenommen wird als auch die Existenz einer Willenserklärung des Arbeitnehmers – mit dem Inhalt eines Verzichts auf Ansprüche bzw. Klagerechte – abgelehnt wird. Wie dargelegt, liegt in Fällen dieser Art wegen der korrekten Auslegung durch den Arbeitgeber weder ein Anspruchs- noch ein Klageverzicht vor. Einer gesonderten Aufklärungspflicht bedarf es deshalb nicht.139 dd) Gesetzliche Informationspflichten Hat der Gesetzgeber selbst für bestimmte Vertragstypen explizit Informationspflichten statuiert – wie z. B. in den §§ 312b bis § 312d BGB und der BGB-

136

BGH NJW 2006, 2099 (2104 f.); BGH NJW 2007, 357 (358); BGH VersR 2007, 246

(247). 137

BGH VersR 2007, 246 (247). Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290 Rn. 45; differenzierend Gola/Hümmerich, BlStSozArbR 1976, 273 (274). 139 Zur Frage der Möglichkeit der Anfechtung zur Beseitigung des Rechtsscheins siehe unten B. II. 6. 138

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InfoV140 , in § 7 VVG und der VVG-InfoV141 sowie in § 10a VAG, jeweils ergangen in Umsetzung verbraucherschützenden EG-Richtlinien –, bedarf es keiner gesonderten Ableitung solcher Pflichten aus den Grundsätzen von Treu und Glauben. Im Fall ihrer Verletzung gelten die gesetzlich angeordneten Rechtsfolgen, im Fall der Verletzung des BGB also Widerruf,142 Rückgabe,143 gegebenenfalls auch außerordentliche Kündigung144 . Daneben kommt grundsätzlich die Arglistanfechtung gemäß § 123 BGB in Betracht. Dafür ist allerdings eine vorsätzliche Täuschung – mindestens mit dolus eventualis begangen – erforderlich. Eine lediglich fahrlässige Verletzung von Informationspflichten genügt nicht. In welcher Sprache die Informationserteilung zu erfolgen hat, ergibt sich bei gesetzlichen Informationspflichten zunächst aus der jeweils einschlägigen gesetzlichen Regelung, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in den EG-Richtlinien. Im Bereich des Versicherungsvertragsrechts wird die Information entweder in deutscher Sprache oder – optional – in der Sprache des Versicherungsnehmers erteilt.145 Grundsätzlich besteht keine rechtliche Verpflichtung des Versicherers, den Versicherungsnehmer in seiner Muttersprache zu informieren.146 140 Verordnung über Informations- und Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht (BGB-Informationspflichten-Verordnung – BGB-InfoV) v. 5. 8. 2002, BGBl. I, S. 3002, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen v. 2. 12. 2004, BGBl. I, S. 3102. 141 Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-Informationspflichtenverordnung – VVG-InfoV) v. 18. 12. 2007, BGBl. I, S. 3004; siehe dazu auch Präve, VersR 2008, 151 ff.; Grote/Schneider, BB 2007, 2689 ff. 142 §§ 312d, 355 BGB; § 5a VVG; § 48c VVG; künftig (2008): §§ 8, 9 VVG neu. 143 §§ 312d, 356 BGB. 144 § 314 BGB; zur Anwendung des § 134 BGB auf Fälle der vorvertraglichen Verletzung von Aufklärungs- und Informationspfl ichten durch Versicherer siehe Dörner, 2. FS E. Lorenz, S. 195 (201 ff.). 145 Siehe § 10a VAG Abs. 2 S. 2 VAG: Danach muß die Verbraucherinformation „eindeutig formuliert, übersichtlich gegliedert und verständlich in deutscher Sprache oder der Muttersprache des Versicherungsnehmers abgefaßt sein“. 146 Das entspricht der ständigen Rechtsprechung der deutschen Instanzgerichte zu § 12 Abs. 3 VVG a. F. und § 6 Abs. 3 VVG (Leistungsfreiheit des Versicherers bei Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers), siehe OLG Köln VersR 1995, 201 mit Anm. Schmalzl, VersR 1995, 1223 f.; OLG Nürnberg VersR 1995, 1224; KG VersR 1984, 977; OLG Köln r + s 1992, 318; KG VersR 1984, 977. Lediglich das OLG Koblenz (VersR 1975, 893) und das OLG Nürnberg (VersR 1995, 1224) hielten im Einzelfall einen Hinweis in der Heimatsprache des Versicherungsnehmers darauf erforderlich, daß das übersandte Schriftstück einen rechtserheblichen Inhalt hat. – Das im Jahr 2008 novellierte VVG bringt mit den §§ 26, 28 und 81 eine Änderung der Rechtslage durch Aufgabe des sog. Alles-oder-nichts-Prinzips. Nur vorsätzliche Verstöße des Versicherungsnehmers gegen seine Obliegenheiten, die kausal für den Versicherungsfall oder den Umfang der Leistung des Versicherers sind, führen gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 VVG 2008 zur Leistungsfreiheit des Versicherers. Bei grob fahrlässigen Verstößen des Versicherungsnehmers kann der Versicherer seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis kürzen (Quotelung), siehe § 28 Abs. 2 S. 2 VVG 2008. Einfach fahrlässig verursachte Verstöße bleiben folgenlos. Wenn ein ausländischer Versicherungsnehmer infolge schlechter Deutschkenntnisse eine fahrlässige

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Im Verbraucherschutzrecht kann die nach § 312 Abs. 2, § 355 Abs. 2 BGB erforderliche Widerrufsbelehrung in Textform gemäß § 126b BGB grundsätzlich in deutscher Sprache abgefaßt werden.147 Bei der Beteiligung sprachunkundiger Ausländer hat die Rechtsprechung der Instanzgerichte teilweise eine Belehrung in der Verhandlungssprache gefordert, sofern die Verhandlungen in einer anderen Sprache erfolgten oder der Vertrag in einer anderen Sprache abgefaßt war.148 Dies hat sie mit dem Informationszweck der Widerrufsbelehrung begründet. Art. 4 der sog. Haustürrichtlinie der EG149 verlangt lediglich die Schriftform für die Belehrung, so daß es im Ausgangspunkt zutrifft, daß die Belehrung gemäß §§ 312, 355 BGB in deutscher Sprache erfolgen kann. Fragwürdig ist die Belehrung in deutscher Sprache aber bei einem gezielten Einsatz fremdsprachiger Vermittler150 und weiter in den Fällen der von dem Verkäufer oder Vermittler erkannten fehlenden Deutschkenntnisse des Vertragspartners.151 In der Tat wird der Informationszweck der Widerrufsbelehrung nicht erreicht, wenn sicher ist, daß der andere Teil sie wegen Fehlens entsprechender Sprachkenntnisse nicht verstehen kann. Da hierfür kein abstrakter Maßstab, sondern das individuelle Sprachpotential des konkreten Kunden152 bzw. das Sprachpotential einer gezielt angesprochenen fremdmuttersprachlichen Kundengruppe entscheidend ist, läßt sich aus den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen bzw. der ihnen zugrunde liegenden Haustürrichtlinie jedenfalls keine allgemeine Sprachenvorgabe entnehmen. Insbesondere ist nicht zwangsläufig die Muttersprache des ausländischen Kunden für die Widerrufsbelehrung oder die „Sprache des Verbrauchers“ verbindlich vorgeschrieben, da dieser im Einzelfall möglicherweise ausreichend Deutsch beherrscht, um die Belehrung zu verstehen. Jedenfalls entspricht es der Selbstverantwortung des fremdmuttersprachlichen Kunden, soObliegenheitsverletzung begeht, muß er im schlimmsten Fall (bei grob fahrlässigem Verhalten) mit einer Leistungskürzung rechnen; bei einfacher Fahrlässigkeit bleibt der Verstoß gegen die Obliegenheit für ihn folgenlos. 147 Palandt/Grüneberg, § 355 Rn. 17; siehe auch die Musterbelehrung der Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV in deutscher Sprache. 148 LG Köln NJW-RR 2002, 1491 = WM 2002, 1928 (mit zust. Anm. Mankowski, EWiR 2002, 801): Im Fall des Beitritts einer der deutschen Sprache kaum mächtigen Polin zu einer stillen Gesellschaft genüge eine Widerrufsbelehrung in deutscher Sprache ausnahmsweise nicht. 149 Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. 12. 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. EG Nr. L 372, 31. 150 Siehe AG Nürnberg WuM 1997, 427: Wer gezielt einen fremdsprachigen Vertreter zur Abwicklung von Haustürgeschäften mit fremdsprachigen Kunden einsetzte, müsse auch die vom Gesetz geforderten schriftlichen Belehrungen in dieser Sprache erteilen, wenn erkennbar sei, daß der Kunde der deutschen Sprache nicht mächtig ist. 151 Siehe AG Kirchhain VuR 1989, 21: Wenn der Verkäufer die unzureichenden Deutschkenntnisse des Käufers kenne und deswegen dem Kaufvertrag eine Übersetzung einzelner Passagen beifüge, sei eine in deutscher Sprache abgefaßte Widerrufsbelehrung unzureichend. 152 Mankowski, EWiR 2002, 801 (802) m. w. N.

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fern dieser sich auf Verhandlungen in deutscher Sprache eingelassen hat, daß ihm eine Widerrufsbelehrung in deutscher Sprache erteilt wird.153 Letztlich handelt es sich bei der zutreffenden Anerkennung einer fremdsprachigen Belehrung wiederum um eine Ausnahme, die sich aus den individuellen Anforderungen von Treu und Glauben im Rechtsverkehr ergibt. So wie die von dem einen Teil erkannte Sprachunkenntnis des anderen Teils bei der Auslegung zu Abweichungen von der herkömmlichen objektiven Wortbedeutung führen kann, rechtfertigt sie individuelle bzw. kundengruppenspezifische Ausnahmen von dem herkömmlichen Sprachengebrauch auch in bezug auf die Sprache der Widerrufsbelehrung und das „Sprachrisiko“ im Verbraucherschutzrecht. Für die Zulassung solcher Ausnahmen spricht zudem, daß sie der Teleologie der Haustürrichtlinie entsprechen und ihren effet utile verstärken. 2. Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Erklärung a) Der durch die Täuschung hervorgerufene Irrtum muß den Erklärenden zur Abgabe seiner Willenserklärung „bestimmt“ haben. Der erforderliche Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn der Getäuschte die Erklärung ohne die Täuschung nicht oder jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt abgegeben hätte. Dafür genügt eine Mitursächlichkeit.154 In den Fällen der erforderlichen, aber unterlassenen Aufklärung bedeutet das Kausalitätserfordernis, daß der Getäuschte von dem Vertragsschluß Abstand genommen haben würde, wenn er zuvor aufgeklärt worden wäre.155 b) An der Kausalität zwischen der Täuschung und der Willenserklärung fehlt es, wenn der Getäuschte ohnehin zu dem Geschäft entschlossen war,156 nicht aber schon dann, wenn der zu Täuschende unaufmerksam gehandelt, dem Täuschenden dadurch die Irreführung leicht gemacht und mithin seinerseits eine Ursache für den Irrtum gesetzt hat.157 Denn ein Verschulden des Getäuschten hindert die Anfechtung wie gesagt nicht.158 153 Mankowski, EWiR 2002, 801 (802): Der Unternehmer dürfe dieses Signal des Kunden aufgreifen. 154 BGH NJW-RR 2005, 1082; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 20; Medicus, BGB AT, Rn. 804; Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 10: Für die Kausalität genüge es, daß der Anfechtende durch den vom anderen erregten oder aufrechterhaltenen Irrtum in seinem Entschluß irgendwie beeinflußt worden sei. Medicus ergänzt ebd., daß es anders als bei der Kausalitätsprüfung bei § 119 Abs. 1 BGB keiner „vernünftigen“ Kausalität bedürfe. Dies beruhe darauf, daß der Anfechtungsgegner bei § 123 BGB weniger schutzwürdig sei als bei §§ 119 f. BGB. Daher solle er auch die Unvernunft des Getäuschten gegen sich gelten lassen müssen. 155 Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 10. 156 Medicus, BGB AT, Rn. 790. 157 BGH NJW-RR 2005, 1082: „Da es das Ziel des § 123 I BGB ist, dass einem auf Täuschungswillen beruhenden Verhalten begegnet werden kann, muss vielmehr auch der anfechten können, der dem Täuschenden die Irreführung leicht gemacht hat.“ 158 BGH NJW 1989, 287 (288); BGHZ 33, 302 (310) = NJW 1961, 164; BGH NJW 1971, 1795 = WM 1971, 749.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

3. Arglist a) Die Täuschung ist arglistig begangen, wenn der Täuschende sich bewußt ist oder zumindest damit rechnet, daß der andere Teil durch die Täuschung zu einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung bestimmt werden wird,159 die er ohne die Täuschung nicht oder nicht so abgeben würde (Täuschungswille).160 Vorsatz – bedingter genügt – 161 und Arglist sind inhaltlich gleichzusetzen.162 Einer besonderen böslichen, listigen oder unlauteren (Schädigungs-)Absicht des Täuschenden bedarf es also nicht.163 Aus diesen Gründen ist das Merkmal der Arglist eigentlich überflüssig, weil es begrifflich bereits an der erforderlichen Täuschung fehlt, wenn unrichtige Angaben lediglich fahrlässig gemacht werden.164 Dies beruht auf einem Mißverständnis des historischen Gesetzgebers betreffend die römischrechtliche Lehre vom dolus malus und dolus bonus.165 Der Täuschungsvorsatz muß sich auf die Täuschungshandlung, die Irrtumserregung und die dadurch erfolgende Willensbeeinflussung des anderen Teils erstrecken.166 b) Beim Verschweigen von Umständen handelt vorsätzlich, wer einen offenbarungspflichtigen Umstand zumindest für möglich hält und dabei weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, daß der andere Teil den Fehler nicht kennt und bei Offenbarung des Umstands den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte.167 Beispiel: In dem oben angeführten Fall des in der Türkei verunfallten Kraftfahrers hat die Rechtsprechung sowohl Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo bzw. positiver 159

Siehe auch v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 606). Flume, BGB AT, § 29, 2 (S. 542 f.); ebenso oder jedenfalls ähnlich BGH NJW 1957, 988; BGH WM 1990, 505 (506); MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 8; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 28 m. w. N.; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 25; Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 11; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 604, 606). Medicus, BGB AT, Rn. 789 ergänzt zutreffend, daß Arglist z. B. dann fehlt, wenn dem erkanntermaßen zum Geschäft Entschlossenen noch weitere Vorteile vorgespiegelt werden. 161 Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 27; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 606). 162 MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 9; Erman/Palm, § 123 Rn. 27. 163 BGH NJW 1974, 1505 (1506); BGH LM Nr. 9 zu § 123 BGB; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 25; Medicus, BGB AT, Rn. 789; Erman/Palm, § 123 Rn. 30 m. w. N.: Eine verwerfliche Gesinnung ist nicht erforderlich. – Daraus folgt zugleich, daß § 123 BGB weiter ist als § 263 StGB. 164 Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 27; siehe auch v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 606): „Dagegen begründet fahrlässige Aufstellung einer falschen Behauptung nicht den Vorwurf der Arglist.“ 165 MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 9; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 27; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 604) spricht von einem „vieldeutigen römischen dolus“. 166 MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 28. 167 Vgl. BGHZ 117, 363 (368) = NJW 1992, 1953; BGH NJW 1994, 253 (254); BGH NJWRR 2005, 1082; MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 8 m. w. N.; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 28. 160

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Forderungsverletzung168 als auch eine verschuldensunabhängige Erfüllungshaftung169 aus Gewohnheitsrecht angenommen.170 Bei letztgenannter handelt es sich um eine – nach der VVG-Reform nicht fortzuführende – 171 Besonderheit des Versicherungsvertragsrechts.172 Im Ergebnis konnte der Versicherungsnehmer daher zwischen einem Vorgehen aus Erfüllungshaftung und einem solchen aus Verschulden bei Vertragsschluß wählen.173 Die Voraussetzungen der Arglistanfechtung gemäß § 123 BGB wurden in keinem der untersuchten Fälle geprüft. Vor dem Hintergrund des Anspruchsziels – Haftung des Versicherers auf Erfüllung174 , nicht Kassation des Vertrags –, war das überzeugend. Allerdings ist (unabhängig von dem Anspruchsziel) die Grenze zwischen einem nur fahrlässigen und einem vorsätzlichen Verstoß in den sog. „Türkenfällen“ fließend. Denn wenn eine Vielzahl von türkischen Arbeitnehmern alljährlich zur Sommerzeit mit dem eigenen Kfz in die Türkei reist, diese aber nur zu einem ganz geringen Teil zum geographischen Europa rechnet, muß sich dem Versicherer das Fehlen des gewünschten Versicherungsschutzes irgendwann einmal aufdrängen, zumal vor dem Hintergrund einer einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung seit 1963. Am Beispiel der „Türkenfälle“ wird zugleich deutlich, daß Arglist vorliegen kann, ohne daß zugleich immer der Vorwurf einer listigen, betrügerischen oder unlauteren Absicht erhoben werden kann.

c) Die Arglist ist ausgeschlossen, wenn der Auskunftspflichtige angenommen hat, der andere Teil sei bereits informiert.175 Diese Ausnahme darzulegen, obliegt dem offenbarungspflichtigen Vertragspartner. Wie bei der Erörterung des Begriffs der Täuschung bereits ausgeführt,176 liegt eine Schwierigkeit im Beweis der subjektiven Merkmale. Die Rechtsprechung bedient sich insoweit des Rückschlusses von den objektiv feststellbaren Umständen auf das Wissen und Wollen des Anfechtungsgegners.177 168 Im Hinblick darauf, daß das pflichtwidrige Verhalten des Versicherers bzw. seines Vertreters im Zusammenhang mit der Erteilung der Grünen Versicherungskarte erst nach Vertragsschluß erfolgte, lag die Haftung aus positiver Forderungsverletzung näher, richtig BGHZ 108, 200 (207) = VersR 1989, 948; OLG Hamm NZV 1991, 314. 169 BGHZ 108, 200 (206) = VersR 1989, 948: „Von einer solchen Erfüllungshaftung der Beklagten, die nicht einmal Verschulden voraussetzt, ist auch im Streitfall auszugehen, denn das Berufungsgericht unterstellt ein Aufklärungsversäumnis des Versicherungsbeamten der Beklagten.“ 170 Siehe BGHZ 108, 200 (208) = VersR 1989, 948; BGH NJW 1963, 1978 (1980) = BGHZ 40, 22 (26 f.); vgl. auch BGHZ 2, 87 (92); BGH VersR 1978, 458; BGH VersR 1986, 329 (330); kritisch Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 256 f. 171 E. Lorenz, FS Canaris, Bd. I, S. 757 (775). 172 Zur dogmatischen Einordnung der gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung siehe E. Lorenz, FS Canaris, Bd. I, S. 757 (762 ff.). 173 BGHZ 108, 200 (207) = VersR 1989, 948; BGHZ 40, 22 (26) = NJW 1963, 1978. 174 Die Ansprüche aus c.i.c. und auf Erfüllung verfolgen nach der neueren Rechtsprechung zum Versicherungsvertragsrecht dasselbe Anspruchsziel, siehe BGHZ 108, 200 (207 f.) = VersR 1989, 948. Die frühere Rechtsprechung hatte demgegenüber hatte noch die zwischen beiden Ansprüchen bestehenden Unterschiede deutlich gemacht, siehe BGHZ 40, 22 (26 f.) = NJW 1963, 1978. 175 BGH NJW-RR 1996, 690; OLG Köln VersR 2000, 243 (246). 176 Siehe oben B. I. 1. 177 BGH NJW-RR 2005, 1082 (1083).

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4. Widerrechtlichkeit der Täuschung? Der historische Gesetzgeber ging davon aus, daß die arglistige Täuschung immer rechtswidrig sei, so daß es des Rechtswidrigkeitsmerkmals – anders als bei der Drohungsalternative – aus seiner Sicht nicht bedurfte.178 Die Rechtsentwicklung namentlich im Individualarbeitsrecht hat gezeigt, daß es Fälle der vorsätzlichen Irreführung gibt, die nicht als rechtswidrig zu qualifizieren sind, wenn sie durch eine rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers in Form unzulässiger Fragen des Arbeitgebers veranlaßt wurden (Stichwort: „Recht zur Lüge“).179 Der Wortlaut von § 123 Abs. 1 BGB wird insoweit heute teleologisch reduziert.180 Entsprechendes gilt für das Verschweigen von Tatsachen; auch insoweit ist die durch die Möglichkeit der rechtmäßigen Täuschung aufgetretene Gesetzeslücke nach der Rechtsprechung im Wege der teleologischen Reduktion zu schließen.181 5. Anfechtungsfrist Für die Täuschungsanfechtung gilt die Jahresfrist des § 124 Abs. 1 BGB, also nicht etwa das Unverzüglichkeitserfordernis des § 121 BGB.182 6. Anfechtung trotz eines vom Gegner erkannten Irrtums? a) Problematisch ist die Frage, ob eine hilfsweise Anfechtung des Erklärenden trotz Erkennens des Gewollten durch den Empfänger Anerkennung verdient. Das Problem stellt sich sowohl bei der Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB als auch bei der Anfechtung wegen Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 BGB. Wie oben ausgeführt, scheidet eine Anfechtung nach dem Grundsatz des Vorrangs der Auslegung normalerweise aus, wenn der andere Teil positiv erkannt hat, daß der Erklärende etwas anderes erklären wollte als die objektive Bedeutung seiner Erklärung, sog. erkannter und ausgenutzter Irrtum.183 Es ist aber frag178 Mugdan, Materialien, Bd. I, S. 965; BAG NJW 1991, 2723 (2724); MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 10. 179 Ausführlich dazu Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 30 ff.; Erman/Palm, § 123 Rn. 20 f. 180 MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 10. 181 BAG NJW 1991, 2723 (2724) zum Verschweigen der Transsexuelleneigenschaft durch eine Arzthelferin, die – in biologischer Hinsicht ein Mann – in einer chirurgischen Praxis mit vornehmlich türkisch-muslimischen Patientinnen beschäftigt war. 182 Dazu v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 622): „Es läßt sich nicht leugnen, daß das Gesetz damit dem Getäuschten oder Bedrohten die Möglichkeit eröffnet, seine Entscheidung nach der späteren Gestaltung der Verhältnisse zu richten, d. h. auf Kosten des Gegners zu spekulieren. Die Nachteile dieser Situation hat sich der Gegner selbst zuzuschreiben (. . .).“ 183 Siehe noch BGH WM 1983, 92 = BB 1983, 927; MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 62 unter Hinweis auf Art. 8 Abs. 1 des UN-Kaufrechts; vgl. auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 209 am Beispiel der von Bydlinski entwickelten Wechselzeichnungsfälle.

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lich, ob man nicht doch zumindest einem arglistig getäuschten184 ausländischen Arbeitnehmer das Anfechtungsrecht mit der Erwägung zubilligen sollte, daß ein Bedarf der Beseitigung des Rechtsscheins, d. h. des scheinbar objektiven Erklärungsinhalts der Urkunde besteht.185 Beispiel: 186 Die Sekretärin des beklagten Arbeitgebers hatte dem Kläger, einem türkischen Arbeitnehmer, ein Formular – das eine Empfangsbestätigung betreffend die Arbeitspapiere und eine Ausgleichquittung enthielt– vorgelegt und ihm zu verstehen gegeben, daß er seine Papiere nur erhalten würde, wenn er beide Erklärungen unterzeichne. Der Kläger fragte, was das sei. Die Sekretärin antwortete: „Das sind die Arbeitspapiere. Die müssen Sie abholen.“ Auf die weitere Frage des Klägers, warum er zweimal unterschreiben müsse, erhielt er zur Antwort: „Um die Arbeitspapiere abzuholen.“ Der Kläger trug im Kündigungsschutzprozeß vor, daß er der deutschen Sprache nur eingeschränkt mächtig sei und keinesfalls deutsche Texte verstehen könne. Er sei lediglich in der Lage, einfache Sätze in deutscher Sprache zu sprechen und zu verstehen. Die Beklagte habe die mangelnden Sprachkenntnisse zu Täuschungszwecken ausgenutzt, um eventuelle Ansprüche zu vereiteln. Wenn er gewußt hätte, was in der Ausgleichsquittung steht, hätte er diese niemals unterschrieben. Unterstellt man in dem Fall, daß der Kläger den Sachverhalt im Prozeß wahrheitsgemäß vorgetragen hat, liegen zunächst die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung durch die Sekretärin des Beklagten vor; 187 darüber hinaus kommt sogar eine Drohungsanfechtung in Betracht.188 Die dem Beklagten nach § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnende Sekretärin hat den Irrtum des Klägers – nämlich: allein den Empfang der Arbeitspapiere quittieren zu wollen – klar erkannt.189 Zwar kann man wie das zuständige LAG in dem Fall Zweifel daran hegen, wieso der Kläger die Vorstellung gehabt haben soll, für den Empfang der Arbeitspapiere auf demselben Blatt zweimal unterschreiben zu müssen. 184

Die Drohungsalternative des § 123 BGB hat bei der gerichtlichen Beurteilung von Ausgleichsquittungen nie eine praktische Rolle gespielt. Da sie wertungsmäßig als „noch schlimmer“ als die arglistige Täuschung eingestuft wird, muß bei Anerkennung der Anfechtung trotz richtigen Erkennens durch den Empfänger a maiore ad minus das gleiche gelten. 185 Die Anfechtung ablehnend Staudinger/Singer, § 119 Rn. 9; B. Müller, BB 1976, 1466 (1469). 186 Nachgebildet dem Fall des Hessischen LAG, Urt. v. 1. 4. 2003 – 13 Sa 1240/02 (juris). In dem Fall hatte der türkische Kläger allerdings hinreichende Deutschkenntnisse besessen, so daß nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden konnte, er sei bezüglich der Bedeutung seiner Unterschriften einem Irrtum erlegen. 187 Für Arglistanfechtung bei Täuschung über den Inhalt der Ausgleichsquittung oder die faktischen Voraussetzungen der Unterschriftsleistung Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290, Rn. 166. 188 Siehe Stahlhacke, NJW 1980, 580 (582): Die Ausgleichsquittung könne vom Arbeitnehmer auch wegen rechtswidriger Drohung angefochten werden, wenn der Arbeitgeber bei Ausstellung erklärt habe, der Arbeitnehmer erhalte seine Papiere und den Restlohn nur dann, wenn er die Ausgleichsquittung unterzeichne; ebenso Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290, Rn. 167. 189 Das Hessische LAG ging bei seiner Würdigung des Falles von anderen Tatsachen aus und verneinte infolgedessen die Voraussetzungen von § 123 Abs. 1 BGB. Für eine Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung Stahlhacke, NJW 1968, 580 (582); a. A. Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 392 f.

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Doch werden diese Zweifel entkräftet, wenn man davon ausgeht, daß die Frage des Klägers, was das sei, ernst gemeint war und auf dem Unverständnis deutschsprachiger Texte beruhte. Nimmt man die unzutreffende Antwort der Sekretärin auf die Frage nach dem Sinn einer zweifachen Unterschrift hinzu („Um die Arbeitspapiere abzuholen.“), kommt man nicht umhin, hierin eine dem Arbeitgeber zurechenbare Täuschung des Klägers zu sehen. In dem Fall sind also zumindest die Voraussetzungen der Täuschungsanfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB gegeben. Zugleich hat der Beklagte – vermittelt über die Sekretärin als Wissensvertreterin, § 166 Abs. 1 BGB – die positive Kenntnis von dem Irrtum des Klägers über den Sinn seiner Unterschrift unter die Ausgleichsquittung gehabt. Würde der Grundsatz vom Vorrang der Auslegung vor der Anfechtung uneingeschränkt gelten, so wäre die Täuschungsanfechtung hinsichtlich der Ausgleichsquittung gesperrt.

b) Es ist seit Kipps grundlegendem Beitrag über Doppelwirkungen im Recht aus dem Jahr 1911190 im Ergebnis anerkannt, daß auch nichtige Erklärungen angefochten werden können, um § 142 Abs. 2 BGB zur Anwendung zu verhelfen.191 Die Rechtsprechung hat die (Eventual-)Anfechtung namentlich für den Fall zugelassen, daß das Rechtsgeschäft nur möglicherweise nichtig ist.192 Dafür spricht, daß die Nichtigkeit z. B. nach § 138 BGB vielleicht nur schwer erweisbar ist.193 Außerdem ist keine Partei dadurch beschwert, daß im Prozeß beide Anträge untersucht werden.194 c) Im vorliegenden Zusammenhang kann – bezogen auf die Ausgangsfrage – argumentiert werden, daß ein Bedürfnis nach einer Anfechtung nicht bestehe, wenn der arglistig handelnde Empfänger die wahren Intentionen des Erklärenden erkannt habe,195 so daß der Vorrang der Auslegung eingreife. Der Ausschluß der Anfechtungsmöglichkeit ist aber zweifelhaft, wenn z. B. die Befürchtung im Raum steht, daß der arglistig täuschende Empfänger von dem „falschen“ Urkundeninhalt (in unserem Fall: dem Inhalt der Ausgleichsquittung) im Rechtsverkehr – z. B. in einem Kündigungsschutzprozeß – zum Nachteil des Erklärenden Gebrauch machen könnte. Die Erklärung der Anfechtung schafft hier zwar zunächst die Urkunde nicht aus der Welt, sie ist aber – soweit verkörpert oder durch Zeugen beweisbar – in einem späteren Zivil- oder Arbeitsgerichtsprozeß als Beweismittel verwendbar und könnte so die Vernichtung des falschen objektiven Erklärungsinhalts herbeiführen.196 Man sollte aus 190

Kipp, FS v. Martitz, S. 211 ff. Palandt/Heinrichs, Überbl v § 104 Rn. 35; BGH LM § 142 BGB Nr. 2; MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 8; Brox/Walker, BGB AT, Rn. 443; Hübner, BGB AT, Rn. 963; zur Kritik siehe Medicus, BGB AT, Rn. 729 m. w. N., der es im Ergebnis nicht für notwendig hält, die Doppelwirkungstheorie zu verwerfen. 192 BGH JZ 1955, 500 = WM 1955, 1290 (Leitsatz); BGHZ 118, 374 = NJW 1992, 2483 (4. Leitsatz). 193 Medicus, BGB AT, Rn. 730. 194 BGH JZ 1955, 500. 195 So u. a. MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 125; Kibler, ZIAS 1995, 51 (76); Jancke, Sprachrisiko, S. 251; die Anfechtungsvoraussetzungen bei Erkennen durch den Arbeitgeber ausdrücklich bejahend LAG Baden-Württemberg BB 1967, 1082, 2. Leitsatz. 196 Trinkner, BB 1967, 999 (1002) billigt dem getäuschten Arbeitnehmer hinsichtlich des 191

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diesen Gründen die Täuschungsanfechtung neben der Auslegung zulassen.197 Der Anfechtungsgegner ist wegen seiner positiven Kenntnis des wirklich Gewollten durch die Anfechtung nicht beschwert. Außerdem unterscheiden sich Auslegung und Anfechtung in ihren Rechtswirkungen stark voneinander, hat doch die Anfechtung allein zerstörende – sog. kassatorische – Wirkung.198 Sie wirkt deshalb „schneidiger“ als die Auslegung, die entweder dazu führt, daß die Erklärung mit dem gewollten Inhalt gilt, wenn der Arbeitgeber den wahren Willen des Arbeitnehmers erkennt – z. B. Quittung i. S. des § 368 BGB199 statt Verzichtserklärung –, oder aber zur Ungültigkeit führt, wenn der Arbeitgeber zwar den Irrtum, nicht aber das in Wahrheit Gewollte zu erkennen vermag. d) Im Ergebnis kommt die Anfechtung einer von einem ausländischen Arbeitnehmer unterzeichneten Ausgleichsquittung auch in dem Fall in Betracht, Klageverzichts den Arglisteinwand, die exceptio doli, zu. Daraus folge, daß sich der Arbeitgeber nicht auf den Kündigungsverzicht berufen könne. Vorteilhaft an dieser Lösung sei, daß die komplizierte Vertragsauslegung in den Fällen des Dissenses entfalle. Außerdem soll dem Arbeitnehmer in den Fällen des Irrtums der Beweis für das Vorliegen der Arglist leichter fallen als jener für die Anfechtungstatsachen. Die zweite These verdient keine Zustimmung. Unterschiede in bezug auf die Anforderungen an die Arglist sind nicht ersichtlich. Des weiteren bezieht sich die exceptio doli nach Trinkners Lösung ausschließlich auf den nicht erkannten Klageverzicht, läßt aber offenbar den Anspruchsverzicht unberührt, während die Anfechtung zur Kassation der Ausgleichsquittung insgesamt führt. 197 Von einer Anfechtungsmöglichkeit im Falle des Erkennens durch den Gegner, wie sie hier bejaht wurde, geht auch v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67, S. 588 f., aus. Die Anfechtung muß nach seiner Ansicht auch dann erfolgen, wenn der Erklärende glaubt, daß sein Irrtum vom Gegner bemerkt worden ist. Er dürfe sich nicht darauf verlassen, daß seine Erklärung richtig verstanden werde, und dürfe die Mühe nicht scheuen, seinen Fehler so bald als möglich gutzumachen. Unterlasse er das, so komme es darauf an, ob der Gegner den Fehler tatsächlich bemerkt habe oder nicht. Im ersteren Fall sei der Fehler trotz unterlassener Anfechtung unschädlich. Entweder die Erklärung gelte in dem gewollten Sinn, oder sie sei – wenn der Gegner den Fehler zwar bemerkt, aber den richtigen Sinn nicht verstanden habe – überhaupt nicht zustandegekommen, denn der Gegner dürfe einer Erklärung, von welcher er wisse, daß sie nicht gewollt sei, keine rechtliche Bedeutung beilegen. Im letzteren Fall gelte die Erklärung so wie sie laute. – Vgl. dazu auch MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 113, 117 (bezogen auf Art. 3.5 der UNIDROIT Principles und Art. 4:103 der Principles of European Contract Law): Bei Veranlassen und offenbarer Erkennbarkeit des Irrtums liege eine Ingerenz bzw. Mitverantwortlichkeit des Partners des Irrenden vor, die es grundsätzlich ausschließe, den Irrtum einseitig in die Risikosphäre des Irrenden einzuordnen. Das Vertrauen seines Kontrahenten auf das anfechtungsfreie Zustandekommen des Vertrags erscheine dann nicht schützenswert. Sowohl ein subjektiv als auch ein objektiv erheblicher Irrtum über einen einem Rechtsgeschäft zugrunde gelegten Wirklichkeitssachverhalt solle nach § 119 Abs. 2 BGB zur Anfechtung berechtigen, wenn dieser Irrtum von anderen Kontrahenten veranlasst worden sei oder wenn er ihm – dem Kontrahenten – hätte offenbar auffallen müssen bzw. tatsächlich aufgefallen ist. Die genannten Kriterien entsprächen weitgehend den ausländischen bzw. internationalen Lösungen des Irrtumsproblems. 198 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 590 f.). 199 Die Quittung gemäß § 368 BGB, auf deren Abgabe der Arbeitgeber einen Anspruch hat, ist kein Rechtsgeschäft, sondern eine Wissenserklärung (also das Bekenntnis einer Tatsache), siehe Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290, Rn. 7 mit Rechtsprechungsnachweisen; Birk, EzA § 119 BGB Nr. 6.

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daß der Arbeitgeber erkannt hat, daß eine Erklärung dieses Inhalts nicht gewollt war. Man kann weiterfragen, ob die Anfechtungsmöglichkeit auf die besonders schwerwiegenden Fälle des § 123 BGB beschränkt werden sollte. Vorzugswürdig ist es – entgegen der Rechtsprechung – 200 , die Anfechtung auch bei den in § 119 Abs. 1 BGB geregelten Irrtumsfällen neben der Auslegung zuzulassen, wenn und soweit eine Unsicherheit über die Wirkungen des objektiven, unrichtigen Erklärungsinhalts im Rechtsverkehr besteht, hinsichtlich deren Beseitigung der Erklärende ein berechtigtes Interesse hat. 201 Allerdings ist die oben aufgezeigte Gefahr des Mißbrauchs der verkörperten Erklärung in den § 119 BGB zuzuordnenden Irrtumsfällen geringer, weil den Gegner nicht der Arglistvorwurf trifft. Ein praktisches Bedürfnis nach der Zulassung der Anfechtung wird daher vor allem in den Arglistfällen bestehen. Außerdem trifft den nach § 119 Abs. 1 BGB Anfechtenden – anders als bei der Anfechtung nach § 123 BGB – die Schadensersatzpflicht gemäß § 122 Abs. 1 BGB. In einem Zivilprozeß wäre letztlich ein stufenweises Vorgehen des Erklärenden ratsam: Zunächst müßte er darlegen und beweisen, daß der Empfänger seinen wahren Willen erkannt habe, so daß dieser Inhalt – statt der abweichende Urkundeninhalt – maßgeblich sei. Hilfsweise wäre die Anfechtung nach § 123 BGB sowie – wegen der Schadensersatzpflicht gemäß § 122 Abs. 1 BGB wiederum hilfsweise – die erfolgte Anfechtung nach § 119 BGB von ihm darzulegen und zu beweisen. 202 7. Die Begrenzung der Täuschungsanfechtung gemäß § 123 Abs. 2 BGB a) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, kommt es gemäß § 123 Abs. 2 S. 1 BGB für die Anfechtbarkeit von empfangsbedürftigen Erklärungen darauf an, ob der Erklärungsempfänger die Täuschung und deren Ursächlichkeit für die Abgabe der Erklärung kannte oder kennen mußte. 203 Dritter ist nur, wer am Geschäft völlig unbeteiligt ist. 204 Die Beschränkung des Anfechtungsrechts bei Täuschung durch einen Dritten gilt nicht, wenn der Täuschende dem Erklärungs200 BGH WM 1983, 92 = BB 1983, 927; BGH VersR 1995, 648 = NJW-RR 1995, 859; BGH LM Nr. 6 zu § 119 BGB = VersR 1959, 497. Nach diesen Entscheidungen ist eine Anfechtung bei erkanntem ausgenutztem Irrtum nicht erforderlich bzw. unzulässig. 201 Eine vergleichbare Situation regelt § 326 Abs. 5 BGB: Der Gläubiger kann danach, wenn der Schuldner nach § 275 BGB leistungsfrei geworden ist, so daß die Gegenleistungspflicht entfiel, auch vom Vertrag zurücktreten. Dadurch gelangt der Gläubiger auf jeden Fall zu einer Vertragsstornierung. 202 Zum Verhältnis der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 BGB und der Irrtumsanfechtung gemäß § 119 siehe auch Erman/Palm, § 119 Rn. 18. 203 Flume, BGB AT, § 29, 3 (S. 543) unter Hinweis auf RGZ 134, 43 (54). „Kennenmüssen“ (§ 122 Abs. 2 BGB) ist – da eine Erkundigungspfl icht für den Empfänger grundsätzlich nicht besteht – als Umschreibung der Evidenz zu verstehen. Dadurch wird dem Anfechtenden eine Beweiserleichterung zuteil (zutreffend Flume, ebd.). 204 Palandt/Heinrichs, § 123 Rn. 13; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 32.

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empfänger, sei es als Stellvertreter, Verhandlungsgehilfe, unselbständiger oder selbständiger Vermittler, 205 Strohmann, etc., 206 zugerechnet 207 werden kann, wenn er also als Hilfsperson „auf der Seite des Erklärungsgegners“ steht, sog. „Lagertheorie“.208 Für die Arglist „seiner Leute“, d. h. jener Personen, die am Zustandekommen des Vertrags maßgeblich mitgewirkt haben, hat der Empfänger mithin wie für eigenes arglistiges Verhalten einzustehen. Dies gilt auch im Hinblick auf bestehende Sprachkenntnisse. Wer sich eines Vertreters bedient, muß sich also dessen Sprachkenntnis zurechnen lassen. Es kommt nicht auf die eigene Sprachkenntnis an, sondern nur auf die des Vertreters.“209 b) Hat ein anderer als der Erklärungsempfänger aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben, ist die Erklärung nach § 123 Abs. 2 S. 2 BGB dem Begünstigten gegenüber anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen mußte sowie wenn er die Täuschung selbst verübt hat. 210 Die Vorschrift betrifft vor allem den echten Vertrag zugunsten Dritter (§§ 328 ff. BGB), z. B. den Abschluß von Lebensversicherungsverträgen.211 Die Vorschrift hat im Hinblick auf die „Sprachrisiko“-Thematik bisher keine praktische Rolle gespielt. Sie wird daher im folgenden nicht weiter behandelt. 8. Zwischenergebnisse a) Für die Arglistanfechtung von Erklärungen, die von sprachunkundigen Personen abgegeben werden, gelten in rechtlicher Hinsicht keine Besonderheiten gegenüber den „Normalfällen“ der Täuschung Sprachkundiger. Die fehlende Sprachkunde und die damit einhergehende Geschäftsunerfahrenheit sind aber Rechtstatsachen, die dazu beitragen können, daß die Täuschung leichter gelingt als gegenüber einem Muttersprachler. Das Abstellen auf den konkreten Betroffenen mit allen seinen Fähigkeiten und Defiziten muß von Rechts wegen akzep205

Zur Zurechnung des Vermittlers siehe BGH NJW 2001, 358; BGH NJW-RR 1997,

116. 206

Zu den Einzelfällen siehe Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 48 ff. Die Zurechnung erfolgt nach Billigkeitsgesichtspunkten unter Berücksichtigung der Interessenlage, siehe BGH NJW 1978, 2144 (2145) und Medicus, BGB AT, Rn. 801. 208 Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 17; siehe auch Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 46: „Nur im Fall der Zurechnung besteht das Anfechtungsrecht uneingeschränkt.“; siehe ferner Flume, BGB AT, § 29, 3 (S. 545); Medicus, BGB AT, Rn. 803 (der Täuschende müsse, um für § 123 Abs. 2 BGB nicht als Dritter zu erscheinen, „interessenmäßig auf der Seite des Erklärungsempfängers stehen“); Erman/Palm, § 123 Rn. 35 spricht von einer „die Zurechnung begründende enge Verbundenheit zw Erklärungsempfänger und Täuschendem“. 209 MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 127. 210 Flume, BGB AT, § 29, 3 (S. 546); MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 26. 211 MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 26; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 57; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 37; Medicus, BGB AT, Rn. 800. Die Vorschrift greift in Vier-Personen-Verhältnissen ein: Ein Dritter täuscht einen anderen arglistig, dieser Getäuschte gibt eine Erklärung gegenüber einem gutgläubigen Empfänger ab, die das Recht des Vierten unmittelbar begründet. 207

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tiert werden. Anders als bei der Auslegung von Willenserklärungen (Stichwort: objektiver Empfängerhorizont) gibt es bei § 123 BGB keinen objektivierten Täuschungsadressaten. So wie bei dem Betrugstatbestand des § 263 StGB die Leichtgläubigkeit des Getäuschten relevant ist 212 , muß es bei der Beurteilung der Täuschung und des Irrtums als Voraussetzungen der Arglistanfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB hingenommen werden, wenn einzelne Teilnehmer am Rechtsverkehr oder einzelne Personengruppen leichter einem Irrtum unterliegen als der Durchschnitt. In den Fällen der positiven Täuschung oder Irrtumserregung geht es daher nicht an, dem Getäuschten die Anfechtung nur deshalb zu versagen, weil ein „vernünftiger Dritter“ an seiner Stelle keinem Irrtum unterlegen wäre. Der bei § 123 Abs. 1 BGB anzulegende konkrete Beurteilungsmaßstab darf nicht durch eine Objektivierung, sei es durch eine entsprechende Anwendung der Lehre vom objektiven Empfängerhorizont, sei es durch eine Ausdehnung des Gedankens der Selbstverantwortung, umgangen werden. 213 b) In den Fällen des Verschweigens von Tatsachen kommt es darauf an, ob nach den allgemeinen, von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen eine Aufklärungspflicht besteht. Ist das der Fall, so greift das Anfechtungsrecht, anderenfalls trägt der Erklärende das Irrtumsrisiko gemäß dem Prinzip der Selbstverantwortung. Für diese Lösung spricht, daß es nicht gerechtfertigt wäre, die allgemeinen Grundsätze über Aufklärungspfl ichten generell und einzig zugunsten von Ausländern mit Sprachproblemen abzuändern. III. Die Anfechtung wegen Drohung gemäß § 123 Abs. 1 BGB Auch die durch Drohung abgepreßte Willenserklärung wird vom Gesetz nicht mit der Nichtigkeitsfolge sanktioniert, sondern mit der Anfechtbarkeit, und somit wie ein Willensmangel behandelt. 214 212

Siehe insbesondere BGHSt 34, 199 = NJW 1987, 388 zum Nachnahmeversand marktschreierisch beworbener „Wundermittel“ (Schlankheitspillen und Haarverdicker „Doppelhaar“): „Der Umstand, daß die Besteller bei hinreichend sorgfältiger Prüfung die Täuschung hätten erkennen können, ist unerheblich (. . .). Ebensowenig wie die Leichtgläubigkeit spielt bei der Irrtumserregung der vereinbarte Rücktritt eine Rolle, wenn die Getäuschten, was naheliegt, ein wirksames Präparat, nicht aber die Möglichkeit erwerben wollten, ein Rücktrittsrecht auszuüben.“; siehe ferner Lackner/Kühl, StGB, § 263 Rn. 20: „Erregen eines Irrtums bedeutet Verursachen oder auch nur Mitverursachen (. . .) der Fehlvorstellung; daher sind Leichtgläubigkeit und Erkennbarkeit der Täuschung bei hinreichend sorgfältiger Prüfung oder sonst mitwirkender Fahrlässigkeit des Getäuschten unerheblich (. . .).“ 213 Die bei § 263 StGB bei der Täuschung durch Unterlassen geforderte Garantenpfl icht zur Aufklärung wird grundsätzlich eng ausgelegt; Entstehungsgründe sind Gesetz, Ingerenz, ein besonderes Vertrauensverhältnis und in „ganz eindeutigen Fällen“ (Lackner/Kühl, StGB, § 263 Rn. 16) Treu und Glauben. 214 Siehe auch Medicus, BGB AT, Rn. 813: Die Frage, ob die durch Drohung erpreßte Erklärung letzten Endes gewollt sei oder nicht, sei angesichts von § 123 BGB bedeutungslos: Das Gesetz nehme einen Willensfehler an, der erst durch Anfechtung geltend zu machen sei.

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1. Drohung a) Die Drohung besteht tatbestandlich in der Inaussichtstellung eines künftigen Übels – für die Rechtsgüter Leib oder Leben, Freiheit, Ehre, oder Vermögen – 215 in dem Fall der Nichtabgabe der Erklärung, wobei der Drohende vorgeben muß, über die Herbeiführung des Übels Einfluß zu haben. 216 Drohender kann der Erklärungsempfänger, aber auch ein Dritter sein. 217 Der Drohende kann auch mit der Handlung eines Dritten drohen. 218 b) Eine Drohung mit einem Unterlassen genügt nur dann, wenn der Drohende aus Gesetz, Rechtsgeschäft oder vorangegangenem gefährlichen Tun (Ingerenz) zu einer bestimmten positiven Handlung verpflichtet war. 219 Eine besondere Schwere des angedrohten Übels wird vom Gesetz nicht gefordert, 220 jedoch muß es eine psychologische Zwangslage für den Erklärenden hervorrufen, sog. vis compulsiva 221.222 Das Übel muß sich nicht unbedingt auf den Erklärenden beziehen, sondern kann z. B. auch einen seiner nahen Angehörigen betreffen. 223 Die Zwangslage ist subjektiv zu bestimmen. Es ist also nicht erforderlich, daß

215

V. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 6129). MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 40; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 62; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 40; Erman/Palm, § 123 Rn. 56; Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 26; Flume, BGB AT, § 28, 1 (S. 534); Medicus, BGB AT, Rn. 814; BGHZ 2, 287 (295); S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 349; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 609); BGHZ 6, 348 (351); BGH NJW 1988, 2599 (2600 f.); zusammenfassend BGH NJW-RR 1996, 1281 (1282): „Nach der Rechtsprechung des BGH ist Drohung die Ankündigung eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt oder Nichteintritt der Drohende einwirken zu können behauptet und das verwirklicht werden soll, wenn der Bedrohte nicht die von dem Drohenden gewünschte Willenserklärung abgibt (. . .). Die Drohung muß nicht ausdrücklich ausgesprochen werden, sie kann vielmehr auch versteckt oder durch schlüssiges Verhalten erfolgen (. . .). Sie muß aber vorsätzlich erfolgen, d. h. der Drohende muß bewußt den Zweck verfolgen, den Bedrohten zur Abgabe einer bestimmten Willenserklärung zu veranlassen (. . .). Der Bedrohte muß den Erklärungen oder dem Verhalten des Drohenden entnommen haben, dieser werde dafür sorgen, daß das angedrohte Übel eintritt, wenn er – der Bedrohte – die Willenserklärung nicht abgeben sollte (. . .). Maßgeblich für die Annahme, es liege eine ernstzunehmende Drohung vor, ist nicht die Meinung des Drohenden, sondern die Sicht des Bedrohten (. . .). Wurde eine entsprechende Ankündigung nicht als Drohung aufgefaßt, so entsteht keine Anfechtbarkeit der Willenserklärung (. . .).“ 217 Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 64; Erman/Palm, § 123 Rn. 72. – § 123 Abs. 2 S. 1 BGB findet auf die Drohungsalternative keine Anwendung. Daher ist es nicht erforderlich, daß der Erklärungsempfänger von der Drohung wußte oder hätte wissen müssen. Die Gutgläubigkeit des Erklärungsempfängers hindert in dem Fall der widerrechtlichen Drohung durch einen Dritten die Anfechtung gemäß § 123 Abs. 1 BGB nicht. 218 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 611). 219 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 612). 220 MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 41. 221 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 609). 222 Flume, BGB AT, § 28, 1 (S. 534). 223 MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 41; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 41; Staudinger/Singer/ v. Finckenstein, § 123 Rn. 65; so schon Savigny, System, Bd. 3, § 114 (S. 106). 216

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der Drohende die angedrohte Handlung oder Unterlassung auszuführen beabsichtigt, wenn nur der Bedrohte daran glaubt, daß dies möglich sei. 224 c) Die Drohungsalternative hat bei der Anfechtung von Willenserklärungen durch Sprachunkundige soweit ersichtlich kaum eine praktische Rolle gespielt. Dehler 225 hat das damit zu erklären versucht, daß die Sprachprobleme des Erklärenden „eher dazu [führen], dass dieser die Drohung nicht als solche zur Kenntnis nimmt und die Drohung deshalb auch nicht kausal für die Willenserklärung des Erklärenden sein kann“. Auch bei einer nur eingeschränkten Sprachkenntnis des Erklärenden ist es aber denkbar, daß er die Gestik und Mimik des Drohenden richtig, nämlich als Drohung, versteht. Beispiel: Wird einem sprachunkundigen Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber gleichsam „mit Händen und Füßen“ deutlich gemacht, daß er seine Arbeitspapiere nur erhalten werde, wenn er die Unterschrift auf dem Formular der vorgelegten Ausgleichsquittung leistet, ist die Drohungsalternative erfüllt. 226 Denn der Arbeitgeber hat keinen Anspruch auf Abgabe der Verzichtserklärung, sondern nur auf Abgabe des Empfangsbekenntnisses, § 368 S. 1 BGB, und somit auch kein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB an den Arbeitspapieren. 227 Allerdings muß der betroffene Arbeitnehmer die Drohung durch den Arbeitgeber bzw. eine ihm zurechenbare Hilfsperson vor Gericht beweisen, was ihn in aller Regel vor erhebliche Beweisschwierigkeiten stellen dürfte, 228 namentlich dann, wenn dem Arbeitgeber das abweichende Zeugnis von Mitarbeitern für das Fehlen einer solchen Drohung als Beweismittel zur Verfügung steht.

d) Weiter ist es möglich, daß der Sprachunkundige eine Äußerung des anderen Teils irrig als Drohung auffaßt, weil er den Sinn der gewählten Worte nicht versteht. Die daraufhin abgegebene Willenserklärung ist – da sie nur auf einer vermeintlichen Drohung beruht – nicht gemäß § 123 Abs. 1, 2. Alt. BGB anfechtbar.229 2. Kausalzusammenhang zwischen Drohung und Erklärung a) Nach dem Wortlaut des § 123 Abs. 1 BGB muß der Betroffene durch Drohung zu der Abgabe einer Willenserklärung „bestimmt“ worden sein. Zwischen der Drohung und der Abgabe der Willenserklärung durch den Bedrohten muß also ein Kausalzusammenhang bestehen, für den eine Mitursächlichkeit genügt.230 Die Drohung muß für die Willensbildung entscheidend, d. h. sie muß 224

V. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 612). Zurechnung des Sprachrisikos, S. 384. 226 Ebenso Jancke, Sprachrisiko, S. 251. 227 Kibler, ZIAS 1995, 51 (74); Birk, EzA § 119 BGB Nr. 6. 228 Jancke, Sprachrisiko, S. 251. 229 Zutreffend Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 384 f. 230 BGHZ 2, 287 (299); BGH NJW 1991, 1673 (1674); Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 66; MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 47; Erman/Palm, § 123 Rn. 59. 225

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der Anlaß231 für die Erklärungsabgabe gewesen sein.232 Kausalität ist daher gegeben, wenn der Bedrohte die Erklärung ohne Drohung überhaupt nicht, mit einem anderen Inhalt oder zu einem anderen Zeitpunkt abgegeben hätte. 233 Der Kausalzusammenhang zwischen Drohung und Erklärungsabgabe ist subjektiv zu bestimmen, d. h. aus der Sicht des Bedrohten.234 Es ist daher nicht relevant, ob auch ein besonnener Dritter an der Stelle des Bedrohten durch die Drohung beeinflußt worden wäre. 235 Eine wie auch immer geartete Objektivierung auf seiten des Bedrohten findet nicht statt. b) Mit Blick auf die Sprachenfrage kommt es zunächst darauf an, ob der Erklärende den Sinn der Drohung irgendwie – und sei es nur durch die Gestik und Mimik des Drohenden – aufzufassen vermochte. Ist das der Fall, dürfte die Drohung eher von Erfolg gekrönt sein als bei einem sprachkundigen Drohungsopfer, von dem möglicherweise erwartet werden kann, daß es der Drohung in „besonnener Selbstbehauptung“ standhält. Ein Sprachunkundiger ist zumeist nicht nur in seinem Ausdruck behindert, sondern es fehlt ihm gegebenenfalls auch der kulturelle, geschäftliche und rechtliche Hintergrund, um sich dem Verlangen des Drohenden nicht unterzuordnen. Der erforderliche subjektive Kausalzusammenhang wäre danach gegeben. 3. Widerrechtlichkeit der Drohung Die Drohung muß „widerrechtlich“ sein, d. h. sie muß als rechtswidriger Eingriff in die freie Selbstbestimmung des Bedrohten qualifiziert werden können.236 Die Widerrechtlichkeit ist gleichbedeutend mit sozialer Inadäquanz.237 a) Die Drohung ist zunächst dann widerrechtlich, wenn eine rechtswidrige Handlung angedroht wird, sog. Drohung mit einem unerlaubten Mittel.238 b) Die Drohung ist außerdem widerrechtlich, wenn der angestrebte Erfolg, also die vom Bedrohten abzugebende Willenserklärung, rechtswidrig ist, sog. Drohung mit einem unerlaubten Zweck bzw. unerlaubten angestrebten Er231

Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 28. Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 43. 233 RGZ 134, 43 (51); BGHZ 2, 287 (299); Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 66; Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 28. Es fehlt daher an der Kausalität, wenn der Bedrohte die Willenserklärung auch aus eigenem Willensentschluß abgegeben hätte sowie wenn er die Erklärung nicht abgibt (Larenz/Wolf, ebd.). 234 Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 66; Erman/Palm, § 123 Rn. 58; siehe auch Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 43: Maßgebend für die bestimmende Wirkung der Drohung sei die subjektive Veranlagung des sich bedroht Fühlenden. 235 Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 66. 236 Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 34; ausführlich zur Widerrechtlichkeit S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 351 ff. 237 S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 352. 238 MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 42; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 68; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 45; Erman/Palm, § 123 Rn. 61; Medicus, BGB AT, Rn. 815; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 613). 232

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folg.239 In diesen Fällen sind regelmäßig auch die §§ 134, 138 BGB einschlägig, so daß es der Anfechtung nicht bedarf. 240 c) Eine widerrechtliche Drohung kann weiter vorliegen, wenn das angedrohte Übel als solches nicht rechtswidrig ist, wie beispielsweise die Einreichung einer Strafanzeige, sog. Drohung mit einem erlaubten Mittel. 241 Hier kann sich die Widerrechtlichkeit der Drohung nur aus der Verbindung des an sich erlaubten Mittels mit dem durch sie verfolgten Zweck ergeben. 242 Dies betrifft zunächst die Fälle des rechtlich mißbilligten Zwecks, darüber hinaus aber auch jene Fälle, in denen die Drohung mit einem erlaubten Mittel zur Erreichung eines an sich rechtlich nicht mißbilligten Zwecks geschieht, also bei Erlaubtheit von Mittel und Zweck.243 Bei den zuletzt genannten Fällen ergibt sich die Widerrechtlichkeit aus der Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation, also aus dem Einsatz dieses Mittels zur Erreichung des konkreten Zwecks. 244 Die Rechtswidrigkeit folgt nicht aus dem Gesetz, sondern aus einer Wertung, „die sich an der Verfassung und dem Gesetz sowie an der Verkehrsanschauung und an sittlichen Maßstäben orientiert“. 245 Die Rechtsprechung prüft die Angemessenheit oder Adäquanz, also die Frage, „ob der Drohende an der Erreichung des von ihm erstrebten Erfolges ein berechtigtes Interesse hat und ob die Drohung nach der Auffassung aller billig und gerecht Denkenden ein angemessenes Mittel darstellt“.246 Weiter ist zu untersuchen, ob der Drohende ein Recht auf das hat, was er mit seinem Verhalten erreichen wollte. Aber auch wenn er dieses Recht nicht haben sollte, kann sein Verhalten nach der besonderen Lage des Falles gerechtfertigt sein. Das kommt nach der Rechtsprechung unter anderem dann in Be239 MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 42; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 69; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 46; Erman/Palm, § 123 Rn. 62. Die Erklärung wird dann regelmäßig schon nach § 134 oder § 138 BGB nichtig sein, was die Anfechtbarkeit allerdings nicht hindert. 240 Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 37: Die Anfechtung hat „keine große praktische Bedeutung“. 241 Zum Problem der Drohung mit einer Strafanzeige siehe Flume, BGB AT, § 28, 2 c (S. 536 ff.); MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 43; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 71 („Paradebeispiel für die Inadäquanz von Mittel und Zweck“); Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 52; S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 355 f. 242 Flume, BGB AT, § 28, 2 b (S. 536); Medicus, BGB AT, Rn. 817. Beispiel: Drohung mit dem Ziel, den Bedrohten zur Teilnahme an einer Straftat zu bewegen. 243 Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 70 ff.; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 47 ff.; siehe BGHZ 25, 217 (219): Drohung mit Einreichung eines Strafanzeige zur Erlangung einer Bürgschaft. 244 BGH NJW 1982, 2301 (2302); BGH NJW 1983, 384 f.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 39 ff.; Medicus, BGB AT, Rn. 818 f.; siehe ferner Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 70 mit einer Konkretisierung anhand der wichtigsten Fallgruppen in den Rn. 71 ff.; siehe ferner Erman/Palm, § 123 Rn. 64 f., 66 ff. (Einzelfälle). 245 Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 39; S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 353 f.: Sozialadäquanz der Verknüpfung zwischen Mittel und Zweck nach den Kriterien von Treu und Glauben unter umfassender Würdigung der Umstände des Einzelfalls. 246 BGHZ 25, 217 (220) = NJW 1957, 1796; ebenso Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 30.

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tracht, wenn die Rechtsordnung dem Gläubiger zwar keinen durchsetzbaren Anspruch gewährt, die Sittenordnung dem Schuldner die Erfüllung aber nahelegt. Droht der Gläubiger in einem solchen Fall mit einem an sich erlaubten Mittel, so kann sein Verhalten beim Fehlen sonstiger Erschwerungsgründe noch als mit den guten Sitten vereinbar und daher als nicht rechtswidrig angesehen werden. 247 4. Subjektiver Tatbestand a) Subjektiv muß der Drohende die Erregung von Furcht bezwecken, 248 also vorsätzlich handeln.249 Er muß die von ihm geschaffene Zwangslage ausnutzen wollen, 250 und die Inaussichtstellung des angedrohten Übels muß sich auf die Abgabe einer konkreten Willenserklärung beziehen.251 b) Weiter muß der Drohende – nach Ansicht der Rechtsprechung – die Umstände kennen oder kennen müssen, auf Grund deren die Drohung zu mißbilligen ist.252 Befindet er sich hinsichtlich der Umstände im guten Glauben, fehlt es danach an einem Verschulden des Drohenden und zugleich an der Rechtswidrigkeit der Drohung. 253 Diese Ansicht verdient jedoch keine Zustimmung. 254 Für die Bejahung einer rechtswidrigen Beeinträchtigung der freien Selbstbestimmung des Erklärenden kann es nicht darauf ankommen, ob der Drohende hinsichtlich der Umstände, die die Widerrechtlichkeit seiner Drohung begründen, in gutem oder in bösem Glauben war. Entscheidend ist allein, ob die Entschließungsfreiheit des Bedrohten objektiv widerrechtlich beeinflußt wurde.255 Eine etwaige Gutgläubigkeit des Drohenden betreffend die Umstände, welche die Widerrechtlichkeit der Drohung begründen, hindert also die Anfechtung 247

BGH, ebd. (Fn. 246). Flume, BGB AT, § 28, 3 (S. 538); Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 77. 249 MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 40; Erman/Palm, § 123 Rn. 69. 250 Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 30. 251 Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 77. 252 BGHZ 25, 217 (224) = NJW 1957, 1796; ablehnend MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 46 m. w. N.; Flume, BGB AT, § 28, 3 (S. 539). 253 BGHZ 25, 217 (224). 254 So auch die überwiegende Ansicht in der Literatur, siehe Flume, BGB AT, § 28, 3 (S. 539); MüKo BGB/Kramer, § 123 Rn. 46 m. w. N.; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 78; Soergel/Hefermehl, § 123 Rn. 51; Erman/Palm, § 123 Rn. 70; Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 43; S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 358 f. m. w. N.; Medicus, BGB AT, Rn. 820; siehe ferner v. Tuhr, BGB AT II/1, § 68 (S. 603 f.), der dieses Ergebnis zutreffend daraus ableitet, daß der Grund der Anfechtbarkeit in der Beeinträchtigung des freien Willensentschlusses und nicht in der Rechtswidrigkeit oder sittlichen Verwerfl ichkeit der Täuschung oder Drohung liegt. Daher sei es nicht erforderlich, daß der Täuschende oder Drohende deliktsfähig oder sich der Unzulässigkeit seiner Handlung bewußt sei. 255 Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 78 und Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 43, jeweils mit der Begründung, daß § 123 BGB die Freiheit der Willensentschließung sichern, nicht aber eine Sanktion gegen den Drohenden verhängen wolle. 248

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des Bedrohten richtigerweise nicht.256 Entsprechendes gilt – wiederum entgegen der Rechtsprechung – 257 für einen Irrtum des Drohenden über Tatsachen, welche die Widerrechtlichkeit begründen. 258 Vielmehr ist insoweit folgender These aus der Literatur zuzustimmen: „Wer einen anderen vorsätzlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung zwingt, darf in keiner Weise auf die Bestandskraft des so zustandegekommenen Vertrags vertrauen.“259 c) Das Problem, ob es der Kenntnis der tatsächlichen Umstände bedarf, stellt sich im übrigen in vergleichbarer Weise bei § 138 BGB bei der Bewertung eines Rechtsgeschäfts als sittenwidrig. Die Rechtsprechung verlangt auch hier die Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände, 260 was ein erheblicher Teil der Literatur ablehnt. 261 5. Anfechtungsfrist Für die Drohungsanfechtung gilt die Jahresfrist des § 124 Abs. 1 BGB. 6. Unanwendbarkeit des § 123 Abs. 2 BGB bei der Drohungsanfechtung § 123 Abs. 2 BGB findet keine Anwendung auf die Anfechtung wegen Drohung. Wird die Drohung also durch einen Dritten begangen, die der Geschäftsgegner weder kannte noch kennen mußte, ist die Anfechtung wegen der vom Gesetzgeber besonders stark mißbilligten Beeinflussung des Willens zulässig.262 IV. Die Abgrenzung zwischen § 123 BGB und § 138 BGB 1. Die Notwendigkeit einer Abgrenzung Da im Fall der Anfechtung nach § 123 BGB das Rechtsgeschäft zunächst gültig bleibt, bestehen gewisse Abgrenzungsschwierigkeiten im Verhältnis zu § 138

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Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 78. BGHZ 25, 217 (224) = NJW 1957, 1796; BGH WM 1962, 843 (845). 258 Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 79 mit der zutreffenden Folgerung, daß das Risiko des schuldlosen Irrtums über die Widerrechtlichkeit vom Drohenden und nicht vom Bedrohten zu tragen ist; abweichend Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 44 unter Bezugnahme auf BAG AP § 123 BGB Nr. 8, 16 und 21. 259 S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 359. 260 Vgl. BGHZ 23, 184 (193 f.) = GRUR 1957, 355 (zu § 1 UWG a.F.); BGH LM Nr. 1, 3 zu § 138 BGB (Ca). 261 Medicus, BGB AT, Rn. 690; vgl. auch Oertmann, BGB AT, S. 486, 491 (zu § 138 BGB): Ob die Moralwidrigkeit des Geschäfts den Parteien bekannt oder auch nur erkennbar war, mache nichts aus. Die objektive Einschätzung des Geschäfts hänge davon in keiner Weise ab. Die subjektiv tadellosen, vielleicht höchst ehrenwerten Motive der Parteien könnten die Gültigkeit eines objektiv unsittlichen Geschäfts nicht retten. 262 Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 2. 257

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BGB, der die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts anordnet.263 Ist nämlich das Rechtsgeschäft nichtig, bedarf es regelmäßig keiner Anfechtung mehr. 264 2. Unterscheidung zwischen sittenwidrigem Inhalt des Rechtsgeschäfts und sittenwidrigem Parteiverhalten? a) In tatbestandlicher Hinsicht könnte bei der Abgrenzung zwischen § 123 Abs. 1 BGB und § 138 Abs. 1 BGB der Umstand Relevanz besitzen, daß bei ersterem immer das Verhalten einer natürlichen Person – also Täuschung oder Drohung – Anknüpfungspunkt der Bewertung ist, 265 während es bei § 138 Abs. 1 BGB nach dem Wortlaut der Vorschrift um die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts geht. 266 Ein Rechtsgeschäft kann danach wirksam sein, obwohl das Verhalten der Beteiligten sittlich vorwerfbar ist; umgekehrt kann das betreffende Rechtsgeschäft wegen seiner unerträglichen Folgen sittenwidrig sein, selbst wenn die Beteiligten damit hehre oder jedenfalls nicht vorwerfbare Absichten verfolgten.267 In den „Sprachrisiko“-Konstellationen sind verschiedene Fälle denkbar, in denen das Sittenwidrigkeitsurteil in inhaltlicher Hinsicht be263

Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 3 Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 37. 265 Um ein sittenwidriges Handeln geht es auch bei § 826 BGB; Flume, BGB AT, § 18, 2 (S. 368). – Der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB ist insoweit handlungsbezogen, als er neben dem objektiven Tatbestand (dem auffälligen Mißverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung) in subjektiver Hinsicht die bewußte Ausbeutung der Zwangslage, des Leichtsinn oder der Unerfahrenheit des anderen Teils verlangt. 266 BGHZ 53, 369 (375) = WM 1970, 798; Flume, BGB AT, § 18, 1 (S. 367) und § 18, 5 (S. 375); Medicus, BGB AT, Rn. 685. Die Protokolle (Bd. I, S. 257 f.) enthalten hierzu den abschwächenden Hinweis, daß – auch wenn die Motive der Parteien nicht derart zu berücksichtigen seien, daß ihre Handlungen einer sittenrichterlichen Kontrolle des Richters unterstellt würden – es im Einzelfall unerläßlich sei, die verwerfliche Gesinnung der Beteiligten nicht außer Acht zu lassen, weil erst durch die Hinzunahme dieses subjektiven Moments der Inhalt des Rechtsgeschäftes in das rechte Licht gesetzt würde. Die Rechtsprechung beurteilt das Rechtsgeschäft seit jeher nach seinem Gesamtcharakter, wobei Inhalt, Motive und Zweck in die Bewertung Eingang finden. Das führt sachlich aber nicht zu einer Abweichung von der im Text vertretenen Ansicht, wenn man mit Flume, a.a.O., § 18, 2 (S. 368) davon ausgeht, daß „es doch bei der Anwendung des § 138 immer um das Rechtsgeschäft als Regelung und nicht um rechtsgeschäftliches Handeln als solches [geht]“. Die Rechtsprechung – vor allem jene zur Schenkung bzw. Verfügung von Todes wegen an die Geliebte – hat sich aber nicht durchgängig an diese Erkenntnis gehalten; siehe z. B. BGHZ 20, 71 (73 f.) = NJW 1956, 865, wo ausdrücklich auf die unredliche Gesinnung des Erblassers abgestellt wurde; mit Recht kritisch dazu Flume, a.a.O., § 18, 5 (S. 375): „Gerade diese Rechtsprechung zeigt, wie gefährlich es ist, wenn man betreffs der Sittenwidrigkeit nicht auf das Rechtsgeschäft, sondern auf den sittlichen Vorwurf gegenüber den handelnden Personen abstellt. Tut man letzteres, so wird die richterliche Entscheidung zum Urteil über die Sittlichkeit von Personen. Zu einem solchen Urteil ist der Richter aber nicht berufen.“ 267 Medicus, BGB AT, Rn. 686; S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 330 mit Fn. 685 und S. 358; BGH NJW 1995, 1549 (1550) hat ausdrücklich klargestellt, daß der Begriff der Arglist durch die Einbeziehung des bedingten Vorsatzes auch Verhaltensweisen erfaßt, mit denen kein moralisches Unwerturteil verbunden sein muß. 264

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gründet ist. Man denke nur an den Fall, daß ein sprachunkundiger und geschäftsunerfahrener Ausländer einen Mietvertrag zu einem überhöhten Mietzins abschließt, der sich als wucherisch erweist. Die Sprachprobleme des Mieters sind dann freilich nicht die eigentliche Ursache für das Eingehen des wucherischen Mietvertrags. Denn diese Ursache liegt in der geschäftlichen Unerfahrenheit (vgl. § 138 Abs. 2 BGB) und der daraus resultierenden Unkenntnis der marktüblichen Miethöhe, so daß man derartige Sachverhalte nicht zu den „Sprachrisiko“-Fällen im engeren Sinn – bei denen die Sprache selbst das zu bewältigende Rechtsproblem verursacht – rechnen kann. Verallgemeinernd kann man aber sagen, daß die fehlende Sprachkunde im Zusammenwirken mit anderen Umständen zu einer besonders schwachen Verhandlungsposition des oder der Betroffenen führt, die letztlich in Verträge mündet, denen die Rechtsordnung in bestimmten Fällen die inhaltliche Anerkennung versagen muß. So hat denn die Rechtsprechung in den Fällen der Beteiligung sprachunkundiger Ausländer beispielsweise die Sittenwidrigkeit von Kredit-268 und Bürgschaftsverträgen 269 zu beurteilen gehabt. Das Problem der aus einer schwachen Verhandlungsposition der sprachunkundigen Partei resultierenden Sittenwidrigkeit des Vertragsinhalts stellt sich in besonderem Maße für Fallgestaltungen aus dem Bereich des ehelichen Güterrechts. Beispiele: Aus der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ergibt sich, daß die fehlende Sprachkunde der Frau die notarielle Vereinbarung des Güterstands der Gütertrennung für sich 268 OLG Celle BB 1995, 219 = OLGR Celle 1994, 290: sittenwidrige Mithaftung der einkommenslosen vietnamesischen sprachunkundigen Ehefrau und Mutter von vier Kindern ohne nennenswerte eigene Einkommensmöglichkeit für einen unternehmensbezogenen Kredit des Ehemannes bei öffentlich geförderter Kreditvergabe. 269 Siehe OLG Stuttgart VuR 1999, 276. In dem Fall hat das Gericht die Sittenwidrigkeit der durch sprachunkundige ausländische Eheleute übernommenen Bürgschaft verneint. Bemerkenswert ist insbesondere die Feststellung des OLG, daß auch aus der Sicht eines Ausländers, der die deutsche Sprache nicht oder nur unzureichend beherrscht, die Vorlage einer Urkunde zur Unterschrift eine Warnfunktion in dem Sinne habe, daß von ihm eine rechtlich bedeutsame Erklärung erwartet wird. Die bloße Vorlage eines Bürgschaftsformulars an einen sprachunkundigen Ausländer begründet die Sittenwidrigkeit somit nicht (vgl. auch BGH NJW 1995, 190 und BGH NJW 1997, 3230). Der Fall gehört somit thematisch zu dem im Text erläuterten Bereich der Inhaltssittenwidrigkeit. In casu scheiterte die Feststellung eines Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB daran, daß aus der Sicht des Gerichts keine fi nanzielle Überforderung der Eheleute durch die Bürgschaft – es handelte sich um eine Höchstbetragsbürgschaft über 30.000 DM – vorlag, wenn man auf die Vermögensverhältnisse beider Ehegatten abstellte. Eine krasse Überforderung der Eheleute hätte erst vorgelegen, wenn diese nicht in der Lage gewesen wären – gerechnet ab Fälligkeit der Bürgschaftsforderung – innerhalb von fünf Jahren voraussichtlich wenigstens ein Viertel der Hauptschuld ohne Zinsen abzutragen (vgl. BGHZ 132, 328, 336 = WM 1996, 1124). Bezogen auf die Bürgschaftssumme von 30.000 DM hätte das in dem Fall bedeutet, daß die Eheleute hätten außer Stande sein müssen, monatlich 125 DM aufzubringen. – Zur Bürgschaft sprachunkundiger Ausländer siehe auch LG Rostock v. 22. 7. 1998 – 1 S 343/97 (juris), wo ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB bejaht wird.

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genommen nicht sittenwidrig macht. 270 Anders kann es liegen, wenn es sich „um den regelmäßig problematischen Fall eines Globalverzichtes auf Unterhalt, Versorgungsausgleich und Zugewinn“ handelt. 271 Auch kann die fehlende Sprachkunde im Zusammenwirken mit anderen Umständen nach der Rechtsprechung zu der Bejahung der Sittenwidrigkeit führen, z. B. wenn das Paar gemeinsame Kinder hat oder wenn die Frau schwanger ist. 272 Der BGH hat in einer neueren Entscheidung einen durch Ehevertrag erklärten Unterhaltsverzicht durch eine der deutschen Sprache unkundige, aus Rußland stammende Ehefrau und Mutter 273 , die an einer unheilbaren Krankheit litt, für gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam gehalten. 274 Die Vorinstanz, das OLG Koblenz, hatte den Unterhaltsverzicht für mit § 138 Abs. 1 BGB noch vereinbar gehalten. Eine durch mangelnde Sprachkenntnisse der Frau bedingte Unterlegenheit sei nicht ersichtlich gewesen, da eine Dolmetscherin bei der Beurkundung des Vertrags zugegen gewesen sei, die die notarielle Niederschrift übersetzt habe. Das OLG war allerdings der Meinung, daß sich der Unterhaltsverzicht im Zeitpunkt der Trennung der Parteien als evident einseitige Lastenverteilung darstelle, die der Frau nicht zumutbar sei, so daß es ihr den Schutz der gesetzlichen Regelung über den nachehelichen Unterhalt – in Gestalt des für sie existentiell bedeutsamen Krankheitsunterhalts (§ 1572 Nr. 1 BGB) – angedeihen ließ. Der BGH hielt den vertraglich vereinbarten Unterhaltsverzicht hingegen wie dargelegt für sittenwidrig. Zwar gehöre es zum grundgesetzlich verbürgten Recht der Ehegatten, ihre eheliche Lebensgemeinschaft eigenverantwortlich und frei von gesetzlichen Vorgaben entsprechend ihren individuellen Vorstellungen und Bedürfnissen zu gestalten. Die auf die Scheidungsfolgen bezogene Vertragsfreiheit entspringe insoweit dem legitimen Bedürfnis, Abweichungen von den gesetzlich geregelten Scheidungsfolgen zu vereinbaren, die zu dem individuellen Ehebild der Ehegatten besser paßten. Diese Grundsätze bedeuteten aber nicht, daß sich ein Ehegatte über einen ehevertraglichen Verzicht von jeder Verantwortung für seinen aus dem Ausland eingereisten Ehegatten in Fällen freizeichnen 270

OLG Köln FamRZ 2002, 457. OLG Köln FamRZ 2002, 457. 272 Siehe OLG Frankfurt NJWE-FER 1999, 230, red. Leitsatz: „Ein notarieller Ehevertrag mit einem Verzicht auf Unterhalt und Zugewinnausgleich kann wegen Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB nichtig sein, wenn die rechtlich unerfahrene Ehefrau nur über unzureichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt und die Parteien ein gemeinsames zweijähriges Kind haben.“ Das OLG stellte in seiner Entscheidung darauf ab, daß mit dem Verzicht auf den Ehegattenunterhalt für den Fall der Trennung und Scheidung trotz betreuungsbedürftiger Kinder zugleich in deren Rechtsstellung eingegriffen werde, weil die Mutter nach Trennung ohne Unterhalt nicht in der Lage wäre, die altersgemäße Betreuung der Kinder hinreichend zu sichern, da sie ihren vollen Unterhalt durch Erwerbstätigkeit erlangen müßte. Wegen des bereits vorhandenen Kleinkindes hätten die Parteien mit dem Eintritt dieses Zustandes jederzeit rechnen müssen, so daß der Verzicht auf jeglichen Unterhalt und Zugewinn – als mögliche Ersatzsicherung nach einer Scheidung – als gegen die guten Sitten verstoßende Benachteiligung der ASt. (der aus der damaligen CSSR stammenden Ehefrau) zu beurteilen sei. Hinzu kam, daß die ASt. aufgrund ihres Alters (21 Jahre) in Rechtsdingen unerfahren gewesen sei und zumindest bezüglich rechtlicher Formulierungen und der daraus zu ziehenden Konsequenzen nicht über eine ausreichende Sprachkompetenz verfügt habe. Es handele sich um einen Fall von „strukturell ungleicher Verhandlungsstärke“ i. S. der Rechtsprechung des BVerfG. 273 Die Frau hatte ihren 1988 geborenen Sohn in die 1997 geschlossene Ehe mit eingebracht. Weitere Kinder waren aus der Verbindung nicht hervorgegangen. 274 BGH NJW 2007, 907. 271

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kann, in denen dieser seine bisherige Heimat endgültig verlassen hat, in Deutschland – jedenfalls auch – im Hinblick auf die Eheschließung ansässig geworden ist und wenn schon bei Vertragsschluss die Möglichkeit nicht fernlag, daß er sich – etwa auf Grund mangelnder Sprachkenntnisse, auf Grund seiner Ausbildung oder auch infolge einer Krankheit – im Falle des Scheiterns der Ehe nicht selbst werde unterhalten können. Auch wenn in einem solchen Fall die mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache, die fehlende oder in Deutschland nicht verwertbare berufliche Ausbildung oder die Krankheit dieses Ehegatten als solche nicht ehebedingt sei, so sei doch die konkrete Bedarfssituation, in die dieser Ehegatte mit der Trennung oder Scheidung gerate, eine mittelbare Folge der Eheschließung. Es widerspreche der nachehelichen Solidarität, den früheren Ehegatten, der erst im Hinblick auf die Eheschließung in Deutschland ansässig wurde, die Folgen einer hier eingetretenen und bei Abschluss des Ehevertrags zumindest vorhersehbaren Bedürftigkeit allein tragen zu lassen. In dem Fall habe sich die Frau, so der XII. Zivilsenat, in einer deutlich schwächeren Verhandlungsposition befunden, weil sie ohne die Eheschließung weder eine unbefristete Aufenthalts- noch eine Arbeitserlaubnis erhalten hätte und somit ihren Wunsch, im Inland zu bleiben, nicht hätte verwirklichen können. Außerdem sei bereits bei Abschluß des Ehevertrags absehbar gewesen, daß die der deutschen Sprache nicht mächtige Frau als Klavierlehrerin in Deutschland schwerlich Erwerbsmöglichkeiten finden würde, die ihr und ihrem Kind im Trennungsfall ein von dem Ehemann wirtschaftlich unabhängiges Auskommen hätten vermitteln können. Zudem habe bereits im Zeitpunkt des Unterhaltsverzichts festgestanden, daß sie an einer „untersuchungsbedürftigen Krankheit“ litt, die jedenfalls als „Skoliose und Bandscheibenproblematik“ angesehen wurde, bereits zu „Sensibilitätsstörungen“ geführt hatte und schon in dem auf die Eheschließung folgenden Monat als Multiple Sklerose sicher diagnostiziert wurde. Auch wenn man mit dem OLG davon ausgehe, daß die Schwere der Krankheit den Parteien bei Abschluß des Unterhaltsverzichts noch nicht bekannt gewesen sei, so habe doch das ihnen nach den Feststellungen des OLG unstreitig bekannte Krankheitsbild die Möglichkeit einer künftigen eingeschränkten Erwerbsfähigkeit der Frau zumindest nahegelegt. Der vereinbarte Unterhaltsverzicht, der auch nicht durch Gegenleistungen kompensiert wurde, verletzte nach Ansicht des BGH in sittenwidriger Weise das Gebot nachehelicher Solidarität. Dieses finde vorrangig im Unterhaltsanspruch wegen Krankheit, aber auch im Unterhaltsanspruch wegen Erwerbslosigkeit seinen Ausdruck. Die vertragliche Abbedingung dieser Unterhaltspflichten führe dazu, daß dem Unterhaltsverzicht wegen Sittenwidrigkeit die Anerkennung der Rechtsordnung zu versagen sei.

b) Vor dem Hintergrund, daß die „Sprachrisiko“-Fälle häufig durch ein moralisch vorwerfbares Handeln des sprachkundigen Gegners gekennzeichnet sind, kann der Unterschied zwischen den beiden genannten Vorschriften möglicherweise schon auf tatbestandlicher Ebene zu einer klaren Differenzierung führen. Man könnte beispielsweise dafür eintreten, daß im Fall des arglistigen „Unterschiebens“ einer vom Arbeitnehmer zu unterzeichnenden Ausgleichsquittung ein Verstoß gegen § 138 BGB deshalb ausscheidet, weil der Inhalt der Erklärungen – d. h. der Verzicht auf alle bestehenden Restforderungen und das Klagerecht – als solcher und für sich gesehen nicht dem Sittenwidrigkeitsurteil unterliegt.

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c) Allerdings unterfällt neben der sog. Inhaltssittenwidrigkeit auch die sog. Umstandssittenwidrigkeit dem § 138 Abs. 1 BGB.275 Eine strikte Unterscheidung zwischen einer auf dem Inhalt des Rechtsgeschäfts beruhenden Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB und einer auf einem Verhalten beruhenden Sittenwidrigkeit gemäß § 123 Abs. 1 BGB läßt sich deshalb nicht verwirklichen. Vielmehr kennt auch § 138 Abs. 1 BGB Fälle der auf dem Verhalten gründenden Sittenwidrigkeit.276 Die Rechtsprechung führt in aller Regel eine „Gesamtwürdigung des Verhaltens der Vertragsparteien nach Inhalt, Zweck und Beweggründen“ durch. 277 Ihres Erachtens genügt zur Nichtigkeit eines Vertrags „das sittenwidrige Verhalten des einen Vertragsteils, wenn das Anstößige gerade im Verhalten dieses Partners gegen den anderen besteht“.278 Dies gilt beispielsweise auch für Bürgschaften von sprachunkundigen Personen, die dem Hauptschuldner nahestehen. 279 Auch Kaufverträge mit sog. Aussiedlern, also Rußlanddeutschen, sind unter diesen Gesichtspunkten beurteilt worden. 280

275 MüKo BGB/Armbrüster, § 138 Rn. 9; S. Lorenz, FS Canaris, Bd. I, S. 777; aus der Rechtsprechung siehe BGH NJW-RR 1998, 590 = WM 1998, 513 (591) zur Sittenwidrigkeit eines Erlaßvertrags (nachträglicher Kaufpreiserlaß). 276 Vgl. MüKo BGB/Armbrüster, § 138 Rn. 9 zur Sittenwidrigkeit zwei- oder mehrseitiger Rechtsgeschäfte. 277 So wörtlich BGH NJW 1968, 1572 (1574); ebenso BGH NJW 2005, 2991 (2992); BGHZ 146, 298 (301) = NJW 2001, 1127; BGHZ 107, 92 (97) = NJW 1989, 1276; BGH NJW-RR 1998, 590 (591); BGHZ 86, 82 (88) = NJW 1983, 1851. 278 BGHZ 50, 63 (70) = WM 1968, 759 zu einem sittenwidrigen Erbvertrag; ebenso das Reichsgericht in st. Rspr. Zwar verlangte das Reichsgericht grundsätzlich, daß die subjektiven Voraussetzungen eines Sittenverstoßes auf beiden Seiten gegeben waren. Wenn der sittenwidrige Zweck nur von einem Vertragsteil verfolgt werde, ohne daß der andere davon Kenntnis habe, so sei das Geschäft nicht in seiner Gesamtheit unsittlich. Von dieser Regel sei jedoch eine Ausnahme für die Fälle zu machen, in denen die Unsittlichkeit des Handelns des einen Vertragsteils gerade in seinem Verhalten gegenüber dem anderen Vertragsteil zu finden sei (RGZ 98, 27, 30; RGZ 108, 213, 217; RGZ 114, 338, 341). 279 Siehe den Fall OLG Hamm NJW-RR 1991, 1141 betreffend die Bürgschaft einer der deutschen Sprache nicht mächtigen Frau zugunsten ihres Lebensgefährten i.H.v. mehr als 90.000 Euro. Die Bürgschaft war im Ergebnis nicht wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten gemäß § 138 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die Umstände der Begründung der Bürgschaftsverpflichtung unwirksam. Nach Ansicht des OLG stellt es zwar einen Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden dar, wenn die spätere Bürgin, ohne der deutschen Sprache mächtig zu sein, anläßlich eines Besuchs der Geschäftsräume der Bank unvorbereitet und unter Ausnutzung ihrer Verständigungsschwierigkeiten ohne Darlegung des Inhalts und Zwecks ihrer Erklärung zur Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde durch einen Mitarbeiter der Bank bestimmt worden wäre. Sie, der insoweit die Beweislast oblag, habe diese von ihr behaupteten Umstände aber nicht nachweisen können. 280 AG Siegen NJW-RR 2000, 1653: sittenwidriger Kaufvertrag mit einer Rußlanddeutschen mit einer Bruttorente von 1.400 DM über Bettzeug zu 3.300 DM. In dem Fall ergab sich die Sittenwidrigkeit aus dem Zusammentreffen mehrer Umstände im Rahmen einer Gesamtschau (Überrumpelungssituation; Unvereinbarkeit des Vertrages mit den Bedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten der Beklagten; Ausnutzung der Unerfahrenheit und Ungewandtheit der Beklagten im Geschäftsverkehr durch die Klägerin in einer verwerfl ichen Weise).

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d) Überträgt man die allgemeinen Aussagen der Rechtsprechung zur Umstandssittenwidrigkeit auf die „Sprachrisiko“-Problematik, so läßt sich vertreten, daß ein Fall des § 138 Abs. 1 BGB beispielsweise auch dann vorliegt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordert, den Empfang der Arbeitspapiere und des Restlohns zu quittieren und ihm dabei unbemerkt 281 eine Ausgleichsquittung „unterschiebt“. 282 Im Schrifttum wird jedoch – unter fragwürdiger Berufung auf die neuere Rechtsprechung des BGH – 283 ein abweichendes Konzept propagiert. Der Begriff der Umstandssittenwidrigkeit führt danach nicht zu einer reinen Abschlußkontrolle, sondern verfeinert lediglich die durch § 138 BGB bezweckte Inhaltskontrolle.284 Die Art und Weise eines Rechtsgeschäfts kann demnach für sich genommen nie nichtigkeitsbegründend sein, d. h. ein Vertrag unterfällt nie allein wegen der Art und Weise seines Zustandekommens dem Sittenwidrigkeitsverdikt. 285 Die Nichtberücksichtigung der „bloßen“ Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit in § 138 BGB ergebe sich dabei aus dem Konkurrenzverhältnis zu § 123 BGB und daraus, daß § 138 Abs. 1 BGB die Vertragsanbahnung als solche bereits tatbestandlich nicht erfasse.286 Folgt man dem, so wäre mit Flume konsequent festzustellen, daß es bei der Anwendung von § 138 BGB immer um das Rechtsgeschäft als Regelung und nicht um rechtsgeschäftliches Handeln als solches geht. 287 Diese Thesen überzeugen ungeachtet des Umstands, daß sie in der Rechtsprechung so bisher nicht bestätigt worden sind.288 Wenn nämlich schon die arglistige Täuschung und die rechtswidrige Drohung als schwerste denkbare Formen der Einflußnahme auf die freie Willensbildung lediglich zur Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts führen, kann das Ergebnis der Nichtigkeit eines Vertrags wohl nicht ganz isoliert aus den sittenwidrigen Umständen, d. h. aus dem verwerflichen Verhalten eines Kontra281 Z. B. weil der Unterzeichner ohne Lesebrille nicht in der Lage ist, den zu unterzeichnenden Text zu verstehen, oder weil er die Formulierungen inhaltlich nicht erfassen kann, weil seine Sprachkenntnis unzureichend ist. 282 So Neumann, DB 1960, 1453. 283 BGHZ 110, 156 (174) = GRUR 1990, 522 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz zu § 1 UWG a.F. 284 S. Lorenz, FS Canaris, Bd. I, S. 777. 285 S. Lorenz, FS Canaris, Bd. I, S. 777. 286 S. Lorenz, FS Canaris, Bd. I, S. 777 f. 287 Flume, BGB AT, § 18, 2 (S. 368). 288 So geht beispielsweise OLG Köln FamRZ 2002, 457 davon aus, daß die §§ 119 und 123 BGB dem § 138 BGB als Sondervorschriften vorgehen. In dem Kaufpreiserlaßfall BGH NJWRR 1998, 590 (591) geht der BGH eindeutig in eine andere Richtung, indem er die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB bejaht: „Das Unwerturteil folgt hier weniger aus dem objektiven Inhalt des Geschäfts, sondern den Motiven der Kl. und den von ihnen verfolgten Zwecken und der Art und Weise ihres Vorgehens. Es war den Kl. zwar nicht verwehrt, mit ihrem Geschäftspartner über eine Kaufpreisreduzierung zu verhandeln und diese auch zu erreichen. Sie durften aber nicht die ihnen bekannte intellektuelle Unterlegenheit und Willensschwäche ihres Partners mit sittenwidrigen Methoden ausnutzen und daraus Vorteile ziehen (vgl. auch BGH, BGHR BGB § 138 I – Ausnutzung 1).“

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henten während des Vertragsanbahnungsprozesses, hergeleitet werden.289 Die Gegenthese läßt sich allenfalls mit dem Argument rechtfertigen, daß es Schutzlücken in den Fällen der Ausnutzung der intellektuellen Unterlegenheit des Vertragspartners zu schließen gilt, wenn und soweit es an den Voraussetzungen einer Täuschung oder Drohung fehlt. Solche Fälle dürften aber nur selten auftreten. 290 Bei einer untergeschobenen Ausgleichsquittung ist – weil es an einer „inhaltlichen Sittenwidrigkeit“ des Vertrags fehlt – nach hier vertretener Auffassung nicht § 138 Abs. 1 BGB, sondern § 123 Abs. 1 BGB erfüllt. Es bleibt also dem Arbeitnehmer vorbehalten, die Nichtigkeit seiner Erklärungen durch Anfechtung herbeizuführen. Ausgehend von der wie gezeigt keineswegs einheitlichen Rechtsprechung291 erscheint es allerdings nicht ausgeschlossen, daß von einem Gericht in einer solchen Situation aus dem Verhalten des Arbeitgebers – d. h. aus den „Umständen“ bzw. dem „Gesamtcharakter“ – im Einzelfall auf die Sittenwidrigkeit des Anspruchsverzichts geschlossen werden könnte. Es kann festgestellt werden, daß es Wissenschaft und Rechtsprechung bislang nicht vermocht haben, klare und eindeutige Kriterien für die Abgrenzung zwischen der Täuschungsalternative des § 123 Abs. 1 BGB und § 138 Abs. 1 BGB zu entwikkeln. 3. Weitere mögliche Abgrenzungsmerkmale Ein weiteres, für die „Sprachrisiko“-Problematik allerdings wenig relevantes Unterscheidungsmerkmal zwischen § 138 BGB und § 123 BGB liegt darin, daß der Zeitpunkt der Sittenwidrigkeit – bei maßgeblicher Änderung der Umstände des Rechtsgeschäfts – auch noch lange nach dessen Abschluß eintreten kann, z. B. bezüglich der Änderung der zulässigen Höhe von Darlehenszinsen. Bei § 123 Abs. 1 BGB ist hinsichtlich der Beurteilung der Frage, ob die Rechtslage des Getäuschten beeinträchtigt ist, dagegen auf den Zeitpunkt der Abgabe der 289

Vgl. S. Lorenz, FS Canaris, Bd. I, S. 777 (777 f., 782). Vgl. nochmals BGH NJW-RR 1998, 590 (591), wo das Abgrenzungsproblem nicht thematisiert wird. Eine Schutzlücke wäre in dem Fall auch nicht aufgetreten, da die Kläger ihr Ziel (die Kaufpreisreduzierung) in ein negatives Schuldanerkenntnis „versteckt“ und durch den Hinweis auf die erfolgte Arbeitsvermittlung noch den Eindruck erweckt hatten, als beziehe sich die Bestätigung allein auf die Erfüllung dieser Verpfl ichtung und bereits gezahlter Beträge. Es lag nach Ansicht des BGH eine bewußte, jedenfalls aber eine grob fahrlässige, Verschleierungstaktik vor. 291 Unklar ist die Abgrenzung, die in BGH NJW 2005, 2991 (2992) vorgenommen wird: „Liegt dem Vertragsschluss eine arglistige Täuschung (. . .) zu Grunde, müssen zudem besondere Umstände zu der durch arglistige Täuschung bewirkten Willensbeeinfl ussung hinzukommen, die das Geschäft nach seinem Gesamtcharakter als sittenwidrig erscheinen lassen, damit § 138 I BGB neben § 123 BGB anwendbar ist.“; ebenso BGH NJW 1995, 3315 und BGH NJW 1995, 1425; mit Recht kritisch S. Lorenz, FS Canaris, Bd. I, S. 777 (783): „Damit wird die Abgrenzung von § 138 Abs. 1 zu § 123 BGB zu einem reinen Lippenbekenntnis, weil der BGH in casu die Sittenwidrigkeit allein auf vertragsanbahnungsbezogene Elemente, nämlich die ‚systematische Schwächung der Entscheidungsfreiheit‘ stützt.“ 290

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Anfechtungserklärung, 292 also auf den Zeitpunkt der Ausübung des Gestaltungsrechts, abzustellen. Sind die Anfechtungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Abgabe gegeben, wirkt die Erklärung nach § 142 Abs. 1 BGB zurück. V. Die Irrtumsanfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB 1. Entwicklung und Regelungsgehalt a) Die Irrtumsanfechtung und der Risikogedanke Die Frage, wem das Risiko eines Irrtums betreffend den Inhalt einer Willenserklärung zugewiesen werden soll, wird in der Literatur zutreffend als „eine der zentralsten, gleichzeitig aber auch kontroversesten der gesamten Rechtsgeschäftslehre“ bezeichnet. 293 Das Problem der Zulässigkeit der Anfechtung in den „Sprachrisiko“-Fällen ist ein Teil dieser Kontroverse, deren grundsätzliche Klärung in Literatur und Rechtsprechung bis heute nicht vollständig gelungen ist. Das „Sprachrisiko“ als Irrtumsrisiko erweist sich damit zugleich als Teilproblem der „modernen“ Irrtumslehre, 294 die dadurch gekennzeichnet ist, daß sie sich von einer rein begrifflichen Unterscheidung zwischen den verschiedenen Irrtumskategorien emanzipiert hat, 295 ohne den sog. „Risikogedanken“296 in den geltenden Regelungen des § 119 Abs. 1 und 2 BGB voll zu implementie-

292 BGH NJW 2000, 2894 (LS): „Für die Frage, ob die Rechtslage des Getäuschten beeinträchtigt ist, kommt es auf den Zeitpunkt der Abgabe der Anfechtungserklärung an, nicht den des Zugangs.“ 293 MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 1. 294 Vgl. hierzu auch Art. 3.5 der UNIDROIT Grundregeln der internationalen Handelsverträge von 2004. 295 Siehe z. B. Staudinger/Singer, § 119 Rn. 4: Mit der Unterscheidung zwischen Erklärungs- und Motivirrtum ließen sich nicht alle Probleme sachgerecht lösen lassen. Insbesondere seien dort Korrekturen erforderlich, wo die Verantwortung für einen Motivirrtum nicht oder jedenfalls nicht allein bei dem Irrenden selbst liege. Auch sei die Grenzziehung zwischen Irrtümern in der Erklärungshandlung und im Stadium der Vorbereitung nicht immer leicht. 296 Vgl. dazu vor allem MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 113 ff. (in Anlehnung an die Irrtumsregeln der UNIDROIT Principles und das Europäische Vertragsrecht) und Titze, FS Heymann, Bd. II, S. 72 (98 ff.). Der von Kramer entwickelte, moderne risikoorientierte Ansatz ist im Ergebnis wegen eines zu großen Abstands zu der lex lata abzulehnen, so zutreffend Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 341; Staudinger/Singer, § 119 Rn. 4, 56 m. w. N.; S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 286 f. Kramer selbst gibt (a.a.O., Rn. 114) zu, daß sich die Anfechtung des Erklärungsirrtums nach § 119 Abs. 1 BGB de lege lata nicht mit Hilfe des Risikogedankens lösen läßt. Seine auf § 119 Abs. 2 BGB gemünzte „Lehre vom erweiterten Sachverhaltsirrtum“ entfernt sich aber zu weit von den geschriebenen Tatbestandsmerkmalen des § 119 Abs. 2 BGB (ebenso Medicus, BGB AT, Rn. 770). Dieser Vorwurf ist entgegen der Einschätzung Kramers keineswegs „methodisch zu engherzig“ (a.a.O., Rn. 116 a. E.). Die Übernahme der Ergebnisse der Entwicklungen aus dem internationalen Vertragsrecht würde vielmehr eine Gesetzesänderung erfordern; ebenso Fleischer, a.a.O., S. 342; Staudinger/Singer, a.a.O., § 119 Rn. 4.

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ren. In Grenzfällen kommt ergänzend eine „die tragenden Prinzipien des Irrtumsrechts wahrende, teleologische Rechtsfortbildung“297 in Betracht. b) Inhalts- und Erklärungsirrtum als Gegenstände der Irrtumsanfechtung § 119 Abs. 1 BGB regelt mit dem Inhalts- und dem Erklärungsirrtum zwei Fälle der Anfechtung wegen Irrtums, die man früher unter dem Oberbegriff des „Geschäftsirrtums“ zusammengefaßt hat.298 Die Vorschrift fußt auf Zitelmanns299 sog. „psychologischer“ Irrtumslehre,300 die ihrerseits als eine Fortentwicklung der Lehren Savignys 301 verstanden wird. Das Ergebnis der objektiv-normativen Auslegung unterliegt der Anfechtung wegen Inhaltsirrtums, wenn der Erklärende einem Irrtum über die normative Bedeutung seiner Erklärung unterlegen ist.302 Bezogen auf die widerstreitenden Rechtsprinzipien der Selbstbestimmung303 einerseits und des Vertrauensschutzes und der Verkehrssicherheit andererseits statuiert § 119 Abs. 1 BGB damit den Vorrang der ersteren.304

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Staudinger/Singer, § 119 Rn. 5 mit Beispielen für eine solche Vorgehensweise. Titze, FS Heymann, Bd. II, S. 72 ff., passim. 299 Irrtum und Rechtsgeschäft (1879). 300 Titze, FS Heymann, Bd. II, S. 72 (78 mit Anm. 11): „In reinster Form hat diese ‚Psychologie in der Jurisprudenz‘ ihren gesetzgeberischen Ausdruck in § 119 Abs. 1 des deutschen BGB gefunden, der das Anfechtungsrecht davon abhängig macht, daß jemand ‚bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte‘ – eine Defi nition des Geschäftsirrtums, die ohne Studium der Begriffe ‚Absichtsirrtum‘ und ‚Bewußtseinsirrtum‘ kaum verständlich ist.“ 301 Savigny, System, Bd. 3, passim. 302 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 43. 303 An der Selbstbestimmung fehlt es nicht etwa deshalb, weil der Erklärende einem Irrtum unterlegen ist, denn auch wer eine Erklärung unter dem Einfluß eines Irrtums abgibt, „setzt (. . .) noch in Selbstbestimmung eine Regelung in Geltung; seine Selbstbestimmung ist zwar fehlerhaft, doch hört sie darum nicht auf, Selbstbestimmung zu sein“, wie Canaris, Vertrauenshaftung, S. 422 zutreffend feststellt; kritisch Oechsler, Gerechtigkeit im mod. Austauschvertrag, S. 256, der für eine vertrauensschützende Begründung des § 119 BGB eintritt. Diese stützt er darauf, daß der konkrete Inhalt der nach § 119 Abs. 1 BGB anfechtbaren Willenserklärung „ganz offensichtlich nicht auf dem Geltungswillen des Erklärenden, sondern auf den Verständnismöglichkeiten des Erklärungsempfängers“ beruht. Das ist zwar richtig, gleichwohl ist eine vertrauensschützende Begründung des § 119 Abs. 1 BGB – mindestens in terminologischer Hinsicht – problematisch, weil doch das Vertrauen des Rechtsverkehrs auf den Bestand der Erklärung („pacta sunt servanda“) durch diese Vorschrift im praktischen Ergebnis (= Kassation) gerade nicht geschützt wird; vgl. auch die Kritik bei Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 69 f. und die Replik von Oechsler, a.a.O., S. 256 f. 304 Siehe Staudinger/Singer, § 119 Rn. 43 mit der zutreffenden Ergänzung, daß dieser Vorrang auch bei objektiv eindeutigen Erklärungen gilt. Der Präzisionsgrad aus der objektiven Empfängerperspektive spielt für die Anfechtung keine entscheidende Rolle, sofern die Erklärung nicht perplex und deshalb ohnehin nichtig ist. 298

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2. Die Sprachenproblematik im Rahmen der Irrtumsanfechtung Im Hinblick auf die Sprachenproblematik sind zunächst diejenigen Fälle, in denen der andere Teil die Sprachunkenntnis des Erklärenden nicht erkannt hat bzw. in denen das Erkennen zumindest vom Erklärenden nicht bewiesen werden kann, unter dem Gesichtspunkt der Anfechtbarkeit wegen Irrtums zu untersuchen.305 Wenn die Parteien einer Erklärung unterschiedliche Bedeutungen beigelegt haben, ist der nach den Grundsätzen der normativen Auslegung ermittelte Erklärungsinhalt maßgeblich.306 Hat der Erklärende seiner eigenen Erklärung307 einen davon abweichenden Sinn beigelegt, kommt eine Irrtumsanfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB in Betracht,308 denn nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Erklärende im Fall der fehlerhaften Selbstbestimmung nicht gegen seinen Willen an einer Erklärung festgehalten werden, die seinem Geschäftswillen 309 nicht entspricht.310 3. Die Anfechtung wegen Inhaltsirrtums, § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB a) Überblick Die erste Alternative des § 119 Abs. 1 BGB, der sog. Inhaltsirrtum, ist dadurch gekennzeichnet, daß der Erklärende die Erklärung so wie sie lautet abgeben wollte, daß er ihr aber inhaltlich eine andere Bedeutung zugemessen hat.311 Der Erklärende meint also, seine Erklärung habe den Sinn X, während ihr in Wahrheit im Rechtsverkehr bei normativer Auslegung der Sinn Y zukommt.312 Beispiel: 313 Die F, eine iranische Staatsangehörige, besuchte seit dem Jahr 1980 mehrmals ihren in Deutschland lebenden Vetter M, der ebenfalls aus dem Iran stammte und der die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatte. Im August 1980 eröffnete F ein Sparkonto bei der Bank B, die auch in Geschäftsverbindung mit dem M stand. Im März 1985 unterzeichnete die F, die von M begleitet wurde, in den Geschäftsräumen der B ein von dieser 305 Ebenso Jancke, Sprachrisiko, S. 249 f. (zur Anfechtung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber). 306 Flume, BGB AT, § 21, 2 (S. 418); Brox/Walker, BGB AT, Rn. 409. 307 Flume, BGB AT, § 21, 4 (S. 419): „Beachtlich ist immer nur der Irrtum hinsichtlich der eigenen Erklärung, nicht aber das irrtümliche Verständnis der Erklärung des anderen.“ 308 Flume, BGB AT, § 21, 2 (S. 418). 309 Wie bereits ausgeführt, ist das Erklärungsbewußtsein gegeben. Was fehlt, ist der Geschäftswille. 310 Brox/Walker, BGB AT, Rn. 407. 311 Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 20; Erman/Palm, § 119 Rn. 34. Ältere Bezeichnungen dieser Irrtumsart sind „Irrtum in der Absicht“ (bzw. „Absichtsirrtum“) und „error in judicando“, siehe Titze, FS Heymann, Bd. II, S. 72 (78). 312 Flume, BGB AT, § 21, 3 (S. 418); Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 17. 313 Nach BGH NJW 1995, 190 und BGH NJW 1997, 3230. In dem Beispiel bleibt zunächst außer Betracht, daß die Bürgin sich der Hilfe ihres sprachkundigen Vetters als Dolmetscher bedient hatte.

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vorgelegtes, in deutscher Sprache verfaßtes Bürgschaftsformular. Dessen Inhalt hatte die B vor der Unterschrift der F gegenüber weder erläutert noch übersetzt. Gemäß der Urkunde verbürgte sich die F selbstschuldnerisch ohne eine zeitliche oder betragsmäßige Begrenzung für alle bestehenden und künftigen Forderungen der Bank aus deren Geschäftsverbindung mit M und dessen Ehefrau. Im April 1985 gewährte die B den Hauptschuldnern ein Darlehen in Höhe von 800.000 DM zur Finanzierung eines Hauskaufs. Da M und seine Frau das Darlehen nicht zurückzahlen konnten, nahm B die F aus der Bürgschaft in Anspruch. Die F trug im Prozeß vor, sie sei bei Unterzeichnung der Erklärung im März 1985 – aufgrund einer entsprechenden Mitteilung des M – davon ausgegangen, daß es sich um eine formelle Unterschrift für ihre Geldanlage bei der B (Sparkonto) gehandelt habe; zu diesem Zeitpunkt sei ihr unbekannt gewesen, daß die Hauptschuldner kurz zuvor ein Haus gekauft hatten und daß die B den Kaufpreis finanzieren sollte. Der Vortrag der F begründet, wenn man ihn als wahr unterstellt, einen Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB), da sie sich über den Inhalt des unterzeichneten Schriftstücks eine bestimmte, jedoch unrichtige Vorstellung gemacht hat.314 Nahm F an, daß sie mit ihrer Unterschrift ein Rechtsgeschäft bezüglich ihres Sparbuchs oder ihr Sparguthaben vornahm, so hat sie nicht gewußt, daß sie eine Bürgschaftsverpfl ichtung einging. In beiden Fällen hat F, ohne dies zu bemerken, etwas anderes zum Ausdruck gebracht, als das, was sie in Wirklichkeit hatte erklären wollen. Sie hat sich darüber geirrt, welche Bedeutung ihrer Erklärung im Rechtsverkehr zukam. 315 Der Irrtum war für die Unterzeichnung der Urkunde ursächlich, denn die F hätte bei wahrer Kenntnis der Sachlage – ungeachtet einer gegenüber M bestehenden Dankesschuld, die in der Vermittlung einer schmerzlindernden Rückenoperation begründet lag – keine Bürgschaftsverpflichtung i.H.v. 800.000 DM unterschrieben.316

b) Die von der Irrtumsanfechtung auszunehmenden Fälle Die Einordnung als Irrtum i. S. des § 119 Abs. 1 BGB setzt zunächst voraus, daß weder ein Fall des Dissenses317 noch ein Fall der falsa demonstratio318 , also ein 314

So auch BGH NJW 1995, 190 (191). So BGH NJW 1995, 190 (191). 316 Nach Meinung des BGH in NJW 1995, 190 (191) stand es zu einer solchen Dankesschuld außer Verhältnis, daß die Beklagte für Verbindlichkeiten der Hauptschuldner i.H.v. 800.000 DM für den Hauskauf und darüber hinaus für weitere Schulden aus dem finanzierten Erwerb von drei Eigentumswohnungen einstehen sollte. 317 Da Willenserklärungen nicht nach den subjektiven Vorstellungen der Parteien, sondern normativ auszulegen sind, kann es trotz fehlender Willensübereinstimmung infolge der Übereinstimmung des objektiv Erklärten zum Vertragsschluß kommen. Dann steht dem Irrenden ein Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 1 BGB zu, mit der Folge der Verpfl ichtung zum Schadensersatz gemäß § 122 Abs. 1 BGB. Auch ein beiderseitig getrennter Irrtum begründet keinen Dissens, wenn nur der normative Wortsinn übereinstimmt. In diesem Fall steht beiden Vertragspartnern die Anfechtungsmöglichkeit nach § 119 Abs. 1 BGB zu, siehe Flume, BGB AT, § 23, 5 (S. 471); Staudinger/Singer, § 119 Rn. 42; Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 18; Diederichsen, FS Hübner, S. 421 (425); Titze, Mißverständnis, S. 421; a. A. MüKo BGB/Kramer, § 155 Rn. 13 und Bailas, Das Problem der Vertragsschließung und der vertragsbegründende Akt, S. 19 ff., die § 155 BGB anwenden wollen. Ein versteckter Dissens ist nur dann anzunehmen, wenn sich weder die individuellen Vorstellungen der Parteien noch der durch Auslegung ermittelte objektiv-normative Wortsinn der Erklärungen decken, so Staudinger/Singer, ebd.; BGH LM § 155 Nr. 1 und Nr. 2; Staudinger/Bork, § 155 Rn. 3. 315

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übereinstimmender Irrtum,319 gegeben ist. Weiter ist erforderlich, daß der Erklärungsempfänger den wahren Willen des Erklärenden auch nicht erkannt hat, weil dann der Erklärungsgehalt der „individuellen Auslegung“ durch den Empfänger – eben das vom Erklärenden wirklich Gewollte – entsprechend dem Vorrang der Auslegung maßgeblich wäre.320 Ob aber überhaupt ein Irrtum über die Bedeutung der Erklärung vorliegt, kann nur durch Auslegung festgestellt werden.321 318

c) Der sog. Verlautbarungsirrtum (einschließlich des Unterschriftsirrtums) Zu den Inhaltsirrtümern rechnet auch der sog. Verlautbarungsirrtum, d. h. der Irrtum des Erklärenden über den Sinn der von ihm verwendeten Erklärungsmittel.322 Das bedeutet, daß der Erklärende seinen Worten bzw. Zeichen einen anderen Sinn beilegt, als sie aus der objektiven Empfängersicht haben,323 so daß es am Erklärungsbewußtsein fehlt.324 Schulbeispiel ist der von Isay325 erfundene, bekannte „Trierer Weinversteigerungsfall“. Ein sprachenbedingter Verlautbarungsirrtum kommt zunächst bei der Verwendung von unzureichend beherrschten Fremdsprachen durch den Erklärenden 326 in Betracht, außerdem bei der Verwechslung von Maß-, Gewichts- und Münzeinheiten (Währungen).327 318

Siehe dazu Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 19. Flume, BGB AT, § 23, 5 (S. 471 f.). Der vom Reichsgericht zum offenen Kalkulationsirrtum entwickelten sog. „Lehre vom erweiterten Inhaltsirrtum“ (RGZ 64, 266, 268; RGZ 90, 268, 270; RGZ 101, 107, 108; RGZ 105, 406, 407; RGZ 116, 15, 18; RGZ 149, 235, 239; RGZ 162, 198, 201) hat der BGH in BGHZ 139, 177 (184) = NJW 1998, 3192 mit Recht eine Absage erteilt; allerdings hat er dabei eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) für möglich gehalten. 320 Siehe dazu Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 20; Medicus, BGB AT, Rn. 745. 321 Medicus, BGB AT, Rn. 745. 322 Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 22; Erman/Palm, § 119 Rn. 34: „Ein Irrtum dieser Art kommt insb bei der fehlerhaften Verwendung von Fachausdrücken oder fremdsprachigen Begriffen sowie von Maßeinheiten in Betracht (. . .).“; siehe auch Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 25 f. 323 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 43 m. w. N. 324 Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 25; siehe auch Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 363 f., 365 ff. 325 Isay, Die Willenserklärung, S. 25 f. 326 Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 22 mit Hinweis auf RG JW 1907, 506; MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 76; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (572); Trinkner, BB 1967, 999 (1001) weist zusätzlich – am Beispiel der Ausgleichsquittung – auf den Irrtum über die Bedeutung von Rechtsbegriffen hin. 327 Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 22; Staudinger/Singer, § 119 Rn. 43. Beispiel: Verwechslung von amerikanischen und kanadischen Dollar; siehe auch LG Hanau NJW 1979, 721, Leitsatz: „Unterzeichnet die Konrektorin einer Realschule eine Bestellung über ‚25 Gros Rollen‘ Toilettenpapier und werden daraufhin 3600 Rollen Toilettenpapier geliefert, so kann sie ihre Erklärung gem. § 119 I BGB wirksam anfechten, weil von ihr nicht verlangt werden kann, daß sie die völlig unübliche und veraltete Mengenbezeichnung ‚Gros‘ kennt.“ In dem Fall war die Konrektorin davon ausgegangen, 25 Doppelpackungen Toilettenpapier bestellt zu haben. Die Bezeichnung „Gros = 12 x 12“ (zwölf Dutzend) hatte sie als Verpackungsart mißverstanden; siehe zu diesem Fall auch Medicus, BGB AT, Rn. 745, der zutreffend feststellt, 319

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Ein Teil des Schrifttums qualifiziert auch den sog. Unterschriftsirrtum – also den Fall, daß der Erklärende glaubt, eine Urkunde mit dem Inhalt X zu unterschreiben, während es sich in Wahrheit um den Inhalt Y handelt – als Inhaltsirrtum.328 Diese Ansicht wird überzeugend damit begründet, daß die Unterschrift, das Erklärungszeichen, bewußt und gewollt gesetzt worden sei, so daß es sich nicht um einen Erklärungsirrtum handeln könne.329 Die Rechtsprechung votiert in diesen Fällen überwiegend für die Einordnung als Inhaltsirrtum.330 Ein Inhaltsirrtum ist auch dann anzunehmen, wenn der Erklärende eine von einem anderen verfaßte Urkunde unterzeichnet und ihren Inhalt falsch – d. h. abweichend von ihrer normativen Bedeutung – versteht.331 d) Der sog. Rechtsfolgenirrtum aa) Überblick Bei unbefangener Betrachtung scheint die Anfechtung einer Willenserklärung wegen Irrtums über die rechtlichen Wirkungen des Rechtsgeschäfts nach dem Grundsatz error iuris nocet generell nicht in Betracht zu kommen.332 Bei näherer Überlegung wird ein kategorischer Ausschluß der Anfechtung bei Rechtsfolgenirrtümern jedoch zweifelhaft, wenn man sich darüber klar wird, daß auch bei diesen eine fehlerhafte Selbstbestimmung vorliegen kann, welche die Anwendung des § 119 Abs. 1 BGB unter Umständen zu rechtfertigen vermag.333 daß es keiner Anfechtung bedurft hätte, wenn der Verkäufer hätte erkennen können, daß jedenfalls 3600 Rollen nicht gemeint waren. Das sei eine Frage der Auslegung. Laute das Auslegungsergebnis auf 3600 Rollen, so lasse § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB die Anfechtung zu. 328 Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 78; Schlechtriem, FS Weitnauer (1980), S. 129 (139); Martiny, ZEuP 1998, 227 (248 f.); Freitag, IPrax 1999, 142 (143); Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 368 ff.; a. A. Medicus, BGB AT, Rn. 755 (die selbstverfaßte Urkunde soll Erklärungsirrtum begründen). – Unerheblich ist, ob der Erklärende davon ausgegangen ist, überhaupt keine rechtserhebliche Erklärung abzugeben oder ob er sich einen anderen rechtserheblichen Inhalt vorgestellt hat, so Dehler, a.a.O., S. 369 unter Berufung auf die Darlegungen des BGH in dem ersten Iranerin-Urteil NJW 1995, 190. 329 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 13; so schon Siegel, AcP 111 (1914), 1 (91 f.). 330 BGH NJW 1995, 190 (191); beide Irrtumsarten prüft LAG Hessen, Urt. v. 1. 4. 2003 – 13 Sa 1240/02 (juris). 331 Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 80. 332 Zur Einschränkung dieser Maxime siehe Staudinger/Singer, § 119 Rn. 74; Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133 (143 ff.) 333 Siehe dazu auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 228 ff., insb. das Fazit, a.a.O., S. 237: Die Maxime „error iuris nocet“ gelte nicht mehr im Sinne eines unbedingten Postulats, sondern dieser werde stets dann als beachtlich angesehen, wenn der Vertragspartner dafür die Verantwortung trage. Der Schutz vor den Folgen eines Rechtsirrtums wäre aber unvollkommen, wenn der Irrende ohne Rücksicht auf seine persönliche Verantwortung an seinem formalen Selbstbestimmungsakt festgehalten würde. Dafür bestehe auch kein sachlicher Grund, da das Prinzip der Selbstverantwortung gerade in den Fällen der Fremdverantwortung keine Bindung rechtfertige und Belange des Verkehrsschutzes nicht ernsthaft beeinträchtigt würden, wenn die Anfechtungsmöglichkeit in dieser begrenzten Form erweitert werde.

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Wenn der tragende Grund des Anfechtungsrechts in dem Prinzip der Selbstbestimmung liegt, so erscheint eine Unterscheidung zwischen Tatsachenirrtümern, bei denen die Anfechtung zugelassen wird, und Rechtsirrtümern, bei denen sie versagt wird, allzu künstlich.334 Das Reichsgericht hat das Problem bereits im Jahr 1916 erkannt und die Anfechtung wegen Inhaltsirrtums zugelassen.335 Es sei – so das Reichsgericht damals – anzuerkennen, daß auch ein Irrtum über den mit einer Willenserklärung zu erzielenden rechtlichen Erfolg ein Irrtum über den Inhalt der Willenserklärung sein könne.336 Die wesentliche Bedeutung einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung bestehe gerade darin, daß durch sie die Begründung, Veränderung oder Aufhebung von Rechten, also ein rechtlicher Erfolg, erstrebt werde. Wenn dieser Erfolg einen Bestandteil des rechtsgeschäftlichen Tatbestands bilde, so gehöre er zum Inhalt der Erklärung. Daher liege ein Inhaltsirrtum vor, „wenn infolge der Verkennung oder Unkenntnis seiner rechtlichen Bedeutung ein Rechtsgeschäft erklärt ist, das nicht die mit seiner Vornahme erstrebte, sondern eine davon wesentlich verschiedene Rechtswirkung hervorbringt“.337 Dies gilt nicht, „wenn ein rechtsirrtumsfrei erklärtes und gewolltes Rechtsgeschäft außer der mit seiner Vornahme erstrebten Rechtswirkung noch andere, nicht erkannte und nicht gewollte Rechtswirkungen hervorbringt“.338 Das moderne Schrifttum hat die Unterscheidung des Reichsgerichts überwiegend als zutreffend übernommen und in der folgenden Weise umschrieben: Rechtsfolgen, die als autonome Rechtsetzung (durch den Erklärenden) erscheinen, aber in Wahrheit so nicht gewollt sind, unterliegen der Anfechtung wegen Inhaltsirrtums, während Rechtsfolgen, die auf heteronomer, vor allem also gesetzlicher oder richterrechtlicher, Bestimmung beruhen, nicht

334 Die Unterscheidung zwischen Tatsachen- und Rechtsirrtümern hat man früher auch im Strafrecht getroffen, jedoch zeigte sich auch dort, daß eine solche – logisch nicht einmal ganz fernliegende – Unterscheidung letztlich nicht zu überzeugen vermag. Gegen sie wandte sich schon Titze, FS Heymann, Bd. II, S. 72 (74): „Hält einmal eine Rechtsordnung es für unbillig, jemanden an eine Erklärung zu binden, deren Inhalt er falsch beurteilt hat, was soll es dann ausmachen, ob diese unrichtige Beurteilung die Folge falscher Tatsachenwertung oder von Unkenntnis bzw. unrichtiger Auffassung der einschlägigen Rechtssätze gewesen ist? Soweit hier nicht der bloße Wunsch mitspricht, das Gebiet der Irrtumsanfechtung nach Möglichkeit einzuschränken, einerlei mit welchen Mitteln, ist die ablehnende Haltung gegenüber dem Rechtsirrtum nur verständlich, wenn man letzteren ohne weiteres mit dem verschuldeten Irrtum identifiziert: sie ist dann aber nichts weiter als ein moralisierender Mißbrauch der bekannten Parömien ‚ignorantia iuris nocet‘ und ‚ius civile vigilantibus scriptum est‘.“ 335 RGZ 88, 278 (284); zum Einfluß der wissenschaftlichen Kritik auf die Änderung der Rechtsprechung durch die zitierte Entscheidung siehe Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133 (166 ff.). 336 Siehe auch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 232: „Das Problem solcher Fälle besteht folglich nicht in einer Divergenz zwischen Wille und Erklärung, sondern in einer Divergenz zwischen Wille und Erfolg.“ 337 RG, ebd. (Fn. 335). 338 RG, ebd. (Fn. 335).

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angefochten werden können.339 Diejenigen Rechtsfolgen, welche unabhängig von dem Willen des Erklärenden kraft objektiven Rechts eintreten, werden also dem unbeachtlichen Motivirrtum gleichgestellt.340 Soweit es sich bei diesen Rechtsfolgenanordnungen um solche des dispositiven Rechts handelt, wird dazu im Schrifttum hervorgehoben, daß das dem dispositiven Recht entsprechende Geschäft mit einer höheren Wahrscheinlichkeit angemessen sei als ein nur auf irrtümlichem Parteiwillen beruhendes.341 Ein anderer Teil des Schrifttums unterscheidet begrifflich zwischen anfechtbaren Irrtümern über unmittelbare Rechtsfolgen und nicht anfechtbaren Irrtümern über mittelbare Rechtsfolgen,342 was im Ergebnis aber wohl keinen sachlichen Unterschied zu dem soeben Ausgeführten, sondern nur eine terminologische Divergenz bedeutet. Bei der genannten Differenzierung innerhalb der Fallgruppe „Rechtsfolgenirrtum“ handelt es sich nicht um eine logisch zwingende, sondern um eine Wertungsentscheidung, die dem grundsätzlichen Bestreben des Gesetzes geschuldet ist, die Anfechtungsmöglichkeiten sinnvoll zu begrenzen.343 Das zieht Abgrenzungsprobleme nach sich, die zum Teil ungelöst sind,344 was wiederum kaum überraschen dürfte, weil Wertungsentscheidungen im Zivilrecht häufig Abgrenzungsschwierigkeiten bereiten. Die Anfechtungsregeln bieten hierfür reichhaltiges Anschauungsmaterial.345 bb) Rechtsfolgenirrtum und „Sprachrisiko“ Soweit ersichtlich, ist die „Sprachrisiko“-Problematik bisher nicht unter dem Blickwinkel des Rechtsfolgenirrtums untersucht worden. Hier ist sowohl vorstellbar, daß der Erklärende, der unter Sprachdefiziten leidet, bei der autonomen Setzung von Rechtsfolgen irrt (Rechtsfolgenirrtum) als auch, daß ihm die rechtliche Reichweite des Erklärten nicht klar ist (Rechtsfolgenmotivirrtum). Die in dieser Irrtumskategorie ohnehin bestehenden Abgrenzungsschwierig339

Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 240; Staudinger/Singer, § 119 Rn. 67 m. w. N.; Medicus, BGB AT, Rn. 751; Erman/Palm, § 119 Rn. 37; siehe dazu auch – am Beispiel der mißverstandenen Ausgleichsquittung – Trinkner, BB 1967, 999 (1001). 340 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 67; Flume, BGB AT, § 23, 4 (S. 465); Medicus, BGB AT, Rn. 751. 341 Medicus, BGB AT, Rn. 751. 342 Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 75. 343 Medicus, BGB AT, Rn. 751. 344 Medicus, BGB AT, Rn. 751: „Nach meiner Ansicht ist das Problem noch nicht überzeugend gelöst.“; siehe auch Staudinger/Singer, § 119 Rn. 70: „Die im Schrifttum geäußerten Zweifel an der dogmatischen Bewältigung des Rechtsfolgeirrtums entzünden sich hauptsächlich an Zweifel- und Grenzfällen, bei denen vor allem die Rechtsprechung nicht immer konsequent an der Unterscheidung von autonomen und heteronomen Rechtsfolgen festgehalten hat.“ 345 Siehe nur die bemerkenswert offenen Ausführungen von Flume, BGB AT, § 23, 2 (S. 451) zur problematischen Grenzziehung zwischen beachtlichem Erklärungsirrtum und unbeachtlichem Motivirrtum am Beispiel des Irrtums in der Berechnung.

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keiten dürften sich durch das Hinzutreten der Sprachprobleme eher noch vermehren. Zunächst verdient es der Hervorhebung, daß es nicht einleuchten würde, den Rechtsfolgenmotivirrtum bei Erklärungen von sprachunkundigen Ausländern für anfechtbar zu erklären 346 oder die Grenzen zwischen beiden Irrtumskategorien zugunsten der Anfechtbarkeit zu verschieben. Insbesondere eine fehlende kulturelle Integration und das Fehlen von Rechtskenntnissen können eine „ausländerfreundliche Lösung“ bei der Anfechtung von Rechtsfolgenirrtümern nicht legitimieren. Es müssen vielmehr die oben formulierten allgemeinen Grundsätze auch hier Anwendung finden. Allerdings erfahren die allgemeinen Grundsätze eine Abänderung in der Risikoverteilung durch das Schrifttum, wenn primär der Vertragspartner und nicht der Irrende den Irrtum zu verantworten hat. Dies sei der Fall, wenn und soweit der Vertragspartner eine Art „Garantenstellung“ einnehme; das komme sowohl bei Veranlassung des Irrtums als auch bei überlegener Sachkunde in Betracht.347 Die Rechtsfolge besteht in der Anfechtbarkeit der Erklärung auch bei einem fremdverschuldeten Rechtsfolgemotivirrtum. Diese Abweichung könnte – als generelle Ausnahme – konsequenterweise auch auf Ausländer erstreckt werden. Soweit ersichtlich, hat die Rechtsprechung bei Rechtsfolgenmotivirrtümern bisher die Anfechtung nicht zugelassen. Unterhalb der Schwelle zur Arglist und der damit gegebenen Anfechtungsmöglichkeit nach § 123 Abs. 1 BGB kommt danach eine Haftung des Vertragspartners für die Verletzung von Aufklärungspflichten nach den Regeln der culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 und 3, § 280, § 241 Abs. 1 BGB) oder wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in Betracht. Es erscheint vorzugswürdig, bei der Verletzung von Aufklärungspflichten außerhalb der Irrtumsanfechtung an die c.i.c. und an § 123 BGB anzuknüpfen, statt innerhalb des § 119 Abs. 1 BGB eine Anfechtungsmöglichkeit bei Rechtsfolgenmotivirrtümern als Ausnahme von dem Grundsatz, daß Motivirrtümer unbeachtlich sind, zu begründen.348 Soweit ersichtlich, ist der einzige Fall, bei dem der Rechtsfolgenmotivirrtum – also die Unkenntnis von der objektiven Rechtslage – rechtlich relevant ist, der des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreibens durch einen 346

So im Ergebnis auch LAG Berlin ZIP 1092, 1352 (1354). Staudinger/Singer, § 119 Rn. 74 a. E.: Die bloße Erkennbarkeit des Irrtums genügt nicht für die Begründung einer Garantenstellung. 348 A. A. Staudinger/Singer, § 119 Rn. 78, der – ausgehend vom Kalkulations- und Rechtsfolgenirrtum – eine Erweiterung der Irrtumsanfechtung auf alle gemeinsam oder vom Geschäftspartner verschuldeten oder erkannten Motivirrtümer bejaht. Gegen diese Verallgemeinerung spricht, daß damit die von der lex lata vorgegebene Unterscheidung zwischen dem beachtlichen Inhalts- und Erklärungsirrtum einerseits und dem unbeachtlichen Motivirrtum andererseits aufgegeben würde. Die Lösung mag internationalen Grundsätzen der Irrtumsanfechtung (z. B. Art. 3.5 UNIDROIT Principles) besser Rechnung tragen als die geltenden Regelungen, doch entfernen sie sich zu weit vom verbindlichen nationalen Recht. 347

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ausländischen Kaufmann. Dieser kann sich nach Art. 31 Abs. 2 EGBGB auf sein Umfeldrecht berufen und somit das Zustandekommen eines Vertrags mit dem Inhalt des Bestätigungsschreibens verhindern, wenn sein Heimatrecht für das Schweigen abweichende Rechtsfolgen anordnet.349 Der Fall hat jedoch keine Auswirkungen auf die Anfechtungsproblematik innerhalb des BGB. 4. Anfechtung wegen Erklärungsirrtums, § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB Die zweite Alternative des § 119 Abs. 1 BGB regelt den Irrtum in der Erklärungshandlung, der früher auch kürzer als „Irrung“ bezeichnet wurde.350 Kennzeichnend für diesen Irrtum ist, daß dem Erklärenden die technische Umsetzung seines Erklärungswillens mißlungen ist.351 Der Erklärende meint, das Erklärungszeichen X zu setzen, obwohl er irrtümlich das Erklärungszeichen Y verwendet.352 Der Irrtum wird festgestellt durch einen Vergleich der äußeren Form der abgegebenen Erklärung mit dem Erklärungswillen.353 Typische Fälle ungewollter Bedeutungszeichen sind bekanntlich das Versprechen, Verschreiben, Vertippen und Vergreifen.354 Ein Teil des Schrifttums rechnet zudem den Unterschriftsirrtum zu dieser Kategorie, der nach hier vertretener Auffassung richtigerweise dem Inhaltsirrtum zuzurechnen ist.355 Die Gegenauffassung ist 349

Siehe oben § 3 A. 4. c. Andere, ebenfalls ältere Bezeichnungen dieser Irrtumsart sind: „Irrtum im Bewußtsein“ (bzw. „Bewußtseinsirrtum“), „Verirrung“, „error in faciendo“, siehe Titze, FS Heymann, Bd. II, S. 72 (78). 351 Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 11; Medicus, BGB AT, Rn. 746; Erman/Palm, § 119 Rn. 33 spricht plastisch von einer „Störung im Ablauf der Erklärungshandlung“. 352 Flume, BGB AT, § 21, 3 (S. 418 f.). 353 Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 11. 354 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 34; Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 12. Zum „Verklicken“ mit der Maustaste siehe Singer, a.a.O., Rn. 35, zum „Computerfehler“ Larenz/Wolf, a.a.O., Rn. 19. 355 Flume, BGB AT, § 23, 2 (S. 450 f.): „Der ‚Irrung‘ rechnet man auch die Fälle zu, daß jemand eine Urkunde, ohne sie zu lesen, unterschreibt und einen anderen Inhalt der Urkunde annimmt, als diese hat (. . .).“; so auch Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 11, 13 am Beispiel der Wechselurkunde sowie einer Urkunde mit der unzutreffenden Wiedergabe des Ergebnisses vorausgegangener Vertragsverhandlungen; differenzierend Medicus, BGB AT, Rn. 755: Der Irrtum über den Inhalt der selbst diktierten Urkunde sei ein Erklärungsirrtum, weil hier der ganze Text als vom Unterzeichner gesetztes Erklärungszeichen erscheine. Dagegen sei der Irrtum über den Inhalt einer fremdverfaßten Urkunde Inhaltsirrtum, weil Erklärungszeichen hier nur die Unterschrift sei, die ihre Bedeutung aus dem Text beziehe, unter dem sie stehe. Diese Differenzierung vermag nicht zu überzeugen. Erklärungszeichen ist in beiden genannten Fällen nur die selbst geleistete Unterschrift. Diesbezüglich liegt in beiden Fällen kein Irrtum vor. Es handelt sich jeweils um einen Inhaltsirrtum gemäß § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB. – Im Gegensatz dazu rechtfertigt die abredewidrige Ausfüllung einer Blanketturkunde die Anfechtung nach heute herrschender Ansicht nicht. Das wird damit begründet, daß derjenige, der eine solche Urkunde begibt, für diese Form der Autorisation einzustehen habe, siehe Flume, a.a.O., § 23, 2 (S. 455); Henrich, RabelsZ Bd. 35 (1971), 55 (70); Staudinger/Singer, § 119 Rn. 32 m. w. N.; a. A. RGZ 105, 183 (185); v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 571 f. m. w. N.) und das ältere Schrifttum. Eine Ausnahme ist nach Ansicht der modernen Literatur nur für den Fall 350

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fragwürdig, weil in bezug auf das Erklärungszeichen selbst, also hinsichtlich der Unterschrift, keine Fehlvorstellung des Erklärenden vorliegt. Am Beispiel des Unterschriftsirrtums zeigt sich, daß sich die begriffliche Abgrenzung zwischen Inhalts- und Erklärungsirrtum – die wegen gleicher Rechtsfolgen als solche freilich nicht von entscheidender Bedeutung ist – nicht leicht durchführen läßt. Daran wird zugleich deutlich, daß es in Irrtumsfragen nicht allein darum gehen kann, unter die „psychologischen“ Begriffe des Gesetzes zu subsumieren, sondern daß auch die entsprechenden Grundwertungen des Gesetzes im Einzelfall plausibel nachvollzogen werden müssen. Entscheidend ist weniger die trennscharfe Abgrenzung von Inhalts- und Erklärungsirrtum, die vom Gesetz gleichbehandelt werden, als die Abgrenzung dieser Irrtümer gegenüber dem unbeachtlichen Motivirrtum.356 Denn bei diesem ist das Irrtumsrisiko – mit Ausnahme der Fälle des § 119 Abs. 2 BGB – dem Irrenden zugewiesen. 5. Kausalzusammenhang zwischen Irrtum und Erklärung Die Irrtumsanfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB setzt einen Kausalzusammenhang zwischen Irrtum und Erklärungsabgabe voraus, denn das Gesetz verlangt, daß der Irrende die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Der Irrende wird vom Gesetzgeber also als ein im Grunde „reasonable man“ angesehen.357 Die Kausalität enthält sowohl subjektive als auch objektive Elemente (nämlich das Erfordernis der „verständigen Würdigung“).358 Medicus bezeichnet sie deshalb als „vernünftige“ Kausalität: 359 Der Irrtum müsse für die Erklärung nicht nur subjektiv kausal gewesen sein, sondern für sie auch einen vernünftigen Grund gebildet haben.360

anzuerkennen, daß der Erklärungsgegner erkannt hat oder erkennen mußte, daß die Urkunde mißbräuchlich ausgefüllt wurde (Henrich, ebd.). 356 Kritisch aber Titze, FS Heymann, Bd. II, S. 72 (77), der die Unterscheidung von Geschäftsirrtum (d. h. Inhalts- und Erklärungsirrtum) und Motivirrtum in terminologischer Hinsicht für nicht glücklich hält. Sie seien „in dieser Zuspitzung keine begriffl ichen Gegensätze“. Titze nennt dazu das Beispiel desjenigen, der ein Bürgschaftsformular unterschreibt, weil er es für ein Quittungsformular hält. Auch in diesem Fall liege ein Irrtum im Beweggrund vor, denn der Betreffende hätte nicht unterschrieben, wenn er über den Charakter der Urkunde richtig statt falsch informiert gewesen wäre. Titze bezeichnet den Gegensatz von Geschäftsirrtum und Motivirrtum als „innerlich unwahr“ (a.a.O., S. 102). Mittels des Kriteriums der vertraglichen Risikoübernahme bezweckt er vor allem die „Überwindung des verderblichen Begriffs des Motivirrtums“ (a.a.O., S. 108). 357 Flume, BGB AT, § 21, 5 (S. 421). 358 Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 32 359 Medicus, BGB AT, Rn. 773 (Überschrift). 360 Medicus, BGB AT, Rn. 773.

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6. Unverzüglichkeit der Anfechtung a) Überblick aa) Die Anfechtung muß nach § 121 Abs. 1 BGB unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Anfechtungsberechtigten von dem Anfechtungsgrund erfolgen. Die Vorschrift sanktioniert eine Sorgfaltspflichtverletzung (scil. Obliegenheitsverletzung) des Anfechtungsberechtigten.361 Sie setzt dessen positive Kenntnis von dem Irrtum voraus; eine bloß fahrlässige Unkenntnis begründet keine entsprechende Anfechtungsobliegenheit.362 Verschließt sich der Anfechtungsberechtigte der Kenntnis des Irrtums allerdings bewußt, so wird er so behandelt, als habe er die erforderliche Kenntnis besessen.363 bb) „Unverzüglich“ ist nicht gleichbedeutend mit sofort. Dem Anfechtungsberechtigten steht eine angemessene Überlegungszeit zu; 364 auch darf er zunächst einmal Rechtsrat einholen.365 Schuldhaft ist eine Verzögerung der Anfechtung nur dann, wenn ein Zuwarten nicht durch die Umstände des Falles geboten war.366 Liegt zwischen der Einholung von Rechtsrat und der Abgabe der Anfechtungserklärung ein Zeitraum von einem halben Jahr, ist die Anfechtung verspätet.367 cc) Ein Nachschieben von Anfechtungsgründen ist wegen des Unverzüglichkeitserfordernisses praktisch nicht möglich.368 Zwar obliegt die Beweislast für die Verspätung dem Anfechtungsgegner, d. h. er muß behaupten und beweisen, daß der Anfechtende die Kenntnis zu einem früheren Zeitpunkt, als er behaup361

MüKo BGB/Kramer, § 121 Rn. 2. MüKo BGB/Kramer, § 121 Rn. 5. 363 MüKo BGB/Kramer, § 121 Rn. 5. 364 BAG, Urt. v. 5. 4. 1990 – 2 AZR 337/89 (juris). 365 Palandt/Heinrichs, § 121 Rn. 3; MüKo BGB/Kramer, § 121 Rn. 6 mit Hinweis auf RG HRR 1931 Nr. 548; OLG Oldenburg NJW 2004, 168; BAG, Urt. v. 5. 4. 1990 – 2 AZR 337/89 (juris). 366 RGZ 124, 115 (118) = JW 1929, 1457; ebenso MüKo BGB/Kramer, § 121 Rn. 6. 367 Siehe LG Köln WM 1986, 821 (823). 368 BAG AP Nr. 5 zu § 119 BGB hat dazu überzeugend ausgeführt, daß das Nachschieben verspätet geltendgemachter Anfechtungsgründe – anders als bei den Grenzen des Nachschiebens von Kündigungsgründen bei einer außerordentlichen Kündigung – in keinem Falle möglich sei, weil das den berechtigten Belangen des Anfechtungsgegners widerspräche. Dieser gehe davon aus, daß die Wirksamkeit der Erklärung nur aus den angegebenen Gründen in Zweifel gezogen werde. Er richte sich in seinem weiteren Verhalten darauf ein. Seien die zunächst angegebenen Anfechtungsgründe nicht überzeugend, so stelle sich der Anfechtungsgegner darauf ein, daß die Willenserklärung Bestand habe. Er rechne nicht damit, daß noch zu einem Zeitpunkt, in dem wegen Überschreitung der Anfechtungsfrist des § 121 Abs. 1 BGB nicht mehr wirksam angefochten werden kann, Gründe nachgeschoben werden, die unter Umständen dann die Anfechtung doch noch als wirksam erscheinen lassen (ebenso BGH LM Nr. 4 zu § 143 BGB). Der in § 121 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommende Vertrauensschutz würde somit umgangen, wollte man ein Nachschieben verspätet geltendgemachter Anfechtungsgründe zulassen. 362

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tet, erhalten hat; der Anfechtende aber muß substantiiert darlegen, daß die Anfechtung unverzüglich nach Kenntnis der Voraussetzungen des Anfechtungsrechts erfolgte.369 Es wäre auch kein gangbarer Weg, den nachgeschobenen Anfechtungsgrund im Wege einer selbständigen Anfechtung geltend zu machen, da diese Erklärung gleichfalls i. S. des § 121 Abs. 1 BGB verspätet wäre.370 b) Die Unverzüglichkeit der Anfechtung in den „Sprachrisiko“-Fällen In den „Sprachrisiko“-Fällen gelten, was die Rechtzeitigkeit der Anfechtungserklärung betrifft, keine Besonderheiten.371 Allerdings ist die Gefahr einer Verspätung erhöht, wenn der Anfechtungsberechtigte unter Verständnisschwierigkeiten leidet und aus Gründen seiner kulturellen Herkunft mit dem deutschen Rechtssystem nicht hinreichend vertraut ist. So kann es vorkommen, daß er die Anfechtungserklärung nicht rechtzeitig abgibt, sie nicht hinreichend verständlich formuliert oder zunächst einen nicht durchschlagenden Anfechtungsgrund – z. B. fehlende Sprachkenntnis statt unzutreffender Vorstellungen – angibt. In diesem Fall wäre auch eine etwaige spätere Richtigstellung, ein sog. nachgeschobener Anfechtungsgrund, verspätet vorgebracht. Zu einer Fristverlängerung kommt es dann nicht. Das scharfe Schwert der Unverzüglichkeit ist dem Rechtsprinzip des Verkehrsschutzes geschuldet und duldet keine Aufweichung. Das ist auch gegenüber Ausländern nicht etwa „ungerecht“, denn die Frist beginnt mit Kenntnis vom Anfechtungsgrund zu laufen. Hat der Anfechtungsberechtigte die erforderliche Kenntnis von seinem Irrtum erhalten, kann auch von einem Ausländer verlangt werden, daß er nun seinerseits reagiert und seinen Vertragspartner von dem Irrtum und dem Willen zur Anfechtung in Kenntnis setzt. Der Erklärende wird dabei insoweit geschützt, als aus seiner Erklärung lediglich der Wille zur Anfechtung deutlich werden muß; die Verwendung einer bestimmten Terminologie oder die Wahrung einer Form werden von ihm also nicht verlangt.

369

OLG München NJW-RR 1988, 497. Vgl. dazu die Ausführungen des BGH im Fall der iranischen Bürgin, BGH NJW 1990, 190 (191): „Es kann offenbleiben, ob die Bekl. (. . .) mit diesem Vorbringen einen neuen Anfechtungsgrund in unzulässiger Weise nachgeschoben hat (. . .). Zumindest hat die Bekl., indem sie anstelle des ursprünglichen Anfechtungsgrundes einen anderen geltend gemacht hat, eine neue Anfechtungserklärung ausgesprochen, deren Rechtzeitigkeit nach dem Zeitpunkt ihrer Abgabe zu beurteilen ist (. . .).“ 371 Ein Beispiel für eine Verfristung nach § 121 BGB in einem „Sprachrisiko“-Fall bietet die Entscheidung OLG München FamRZ 2003, 376 (377) zur Anfechtung eines notariellen Ehevertrags durch eine britische Staatsangehörige und weiter der Fall OLG München, NJWRR 1988, 498 zur Anfechtung mehrerer Bürgschaftserklärungen; siehe ferner LG Köln WM 1986, 821 (823) zur Anfechtung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft durch einen griechischen Bürgen. 370

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7. Die Anfechtung von Ausgleichsquittungen nach § 119 Abs. 1 BGB als Problemfall372 a) Überblick Ausgleichsquittungen dienen der Bereinigung der Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Sie bestehen wie dargelegt373 typischerweise aus drei verschiedenen Elementen, nämlich (1) einer Quittung über den Empfang der Arbeitspapiere sowie des Restlohns, (2) einer Verzichtserklärung betreffend noch bestehende (Restlohn-)Ansprüche und dergleichen (= Anspruchsverzicht) und (3) einer Verzichtserklärung bezüglich das Recht zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage gemäß § 4 KSchG (= Klageverzicht). aa) Die möglichen Irrtümer im Zusammenhang mit der Unterzeichnung einer Ausgleichsquittung Bei der Anfechtung der beiden zuletzt genannten Verzichtserklärungen – nur sie sind als Willenserklärungen zu qualifizieren – 374 gemäß § 119 Abs. 1 BGB ist wie auch sonst begrifflich zwischen dem Erklärungsirrtum und dem Inhaltsirrtum zu unterscheiden. Erklärungsirrtümer – also die Fälle des sich Versprechens, Verschreibens oder Vertippens – sind in der Praxis schon deshalb kaum denkbar, weil der Arbeitnehmer typischerweise eine vom Arbeitgeber vorgefertigte Erklärung unterschreibt.375 In den Ausgleichsquittungsfällen gelten die allgemeinen Grundsätze des Unterschriftsirrtums.376 Wie dargelegt, ist der Unterschriftsirrtum nicht als Erklärungsirrtum, sondern als Inhaltsirrtum zu bewerten.377 Die folgenden Ausführungen beschränken sich deshalb auf den allein praxisrelevanten Inhaltsirrtum. bb) Unanfechtbarkeit der Ausgleichsquittung? Von einem Teil der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und von Teilen des arbeitsrechtlichen Schrifttums wird die Anfechtung wegen Inhaltsirrtums bei Ausgleichsquittungen ausdrücklich abgelehnt. Diese Ansicht wird ganz überwiegend damit begründet, daß der Erklärende den Urkundeninhalt nach den Grundsätzen des Unterschreibens ungelesener Urkunden gegen sich gelten las372 Mangels eines gesetzlichen Widerrufsrechts wird auf den Widerruf von Ausgleichsquittungen im folgenden nicht eingegangen; zur Möglichkeit von Widerrufsrechten durch Tarifvertrag siehe Kibler, ZIAS 1995, 51 (71). – Zur Frage der Vereinbarkeit vorformulierter Ausgleichsquittungen mit den Maßstäben des AGB-Rechts siehe im einzelnen unten § 8. 373 Näher dazu, insbesondere zu rechtlichen Einordnung, oben § 5 D. II. 2. a. 374 Die Quittung über den Erhalt der Papiere ist rechtlich als „Wissenserklärung“ zu qualifizieren. 375 Zutreffend MüHdbArbR/Wank, § 127 Rn. 28. 376 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 16, 24. 377 Siehe oben V. 3 c.

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sen müsse.378 Dafür läßt sich das Argument anführen, daß nach der neueren Rechtsprechung des BAG Ausgleichsquittungen „im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen sind“, denn die Parteien wollten „in der Regel das Arbeitsverhältnis abschließend bereinigen und alle Ansprüche erledigen, gleichgültig, ob sie an diese dachten oder nicht“.379 Dem steht allerdings eine Rechtsprechung entgegen, derzufolge ein Verzicht des Arbeitnehmers auf seine Rechte nach allgemeiner Lebensgefahr nicht zu vermuten ist.380 Daraus schließt ein anderer Teil der Literatur folgerichtig, daß der Wortlaut von Ausgleichsquittungen restriktiv auszulegen sei.381 Ein Grund dafür, weshalb er einseitig auf ihm noch zustehende Ansprüche verzichten sollte, sei nicht erkennbar.382 cc) Anwendung der Grundsätze der Irrtumsanfechtung auch auf Ausgleichsquittungen Ein vollständiger Ausschluß der Anfechtung von Ausgleichsquittungen durch sprachunkundige Arbeitnehmer wäre mit den oben dargestellten allgemeinen Grundsätzen zur Irrtumsanfechtung unvereinbar.383 Zwar scheidet eine Irrtumsanfechtung aus, wenn sich der Unterschreibende sich bei Abgabe der Erklärung keine konkreten Vorstellungen über deren Inhalt gemacht hat, denn dann liegt keine Abweichung zwischen dem Gewollten und dem Erklärten und damit kein Irrtum vor.384 Ebenso liegt es, wenn der Arbeitnehmer allgemein 378

Siehe z. B. Vogler, DB 1966, 1689 (1690); Küster, BB 1968, 1204 (1206); Hambüchen, ZAR 1986, 107 (112) sowie die Nachweise aus dem älteren Schrifttum bei Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 103 mit Fn. 40 und bei Basedau, BB 1969, 1316 mit Fn. 5. Wenn der ausländische Arbeitnehmer der deutschen Sprache so weit mächtig ist, daß er die deutsche Schriftsprache lesen und ausreichend verstehen kann, ist er nach LAG Hamm BB 1976, 553, 4. Leitsatz an eine von ihm unterschriebene Ausgleichsquittung auch dann gebunden, wenn er diese ungelesen unterschrieben hat. 379 BAG NJW 2004, 3445 (3446) = NZA 2004, 1097; siehe ferner BAG NZA 2004, 554 (555) = AP BGB § 611 Konkurrenzklausel Nr. 50 m. w. N.; a. A. (enge Auslegung) Neumann, DB 1960, 1453 (1455) und vor allem BAG NJW 1981, 1285 = AP Nr. 3 zu § 3 LohnFG = EzA § 9 LohnFG Nr. 7. 380 BAG NJW 1981, 1285 = AP Nr. 3 zu § 9 LohnFG; zur Bedeutung dieser Entscheidung des 5. Senats des BAG siehe Kibler, ZIAS 1995, 51 (59 f.) m. w. N.; siehe ferner BAG NJW 2008, 461 (462). 381 Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290, Rn. 30 m. w. N.; MüHdbArbR/Wank, § 127 Rn. 5; zum Problem siehe auch Kibler, ZIAS 1995, 51 (60). 382 MüHdbArbR/Wank, § 127 Rn. 5. 383 Ähnlich wie hier Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 104: „Die These, daß der Sprachunkundige an den Vertrag gebunden bleibt, steht den allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts entgegen. Denn eventuelle Mißverständnisse des Sprachunkundigen vermögen einen entscheidenden Einfl uß auf das Zustandekommen des Vertrages zu haben.“; gegen die damals herrschende Auffassung auch Basedau, BB 1969, 1317 (1317); a. A. jedoch Baumgärtel, Sprachrisiko: „Das Sprachrisiko ist also weder originär noch hauptsächlich ein Anfechtungsproblem.“ 384 Trinkner, BB 1967, 999 (1001); Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290, Rn. 157; Jancke, Sprachrisiko, S. 250; Staudinger/Singer, § 119 Rn. 24. Zum Begriff des Irrtums und der Notwendigkeit konkreter Vorstellungen siehe v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 568 f.); ferner Savig-

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behauptet, die Vertragsurkunde nicht verstanden zu haben. Dem Sprachunkundigen ist die Anfechtung aber dann zuzubilligen, wenn er unzutreffende Vorstellungen über den objektiven Erklärungswert seiner Erklärung hatte.385 Ein Verschulden des Erklärenden – wie etwa der Vorwurf der schuldhaft unterlassenen Heranziehung eines im Betrieb vorhandenen Dolmetschers durch den ausländischen Arbeitnehmer – 386 steht der Anfechtung nach den allgemeinen Grundsätzen nicht entgegen.387 Wie dargelegt, wird dergleichen allein durch eine Haftung des Anfechtungsberechtigten auf den Vertrauensschaden des Erklärungsempfängers gemäß § 122 Abs. 1 BGB sanktioniert.388 Damit vermeidet es der Gesetzgeber im Interesse der praktischen Rechtsdurchsetzung, das Anfechtungsrecht mit schwierigen Beweisfragen zu belasten. 389 dd) Folgerungen Daraus ergibt sich, daß die Anfechtung der beiden Verzichtserklärungen in einer Ausgleichsquittung zulässig ist, wenn der Arbeitnehmer angenommen hat, er quittiere – durch Empfangsbestätigung – den Erhalt seiner Arbeitspapiere, d. h. Lohnsteuerkarte, Entgeltbescheinigung für die Rentenversicherung, Lohnund Gehaltsabrechnung, Berechnung der Urlaubsabgeltung, Arbeitszeugnis etc.,390 sowie des Restlohns, anstatt wie tatsächlich einen umfassenden Verzicht ny, System, Bd. 3, § 115 (S. 111) mit einer rechtlichen Gleichstellung von Irrtum und Unwissenheit; siehe auch Henrich, RabelsZ Bd. 35 (1971), 55 (59, 68), der die unterschiedlichen Begründungsansätze in Deutschland und in der Schweiz aufzeigt. Während man in Deutschland die Anfechtung mit dem Fehlen eines Irrtums begründet, wird in der Schweiz die Berufung auf einen Irrtum als Verstoß gegen Treu und Glauben qualifiziert. 385 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 24; Ladas, Willenserklärungen gegenüber Sprachunkundigen, S. 122; Jancke, Sprachrisiko, S. 250; LArbG Frankfurt a. M. BB 1975, 562. 386 So zutreffend LAG Baden-Württemberg BB 1966, 860; a. A. LAG Hamm BB 1978, 611 und MüHdbArbR/Wank, § 127 Rn. 28, jeweils für den Fall, daß der Dolmetscher bei der Unterzeichnung anwesend ist und nicht in Anspruch genommen wird. Hier wird man regelmäßig schon aus den Umständen folgern dürfen, daß der Arbeitnehmer den Text lesen und verstehen konnte. Problematisch ist aber die vom LAG gegebene Begründung, daß der Arbeitnehmer sich Kenntnis vom Inhalt der Urkunde habe verschaffen können, weil ein Dolmetscher gegenwärtig war, er darauf aber verzichtet und – „auf Empfehlung“ – die Urkunde unterzeichnet habe. Das läuft auf die Anerkennung eines Verschuldenserfordernisses (schuldhaft fehlende Kenntnisnahme vom Inhalt) hinaus. 387 MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 126; Flume, BGB AT, § 21, 5 (S. 420). § 99 Abs. 1 des ersten Entwurfs des BGB kannte – in Übereinstimmung zahlreicher damals geltender Privatrechte bzw. Entwürfe von Kodifikationen – noch das Verschuldenskriterium; siehe dazu die instruktive Übersicht bei Titze, FS Heymann, Bd. II, S. 72 (73 f. mit Anm. 2). 388 Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 13; Siegel, AcP 111 (1914), 1 (98): „Allein das Gesetz selbst gibt das Korrektiv zum Ausgleich von Unbilligkeiten in der Bestimmung des § 122 BGB.“; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 594): „Die Ersatzpfl icht ist keine Folge des Irrtums oder der falschen Übermittlung und setzt daher kein Verschulden des Erklärenden voraus; sie ist vielmehr ein Korrelat der Anfechtung (. . .).“ 389 Siehe Titze, FS Heymann, Bd. II, S. 72 (73). 390 Siehe dazu als Beispiel die Ausgleichsquittung in dem Fall des BAG AR-Blattei ES 290 Nr. 12 (mit vollständiger Wiedergabe des Musters) = NJW 2004, 3445 = NZA 2004, 1097.

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auf seine gegen den Arbeitgeber bestehenden Ansprüche nebst Klageverzicht zu erklären.391 Dieser Irrtum kann gerade auch auf der Bezeichnung des Schriftstücks als „Ausgleichsquittung“ (statt korrekt als „Verzichtserklärung“ o.ä.) beruhen.392 Die Anfechtung solcher Verzichtserklärungen ist nach den allgemeinen Grundsätzen des Unterschriftsirrtums393 – unabhängig von seiner Einordnung als Inhalts- oder Erklärungsirrtum – (nur) dann unzulässig, wenn der Arbeitnehmer die ihm vorgelegte Erklärung ungelesen unterschrieben hat und sich dabei keine konkreten Vorstellungen vom Inhalt derselben gemacht hat.394 Dies wird von der überwiegenden Literaturmeinung zutreffend als Ausnahmefall angesehen.395 Allerdings steht der Erklärende vor der Schwierigkeit, seinen Irrtum über den Inhalt der Erklärung auch beweisen zu müssen.396 Das „Sprachrisiko“ zeigt sich in den Anfechtungsfällen nicht nur als materiellrechtliches Irrtums-, sondern vor allem auch als Beweislastrisiko. b) Rechtsprechungsanalyse aa) Überwiegende Ablehnung der Anfechtung von Ausgleichsquittungen durch die Rechtsprechung Die Einschränkung der Anfechtung nicht gelesener bzw. nicht verstandener Urkunden durch die Rechtsprechung hat eine lange Tradition.397 In den Anfangstagen des BGB hatte diese zunächst das altrechtliche Verschuldenskriterium fortgeschrieben.398 Nachdem man erkannt hatte, daß unter Geltung der §§ 119 ff. BGB das Verschulden des Erklärenden irrelevant ist,399 schwenkte die Rechtsprechung auf zwei andere Begründungsansätze um, nämlich zum einen 391 So schon RAG JW 1930, 2729 (2730); RGZ 77, 309 (312 f.); RGZ 88, 278 (282 f.); RG WarnRspr. 1918 Nr. 25; BAG AP Nr. 33 zu § 133 BGB; LAG Frankfurt BB 1975, 562; Trinkner, BB 1967, 999 (1001); Basedau; BB 1969, 1316 (1317); Soergel/Hefermehl, Bd. 2, § 119 Rn. 13; Kibler, ZIAS 1995, 51 (72); a. A. Küster, BB 1968, 1204 (1206). 392 Basedau, BB 1969, 1316 (1317 f.). 393 Siehe Staudinger/Singer, § 119 Rn. 24. 394 Zutreffend Staudinger/Singer, § 119 Rn. 16. 395 So schon Siegel, AcP 111 (1914), 1 (92); ferner Staudinger/Singer, § 119 Rn. 16; MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 121; a. A. Rieble, FS Löwisch, S. 229 (233), der das Vorliegen konkreter Vorstellungen ausländischer Arbeitnehmer bei der Unterzeichnung von Ausgleichsquittungen für einen „atypischen Fall“ hält. 396 Kramer/Marhold, AR-Blattei SD 290, Rn. 161; B. Müller, BB 1976, 1466 (1469): „Hier wird er in aller Regel in Beweisnot geraten.“; abweichend LAG Hamm BB 1976, 553: Der Arbeitgeber muß beweisen, daß der Arbeitnehmer die Erklärung verstanden hat und der deutschen Sprache ausreichend mächtig ist. 397 Siehe dazu schon Siegel, AcP 111 (1914), 1 (81). 398 Siehe dazu im einzelnen Siegel, AcP 111 (1914), 1 (82 ff.) 399 Siehe RGZ 62, 201 (205): „Auf die Frage, ob der Irrtum verschuldet, oder unverschuldet ist, kommt es aber überhaupt nicht an, da der § 119 B. G. B. einen solchen Unterschied nicht macht. Entscheidend ist vielmehr allein die Tatsache des Irrtums und seine Kausalität für die angefochtene Willenserklärung.“

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auf den Ausschluß der Anfechtung aus Rücksichtnahme auf den Verkehr400 und zum anderen auf den Ausschluß wegen Verneinung des Irrtums.401 Dieser letztgenannte – an sich richtige – Ansatz hat dann die Rechtsprechung der folgenden Jahrzehnte maßgeblich geprägt. Die Anfechtung wurde danach zwar für zulässig erachtet, wenn der Unterzeichnende sich eine andere Vorstellung vom Inhalt der Erklärung gemacht hatte.402 Wer ohne Kenntnis unterschrieb, unterlag aber angeblich keinem Irrtum,403 denn als Irrtum i. S. des § 119 Abs. 1 BGB sei nur die unbewußte Unkenntnis von dem wirklichen Sachverhalt zu verstehen. Es gälten die Grundsätze der ungelesen unterschriebenen Urkunde,404 und zwar auch zu Lasten von Ausländern.405 Die Analyse der nationalen Rechtsprechung zur Anfechtung von Ausgleichsquittungen seit Ende der 1960er Jahre zeigt, daß in der überwiegenden Zahl der Fälle die Voraussetzungen eines Irrtums von den Gerichten als nicht gegeben angesehen wurde. Das hatte seine Ursache teilweise darin, daß die Erklärenden – bzw. die sie vor Gericht vertretenden Rechtsanwälte – sich im Prozeß auf den Vortrag beschränkt hatten, daß die Erklärung nicht durchgelesen worden sei bzw. daß man sich infolge bestehender Sprachunkenntnis keinerlei Vorstellungen über die Bedeutung der Erklärung gemacht habe.406 Damit fehlte es – mangels Divergenz zwischen Wille und Erklärung – schon nach dem eigenen Vortrag der Betroffenen an dem erforderlichen Irrtum.407 Weitere Judikate lassen sich möglicherweise mit dem Bestreben der Gerichte erklären, Schutzbehauptungen der betroffenen Arbeitnehmer über vom Wortlaut der Erklärung abweichende Vorstellungen nicht durchdringen zu lassen. 408 Schließlich steht der Er400

Siehe dazu Siegel, AcP 111 (1914), 1 (84 f.) Siehe dazu Siegel, AcP 111 (1914), 1 (85 ff.) 402 BGH NJW 1995, 190. 403 RGZ 62, 201 (205): „Denn derjenige, der eine Willenserklärung abgibt in dem Bewußtsein, ihren Inhalt nicht zu kennen, z. B. eine Vertragsurkunde ohne Kenntnis ihres Inhalts unterschreibt, befindet sich nicht im Irrtum und kann deshalb nicht anfechten. Er irrt nicht, weil er sich klar über seine Unkenntnis ist und auf alle Fälle will, mag die Sache so oder anders liegen.“; ebenso für nicht hinreichend sprachkundige Ausländer LG Köln WM 196, 821 (1. Leitsatz): „Die Tatsache, daß ein griechischer Bürge nur mit Mühe Deutsch versteht sowie weder in deutscher noch in griechischer Sprache lesen und schreiben kann, stellt keinen zureichenden Grund für die Anfechtung seiner in deutscher Sprache von ihm unterschriebenen Bürgschaftserklärung wegen Irrtums dar.“; ebenso KG JAmt 2005, 424; Hessisches LAG, Urt. v. 1. 4. 2003 – 13 Sa 1240/02 (juris); a. A. Siegel, AcP 111 (1914), 1 (86). 404 BAG AP Nr. 33 zu § 133 BGB. 405 LG Memmingen NJW 1975, 451 = WM 1975, 578. 406 Kibler, ZIAS 1995, 51 (76): „Der Einwand des ausländischen Arbeitnehmers lautet in der Regel, er habe nicht verstanden, was er unterzeichnet hat.“ 407 Siehe z. B. AG Gelsenkirchen BB 1967, 999 m. Anm. Trinkner; LAG Düsseldorf/Köln BB 1968, 125 m. abl. Anm. Trinkner; BGH DB 1967, 2115 (LS); KG JAmt 2005, 424; Hessisches LAG, Urt. v. 1. 4. 2003 – 13 Sa 1240/02 (juris). 408 So möglicherweise in dem Fall BGH NJW 1997, 3230, der durch eine einseitige Sachverhaltswürdigung zu Lasten der iranischen Bürgin gekennzeichnet ist; vgl. auch OLG München NJW-RR 1988, 497 sub II. 2 (obiter dictum), wo die Anfechtung allerdings schon an der 401

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klärende vor dem Problem, seine Fehlvorstellung und den Ursachenzusammenhang zwischen Irrtum und Erklärung vor Gericht nicht nur darzulegen, sondern auch beweisen zu müssen.409 Anders als bei den Fällen der Arglistanfechtung, bei denen aus den objektiven Umständen der Erklärung vielfach auf eine arglistige Täuschung geschlossen werden kann, bereitet dies bei einer Anfechtung wegen Inhaltsirrtums gemäß § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB mitunter erhebliche Schwierigkeiten. Beispiel: So lag es auch in dem Iranerin-Fall des BGH. Der IX. Zivilsenat nahm in seinem zweiten Urteil zu dieser Sache an, die F habe den behaupteten Inhaltsirrtum bei Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde nicht bewiesen.410 Das Berufungsgericht hatte der Zeugenaussage des Vetters M Glauben geschenkt, wonach die F gewußt habe, daß sie eine Bürgschaftserklärung unterzeichne. Selbst wenn man ihm wegen seines wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits keinen Glauben schenken wolle, habe die F ihren angeblichen Irrtum nicht bewiesen. Der BGH entschied lapidar, es sei aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht die Richtigkeit der Zeugenaussage letztlich habe dahingestellt sein lassen, weil auch dann die F den ihr obliegenden Beweis nicht geführt habe.411

Die Anfechtung wegen Inhaltsirrtums gemäß § 119 Abs. 1 BGB ist weiter dann ausgeschlossen, wenn das Rechtsgeschäft eines sprachunkundigen Ausländers unter Beteiligung eines sprachkundigen Rechtsanwalts zustandekommt. Wegen § 166 Abs. 1 BGB ist auf die zutreffenden Vorstellungen des Rechtsanwalts vom Inhalt des Rechtsgeschäfts abzustellen.412 Das Gleiche gilt, wenn sich ein Ausländer der Hilfe eines sprachkundigen Landsmannes bedient, indem er ihn als Dolmetscher im Privatrechtsverkehr einsetzt. Beispiel: 413 In dem o. g. Fall des BGH hatte sich die beklagte iranische Bürgin ihres eigenen Vetters als Dolmetscher bedient. Obwohl dieser ebenfalls aus dem Iran stammte, war von ihm nach Ansicht des Senats „eine im großen und ganzen zutreffende Aufklärung zu erwarten, weil er seit vielen Jahren in Deutschland lebte, hier Medizin studiert hatte und als Verfristung der Anfechtungserklärung scheiterte; siehe ferner Hess. LAG, Urt. v. 1. 4. 2004 – 13 Sa 1240/02 (juris). In diesem Fall hatte der Kl. offensichtlich hinreichende Deutschkenntnisse besessen, um Unterredungen in deutscher Sprache zu führen. Seine Behauptung, er habe bei Unterzeichnung der streitgegenständlichen Ausgleichsquittung nur die Vorstellung gehabt, seine Papiere abzuholen und den Empfang zu quittieren, hielt das LAG für unsubstantiiert und damit für unbeachtlich. 409 Palandt/Heinrichs, § 119 Rn. 32; siehe auch BGH WM 1959, 348 (349); RG HRR 35, 1372. 410 BGH NJW 1997, 3230 (3231). 411 BGH NJW 1997, 3230 (3231). 412 BAG, Urt. v. 15. 8. 1990 – 2 AZR 153/90 (juris) betreffend einen Prozeßvergleich über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses; BAG, Urt. v. 5. 4. 1990 – 2 AZR 337/89 (juris) betreffend die Irrtumsanfechtung bezüglich eines Klageverzichtsvertrages. 413 Nach BGH NJW 1995, 190 und BGH NJW 1997, 3230.

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Arzt arbeitete, der deutschen Sprache und Schrift mächtig war, die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatte und in langer, vielfältiger Geschäftsverbindung mit der Kl. stand, mit deren Hilfe er nach dem unbestrittenen Vorbringen der Bekl. bereits drei Eigentumswohnungen gekauft hatte“.414 Der BGH rechnete der Beklagten das Wissen des Vetters zu, indem er eine vollständige Aufklärung der Iranerin durch den dolmetschenden Vetter annahm. Diese habe, da sie durch ihren Vetter als Dolmetscher begleitet wurde, die Möglichkeit gehabt, die Mitarbeiter der klagenden Bank nach dem Inhalt der vorgelegten Urkunde zu fragen. Gegen eine Wissenszurechnung in den Fällen der Heranziehung sprachkundiger Landsleute bestehen keine grundsätzlichen Einwände, da eine solche Zurechnung dem Rechtsgedanken des § 166 Abs. 1 BGB (in analoger Anwendung) entspricht. In dem entschiedenen Fall war die Annahme einer vollständigen und richtigen Aufklärung der designierten Bürgin durch ihren Vetter gleichwohl problematisch, weil dieser selbst und seine Ehefrau die Begünstigten der Bürgschaft waren. Der BGH fand allerdings keine Anhaltspunkte dafür, daß die Bank vor oder bei Vertragsschluß damit habe rechnen müssen, daß die beklagte Bürgin durch ihren Vetter bezüglich der Bürgschaft getäuscht worden wäre. Auch die Möglichkeit eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen der Bank und dem Hauptschuldner zulasten der Bürgin wurde von den Gerichten offenbar nicht in Betracht gezogen.

Bei der Wissenszurechnung Dritter, die auf seiten des ausländischen Vertragspartners stehen, ist analog § 166 Abs. 1 BGB also grundsätzlich auf die Kenntnis des Dritten abzustellen. Die Rechtsprechung stellt – analog § 166 Abs. 2 BGB – nur dann auf die Vorstellungen des sprachunkundigen Erklärenden ab, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sich der Prozeßbevollmächtigte an bestimmte Weisungen – z. B. beim Abschluß eines Prozeßvergleichs – gehalten hat, was insbesondere der Fall sei, wenn die Partei selbst an den gerichtlichen Vergleichsverhandlungen teilgenommen habe.415 Für die Anfechtung des Vergleichs kommt es in diesem Falle in entsprechender Anwendung des § 166 Abs. 2 BGB darauf an, ob die Partei vom Prozeßgegner getäuscht und dadurch bestimmt worden ist, die Weisung zum Abschluß des Vergleichs zu erteilen.416 bb) Kritische Würdigung Vor Gericht hatten die Anfechtenden keinen Erfolg, wenn – was wie gesagt häufig geschah – im Prozeß vorgetragen worden war, mangels Sprachkenntnissen habe der Unterschriftsleistende den Inhalt der Erklärung nicht verstanden. Die Rechtsprechung hat es vielfach dabei bewenden lassen. Die Rechtsansicht, daß fehlende Sprachkenntnis die Irrtumsanfechtung nicht begründet,417 ist für sich gesehen rechtlich unangreifbar. Gleichwohl wird, wenn man sich darauf 414

BGH NJW 1997, 3230 (3232). BGHZ 51, 141 (144 ff.) und 2. Leitsatz; dem folgend BAG, Urt. v. 15. 8. 1990 – 2 AZR 153/90 (juris). 416 BGHZ 51, 141 (144 ff.) und 2. Leitsatz. 417 Vgl. LG Köln, WM 1986, 821, 1. Leitsatz. 415

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beschränkt, in rechtstatsächlicher Hinsicht die Erkenntnis verdrängt, daß es nicht verkehrsüblich ist, daß jemand eine Urkunde ungelesen bzw. unverstanden unterschreibt, ohne zugleich eine – mehr oder weniger konkrete – Vorstellung über ihren Inhalt zu haben.418 Damit wird die ungelesene bzw. unverstandene Urkunde den sog. Telquelerklärungen gleichgestellt. Dabei handelt es sich um „Erklärungen, bei denen der Betreffende eben die Situation so nimmt, wie sie ist“,419 so daß er schlechthin jeden Inhalt für sich akzeptiert. Erklärungen dieser Art sind in der Praxis indes seltene Ausnahmefälle.420 Unverstandene Urkunden dürfen nicht mit Telquelerklärungen gleichgesetzt werden.421 Wer eine Urkunde unterzeichnet, ohne sie zu lesen, weiß zwar, daß er den Text nicht kennt. Aber es unterschreibt doch für den Regelfall niemand, ohne sich eine bestimmte Vorstellung davon zu machen, was er mit seiner Unterschrift erklärt. Der Anerkennende hat eine ganz bestimmte Vorstellung von dem Erklärungswert seines Verhaltens und ist der Meinung, durch seine Unterschrift einer bestimmten Vorstellung, einer Willenserklärung Ausdruck zu geben. Gerade hinsichtlich des Erklärungswertes seines Verhaltens aber irrt er sich. Normalerweise hat er weder den Willen noch die Vorstellung, sich blindlings dem Inhalte der Urkunde zu unterwerfen, sondern er unterschreibt, weil er an einen bestimmten Inhalt glaubt.422 Es wäre daher unrichtig – wie es aber das LG Köln in einem Fall getan hat –, die Irrtumsanfechtung mit dem Argument zu versagen, daß der sprachunkundige Erklärende (der in casu zudem Analphabet war) eigenem Bekunden zufolge keine Kenntnis habe nehmen können423 , wenn er doch eine konkrete Vorstellung von dem Erklärungsinhalt gehabt hat.424 Der Betroffene hatte vorgetragen, er habe geglaubt, den Abschluß eines Bürgschaftsvertrags zwischen zwei anderen Personen als Zeuge zu bestätigen, während es sich tatsächlich um die Übernahme einer selbstschuldnerischen Bürgschaft handelte.425 Da im Zivilprozeß die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen des Irrtums beim Erklärenden liegt,426 kann „falscher“ Sachvortrag, also: fehlende Sprachkenntnis statt abweichenden Vorstellungen vom Erklärungsinhalt, nicht durch den „Erfahrungssatz“ ersetzt werden, daß der Unterzeichner einer Er418

Siehe dazu Siegel, AcP 111 (1914), 1 (92). Siegel, AcP 111 (1914), 1 (92). 420 Siegel, AcP 111 (1914), 1 (92) mit Beispielen. 421 Siehe dazu Siegel, AcP 111 (1914), 1 (86); für Anfechtbarkeit auch Titze, Mißverständnis, S. 374 mit Fn. 37; Basedau, BB 1969, 1316 (1317). 422 So die Grundsatzkritik von Siegel, AcP 111 (1914), 1 (86). 423 LG Köln WM 1986, 821 (822). 424 So auch Basedau, BB 1969, 1316 (1317). 425 Vgl. LG Köln WM 1986, 821; ablehnend zu dieser Entscheidung Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (473) und MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 118. 426 Siehe Neumann, DB 1960, 1453 (1455) und Kibler, ZIAS 1995, 51 (73), jeweils zu Ausgleichsquittungen; ferner Jancke, Sprachrisiko, S. 250. 419

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klärung normalerweise eine bestimmte Vorstellung von ihrem Inhalt hat, um auf diese Weise die „Beweisnot“ des Klägers427 zu beheben.428 Man kann weiter den Fall bilden, daß der Erklärende bei Abgabe damit rechnete, daß der Urkundeninhalt teilweise von seiner Vorstellung abweicht. Siegel hat hierfür als dritte Kategorie neben den Normalerklärungen und den Telquelerklärungen die Kategorie der sog. Risikoerklärung429 gebildet.430 Erklärungen dieser Kategorie sind dadurch gekennzeichnet, daß der Unterzeichner bestimmte Vorstellungen vom Erklärungsinhalt hat, aber zugleich auch das Bewußtsein, daß ein Teil seiner Vorstellungen möglicherweise unrichtig ist.431 Dennoch gibt er die Erklärung in Unkenntnis ihrer genauen Tragweite ab und geht das Risiko einer Abweichung ein, handelt also diesbezüglich mit dolus eventualis. Die Fälle der unverstandenen Urkunde gehören grundsätzlich hierher. Beispiel: 432 Die Parteien stritten um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Eigenkündigung betreffend das Arbeitsverhältnis des Klägers, die dieser nach § 123 BGB und nach § 119 BGB angefochten hatte. Der Kläger, der offenbar nur geringe Kenntnisse der deutschen Sprache besaß, hatte eine Kündigungserklärung abgegeben, nachdem er auf einer Betriebsversammlung und durch die Personalabteilung seines Arbeitgebers darüber informiert worden war, seine Unterschrift sei nötig, um zumindest im Rahmen des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers für drei Monate seine Arbeitsbezüge zu sichern. Nach Unterzeichnung der Erklärung sollte er sich sodann beim zuständigen Arbeitsamt arbeitslos melden. Das LAG verneint sowohl die Voraussetzungen des 427

Siehe B. Müller, BB 1976, 1466 (1469). So aber Birk, EzA BGB § 119 Nr. 6, der die Meinung vertritt, daß die gewöhnlichen Beweislastregeln unanwendbar seien und daß die auf einem Erfahrungssatz beruhende widerlegliche Vermutung bestehe, daß der Arbeitnehmer in der Regel keinen Verzichtswillen bei der Unterzeichnung solcher Schriftstücke besitze. Daher sei es Sache des sich auf die Urkunde stützenden Arbeitgebers, das Vorliegen eines Verzichtswillens des Arbeitgebers darzutun. – Die Vorstellung einer Partei bei Abgabe einer Willenserklärung ist Tatsachenfrage (BAG NJW 1971, 639, 640 = BAGE 22, 424 = BAG AP Nr. 30 zu § 133 BGB) und somit gemäß § 559 Abs. 2 ZPO für das Revisionsgericht vorbehaltlich der Verletzung von Denkgesetzen und Erfahrungssätzen sowie dem Vorliegen von Verfahrensfehlern bindend. 429 Um in einem solchen Fall zur Anfechtung berechtigt zu sein, muß der Betroffene nach Siegel, AcP 111 (1914), 1 (94) darlegen und beweisen, daß er von falschen Vorstellungen erfüllt war und mit keiner Abweichung gerechnet hat, wobei ihm die praesumtio facti zugutekomme, daß niemand sich Beschwerungen unbesehen aufbürden zu lassen pflege, die im Verkehr nicht üblich seien. Das moderne Schrifttum entscheidet zutreffend, daß die Anfechtung grundsätzlich ausgeschlossen ist, siehe MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 55. 430 Siegel, AcP 111 (1914), 1 (92 ff.). 431 Vgl. auch BGH NJW 1969, 184: „Irrtum ist die unbewußte Unkenntnis vom wirklichen Sachverhalt; dagegen kann sich, wer die Ungewißheit bewußt in Kauf nimmt, nicht auf einen Irrtum berufen (RGZ 134, 25, 31; BGH, NJW 51, 705).“; Erman/Palm, § 119 Rn. 31: „Ein Irrtum liegt nicht vor, wenn der Erklärende die Möglichkeit bewusst in Kauf nimmt, dass seine Vorstellung unrichtig oder lückenhaft ist (. . .), zB weil er sich darüber im Klaren ist, dass er die wirtschaftliche und rechtliche Tragweite der Erklärung nicht übersieht oder weil er bewusst die Unkenntnis des Inhalts in Kauf nimmt (. . .).“ 432 Nach LAG Köln, Urt. v. 2. 9. 2004 – 6 Sa 274/04 (juris). 428

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§ 123 BGB als auch einen Inhaltsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 BGB, letzteren mangels positiver unrichtiger Vorstellung über den Erklärungsinhalt. Dem Kläger sei durchaus bewußt gewesen, daß er eine rechtserhebliche Erklärung abgebe. Die bewußte Unkenntnis über Inhalt und Rechtsfolgen berechtige den Kläger nicht zur Irrtumsanfechtung. Er müsse sich vorhalten lassen, die Erklärung möglicherweise in Unkenntnis ihrer genauen Tragweite abgegeben zu haben. Er sei damit bewußt ein Risiko eingegangen, von dem er sich nachträglich nicht über eine Irrtumsanfechtung befreien könne.

Auf die Ausgleichsquittungsfälle angewendet bedeutet das folgendes: Ist sich der Erklärende in dem konkreten Fall nicht sicher, ob er mit seiner Unterschrift nur die Empfangnahme seiner Papiere quittiert, hält er darüber hinausgehende Erklärungsinhalte aber mindestens für möglich und unterzeichnet er das Formular gleichwohl, so trägt er die damit verbundenen Risiken und ist folglich zur Anfechtung wegen Inhaltsirrtums nicht befugt.433 Der Umstand, daß die Anfechtung bei „schuldhaftem“ Verhalten, z. B. bei unterlassener Nachfrage des Erklärenden, zulässig ist, heißt nicht, daß damit der Anfechtung Tür und Tor geöffnet wäre. Vereinfachend gesagt muß sich der Erklärende „sicher“ und nicht nur „möglicherweise geirrt“ haben. Wenn der Kreis der möglichen Abweichungen vom Erwartungshorizont des Unterzeichnenden nach Siegel auch „ziemlich eng“434 gezogen ist, so lassen sich außerhalb der Ausgleichsquittungsproblematik einige Beispiele für Risikoerklärungen sprachunkundiger Ausländer finden. Beispiel 1: 435 Die Kläger, beide türkische Staatsangehörige, behaupteten im Zivilprozeß, über einzelne Regelungen eines notariellen Grundstückskaufvertrags im unklaren gewesen zu sein. Ihre im Notartermin anwesende Tochter hatte Teile des Vertrags für sie in die türkische Sprache übersetzt. Das OLG bewertet dies als „bewußte Unkenntnis“ und lehnt zutreffend einen Irrtum ab.436 Beispiel 2: 437 Die Beklagte hatte für Darlehen ihres Ehemannes und der Firma Z drei schriftliche Bürgschaftserklärungen abgegeben, aus denen sie die Darlehensgeberin (die Klägerin) nunmehr in Anspruch nehmen wollte. Die Beklagte machte im Prozeß geltend, daß sie bei Unterzeichnung der Erklärungen noch nicht deutsch gesprochen habe und davon ausgegangen sei, ihre Unterschrift bedeute nur, daß der Darlehensbetrag an ihren Ehemann ausgezahlt werde. Sie hatte die Erklärung zuvor wegen Irrtums angefochten. Das OLG verneinte zutreffend die Anfechtungsvoraussetzungen: Nach ihrem eigenen Vortrag habe die Beklagte den deutschen Text der drei Bürgschaftserklärungen nicht verstanden. Ihr Verständnis von der Unterschrift erkläre nicht, warum drei verschiedene 433

MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 55. Siegel, AcP 111 (1914), 1 (94). 435 OLG Köln VersR 2000, 243. 436 OLG Köln VersR 2000, 243 (244). In dem Fall hatte jedoch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung Erfolg. 437 Nach OLG München NJW-RR 1988, 497. 434

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Urkunden zu unterschreiben waren. Auch für einen der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer sei nach dem äußeren Erscheinungsbild der drei Bürgschaftserklärungen offensichtlich gewesen, daß der Inhalt dieser Urkunden weit über das hinaus ging, was angeblich nach Auffassung der Beklagten Inhalt der Erklärungen sein sollte. Ihr sei mit anderen Worten klar gewesen, daß die von ihr unterzeichneten Erklärungen wesentlich inhaltsreicher waren als das, was sie (angeblich) verstanden hatte. Die ihr nach ihrer Auffassung abverlangte Erklärung hätte solch umfangreiche Vertragswerke nicht erfordert. Hieraus ergebe sich, daß die Beklagte seit der Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunden positiv gewußt habe, daß sich ihre Vorstellung vom Inhalt der Erklärung und deren wahrer Inhalt nicht decken konnten. Im Hinblick darauf, daß der Erklärungsinhalt weit über das von ihr Vorgestellte hinaus ging, müsse man nach den Grundsätzen für das Unterschreiben einer ungelesenen Urkunde schon einen zur Anfechtung berechtigenden Irrtum ausscheiden. Außerdem war die über zweieinhalb Jahre später erfolgte Anfechtung verspätet und damit nicht wirksam (§ 121 BGB). Nach Ansicht des Gerichts wäre unter den gegebenen Umständen eine unverzügliche Eventualanfechtung erforderlich gewesen. Denn eine Eventualanfechtung sei schon dann erforderlich, wenn der Irrende wisse, daß sich Wille und Erklärung möglicherweise nicht deckten.

cc) Vereinzelte Zulassung der Anfechtung von Ausgleichsquittungen durch die Rechtsprechung Von der unter aa) erörterten, die Anfechtung von Ausgleichsquittungen stark einschränkenden Rechtsprechung gibt es aber auch Ausnahmen zu verzeichnen. Beispiel: 438 Der Kläger, ein spanischer Arbeitnehmer, hatte nach zweijähriger Tätigkeit in einem deutschen Betrieb eine Erklärung unterschrieben, die mit dem Wort „Quittung“ überschrieben war; dieses Wort war um ein Vielfaches dicker gedruckt als der übrige Text. Die sog. Ausgleichserklärung war nach den Feststellungen des LAG nicht von dem sonstigen Text abgehoben, stand vielmehr mittendrin und schloß unmittelbar an den vorausgegangenen Satz an. Das LAG bejahte die Zulässigkeit der Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB. Zur Begründung führte es aus, daß eine solche Erklärung – insbesondere, wenn sie wie im Fall im Zusammenhang mit der Auszahlung des Restlohnes und der Hergabe der Arbeitspapiere zur Unterschrift vorgelegt werde – selbst für einen Arbeitnehmer, der der deutschen Sprache mächtig ist, kaum als Ausgleichsquittung erkennbar gewesen wäre. Erst recht müsse angenommen werden, daß der Kläger, der nach zweijähriger Tätigkeit in einem deutschen Betrieb den Begriff „Quittung“ und seine Bedeutung439 sicher kennengelernt habe, nicht erkennen konnte, daß er zugleich eine Verzichtserklärung unterzeichne.440 Aus der Nichtheranziehung des im Betrieb vorhande438 Nach LAG Baden-Württemberg BB 1966, 860; gleichfalls („Quittung“ statt „Ausgleichsquittung“ in der Überschrift) LAG Düsseldorf, Urt. v. 31. 10. 1975 – 16 Sa 599/75, EzA § 119 BGB Nr. 6 m. Anm. Birk, wo ebenfalls Inhaltsirrtum angenommen wurde. 439 Siehe auch die Legaldefinition in § 368 S. 1 BGB: „Quittung (schriftliches Empfangsbekenntnis)“. 440 Abweichend Rieble, FS Löwisch, S. 229 (233), der „ein diffuses negatives Nichterwarten (sic!) eines bestimmten (sic!) Erklärungsgehaltes“ nicht ausreichen lassen will. Wörtlich folgert Verf. aus dieser Prämisse: „Daß der Arbeitnehmer nicht mit einer Ausgleichsquittung

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nen Dolmetschers ergebe sich nach den gesamten Umständen ebenfalls, daß der Kläger sich darauf verlassen habe, nur eine Quittung zu unterzeichnen.

Daraus wird ersichtlich, daß der Unterzeichner einer Ausgleichsquittung in der Rechtspraxis durchaus die Vorstellung haben kann, lediglich den Erhalt seiner Papiere zu quittieren.441 Eine entsprechende positive unrichtige Vorstellung wird in der Rechtsprechung zutreffend als zur Anfechtung berechtigender Irrtum angeführt.442 So hat das BAG in einer offenbar unveröffentlicht gebliebenen Entscheidung443 die Irrtumsanfechtung bezüglich einer Ausgleichsquittung ausdrücklich zugelassen. c) Ergänzende Anwendung des Bereicherungsrechts auf Ausgleichsquittungen? aa) Abgesehen von der Irrtumsanfechtung kommt auch eine Beseitigung der Ausgleichsquittung durch Bereicherungsrecht – genauer: als Kondiktion eines negativen Schuldanerkenntnisses gemäß § 812 Abs. 2 BGB – in Betracht. Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung hat die Kondiktion von Ausgleichsquittungen nach § 812 Abs. 2 BGB erstmals schon in den Zeiten der Weimarer Republik zugelassen.444 Später hat sie sich mehrfach zu dieser Frage – mit unterschiedlichen Ergebnissen – geäußert.445 Die Kondiktion eines negativen Schuldanerrechnet, begründet nicht die Anfechtbarkeit seiner Vertragserklärung. § 119 Abs. 1 BGB verlangt einen konkreten Vorstellungsgehalt der eigenen Erklärung – sonst liegt kein Irrtum vor.“ Dagegen ist einzuwenden, daß ein Arbeitnehmer, der einen „bestimmten Erklärungsinhalt“ nicht erwartet, als Kehrseite der Medaille regelmäßig eine positive Vorstellung hat, nämlich: „Ich erkläre mit meiner Unterschrift keinen Verzicht auf noch bestehende Ansprüche, es handelt sich bloß um eine Quittung über den Empfang meiner Papiere.“; so auch Staudinger/Singer, § 119 Rn. 11 m. w. N.: Auch wer „blind“ unterschreibe, habe doch gewisse Mindestvorstellungen über Art und Umfang des Rechtsgeschäfts. In bezug auf diese Vorstellungen sei dem Unterzeichner der Inhalt der Urkunde keineswegs gleichgültig, so daß eine Divergenz zwischen Wille und Erklärung sehr wohl in Betracht komme. Nach Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 27 genügt „eine ungefähre Vorstellung, ohne daß sich der Irrende aller Details bewußt zu sein braucht“. 441 A. A. Rieble, FS Löwisch, S. 229 (233). 442 LAG Baden-Württemberg BB 1966, 860; LAG Köln, Urt. v. 2. 9. 2004 – 6 Sa 274/04 (juris); vgl. auch Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 1951. 443 BAG, Urt. v. 5. 4. 1990 – 2 AZR 337/89 (juris). 444 RAG, Urt. v. 23. 9. 1931, ARS 14, 131 (136 f.); RAG, Urt. v. 25. 11. 1931, ARS 14, 111 (114) ; RAG, Urt. v. 17. 9. 1932, ARS 16, 241 (249). 445 BAG BB 1977, 1400 = DB 1977, 1559: Verzichtserklärung kann im Wege der Anfechtung nach § 119 und § 123 BGB sowie der Kondiktion nach § 812 Abs. 2 BGB in ihren Rechtswirkungen wieder beseitigt werden; in dem Fall waren die Voraussetzungen aber nicht gegeben; LArbG München, Urt. v. 12.12. 1968 – 3 Sa 852/68 (juris): Kondiktion des negativen Schuldanerkenntnisses in bezug auf entstandene, aber unbekannte Ansprüche; LArbG München NZA-RR 1998, 198 = BB 1998, 269: kein Kondiktionsanspruch aus § 812 Abs. 2 BGB, weil Rechtsgrund des geleisteten Anerkenntnisses ein durch gegenseitiges Nachgeben zustandegekommener Abfindungsvergleich gemäß § 779 BGB war. Aus der Literatur siehe Ekkert, AR-Blattei SD 1620 (zur ungerechtfertigten Bereicherung im Arbeitsrecht); Kramer/ Marhold, AR-Blattei SD 290 (zur Ausgleichsquittung insgesamt); ablehnend B. Müller, DB

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kenntnisses nach § 812 Abs. 2 BGB setzt allgemein voraus, daß der Erlaßvertrag selbstständig und abstrakt ist, daß er also auf einem eigenen Rechtsgrund beruht.446 Der Gläubiger, d. h. der Arbeitnehmer, muß darlegen und beweisen, daß er glaubte, ihm stünden keine Forderungen mehr gegen den Schuldner, d. h. gegen den Arbeitgeber zu, während in Wahrheit noch Forderungen bestanden.447 Kennt der Gläubiger hingegen das tatsächliche Bestehen des Schuldverhältnisses, kann er das Anerkenntnis nicht nach § 812 Abs. 2 BGB zurückverlangen; 448 ebensowenig dann, wenn er mit der Möglichkeit des Bestehens von Forderungen gegen den Arbeitgeber rechnete; 449 in beiden Fällen ist Erlaß anzunehmen.450 In dem oben erörterten Problemfall der Unterzeichnung der Ausgleichsquittung durch einen sprachunkundigen Arbeitnehmer als bloße Empfangsbescheinigung liegt die Sache im einzelnen wie folgt: bb) In einem anzunehmenden Grundfall hat der Arbeitnehmer Kenntnis von dem Bestehen des Schuldverhältnisses – Restlohn, Resturlaub, usw. –, er weiß aber nicht, daß seine Unterschrift unter das Ausgleichsquittungsformular gerade dieses Schuldverhältnis gegen seinen Willen zum Erlöschen bringt. Die vorhandene Kenntnis vom Bestehen der Schuld scheint gegen eine Kondiktion nach § 812 Abs. 2 i. V. m. § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB zu sprechen. Gleichwohl ist die Kondiktion nach hier vertretener Auffassung jedenfalls dann zulässig, wenn der Arbeitgeber den fehlenden Verzichtswillen kannte oder kennen mußte.451 Denn wegen des Vorrangs der Auslegung gilt die Erklärung mit dem wirklich gewollten Inhalt, d. h. als einfache Quittung i. S. des § 368 S. 1 BGB. Die objektiv gesehen abgegebene Verzichtserklärung ist unwirksam, so daß es an einer wirksamen causa 452 für das negative Schuldanerkenntnis fehlt. cc) Anders liegt es im Fall der Abgabe einer sog. „Risikoerklärung“, d. h. wenn der sprachunkundige Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Unterschriftsleistung damit rechnet, mehr als nur den Empfang seiner Papiere zu bescheinigen.453 Dieser Fall ist wertungsmäßig einem unbeachtlichen Motivirrtum 1977, 1466 (1469 f.): keine Kondiktion, da lediglich Motivirrtum; ebenso Schulte, DB 1981, 937 (943). 446 MüKo BGB/Kramer, § 812 Rn. 374. 447 Neumann, DB 1960, 1453 (1455); Kibler, ZIAS 1995, 51 (75). 448 BGH WM 1982, 671 (672 f.); MüKo BGB/Schlüter, § 397 Rn. 14 m. w. N. 449 MüKo BGB/Schlüter, § 397 Rn. 14 m. w. N.; Eckert, AR-Blattei SD 1620 Rn. 181 m. w. N.; betreffend die Ausgleichsquittung ebenso MüHdbArbR/Wank, § 127 Rn. 34; Neumann, DB 1960, 1453 (1455). 450 MüKo BGB/Schlüter, § 397 Rn. 14 m. w. N. 451 So wohl auch MüHdbArbR/Wank, § 127 Rn. 34: „Auch in den übrigen Fällen, in denen die Ausgleichsquittung zu Unrecht abgegeben wurde, besteht ein Rückforderungsanspruch des Arbeitnehmers.“ 452 Vgl. MüKo BGB/Kramer, § 812 Rn. 384. 453 Wie hier Neumann, DB 1960, 1453 (1455): „Schon in dem Falle, daß er [scil. der Arbeitnehmer] bloß mit der Möglichkeit rechnete, noch Forderungen zu haben, entfällt nämlich sein Rückforderungsanspruch.“; ebenso RAG, Urt. v. 25. 7. 1934, ARS 21, 214, 1. Leitsatz: „Ob die Ausgleichsquittung eines Angestellten dahin zu verstehen ist, daß damit seine sämtlichen An-

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gleichzustellen. Es wäre inkonsequent, hier die Irrtumsanfechtung zu verneinen, aber die Kondiktion nach § 812 Abs. 2 BGB zuzulassen. Bestehende Zweifel gehen damit zu Lasten des Arbeitnehmers.454 Dem ist der Fall rechtlich gleichzustellen, daß die Parteien – durch gegenseitiges Nachgeben – einen Abfindungsvergleich gemäß § 779 BGB oder einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen haben und darin ausdrücklich alle bekannten und unbekannten Ansprüche einbeziehen. Eine diesbezügliche Ausgleichsklausel ist dann nicht nach § 812 Abs. 2 BGB kondizierbar.455 Das setzt allerdings voraus, daß die Parteien in ihrem Vergleich klar und eindeutig erklärt haben, daß auch entstandene, aber den Parteien unbekannte Ansprüche zum Erlöschen gebracht werden sollen. 456 dd) Schließlich ist drittens der Fall zu untersuchen, daß dem Arbeitnehmer bei Unterschriftsleistung infolge Inhaltsirrtums der Verzichtswille fehlte, der Arbeitgeber diesen Umstand aber nicht kannte und auch nicht kennen mußte. Der Erlaßvertrag ist hier zunächst wirksam zustandegekommen, weil die Verzichtserklärung des Arbeitnehmers objektiv ausgelegt wird und sich dieser Inhalt mit der konkludenten Erklärung des Arbeitgebers deckt. Allerdings kann der betroffene Arbeitnehmer seine Willenserklärung wegen Inhaltsirrtums mit der Wirkung des § 142 Abs. 1 BGB anfechten. Konsequenterweise ist dann – nach Erklärung der Anfechtung – auch die Kondiktion der Ausgleichsquittung gemäß § 812 Abs. 2 BGB zulässig. Denn der Arbeitgeber ist nämlich um das Eigentum und den Besitz an der inhaltlich unrichtigen Urkunde bereichert. 457 d) Zusammenfassung aa) Die Anwendung der sog. Grundsätze des Unterschreibens einer ungelesenen Urkunde auf „Sprachrisiko“-Fälle ist im Ergebnis insofern jedenfalls teilweise tragfähig, als derjenige, der lediglich geltend macht, die deutsche Sprache nicht zu beherrschen und daher die eigene Erklärung nicht verstanden zu haben, mangels einer Inkongruenz von Wille und Erklärung nicht zur Irrtumsanfechtung berechtigt ist.458 Unrichtig wäre es jedoch, aus der Anwendung dieser sprüche auch insoweit abgegolten sein sollen, als sich später herausstellt, daß er nicht vollständige Zahlung erhalten hat, ist eine Frage der Tatsachenwürdigung. Wird sie bejaht, so kann das in der Ausgleichsquittung liegende negative Schuldanerkenntnis durch den Nachweis, daß nicht alles Geschuldete geleistet sei, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 BGB.) rückgängig gemacht werden.“ 454 Vgl. Neumann, DB 1960, 1453 (1455). 455 So lag es in dem Fall LAG München BB 1998, 269 (271); siehe auch LAG München, Urt. v. 12. 12. 1968 – 3 Sa 852/68, Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung 1969, C5 (juris). 456 LAG München, Urt. v. 12. 12. 1968 – 3 Sa 852/68, Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung 1969, C5 (juris). 457 Vgl. auch Eckert, AR-Blattei SD 1620 Rn. 184 m. w. N. 458 Für die Erstreckung der Grundsätze der ungelesenen Urkunde auf die unverstandene Erklärung siehe schon Siegel, AcP 111 (1914), 1 (94).

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Grundsätze zu folgern, daß dem Betroffenen immer – auch bei Vorhandensein einer unrichtigen Vorstellung vom Erklärungsinhalt – der Weg der Irrtumsanfechtung abgeschnitten sei. Dies gilt nämlich nach allgemeinen Grundsätzen nur dann, wenn er sich keine positive Vorstellung vom Urkundeninhalt gemacht hat, weil dann keine Abweichung von Wille und Erklärung vorliegt.459 Liegt eine unrichtige positive Vorstellung von der Erklärung vor und kann sie weiter vom Anfechtenden auch bewiesen werden, so kommt es nicht darauf an, ob der Anfechtende die Erklärung vor Unterzeichnung gelesen hat oder nicht.460 Hat der Erklärende z. B. zunächst eine konkrete Erwartung hinsichtlich des Erklärungsinhalts besessen, die durch eine bloß kurze und oberflächliche Lektüre fälschlicherweise bestätigt wird und leistet er danach die Unterschrift unter ein Schriftstück mit objektiv abweichender Bedeutung, ist er zur Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB ebenso berechtigt, wie wenn er das Schriftstück nicht gelesen hätte.461 bb) Der Irrtum der Erklärenden bezieht sich regelmäßig auf das Verständnis eines Textes, d. h. auf Worte, nicht auf Zahlen. Wenn dem Erklärenden klar geworden ist, welche Art von Erklärung er abgibt – beispielsweise einen Darlehensantrag oder eine Bürgschaftserklärung gegenüber einer Bank –, ist regelmäßig für eine Fehlvorstellung über die Höhe der eingegangenen Verpflichtung kein Raum. Abgesehen von Fällen der arglistigen Täuschung, d. h. solchen des „Unterschiebens“ der Urkunde, kommt eine Anfechtung praktisch nur in dem Extremfall in Betracht, wenn der Erklärende nicht nur sprachunkundig ist, sondern zudem auch noch Analphabet, der selbst Zahlen nicht zu lesen versteht.462 bb) Weiter ist es möglich und – wenn auch verhältnismäßig selten – rechtstatsächlich nachweisbar, daß der Erklärende bestimmte Vorstellungen vom Erklä459 Siehe die Nachweise in Fn. 36 sowie weiter RGZ 77, 309 (313): „Der Unterzeichner setzt, sei es mit Recht oder Unrecht, einen gewissen Sachverhalt als bestehend voraus und nimmt an, daß die Erklärung diesem Sachverhalte nicht widerspreche. Widerspricht sie ihm dennoch, so hat er über den Inhalt der Erklärung geirrt.“ 460 Zutreffend BAG, Urt. v. 5. 4. 1990 – 2 AZR 337/89 (juris). In dem Fall war der Leseund Unterschriftsvorgang der dem Kläger überreichten Schriftstücke angeblich „sehr kurz“. 461 So BAG, Urt. v. 5. 4. 1990 – 2 AZR 337/89 (juris). In dem Fall hatte der Betroffene vorgetragen, er habe geglaubt, lediglich die Empfangnahme seiner Papiere zu quittieren, während er tatsächlich die Annahme eines Aufhebungsvertrag erklärt und auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage durch Abschluß eines pactum de non petendo (Klageverzichtsvertrag) verzichtet hatte; siehe auch OLG Düsseldorf MittBayNot 2001, 321, 3. Leitsatz. Danach stand der Irrtumsanfechtung nicht entgegen, daß der Verkäufer die notarielle Urkunde unterschrieben hatte, obwohl er sie weder gelesen hatte, noch der Verlesung durch den Notar gefolgt war. Habe sich der Anfechtende eine bestimmte Vorstellung vom Urkundeninhalt gemacht, könne er seine Erklärung wegen Irrtums anfechten, sofern der Erklärungsinhalt von seinen Vorstellungen abweicht. 462 Siehe OLG Hamm WM 1991, 1460 (1462) m. Anm. Bethge, in: WuB I E 2b Konsumentenkredit/Ratenkredit 10.91: Der Beklagte trug vor, er sei von der Aufnahme eines Kredits i.H.v. 9.500 Euro ausgegangen. Der von ihm und seiner Ehefrau unterschriebene Antrag wies die deutlich sichtbare Darlehenssumme von 25.500 Euro aus.

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rungsinhalt hatte, zugleich aber die Vorstellung, daß ein Teil seiner Vorstellungen unrichtig sein könnte, sog. „Risikoerklärung“. In den Fällen dieser Kombination einer positiven, aber falschen Erklärungsvorstellung mit dem Bewußtsein einer nur möglichen Unrichtigkeit derselben trägt der Erklärende das Verständnisrisiko. cc) Auf die Frage, ob der Erklärende schuldhaft gehandelt hat, kommt es generell nicht an. Die Irrelevanz des Verschuldenserfordernisses ergibt sich daraus, daß der Gesetzgeber dieses Kriterium bewußt verworfen und dies durch eine Haftung des Anfechtungsberechtigten auf das negative Interesse gemäß § 122 Abs. 1 BGB kompensiert hat. Hat beispielsweise der im Irrtum befindliche Arbeitnehmer die tatsächlich gegebene Möglichkeit der Heranziehung eines Betriebsdolmetschers zur Übersetzung des ihm zur Unterzeichnung vorgelegten Formulars nicht genutzt, ist er so zu behandeln wie derjenige, der eine Urkunde ungelesen unterschrieben hat, d. h. nach den Grundsätzen des Unterschriftsirrtums.463 Trägt der Arbeitnehmer im Nachhinein nur vor, den Urkundeninhalt wegen fehlender Sprachkenntnisse seinerzeit nicht verstanden zu haben, ist ihm die Anfechtung abgeschnitten. Hat er sich hingegen eine konkrete, aber unrichtige Vorstellung von dem Urkundeninhalt gemacht, ist die Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB zulässig.464 8. Die Anfechtung wegen Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften, § 119 Abs. 2 BGB a) Grundsätzliches aa) Die problematische Teleologie der Vorschrift Die Irrtumsregeln des BGB, die maßgeblich auf Savignys465 Vorstellungen zurückgehen, werden heute als rechtspolitisch fragwürdig angesehen. 466 Besonders stark in der Kritik steht vor allem die Regelung des § 119 Abs. 2 BGB467 463

Staudinger/Singer, § 119 Rn. 24. Staudinger/Singer, § 119 Rn. 24; BGH NJW 1995, 190 (191). 465 Savigny, System, Bd. 3, §§ 114 f. (S. 98 ff.), § 135 ff. (S. 263 ff.) 466 Siehe dazu den Überblick und die differenzierte Stellungnahme bei Staudinger/Singer, § 119 Rn. 3 ff.; siehe auch die kritische Würdigung der Irrtumsregeln bei Flume, BGB AT, § 21, 11 (S. 431 ff.) und das Beispiel zur fragwürdigen Unterscheidung zwischen Erklärungs- und Motivirrtum, a.a.O., § 23, 2 (S. 451). 467 Diese Vorschrift geht maßgeblich auf Savigny, System, Bd. 3, §§ 137, 138 (S. 276 ff.) und Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 442, 587 f. zurück (Eigenschaftsirrtum als ausnahmsweise relevanter Motivirrtum); siehe Savigny, a.a.O., § 137 (S. 283): „Der Irrthum über eine Eigenschaft der Sache ist ein wesentlicher, wenn durch die irrig vorausgesetzte Eigenschaft, nach den im wirklichen Verkehr herrschenden Begriffen, die Sache zu einer anderen Art von Sachen gerechnet werden müßte, als wozu sie wirklich gehört. Die Verschiedenheit des Stoffs ist dazu weder nothwendig, noch stets hinreichend, und der Ausdruck Error in substantia ist daher keine angemessene Bezeichnung.“; ders., a.a.O., § 139 (S. 305): „Ferner ist in der Regel unwesentlich der bloße Irrthum über Eigenschaften des Gegenstandes eines Rechtsver464

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über die Anfechtung in den Fällen des Eigenschaftsirrtums. Dieser Irrtum ist nach herrschender Ansicht ein Spezialfall des Motivirrtums.468 Die Ratio von § 119 Abs. 2 BGB, der also eine Unterart des sonst unbeachtlichen Motivirrtums für beachtlich erklärt, ist nicht eindeutig.469 Deshalb wird die Vorschrift im Schrifttum vielfach als gänzlich verfehlt angesehen.470 Sie sei „eine Fahrt des Gesetzgebers ins Blaue, ein Sprung ins Dunkle, eine Vorschrift aufs Geratewohl“.471 Man kann sie wohl nur mit der so lapidaren wie einleuchtenden Erwägung begründen, daß den Eigenschaften einer Sache oder Person „eine zentrale Bedeutung für den rechtsgeschäftlichen Entschluß zukommt“.472 Nach wie vor

hältnisses, mag auch die irrige Annahme derselben zugleich der Beweggrund für den Willen gewesen sein. Dieses ergiebt sich am unzweifelhaftesten aus dem Gegensatz der wenigen, beschränkten Fälle, in welchen der die Eigenschaften betreffende Irrthum in der That ein wesentlicher ist, und daher den Willen ausschließt (§. 137. 138.).“ – Zur Kritik siehe Adams, AcP 186 (1986), 453 (462 f.): Rechtsprechung und Literatur seien der auf römischrechtlichen Quellen zum error in substantia und dem von den römischen Klassikern vertretenen Grundsatz des aliud pro alio venisse videtur zurückgehenden Formel Savignys nach dem Inkrafttreten des BGB nicht mehr gefolgt. 468 So z. B. Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 37; Staudinger/Singer, § 119 Rn. 47 f., 79 (der Eigenschaftsirrtum sei ein reiner Motivirrtum, den das Gesetz wie einen Erklärungsirrtum behandele, wenn die Eigenschaften verkehrswesentlich sind); Erman/Palm, § 119 Rn. 41 m. w. N.; a. A. Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 35 sowie Flume, BGB AT, § 24, 2 (S. 477 f.): nicht Motivirrtum, sondern Irrtum über die „Sollbeschaffenheit“; dem folgend Medicus, BGB AT, Rn. 770 (mit der Begründung, das Vorgehen der Rechtsprechung zwinge zu nicht überzeugenden Deduktionen aus einer selbst nie überzeugend begründeten Definition); ablehnend auch Titze, FS Heymann, Bd. II, S. 72 (83 ff.) mit dem nicht überzeugenden Argument, daß der Irrtum über eine Eigenschaft als Irrtum über den Erklärungsinhalt und infolgedessen § 119 Abs. 2 BGB als unmittelbar aus § 119 Abs. 1 BGB abzuleitende Konsequenz anzusehen sei (a.a.O., S. 84); gegen diese Begründung schon v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 577): Die Motive gehörten nicht zum Inhalt des Geschäfts; die Eigenschaften, die man seinem Gegner oder der Sache zuschreibe, dienten nicht zur Bezeichnung der Person oder Sache; sie würden oft nicht ausgesprochen, bisweilen absichtlich verschwiegen; sie seien beim Vertrag nicht Gegenstand des Konsenses. Daher sei die irrtümliche Annahme einer Eigenschaft kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung und daher nach § 119 Abs. 1 BGB kein Grund der Anfechtung. 469 Der historische Gesetzgeber hat offensichtlich keine klare Vorstellung davon gehabt, in welchem Umfang der Eigenschaftsirrtum beachtlich sein sollte (so Flume, BGB AT, § 24, 1 auf der Grundlage der Äußerungen der zweiten Kommission in den Motiven und Protokollen; siehe auch Staudinger/Singer, § 119 Rn. 79). 470 Siehe nur Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 338.; Raape, AcP 150 (1949), S. 481 (501); MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 10; auch Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, S. 280 mit Fn. 1301. 471 Raape, AcP 150 (1949), S. 481 (501). 472 So Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S. 218 unter Berufung auf Larenz, BGB AT, 7. Aufl. 1989, § 200 I b (S. 381); siehe ferner Staudinger/Singer, § 119 Rn. 79, der daran anschließend auf das Problem hinweist, daß durch den relativ konturenlosen Tatbestand des Eigenschaftsirrtums eine Gefahr für die Sicherheit des rechtsgeschäftlichen Verkehrs heraufbeschworen werde. Mit Hilfe des Tatbestandsmerkmals der Verkehrswesentlichkeit komme man häufig nicht zu rechtssicheren Bewertungen. Wirksam sei lediglich der Vorrang der Leistungsstörungsregeln.

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wirft der zentrale Begriff der „verkehrswesentlichen Eigenschaft“ allerdings viele Abgrenzungsfragen auf. Beispiel: Der Grad der persönlichen Leistungskraft eines Arbeitnehmers ist aus der Sicht des ihn beschäftigenden Arbeitgebers sicher eine zentrale, vielleicht sogar die wichtigste Eigenschaft überhaupt. Deshalb könnte man dafür eintreten, bei Unterschreitung des von dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Einstellung vorausgesetzten Grades an Leistungsfähigkeit die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB wegen Fehlens verkehrswesentlicher Eigenschaften zuzulassen, statt den Arbeitgeber lediglich auf die Möglichkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses473 zu verweisen. Zur verhaltens- bzw. personenbedingten Kündigung wegen Minderleistung eines Arbeitnehmers (sog. low performance) existiert inzwischen eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung.474 Das BAG hat die Anfechtung in einer älteren Entscheidung – mit Recht – verworfen. Bei mangelnder Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers kann das Arbeitsverhältnis nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur dann durch Anfechtung beendet werden, wenn die für die konkrete Arbeitsaufgabe erforderliche durchschnittliche Leistungsfähigkeit etwa durch ein nicht nur kurzfristiges Gesundheitsleiden erheblich unterschritten wird.475

Da es sich bei § 119 Abs. 2 BGB um geltendes Recht handelt, kommt eine generelle Nichtanwendung der Vorschrift – ein pro non scripta habere – ungeachtet der durch sie verursachten immensen Interpretationsschwierigkeiten nicht in Betracht. Eine tendenziell enge Auslegung der Vorschrift,476 getragen von dem 473

Zur Änderungskündigung wegen fehlender Deutschkenntnisse eines älteren Arbeitnehmers vor dem Hintergrund verschärfter Arbeitssicherheitsbestimmungen siehe LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 24. 1. 2006 – 5 Sa 817/05, AuA 2006, 562 = BeckRS 2006 41013; Revision anhängig beim BAG unter dem Az. 2 AZR 303/06. 474 BAG NJW 2004, 2545 = NZA 2004, 784; BAG NJW 2005, 90 = NZA 2004, 1380; BAG NZA 2008, 693 = NJW 2008, 3019. Ausgangspunkt der Bewertung ist eine dynamische Bestimmung der Leistungspfl icht, die sich an dem Leistungsvermögen des Arbeitnehmers orientiert, nach dem Grundsatz: „Der Arbeitnehmer muß tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann.“ Es gilt kein objektiver Maßstab (BAG NJW 2005, 2545, 2546). Dem Arbeitnehmer ist es aber nicht gestattet, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einseitig nach freiem Belieben zu bestimmen. Die Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer wegen Minderleistung nach § 1 Abs. 2 KSchG kann als verhaltensbedingte oder als personenbedingte Kündigung gerechtfertigt sein. Eine verhaltensbedingte Kündigung setzt voraus, daß dem Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung vorzuwerfen ist. Eine längerfristige deutliche Unterschreitung der durchschnittlichen Arbeitsleistung kann ein Anhaltspunkt dafür sein, daß der Arbeitnehmer weniger arbeitet, als er könnte. Eine personenbedingte Kündigung kommt in Betracht, wenn bei einem über längere Zeit erheblich leistungsschwachen Arbeitnehmer auch für die Zukunft mit einer schweren Störung des Vertragsgleichgewichts zu rechnen ist (BAG NJW 2005, 90, 92). Das BAG hat in einem Fall die langfristige Unterschreitung der Durchschnittsleistung um deutlich mehr als ein Drittel für eine Kündigung ausreichen lassen (BAG NJW 2005, 2545, 2546). 475 BAG AP Nr. 3 zu § 119 BGB = DB 1974, 1531; dem folgend Staudinger/Singer, § 119 Rn. 90; noch strenger v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 584 f.): Noch so bedeutende Unterschiede der Qualität innerhalb des Berufs berechtigten nicht zur Anfechtung, könnten aber einen wichtigen Grund der Kündigung nach § 626 BGB abgeben. 476 Dafür schon v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 578) für den Begriff der wesentlichen Eigenschaft einer Sache.

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Bestreben, die Anfechtung von Motivirrtümern zu begrenzen,477 ist hingegen zulässig und geboten. Das wird an dem obigen Beispiel deutlich: Nach dem allgemeinen Wortsinn ist die persönliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers ohne weiteres als eine verkehrswesentliche Eigenschaft anzusehen, nicht jedoch unter der Prämisse eines unklaren Telos und der Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung mit dem Ziel, die Anfechtung wegen Motivirrtums in möglichst engen Grenzen zu halten.478 bb) Die Subsidiarität der Vorschrift § 119 Abs. 2 BGB ist gegenüber den Gewährleistungsregeln des Besonderen Schuldrechts subsidiär. Dies betrifft auch für den Zeitraum seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes.479 Die Vorschrift hat also von vornherein aus systematischen Gründen nur einen beschränkten Anwendungsbereich. Eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums kommt – jedenfalls nach Gefahrübergang – 480 nicht in Betracht, wenn sich der Irrtum auf Eigenschaften der Kaufsache bezieht, die Gewährleistungsansprüche begründen können. 481 Andernfalls könnten gewährleistungsrechtliche Besonderheiten, namentlich die Verjährung nach § 438 BGB, die Nachfristsetzung gemäß § 437 i. V. m. §§ 439, 323, 281 BGB und der Haftungsausschluß bei grober Fahrlässigkeit des Käufers, § 442 BGB, sehr einfach umgangen werden. b) Die einzelnen Voraussetzen der Vorschrift § 119 Abs. 2 BGB bezieht sich auf verkehrswesentliche Eigenschaften von Personen oder Sachen.

477 So schon RGZ 235 (238); vgl. auch das Fazit von Flume, BGB AT, § 21, 11 (S. 433): „Abschließend ist zur Würdigung der Irrtumsregelung des BGB folgendes zu sagen: Die Entscheidung des BGB für die grundsätzliche Unbeachtlichkeit des Irrtums im Beweggrunde ist sachgerecht.“ 478 Siehe nur S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 294 f.: „Alle vertretenen Auffassungen stimmen in dem Bemühen überein, das Einfallstor, welches § 119 Abs. 2 BGB in den Grundsatz der Vertragstreue eröffnet, nicht zu einer generellen Einbruchstelle für den Motivirrtum werden zu lassen.“ 479 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 82 f.; abweichend Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 50 mit einem Plädoyer zugunsten eines Wahlrechts des Käufers zwischen seinen Rechten aus Sachund Rechtsmängelhaftung und dem Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 2 BGB (Begründung: die neue Verjährungsregelung des § 438 BGB). 480 Zur Frage nach der Erstreckung des Ausschlusses der Anfechtung auf die Zeit vor Gefahrübergang siehe Lorenz/Riehm, Schuldrecht, Rn. 574 m. w. N. 481 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 82. m. w. N. für die Zeit vor und nach der Schuldrechtsreform; Lorenz/Riehm, Schuldrecht, Rn. 573.

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aa) Der Eigenschaftsbegriff Der Begriff der Eigenschaft einer Person oder einer Sache482 wird von der Rechtsprechung relativ weit interpretiert. Es handelt sich dabei nicht nur um die natürlichen Eigenschaften, sondern auch um solche tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die die infolge ihrer Beschaffenheit und vorausgesetzten Dauer nach der Verkehrsanschauung einen Einfluß auf die Wertschätzung der Person bzw. Sache auszuüben pflegen.483 § 119 Abs. 2 BGB erfordert keine Identität zwischen der Person, über deren Eigenschaft geirrt wird und dem Anfechtungsgegner. Vielmehr kann auch ein Irrtum über die Eigenschaften einer dritten Person die Anfechtung begründen, wenn er für Inhalt und Zweck des Vertrags von Bedeutung ist.484 bb) Die Verkehrswesentlichkeit der Eigenschaft Die jeweilige Eigenschaft muß verkehrswesentlich sein. Dieser Punkt ist nach Maßgabe des typischen wirtschaftlichen Zwecks des Geschäfts zu beurteilen.485 Um die Anfechtbarkeit gültiger Rechtsgeschäfte nicht unangemessen auszudehnen, hat schon das Reichsgericht gefordert, unter den Begriff der „verkehrswesentlichen Eigenschaften“ nur solche tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu fassen, die den Gegenstand selbst kennzeichnen, im Gegensatz zu Umständen, die nur mittelbar einen Einfluß auf die Bewertung haben.486 Die ältere Literatur hat zum Teil – im Anschluß an das gemeine Recht und an Savigny487 – nur diejenigen Eigenschaften als wesentlich angesehen, die für die Zugehörigkeit der Sache zu ihrer Art und Gattung bestimmend sind.488 Diesem engen, gattungsorientierten Ansatz ist die Rechtsprechung nicht gefolgt. Der BGH hat dies in Übernahme der reichsgerichtlichen Grundsätze wie folgt formuliert: „Diese Beziehungen des Kaufgegenstandes zur Umwelt sind (. . .) nur dann 482 „Sache“ ist i. S. von „Gegenstand“ zu verstehen, siehe RGZ 149, 235 (238); BGH BB 1952, 330 = LM Nr. 2 zu § 779 BGB; BGH WM 1963, 252 (253) = BB 1963, 285; Flume, BGB AT, § 24, 2 (S. 482); MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 131; Medicus, BGB AT, Rn. 771. – Zu den „Sachen“ i. S. des § 119 Abs. 2 BGB zählen auch unkörperliche Gegenstände wie z. B. Forderungen, Unternehmen, Erbschaften, usw. 483 RGZ 64, 266 (269); RGZ 99, 214; BGHZ 16, 54 (57) = NJW 1955, 340; BGHZ 34, 32 (41) = NJW 1961, 772; BGH DB 1967, 1806; BGHZ 79, 183 (185) = NJW 1981, 864; BGHZ 88, 240 (245) = NJW 1984, 230; MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 131; Staudinger/Singer, § 119 Rn. 80, 84; Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 38; scharf ablehnend Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 340 f. 484 BGH DB 1967, 1806; RGZ 158, 166 (170). 485 Brox/Walker, BGB AT, Rn. 419; für eine Unterscheidung anhand der Verkehrstypik der Eigenschaften Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 346 f.; a. A. Erman/ Palm, § 119 Rn. 43; Soergel/Hefermehl, § 119 Rn. 36, die auf das konkrete Rechtsgeschäft abstellen. 486 RGZ 149, 235 (238); zustimmend Staudinger/Singer, § 119 Rn. 85. 487 Savigny, System, Bd. 3, §§ 137, 138 (S. 276 ff., insb. S. 283, 305). 488 Siehe z. B. v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 578 f.).

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rechtserheblich, wenn sie in der Sache selbst ihren Grund haben, von ihr ausgehen und den Kaufgegenstand kennzeichnen oder näher beschreiben.“489 Die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse müssen nach der Rechtsprechung einen unmittelbaren Einfluß auf die Brauchbarkeit oder den Wert des betreffenden Gegenstands haben, ein nur mittelbarer Einfluß genügt dafür nicht.490 Mit dem Unmittelbarkeitskriterium will die Rechtsprechung die notwendige Abgrenzung zu irrelevanten Motivirrtümern erreichen. Das ist ihr allerdings niemals mit hinreichender Konturenschärfe gelungen.491 Wer sich heute Klarheit über die Verkehrswesentlichkeit einer Eigenschaft verschaffen will, kommt deshalb nicht ohne den Rückgriff auf die zahlreichen Rechtsprechungsnachweise in der einschlägigen Kommentarliteratur aus. Die Lehre hat das Unmittelbarkeitskriterium der Rechtsprechung zum Teil scharf kritisiert 492 und eine Vielfalt von eigenen – zum Teil auch erweiternden – 493 Konzeptionen vorgelegt, die hier nicht im einzelnen nachgezeichnet und analysiert werden können.494 Nochmals hervorgehoben sei aber die mit der herrschenden Lehre abzulehnende Auffassung Kramers, die sog. Lehre vom erweiterten Sachverhaltsirrtum, die maßgeblich auf dem Risikogedanken aufbaut. Folgte man dieser Konzeption, die sich an internationalen Entwicklungen orientiert, wäre eine Anfechtungsmöglichkeit „bei fahrlässiger, oder auch nur objektiv zurechenbarer Veranlassung eines Irrtums des Erklärenden“ zu bejahen.495 Das Anwendungsfeld des § 119 Abs. 2 BGB würde dadurch erheblich erweitert und könnte wohl auch bei sprachenbedingten Irrtümern dementsprechend häufiger zur Anfechtung führen.

489 BGH NJW 1978, 370; siehe auch BGHZ 16, 54 (57) = NJW 1955, 340; BGHZ 34, 32 = NJW 1961, 772. 490 MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 131. 491 MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 116 m. w. N. 492 Paradigmatisch MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 106: Dieser Abgrenzungsmaßstab sei „wegen einer Konturlosigkeit und Mehrdeutigkeit kaum justiziabel und überdies teleologisch unplausibel“. 493 Siehe MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 114 ff. Nach dieser Lehre enthält § 119 Abs. 2 BGB einen nur fragmentarisch ausgedrückten Regelungsansatz, der mit Hilfe von Risiko- und Vertrauensschutzüberlegungen weitergedacht werden muß (a.a.O., Rn. 116). 494 Siehe die Zusammenstellung bei MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 107 ff.; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 338 ff. 495 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 98; MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 121, der ergänzend anführt, daß damit zugleich eine Regelungslücke zwischen § 119 Abs. 2 BGB und § 123 BGB, nämlich die der nicht vorsätzlichen, „unbewußten“ Irreführung beim Vertragsschluß, geschlossen werde. Da der BGH insoweit die Naturalrestitution im Wege der Haftung des anderen Teils aus culpa in contrahendo bejaht, besteht keine echte Regelungslücke. Wenn man freilich wie Kramer in deren Anwendung eine verkehrsfeindliche Umgehung des Unverzüglichkeitserfordernisses des § 121 BGB erblickt und sie konsequent ablehnt, liegt eine ausfüllungsfähige Lücke vor.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

(1) Verkehrswesentlichkeit bei Sachen. Zu den verkehrswesentlichen Eigenschaften zählen bei Sachen alle wertbildenden Faktoren496 , z. B. das Alter, das Baujahr, die Fabrikneuheit eines Kfz, die Urheberschaft an einem Gemälde, Lage und Grenzen eines Grundstücks, seine Bebaubarkeit und die sonstigen rechtlichen Beziehungen zur Umwelt, seine Ertragsfähigkeit, usw., nicht aber der Wert oder der (Markt-)Preis497, außerdem nicht das Eigentum an Sachen498 .499 Da nicht jeder sprachenbedingte (Motiv-)Irrtum die Voraussetzungen für eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB begründet, ist es unrichtig, wenn etwa Dehler 500 meint, daß der Erklärende einem Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften unterliege, wenn er „beispielsweise eine Produktbeschreibung wegen Sprachproblemen falsch versteht und sich deshalb zum Kauf des Produkts entscheidet“. Erst recht trifft es nicht zu, wenn derselbe Autor die These aufstellt, daß viele andere Fallgestaltungen denkbar seien, „in welchen der Erklärende wegen seiner Sprachprobleme über verkehrswesentliche Eigenschaften irrt“.501 Wegen des Grundsatzes der engen Auslegung des § 119 Abs. 2 BGB spielen sprachliche Defizite hier tatsächlich kaum eine Rolle; die von Dehler angesprochenen Irrtümer dürften in aller Regel als rechtlich irrelevante Motivirrtümer zu bewerten sein. Andernfalls müßte auch jedes nicht sprachenbedingte Sich-Verlesen des Erklärenden in einer Produktbeschreibung die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB begründen. Das aber wäre ein ganz unsinniges, mit den Grundsätzen der Irrtumslehre offensichtlich unvereinbares Ergebnis.

496 RGZ 124, 115 (Echtheit einer Briefmarke); BGH NJW 1988, 2597 (2599) (Urheberschaft an einem Gemälde). 497 So BGHZ 16, 54 (57) = NJW 1955, 340; zuvor schon v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 580); im Ergebnis zustimmend, die formale begriffl iche Begründung der Rechtsprechung jedoch nicht teilend Staudinger/Singer, § 119 Rn. 97; dies ökonomisch begründend Adams, AcP 186 (1986), 453 (470 f.), siehe aber auch a.a.O., S. 472 (Anfechtungsmöglichkeit nach § 119 Abs. 2, wenn Informationsvorsprung des Vertragspartners auf einer sozial schädlichen Informationsverschaffung beruhte); a. A. MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 132. – Exkurs: Singer schlägt a.a.O. vor, die Ablehnung der Anfechtung hinsichtlich des Irrtums über den Wert oder Marktpreis einer Sache nicht mit dem Begriff der Eigenschaft, sondern mit dem Prinzip der Privatautonomie zu begründen, da diese den Parteien die Preisfestsetzung weitestgehend in eigener Verantwortung überlasse und damit zwangsläufig auch die Risiken von Fehleinschätzungen zuweise. Von den Fällen unzulässiger Beeinflussung (§ 123 BGB) abgesehen dürfe man sich diesem Risiko nicht durch Anfechtung wieder entledigen, ohne das System der freien Preisbildung am Markt zu zerstören. Dem ist nichts hinzuzufügen. 498 BGHZ 34, 32 (41) = NJW 1961, 772; zuvor schon v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 582), der „die rechtlichen Verhältnisse der Sache, insbesondere das Eigentum“ aus dem Begriff der wesentlichen Eigenschaften herausnimmt und damit begriffl ich einen engeren Ansatz vertritt als die Rechtsprechung; kritisch zur Rechtsprechung MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 134 m. w. N. 499 Siehe auch die Zusammenstellungen bei Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 40; Erman/ Palm, § 119 Rn. 48; Adams, AcP 186 (1986), 453 (462). 500 Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 374. 501 Dehler, ebd. (Fn. 500).

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(2) Verkehrswesentlichkeit bei Personen. Bei Personen502 zählen zu den wesentlichen Eigenschaften z. B. das Alter, das Geschlecht, die Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit,503 die Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit – so jedenfalls im Rahmen von Kreditgeschäften – 504 , außerdem dauerhafte Krankheiten 505 sowie etwaige Vorstrafen, sofern sie einen Bezug zu dem konkreten Geschäft aufweisen506 .507 Wie eingangs dieses Abschnitts bereits erwähnt, rechtfertigen sprachenbedingte Leistungsmängel von Personen die Anfechtung nicht per se, sondern nur dann, wenn die objektive Tauglichkeit einer Person – typischerweise eines Arbeitnehmers – dadurch erheblich herabgesetzt ist. Beispiel: 508 In dem Fall, daß der Leiter einer Montagekolonne eines Gerüstbauunternehmens bei Abschluß des Arbeitsvertrags mangels Deutschkenntnissen nicht in der Lage ist, die geltenden Arbeitssicherheitsbestimmungen zu verstehen und seine Mitarbeiter dementsprechend anzuweisen, fehlt es an einer verkehrswesentlichen Eigenschaft, denn der Obermonteur besitzt nicht die für seine Arbeitsaufgabe notwendige „durchschnittliche Leistungsfähigkeit“, wie sie die Rechtsprechung verlangt. 509

cc) Weitere Erfordernisse Die Rechtsprechung hat außerdem klargestellt, daß nur solche Eigenschaften zu den verkehrswesentlichen gehören, die von dem Erklärenden in irgendeiner Form erkennbar zugrundegelegt wurden. 510 Das kann ausdrücklich, aber auch 502 Regelmäßig handelt es sich um Eigenschaften des Vertragspartners. Doch erfaßt § 119 Abs. 2 BGB auch Eigenschaften Dritter, sofern sie für das konkrete Rechtsgeschäft von wesentlicher Bedeutung sind (Beispiel: Zahlungsfähigkeit des Bürgen), siehe Staudinger/Singer, § 119 Rn. 86 m. w. N.; Erman/Palm, § 119 Rn. 44. 503 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 87. Dies betrifft z. B. berufliche und berufsrechtliche Qualifikationen. 504 RGZ 66, 385; Staudinger/Singer, § 119 Rn. 89; Erman/Palm, § 119 Rn. 45 m. w. N.; v. Tuhr, BGB AT II/1, S. 67 (S. 585); a. A. Flume, BGB AT, § 24, 4 (S. 490). 505 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 90. 506 Beispiele (siehe Staudinger/Singer, § 119 Rn. 88): Verkehrsdelikte eines Kraftfahrers, Vermögensdelikte eines Bankangestellten; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 584) rechnet z. B. Vorstrafen nicht zu den wesentlichen Eigenschaften, wobei er die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB nur zulassen will, wenn der Vertragsgegner bei Fehlen der vorausgesetzten Eigenschaften „zu einer anderen Kategorie von Menschen“ zu zählen ist (Beispiele nach v. Tuhr: Zimmermädchen statt Köchin, Kellner statt Kutscher, Schauspieler statt Sänger). In dem Fall der Vorstrafen eines Angestellten kommt nach dieser Ansicht die Kündigung aus wichtigem Grund in Betracht. 507 Siehe auch die Zusammenstellung bei Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 39. 508 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz AuA 2006, 562. In dem Originalfall waren die Sicherheitsbestimmungen nachträglich verschärft worden, so daß sich der Arbeitgeber – nachdem sich der Betroffene beharrlich geweigert hatte, seine sprachlichen Defizite durch Besuch eines Sprachkurses zu beseitigen – zur Abgabe einer Änderungskündigung veranlaßt sah. 509 Siehe oben bei 8. a aa. 510 BGHZ 88, 240 (246) im Anschluß an RGZ 64, 266 (269); Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 45. Zum Problem der Erkennbarkeit der Eigenschaft ausführlich und im Ergebnis zustimmend Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 342 ff., der dafür (a.a.O.,

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konkludent geschehen, sofern es sich dabei um Selbstverständlichkeiten handelt.511 Bei atypischen Eigenschaften muß der Erklärende dem anderen Teil deutlich machen, daß es ihm gerade auf diese Eigenschaften besonders ankommt.512 Die Eigenschaften müssen weiter gegenwärtig sein. Der Nichteintritt zukünftiger Umstände berechtigt somit nicht zur Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB.513 dd) Alternative Lösungskonzepte? Die sachliche Berechtigung bzw. die Reichweite der genannten Kriterien sind in vielerlei Hinsicht umstritten. Diesen Fragen hier im einzelnen nachzugehen ist leider nicht möglich. Daß die Rechtsprechung bei der Bestimmung der verkehrswesentlichen Eigenschaften keine völlig kohärenten Ergebnisse und keine insgesamt überzeugende dogmatische Lösung zu bieten vermag, liegt auf der Hand und war wegen der zweifelhaften Teleologie der Vorschrift auch nicht anders zu erwarten. Ob die denkbaren Alternativen wie z. B. der alte gattungsoder kategorienbezogene Interpretationsansatz v. Tuhrs514 stimmiger wäre, ist aber zweifelhaft. Eigenschaftsirrtümer bei Geschäften des täglichen Lebens – Schulbeispiele sind der Kauf von Margarine statt Butter und der Erwerb eines Rheinkiesels statt eines Diamanten – lassen sich damit ohne weiteres bewältigen. Wo aber der Gattungsbezug fehlt oder Schwierigkeiten bestehen, eine Person einer bestimmten Kategorie von Menschen zuzuordnen, ergeben sich, zumindest bei einer isolierten Betrachtung des § 119 Abs. 2 BGB, erhebliche Zweifel an der Funktionsfähigkeit dieser abstrakt-gattungsbezogenen Herangehensweise.515 Je spezieller oder individueller der Gegenstand ist, dessen Eigenschaften zu begutachten sind, desto weniger wären sichere Ergebnisse zu erwarten, so etwa bei der Frage nach der Relevanz der Urheberschaft eines Kunstwerks. Da im modernen Rechtsverkehr nicht nur Gattungsgeschäfte abS. 345) verlangt, daß die irrende Partei ihre Vertragsziele „offengelegt“ hat, was weder eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung noch eine tatsächliche Verständigung der Parteien verlange. Als Korrektiv dient die Übernahme des Irrtumsrisikos durch eine Partei. Paradigmatisch hierfür ist der Schulfall, daß der Käufer eines Hochzeitsgeschenks dem Verkäufer den Verwendungszweck mitteilt und die Hochzeit wider Erwarten ausfällt. Hier scheidet die Anfechtung der Erklärung des Käufers aus. 511 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 80; aus der Rechtsprechung siehe BGH NJW 1979, 160 (161) zum Alter eines Kfz als selbstverständlich für den Kaufentschluß bedeutsamer Umstand. 512 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 80. 513 Siehe RGZ 112, 332; RGZ 123, 89; kritisch hierzu Adams, AcP 186 (1986), 453 (478 ff.) in Anlehnung an die Ansicht Buchers zum schweizerischen Obligationenrecht. 514 Siehe nochmals v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 578): nur solche Eigenschaften der Sache seien als wesentlich zu betrachten, „die für die Zugehörigkeit der Sache zu ihrer Art und Gattung bestimmend sind“. 515 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 581) bewältigte das Problem des Spezieskaufs dadurch, daß er § 119 Abs. 2 BGB und § 459 BGB a. F. als einander ausschließend ansah. Der Käufer sei in diesen Fällen auf die Anfechtung verwiesen.

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geschlossen werden, hat die Rechtsprechung jedenfalls darin recht getan, bei der Bestimmung des Begriffs der verkehrswesentlichen Eigenschaft in § 119 Abs. 2 BGB auch auf die individuellen Eigenschaften der konkreten Sache (bzw. der Person) zu blicken, statt allein auf die Art oder Gattung (bzw. die Kategorie von Menschen i. S. v. Tuhrs), wie sie der Rechtsverkehr gewöhnlich unterscheidet, abzustellen.516 Um eine uferlose Ausdehnung der Anfechtungsmöglichkeit und die Gewährung eines Reurechts zu verhindern, muß § 119 Abs. 2 BGB wie eingangs dargelegt eng ausgelegt werden. ee) Das Kausalitätserfordernis Wie die Irrtumsanfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB, setzt auch die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB voraus, daß der Irrende die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde, sog. subjektive Kausalität.517 Das Schrifttum sieht dieses einschränkende Kriterium zutreffend vor dem Hintergrund der Verhinderung eines Mißbrauchs des Anfechtungsrechts. Daraus resultiert die Forderung, die Kausalität zu objektivieren, d. h. als Maßstab für die Erheblichkeit des Irrtums die Anschauungen des Verkehrs zu nehmen, nicht aber die nicht nachvollziehbaren subjektiven Vorstellungen des Erklärenden.518 Dabei bezieht sich das Kausalitätskriterium allerdings immer auf das konkrete Rechtsgeschäft und seine konkreten Zielsetzungen.519 Es ist weiter der umgekehrte Fall in den Blick zu nehmen, daß eine Eigenschaft, die im Verkehr als wesentlich angesehen wird, vom subjektiven Standpunkt des Betroffenen aus unerheblich ist.520 In derartigen, praktisch vermutlich eher seltenen, Fällen, ist die Kausalität des Irrtums zu verneinen. Denn es besteht kein Grund, den Irrenden von der Bindung an ein Rechtsgeschäft zu befreien, das er „nach seinen speziellen, wenn auch unvernünftigen Motiven“ abgeschlossen hätte.521 Im Ergebnis gilt daher, daß sowohl die Erheblichkeit 516

Vgl. auch Erman/Palm, § 119 Rn. 43. MüKo BGB/Kramer, § 119 Rn. 138; Erman/Palm, § 119 Rn. 54; v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 585 f.). 518 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 81, 98; Erman/Palm, § 119 Rn. 54; siehe dazu v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 586): „Anfechtung ist unzulässig, wenn der Irrende aus Unverstand oder Laune auf einen Umstand Wert legt, der für einen vernünftigen und normalen Menschen in dieser Lage nicht entscheidend sein kann oder soll (. . .).“; siehe auch RGZ 62, 201 (206): Es komme darauf an, was der Irrende als verständiger Mann gedacht habe, „also frei von Eigensinn, subjektiven Launen und törichten Anschauungen“. – Die objektive Kausalität wird i.d.R. fehlen, wenn der Erklärende wegen Irrtums wirtschaftlich keine Nachteile erleidet oder wenn sich der Irrtum lediglich auf unwesentliche Vertragspunkte bezieht, siehe Erman/Palm, ebd. 519 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 81. 520 Zutreffend v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 586) mit dem Beispiel, daß jemand ein vermeintlich altes Silbergefäß, das in Wahrheit eine moderne Nachbildung ist, zum Zweck des Einschmelzens kauft sowie dem weiteren Beispiel, daß jemand eine echte Schmucksache, die er für unecht hält, verschenkt, weil er die Sache wegen trauriger Erinnerungen unter keinen Umständen behalten möchte. 521 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 587) mit dem weiteren – allerdings lebensfremden – Bei517

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vom subjektiven Standpunkt als auch nach der objektiven Verkehrsauffassung zusammentreffen müssen, wenn die Anfechtung zulässig sein soll.522 VII. Ausschluß der Anfechtung nach Treu und Glauben 1. Voraussetzungen Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 BGB und die Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB stehen unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Danach scheidet die Anfechtung immer dann aus, wenn der Getäuschte bzw. Irrende an der Anfechtung kein schutzwürdiges Interesse mehr hat 523 oder wenn sie als rechtsmißbräuchlich anzusehen wäre. 524 Diese Voraussetzungen sind beispielsweise erfüllt, wenn die Täuschung nicht zu einer (Vermögens-) Einbuße auf seiten des Erklärenden geführt hat und seine Rechte nicht (mehr) beeinträchtigt sind, 525 oder wenn dem Erklärenden durch die Täuschung im Ergebnis sogar Vorteile zugeflossen sind.526 Auch der Fall der Kündigung eines Arbeitnehmers, der bei der Einstellung eine Täuschung begangen hat, sich danach aber jahrelang im Betrieb bewährte, fällt hierunter. 527 Dauerschuldverhältnisse, bei denen die Rechtsfolge der Vertragsnichtigkeit ohnehin nicht paßt, bilden – jenseits der dafür entwickelten Sonderregelungen wie z. B. der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft – wichtige Anwendungsfälle des Anfechtungsausschlusses nach § 242 BGB.528

spiel, daß ein Sammler gute Kopien ebenso bezahlt wie Originale, weil er die geschichtliche Wertung der Kunstwerke für eine Verirrung des modernen Geschmacks hält. Der Sammler kann nicht anfechten, wenn ein Bild, das er als Original gekauft hat, sich als Kopie erweist. 522 Richtig v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 586 f.): Erheblichkeit nach subjektiver Willkür und nach verständiger Würdigung des Falles. 523 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 99. 524 Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 107; vgl. auch Erman/Palm, § 119 Rn. 7 m. w. N.: Die Anfechtung gewährt dem Irrenden kein Reurecht. 525 RGZ 128, 116 (121); BGH WM 1976, 111 (113); BGH WM 1977, 343 (344); BGH WM 1983, 1055 (1056); BGH NJW 1992, 2346; BGH NJW-RR 1993, 948 (949); BGH NJW 2000, 2894; BAG 75, 77 (86) = NJW 1994, 1363; BAG NZA 1998, 1052 = AP § 123 BGB Nr. 46 = AP § 242 BGB Nr. 24; Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 86; Erman/Palm, § 123 Rn. 45; siehe auch Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 47. 526 Staudinger/Singer/v. Finckenstein, § 123 Rn. 86 m. w. N. 527 BAGE 22, 278 = NJW 1970, 1565, 1. Leitsatz: „Die Anfechtung eines Arbeitsverhältnisses wegen Irrtums nach § 119 BGB oder arglistiger Täuschung nach § 123 BGB kann gegen Treu und Glauben verstoßen und deshalb unbeachtlich sein. Ein Treueverstoß liegt vor, wenn nach den Umständen des Einzelfalls nach langjähriger Tätigkeit der Anfechtungsgrund für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses keine Bedeutung mehr hat.“; siehe auch Staudinger/ Singer, § 119 Rn. 99. 528 Staudinger/Singer, § 119 Rn. 99.

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2. Sprachenbezogene Umstände Hinsichtlich der Sprachenfrage gelten keine Besonderheiten für den Ausschluß der Anfechtung. In dem oben angesprochen Fall, daß der Obermonteur eines Gerüstbauunternehmens bei Vertragsschluß nicht in der Lage ist, die geltenden Sicherheitsbestimmungen auf der Baustelle zu verstehen und die ihm untergebenen Arbeiter entsprechend anzuweisen, wären die Voraussetzungen von § 119 Abs. 2 BGB wie dargelegt erfüllt. Hätte der Betreffende seine sprachlichen Defizite im Zeitpunkt der Anfechtung aber durch Besuch eines Sprachkurses inzwischen in ausreichendem Umfang vermindert oder gar beseitigt, wäre ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers nicht ersichtlich, so daß der Anfechtung die Grundsätze von Treu und Glauben entgegenstehen würden. 3. Das Geltenlassen des Erklärungsinhalts durch den Anfechtungsgegner Ein weiterer Fall des Ausschlusses des Anfechtungsrechts liegt nach allgemeiner Meinung vor, wenn sich der Anfechtungsgegner dazu bereit erklärt, die Willenserklärung in dem vom Erklärenden gewollten Sinn gelten zu lassen, weil dann „der tragende Grund des Anfechtungsrechts, einen Akt fehlerhafter Selbstbestimmung zu beseitigen, entfällt“.529 Auf diese Weise wird verhindert, daß das Anfechtungsrecht vom Erklärenden als Reurecht mißbraucht werden kann.530 Denn die Anfechtung „soll nur dazu dienen, den Erklärenden von den Folgen des Irrtums oder der falschen Übermittlung zu befreien, nicht aber ihm Gelegenheit geben, sich von dem, was er wirklich gewollt hat, aus anderen Motiven loszusagen“.531 4. „Wartepflicht“ des Anfechtungsberechtigten? a) Der Grundsatz von Treu und Glauben erfordert es nach der Rechtsprechung des BGH zu § 123 BGB nicht, dass der Anfechtungsberechtigte zunächst abwartet, ob der Täuschende die durch die Täuschung verursachte Beeinträchtigung alsbald beseitigt. Die Vorschrift sähe das nicht vor, und eine solche Einschränkung sei auch nicht nach Treu und Glauben geboten. Wer seinen Vertragspartner arglistig täusche, werde zu Recht mit der Gefahr einer Anfechtung des Vertrags belastet. Diese Gefahr zu mindern, indem man die Möglichkeit einräume, die arglistig herbeigeführte Beeinträchtigung des Vertragspartners zu beseitigen, um damit der Anfechtung die Grundlage entziehen zu können, wäre nach Ansicht der Rechtsprechung „schon grundsätzlich verfehlt“. 532 529

Staudinger/Singer, § 119 Rn. 100. Dies befürwortend – gegen die damals herrschende Ansicht – v. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 591 f.); so auch Titze, FS Heymann, Bd. II, S. 72 (104). 531 V. Tuhr, BGB AT II/1, § 67 (S. 592). 532 BGH NJW 2000, 2894 = ZIP 2000, 1674. 530

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b) Die Ablehnung einer „Wartepflicht“ des Getäuschten durch die herrschende Literaturansicht überzeugt. Allerdings kann man fragen, ob nicht die nachträgliche Beseitigung der Beeinträchtigung des Getäuschten die Geltendmachung des Anfechtungsrechts gemäß § 242 BGB sperrt, zumindest dann, wenn sie in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Abgabe der Anfechtungserklärung erfolgt. Eine Ausnahme von dem dogmatisch gesehen überzeugenden Grundsatz, daß der Zeitpunkt der Ausübung des Gestaltungsrechts für die rechtliche Beurteilung entscheidend ist, formuliert § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB, wonach die Kündigung des Mietverhältnisses „unwirksam wird“, wenn der Vermieter im Fall des Zahlungsverzugs des Mieters spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs befriedigt wird.533 Daraus ergibt sich, daß ungeachtet der rechtlichen Einordnung der Kündigung als Gestaltungsrecht eine zunächst wirksame Kündigung nachträglich unwirksam werden kann. Überträgt man dies auf die Anfechtungsproblematik, so wäre der Gedanke einer nachträglichen „Sperre“ der Arglistanfechtung nach § 242 BGB infolge der Beseitigung der Beeinträchtigung des Getäuschten zumindest begründbar; dies gilt etwa für den Fall, daß z. B. eine Forderung, deren wahrheitswidrige Leugnung die arglistige Täuschung begründet hatte, einen Monat nach Abgabe der Anfechtungserklärung beglichen wird.534 Im Ergebnis ist gleichwohl der Rechtsprechung zu folgen. Die Rechtsordnung hat keinen Grund, einem arglistig Täuschenden derartige rechtliche Vergünstigungen zu gewähren, wie sie der Gesetzgeber – dogmatisch unsauber – im „sozialen“ Mietrecht des BGB verankert hat.535 Die Abweichung von der Dogmatik, wie sie die Rechtsprechung im Mietrecht bei der Eigenbedarfskündigung für richtig gehalten hat und wie sie nun auch § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB formuliert, sollte als systemwidrige Ausnahme auf das Mietrecht beschränkt bleiben. Hat also der Getäuschte die Anfechtungserklärung abgegeben und beseitigt der Anfechtungsgegner erst nach diesem Zeitpunkt die negativen Folgen des Geschäfts für den Getäuschten, hindert dies den Erfolg der Anfechtung nicht. § 242 BGB ist demnach nicht verletzt, wenn der Getäuschte trotz der Beseitigung der Beeinträchtigung weiter auf der Anfechtung und damit der vollständigen Rückabwicklung des Rechtsgeschäfts beharrt. 533 Siehe auch BGH NJW 2005, 2395 und BGH NJW 2006, 220 zum Problem des Wegfalls der Voraussetzungen der Eigenbedarfskündigung. Nach dieser Rechtsprechung müssen die Voraussetzungen der Eigenbedarfskündigung bis zum Ablauf des Kündigungsfrist vorliegen, andernfalls ist die Kündigung unwirksam. 534 Vgl. den Tatbestand des Urteils BGH NJW 2000, 2894 = ZIP 2000, 1674. 535 Entschiede man anders, würde man vor das weitere Problem gestellt, wie eine schrittweise Beseitigung der Beeinträchtigung (sog. „Salamitaktik“ des Anfechtungsgegners) zu bewerten wäre. Hat der Anfechtungsgegner z. B. vier Fünftel des ausstehenden Betrages geleistet und die Zahlung des restlichen Fünftels in Aussicht gestellt, so liefe das, wenn man auch hier die Anfechtung aus Gründen von Treu und Glauben als gesperrt ansehen wollte, auf die Anerkennung einer „Wartepflicht“ des Getäuschten hinaus, die § 123 BGB nicht kennt.

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5. Der vorübergehende Wegfall des Anfechtungsgrundes Wie gezeigt, ist für die Beurteilung einer Beeinträchtigung der Rechtslage des Getäuschten der Zeitpunkt der Abgabe der Anfechtungserklärung und nicht etwa der des Zugangs maßgeblich.536 Wenn der geltend gemachte Anfechtungsgrund sowohl beim Vertragsschluß als auch in dem für die Entscheidung über die Täuschungsanfechtung maßgeblichen Zeitpunkt vorlag, ist es nach der Rechtsprechung nicht als treuwidrig zu bewerten, wenn der Getäuschte aus seiner Anfechtung Rechte herleitet, obgleich der Anfechtungsgrund zwischenzeitlich – und zwar auch im Zeitpunkt der Anfechtungserklärung – vorübergehend weggefallen war.537 Voraussetzung der Anfechtung ist danach, daß der Anfechtungsgrund bei der Entscheidung über die Wirksamkeit der Anfechtung wieder vorliegt. Die frühere Rechtsprechung hat demgegenüber allein den Zeitpunkt der Abgabe der Anfechtungserklärung für maßgeblich erachtet. 538 Die Änderung der Rechtsprechung verdient keine Zustimmung. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob die Rechtslage des Getäuschten durch die arglistige Täuschung beeinträchtigt wurde, ist der Zeitpunkt der Abgabe der Anfechtungserklärung, d. h. der Zeitpunkt der Ausübung des Gestaltungsrechts. 539 War die Beeinträchtigung des Getäuschten in diesem konkreten Zeitpunkt beseitigt, kommt es auf Umstände und Entwicklungen nach Abgabe der Erklärung nicht mehr an. Der Getäuschte muß folglich die Abgabe der Anfechtungserklärung in zeitlicher Hinsicht danach ausrichten, ob seine Rechtslage beeinträchtigt ist.

C. Rangfragen I. Das Verhältnis des § 123 BGB zu den Regeln der culpa in contrahendo 1. Die parallele Anwendbarkeit nach der Rechtsprechung Die Rechtsprechung bejaht seit langem die parallele Anwendbarkeit von § 123 Abs. 1 BGB und den Regeln über die culpa in contrahendo, d. h. den § 280, § 311 Abs. 2 und § 241 Abs. 2 BGB, soweit diese auf die Rückabwicklung des Vertrags gerichtet ist.540 Sie stützt ihre Ansicht darauf, daß die Vorschriften des Anfech536 BGH WM 1976, 111 (113); BGH WM 1983, 1055 (1056); BGH NJW 1992, 2346; BGH NJW-RR 1993, 948 (949); BGH NJW 2000, 2894. 537 Vgl. BGH NJW 1992, 2346 (2348); dem folgend Erman/Palm, § 123 Rn. 45. 538 BGH WM 1977, 343 (344) = BB 1977, 515; BGH WM 1983, 1055 (1056). 539 Richtig entschieden daher BGH WM 1977, 343 (344) = BB 1977, 515; BGH WM 1983, 1055 (1056). 540 Instruktiv ist der Kreissägenfall BGH NJW 1962, 1196 (1198 f.); siehe auch BGH NJW 1993, 2107 m. w. N.; BGH NJW-RR 2005, 1082 (1084); Arglist- und Drohungsanfechtung werden insoweit gleichbehandelt, siehe BGH NJW 1979, 1983 (1984) sowie BGH NJW-RR 2002, 308 (309 f.).

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tungsrechts im Verhältnis zum Schadensersatzanspruch auf Schuldbefreiung keine Spezialregelungen darstellten, sondern die freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiet gegen unerlaubte Mittel der Willensbeeinflussung schützten, und zwar unabhängig vom Eintritt eines Schadens.541 Demgegenüber verlangt sie für die Haftung nach c.i.c. den Eintritt eines Vermögensschadens.542 § 123 BGB schützt nach dieser Konzeption die Willensfreiheit, die Regeln der c.i.c. dienen hingegen dem Schutz des Vermögens. 543 Ein Argument der älteren Rechtsprechung dafür lautet, daß mit der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs aus c.i.c. nur erreicht werde, daß der Verpflichtete einen schuldrechtlichen Anspruch auf Wiederherstellung des früheren Zustands erlangt. Er entbehre also bei seiner Realisierung der in § 142 BGB normierten „dinglichen Wirkung“.544 2. Kritik und praktische Konsequenzen a) Die praktischen Folgen der Ansicht der Rechtsprechung Ausgehend von der Ansicht der Rechtsprechung erlangt die Anwendbarkeit der §§ 280, 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB neben § 123 BGB eine besondere Bedeutung,545 weil für die c.i.c. bereits eine fahrlässige Pflichtverletzung genügt,546 während für die Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB vorsätzliches Handeln erforderlich ist. Diejenige Partei, welche einem Irrtum unterlegen ist, den die andere Partei fahrlässig verursacht hat – sog. „fahrlässige Täuschung“ –, kann also die Vertragserfüllung unter dem Gesichtspunkt eines Schadensersatzanspruches aus c.i.c. verweigern 547 bzw. die Rückabwicklung des Vertrags verlangen.548 541

BGH NJW-RR 2002, 308 (309); BGH NJW 1995, 2361 (2362); OLG Köln VersR 2000, 243 (246). 542 BGH NJW-RR 2002, 308 (310); BGH NJW 1998, 302; näher zu diesem Erfordernis unten C. III. 543 Siehe auch Schubert, AcP 168 (1968), 470 (504 f.); Staudinger/Dilcher, 11. Aufl. 1976, § 123 Rn. 47. 544 BGH NJW 1962, 1196 (1198) unter Hinweis auf RGZ 79, 194 (197) und RGZ 84, 131 (133). Mit dem Ausdruck „dingliche Wirkung“ ist der Umstand gemeint, daß die Anfechtung gemäß § 142 BGB auch zu einer Dritten gegenüber wirksamen völligen Beseitigung der Schuldverpflichtung führt, daß sie also kassatorische Wirkung hat. 545 Zu beachten ist, was oben B. I. 1. b cc bereits erörtert wurde, daß die Haftung aus c.i.c. namentlich im Verhältnis des Versicherungsnehmers zum Versicherer – jedenfalls nach der Rechtslage vor der VVG-Reform 2008 – auch zu einer Erfüllungshaftung führen konnte. Dieser Aspekt wird im Text nicht noch einmal aufgegriffen. 546 BGH NJW-RR 2005, 1082 (1084); BGH NJW 1998, 302 (303 ff.); BGH NJW 1985, 1769 (1771) m. w. N.; BGH NJW 1968, 985 (987). 547 BGH NJW-RR 2005, 1082 (1084); BGH NJW 1998, 302; BGH NJW 1979, 1983 (1984). 548 So auch in dem obigen Beispielsfall der Verletzung der gegenüber einem ausländischen Arbeitnehmer bestehenden Aufklärungspfl icht betreffend eine durch vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers finanzierte stille Beteiligung i. S. des § 230 HGB, siehe BGH NJW 1993, 2107: „In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, daß Schadensersatz wegen

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Diese Verweigerungsmöglichkeit besteht nach der Rechtsprechung auch noch nach Ablauf der Anfechtungsfrist des § 124 BGB.549 Allerdings kann der Schadensersatzanspruch bei einem überwiegenden Mitverschulden des Geschädigten gemäß § 254 BGB entfallen.550 Beispiel: 551 In dem oben erörterten Beispielsfall des Grundstückskaufs durch ein türkisches Ehepaar hat das OLG neben den Voraussetzungen der Arglistanfechtung auch eine Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluß angenommen. Die Vorschriften des Anfechtungsrechts stellten keine die c.i.c. ausschließende Spezialregelung dar. Nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung sei insbesondere über diejenigen Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck vereiteln könnten und die daher für den anderen Teil von wesentlicher Bedeutung seien. Aus den zur arglistigen Täuschung genannten Gründen hätte der Vater der Beklagten, der dieser als Erfüllungsgehilfe nach § 278 BGB zuzurechnen war, die Kläger über die Festsetzungen im Bebauungsplan aufklären müssen. Da für die Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluß fahrlässiges Verhalten genüge, komme es allein darauf an, ob der Vertragspartner diese Verpflichtung bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte kennen müssen. Der Vorwurf der Fahrlässigkeit treffe den Vater der Beklagten auf jeden Fall, da er sich zumindest vor der notariellen Beurkundung des Kaufvertrags bei den Klägern danach habe erkundigen müssen, ob diese sich inzwischen über die Festsetzungen des Bebauungsplans informiert hätten. Der Schaden der Kläger bestehe darin, daß infolge der durch Bebauungsplan begründeten Möglichkeit, ihnen einen Teil des erworbenen Grundstücks zu entziehen, die Brauchbarkeit der Immobilie für die mit ihr verfolgten Zwecke eingeschränkt sei. Dies sei auch nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden anzusehen.

b) Die dogmatischen Bedenken der Literatur Ein Teil des Schrifttums ist der Ansicht der Rechtsprechung wegen dogmatischer Bedenken entgegengetreten.552 Die Kritik betrifft vor allem die unterschiedlichen Verjährungsvorschriften des § 124 BGB einerseits (ein Jahr) und Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspfl ichten in der Form beansprucht werden kann, daß der Vertrag, der bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht geschlossen worden wäre, rückgängig gemacht und eine bereits erbrachte Leistung erstattet wird (. . .).“ 549 BGH NJW 1979, 1983: „Wurde jemand durch schuldhaft rechtswidrige Drohung zum Abschluß eines Vertrages veranlaßt, so kann er – auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist (§ 124 BGB) – die Vertragserfüllung unter dem Gesichtspunkt eines Schadensersatzanspruches aus der Anbahnung von Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) verweigern.“; ebenso BGH NJW 1998, 302 (303); BGH NJW-RR 2002, 308 (310). 550 BGH NJW-RR 2005, 1082 (1084). 551 OLG Köln VersR 2000, 243. 552 Z. B. Medicus, JuS 1965, 209 ff.; ders., Abschied von der Privatautonomie, S. 29; Canaris, ZGR 1982, 395 (417 f.); anders (d. h. die Rechtsprechung befürwortend) ders., AcP 200 (2000), 273 (306 ff.); Lieb, FS 600 Jahre Rechtswiss. Fak. Univ. zu Köln, S. 251 (264); der Rechtsprechung zustimmend Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 20; zum Streitstand siehe Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 428 ff.; zur Rechtslage nach der Schuldrechtsreform siehe Mertens, AcP 203 (2003), 818 (845 ff.); vgl. weiter Erman/Palm, § 123 Rn. 8 m. w. N., der die Bedenken der Literatur für „beachtlich“ hält.

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der §§ 195 ff. BGB andererseits (Regelverjährung drei Jahre, vormals 30 Jahre) sowie das Vorsatzerfordernis in § 123 BGB.553 Da mit dem Rückgriff auf die c.i.c. die Verschuldensschwelle auf Fahrlässigkeit abgesenkt wird, würde das Vorsatzerfordernis des § 123 BGB unterlaufen.554 Die Literatur entnimmt dem BGB teilweise ein sog. „informationelles Vorsatzdogma“.555 Die Problematik bekommt eine besondere Brisanz, wenn man entgegen der Rechtsprechung für die c.i.c. auf das Vorliegen eines Vermögensschadens verzichtet (dazu sogleich unter 3.). Vertritt man nämlich die Auffassung, daß sowohl § 123 BGB als auch die §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB dem Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit dienen, stellt sich das Problem der Abgrenzung zwischen beiden Instituten auf der Tatbestandsseite mit gesteigerter Dringlichkeit.556 3. Vermögensschaden als Voraussetzung der Haftung wegen Verschuldens beim Vertragsschluß? a) Der Streitstand aa) Die Haftung wegen c.i.c. setzt den Eintritt eines Schadens bei derjenigen Partei, die hätte aufgeklärt werden müssen, voraus.557 Schaden in diesem Sinne meint nach der Literatur jede Beeinträchtigung von rechtlich anerkannten Gütern und Interessen,558 d. h. insbesondere die Eingehung einer – so nicht gewollten – Verbindlichkeit, sog. Vertragsabschlußschaden 559.560 Damit ermöglicht die c.i.c. aus Sicht der Literatur die Rückgängigmachung eines „unerwünschten“ Vertrags im Wege der Vertragsaufhebung nach § 311 Abs. 1 BGB.561 553 Siehe dazu die Zusammenfassung des Streitstands in BGH NJW 1998, 302 (303 f.) sowie die Gegenkritik in BGH NJW 1979, 1983 (1984); ausführlich Fleischer, AcP 200 (2000), 91 ff.; zur Sperrwirkung der Frist des § 124 BGB für die c.i.c. siehe ferner Erman/Palm, § 123 Rn. 8. 554 So zuerst Medicus, JuS 1965, 209 (211); siehe ferner die Nachweise in Fn. 552. 555 So namentlich Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, § 4 (S. 16 ff.). 556 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (319) meint, daß „§ 123 BGB ohnehin dogmatisch einen Fall der culpa in contrahendo bildet“. 557 Siehe die Leitsätze von BGH NJW 1998, 302. 558 Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 24, § 31 Rn. 46; Medicus, Anm. zu BGH LM H. 4/98 § 249 (A) BGB Nr. 113 (= NJW 1998, 302); S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 388: „Der Schutzbereich der c.i.c. ist grundsätzlich allumfassend. Geschützt wird nicht nur das Vermögen als solches, sondern jedwedes rechtlich anerkannte Interesse der Verhandelnden. Darunter fällt auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit.“ 559 Der Begriff stammt von Brandner, FS Robert Fischer, S. 19 (24). 560 Mertens, AcP 203 (2003), 818 (846); Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (111 ff., 118); S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 72 ff. und S. 518: „Der ‚unerwünschte Vertrag‘ stellt entgegen verbreiteter Ansicht bereits als solcher einen Schaden dar.“; Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 148; gegen das Erfordernis eines Vermögensschadens auch Canaris, AcP 200 (2000), 273 (314); Dörner, in: 2. FS E. Lorenz, S. 195 (195 f., 203); Erman/Palm, § 123 Rn. 8; a. A. Stoll, FS Riesenfeld, S. 275 (281 f.); Lieb, FS 600 Jahre Rechtswiss. Fak. Univ. zu Köln, S. 251 (259, 261). 561 Nickel-Welly, Die Rechtsfolgen der culpa in contrahendo, S. 188.

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bb) Demgegenüber verlangt die Rechtsprechung zum Teil ausdrücklich 562 , zum Teil implizit,563 den Eintritt eines Vermögensschadens.564 Ein Vermögensschaden liege nicht schon in dem Abschluß eines Vertrags, sondern könne erst dann bejaht werden, wenn es sich um ein insgesamt nachteiliges Geschäft handele.565 Im praktischen Ergebnis dürften beide Ansichten nicht wesentlich auseinander liegen,566 weil die Rechtsprechung den Vermögensschaden subjektbezogen bestimmt567, so daß der erforderliche Schaden auch dann vorliegt, wenn der Kaufgegenstand den Kaufpreis wert ist, der von der schuldhaft begangenen Aufklärungspflichtverletzung Betroffene aber in seinen Vermögensdispositionen tangiert ist, z. B. weil die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist.568 Der V. Zivilsenat des BGH hat in seiner Rechtsprechung eine ausdrückliche Parallele zum Betrugstatbestand und der dazu ergangenen Rechtsprechung des IV. Strafsenats in dem „klassischen“ Melkmaschinenfall gezogen. 569 Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, daß die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiver willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern daß auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluß als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht. b) Die Rechtslage nach der Schuldrechtsreform aa) Die Berechtigung des von der Rechtsprechung verlangten Merkmals des Vermögensschadens ist auch nach der Schuldrechtsreform weiter umstritten. Dies beruht darauf, daß § 241 Abs. 2 BGB als Bezugspunkte einer Pflichtverletzung i. S. des § 311 Abs. 2 BGB „Rechte, Rechtsgüter und Interessen“ nennt. Die Aufnahme der „Interessen“ erfolgte bewußt, um deutlich zu machen, daß auch nichtvermögenswerte Positionen, insbesondere die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, geschützt werden soll.570 Eine Reduktion der c.i.c. auf einen 562

BGH NJW-RR 2002, 308 (310). Siehe BGH NJW 1998, 302 (305). 564 Ausführlich dazu Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (108 ff.). 565 BGH NJW-RR 2002, 308 (310). 566 So auch Lorenz, FS Canaris, Bd. I, S. 777 (787). 567 BGH NJW 1998, 302 (304); OLG Köln VersR 2000, 243 (246). 568 BGH NJW 1998, 302 (304); siehe dazu auch Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (110). 569 BGHSt 16, 321 (325 ff.) = NJW 1962, 309; ablehnend hierzu Lieb, FS Medicus, S. 337 (340) unter Hinweis auf die strafrechtliche Ausrichtung dieser Entscheidung. Der BGH hatte hinsichtlich des von ihm zugrundegelegten weiten Vermögensbegriff kriminalpolitisch argumentiert (Ziel der Erfassung möglichst aller strafwürdigen Fälle). 570 Begr. RefE BT-Drucks. 14/6040, S. 126: „Allerdings sollte in Ergänzung des Vorschlags der Schuldrechtskommission nicht nur von ‚Rechten und Rechtsgütern‘, sondern zusätzlich auch von den ‚Interessen‘ des anderen Teils gesprochen werden, um deutlich zu machen, dass auch Vermögensinteressen sowie andere Interessen wie zum Beispiel die Entscheidungsfreiheit zu schützen sein können.“; siehe auch Mertens, AcP 203 (2003), 818 (847); Lorenz/Riehm, 563

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reinen Vermögensschutz571 läßt sich nach der Gesetzesänderung deshalb nicht mehr überzeugend begründen.572 Sowohl § 123 BGB als auch die §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB dienen nach dem Willen des Gesetzgebers dem Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. 573 Eines Vermögensschadens bedarf es für beide Anspruchsgrundlagen nicht. Mithin kann auch bei der c.i.c. die Eingehung einer vertraglichen Verbindlichkeit – sog. „unerwünschter Vertrag“ – als ein rechtswidriger Zustand zu qualifizieren sein,574 der durch Vertragsaufhebung (§ 311 Abs. 1 BGB) im Wege der Naturalrestitution i. S. des § 249 Abs. 1 BGB575 zu beseitigen ist.576 Im Fall der Unmöglichkeit der Rückabwicklung im Wege der Vertragsaufhebung hat der Schuldner den Gläubiger geSchuldrecht, Rn. 372; Canaris, JZ 2001, 499 (519); Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 13 m. w. N.; S. Lorenz, FS Canaris, Bd. I, S. 777 (786); AnwKomm/Krebs, § 241 Rn. 23; Nickel-Welly, Rechtsfolgen der culpa in contrahendo, S. 187 f., 191 f.; kritisch Teichmann, FS Konzen, S. 903 (916): „höchstens eine Hilfskonstruktion“; abweichendes Verständnis bei Gröschler, FS Konzen, S. 109 (114 mit Fn. 27): Mit dem Ausdruck „Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils“ sei nur das Integritätsinteresse, nicht dagegen auch das Leistungsinteresse angesprochen. 571 So noch BGH NJW 1998, 302 und BGH NJW 1998, 898. 572 A. A. Canaris, JZ 2001, 499 (519), der meint, daß die c.i.c. auch weiterhin als ein Mittel zum Schutz vor unerwünschten Verträgen geeignet sei, ohne daß die Frage gesetzlich präjudiziert werde, ob es dafür auf einen Vermögensschaden ankommt oder nicht. Gegen das Vermögensschadenserfordernis aber ders., AcP 200 (2000), 273 (314): Daß die Unangemessenheit des Vertrags nur vermögensmäßiger Art sein könne, wie der BGH meine, lasse sich nicht überzeugend begründen. Denn die Regeln der c.i.c. schützten nicht nur das Vermögen, sondern auch die Erwartung eines „voraussetzungsgemäßen“ Vertrags. 573 So – vor der Schuldrechtsmodernisierung – bereits S. Lorenz, Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 388 m. w. N. sowie S. 391, 518. 574 Ebenso – vor dem SMG – Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (118). 575 Siehe auch Teichmann, in: FS Konzen, S. 903 (916): „Bei der Aufl ösung des abgeschlossenen Vertrages handelt es sich (. . .) um die Wiederherstellung des bisherigen Zustandes gem. § 249 Abs. 1 BGB. Hier ist nicht zwischen einer vermögenswerten und einer immateriellen Beeinträchtigung zu trennen.“; ebenso Nickel-Welly, Rechtsfolgen der culpa in contrahendo, S. 188. 576 Wie hier Heinrichs, FS Canaris, Bd. I, S. 421 (425): Durch die Klarstellung, daß die Rücksichtspflicht sich auch auf die Interessen des anderen Teils bezieht, werde verdeutlicht, daß vom Schutz der §§ 241 Abs. 2 und 311 Abs. 2 BGB auch wirksame, aber inhaltlich nachteilige Verträge erfaßt würden. Die Regelung sei zugleich ein Argument dafür, daß der fahrlässig Getäuschte – abweichend von BGH NJW 1989, 302 – die Rückgängigmachung des Vertrags wegen culpa in contrahendo auch dann verlangen könne, wenn sich bei der Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile des Vertrages finanziell kein Überwiegen der Nachteile ergebe; siehe ferner S. Lorenz, FS Canaris Bd. I, S. 777 (791), der bei der Verletzung der vorvertraglichen Pflicht, die Entscheidungsfreiheit des anderen Teils nicht zu beeinflussen (scil. „Gebot fairen Verhandelns“ i. S. von BAG NJW 2004, 2401 und BAG NJW 2005, 3164) unabhängig vom Vorliegen eines Vermögensschadens zu einem aus §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB resultierenden Anspruch auf Vertragsaufhebung gelangt, „weil § 311 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit als solche zu schützen vermag“. – Ausführlich zum Problem (aus der Zeit vor dem SMG) Nickel-Welly, Rechtsfolgen der culpa in contrahendo, S. 185 ff. In den Fällen des Zustandekommens eines günstigeren Vertrages ohne Aufklärungspflichtverletzung gelangt Verf. a.a.O., S. 195 ff. konsequent zu einer Verpflichtung zur Vertragsanpassung.

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mäß § 251 Abs. 1, 1. Alt. BGB in Geld zu entschädigen. Das Gleiche gilt nach § 251 Abs. 1, 2. Alt. BGB, wenn die Rückabwicklung zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist. Die Verpflichtung zur Leistung von Geldersatz greift ferner dann ein, wenn die Rückabwicklung des Vertrags für den Schuldner mit unzumutbaren Aufwendungen verbunden ist, § 251 Abs. 2 BGB.577 Wenn auch in den meisten c.i.c.-Fällen ein Vermögensschaden vorliegen wird,578 so führt der Verzicht auf dieses Merkmal zu Problemen in dogmatisch-systematischer Hinsicht, namentlich vor dem Hintergrund des Vorsatzerfordernisses des § 123 Abs. 1 BGB. Beispiel: 579 Ein Mitarbeiter der Firma A-GmbH, Herr S, suchte den Bekl., einen türkischen Staatsangehörigen, der nur gebrochen Deutsch sprach, 580 in seiner Wohnung auf. Dieser Besuch war kurz zuvor durch eine Telefonistin der A-GmbH vorbereitet worden, die dabei in gewisser Weise auf den Schulbesuch der Kinder des Bekl. Bezug genommen hatte, wobei die Einzelheiten dieser Bezugnahme streitig geblieben sind. Der Beklagte führte mit Herrn S ein Beratungsgespräch, in dessen Verlauf von S gezielt der Eindruck erweckt wurde, das von ihm als Vertreter der A angebotene Lexikonwerk sei für den Schulbesuch der Kinder des Bekl. unerläßlich. Der Bekl. glaubte dies und unterzeichnete daher einen Vertrag über den Kauf eines aus 18 Bänden bestehenden Universallexikons zum Gesamtpreis von 1.898 Euro. Die Ware wurde dem Bekl. kurz darauf geliefert. Er sandte sie zurück und bezahlte den Kaufpreis nicht. Die A machte den Kaufpreis gerichtlich geltend. Das zuständige Amtsgericht hat den Fall über § 123 Abs. 1 BGB gelöst. Die aktive Täuschung des Beklagten lag seines Erachtens darin, daß die angebliche Bedeutung des angebotenen Universallexikons – welches der S während des Gesprächs immer nur als „unser Produkt“ bezeichnet hatte – für die schulische Tätigkeit der Kinder des Beklagten derart in den Vordergrund gerückt wurde, daß er davon ausgehen mußte, es handele sich um Bücher, die für die schulische Ausbildung seiner Kinder notwendig seien. Außerdem hatte S dem Beklagten suggeriert, er arbeite mit der Schule eng zusammen. Die Täuschung ist nach Ansicht des Gerichts arglistig begangen worden. Herr S habe bewußt und gewollt die Bereitschaft eines gutwilligen, aber völlig sachunkundigen Vaters, die schulische Ausbildung seiner Kinder – und nur diese – sachgerecht zu unterstützen, ausgenutzt, um ihn zum Kauf eines zu diesem Zweck untauglichen umfangreichen Nachschlagewerks zu überreden. Dem S sei die Tatsache, daß die Kinder des Beklagten als Haupt- oder Realschüler zur Erreichung ihres Schulzwecks keinen nennenswerten

577

Siehe dazu auch Nickel-Welly, Rechtsfolgen der culpa in contrahendo, S. 194 f. Das betont Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (111, 118). 579 Nach AG Ibbenbühren NJW 2005, 2464. 580 Im Originalfall heißt es dazu: „Der Bekl. ist türkischer Abstammung und beherrscht, wie sich in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, die deutsche Sprache nur unzureichend. Er kann sich verständlich machen; auf einfacher Ebene ist auch ohne weiteres eine sinnvolle Unterhaltung mit ihm möglich. Sein Verständnis der deutschen Sprache ermöglicht es ihm aber nicht, sprachliche Strukturen zu erfassen, die über die Wiedergabe ganz einfach gelagerter Sachverhalte hinausgehen.“ 578

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Nutzen aus einem 18-bändigen Nachschlagewerk hätten ziehen können, bewußt gewesen.581

bb) Nimmt man – in Abwandlung des Ausgangsfalls – einmal an, der S hätte den Beklagten nur „fahrlässig getäuscht“, also fahrlässig verkannt, daß der Beklagte von einem für die Schulausbildung seiner Kinder sachlich notwendigen Kauf ausging, dann stellt sich für den Beklagten die Frage nach der Rückabwicklung bzw. dem Recht zur Verweigerung der Vertragserfüllung aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB. In Fällen dieser Art kann die Grundsatzfrage, ob die c.i.c. lediglich einen Vermögensschutz bezweckt oder weitergehend die rechtsgeschäftliche Handlungsfreiheit selbst, praktisch werden. Einen Vermögensschaden im engeren Sinn des Wortes, d. h. eine Vermögenseinbuße, hat der Beklagte nicht erlitten, weil davon ausgegangen werden kann, daß das Universallexikon ungeachtet der relativ hohen Anschaffungskosten „sein Geld wert“ war. Ein Vermögensschaden ist nach der Rechtsprechung aber grundsätzlich auch dann zu bejahen, wenn Getäuschte in seinen Vermögensdispositionen betroffen ist, z. B. weil die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Wenn nun das zuständige Gericht in dem Ausgangsfall annimmt, daß die Kinder das Universallexikon für die Schule nicht hätten nutzen können, kann man das mit guten Gründen kritisch hinterfragen, da ein solches Lexikon in allgemeinverständlicher Weise ein breites Wissensspektrum vermittelt, so daß seine Heranziehung zur Vor- oder Nachbereitung des Unterrichts und bei der Bearbeitung der Hausaufgaben neben den gängigen Schulbüchern durchaus auch bei Haupt- und Realschülern hilfreich sein könnte, gerade wenn von seiten der nicht hinreichend sprachkundigen Eltern insoweit keine Hilfestellung zu erwarten ist. Richtig ist aber die Feststellung, daß es sich bei dem Lexikonwerk nicht um Schulbücher handelt, die für Schüler der entsprechenden Altersstufe didaktisch aufbereitet werden. Der Beklagte hat also wenn man so will ein „Zuviel“ an Wissen erhalten und dafür einen hohen Preis bezahlt. Die Annahme, der Beklagte habe ungeachtet des objektiven Wertes des Lexikons einen Vermögensschaden erlitten, steht angesichts der grundsätzlichen Nützlichkeit eines Universallexikons für Schüler – im Gegensatz etwa zu Speziallexika – gewissermaßen auf tönernen Füßen. An der Beeinflussung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungfreiheit des Beklagten kann hingegen kein Zweifel sein, weil er ohne den Anruf und das insistierende Verhalten des S in dem Beratungsgespräch kei581 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung des EuGH v. 19. 5. 1989 in der Rs. 382/87, Slg. 1989, 123 = GRUR Int 1990, 459 – Buet. Die Anwendung eines in staatlichen Rechtsvorschriften über den Verbraucherschutz enthaltenen Verbots der Kundenwerbung an der Haustür für den Verkauf von pädagogischem Material auf eingeführte Erzeugnisse ist danach nicht unvereinbar mit Art. 28 EG (ex Art. 30 EWGV). Ein solches Verbot sei nicht unverhältnismäßig, da davon ausgegangen werden dürfe, daß auf diesem Gebiet die Einräumung eines Rücktrittsrechts zugunsten der Verbraucher zu deren Schutz nicht ausreiche und daß es zur Erreichung dieses Zwecks notwendig sei, die Kundenwerbung an der Haustür völlig zu verbieten.

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nesfalls den Gedanken gehegt hätte, für seine Kinder ein Universallexikon zu erwerben. Der Fall zeigt, daß die Regeln über die culpa in contrahendo in den „Sprachrisiko“-Fällen zugunsten der ausländischen Kontrahenten fruchtbar gemacht werden können, indem man ihre negative Funktion – Rückgängigmachung des Vertrags im Wege der Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB, bzw. Recht zur Erfüllungsverweigerung – einsetzt. Daran werden aber zugleich auch die Gefahren einer solchen Vorgehensweise deutlich: Wenn im Einzelfall die vorsätzliche Täuschung des Käufers durch den Verkäufer oder eine ihm über §§ 166 Abs. 1, 278 BGB zurechenbare Hilfsperson nicht gelingt und der Vertragsschluß also nicht nachträglich wieder zerstört werden kann, bleibt danach der Rückgriff auf die c.i.c. möglich, sofern nur irgendeine fahrlässige Irreführung nachgewiesen werden kann; die Regeln der c.i.c. fungieren also gleichsam als Auffangtatbestand.582 cc) In der Praxis könnte der Verzicht auf das Erfordernis eines Vermögensschadens dazu führen, daß die Restriktionswirkungen des Vorsatzerfordernisses in § 123 BGB umgangen werden.583 Im Ergebnis könnte auch das Vorliegen bloßer Motivirrtümer – eine wie auch immer begründete fehlende Brauchbarkeit des Kaufgegenstands aus Sicht des Käufers – zur Rückgängigmachung von Verträgen führen. Damit würde die gesamte Dogmatik der Anfechtungsregeln in Frage gestellt. Dem dadurch zu begegnen, daß man das Vorsatzerfordernis in die §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB „hineinliest“, geht angesichts der klaren gesetzlichen Regelung und der Anwendbarkeit des § 276 BGB auf die c.i.c. nicht an.584 Ebenso wäre es aus den genannten Gründen verfehlt, am Erfordernis des Vermögensschadens festzuhalten, und auch eine analoge Anwendung von § 124 BGB auf die c.i.c. scheidet aus.585 Der Reformgesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hat mit der Absenkung der allgemeinen Verjährungsfrist in § 195 BGB von dreißig auf drei Jahre und durch die explizite Regelung der c.i.c. in §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 3 und 241 Abs. 2 BGB klare Wertungsentscheidungen getroffen, die einer analogen Anwendung der Jahresfrist des § 124 BGB entgegenstehen. 582 Dies rechtfertigt Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (101): Der Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit, den zu gewährleisten eine zentrale Aufgabe jeder Privatrechtsordnung darstelle, wäre nur höchst unvollkommen ausgestaltet, wenn man das Risiko fahrlässiger Täuschung allein dem irregeführten Vertragspartner zuweisen würde. Überdies bilde es „einen nicht unerwünschten Nebeneffekt“, daß die informationelle Fahrlässigkeitshaftung als Auffangtatbestand in jenen Fällen zur Verfügung stehe, in denen sich ein vorsätzliches Fehlverhalten nicht nachweisen läßt. 583 Das hält Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (118) für unproblematisch: Das Erfordernis eines konkreten Vermögensschadens bei fahrlässigen Informationspfl ichtverletzungen erweise sich als „systematisch entbehrlich und sachlich verfehlt“. Richtigerweise erfülle die c.i.c. in den in Rede stehenden Fällen eine „Ergänzungsfunktion zu § 123 Abs. 1 BGB“. 584 Ebenso Mertens, AcP 203 (2003), 818 (848). 585 Dafür sind u. a. Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (119 f.) und Canaris, AcP 2000, 273 (319) eingetreten.

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dd) Canaris586 hat noch vor der Schuldrechtsmodernisierung vorgeschlagen, die Regeln der c.i.c. nur dann anzuwenden, wenn eine hinreichende Nähe zur Beschaffenheitsvereinbarung besteht. Bei der c.i.c. gehe es nicht nur um den Schutz vor dem „unerwünschten“ oder dem „nicht erwartungsgerechten“ ‚ sondern vor dem „nicht voraussetzungsgemäßen“ oder „voraussetzungswidrigen“ Vertrag. Kennzeichnend sei die Übernahme einer entsprechenden Verantwortung für das Vorliegen des fraglichen Umstands durch die andere Partei. Dabei handele es sich um ein einigermaßen überzeugungskräftiges Abgrenzungskriterium gegenüber dem Geltungsbereich des § 123 BGB, welches es erlaube, die Anwendung der c.i.c. in den einschlägigen Fallgestaltungen gerade noch als zulässige Rechtsfortbildung praeter legem zu qualifizieren. Mit der Übernahme der inhaltlichen Anforderungen einer Beschaffenheitsvereinbarung i. S. des § 459 Abs. 1 BGB a. F. bestehe eine so signifikante Besonderheit, daß man mit guten Gründen sagen könne, hierauf sei die Vorsatzschranke des § 123 BGB bzw. das dem BGB zugrunde liegende „informationelle Vorsatzdogma“ nicht zugeschnitten und werde daher durch die Absenkung der Haftungsschwelle auf Fahrlässigkeit auch nicht in unzulässiger Weise unterlaufen.587 ee) Dieser Konzeption von Canaris muß unter Geltung des modernisierten Schuldrechts die Gefolgschaft versagt bleiben. Denn die Erweiterungen bei den Vorschriften des reformierten Mängelgewährleistungsrechts des Besonderen Schuldrechts – Stichwort: subjektiver Mangelbegriff – und ihr Vorrang vor den Regeln der c.i.c. (dazu sogleich unter II.) würden letztere vollständig zu Makulatur werden lassen. Zudem lassen sich gerade die wichtigen Fälle der Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten mit diesem Modell nicht lösen, da es keine Entsprechung zum Kriterium der Beschaffenheitsvereinbarung gibt.588 Deshalb muß man wohl – sofern man den Abgrenzungsbedarf anerkennt – 589 mit Blick auf das zu berücksichtigende Vorsatzerfordernis des § 123 586

Canaris, AcP 200 (2000), 273 (307 ff.). Canaris, AcP 200 (2000), 273 (307). 588 Dies gibt Canaris, AcP 200 (2000), 273 (312 f.) ausdrücklich zu, doch hält er das für keinen triftigen Einwand, weil es dabei um die Besonderheiten des Unterlassens gehe. Außerdem tritt seiner Ansicht nach das Problem des Unterlaufens des Vorsatzerfordernisses bei den Aufklärungs- und Beratungspfl ichten „wohl gar nicht auf“ (a.a.O., S. 313). Entweder müsse der Aufklärungspfl ichtige lediglich präsentes Wissen preisgeben, dann handele er im Falle des Verschweigens ohnehin vorsätzlich. Oder es werde ihm zum Vorwurf gemacht, daß ihm ein bestimmtes Wissen fehle; dann bedürfe es zusätzlicher Elemente, um zu begründen, daß er es sich hätte verschaffen müssen, und dann bildeten die Umstände, aus denen man das herleite, zugleich eine Besonderheit gegenüber den typischen Fällen des § 123 BGB, durch die auch ein Verzicht auf das Vorsatzerfordernis legitimiert werde. Beide Erwägungen überzeugen letztlich nicht. Zum einen ist es praktisch vorstellbar, daß die Preisgabe präsenten Wissens fahrlässigerweise unterlassen wird, zum anderen ist fraglich, inwieweit zwischen einem positiven Tun und einem Unterlassen solche qualitativen Unterschiede bestehen, die im Hinblick auf die Gefahr einer Aushöhlung von § 123 BGB relevant sein könnten, zumal § 123 BGB grundsätzlich beide Handlungsformen erfaßt. 589 Mertens, AcP 203 (2003), 818 (847) meint, daß es für eine verdrängende Konkurrenz 587

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BGB schon bei der Aufklärungspflicht selbst ansetzen. Grundsätzlich bezieht sich die Aufklärungspflicht aus c.i.c. – ebenso wie die Aufklärungspflicht im Rahmen von § 123 Abs. 1 BGB – insbesondere auf Umstände, die den Vertragszweck vereiteln können und die daher für den anderen Teil von wesentlicher Bedeutung sind.590 Wegen des Grundsatzes der Selbstverantwortung sollte man im Rahmen der c.i.c. jedenfalls nicht leichtfertig Aufklärungspflichten mit Blick auf eine bestehende informationelle Unterlegenheit des Vertragspartners begründen. Es sind vielmehr strenge Anforderungen an die Aufklärungspflicht aus §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB zu stellen.591 Im übrigen verdient die Frage, ob der Verkäufer nicht vielleicht doch vorsätzlich und nicht nur fahrlässig gehandelt hat, so daß § 123 Abs. 1 BGB einschlägig wäre, im Einzelfall genauer Untersuchung. Der Rückschluß von den objektiven Umständen des Einzelfalls auf das subjektive Vorhandensein des Vorsatzes bzw. der Arglist des Verkäufers ist zulässig und von der Rechtsprechung mit Recht immer praktiziert worden, um zu verhindern, daß nahezu unüberwindliche Hürden bei der Beweislast geschaffen werden. II. Subsidiarität der c.i.c.-Haftung gegenüber den Regeln des Gewährleistungsrechts? Des weiteren ist die Frage erheblich, ob die Regeln über die c.i.c. durch das neue Gewährleistungsrecht verdrängt werden.592 Das Verhältnis zwischen der Haftung für vorvertragliches Verschulden und den Gewährleistungsregeln des speziellen Schuldrechts, insbesondere jener über die Haftung für Sach- und Rechtsmängel beim Kauf, war vor der Schuldrechtsmodernisierung umstritten und ist

von § 123 BGB gegenüber einem auf Vertragsaufhebung gerichteten Anspruch aus c.i.c. trotz fortbestehender Wertungswidersprüche an der Legitimation durch ein vom Gesetzgeber als abschließend gedachtes Regelungssystem fehle. 590 Siehe dazu u. a. BGH NJW 1983, 2493 (2494); BGH NJW 1983, 1006 (1007 f.); BGH NJW 1984, 2289 (2290); BGH NJW 1985, 1769 (1771); BGH NJW-RR 1988, 394; BGH NJWRR 1990, 78 (79); zusammenfassend zur Begründung vorvertraglicher Aufklärungspfl ichten BGH NJW 1993, 2107. 591 Vgl. Mertens, AcP 203 (2003), 818 (848 f.), der für „strenge Anforderungen an das Bestehen einer Aufklärungspfl icht (. . .), um dem sorglos schlecht informierten Käufer nicht ein konturenloses Recht zur Loslösung von unliebsamen Verträgen zu geben“, eintritt. Eine Bejahung von Aufklärungspflichten soll insbesondere in den Konstellationen eines strukturellen Informationsgefälles zwischen Käufer und Verkäufer in Betracht kommen, in denen das dem BGB ursprünglich zugrundegelegte Konzept der informationellen Eigenverantwortlichkeit der Vertragsparteien gestört sei. Einige typische Fallgruppen eines solchen strukturellen Informationsgefälles seien in der BGB-InfoV erfaßt. 592 Nach Ansicht von Mertens, AcP 203 (2003), 818 (847) entspannt sich das Konkurrenzproblem zwischen § 123 BGB und der c.i.c. durch den Vorrang des Gewährleistungsrechts erheblich. Grundlage dieser Einschätzung ist ein Eintreten des Verf. für einen weiten Beschaffenheitsbegriff.

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es – mangels einer eindeutigen Entscheidung des Reformgesetzgebers des Jahres 2001 in dieser Frage – auch weiterhin. 1. Die Rechtslage vor der Schuldrechtsmodernisierung Die Rechtsprechung aus der Zeit vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz postulierte einen grundsätzlichen Vorrang der §§ 459 ff. BGB a. F. vor der c.i.c., soweit es um Eigenschaften der Kaufsache ging.593 Von diesem Grundsatz gab es aber bedeutsame Ausnahmen zu verzeichnen. Namentlich bei einem vorsätzlichen Handeln des Verkäufers sollte dieser den Schutz vor der Haftung für vorvertragliches Verschulden nicht verdient haben. 594 Dies setzte den Gefahrübergang, also die Übergabe bzw. Besitzverschaffung an der Kaufsache voraus. Hinsichtlich der Rechtsmängelhaftung entschied sie zugunsten einer weitgehenden Parallelität zwischen Gewährleistungsrecht (§§ 440 Abs. 1, 325 ff. BGB a. F.) und der c.i.c.595 2. Die Rechtslage nach der Schuldrechtsmodernisierung a) Die Mehrheitsmeinung in der Literatur Aus der Zeit nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform liegen noch keine höchstrichterlichen Judikate zu dieser Frage vor. Nach überwiegender Ansicht in der Literatur wird die Haftung nach §§ 311 Abs. 2 und 3, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB von den spezielleren Regelungen über Sach- und Rechtsmängel – die allerdings erst ab Gefahrübergang gelten (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB) – verdrängt.596 Auf diese Weise wird eine Umgehung der kurzen zweijährigen Verjährungsfrist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB597 sowie der gewährleistungsrechtlichen Sonderregelung in § 442 Abs. 1 BGB598 verhindert und der Vorrang der Nacherfüllung (§ 439 BGB) gesichert.599 Das pflichtwidrige Verhalten des Verkäufers muß sich, soweit es um das Verhältnis zur Sachmängelhaftung geht, auf eine Eigenschaft der Kaufsache beziehen, die zum Gegenstand einer Beschaf593

Siehe dazu im einzelnen MüKo BGB/Emmerich, § 311 Rn. 126. Siehe z. B. BGH NJW 2002, 208 (210); BGH NJW 2001, 2551 (2553); BGH NJW 1995, 2159 (2160); BGH NJW 1992, 2664 (2565); BGH NJW 1991, 1673 (1674); BGH NJW-RR 1990, 970 (971) zum Kaufrecht; BGHZ 136, 102 (109) = NJW 1997, 2813 zum Mietrecht. 595 Siehe BGH NJW 2001, 2875 (2876); BGHZ 65, 246 (253) = NJW 1976, 236; BGH NJW 1985, 2697 (2698); BGH NJW 1991, 2700; BGH NJW-RR 1992, 91 (92); BGH NJW 1994, 2947 (2949); BGH NJW 2000, 803 (804). 596 Siehe Teichmann, in: FS Konzen, S. 903 (917). 597 Gegenüber der allgemeinen dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB. 598 Siehe dazu Mertens, AcP 203 (2003), 818 (828 f.). 599 Larenz/Wolf, BGB AT, § 37 Rn. 24; Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 388 ff.; Lorenz/Riehm, Schuldrecht, Rn. 576 ff.; Palandt/Weidenkaff, BGB, § 437 Rn. 51a; U. Huber, AcP 202 (2002), 179 (228 mit Fn. 165); Mertens, AcP 203 (2003), 818 (828 ff.); Canaris, in: Karlsruher Forum 2002 (2003), S. 5 (87 ff.); siehe ferner die Literaturnachweise bei MüKo BGB/Emmerich, § 311 Rn. 139 mit Fn. 383. 594

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fenheitsvereinbarung hätte gemacht werden können. 600 Die Verletzung von unselbständigen oder selbständigen Beratungspflichten601 kann weiterhin über eine Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen geahndet werden. 602 Da die § 434 ff. BGB nach der Schuldrechtsreform gleichermaßen für Sach- wie für Rechtsmängel gelten, spricht dies aus der Sicht der überwiegenden Literatur zudem auch für einen Ausschluß der Haftung aus c.i.c. im Verhältnis zur Haftung wegen Rechtsmängeln i. S. des § 435 BGB. 603 Anders als bei Sachmängeln setzt die Haftung für Rechtsmängel aber erst mit dem Eigentumsübergang ein. 604 Für die Sperrwirkung muß man daher zwischen der Sachmängelhaftung – Sperrwirkung ab Gefahrübergang – und der Rechtsmängelhaftung – Sperrwirkung ab Eigentumsübergang – unterscheiden. 605 b) Die Gegenauffassung Nach der Gegenauffassung soll die weitgehende Annäherung der Verkäuferhaftung für Sach- und Rechtsmängel an die allgemeine Verschuldenshaftung zum Wegfall jedes Grundes für eine Privilegierung des Verkäufers im Rahmen der allgemeinen Haftung für c.i.c. führen. 606 Das neue Gewährleistungsrecht läßt danach eine uneingeschränkte Haftung des Verkäufers wegen c.i.c. neben den §§ 434 ff. BGB zu. 607 Die bedeutsamen Unterschiede zwischen der c.i.c.-Haftung und dem Gewährleistungsrecht – insbesondere die unterschiedlichen Verjährungsfristen, der Vorrang der Nacherfüllung und der Ersatz des negativen Interesses durch die Haftung für c.i.c. – werden von den Vertretern dieser An-

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Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 14. Unselbständige Beratungspfl ichten sind solche, die als Nebenpfl ichten aus der Aufnahme von geschäftlichen Verhandlungen folgen (siehe §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB); selbständige Beratungspfl ichten gehen darüber hinaus, siehe MüKo BGB/Emmerich, § 311 Rn. 129. Nach der Rechtsprechung des BGH (V. Zivilsenat) kann zwischen Verkäufer und Käufer ein Beratungsvertrag zu Stande kommen, wenn der Verkäufer im Zuge eingehender Vertragsverhandlungen dem Käufer, insbesondere auf Befragen, einen ausdrücklichen Rat erteilt; Gleiches gilt, wenn der Verkäufer dem Käufer als Ergebnis der Verhandlungen ein Berechnungsbeispiel über Kosten und finanzielle Vorteile des Erwerbs vorlegt, das der Herbeiführung des Geschäftsabschlusses dienen soll, siehe BGHZ 140, 111 (115) = NJW 1999, 638; BGH NJW 2001, 2021; BGH NJW 2003, 1811; BGH NJW 2004, 64. 602 Für eine Neubewertung der Fälle der Verletzung unselbständiger und selbständiger Beratungspflichten mit dem Ziel, diese entweder dem vorrangigen Gewährleistungsrecht oder der c.i.c. zuzuordnen, plädiert Mertens, AcP 203 (2003), 818 (852). Die weitgehend auf Fiktionen beruhende Begründung der Rechtsprechung mittels selbständiger, kaufbegleitender Beratungsverträge solle aufgegeben werden. 603 Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 16; Palandt/Weidenkaff, § 437 Rn. 51a. 604 Mertens, AcP 203 (2003), 818 (831 m. w. N.); RGZ 111, 86 (89). 605 Mertens, AcP 203 (2003), 818 (831). 606 Siehe MüKo BGB/Emmerich, § 311 Rn. 142 m. w. N. 607 MüKo BGB/Emmerich, § 311 Rn. 143. 601

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sicht nicht gegen, sondern für die Zulässigkeit eines Rückgriffs auf die allgemeine Verschuldenshaftung nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB angeführt.608 c) Stellungnahme aa) Vorzugswürdig ist die herrschende Literaturansicht. Eine weitgehende Parallelität zwischen der Haftung für c.i.c. und Gewährleistungsrecht auch nach Gefahrübergang verdient keine Anerkennung, da es in diesem Fall zu einer Aushöhlung der besonderen Voraussetzungen der §§ 434 ff. BGB käme. Im einzelnen gilt folgendes: (1) Nach wie vor kann die Verletzung von Beratungspflichten, welche sich nicht auf Eigenschaften der Kaufsache beziehen, im Wege einer Haftung aus culpa in contrahendo sanktioniert werden. Insoweit besteht zwischen beiden Regelungskomplexen kein Konkurrenzverhältnis. (2) Die §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB sind ferner dann anwendbar, wenn es sich bei dem Umstand, über den der Verkäufer den Käufer nicht aufgeklärt hat, um einen solchen handelt, der einer Beschaffenheitsvereinbarung unzugänglich ist. 609 Die Reichweite dieser Ausnahme hängt maßgeblich davon ab, wie der Beschaffenheitsbegriff bestimmt wird. Die Literatur tendiert – anders als die Rechtsprechung vor der Schuldrechtsreform (sog. objektiver Eigenschaftsbegriff) – zu einer Ausdehnung dieses Begriffs (sog. subjektiver Eigenschaftsbegriff), nachdem der Gesetzgeber die frühere Unterscheidung zwischen Fehler und zusicherungsfähiger Eigenschaft aufgegeben hat. Nunmehr sei gemäß § 434 BGB von einem einheitlichen Beschaffenheitsbegriff auszugehen, für den „die klare Priorität der Parteivereinbarung und des von den Parteien vorausgesetzten Verwendungszwecks bei der Beantwortung der Frage, ob die Kaufsache einen Sachmangel hat (und damit ein Anspruch aus c.i.c. im Hinblick auf die den Sachmangel begründenden Umstände ausscheidet)“610 bestehe. Für diese Auffassung streitet der Vorrang der Privatautonomie. Beispiel: Wenn ein technisches Gerät, z. B. ein Radiorecorder, auf einer Webseite in deutscher Sprache beworben wird und der Käufer nach Belieferung feststellt, daß der Stecker nicht in die Steckdose paßt, weil es sich dabei offensichtlich um ein einen Anschluß nach ausländischer Normung handelt, wird der – redlicherweise von beiden Parteien – vorausgesetzte Verwendungszweck nicht erreicht. Folglich liegt – auch wenn das Gerät sonst voll funktionstüchtig ist und keine äußeren Schäden aufweist – ein Sachmangel vor.

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MüKo BGB/Emmerich, § 311 Rn. 143. Siehe OLG Hamm NJW-RR 2003, 1360 (1361) zur Eigenschaft eines Kfz als Unfallfahrzeug und dazu Schinkels, ZGS 2005, 333 ff.; Palandt/Weidenkaff, § 437 Rn. 51a; zur Frage des Beschaffenheitsbegriffs siehe Berger, JZ 2004, 276 ff.; Mertens, AcP 203 (2003), 818 (832 ff.). 610 Mertens, AcP 203 (2003), 818 (836). 609

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bb) Ob aber tatsächlich alle vereinbarten Umstände, die zur Leistungspflicht des Verkäufers gehören, als Beschaffenheit der Kaufsache i. S. des § 434 BGB qualifiziert werden können, ist noch ungeklärt und prima vista unter Berücksichtigung des normalen Wortsinns jedenfalls zweifelhaft. 611 Die Reichweite der Ausdehnung hängt letztlich davon ab, ob man neben der physischen Beschaffenheit der Sache die – auch von der Rechtsprechung immer herangezogenen – Merkmale „tatsächliche, wirtschaftliche, soziale und rechtliche Beziehungen der Sache zur Umwelt“ isoliert und ohne die in der Rechtsprechung bisher korrespondierenden Merkmale des Anhaftens und der Dauerhaftigkeit für relevant erachtet. 612 Beispiel: In dem oben angeführten Lexikonfall liegt nach dem objektiven Mangelbegriff der Rechtsprechung sicherlich kein Sachmangel der Enzyklopädie darin, daß sie für den Schulunterricht der Kinder des türkischen Käufers nicht notwendig war; es handelt sich dabei offensichtlich nicht um eine wesentliche Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit. Nach dem subjektiven Mangelbegriff der Literatur bereitet die rechtliche Einordnung Schwierigkeiten. Legt man den Akzent darauf, daß der Käufer das Lexikon gleichsam als erforderliches „Schulbuch“ erworben hat, ist ein Mangel gegeben, weil es an der vereinbarten Eigenschaft „Schulbuch“ fehlt. Betont man hingegen die grundsätzliche Gebrauchstauglichkeit des Lexikons auch im Rahmen einer schulischen Ausbildung von Haupt- und Realschülern, ist das Lexikon mangelfrei613 und die Vorstellung, es handele sich um ein zwingend zu erwerbendes „Schulbuch“, begründet lediglich ein im Rahmen von § 434 BGB irrelevantes Motiv. Demnach wäre der Fall nach § 123 BGB und ggf. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB bzw. auch nach § 826 BGB zu lösen. Vorzugswürdig ist die zweite der aufgezeigten Auslegungsmöglichkeiten.

611 In dem Fall, daß ein veräußerter Pkw ein Importfahrzeug ist – was in einer abweichenden Ausstattung des Fahrzeugs im Detail und zu einem anderen Marktwert des Fahrzeugs führen kann –, wird man dies unter Zugrundelegung des subjektiven Eigenschaftsbegriffs als Eigenschaft i. S. des § 434 Abs. 1 BGB verstehen können, ebenso Teichmann, in: FS Konzen, S. 903 (918). In dem Fall, daß der vom Käufer vorgesehene künftige Standort einer Kreissäge vom Vertreter des Verkäufers falsch ausgemessen wurde – so der Sachverhalt von BGH NJW 1962, 1196 –, handelt es sich dabei nicht um eine Eigenschaft der Säge, so daß der Fall nach wie vor über c.i.c. und nicht über Gewährleistungsrecht zu lösen wäre, a. A. insoweit Mertens, AcP 203 (2003), 818 (838 mit Fn. 57). Demgegenüber kann man das Erfordernis eines bestimmten Mindestquerschnitts für den Abluftkamin eines Wäschetrockners wohl noch als Eigenschaft desselben qualifizieren und folglich das Gewährleistungsrecht anwenden, ebenso Mertens, ebd. Entsprechendes gilt in dem Fall, daß ein Heizungsanlagenbausatz zur Montage durch einen Laien nicht geeignet ist, ebenso Mertens, a.a.O, S. 844 mit Fn. 67. Ein Mangel wäre auch dann zu bejahen, wenn ein technisches Gerät für eine bestimmte, von mindestens einem Teil der Käufer erwartete Benutzungsart nicht taugt und der Verkäufer diesen Umstand vorsätzlich oder fahrlässig verschwiegen hat. 612 So Mertens, AcP 203 (2003), 818 (839). 613 Anders wäre zu entscheiden, wenn es sich nicht um ein Universallexikon mit allgemeinbildendem Inhalt, sondern um ein wissenschaftliches oder technisches Spezialwerk gehandelt hätte, bei dem die Gebrauchstauglichkeit im schulischen Alltag gegen Null tendiert.

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cc) So richtig die Grundannahme der Literatur ist, daß es maßgeblich auf die privatautonomen Vereinbarungen der Parteien ankommen muß, wenn die Frage der Mangelhaftigkeit einer Sache beurteilt werden soll, so schwierig ist die Bestimmung der äußeren Grenzen dieses subjektiven Eigenschaftsbegriffs. Es besteht die Gefahr, daß der Eigenschaftsbegriff durch eine zu weitgehende Subjektivierung völlig „entmaterialisiert“ wird, so daß die Regeln der c.i.c. sehr weitgehend zurückgedrängt, möglicherweise sogar praktisch bedeutungslos werden würden. Bei erkanntem Regelungsbedarf sollte daher der Gesetzgeber entsprechend handeln. 614 dd) Nach einer alternativen Konzeption in der Literatur sollen in den Fällen der Abweichung der Leistung von ihrer Beschreibung vor Vertragsschluß, die nicht unter den Begriff des Mangels nach § 434 BGB bzw. § 633 BGB subsumiert werden können, nicht die Regeln der c.i.c. eingreifen, sondern die Regelungen über Leistungsstörungen aus dem Allgemeinen Teil des Schuldrechts, d. h. § 323 BGB (Rücktritt) und § 280 BGB i. V. m. § 281 oder § 283 BGB (kleiner und großer Schadensersatz). 615 Diese Ansicht mit wird der fragwürdigen These begründet, daß die allgemeinen Bestimmungen über Leistungsstörungen die Grundsätze der c.i.c. überlagerten. 616 ee) Alle diese Spezialfragen bedürfen hier keiner weiteren Vertiefung. Die Diskussion um das Verhältnis zwischen den Regeln der c.i.c. und dem Mängelgewährleistungsrecht des Besonderen Schuldrechts ist jedoch grundsätzlich insofern von Interesse, als jede Ausweitung des Beschaffenheitsbegriffs zwangsläufig zu einer Zurückdrängung der c.i.c. führt, wenn man wie hier vertreten die Vorrangthese der herrschenden Ansicht anerkennt. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, wie zwischen der c.i.c. und den Leistungsstörungsregeln – beides Regelungskomplexe aus dem Allgemeinen Teil des Schuldrechts – ein Vorrang der letzteren vor der ersteren überzeugend begründet werden könnte. 617 III. Haftung nach c.i.c. bei erkanntem Motivirrtum? 1. Die vorsätzliche Ausnutzung eines erkannten Motivirrtums a) Einer Abgrenzung zwischen der c.i.c. und den Anfechtungsregeln bedarf es nicht nur hinsichtlich der Arglist-, sondern auch in bezug auf die Irrtumsanfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB. Dies betrifft vor allem Fälle des Motivirrtums, der grundsätzlich unbeachtlich ist. Fraglich ist aber, was gilt, wenn der

614 Vgl. § 434 Abs. 2 BGB, durch den die fehlerhafte Montageanleitung als Sachmangel qualifiziert wird, sofern die Sache nicht fehlerfrei montiert wurde (sog. „Ikea-Klausel“). 615 Teichmann, in: FS Konzen, S. 903 (918). 616 Teichmann, ebd. (Fn. 615). 617 So aber Teichmann, in: FS Konzen, S. 903 (910, 912, 918).

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Vertragspartner beim Geschäftsabschluß das Vorliegen eines Motivirrtums erkennt und diesen sodann in treuwidriger Weise ausnutzt. Beispiel: Der A und die B beabsichtigen zu heiraten. Die Einladungen zur Hochzeit werden verschickt, ein Hochzeitstisch bei dem Porzellan- und Glasgeschäft des X wird eingerichtet. Noch vor dem Hochzeitstermin, aber nach der Versendung der Einladungen zur Hochzeit, kommt der A bei einem tragischen Skiunfall ums Leben. Y, ein entfernter Verwandter des A, begibt sich – ohne Kenntnis von dem tödlichen Unfall des A zu haben – zu dem Geschäft des X und kauft dort von dem Hochzeitstisch ein Geschenk. X selbst hat bereits von dem Tod des A erfahren, sagt dem Y aber nichts davon, um wenigstens noch ein paar Stücke von dem Hochzeitstisch loszuwerden, bevor alle Hochzeitsgäste von dem Unfalltod des A Kenntnis erhalten. Dem möglichen späteren Begehren des Y nach Rückgängigmachung des Vertrags will X mit der Behauptung begegnen, er habe von dem tragischen Tod des A bei Vertragsschluß keine Kenntnis gehabt und er möge den erworbenen Gegenstand anderweitig nutzen.

b) Der Beispielsfall läßt sich ohne weiteres über § 123 Abs. 1 BGB lösen, denn X handelte arglistig, als er Y den Tod des A aus eigensüchtigen Motiven verschwieg. 618 In dem Fall unterlag Y bei Vertragsschluß einem Motivirrtum, den der X kannte. Fraglich ist, ob in diesem Fall auch die Grundsätze der c.i.c. eingreifen. Flume hat die These vertreten, daß sich die treuwidrige Ausnutzung des erkannten Motivirrtums nicht in die Irrtumsregelung des § 119 BGB einordnen lasse. 619 Man könne für seine Regelung aber auf den Grundsatz der Haftung für c.i.c. und auch auf § 242 BGB zurückgreifen. Daher könne der Partner des Irrenden nicht die Erfüllung des Vertrags verlangen und er sei – nach Erfüllung des Vertrags – zur Rückabwicklung verpflichtet. 620 Folgt man dem, kann Y von X die Rückabwicklung auch nach c.i.c. verlangen. Es fällt allerdings schwer, in dem Beispielsfall ein Bedürfnis dafür zu finden. Man kann zwar argumentieren, daß ein vorsätzliches Verhalten des X und damit die Arglist von Y vielleicht in einem Prozeß nicht bewiesen werden kann; dann aber wird auch der Nachweis mißlingen, daß X den Irrtum des Y erkannt habe, so daß im Ergebnis kein Fall des erkannten Motivirrtums gegeben wäre. 2. Fahrlässige Irreführung und Motivirrtum a) Fraglich ist, was gilt, wenn X – in Abwandlung des Ausgangsfalls – zwar keine Kenntnis von dem plötzlichen Tod des A hat, diese aber hätte haben kön618 Klarstellend sei erwähnt, daß jede Anfechtung selbstverständlich ausscheidet, wenn der Käufer dem Verkäufer den Verwendungszweck der Kaufsache mitteilt und die Hochzeit wegen eines erst danach eintretenden Umstands ausfällt. Denn die einseitige Offenlegung von Motiven durch den Käufer vermag das Anfechtungsrecht nicht zu begründen; der Käufer hat das Irrtumsrisiko zu tragen. Zu diesem Fall siehe Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 346. 619 Flume, BGB AT, § 25 (S. 493). 620 Flume, BGB AT, § 25 (S. 493).

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nen; oder wenn er zwar von dem Unfall wußte, aber bei dem Besuch des Y in seinem Ladengeschäft wegen vielfältiger anderer Beschäftigungen in der Hektik vergißt, den Y davon in Kenntnis zu setzen, bzw. versäumt, den Hochzeitstisch abzuräumen. Fahrlässigkeit, auch eine grobe, begründet die Arglist nicht. Y kann sich daher gegenüber dem X nicht auf § 123 Abs. 1 BGB berufen, um sich von dem Vertrag zu lösen. § 119 Abs. 1 BGB greift ebenfalls nicht ein. Die Erklärung ist nicht Folge eines Inhalts- oder Erklärungsirrtums. Fehlplanungen über den künftigen Geschehensablauf sind als unbeachtliche Motivirrtümer zu bewerten; dies gilt auch für das Ausfallen einer Hochzeit. 621 Y hat insoweit das Irrtumsrisiko für die künftige Verwendbarkeit des erworbenen Hochzeitsgeschenks übernommen. Hinsichtlich der Einschlägigkeit der c.i.c. wäre zu fragen, ob Y dem X vorwerfen kann, von ihm „fahrlässig getäuscht“ worden zu sein. Dagegen spricht, daß das Gesetz den Motivirrtum nur in sehr engen Grenzen für beachtlich erklärt, nämlich als Eigenschaftsirrtum i. S. des § 119 Abs. 2 BGB und bei der Arglistanfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB. Abermals stellt sich hier das bereits erörterte 622 Problem einer möglichen Umgehung des Vorsatzerfordernisses des § 123 BGB. Kann man dem X von Rechts wegen vorwerfen, daß er – wenn auch unvorsätzlich – die zwischen ihm und Y bestehende Informationsasymmetrie nicht ausgeglichen hat, obwohl ihm das grundsätzlich möglich und zumutbar gewesen wäre? In dem Beispielsfall kann man dafür durchaus gute Gründe vorbringen. Man könnte beispielsweise vertreten, daß der X als Inhaber des Ladengeschäfts aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet gewesen wäre, für die unverzügliche Abräumung des Hochzeitstischs Sorge zu tragen, damit keine weiteren Stücke an die Hochzeitsgäste verkauft werden, und potentielle Kunden über den Ausfall des Fests zu informieren. Der Vorwurf lautet also auf eine Organisationspflichtverletzung. b) Im Einzelfall mag die Begründung von Aufklärungspflichten noch plausibel erscheinen. In der Summe aber kann es nicht überzeugen, jede einfach fahrlässig begangene Aufklärungspflichtverletzung des Verkäufers bei Vorliegen eines Motivirrtums des Käufers durch eine Haftung nach c.i.c. zu sanktionieren und auf diese Weise dem Verkäufer das Irrtumsrisiko für Motivirrtümer des Käufers aufzubürden. Sowohl die Gebrauchstauglichkeit als auch die Verwendbarkeit der Sache im übrigen, z. B. als Geschenk, sind Umstände, die gemäß dem Prinzip der Selbstverantwortung in die Sphäre des Erwerbers gehören. Nach der Systematik des BGB trägt der Irrende das Risiko von Motivirrtümern mit Ausnahme solcher Irrtümer, die § 119 Abs. 2 BGB oder § 123 Abs. 1 BGB unterfallen. Die Annahme einer mit der Haftung nach c.i.c. bewehrten Aufklä-

621 622

Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rn. 4. Siehe den Lexikonfall oben C. III.

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rungspflicht bedarf daher einer besonders sorgfältigen Begründung. 623 In dem Beispielsfall hätte demnach der Y das Irrtumsrisiko zu tragen. 3. Sprachenbedingte Motivirrtümer a) Fraglich ist weiter, ob Motivirrtümer, die ihre Ursache zumindest auch in einer sprachlich-kulturellen Fremdheit haben, außerhalb der Irrtumsregeln des § 119 Abs. 1 und Abs. 2 BGB Beachtung finden können. Das ist insofern zu bejahen, als wie oben am Beispiel des Lexikonfalls624 erörtert, in bestimmten Fällen die Voraussetzungen der Arglistanfechtung gegeben sind: Hat der Verkäufer den Motivirrtum entweder selbst absichtlich hervorgerufen oder den Irrtum als bestehend erkannt625 und nicht aufgeklärt, um den Geschäftsabschluß nicht zu gefährden, liegen wie oben erörtert die Voraussetzungen von § 123 Abs. 1 BGB vor, so daß sich der Betroffene innerhalb der Jahresfrist des § 124 BGB von seiner Willenserklärung lösen kann. Tendenziell kann man wohl behaupten, daß der Versuch einer arglistigen Täuschung bei nicht oder nur bedingt sprachkundigen Migranten eher von Erfolg gekrönt sein wird als bei „aufgeklärten Durchschnittsverbrauchern“, um einmal auf das Verbraucherleitbild des Wettbewerbsrechts Bezug zu nehmen. b) Daneben kommt die Rückgängigmachung des Vertrags im Wege der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) nach den Grundsätzen der c.i.c. in Betracht. Die Schwelle für die Annahme einer Pflichtverletzung i. S. des § 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB ist aus den oben angeführten Gründen allerdings hoch anzusetzen. Die Regeln der c.i.c. sind kein Instrument zur Beseitigung sprachlich-kulturell bedingter Motivirrtümer. Zwar schützen diese Regeln, wie § 241 Abs. 2 BGB („Interessen“) deutlich macht, richtigerweise nicht nur das Vermögen, sondern die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit. Dies ändert aber nichts daran, daß die Privatrechtssubjekte dem Grundsatz der Selbstverantwortung unterliegen und daher vorbehaltlich sehr enger Ausnahmen das Risiko von Motivirrtümern selbst zu tragen haben.

623

Siehe schon oben C. III. Die unrichtige Vorstellung des Beklagten, das „Produkt“ (scil. Lexikon) werde für den Schulunterricht seiner Kinder benötigt, ist weder Inhalts- noch Erklärungsirrtum, sondern Motivirrtum. Dieser wäre nur beachtlich, wenn dem Lexikon eine verkehrswesentliche Eigenschaft gefehlt hätte (§ 119 Abs. 2 BGB). Das ist richtigerweise zu verneinen. Ein relevanter Eigenschaftsirrtum ließe sich nur dann begründen, wenn man dem Lexikon jegliche Gebrauchstauglichkeit im Zusammenhang mit dem schulischen Werdegang der Kinder absprechen würde, was aber nicht zu überzeugen vermag. 625 Zum Problem des vom Gegner erkannten Motivirrtums siehe nochmals Flume, BGB AT, § 25 (S. 492 f.). 624

§ 8 „Sprachrisiko“ und Allgemeine Geschäftsbedingungen A. Einleitung I. Die bisherige Darstellung der materiellrechtlichen Lösungsansätze des „Sprachrisiko“-Problems in den Paragraphen fünf bis sieben ließ das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bewußt weitgehend unberücksichtigt. Die Sprachenfrage spielt aber auch im AGB-Recht eine bedeutsame Rolle. Ihr soll daher in diesem achten Paragraphen nachgegangen werden. Angesichts der Vielgestaltigkeit AGB-rechtlicher Fragestellungen in der Praxis muß sich eine Erörterung der Sprachenfrage unter dem Blickwinkel der §§ 305 ff. BGB auf die Hauptfragen konzentrieren. So wird sich beispielsweise die Darstellung der praktisch überaus bedeutsamen Inhaltskontrolle vor allem an der Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB orientieren und mangels eines erkennbaren „Mehrwerts“ auf eine vertiefte Darstellung der verschiedenen Klauselverbote in den §§ 308, 309 BGB verzichten.1 Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen wiederum die Prämisse, daß nach den Grundsätzen des internationalen Privatrechts das deutsche AGB-Recht zur Anwendung kommt. Nach welchen Grundsätzen sich die Zuweisung des Sprachrisikos unter Geltung ausländischer Sachrechte im einzelnen vollzieht, kann hier nicht untersucht werden. 2 Eine Erweiterung dieses Untersuchungsansatzes enthält nur der Abschnitt F über die autonomen Regelungen des Internationalen Zivilprozeßrechts nach der EuGVVO und dem Luganer Übereinkommen. Dieser Abschnitt ist sowohl wegen der besonderen praktischen Bedeutung von Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Handelsverkehr als auch wegen des für die genannten Regelungskomplexe geltenden Grundsatzes der autonomen, von den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unabhängigen Auslegung notwendig, dies zumal sich die Rechtsprechung zu der Frage des „Sprachrisikos“ in diesem Zusammenhang ausdrücklich geäußert hat.

1 Siehe auch Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 10: Obwohl § 307 BGB im Verhältnis zu den §§ 308, 309 BGB eigentlich nur subsidiär zum Zuge käme, sei seine praktische Bedeutung wesentlich größer. 2 Eine knappe Übersicht zur Lösungsansätzen betreffend das Verständigungsrisiko nach verschiedenen ausländischen Rechtsordnungen findet sich bei Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 32 ff. und Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 ff.

§ 8 „Sprachrisiko“ und Allgemeine Geschäftsbedingungen

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II. Innerhalb der folgenden Abschnitte B bis E wird zunächst zwischen der Einbeziehungskontrolle (§ 305 Abs. 2 und 3 BGB) und der Inhaltskontrolle (§§ 307 ff. BGB) unterschieden. Im Rahmen der Inhaltskontrolle sind die Vorgaben der Richtlinie 93/13/EWG (sog. Klauselrichtlinie) zu beachten, soweit es – darauf beschränkt sich der Anwendungsbereich der Richtlinie – um Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geht (Verbraucherverträge). Verträge zwischen Unternehmern werden gesondert untersucht (vgl. § 310 Abs. 1 BGB).3 Als Vorschrift von zentraler Bedeutung verdient weiter § 305c Abs. 1 BGB Beachtung. Sie bestimmt, daß überraschende und mehrdeutige Klauseln nicht Vertragsbestandteile werden. Das hat zur Konsequenz, daß der Vertrag gemäß § 306 BGB jeweils ohne die betroffenen Klauseln zustandekommt. Ein besonderes Augenmerk richtet sich schließlich auf die arbeitsvertragsrechtlichen AGB, da § 310 Abs. 4 S. 2, 1. Hs. BGB bei der Transparenz- und Inhaltskontrolle eine angemessene Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten verlangt. Daraus könnten sich eigenständige Beurteilungsgrundsätze für das „Sprachrisiko“ im Arbeitsrecht ergeben.

B. Die Einbeziehungskontrolle gemäß § 305 BGB I. Der Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen 1. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB definiert den Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) als „alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Partei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt“. Hinsichtlich des Merkmals der „Vielzahl von Verträgen“ ist die Absicht des Verwenders entscheidend.4 Dieser muß die Verwendung der AGB nach Ansicht der Rechtsprechung in mindestens drei Fällen beabsichtigen.5 „Stellen“ von AGB bedeutet, daß der Verwender die Vertragsbedingungen einbringt, um sie dem anderen Teil einseitig aufzuerlegen. Es geht also um die „Inanspruchnahme einseitiger Gestaltungsmacht“6 durch den Un3

Siehe unten E. V. BGH NJW 1989, 2683; Erman/Roloff, § 305 Rn. 11. 5 BGH NJW 2002, 138; Erman/Roloff, § 305 Rn. 11. 6 BGHZ 130, 50 (57) = BGH NJW 2005, 2034. Hier gilt es allerdings zu beachten, daß ein wirtschaftliches oder intellektuelles Übergewicht nicht Voraussetzung des „Stellens“ der Vertragsbedingungen ist. Der Verwender kann im Einzelfall auch der wirtschaftlich Schwächere sein, siehe Palandt/Heinrichs, § 305 Rn. 10; Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 26; abweichend jedoch LG Köln NJW-RR 1001: Danach sollte das AGB-Gesetz keine Anwendung finden auf einen Kunden, der aufgrund seiner wirtschaftlichen Macht und aufgrund des Umfangs des vorgenommenen Geschäfts grundsätzlich in der Lage war, seine Interessen in das Vertragsverhältnis bestimmend einzubringen und dadurch einen Einfluß auf die Gestaltung des Vertrages zu nehmen, und zwar auch dann, wenn er von seinen Einflußmöglichkeiten keinen Gebrauch machte. 4

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

ternehmer.7 Durch das Merkmal des „Stellens“ wird zugleich die Verwendereigenschaft festgelegt. 8 Vertragsbedingungen sind dementsprechend nach § 305 Abs. 1 S. 3 BGB keine AGB, wenn sie „zwischen den Vertragsparteien im einzelnen ausgehandelt sind“.9 „Aushandeln“ ist nicht gleichbedeutend mit „verhandeln“, sondern der Begriff bedeutet, daß der Gewerbetreibende bereit ist, den vom Gesetz abweichenden Inhalt seiner Klausel ernsthaft zur Disposition zu stellen.10 Ein „Aushandeln“ von Vertragsbedingungen setzt eine besondere rechtsgeschäftliche Einigung zwischen den Parteien voraus,11 der tatsächliche Verhandlungen12 über ihren Inhalt vorausgingen. 2. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB erweitert den Anwendungsbereich eines Teils der AGB-rechtlichen Bestimmungen auf vorformulierte Vertragsbedingungen in Verbraucherverträgen, „wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und soweit der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte“. Wenn AGB gegenüber einem Unternehmer verwendet werden, finden einerseits gemäß § 310 Abs. 1 S. 1 BGB die §§ 305 Abs. 2 und 3, 308 und 309 BGB keine Anwendung, während andererseits § 307 Abs. 1 und 2 BGB – unter angemessener Berücksichtigung geltender Gewohnheiten und Gebräuche im Rahmen der Inhaltskontrolle – eingreift. Entgegen der Intention des Gesetzgebers des AGB-Gesetzes13 werden außerdem die §§ 308, 309 BGB indiziell auf Rechtsgeschäfte zwischen Kaufleuten erstreckt. II. Die im Hinblick auf Sprachenfragen relevanten Fallgestaltungen Richtet man den Fokus auf die „Sprachrisiko“-Problematik, so ist es angezeigt, ungeachtet bestehender Gemeinsamkeiten grundsätzlich zwischen den Fällen der Verwendung von AGB gegenüber „Verbrauchern“ und jener im Verhältnis zu „Unternehmern“ deutlich zu trennen:

7

Erman/Roloff, § 305 Rn. 12. BGHZ 126, 326 (332) = BGH NJW 1994, 2825 (2826); Erman/Roloff, § 305 Rn. 12. 9 MüKo BGB/Basedow, § 305 Rn. 21, 33 ff. 10 Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union IV, A 5, Art. 3 Rn. 24; Palandt/Heinrichs, § 305 Rn. 21; siehe auch BGH NJW 1998, 3488 (3489): Es gehöre zum Aushandeln einer Vertragsbedingung, „den gesetzesfremden Kern der Klausel ernsthaft zur Disposition der verhandelnden Parteien zu stellen und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einzuräumen mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen beeinfl ussen zu können“; siehe ferner BGH NJW 1992, 2759 (2760); BAG AP Nr. 8 zu § 305 BGB = EzA § 307 BGB 2002 Nr. 13. 11 BGH NJW 1979, 367 (369): „Denn eine solche Individualabrede setzt eine zusätzliche rechtsgeschäftliche Einigung der Vertragsparteien voraus; an ihr Zustandekommen müssen mindestens gleich hohe Anforderungen gestellt werden wie an die Vereinbarung der AGB selbst.“; siehe auch Erman/Roloff, § 305 Rn. 18. 12 Erman/Roloff, § 305 Rn. 19. 13 BT-Drucks. 7/3919, S. 1 (23 re. Sp. unten). 8

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1. Im Hinblick auf Verbraucherverträge ist unter anderem zu untersuchen, – ob individuelle Sprachdefizite bei der Einbeziehungskontrolle gemäß oder analog § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB („erkennbare körperliche Behinderung“) Beachtung finden können, – ob bzw. inwieweit bei Auslegung von AGB entsprechend den Vorgaben von Art. 4 Abs. 1 und Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 93/13/EWG konkretindividuelle Elemente des Sachverhalts Berücksichtigung finden können, – ob im Hinblick auf die grundsätzlich objektive Auslegung von AGB Ausländer gegebenenfalls als homogene Gruppe von Verbrauchern qualifiziert werden können – eine Frage, die sowohl bei Vertragsabschlüssen im Inland als auch bei sog. Distanzgeschäften praktisch werden kann, – sowie, ob wegen § 310 Abs. 4 S. 2 BGB Arbeitnehmer als Verbraucher anzusehen sind und ob bejahendenfalls Ausgleichsquittungen – falls diese als AGB zu qualifizieren sein sollten – der AGB-rechtlichen Transparenz- und Inhaltskontrolle unterliegen. 2. Bei Unternehmerverträgen stellt sich häufig das Problem, ob fremdsprachige AGB wirksam einbezogen wurden, namentlich durch Übersendung eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens. 3. Bezüglich beider Gruppen von Vertragspartnern eines AGB-Verwenders wird noch einmal auf das Problem der sog. Verhandlungs- und Vertragssprache einzugehen sein, diesmal unter dem Blickwinkel der wirksamen Einbeziehung von AGB und nicht – wie in § 3 bereits erörtert – in bezug auf die Bestimmung des einschlägigen materiellen Rechts. III. Die Einbeziehung von AGB in Verbraucherverträge 1. Überblick a) Die Voraussetzungen der Einbeziehung von AGB in Verbraucherverträge sind in § 305 Abs. 2 BGB geregelt. Danach werden AGB nur dann zum Bestandteil eines Vertrags, „wenn der Verwender bei Vertragsschluß die andere Vertragspartei ausdrücklich oder, wenn ein ausdrücklicher Hinweis wegen der Art des Vertragsschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist, durch deutlich sichtbaren Aushang am Orte des Vertragsschlusses auf sie hinweist“ (Nr. 1) und der Verwender „der anderen Vertragspartei die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise, die auch eine für den Verwender erkennbare körperliche Behinderung der anderen Vertragspartei angemessen berücksichtigt, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen, und wenn die andere Vertragspartei mit ihrer Geltung einverstanden ist“. b) § 305 Abs. 2 BGB gilt wegen § 310 Abs. 1 S. 1 BGB nicht für Unternehmerverträge. Gemäß § 310 Abs. 4 S. 1 BGB findet ferner das gesamte AGB-Recht auf Kollektivvereinbarungen, also auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinba-

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

rungen, keine Anwendung.14 Für privatrechtliche Verträge auf dem Gebiet des Arbeitsrechts gilt diese Ausnahmeregel nicht. Diesbezüglich werden allein die Normen über die Einbeziehung von AGB ausgeschlossen.15 Zu den „Arbeitsverträgen“ i. S. des § 310 Abs. 4 S. 2 BGB rechnen nicht nur privatrechtliche Verträge, die ein Arbeitsverhältnis begründen, sondern auch solche, die es beenden, also Aufhebungsverträge16 sowie die für das „Sprachrisiko“-Problem besonders bedeutsamen Ausgleichsquittungen, die im Zuge der Abwicklung eines Arbeitsvertragsverhältnisses von den Arbeitnehmern abgegeben werden. 2. Die Einbeziehungsvoraussetzungen gemäß § 305 Abs. 2 BGB Der Zweck des § 305 Abs. 2 BGB besteht darin, die Einbeziehung von AGB in den Einzelvertrag von einem eindeutigen rechtsgeschäftlichen Willen auch des Kunden abhängig zu machen, ohne aber den Rechtsverkehr unnötig zu behindern.17 Die Einbeziehungsabrede ist ein unselbständiger Teil des gesamten Vertragsschlusses.18 Im Verhältnis zu den §§ 145 ff. BGB genießt § 305 Abs. 2 BGB – soweit es die Einbeziehungsvoraussetzungen betrifft – 19 als die speziellere Regelung den Vorrang. 20 Nachrang kommt § 305 Abs. 2 BGB – ebenso wie § 305a und § 305c BGB – hingegen im Verhältnis zu Art. 23 EuGVVO zu, der die Einbeziehungsvoraussetzungen bei Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Handelsverkehr regelt.21

14 Nach zutreffender Auffassung der Bundesregierung kann und darf „in diesen gewissermaßen ‚normsetzenden‘ Bereich (. . .) eine AGB-Kontrolle nicht eingreifen, da anderenfalls das System der Tarifautonomie konterkariert würde“ (BT-Drucks. 14/6857, S. 54); siehe auch Staudinger/M. Coester, § 310 Rn. 87 ff. 15 Die Bundesregierung hat die Nichtgeltung von § 305 Abs. 2, 3 BGB damit begründet, daß der Arbeitgeber nach § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG dem Arbeitnehmer die wesentlichen Vertragsbestimmungen auszuhändigen habe (BT-Drucks. 14/6857, S. 54). Da das Nachweisgesetz das wirksame Zustandekommen eines Vertrags voraussetzt, ist diese Begründung nicht überzeugend, siehe dazu Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 426; Staudinger/M. Coester, § 310 Rn. 95. An der Unanwendbarkeit von § 305 Abs. 2 und 3 BGB ändert dies nichts. Auch eine analoge Anwendung der Vorschrift scheidet aus (ebenso Fuchs, ebd.). 16 Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 423; Henssler, RdA 2002, 129 (139); Bauer, NZA 2002, 169 (172); U. Preis, NZA 2003 Sonderbeilage zu Heft 16, 19 (30 f.); siehe auch BAG NZA 2007, 614. 17 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 2 unter Bezugnahme auf die Begründung zum AGB-Gesetz. Der Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung hat diesen Ansatz beibehalten, siehe die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/6857, S. 52, wo ausdrücklich am „materiellen Einbeziehungskonsens“, d. h. dem Einverständnis des Kunden mit der Geltung der AGB, festgehalten wird. 18 Erman/Roloff, § 305 Rn. 25; zum Erfordernis des Einverständnisses des Vertragspartners siehe ebd., Rn. 40. 19 Zur Anwendbarkeit der §§ 145 ff. BGB auf AGB im übrigen siehe Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 122. 20 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 118. 21 H. Schmidt, in: U/B/H, Anh. § 305 Rn. 23.

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a) Der ausdrückliche Hinweis des Verwenders auf seine AGB § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB fordert zunächst einen ausdrücklichen Hinweis des Verwenders gegenüber dem Kunden auf seine AGB. Mit dem Wort „ausdrücklich“ wird klargestellt, daß ein konkludenter Hinweis nicht ausreicht. 22 Wegen des Hinweiserfordernisses ist es folglich nicht möglich, die Einbeziehungserklärung des Verwenders durch Auslegung seines Vertragsangebots zu gewinnen. 23 Fehlt es an einem ausdrücklichen Hinweis des Verwenders, kommt der Vertrag durch Annahmeerklärung des anderen Vertragsteils ohne eine Einbeziehung der AGB des Verwenders zustande.24 Der erforderliche ausdrückliche Hinweis ist unabhängig von der Wahrung einer bestimmten Form. Er kann demgemäß schriftlich, mündlich oder fernmündlich erfolgen. 25 b) Die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme für den Kunden Hinzukommen muß nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 weiter die Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme vom Inhalt der AGB durch den Kunden. Ob der Kunde tatsächlich Kenntnis vom Inhalt der AGB nimmt oder ihnen ohne Kenntnis zustimmt, ist rechtlich unerheblich. Entscheidend ist lediglich, daß ihm diese Möglichkeit eröffnet wird. 26 Ohne sie entfaltet die – wie gesehen zwingend erforderliche – Zustimmung des Kunden 27 keine Rechtswirkungen. 28 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Kenntnisnahmemöglichkeit ist jener der Abgabe einer bindenden Erklärung des Kunden. 29 aa) Schriftliche und mündliche Verträge Bei schriftlichen Verträgen ist die Zugänglichmachung des vollständigen Textes der AGB durch den Verwender erforderlich.30 Bei mündlichen Verträgen ergibt sich die Kenntnisnahmemöglichkeit entweder aus einem Aushang im Geschäftslokal des Verwenders, der den Text der AGB enthält (dazu sogleich), aus der Übergabe eines Abdrucks oder aus der Gelegenheit zur Einsichtnahme in die AGB am Ort des Vertragsschlusses.31 Wegen des Hinweiserfordernisses in

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Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 124. Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 119. 24 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 124, 168. 25 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 124. 26 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 146. 27 Siehe BGH NJW 1982, 1388 (1389); Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 161: die konkludent erklärte Annahme genügt. 28 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 120. 29 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 147a. 30 Vgl. Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 147, 147a. 31 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 148. 23

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

§ 305 Abs. 2 Nr. 1 AGB wäre es problematisch, wenn man vom Verwender die unaufgeforderte vollständige Vorlage der AGB verlangen würde.32 bb) Vertragsschluß ohne direkten persönlichen Kontakt der Kontrahenten Bei Fehlen eines direkten persönlichen Kontakts, wie z. B. im telefonischen Geschäftsverkehr, genügt es, wenn die AGB dem Kunden in Katalogen oder Prospekten vor Vertragsschluß zur Verfügung gestellt wurden. Außerdem genügt, wie bei mündlichen Verträgen unter Anwesenden, auch bei einem fernmündlichen Kontakt ein ausdrücklicher Hinweis des Verwenders auf die Einbeziehung der AGB.33 Erklärt sich der Kunde mit dem Vertrag einverstanden, ohne den Text der AGB zu kennen, liegt darin ein individueller Verzicht auf eine ihm zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit.34 Ebenfalls ohne persönlichen Kontakt erfolgt regelmäßig der Vertragsschluß im Internet. Hier besteht für den Verwender die Möglichkeit, die Übermittlung der Erklärung des Kunden 35 von dem vorherigen Anklicken eines Kästchens abhängig zu machen, mit denen der Kunde bestätigt, daß er die AGB zur Kenntnis genommen habe. Ob der Kunde die AGB tatsächlich durchliest, ist auch in diesen Fällen seine Sache. Hat er eine zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme besessen, so ist es ein Akt der Selbstverantwortung, wenn er freiwillig auf diese Kenntnisnahmemöglichkeit verzichtet.36 Daraus ergeben sich nicht zwangsläufig Nachteile für den Kunden, weil z. B. die Rechtsfolgen überraschender AGB infolge einer solchen Bestätigung nicht obsolet werden.37 cc) Zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme und Verständlichkeit der AGB Zumutbar ist die Möglichkeit der Kenntnisnahme, wenn die AGB in verständlicher und mühelos lesbarer 38 Form an den Kunden übermittelt werden. Dabei 32

Zur Kritik an der Rechtsprechung des BGH siehe Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 148. Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 149. 34 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 149. 35 Das ist regelmäßig das Vertragsangebot, da die „Angebotsseite“ des Verwenders im Netz rechtlich meist nur als invitatio ad offerendum zu bewerten sein wird. 36 Näher zum Vertragsschluß im Internet Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 149a. 37 Siehe Erman/Roloff, § 305c Rn. 12; BGH NJW 1978, 1519 = BB 1978, 928; vgl. noch § 309 Nr. 12b BGB zum entsprechenden Schutz des Kunden im Rahmen der Inhaltskontrolle. 38 BT-Drucks. 7/3919, S. 1 (18 re. Sp. oben); BGH NJW-RR 1986, 1311; Erman/Roloff, § 305 Rn. 38; kritisch zur Formulierung „mühelos lesbar“ Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 154; zusammenfassend MüKo BGB/Basedow, § 305 Rn. 67. AGB, die der Leser wegen der Art oder der Größe des Schriftbilds nur mühsam entziffern kann, erfüllen diese Voraussetzungen nicht, vgl. BGH NJW 1983, 2772 (2773) betreffend Konnossementbedingungen folgender Gestaltung: „zwei knapp 9,5 cm breite Spalten auf einer nicht ganz DIN A 4 großen Seite mit jeweils mehr als 150 Zeilen bei allenfalls 1 mm Zeilenhöhe und einem noch kleineren Zeilenabstand (. . .), die lediglich mit der Lupe und selbst dann nicht ohne Mühe zu lesen sind“. Mit Recht entschied der BGH, daß drucktechnisch derart gestaltete AGB nicht Vertragsinhalt werden. 33

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sind die Verständnismöglichkeiten eines rechtsunkundigen Durchschnittskunden zugrundezulegen,39 wobei allerdings – in Abhängigkeit von der Art des Geschäfts und dem Kundenkreis – „gruppentypische Differenzierungen“40 möglich sind. Für textliche Mißverständnisse, die darauf beruhen, daß die AGB überzogene Anforderungen an die Verständnisfähigkeiten des Durchschnittskunden stellen, hat der Verwender einzustehen. Dies betrifft unter anderem unübersichtliche AGB ohne erkennbare Gliederung, unverhältnismäßig lange bzw. nicht auf den betreffenden Vertragstyp angepaßte AGB sowie solche, die für die Durchschnittskunden unverständliche und vermeidbare (Fach-)Ausdrücke beinhalten.41 Die Zumutbarkeit der Kenntnisnahmemöglichkeit betrifft „nur eine formal sprachliche Transparenz“42 , also rein formale Aspekte und die Klarheit des Ausdrucks als solche, nicht aber die inhaltliche Klarheit einer Klausel, die gegebenenfalls an § 305c Abs. 2 BGB zu messen ist43 , und ebensowenig die inhaltliche Angemessenheit, die der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB vorbehalten ist.44 dd) Zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme und angemessene Berücksichtigung einer körperlichen Behinderung (1) Die zentralen Aussagen des Gesetzgebers. Gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB muß die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme – vor oder bei Vertragsschluß – 45 auf eine Weise gegeben sein, die eine für den Verwender „erkennbare 39 BGH NJW 1993, 2052 (2054): „Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden“; BGH NJW 1981, 867 (868): „Verständnismöglichkeit eines rechtsunkundigen Durchschnittskunden“; OLG Frankfurt NJW 1986, 2712 (2713); OLG Saarbrücken NJW-RR 1988, 858 (859); OLG Stuttgart NJWRR 1988, 786 (787); Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 151; MüKo BGB/Basedow, § 305 Rn. 67; Maidl, Ausländische AGB, S. 49. 40 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 151. 41 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 152 ff.; Staudinger/Schlosser, § 305 Rn. 142; aus der Rechtsprechung siehe insbesondere BGH NJW 1982, 331 (333) und BGH NJW 1982, 2380, jeweils mit der Feststellung, daß die Begriffe „Wandelung“ und „Minderung“ dem nicht am kaufmännischen Rechtsverkehr teilnehmenden Käufer weithin unbekannt seien; siehe ferner BGHZ 164, 11 = ZIP 2005, 1785, wo (unter dem Blickwinkel des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB) festgestellt wird, daß der Begriff der „Wertminderung“ einen fest umrissenen Inhalt habe, während ein durchschnittlicher Händler als juristischer Laie nicht wissen müsse, was mit dem Begriff „Kardinalpflichten“ gemeint sei; siehe ferner BGH VersR 2000, 1090 zum Verständnis des Begriffs „Bewußtseinsstörung“ aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers; abweichend Fehl, BB 1983, 223 (für eine generelle Zulässigkeit der Verwendung von Begriffen des BGB). 42 Erman/Roloff, § 305 Rn. 38 m. w. N. 43 Erman/Roloff, § 305 Rn. 38. 44 MüKo BGB/Basedow, § 305 Rn. 53. 45 Eine Kenntnisnahmemöglichkeit nach Vertragsschluß ist unbeachtlich, siehe Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 155; LG Berlin NJW 1982, 343 (344) sowie OLG Frankfurt, Urt. v. 31. 1. 1984 – 11 U 43/83, Fremdenverkehrsrechtliche Entscheidungen 19, Nr. 432 Tz. 15 f. = IPRspr. 1984, 94 (juris) zu fremdsprachigen AGB auf den Rückseiten von Flugtickets.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

körperliche Behinderung“ der anderen Vertragspartei „angemessen berücksichtigt“. Mit dieser Wendung unternahm der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform des Jahres 2001 den Versuch, eine Regelung zur Verbesserung der Integration körperlich Behinderter zu treffen. Die Regelung gilt gemäß der Gesetzesbegründung für jene Fälle, bei denen „die andere Vertragspartei auf Grund einer körperlichen Behinderung in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt ist (insbesondere Menschen mit einer Sehbehinderung).“46 Die körperliche Behinderung muß dem Verwender erkennbar sein, da er sie andernfalls nicht berücksichtigen kann.47 Die Erkennbarkeit der körperlichen Behinderung ist gemäß den im AGB-Recht geltenden Grundsätzen nach objektiven, verkehrstypische Kriterien zu beurteilen,48 sie hängt also nicht von der Wahrnehmung des konkreten Verwenders ab.49 Erkundigungspflichten des Verwenders in dieser Hinsicht gibt es nicht.50 Die Angemessenheit der Berücksichtigung ist situationsbedingt unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Behinderung zu beurteilen.51 Zur Begründung dieser Regelung hat der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes folgende Aussagen getroffen: „Menschen mit einer Sehbehinderung werden trotz ausdrücklichen Hinweises auf die Geltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und ihres Aushangs oder ihres Ausliegens in Papierform am Ort des Vertragsschlusses in aller Regel nicht die Möglichkeit haben, von deren Inhalt in zumutbarer Weise Kenntnis zu nehmen. Vielmehr bedürfen sie insoweit weiterer Hilfsmittel wie etwa der Übergabe der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in einer Form, die ihnen die Kenntnisnahme vor Vertragsschluss ermöglicht. Dies kann im Einzelfall durch Übergabe in elektronischer oder akustischer Form oder auch in Braille-Schrift erfolgen.“52 Die Ergänzung des Gesetzestextes soll nach dem Willen des Gesetzgebers dem Rechtsanwender verdeutlichen, „dass die Beantwortung der Frage der zumutbaren Kenntnisverschaffung nicht allein objektiv am ‚durchschnittlichen‘ Kunden gemessen werden darf, sondern auch eine körperlich bedingte Einschrän-

46

GesE Modernisierung des Schuldrechts, BR-Drucks. 338/01 v. 11. 5. 2001, Begründung zu § 305 Abs. 2, S. 344. 47 Siehe die Gegenäußerung der BReg, BT-Drucks. 14/6857, S. 52. 48 Das Merkmal der Erkennbarkeit wurde nachträglich „zur Klarstellung“ eingefügt, siehe die Gegenäußerung der BReg, BT-Drucks. 14/6857, S. 52, aus der sich allerdings kein Hinweis auf eine objektive Auslegung ergibt. 49 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 154b. 50 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 154b. 51 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 154c mit einer Unterscheidung zwischen dem Vertragsschluß unter Anwesenden und unter Abwesenden. 52 GesE Modernisierung des Schuldrechts, BR-Drucks. 338/01 v. 11. 5. 2001, Begründung zu § 305 Abs. 2, S. 344.

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kung der Wahrnehmungsfähigkeit der jeweiligen Partei berücksichtigt werden muss.“53 Die Gesetzesbegründung relativiert die Beachtlichkeit individueller Merkmale allerdings, indem sie weiter ausdrücklich klarstellt, daß der Verwender seine AGB nicht – je nach Kunden und Sehkraft – in unterschiedlichen Schriftgrößen bereitzuhalten verpflichtet sei. Insoweit müsse es vielmehr weiter „bei einem verobjektivierten Maßstab bleiben, wonach Zumutbarkeit zu bejahen ist, wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach Art und Größe für einen Durchschnittskunden nicht nur mit Mühe lesbar sind.“54 Eine Abweichung von diesem verobjektivierten Maßstab erfolge aber, „wenn die andere Vertragspartei an der Wahrnehmung auf Grund einer körperlichen Behinderung gehindert ist und dem Verwender diese Behinderung erkennbar war.“55 (2) Berücksichtigung sprachenbedingter Verständnisdefizite nach § 305 Abs. 2 BGB? Die Ansicht des Gesetzgebers, wonach die Möglichkeit der Kenntnisnahme nicht allein objektiv am Durchschnittskunden gemessen werden darf, führt zu der weiteren Fragestellung, welche individuellen Gebrechen auf seiten des Kunden grundsätzlich beachtlich sind und ob dazu möglicherweise auch sprachbedingte Verständnisschwierigkeiten zählen. In der Literatur werden als Fälle einer beachtlichen Körperbehinderung neben der Sehschwäche der Kleinwuchs und die zur Rollstuhlbenutzung zwingende Gehbehinderung genannt, wenn und soweit diese Gebrechen dazu führen, daß der betroffene Kunde einen in üblicher Höhe angebrachten Aushang nur mit erheblichen Schwierigkeiten zur Kenntnis nehmen kann.56 Bei fernmündlichen Vertragsschlüssen kommen Hörschwächen in Betracht, wobei sich allerdings das Problem der objektiven Erkennbarkeit stellt.57 Die Formulierungen der Gesetzesbegründung betreffen allein körperliche Behinderungen, nicht aber geistige, intellektuelle Defizite. Eine Gleichstellung der Fälle fehlender Sprachbeherrschung mit körperlichen Behinderungen im Wege der Analogie verbietet sich deshalb. 58 Das hat der Reformgesetzgeber des Jahres 2001 selbst mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, als 53

GesE Modernisierung des Schuldrechts, BR-Drucks. 338/01 v. 11. 5. 2001, Begründung zu § 305 Abs. 2, S. 344 f.; kritisch zu dieser Regelung die Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks. 14/6857, S. 15; dagegen wiederum die BReg in ihrer Gegenäußerung, a.a.O., S. 51 f. 54 GesE Modernisierung des Schuldrechts, BR-Drucks. 338/01 v. 11. 5. 2001, Begründung zu § 305 Abs. 2, S. 345. 55 GesE Modernisierung des Schuldrechts, BR-Drucks. 338/01 v. 11. 5. 2001, Begründung zu § 305 Abs. 2, S. 345. 56 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 154b 57 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 154b. 58 Ebenso Schäfer, JZ 2004, 879 (880 f.); Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 154a; Heinrichs, NZM 2003, 6 (8); Erman/Roloff, § 305 Rn. 39; Staudinger/Schlosser, § 305 Rn. 141; a. A. wohl v. Westphalen, NJW 2002, 12 (13 f.); Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 107.

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er in der Gesetzesbegründung klarstellte: „Auch müssen Allgemeine Geschäftsbedingungen wie bisher nicht auf die konkreten mentalen Erkenntnismöglichkeiten des Einzelnen zugeschnitten sein.“59 In der Literatur hat man die Frage aufgeworfen, warum nicht auch geistig-mentale Schwächen und Behinderungen von der Pflicht zur Berücksichtigung erfaßt sein sollen. 60 Die Antwort darauf ist einfach: Die Beachtlichkeit geistiger Defizite würde im Massenverkehr mit AGB zu einer schwer erträglichen Rechtsunsicherheit führen. 61 Daraus ergibt sich für die Frage des „Sprachrisikos“ ausländischer Kunden, daß die Ausländereigenschaft und die aus ihr resultierenden Verständnisschwierigkeiten nicht als körperliche Behinderung i. S. des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB qualifiziert werden können. 62 Auch eine Analogie zu dieser Vorschrift ist mangels einer ausfüllungsbedürftigen Lücke abzulehnen. 63 Dies widerspricht auch nicht den Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts, da die Klauselrichtlinie 93/13/EWG die Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB nicht regelt. 64 c) Der Hinweis auf und die Verwendung von deutschsprachigen AGB gegenüber ausländischen Adressaten Wenn auch individuelle Sprachdefizite nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB unbeachtlich sind, so muß doch geklärt werden, in welcher Sprache bzw. in welchen Sprachen der erforderliche Hinweis erfolgen kann bzw. muß, wenn – gemäß der obigen Prämisse: unter Geltung des deutschen Rechts – ein Ausländer am Vertragsschluß beteiligt ist. Ist vielleicht den Anforderungen des § 305 Abs. 2 BGB schon dann Genüge getan, wenn neben dem Vertragstext auch die AGB und der ausdrückliche Hinweis auf sie in deutscher Sprache abgefaßt sind? Die Antworten auf diese Fragen fallen differenzierend aus. Insbesondere ist zwischen der Sprache des Einbeziehungshinweises und der Sprache der AGB ganz grundsätzlich zu unterscheiden. 65

59 GesE Modernisierung des Schuldrechts, BR-Drucks. 338/01 v. 11. 5. 2001, Begründung zu § 305 Abs. 2, S. 345. 60 So etwa Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 154a. 61 Schäfer, JZ 2003, 879 (881). 62 Heinrichs, NZM 2003, 6 (8). 63 Heinrichs, NZM 2003, 6 (8). 64 Beachte aber auch Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 198, der das Transparenzgebot des Art. 5 Satz 1 der Richtlinie als für die Interpretation der Anforderungen des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB maßgeblich erachtet; für eine richtlinienkonforme Interpretation des § 305 BGB ferner Heinrichs, NJW 1996, 2190 ff.; Palandt/Heinrichs, § 310 Rn. 18. – Das Transparenzgebot des Art. 5 Satz 1 der Richtlinie mit der Forderung nach einer klaren und verständlichen Abfassung betrifft die individuellen sprachenbedingten Verständnisschwierigkeiten von Ausländern jedoch nicht, da es insoweit um die Verständnismöglichkeiten von durchschnittlichen Adressaten geht; siehe dazu schon oben § 2 D. II. 2. d. 65 Spellenberg, IPRax 2007, 98 (100, 102); MüKo BGB/Basedow, § 307 Rn. 314.

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aa) Die rechtliche Bedeutung der Verhandlungs- und der Vertragssprache Nach den allgemeinen AGB-rechtlichen Grundsätzen müßte in bezug auf die Sprache des Einbeziehungshinweises eigentlich auf den Durchschnittskunden und dessen Verständnismöglichkeiten abgestellt werden. Im Hinblick auf die Verteilung des „Sprachrisikos“ wäre insoweit zu fragen, ob der Verwender auch Ausländer zu seinen Kunden zählt und ob diese, soweit sie in sprachlicher Hinsicht eine homogene Gruppe bilden, als die relevanten Durchschnittskunden angesehen werden können. 66 Rechtsprechung und Literatur verfahren jedoch anders und stellen maßgeblich auf die sog. Verhandlungs- und Vertragssprache ab, also auf diejenige(n) Sprache(n) 67, in der die Kontrahenten ihre Vertragsverhandlungen geführt haben und in der der Vertrag formuliert ist. Dabei wird teilweise davon ausgegangen, die Parteien hätten die Sprache „gewählt“, so daß Abweichungen hiervon unzulässig seien. Nach einer anderen Literaturansicht soll die Verhandlungssprache dogmatisch als ein (Begleit-)Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht i. S. des § 241 Abs. 2 BGB zu qualifizieren sein, welches durch rechtsgeschäftlichen Kontakt, nämlich durch das widerspruchslose Sich-Einlassen auf eine bestimmte Sprache, zustandekomme. Danach bestehe zwar keine Pflicht zur Verwendung der Sprache, doch übernehme der Fremdmuttersprachler grundsätzlich das Verständigungsrisiko. 68 Nach beiden Ansichten trägt derjenige, der sich auf Verhandlungen und den Vertragsschluß in einer bestimmten Sprache einläßt, letztlich das „Sprachrisiko“. 69 Im Rahmen der kollisionsrechtlichen Beurteilung des „Sprachrisikos“ wurde hier argumentiert, daß die Verwendung einer bestimmten Sprache zur Verständigung dient und ihrer Wahl infolgedessen in aller Regel keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt. Die teilweise erfolgende Gleichsetzung der Rechtswahl gemäß Art. 27 EGBGB und der Sprachenwahl ist deshalb verfehlt.70 Sie würde in letzter Konsequenz bedeuten, daß nicht das tatsächliche Sprachvermögen des Gegners (oder eines ihm zurechenbaren Vertreters) entscheidet, sondern daß allein die „vereinbarte“ Verhandlungs- und Vertragssprache maßgeblich wäre und somit auch verwendet werden müßte, um die Einbeziehung von AGB zu erreichen.71 Dem ist jedoch zu widersprechen. 66

Zutreffend Maidl, Ausländische AGB, S. 49, 55 m. w. N. Verhandlungs- und Vertragssprache können auseinanderfallen, doch soll die Frage der Divergenz hier zunächst außer Betracht bleiben. 68 Schäfer, JZ 2003, 879 (883). 69 Schäfer, JZ 2003, 879. 70 Ebenso Schäfer, JZ 2003, 879 (883); Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 103; H. Schmidt, in: U/B/H, Anh. § 305 Rn. 14; Spellenberg, IPRax 2007, 98 (99). 71 So in der Tat OLG Düsseldorf AWD 1974, 103: Erklärungen in einer anderen als der Vertragssprache seien nicht sachbezogen, so daß sich der Kunde nicht als deren Empfänger ansehen müsse; mit Recht anders die h.M., OLG Hamburg NJW 1980, 1232 (1233); OLG Koblenz IPRax 1994, 46 (48); OLG Stuttgart IPRspr. 1987, 316 (318); Schwarz, IPRax 1988, 278 (280); Maidl, Ausländische AGB, S. 51. 67

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Aus der hier formulierten Grundsatzkritik an einer Gleichsetzung von Rechts- und Sprachenwahl im Wege des Umkehrschlusses zu folgern, daß die tatsächliche Verwendung einer bestimmten Sprache in rechtlicher Hinsicht völlig bedeutungslos sei, wäre allerdings ebenso unrichtig. Die Verwendung einer bestimmten Verhandlungssprache durch die Parteien wirkt sich nämlich auf die rechtliche Beurteilung des für die Einbeziehung erforderlichen „ausdrücklichen Hinweises“ aus. Nach einhelliger Meinung muß der in § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB geforderte Hinweis auf die AGB des Verwenders „als Verdeutlichung der auf die Einbeziehung der AGB gerichteten Willenserklärung des Verwenders wie diese selbst in der Verhandlungssprache erfolgen“.72 Dem ist – mit der soeben gemachten Einschränkung, daß die Verhandlungssprache nicht entscheidend sein kann, wenn der Gegner die verwendete Nichtverhandlungssprache (z. B. seine Heimatsprache) versteht – zuzustimmen.73 Die AGB eines deutschen Verwenders werden unter Geltung des deutschen Rechts bei einem Geschäft mit einem ausländischen Vertragspartner nur dann Vertragsinhalt, wenn der Einbeziehungshinweis entweder in der Verhandlungssprache abgefaßt ist oder der Vertragspartner die vom Verwender gebrauchte Sprache beherrscht. 74 bb) Die Konsequenzen des Abstellens auf die Verhandlungs- und Vertragssprache für die Einbeziehung von AGB bei Beteiligung von sprachunkundigen Ausländern am Vertragsschluß Die Konsequenz des Abstellens auf die Verhandlungs- und Vertragssprache bei der Beteiligung von sprachunkundigen Ausländern am Vertragsschluß besteht nach der Rechtsprechung darin, daß wenn die deutsche Sprache bei Verhandlungen gebraucht wurde, der ausländische Kunde den Vertragstext und die – wirksam einbezogenen – Geschäftsbedingungen gegen sich gelten lassen muß.75 Vereinfacht gesagt setzt die Einbeziehung von AGB nicht voraus, daß der Kunde die Sprache versteht, in der die AGB abgefaßt sind – es sei denn, es handelt sich um eine Sprache, die von derjenigen abweicht, in der die vorherigen Vertragsverhandlungen geführt worden sind.76 In der unter Geltung des AGB-Ge72 H. Schmidt, in: U/B/H, Anh. § 305 Rn. 14 m. w. N.; Maidl, Ausländische AGB, S. 60; aus der Rechtsprechung siehe OLG Stuttgart IPrax 1988, 293 (294). 73 Siehe Maidl, Ausländische AGB, S. 52. 74 Maidl, Ausländische AGB, S. 60. 75 BGHZ 87, 112 = NJW 1983, 1489; H. Schmidt, in: U/B/H, Anh. § 305 Rn. 15; MüKo BGB/Basedow, § 305 Rn. 59; Staudinger/Schlosser, § 305 Rn. 105, 141; Erman/Roloff, § 305 Rn. 33; Staudinger/Singer, § 119 Rn. 19, h.M.; abweichend (einer Übersetzung fremdländischer AGB bedarf es nur bei Geschäften von erheblicher wirtschaftlicher Tragweite) AG Langenfeld NJW-RR 1998, 1524 (1525); a. A. (Übersetzungspfl icht des Verwenders gegenüber fremdsprachigen Kunden) Meier/Wehlau, VuR 1991, 141 (147 f.); OLG Karlsruhe NJW 1972, 2185 (Übersetzungspflicht eines italienisches Unternehmens gegenüber einem in Deutschland ansässigen Geschäftspartner bei in Deutschland abgeschlossenem Vertrag). 76 So zutreffend Bamberger/Roth/Spickhoff, Art. 31 EGBGB Rn. 8 unter Hinweis auf

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setzes ergangenen Leitentscheidung von 1983, die auch heute sachlich nicht überholt ist, hat der BGH dazu folgendes ausgeführt: „Ausschlaggebend ist vielmehr, welcher Sprache sich die Parteien im Rahmen ihrer rechtsgeschäftlichen Beziehungen bedienen. Wählen sie – wie hier – die deutsche Sprache als Verhandlungs- und Vertragssprache, so akzeptiert der ausländische Partner damit den gesamten deutschsprachigen Vertragsinhalt einschließlich der zugrundeliegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Alsdann ist es ihm zuzumuten, sich vor Abschluß des Vertrags selbst die erforderliche Übersetzung zu beschaffen. Andernfalls muß er den nicht zur Kenntnis genommenen Text der Geschäftsbedingungen gegen sich gelten lassen (. . .).“77

Das gilt auch in dem Fall, daß sich der ausländische Kunde, der selbst der deutschen Sprache nicht mächtig ist, eines sprachkundigen Dritten bedient. So lag es beispielsweise in dem schon mehrfach angesprochenen Iranerin-Fall des BGH von 1995.78 cc) Verhandlungen in einer Fremdsprache und der Hinweis auf AGB Praktisch folgt aus dem soeben Gesagten, daß bei Vertragsschlüssen in Deutschland regelmäßig ein in deutscher Sprache abgefaßter Hinweis auf die AGB des Verwenders genügt, wenn der ausländische Gegner auf die Verwendung der deutschen Sprache seitens des Verwenders reagiert hat, so daß unterstellt werden kann, daß er dieser Sprache wenigstens in Grundzügen mächtig ist. Die Verwender von AGB werden sich innerhalb Deutschlands in aller Regel der deutschen Sprache als Verhandlungssprache bedienen. Fraglich ist aber, was gelBGH NJW 1995, 190; a. A. OLG Koblenz RIW 1992, 1019 (1021); MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 52; Schwarz, IPrax 1988, 278 (280). 77 BGHZ 87, 112 (114 f.) = NJW 1983, 1489; Erman/Roloff, § 305 Rn. 33. Kritisch zu der Formulierung des BGH MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 52: Die Tatsache allein, daß der nichtkaufmännische Kunde – in welcher Sprache auch immer – den Vertrag akzeptiert habe, genüge zur Erfüllung der Voraussetzungen einer zumutbaren Kenntnisnahmemöglichkeit noch nicht. Der Grundsatz, daß man ein Angebot annehmen kann, ohne von seinem Inhalt Kenntnis zu nehmen, weiche dem § 305 Abs. 1 BGB. 78 Siehe BGH NJW 1995, 190. Nach Ansicht des IX. Zivilsenats änderte sich an dem Abschluß eines Bürgschaftsvertrages der Parteien nichts dadurch, daß die beklagte Iranerin nach ihrem Vorbringen bei Unterzeichnung des in deutscher Sprache verfaßten Vertragsformulars Deutsch weder sprechen noch lesen konnte. Nach eigener Behauptung habe sich die Beklagte in ihrem geschäftlichen Umgang mit der klagenden Bank des Hauptschuldners – ihres Vetters –, der unstreitig die deutsche Sprache und Schrift beherrschte, als Dolmetscher bedient. Da dieser die Beklagte damals begleitet habe, habe diese vor Unterzeichnung der Vertragsurkunde die Möglichkeit gehabt, in zumutbarer Weise von der Art und dem Inhalt des seitens der Klägerin vorgelegten Schriftstücks Kenntnis zu nehmen, indem sie sich durch den Dolmetscher die auf einer DIN A 4-Seite befindlichen, gut lesbaren, übersichtlich gegliederten und inhaltlich auch für einen Rechtsunkundigen hinreichend verständlichen Vertragsbedingungen übersetzen ließ. Nachdem die Beklagte diese Möglichkeit nicht genutzt habe, stehe sie demjenigen gleich, der eine Urkunde unterschrieben hat, ohne sich über ihren Inhalt Gewißheit verschafft zu haben. Dieser erkläre sich mit dem Inhalt der Urkunde aus der maßgeblichen Sicht des Vertragsgegners einverstanden.

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ten soll, wenn der Verwender bei den Verhandlungen seinerseits auf die Ausländereigenschaft seines Gegners reagiert hat und sich dabei auf eine von ihm beherrschte (Fremd-)Sprache eingelassen hat, während das Vertragsformular, das die AGB beinhaltet, entsprechend den normalen Gepflogenheiten in deutscher Sprache vorgelegt und unterzeichnet wird. Beispiel: Der Verwender bemerkt, daß der Kunde nicht gut Deutsch spricht und verhandelt mit ihm daher in englischer Sprache. Nachdem zwischen den Kontrahenten Konsens erzielt wurde, wird der Vertrag schriftlich in Deutsch geschlossen. Konnte der erforderliche ausdrückliche Hinweis auf die rückseitig abgedruckten AGB in deutscher Sprache erfolgen oder mußte sich der Verwender hierzu gleichfalls der Verhandlungssprache Englisch bedienen?

In diesen Fällen ist ein Hinweis auf die AGB in deutscher Sprache nicht ausreichend.79 Der Verwender muß vielmehr den Hinweis entweder in der Verhandlungssprache oder in der Heimatsprache des Kunden erteilen. 80 Die Erteilung des Hinweises in der Vertragssprache Deutsch ist in diesem Fall nur dann gestattet, wenn der Kunde den Hinweis verstehen kann. 81 Das Ergebnis ist einleuchtend, bereitet aber Schwierigkeiten bei der genauen rechtsdogmatischen Begründung. Daß der Hinweis von dem Kunden verstanden werden kann, ist nach dem Wortlaut der Vorschrift von § 305 Abs. 2 BGB nicht gefordert. Man könnte zunächst daran denken, es aus dem Merkmal der Ausdrücklichkeit des Hinweises gemäß Nr. 1 abzuleiten. Dagegen spricht, daß damit lediglich die Möglichkeit konkludenter Hinweise des Verwenders auf AGB ausgeschlossen werden sollte. Mit sprachlichen Erfordernissen hat dies nichts zu tun. Somit kann das Verständlichkeitserfordernis nur in der Nr. 2, also in dem Erfordernis der zumutbaren Möglichkeit der Kenntnisnahme von den AGB, enthalten sein. Wie dargelegt, fordert Nr. 2 aber auch nicht die Aufgabe eines objektiven Normverständnisses. Der Gesetzgeber hat eine „Aufweichung“, d. h. die Berücksichtigung konkret-individueller Sachverhaltselemente bei der Einbeziehung von AGB, nur bei körperlich behinderten Kunden vorgesehen, und dies nur bei Erkennbarkeit der Körperbehinderung für den Verwender. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf Ausländer mit Verständnisschwierigkeiten ist abzulehnen. 82 Die These, daß der Hinweis auf die AGB in der hier untersuchten Fallgestaltung in der von dem Kunden verstandenen Verhandlungssprache statt in der Vertragssprache Deutsch zu erfolgen habe, läßt sich daher wohl nur aus den in der Vorschrift angesprochenen Zumutbarkeitserwägungen – als Ausprä79

Ebenso H. Schmidt, in: U/B/H, Anh. § 305 Rn. 14 m. w. N. Siehe auch Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (390); MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 46. 81 OLG Stuttgart IPrax 1988, 293 (294); H. Schmidt, in: U/B/H, Anh. § 305 Rn. 14; Maidl, Ausländische AGB, S. 53. 82 Ebenso Schäfer, JZ 2003, 879 (880 f.). 80

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gungen der Grundsätze von Treu und Glauben – ableiten. 83 Dem entspricht es, daß ein Verwender, der einem fremdsprachigen Kunden durch Sich-Einlassen auf eine von seiner eigenen Sprache abweichende Verhandlungssprache, zu deren Gebrauch er rechtlich nicht verpfl ichtet war, entgegengekommen ist, auch den Hinweis in dieser für den Kunden verständlichen Sprache erteilt. dd) Die Sprache der AGB bei Verträgen mit ausländischen Kunden Liegt ein wirksamer Einbeziehungshinweis in der Verhandlungssprache oder in einer von dem ausländischen Vertragspartner verstandenen Sprache vor, dann trägt der Kunde das „Sprachrisiko“ im Hinblick auf den Text der AGB als solche, denn der Verwender muß die AGB nach der Rechtsprechung weder in der vom Kunden beherrschten (Verhandlungs-)Sprache vorhalten noch ist er zu einer Übersetzung der AGB verpflichtet. 84 Beispiel: 85 Die Klägerin, ein Unternehmen aus der Bundesrepublik, hatte mit einem italienischen Staatsbürger in italienischer Sprache Vertragsverhandlungen geführt. Sie übersandte diesem eine Auftragsbestätigung, die in italienischer Sprache abgefaßt war. Zudem erteilte sie den Hinweis auf ihre AGB, die nicht übersetzt worden waren, in Italienisch. Durch Unterschrift bestätigte der Kunde, daß er den Auftrag „unter sämtlichen vorgenannten Bedingungen“ erteilt habe. Die AGB in deutscher Sprache wurden auf diese Weise wirksam in den Vertrag einbezogen.

Nach der Rechtsprechung ist die Vereinbarung eines ausländischen, der deutschen Sprache unkundigen Vertragspartners in einem in seiner Heimatsprache mit einem deutschen Verwender abgeschlossenen Vertrag, daß dessen nicht in die fremde Sprache übersetzte AGB Bestandteil des Vertrags sein sollen, wirksam. 86 Nach einem erfolgten ausdrücklichen und von dem Kunden auch verstandenen Hinweis auf die AGB ist es mithin seine, des Kunden, Sache, diese entweder übersetzen zu lassen, den Verwender um eine Übersetzung zu bit83 Vgl. auch MüKo BGB/Basedow, § 305 Rn. 59: Der Verwender darf „das Sprachrisiko nicht einseitig auf den Kunden abwälzen, wenn dieser – wie der Verwender erkannt hat oder erkennen musste – die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht.“ 84 BGHZ 87, 112 (114 f.) = NJW 1983, 1489; OLG Sachsen-Anhalt IPRspr. 2003 Nr. 136, 425 Rn. 67 (juris); OLG München NJW 1974, 2181 (2182); OLG Bremen WM 1973, 1228 = RIW/AWD 1974, 103; MüKo BGB/Basedow, § 305 Rn. 59 m. w. N. sowie Rn. 66 (für Distanzgeschäfte im Internet); MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 270; MüKo BGB/Spellenberg, Art. 31 EGBGB Rn. 53 (Obliegenheit zur Übersetzung sprachlich unverständlicher AGB besteht allenfalls aufgrund besonderer vertraglicher Verpflichtung); a. A. H. Schmidt, in: U/B/ H, Anh. § 305 Rn. 15; Maidl, Ausländische AGB, S. 69, 71; abweichend auch OLG Düsseldorf RIW/AWD 1974, 103 (mit einem allerdings in verschiedener Hinsicht untypischen Sachverhalt). 85 Nach OLG München NJW 1974, 2181 f. (vereinfacht). 86 OLG München/Augsburg NJW 1974, 2181 = RIW/AWD 1974, 103; a. A., aber ohne Unterscheidung zwischen der Sprache des Einbeziehungshinweises und des Sprache der AGB, Staudinger/Singer, § 119 Rn. 19 m. w. N.

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ten, 87 sich ohne Übersetzung auf die AGB einzulassen (also eine Risikoerklärung abzugeben) oder von dem Vertragsschluß abzusehen. Der Gegner des Verwenders hat keinen Anspruch auf die Zurverfügungstellung des Textes der AGB in einer ihm verständlichen Sprache. 88 d) Der Hinweis auf die AGB durch Aushang am Ort des Vertragsschlusses § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB bestimmt weiter, daß der Verwender durch „deutlich sichtbaren Aushang“ – also einen solchen, der ohne weiteres ins Auge fällt – 89 am Ort des Vertragsschlusses auf seine AGB hinweisen kann, wenn ein ausdrücklicher Hinweis wegen der Art des Vertragsschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist. Dies betrifft namentlich konkludent geschlossene Massenverträge, bei denen ein Hinweis wegen des Fehlens eines persönlichen Kontakts unmöglich ist,90 sowie den Geschäftsabschluß im Ladengeschäft, bei denen der Kunde oder sein Stellvertreter persönlich anwesend ist.91 Fraglich ist, wie die Fälle zu beurteilen sind, daß dem Vertragsschluß entweder überhaupt keine Vertragsverhandlungen vorausgingen oder daß sie in einer internationalen Verkehrssprache wie Englisch oder Französisch erfolgten. Beispiel: Der Verwender betreibt ein Ladengeschäft auf dem Gelände eines internationalen Großflughafens in Deutschland. Mit der internationalen Kundschaft wird seitens des angestellten Verkaufspersonals entweder überhaupt nicht verbal kommuniziert oder aber – vornehmlich an der Kasse – in englischer Sprache. Würde in diesem Fall ein Aushang mit den AGB in deutscher Sprache ausreichen?

87 Entgegen OLG Sachsen-Anhalt IPRspr. 2003 Nr. 136, 425 Rn. 67 (juris) muß der Verwender auch im Fall einer solchen Bitte keine Übersetzung vorlegen. 88 Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung nur dann, wenn der Verwender seine Geschäftsanbahnungen auch auf das Ausland ausdehnt und sich dabei der dort gesprochenen Sprache(n) bedient, siehe z. B. OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 2003, 704 (706): Kooperation eines deutschen Kfz-Vermieters mit einem Reisebüro in Italien, das Vouchers in italienischer Sprache ausstellte, die am Frankfurter Flughafen eingelöst werden konnten. 89 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 144. 90 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 137 f.; Palandt/Heinrichs, § 305 Rn. 31. Gedacht ist nach der Gesetzesbegründung zum AGBG an diejenigen Fälle gleichmäßiger und häufiger Verträge des täglichen Lebens, bei denen AGB üblicherweise erwartet werden, ein ausdrücklicher Hinweis aber in der Praxis kaum möglich ist (BT-Drucks. 7/3919, S. 18, li. Sp.). Dies betrifft z. B. Beförderungs- und Bewachungsverträge, die Parkhausbenutzung sowie die Benutzung automatischer Schließfächer und Kleiderablagen, etc.; ferner geht es um den Erwerb von Waren oder Eintrittskarten aus Automaten und um ähnliche Verträge, die konkludent durch Inanspruchnahme der Leistung zustande kommen. Nach der Gesetzesbegründung soll aber abgesehen von solchen Ausnahmefällen stets ein ausdrücklicher Hinweis erfolgen, denn eine allgemeine Pflicht, beim Abschluß eines jedweden Vertrags etwa die Wände am Ort des Vertragsabschlusses nach ausgehängten AGB abzusuchen, bestehe nicht (ebd.). 91 Siehe auch Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 135 ff.

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aa) Aushang statt Hinweis Zunächst ist zu klären, ob es dem Verwender gestattet ist, auf einen ausdrücklichen Hinweis auf die AGB zu verzichten und sich statt dessen auf einen Aushang zu beschränken, mit dem er auf seine AGB Bezug nimmt.92 In der Literatur wird insoweit differenziert: Bei Massengeschäften in Selbstbedienungsläden und in Kaufhäusern, die unter weitgehendem Verzicht auf Bedienungspersonal zustande kommen und wo es – wenn überhaupt – in der Regel erst an der Kasse zu mündlichen Vertragserklärungen kommt, soll beim Verkauf von geringwertiger Massenware ein Hinweisschild ausreichend sein. Handele es sich dagegen um andere Waren als typische Massenartikel, etwa technische Geräte, Oberbekleidung und dergleichen, so erfolge der Verkauf regelmäßig nicht konkludent oder im Massenverkehr. Für ein Abweichen vom Erfordernis des ausdrücklichen Hinweises bestehe daher kein Anlaß.93 Diese Unterscheidung überzeugt nur zum Teil. Richtig ist, daß in Ladengeschäften, in denen regelmäßig keine Beratung stattfindet, der Vertragsschluß konkludent erfolgt. Dies ist aber nicht unbedingt von dem Wert der Waren abhängig. Auch höherwertige Waren, einschließlich technischer Geräte, werden nicht selten ohne persönliche Vertragsverhandlungen, d. h. durch konkludenten Vertragsschluß, erworben. Das gilt gerade auch für den Beispielsfall: Waren, die in einem sog. duty free shop auf einem internationalen Flughafen angeboten werden, sind in der Regel hochwertig und hochpreisig, gleichwohl wird dem Vertragsschluß im Regelfall keine Beratung durch das Verkaufspersonal vorausgehen. Hier erscheint die Zulassung eines Aushangs gerechtfertigt, während bei einem vorhergehenden persönlichen Verkaufsgespräch ein ausdrücklicher Hinweis auf die AGB für den Verwender zumutbar wäre, so daß die Ausnahmebestimmung nicht eingreifen würde. Dies gilt insbesondere für Vertragsabschlüsse in spezialisierten Fachgeschäften, denen regelmäßig eine Beratung des Kunden vorausgeht. bb) Die Sprache des Aushangs Unterstellt man, daß ein Aushang den AGB-rechtlichen Anforderungen in der konkreten Fallgestaltung genügend sei, fragt es sich weiter, in welcher Sprache bzw. in welchen Sprachen dieser abgefaßt sein muß. Immer wenn auf der Grundlage des deutschen Zivilrechts Geschäftsabschlüsse mit Fremdmuttersprachlern stattfinden oder vernünftigerweise zu erwarten sind, kann ein Hinweis in der deutschen Sprache nicht als eine zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit qualifiziert werden. Es kann von dem Verwender erwartet werden, daß er sich auf die Kenntnisnahmemöglichkeiten seines pro92 Der Inhalt des Aushangs muß nicht (aber kann) die Wiedergabe der AGB des Verwenders erfassen, siehe Ulmer, in: U/B/H, § 305 142 m. w. N.; Maidl, Ausländische AGB, S. 60. 93 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 140.

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spektiven Kundenkreises – nicht aber demjenigen des individuellen Kunden – einstellt.94 Gänzlich unpraktikabel und der Rationalisierungsfunktion von AGB widersprechend wäre es aber, wenn der Aushang in allen oder zumindest mehreren der von den Kunden beherrschten verschiedenen Fremdsprachen erfolgen müßte.95 Dem Verwender sollte es deshalb bei zu erwartendem – in sprachlicher Hinsicht – heterogenen Kundenkreis gestattet werden, sich kumulativ zu einem Aushang in deutscher Sprache (für die Information der deutschen Kunden) auf eine englischsprachige Version (für die internationale Kundschaft) zu beschränken.96 Dafür spricht, daß die englische Sprache – wenn auch nicht generell, so doch jedenfalls an Orten, an denen ständig ausländisches Publikum verkehrt – als lingua franca fungiert und daß sie, auch wenn einzelne Kunden sie möglicherweise nicht beherrschen, noch am ehesten eine zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme von den AGB vermittelt. Eine Gegenüberlegung unterstützt diese Ansicht. Angenommen, man wollte vertreten, daß ein Aushang in deutscher und englischer Sprache vorliegend unzureichend sei: In welchen Sprachen müßte er dann zusätzlich erfolgen? Die Frage läßt sich nicht sinnvoll beantworten, weil – abgesehen von dem seltenen Fall eines homogenen ausländischen Kundenkreises – ex ante nicht vorhersehbar ist, welche Sprachen die künftigen Kunden sprechen oder verstehen werden. Mit Recht hat man im Schrifttum die Feststellung getroffen, daß es den Verwender vor unverhältnismäßige Schwierigkeiten stellen würde, den Aushang in allen Sprachen zu verfassen, die ein diffuser Kundenkreis erfordern würde.97 Die Verpflichtung zu einem Aushang in einer bestimmten Fremdsprache, die nicht die Verhandlungssprache ist, besteht danach nur in dem eher seltenen Fall, daß der Verwender einen homogenen ausländischen Kundenkreis hat.98 Daraus folgt als Zwischenergebnis, daß der Verwender der AGB nicht verpflichtet ist, auf die individuellen sprachlichen Defizite des Kunden durch Verschaffung einer Übersetzung der AGB einzugehen.99 Eine implizite Sprachregel des Inhalts, daß der Verwender seinen verschiedenen ausländischen Kunden – gegebenenfalls auch individuell – die Kenntnisnahme von seinen AGB in 94

Maidl, Ausländische AGB, S. 64. Maidl, Ausländische AGB, S. 64; vgl. auch Spellenberg, IPRax 2007, 98 (104); Palandt/ Heinrichs, § 310 Rn. 26. 96 Siehe auch H. Schmidt, in: U/B/H, Anh. § 305 Rn. 14 m. w. N.; Maidl, Ausländische AGB, S. 63; abweichend Staudinger/Schlosser, § 305 Rn. 133, der einerseits einen Aushang in deutscher Sprache nicht genügen lassen will, wenn die Verhandlungssprache nicht Deutsch war, andererseits aber die Auffassung vertritt, daß auch ein Verwender, der mit Ausländern als Vertragspartnern rechne, seine Anschläge nicht in fremder Sprache wiederholen müsse. Ein Grundsatz des Inhalts, daß Anschläge nur dem sprachkundigen Ausländer gegenüber wirkten, sei nicht anzuerkennen. 97 Maidl, Ausländische AGB, S. 63. 98 Siehe dazu auch Maidl, Ausländische AGB, S. 64 f. 99 Vgl. BGHZ 87, 112 (114 f.) = NJW 1983, 1489. 95

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sprachlich-intellektueller Hinsicht ermöglichen müsse,100 verdient entgegen einer stark vertretenen Literaturmeinung keine Zustimmung.101 Dies gilt ungeachtet der Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben im AGB-Recht auch dann noch, wenn der Verwender die Verständnismängel des Kunden erkannt hat.102 Dafür spricht sowohl die Rationalisierungsfunktion der AGB als auch das Prinzip der Selbstverantwortung. Beispiel: In dem oben angeführten Fall, daß der Verwender ein Ladengeschäft in einem Flughafenterminal betreibt, wird man letztlich keinen Unterschied danach machen können, ob der Verwender bzw. sein Ladenpersonal die möglicherweise fehlenden Sprachkenntnisse der ausländischen Kundschaft bemerkt hat oder nicht. Denn auch wenn der Verwender unbestritten das ihm nach Treu und Glauben Zumutbare tun muß, um auf ein Kundenverständnis hinzuwirken, kann man weder verlangen, daß er AGB in sämtlichen in Betracht kommenden Sprachen vorrätig hält noch daß er im Einzelfall versucht, den Inhalt der AGB ad hoc zu übersetzen. Dazu wäre er nicht einmal dann verpflichtet, wenn er die fremde Sprache des Kunden in Grundzügen beherrschte, denn aus einer rudimentären Sprachbeherrschung des Verwenders kann nicht gefolgert werden, daß er inhaltlich anspruchsvolle Rechtstexte in die jeweilige Fremdsprache zu übersetzen in der Lage wäre. Die mit einer Übersetzung verbundene Arbeitslast, die Kosten und das Einstehenmüssen für Fehler liegen grundsätzlich beim Kunden.103 Nur in seltenen Ausnahmefällen wird es dem Verwender zumutbar sein, bei Sprachschwierigkeiten des Kunden eine weitergehende Individualaufklärung betreffend den Inhalt der AGB zu leisten, etwa in dem wenig praktischen Fall, daß der Verwender zweisprachig aufgewachsen ist und die AGB wegen ihrer Kürze und Einfachheit ohne Mühe in die Sprache des Kunden übertragen werden können. Individualaufklärung ist danach nur in jenen Ausnahmekonstellationen erforderlich, in denen ihre Verweigerung als Verstoß gegen Treu und Glauben zu bewerten wäre.104

Folgt man dem, dann sind die Grenzen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben bei Erkennbarkeit der Sprachdefizite des Vertragspartners im AGB-Recht etwas weiter gezogen als bei der „individuellen“ Interpretation von Willenserklärungen und Verträgen. Das „Sprachrisiko“ verschiebt sich nicht schon dann 100 In diese Richtung geht die Argumentation von Kallenborn, Sprachenproblem, S. 200, der meint, daß sich aus dem primären und dem sekundären Gemeinschaftsrecht ergebe, daß das Wesen einer Information gegenüber dem Verbraucher insbesondere in einer sprachlichen Verstehensmöglichkeit dieser Information liege. 101 Zur Frage impliziter Sprachregeln im sekundären Gemeinschaftsrecht siehe schon oben § 2 B. II. 2. sowie Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 284 f. 102 Insoweit a. A. Maidl, Ausländische AGB, S. 68; Spellenberg, IPRax 2007, 98 (104). 103 A. A. Maidl, Ausländische AGB, S. 69, 71; Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 214; Reich, NJW 1995, 1857 (1860). Nach der Gegenauffassung soll bei „erkennbaren Sprachschwierigkeiten des Verbrauchers“ aus dem Transparenzgebot der Richtlinie 93/13/EWG „möglicherweise“ ein weitergehendes Verständlichkeitsgebot gefolgert werden können, „dem durch Individualaufklärung Rechnung zu tragen wäre“ (Staudinger/M. Coester, ebd.). 104 Entsprechendes gilt auch für die fehlende Verpfl ichtung zu Rechtserläuterungen des Verwenders gegenüber dem ausländischen Verbraucher; auch insoweit anderer Ansicht, aber nicht überzeugend Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 215 f.

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vom ausländischen Kunden auf den Verwender, wenn der Verwender die Sprachdefizite des Kunden zu erkennen vermag.105 Dieses Ergebnis resultiert letztlich aus dem Zweck von AGB, dem Massenverkehr zu dienen und dem Verwender ein Mittel zu seiner Bewältigung an die Hand zu geben. Dafür spricht in dem Beispielsfall sowie generell bei sprachlich inhomogenen Kundenkreisen, daß es aus Sicht des Unternehmers nicht vorherzusehen ist, welche Sprachkenntnisse seine zukünftigen Kunden haben werden. Wie noch zu zeigen sein wird, folgt hieraus keine untragbare Benachteiligung der ausländischen Kunden, weil das AGB-Recht weitreichende Schutzinstrumente zugunsten der Kunden des Verwenders bereithält. Sprachunkundige Kunden werden insbesondere durch die Regelungen der §§ 305c Abs. 1, 307 ff. BGB in gleicher Intensität wie sprachkundige Kunden geschützt. Im übrigen bleibt dem einzelnen Kunden die Möglichkeit der Irrtumsanfechtung, die nicht etwa dadurch gesperrt sind, daß er die Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme von den AGB hatte.106 e) Die Einbeziehung von AGB bei sog. Distanzgeschäften aa) Grundlagen Bei Distanzgeschäften ohne vorherige Verhandlungen wird zum Teil verlangt, daß der Verwender für die AGB diejenige Sprache gebraucht, die am Aufenthaltsort des Kunden üblich ist.107 Dem hat man entgegengehalten, daß es für einen Anbieter von Waren oder Dienstleistungen im Internet kaum praktikabel sei, seine AGB in jeder der kommerziell relevanten Sprachen bereitzuhalten, um ihre wirksame Einbeziehung sicherzustellen.108 Es müsse daher genügen, wenn die AGB in derselben Sprache wie der Rest des Angebots abgefaßt sind. Denn die Ausfüllung eines im Angebot gespeicherten Bestellformulars in einer bestimmten Sprache setze voraus, daß der Kunde diese hinreichend beherrsche, so daß anzunehmen sei, daß er auch in derselben Sprache abgefaßte AGB verstehen könne.109 Die letztgenannte Auffassung verdient schon nach den bisherigen generellen Ausführungen Zustimmung. Weiter spricht für sie, daß der Adressatenkreis, an den sich die AGB richten, berücksichtigt werden muß. Richtet sich das Angebot vornehmlich an deutsche Kunden, so rechtfertigt der Umstand, daß möglicherweise auch nicht sprachkundige Ausländer ein entsprechendes Fernabsatzgeschäft abschließen, kein Eingehen auf deren fehlende Sprachkenntnisse mittels fremdsprachiger AGB. Geschäftsbedingungen in deutscher Sprache, die bei105

A. A. Maidl, Ausländische AGB, S. 69, 71. Siehe nur BGH NJW 1995, 190; ferner Maidl, Ausländische AGB, S. 129 f.; Erman/ Roloff, § 305 Rn. 41 a. E. m. w. N. 107 So z. B. Reich, EuZW 1997, 581 (584), der dies aus dem Grundsatz der Verständlichkeit ableiten will; siehe auch dens., NJW 1995, 1857 (1860). 108 MüKo BGB/Basedow, § 305 Rn. 66; Heinrichs, NJW 1996, 2190 (2197). 109 So MüKo BGB/Basedow, § 305 Rn. 66. 106

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spielsweise auf der Webseite eines in Deutschland ansässigen Verwenders im Internet abrufbar sind, müssen folglich nicht etwa deshalb in einer bestimmten oder in mehreren Fremdsprache(n) bereitgehalten werden, weil potentiell auch ausländische Kunden von ihrem jeweiligen Aufenthaltsort Zugriff auf diese Webseite haben. Die Einbeziehung der jeweiligen AGB scheitert im Falle des Vertragsschlusses mithin nicht daran, daß der Kunde die deutsche Sprache nicht oder nicht gut genug beherrscht, um den Inhalt der AGB zu verstehen. Aus der Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG110 läßt sich – entgegen der vereinzelt gebliebenen Meinung von Reich – 111 nichts Gegenteiliges ableiten.112 Denn gemäß dem achten Erwägungsgrund dieser Richtlinie fällt die Frage, welche Sprachen bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz zu verwenden sind, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.113 Diese Auffassung hat die Kommission bereits 1993 in ihrer Mitteilung betreffend den Sprachengebrauch bei der Erteilung von Verbraucherinformationen114 vertreten. bb) Mögliche Abweichungen bei gezieltem Ansprechen von Kunden mit Wohnsitz im Ausland Abweichungen von den vorstehenden Grundsätzen können sich ergeben, wenn sich der Verwender mit seinem Angebot gezielt an eine sprachlich homogene Gruppe ausländischer Adressaten mit Wohnsitz in einem anderen (Mitglied-) Staat wendet. Gemäß Artt. 29, 29a EGBGB darf dem Verbraucher der Schutz seines Heimatrechts nicht entzogen werden. Weitere eigenständige verbraucherschützende Sonderkollisionsregelungen finden sich in Art. 6 Abs. 2 der Klauselrichtlinie 93/13/EWG, Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 97/7 (FernabsatzRL), Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44/EG (VerbrauchsgüterkaufRL) und Art. 9 der Richtlinie 94/47/EG (TimesharingRL).115 Eine Regelung der Sprachenfrage liegt in solchen Kollisionsregelungen jedoch nicht. In der Literatur wird unabhängig hiervon vertreten, daß bei spezifisch angesprochenen Sprachminderheiten immer deren Sprache verwendet werden müsse.116 Diese Auffassung könnte, wenn man sie als richtig unterstellt, mögli110

ABl. EG 1997 Nr. L 144, S. 19. Reich, EuZW 1997, 581 (584) unter Berufung auf den Grundsatz der Verständlichkeit. 112 MüKo BGB/Wendehorst, § 312c Rn. 87. 113 Siehe dazu schon oben § 2 A. II. 114 EG-Kommission, „Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament betreffend den Sprachengebrauch für die Information der Verbraucher in der Gemeinschaft“, KOM(93) 456 endg. 115 Siehe Staudinger/Magnus, EGBGB, Art. 29 Rn. 12, 22 f., Art. 29a Rn. 11 ff. 116 So namentlich Reich, EuZW 1997, 581 (584); in diese Richtung auch Heinrichs, NJW 1996, 2190 (2197) sowie Palandt/Heinrichs, § 310 Rn. 26, der für eine aus dem Transparenzgebot abzuleitende Informationspflicht in der Sprache des Verbrauchers bei „wichtigen Verträgen“ plädiert; dem folgend Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union IV, A 5, Art. 5 Rn. 20: „allenfalls bei besonders schwerwiegenden Geschäften“ sowie dann, wenn sich der Gewerbetreibende „gezielt an Verbraucher wendet, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im 111

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cherweise dahingehend verallgemeinert werden, daß immer dann, wenn der Verwender gezielt eine bestimmte Gruppe fremdmuttersprachlicher Personen – insbesondere Verbraucher – im Ausland anspricht, der aus dieser Ansprache resultierenden Fernabsatzvertrag mit den zugehörigen AGB in der Amtssprache des Landes abzufassen wäre, in dem die Adressaten ihren Wohnsitz haben. Das würde allerdings im Ergebnis dazu führen, daß die bewußt – nämlich aus Gründen der Subsidiarität (Art. 5 Abs. 2 EG) – erfolgte Zurückhaltung der Kommission in bezug auf die Sprachenfrage gleichsam durch die Hintertür zu Makulatur würde. Eine Vorschrift, die bestimmt, daß der Vertrag selbst – und nicht nur die vorgängige Verbraucherinformation – in der Amtssprache des Landes abgefaßt werden muß, in dem der Verbraucher ansässig ist, findet sich im geltenden nationalen Zivilrecht bislang nur in § 483 Abs. 1 S. 1 BGB117 für Teilzeit-Wohnrechteverträge, wobei § 483 Abs. 3 BGB die Nichtigkeit im Fall der Verletzung der Sprachvorgabe anordnet.118 Unter Berücksichtigung dieses Umstands etwa aus dem Transparenzgebot des Art. 4 Abs. 2, 1. Halbsatz der Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG119 eine abgeleitete Sprachregel gleichen Inhalts herauszulesen, wäre verfehlt und hieße letztlich, die grundsätzliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Regelung der Sprachenfrage120 unter Berufung auf das Allgemeininteresse des Verbraucherschutzes zu ignorieren.121 Es bleibt daher bei dem Grundsatz, daß ein im Ausland wohnender Verbraucher auf der fremdsprachlichen Sprachraum haben“; ablehnend Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S. 286 (normalerweise genüge die Wahl einer Amtssprache, selbst wenn sich der Verpfl ichtete an eine Sprachminderheit wende); siehe auch Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 213 a. E. (wer auf dem gesamten Binnenmarkt agiere, komme um eine Übersetzung der AGB in alle EU-Sprachen nicht herum). 117 In Umsetzung von Art. 4, 2. Spiegelstrich der Timesharingrichtlinie 94/47/EG; ausführlich zu den mit dieser Vorschrift verknüpften Rechtsfragen jurisPK-BGB/Tonner, § 483 BGB Rn. 1 ff. 118 Die Nichtigkeitsfolge greift dem Wortlaut nach auch in dem Fall ein, daß der Verbraucher mit der Wahl der nach Abs. 1 unzulässigen Sprache einverstanden war und sie auch beherrschte; dies gilt auch dann, wenn es sich um die „Weltsprache“ Englisch handelte, siehe jurisPK-BGB/Tonner, § 483 BGB Rn. 9. Verf. schlägt a.a.O., Rn. 20 eine teleologische Reduktion des § 483 Abs. 3 BGB vor. Da die Timesharingrichtlinie die Regelung der Rechtsfolgen den Mitgliedstaaten überlassen hat und in Art. 10 lediglich festlegt, daß Sanktionen vorgesehen werden müssen, ist dieser Weg dogmatisch gangbar. 119 Text: „Die Informationen nach Absatz 1, deren kommerzieller Zweck unzweideutig erkennbar sein muss, müssen klar und verständlich auf jedwede der verwendeten Fernkommunikationstechnik angepasste Weise erteilt werden; (. . .).“ 120 Siehe EG-Kommission, „Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament betreffend den Sprachengebrauch für die Information der Verbraucher in der Gemeinschaft“, KOM(93) 456 endg. (näher dazu oben § 2 A. I. 3.); zustimmend Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 284: „(. . .) sachlich gut begründet, weil das nationale Recht die Sprachfrage durchaus regelt und dabei die betroffenen Interessen nach Sachfragen differenziert gewichtet“. 121 Gegen ein Verständnis der Transparenz- und Informationsregeln der verbraucherschützenden EG-Richtlinien schon mit eingehender Argumentation Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 284: Unter anderem spreche die Tatsache, daß der Gesetzgeber vereinzelt eine Vertrags- oder Informationssprache vorgeschrieben habe, dagegen, jeder Informations-

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Grundlage des Transparenzgebots mehr als einen ihm verständlichen Hinweis auf die Geschäftsbedingungen des Verwenders bei Abschluß eines Fernabsatzvertrags im allgemeinen nicht verlangen kann, solange nicht eine ausdrückliche gesetzliche Sprachregel etwas anderes vorschreibt. Die AGB des Verwenders müssen somit jedenfalls nicht aus Gründen der Transparenz in der Sprache des Verbrauchers oder der Amtssprache an seinem Wohnsitz zugänglich gemacht werden, um die Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme zu begründen. In diesem Zusammenhang müssen neben den Vorgaben der Fernabsatzrichtlinie allerdings auch jene der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken beachtet werden. Ausweislich der Ziff. 8 des Anhangs I zu dieser Richtlinie wird es im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern als unter allen Umständen unlautere, irreführende Geschäftspraktik (vgl. Art. 6 der Richtlinie) angesehen, wenn Verbrauchern, mit denen der Gewerbetreibende vor Abschluß des Geschäfts in einer Sprache kommuniziert hat, bei der es sich nicht um eine Amtssprache des Mitgliedstaats handelt, in dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist, eine nach Abschluß des Geschäfts zu erbringende Leistung zugesichert wird, diese Leistung aber anschließend in einer anderen Sprache erbracht wird, ohne daß der Verbraucher eindeutig hierüber aufgeklärt wird, bevor er das Geschäft tätigt.122 Nach dieser Regelung, die unlängst in Ziff. 8 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG 2008 übernommen wurde, besteht die unlautere Irreführung in der enttäuschten Erwartung des Verbrauchers, die Leistung werde in der von der Landessprache des Unternehmers abweichenden, vor dem Abschluß des Vertrags verwendeten Sprache, d. h. in der der Verhandlungssprache, erbracht. Nicht erfaßt ist der Fall, daß der Vertrag in der Landessprache des Unternehmers angebahnt worden ist, er dann aber in einer anderen Sprache abgewickelt wird. Hier bedarf es nach Ansicht des Gesetzgebers einer Unterscheidung danach, ob die Leistung in einer dem Verbraucher geläufigen oder in einer dritten Sprache erbracht wird, weshalb für ein Verbot ohne Wertungsvorbehalt kein Raum sei.123 Die Kommission hat einen möglichen Konflikt mit dem Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 EG geprüft, kam aber zu dem Schluß, daß die Ziele – nämlich bestehende Handelshemmnisse zu beseitigen und ein hohes gemeinsames Verbraucherschutznivorschrift schon ohne ausdrückliche Regelung eine implizite Sprachvorschrift zu entnehmen. 122 In dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG, 97/7/EG and 98/27/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken)“, KOM 2003 (356) endg., fand sich eine – nur textlich, nicht inhaltlich – leicht abweichende Regelung in Ziff. 6 des Anhangs I. Leider enthält der Vorschlag keine Begründung, so daß die genauen Vorstellungen des Richtliniengebers im Dunkeln bleiben. 123 RegE zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb v. 23. 5. 2008, BR-Drucks. 345/08, S. 63.

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veau zu gewährleisten – besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden könnten.124 Fraglich ist, ob die Wendung „Erbringung der Leistung in der vor Abschluß des Vertrages verwendeten Sprache“, d. h. in der Verhandlungssprache, in Anhang I Ziffer 8 der Richtlinie 2005/29/EG als abgeleitete Sprachregel des Inhalts verstanden werden kann, daß der Unternehmer, falls er die Verhandlungen mit dem Verbraucher in dessen Sprache geführt hat, den Vertrag nebst den Geschäftsbedingungen zwingend in der Sprache des Verbrauchers abschließen muß. Gegen eine solche Annahme spricht zunächst, daß eine entsprechende Anordnung durch eine andere Formulierung – siehe § 483 Abs. 1 BGB – ohne weiteres klar und deutlich zum Ausdruck gebracht werden könnte. Außerdem ist die „Erbringung einer Leistung“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht gleichbedeutend mit dem Abschluß eines Vertrags oder gar der Ermöglichung der Kenntnisnahme von AGB. Schließlich muß es sich nach Ziff. 8 des Anhangs I um eine Leistung handeln, deren Erbringung „nach Abschluß des Geschäfts“ stattfinden soll. Da die Zugänglichmachung von Geschäftsbedingungen vor und nicht erst nach Vertragsperfektion erfolgt, kann die Sprache, in der die AGB in den Vertrag einbezogen werden, mit der Erbringung der Leistung in einer anderen Sprache nicht gemeint sein. Daher spricht im Ergebnis nichts für eine aus Ziff. 8 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29/EG abzuleitende Sprachregel, die sich auf AGB bezieht. bb) Die Sprachregulierung bei Fernabsatzgeschäften über Finanzdienstleistungen gegenüber Verbrauchern Im Bereich des Abschlusses von Versicherungsverträgen mit Verbrauchern im Wege des Fernabsatzes war die Sprachenfrage seit 8. Dezember 2004 – in Nr. 2 lit. f der Anlage zu § 48b VVG – dahingehend ausdrücklich geregelt, daß der Versicherer den Versicherungsnehmer über „die Sprachen, in welchen die Vertragsbedingungen und die in dieser Vorschrift genannten Vorabinformationen mitgeteilt werden, sowie die Sprachen, in welchen sich der Versicherer verpflichtet, mit Zustimmung des Versicherungsnehmers die Kommunikation während der Laufzeit dieses Vertrags zu führen“, informieren muß. Diese Regelung fußt auf Art. 3 Nr. 3 lit. g der Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen.125 Seit der letzten Novelle des VVG findet sich eine entsprechende Regelung in § 1 Nr. 18 der VVG-InfoV, die zu § 7 Abs. 2 und 3 VVG n. F. ergangen ist.126 Diese Bestimmung zwingt den Verwender nicht zum Gebrauch der Muttersprache des Verbrauchers oder Amtssprache seines Aufenthaltslandes, sondern lediglich zur Erteilung von Informationen darüber, welche

124 125 126

Siehe den 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/29/EG. Siehe dazu schon oben § 2 B. II. 1. d. Siehe dazu Präve, VersR 2008, 151 ff.

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Sprache(n) bei der Kommunikation zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer Verwendung finden werden. f) Die Einbeziehung von AGB gegenüber deutschen Verbrauchern, die sich im Ausland aufhalten aa) Das Problem der Einschränkung von Verbraucherrechten Fraglich ist, was im Hinblick auf die Einbeziehungsvoraussetzungen gilt, wenn deutsche Verbraucher, die sich – wie regelmäßig zu Urlaubszwecken – im Ausland aufhalten, dort fremdsprachigen AGB ausgesetzt werden. Der Fall ist insofern wenig praktisch, als jene Urlauber, die man im Ausland in ihrer Sprache angesprochen hat, sehr häufig auch die Vertragsformulare in deutscher Sprache erhalten werden, wenn und soweit sich die heimischen Unternehmen auf Urlauber als Kunden spezialisiert haben. Dies galt insbesondere für die sog. „Gran Canaria-Fälle“, also für Timesharing-Modelle in Spanien. Erhebliche Rechtsrisiken für deutsche Urlauber im Ausland liegen praktisch wohl weniger in dem Problemfall der Unterbreitung fremdsprachiger Vertragsbedingungen als in intransparenten und irreführenden Vertrags- und Klauselwerken einschließlich solcher Klauseln, mittels derer eine ihnen fremde Rechtsordnung auf den Vertrag Anwendung findet.127 Gegen die Einschränkung von Verbraucherrechten richten sich die Artt. 29, 29a EGBGB sowie verschiedene Sonderkollisionsregelungen in einzelnen Verbraucherschutzrichtlinien. Für Teilzeit-Wohnrechteverträge, die nicht dem Recht eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) unterliegen, ordnet Art. 29a Abs. 3 EGBGB die Geltung der Vorschriften des BGB über Teilzeit-Wohnrechteverträge und damit auch der Sprachregel des § 483 Abs. 1 S. 1 BGB an. Die „Gran Canaria-Fälle“ können daher inzwischen – auch im Hinblick auf die Sprachenfrage – als rechtlich bewältigt angesehen werden. bb) Die Einbeziehung fremdsprachiger Vertragsbedingungen gegenüber deutschen Verbrauchern im Ausland Ungeachtet der offenbar geringen praktischen Relevanz sind hier noch jene Fallkonstellationen in den Blick zu nehmen, in denen die Verhandlungssprache Deutsch ist, der Einbeziehungshinweis ebenfalls in deutscher Sprache gegeben wird, die AGB des Verwenders aber entsprechend seiner Muttersprache in einer für den Verbraucher fremden Sprache zugänglich gemacht werden. In solchen Fällen richtet sich der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses bei Fehlen einer Rechtswahlvereinbarung grundsätzlich nach der vertragscharakteristischen 127 Siehe den – inzwischen anders zu entscheidenden – Fall BGH NJW 1997, 1697 zur Vereinbarung des Rechts der Isle of Man bei einem Teilzeit-Wohnrechtevertrag mit der Folge des Ausschlusses eines Widerrufsrechts für den Erwerber.

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Hauptleistung des Verkäufers (vgl. Art. 28 EGBGB bzw. Art. 4 EVÜ), sofern nicht die verbraucherschützenden Regelungen des Art. 29 Abs. 1 und 2 EGBGB (bzw. Art. 5 EVÜ) einschlägig sind. Ein Verbraucher, der im Ausland Waren einkauft oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt, kann normalerweise nicht erwarten, daß sein Heimatrecht zur Anwendung gelangt.128 Für die Anwendung der verbraucherschützenden Vorschriften des Art. 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 EGBGB ist daher Voraussetzung, daß der Unternehmer eine Absatztätigkeit im Land des Verbrauchers entfaltet, z. B. durch Werbung oder die Abgabe eines „ausdrücklichen Angebots“ an den Verbraucher, was eine invitatio ad offerendum einschließt.129 Dies trifft auf die hier erörterten Fälle des Vertragsschlusses im Ausland ohne Bezug zum Heimatstaat des Verbrauchers nicht zu. Im vorliegenden Zusammenhang sind vor allem jene Ausnahmefälle relevant, in denen durch Rechtswahlvereinbarung (vgl. Art. 27 EGBGB und Art. 3 EVÜ) der Vertrag dem deutschen materiellen Recht unterstellt wird.130 Beispiel: Ein spanischer Verkäufer verhandelt mit einem deutschen Urlauber auf Mallorca in deutscher Sprache. Es kommt zum Abschluß eines Verbrauchsgüterkaufs über mehrere Kisten spanischen Rotweins. Der Kaufvertrag wird auf Wunsch des Käufers dem deutschen Recht unterstellt. Angenommen, der Verkäufer habe den Kunden in deutscher Sprache auf seine AGB hingewiesen; die dem Kunden übergebenen Geschäftsbedingungen sind jedoch in spanischer Sprache abgefaßt. Liegt in diesem Fall eine wirksame Einbeziehung vor, wenn man außerdem davon ausgeht, daß der Käufer die spanische Sprache nicht beherrscht?

Nach den allgemeinen Grundsätzen zur Verhandlungs- und Vertragssprache muß der Einbeziehungshinweis auf Deutsch erfolgen. Das ist im Beispielsfall geschehen. Darüber hinaus besteht keine Regel des Inhalts, daß auch der Text der AGB als solcher in der Verhandlungssprache oder einer dem Kunden verständlichen Sprache abgefaßt sein müßte. Insoweit trägt der Kunde das „Sprachrisiko“, wenn er sich entscheidet, den Vertrag ohne Verständnis seines Inhalts bzw. ohne Vorlage einer Übersetzung abzuschließen. Was für AGB-Verwender in Deutschland gilt, darf umgekehrt auch ein AGB-Verwender in Spanien für 128

MüKo BGB/Martiny, Art. 29 EGBGB Rn. 33. MüKo BGB/Martiny, Art. 29 EGBGB Rn. 33 f. 130 Siehe dazu OLG Düsseldorf IPRspr. 1989 Nr. 49, S. 104 f. zur Anwendung des deutschen materiellen Rechts auf einen anläßlich einer Busreise nach Istanbul in der Türkei von einer Deutschen getätigten Teppichkauf, der unstreitig entsprechend Art. 27 EGBGB dem deutschen Recht unterstellt worden war, so daß der Kaufpreisanspruch des Verkäufers aus § 433 Abs. 2 BGB herrührte; siehe ferner OLG Celle Nds. Rechtspfleger 1991, 110 = IPRspr. 1991 Nr. 32, S. 69 (LS), ebenfalls zu einem auf dem Großen Basar in Istanbul getätigten Teppichkauf, für den die Geltung deutschen Rechts vereinbart worden war. Beiden Fällen war gemeinsam, daß die Erwerber eine Buspauschalreise eines deutschen Reiseveranstalters gebucht hatten, der offenbar mit den ortsansässigen türkischen Händlern kooperierte und offensichtlich Einfluß auf die Vertragsgestaltung nahm. 129

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sich beanspruchen, nämlich daß es für ihn unzumutbar wäre, seine AGB in verschiedenen Sprachen vorrätig zu halten (Rationalisierungszweck). Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt hierin grundsätzlich nicht. Etwas anderes kann gelten, wenn der Verwender ganz gezielt Geschäftsabschlüsse mit deutschen Kunden an deren Urlaubsort anstrebt und diese zudem dem deutschen Recht unterstellt. Dann kann es im Hinblick auf fremdsprachige Geschäftsbedingungen ausnahmsweise an der Zumutbarkeit der Kenntnisnahmemöglichkeit – als Ausprägung von Treu und Glauben – fehlen. g) Die Verwendung fremdsprachiger AGB durch ausländische Verwender gegenüber inländischen Adressaten bei Distanzgeschäften Problematisch ist es die Frage nach dem Vorliegen einer zumutbaren Kenntnisnahmemöglichkeit gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB, wenn ausländische Anbieter von Waren und Dienstleistungen, die gezielt mit Angeboten in deutscher Sprache131 auf dem deutschen Markt auftreten, ihre AGB nicht wie im Inland üblich in deutscher Sprache zur Verfügung stellen. Beispiel: Ein Bekleidungshersteller mit Sitz in London, England bewirbt Textilien auf einer eigens für deutsche Kunden konzipierten, in deutscher Sprache gehaltenen Internetseite und in Katalogen, die ebenfalls in deutscher Sprache gehalten sind. Würde es unter Geltung des deutschen materiellen Rechts ausreichend sein, wenn der Verwender seinen Kunden die AGB in englischer Sprache zugänglich machte und auf diese in deutscher Sprache hinwiese?

Während in der Rechtsgeschäftslehre des BGB der Grundsatz der Sprachenfreiheit gilt mit der Folge, daß die Verwendung jeder Fremdsprache grundsätzlich zulässig ist, ergeben sich für das AGB-Recht mit seiner Orientierung an der Verhandlungs- und Vertragssprache insoweit erhebliche Abweichungen.132 Der Gebrauch einer Fremdsprache ist danach nur in engen Grenzen möglich. Dies setzt voraus, daß es sich um einen kurzen, für den betreffenden Kundenkreis leicht verständlichen Text handelt, dessen Verständnis erwartet werden kann.133 Danach kommt in Deutschland als einzig denkbare Fremdsprache die englische Sprache in Betracht. Sie ist die einzige moderne lingua franca und wird – was im Hinblick auf die Verbrauchereigenschaft der Adressaten bei § 305 Abs. 2 BGB relevant ist – seit Jahrzehnten in den weiterführenden Schulen gelehrt. Im Grundsatz sollte daher die Kenntnis der englischen Sprache von deutschen 131

Ist auch das Angebot der Internetseite in der Heimatsprache des Verwenders gehalten, fehlt es an einem gezielten Hinwenden an deutsche Interessenten. Wer als deutscher Kunde auf der Basis eines fremdsprachigen Angebots Vertragsabschlüsse tätigt, zeigt selbst, daß er entsprechende Sprachkenntnisse hat. 132 Zur Anwendbarkeit des deutschen materiellen Rechts siehe Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 EGBGB. 133 So Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 151.

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Kunden erwartet werden können – wenngleich nur auf einem einfachen, niedrigen Niveau, soweit es sich um „den Durchschnittskunden“ handelt. Die Rechtsprechung hat den Begriff der „zumutbaren Möglichkeit der Kenntnisnahme“ in fremdsprachlicher Hinsicht eng gefaßt und sie beispielsweise in bezug auf englischsprachige Flugtickets bzw. Allgemeine Beförderungsbedingungen zu Recht verneint.134 Da in der Praxis der Umfang und der Schwierigkeitsgrad von AGB regelmäßig hoch anzusetzen sind, ist es schwer vorstellbar, daß das Erfordernis der Kürze und der leichten Verständlichkeit bei Geschäftsbedingungen in englischer Sprache gewahrt werden kann. Dies gilt jedenfalls für den inländischen Durchschnittskunden. Wer sich als Verwender von seinem Sitzstaat aus gezielt durch Werbung und Angebote sowie mit einer Webseite in deutscher Sprache (die für den Verwender eine Fremdsprache ist) an potentielle Kunden in Deutschland wendet, kann sich grundsätzlich nicht darauf berufen, daß es diesem Personenkreis zumutbar sei, von seinen englisch- oder sonst fremdsprachigen Geschäftsbedingungen Kenntnis zu nehmen. IV. Die Einbeziehung von AGB in Verträge mit Unternehmern 1. Unanwendbarkeit von § 305 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Absätze 2 und 3 BGB gelten gemäß § 310 Abs. 1 S. 1 BGB nicht für Verträge zwischen Unternehmern. Es gibt verschiedene Möglichkeiten für die Einbeziehung von AGB zwischen Unternehmern. Sie kann – auch konkludent – 135 im Wege der rechtsgeschäftlichen Einbeziehung erfolgen, sich aus einer laufenden Geschäftsverbindung zwischen den Kontrahenten ergeben, aus einem Handelsbrauch136 resultieren oder durch kaufmännisches Bestätigungsschreibens zustande kommen. 2. Die abweichenden Anforderungen an den Einbeziehungshinweis a) Ein ausdrücklicher Hinweis auf die AGB, wie er für Verträge mit Verbrauchern nach § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB notwendig ist, muß zwischen Unternehmern nicht erfolgen. Vielmehr genügt schon ein konkludenter Hinweis des Verwenders auf die eigenen AGB.137 Der unternehmerische Kunde muß selbstverständlich irgendeine Möglichkeit erhalten, sich Kenntnis von dem Inhalt der AGB zu verschaffen. Die bloße Kenntnis des Kunden von der Existenz der AGB genügt 134 LG Berlin NJW 1982, 343 (344). Vgl. noch – zu Garantieerklärungen in englischer Sprache – BT-Drucks. 14/6040, S. 246 einerseits und Soergel/Wertenbruch, § 477 Rn. 29 m.w.N. andererseits. 135 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 170. 136 BGH WM 2004, 1177; BGHZ 108, 353 = NJW 1990, 242; BGH NJW 1971, 21; weitere Beispiele bei Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 181. 137 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 169 f.; H. Schmidt, ebd., Anh. § 305 BGB Rn. 16; Erman/ Roloff, § 305 Rn. 47.

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als solche daher nicht, um die erforderliche rechtsgeschäftliche Einbeziehung von AGB in den Vertrag zu begründen.138 b) Weniger streng als bei Verbraucherverträgen sind im unternehmerischen Geschäftsverkehr tendenziell auch die Anforderungen an die Verständlichkeit von AGB.139 Die Einbeziehungsvoraussetzungen gelten für ausländische und inländische AGB gleichermaßen.140 3. Die Sprache des ausdrücklichen Einbeziehungshinweises im unternehmerischen Geschäftsverkehr Wenn der Verwender einen ausdrücklichen Hinweis auf seine AGB erteilt – wozu er wie dargelegt nicht verpflichtet ist –, muß dieser nach einer Literaturansicht „auch bei Unternehmern grundsätzlich in der gemeinsamen Verhandlungssprache oder – beim Fehlen einer solchen – in der Korrespondenzsprache des Verwenders“ erfolgen.141 Nach der Gegenansicht ist ein Hinweis in einer für den Vertragspartner unverständlichen Sprache unschädlich, weil es eines ausdrücklichen Hinweises im Verkehr mit Unternehmern grundsätzlich nicht bedarf. Nach dieser Ansicht ist aber erforderlich, daß neben dem ausdrücklichen noch ein konkludenter Hinweis vorliegt.142 Da die bloße Mitversendung von AGB nicht ausreicht, um eine Einbeziehung zu begründen, ist dieser Fall – unwirksamer ausdrücklicher Hinweis, aber wirksamer konkludenter Hinweis – wohl nicht praxisrelevant.143 Vorzugswürdig ist die erstgenannte Auffassung. Wenn der Verwender einen ausdrücklichen Hinweis erteilt, hat dies in der Verhandlungssprache oder in einer dem Vertragspartner verständlichen Sprache zu erfolgen. Gleiches gilt für eine formularmäßige Einbeziehungsklausel, wenn die Verhandlungs- von der Vertragssprache abweicht und der Vertragspartner daher die Einbeziehungsklausel nicht verstehen kann.144 Das erfordert

138

Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 170a; BGH WM 1979, 19 (20). Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 169. Verf. will auch für die Lesbarkeit weniger strenge Anforderungen als gegenüber Verbrauchern anlegen, weist allerdings in Fn. 503 selbst zutreffend darauf hin, daß die Rechtsprechung auch im kaufmännischen Verkehr relativ strenge Maßstäbe anlegt. Da Kaufleute im allgemeinen keine bessere Lesefähigkeit aufweisen als Verbraucher, dürften diesbezügliche grundlegende Unterschiede nicht begründbar sein. Das hat unter anderem zur Folge, daß es auch einem Kaufmann nicht zumutbar ist, die AGB des Verwenders mühsam mit der Lupe zu entziffern. 140 Vgl. Maidl, Ausländische AGB, S. 41. 141 H. Schmidt, in: U/B/H, Anh. § 305 Rn. 16; ebenso Erman/Roloff, § 305 Rn. 57; OLG Hamburg NJW 1980, 1232; a. A. AG Langenfeld NJW-RR 1998, 1542 (Hinweis in niederländischer Sprache, d. h. der Sprache des Verwenders, genügt gegenüber einem deutschen Kunden). 142 So Maidl, Ausländische AGB, S. 74. 143 Das erkennt auch Maidl, Ausländische AGB, S. 74. 144 OLG Stuttgart IPrax 1988, 293 mit Anm. Schwarz, IPrax 1988, 278. 139

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die Informationsfunktion des Hinweises, die nicht erfüllt ist, wenn der AGBVerwender diesen in seiner Sprache erteilt.145 4. Die Sprache der AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr a) Fraglich ist, ob die sprachlichen Anforderungen an den Hinweis auf die AGB auch für die AGB selbst Geltung beanspruchen. Die ältere Rechtsprechung hat das teilweise bejaht. Beispiel: 146 Die Klägerin, eine niederländische Möbelfabrik, hatte dem deutschen Beklagten auf dessen Bestellung Möbel geliefert. Sie verlangte nunmehr von diesem Zahlung des Restkaufpreises sowie 5% Zinsen unter Zugrundelegung der Geschäftsbedingungen des niederländischen Möbelfabrikantenverbandes. Beide Parteien gingen in dem Fall von der Anwendbarkeit des deutschen Rechts aus. Fraglich war nur, ob unter dessen Geltung die Geschäftsbedingungen des niederländischen Möbelfabrikantenverbandes durch Schweigen des Beklagten auf eine schriftliche Bestätigung der Aufträge durch die Klägerin wirksam in das Vertragsverhältnis einbezogen worden waren. Das OLG verneinte dies unter anderem mit der Begründung, daß die Vertragsbedingungen in holländischer Sprache abgefaßt gewesen seien. Der Beklagte brauche nach Treu und Glauben die in holländischer Sprache vorgedruckten Teile der Auftragsbestätigung und des sonstigen Schriftwechsels nicht gegen sich gelten zu lassen. Der Schriftwechsel der Parteien sei beiderseits in deutscher Sprache geführt worden und die Rechnungen der Klägerin hätten neben dem holländischen Wort „Rekening“ sogar zusätzlich das deutsche Wort „Rechnung“ enthalten. Der Beklagte hätte daher davon ausgehen dürfen, daß alle wesentlichen Angaben und insbesondere alle Vereinbarungen in deutscher Sprache abgefaßt werden und er habe nicht annehmen müssen, daß die auf dem Schreiben der Klägerin in holländischer Sprache vorgedruckten Fußnoten und Anmerkungen für das Vertragsverhältnis der Parteien erheblich sein sollten. Das Schweigen des Beklagten auf diese Fußnoten in den Bestätigungsschreiben habe nach Treu und Glauben erkennbar nicht die Bedeutung, daß der Beklagte sich den darin enthaltenen Bedingungen unterwerfen wollte.

Diese Rechtsprechung hat erkennbar die Vorstellung zur Grundlage, daß die von den Parteien gewählte Verhandlungssprache rechtlich verbindlich sei und dementsprechend ein zwingender „Gleichlauf“ zwischen der Verhandlungssprache und der Sprache der AGB bestehen müsse, um dem anderen Teil eine zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme zu verschaffen. Dem folgt auch ein erheblicher Teil der Literatur.147

145

Zum Problem, ob der Verwender eine „Weltsprache“ gebrauchen darf, sogleich unten

IV. 4. 146

Nach OLG Düsseldorf IPRspr. 1962/63 Nr. 27, S. 77 f. = DB 1963, 929. Berger, ZGS 2004, 415 (416 f.); H. Schmidt, in: U/B/H, Anh. § 305 Rn. 16 (der Ausnahmen nur für die Fälle zulassen will, daß der Kunde der abweichenden Sprache mächtig ist oder ausdrücklich sein Einverständnis mit den fremdsprachigen AGB erklärt); Staudinger/Singer, § 119 Rn. 19 m. w. N.; Spellenberg, IPRax 2007, 98 (104). 147

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b) Unter Geltung des heutigen AGB-Rechts kann die Annahme, der Verwender sei verpflichtet, dem anderen Teil – gegebenenfalls auf Nachfrage hin – nicht nur einen ihm verständlichen Hinweis, sondern auch den Text der AGB selbst in der Verhandlungssprache zugänglich zu machen, nicht mehr überzeugen.148 Es besteht kein Anlaß, im kaufmännischen Geschäftsverkehr, für den § 305 Abs. 2 BGB gemäß § 310 Abs. 1 S. 1 BGB nicht gilt, in sprachlicher Hinsicht noch strengere Anforderungen als an Verbraucherverträge zu stellen und den Text der AGB in einer dem Vertragspartner verständlichen Sprache, d. h. in der Verhandlungs- oder der Heimatsprache des unternehmerischen Kunden, zu verlangen. Der grenzüberschreitende Geschäftsverkehr im Binnenmarkt (vgl. Art. 14 Abs. 2 EG) würde erheblich beeinträchtigt, wenn man einen Gleichlauf zwischen der Verhandlungssprache – die doch in aller Regel bloß als ein Notbehelf zur Ermöglichung der Kommunikation dient – und der Sprache der AGB verlangen würde. Zu mehr als der Überlassung des Textes der AGB in deutscher Sprache ist ein inländischer Verwender deshalb in aller Regel nicht verpfl ichtet,149 wenn die erforderliche Einbeziehungsvereinbarung zwischen den Parteien wirksam ist. Hinsichtlich des Textes der AGB trägt daher der unternehmerische Kunde das „Sprachrisiko“ einschließlich des Übersetzungsrisikos, vorbehaltlich einer davon abweichenden echten150 rechtsgeschäftlichen Sprachvereinbarung.151 5. Üblichkeit und Handelsbrauch Etwas anderes gilt namentlich dann, wenn der Gebrauch einer konkreten Sprache in einer bestimmten Branche üblich, d. h. internationaler Handelsbrauch152 , ist. Dies betrifft unter anderem den Seehandel153 und den internationalen Mineralölhandel154 ; in diesen Branchen ist die Verwendung der englischen Sprache bei Geschäftsbedingungen seit langem absolut verkehrsüblich.

148 Wie hier Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 287: Ein holländischer Verkäufer in Venlo brauche von Gemeinschaftsrechts wegen nur holländische AGB bereitzuhalten. Dies gelte auch dann, wenn seine Kundschaft überwiegend aus deutschen Verbrauchern bestehe, die zum Einkauf anreisten. 149 Siehe auch BGHZ 149, 113 (117) = NJW 2002, 370 (zur Einbeziehung von AGB nach dem CISG); ferner Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 213. 150 Eine solche Vereinbarung folgt nicht schon aus der Verwendung einer bestimmten Sprache bei den Vertragsverhandlungen oder bei der Abfassung des Vertragstextes, richtig Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (389) mit Nachweisen zur Gegenauffassung; Spellenberg, 2. FS Ferid, S. 463 (484); Jancke, Sprachrisiko, S. 90 f. 151 Siehe BGHZ 87, 112 (114 f.) = NJW 1983, 1489. 152 Vgl. dazu auch Maidl, Ausländische AGB, S. 98 ff.: Voraussetzung für einen Handelsbrauch sei eine Akzeptanz von mindestens 80% der Beteiligten über einen Zeitraum von fünf Jahren (a.a.O., S. 104, 106 f.). Dies schließe ausländische AGB ein (a.a.O., S. 107). 153 Maidl, Ausländische AGB, S. 73 m. w. N.; OLG Köln VersR 1999, 639 (640). 154 Beckmann, Sprachenstatut, S. 21, 37, 40.

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6. Das Problem der „Weltsprache“ a) Verhandlungssprache statt „Weltsprache“ Fraglich ist, ob im Verkehr zwischen Unternehmern im Zusammenhang mit AGB deren Verwendung in den am häufigsten gesprochenen Fremdsprachen, der sog. „Weltsprachen“155 , als zulässig angesehen werden kann. Diese Annahme wäre insofern problematisch, als jenseits von unzweifelhaft bestehenden Branchenüblichkeiten oder von individuellen Sprachenpraktiken zwischen Parteien, die eine ständige Geschäftsbeziehung pflegen, auch im grenzüberschreitenden unternehmerischen Geschäftsverkehr die hinreichende Kenntnis einer sog. „Weltsprache“ nicht generell vorausgesetzt werden darf.156 Die Rechtsprechung kann für die Lehre von der „Weltsprache“ allenfalls sehr vereinzelt in Anspruch genommen werden.157 Ganz überwiegend hält sie streng am Grundsatz der Verhandlungs- und Vertragssprache fest, so daß bei Hinweisen in anderen Sprachen als der Verhandlungssprache eine wirksame Einbeziehung der AGB – in welcher Sprache auch immer diese abgefaßt sein mögen – nicht vorliegt. Beispiel: 158 Die Verhandlungs- und Vertragssprache zwischen den Parteien war Französisch. Der Hinweis auf die AGB des Verwenders erfolgte in deutscher und englischer, nicht aber in französischer Sprache. Die wirksame Einbeziehung der AGB scheiterte in Ermangelung eines für die ausländische Partei verständlichen Hinweises. Wenn Vertragsverhandlungen in einer (aus Sicht des Verwenders) fremden Sprache geführt werden, muß nach der Rechtsprechung auf die AGB in dieser Sprache hingewiesen werden.159

b) Kritik an dem verhandlungssprachenbezogenen Ansatz der Rechtsprechung aa) Man kann den verhandlungssprachenbezogenen Ansatz der Rechtsprechung mit guten Gründen anzweifeln. Daß Kaufleute, die sich im internationa155 Welche Sprachen zu den „Weltsprachen“ gerechnet werden können, ist unklar. Meist werden Englisch, Französisch und Spanisch genannt; konsequenterweise müßte man auch Arabisch dazu zählen. Man kann die Frage dahin vereinfachen, daß man für den Begriff der „Weltsprache“ die englische Sprache einsetzt, deren Verbreitungsgrad auf der Welt sicherlich am größten ist. 156 Zutreffend OLG Hamm NJW-RR 1996, 1271 (1272); Maidl, Ausländische AGB, S. 72. In der Literatur behilft man sich mit der Formulierung, daß man es bei grenzüberschreitenden Verträgen zwischen Unternehmern genügen lassen könne, wenn Hinweis und Text der AGB in Englisch vorliegen, weil es sich dabei um die „unter den Umständen“ und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte zu erwartende Sprachkenntnis des anderen Teils handele (so Berger, ZGS 2004, 415, 417). 157 OLG Hamburg NJW 1980, 1232 (1233). 158 Nach OLG Hamm IPRspr. 2005 Nr. 127, S. 327 (juris). 159 OLG Hamm IPRspr. 2005 Nr. 127, S. 327 Rn. 41 (juris); so bereits BGH IPRax 1991, 326 (Englisch Verhandlungs- und Vertragssprache, Hinweis auf AGB in englischer Sprache); OLG Hamm IPRax 1991, 324 (325).

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len Geschäftsverkehr bewegen, zumindest einfache Hinweise auf Geschäftsbedingungen in englischer Sprache zu verstehen in der Lage sind, auch wenn sie vorher miteinander in deutscher oder französischer Sprache miteinander kommuniziert haben sollten, darf man wohl zumindest für die meisten Länder in Westeuropa annehmen. Ausgehend von dieser Prämisse könnte man fordern, den ohnehin nicht verpflichtenden Hinweis auf die AGB, wenn er gegeben wird, in der „Weltsprache“ Englisch zuzulassen. Noch überzeugender wäre dies, wenn man gemäß den allgemeinen Grundsätzen des AGB-Rechts danach fragte, ob von dem angesprochenen „unternehmerischen Durchschnittskunden“ einfache Kenntnisse der englischen Sprache erwartet werden können – eine Frage, die aller Wahrscheinlichkeit nach länder- oder regionalspezifisch unterschiedlich zu beantworten wäre. bb) Ausgehend von einem solchen Ansatz, der die strikte rechtliche Bindung an die einmal „gewählte“ Verhandlungssprache zumindest lockert, kann aber auch von Unternehmern das Verständnis umfassender, komplizierter Rechtstexte160 in einer Fremdsprache, die zu den „Weltsprachen“ zählt, nicht erwartet werden.161 Das bloße Sich-Einlassen auf Verhandlungen im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr im Binnenmarkt bzw. im internationalen Geschäftsverkehr rechtfertigt nicht die Annahme, daß die Akteure belastbare, d. h. im Geschäftsverkehr taugliche Weltsprachenkenntnisse besitzen.162 Namentlich die „Weltsprache“ Englisch fungiert häufig lediglich als „internationale Verkehrssprache für kommunikative Notfälle“.163 Die grundsätzliche Trennung zwischen der sprachlichen Fassung des Einbeziehungshinweises und der Sprache der AGB, wie sie die Rechtsprechung praktiziert, hat daher ihren guten Sinn und wird nicht dadurch obsolet, daß man hinsichtlich der Sprache des Einbeziehungshinweises „liberaler“ denkt als die Gerichte es tun. cc) Die weitergehende Gegenansicht, die die Verwendung einer „Weltsprache“ generell für zulässig hält, müßte die ganz entscheidende Frage beantworten, welche Sprachen als „Weltsprachen“ anerkannt werden sollen.164 Sich dabei allein auf die englische Sprache als der im internationalen Handel am weitesten verbreiteten Universalsprache festzulegen,165 würde schon vor dem Hinter160

Zutreffend moniert Rott, ZVglRWiss 98 (1999), 382 (391 f.), daß in der Rechtsprechung häufig nicht zwischen der Fähigkeit, sich irgendwie in einer Sprache verständlich zu machen, und der Fähigkeit, komplizierte Texte wie etwa AGB zu verstehen, differenziert wird. 161 Zur englischen Sprache OLG Hamm NJW-RR 1996, 1271 (1272) = IPRax 1996, 197: „Einer ‚vernünftigen Person‘ kann weder allgemein zugestanden werden, eine rechtserhebliche Erklärung, die nicht in der Verhandlungssprache abgefaßt worden ist, schlechtweg zu ignorieren, noch können allgemein von einem Kaufmann die Kenntnis der Weltsprache Englisch oder eine Übersetzungsmöglichkeit verlangt werden.“ 162 Siehe auch Maidl, Ausländische AGB, S. 72. 163 Stickel, ZRP 2002, 417. 164 So auch Maidl, Ausländische AGB, S. 73. 165 So Berger, ZGS 2004, 415 (417).

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grund nicht überzeugen, daß etwa in weiten Teilen Nordafrikas Französisch verbreiteter als Englisch ist. c) Zusammenfassende Thesen Aus dem Vorstehenden lassen sich folgende Thesen zur Weltsprachenproblematik ableiten: (1) Ein ausländischer Unternehmer, der von seinem deutschen Vertragspartner auf dessen, in deutscher Sprache abgefaßte AGB vor Vertragsschluß166 in der Verhandlungssprache ausdrücklich hingewiesen wurde, hat keinen Anspruch auf Überlassung der AGB in einer „Weltsprache“.167 Die mit einer Übersetzung verbunden Kosten und Risiken trägt die ausländische Partei, wenn sie sich auf einen Vertragsschluß ohne Kenntnis des Inhalts der AGB eingelassen hat. Es handelt sich gleichsam um eine „unternehmerische Risikoerklärung“, die Ausdruck der Selbstverantwortung der ausländischen Partei ist.168 (2) Hat der Verwender keinen ausdrücklichen Hinweis erteilt, stellt sich die Frage nach einer wirksamen konkludenten Einbeziehung. Die bloße Übersendung von AGB in einer „Weltsprache“ im Zusammenhang mit einer Auftragsbestätigung oder einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben genügt nicht generell, aber zumindest dann, wenn die Verwendung dieser „Weltsprache“ üb-

166 Vor der Einbeziehung ihm unverständlicher AGB nach Vertragsschluß wird der unternehmerische ausländische Kunde durch Art. 31 Abs. 2 EGBGB geschützt, wenn nach seinem Wohnsitzrecht Schweigen als rechtlich indifferent bewertet wird, siehe OLG Hamburg NJW 1980, 1232 f. Dies gilt z. B. für Unternehmer mit Sitz in England oder Frankreich. Für nichtunternehmerische Kunden stellt sich das Problem so nicht, weil es bei einer Einbeziehung nach Vertragsschluß an dem erforderlichen ausdrücklichen Hinweis und der zumutbaren Kenntnisnahmemöglichkeit fehlt, so z. B. bei der Aushändigung von fremdsprachigen AGB, die auf den Rückseiten von Flugtickets abgedruckt sind, siehe LG Berlin NJW 1982, 343 (344) sowie OLG Frankfurt, Urt. v. 31. 1. 1984 – 11 U 43/83, Fremdenverkehrsrechtliche Entscheidungen 19, Nr. 432 Tz. 15 f. = IPRspr. 1984, 94 (juris). 167 Differenzierend Maidl, Ausländische AGB, S. 75, 77: Die Einbeziehung scheitere nicht daran, daß die AGB in einer Sprache abgefaßt sind, die der Vertragspartner nicht versteht. Der Verwender sei dementsprechend erst auf Verlangen verpflichtet, seinem Vertragspartner den Text der AGB in einer verständlichen Sprache zugänglich zu machen. Nach hier vertretener Auffassung besteht eine solche Rechtspflicht des Verwenders nicht. Der ausländische Vertragspartner mag um eine ihm verständliche Fassung der AGB bitten, aber wenn sich der Verwender nicht bereiterklärt, für eine Übersetzung zu sorgen, ist es Sache des Vertragspartners, den Geschäftsabschluß zu verweigern, die AGB des Verwenders selbst übersetzen zu lassen oder aber dem Vertragsschluß ohne Kenntnis der AGB zu bewirken, d. h. durch Abgabe einer Risikoerklärung. Wie Maidl, a.a.O., S. 77 feststellt, verfährt die Rechtsprechung oft rigider als von ihm vertreten – indessen ganz zu Recht. 168 Zum Vertragsschluß durch Unterschrift der Gegenpartei trotz Nichtverstehens der Sprache siehe OLG Hamm IPRax 2007, 125 Rn. 29 (juris) m. Anm. Spellenberg, ebd., 98 ff.: „Mit ihrer Unterschrift gibt die Gegenpartei nämlich zu erkennen, dass sie mit dem Inhalt der allgemeinen Geschäftsbedingungen einverstanden ist. Ansonsten hätte sie nicht unterschreiben dürfen (. . .).“; so auch OLG Hamm NJW-RR 1995, 188 (189).

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lich ist. In einigen Branchen haben sich entsprechende Handelsbräuche herausgebildet.

C. Die Transparenzkontrolle gemäß § 305c Abs. 1 BGB I. Grundlagen 1. Funktion und Bedeutung a) § 305c Abs. 1 BGB ordnet an, daß Bestimmungen in AGB, die so ungewöhnlich sind, daß der Kunde mit ihnen nicht zu rechnen brauchte – sog. überraschende oder ungewöhnliche Klauseln –, nicht Vertragsbestandteil werden. Die Vorschrift hat die Funktion, die Einbeziehungskontrolle gemäß § 305 Abs. 2 BGB169 zu ergänzen. Sie schränkt das dieser Bestimmung immanente Konsensprinzip aus Gründen des Kundenschutzes – scil. Schutz vor Überrumpelung, Vertrauensschutz – ein.170 § 305c Abs. 1 BGB gilt sowohl für Verträge mit Verbrauchern als auch für Verträge mit Unternehmern.171 Allerdings differiert der Bewertungsmaßstab bei dem Merkmal der Ungewöhnlichkeit der Klauseln, weil von Unternehmern im Regelfall ein höheres Maß an geschäftlicher Erfahrung erwartet wird.172 b) Soweit es um Verbraucherverträge geht, muß § 305c Abs. 1 BGB wegen des in Art. 5 der Richtlinie 93/13/EWG enthaltenen umfassenden Transparenzgebots, das in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB in das deutsche Recht umgesetzt wurde, richtlinienkonform ausgelegt werden, und zwar ungeachtet der Tatsache, daß die Richtlinie die Einbeziehungsvoraussetzungen selbst nicht regelt.173 Die Frage ist allerdings wenig praktisch.174 2. Anwendbarkeit des § 305c BGB auf Arbeitsverträge a) § 305c BGB gilt auch im Bereich des Arbeitsrechts.175 § 310 Abs. 4 S. 2, 2. Hs. BGB steht dem nicht entgegen, denn diese Vorschrift sperrt lediglich § 305 Abs. 2 und 3 BGB, nicht aber auch die Geltung des § 305c BGB im Hinblick auf 169

§ 305c Abs. 1 BGB greift nur bei wirksamer Einbeziehung der AGB in den Vertrag ein, d. h. die Einbeziehung ist also logisch vorrangig. Liegt das Überraschungsmoment vor, kann die Frage einer wirksamen Einbeziehung vom Richter aber offengelassen werden, so MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 3. 170 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 1 ff.; zum Vertrauensschutzaspekt siehe MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 1; siehe ferner die Gesetzesbegründung zur Vorgängernorm des § 3 AGBG, BT-Drucks. 7/3919, S. 19 (li. Sp.). 171 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 6; Erman/Roloff, § 305c Rn. 5. 172 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 6, 58. 173 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 2; Erman/Roloff, § 307 Rn. 19. 174 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 2 m. w. N. 175 Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 427; MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 41.

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„Arbeitsverträge“ i. w. S.176 Der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes von 2001 hatte auch im Arbeitsrecht ein Bedürfnis nach richterlicher Kontrolle der einseitig vom Arbeitgeber festgesetzten Arbeitsbedingungen festgestellt, ungeachtet des Schutzes der Arbeitnehmer durch zwingende gesetzliche Vorschriften und kollektive Vereinbarungen. Dies sei gerade vor dem Hintergrund des existentiellen Angewiesenseins auf einen Arbeitsplatz von besonderer Bedeutung. Die Rechtsprechung des BAG zu den Arbeitsvertragsmodalitäten habe gezeigt, daß eine „sich selbst überlassene“ Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht nicht in der Lage gewesen sei, insgesamt einen ausreichenden Schutz der Arbeitnehmer vor unangemessenen Vertragsbedingungen zu gewährleisten.177 Daher war die Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht im Hinblick auf die materielle AGB-Kontrolle aufzuheben. § 305c BGB ist sowohl auf die eigentlichen Arbeitsverträge als auch auf vorformulierte Aufhebungsverträge, Vertragsstrafenabreden, Wettbewerbsverbote usw. anwendbar.178 Die Vorschrift gilt insbesondere auch für die von dem Arbeitgeber vorformulierten Ausgleichsquittungen, die bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses eine wichtige Rolle spielen.179 b) In diesem Zusammenhang ist auch auf die verbraucherschützende Vorschrift des § 310 Abs. 3 BGB hinzuweisen. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf arbeitsrechtliche Verträge war zunächst sehr umstritten,180 ist aber inzwischen durch zwei Entscheidungen des BAG aus dem Jahr 2005 in positivem Sinne geklärt.181 Zwar hat der Gesetzgeber bei der Einführung der Legaldefinitionen des „Verbrauchers“ in § 13 BGB und des „Unternehmers“ in § 14 BGB nicht an die rechtliche Kategorisierung des Arbeitnehmers gedacht. Dieser Umstand ist aber letztlich nicht von entscheidender Bedeutung. Der Arbeitnehmer ist trotz des Fehlens einer konsumtiven Tätigkeit als Verbraucher zu qualifizieren, weil ausgehend von der Negativdefinition des § 13 BGB derjenige Verbraucher ist, der nicht Unternehmer ist und eine dritte Kategorie nicht existiert.182 Der Arbeitsvertrag – einschließlich seiner Umkehrung, dem Aufhe176

Zur Bedeutung des Begriffs „Arbeitsverträge“ in § 310 Abs. 4 BGB siehe schon oben B.

III. 1. 177

BT-Drucks. 14/6857, S. 53 f. MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 41 mit Rechtsprechungsnachweisen. 179 LAG Düsseldorf DB 2005, 1463 (1465) = ArbuR 2006, 67; Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 477. 180 Siehe dazu den Überblick bei U. Preis, NZA 2003, Heft 16, Sonderbeilage, S. 22 ff. 181 BAGE 115, 19 = NZA 2005, 1111; BAGE 115, 372 = NZA 2006, 324; siehe ferner BAG EzA-SD 2007 Nr. 19, 8 f.; LAG Schleswig-Holstein EzA-SD 2007 Nr. 16, 9; LAG Düsseldorf NZA-RR 2007, 238; LAG Düsseldorf NZA-RR 2007, 455; ArbG Karlsruhe NZA-RR 2006, 516. Aus dem Schrifttum die Verbrauchereigenschaft des Arbeitnehmers bejahend U. Preis, NZA 2003 Sonderbeilage zu Heft 16, 19 (22 ff.); Konzen, FS Hadding, S. 145 (162 ff.); kritisch, aber aus Gründen einer vergleichbaren Schutzbedürftigkeit von Verbrauchern und Arbeitnehmern i.E. auch Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 442; Lieb, FS Ulmer, S. 1231 (1236 f.). 182 Konzen, FS Hadding, S. 145 (163). 178

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bungsvertrag – ist dementsprechend rechtlich als Verbrauchervertrag i. S. von § 310 Abs. 3 BGB einzuordnen.183 Bei vorformulierten Vertragsbedingungen, die nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, hängt die Anwendung des § 305c (sowie die der §§ 307 ff. BGB) auf derartige Verträge davon ab, ob der Arbeitnehmer aufgrund der Vorformulierung keinen Einfluß auf den Inhalt der Klausel nehmen konnte, so daß die AGB als von dem Arbeitgeber gestellt anzusehen sind. 3. Die einzelnen Schritte bei der Prüfung überraschender Klauseln im Sinne des § 305c Abs. 1 AGB Die Prüfung der Voraussetzungen von § 305c Abs. 1 BGB erfolgt in drei Schritten: Zunächst wird festgestellt, welche Vorstellungen und Erwartungen der Kunde vom Inhalt des abgeschlossenen Vertrags nach den Umständen hatte und haben durfte. Anschließend wird der Inhalt der streitigen AGB-Klausel ermittelt. In einem dritten Schritt wird untersucht, ob die Diskrepanz zwischen den Vorstellungen des Kunden und dem Inhalt der AGB-Klausel so groß ist, daß die Annahme gerechtfertigt ist, es handele sich um eine überraschende Klausel.184 II. Die Tatbestandsmerkmale des § 305c Abs. 1 BGB Die Vorschrift hat zwei Voraussetzungen, nämlich die Ungewöhnlichkeit der fraglichen Klausel(n) zum einen und die Überraschung des Kunden zum anderen. 1. Ungewöhnlichkeit der Klausel(n) a) Die Ungewöhnlichkeit einer Klausel ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen.185 Sie richtet sich nach dem Gesamtbild des Vertrags und nach den Erwartungen, die redliche Geschäftspartner auf Grund des Verhaltens des Verwenders vor und bei Vertragsschluß an den Vertragsinhalt knüpfen.186 Es kommt dabei auf die Vorstellungen und Erwartungen an, die ein redlicher Kunde von durchschnittlicher Geschäftserfahrung, Aufmerksamkeit und Umsicht sich vom Inhalt des Vertrags auf Grund der genannten Umstände gebildet hätte.187 Etwaige ungewöhnliche Erwartungen, die gerade nur der konkrete Kunde auf 183 Daraus folgt selbstverständlich nicht, daß sämtliche existierenden Verbraucherschutznormen unbesehen auf Arbeitnehmer angewendet werden müßten. Die Anwendbarkeit der §§ 312, 355 BGB auf Aufhebungsverträge scheitert z. B. daran, daß es an einem Haustürgeschäft fehlt, siehe BAG NZA 2004, 597 (598); BAG NZA 2004, 1295; Konzen, FS Hadding, S. 145 (164). 184 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 5. 185 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 11 f.; Erman/Roloff, § 305c Rn. 9. 186 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 12. 187 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 6; Erman/Roloff, § 305c Rn. 9.

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Grund besonderer persönlicher Erfahrungen oder Vorstellungen mit dem Vertragsinhalt verknüpft, werden von § 305c Abs. 1 BGB nicht geschützt.188 Vielmehr wird auf den Erwartungshorizont typischer Kundengruppen abgestellt, mit denen Verträge der fraglichen Art regelmäßig geschlossen werden.189 Für die Vorstellungen und Erwartungen des Kunden gilt daher „ein durch die subjektiven Umstände überlagerter generalisierender objektiver Maßstab“190 : Es kommt demnach darauf an, was der typische Durchschnittskunde unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte. Dessen Erwartungen ist dann der tatsächliche Inhalt der streitigen AGB-Klausel gegenüberzustellen, wie er sich nach allgemeinen, für AGB entwickelten objektiven Auslegungsgrundsätzen bestimmt.191 b) Ungewöhnlich sind beispielsweise Klauseln, die eine erhebliche atypische Erweiterung von vertraglichen Pflichten beinhalten; 192 ferner solche, die nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags an der vom Verwender gewählten Stelle nicht vermutet werden.193 Die Feststellung des objektiv ungewöhnlichen Charakters einer Klausel wegen des äußeren Erscheinungsbildes des Vertrags richtet sich nach der optischen Aufmachung der Vertragsurkunde, also nach der drucktechnischen Gestaltung, ihrer Gliederung, der Überschrift, etc.194 Denn diese Merkmale „sind gleichsam Wegweiser für den Kunden zum Verständnis des Klauselwerks. Sie dürfen ihn nicht täuschen oder in die Irre führen (. . .).“195 Beispiel: 196 Wenn ein Formular, das dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zur Unterzeichnung vorgelegt wird, den Text einer Ausgleichsquittung enthält, aber bloß die Überschrift „Quittung“ trägt, kann dies als objektiv ungewöhnlich bezeichnet werden, denn die Überschrift läßt objektiv darauf schließen,197 das es sich lediglich um ein schriftliches Empfangsbekenntnis i. S. des § 368 S. 1 BGB, d. h. um eine Wissenserklärung und nicht um einen Anspruchs- und Klageverzicht handelt.198 Daß das Instrument der formularmäßigen Ausgleichsquittung bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen aus Sicht der Arbeitgeber „üblich“ ist, steht der Annahme der objektiven Ungewöhnlichkeit nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung wird nämlich die These, eine übliche Klausel könne nicht 188

MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 6. MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 6; Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 112. 190 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 6. 191 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 9. 192 Erman/Roloff, § 305c Rn. 13. 193 BGH NJW 1986, 1805 (1806); BGHZ 84, 109 (112 f.) = NJW 1982, 2309. 194 BGHZ 99, 274 (282) = NJW 1987, 904; BGH NJW 1978, 1519 (1520); OLG Nürnberg NJW 1991, 232 (234); Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 19; Erman/Roloff, § 305c Rn. 12 f. 195 Erman/Roloff, § 305c Rn. 13. 196 Siehe LAG Baden-Württemberg BB 1966, 860 und LAG Düsseldorf, Urt. v. 31. 10. 1975 – 16 Sa 599/75, EzA § 119 BGB Nr. 6 mit Anm. Birk. 197 Die Überschrift ist gerade insofern relevant, als sich daraus objektiv Rückschlüsse auf den Vertragsinhalt ergeben, siehe Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 19. 198 LAG Berlin, Urt. v. 18. 1. 1993 – 12 Sa 120/92, LAGE § 4 KSchG Ausgleichsquittung Nr. 3 = BetrR 1993, 77 (Rn. 68 f.). 189

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ungewöhnlich sein, dem Sinn und Zweck des dem § 305c Abs. 1 BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken nicht gerecht. Andernfalls hätte es die Gruppe bzw. der Verband der Verwender von Formularbedingungen in der Hand, einer bestimmten Klausel durch beständige Verwendung den ungewöhnlichen Charakter zu nehmen, obwohl die mit diesen Klauseln konfrontierten Adressaten, die aufgrund ihrer fehlenden geschäftlichen Erfahrung gerade geschützt werden sollen, mit derartigen Klauseln nicht rechnen und vernünftigerweise auch nicht rechnen müssen. Angesichts dessen können Klauseln, die von den Verwendern als gebräuchlich eingestuft werden, aus der Sicht des Formularadressaten durchaus ungewöhnlich sein.199 Bei den angeführten Beispielsfällen handelt es sich freilich nicht um ein „Sprachrisiko“-Problem im eigentlichen Sinn, da das Merkmal der objektiven Ungewöhnlichkeit ohne Unterscheidung sowohl sprachkundige als auch sprachunkundige Arbeitnehmer schützt.

c) Auf eine mögliche Unbilligkeit der Klausel kommt es in diesem Zusammenhang generell nicht an, da sich die Billigkeitskontrolle richtigerweise allein nach § 307 BGB richtet.200 Ungewöhnlichkeit und Unbilligkeit müssen daher in zwei logisch voneinander getrennten Schritten untersucht werden. Liegt eine ungewöhnliche Klausel vor, wird sie gemäß § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil; einer zusätzlichen Billigkeitskontrolle gemäß § 307 BGB bedarf es dann nicht. Daß die Rechtsprechung bisweilen beide Aspekte zusammengefaßt hat, läßt sich freilich nicht leugnen. 201 2. Der Überraschungseffekt auf seiten des Kunden a) Allgemeines aa) Die jeweilige Klausel muß weiter so ungewöhnlich sein, daß der Kunde mit ihr nicht zu rechnen brauchte. Erforderlich ist also ein Überraschungs- oder Überrumpelungseffekt auf seiten des Kunden. 202 Bei unbefangener Betrachtung scheint es sich dabei um ein subjektives Merkmal zu handeln, das – wenn man es nur entsprechend funktional und weit interpretierte – durchaus dem Schutz von Ausländern vor sprachenbedingten Irrtümern dienen könnte. 203 Eine sol199 So – unter dem Blickwinkel des § 3 AGBG – LAG Berlin, Urt. v. 18. 1. 1993 – 12 Sa 120/92, LAGE § 4 KSchG Ausgleichsquittung Nr. 3 = BetrR 1993, 77 (Rn. 79); LAG Düsseldorf DB 2005, 1463 (1466) = LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 7; LAG Schleswig-Holstein NZARR 2004, 74 (76). 200 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 12; MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 4. 201 Siehe z. B. BGHZ 110, 88 (97) = NJW 1990, 2065 betreffend eine Formularbestimmung über die Vereinbarung eines Fixhandelskaufs, die vom BGH als „ebenso überraschend im Sinne des § 3 AGBG (. . .) wie unangemessen im Sinne des § 9 AGBG“ qualifiziert wurde; siehe auch BGH NJW 1996, 249; BGH NJW 1985, 53 (55); BGH NJW 1984, 171 (173); MüKo BGB/ Basedow, § 305c Rn. 3. 202 BGHZ 84, 109 (112 f.) = NJW 1982, 2369; BGH NJW 1990, 576 (577); LAG Niedersachsen NZA-RR 2005, 401 (403); MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 10. 203 Vgl. Schlechtriem, FS Weitnauer (1980), S. 129 (141 f.): Entscheidend sei nicht die objektive „Ungewöhnlichkeit“, sondern die Abweichung des Klauselinhalts von den subjektiven Vorstellungen und Erwartungen des Vertragspartners, die deutliche Diskrepanz zwischen

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che Interpretation würde allerdings nicht überzeugen. Wie auch sonst im AGBRecht ist nämlich auch hier eine typisierende Betrachtungsweise anzulegen, so daß es entscheidend auf die Erkenntnismöglichkeiten des für solche Verträge normalerweise zu erwartenden Kundenkreises ankommt. Es gilt daher ein konkret-genereller Maßstab204 .205 Der BGH, in ständiger Rechtsprechung einer typisierenden Betrachtungsweise folgend, hat dies in folgende Worte gefaßt: „Eine Bestimmung in allgemeinen Geschäftsbedingungen ist (. . .) dann überraschend, wenn ihr ein »Überrumpelungseffekt« innewohnt. Sie muß eine Regelung enthalten, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und mit der dieser den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Die Erwartungen des Vertragspartners werden dabei von allgemeinen und von individuellen Begleitumständen des Vertragsschlusses206 bestimmt. Zu ersteren zählen der Grad der Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht und die für den Geschäftskreis übliche Gestaltung, zu letzteren der Gang und der Inhalt der Vertragsverhandlungen sowie der äußere Zuschnitt des Vertrages (. . .).“207

bb) Bei der Untersuchung des Überraschungseffekts ist nach der Rechtsprechung nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten des konkreten Vertragspartners abzustellen, auch nicht auf das Verständnis eines Fachmanns, insbesondere eines Juristen, der sich eingehend mit den betreffenden AGB beschäftigt hat. Maßgebend sind vielmehr die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden.“208 Klauselinhalt einerseits und Kenntnis- und Erfahrungshorizont andererseits. Sprachunkundigkeit sei dabei durchaus zu den „individuellen Sonderumständen“ zu rechnen, auch wenn die Berufung auf sprachliche Überraschung allein nicht stets ausreichen könne. Die konkrete „Ungewöhnlichkeit“ könne auch darin liegen, daß der Sprachunkundige seine Erwartungen am eigenen Umfeldrecht orientiert hat und deshalb von der für ihn inhaltlich fremden und dazu noch fremdsprachlichen Klausel gleichsam doppelt überrascht wird. Demgegenüber zweifelt Maidl, Ausländische AGB, S. 122 daran, ob man die Herkunft des Vertragspartners zu den trotz grundsätzlich objektiver Betrachtungsweise beachtlichen individuellen Sonderumständen zählen kann. Die Herkunft des Kunden als solche sei gerade ein Umstand, der nicht mit dem Verhalten des Verwenders zusammenhänge, sondern allein in der Person des Kunden wurzele. Deshalb bleibe „beim Sprachrisiko für § 3 AGBG kein Raum“. 204 Siehe dazu BGH NJW-RR 2002, 486 zur Anwendung des § 3 AGBG auf eine formularmäßig verlängerte Bürgschaft: „Dabei beurteilt sich die Abweichung von dem Erwartungshorizont des Vertragspartners nach einem durch die konkreten Umstände überlagerten generellen Maßstab (. . .). Entscheidend ist das bei einem Vertragspartner individuell vorhandene oder ihm individuell mögliche Umstandswissen; welche Schlüsse aus diesen Erkenntnismöglichkeiten zu ziehen waren, bestimmt sich demgegenüber nach einem objektiv-typisierenden Maßstab (. . .).“; vgl. auch BGH NJW 1981, 117 (118); BGH NJW 1987, 2011; BGHZ 102, 152 (159) = NJW 1988, 558; BGHZ 130, 150 (154) = NJW 1995, 2637. 205 H. M., siehe Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 13 m. w. N., Rn. 22; Erman/Roloff, § 305c Rn. 12. 206 Siehe dazu auch Erman/Roloff, § 305c Rn. 10 f. 207 BGHZ 130, 150 (154); LAG Niedersachsen NZA-RR 2005, 401 (403); siehe ferner BGHZ 100, 82 (85) = NJW 1987, 1885; BGHZ 102, 152 (158) = NJW 1988, 558; BGHZ 109, 197 (201) = NJW 1990, 576. 208 BGHZ 130, 150 (154) = NJW 1995, 2637; BGHZ 106, 42 (49) = NJW 1989, 222; BGHZ

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Beispiel: Die Frage, ob der in der Ausgleichsquittung enthaltene Verzichtserklärung überraschenden Charakter hat, ist nach den oben genannten Rechtsprechungsgrundsätzen nicht nach dem Informationsstand und der geschäftlichen Erfahrung des jeweiligen Adressaten, d. h. des individuell betroffenen Arbeitnehmers, zu beantworten. Da derartige Ausgleichsquittungen sich generell an Arbeitnehmer richten, ist es nach Auffassung der Rechtsprechung gerechtfertigt, für die Beurteilung des Überraschungseffekts das typische Verständnis dieses Personenkreises heranzuziehen. Dafür spricht auch, daß die richterliche Beurteilung des individuellen Verständnisses eines Arbeitnehmers von vornherein engen Grenzen unterliegt. Dementsprechend orientiert sich die Beurteilung des Überraschungseffekts des in einer Ausgleichsklausel enthaltenen Rechtsverzichts an den Vorstellungen, die ein typischer Arbeitnehmer bei Vorlage und Unterzeichnung einer Ausgleichsquittung hat. 209

cc) Eine Klausel kann insbesondere „formal überraschend“210 sein, weil sie einen ungewöhnlichen äußeren Zuschnitt hat oder weil sie an ungewöhnlicher Stelle erscheint.211 Das Überraschungsmoment ist nach der Rechtsprechung im übrigen umso eher zu bejahen, je belastender die Bestimmung ist.212 Die überraschende Wirkung ist insbesondere in dem Fall der mit dem Wort „Quittung“ überschriebenen Ausgleichsquittung gegeben. Nach der Rechtsprechung liegt es nämlich „auf der Hand, daß ein solcher Überrumpelungseffekt nicht nur einzelnen Klauseln im Rahmen eines bereits äußerlich als Vertrag erkennbaren Formulars, sondern erst recht einer Vertragsklausel im Rahmen eines äußerlich lediglich als Quittung und damit als Wissenserklärung erscheinenden Formulars zukommen kann. Denn der Überraschungseffekt einer rechtsgeschäftlichen Erklärung, die in einem vordergründig als Quittung zu qualifizierenden Formular enthalten ist, kann noch viel größer sein, als der Überraschungseffekt einer untypischen Bestimmung im Rahmen eines bereits vordergründig als Vertrag zu qualifizierenden Formulars. (. . .) Denn bei einer typisierten Betrachtungsweise braucht ein Arbeitnehmer, dem anläßlich der Übergabe seines Restlohnes und der Arbeitspapiere eine formularmäßige Ausgleichsquittung zur Unterzeichnung vorgelegt wird, nicht damit zu rechnen, daß sich hinter dieser Ausgleichsquittung ein rechtsgeschäftlicher Verzicht verbirgt.“213 102, 152 (159) = NJW 1988, 558; BGH NJW 1981, 117; Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 195; Erman/Roloff, § 305c Rn. 10. 209 So zutreffend LAG Berlin, Urt. v. 18. 1. 1993 – 12 Sa 120/92, LAGE § 4 KSchG Ausgleichsquittung Nr. 3 = BetrR 1993, 77 (Rn. 70, juris); LAG Düsseldorf DB 2005, 1463 (1465) = LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 7: „Abzustellen ist vielmehr auf die Verständnismöglichkeiten des typischerweise zu erwartenden Durchschnittsarbeitnehmers.“ 210 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 17. 211 BGHZ 84, 109 (113) = NJW 1982, 2369; siehe auch BAG NZA 2005, 1193 (1198): „Da sich das Überraschungsmoment auch aus dem Erscheinungsbild des Vertrags ergeben kann, ist es möglich, dass auch das Unterbringen einer Klausel an einer unerwarteten Stelle im Text sie deswegen als Überraschungsklausel erscheinen lässt.“ 212 BAG NZA 2005, 1193 (1198). 213 LAG Berlin, Urt. v. 18. 1. 1993 – 12 Sa 120/92, LAGE § 4 KSchG Ausgleichsquittung Nr. 3 = BetrR 1993, 77 (Rn. 68 f., juris).

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b) Der konkret-generelle Beurteilungsmaßstab bei der Überrumpelung aa) Die maßgeblichen Erkenntnismöglichkeiten des Durchschnittskunden § 305c Abs. 1 BGB läßt zwar unter anderem die Berücksichtigung der konkreten Umstände des Vertragsschlusses zu. 214 Daraus resultiert aber wie gesagt nicht ein auf die individuellen Verständnismöglichkeiten des konkreten Kunden bezogener Beurteilungsmaßstab, sondern es sind immer die Erkenntnismöglichkeiten des Durchschnittskunden in der jeweiligen Situation für die Frage nach einer möglichen Überrumpelung maßgeblich. 215 Der Schutzzweck des § 305c Abs. 1 BGB besteht darin, den uninformierten Durchschnittskunden vor Überraschungen hinsichtlich des Inhalts der von ihm akzeptierten AGB zu bewahren. Daher ist zu fragen, ob die als Kunden angesprochenen Verkehrskreise mit AGB dieses Inhalts im Zusammenhang mit dem jeweiligen Vertragstyp rechnen. 216 bb) Die Berücksichtigung der konkreten Situation Die Frage nach der Überrumpelung z. B. des „Durchschnittsarbeitnehmers“ läßt sich nicht abstrakt, sondern nur situationsbedingt entscheiden. Es gilt also ein konkret-genereller Maßstab. Dabei spielen mögliche Vorverhandlungen und die konkrete Situation bei der Leistung der Unterschrift eine Rolle. Beispiel: 217 Nach der Rechtsprechung hat jede Regelung, mit der der Vertragspartner vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht, einen Überrumpelungseffekt. Dessen Erwartungen können wesentlich gerade von den individuellen Umständen des Vertragsschlusses bestimmt werden.218 Eine Klausel erweist sich folglich auch dann als überraschend, wenn ihr Inhalt nicht schon objektiv ungewöhnlich ist, aber wesentlich von dem abweicht, was der Vertragspartner des Verwenders als seine Vorstellungen und Absichten bei den Verhandlungen zum Ausdruck gebracht hat, ohne daß ihm darin widersprochen wurde. Wer beispielsweise als Bürge dem Gläubiger vor Unterzeichnung der Urkunde erklärt, er wolle nur für eine bestimmte konkrete Verbindlichkeit einstehen, darf grundsätzlich davon ausgehen, daß das ihm vom Verwender vorgelegte Bürgschaftsformular nicht den Schuldgrund auf die gesamte Geschäftsverbindung mit dem Hauptschuldner ausdehnt. 219 Vielmehr kann der Bürge in diesem Falle erwarten, daß der Gläubiger ihm vor 214

Siehe auch Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 13a. BGHZ 130, 150 (154) = NJW 1995, 2637; BGHZ 106, 42 (49) = NJW 1989, 222; BGHZ 102, 152 (159) = NJW 1988, 558; Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 13a. 216 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 14. 217 Nach BGH NJW 1994, 1656 (1657). 218 BGHZ 102, 152 (159) = NJW 1988, 558; BGHZ 109, 197 (201) = NJW 1990; BGH NJW 1992, 1234 = WM 1992, 135 (137); BGH NJW 1994, 1656 (1657); BGH NJW 1995, 2553 (2554) 219 Siehe nur BGH NJW 1994, 2145, 1. Leitsatz: „Die Erweiterung der Haftung durch eine formularmäßige Bürgschaftserklärung, die ein Bürge aus Anlaß der Gewährung eines Tilgungsdarlehens durch eine Bank abgibt, auf alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten des Hauptschuldners ist grundsätzlich überraschend.“ 215

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Unterzeichnung der Urkunde einen deutlichen Hinweis erteilt, falls er seine Forderung in so weitgehendem Umfang sichern will. 220

Bei der Beurteilung von Ausgleichsquittungen nach § 305c Abs. 1 BGB ist das Verhalten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor Ort mit von Bedeutung: Mußte sich dem Arbeitgeber der Schluß aufdrängen, daß der Arbeitnehmer in der konkreten Situation vom Vorliegen einer Quittung i. S. des § 368 S. 1 BGB ausging und mit der Abgabe von Verzichtserklärungen nicht rechnete, liegt das erforderliche Überraschungsmoment vor. 221 In dem Fall der mit dem Wort „Quittung“ überschriebenen Ausgleichsquittung kann man somit auch vor dem Hintergrund der konkreten Situation bei Abgabe der Ausgleichsquittung von einer Überraschung des – der deutschen Sprache mächtigen – „Durchschnittsarbeitnehmers“ ausgehen. Beispiel: 222 In einem Termin mit seinem Arbeitgeber, der allein zum Zweck der Rückgabe der Arbeitspapiere an den Arbeitnehmer vereinbart worden war, wurde diesem von einer Mitarbeiterin des Arbeitgebers folgende Erklärung vorgelegt: „Rückgabe Ihrer Unterlagen. Sehr geehrter Herr . . . beiliegend händigen wir Ihnen nachfolgende Unterlagen aus: Meldung zur Sozialversicherung (Abmeldung) Lohnabrechnung 04/02, Lohnsteuerkarte 2002. Mit Ihrer Unterschrift bestätigen Sie, dass sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis mit der Firma . . . und aus dessen Beendigung, gleich nach welchem Rechtsgrund sie entstanden sein mögen, abgegolten und erledigt sind. Gleichzeitig bestätigen Sie den vollständigen Erhalt der o.g. Dokumente.“ Die Erklärung, daß sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus dessen Beendigung abgegolten und erledigt sind, ist rechtlich als ein konstitutives negatives

220 Siehe auch Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 25 (anhand dieses Beispielsfalls): Aus der konkreten Vertragsabschlußsituation könne sich eine Aufklärungspflicht ergeben, wenn eine Klausel überraschend i. S. des § 305c Abs. 1 BGB sei; zur Heilung der Intransparenz i. S. des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB durch Individualaufklärung und ihrer Beachtlichkeit im Individualprozeß siehe auch dens., § 307 Rn. 202 m. w. N.; BGH ZIP 1996, 1289 (1291). 221 LAG Düsseldorf DB 2005, 1463 (1464) = LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 7. Nach der Rechtsprechung liegt der Überraschungseffekt „in erster Linie darin, daß die Bestätigung des Empfangs von Arbeitspapieren, der Herausgabe von Firmeneigentum und der Vornahme anderer Abwicklungsformalitäten verknüpft wird mit dem Globalverzicht auf Rechte und Ansprüche (. . .). Das Verlangen nach Quittierung richtet sich auf die Abgabe einer vertraglich oder gesetzlich (§ 368 BGB) oder vermeintlich geschuldeten Willenserklärung; daher lässt die ‚Ausgleichsquittung‘ den Erklärenden glauben, dass er – in Erfüllung von Quittierungspflichten – gerade und nur den vollzogenen Ausgleich von Übergabe- und Rückgabepfl ichten anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestätigt. Demgegenüber wird mit dem Anspruchsverzicht, insbesondere dem Verzicht auf nach der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehende Ansprüche, in die Quittung eine Willenserklärung hineingemogelt. Die Ausgleichsquittung wird zum Trojaner. Dabei ist der Überrumpelungseffekt umso größer, je weniger die Ausgleichsklausel im Schriftbild hervorgehoben, sondern (. . .) als einer von mehreren Sätzen oder Absätzen im Text untergebracht wird und je unübersichtlicher und komplexer die ‚Ausgleichsquittung‘ gestaltet ist.“; vgl. auch Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 22a. 222 Nach BAG NZA 2005, 1193.

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Schuldanerkenntnis zu qualifizieren. 223 Die Eigenschaft der Klausel als AGB war in dem Fall unproblematisch zu bejahen, da es sich um eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung handelte, die die Beklagte dem Kläger gestellt hatte. Das negative Schuldanerkenntnis wurde wegen § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil. Dessen Unterbreitung war nach den Gesamtumständen so ungewöhnlich, daß der Kläger nicht mit ihr rechnen mußte. Dafür sprach schon, daß das Formular dem Kläger anläßlich eines Termins vorgelegt wurde, der mit ihm allein zum Zweck der Übergabe seiner Arbeitspapiere vereinbart worden war. Insoweit hatte der Kläger zwar damit rechnen müssen, eine Bestätigung des Empfangs seiner Arbeitspapiere abzugeben. Er konnte aber nicht davon ausgehen, er solle bei dem allein zur Übergabe der Arbeitspapiere vorgesehenen Treffen noch weitere – auch rechtsgeschäftliche – Erklärungen abgeben. Zwischen den durch die Umstände bei Vertragsschluß begründeten Erwartungen und dem tatsächlichen Vertragsinhalt bestand ein deutlicher Widerspruch. Infolge der Überschrift des Schreibens („Rückgabe Ihrer Unterlagen“) wurde der Eindruck vermittelt, daß sich dessen Inhalt auf die Bestätigung dieser Rückgabe durch den Kläger beschränke. Daher hätte die Beklagte, um den Überrumpelungseffekt zu vermeiden, das im Schreiben enthaltene negative Schuldanerkenntnis drucktechnisch hervorheben müssen. 224

c) Zwischenergebnisse zur Ausgleichsquittungsproblematik aa) Der regelmäßig gegebene Überraschungseffekt Es ist davon auszugehen, daß einer Ausgleichsquittung regelmäßig ein Überraschungseffekt i. S. des § 305c Abs. 1 BGB für den „typischen“ Arbeitnehmer bzw. den „Durchschnittsarbeitnehmer“ innewohnt. 225 Um eine Überraschung zu vermeiden, muß der Arbeitgeber „die Aufmerksamkeit des Arbeitnehmers in besonderer Weise auf diesen Rechtsverzicht“ lenken, 226 sei es durch einen ausdrücklichen Hinweis, durch räumliche Trennung von Quittung und Verzichtserklärung, durch Vorlage zweier getrennter Urkunden, durch drucktechnische Hervorhebung des Verzichts227 gegenüber der Quittung oder durch das Verlangen zweier Unterschriften unter jedem der beiden Erklärungsteile bzw. jeder der beiden Urkunden. Es muß sich nach der Rechtsprechung um „äußere Deutlichkeitsmerkmale“228 oder um individuelle – gegebenenfalls auch mündlich erteilte – Hinweise handeln. Es ist aber auch denkbar, daß eine äußere Ver223

BAG NZA 2005, 1193 (1197). BAG NZA 2005, 1193 (1197). 225 Vgl. auch Söllner, ZfA 2003, 145 (153 f.); B. Preis, AuR 1979, 97 (101); U. Preis, NZA 2003 Sonderbeilage zu Heft 16, 19 (29). 226 LAG Berlin, Urt. v. 18. 1. 1993 – 12 Sa 120/92, LAGE § 4 KSchG Ausgleichsquittung Nr. 3 = BetrR 1993, 77 (Rn. 79, juris). 227 Vgl. als Beispiel für eine drucktechnisch ausreichende Vertragsgestaltung (allerdings zu einer Ausschlußfrist, die die Geltendmachung der Vergütung betraf) LAG Niedersachsen NZA-RR 2005, 401 (403). 228 LAG Berlin, a.a.O. (Fn. 227); siehe auch OLG Hamm WM 1985, 1221 (1223): Ein weitergehendes Haftungsrisiko hätte in der Bürgschaftsurkunde „irgendwie drucktechnisch hervorgehoben“ werden müssen. 224

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deutlichung – etwa Fettdruck – 229 im Einzelfall nicht genügt, sondern ein individueller Hinweis des Verwenders gegenüber dem Kunden notwendig ist. Dies betrifft allerdings weniger die Ausgleichsquittungsproblematik als vielmehr die Fälle der formularmäßigen Verlängerung oder Erweiterung von Bürgschaftserklärungen, also Fallgestaltungen, bei denen – im Unterschied zu bloß „allgemein ungewöhnlichen“ (z. B. nicht vertragstypkonformen) Klauseln – der Kunde des Verwenders wegen „der dem Vertragsschluß vorausgegangenen konkreten Umstände“ mit der Klausel nicht rechnen mußte. Fettdruck ist dann nach der Rechtsprechung nicht geeignet, „ihn hinreichend über die von dem Verwender angestrebte Änderung ins Bild zu setzen“.230 Den nach der konkret-generellen Betrachtungsweise denkbaren Ausnahmefall, daß der andere Teil trotz des ungewöhnlichen und überraschenden Charakters der Klausel mit ihr rechnete, hat im Streitfall der Verwender zu beweisen.231 bb) Die Berücksichtigung der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten gemäß § 310 Abs. 4 S. 2 BGB in bezug auf die Ausgleichsquittung Die Qualifizierung der Ausgleichsquittung als überraschende Klausel(n) steht mit den Anforderungen von § 310 Abs. 4 S. 2 BGB in Einklang, und zwar unabhängig davon, ob man gemäß dem Wortlaut („die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten“) nur die rechtlichen Besonderheiten 232 einschließlich des Richterrechts233 oder darüber hinaus auch die rein tatsächliche Besonderheiten des Arbeitslebens234 für berücksichtigungsfähig hält:

229 Eine Hervorhebung durch Fettdruck reicht nicht aus, wenn durch andere gestalterische Merkmale die Aufmerksamkeit des Durchschnittskunden auf diese Merkmale gelenkt wird. So lag es in dem Fall OLG Nürnberg NJW 1991, 232 (234), wo der Fettdruck der streitgegenständlichen Klausel so schwach war, daß dadurch „ein optisches Gegengewicht gegen Überschrift und Betragsfi xierung nicht erreicht“ werden konnte. 230 BGH NJW-RR 2002, 485 (487); BGHZ 99, 203 (206) = NJW 1987, 1636; BGHZ 131, 55 (59) = NJW 1996, 191. 231 BGH ZIP 1992, 386 (389) = NJW 1992, 1822; BGHZ 109, 197, 203 = NJW 1990, 576; BGHZ 83, 56 (60) = NJW 1982, 1035; Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 25. 232 U. Preis, NZA 2003 Sonderbeilage zu Heft 16, 19 (26); Thüsing, NZA 2002, 591 (592 f.). 233 Nach U. Preis, NZA 2003 Sonderbeilage zu Heft 16, 19 (26) zählt dazu die Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers, die Betriebsrisikolehre und die Rechtsprechung zur Rückzahlung von Ausbildungskosten; zur Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers als einseitig zwingendem Recht siehe auch BAG NZA 2004, 649 sowie Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 482. Der Rechtsausschuß des Bundestages hatte seinerzeit die Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts angeführt (BT-Drucks. 14/7052, 189). 234 So BAG NJW 2005, 3305 (3306): „Zu berücksichtigen sind nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Besonderheiten des Arbeitslebens; denn es geht um die Beachtung der dem Arbeitsverhältnis innewohnenden Besonderheiten (. . .).“; siehe auch LAG Düsseldorf DB 2005, 1463 (1465) = LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 7; LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 2004, 74 (76); noch offengelassen von BAG NZA 2004, 727; dem BAG im Ergebnis folgend Staudinger/M. Coester, § 310 Rn. 103; Löwisch, FS Canaris, Bd. I, S. 1403 (1412 f.).

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

Ein Anspruchsverzicht des Arbeitnehmers ohne jegliche Gegenleistung des Arbeitgebers zählt nicht zu den schützenswerten rechtlichen Besonderheiten des Arbeitsrechts. Ebensowenig gehört hierzu die Möglichkeit des Arbeitgebers, ohne ausdrückliche Hervorhebung und ohne entsprechenden Hinweis einem Arbeitnehmer, der zu diesem Zeitpunkt nicht damit rechnet, daß er eine Verzichtserklärung abgibt, eine Unterschrift abzuverlangen, mit der er im Widerspruch zur Realität alle Forderungen als erfüllt erklärt. Nichts anderes ergibt sich, wenn man – was zutrifft – weitergehend auch die tatsächlichen Besonderheiten des Arbeitslebens für nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB beachtlich hält, dabei aber fälschlich aus der „Üblichkeit“235 von Ausgleichsquittungen auf die Beachtlichkeit als tatsächliche Besonderheit des Arbeitsrechts schließt. 236 Die „Üblichkeit“ bestimmter Klauseln in der Vertragspraxis ist vielmehr „eine deutliche Grenze“237 für die Berücksichtigungsfähigkeit tatsächlicher Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses.238 § 310 Abs. 4 S. 2 BGB bietet daher keine Grundlage für eine unreflektierte Fortschreibung des vor der Reform Üblichen.239 Entschiede man hier anders, würde die Gefahr einer Aushöhlung des Geltungsanspruchs der §§ 305 ff., 310 Abs. 4 S. 2 BGB hervorgerufen, indem man „schlechte Gewohnheiten und Gebräuche“240 einfach zu Besonderheiten des Arbeitsrechts erklärte. Das Abstellen auf eine seit langem bestehende „Üblichkeit“ der Ausgleichsquittungen in der Praxis ist sachlich verfehlt, 241 weil dadurch dem Verwender (Arbeitgeber) ohne anerkennenswerte Interessen und ohne daß der Vertragspartner (Arbeitnehmer) eine Gegenleistung erhielte über § 310 Abs. 4 S. 2 BGB die Möglichkeit zugestanden würde, in einer vorformulierten Ausgleichsquittung den Verzicht des Vertragspartners auf dessen Rechte und Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zu erreichen. 242

235 Mit Recht gegen die Beachtlichkeit einer bisher üblichen Vertragsgestaltung U. Preis, NZA 2003 Sonderbeilage zu Heft 16, 19 (26); Thüsing, NZA 2002, 591 (593); Staudinger/M. Coester, § 310 Rn. 103. 236 LAG Düsseldorf DB 2005, 1463 (1466) = LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 7. 237 Staudinger/M. Coester, § 310 Rn. 103. 238 Eine bestimmte Verkehrssitte ist nur beachtlich, wenn sie weder den gesetzlichen Vorschriften noch den Geboten von Treu und Glauben widerspricht. Eine unbillige Verkehrssitte scheitert an dem übergeordneten Maßstab des § 307 BGB. Dementsprechend macht die Verkehrsüblichkeit einer unangemessenen Regelung diese noch nicht zu einer zulässigen Klausel, nur Erman/Roloff, § 307 Rn. 14; so bereits BGH NJW 1984, 2160: „Dagegen steht die Üblichkeit einer Klausel der Feststellung ihrer Unangemessenheit i. S. des § 9 AGB-Gesetz nicht entgegen (. . .).“; ebenso BGH NJW 1989, 582 (583). 239 Staudinger/M. Coester, § 310 Rn. 103. 240 LAG Düsseldorf DB 2005, 1463 (1466) = LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 7. 241 LAG Düsseldorf DB 2005, 1463 (1466) = LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 7; ebenso – unter dem Blickwinkel des § 3 AGBG – LAG Berlin, Urt. v. 18. 1. 1993 – 12 Sa 120/92, LAGE § 4 KSchG Ausgleichsquittung Nr. 3 = BetrR 1993, 77 (Rn. 79, juris); siehe auch Annuß, BB 2006, 1333 (1334). 242 Siehe auch Staudinger/Singer, § 119 Rn. 15: Es sei nicht ersichtlich, inwiefern arbeits-

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d) Der Überraschungseffekt bei ausländischen Adressaten aa) Die Nichtberücksichtigung individueller Sprachdefizite Das Verständnis von AGB in deutscher Sprache kann für fremdmuttersprachliche Ausländer mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein. Gleichwohl sind fehlende oder unzureichende Sprachkenntnisse für sich genommen kein Grund für eine Bevorzugung ausländischer Vertragspartner. Sie dürfen aber umgekehrt auch nicht zu einer Verschlechterung im Vergleich mit inländischen Kunden führen.243 Die Gleichstellung ausländischer und inländischer Kunden ergibt sich aus dem konkret-generellen Interpretationsmaßstab des AGBRechts. Daraus folgt für die Sprachenfrage, daß das individuelle sprachliche Unvermögen des konkreten Kunden im Rahmen des § 305c Abs. 1 BGB keine Beachtung findet. Mit der Ermittlung der Verhandlungs- und Vertragssprache ist die Frage, ob einzelne Klauseln überraschend i. S. des § 305c Abs. 1 BGB sind, somit nicht beantwortet. 244 Für die Praxis folgt daraus, daß die Verwendung deutschsprachiger AGB gegenüber nicht oder nicht hinreichend sprachkundigen Ausländern in aller Regel und entgegen vereinzelten Stimmen im Schrifttum 245 für sich genommen noch keinen Verstoß gegen § 305c Abs. 1 BGB begründet.246 Auch auf das subjektive Merkmal einer besonderen Ausnutzung der Unerfahrenheit des Arbeitnehmers, auf die das BAG früher abstellte, 247 kommt es im Rahmen des § 305c Abs. 1 BGB nicht an.248 Daß ausländische Verbraucher gleichwohl vor überraschenden Klauseln geschützt werden, auch wenn man ihre individuelle Sprachunkenntnis

rechtliche Besonderheiten den einseitigen Verzicht auf bestehende Rechte ohne kompensatorische Gegenleistung rechtfertigen könnten. 243 OLG Nürnberg NJW 1991, 232 (235). 244 OLG Nürnberg NJW 1991, 232 (235); OLG Hamm WM 1985, 1221 (1222). 245 Siehe Schlechtriem, FS Weitnauer, S. 129 (142), der die Sprachunkundigkeit zu den „individuellen Sonderumständen“ rechnet, welcher eine Überraschung und Überrumpelung des Kunden begründen könne. Prämisse dieser Aussage ist die heute überholte Vorstellung, daß es nicht auf die objektive Ungewöhnlichkeit, sondern die Abweichung des Klauselinhalts von den „subjektiven Vorstellungen und Erwartungen des Vertragspartners“ (a.a.O., S. 141), dem „Kenntnis- und Erfahrungshorizont des Kunden“ (a.a.O., S. 142) ankomme. 246 Ebenso Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 19: „Die Verwendung deutschsprachiger AGB gegenüber sprachunkundigen Ausländern als Kunden kann zwar ein Einbeziehungshindernis nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 begründen (. . .), nicht aber – ohne Vorliegen zusätzlicher Umstände – dem Klauselinhalt ganz oder teilweise einen ungewöhnlichen oder überraschenden Charakter geben.“ 247 BAG EzA § 611 BGB Inhaltskontrolle Nr. 8. Nach damaliger Auffassung des BAG verstieß der Arbeitgeber gegen § 242 BGB, wenn er die Unerfahrenheit seines Vertragspartners dadurch auszunutzen trachtete, daß er ihm durch Verwendung eines vorformulierten Regelwerks eine Vertragsklausel unterschob, mit der dieser aufgrund der Umstände des Falles nicht rechnen konnte und auf die er auch nicht durch die Gestaltung der Vertragsurkunde aufmerksam werden mußte. 248 Löwisch, FS Canaris, Bd. I, S. 1403 (1407).

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bei der erweiterten Einbeziehungskontrolle gemäß § 305c Abs. 1 BGB unbeachtet läßt, verdeutlicht das folgende Beispiel: 249 Die mit einem Deutschen verheiratete, in Deutschland lebende brasilianische Staatsangehörige, die einen brasilianisch-deutschen Doppelnamen trug, hatte für eine Reise zu ihren Verwandten in Brasilien über ein Reisebüro eine Reisekrankenversicherung bei einem deutschen Versicherungsunternehmen abgeschlossen. Sie hatte im Zusammenhang mit der Buchung der Reise und dem Abschluß des Reisekrankenversicherungsvertrags im Reisebüro Angaben über ihre Reiseabsichten gemacht. Gemäß einer Klausel in den Versicherungsbedingungen fiel der Aufenthalt in dem Zielland nicht unter den Versicherungsschutz, wenn der Reisende Staatsbürger dieses Landes war. Die Versicherungsnehmerin machte gerichtlich Krankheitskosten geltend, die während ihres Aufenthalts in Brasilien entstanden waren. Der Versicherer lehnte die Regulierung unter Berufung auf die Ausschlußklausel ab. Das zuständige Gericht hielt diese Klausel zutreffend für überraschend mit der Folge, daß sie in den konkreten Reiseversicherungsvertrag nicht wirksam einbezogen worden war. Die betroffene Brasilianerin habe mit einer völligen oder zumindest weitgehenden Aushöhlung des Krankenversicherungsschutzes nicht rechnen müssen. Die persönlichen Umstände der Klägerin seien dem beklagten Versicherungsunternehmen durch das es vertretende Reisebüro evident gewesen. Das Reiseziel sei in dem Antrag zum Abschluß des Krankenversicherungsvertrags eingetragen worden, desgleichen der brasilianische Name der zu versichernden Person. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, die Klägerin habe ebensogut deutsche Staatsangehörige sein können, da sie einen zweiten deutschen Nachnamen getragen habe. Angesichts der genannten Umstände, namentlich der Angabe des Reisezweckes – dem Verwandtenbesuch in der Heimat –, hätte sich der Reisebüroangestellten aufdrängen müssen, nach der Staatsangehörigkeit der zu versichernden Person zu fragen und den formularmäßig umschriebenen Versicherungsumfang zu erläutern.

Da bei der Subsumtion unter § 305c Abs. 1 BGB bei grundsätzlicher Ausrichtung am „Durchschnittskunden“ die Berücksichtigung der konkreten Situation Beachtung findet, also eine konkret-generelle Beurteilung erfolgt, werden Schutzlücken, die auf sprachenbedingten Verständnisschwierigkeiten individueller Kunden im Einzelfall beruhen, im Ergebnis weitgehend geschlossen. bb) Die Risikoerklärung: Selbstverantwortung versus Überraschungsschutz Nicht entscheidend für die Anwendung von § 305c Abs. 1 BGB ist, ob und wie genau der Gegner des Verwenders die AGB gelesen hat. Die Rechtsprechung begründet dies zutreffend damit, daß überraschende Klauseln unter anderem gerade deshalb der Wirksamkeit entbehren, „weil sie sich der sofortigen Erfassung ihrer Tragweite und Auswirkung durch einen durchschnittlich aufmerksamen, rechtlich nicht gebildeten Leser selbst dann entziehen, wenn er den Text der Urkunde überfliegt, bevor er diese unterschreibt“.250 Dies entfaltet Rück249

Nach LG Berlin NJW-RR 1989, 990 (zu § 3 AGBG). OLG Nürnberg NJW 1991, 232 (235); siehe auch BGH NJW 1978, 1519 (1520) = BB 1978, 929; BGH NJW 1982, 1035 (1036); Erman/Roloff, § 305c Rn. 12. 250

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wirkungen auf jene „Risikoerklärungen“, die von ausländischen Kunden abgegeben werden. Hat ein Ausländer die Unterschrift unter den Vertrag nebst Vertragsbedingungen geleistet, obwohl es am Verständnis der einzelnen Bedingungen fehlte, muß er sich nach dem Prinzip der Selbstverantwortung an der Erklärung zunächst, d. h. vorbehaltlich etwaiger Anfechtungsmöglichkeiten, festhalten lassen.251 Er hat eine Risikoerklärung abgegeben, mit der er zugleich die – sprachenbedingte – Nichtkenntnis des Vertragsinhalts bewußt in Kauf genommen hat. 252 Das AGB-Recht, namentlich die §§ 305c Abs. 1, 307 Abs. 1 BGB, mildern diese für den ausländischen Kunden nachteiligen Folgen ab, indem sie unabhängig von dem Intensitätsgrad der Lektüre und dem Maß an individuellem Textverständnis durch Ausschaltung überraschender und unangemessener Klauseln auch zu seinen Gunsten eingreifen.253 Hat der ausländische Vertragspartner über den Vertragsinhalt im übrigen geirrt, ist er allerdings auf die Irrtumsanfechtung gemäß § 119 BGB verwiesen.254 cc) Gruppen von Ausländern als homogene Kundenkreise Von der Nichtberücksichtigung individueller sprachenbedingter Mängel zu trennen sind diejenigen Fälle, bei denen der Verwender seine AGB gegenüber einer homogenen Gruppe von fremdmuttersprachlichen Ausländern einsetzt und dieser Kundenkreis den maßgeblichen Durchschnittskunden bildet. Im Rahmen einer konkret-generellen Interpretation kann ein „kollektives Sprachrisiko“, das auf geringen Kenntnissen der deutschen Sprache beruht, grundsätzlich Beachtung finden.255 Beispiel: Man unterstelle, der Verwender habe sich mit einer Werbung gezielt an Ausländer gewendet, die eine homogene Gruppe bilden. Um von § 305c Abs. 1 BGB erfaßt zu sein, müßten die AGB – abgesehen von der rein objektiv zu bestimmenden Ungewöhnlichkeit – einen Inhalt haben, den jedenfalls diese homogene Gruppe von Ausländern nicht erwartet und mit der sie auch nicht zu rechnen braucht, z. B. weil derartige Regelungen in 251

Vgl. LAG Niedersachsen NZA-RR 2005, 401, 2. Leitsatz. Siehe z. B. OLG München RIW/AWD 1976, 447: Unterzeichnung eines in deutscher Sprache abgefaßten, aus 13 Punkten bestehenden Kreditantragsformulars durch einen der deutschen Sprache nicht mächtigen griechischen Staatsbürger. 253 Siehe dazu als Beispiel den Fall OLG Hamm WM 1985, 1221 zur Bürgschaftserklärung eines Jugoslawen mit geringen Deutschkenntnissen zugunsten eines Landsmanns. Das OLG führte dazu aus: „Es ist glaubhaft, daß der Beklagte die Urkunde ungelesen unterschrieben hat; er war schon aufgrund seiner sehr begrenzten Deutschkenntnisse kaum in der Lage, den Sinn des Formulartextes zu erfassen.“ (a.a.O., S. 1222). Damit sei aber die Frage nicht beantwortet, ob eine einzelne Vertragsklausel „überraschend“ i. S. des § 3 AGBG war. In dem konkreten Fall war das zu bejahen, da der Bürge nicht mit der Möglichkeit rechnen mußte, daß die für einen bestimmten Kredit gewährte Bürgschaft auch zur Absicherung anderer Forderungen bestellt werden sollte. 254 Zur Anfechtung siehe schon oben § 7 V. und unten E. II. 3. 255 Zu Geschäften mit sog. Aussiedlern siehe Meier/Wehlau, VuR 1991, 141 ff. 252

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ihrem Heimatland nicht existieren oder weil sie rechtlich untersagt sind. Eine praktisch naheliegende Fallkonstellation wäre die gezielte Bewerbung und der Abschluß von KfzHaftpflichtversicherungsverträgen gegenüber bzw. mit Ausländern. Dafür gibt es mit den sog. „Türken-Fällen“ praktische Fälle. Dort lag es allerdings so, daß die Werbung nicht gezielt gegenüber in Deutschland wohnenden türkischen Staatsbürgern erfolgt war, mit der Folge, daß diese Gruppe nicht den für die rechtliche Beurteilung relevanten Durchschnittskunden ausmachte. Nimmt man diese Voraussetzung als gegeben an, kann § 305c Abs. 1 BGB einschlägig sein. Stellt man etwa die Frage, ob ein türkischer Staatsbürger im Fall eines Besuchs des türkischen Teils der Insel Zypern mit dem eigenen Pkw trotz Innehabung der Grünen Versicherungskarte damit rechnen muß, nicht haftpflichtersichert zu sein, so kann man das – angesichts des allgemein verbreiteten und also „objektiv“ gegebenen Wissens um die politische Zugehörigkeit des Nordteils der Insel zur Türkei – wohl verneinen. Folglich wäre die betreffende Enthaftungsklausel des Versicherers als „objektiv überraschend“ zu qualifizieren. Zur Beurteilung der zweiten Voraussetzung, des Überrumpelungseffekts gegenüber dem Kunden, wäre auf einen in Deutschland lebenden Türken als Durchschnittskunden abzustellen. Ein solchermaßen gebildeter Durchschnittskunde müßte wohl nicht mit einer Haftungslücke des Versicherers rechnen. Anderslautende AGB-Bestimmungen im Haftpfl ichtversicherungsvertrag wären demnach nicht wirksam in den Versicherungsvertrag einbezogen worden. Das aus dem sprachenbedingten Verständnisdefizit des so gebildeten Durchschnittskunden folgende Rechtsrisiko trägt dann der Verwender.

e) Der Überraschungseffekt bei unternehmerischen Kunden aa) Handelt es sich bei den Kunden des Verwenders um Unternehmer, wird allgemein davon ausgegangen, daß an deren Geschäftserfahrung gesteigerte Anforderungen gestellt werden können, so daß der überraschende Charakter einer Klausel weniger leicht zu bejahen ist als bei Verbrauchern. 256 Dem ist für den „Normalfall“ des Vertragsschlusses mit inländischen Unternehmern zuzustimmen. bb) Fraglich ist allerdings die Erstreckung dieser Maxime auf Verträge mit Unternehmern mit Sitz im Ausland unter Geltung des deutschen Rechts. Gegen eine vollständige Gleichsetzung inländischer und ausländischer Unternehmer als Adressaten von AGB spricht die Möglichkeit der Berufung auf das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. der gewerblichen Niederlassung gemäß Art. 31 Abs. 2 EGBGB. Die Berufung auf diese Vorschrift kann wie gezeigt dazu führen, daß der handelsrechtliche Grundsatz, 257 daß das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben als Zustimmung gilt, in dem konkreten Vertragsverhältnis nicht zur Anwendung kommt, weil der Empfänger nach seinem 256

BGH NJW 1990, 576 (577); OLG Nürnberg NJW 1991, 232 (233); OLG Oldenburg NJW-RR 1987, 1003 (1005); Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 54; Erman/Roloff, § 305c Rn. 5. 257 Die Vorschrift gilt darüber hinausgehend auch für die Fälle, daß das ausländische Privatrecht als Vertragsstatut neben Kaufleuten auch Privatpersonen an ihr Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben bindet; siehe OLG Schleswig IPRspr. 1989 Nr. 48, S. 103 f. (Schweigen eines deutschen Kunden gegenüber dänischer Werft); Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 218.

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Heimatrecht mit einer solchen Wirkung nicht rechnen mußte.258 Um die Frage der Überraschung des ausländischen unternehmerischen Kunden durch AGB beurteilen zu können, ist deren mögliche inhaltliche Abweichung vom Heimatrecht des Adressaten in den Blick zu nehmen. Allerdings bleibt es bei einer konkret-generellen Betrachtungsweise. 259 § 305c Abs. 1 BGB wird auch diesen Fällen nicht konkret-individuell interpretiert, da ein „Sonderrecht für Ausländer“ nicht begründet werden kann. Das ist auch nicht unangemessen, denn der individuelle unternehmerische Kunde aus dem Ausland wird ja bereits durch Art. 31 Abs. 2 EGBGB geschützt, soweit dies die Frage der Vertragsperfektion betrifft. 260 Das hat zur Konsequenz, daß – wie bei ausländischen Verbrauchern – überhaupt nur ein gruppenspezifisches, kollektives Sprach- und Rechtsrisiko beachtlich sein kann. Richtet der Verwender seine AGB gezielt an eine homogene Gruppe ausländischer Unternehmer, d. h. an Kunden mit demselben (fremd)sprachlichen und rechtlichen Hintergrund, kann der Fall eintreten, daß mit Blick auf die Praxis in der Heimat der angesprochenen Kundenkreise 261 ein Überraschungseffekt eintritt, indem die AGB hiervon abweichen. Allerdings sollte auch bei ausländischen Unternehmern unterstellt werden dürfen, daß sie anders als Durchschnittsverbraucher über ein erhebliches Maß an Geschäftserfahrung verfügen. Die Schwelle für die Frage, wann ein Unternehmer aus dem Ausland mit einer bestimmten Regelung nicht rechnen mußte, liegt bei einer differentialdiagnostischen Betrachtung sicherlich höher als bei ausländischen Durchschnittsverbrauchern. Wenn allerdings die betreffenden AGB aus umfangreichen und komplexen Klauselwerken bestehen, ist der Eintritt eines Überraschungseffekts i. S. des § 305 Abs. 1 BGB auch bei ausländischen Unternehmern nicht ausgeschlossen. cc) Entsprechendes gilt für den Überraschungseffekt bei kaufmännischen Bestätigungsschreiben. Ungeachtet ihrer Funktion, lediglich das zwischen den Parteien Vereinbarte zu fixieren und dadurch möglichen Irrtümern und Mißverständnissen zu begegnen, kann § 305c Abs. 1 BGB grundsätzlich in bezug auf überraschende Nebenabreden zum Zuge kommen. 262 Dies betrifft zunächst ganz allgemein die Fälle einer erheblichen Abweichung vom Verhandlungsergebnis oder dem dispositiven Gesetzesrecht, bei der der Absender nicht mit dem Einverständnis des Adressaten rechnen darf und dies zur Folge hat, daß das 258 Siehe oben § 3 A. II. 4. c; siehe ferner OLG Karlsruhe NJW-RR 1993, 567 (568 f.); Reithmann/Martiny, Int. VertragsR, Rn. 218, 229; Reithmann/Martiny/Hausmann, a.a.O., Rn. 3132; vgl. auch LG Zweibrücken NJW 1974, 1060. 259 BGHZ 130, 150 (154) = NJW 1995, 2637; BGHZ 106, 42 (49) = NJW 1989, 222; BGHZ 102, 152 (159) = NJW 1988, 558; BGH NJW 1981, 117. 260 Deshalb werden AGB, die ein deutscher Verkäufer einem englischen Käufer nach Vertragsschluß in der diesem nicht verständlichen deutschen Sprache zuleitet, nicht Vertragsinhalt, siehe OLG Hamburg NJW 1980, 1232. 261 Dies betrifft sowohl Handelsbräuche als auch das nationale Recht. 262 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 55.

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Bestätigungsschreiben rechtlich insgesamt ohne Wirkung bleibt.263 Bezieht sich die Abweichung nur auf einzelne überraschende Klauseln, ist das Bestätigungsschreiben hingegen gültig und die AGB sind wirksam in den Vertrag einbezogen worden, allerdings ohne die aus Sicht des Empfängers überraschende Klausel.264 Wenn ein ausländischer Unternehmer vor dem Hintergrund der Gewöhnung an die heimatlichen Gepflogenheiten des Handels und das heimische Recht einzelne Klauseln der AGB des Verwenders – trotz eines bestehenden Konsenses über die essentialia negotii und die wichtigsten Nebenabreden – als überraschend empfindet, ist § 305 Abs. 1 BGB in konkret-genereller Interpretation einschlägig und die betreffende überraschende Klausel wird nicht Vertragsbestandteil, sofern der ausländische Unternehmer als „typischer Durchschnittskunde“ i. S. der Rechtsprechung und nicht nur als Zufallskunde qualifiziert werden kann.

D. Die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen I. Überblick Für die Auslegung von AGB gelten besondere Regeln, die dem Umstand Rechnung tragen, daß es sich dabei um Vertragsbedingungen handelt, die nicht – wie Individualverträge – auf ein konkretes Rechtsverhältnis zu einem einzelnen Kunden zugeschnitten sind, sondern auf eine Vielzahl künftiger Abschlüsse mit einem mehr oder weniger großen Kundenkreis, die gleichförmig geregelt werden sollen. 265 Zu den besonderen, nur für AGB geltenden Auslegungsregeln gehören der Grundsatz der objektiven Auslegung, der Grundsatz der restriktiven Auslegung und die Auslegung zu Ungunsten des Verwenders in Zweifelsfällen, die sog. Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. II. Der Grundsatz der objektiven Auslegung 1. Einführung Die Rechtsprechung in Deutschland praktiziert seit jeher eine überindividuelle, generalisierende Auslegung von AGB.266 Deren Sinngehalt ist „nach objektiven 263 RGZ 7, 48 (51); BGHZ 7, 187 (190) = NJW 1952, 1369; BGHZ 11, 1 (4) = NJW 1954, 105; BGHZ 40, 42 (44) = NJW 1963, 1922; BGHZ 61, 282 (286 f.) = NJW 1973, 2106; BGHZ 93, 338 (343) = NJW 1985, 1333; BGH NJW 1987, 1940 (1942); BGHZ 101, 357 (365) = NJW 1988, 55; BGH NJW 1994, 1288; Canaris, Handelsrecht, § 23 Rn. 25; K. Schmidt, Handelsrecht, § 19 III 5 b (S. 581); Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 56. 264 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 56. 265 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 18. 266 BGHZ 22, 109 (113) = NJW 1956, 1915; BGHZ 33, 216 (218) = NJW 1961, 115; BGHZ 49, 84 (88) = NJW 1968, 149; BGHZ 77, 116 (118) = NJW 1980, 1947; BGHZ 105, 24 (31) =

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Maßstäben, losgelöst von der zufälligen Gestaltung des Einzelfalles und den individuellen Vorstellungen der Vertragsparteien, unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise“267 zu ermitteln. Da der Interpretation von AGB ein „überindividueller Prüfungsmaßstab“ und eine „typisierende Betrachtungsweise“ zugrunde liegen, kommt es auf die „speziellen Umstände des Einzelfalls“ nicht an. 268 Auch nach der Literatur, die der von der Rechtsprechung vorgegebenen Linie grundsätzlich folgt, 269 hat die Auslegung von AGB unter Berücksichtigung der Verhältnisse zu erfolgen, wie sie bei den Verwendern der streitigen AGB und dem von ihnen angesprochenen Kundenkreis typischerweise gegeben sind. Auszugehen ist danach von den durchschnittlichen Interessen, Vorstellungen und Verständnismöglichkeiten redlicher (gedachter) Vertragsparteien, die ihrem Geschäftsverkehr eine allgemeine Grundlage geben wollen. Es kommt darauf an, welchen Inhalt die Klausel hat, wenn man sie als allgemeine Lösung des in ihr behandelten, typischen, stets wiederkehrenden Interessengegensatzes würdigt. 270 Die individuellen Verständnismöglichkeiten des konkreten Vertragspartners sind unerheblich. 271 Durch eine grundsätzlich einheitliche, objektive Auslegung wird einerseits dem Massencharakter der unter Verwendung von AGB geschlossenen Verträge – d. h. dem Rationalisierungszweck von AGB – 272 und andererseits dem Umstand Rechnung getragen, daß die Kunden auf den Inhalt der Geschäftsbedingungen keinen Einfluß nehmen können. 273 2. Verwendung gegenüber Verbrauchern a) Soweit es die Verwendung von AGB im Verhältnis zu Verbrauchern betrifft, ist im Rahmen der Auslegung das Transparenzgebot des Art. 5 S. 1 der RichtliNJW 1988, 2536; BGHZ 110, 241 (244) = NJW 1990, 1601; BGH NJW 1996, 2155 (2156); dem folgt überwiegend auch das Schrifttum, siehe Dreher, AcP 189 (1989), 342 (360 f., 384 [These 5]); MüKo BGB/Spellenberg, Vor Art. 11 EGBGB Rn. 111; MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 26; Palandt/Heinrichs, § 307 Rn. 4; Maidl, Ausländische AGB, S. 135. 267 BGHZ 22, 109 (113) = NJW 1956, 1915 m. w. N. 268 BGH NJW 1996, 2155 (2156), zu § 9 AGBG. 269 Vgl. nur Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 80 f.: Der Rechtsprechung sei zuzustimmen, soweit sie die objektive, vom Wortlaut ausgehende Auslegung vorformulierter Vertragsteile betone und für deren Verständnis auf den Horizont der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise abstelle. Zweifeln begegne sie nur insoweit, als sie durch Berücksichtigung von Sinn und Zweck der auszulegenden Regelung sowie deren systematischer Stellung die Möglichkeit eröffne, eine nach ihrem Wortlaut unklare oder unangemessene Regelung entgegen §§ 305c Abs. 2, 307 bis 309 BGB mit dem vom Verwender gewollten, aber nicht deutlich zum Ausdruck gebrachten Gehalt aufrechtzuerhalten. Dem stehe das dem Kundenschutz dienenden Transparenzgebot entgegen. 270 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 22. 271 Erman/Roloff, § 305c Rn. 21. 272 Maidl, Ausländische AGB, S. 135 mit Hinweis auf RGZ 170, 233 (240 f.) und RGZ 171, 43 (48). 273 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 75.

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nie 93/13/EWG zu beachten, vgl. auch § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Es kommt dabei auf die Klarheit und Verständlichkeit der gewählten Formulierungen an, denn mit dem Begriff der „Sprache“ ist die Klarheit des Ausdrucks und nicht etwa die Verwendung einer bestimmten Sprache gemeint. 274 Man kann insbesondere aus der Beachtlichkeit des Transparenzgebots nicht ableiten, daß die Sprache des Verbreitungsgebiets der AGB Verwendung finden müsse. Wegen des Klarheitsund Verständlichkeitserfordernisses hat für Auslegung von AGB vor allem deren Wortlaut ein besonderes Gewicht.275 Die historische und die systematische Interpretation spielen demgegenüber aus Sicht des Durchschnittskunden, eines juristischen Laien, keine Rolle. 276 Insofern bestehen somit wesentliche Unterschiede zu der objektiven Auslegung von Gesetzen. b) Die objektive Auslegung zielt auf die Ermittlung des typischen Sinngehalts ab; alles Zufällige des einzelnen Streitfalles ist nach dem Grundsatz der objektiven Auslegung von AGB unbeachtlich. 277 Wenn sich die AGB des Verwenders an Verbraucher richten, ist Bezugspunkt der objektiven Auslegung das Verständnis eines „Durchschnittskunden“,278 d. h. eines juristischen Laien.279 Von der Zulässigkeit der Berücksichtigung voneinander abweichender Vorstellungen verschiedener Verkehrskreise kann nicht darauf geschlossen werden, daß auch rein individuelle Verständnisunterschiede Beachtung verdienten.280 Eine Rücksichtnahme auf individuelle „Defektlagen“ einer Partei – unter Einschluß sprachenbedingter Verständnisschwierigkeiten – ist danach ausgeschlossen. 281 274

Siehe dazu schon ausführlich oben § 2 B. II. 2 d. MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 29; Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 80; siehe BGH NJW 2002, 441: „Zu Recht orientiert sich das BerGer. in erster Linie an dem Wortlaut der Klausel und dem diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen (. . .).“; BGHZ 121, 14 (16) = NJW 1993, 721. 276 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 30 mit Beispielen aus der Rechtsprechung. 277 RGZ 81, 117 (118 f.); RGZ 149, 96 (100); RGZ 155, 26 (28); BGHZ 7, 365 (368) = NJW 1953, 21; BGHZ 17, 1 (3) = NJW 1955, 1145; BGHZ 33, 216 (218) = NJW 1961, 212; BGHZ 77, 116 (118 f.) = NJW 1980, 1947; BGHZ 112, 115 (119) = NJW 1990, 2383. 278 Siehe dazu insbesondere BGHZ 112, 115 (119) = NJW 1990, 2383: „Das Transparenzgebot darf den AGB-Verwender nicht überfordern (. . .). Der Senat verkennt nicht, daß es in bestimmten Rechtsbereichen außerordentliche oder sogar unüberwindbare Schwierigkeiten bereiten kann, alle Auswirkungen einer Regelung für den Durchschnittskunden verständlich darzustellen. Das Transparenzgebot will den Verwender nicht zwingen, jede AGB-Regelung gleichsam mit einem umfassenden Kommentar zu versehen. Er soll aber verpfl ichtet sein, bei der Formulierung von vornherein auf die Verständnismöglichkeiten des Durchschnittskunden Rücksicht zu nehmen und, wenn das ohne unangemessene Ausweitung des Textumfangs möglich ist, zwischen mehreren möglichen Klauselfassungen diejenige zu wählen, bei der die kundenbelastende Wirkung einer Regelung nicht unterdrückt, sondern deutlich gemacht wird.“ 279 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 24. 280 BGH NJW 1960, 1661; Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 83. 281 So schon Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 237: Bei Massenverträgen könne der Kunde die Berücksichtigung seiner besonderen Lage nicht schlechthin erwarten. Zur rechtspolitischen Diskussion der 1970er Jahre über die Berücksichtigung der wirtschaftlichen, sozialen oder intellektuellen Unterlegenheit des Kunden vgl. MüKo BGB/Basedow, § 305 Rn. 4 m. w. N. 275

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Berücksichtigungsfähig sind lediglich die Verhältnisse einzelner Kundengruppen, soweit sie durch bestimmte AGB angesprochen werden. 282 Abweichende Vorstellungen der konkreten Parteien im Einzelfall sind allerdings in Form von Individualabreden zulässig. 283 Bei Vorliegen eines übereinstimmenden, der objektiven Auslegung widerstreitenden Verständnisses des Verwenders und des Kunden greift daher insoweit auch bei AGB der Rechtsgedanke falsa demonstratio non nocet ein.284 Das Verständnis der Parteien ist dann wie eine Individualvereinbarung zu behandeln, die gemäß § 305b BGB Vorrang hat.285 3. Verwendung gegenüber Unternehmern Im unternehmerischen Geschäftsverkehr findet der Grundsatz der objektiven Auslegung ebenfalls Anwendung, wenn gemäß den Bestimmungen des Internationalen Privatrechts das deutsche Recht einschlägig ist. Dies gilt auch bei internationalen Geschäften. Das legitime Ziel, möglichst zu einem international einheitlichen Klauselverständnis zu gelangen, erfordert dabei nicht die Aufgabe des „nationalen“ Grundsatzes der objektiven Auslegung zugunsten eines – letztlich fiktiven – „internationalen Verständnisses“ gemäß einer postulierten lex mercatoria. 286 Vielmehr ist auch im internationalen Geschäftsverkehr das Klauselverständnis der beteiligten unternehmerischen Verkehrskreise entscheidend, die mittels des „nationalen“ Grundsatzes der objektiven Auslegung zur Geltung gebracht werden. 287 4. Fachsprachengebrauch und allgemeiner Sprachgebrauch a) Grundsätzlich ist bei der Auslegung von AGB die Begriffsbedeutung des allgemeinen Sprachgebrauchs maßgeblich. 288 In Falle der Verwendung von juristischen Fachbegriffen ist im Ausgangspunkt dasjenige Verständnis zugrundezulegen, das dem jeweiligen Begriff nach dem Gesetz zukommt, vor allem bei erkennbarer Wiederholung des Gesetzeswortlauts. 289 Dies gilt aber nur dann, wenn der allgemeine Sprachgebrauch hiervon nicht abweicht, sofern sich die 282

MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 24; Maidl, Ausländische AGB, S. 135 f. Näher dazu Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 73, 84; Maidl, Ausländische AGB, S. 136. 284 BGH NJW 1983, 2638; BGH NJW 1986, 1807; BGH NJW-RR 1989, 947; BGHZ 113, 251 (259) = NJW 1991, 1604; BGH NJW 1995, 1494 (1496); BGH NJW 2002, 2102 (2103); MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 26; Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 85. 285 BGH NJW 2002, 2102 (2103). 286 Siehe dazu oben § 3 C. sowie Maidl, Ausländische AGB, S. 151 ff. 287 Maidl, Ausländische AGB, S. 153, 155. 288 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 25. 289 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 25; Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 83; vgl. auch Dreher, AcP 189 (1989), 342 (375 f.). Im Fall der Unverständlichkeit juristischer Fachbegriffe aus Sicht des Kunden wird dieser dadurch geschützt, daß die Einbeziehung der AGB an § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB scheitert, siehe Ulmer, ebd. 283

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AGB des Verwenders an die Allgemeinheit richten.290 Bei Konflikten zwischen dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem Fachsprachgebrauch genießt in diesem Fall also der erstere Vorrang. Anders liegt es, wenn die AGB sich vor allem an Fachleute richten, dann ist das fachsprachliche Verständnis vorrangig. 291 Für die Ansicht vom Vorrang des allgemeinen Sprachgebrauchs spricht, daß die Rechtsprechung sogar bezüglich einzelner, im Gesetz verankerter Rechtsbegriffe wie z. B. „Wandelung“ und „Minderung“ im früheren Kaufrecht festgestellt hat, daß sie „dem nicht am kaufmännischen Rechtsverkehr teilnehmenden Käufer (. . .) weithin unbekannt sind“. 292 Ferner hat sie entschieden, daß von einem durchschnittlichen Vertragshändler als juristischem Laien ohne nähere Erläuterung auch bei aufmerksamer und sorgfältiger Lektüre des Vertrags nicht erwartet werden könne, daß er wisse, was mit „Kardinalpflichten“ gemeint ist.293 Den Begriff der „Bewußtseinsstörung“ hat sie entsprechend dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ausgelegt. 294 Gemäß dieser Rechtsprechung hat die rechtstechnische Bedeutung im Konfliktfall gegenüber einer unrichtigen allgemeinen Bedeutungsvorstellung ausnahmsweise nur dann Vorrang, wenn diese Bedeutung auch gesetzlich (oder kollektivrechtlich, z. B. in einem Tarifvertrag) verankert ist. b) Die Rechtsprechung dehnt den Vorrang der Alltagsbedeutung zum Teil sehr weit aus. Das ist zumindest dann problematisch, wenn echte Funktionsbegriffe des Gesetzes alltagssprachlich „umgedeutet“ werden (Beispiel: die gängige Verwechslung von Eigentum und Besitz durch rechtliche Laien). Insoweit fehlt es auch nicht an den erforderlichen Klarstellungen durch die Rechtsprechung. 295

290 Erman/Roloff, § 305c Rn. 25: Der dem Fachausdruck nach allgemeinem Sprachgebrauch zukommende Sinn sei bei einer abweichenden juristisch-technischen Bedeutung gegenüber dem rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden maßgebend; so im Ergebnis auch Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 83; Neuner, JuS 2007, 881 (882); a. A. (Vorrang des juristisch-technischen Sprachgebrauchs) Dreher, AcP 189 (1989), 342 (369 ff., 384 [These 6]). 291 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 25; Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 83. 292 BGH NJW 1982, 331 (333); BGH NJW 1982, 2380. 293 BGHZ 164, 11 = NJW-RR 2005, 1496; siehe auch Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 442 (Unwirksamkeit wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot). 294 BGH VersR 2000, 1090. 295 Zur Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen siehe BGH NJW 2003, 826: „Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an (. . .). Verbindet allerdings die Rechtssprache mit dem verwendeten Ausdruck einen fest umrissenen Begriff, ist anzunehmen, dass darunter auch die Versicherungsbedingungen nichts anderes verstehen wollen (. . .).“; siehe auch BGHZ 123, 83 (85) = NJW 1993, 2369; BGH NJW 2003, 139; BGH NJW 2000, 1194 = VersR 2000, 311.

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c) Jenseits dessen verdient die Ansicht vom Vorrang der Alltagsbedeutung aber Zustimmung. Sofern sich AGB an die Allgemeinheit richten, folgt eine Verpflichtung zur Verwendung einer laiengerechten Sprache nämlich bereits aus dem Transparenzgebot. 296 Beispiel: Das Wort „Ausgleichsquittung“ ist zwar ein Rechtsbegriff, aber kein Gesetzesbegriff. Fachleute – vor allem Arbeitnehmer und Arbeitsrechtler – wissen, was sich dahinter verbirgt, denn derartige Formularerklärungen sind für sie „üblich“. Für den juristisch nicht vorgebildeten Durchschnittsarbeitnehmer gilt das jedoch gerade nicht. Er wird gemäß dem allgemeinen Sprachgebrauch darin ein schriftliches Empfangsbekenntnis sehen, auch wenn er im Regelfall nicht wissen dürfte, daß der Begriff der „Quittung“ in § 368 S. 1 mit entsprechender Bedeutung legaldefiniert ist. Das macht auch nichts, weil der Begriff der „Quittung“ in der Alltagssprache keine andere Bedeutung zukommt. In dem Beispielsfall erscheint es gerechtfertigt, der allgemeinen Wortbedeutung den Vorrang einzuräumen. Die Rechtsprechung hat ebenso entschieden. 297

Für einen Vorrang des Alltagssprachgebrauchs spricht insbesondere der Grundsatz der Transparenz. 298 Neuerdings will man dieser Erkenntnis in der Versicherungsbranche folgen und hat dies mit der Ankündigung verbunden, nun296 Siehe dazu noch unten E. I. 3.; vgl. ferner MüKo BGB/Wendehorst, § 312c Rn. 85, § 312e Rn. 79 zum Transparenzgebot im Bereich der Fernabsatzverträge. Das fernabsatzrechtliche Transparenzgebot kann aber über der AGB-rechtliche Transparenzgebot hinausgehen; siehe dazu Ott, WRP 2003, 945 (953); Schuhmacher, MDR 2002, 973 (976). 297 LAG Berlin, Urt. v. 18. 1. 1993 – 12 Sa 120/92, LAGE § 4 KSchG Ausgleichsquittung Nr. 3 = BetrR 1993, 77 (Rn. 75 f., juris): „Der allgemeine Sprachgebrauch verknüpft mit diesem Wort [d. i. Ausgleichsquittung] kaum einen Rechtsverzicht. In der deutschen Sprache liegt die wesentliche Bedeutung eines zusammengesetzten Wortes stets auf dem letzten Wortbestandteil, das die Gattung bestimmt, während der erste Wortbestandteil der Konkretisierung dient. Aus diesem Grunde wird auch eine ‚Ausgleichsquittung‘ vom nicht fachkundigen Arbeitnehmer in der Regel als ‚Quittung‘, allenfalls als besondere Form einer Quittung angesehen. Der Zusatz des Wortbestandteils ‚Ausgleich‘ mag ihm allenfalls als Bekräftigung oder als doppelte Umschreibung dessen erscheinen, was er zur Bestätigung unterschreiben soll. In diesem Sinne weist das Wort ‚Ausgleichsquittung‘ im allgemeinen Sprachgebrauch nur auf die Bestätigung des Ausgleichs einer Forderung (auf Herausgabe der Arbeitspapiere und Zahlung des Restlohnes) hin. In diesem Sinne hat das Wort ‚Ausgleichsquittung‘ in seinem herkömmlichen Sprachgebrauch – bezogen auf den in dem Formular enthaltenen Rechtsverzicht – eine durchaus verschleiernde Wirkung. Der vorstehenden Überlegung läßt sich auch nicht entgegenhalten, daß rechtstechnische Begriffe in Formularverträgen entsprechend ihrer juristischen Fachbedeutung auszulegen seien. Dieser – an sich zutreffende – Grundsatz kann dann nicht gelten, wenn diese Fachbedeutung weder gesetzlich bzw. tarifl ich vorgegeben ist noch mit dem allgemeinen Sprachgebrauch des mit solchen Formularen konfrontierten Personenkreises übereinstimmt. Da dem Arbeitnehmer als dem typischen Adressaten des einschlägigen Formulars die Bedeutung des Wortes ‚Ausgleichsquittung‘ typischerweise nicht geläufig ist, wird er durch die Überschrift des Formulars nicht ausreichend auf den im Text enthaltenen Rechtsverzicht hingewiesen, sondern in seiner Vorstellung bestärkt, er unterzeichne lediglich eine Quittung.“ 298 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Schwintowski, HAVE/REAS 2006, 218 ff. (Bericht über eine Studie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften über die Verständlichkeit von Allgemeinen Versicherungsbedingungen in den Jahren 2002 bis 2004).

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

mehr verstärkt die „Sprache der Kunden“ sprechen zu wollen, wobei technische Fachbegriffe im Vokabular zukünftig „verpönt“ sein sollen.299 Durch den Gebrauch einer leicht verständlichen, kundenorientierten Sprache erwartet der betreffende Versicherer eine Erhöhung der Bereitschaft der Kunden, sich mit Finanzthemen wie dem komplexen Thema der Altersvorsorge auseinanderzusetzen. Der neue Ansatz in der Frage der Transparenz führt zu einem Verzicht auf technische Begriffe wie „Kapitalabfindung“ oder „Beitragsdynamik“. 5. Der Grundsatz der objektiven Auslegung von AGB und das „Sprachrisiko“ a) AGB in deutscher Sprache Für die „Sprachrisiko“-Problematik hat der Grundsatz der objektiven Auslegung zur Konsequenz, daß bei in deutscher Sprache abgefaßten AGB „für Ausländer grundsätzlich der gleiche Sinn wie für Inländer“ gilt.300 Nach der Rechtsprechung kommt es nicht darauf an, wie ein Ausländer die Bedingungen versteht, sondern darauf, wie sie ein beliebiger, vernünftiger und verständiger Kunde verstehen darf.301 Fremdmuttersprachliche Kunden müssen sich die AGB also mit derselben Bedeutung entgegenhalten lassen, wie sie ihnen inländische Durchschnittskunden normalerweise beilegen. Sprachenbezogene individuelle Mißverständnisse lassen sich nicht durch eine am Einzelfall orientierte Auslegung von AGB bewältigen, weil einzelfallbezogene Erwägungen nach ständiger Rechtsprechung unbeachtlich sind.302 Zwar ist auch bei AGB eine falsa demonstratio möglich, also ein übereinstimmend abweichendes Verständnis des Klauselinhalts. Dogmatisch betrachtet handelt es sich dabei um eine zulässige vorrangige Individualabrede i. S. des § 305b BGB.

299 Siehe den anonymen Beitrag „Mehr Transparenz durch Sprache / Standard Life will die Sprache der Kunden sprechen“, in: ZVersWiss 2008, 73; siehe weiter Präve, ZfV 2003, 472 (474) mit der Forderung, auf Fremdworte und für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer sprachlich unverständliche Fachausdrücke zu verzichten, wobei allerdings der Einsatz von Fachterminologie nicht gänzlich zu vermeiden sein werde. Die Forderung nach einer für den „einfachen Mann“ verständlichen Ausdrucksweise des Versicherers ist nicht neu, siehe BGH VersR 1967, 1062 zu § 12 Abs. 3 VVG a. F.: Der Rechtsbelehrung müsse auch „der einfache Mann aus dem Volke“ ohne weiteres entnehmen können, daß er bei Versäumung der Klagefrist nicht nur sein Klagerecht verliere, sondern jeden Anspruch auf Versicherungsschutz einbüße; vgl. dazu auch Klingmüller, FS Sieg, S. 275; OLG Koblenz VersR 1975, 893 zu den Anforderungen an die Aufklärung eines türkischen Staatsbürgers, der nur gebrochen Deutsch sprach und lediglich einfache Ausdrücke verstand; vgl. ferner OLG Hamm VersR 1970, 315; OLG Köln VersR 1995, 1223 m. w. N.; OLG Nürnberg VersR 1995, 1224; Römer/Langheid, VVG, § 6 Rn. 67 und § 12 Rn. 76; Dreißigacker, Sprachenfreiheit, S. 83 ff.; gegenüber der Rechtsprechung abweichend Dehler, Zurechnung des Sprachrisikos, S. 305 f. und Schmalzl, VersR 1965, 651 f. 300 Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 237. 301 BGH NJW 1960, 1661; a. A. Brandner, AcP 162 (1963), 237 (258). 302 Siehe auch Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 77.

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b) Das Verhältnis von Original und Übersetzung aa) Nach Ansicht der Rechtsprechung ist der Verwender wie dargelegt nicht verpflichtet, seine Geschäftsbedingungen in eine dem Vertragspartner verständliche Sprache zu übersetzen oder solche Übersetzungen bereitzuhalten. Fraglich ist jedoch, was gilt, wenn der Verwender dem Gegner entgegenkommt und diesem eine Übersetzung in einer ihm verständlichen Sprache vorlegt. Für die Frage nach dem Verhältnis von Original und Übersetzung ist entscheidend, welche Fassung des Klauselwerks von den Parteien in den Vertrag einbezogen wurde.303 bb) Haben die Parteien in einer – aus der Perspektive des Verwenders – Fremdsprache verhandelt und wurden dem Gegner die AGB auch in dieser Sprache übergeben, spricht dies für eine Einbeziehung nur der übersetzten Fassung. Bei Widersprüchen zwischen der nicht einbezogenen Ursprungsfassung und der Übersetzung ist allein die Übersetzung verbindlich, wenn nur die Übersetzung Vertragsinhalt geworden ist.304 Es ist Sache des Verwenders, für die Voraussetzungen der Einbeziehung derjenigen Fassung der AGB zu sorgen, die er selbst als maßgeblich erachtet.305 Falls tatsächlich nur die Übersetzung in den Vertrag einbezogen wurde, kann der Verwender also nicht erfolgreich auf die deutsche Fassung als sein eigentliches „Original“ verweisen. Das „Sprachrisiko“ kehrt sich damit grundsätzlich um: Während es in den Fällen der wirksamen Einbeziehung nur der deutschen Fassung der ausländische Vertragspartner trägt, muß der Verwender bei Einbeziehung einer Übersetzung mögliche Abweichungen im Verständnis gegenüber der „Originalfassung“ hinnehmen.306 Allerdings ist hier wegen Art. 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB auch zu beachten, daß bei der Auslegung der AGB in der Übersetzung die Funktionsfähigkeit der auszulegenden Klausel gemäß dem deutschen Sachrecht gewahrt bleiben muß; 307 ein strikter Vorrang des Verständnisses des ausländischen Vertragspartners ist jedenfalls dann nicht angezeigt, wenn die Klausel ihre Funktion im Kontext des geltenden deutschen Rechts nicht erfüllen könnte. cc) In dem Fall, daß sowohl das Original als auch die Übersetzung der AGB in den Vertrag einbezogen wurden,308 stellt sich die Rechtslage im Grundsatz so dar wie bei der Auslegung von mehrsprachigen Verträgen, d. h. beide Texte kön303

Maidl, Ausländische AGB, S. 160. Maidl, Ausländische AGB, S. 161. 305 Maidl, ebd. (Fn. 929). 306 Siehe auch Maidl, ebd. (Fn. 929) mit einer konsequenten Ablehnung der Heranziehung der Originalfassung eines Klauselwerkes zur Auslegung der übersetzten fremdsprachlichen Fassung. 307 Wenn die Parteien ungeachtet der Disharmonie mit dem Sachrecht übereinstimmend das Verständnis des Heimatrechts der Klausel zugrundelegen, gilt dieses aber gleichwohl, vgl. dazu Maidl, Ausländische AGB, S. 165 f. 308 Siehe auch Maidl, Ausländische AGB, S. 162. 304

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nen und müssen zur Sinnermittlung herangezogen werden.309 Allerdings muß in diesem Fall die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB beachtet werden, so daß bei Widersprüchen zwischen den beiden Fassungen nicht zu Lasten des Kunden entschieden werden darf.310 Betrifft der Widerspruch einen Rechtsbegriff, der in dem Land seiner Herkunft eine feste Bedeutung hat und der durch die Übersetzung nicht exakt wiedergeben wird, ist nach den in § 6 formulierten Grundsätzen grundsätzlich der Bedeutung im Ursprungsland des Begriffs der Vorrang einzuräumen. Das kann aber nicht gelten, wenn diese Wortbedeutung zu Lasten des Kunden gehen würde; insoweit führt die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB also zu einer Abweichung von den herkömmlichen Auslegungsgrundsätzen. Ein Vorrang der Originalfassung läßt sich auch nicht mit dem Argument begründen, daß der deutsche Verwender zur Überlassung einer Übersetzung nicht verpflichtet gewesen sei, diese vielmehr einen besonderen Service für den Kunden darstelle. Wenn beide AGB-Fassungen in den Vertrag einbezogen wurden, muß sich der Verwender – auch – an der Übersetzung als verbindlich festhalten lassen.311 dd) Eine Unklarheit über die Bedeutung der Klausel liegt nicht vor, wenn die Wortbedeutung des Ursprungsrechtskreises von den beteiligten Verkehrskreisen übernommen wurde, wenn sich also ein typisches Verständnis der beteiligten Verkehrskreise herausgebildet hat. Gegebenenfalls legen die Beteiligten dabei einen Handelsbrauch zugrunde.312 Die Wortbedeutung im Ursprungsrechtskreis ist in solchen Konstellationen der „Ausgangspunkt der Sinnermittlung“313 , von dem aus nach Hinweisen für ein im Einzelfall abweichendes, vorrangiges Verständnis der Parteien bzw. der beteiligten Verkehrskreise zu suchen ist.314 Dies zugrundegelegt, sind die oben angesprochenen korrigierenden Wirkungen der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zumindest im unternehmerischen Geschäftsverkehr ziemlich begrenzt.

309

Maidl, ebd. (Fn. 933); zur Auslegung mehrsprachiger Verträge siehe oben § 6 D. III. Maidl, ebd. (Fn. 933). 311 Maidl, ebd. (Fn. 933): „Wenn zwei divergierende sprachliche Fassungen von AGB tatsächlich Vertragsinhalt werden, hat deshalb nach § 5 AGBG diejenige den Vorrang, die für den Vertragspartner günstiger ist. Das entspricht dem, was allgemein gilt, wenn sich widersprechende Klauselwerke Vertragsinhalt sind.“ 312 Siehe RGZ 39, 65 (68); OLG München IPRax 1989, 42 (43); LG Hamburg IPRax 1954/1955, 105 (107); Maidl, Ausländische AGB, S. 164 f. 313 Maidl, Ausländische AGB, S. 165. 314 Vgl. in diesem Zusammenhang auch den oben bei § 6 D. III. besprochenen Fall des BGH zur „indemnity clause“ durch deutsche Kaufleute, bei dem nach Ansicht des BGH bei der Auslegung des Vertrages nicht außer Betracht bleiben konnte, daß weder die Parteien noch der eingeschaltete Makler nähere Beziehungen zum angelsächsischen Rechtskreis hatte (BGH WM 1992, 612, 614 = VersR 1992, 595 = NJW-RR 1992, 423). 310

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III. Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB 1. Überblick Neben dem Grundsatz der objektiven Auslegung ist die sog. Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB eine wichtige Besonderheit des AGB-Rechts, die der Erläuterung bedarf. Gemäß dieser Bestimmung gehen Zweifel bei der Auslegung von AGB zu Lasten des Verwenders, d. h. daß in solchen Fällen der Verwender die Verantwortung für die Abfassung der AGB trägt, auf die der Kunde keinen Einfluß hatte.315 Eine entsprechende gemeinschaftsrechtliche Vorgabe findet sich in auch Art. 5 Satz 2 der Richtlinie 93/13/EWG für Verbraucherverträge: „Bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung.“ Gemäß Art. 5 Satz 3 der Richtlinie findet der Grundsatz der kundenfreundlichsten Auslegung jedoch keine Anwendung im abstrakten Kontrollverfahren nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie. a) Die Voraussetzungen des § 305c Abs. 2 BGB Die Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB setzt voraus, daß eine objektiv mehrdeutige, d. h. eine tatsächlich unklare Klausel vorliegt.316 Dies beurteilt sich nach einer objektiven, „vernünftigen“317 Auslegung der betreffenden Klausel aus der Sicht eines Durchschnittskunden bzw. jener der typischerweise beteiligten Verkehrskreise318 .319 Die objektive Auslegung der Klausel ist logisch vorrangig vor der Anwendung der Unklarheitenregel. Notwendig ist also, daß nach der Auslegung die Mehrdeutigkeit der Klausel weiter bestehen bleibt.320 § 305c Abs. 2 BGB gilt auch im Geschäftsverkehr mit Unternehmern. Dort können sich allerdings Besonderheiten aus der typischerweise größeren Geschäftserfahrung und den erhöhten Verständnismöglichkeiten unternehmerischer Kunden ergeben.321 b) Die Rechtsfolge Daß die Auslegung in Zweifelsfällen zu Lasten des Verwenders geht – so die Rechtsfolge des § 305c Abs. 2 BGB –, bedeutet nicht, daß die betreffende Klau315

Zur ratio legis der Unklarheitenregel vgl. auch MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 28. MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 29; Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 85. 317 Rein theoretische bzw. ganz abstrakte Auslegungszweifel bleiben außer Betracht, Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 86. 318 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 86. 319 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 29; näher dazu Erman/Roloff, § 305c Rn. 20 mit zutreffender Ablehnung von konkret-individuellen Merkmalen sowie der Lehre von der „individualvereinbarungskonformen Auslegung“. 320 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 85; Erman/Roloff, § 305c Rn. 27; Maidl, Ausländische AGB, S. 137 (Unklarheitenregel ist „eine subsidiäre Auslegungsregel“). 321 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 104; siehe auch Erman/Roloff, § 307 Rn. 35. 316

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sel zwangsläufig unwirksam sein muß.322 Die Vorschrift statuiert nämlich gerade nicht eine den §§ 307 ff. BGB vorgelagerte Inhaltskontrolle.323 Die Unklarheitenregel beinhaltet ferner nicht den Grundsatz, daß AGB eng auszulegen sind. Das sog. Restriktionsprinzip, das verbreitet vor Inkrafttreten des AGBGesetzes im Jahr 1976 vertreten wurde, lief in der Sache auf eine verdeckte Inhaltskontrolle324 hinaus.325 Eine solche Vorgehensweise wäre mit der Systematik der §§ 305 ff. BGB, die klar zwischen Auslegung und Inhaltskontrolle unterscheidet, offensichtlich unvereinbar.326 Der Grundsatz der engen Auslegung von AGB ist daher nicht mehr – auch nicht als Teilelement der Unklarheitenregel des § 305 Abs. 2 BGB – anzuwenden.327 2. Kundenfreundliche versus kundenfeindliche Auslegung a) Im Zusammenhang mit der Unklarheitenregel stellt sich weiter das Problem, ob die Auslegung kundenfreundlich oder kundenfeindlich erfolgen soll. Der früher, unter Geltung von § 5 AGBG, praktizierte Grundsatz der kundenfreundlichen Auslegung führte im Ergebnis bei Individualprozessen dazu, daß unklare Haftungsausschlüsse, Freizeichnungsklauseln usw. aufrecht erhalten blieben, obgleich sie bei restriktiver und damit kundenfeindlicher Auslegung wegen Verstoßes gegen die §§ 9 ff. AGBG unwirksam gewesen wären.328 Um dieses nicht überzeugende Ergebnis zu korrigieren, geht man in methodischer Hinsicht heute anders vor: Die fragliche mehrdeutige Klausel wird zunächst anhand der §§ 307 bis 309 BGB nach Maßgabe des Grundsatzes der kundenfeindlichen Auslegung geprüft. Nur wenn keine der möglichen Auslegungsal322

Richtig MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 33. Vgl. auch Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 87. – Ein Zusammenhang zwischen der Unklarheitenregel und der Inhaltskontrolle besteht aber insofern, als die Auslegung der Klausel unter Beachtung des Transparenzgebots des Art. 5 S. 1 der Richtlinie 93/13/EWG zu erfolgen hat, die fehlende Transparenz ihrerseits aber auch die Mißbräuchlichkeit nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB begründen kann, siehe MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 33. 324 Dies zeigt z. B. die in der Kommentarliteratur angeführte Entscheidung BGHZ 103, 72 (80) = NJW 1988, 1375, wo der Grundsatz der restriktiven Auslegung im Individualprozeß angewandt wurde, um sie vor der Unvereinbarkeit mit den § 3 AGBG zu „retten“: „Die Klausel verlangt aber eine einschränkende Auslegung in dem Sinne, daß jedenfalls keine Erklärungen gedeckt sind, welche die Sicherungsabrede erweitern; sonst wäre sie überraschend und daher gem. § 3 AGB-Gesetz nicht Vertragsbestandteil geworden (. . .).“ Zum Teil wurden Klauseln von den Gerichten auch eng interpretiert, um nicht ihre Unvereinbarkeit mit § 9 AGBG annehmen zu müssen, vgl. OLG Celle NJW 1987, 2823 f. mit der Feststellung, daß für eine „ausweitende Auslegung der Klausel (. . .) auch kein rechtliches Bedürfnis besteht“; siehe ferner BGH NJW-RR 2002, 1257 (1258) zu dem „allgemein anerkannten Grundsatz, dass in AGB niedergelegte Klauseln, die den Verwender von an sich bestehenden Vertragspfl ichten freizeichnen, eng auszulegen sind“. 325 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 100; MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 27. 326 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 100; MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 27. 327 H. M., so auch Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 101 a. E. 328 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 90; MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 35. 323

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ternativen der Inhaltskontrolle zum Opfer fällt, so daß mehrere wirksame Auslegungsoptionen zur Auswahl stehen, setzt sich die den Kunden am meisten begünstigende Variante durch.329 Dies gilt jedoch nur im Individualprozeß, im Verbandsprozeß erfolgt die Auslegung mehrdeutiger Klauseln allein nach der kundenfeindlichen Interpretationsmethode.330 b) Für die neuere Methode spricht, daß sie im Individualprozeß zu den gleichen Auslegungsergebnissen kommt wie im Verfahren nach § 11 UKlaG, so daß ein entsprechender Gleichlauf gewährleistet ist.331 Die Gegenmeinung würde den Richter zwingen, den Streit über die Wirksamkeit derselben Klausel in einem Individualprozeß zugunsten des Verwenders zu entscheiden, in einem späteren anderen Individualprozeß aber zugunsten des Kunden, wenn zwischenzeitlich einer gegen die Klausel gerichteten Verbandsklage stattgegeben worden ist. Die moderne Vorgehensweise widerspricht auch nicht Art. 5 S. 2 der Richtlinie 93/13/EWG, da durch sie ein höheres Maß an Verbraucherschutz erreicht wird als bei einer „reinen und unverfälschten“ Anwendung des Grundsatzes der kundenfreundlichen Auslegung.332 c) Die Unklarheitenregel kann Auswirkungen auf die Auslegung von AGB haben, die in mehreren Sprachen in das Vertragsverhältnis einbezogen wurden. Beispiel: Man unterstelle, die AGB eines britischen Verwenders seien unter Geltung des deutschen Rechts in deutscher und englischer Sprache in den Vertrag einbezogen worden. Gemäß der englischen Fassung haftet der Verwender gegenüber seinem deutschen Vertragspartner nicht für einen „act of God“, nach der deutschen Fassung nicht für „höhere Gewalt“. Ein übereinstimmendes Verständnis der Parteien über die Bedeutung der Enthaftungsklausel, das wegen § 305b BGB Vorrang hätte, bestand nicht. Nach allgemeinen, im einzelnen oben in § 6 entwickelten Grundsätzen, ist in dem Fall die englische Wortbedeutung vorrangig. Fraglich ist aber weiter, ob die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zu einer Abweichung von diesem Grundsatz führen kann. Das hängt davon ab, welche der Wortbedeutungen für den deutschen Kunden günstiger ist. Der englische Rechtsbegriff „act of God“ ist enger zu verstehen als der deutsche Rechtsbegriff „höhere Gewalt“. Aus Sicht des Kunden ist ein enges Begriffsverständnis bei der Frage der Enthaftung des Verwenders günstiger. Daher ist hier im Ergebnis – in Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen – die englische Wortbedeutung entscheidend. 329 BGH NJW 2007, 504 (506): „Verbleiben nach Ausschöpfung aller in Betracht kommender Auslegungsmethoden aber Zweifel und sind mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten rechtlich vertretbar, so kommt die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB (früher § 5 AGBG) zur Anwendung (. . .).“; BGHZ 112, 68 = NJW 1990, 3016; BGH NJW-RR 2003, 1247; Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 91; MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 35; Erman/Roloff, § 305c Rn. 28; Palandt/Heinrichs, BGB, § 305c Rn. 20; vgl. auch Maidl, Ausländische AGB, S. 137. 330 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 93; Maidl, Ausländische AGB, S. 137. 331 BGH NJW 1992, 1097 (1099); siehe auch BGH NJW 1994, 1798 (1799); OLG Schleswig ZIP 1995, 759 (762). 332 Zutreffend Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 105; MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 20; a. A. Michalski, DB 1994, 665 (668).

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3. Das Verhältnis der ergänzenden Auslegung zur Unklarheitenregel a) Die ergänzende Auslegung von Verträgen dient der Schließung von Lücken, welche die Parteien bei Vertragsschluß übersehen haben. Ein Vertrag ist auch dann einer ergänzenden Auslegung zugänglich, wenn AGB in ihn einbezogen wurden,333 d. h. in jenen Fällen, in denen eine Lücke in vorformulierten Verträgen nicht auf Einbeziehungs- oder Inhaltskontrollschranken gemäß §§ 305 ff., 307 ff. BGB beruht.334 Eine derartige Vertragslücke ist im Wege der ergänzenden Auslegung der Vertragsbedingungen unter Zugrundelegung eines objektivgeneralisierenden Maßstabs zu schließen, welcher sich am Willen und Interesse der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise auszurichten hat. Eine Vertragslücke kann auch darauf beruhen, daß sich die bei Vertragsschluß bestehenden wirtschaftlichen oder rechtlichen Verhältnisse nachträglich ändern.335 In der Literatur wird die Zulässigkeit einer ergänzenden Auslegung auf Verträge mit AGB zutreffend damit begründet, daß ein Widerspruch zwischen der Unklarheitenregel und der ergänzenden Vertragsauslegung nicht besteht: Die Unklarheitenregel zielt auf die Auslegung vorhandener AGB-Klauseln ab, wohingegen die ergänzende Vertragsauslegung auf die Schließung der Lücke(n) gerichtet ist, die in einem Vertrage durch das Fehlen von AGB-Klauseln entstanden ist.336 b) Jene Lücken, die bei der Einbeziehung gemäß §§ 305 Abs. 2, 305c Abs. 1 BGB oder die infolge der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB auftreten, sind allerdings nicht ausfüllungsfähig.337 Vielmehr gelten nach § 306 Abs. 2 BGB dann die gesetzlichen Vorschriften. Das hat im Hinblick auf die Zuweisung des „Sprachrisikos“ unter anderem zur Folge, daß eine Einbeziehung, die daran scheitert, daß der gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB erforderliche Hinweis auf die AGB des Verwenders nicht in einer dem Kunden verständlichen Sprache abgefaßt ist, nicht im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung korrigiert werden kann. Das in diesem Fall dem Verwender zugewiesene „Sprachrisiko“ wird durch die grundsätzlich gegebene Möglichkeit der ergänzenden Vertragsauslegung folglich nicht tangiert.

333 BGHZ 92, 363 (370) = NJW 1985, 480 (Formularmietvertrag); BGHZ 103, 228 (234) = NJW 1988, 1590 (Versicherungsvertrag); BGH NJW 1990, 323 (324) (Girovertrag); BGHZ 117, 92 (98) = NJW 1992, 1164 (Versicherungsvertrag); BGH NJW-RR 2004, 262 (Energielieferungsvertrag); siehe auch MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 42; Staudinger/Schlosser, § 305c Rn. 138 und § 306 Rn. 12 ff.; Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 28; H. Schmidt, in: U/B/H, § 306 Rn. 31 ff. 334 BGH NJW-RR 2004, 262. 335 BGH NJW-RR 2004, 262. 336 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 41; Erman/Roloff, § 305c Rn. 23. 337 BGH NJW-RR 2004, 262; MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 43 f.

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IV. Das Problem der Revisibilität ausländischer und fremdsprachiger AGB 1. Möglichkeit der Auslegung von AGB in der Revisionsinstanz? Fraglich ist, ob eine Auslegung von AGB noch in der Revisionsinstanz in Betracht kommt. Vor dem Hintergrund, daß der BGH gemäß § 545 Abs. 1 ZPO nur über Rechtsfragen entscheidet und die Vertragsauslegung grundsätzlich den Instanzgerichten obliegt, erscheint die Möglichkeit einer Interpretation von Vertragsbedingungen durch den BGH zweifelhaft. Allerdings handelt es sich bei AGB typischerweise um vorgefertigte Klauselwerke, die in einer Vielzahl von Fällen zur Geltung kommen sollen. Diese Unabhängigkeit vom einzelnen Fall spricht womöglich für eine Befugnis des BGH zu ihrer Überprüfung. Die Rechtsprechung hat das Problem der Revisibilität von Vertragsbedingungen erkannt und schon sehr früh – nämlich durch das Reichsgericht – in einem positiven Sinne entschieden.338 Das Reichsgericht vertrat die Auffassung, daß die Bedingungen „typischer Natur“ sein müßten,339 d. h. daß sie zur Regelung der Rechtsbeziehungen des Verwenders zu einer Vielzahl von Vertragspartnern dienen sollten.340 Der andere Teil unterwerfe sich durch seine Akzeptanz der Vertragsbedingungen einer „fertig bereitliegenden Rechtsordnung“.341 Der BGH schrieb die Rechtsprechung des Reichsgerichts fort. Typische Vertragsbedingungen seien vom Revisionsgericht selbst, ohne Bindung an die Auffassung des Berufungsgerichts, auszulegen.342 Bei der Auslegung typischer Bedingungen habe alles Zufällige des einzelnen Streitfalles beiseite zu bleiben. Die Auslegung erfolge nur aus dem Inhalt der Bedingungen selbst. Die Umstände des Einzelfalles seien für deren Auslegung gleichgültig.343 Die Auslegung von Vertragsbedingungen durch den BGH setzt lediglich voraus, daß die fragliche Regelung über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus Verwendung findet.344

338 Zuerst – betreffend Allgemeine Versicherungsbedingungen – RGZ 81, 117 (118 f.); ebenso RGZ 149, 96 (100); RGZ 155, 26 (28); RG DR 1941, 1211; BGHZ 1, 83 (85 f.) = NJW 1951, 402; BGHZ 7, 365 (368) = NJW 1953, 21; BGHZ 22, 109 (112 f.) = NJW 1956, 1915. 339 RGZ 149, 96 (99); RGZ 155, 26 (28). 340 Siehe auch RGZ 81, 117 (119): Durch die Aushändigung der Versicherungsbedingungen erfahre der Versicherungsnehmer, „daß in den geregelten Punkten nicht eine Sonderabmachung mit ihm erfolgen, sondern daß er sich Bestimmungen unterwerfen soll, die als allgemeine Norm festgestellt sind und im gleichen Sinne eine Vielheit anderer bereits bestehender oder künftiger Vertragsverhältnisse beherrschen oder beherrschen werden.“ 341 RG DR 1941, 1211; BGHZ 1, 83 (85 f.) = NJW 1951, 402. 342 BGHZ 7, 365 (368) = NJW 1953, 21. 343 BGHZ 7, 365 (368) = NJW 1953, 21 unter Zitierung der einschlägigen reichsgerichtlichen Rechtsprechung. 344 BGHZ 98, 256 (258) = NJW 1987, 319; BGHZ 71, 144 (149 f.) = NJW 1978, 1311; jeweils m. w. N.

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2. Das Problem der Revisibilität ausländischer AGB a) Die ablehnende Haltung der Rechtsprechung Ausgehend von den vorstehenden Grundsätzen scheint es für ausländische AGB unter Geltung des deutschen Rechts bei vordergründiger Betrachtung keine Besonderheiten zu geben, doch diese berechtigte Erwartung trügt. Der BGH lehnt nämlich in ständiger Rechtsprechung die Auslegung ausländischer AGB ab.345 Nach der lapidaren Begründung des BGH obliegt die Auslegung ausländischer AGB dem Berufungsgericht, weil sie das Gepräge einer ausländischen Rechtsordnung hätten.346 Die Auslegung sei deshalb ebenso wie jene des ausländischen Rechts nach den §§ 545, 560 ZPO (§§ 549, 562 ZPO a. F.) der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen.347 Das jeweilige Berufungsgericht habe gemäß § 293 ZPO das für die Entscheidung eines Rechtsstreits maßgebende ausländische Recht348 von Amts wegen zu ermitteln; 349 seine Feststellungen über Bestehen und Inhalt des ausländischen Rechts seien für das Revisionsgericht bindend.350 Folglich ist in bezug auf die Auslegung von AGB eine auf § 286 Abs. 1 ZPO gestützte Rüge ebenso unzulässig wie die Berufung auf eine Verletzung der Denkgesetze oder allgemeiner Rechtsgedanken und Auslegungsgrundsätze.351 Durch das Revisionsgericht kann aber immer überprüft werden, ob es sich tatsächlich um ausländische oder aber um inländische Geschäftsbedingungen handelt.352 Die revisionsgerichtliche Prüfungsbefugnis bezieht sich 345 BGH GRUR 1986, 482 = ZIP 1986, 653 – Videokatalog, Leitsatz: „Die Auslegung auf der Grundlage ausländischen Rechts formulierter Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die von einem ausländischen Unternehmen im Inland verwendet werden, ist ebenso wie ausländisches Recht der freien Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen.“; siehe auch BGH WM 1966, 450; BGHZ 49, 356 (362 f.) = NJW 1968, 1567; BGH VersR 1966, 441 (442); BGH VersR 1967, 449 (450); BGH MDR 1971, 462; NJW-RR 1987, 43; BGHZ 104, 178 (181) = NJW 1988, 3090; BGHZ 112, 204 (210) = NJW 1991, 36; BGH NJW 1994, 1408 (1409). 346 BGHZ 104, 178 (181) = NJW 1988, 3090: „Einerseits kann die Anwendung und Auslegung ausländischen Rechts durch den Tatrichter vom Revisionsgericht grundsätzlich nicht nachgeprüft werden (. . .); andererseits sind auch im Inland verwendete ausländische oder auf der Grundlage ausländischen Rechts formulierte Allgemeine Geschäftsbedingungen vom Revisionsgericht nicht überprüfbar (. . .).“ 347 BGH GRUR 1986, 482 – Videokatalog; BGH VersR 1966, 441 (442). 348 Zu diesem Begriff siehe BGH NJW 1976, 1588 (1589): „Der Richter ist nach § 293 ZPO verpfl ichtet, das ausländische Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen zu ermitteln; dabei hat er nicht nur auf die positiven Rechtsnormen abzuheben, sondern auch zu berücksichtigen, wie diese aufgrund der Rechtslehre und der Rechtsprechung in Wirklichkeit gestaltet sind.“ 349 BGHZ 36, 348 (353) = NJW 1962, 961; BGHZ 77, 32 (38) = NJW 1980, 2022; BGH NJW 1988, 647; RGZ 126, 196 (202). 350 BGH NJW 1988, 647. Wenn das Berufungsgericht das ihm obliegende pfl ichtgemäße Ermessen nicht ausübt und seiner Ermittlungspflicht nicht nachkommt, kann dieser Umstand mit der Revision gerügt werden (BGH, a.a.O., m. w. N.). 351 BGH NJW 1994, 1408 (1409); BGH NJW-RR 1987, 43. 352 BGHZ 112, 204 (210) = NJW 1991, 36 m. w. N.

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ferner darauf, wer Vertragspartei und damit Verwender des Formulars ist, wenn diese Frage nur aufgrund einer Auslegung des Formularinhalts beantwortet werden kann. Allein die Möglichkeit, daß ausländische Geschäftsbedingungen vorliegen, versperrt dem Revisionsgericht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht eine eigene Auslegung.353 Reicht der inländische Anwendungsbereich des zu beurteilenden Formularvertrags wegen der unterschiedlichen Wohnorte der Kunden über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus, beschränkt sich die Nachprüfung durch das Revisionsgericht nach Ansicht des BGH außerdem nicht darauf, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln, Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet hat, weil ein „Bedürfnis nach einheitlicher Auslegung“ bestehe.354 b) Die Kritik der Literatur Die Ansicht der Rechtsprechung hat teilweise heftigen Widerspruch in der Literatur erfahren.355 Die Gleichsetzung von „ausländischem Recht“ und „ausländischen AGB“ wird von der Literatur überwiegend verworfen.356 Begründet wird dies mit dem – auch vom BGH357 in einem Fall angeführten – Argument des Bedürfnisses nach einheitlicher Auslegung, „das den Grund für die Revisibilität inländischer AGB bildet“358 . Bei der Vielzahl von grenzüberschreitenden Geschäften, denen ausländische AGB zugrundeliegen, sei das höchste Gericht am besten imstande, die Richtigkeit der Auslegung nachzuprüfen. Weiter wird argumentiert, daß die Parallele zur Behandlung ausländischen Rechts in der Revision jedenfalls für den Fall nicht tragfähig sei, daß das deutsche Recht gemäß Artt. 27 ff. EGBGB Vertragsstatut ist. Denn dann richte sich auch die Auslegung des Vertrags gemäß Art. 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB nach deutschem Recht und man könne nicht danach unterscheiden, ob der Gegenstand der Auslegung aus dem Inland oder aus dem Ausland stammt.359

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BGHZ 112, 204 (210) = NJW 1991, 36. BGHZ 112, 204 (210) = NJW 1991, 36. 355 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 46; Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 72; Staudinger/ Schlosser, § 305c Rn. 140; Jayme, ZHR 142 (1978), 105 (122 f.); ausführlich zum Problem Maidl, Ausländische AGB, S. 174 ff., der im Ergebnis dafür eintritt, daß auch ausländische AGB in der Revisionsinstanz nachgeprüft werden können (a.a.O., S. 180); a. A. Erman/Roloff, § 305c Rn. 33: Es sei nicht ersichtlich, wieso gerade für AGB von dem Grundsatz, daß ausländisches Recht Tatsachenstoff darstellt, abgewichen werden sollte. 356 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 72; MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 46; Roth, WM 1991, 2125 (2131); Jayme, ZHR 142 (1978), 105 (122 f.). 357 BGH NJW 1994, 1408 (1409). 358 Ulmer, in: U/B/H, § 305c Rn. 72; siehe auch Maidl, Ausländische AGB, S. 179. 359 MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 46. 354

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c) Stellungnahme Die Kritik der Literatur überzeugt in vollem Umfang. Über die Frage der Revisibilität von AGB kann – zumindest unter Geltung des deutschen Rechts – 360 nur einheitlich für inländische und ausländische AGB entschieden werden. Die Revisibilität ist im Ergebnis zu bejahen. Dafür sprechen jene Gründe, die von der Rechtsprechung zugunsten der Überprüfung inländischer AGB angeführt werden, namentlich die Überindividualität, die eine Gleichstellung mit der Auslegung von individuellen Willenserklärungen (die „Tatfrage“ ist) nicht rechtfertigt. Daß bei der Auslegung fremdsprachiger Klauselwerke gegebenenfalls die Heimatrechtsordnung und die Herkunft von Rechtsbegriffen Beachtung finden müssen,361 ist eine Selbstverständlichkeit, die nicht entscheidend gegen die Revisibilität spricht. Weiter ist hervorzuheben, daß die grundlegende Entscheidung der Artt. 27 ff., 32 EGBGB unbedingte Beachtung verdient, d. h., daß die Entscheidung zugunsten der Einschlägigkeit des deutschen Rechts als Sachrecht konsequent durchgesetzt werden sollte. Hinzu kommt, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung das Ergebnis der Irrevisibilität mitunter selbst als unbefriedigend empfindet und die ihr zur Verfügung stehenden Mittel benutzt, um dem Berufungsgericht die für zutreffend erachteten Auslegungsergebnisse zu vermitteln. Dies betrifft zunächst Fälle, in denen das Berufungsgericht seiner Ermittlungspflicht betreffend das ausländische Recht nicht nachgekommen ist 362 und weiter die Feststellung von Verfahrensverstößen i.S. des § 286 ZPO, die auch darin bestehen können, daß Ausführungen einer Partei, die Auslegung betreffend, vom Berufungsgericht unberücksichtigt gelassen wurden.363 Der BGH hat insbesondere die Möglichkeit, die Zurückverweisung des Falles an das Berufungsgericht mit eigenen Ausführungen zum richtigen Verständnis der ausländischen AGB zu verbinden, die bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung beachtet werden sollen.364

360 Darüber hinausgehend MüKo BGB/Basedow, § 305c Rn. 46: Die Rechtsprechung vermag nach Ansicht des Verf. auch dann nicht zu überzeugen, wenn ausländisches Recht Vertragsstatut ist. Auf den offenen Märkten der EU sei der inländische Rechtsverkehr viel häufiger mit ausländischen AGB konfrontiert als mit ausländischen Rechtsvorschriften. Deshalb sollten ausländische AGB auch grundsätzlich unter denselben Voraussetzungen wie deutsche AGB der Nachprüfung durch den BGH unterworfen werden. 361 So auch Staudinger/Schlosser, § 305c Rn. 140. 362 Siehe BGH NJW 1988, 647 f.; BGH NJW 1995, 1032 f.; OLG Köln IPRspr 2005 Nr. 1, S. 1 Tz. 16 (juris). 363 Siehe BGH WM 1971, 527. 364 So geschehen in dem Fall BGH WM 1971, 527 f. unter III.; dazu richtig Jayme, ZHR 142 (1978), 105 (123): „Von da an wäre es nur ein kleiner Schritt zur vollständigen Revisibilität der ausländischen Allgemeinen Geschäftsbedingungen.“

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3. Die Revisibilität fremdsprachiger AGB inländischer Verwender a) Unter der Prämisse, daß entgegen der geäußerten Kritik der nach inländischen und ausländischen AGB differenzierenden Rechtsprechung zu folgen wäre, stellt sich die Folgefrage, wie die Revisibilität von AGB zu beurteilen ist, die inländische Verwender unter Geltung deutschen Rechts im Verkehr mit ausländischen Kunden gebrauchen, wenn diese AGB in einer Fremdsprache in den Vertrag einbezogen wurden. Vorab ist hervorzuheben, daß die Fragen nach der Revisibilität von „ausländischen“ und von „fremdsprachigen“ AGB nicht dasselbe Problem kennzeichnen. Das wird schon an einer Grundsatzentscheidung des BGH, dem Videokatalog-Fall365 , deutlich, der die Revisibilität von ausländischen, nämlich österreichischen AGB in deutscher Sprache betraf. Von besonderer Wichtigkeit für die Sprachenfrage im internationalen Geschäftsverkehr ist, daß der BGH den Grundsatz der Irrevisibilität ausländischer AGB nicht auf AGB deutscher Verwender, die in einer Fremdsprache abgefaßt sind, übertragen hat. Beispiel: 366 Der BGH hatte über die AGB-rechtliche Wirksamkeit eines Haftungsausschlusses in den Dock- und Reparaturbedingungen einer deutschen Seeschiffwerft zu entscheiden. Die AGB der Beklagten waren in englischer Sprache als „Conditions for Docking and Repairs“ (CDR) in den Werftvertrag einbezogen worden. Der BGH begründete die Überprüfbarkeit der CDR wie folgt: „Da Freizeichnungsklauseln mit diesem Inhalt in mehr als einem OLG-Bezirk verwendet werden, unterliegt die Auslegung durch das Berufungsgericht in vollem Umfang der revisionsrechtlichen Nachprüfung. Daran ändert es nichts, daß die Dock- und Reparaturbedingungen der Beklagten in englischer Sprache abgefaßt sind und die Rechte der im Ausland ansässigen Klägerin berühren. Denn sie sind Bestandteil eines mit einem deutschen Unternehmen geschlossenen, im Inland zu erfüllenden Vertrages (. . .).“367

Die Begründung des BGH, daß die CDR Bestandteil eines mit einem deutschen Unternehmen im Inland zu erfüllenden Vertrags seien und deshalb der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterlägen, überzeugt vor dem Hintergrund der grundlegenden Wertentscheidungen des Internationalen Privatrechts, d. h. Art. 28 Abs. 1 und 2, Art. 32 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 32 Abs. 2 EGBGB. In dem Beispielsfall war deutsches Recht auf die CDR anwendbar und auch für die Auslegung des Vertrags maßgeblich. Die Einbeziehung von AGB in einer Fremdsprache kann die Vorgaben des Internationalen Privatrechts zugunsten der anzuwendenden Rechtsordnung nicht außer Kraft setzen. Im Ergebnis ist daher nicht ersichtlich, warum der angreifbare Grundsatz, daß ausländische AGB ebenso wie ausländisches Recht zu behandeln und daher irrevisibel seien, 365 366 367

BGH GRUR 1986, 482 = ZIP 1986, 653 – Videokatalog. Nach BGHZ 103, 316 = NJW 1988, 1785. BGHZ 103, 316 (319 f.) = NJW 1988, 1785 (1786).

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

auch auf fremdsprachige AGB eines deutschen Verwenders ausgedehnt werden sollte. Vielmehr ist gerade umgekehrt fraglich, ob nicht auch ausländische AGB unter Geltung des deutschen Rechts der revisionsgerichtlichen Prüfung unterliegen sollten, was wie oben dargelegt zu bejahen ist. b) In dieser Hinsicht muß freilich auch beachtet werden, daß bei Anwendung ausländischer AGB die Herkunft von Rechtsbegriffen aus einer fremden Rechtsordnung besondere Berücksichtigung verdient. Oben wurde dafür plädiert, ausländische Rechtsbegriffe in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Lehre grundsätzlich gemäß dem Verständnis der Heimatrechtsordnung zu interpretieren. Dies gilt aber – schon wegen Art. 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB – nicht im Fall der Verwendung von inländischen AGB, die vor dem Vertragsschluß in eine Fremdsprache übersetzt worden sind. Zwar kann der Verwender sich nicht auf den deutschen „Originaltext“ als verbindlich berufen, wenn nur die Übersetzung in den Vertrag einbezogen wurde. In dem Fall aber, daß sowohl Original als auch Übersetzung Vertragsbestandteile geworden sind, müssen bei der Auslegung beide Fassungen als verbindlich beachtet werden. Einen Vorrang der Bedeutung der fremdsprachlichen Fassung gibt es in diesem Fall nicht. Im übrigen kann der ausländische Vertragspartner im Fall der Einbeziehung der AGB nur in seiner Sprache nicht in gleichem Maße darauf vertrauen, daß allein sein Wortverständnis maßgeblich ist, da er ja weiß, daß die AGB von einem deutschen Verwender herrühren. Dies läßt sich wiederum ergänzend mit den grundlegenden Wertentscheidungen des Internationalen Privatrechts absichern: Art. 31 Abs. 2 EGBGB schützt den ausländischen Vertragspartner im Hinblick auf sein abweichendes, dem Heimatrecht geschuldetes Verständnis zwar in bezug auf die Wirkung des Schweigens im Rechtsverkehr als Zustimmung, aber nicht darüber hinaus. Anderenfalls würde die Entscheidung zugunsten der Auslegung nach dem einschlägigen Sachrecht in § 31 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB im internationalen Geschäftsverkehr Makulatur. Zumindest dann, wenn die jeweilige Klausel nicht zugleich auch Handelsbrauch im grenzüberschreitenden Verkehr ist und sich deshalb dazu ein „internationales Verständnis“ durchgesetzt hat, bedarf es daher gemäß dem einschlägigen deutschen Sachrecht einer Berücksichtigung auch des „deutschen Verständnisses“ bei der Auslegung von AGB. Ein absoluter Vorrang des „deutschen Verständnisses“ wäre in diesem Fall jedoch nicht begründbar, wenn und soweit der Verwender die ihm offenstehende Möglichkeit nicht genutzt hat, statt der Übersetzung die deutsche Fassung der AGB in den Vertrag einzubeziehen. Beispiel: In dem bereits angesprochenen Fall des BGH, in dem die „Conditions for Docking and Repairs“ (CDR) unter Geltung deutschen Sachrechts allein in englischer Sprache in den Vertrag einbezogen wurden, hat der BGH 368 den mehrdeutigen Ausdruck „executive 368

BGHZ 103, 316 (319 f.) = NJW 1988, 1785 (1786).

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manager“ sowohl nach deutschem als auch nach amerikanischem Sprachgebrauch ausgelegt, wenngleich ohne eindeutiges Ergebnis: „Der Ausdruck »executive manager«, an dessen Stelle die Beklagte bei ihren in deutscher Sprache abgefaßten Dock- und Reparaturbedingungen das Wort »Betriebsdirektoren« verwendet, ist in seinem abstrakten Sinngehalt mehrdeutig. Seine Auslegung im Sinne von »leitende Angestellte« kommt indessen einer wörtlichen Übersetzung des zusammengesetzten Ausdrucks sehr nahe, bei der das Adjektiv »executive« für »vollziehend, verwaltend, leitend« und der Begriff »manager« für »Geschäftsführer, Betriebsleiter, Direktor« stehen. Als Substantiv bezeichnet der Begriff »executive«, namentlich im amerikanischen Sprachgebrauch, einen leitenden Angestellten (. . .).369 Es kann indessen auf sich beruhen, welche genaue Bedeutung dem Begriff »executive manager« letztlich zukommt. Eine etwaige Inkongruenz zwischen dem in Ziffer 1 Abs. 4 der Dock- und Reparaturbedingungen der Beklagten umschriebenen Personenkreis und demjenigen der leitenden Angestellten wäre im vorliegenden konkreten Fall nur dann von Bedeutung, wenn die Beklagte im Rahmen ihrer Betriebsorganisation überhaupt leitende Angestellte beschäftigen würde, die von dem Begriff »executive manager« im Sinne der Ziffer 1 Abs. 4 der Dock- und Reparaturbedingungen der Beklagten nicht erfaßt sind. In dieser Beziehung hat die Klägerin jedoch nichts vorgetragen.“

c) In der unternehmerischen Praxis werden die Vertragsbedingungen zwar teilweise mehrsprachig vorgelegt. Dabei ist es aber dem Vernehmen nach ganz üblich, allein die deutsche Fassung als verbindlich festzulegen und die – meist englische – Übersetzung als lediglich informatorischen Zwecken dienend zu deklarieren. Im Ergebnis kann daher die Verwendung einer Übersetzung von AGB unter Geltung des deutschen materiellen Rechts einen absoluten Vorrang des ausländischen Wortverständnisses nicht begründen.

E. Die Sprachenfrage im Rahmen der Inhaltskontrolle von AGB gemäß §§ 307 ff. BGB I. Grundlagen 1. Die Entwicklung der Inhaltskontrolle bis zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz a) Die Inhaltskontrolle von AGB war keine grundsätzliche Neuerung des Gesetzgebers, der mit den §§ 9 bis 11 des AGB-Gesetzes von 1976 erstmals jene materielle AGB-Klauselkontrolle kodifizierte, welche sich heute nur leicht modifiziert in den §§ 307 bis 309 BGB wiederfindet.370 Die Rechtsprechung hatte 369 Der BGH zitiert an dieser Stelle Langenscheidts Enzyklopädisches Wörterbuch, 1962, S. 485 u. 810. 370 Zur Rechtsentwicklung der Inhaltskontrolle in Rechtsprechung und Lehre seit den grundlegenden Arbeiten von Ludwig Raiser (1935) und Hans Großmann-Doerth (1933) siehe Staudinger/M. Coester, Vorbem. zu §§ 307–309 Rn. 2 ff. Hans Großmann-Doerths Freiburger Antrittsvorlesung v. 11. 5. 1933 mit dem Titel „Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und

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zuvor eine Inhaltskontrolle von Vertragsbedingungen praktiziert, die sich am Maßstab von Treu und Glauben (§ 242 BGB) orientierte.371 Ausgangspunkt der Rechtsprechung war die Überlegung, daß wer AGB aufstellt und sie den Geschäftsbeziehungen mit seinen Kunden zugrunde legt, damit praktisch einseitig die rechtliche Abwicklung der Vertragsbeziehungen bestimmt. Damit sei in aller Regel ein erhebliches wirtschaftliches und intellektuelles Übergewicht verbunden. Dieses Übergewicht würde zu einem Mißbrauch der Vertragsfreiheit führen, wenn nicht das Recht an die Verwendung von AGB die Verantwortung knüpfte, die Interessen des Vertragsgegners angemessen zu berücksichtigen, und die Einhaltung dieser Verantwortung sichere. Gegenüber AGB finde daher eine an den Maßstäben von Treu und Glauben ausgerichtete richterliche Inhaltskontrolle statt. Der Richter habe danach die Pflicht zur Prüfung, ob durch unangemessene Klauseln die Grundsätze der Vertragsgerechtigkeit verletzt worden sind. Unter diesem Gesichtspunkt habe er jenen Klauseln die Anerkennung zu versagen, welche die ausgewogene Regelung des dispositiven Rechts über den Ausgleich widerstreitender Interessen der Vertragspartner verdrängten, ohne daß in anderer Weise ein angemessener Schutz des Kunden gesichert sei. Ebenso könnten Klauseln keinen rechtlichen Bestand haben, deren Einfügung in die Vertragsbeziehungen für den Kunden eine Überraschung bedeuten müsse. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn der Inhalt auf eine dem Leitbild des gewählten Vertragstyps grob widersprechende Regelung hinauslaufe.372 AGB in Formularverträgen seien unwirksam, soweit in ihnen von den gesetzlichen Vertragstypen abweichende Regelungen getroffen würden, in denen die mißbräuchliche Verfolgung einseitiger Interessen auf Kosten des möglichen Geschäftspartners zum Ausdruck komme und die daher bei Abwägung der Interessen der künftigen Vertragsparteien der Billigkeit widersprächen.373 b) Der Gesetzgeber des Jahres 1976 griff in seiner Begründung zum AGB-Gesetz wesentliche Stränge der Argumentation der Rechtsprechung auf. Insbesondere identifizierte er ebenfalls ein regelmäßig vorliegendes wirtschaftliches und intellektuelles Übergewicht des Verwenders.374 Daraus zog er jedoch nicht etwa staatliches Recht“ ist wiederabgedruckt in Blaurock/Goldschmidt/Hollerbach, Das selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft, Tübingen 2005, S. 77 ff. Ludwig Raisers Berliner Habilitationsschrift „Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen“ von 1935 liegt in einem Nachdruck aus dem Jahr 1961 vor. 371 Zur Begründung einer Aufklärungspflicht über die einschneidenden Folgen einer Freizeichnungsklausel aus § 242 BGB siehe BGHZ 108, 164 (169) = NJW 1989, 2748. 372 So – das gilt für den gesamten Absatz im Text – die Entscheidung BGHZ 60, 243 (245) = WM 1973, 611; siehe noch RGZ 168, 329 BGHZ 22, 90 = WM 1956, 1542; BGHZ 63, 256 = NJW 1975, 163; RGZ 168, 329; Erman/Roloff, BGB, Vor §§ 305–310 Rn. 5. 373 BGHZ 60, 243 (245 f.) = WM 1973, 611. 374 BT-Drucks. 7/3919, S. 13 li. Sp. unten, re. Sp. oben; siehe auch Loewenheim, AcP 180 (1980), 433 (448). Im einzelnen argumentierte der Gesetzgeber a.a.O. wie folgt: Auszugehen sei von der Überlegung, daß derjenige Vertragsteil, der seine AGB in das einzelne Rechtsgeschäft einbringe, gegenüber dem anderen Vertragsteil stets einen organisatorischen Vorsprung

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den Schluß, daß individuelle wirtschaftliche oder intellektuelle Defizite auf seiten des Kunden von Rechts wegen Beachtung finden müßten, sondern er trug dem typologisch richtigen Befund durch die Vorschriften über die Einbeziehung bzw. den Schutz vor überraschenden Klauseln sowie durch die Normierung materiell-rechtlicher Maßstäbe für die Inhaltskontrolle Rechnung.375 Dabei hob er hervor, daß die Vorschriften über unwirksame Klauseln – die §§ 7 bis 9 des AGBG-Entwurfs – den „eigentlichen Schwerpunkt“ bildeten. Sie lieferten die „Maßstabsnormen für den rechtlich zulässigen Inhalt von AGB-Klauseln“.376 2. § 307 BGB als Zentralnorm der Mißbrauchskontrolle a) Die Gestaltungsfreiheit des Verwenders findet ihre materiellrechtlichen Grenzen vor allem in § 307 BGB, der Zentralnorm der Inhaltskontrolle.377 Die Beachtung dieser Vorschrift kann sowohl im Individual- als auch im Verbandsverfahren nach dem UKlaG (vgl. §§ 1, 3 UKlaG) überprüft werden. Nach dem in § 307 Abs. 1 S. 1 BGB normierten Grundsatz sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders unangemessen benachteiligen. Das setzt zunächst voraus, daß der Vertragspartner des Verwenders durch die AGB eine Benachteiligung von nicht unerheblichem Gewicht erleidet.378 Die Vorschrift gilt nicht für die Hauptleistungspflichten, weil eine diesbezügliche Inhaltskontrolle in den Kern der Vertragsfreiheit eingreifen würde. Unangemessen ist die Benachteiligung, wenn der Verwender mißbräuchlich bzw. treuwidrig die eigenen Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht.379 Zur Feststellung der Unangemessenheit findet eine umfassende Abwägung der typisierten 380 Interessen der Parteien anhand eines insofern habe, als das eingebrachte Klauselwerk das in sich abgeschlossene Ergebnis einer sorgfältigen Analyse der wirtschaftlichen Geschäftsrisiken sei, deren mögliche rechtliche Konsequenzen durch die in den AGB getroffenen Bestimmungen bereits im voraus juristisch bewältigt und – soweit nachteilig – in aller Regel von dem Verwender abgewendet würden. Schon allein dieser organisatorische Vorsprung der vorgefertigten Vertragsgestaltung, deren rechtliche Tragweite der mit ihr konfrontierte andere Vertragsteil zumeist nicht voll zu überblicken vermöge, schaffe Überlegenheit; nicht selten werde sie aber noch dadurch verstärkt, daß der Vertragspartner, der sich den AGB unterwerfen solle, wirtschaftlich schwächer oder intellektuell unterlegen sei. Der Gesetzgeber sah seine Regelungsaufgabe darin, die mit der Vertragsgestaltung vorgegebene Überlegenheit des AGB-Verwenders durch Schutzvorschriften zugunsten des AGB-Unterworfenen sachgerecht und vernünftig auszugleichen, ohne die Privatautonomie mehr als zur Erreichung dieses Zieles einzuengen. 375 BT-Drucks 7/3919, S. 13, re. Sp. oben. 376 BT-Drucks. 7/3919, S. 13 re. Sp. unten, S. 14 li. Sp. oben. 377 Vgl. auch Fuchs, in: U/B/H, Vorb. v. § 307 BGB Rn. 2. 378 Palandt/Heinrichs, § 307 Rn. 8; Fuchs, in: U/B/H, § 307 BGB Rn. 101. 379 BGH NJW 1997, 2598 (2599); BGH NJW 2000, 1110 (1112); BGHZ 120, 108 (118) = NJW 1993, 326; BGHZ 90, 280 (284) = NJW 1984, 1531; st. Rspr.; siehe auch Palandt/Heinrichs, § 307 Rn. 8; Fuchs, in: U/B/H, § 307 BGB Rn. 107; Erman/Roloff, § 307 Rn. 9. 380 In Betracht kommen Differenzierungen nach Vertragstyp, Kundengruppen, Art der Waren oder Dienstleistungen, etc.

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überindividuell-generalisierenden Maßstabs statt.381 Dieser Maßstab gilt sowohl im Verbands- als auch im Individualprozeß.382 b) Die Generalklausel des Satzes 1 wird – in Umsetzung von Art. 5 Satz 1 der Richtlinie 93/13/EWG – durch das Transparenzgebot des Satzes 2 ergänzt sowie durch die beiden Regelbeispiele für die unangemessene Benachteiligung in Abs. 2, der Abweichung von wesentlichen Grundgedanken des dispositiven Gesetzesrechts (Nr. 1) und der vertragszwecksgefährdenden Einschränkungen wesentlicher Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben (Nr. 2). Die Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (Nr. 1) sind – auch bei grenzüberschreitenden Rechtsgeschäften – dem deutschen materiellen Recht zu entnehmen. Darin liegt nicht etwa eine einseitige Durchsetzung deutscher Gerechtigkeitsvorstellungen, sondern die konsequente Umsetzung der kollisionsrechtlichen Entscheidung (vgl. Artt. 27, 28, 32 Abs. 1 EGBGB) zugunsten des deutschen Sachrechts.383 Auch bei der Interessenabwägung nach § 307 Abs. 1 BGB bildet das Heimatrecht des Vertragspartners keine zusätzliche Schranke für die Inhaltskontrolle, denn dieses ist auf den Fall nicht anwendbar.384 c) § 307 BGB wird durch die – in ihrem Anwendungsbereich spezielleren – Klauselverbote mit und ohne Wertungsmöglichkeit in den §§ 308, 309 BGB ergänzt. Auf diese Bestimmungen wird im folgenden nicht im einzelnen eingegangen, da sich im Verhältnis zur Grundnorm und Auffangvorschrift385 des § 307 BGB für die Frage Zuweisung des „Sprachrisikos“ keine zusätzlichen neuen Erkenntnisse ergeben.386 3. Transparenzgebot und Überrumpelungsschutz a) Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB aa) Inhalt und Bedeutung Gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung i. S. des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unter anderem daraus ergeben, daß die Bestim381 Siehe dazu im einzelnen Fuchs, in: U/B/H, § 307 BGB Rn. 102 ff., 110 ff.; Erman/Roloff, § 307 Rn. 5. 382 Fuchs, in: U/B/H, § 307 BGB Rn. 113 f. 383 Richtig Maidl, Ausländische AGB, S. 213. Soweit der ausländische Vertragspartner schutzbedürftig ist – wie etwa bei der Anwendung der Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens im Hinblick auf die rechtlichen Wirkungen des Schweigens im kaufmännischen Rechtsverkehr – greift bereits auf der kollisionsrechtlichen Ebene Art. 31 Abs. 2 EGBGB durch Berücksichtigung des Heimatrechts des Vertragspartners ein; siehe dazu auch Ulmer, in: U/B/H, Anh. § 305 Rn. 18; Maidl, a.a.O., S. 86. 384 So schon Maidl, Ausländische AGB, S. 228. 385 Siehe Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 2: Die Generalklausel des § 307 BGB sei rechtstechnisch betrachtet Auffangvorschrift, materiell jedoch Grundnorm. 386 Fuchs, in: U/B/H, Vorb. v. § 307 BGB Rn. 8 mißt den Generalklauseln des § 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB für die Praxis eine überragende Bedeutung bei; dies zumal sie im unternehmerischen Verkehr (§ 310 Abs. 1 BGB) den alleinigen Prüfungsmaßstab bilden.

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mung nicht „klar und verständlich“ ist. Das Transparenzgebot bedeutet in den Worten des Gesetzgebers, daß AGB „die Rechte und Pflichten des Vertragspartners durch eine entsprechende Ausgestaltung und geeignete Formulierung der Vertragsbedingungen durchschaubar, richtig, bestimmt und möglichst klar sein müssen“.387 Nach einer anderen Formulierung muß die Regelung aus sich heraus für einen durchschnittlichen Vertreter der angesprochenen Kundenkreise verständlich sein.388 Dies betrifft zunächst das Druckbild, den Aufbau und den Umfang der Information, aber gerade auch die Klarheit und Verständlichkeit der Formulierungen, was einen Fachsprachengebrauch für den Normalfall – die Verwendung von AGB gegenüber Verbrauchern – ausschließt.389 Die Rechtsprechung geht über diese Aussagen teilweise noch hinaus und fordert – gemäß den Grundsätzen von Treu und Glauben –, daß die Klausel auch die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen läßt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann.390 Die Mißbrauchskontrolle betrifft gemäß Art. 4 Abs. 2 der Klauselrichtlinie weder den Hauptgegenstand des Vertrags noch das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung (also das Äquivalenzverhältnis).391 Sie greift daher nicht in bezug auf die essentialia negotii und beinhaltet insbesondere nicht eine Überprüfung der Preisgerechtigkeit, weil das mit marktwirtschaftlichen Prinzipien unvereinbar wäre.392 Doch greift auch insoweit gemäß § 307 Abs. 3 S. 2 387

BT-Drucks. 14/6857 = BR-Drucks. 338/01, S. 352. MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 58; Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 344; Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 216; Erman/Roloff, § 307 Rn. 20. Daraus folgt, daß bei AGB, die im Massenverkehr gegenüber jedermann Verwendung finden, die Verständnismöglichkeiten eines rechtsunkundigen Durchschnittsbürgers maßgeblich sind, siehe BGHZ 106, 42 (49) = NJW 1989, 222; BGHZ 112, 115 (118) = NJW 1990, 2383; BGHZ 116, 1 (7) = NJW 1992, 179; BGH NJW 1999, 2279 (2280); Kieninger, ebd. 389 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von MüKo BGB/Wendehorst, § 312c Rn. 85 ff. zum Transparenzgebot bei Fernabsatzverträgen. 390 So – zu § 9 AGBG – BGH NJW 2001, 1132 (1133); siehe ferner BGHZ 136, 394 (401) = NJW 1998, 454; BGHZ 141, 137 (143) = NJW 1999, 2279; Erman/Roloff, § 307 Rn. 20. 391 Siehe dazu auch Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 284. 392 Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 284: „Für das iustum pretium gibt es regelmäßig keine objektiven Maßstäbe; an die Stelle objektiver Gerechtigkeit tritt die Marktgerechtigkeit (. . .). Dies impliziert, daß auch das Äquivalenzverhältnis in gegenseitigen Verträgen nicht kontrolliert werden kann (. . .).“ siehe ferner Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 14 f., 18, 21. – Nach BGHZ 100, 157 (174) = NJW 1987, 1931 „verbleibt für die der Überprüfung entzogene Leistungsbeschreibung nur der enge Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann“; siehe auch BGHZ 123, 83 (84) = NJW 1993, 2369; BGHZ 127, 35 (41) = NJW 1994, 2693; BGH NJW 1999, 2279 (2280); BGH NJW 1999, 3558 (3559); BGH NJW 2001, 1132 f.; BGH NJW 2001, 2014 (2016); siehe dazu ferner Fuchs, a.a.O., § 307 Rn. 40 ff.; zur Kontrollfähigkeit von Risikobeschreibungen in Versicherungsverträgen siehe Dreher, Versicherung als Rechtsprodukt, S. 298 ff.; ders., VersR 1995, 247 (249); ausführlich dazu Fuchs, a.a.O., § 307 Rn. 55 ff. – Eine Vertragsannahme ohne Kenntnis der essentialia negotii wäre im übrigen als eine bewußte Risikoerklärung zu bewerten, bei der wegen des Prinzips der Selbstverantwortung kein Anlaß besteht, den Erklärenden unterhalb der Schwel388

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BGB393 das Transparenzgebot ein.394 Das Transparenzerfordernis gilt daher bei preisbestimmenden und leistungsbeschreibenden Klauseln „als systemkonforme Vorbedingung der Kontrollfreiheit“395 . Im Ergebnis müssen somit auch die synallagmatischen Hauptleistungen klar und verständlich geregelt werden.396 Die Rechtsfolgen der Intransparenz richten sich nach § 306 BGB. § 306 Abs. 1 BGB unterscheidet – zu Recht – nicht zwischen den Unwirksamkeitsgründen der Unangemessenheit nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB und der Intransparenz nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.397 Gemäß § 306 Abs. 2 BGB gelten statt der unwirksamen AGB grundsätzlich die gesetzlichen Vorschriften.398 Fehlt es an solchen Bestimmungen im dispositiven Gesetzesrecht, ist zunächst zu prüfen, ob ein ersatzloser Wegfall sachgerecht ist.399 Erst danach kommt ein Rückgriff auf die – im Grundsatz europarechtlich unbedenkliche – 400 ergänzende Vertragsauslegung mit dem Ziel der Lückenausfüllung anhand eines objektiv-generalisierenden Maßstabs401 in Betracht.402 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung und Bewertung des mutmaßlichen typisierten Parteiwillens und der Interessenlage ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, da die ergänzende Vertragsauslegung eine anfängliche Regelungslücke rückwirkend schließt. 403 bb) Die systematische Stellung des Transparenzgebots Das Transparenzgebot wurde durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz von 2001 in § 307 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 BGB umgesetzt. In systematischer Hinsicht le des § 138 BGB von dem übernommenen Risiko zu entlasten, siehe Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 321; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45 (78). 393 Zum Streit um das richtige Verständnis der Vorschrift siehe Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 354. 394 Siehe die Wendung in Art. 4 Abs. 2 der Klauselrichtlinie a. E.: „sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind“. 395 Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 22. 396 Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 353. 397 BGH NJW 2005, 3559 (3565); Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 360. 398 BGH NJW 2005, 3559 (3563). 399 Zum Problem der intransparenten Preis- und Leistungsbestimmungen siehe BGHZ 130, 150 (156) = NJW 1996, 2367; ausführlich Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 368 f. 400 Denn die Klauselrichtlinie regelt nicht, wie eine unwirksame Klausel zu ersetzen ist, siehe BGH NJW 2005, 3559 (3565). Allerdings würde eine inhaltsgleiche Ersetzung der unwirksamen Klauseln die gesetzliche Sanktion der Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 BGB unterlaufen und wäre schon deshalb mit den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu vereinbaren, BGH, a.a.O., S. 3564; siehe ferner BGHZ 90, 69 (78) = NJW 1984, 1177 und Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 363. 401 BGH NJW 2005, 3559 (3565); BGH NJW-RR 2005, 1040 = NZBau 2005, 460; BGHZ 107, 273 (276 f.) = NJW 1989, 3010 m. w. N.; Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 361. 402 Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 360 spricht plastisch von der „doppelten Nachrangigkeit gegenüber der Lückenausfüllung durch dispositives Gesetzesrecht und der Hinnahme eines ersatzlosen Wegfalls einer unangemessen benachteiligenden Klausel als sachgerechte Lösung“. 403 So BGH NJW 2005, 359 (3565).

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vermag dies nicht voll zu überzeugen, denn das Transparenzgebot muß gegebenenfalls im Wege der europarechtskonformen Auslegung schon bei der – logisch „vorgeschalteten“404 – Prüfung der Einbeziehungsvoraussetzungen gemäß §§ 305 Abs. 2 Nr. 2, 305c Abs. 1 und 2 BGB beachtet werden. Der Grund für die erforderliche Normierung405 des Transparenzgebots in § 307 BGB liegt darin, daß bereits die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 9 AGBG dieser Vorschrift ein Transparenzgebot als Teilelement des Benachteiligungsverbots entnommen hatte.406 Der Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung beabsichtigte insoweit keine inhaltliche Änderung, sondern lediglich eine Klarstellung.407 Die weiteren Implikationen, daß nämlich die Pflicht zur Beachtung des Art. 5 S. 1 der Klauselrichtlinie über die Inhaltskontrolle hinausweist, hat er dabei offenbar übersehen. Ungeachtet dessen ist die Aufnahme des Transparenzgrundsatzes in § 307 BGB insofern plausibel, als im Verbandsverfahren gemäß § 1 UKlaG ohnehin nur eine Überprüfung von AGB am Maßstab der §§ 307 bis 309 BGB stattfindet, so daß die Filterwirkung der §§ 305 Abs. 2, 305c Abs. 1 und 2 BGB nicht eingreift.408 Wäre das Transparenzgebot also in § 305 BGB oder § 305c BGB unter Verzicht einer Aufnahme in § 307 BGB geregelt worden, hätte die Beachtung des Transparenzgebots im Verbandsverfahren nur durch Fortschreibung der Rechtsprechung zu § 9 AGBG erfolgen können. cc) Das Problem der isolierten Intransparenz Im Hinblick auf die Grundnorm des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB ist fraglich, ob es Klauseln geben kann, die – ohne selbst inhaltlich unangemessen zu sein – allein wegen ihrer fehlenden Transparenz nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam sind, sog. „isolierte Intransparenz“.409 Denkbar ist das beispielsweise bei Klauseln, die ungeachtet ihrer – vielleicht nur gerade noch – gegebenen inhaltlichen Angemessenheit die Rechtslage durch intransparente Formulierungen zum Nach404

MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 52. EuGH, Urt. v. 10. 5. 2001 – Rs. C-144/99, Slg. 2001, I-3541 Tz. 20 f. – Kommission/Niederlande = EuZW 2001, 437 mit Anm. Leible = NJW 2001, 2244. Nach dieser Entscheidung ist dem Umsetzungserfordernis nicht genügt, wenn das Transparenzgebot durch richtlinienkonforme bzw. systematische Auslegung des nationalen Rechts gewahrt wird. Dieses Urteil bewog den Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes von 2001 zur Normierung des Transparenzgebots in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB; zur Genese siehe Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 170 m. w. N. 406 BT-Drucks. 14/6857 = BR-Drucks. 338/01, S. 352 unter Hinweis auf BGHZ 106, 42 (49). 407 BT-Drucks. 14/6857 = BR-Drucks. 338/01, S. 352. 408 Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 171 f.; siehe auch MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 52. 409 Siehe dazu MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 159; Römer, Festgabe 50 Jahre BGH, S. 375 (386 m. w. N.); Prölss, VersR 2000, 1441 (1452); BGHZ 162, 210 = NJW-RR 2005, 902 (Verstoß abgelehnt); BGH NJW-RR 2005, 1189 (1190 ff.) = VersR 2005, 976 (Verstoß bejaht), jeweils mit Nachweisen zum früheren AGB-Recht. 405

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teil des Kunden verschleiern.410 Ein Indiz für Intransparenz liegt vor, wenn Rechtsprechung und Literatur über den Klauselinhalt streiten oder mit ganz subtilen Abgrenzungen arbeiten müssen.411 So betrachtet hatte der Gesetzgeber recht, als er in dem Gesetzentwurf zur Schuldrechtsmodernisierung in Anlehnung an Brandner feststellte, daß das Transparenzgebot „eine ganz eigenständige Prüfungskategorie“ sei.412 Rechtstechnisch betrachtet steht das Transparenzgebot aber nicht völlig „isoliert“, sondern ist ein selbständiger Unterfall der Unangemessenheit nach § 307 Abs. 1 BGB.413 Nach herrschender Ansicht zeigt das Transparenzgebot „nur eine spezifische Form auf“, in der das Leitkriterium der unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners „(auch) erfüllt werden kann“.414 Es als einen „Fremdkörper“415 zu bezeichnen, geht aber zu weit. Denn aus der Intransparenz einer Klausel kann durchaus eine unangemessene Benachteiligung des Kunden folgen, das wird sogar der Regelfall sein.416 Im Ergebnis ist die Frage nach der Möglichkeit einer „isolierten Intransparenz“ dahin zu beantworten, daß das Transparenzgebot einen zwar eigenständigen Prüfungspunkt darstellt, aber nicht in der Weise ganz „isoliert“ gesehen werden kann, daß schon die unklare Formulierung einer Klausel für sich genommen, ohne inhaltliche Benachteiligung des Vertragspartners zur Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB führen würde.417 Wenn die Intransparenz als solche eine Benachteiligung des Kunden zur Folge hat, liegt hingegen ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB vor.418 Die Intransparenz ist generalisierend zu beurteilen, d. h. anhand des Verständnishorizonts des Durchschnittsverbrauchers und nicht etwa dem eines bestimmten Vertragspartners. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß eine Beseitigung der Intransparenz im Wege der Individualaufklärung im Individu410 Siehe dazu auch Staudinger/M. Coester, § 378 Rn. 178; MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 52. 411 OLG Nürnberg VersR 2002, 967 = NVersZ 2002, 282 („Allmählichkeitsschaden“); MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 159. 412 BT-Drucks. 14/6857 = BR-Drucks. 338/01, S. 352; siehe auch Fuchs, in: U/B/H, Vorb. v. 307 BGB Rn. 19 (Transparenzkontrolle ist kein Unterfall der Inhaltskontrolle, sondern selbständige Kategorie der Mißbrauchskontrolle). 413 Zur Entwicklung des Transparenzgebots als einem selbständigen Teil der Unangemessenheit in der Rechtsprechung siehe BGHZ 106, 42 (49) = NJW 1989, 222; BGHZ 106, 249 (264 f.); BGHZ 112, 115 = NJW 1990, 2383; BGHZ 136, 394 (401) = NJW 1998, 454; BGHZ 140, 25 (31) = NJW 1999, 635; BGH NJW 2000, 651 (652), alle zum früheren Recht. 414 Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 174. 415 MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 53. 416 Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 331 m. w. N.; Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 174; Palandt/Heinrichs, § 307 Rn. 20; vgl. auch Bamberger/Roth/H. Schmidt, § 307 Rn. 43, wo die Intransparenz als ein starkes Indiz für eine unangemessene Benachteiligung angeführt wird. 417 Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 174; Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 330. 418 Siehe Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 174 ff. mit folgenden beiden Fallgruppen: (1) unangemessene Benachteiligung durch Vereitelung von Marktchancen und (2) unangemessene Benachteiligung durch Erschwerung der Rechtsbewahrung.

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alprozeß beachtlich ist.419 Der Verwender muß sich nicht an unterdurchschnittlichen Verständnismöglichkeiten des Kunden orientieren, kann sich aber auf ein etwaiges Sonderwissen des Vertragspartners nicht berufen. 420 b) Die getrennte Prüfung des überraschenden Charakters und der Mißbräuchlichkeit von Klauseln Anders als von der früheren Rechtsprechung praktiziert, sind die Kontrolle der inhaltlichen Mißbräuchlichkeit und die Kontrolle des überraschenden Charakters von Klauseln im Gesetz von Anfang an getrennt worden (§§ 9 und 3 AGBG bzw. § 307 und § 305c Abs. 1 BGB). Wie gezeigt, ergänzt § 305c Abs. 1 BGB die vorgeschalteten Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB.421 Die Systematik des Gesetzes ist dem Prüfungsmaßstab der früheren Rechtsprechung klar überlegen. II. Die Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB im einzelnen 1. Sinn und Zweck der Inhaltskontrolle a) Grundsätzlich hat die Inhaltskontrolle den Zweck, einen Ausgleich dafür zu schaffen, daß infolge der Vorformulierung und dem (unter Umständen nach § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB fiktiven) „Stellen“ der AGB durch den Verwender die Gestaltungsfreiheit einseitig bei diesem liegt.422 Es kommt dann nicht zu einem „Abschleifen“ der einander widerstreitenden Parteiinteressen, der „Vertragsmechanismus“ im Sinne Schmidt-Rimplers funktioniert nicht mit der Folge, daß die „vertragliche Richtigkeitsgewähr“ nicht erreicht werden kann, weil der Verwender seine Interessen einseitig durchsetzen kann.423 Der Schutzansatz der Inhaltskontrolle ist – zumindest im Ausgangspunkt – 424 ein generalisierender und typisierender: 425 Die zu begutachtende Klausel ist unwirksam, wenn sie die bei der fraglichen Art von Rechtsgeschäften regelmäßig und typischerweise be419 Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 204 mit der konsequenten Annahme, daß individuell vorhandenes Sonderwissen des Vertragspartners die Intransparenz (gemessen am Maßstab des Durchschnittskunden) nicht beseitigt (gegen BGH ZIP 1996, 1289, 1291). 420 Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 204. 421 Siehe oben C. I. 1. 422 Siehe Erman/Roloff, BGB, Vor §§ 305–310 Rn. 1 m. w. N.: AGB seien nicht nur vom Rationalisierungsinteresse des Verwenders, sondern auch vom Bestreben geprägt, die eigene Rechtsposition zu stärken und möglichst viele Risiken auf den Vertragspartner zu verlagern. 423 Fuchs, in: U/B/H, Vorb. v. 307 BGB Rn. 26; Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 5, 179, 324. 424 Zu der konkret-individuellen Betrachtungsweise gemäß Art. 4 Abs. 1 der Klauselrichtlinie siehe dazu sogleich unter 2. 425 BGH NJW 1997, 3022 (3024): Es gilt eine „überindividuell-generalisierende, typisierende, von den konkreten Umständen des Einzelfalls absehende Betrachtungsweise“; ebenso BGHZ 98, 303 (308) = NJW 1987, 487; BGHZ 110, 241 (244) = NJW 1990, 1601, st. Rspr.

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stehenden Interessen des betroffenen Kundenreises,426 d. h. jene des „Durchschnittskunden“,427 nicht angemessen berücksichtigt.428 Denn die Inhaltskontrolle „rechtfertigt sich gerade auch aus dem generellen, auf eine Vielzahl gleichförmiger Geschäfte zugeschnittenen Charakter; das Einzelgeschäft erscheint so nur als einer von vielen Anwendungsfällen, der Vertragspartner weniger in seiner Individualität, sondern als Vertreter der durch ihn repräsentierten Kundengruppe“.429 Die Besonderheiten des jeweiligen Vertragstyps und die Unterschiede in den Interessenlagen der Parteien sind im Rahmen des generalisierenden Prüfungsmaßstabs beachtlich, soweit sie verallgemeinerungsfähig und typisierbar sind.430 Unstreitig können auch gruppenspezifische Interessen – als typische Interessen der beteiligten Verkehrskreise – berücksichtigt werden.431 Im Rahmen dieses generalisierenden Maßstabs ist weder auf das konkrete „Machtgefälle“ zwischen den Parteien im Einzelfall noch auf die wirtschaftliche Unterlegenheit bzw. Schutzbedürftigkeit des Kunden, seine Geschäftserfahrung, soziale Herkunft oder intellektuelle Kapazität abzustellen.432 b) Eine Ausnahme von der Inhaltskontrolle besteht gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB für die Beschreibung der Hauptleistungen.433 Die Vorschrift wird in der Praxis eng interpretiert, um eine weitreichende Inhaltskontrolle von leistungsbeschreibenden AGB zu erreichen.434 Das ist vor allem bei Versicherungsverträgen im Hinblick auf die in den AGB der Versicherer geregelten Risikobeschreibungen, Risikoausschlüsse435 und Obliegenheiten plausibel.436 Von der Inhalts426

BGH NJW 1992, 1626 (1627). Wenn sich verschiedene Interessengruppen identifizieren lassen, sind bei der Inhaltskontrolle gemäß der Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB gruppentypische Differenzierungen möglich, z. B. zwischen Kaufleuten und Privatpersonen; näher dazu Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 111 f. 428 Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 109. 429 Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 109 m. w. N.; siehe auch Erman/Roloff, § 307 Rn. 5: „AGB haben nicht den individuellen Vertragspartner im Blick, sondern beziehen sich auf ihn als Angehörigen einer bestimmten Gruppe wie bsp Versicherungsnehmer, Großhändler, Handelsvertreter.“ 430 Erman/Roloff, § 307 Rn. 5; BGH NJW 1986, 2102 (2103). 431 Erman/Roloff, § 307 Rn. 5. 432 Siehe auch Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 110; Fuchs, in: U/B/H, Vorb. v. 307 BGB Rn. 27; anders zum Teil die Literatur vor 1976, vgl. Wolf, JZ 1974, 465 (468 ff.) und Nicklisch, BB 1974, 941 (944 ff.). 433 Siehe dazu im einzelnen MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 12 ff. 434 MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 152. 435 Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH sind Risikoausschlußklauseln eng auszulegen, d. h. nicht weiter, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer brauche nicht damit zu rechnen, daß Lücken im Versicherungsschutz auftreten, ohne daß die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht, siehe BGH NJW 2003, 826 (828); BGH NJW 2003, 139; BGH NJW-RR 1999, 1038 (1039) = VersR 1999, 748. 436 Siehe dazu Dreher, Versicherung als Rechtsprodukt, S. 298 ff. und öfter; ferner MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 152 f.; Erman/Roloff, § 307 Rn. 169 ff. 427

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kontrolle ausgenommen sind die einem engen Kernbereich437 zuzurechnende allgemeine Beschreibung des versicherten Objekts und der versicherten Gefahr.438 Die Rechtsprechung erachtet Leistungsbezeichnungen nur dann für kontrollfrei, wenn ohne deren Vorliegen mangels Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden könnte.439 2. Genereller versus individueller Beurteilungsmaßstab bei der Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen a) Die Pflicht zur Berücksichtigung der vertragsschlußbezogenen Umstände Ein wichtiges Ergebnis aus dem zweiten Paragraphen dieser Untersuchung bestand in der Erkenntnis, daß die Forderung nach der Verwendung einer „klaren und verständlichen Sprache“ gemäß Art. 5 Satz 1 der Klauselrichtlinie, also das Transparenzgebot, nicht dahin verstanden werden kann, daß eine bestimmte Amtssprache des betreffenden Mitgliedstaats bei der Informationserteilung gegenüber dem Verbraucher Verwendung finden müsse. Ebensowenig kann es dahin interpretiert werden, daß die Information in der Sprache eines – bezogen auf den Mitgliedstaat – individuellen ausländischen Verbrauchers als Vertragspartner gegeben werden müsse.440 Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob der generalisierende Maßstab der Inhaltskontrolle bei Verbraucherverträgen durch die Vorgaben der Klauselrichtlinie durchbrochen wird. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG bestimmt unter anderem, daß die Mißbräuchlichkeit einer Vertragsklausel unter Berücksichtigung „aller den Vertragsabschluß begleitenden Umstände“ beurteilt wird. Die Vorschrift wurde durch § 24a AGBG, in das deutsche Recht umgesetzt und findet sich heute in § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB. Gemäß dieser Norm sind bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB in Verbraucherverträgen „auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen“.

437 Dreher, Versicherung als Rechtsprodukt, S. 305: „Im Ergebnis ist daher der Kernbereich der Leistungsbeschreibung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht kontrollfähig. (. . .) Kontrollfrei bleibt danach nur der hier im einzelnen abgegrenzte Bereich des Leistungskerns.“ 438 Prölss/Martin, VVG, Vorb. zur Anw. d. Versicherungsrechts Rn. 47; MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 152; kritisch zu dieser verbreiteten Formulierung Dreher, Versicherung als Rechtsprodukt, S. 305 f.; gegen die Anerkennung eines kontrollfreien „Kernbereichs“ Schünemann, VersR 2000, 144 (147 f.). Auf die exakte Bestimmung des kontrollfreien Kernbereichs kann hier nicht weiter eingegangen werden. 439 Siehe die umfassenden Rechtsprechungsnachweise bei Prölss/Martin, VVG, Vorb. zur Anw. d. Versicherungsrechts, Rn. 47. 440 Ebenso Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union IV, A 5, Art. 5 Rn. 8; Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 284 f.; a. A. Reich, EuZW 1997, 581 (584).

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b) Berücksichtigung individueller persönlicher Umstände bei der Inhaltskontrolle im Wege der richtlinienkonformen Auslegung? aa) Die rechtliche Bedeutung der Bezugnahme auf die konkreten Umstände des jeweiligen Vertrags und die richtige praktische Umsetzung im deutschen Recht werden kontrovers diskutiert.441 Überwiegend wird – unter Berufung auf eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB nach Maßgabe des 16. Erwägungsgrundes der Klauselrichtlinie – eine Berücksichtigung der „persönlichen Eigenschaften des individuellen Vertragspartners, die sich auf die Verhandlungsstärke auswirken“442 , gefordert.443 Da die intellektuellen und sprachlichen Fähigkeiten des konkreten Verbrauchers seine Verhandlungsstärke erheblich beeinflussen, könnte man in konsequenter Fortführung dieses Gedankens § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB als Anknüpfungspunkt für eine Berücksichtigung der intellektuellen Fähigkeiten des Adressaten und damit zugleich für die Zuweisung des „Sprachrisikos“ im AGB-Recht verstehen.444 Ausweislich des 15. und des 16. Erwägungsgrundes der Klauselrichtlinie soll die Mißbrauchskontrolle durch die „Möglichkeit einer globalen Bewertung der Interessenlagen der Parteien“ ergänzt werden. Ansatzpunkt für eine Ergänzung der generellen Betrachtungsweise ist das Gebot von Treu und Glauben. Insbesondere soll berücksichtigt werden, „welches Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien bestand“. Mit der Anerkennung dieser Aspekte wird die herkömmliche typisierende Betrachtung eindeutig verlassen. Es kommt – in einem ergänzenden zweiten, nachgeschalteten Prüfungsschritt – 445 zu einem Perspektivenwechsel und einer am Einzelfall orientierten Bewertung der fraglichen Klausel(n). Man hat darin zutreffend eine Nähe zu der verfehlten446 Theorie von der Verhandlungs- oder Vertragsparität erkannt, die das 441 Ausführlich zum Streitstand MüKo BGB/Basedow, § 310 Rn. 72 ff. mit umfassenden Nachweisen; siehe ferner Habersack/Kleindiek/Wiedemann, ZIP 1993, 1670 (1673 f.). 442 BAG NZA 2006, 324 (328). 443 BAG NZA 2006, 324 (328 m. w. N.); siehe ferner Brandner, in: U/B/H, 9. Aufl. 2001, § 9 Rn. 179; Stoffels, AGB-Recht, Rn. 481; MüKo BGB/Basedow, § 310 Rn. 75; Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 410 f. 444 Siehe U. Preis, NZA 2003 Sonderbeilage zu Heft 16, 19 (27): Es komme auf die persönlichen Eigenschaften, die Geschäftserfahrung und Verhandlungsstärke, die Beurteilungsfähigkeit, das Angewiesensein auf die Leistung, auf intellektuelle Stärken und Schwächen sowie auf die konkrete Situation des Vertragsschlusses (d. h. darauf, ob der Verwender seinen Vertragspartner überrascht, überrumpelt oder den wahren Vertragsinhalt verschleiert) an. 445 MüKo BGB/Basedow, § 310 Rn. 75; Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union IV, A 5, Art. 4 Rn. 4; Brandner, in: U/B/H, 9. Aufl. 2001, § 9 Rn. 178 f.; Stoffels, AGBRecht, Rn. 481; MüKo BGB/Basedow, § 310 Rn. 75; Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 411; Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 117; Heinrichs, NJW 1996, 2190 (2193 f.); Erman/Roloff, § 310 Rn. 24; vgl. auch OLG Frankfurt NJW-RR 2001, 780 (781); kritisch Staudinger/Schlosser, § 310 Rn. 70; a. A. Hommelhoff/Wiedenmann, ZIP 1993, 562 (568 f.): Inhaltskontrolle nur am konkret-individuellen Maßstab. 446 Zur Ablehnung der Forderung nach einem Kräftegleichgewicht zwischen den Kontrahenten siehe oben § 4 B. III. 4. b; ablehnend auch Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45 (89), 1.

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Ziel verfolgt, ein bestehendes Machtungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern zu eliminieren oder wenigstens abzuschwächen.447 bb) Machte man mit der Forderung nach der Anlegung eines konkret-individuellen Beurteilungsmaßstabs bei der Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen unter Einschluß der genannten personenbezogenen Umstände ernst, würde die typische und legitime Funktion von AGB in der Praxis, nämlich einer Vielzahl von Vertragsabschlüssen als Grundlage zu dienen.448 allenfalls noch mit erheblichen Einschränkungen erreicht werden können.449 Anders läge es nur bei den sog. Einmalbedingungen gemäß des § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, die aber naturgemäß nicht die praxisrelevanten Fallgestaltungen kennzeichnen.450 cc) Fraglich ist, ob § 310 Abs. 3 Nr. 3 – in richtlinienkonformer Interpretation gemäß den Vorgaben der Klauselrichtlinie – wirklich ein derart weitgehendes konkret-individuelles Normverständnis fordert. Für sich gesehen bedeutet eine Pflicht zur Berücksichtigung der den Vertragsschluß begleitenden Umstände nicht zwingend auch die Pflicht zur Berücksichtigung intellektueller Fähigkeiten des Kunden. Denn diese Umstände würden schließlich auch dann „berücksichtigt“, wenn man sie – wie bei § 305c Abs. 1 BGB – als situationsbezogene Umstände während der Verhandlungen und bei Vertragsschluß verstehen würde,451 wie z. B. den Ort und Zeitpunkt der Verhandlungen bzw. des Vertrags-

These: Eine geringere Freiheit oder Gleichheit eines Vertragspartners liefere keine ausreichende Rechtfertigung der Inhaltskontrolle vorformulierter Klauseln in privaten Verträgen. Bei evidenten Störungen der Freiheit oder Gleichheit sei nicht die Inhaltskontrolle, sondern vielmehr die Aufhebung der Bindung des Partners an den Vertrag die richtige Reaktion. 447 Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union IV, A 5, Art. 4 Rn. 10. 448 Das Rationalisierungsinteresse des Verwenders „wird im modernen Massenverkehr für grundsätzlich legitim gehalten, seine Anerkennung ist der Hauptgrund für die grundsätzliche Akzeptanz von AGB überhaupt“, so Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 156. Daraus folgt, daß die Zwecke der „Erleichterung, Vereinfachung, Gleichschaltung und Kostenersparnis“ generelle Regelungen rechtfertigen können, „die den Kunden lästig sind“, Staudinger/M. Coester, ebd. m. w. N. für diese ganz h.M. 449 Nach der h.M. soll es sich bei der Berücksichtigung individueller Umstände – entsprechend dem 16. Erwägungsgrund der Klauselrichtlinie – zwar nur um eine „Ergänzung“ des generell-typisierenden Maßstab handeln (Palandt/Heinrichs, § 310 Rn. 19; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2193; Maidl, Ausländische AGB, S. 185). In dem Fall, daß sie tatsächlich Berücksichtigung finden, wird aber der typisierende Maßstab und damit die Massentauglichkeit des Klauselwerks gerade ausgeschaltet. Die Generalisierung ist daher nur der Ausgangspunkt, der bei Vorliegen besonderer individueller Umstände verlassen wird; mit Recht kritisch MüKo BGB/Basedow, § 310 Rn. 71, 74. 450 Für eine konkret-individuelle Betrachtung von Einmalbedingungen Palandt/Grüneberg, § 310 Rn. 19. 451 Vgl. Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 3, 6: Die Richtlinie 93/13/EWG sowie § 310 Abs. 3 BGB nähmen ihren Ausgangspunkt nicht beim konkret-individuellen Macht- und Kräftegefälle zwischen den Vertragsparteien, sondern bei einer „situativen Unterlegenheit des Vertragspartners“. Das die Inhaltskontrolle legitimierende Ungleichgewicht der Kräfte werde also „rollenspezifisch“ definiert. Auch das EG-Recht ziele primär auf die Situation, nicht auf die Personen ab (a.a.O., Rn. 6).

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schlusses, das Vorliegen einer Überrumpelungssituation452 , usw. Die Rechtsprechung zu § 9 AGBG hat bei der Prüfung der Angemessenheit von Klauseln im Individualverfahren nie eine isolierte Betrachtung angelegt, sondern immer eine umfassende Würdigung aller Gesichtspunkte einschließlich des gesamten Vertragsinhalts und der dadurch begründeten beiderseitigen Rechte und Pflichten vorgenommen.453 Es ist unstreitig, daß die „Besonderheiten der konkreten Vertragsabschlußsituation“ im Rahmen der Mißbrauchskontrolle Beachtung verdienen.454 So kann beispielsweise das Drängen des Verwenders gegenüber dem Gegner zur Unterschriftsleistung unter den Vertrag ohne eingehende Möglichkeit der Prüfung seines Inhalts im Einzelfall ebenso zur Unangemessenheit gemäß § 307 Abs. 1 BGB führen wie die Bagatellisierung wichtiger Erklärungen durch den Verwender (Unterschriftsleistung „nur für die Akten“).455 c) Mögliche Auswirkungen der Erwägungsgründe der Klauselrichtlinie auf die „Sprachrisiko“-Thematik aa) Fraglich ist, welche konkreten Auswirkungen Art. 4 Abs. 1 und Erwägungsgrund 16 der Klauselrichtlinie 93/13/EWG auf die Bewältigung des „Sprachriskos“ haben. Kann man die aus der Ausländereigenschaft des konkreten Kunden folgende „Defektlage“ sprachlicher Art in die Richtlinienvorgaben „hineinlesen“? Ist das im 16. Erwägungsgrund angesprochene „Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien“ gestört, wenn der Verwender mit einem ausländischen Kunden kontrahiert, ohne etwaige Verständnisschwierigkeiten zu berücksichtigen? Führt die Nichtbeachtung sprachbedingter Verständnismängel infolge Ausländereigenschaft zu einer Verletzung der „berechtigten Interessen“ des ausländischen Kunden seitens des Verwenders bzw. zu einer Verletzung der sich aus Treu und Glauben ergebenden Pflicht, sich diesem gegenüber „loyal und billig“ zu verhalten? bb) Die Bejahung aller dieser Fragen setzt zunächst voraus, daß man die individuellen Merkmale aus dem 16. Erwägungsgrundes als in Art. 4 Abs. 1 der Klauselrichtlinie ungeschrieben „mitgeregelt“ ansieht. Denn eine direkte Heranziehung scheidet aus, weil Erwägungsgründe nach den allgemeinen europarechtlichen Grundsätzen keine Rechtsnormqualität besitzen. Da Art. 4 Abs. 1 452 Eine Überrumpelungssituation kann durchaus auch bei an sich geschäftserfahrenen Durchschnittskunden in Betracht kommen. Hier gilt nichts anderes als bei dem Schutz vor Irreführung nach §§ 5, 5a UWG 2008; eine „rollenspezifische Unterlegenheit“ des Verbrauchers ist dafür keine zwingende Voraussetzung. 453 BGHZ 82, 238 (245) = NJW 1982, 644. 454 Brandner, in: U/B/H, 9. Aufl. 2001, § 9 Rn. 179. 455 U. Preis, NZA 2003 Sonderbeilage zu Heft 16, 19 (27); Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union IV, A 5, Art. 4 Rn. 13 mit weiteren Beispielen für eine unzulässige Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers.

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der Richtlinie 93/13/EWG generalklauselartig und weit „alle den Vertragsabschluß begleitenden Umstände“ erfaßt, steht ein solcher Interpretationsansatz nicht vor unüberwindlichen Auslegungshürden. In der Sache spricht aber dagegen, daß die Theorie von der Verhandlungs- bzw. Vertragsparität verfehlt ist456 und daß die AGB bei Beachtlichkeit konkret-individueller, personenbezogener Umstände ihrer wesentlichen Funktion beraubt würden, bei Abschluß einer Vielzahl von Verträgen als „vorgefertigte Rechtsordnung“ zu dienen. Im Schrifttum hat man teilweise eine Begrenzung der Beachtlichkeit konkret-individueller Umstände gefordert. Der 16. Erwägungsgrund soll nach dem Zweck der Richtlinie dahin zu verstehen sein, „daß das Kräfteungleichgewicht nur als mögliche Ursache einer konkret feststellungsbedürftigen Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit im Rahmen des generalklauselförmigen Mißbrauchsbegriffs relevant wird“.457 Eine Regel des Inhalts, daß je größer das Kräfteungleichgewicht zwischen dem Gewerbetreibenden und dem Verbraucher ist, desto strenger die Vertragsklauseln auf Mißbräuchlichkeit zu untersuchen seien, wird konsequent verworfen.458 Ob diese erhebliche, in der Sache vernünftige Einschränkung dem Willen des Richtliniengebers und dem Telos der Richtlinie entspricht, ist fraglich und umstritten. Für eine solche Sicht der Dinge spricht, daß die Erwägungsgründe selbst von einer „globalen Bewertung der Interessenlage der Parteien“ und von einem „Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien“ sprechen.459 Ausgehend hiervon kann man vielleicht von einem auf ein „rollenspezifisches Kräftegefälle der Vertragsparteien“ abstellenden Ansatz der Klauselrichtlinie sprechen. 460 cc) Letztlich entscheidend für die „Sprachrisiko“-Frage ist aber nicht die konzeptionelle Bewertung des konkret-individuellen bzw. rollenspezifischen Beurteilungsansatzes der Klauselrichtlinie auf zweiter Stufe, sondern der Umstand, daß eine explizite Regelung des Stellenwerts intellektueller Defizite für die Beurteilung der Mißbräuchlichkeit in dem Geänderten Vorschlag der Kommission von 1992, wegen der berechtigten461 „grundsätzlich-konzeptionellen Kritik

456

Siehe oben § 4 A. IV. 2. b. Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union IV, A 5, Art. 4 Rn. 12 458 Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union IV, A 5, Art. 4 Rn. 12 (gegen Kapnopoulou, Das Recht der mißbräuchlichen Klauseln in der Europäischen Union, 1997, S. 121 f.). 459 Richtig gesehen von Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 6, 118. 460 Staudinger/M. Coester, BGB, Vorbem. zu §§ 307–309 Rn. 7; siehe auch dens., a.a.O., § 307 Rn. 3, 6 f., 118. Im Ergebnis tritt aber auch Coester (a.a.O., Rn. 118) bei Verbraucherverträgen für eine „konkrete Paritätsprüfung“ ein. Spätestens hier könne in die Bewertung einfließen, „ob es sich um eine Großbank oder einen Gemüsehändler (auf Unternehmerseite) bzw um einen geschäftserfahrenen oder einen unkundigen, leichtsinnigen Verbraucher handelte“. 461 Zur fehlenden theoretischen Eignung des Topos „Ungleichgewichtslage“, seiner begrifflichen Unschärfe und der fehlenden Praktikabilität siehe schon oben § 4 B. III. 4. b sowie bezüglich des AGB-Rechts insbesondere Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45 (52 ff.) m. w. N. 457

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an diesem Regelungsansatz“462 durch den „Gemeinsamen Standpunkt“ des Rates vom 22. September 1992 gestrichen wurde.463 Gemäß Artikel 4 Abs. 1, 2. Spiegelstrich des Geänderten Vorschlags sollte eine Vertragsklausel als mißbräuchlich zu bewerten sein, wenn sie „dem Verbraucher aufgrund der wirtschaftlichen Macht des Gewerbetreibenden und/oder seiner eigenen wirtschaftlichen und/oder intellektuellen Schwäche“ auferlegt wurde.464 Da die „intellektuelle Schwäche“ weder in Art. 4 Abs. 1 der Klauselrichtlinie noch in einem ihrer Erwägungsgründe als maßgeblicher Aspekt der Mißbrauchskontrolle genannt wird, spricht die Entstehungsgeschichte eindeutig gegen eine entsprechende Interpretation dieser Vorschrift, so daß auch die Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Interpretation des nationalen Umsetzungsrechts nicht betroffen ist. dd) Die Berücksichtigung der intellektuellen und sprachlichen Fähigkeiten des individuellen Kunden im Einzelfall ist wegen der Funktion von AGB, im „Normalfall“ für eine Vielzahl von Verträgen als Grundlage zu dienen, im übrigen weder sinnvoll noch in der Praxis immer möglich. Die nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB zu berücksichtigenden, den Vertragschluß begleitenden Umstände bringen bereits ein Maß an „Individualisierung“ des AGB-Rechts mit sich, das nicht noch zusätzlich mit aus der sozialen Herkunft, der wirtschaftlichen Erfahrung und dem Intellekt resultierenden individuellen Fähigkeiten bzw. Defekten des jeweiligen Verbrauchers im Einzelfall „belastet“ werden sollte.465 Der Verwender von AGB soll sich nicht in jedem Einzelfall mit der Frage befassen müssen, „ob er einen geschäftserfahrenen oder einen unkundigen, leichtsinnigen Verbraucher“ zum Kunden hat,466 denn er kann „ein anerkennenswertes Interesse an einfacher Vertragsabwicklung“467 geltend machen. Was im Hin462 Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union IV, A 5, Art. 4 Rn. 12; zur Kontroverse vor Verabschiedung der Richtlinie siehe auch den Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 93/13/EWG, KOM 2000(248) endg. v. 27. 4. 2000, S. 5, abrufbar unter der Adresse ec.europa.eu/consumers/cons_int/safe_shop/unf_cont_terms/uct03_ de.pdf. 463 Schmidt-Salzer, BB 1995, 1493 (1498). 464 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, KOM(92) 66 endg., ABl. EG v. 24. 3. 1992 Nr. C 73, S. 7 (9). Diese Regelung war in dem ursprünglichen Richtlinienvorschlag noch nicht enthalten, siehe SchmidtSalzer, BB 1995, 1493 (1498). 465 Vgl. auch MüKo BGB/Basedow, § 310 Rn. 71: Zu berücksichtigen seien „die rollenspezifi schen Interessen typischer Vertragspartner in der betreffenden Lage (. . .), nicht dagegen die konkreten Erwartungen und Interessen der im Streitfall beteiligten individuellen Parteien und auch nicht die sonstigen Besonderheiten des einzelnen Vertragsschlusses“; ähnlich SchmidtSalzer, BB 1995, 1493 (1498): Die „individuellen Kräfteverhältnisse gerade zwischen den beiden Vertragspartnern unter den spezifi schen Gegebenheiten gerade dieses Vertragsschlusses“ müßten und könnten von dem typisierenden Ansatz der EG-Richtlinie her im Normalfall ausgeklammert bleiben. 466 So aber Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 118. 467 Erman/Roloff, § 307 Rn. 12 m. w. N.

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blick auf das Verständnis eines Einzelvertrags überzeugt, nämlich eine „auch konkret-individuelle Betrachtungsweise“, paßt nicht bei einer Vielzahl gleichartiger Verträge und den dafür geschaffenen Rechtsvorschriften. Die ganz herrschende Ansicht, die den 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13/EWG – vermittelt über Art. 4 Abs. 1 – durch richtlinienkonforme Interpretation in § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB hineinliest468 und die persönlichen Eigenschaften des individuellen Vertragspartners des Verwenders in einem zweiten Schritt der Abwägung berücksichtigt, begegnet erheblichen Bedenken, weil sie bei konsequenter Anwendung zu einem Paradigmenwechsel bei der Inhaltskontrolle „durch die Hintertür“469 führen würde. Daß der Paradigmenwechsel nur ergänzend auf der zweiten Stufe der Beurteilung erfolgen soll, ändert nichts an seiner grundsätzlichen Bedeutung: In der Praxis wäre die Geltung von AGB, die der Verwender irgendwann einmal für eine Vielzahl von Geschäftsabschlüssen vorformuliert hat, im Individualverfahren davon abhängig, wie der zuständige Richter das Kräfteverhältnis der Parteien, geprägt durch die wirtschaftlichen Umstände und die intellektuellen Fähigkeiten namentlich des Kunden, im Einzelfall bewertet, ohne daß es auf eine mögliche abweichende Beurteilung nach der generalisierend-typisierenden Betrachtung auf der ersten Stufe noch ankäme. Was in dem einen Verfahren noch zulässig war, kann in dem nächsten – wegen festgestelltem Kräfteungleichgewicht – unzulässig sein und umgekehrt. ee) Dieser problematischen Frage ist im folgenden nicht weiter nachzugehen. Nach hier vertretener Ansicht haben jedenfalls die individuellen Sprachdefizite des Verbrauchers bei der Inhaltskontrolle von AGB außer Betracht zu bleiben, weil nach der Streichung des Art. 4 des Geänderten Entwurfs die intellektuelle Schwäche des Verbrauchers infolge der Kritik an der Konzeption der Kommission kein Kriterium ist, das bei der Mißbrauchskontrolle von AGB gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB zwingende Beachtung finden müßte. Dasselbe gilt auch für das andere weggefallene Kriterium, die wirtschaftliche Schwäche.470 Derartige Sachverhaltselemente und das aus ihnen resultierende Kräfteungleichgewicht spielen praktisch wohl auch nur dann eine Rolle, wenn es sich um typische – d. h. einzelfallunabhängige und wiederkehrende – Elemente handelt. In der Rechtsprechung finden sich für diese Betrachtung viele Beispiele, während es an Entscheidungen, die für eine „konkret-individuelle Beurteilung auf zweiter Stufe“ angeführt werden könnten, soweit ersichtlich vollständig mangelt. 468 So namentlich Staudinger/Schlosser, § 310 Rn. 72. Für die Unwirksamkeit einer Klausel nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB spreche unter anderem ein „intellektuelles oder wirtschaftliches Ungleichgewicht der Vertragspartner“; ebenso Erman/Roloff, § 310 Rn. 25: „Aber auch die intellektuellen Fähigkeiten haben Einfl uss auf die Verhandlungsstärke.“ 469 Vgl. auch Staudinger/M. Coester, BGB, Vorbem. zu §§ 307–309 Rn. 7: Das minimalistische Umsetzungskonzept des deutschen Gesetzgebers (§ 24a AGBG bzw. § 310 Abs. 3 BGB) dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, daß in Deutschland fortan zwei inhaltlich überlappende, konzeptionell aber verschiedene Schutzansätze gegen AGB nebeneinander ständen. 470 Anders die h.M.

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3. Die Möglichkeiten der Anfechtung durch den Kunden im Einzelfall 471 a) Durch den hier befürworteten engeren Interpretationsansatz betreffend die Berücksichtigung individueller Umstände bei der Mißbrauchskontrolle wird der Verbraucher im konkreten Einzelfall nicht schutzlos gestellt. Denn einseitige, rein individuell bedingte Fehlvorstellungen des Kunden über die Einbeziehung von AGB oder die Bedeutung einzelner Klauseln können im Wege der Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 oder § 123 Abs. 1 BGB beseitigt werden.472 Das betrifft sowohl die Einbeziehungserklärung473 insgesamt als auch die Einbeziehung einzelner, z. B. geänderter Klauseln.474 Die Irrtumsanfechtung setzt eine hinreichend konkrete (Fehl-)Vorstellung vom Inhalt der AGB voraus.475 Daran fehlt es, wenn sich der Kunde keine konkreten Vorstellungen über den Inhalt seiner Erklärung gemacht hat.476 An einer konkreten Vorstellung fehlt es nicht aber notwendigerweise schon dann, wenn der Erklärende die AGB nicht gelesen hat. Denn es ist – insbesondere im Rahmen einer ständigen Geschäftsbeziehung – möglich, daß der Kunde den Inhalt der AGB zu kennen glaubt, obgleich sie durch den Verwender in der Zwischenzeit geändert wurden.477 b) Für die Anfechtung gelten die in § 6 herausgearbeiteten Grundsätze entsprechend, das heißt: Wer einen Vertrag mit einer Einbeziehungserklärung unterschreibt und dabei an sprachbedingten Verständnisschwierigkeiten leidet, gibt grundsätzlich eine Risikoerklärung ab und ist demzufolge nicht zur Anfechtung berechtigt.478 Ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum liegt nur dann vor, wenn der Vertragspartner die konkrete Vorstellung hatte, den Vertrag ohne die AGB479 oder jedenfalls nicht mit diesen AGB abzuschließen.480 Der Grundsatz der Bindung an die Verhandlungs- und Vertragssprache steht der Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB nicht entgegen, weil das Vorliegen der Ein471 Siehe dazu insbesondere Loewenheim, AcP 180 (1980), 433 ff., der einen Überblick über die Entwicklungen des Meinungsstands in Rechtsprechung und Schrifttum zur Irrtumsanfechtung bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen gibt und dabei auch die – hier weggelassene – Frage der Irrtumsanfechtung durch den Verwender erörtert. 472 Ausführlich zum Problem siehe Staudinger/M. Coester, § 307 Rn. 22 ff. 473 Genau betrachtet handelt es sich um die Anfechtung einer einheitlichen Willenserklärung, nämlich der Annahme des Vertragsangebots unter Einbeziehung der AGB durch den Kunden, so zutreffend Fuchs, in: U/B/H, Vorb. v. § 307 Rn. 75 mit Fn. 197. Ausführlich zur Anfechtung der AGB-Einbeziehung Maidl, Ausländische AGB, S. 125 ff. 474 H. Schmidt, in: U/B/H, § 306 Rn. 18; ausführlich Fuchs, in: U/B/H, Vorb. v. § 307 Rn. 68 ff. 475 Loewenheim, AcP 180 (1980), 433 (460); Staudinger/Singer, § 119 Rn. 26 ff. mit Nachweisen zur Gegenansicht in Rn. 27. 476 Loewenheim, AcP 180 (1980), 433 (460); Staudinger/Singer, § 119 Rn. 26. 477 Fuchs, in: U/B/H, Vorb. v. § 307 Rn. 72 m. w. N.; Staudinger/Singer, § 119 Rn. 26; Maidl, Ausländische AGB, S. 126 m. w. N. 478 Vgl. Maidl, Ausländische AGB, S. 127 mit Fn. 631, 130. 479 Ebenso Erman/Roloff, § 305 Rn. 41. 480 Ebenso Maidl, Ausländische AGB, S. 127.

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beziehungsvoraussetzungen Fehlvorstellungen des Gegners des Verwenders über die AGB nicht hindert.481 Wie auch sonst, stellt sich für den Anfechtungsberechtigten jedoch auch insoweit das Beweisproblem.482 c) Ein praktischer Unterschied zur Anfechtung von Willenserklärungen kann möglicherweise darin bestehen, daß in bezug auf die Geschäftsbedingungen eine Erklärung „tel quel“ oder eine „Risikoerklärung“ – mit der Folge der Unzulässigkeit der Anfechtung – eher anzunehmen ist als bei den für die Parteien im Regelfall bedeutsameren essentialia negotii. Doch gilt auch diese Unterscheidung wohl nicht generell, so beispielsweise dann nicht, die Anfechtungserklärung eine übersehene Gerichtsstandsklausel betrifft, die Bestandteil von AGB war.483 Es erscheint durchaus möglich, daß der Käufer dem Vertrag nicht zugestimmt hätte, wenn ihm die Klausel bekannt gewesen wäre.484 III. Die Frage nach der Verteilung des „Sprachrisikos“ im Rahmen der Inhalts- und Transparenzkontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB 1. Ausgehend von einem generalisierenden Prüfungsmaßstab und einer typisierenden Betrachtungsweise ist bezüglich des Sprachenproblems bei der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB zu fragen, wie ein durchschnittlicher Angehöriger der betreffenden Gruppe485 ausländischer Kunden in einer bestimmten Vertragsabschlußsituation die betreffende(n) Klausel(n) verstehen darf. Es kommt nicht darauf an, welche individuellen sprachlichen Fähigkeiten im konkreten Einzelfall vorlagen oder wie die Klausel konkret von dem einzelnen Verbraucher verstanden wurde.486 Fraglich ist, ob durch den generalisierenden Schutzansatz des Gesetzgeber von 1976 relevante Schutzlücken zu Lasten sprachunkundiger Ausländer entstehen können, die mittels einer individualisierenden Betrachtung – entsprechend dem 16. Erwägungsgrund der Klauselrichtlinie – korrigiert werden müßten. Die beiden folgenden Beispielsfälle aus der Rechtsprechung werden verdeutlichen, daß dies nicht der Fall ist. Beispiel 1: 487 Der erste Beispielsfall entstammt dem Versicherungsvertragsrecht. Bei der Beklagten des Falles handelte es sich um ein bundesweit tätiges Versicherungsunternehmen. Ge481

So auch Maidl, Ausländische AGB, S. 130 f. Siehe dazu insbesondere Staudinger/Singer, § 119 Rn. 28. 483 Vgl. RGZ 48, 218. 484 Abweichend Staudinger/Singer, § 119 Rn. 29: Es sei „extrem unwahrscheinlich und daher auch kaum zu beweisen, dass der Kunde bei Kenntnis der – nebensächlichen – Prorogation keinen Kaufvertrag abgeschlossen hätte“. 485 Abweichend Meier/Wehlau, VuR 1991, 141 (149 f.), die davon ausgehen, daß die überindividuell-generalisierende Betrachtungsweise bei der Inhaltskontrolle eine gruppenspezifische Inhaltskontrolle (von Verträgen mit Aussiedlern) verhindere. 486 Ebenso Schäfer, JZ 2003, 879 (881); MüKo BGB/Basedow, § 310 Rn. 71. 487 Nach BGH NJW 2001, 1132 (1133) = VersR 2001, 184. 482

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mäß § 1 Abs. 2 Satz 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Beklagten bestand Versicherungsschutz für den Versicherungsnehmer hinsichtlich Krankheiten sowie für Unfälle und andere im Vertrag genannte Ereignisse. Bei einem im Ausland unvorhergesehen eintretenden Versicherungsfall hatte der Versicherer dort entstehende Aufwendungen für Heilbehandlung zu ersetzen und sonst vereinbarte Leistungen zu erbringen. § 1 Abs. 5 Satz 1 AVB bestimmte, daß als „Ausland“ i. S. von § 1 Abs. 2 nicht das Staatsgebiet galt, dessen Staatsangehörigkeit die versicherte Person besaß oder in dem sie einen ständigen Wohnsitz hatte. Wenn die versicherte Person sowohl die deutsche Staatsangehörigkeit als auch die eines anderen Staates besaß oder wenn sie Staatsangehörige eines EG-Staates war, bestand gemäß § 1 Abs. 5 Satz 2 AVB Versicherungsschutz auch in dem Staatsgebiet, dessen ausländische Staatsangehörigkeit die versicherte Person besaß. Gegen die Regelung in § 1 Abs. 5 Satz 1 AVB wandte sich der Kläger, ein rechtsfähiger Verbraucherschutzverein, im Verbandsverfahren. Er trug vor, daß ausländische Staatsangehörige mit ständigem Wohnsitz in Deutschland ihr jeweiliges Heimatland als Urlaubsland bevorzugten. § 1 Abs. 5 Satz 1 AVB verweigere solchen VN den Versicherungsschutz bei einer Reise in ihr Heimatland vollständig. Dies benachteilige diese VN ausländischer Staatsangehörigkeit unangemessen, ohne daß sachgerechte Interessen des Versicherers ersichtlich seien, die in Abwägung mit den Interessen der betroffenen VN eine so schwerwiegende Einschränkung des Versicherungsschutzes rechtfertigen könnten. Der IV. Senat des BGH folgte der Argumentation des Klägers und stellte einen Verstoß von § 1 Abs. 5 Satz 1 AVB gegen das sich aus § 9 Abs. 1 AGBG (jetzt § 307 Abs. 1 S. 2 BGB) ergebende Transparenzgebot fest. Nach dem Transparenzgebot sei der Verwender von AGB entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei komme es nicht nur darauf an, daß die Klausel in ihrer Formulierung klar und verständlich sei. Vielmehr würden es Treu und Glauben auch gebieten, daß die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lasse, wie dies nach den Umständen gefordert werden könne. Diesen Erfordernissen entspreche § 1 Abs. 5 Satz 1 AVB nicht.488 Mit ihrem Hauptleistungsversprechen sage die Beklagte Versicherungsschutz bei im Ausland unvorhergesehen eintretenden Versicherungsfällen zu (§ 1 Abs. 2 Satz 2 AVB). Lediglich für das Nichtausland, also das Inland, werde kein Versicherungsschutz versprochen. Die Beklagte sage demgemäß grundsätzlich weltweite Auslandsdekkung zu. Dies ergebe sich im übrigen aus von ihr vorgelegten, mit den AVB verbundenen Hinweisen, die mit der Überschrift eingeleitet werden „Weltweit Versicherungsschutz auf Urlaubsreisen“. Bei der Einschränkung des Versicherungsschutzes durch § 1 Abs. 5 AVB knüpfe die Beklagte zwar weiter an den Begriff „Ausland“ an, beschreibe die Ausnahmen vom Versicherungsschutz aber nicht mehr nur territorial, sondern unter Hinzufügung von weiteren Kriterien, die an die Person des Versicherten, nämlich an seine Staatsangehörigkeit oder seinen ständigen Wohnsitz, anknüpften. Diese Beschränkung des Versicherungsschutzes hebe sie aber sogleich durch § 1 Abs. 5 Satz 2 AVB teilweise wieder auf, indem sie Versicherungsnehmern mit Doppelstaatsbürgerschaft – also der deutschen und einer anderen Staatsbürgerschaft – und Versicherungsnehmer mit der Staatsangehörigkeit eines EG-Staates bei Reisen in das Staatsgebiet, dessen Staatsangehörigkeit der Versicherungsnehmer besitzt, Versicherungsschutz zusage. Damit aber 488

Der BGH stellte insoweit nicht nur auf Satz 1, sondern auf die gesamte Regelung in § 1 Abs. 5 AVB ab.

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habe die Beklagte ein Regelungsgefüge geschaffen, das dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer die mit Satz 1 des § 1 Abs. 5 AVB bestimmten Einschränkungen des Versicherungsschutzes in ihrer Reichweite wenn überhaupt, so erst nach Interpretation der gesamten Klausel unter Einschluß der Gegenausnahmen erkennbar mache. Der Kern der Beschränkung des Versicherungsschutzes, nämlich insbesondere der für Versicherungsnehmer mit ausländischer (nicht EG-)Staatsangehörigkeit bestimmte vollständige Ausschluß vom Versicherungsschutz bei Reisen in ihr Heimatland, werde den Betroffenen nicht nur nicht klar und deutlich vor Augen geführt, sondern durch die Verknüpfung des territorialen Auslandsbegriffs mit dem personalen Kriterium der Staatsangehörigkeit und den damit verbundenen Gegenausnahmen vielmehr verdunkelt. Letzteres gelte auch, soweit die Beklagte den Ausschluß vom Versicherungsschutz daran binde, daß der Versicherungsnehmer einen weiteren ständigen Wohnsitz in einem anderen Staatsgebiet als dem der Bundesrepublik Deutschland hat, der seinerseits zugleich die Voraussetzung für seine Aufnahme in die Versicherung darstellt (§ 1 Abs. 7 AVB). Wie sich aber dieser Ausschlußtatbestand zu dem in § 1 Abs. 5 Satz 2 AVB geregelten Wiedereinschluß in den Versicherungsschutz verhalte, bleibe für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer schon wegen der in der Klausel angelegten mehrfachen Differenzierungen unklar. Beispiele, die die Ausschlußklausel in ihren beiden Zielrichtungen erläutern und verständlich machen könnten, habe die Beklagte dem Versicherungsnehmer mit ihren Bedingungen nicht gegeben. Solche könne dieser im übrigen auch den mit den Bedingungen verbundenen Hinweisen nicht entnehmen. Der Umfang des Versicherungsschutzes, der sich unter Berücksichtigung des § 1 Abs. 5 AVB ergebe, sei deshalb für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht durchschaubar.

2. Das noch zum früheren AGB-Recht ergangene Urteil des IV. Zivilsenat hätte unter Geltung des neuen Rechts ohne sachliche Einschränkungen Bestand. Die Auslandsklausel würde an dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB scheitern,489 welches gemäß § 307 Abs. 3 S. 2 BGB – anders als die Angemessenheitskontrolle – auch auf die essentialia negotii angewendet werden kann. So betrachtet kann man die Auslandsklausel als ein denkbares Beispiel für eine isolierte Intransparenz anführen. Allerdings resultiert aus der Intransparenz hier auch eine unangemessene Benachteilung – die ausländischen VN erhalten trotz Abschluß eines Versicherungsvertrags keinen Versicherungsschutz in dem für sie besonders wichtigen Fall der Urlaubsreise in ihr Heimatland. Die These der Literatur, daß eine unangemessene Benachteiligung des Kunden regelmäßig gerade aus der Unklarheit resultieren wird, wird durch den Beispielsfall deshalb verifiziert.490 3. Der BGH stellt in seinem Urteil mit Recht auf die „betroffenen Versicherungsnehmer“, also auf die Versicherungsnehmer mit der Staatsangehörigkeit eines Nicht-EG-Mitgliedstaats ab, die entgegen ihren Erwartungen – basierend auf dem Slogan: „weltweiter Versicherungsschutz auf Urlaubsreisen“ – bei Reisen in ihr Heimatland keinen Versicherungsschutz genießen. Sie bilden eine homogene Gruppe, die für diese Konstellation den „durchschnittlichen Versiche489 490

BGH NJW 2001, 1132 (1133); MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 159. Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 331.

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rungsnehmer“ konstituiert. Aus dem Vorstehenden wird klar, daß auch ohne die Berücksichtigung konkret-individueller Umstände in der Person des Verbrauchers unter Einschluß seiner Sprachkenntnisse Verbraucherschutz auch bei ausländischen Kunden dadurch gewährleistet werden kann, daß man gruppenspezifisch vorhandene berechtigte Erwartungen und Verständnismöglichkeiten als überindividuellen Maßstab der Inhaltskontrolle zugrundelegt.491 Das bei der Inhaltskontrolle praktizierte generalisierende und typisierende Verfahren erinnert ein wenig an die Lehre vom Empfängerhorizont bei der Auslegung von Willenserklärungen, wo es ebenfalls nicht auf die konkrete Person des Empfängers, sondern auf einen „normativierten“ Empfänger ankommt. Es hat den Vorteil, sowohl im Verbands- als auch im Individualverfahren angewendet werden zu können und damit einen einheitlichen Beurteilungsmaßstab der Inhaltskontrolle zu gewährleisten als auch die gleichmäßige Anwendbarkeit von AGB in einer Vielzahl von Fällen nicht durch eine übermäßige Individualisierung im Einzelfall zu beeinträchtigen. Entscheidend ist nach der Literatur, „dass also rollenspezifische Interessen typischer Vertragspartner in der betreffenden Lage Beachtung finden, nicht dagegen die konkreten Erwartungen und Interessen der im Streitfall beteiligten individuellen Parteien“.492 Beispiel 2: 493 Der zweite Beispielsfall stammt aus dem Individualarbeitsrecht. Die Klägerin, laut Sachverhalt eine „Nicht-Deutsche“, war bei der Beklagten als Zeitarbeitnehmerin angestellt, für die sie in einer Filiale „allgemeine Helfertätigkeiten in der Lebensmittelproduktion“ ausübte. Nach Ablauf der Befristung lehnte die Beklagte eine Weiterbeschäftigung der Klägerin ab. Die Klägerin unterzeichnete eine von der Beklagten vorformulierte Ausgleichsquittung. Darin bestätigte sie zunächst den Erhalt verschiedener Arbeitsunterlagen. Daran anschließend fand sich folgende Verzichtserklärung: „Ich bestätige ausdrücklich, dass mir aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung keine Ansprüche mehr zustehen.“ Ferner erklärte die Klägerin, ihr überlassene Werkzeuge und Unterlagen zurückgegeben und von überlassenen Unterlagen keine Abschriften oder Vervielfältigungen zurückbehalten zu haben. Weiter bestätigte sie, die Erklärung „sorgfältig gelesen und verstanden“ sowie eine Durchschrift derselben erhalten zu haben. Das LAG Düsseldorf qualifizierte den in der Verzichtserklärung enthaltenen Verzicht auf (Verzugs-)Lohnansprüche unter anderem494 als eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin i. S. von § 307 Abs. 1 S. 1 BGB sowie als Verstoß gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.495 Ausgleichsquittungen benachteiligten in aller Regel den Arbeitnehmer unangemessen. Eine gegen Treu und Glauben verstoßende, unangemessene Benachteiligung sei jedenfalls dann indiziert, wenn der Arbeitnehmer einseitig und unentgeltlich, ohne kompensatorische Gegenleistung des Arbeitgebers, auf seine Rechte und Ansprü491

Ebenso Schäfer, JZ 2003, 879 (882) m. w. N. MüKo BGB/Basedow, § 310 Rn. 71. 493 Nach LAG Düsseldorf DB 2005, 1463 = LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 7 (vereinfacht). 494 Neben einem angenommenen Verstoß gegen § 305c Abs. 1 BGB. 495 Das LAG bejahte das Vorliegen der Voraussetzungen von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB sowie das Fehlen eines Aushandelns zwischen den Parteien i. S. des § 305 Abs. 1 S. 3 BGB. 492

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che aus dem Arbeitsverhältnis verzichte. Zu dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB stellte das Gericht fest, daß die Ausgleichsquittung weder für den durchschnittlichen rechtsunkundigen Arbeitnehmer verständlich sei noch ihm die wirtschaftlichen Nachteile der Anspruchsverzichtsformel hinreichend deutlich mache. Durch die Einbettung der Verzichtsformel in die übrigen, auf die Rückgabe von Unterlagen usw. bezogenen Textteile werde beim Arbeitnehmer leicht die Vorstellung erzeugt, lediglich die Erfüllung seiner Ansprüche auf Arbeitspapiere, Bescheinigungen und Schlußabrechnung zu „bestätigen“. Diese Formulierungen führten zur Intransparenz der Ausgleichsformel. Der Befund, daß die Ausgleichsquittung gegen die §§ 305c, 307 Abs. 1 BGB verstoße, sei auch mit der gesetzlichen Vorgabe des § 310 Abs. 4 S. 2 BGB vereinbar, selbst dann, wenn man nur rechtliche und nicht auch tatsächliche Besonderheiten für beachtlich hielte.496

4. Die Ausführungen des LAG Düsseldorf überzeugen jedenfalls für den entschiedenen Sachverhalt: 497 Durch die „Einbettung“ der Verzichtserklärung in Textpassagen, die rechtlich als Quittung i. S. des § 368 S. 1 BGB zu qualifizieren sind, entsteht für den rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittsarbeitnehmer498 eine Intransparenz (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB), die zugleich als unangemessene Benachteiligung i. S. des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB zu bewerten ist. Daß eine Intransparenz von AGB häufig mit einer unangemessenen Benachteiligung des Kunden einhergeht und selten isoliert auftritt, wurde bereits dargelegt. Der Fall zeigt weiter, daß es eines Abstellens auf die – hier vorliegende – Ausländereigenschaft der Arbeitnehmerin499 nicht bedurfte, weil die Unwirksamkeit der Verzichtsklausel schon durch Bezugnahme auf den viel weiter gezogenen Rahmen des rechtsunkundigen Durchschnittsarbeitnehmers angenommen werden konnte. Auch einer Gruppenbildung („die ausländischen Arbeitnehmer“, „die sprachunkundigen Arbeitnehmer“) zum Zwecke der Eingrenzung des relevanten Adressatenkreises war nicht erforderlich. 5. Eine solche Gruppenbildung kann aber notwendig werden, wenn die Transparenz der Verzichtsklausel gegeben ist. Wäre in dem zweiten Beispielsfall die Verzichtsklausel nicht zwischen die beiden Quittungsteile eingebettet, sondern im Text deutlich abgesetzt gewesen, hätte die Annahme, daß die Klausel für den „Durchschnittsarbeitnehmer“ intransparent sei, gewisse Schwierigkeiten bereitet. Allerdings kann eine textlich abgesetzte Klausel durchaus als nicht hinreichend klar und durchschaubar zu bewerten sein, insbesondere wenn sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen nicht so weit erkennen läßt, wie 496

Siehe dazu schon oben C. II. 2. b bb. Das LAG Schleswig-Holstein hat sie ganz treffend als „untergeschobene“ formularmäßige Ausgleichsquittung bezeichnet (NZA-RR 2004, 74, Leitsatz). 498 LAG Niedersachsen NZA-RR 2005, 401 (404). 499 Das wäre unproblematisch und unabhängig von den mit § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB verbundenen Auslegungsproblemen (Stichwort: konkret-individueller Ansatz) möglich gewesen, weil das LAG in dem Fall von einer Einmalbedingung gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB ausging. Diese Annahme beruhte auf der einleitenden, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien bezogene Feststellung des Beendigungszeitpunkts. 497

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es nach den Umständen erforderlich ist. Die Verwendung der Formulierung „Ich bestätige ausdrücklich“ innerhalb der Verzichtserklärung im Beispielsfall legt die irrtümliche Annahme des Unterzeichnenden nahe, lediglich eine rechtstatsächlich-deklaratorische Erklärung abzugeben. Der Gegenstand des in Wahrheit konstitutiven Verzichts („keine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung“) wird dadurch aus dem Blickwinkel eines juristischen Laien verschleiert. Wäre die Verzichtsklausel als solche eindeutig – nämlich als Verzicht auf Lohn-, Entgeltfortzahlungs- 500 und Urlaubsabgeltungsansprüche – und auch textlich von dem Quittungsteil isoliert gewesen, hätte demnach die erforderliche Transparenz i. S. des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB vorgelegen. 6. Wie oben gezeigt, hindert eine bei isolierter Betrachtung gegebene „Eindeutigkeit“ zumindest nicht die Annahme eines Verstoßes gegen § 305c Abs. 1 BGB, d. h. auch einer für sich genommen „eindeutigen“ Klausel kann im Zusammenhang mit anderen Umständen ein Überrumpelungseffekt innewohnen.501 Weiter ist aber fraglich, ob die Verwendung von für sich genommen „eindeutigen“ Verzichtsklauseln in Ausgleichsquittungen ungeachtet ihrer Transparenz als unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers i. S. des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB qualifiziert werden kann. Die Frage wäre zu verneinen, wenn man mit der früheren Rechtsprechung502 die in Ausgleichsquittungen enthaltenen – als solchen eindeutigen – Formularerklärungen stets als ausreichenden Ausdruck einer rechtsgeschäftlichen Verzichtserklärung ansehen würde.503 Wenn es sich um einen Verzicht ohne Kompensation durch den Arbeitgeber handelt, ist die Frage nach der unangemessenen Benachteiligung des Arbeitnehmers aber richtigerweise zu bejahen.504 Im Schrifttum hat man bald nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes aus der Anwendbar-

500 Zum Verzicht auf den Entgeltfortzahlungsanspruch aus §§ 3 Abs. 1 S. 1, 4 Abs. 1 EFZG siehe LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 2004, 74. 501 Siehe LAG Berlin, Urt. v. 18. 1. 1993 – 12 Sa 120/92, LAGE § 4 KSchG Ausgleichsquittung Nr. 3 = BetrR 1993, 77 (Rn. 64, 68 ff., juris). 502 Siehe BAG EzA Nr. 1 zu § 4 KSchG; BAG AP Nr. 6 zu § 4 KSchG 1969. 503 Mit Recht ablehnend LAG Berlin, Urt. v. 18. 1. 1993 – 12 Sa 120/92, LAGE § 4 KSchG Ausgleichsquittung Nr. 3 = BetrR 1993, 77 (Rn. 65 ff., juris). 504 LAG Düsseldorf DB 2005, 1463 (1465); LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 2004, 74 (75); LAG Hamburg NZA-RR 2005, 151 (153): „wohl bald h.M.“; Staudinger/Singer, § 119 Rn. 15; Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 477; ErfK/U. Preis, § 310 BGB Rn. 74b; ders., NZA 2003, Sonderbeilage zu Heft 16, 19 (29); Reinecke, DB 2002, 583 (586); a. A. Gotthardt, in: Henssler/ Willemsen/Kalb, ArbR, Anh. §§ 305–310 Rn. 34. – In der Praxis finden sich Fälle von Ausgleichsquittungen, bei denen der vom Arbeitgeber geschuldete Restlohn ausgezahlt und sein Empfang durch den Arbeitnehmer quittiert wurde. Der vom Arbeitnehmer formularmäßig erklärte Rechtsverzicht ist dann in rechtlicher Hinsicht entweder als Klageverzichtsversprechen (vgl. § 4 KSchG) oder als Willenerklärung gerichtet auf den Abschluß eines Aufhebungsvertrags zu bewerten, siehe LAG Berlin, Urt. v. 18. 1. 1993 – 12 Sa 120/92, LAGE § 4 KSchG Ausgleichsquittung Nr. 3 = BetrR 1993, 77, Rn. 64 (juris); BAG AP Nr. 6 zu § 4 KSchG.

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keit der §§ 305c Abs. 1 und 2, 307 BGB „das Ende der Ausgleichsquittung“505 gefolgert. Der Vorwurf der unangemessenen Benachteiligung speist sich aus dem Vorwurf, daß der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ersichtlich keinen nachvollziehbaren Grund hat, auf vom Arbeitgeber bisher nicht erfüllte Ansprüche kompensationslos zu verzichten, so daß in aller Regel bei Unterschriftsleistung kein Verzichtswille vorliegen wird. Die Unterschriftsleistung des Arbeitnehmers erweist sich letztlich als der – durch Einsatz irreführender Elemente – 506 erfolgreiche Versuch des Arbeitgebers, seine eigenen Interessen einseitig durchzusetzen. Da der Arbeitgeber den Irrtum des Arbeitnehmers zumindest billigend in Kauf nimmt, kann er sich auf Vertrauensschutz nicht berufen.507 Die Sachlage stellt sich insoweit etwas anders dar als bei der Unterzeichnung ungelesener Urkunden, für die der Erklärende die Selbstverantwortung trägt.508 7. Zu einem abweichenden Ergebnis kommt es jedoch in dem Fall des „Abkaufens“ des Anspruchsverzichts durch eine kompensatorische Gegenleistung des Arbeitgebers. Derartige Regelungen können – als Hauptabreden – kontrollfrei sein; genauer: sie können nicht auf ihre Angemessenheit (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB), sondern lediglich auf ihre Transparenz hin kontrolliert werden.509 IV. Fazit 1. Die Inhalts- und Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB ermöglicht keine Berücksichtigung eines „individuellen Sprachrisikos“ ausländischer Verbraucher (einschließlich der Arbeitnehmer), 510 da es im Rahmen dieser Bestimmung auf die Verständnismöglichkeiten des zu erwartenden Durchschnittskunden ankommt.511 Jedoch kann gegebenenfalls durch eine „gruppenspezifische Betrachtungsweise“ den berechtigten Interessen und Erwartungen 505

U. Preis, NZA 2003 Sonderbeilage zu Heft 16, 19 (29). Z. B. Deklarierung der Unterschriftsleistung als „Routineangelegenheit“; Bezeichnung des Formulars als „(Ausgleichs-)Quittung“ in der Überschrift statt als „Verzichtserklärung“ oder ähnliches; Vermengung von Quittungs- und Verzichtselementen im Text statt deutlicher räumlicher Trennung unter Hinweis auf die Verzichtsfolgen; einheitliche Unterschrift unter das gesamte Formular statt getrennter Unterschriftsleistung für Tatsachen- und Willenserklärung(en); siehe dazu auch die Ausführungen des LAG Berlin, Urt. v. 18. 1. 1993 – 12 Sa 120/92, LAGE § 4 KSchG Ausgleichsquittung Nr. 3 = BetrR 1993, 77 (Rn. 72 ff., juris). 507 Richtig LAG Berlin, Urt. v. 18. 1. 1993 – 12 Sa 120/92, LAGE § 4 KSchG Ausgleichsquittung Nr. 3 = BetrR 1993, 77 (Rn. 86, juris): Der Arbeitgeber rechne bei der Verwendung von Ausgleichsquittungsformularen von vornherein mit einem Irrtum des Arbeitnehmers und nehme diesen billigend in Kauf. Er vertraue auf die Arglosigkeit des Unterzeichners und nutze diese aus. Sein Vertrauen sei nicht schützenswert. 508 LAG Berlin, ebd. (Fn. 1132). 509 ErfK/ U. Preis, § 310 BGB Rn. 74b. 510 Schäfer, JZ 2003, 879 (882) spricht richtig davon, daß „im Grundsatz (. . .) keine AGBspezifi schen Lösungsinstrumente“ für die Sprachenproblematik bereitstehen. 511 BGH NJW 1990, 2383 (2384); siehe auch Erman/Roloff, § 307 Rn. 21 m. w. N. (Uner506

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ausländischer Kunden Rechnung getragen werden (Gruppe als relevanter „Durchschnittskunde“).512 Durch diesen überindividuellen Ansatz wird der Sinn und Zweck der Inhaltskontrolle, ausgleichend zu wirken und Vertragsgerechtigkeit herzustellen, besser verwirklicht als durch eine konkret-individuelle, an der Person des konkreten Kunden ausgerichtete Beurteilung im Einzelfall, wie sie die herrschende Ansicht, wenngleich nur auf „zweiter Stufe“, nach Maßgabe des 16. Erwägungsgrundes der Klauselrichtlinie 93/13/EWG verwirklichen will. Die Nichtberücksichtigung der individuellen sprachlichen Fähigkeiten ausländischer Arbeitnehmer und ausländischer Kunden im Rahmen der Inhaltskontrolle erweist sich insofern als Vorteil, als bei einem Streit der Parteien über die Verständnisfähigkeiten des Betroffenen ein klares Ergebnis ohne eine Entscheidung über diesen mitunter problematischen Punkt getroffen werden kann.513 2. Zur Verdeutlichung des Vorstehenden diene noch das folgende abschließende Beispiel: 514 Die ausländische Beklagte hatte einen sog. Direktunterrichtsvertrag über eine Ausbildung zur „psychologischen Beraterin“ mit einer Gesamtlaufzeit von 18 Monaten abgeschlossen. In den AGB des Verwenders war die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung für die ersten 12 Monate ausgeschlossen worden. Wegen behaupteter fehlender Sprachkenntnisse der Beklagten – sie war der deutschen Sprache nach eigenem Vortrag „nur in geringem Umfang mächtig“ und konnte „weder deutsch lesen noch deutsch schreiben“ – erwies sich der Vertrag für sie als ungeeignet. Daher kündigte die Beklagte den Vertrag kurze Zeit nach Vertragsschluß, lange Zeit vor Ablauf der vertraglich vereinbaren Zwölfmonatsfrist. Das OLG hielt diese Frist für mit § 9 AGBG (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB) unvereinbar und unwirksam (§ 6 Abs. 2 AGBG, jetzt § 306 BGB). Es wandte im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die Sechsmonatsfrist des § 5 Abs. 1 FernUSG an. Der Begründung des Gerichts ist hier nicht im einzelnen nachzugehen. Der Fall ist im vorliegenden Zusammenhang deshalb lehrreich, weil die individuellen rechtlichen Möglichkeiten der Beklagten, sich von dem Vertrag zu lösen – Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB, Anfechtung wegen Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 BGB, Kündigung aus wichtigem Grund (§ 626 Abs. 1 BGB a. F., jetzt § 314 Abs. 1 BGB) – nach Ansicht des OLG nicht durchgriffen. Der Vortrag der Beklagten rechtfertigte nach Meinung des OLG keine andere Beurteilung, „denn es war in diesem Fall auf Grund der aus der Privatautonomie entspringenden Selbstverantwortung ihre eigene Sache, zu prüfen und zu entheblichkeit der Erkenntnismöglichkeiten des konkreten Vertragspartners oder einer mit besonderen Fachkenntnissen ausgestatteten Person). 512 Ebenso Schäfer, JZ 2003, 879 (882). 513 Als praktischen Fall dazu siehe LAG Berlin, Urt. v. 18. 1. 1993 – 12 Sa 120/92, LAGE § 4 KSchG Ausgleichsquittung Nr. 3 = BetrR 1993, 77 (juris, siehe insb. die Rn. 2, 22, 31, 88). Das LAG konnte im Ergebnis die Frage offenlassen, ob der Kläger, ein ausländischer Arbeitnehmer mit Arabisch als Muttersprache, die deutsche Sprache ausreichend gut beherrschte, um die Ausgleichsquittung zu verstehen. 514 Nach OLG Saarbrücken OLG-Report Koblenz Saarbrücken Zweibrücken 2004, 295.

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scheiden, welche Verpflichtungen sie genau einging und ob der Vertrag für sie sinnvoll war oder nicht“. 515 Die Klägerin sei nicht gehalten gewesen, sich über die – nicht näher dargelegten – finanziellen Verhältnisse der Beklagten zu informieren und sie deshalb vom Vertragsschluß abzuhalten.516 Ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB a. F. gestand das Gericht der Beklagten ebenfalls nicht zu. Bei einem Ausländer könne ein wichtiger Grund nicht schon darin gesehen werden, daß er sich auf Grund unzureichender Sprachkenntnisse außer Stande fühlt, das Schulungsangebot wahrzunehmen. Die fehlende Kenntnis der Unterrichtssprache und die sich aus ihr ergebende Erschwernis hinsichtlich des Erreichens des Ausbildungsziels stelle einen Umstand dar, der ausschließlich in der Sphäre des Auszubildenden begründet sei. Er habe daher in eigener Verantwortung zu prüfen, ob seine Sprachkenntnisse für die Teilnahme an der angestrebten Ausbildung ausreichen oder nicht, bevor er sich vertraglich binde. Derartige Umstände hätten im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung außer Betracht zu bleiben.

3. Das Beispiel macht deutlich: Auch wenn ein sprachunkundiger Ausländer eine sog. „Risikoerklärung“ abgegeben haben sollte und deshalb das „Sprachrisiko“ aus Gründen der Selbstverantwortung grundsätzlich selbst tragen muß, ist er im Falle der wirksamen Einbeziehung von AGB nicht gänzlich schutzlos gestellt, wenn und soweit die Regelungen der §§ 305 ff. BGB eingreifen. Vor allem die §§ 305c Abs. 1 und 307 Abs. 1 BGB sind geeignet, in den „Sprachrisiko“Fällen – aber gerade unabhängig von der Berücksichtigung des individuellen Sprachdefizits des betroffenen Kunden – als nachgeschaltete „Filter“ zur Beseitigung grober Ungerechtigkeiten zu fungieren. In dem angeführten Beispielsfall ist die Anwendung der Sechsmonatsfrist des § 5 Abs. 1 FernUSG eine salomonische Lösung zur Herstellung von Vertragsgerechtigkeit durch Ausgleich der widerstreitenden Interessen der Vertragspartner.517 V. Die Inhaltskontrolle bei Verträgen mit Unternehmern 1. Überblick a) Gemäß § 310 Abs. 1 S. 1 BGB gelten die §§ 308, 309 BGB nicht direkt für AGB, die gegenüber einem Unternehmer Anwendung finden; doch folgt aus § 310 Abs. 1 S. 2, 1. Hs. BGB, daß die in den speziellen Klauselverboten enthaltenen Wertungen bei der Inhaltskontrolle im unternehmerischen Verkehr beachtet werden müssen, soweit sie darauf übertragbar sind.518 Im unternehmerischen Geschäftsverkehr kommt mithin Verstößen gegen die §§ 308, 309 BGB eine erhebliche Bedeutung für die Annahme einer unangemessenen Benachtei-

515

OLG Saarbrücken OLG-Report Koblenz Saarbrücken Zweibrücken 2004, 295 (296). OLG Saarbrücken ebd. (Fn. 1140). 517 Zur Begründung siehe im einzelnen OLG Saarbrücken im OLG-Report Koblenz Saarbrücken Zweibrücken 2004, 295 (298 f.) mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen. 518 Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 381. 516

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ligung des Vertragspartners zu,519 wobei die Besonderheiten des unternehmerischen Rechtsverkehrs Berücksichtigung finden.520 Die Rechtsprechung zu § 309 BGB bringt das auf die Kurzformel: „Fällt eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei ihrer Verwendung gegenüber Verbrauchern unter eine Verbotsnorm des § 309 BGB, so ist dies ein Indiz dafür, dass sie auch im Falle der Verwendung gegenüber Unternehmern zu einer unangemessenen Benachteiligung führt, es sei denn, sie kann wegen der besonderen Interessen und Bedürfnisse des unternehmerischen Geschäftsverkehrs ausnahmsweise als angemessen angesehen werden (. . .).“521 b) Die Beachtlichkeit der Interessen und Bedürfnisse des unternehmerischen Geschäftsverkehrs gilt etwa für Besonderheiten, die bei Auslandsgeschäften auftreten. Die Inhaltskontrolle kann ungeachtet der ihr zugrundeliegenden generalisierenden Betrachtungsweise bei verschiedenen Verkehrskreisen mit voneinander abweichenden Verhältnissen und Interessenlagen durchaus zu „gruppentypisch unterschiedlichen Ergebnissen“522 führen.523 Mit Recht hat man in der Literatur dazu vertreten, daß das Rationalisierungsinteresse auch im internationalen Verkehr keinen „vollkommen objektiven Maßstab“ erfordere.524 2. Inhaltskontrolle versus Handelsbrauch a) Der Grundsatz: keine Inhaltskontrolle von Handelsbräuchen Nach der Rechtsprechung kann eine Inhaltskontrolle bei Geschäftsbedingungen, die auf Verträge zwischen Kaufleuten Anwendung finden, nicht erfolgen, wenn es sich dabei um Handelsbräuche i. S. des § 346 HGB handelt. 525 Ein Han519

Vgl. BGHZ 90, 273 (278) = NJW 1984, 1750; BGH NJW 1996, 389; BGH NJW 2007, 3774 (3775) = WRP 2008, 116; nach Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 381: „wird den Katalogtatbeständen im Ergebnis generell eine ganz erhebliche Ausstrahlungswirkung auf die allgemeinen Maßstäbe der Inhaltskontrolle nach § 307 zugebilligt“; gegen eine „schematische Übertragung des Unwirksamkeitsurteils“ nach § 309 BGB aber Erman/Roloff, § 307 Rn. 36. 520 Fuchs, in: U/B/H, § 307 Rn. 381. 521 BGH NJW 2007, 3774, 1. Leitsatz = WRP 2008, 116 (Bestätigung von BGHZ 90, 273, 278 = NJW 1984, 1750). Nach dieser Entscheidung ist eine umfassende Freizeichnung in AGB eines Gebrauchtwagenkaufvertrags, nach der die Haftung des Klauselverwenders auch für Körper- und Gesundheitsschäden (§ 309 Nr. 7a BGB) und für sonstige Schäden auch bei grobem Verschulden (§ 309 Nr. 7b BGB) ausgeschlossen ist, nicht nur gegenüber Verbrauchern, sondern ebenso im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern wegen unangemessener Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders unwirksam. 522 BGHZ 110, 241 (244) = NJW 1990, 1601. 523 Ebenso BGH NJW 1986, 2102 (2103): „Im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 9 I AGB-Gesetz sind auf der Grundlage einer generalisierenden Betrachtungsweise Art und Gegenstand, Zweck und besondere Eigenart des jeweiligen Vertrages zu berücksichtigen. Die daraus folgenden unterschiedlichen Interessen führen deshalb auch zu Differenzierungen in der Beurteilung der Angemessenheit.“; siehe auch BGH WM 1985, 24 (31) = NJW 1985, 320. 524 Maidl, Ausländische AGB, S. 221 f. m. w. N. 525 BGH NJW-RR 1987, 94 (95); a. A. MüKo BGB/Basedow, § 310 Rn. 10. Ausführlich zu dieser Frage Maidl, Ausländische AGB, S. 199 ff. Verf. unterscheidet genauer zwischen AGB,

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delsbrauch setzt voraus, daß sich im Verkehr der Kaufleute untereinander eine verpflichtende Regel herausgebildet hat, die auf einer gleichmäßigen, einheitlichen und freiwilligen tatsächlichen Übung beruht. Diese Regel muß sich innerhalb eines angemessenen Zeitraums für vergleichbare Geschäftsvorfälle gebildet haben und ihr eine einheitliche Auffassung der Beteiligten zugrunde liegen. 526 Beispiel: 527 Der BGH hat beispielsweise eine Inhaltkontrolle der „Tegernseer Gebräuche im Holzhandel“ nach § 9 AGBG abgelehnt und dies damit begründet, daß der Handelsbrauch kraft gesetzlicher Verweisung in § 346 HGB gelte. Es handele sich also nicht um AGB, die der Verwender der anderen Vertragspartei gestellt hätte. Demzufolge konnte in casu die Haftungsfreistellung des Holzmaklers für die Zahlungsfähigkeit der Parteien in § 2 Abs. 3 der Tegernseer „Gebräuche für die Vermittlung von Holzgeschäften“ nicht wegen § 9 AGBG als unwirksam angesehen werden.528 Diese Rechtsprechung überzeugt schon deshalb, weil Geschäftsbedingungen, die auf Vorschlag beider Seiten in den Vertrag einbezogen werden, nicht im Sinne des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB von einer Partei (dem Verwender) „gestellt“ werden. Ein beiderseitiger Einbeziehungswille kann zwar auch im internationalen Geschäftsverkehr nicht generell unterstellt werden.529 Wenn die Bedingungen aber zwischen den Verkehrskreisen üblich bzw. als Handelsbrauch zu qualifizieren sind, kann von einem einseitigen „Stellen“ durch den Verwender nicht die Rede sein. Zu den anerkannten Handelsbräuchen zählen neben den „Tegernseer Gebräuchen im Holzhandel“ unter anderem noch die „Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen“ (ADS) von 1919.530

b) Die Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs Gemäß § 310 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB ist bei der Anwendung der Generalklausel des § 307 BGB im unternehmerischen Verkehr auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche angemessen Rücksicht zu nehmen. Damit wiederholt die Vorschrift jenen Grundsatz, der wie dargelegt gemäß § 346 HGB für Kaufleute ohnehin gilt. Der Übergang des Gesetzes vom Kaufmann zum Unternehmer in § 310 Abs. 1 BGB (vormals § 24 AGBG) hat dazu geführt, daß der Anwendungsbereich der „im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten die ihrem Inhalt nach einem Handelsbrauch entsprechen (für sie gilt keine Inhaltskontrolle) und AGB, bei denen lediglich die Einbeziehung, nicht der Inhalt, Handelsbrauch ist (sie sind der Inhaltskontrolle nicht entzogen). 526 BGH NJW 1994, 659 (660): „Das Bestehen eines Handelsbrauches setzt (. . .) stets voraus, daß die Beteiligten im Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses davon ausgehen, sie folgten der Übung, zu der sie sich vertraglich verpfl ichtet haben, auch ohne besondere Vereinbarung.“; BGHZ 147, 279 (283) = NJW 2001, 2331 (zehnjährige Bierbezugsverpfl ichtung eines Gastwirts ist unter Berücksichtigung der im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche sowie der beiderseitigen Interessen und Bedürfnisse der Parteien hinzunehmen); siehe auch MüKo BGB/Basedow, § 310 Rn. 11. 527 Nach BGH NJW-RR 1987, 94. 528 BGH NJW-RR 1987, 94 (95). 529 Näher dazu Maidl, Ausländische AGB, S. 205 f. 530 Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 181; Erman/Roloff, § 305 Rn. 53.

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und Gebräuche“ nunmehr auf Freiberufler, Handwerker und Landwirte ausgedehnt worden ist, die von § 346 HGB nicht erfasst sind.531 Die Rechtsprechung hat den persönlichen Anwendungsbereich von Handelsbräuchen allerdings auch früher schon auf Nichtkaufleute erstreckt, die ähnlich wie Kaufleute am Handelsverkehr teilnahmen.532 Die Wendung, daß auf die Gewohnheiten und Gebräuche „angemessen Rücksicht zu nehmen“ ist, läßt Raum für richterliches Ermessen bei der Berücksichtigung der „Gewohnheiten und Gebräuche“.533 c) Treu und Glauben als Grenzen des Handelsbrauchs Auch wenn § 307 BGB nach der Rechtsprechung für Geschäftsbedingungen, die einem Handelsbrauch entsprechen, nicht gilt, kann der Fall auftreten, daß eine Klausel, die einen Handelsbrauch wiedergibt, wegen Unbilligkeit und Unangemessenheit gegen Treu und Glauben verstößt und daher unwirksam ist. Nach der Rechtsprechung ist ein Handelsbrauch unbeachtlich, wenn er Treu und Glauben widerspricht, d. h. wenn er mit den Gerechtigkeitsinteressen unvereinbar ist. Ein mißbräuchlicher Handelsbrauch ist für die Ableitung von Rechten auch dann ungeeignet, wenn er weit verbreitet ist.534 d) Die Inhaltskontrolle bei kollektiv ausgehandelten AGB Jenseits des Handelsbrauchs sind die Fälle des kollektiven Aushandelns von AGB durch die beteiligten Verkehrskreise zu beachten, wie sie beispielsweise bei den Verdingungsordnungen VOB/B und VOL/B sowie bei den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) 535 praktiziert wird. Das kollektive Aushandeln ändert nichts an der rechtlichen Einordnung der so entstandenen Klauselwerke als AGB.536 Daher kommt hier – anders als bei Handelsbräuchen – eine Inhaltskontrolle grundsätzlich in Betracht. Nach der früheren Rechtsprechung des BGH zum Geltungsbereich des AGB-Gesetzes unterlagen die Regelungen der VOB/B nicht der Inhaltskontrolle, wenn der Verwender die VOB/B ohne ins Gewicht fallende Einschränkung übernommen hatte. Dieser Rechtsprechung lag die Erwägung zu Grunde, daß die VOB/B einen billigen Interessenausgleich zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber bezweckt. Würden einzelne Regelungen der Inhaltskontrolle unterzogen, so könnte dadurch der von dem Vertragswerk im Zusammenwirken sämtlicher Vorschriften erstrebte billige Ausgleich der Interessen

531

MüKo BGB/Basedow, § 319 Rn. 9; Ulmer, in: U/B/H, § 310 HGB Rn. 12. BGH NJW 1952, 257; OLG Koblenz NJW-RR 1988, 1306. 533 MüKo BGB/Basedow, § 310 Rn. 9. 534 OLG München NJW-RR 1989, 803 (806) zur „Shipper“-Klausel; siehe auch Maidl, Ausländische AGB, S. 202. 535 Zur Einbeziehung der ADSp gegenüber Ausländern siehe BGH NJW 1976, 2075; OLG München NJW-RR 1994, 673 (674); Maidl, Ausländische AGB, S. 92 f. 536 Siehe Ulmer, in: U/B/H, § 305 Rn. 74. 532

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und das mit der Inhaltskontrolle verfolgte Ziel verfehlt werden. 537 Die VOB/B war deshalb der Inhaltskontrolle entzogen, wenn der von ihr verwirklichte Interessenausgleich durch die Vertragsgestaltung nicht wesentlich beeinträchtigt wurde. 538 Die Inhaltskontrolle war demgegenüber eröffnet, wenn der Vertrag Regelungen vorsah, die in den Kernbereich der VOB/B eingriffen. 539 Diese Rechtsprechung hat der BGH im Jahr 2004 aufgegeben, weil sich daraus keine greifbaren Kriterien dafür ableiten ließen, wann eine von der VOB/B abweichende Regelung in deren Kernbereich eingreift.540 Die Formulierungen der früheren Rechtsprechung hatten sich als nicht brauchbares Abgrenzungskriterium erwiesen. Im Interesse der Rechtssicherheit sei grundsätzlich jede inhaltliche Abweichung von der VOB/B als eine Störung des von ihr beabsichtigten Interessenausgleichs zu bewerten, weil anderenfalls die notwendige Transparenz i. S. des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht zu gewährleisten sei. Die VOB/B sei demnach nur dann einer Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz entzogen, wenn sie als Ganzes vereinbart wurde. Es komme nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff habe. Im Ergebnis ist nach der neueren Rechtsprechung des BGH die Inhaltskontrolle auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vorliegen und unabhängig davon, ob eventuell benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen „ausgeglichen“ werden.

F. Ausgewählte AGB-rechtliche Besonderheiten außerhalb der §§ 305 ff. BGB im internationalen Handelsverkehr zwischen Unternehmern I. Überblick 1. Im internationalen Geschäftsverkehr kommt es nicht allein auf die Frage an, welches nationale Sachrecht gemäß den Regeln des Internationalen Privatrechts auf einen Fall Anwendung findet. Vielmehr sind daneben häufig auch internationale Abkommen zu berücksichtigen, wie beispielsweise das – inzwischen außer Kraft getretene – Brüsseler Übereinkommen, kurz EuGVÜ541, welches 537 BGHZ 86, 155 (141 f.) = NJW 1983, 816 zur VOB/B; zur entsprechenden Bewertung der ADSp. siehe BGH NJW 1982, 1820 (1821): „Die einzelne Klausel kann nicht isoliert am Gerechtigkeitsgehalt einer Norm des dispositiven Rechts gemessen werden; vielmehr ist die beiderseitige Interessenlage im Zusammenhang mit dem Gesamtgefüge der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen zu werten.“; ebenso BGHZ 127, 275 (281) = NJW 1995, 1490; siehe ferner Maidl, Ausländische AGB, S. 228 ff.; Erman/Roloff, § 307 Rn. 15. 538 BGHZ 86, 135 (142) = NJW 1983, 816. 539 BGHZ 86, 135 (142) = NJW 1983, 816; BGHZ 111, 394 (397) = NJW 1990, 2384; BGH NJW-RR 1990, 157; NJW-RR 1991, 534; BGH NJW-RR 1991, 727; BGH NJW-RR 1991, 1238; BGH NJW 1995, 526; BGHZ 131, 392 (397) = NJW 1996, 1346; BGH NJW 2003, 1321. 540 BGHZ 157, 346 = NJW 2004, 1597; ebenso BGH NJW-RR 2007, 1317; siehe dazu Reinelt, juris-PK-BGHZivilR 29/2007 Anm. 3. 541 Übereinkommen von Brüssel über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstrekkung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27. 9. 1968, in Kraft seit 1. 2. 1973, konsolidierte Fassung veröffentlicht in ABl. EG Nr. C 27 v. 26. 1. 1998, S. 1.

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mit Wirkung zum 1. März 2002 durch die EuGVVO542 ersetzt wurde, und das – weiterhin gültige – Luganer Übereinkommen (LugÜ).543 Die folgende Darstellung hat die EuGVVO zum Schwerpunkt. Dieses Übereinkommen ist anwendbar, wenn eine Zivil- oder Handelssache i. S. des Art. 1 Abs. 1 S. 1 EuGVVO vorliegt und mindestens eine der Parteien ihren Sitz oder Wohnsitz (Artt. 59, 60 EuGVVO) in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (mit Ausnahme des Königreichs Dänemark) 544 hat.545 2. Problematisch ist die Frage, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung durch AGB auch dann wirksam zustandekommt, wenn die EuGVVO einschlägig ist und der ausländische Vertragspartner des Verwenders die Sprache der AGB nicht versteht. Die Grundsätze der anwendbaren Normenkomplexe überlagern und ergänzen sich hier: Einerseits ist der von der Rechtsprechung befürwortete Grundsatz der Verhandlungs- und Vertragssprache zu berücksichtigen, andererseits die wichtige Besonderheit, daß internationale Abkommen und europäische Rechtsnormen autonom, d. h. unabhängig von dem nationalen (Sach-) Recht auszulegen sind. II. Der Grundsatz der Verhandlungs- und Vertragssprache bei der Einbeziehung formularmäßiger Gerichtsstandsvereinbarungen 1. Grundlagen a) Die deutsche Rechtsprechung behandelt die Frage nach der wirksamen Einbeziehung von Gerichtsstandsvereinbarungen i. S. des Art. 23 Abs. 1 EuGVVO in AGB im Grundsatz ebenso wie die Einbeziehung sonstiger AGB, d. h. sie wendet bezüglich des grundsätzlich erforderlichen Hinweises546 auf die AGB den Grundsatz der Verhandlungs- und Vertragssprache an. Der EuGH hat eine darauf gerichtete Vorlagefrage des BGH547 unentschieden gelassen, da es in dem Fall auf ihre Beantwortung nicht ankam.548 542 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG Nr. L 12, S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EG) 1791/ 2006 vom 20. 11. 2006 (ABl. EG Nr. L 363, S. 1), abgekürzt „EuGVVO“, aber z.T. auch „EuGVO“. 543 Übereinkommen von Lugano über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstrekkung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 16. 9. 1988. 544 Siehe auch OLG Hamm IPRax 1997, 419. 545 Siehe dazu auch Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2965 f. 546 Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3001. 547 BGH RIW 1992, 756 = EuZW 1992, 514 m. Anm. Geimer; Vorlagefrage 2 b). In dem Fall hatte die Klägerin – die Stawa Metallbau GmbH mit Sitz in Bielefeld – mit der Beklagten – der Custom Made Commercial Ltd. mit Sitz in London – nach in englischer Sprache geführten Verhandlungen über die Lieferung von Fenstern und Türen, die für einen Gebäudekomplex in London bestimmt waren, den Vertragsschluß mit in englischer Sprache verfaßten Schreiben bestätigt. Dem Bestätigungsschreiben waren erstmals die in deutscher Sprache ver-

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Beispiel: 549 548

Unter den Parteien war Englisch die Verhandlungs- und Vertragssprache. Die AGB des Verwenders, auf der Rückseite eines Schreibens des Verwenders an ihre Vertragspartnerin befindlich, waren in Deutsch abgefaßt. Der schriftliche Hinweis auf die rückseitig abgedruckten AGB erfolgte in der englischen Sprache. Das Schreiben enthielt ferner einen Stempelaufdruck mit der Aufforderung „please sign and return promptly“. Dieser Aufforderung kam die Vertragspartnerin nach. Der BGH konnte die Feststellung der Vorinstanz, daß die beklagte Vertragspartnerin durch ihre Unterschrift eine uneingeschränkte Annahmeerklärung abgegeben und die deutschsprachigen AGB des Verwenders ausdrücklich in der Form akzeptiert habe, in der sie ihr zuvor übersandt worden waren, als tatrichterliche Feststellung nur eingeschränkt überprüfen. Dies sei aus Rechtsgründen jedenfalls nicht zu beanstanden, weil der Hinweis auf die rückseitig abgedruckten AGB in der – englischen – Verhandlungsund Vertragssprache erfolgt sei. Somit sei für die Revisionsinstanz von einem ausdrücklichen Einverständnis der Beklagten mit den AGB der Klägerin auszugehen. Der BGH berief sich auf die in einem Vorlageverfahren im Jahr 1976 geäußerte Rechtsansicht des EuGH.550 Weiter hielt er es für offenkundig i. S. der Rechtsprechung des EuGH 551, daß eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 17 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. EuGVÜ auch dann vorliege, wenn die eine Seite der deutschen Sprache nicht mächtig ist und dies der anderen bekannt sei.

b) Dieser Rechtsprechung des BGH hat der österreichische OGH552 zugestimmt. Dabei hat er ausdrücklich auf das Problem des „Sprachrisikos“ hingewiesen.553 Im Ergebnis gelten auch hier die oben herausgearbeiteten allgemeifaßten Geschäftsbedingungen der Klägerin beigefügt. Nach § 8 der Geschäftsbedingungen sollte Erfüllungsort und Gerichtsstand für sämtliche sich zwischen den Parteien aus dem Vertragsverhältnis ergebenden Streitigkeiten Bielefeld sein. Die Beklagte, die der deutschen Sprache nicht mächtig war, widersprach dem nicht. Da sie in der Folge nur einen Teil des vereinbarten Werklohns zahlte, erhob die Klägerin Klage auf Zahlung des Restbetrages vor dem Landgericht Bielefeld. Die Beklagte meinte, die deutschen Gerichte seien international nicht zuständig. Sowohl das LG Bielefeld als auch das OLG Hamm bejahten die internationale Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ. 548 EuGH, Urt. v. 29. 6. 1994 – Rs. C-288/92, Slg. 1994, I-2913 – Custom Made Commercial/Stawa Metallbau. 549 Nach BGH WM 1989, 1941 = IPRax 1991, 326 (vorgehend OLG Hamm IPRax 1991, 324). 550 EuGH, Urt. v. 14. 12. 1976 – Rs. 24/76, Slg. 1976, 1831 Tz. 17 = NJW 1977, 494 – Salotti/Rüwa: „Die Antwort muß also lauten, daß dem Erfordernis der Schriftlichkeit nach Art. 17 I des Übereinkommens bei einer Gerichtsstandsklausel, die in den auf der Rückseite der Vertragsurkunde abgedruckten AGB einer Partei enthalten ist, nur dann genügt ist, wenn der von beiden Parteien unterzeichnete Vertragstext ausdrücklich auf diese allgemeinen Geschäftsbedingungen Bezug nimmt.“ 551 EuGH, Urt. v. 6. 10. 1982 – Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257 – CILFIT. 552 OGH JBl. 2000, 121 = ZfRV 1999, 233 f. (LS). In dem Fall war das Luganer Übereinkommen einschlägig, das ebenso wie die EuGVVO (bzw. das EuGVÜ) dem nationalen Recht vorgeht (bzw. vorging). 553 OGH JBl. 2000, 121 (122): „Ist eine Gerichtsstandsvereinbarung in fremdsprachigen AGB enthalten, so entsteht die Frage, wer das Sprachrisiko tragen soll.“; ebenso wörtlich Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 37.

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nen Grundsätze: Eine wirksame Einbeziehung von für den Vertragspartner fremdsprachigen AGB, die eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, liegt ungeachtet fehlender Sprachkenntnisse vor, wenn der Kontrahent vom Verwender in der Verhandlungs- und Vertragssprache auf die AGB hingewiesen554 wurde und diesbezüglich eine uneingeschränkte Annahmeerklärung – namentlich durch Unterschriftsleistung – abgegeben hat. 555 Daß der Vertragspartner der Sprache der AGB nicht mächtig ist, hat für die Wirksamkeit der Einbeziehung in diesem Fall keine Bedeutung,556 sofern ihm nur der Zugriff auf den Text der AGB möglich war.557 Auch im Anwendungsbereich der EuGVVO muß die Sprache der AGB nicht mit der der Verhandlungs- und Vertragssprache übereinstimmen.558 Allein die Abfassung einer Gerichtsstandsklausel in einer Fremdsprache führt mithin nicht zu ihrer Unwirksamkeit.559 2. Die sprachlichen Anforderungen an den Einbeziehungshinweis Die Anforderungen der Rechtsprechung an den Hinweis im Sinne einer ausdrücklichen Bezugnahme auf die AGB sind allerdings streng. Ein Hinweis in deutscher Sprache genügt nicht, wenn Deutsch nicht Verhandlungssprache 560 bzw. Vertragssprache war.561 Fremdsprachige Hinweise genügen nur, wenn der 554 In dem Fall OGH JBl. 2000, 121 hatte die Klägerin auf ihren schriftlichen Bestellungen bei der Beklagten auf der Vorderseite der Schriftstücke den Hinweis angebracht: „Diese Bestellung (. . .) unterliegt den Einkaufsbedingungen auf der Rückseite.“ Ein Hinweis speziell auf die Gerichtsstandsvereinbarung erfolgte nicht, war nach der zutreffenden Auffassung des OGH (a.a.O., S. 122, li. Sp. unten, re. Sp. oben) aber auch nicht notwendig. 555 BGH WM 1989, 1941 = IPRax 1991, 326; OGH JBl. 2000, 121 (122); OLG Köln VersR 1999, 639 (641); OLG Hamm IPRax 1991, 324; OLG Hamm IPRax 2007, 125 Tz. 38 (juris) m. Bespr. Spellenberg, ebd., 98 ff.; a. A. Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3005 (Hinweis auf die Gerichtsstandsklausel selbst erforderlich). 556 OLG Hamm IPRax 1991, 324 (326). 557 Es genügt, daß die AGB auf der Vorder- oder Rückseite der Vertragsurkunde bzw. dem Angebotsformular abgedruckt waren. Wenn die Parteien bereits in Geschäftsbeziehung standen, müssen die AGB bei dem erneuten Vertragsschluß nicht mehr beigefügt werden. Der bloße Hinweis auf die Verschaffensmöglichkeiten des Vertragspartners genügt jedoch nicht, um die Anforderungen der Schriftform gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. a EuGVVO zu erfüllen; siehe auch Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3006. 558 OLG Köln IHR 2006, 148 Tz. 10 = OLGR Köln 2006, 661 (juris). 559 OLG Köln IHR 2006, 148 Tz. 10 = OLGR Köln 2006, 661 (juris). 560 Wenn Deutsch Verhandlungssprache ist, muß der Hinweis in dieser Sprache erfolgen, vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 29. 7. 2005 – 23 U 9/05, Tz. 20 (juris) = BeckRS 2006, 08096. 561 OLG Frankfurt NJW-RR 2003, 704, 1. Leitsatz; siehe auch OLG Frankfurt NJW-RR 2003, 704: Der von beiden Parteien unterzeichnete Vertragstext enthielt einen Hinweis in deutscher Sprache sowie den herausgehobenen Vermerk „English Translation See Page 4 (Yellow)“. Nach Meinung des OLG reichte dies nicht aus, um die internationale Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zu begründen. In dem Fall OLG Hamm IHR 2006, 84 = OLGR Hamm 2006, 327 (zu Artt. 5 Abs. 1, 23 Abs. 1 EuGVVO) waren weder die AGB noch der Hinweis auf diese in der Vertragssprache abgefaßt. Vertragssprache war Französisch, der Hinweis auf die AGB erfolgte in Deutsch und Englisch. Damit fehlte es an einer wirksamen

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Gebrauch dieser Sprache in der jeweiligen Branche üblich ist, wie etwa die englische Sprache im Seehandel562 und in der Werftbranche563 . Fehlt der Hinweis ganz, werden deutschsprachige AGB nicht Vertragsbestandteil, sofern die Verhandlungs- und Vertragssprache der Parteien nicht die deutsche Sprache war.564 3. Die formularmäßige Vereinbarung des Erfüllungsortes Die soeben dargestellten sprachlichen Anforderungen gelten sinngemäß auch für die Vereinbarung des Erfüllungsorts nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO.565 Die für Gerichtsstandsvereinbarungen geltenden Formbestimmungen müssen dafür allerdings nicht eingehalten werden.566 Den Parteien ist es außerdem nicht gestattet, einen rein fiktiven Erfüllungsort zu vereinbaren, d. h. einen solchen, der allein dazu dient, den Gerichtsstand festzulegen, der somit „keinen Zusammenhang mit der Vertragswirklichkeit aufweist und an dem die vertraglichen Verpflichtungen nach dem Vertrag nicht erfüllt werden können.“567 Die strengen Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 1 S. 3 EuGVVO dürfen insbesondere nicht dadurch umgangen werden, daß statt einer Gerichtsstandsvereinbarung ledigEinbeziehung der AGB in den Vertrag; siehe ferner OLG Düsseldorf IPRspr. 2004 zur entsprechenden Rechtslage nach Artt. 14 ff., 8 CISG. 562 OLG Köln VersR 1999, 639 (641). Als Beispielsfall siehe BGHZ 72, 174 (178) = NJW 1979, 105. Der II. Zivilsenat des BGH hatte über den Sinn des Wortes „incorrect“ in englischsprachigen Konossementbedingungen zu befinden. Er entschied, „daß die am Konnossementverkehr beteiligten Kreise wegen der meist in englischer Sprache abgefaßten Konnossemente und ihrer Bedingungen den Sinn der darin verwendeten Worte oder Begriffe kennen und daß das insbesondere bei solchen Klauseln der Fall ist, die (. . .) zu den üblichen Konnossementsbedingungen gehören.“ 563 Siehe BGHZ 103, 316 zu einer branchenüblichen englischsprachigen Freizeichnungsklausel in den AGB einer Seeschiffwerft. 564 Vgl. AG Kehl NJW-RR 1996, 565 (566). 565 Vgl. OLG Karlsruhe EWS 1994, 365 (zu Art. 5 EuGVÜ). Das EuGVÜ wurde mit Wirkung vom 1. 3. 2002 durch die EG-VO 44/2001, die EuGVVO, auch als sog. Brüssel I-VO bezeichnet, abgelöst. Diese enthält für die Erfüllungsortzuständigkeit zwei entscheidende Neuerungen: Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO enthält erstmals einen prozeßrechtlich autonom zu bestimmenden Begriff des Erfüllungsortes, der sich nach dem Ort der vertragscharakteristischen Leistung – jener der Lieferung bzw. Leistungserbringung – richtet, siehe OLG Hamm IHR 2006, 84 = OLGR Hamm 2006, 327 Tz. 42 m. w. N. (juris); Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 5 EuGVO Rn. 27; eine aufwendige kollisionsrechtliche Prüfung wird somit im Anwendungsbereich der lit. b entbehrlich – anders aber bei lit. a, die praktisch weniger bedeutsam ist als lit. b, siehe Kropholler, a.a.O., Rn. 31, 37. Insbesondere ist für den Erfüllungsort nicht mehr auf die streitgegenständliche Verpflichtung abzustellen; zur früheren Rechtslage betreffend Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ siehe BGH ZIP 2003, 213; BayObLG BB 2001, 1923; OLG Karlsruhe EWS 1994, 365 = RIW 1994, 1046; Kropholler, a.a.O., Rn. 22 ff. 566 EuGH, Urt. v. 17. 1. 1980 – Rs. 56/79, Slg. 1980, 89, 1. Leitsatz = WM 1980, 720 – Zelger/Salinitri; ebenso BGH NJW 1996, 1819 (jeweils zum Verhältnis von Art. 5 zu Art. 17 EuGVÜ). 567 EuGH, Urt. v. 20. 2. 1997 – Rs. C-106/95, Slg. 1997, I-911 Tz. 31 – MSG/Les Gravières Rhénanes.

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lich eine Festlegung des Erfüllungsorts erfolgt.568 Nach Auffassung des österreichischen OGH ist einer Gerichtsstandsvereinbarung die Wirksamkeit zu versagen, wenn zwei in demselben Mitgliedstaat (in diesem Fall: Deutschland) wohnende Parteien ein Gericht in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Österreich) prorogieren, ohne daß ein Auslandsbezug vorhanden ist (sog. reiner Inlandsfall) 569 oder ohne ein sonstiges erkennbares berechtigtes Interesse570 an der Wahl eines ausländischen Gerichts.571 III. Die Grundsätze der autonomen und der engen Auslegung im internationalen Prozeßrecht Die Auslegung der EuGVVO und des Luganer Übereinkommens ist durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet, nämlich den Grundsatz der gemeinschaftsrechtlich autonomen Auslegung und den Grundsatz der engen Auslegung der Wirkungsvoraussetzung von Gerichtsstandsvereinbarungen i. S. des Art. 23 EuGVVO und Art. 17 LugÜ. 1. Die autonome Auslegung a) Die Auslegung einer Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit richtet sich regelmäßig nach dem für diesen Vertrag geltenden Recht.572 Unter Geltung von zwischenstaatlichen Übereinkommen (EuGVÜ, Luganer Über568 Vgl. EuGH, Urt. v. 20. 2. 1997 – Rs. C-106/95, Slg. 1997, I-911 Tz. 34 f. – MSG/Les Gravières Rhénanes: „[Tz. 34] Im Falle einer solchen Vereinbarung fehlt es nicht nur an einer unmittelbaren Verbindung zwischen dem Rechtsstreit und dem zur Entscheidung berufenen Gericht, es liegt auch eine Umgehung des Artikels 17 vor, der zwar eine ausschließliche Zuständigkeit begründet und dabei auf jeden objektiven Zusammenhang zwischen dem streitigen Rechtsverhältnis und dem vereinbarten Gericht verzichtet (. . .), gerade deshalb aber die Einhaltung seiner strengen Formvorschriften verlangt. [Tz. 35] Somit ist auf die erste Frage zu antworten, daß eine mündliche Vereinbarungen über den Erfüllungsort, die nicht die Festlegung des Ortes bezweckt, an dem der Schuldner die ihm obliegende Leistung tatsächlich zu erbringen hat, sondern allein darauf abzielt, einen bestimmten Gerichtsstand festzulegen, nicht unter Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens, sondern unter dessen Artikel 17 fällt und nur zulässig ist, wenn sie dieser Bestimmung entspricht.“; nachgehend BGH NJW-RR 1998, 755 = WM 1997, 1552; siehe auch Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2995. 569 Ebenso OLG Hamm IPRax 1999, 244; Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2971 m. w. N. 570 Ein berechtigtes Interesse kann darin liegen, daß die Parteien die Zuständigkeit der Gerichte ihrer beiden Heimatstaaten bewußt derogieren, um dem jeweils anderen Partner keinen „Heimvorteil“ zukommen zu lassen, vgl. OLG Celle IHR 2004, 125 Tz. 31 = IPRspr. 2003 Nr. 133, S. 411 (juris); zu den Fällen des bloßen Drittstaatenbezugs siehe auch Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2972 ff. mit Rechtsprechungsübersicht. 571 OGH EuLF 2004, 57 = ZfRV 2003, 227 (LS). 572 BGH NJW 1997, 397 (399); BGH WM 1969, 1140; BGH NJW 1989, 1431 (1432); Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3137.

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einkommen) 573 bzw. europäischem Sekundärrecht (EuGVVO) kommt es dabei zu einer autonomen Auslegung der einschlägigen Bestimmungen. Der Begriff der autonomen Auslegung meint eine Auslegung unter Berücksichtigung des Wortlauts, der Zielsetzungen und der Systematik der Verordnung bzw. des Übereinkommens, unter Außerachtlassung aller rein nationaler Normen und Auslegungsmethoden.574 Diese Auslegungsmaxime gilt in AGB-rechtlichen Sachverhalten vor allem für die Vereinbarung des Erfüllungsorts575 und bei Gerichtsstandsvereinbarungen, ist also beispielsweise für die Auslegung der Begriffe „Vertrag“ und „Dienstleistung“ (Art. 5 Nr. 1 EuGVVO), „Vereinbarung“576 (Art. 23 Abs. 1 EuGVVO), „schriftlich“ (Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. a EuGVVO) und „Handelsbrauch“577 (Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVVO) relevant.578 Insoweit werden die nationalen Vorschriften – wie z. B. § 126 BGB,579 § 138 BGB580 und die §§ 38, 40 ZPO581 – vollständig verdrängt. 573 Als Beispiel für die vertragsautonome Auslegung von Rechtsbegriffen siehe BGHZ 145, 170 (179 ff.) zur vertragsautonomen Auslegung des Begriffs „Leute“ (frz. „preposes“) nach Art. 20 des Warschauer Abkommens v. 12. 10. 1929 im Rahmen der Beurteilung der Haftung des Luftfrachtführers; siehe dazu auch BGH NJW-RR 1989, 723 (zu § 45 LuftVG); zur einheitlichen Auslegung des WA als internationalem Abkommen siehe BGHZ 72, 389 (393) sowie BGHZ 84, 339 (343). 574 EuGH, Urt. v. 20. 1. 2005 – Rs. C-464/01, Slg. 2005, I-439 Tz. 31 – Gruber m. w. N. aus der Rechtsprechung des EuGH; OLG Hamm IPRax 1991, 324 (325); Kropholler, EU-ZivilprozessR, Einl Rn. 41; vgl. auch Staudinger/Coing/Honsell, Einl. BGB Rn. 147. 575 Siehe z. B. OLG Hamm IHR 2006, 84 = OLGR Hamm 2006, 327 (LS) m. Anm. Jayme, IPRax 2006, 291: „Nach Art. 5 Nr. 1 b HS. 1 EuGVVO ist der Erfüllungsort prozessrechtlich autonom zu ermitteln. Bei einem Vertrag über den Verkauf beweglicher Sachen ist Erfüllungsort derjenige Ort, an dem der Käufer die Ware entgegennimmt oder hätte entgegennehmen müssen.“ 576 OGH EuLF 2005, II-82 = ZfRV 2005, 69 (LS); Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2981 m. w. N. 577 Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3027 m. w. N. Es kommt deshalb allein auf die faktische Gebräuchlichkeit an, aber weder auf die Qualifikation als Handelsbrauch gemäß dem nationalen Recht (vgl. § 346 HGB) noch auf die Qualifizierung der Vertragsparteien als Kaufleute gemäß diesem Recht. Das nationale Handelsrecht kann einen internationalen Handelsbrauch weder einschränken noch verdrängen, vgl. EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597 Tz. 35 f. – Castelletti. 578 Siehe auch Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 5 EuGVO Rn. 42 f., Art. 23 EuGVO Rn. 23. 579 Siehe BGH NJW 2001, 1731 und BGH NJW-RR 2005, 150 (151): Abweichend von § 126 Abs. 2 BGB ist für eine schriftliche Vereinbarung i. S. von Art. 17 Abs. 1 S. 2 lit. a, 1. Alt. LugÜ keine handschriftliche Unterzeichnung erforderlich, auch kann die Vereinbarung in getrennten Schriftstücken erfolgen; siehe ferner OLG Düsseldorf NJW-RR 1989, 1330 (1331); Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2993, 3000. 580 LG Mainz WM 2005, 2319 Tz. 66 (juris); Horn, IPRax 2006, 2 (3). 581 OLG Hamburg NJW 2004, 3126 (3128); OLG Karlsruhe ZMR 2006, 929 = OLGR Karlsruhe 2006, 829; MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 280; Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 16. Zur hier nicht erörterten Frage der internationalen Gerichtsstandsvereinbarung nach autonomem deutschen Recht (§§ 38 bis 40 ZPO) ausführlich Reithmann/ Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3103.

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b) Die materielle Wirksamkeit des Hauptvertrags gehört nicht zu den Wirkungsvoraussetzungen einer Gerichtsstandsvereinbarung i. S. des Art. 23 EuGVVO.582 Beispiel: 583 Wenn deutsche Parteien in Portugal einen Vorvertrag über ein in Portugal belegenes Grundstück abschließen, der nicht den Formvorschriften des portugiesischen Rechts entspricht, so hat die Formunwirksamkeit dieses Vorvertrags nach der Rechtsprechung nicht zur Folge, daß auch die in dem Vorvertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung nichtig ist.

c) Die EuGVVO ist als ein in sich geschlossener Regelungskomplex einer Ergänzung durch das nationale Zuständigkeitsrecht nicht zugänglich.584 Folglich entscheidet Art. 23 EuGVVO in seinem Anwendungsbereich ausschließlich über die Zulässigkeit, die Form und die Wirkungen von Gerichtsstandsvereinbarungen.585 Dies wird von der Rechtsprechung zutreffend mit dem Interesse an Rechtssicherheit begründet, d. h. mit dem Bestreben, die internationale Zuständigkeit des Gerichts mit Gewißheit allein anhand der strengen Formvoraussetzungen des Art. 23 EuGVVO bestimmen zu können. Auf einen objektiven Zusammenhang zwischen dem streitigen Rechtsverhältnis und dem vereinbarten Gericht wird dabei verzichtet.586 Wie sich aus der Vermutungsregel des Art. 23 Abs. 1 S. 2 EuGVVO ergibt, ist die Zuständigkeit des Gerichts im Zweifel eine ausschließliche.587

582 LG Mainz WM 2005, 2319 Tz. 66 (juris) unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597 Tz. 52 – Castelletti. Danach stehen Erwägungen zu den Bezügen zwischen dem vereinbarten Gericht und dem streitigen Rechtsverhältnis, zur Angemessenheit der Klausel und zu dem am gewählten Gerichtsstand geltenden materiellen Haftungsrecht nicht in Zusammenhang mit den Erfordernissen des Art. 17 EuGVÜ und können daher keine Berücksichtigung finden. 583 LG Berlin IPRspr. 2004 Nr. 124, S. 274. 584 OLG Hamburg NJW 2004, 3126 (3128); BayObLG NJW-RR 2002, 359; BayObLG NJW-RR 2001, 699 (670); Zöller/Geimer, ZPO, Anh. I, Art. 23 EuGVVO Rn. 32. 585 LG Essen RIW 1992, 227 (228); Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 17. 586 EuGH, Urt. v. 20. 2. 1997 – Rs. C-106/95, Slg. 1997, I-911 Tz. 34 – MSG/Les Gravières Rhénanes; EuGH, Urt. v. 3. 7. 1997 – Rs. C-269/95, Slg. 1997, I-3767 Tz. 28 f. – Benincasa/ Dentalkit; EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597 Tz. 48 – Castelletti; Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 17, 90. – Zum Aspekt der Rechtssicherheit bei Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ (Kriterium des Erfüllungsorts) siehe EuGH, Urt. v. 29. 6. 1994 – C-288/92, Slg. 1994, I-2913, 1. Leitsatz – Custom Made Commercial/Stawa Metallbau. 587 Näher dazu Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 90 ff.; Reithmann/ Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3067 f. – Die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen wird ihrerseits durch das Derogationsverbot des Art. 23 Abs. 5 i. V. m. Art. 22 EuGVVO begrenzt, d. h. Vereinbarungen dieser Art, die darauf abzielen, ausschließliche Zuständigkeiten i. S. des 6. Abschnitts zu derogieren, sind unzulässig, siehe Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3051 m. w. N.

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d) Eine Prüfung anhand der §§ 305, 305c BGB bzw. eine Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB erfolgt im Anwendungsbereich des Art. 23 EuGVVO nicht.588 Nationale Vorschriften sind im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts niemals direkt, sondern allenfalls mittelbar im Rahmen eines vom Europäischen Gerichtshof praktizierten wertenden Gesamtvergleichs der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen beachtlich.589 Die übrigen Klauseln der in einen Vertrag einbezogenen AGB sind ungeachtet der Einschlägigkeit der EuGVVO in bezug auf die Vereinbarung des Erfüllungsorts und bzw. oder des Gerichtsstands aber ausschließlich nach dem nationalen Recht zu beurteilen.590 2. Die enge Auslegung Die Rechtsprechung legt die Vorschriften in den genannten internationalen Abkommen sowie der EuGVVO über Gerichtsstandsvereinbarungen übereinstimmend „eng“ bzw. „streng“ aus.591 Der Oberste Gerichtshof in Wien hat dies zutreffend mit den „weitreichenden Folgen einer Zuständigkeitsvereinbarung“ begründet und zugleich darauf hingewiesen, daß „jeder mit der kaufmännischen Praxis unvereinbare überspitzte Formalismus“ vermieden werden müsse.592 Der Grundsatz der engen Auslegung entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.593 Unter Geltung des Art. 23 EuGVVO wird eine in AGB enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung nur dann wirksam Vertragsbestandteil, wenn der Vertragspartner bei normaler Sorgfalt davon Kenntnis nehmen konnte.594 Die Vorschrift enthält auch kein Sonderrecht für Kaufleute.595 Die strenge Auslegung ersetzt quasi eine autonome Inhaltskontrolle.596 588 Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 19; MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 280 f.; H. Schmidt, in: U/B/H, Anh. § 305 Rn. 23. 589 Siehe OLG Hamm IPRax 1991, 324 (325): „(. . .) sowie der allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben“. 590 EuGH 14. 10. 1976 – Rs 29/76, Slg. 1977, 1541 Tz. 3 = NJW 1977, 489 (490) – LTU/Eurocontrol; OLG Frankfurt NJW-RR 2003, 704 (705), OLG Hamm IPRax 1991, 324 (325). 591 BGH NJW 1996, 1819; BGH NJW 2001, 1731; BGH NJW-RR 2005, 150 (151), beide zu Art. 17 LugÜ; OGH JBl. 2000, 121 (122) zu Art. 17 EuGVÜ; OLG Frankfurt NJW-RR 2003, 704 (705 a. E.) für den Bereich der Verbraucherverträge; für eine sowohl in formeller als auch inhaltlicher Hinsicht restriktive Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2993 bzw. Rn. 2985. 592 OGH JBl. 2000, 121 (122); siehe auch Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 38. 593 EuGH, Urt. v. 14. 12. 1976 – Rs. 24/76, Slg. 1976, 1831 Leitsätze 2 und 3 = NJW 1977, 494 – Salotti/Rüwa zum Erfordernis der Schriftlichkeit nach Art. 17 EuGVÜ. 594 BGH NJW 1996, 1819. 595 BGH NJW 1996, 1819; Reithmann/Martiny/Hausmann, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 3006. 596 Aufschlußreich EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597 – Castelletti. Mit ihrer elften Frage hatte die vorlegende Corte suprema di cassazione wissen wollen, unter welchen Bedingungen die Aufnahme der fraglichen Gerichtsstandsklausel als den Vertrags-

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

3. Die praktischen Auswirkungen dieser Auslegungsgrundsätze Die dargelegten Besonderheiten bei der Auslegung der EuGVVO sowie des EuGVÜ und des Luganer Übereinkommens haben – trotz der im Ausgangspunkt gleichartigen Behandlung der Frage nach der wirksamen Einbeziehung von AGB anhand des Grundsatzes der Verhandlungs- und Vertragssprache – ganz erheblichen Einfluß auf die Fallösung. a) Die Unzulässigkeit strengerer nationaler Rechtsvorschriften Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es unzulässig, im Anwendungsbereich der EuGVVO strengere nationale Formvorschriften zur Geltung zu bringen. So kann z. B. die Unwirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung i. S. des Art. 17 EuGVÜ (jetzt Art. 23 EuGVVO) nicht damit begründet werden, daß sie nicht in der vom nationalen Recht vorgeschriebenen Sprache erfolgte.597 Zur Begründung führte der EuGH aus, daß die Vorschrift des Art. 17 EuGVÜ selbst die Formvoraussetzungen für Gerichtsstandsklauseln im Interesse der Rechtssicherheit und zur Gewährleistung des Einverständnisses der Parteien aufstelle. Daher stehe es den Vertragsstaaten (bzw. Mitgliedstaaten der EG) nicht frei, zusätzliche Formerfordernisse festzulegen. Bezogen auf die Frage, in welcher Sprache die Zuständigkeitsvereinbarung abzufassen ist, bedeute die Regelung des Art. 17 EuGVÜ, „daß das Recht eines Vertragsstaats die Unwirksamkeit einer Vereinbarung nicht allein deshalb vorsehen darf, weil eine andere als die nach diesem Recht vorgeschriebene Sprache verwendet worden ist.“598 Die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 17 EuGVÜ ist auch für die Auslegung von Art. 23 EuGVVO verbindlich.599 Im Anwendungsbereich dieser Vorschrift, welche die Voraussetzungen für Gerichtsstandsvereinbarungen abschließend regelt, 600 ist es daher den Mitgliedstaaten der EG verwehrt, sprachregulierende Vorschriften zu erlassen.

partner „zu stark belastend oder mißbräuchlich“ angesehen werden könne (a.a.O., Tz. 32). Die Vorlagefrage wurde vom Gerichtshof – zusammen mit zwei weiteren – in Tz. 39 dahin beantwortet, „daß die konkreten Merkmale des Begriffs der den internationalen Handelsbräuchen entsprechenden Form“ gemäß den praktizierten internationalen Handelsbräuchen und ohne Berücksichtigung nationaler Formvorschriften zu erfolgen habe. Mittelbar wird damit zugleich gesagt, daß eine selbständige Mißbrauchskontrolle nicht stattfi ndet. 597 EuGH, Urt. v. 24. 6. 1981 – Rs. 150/80, Slg. 1981, 1671 Tz. 25 ff. = NJW 1982, 507 – Elefanten Schuh/Pierre Jacqmain; bestätigt durch EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597 Tz. 34 ff. – Castelletti; OLG Köln IHR 2006, 148 Tz. 10 = OLGR Köln 2006, 661 (juris); Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 21, 30; Zöller/Geimer, ZPO, Anh. I, Art. 23 EuGVVO Rn. 34. 598 EuGH, Urt. v. 24. 6. 1981 – Rs. 150/80, Slg. 1981, 1671 Tz. 27 – Elefanten Schuh/Pierre Jacqmain. 599 LG Mainz WM 2005, 2319 Tz. 86 (juris). 600 LG Mainz WM 2005, 2319 Tz. 66 (juris).

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b) Keine Berücksichtigung der Wertungen des nationalen AGB-Rechts Im Anwendungsbereich von Art. 23 EuGVVO ist es weiter irrelevant, ob eine bestimmte Klausel, die im Zusammenhang mit einer Gerichtsstandsvereinbarung Verwendung findet, mit den Anforderungen des nationalen AGB-Rechts vereinbar wäre. Müßte zusätzlich zu den Anforderungen dieser Vorschrift eine nationale AGB-Kontrolle erfolgen, wäre die Einheitlichkeit der Beurteilung von Gerichtswahlklauseln in der EG und damit der Zweck des Art. 23 EuGVVO offensichtlich gefährdet. 601 Art. 23 EuGVVO verdrängt deshalb das nationale Recht vollkommen und folglich auch die §§ 307 ff. BGB. 602 Beispiel: Der BGH hatte im Rahmen eines Streits um die Frage nach der wirksamen Begründung des deutschen Gerichtsstands durch die Versteigerungsbedingungen der deutschen Klägerin über einen englischsprachigen Klauseltext zu befinden, in dem der Einlieferer für eine Auktion versicherte, die Bedingungen gelesen und verstanden zu haben. Diese Klausel wäre bei einer isolierten oder zusätzlichen Beurteilung nach dem deutschen AGB-Recht gemäß § 309 Nr. 12 lit. b BGB unwirksam gewesen, der Tatsachenbestätigungen des Kunden, durch die die Beweislast zugunsten des Verwenders verändert wird, verbietet. 603 Der BGH entschied jedoch, daß diese Floskel bei dem autonom zu verstehenden Begriff der Vereinbarung i. S. von Art. 17 EuGVÜ ohne rechtliche Bedeutung für die Frage sei, ob der Einlieferer von den Bedingungen Kenntnis genommen hat oder bei zumutbarer Sorgfalt hiervon Kenntnis nehmen konnte.

c) Kein Verzicht auf eine tatsächliche Willenseinigung bei Gerichtsstandsvereinbarungen – das Problem des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben aa) Der Zweck der Formerfordernisse des Art. 23 Abs. 1 S. 3 EuGVVO Art. 23 EuGVVO und Art. 31 Abs. 2 EGBGB weisen parallele Schutzrichtungen auf. Die strengen Formerfordernisse des früheren Art. 17 Abs. 1 S. 2 EuGVÜ sollten nach Ansicht der Rechtsprechung gewährleisten, daß die erforderliche Einigung zwischen den Parteien tatsächlich feststeht. 604 So setzen die „Gepflo601

Richtig MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 280 mit zahlr. Nachw. OLG Hamburg NJW 2004, 3126 (3128). 603 Vgl. BGH NJW 1996, 1819; BGH NJW 1988, 2106 (2108), jeweils zu § 11 Nr. 15b AGBG; zum Verständnis von § 309 Nr. 12 lit. b eingehend Staudinger/D. Coester-Waltjen, § 309 Nr. 12 Rn. 11 f. 604 EuGH, Urt. v. 14. 12. 1976 – Rs. 24/76, Slg. 1976, 1831 Tz. 7 – Salotti/Rüwa; EuGH, Urt. v. 14. 12. 1976 – Rs. 25/76, Slg. 1976, 1851 Tz. 6 – Segoura/Bonakdarian; EuGH, Urt. v. 6. 5. 1980 – Rs. 784/79, Slg. 1980, 1517 Tz. 5 – Porta Leasing/Prestige International; EuGH, Urt. v. 14. 7. 1983 – Rs. 201/82, Slg. 1983, 2503 Tz. 13 – Gerling/Amministrazione del tesoro dello Stato; EuGH, Urt. v. 19. 6. 1984 – Rs. 71/83, Slg. 1984, 2417 Tz. 14 – Tilly Russ/Nova; EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985 – Rs. 221/84, Slg. 1985, 2699 Tz. 13 – Berghoefer/ASA; EuGH, Urt. v. 11. 11. 1986 – Rs. 313/85, Slg. 1986, 3337 Tz. 5 – Iveco Fiat/Van Hool; BGH NJW 1996, 1819; BGH NJW 1994, 2699; OGH EuLF 2005, II-82 = ZfRV 2005, 69 (LS), jeweils zur Vorgänger602

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genheiten, die zwischen den Parteien entstanden sind“ (Art. 17 Abs. 1 S. 2 lit. b EuGVÜ/LugÜ, Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. b EuGVVO) nach der Rechtsprechung „eine tatsächliche Übung voraus, die auf einer Einigung der Vertragsparteien beruht; sie können die Schriftform ersetzen, nicht jedoch die Einigung.“605 Das Gleiche gilt seit 2002 für die drei Formerfordernisse des Art. 23 Abs. 1 S. 3 EuGVVO. Die Vorschrift sichert damit – ebenso wie Art. 31 Abs. 2 EGBGB – den ausländischen Vertragspartner vor Vertragsabschlüssen mit nicht gewolltem Inhalt ab. 606 bb) Form und materieller Konsens gemäß Art. 23 Abs. 1 EuGVVO Von besonderem Interesse ist die Frage, ob und wie Gerichtsstandsvereinbarungen unter Geltung des Art. 23 Abs. 1 EuGVVO durch Übersendung eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens zustande kommen können. Zunächst wäre daran zu denken, diesen Fall der sog. „halben Schriftlichkeit“ gemäß Art. 23 Abs. 2 S. 3, lit. a, 2. Alt. EuGVVO zuzuordnen. Diese Vorschrift setzt allerdings eine mündliche Einigung der Parteien voraus. Die bloße Bezugnahme auf AGB mit einer Gerichtsstandsklausel auf der Rückseite einer „Auftragsbestätigung“ reicht deshalb selbst bei Bestehen einer langjährigen Geschäftsbeziehung nicht für die Erfüllung der Voraussetzungen von lit. a aus. 607 Hier zeigt sich, daß Art. 23 EuGVVO tatsächlich kein Sonderrecht für Kaufleute enthält. Die Anforderungen an den Nachweis einer mündlichen Vereinbarung mit

vorschrift des Art. 17 EuGVÜ; ebenso BGH NJW 2001, 1731; BGH NJW-RR 2004, 1292 (1293) m. Bespr. Hau, IPRax 2005, 301 ff.; BGH NJW-RR 2005, 150 (151), beide zu Art. 17 LugÜ. 605 BGH NJW-RR 2005, 150 (152); siehe auch BGH NJW-RR 2004, 1292 (1293) m. Bespr. Hau, IPrax 2005, 301 ff. – Die Vorschrift regelt die Formanforderungen bei laufenden Geschäftsbeziehungen zwischen den Vertragspartnern, näher dazu Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3023. Insoweit finden nach der Rechtsprechung auch die Grundsätze von Treu und Glauben Anwendung: Haben die Parteien ihre Geschäftsbeziehungen immer in Übereinstimmung mit ihren „Gepflogenheiten“ abgewickelt, verstieße diejenige Partei gegen Treu und Glauben, die sich auf einmal nicht mehr an die Gepflogenheiten gebunden fühlte, so BGH NJW-RR 2004, 1292 (1293) zu Art. 17 Abs. 1 S. 2 lit. b EuGVÜ; siehe auch EuGH, Urt. v. 14. 12. 1976 – Rs. 25/76, Slg. 1976, 1851 Tz. 11 – Segoura/Bonakdarian; Hausmann, a.a.O., Rn. 3023a. Spellenberg, IPrax 2007, 98 (105 mit. Fn. 105) weist zu Recht darauf hin, daß der Begriff „Treu und Glauben“ (verstanden als venire contra factum proprium) ebenfalls autonom auszulegen ist. Ein venire contra factum proprium liegt danach vor, wenn der Kunde in Vertrag oder Verhandlung zunächst ausreichende Sprachkenntnisse gezeigt und dann nachträglich ihr tatsächliches Fehlen geltend macht. 606 Die frühere Rechtslage wich hiervon erheblich ab, weil BGHZ 59, 23 = NJW 1972, 1622 die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit eines deutschen Gerichts auch dann für nicht formbedürftig erachtete, wenn nach dem für das Zustandekommen der Vereinbarung maßgeblichen Recht eine bestimmte Form erforderlich war. 607 BGH NJW 1994, 2699; OLG Hamburg RIW 1984, 916 = IPRax 1985, 281, jeweils zu Art. 17 Abs. 1 S. 2 lit. a, 2. Alt. EuGVÜ; Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3014 f.

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schriftlicher Bestätigung (sog. „halbe Schriftlichkeit“) nach lit. a 608 sind sehr hoch. 609 Den Bedürfnissen des Handelsverkehrs wird aber durch Abs. 1 lit. b (Gepflogenheiten zwischen den Parteien) und lit. c. (Brauch im internationalen Handel) der Vorschrift Rechnung getragen. 610 Art. 23 Abs. 1 EuGVVO legt zwar ausdrücklich nur Formerfordernisse und nicht Anforderungen an die materielle Willenseinigung fest. Gleichwohl läßt Art. 23 EuGVVO viele Fragen offen, die den materiellen Konsens der Parteien, also das Zustandekommen der Gerichtsstandvereinbarung, betreffen. 611 Insbesondere verschwimmt der in der Norm angelegte Unterschied zwischen Form und materieller Willenseinigung bei näherer Betrachtung vor dem Hintergrund des genannten Schutzzwecks, namentlich bei der Prüfung der Handelsbräuche im internationalen Handel nach Satz 3 lit. c. 612 Nach den zutreffenden Feststellungen des früheren Generalanwalts beim EuGH, Carl Otto Lenz, sind Handelsbräuche, die reine Formerfordernisse betreffen, in der Praxis kaum vorstellbar, da diese Erfordernisse dem Prozeßrecht zuzurechnen seien. In bezug auf die Art und Weise der Willenseinigung, also im Hinblick auf das materielle 608 Eine entsprechende Regelung enthält § 38 Abs. 2 S. 2 ZPO für Gerichtsstandsvereinbarungen gemäß dem deutschen Zivilprozeßrecht. 609 Als Beispiel siehe nur OLG Nürnberg TranspR 1998, 414, Tz. 74 ff. (juris). 610 Zum Abschluß von Gerichtsstandsvereinbarungen durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben sogleich unter cc. 611 So zutreffend MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 280. 612 Ebenso Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 27, der zutreffend folgert, daß es sachgerechter sei, die Berücksichtigung der Handelsbräuche nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVVO auch auf die materielle Willenseinigung zu beziehen. Verf. äußert die Vermutung, daß die Einfügung von lit. c im Jahr 1978, die nach offizieller Verlautbarung eine „Erleichterung von Formerfordernissen bezweckte“, zugleich die Korrektur einer älteren Rechtsprechung des EuGH betreffend das Merkmal „Vereinbarung“ zum Ziel gehabt habe. In diesem Sinne auch GA Lenz, Schlußanträge v. 8. 3. 1994 – Rs. C-288/92, Slg. 1994, I-2913 Rn. 95 f.: Man frage sich, ob neben der Form der Vereinbarung nicht auch die Vereinbarung selbst – die Festlegung eines gemeinsamen Willens – erfaßt werden sollte. Nach Ansicht des Generalanwalts ist letzteres der Fall. Das Ziel der Reform von 1978 würde nicht erreicht, wenn man Art. 17 EuGVÜ als bloße Formvorschrift ansähe. Enger aber OLG Saarbrücken NJW 1992, 987 = IPRax 1992, 165: Art. 17 EuGVÜ entscheide in seinem Anwendungsbereich ausschließlich über Zulässigkeit, Form und Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung. Welche materiellrechtlichen Anforderungen an das Zustandekommen der Gerichtsstandsvereinbarung zu stellen seien, bestimme sich nach dem nationalen Recht, das von dem angerufenen Gericht nach seinem internationalen Privatrecht für anwendbar erklärt werde. Für die materielle Wirksamkeit sei hier deutsches Recht maßgeblich. Der Fall betraf den Vertragsschluß mit einer Privatperson aus Mulhouse (Mühlhausen) in Frankreich und trifft daher keine Aussage über die Wirksamkeitsvoraussetzungen bei internationalen Handelsbräuchen; ebenso aber OLG Düsseldorf NJW-RR 1989, 1330 betreffend einen Handelskauf im Rahmen der internationalen Schuhmesse in Bologna; grundlegend BGHZ 49, 384 (387) = NJW 1968, 1233 sowie BGHZ 59, 23 (26 f.) = NJW 1972, 1622 m. Anm. Geimer: Die Zulässigkeit und Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung richten sich nach dem Prozeßrecht der lex fori, die materielle Wirksamkeit jedoch nach dem durch das IPR berufene materielle Recht, da das Prozeßrecht keine Vorschriften über das Zustandekommen solcher Vereinbarungen enthält.

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Recht, könne es hingegen sehr wohl Handelsbräuche geben. 613 Diese Handelsbräuche, gerade solche betreffend das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, könnten „Elemente der Form und der Willenseinigung miteinander verweben“, bzw. „eine gewisse Form, verstanden als Art und Weise der Willenseinigung betreffen“. 614 Das LG Essen615 hatte sich bereits 1992 in ähnlicher Weise geäußert, indem es entschied, daß das Einigungsstatut einheitlich für alle Vertragsstaaten der Wortlaut des Art. 17 EuGVÜ selbst und nicht erst eine durch das Internationale Privatrecht des Forums berufene Rechtsordnung sei. Art. 17 EuGVÜ treffe „wegen unlösbarer Zusammenhänge zwischen Form und Willenseinigung“ selbst eine Regelung über die Einigung. Die internationalen Handelsbräuche seien schon im Rahmen des autonom zu bestimmenden Begriffs der Einigung zu berücksichtigen. Der Begriff des Handelsbrauchs sei nicht i. S. des § 346 HGB zu verstehen. 616 Vielmehr ergebe sich aus dem englischen Text des Artikels („which accords with practices in that trade or commerce“) und der französischen Fassung („admise par les usages dans ce domaine“), daß es darauf ankomme, was tatsächlich üblich sei, ohne daß die Parteien tatsächlich Kaufleute sein müßten. Den Ausführungen des Generalanwalts Lenz und des LG Essen ist auch für das Verständnis von Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVVO zuzustimmen. Die Vorschrift ist richtigerweise auch auf die materielle Willenseinigung zu beziehen, d. h. die im internationalen Handel bestehenden Gebräuche entscheiden mit darüber, welche Anforderungen an den autonom auszulegenden Begriff der „Vereinbarung“ zu stellen sind. 617 Art. 23 Abs. 1 EuGVVO soll nach der Rechtsprechung sicherstellen, „daß die Einigung zwischen den Parteien tatsächlich feststeht“618 . Soweit das Zusammenspiel von Formerfordernissen und Einigungsvoraussetzungen in Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVVO reicht, ist kein Raum für eine eigenständige Anwendung der nach den Grundsätzen des Internationalen Privatrechts berufenen Vorschriften des nationalen materiellen Rechts. 619 613

GA Lenz, Schlußanträge v. 8. 3. 1994 – Rs. C-288/92, Slg. 1994, I-2913 Rn. 98. GA Lenz, Schlußanträge v. 8. 3. 1994 – Rs. C-288/92, Slg. 1994, I-2913 Rn. 98; ähnlich Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2986 m. w. N. Danach begründet die Einhaltung der Formerfordernisse des Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVVO eine nur schwer widerlegliche Vermutung dafür, daß sich die Parteien über den Gerichtsstand wirksam geeinigt haben. 615 LG Essen RIW 1992, 227 (228). 616 Ebenso OLG Celle IPRax 1997, 417 (418), dort als „nahezu einhellige Auffassung“ bezeichnet. 617 Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3025 m. w. N.; ebenso Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 28 m. w. N.; H. Schmidt, in: U/B/H, Anh. § 305 Rn. 23; siehe auch Zöller/Geimer, ZPO, Anh. I, Art. 23 EuGVVO Rn. 21 m. w. N., demzufolge sich das Zustandekommen der Willenseinigung sich nach dem ungeschriebenen Einheitsrecht der Verordnung richtet. 618 Siehe die Nachweise in Fn. 1229. 619 GA Lenz, Schlußanträge v. 8. 3. 1994 – Rs. C-288/92, Slg. 1994, I-2913 Rn. 125: „Artikel 17 soll in seinem Anwendungsbereich autonomes und damit einheitliches Recht schaffen. 614

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Die Voraussetzungen für eine wirksame Vereinbarung einer Gerichtsstandsklausel in fremdsprachigen AGB müssen aus Art. 23 Abs. 1 EuGVVO selbst, ohne Rückgriff auf das nationale Recht, entwickelt werden. 620 Das nationale Recht greift nur insoweit ein, als die Wirksamkeitsvoraussetzungen gerade nicht in Art. 23 EuGVVO geregelt sind. 621 Beispiel: Die Schriftform nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. a EuGVVO ist gewahrt, wenn diejenige Partei, zu deren Lasten die Gerichtsstandsklausel geht, durch ihre Unterschrift ihr Einverständnis mit der Klausel erklärt hat und die Parteien den Vertrag anschließend durchgeführt haben. Eine Unterschrift des Klauselverwenders ist in diesem Fall nicht erforderlich, weil eine schriftliche Vereinbarung i. S. des Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. a EuGVVO eine eigenhändige Unterschrift nicht voraussetzt 622 und weil in der vorliegenden Fallgestaltung keine Zweifel an der Willensübereinstimmung der Parteien bestehen. 623 Eine weitere Besonderheit besteht in der Zulassung der schriftlichen Bestätigung einer mündlichen Vereinbarung durch Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. a EuGVVO, sog. halbe Schriftlichkeit. 624 Hierfür kommt es wie bereits dargelegt maßgeblich darauf an, daß sich die Parteien bereits bei dem mündlichen Vertragsschluß in rechtsverbindlicher Weise über den Gerichtsstand geeinigt haben. 625

cc) Gerichtsstandsvereinbarung und kaufmännisches Bestätigungsschreiben Die Zielsetzung des Art. 23 EuGVVO, den Abschluß von Verträgen durch das strenge Festhalten an dem Erfordernis einer tatsächlichen Willenseinigung zu Er defi niert abschließend die Anforderungen an die materielle Willenseinigung sowie an die Formen, die zur Wahrung dieses Standards erforderlich sind. Innerstaatliche Vorschriften mit derselben Funktion können daher daneben keinen Raum beanspruchen.“ 620 Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2984. 621 Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 28 nennt als Beispiele: Geschäftsfähigkeit, Gebundenheit an die Erklärung, Fehlen von Willensmängeln, wirksame Stellvertretung; ebenso MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 280; OLG Saarbücken NJW 1992, 987; OLG Celle NJW-RR 2004, 575 (576); siehe auch LG Essen RIW 1992, 227 (230) zur Stellvertretung, hier: Entgegennahme von Bestellungen des deutschen Käufers von dem italienischen Verkäufer durch einen Handelsvertreter des letzteren in Deutschland und Zurechnung von dessen Kenntnis über §§ 164 Abs. 3, 166 BGB. 622 OGH JBl. 2001, 117 (119); Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2999. Folglich können auch Telegramme, Fernschreiben, Telefaxe und E-Mails das Formerfordernis erfüllen, sofern nur die Identität des Erklärenden feststeht, siehe Hausmann, ebd. m. w. N. 623 So Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2988 und Kröll, IPRax 2002, 113 (114) gegen BGH NJW 2001, 1731 = IPRax 2001, 124 zu Art. 17 Abs. 1 S. 2 lit. a LugÜ. In dem Fall hatte der Gläubiger nach einer Vorbesprechung dem im Ausland ansässigen Bürgen ein vollständig ausgefülltes Vertragsformular, das eine Gerichtsstandsvereinbarung enthielt, übersandt, dieses jedoch nicht unterzeichnet, sondern lediglich im Kopfbereich mit seinem Stempel versehen. 624 Ausführlich dazu Reithmann/Martiny/Hausmann, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 3011 ff. 625 OLG Hamburg IPRax 2007, 419 (420); Reithmann/Martiny/Hausmann, Europäisches Vertragsrecht, Rn. 3001.

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

gewährleisten, interessiert insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung i. S. des Art. 23 EuGVVO auch durch das Schweigen des ausländischen Vertragspartners auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben des AGB-Verwenders zustande kommen kann. Die rechtliche Lösung dieser Frage richtet sich nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 EuGVVO. 626 Der EuGH627 hat im Jahr 1994 eine darauf gerichtete Vorlagefrage des BGH628 unbeantwortet gelassen. Wenige Jahre später hat er diese Frage bejaht, wobei er zu Recht strenge Voraussetzungen aufgestellt hat. Nach Ansicht des EuGH629 kann eine Gerichtsstandsvereinbarung auch in der Weise getroffen werden, daß die eine Vertragspartei auf ein ihr von der anderen Vertragspartei übersandtes kaufmännisches Bestätigungsschreiben, das einen vorgedruckten Hinweis auf den Gerichtsstand enthält, nicht reagiert, sofern dieses Verhalten einem Handelsbrauch in dem Bereich des internationalen Handelsverkehrs entspricht, in dem die Parteien tätig sind, und sofern dieser Brauch ihnen bekannt ist oder als ihnen bekannt angesehen werden muß. Entsprechendes gilt – bei gemeinschaftsrechtlich autonomer und enger Auslegung – nunmehr auch für die Formerfordernisse des Art. 23 EuGVVO. 630 Denn Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVO ermöglicht den Abschluß von Gerichtsstandsvereinbarungen durch Anwendung von Handelsbräuchen im internationalen Handel, ohne daß damit – so die Ansicht des EuGH und der Literatur – 626

Eine entsprechende Vorschrift wurde durch das Beitrittsübereinkommen von 1978 in Art. 17 Abs. 1 S. 2 EuGVÜ als dritter Fall eingefügt, um den besonderen Gepflogenheiten und Erfordernissen des internationalen Handelsverkehrs gerecht zu werden, siehe EuGH v. 20. 2. 1997 – Rs. C-106/95, Slg. 1997, I-911 Tz. 16 – MSG/Les Gravières Rhénanes. 627 EuGH, Urt. v. 29. 6. 1994 – Rs. C-288/92, Slg. 1994, I-2913 – Custom Made Commercial/Stawa Metallbau. 628 BGH RIW 1992, 756 = EuZW 1992, 514; Vorlagefrage 2 a): „Kann eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Artikel 17 Absatz 1 Satz 2 Fall 3 des Brüsseler Übereinkommens in der Fassung von 1978 dadurch wirksam zustande kommen, daß ein Lieferant nach mündlich abgeschlossenem Vertrag seinem Abnehmer den Vertragsschluß schriftlich bestätigt und diesem Bestätigungsschreiben erstmals Allgemeine Geschäftsbedingungen beifügt, die eine Gerichtsstandsklausel enthalten, der Abnehmer der Gerichtsstandsklausel nicht widerspricht, am Sitz des Abnehmers kein Handelsbrauch besteht, daß Schweigen auf ein solches Schreiben als Einverständnis mit der Gerichtsstandsklausel anzusehen sei, dem Abnehmer ein solcher Handelsbrauch auch nicht bekannt ist und es sich um den ersten Geschäftskontakt zwischen den Parteien handelt?“ 629 Siehe EuGH, Urt. v. 20. 2. 1997 – Rs. C-106/95, Slg. 1997, I-911, 1. Leitsatz – MSG/Les Gravières Rhénanes; nachgehend BGH NJW-RR 1998, 755 = WM 1997, 1552; siehe auch OLG Köln NJW 1988, 2182 f. = RIW 1988, 555; LG Essen RIW 1992, 227 (229); Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 30. 630 Abweichend ist die Rechtslage bei Schiedsvereinbarungen nach dem New Yorker UNÜbereinkommen von 1958. Art. II Abs. 2 UNÜ sieht Einschränkungen des Formzwangs aufgrund internationaler Handelsbräuche nicht vor, so daß das bloße Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben ebensowenig wie die stillschweigende Annahme eines Vertragsangebotes (z. B. durch das Entgegennehmen der Ware) das Schriftformerfordernis nach dieser Vorschrift ersetzen kann, siehe Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3287.

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auf das Erfordernis einer tatsächlichen Willenseinigung verzichtet wird. 631 Die „schwächere Vertragspartei“ (so die Terminologie des EuGH) – besser: die ausländische – soll durch dieses Merkmal davor geschützt werden, daß Gerichtsstandsklauseln, die einseitig in den Vertrag eingefügt wurden, unbemerkt bleiben. 632 Nach Ansicht des EuGH ist für den Nachweis eines Handelsbrauchs erforderlich, daß die in einem bestimmten Geschäftszweig tätigen Kaufleute bei Abschluß einer bestimmten Art von Verträgen allgemein und regelmäßig ein bestimmtes Verhalten befolgen. 633 Der Brauch muß sich im internationalen Handel entwickelt haben, d. h. zumindest auch bei grenzüberschreitenden Rechtsgeschäften praktiziert werden. 634 Das betreffende Verhalten – eine tatsächliche ständige Übung der jeweiligen Verkehrskreise – 635 muß aber nicht für bestimmte Länder, insbesondere nicht für alle Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten, nachgewiesen werden. 636 Es genügt, daß der Handelsbrauch in den für die jeweilige Branche wichtigen Staaten existiert. 637 Bei nationalen oder lokalen Bräuchen ist deren Anerkennung durch eine größere Zahl ausländischer Marktteilnehmer erforderlich. 638 Entspricht das Verhalten der Vertragsparteien einem Brauch im Bereich des internationalen Handelsverkehrs, wird die Willenseinigung der Vertragsparteien über die Gerichtsstandsklausel vermutet, wenn den Parteien der Handelsbrauch bekannt ist oder als bekannt angesehen werden muß. 639 Der Schutz der anderen Vertragspartei vor ungewollten Gerichtsstandsvereinbarungen erfolgt im internationalen Handel dadurch, daß diese Partei den Handelsbrauch kannte oder kennen mußte; darüber hat das angerufene nationale Gericht zu befin631

Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 52. EuGH, Urt. v. 20. 2. 1997 – Rs. C-106/95, Slg. 1997, I-911 Tz. 17 – MSG/Les Gravières Rhénanes; EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597 Tz. 19 – Castelletti; EuGH, Urt. v. 9. 12. 2003 – Rs. C-116/02, Slg. 2003, I-14693 Tz. 50 – Gasser; Kropholler, EUZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 52; Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2982. 633 EuGH, Urt. v. 20. 2. 1997 – Rs. C-106/95, Slg. 1997, I-911, 2. Leitsatz und Tz. 23 – MSG/Les Gravières Rhénanes; EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597 Tz. 20 – Castelletti; BGHZ 171, 141 Tz. 29 = NJW 2007, 2036; Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3028. 634 Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3030. 635 Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3028; OLG Celle IPRax 1997, 417 (418 f.). 636 EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597, 3. Leitsatz, 2. Spiegelstrich und Tz. 27, 30 – Castelletti. 637 Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3030; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (154). 638 EuGH, Urt. v. 20. 2. 1997 – Rs. C-106/95, Slg. 1997, I-911 Tz. 21 – MSG/Les Gravières Rhénanes; Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3030; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (492). 639 EuGH, Urt. v. 20. 2. 1997 – Rs. C-106/95, Slg. 1997, I-911 Tz. 19 – MSG/Les Gravières Rhénanes; EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597, 3. Leitsatz, 1. Spiegelstrich und Tz. 21 – Castelletti. 632

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den. 640 Für die Kenntnis von dem Handelsbrauch spricht – unabhängig von jeder besonderen Form der Publizität – als Indiz, wenn in dem Geschäftszweig, in dem die Parteien tätig sind, bei Abschluß einer bestimmten Art von Verträgen ein bestimmtes Verhalten allgemein und regelmäßig befolgt wird und es daher als „konsolidierte Praxis“ angesehen werden kann. 641 Dies gilt namentlich dann, wenn eine Praxis allgemein und regelmäßig von den Kaufleuten derjenigen Länder befolgt wird, die in dem betreffenden Geschäftszweig des internationalen Handelsverkehrs eine „führende Stellung“ einnehmen. 642 Die Nationalität der Parteien spielt für die Frage nach der Kenntnis von dem jeweiligen Handelsbrauch keine Rolle. 643 Der EuGH mußte deshalb in der Rs. Castelletti der von dem vorlegenden Gericht gestellten Frage, ob die Sprache der Klausel „irgendeinen Bezug zu der Nationalität der Vertragsparteien haben muß“ oder ob es ausreicht, „wenn es sich um eine Sprache handelt, die regelmäßig in internationalen Geschäftsverkehr verwendet wird“, 644 nicht im einzelnen nachgehen. Es genügte vielmehr die lapidare Feststellung, es sei „daher Sache des nationalen Gerichts, unter Bezugnahme auf die Handelsbräuche im betreffenden Geschäftszweig des internationalen Handelsverkehrs zu bestimmen, ob in der bei ihm anhängigen Rechtssache die äußere Erscheinung der Gerichtsstandsklausel einschließlich der Sprache, in der sie abgefaßt ist, und ihre Aufnahme in einen vom Vertragspartner des Verwenders nicht unterzeichneten Vordruck mit den diesen Handelsbräuchen entsprechenden Formen im Einklang stehen“. 645 Aus dem Vorstehenden ergibt sich für die Frage nach der Vereinbarung von Gerichtsstandsvereinbarung im Wege der Übersendung kaufmännischer Bestätigungsschreiben, daß die Feststellung, daß die Einbeziehung von AGB auf diese Weise in Deutschland Handelsbrauch ist, für sich genommen aus der Sicht des deutschen Verwenders nichts nutzt, wenn der ausländische Verwender diesen Handelsbrauch nicht „kannte oder kennen mußte“, Art. 23 Abs. 1 lit. c EuGVVO. 646 Die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen des Vertragspartners von dem Handelsbrauch hat der Verwender zu beweisen. Der ausländische Vertragspartner kann sich im Rahmen des Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVO darauf 640

Siehe Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3030 a. E. Siehe dazu EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597, Tz. 27, 40 – Castelletti. 642 EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597 Tz. 27 – Castelletti; Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3029. 643 EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597, 3. Leitsatz, 4. Spiegelstrich und Tz. 42 – Castelletti. 644 Zweite Vorlagefrage der Corte suprema di cassazione, siehe EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597 Tz. 12 – Castelletti. 645 EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597 Tz. 36 – Castelletti. 646 OLG Köln NJW 1988, 2182 f. = RIW 1988, 555; ein Kennenmüssen verneinend OLG Düsseldorf NJW-RR 1989, 1330 (1331) zu einem italienisch-deutschen Handelskauf betreffend italienische Schuhe; siehe auch Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3036. 641

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berufen, daß ihm ein solcher Handelsbrauch nach seinem Heimatrecht nicht bekannt sei, konkret also, daß Schweigen im Handelsverkehr dort nicht als Zustimmung bewertet wird. Die Voraussetzung des Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVVO in bezug auf die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen sind gegeben, wenn die Vertragsparteien schon früher untereinander647 oder mit anderen in dem betreffenden Geschäftszweig tätigen Vertragspartnern Geschäftsbeziehungen angeknüpft hatten. 648 Das Gleiche gilt, wenn in dem betreffenden Geschäftszweig ein bestimmtes Verhalten bei dem Abschluß einer bestimmten Art von Verträgen allgemein und regelmäßig befolgt wird, so daß es als ständige Übung angesehen werden kann. 649 Bei Handelsbräuchen ist die jeweilige Verbreitung von wesentlicher Bedeutung. Sie reicht von regionalen Übungen bis hin zu internationalen Gebräuchen wie etwa im Seehandel650 . 651 Da die Praxis des kaufmännischen Bestätigungsschreibens zwar in einigen, nicht aber in allen Mitgliedstaaten bekannt ist, bedarf es grundsätzlich der Prüfung, ob ein entsprechender Handelsbrauch auch in dem Heimatland der ausländischen Partei bekannt ist, d. h. ob die Partei nach ihrem Wohnsitzrecht damit rechnen mußte, daß ihr Schweigen als Willenserklärung gewertet wird. 652 Die Feststellung der Existenz eines Handelsbrauchs in dem Heimatstaat des Verwenders ersetzt als solche nicht den Nachweis der notwendigen Willenseinigung zwischen den Parteien. Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung kann also daran scheitern, daß der Schweigende den Brauch nicht kennen mußte. 653 651

647 Siehe z. B. OLG Köln VersR 1999, 639 (640), 2. Leitsatz. Danach reicht es für eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 17 Abs. 1 S. 2 lit. a EuGVÜ aus, daß die in den Vertrag einbezogenen AGB, die eine Gerichtsstandsklausel zugunsten des Verwenders enthalten, der anderen Partei anläßlich eines früheren Vertragsschlusses schriftlich zugegangen und seither den Geschäftsbeziehungen der Partei zugrundegelegt worden sind. 648 EuGH, Urt. v. 20. 2. 1997 – Rs. C-106/95, Slg. 1997, I-911, 2. Leitsatz und Tz. 24 – MSG/Les Gravières Rhénanes; ebenso Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3035 m. w. N. 649 Siehe EuGH, Urt. v. 20. 2. 1997 – Rs. C-106/95, Slg. 1997, I-911, 2. Leitsatz und Tz. 24 – MSG/Les Gravières Rhénanes; ebenso EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597 Tz. 43 – Castelletti. 650 Zum Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung durch Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben im Binnenschiffahrtsverkehr (hier: auf dem Rhein zwischen Deutschland und Frankreich) siehe OLG Nürnberg TranspR 1998, 414 (juris), im Anschluß an BGH NJW-RR 1998, 755. In dem Fall hatte der Sachverständige festgestellt, daß es „einen international schiffahrtsüblichen Brauch“ gebe, „wonach das Schiffahrtsunternehmen bei der Vercharterung eines Schiffes den eigenen Gerichtsstand als akzeptiert unterstellen kann, wenn der Vertragspartner auf erfolgte Bestätigungsschreiben bzw. Rechnungen, auf denen der Gerichtsstand vermerkt ist, nicht reagiert“. Der geschilderte Handelsbrauch bestehe international und sei von der Schifferbörse seit über 40 Jahren so festgestellt worden (a.a.O., Rn. 95 f.). Den Ausführungen des Sachverständigen folgte das Gericht (a.a.O., Rn. 101 f.). 651 Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 58. 652 OLG Köln NJW 1988, 2182 (2183); LG Essen RIW 1992, 227 (229). 653 Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 61.

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Beispiel: 654 Der italienische Lieferant hat von einem Besteller aus Deutschland, mit dem er in einer ständigen Geschäftsbeziehung steht, dessen „Einkaufsbedingungen“ zugesandt bekommen. Diese enthalten eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten des Gerichts am Sitz des Bestellers in Deutschland. Der Lieferant schweigt darauf und liefert die Ware an den Besteller. Bei dem Schweigen auf das Bestätigungsschreiben kann es sich um eine ständige Übung der beteiligten Verkehrskreise und damit um einen internationalen Handelsbrauch gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVVO handeln. Dies vorausgesetzt, müßte der italienische Lieferant Kenntnis von dem Brauch haben oder es müßte ein Kennenmüssen vorliegen. Das wird regelmäßig der Fall sein, wenn sich – wie in dem Beispielsfall geschehen – der Lieferant zur Entgegennahme von Bestellungen eines Handelsvertreters in Deutschland bedient. Dessen Verhalten bzw. Kenntnis von dem Handelsbrauch muß sich der Lieferant zurechnen lassen. Insofern bedarf es nicht einmal des Zugangs der AGB bei dem Lieferanten in Italien, sondern es reicht der Zugang bei dem in Deutschland agierenden Handelsvertreter des Lieferanten aus.

dd) Der Zusammenhang zwischen Form, Sprache und Handelsbrauch – das „Sprachrisiko“ bei Gerichtsstandsvereinbarungen Art. 23 EuGVVO stellt wie gesehen im Interesse der Rechtssicherheit und zur Gewährleistung des Einverständnisses der Parteien selbst die Formvoraussetzungen für Gerichtsstandsklauseln auf. 655 Folglich kann die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel nur insoweit von der Einhaltung einer bestimmten Formvoraussetzung abhängen, als diese in Zusammenhang mit den Erfordernissen dieses Artikels steht. 656 Die Sprache der Gerichtsstandsvereinbarung ist eine Frage der „Form“ i. S. des Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVVO. Die Form richtet sich zunächst nach dem jeweiligen Handelsbrauch und ist ohne Berücksichtigung besonderer Formvoraussetzungen nationaler Vorschriften zu prüfen. 657 In seinen Schlußanträgen vom 8. März 1994 in der Rs. Custom Made Commercial führte der Generalanwalt Lenz dazu aus, die mit einer Vorlagefrage des BGH658 problematisierte Regelung des „Sprachrisikos“ scheine ihm 654

Nach LG Essen RIW 1992, 227 (etwas vereinfacht). EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597 Tz. 34 – Castelletti; Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2994. 656 EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597 Tz. 43 – Castelletti. 657 EuGH, Urt. v. 16. 3. 1999 – Rs. C-159/97, Slg. 1999, I-1597, 3. Leitsatz, 3. Spiegelstrich und Tz. 39 – Castelletti. Danach sind die konkreten Merkmale des Begriffs der den internationalen Handelsbräuchen entsprechenden Form ausschließlich anhand der Handelsbräuche des betreffenden Geschäftszweigs des internationalen Handelsverkehrs ohne Berücksichtigung etwaiger besonderer Voraussetzungen nationaler Vorschriften zu prüfen; siehe auch Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3028: Die Feststellung einer tatsächlichen ständigen Übung obliege dem nationalen Gericht. Dieses habe insbesondere zu ermitteln, „ob die äußere Gestaltung der Gerichtsstandsklausel, ihre Aufnahme in einen vom Vertragspartner des Verwenders nicht unterzeichneten Vordruck sowie die Abfassung in einer bestimmten Sprache dem in dem betreffenden Geschäftszweig bestehenden internationalen Handelsbrauch entspricht.“ 658 BGH RIW 1992, 756 = EuZW 1992, 514, Vorlagefrage 2 b) betreffend die Möglichkeit 655

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„nicht besonders kompliziert“ zu sein. 659 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Rs. Elefanten Schuh hätten innerstaatliche Vorschriften, die im Privatrechtsverkehr den Gebrauch einer bestimmten Sprache vorschreiben, im Anwendungsbereich des Art. 17 EuGVÜ außer Betracht zu bleiben. Dasselbe müsse auch für die von der Rechtsprechung eines Vertragsstaates entwickelte Regelung über das „Sprachrisiko“ gelten, da sich diese, gleich den vorgenannten Bestimmungen, auf die Anforderungen an die Art und Weise der Vereinbarung – also Form und materielle Voraussetzungen – auswirkten. 660 Der Umstand, daß der Hinweis auf die Gerichtsstandsklausel nicht in der Verhandlungs- und Vertragssprache erfolgte, ließ den Generalanwalt zu der Annahme gelangen, daß die betroffene Partei – bei erstmaligem Geschäftskontakt mit dem Verwender – von der Gerichtsstandsklausel nicht in angemessener Weise Kenntnis nehmen konnte. Daher habe es schon an der Grundvoraussetzung der tatsächlichen Einigung gefehlt, es sei denn, der geltende Handelsbrauch erlaube selbst ein Abweichen von der Verhandlungs- und Vertragssprache. 661 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, allerdings mit einer Ausnahme. Die These des Generalanwalts, daß ein Hinweis auf die AGB in der Verhandlungsund Vertragssprache nicht genüge, sondern daß ein Hinweis auf die Gerichtsstandsklausel selbst notwendig sei, 662 verdient keine Gefolgschaft. 663 Nach der Rechtsprechung ist ein spezieller Hinweis auf die Gerichtsstandsklausel gerade nicht notwendig; zur Erfüllung des Schriftformerfordernisses des Art. 23 Abs. 1 EuGVVO ist es vielmehr ausreichend, wenn der von beiden Parteien unterzeichnete Vertragstext selbst ausdrücklich auf die die Gerichtsstandsklausel enthaltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bezug nimmt. 664 Denn die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen in Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVVO bezieht sich auf den Handelsbrauch. 665 des Abschlusses einer Gerichtsstandsvereinbarung durch Übersendung eines fremdsprachigen kaufmännischen Bestätigungsschreibens: „Gilt dies auch dann, wenn die eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen in einer von der Verhandlungs- und Vertragssprache abweichenden, dem Abnehmer nicht bekannten Sprache verfaßt sind und wenn in dem in der Verhandlungs- und Vertragssprache verfaßten Bestätigungsschreiben global auf die beigefügten Allgemeinen Geschäftsbedingungen, nicht jedoch speziell auf die Gerichtsstandsklausel hingewiesen wird?“ 659 GA Lenz, Schlußanträge v. 8. 3. 1994 – Rs. C-288/92, Slg. 1994, I-2913 Rn. 120. 660 GA Lenz, Schlußanträge v. 8. 3. 1994 – Rs. C-288/92, Slg. 1994, I-2913 Rn. 121. 661 GA Lenz, Schlußanträge v. 8. 3. 1994 – Rs. C-288/92, Slg. 1994, I-2913 Rn. 124. 662 GA Lenz, Schlußanträge v. 8. 3. 1994 – Rs. C-288/92, Slg. 1994, I-2913 Rn. 124 mit Rn. 122; ebenso Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3005. 663 Ebenso Spellenberg, IPRax 2007, 98 (105); Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 36. 664 EuGH, Urt. v. 14. 12. 1976 – Rs. 24/76, Slg. 1976, 1831 Tz. 12 = NJW 1977, 494 – Salotti/Rüwa; BGH NJW 1996, 1819; OLG Karlsruhe RIW 2001, 621 (622) = IPRspr. 2001 Nr. 135, S. 280; BayObLG NJW-RR 2002, 359; OLG Köln IHR 2006, 148 Tz. 9 = OLGR Köln 2006, 661 (juris); Zöller/Geimer, ZPO, Anh. I, Art. 23 EuGVVO Rn. 23 m. w. N. 665 Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 61 a. E.

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Besteht ein Handelsbrauch, wonach Schweigen als Zustimmung gilt und stehen die Vertragspartner in einer ständigen Geschäftsbeziehung zueinander, kann es nach der Rechtsprechung zu einer bemerkenswerten Abweichung vom Grundsatz der Verhandlungs- und Vertragssprache kommen. So waren in einem von dem LG Münster im Jahr 1991 entschiedenen Fall666 die AGB der Klägerin in deutscher Sprache abgefaßt, während die Verhandlungssprache zwischen den Parteien Englisch war. Die Beklagte mit Sitz in Großbritannien wußte von der Existenz der AGB der Klägerin und ihr war auch bekannt, daß diese nur unter Geltung derselben abschließen wollte. Auf den Auftragsbestätigungen der Klägerin war ein Hinweis in deutscher Sprache auf die rückseitig abgedruckten AGB enthalten. Wegen des Bestehens einer ständigen Geschäftsbeziehung bedurfte es nach Ansicht des Gerichts keines Hinweises auf die AGB in englischer Sprache. An deren Einbeziehung über Art. 17 Abs. 1 S. 2, 3. Alt. EuGVÜ (jetzt Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVVO) hatte das Gericht keine Zweifel: „Denn die fortdauernde widerspruchslose Entgegennahme von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die als solche dem Erklärungsgegner erkennbar sind, läßt bei objektiver Betrachtung nur den Schluß zu, der Erklärungsgegner sei mit diesen Bedingungen einverstanden.“667 Unter den genannten Voraussetzungen – Bestehen einer langjährigen Geschäftsbeziehung und keine Zweifel an dem Einverständnis des Vertragspartners des Verwenders – läßt sich dieses Ergebnis außerdem auch mit den zwischen den Parteien bestehenden „Gepflogenheiten“ nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. b EuGVVO begründen. In der Sache überzeugt diese Lösung. Denn der Grundsatz der Verhandlungs- und Vertragssprache hat die Funktion, durch einen Hinweis in einer dem Adressaten verständlichen Sprache diesen auf die Existenz der Geschäftsbedingungen seines Vertragspartners – die in einer von der Sprache des Hinweises abweichenden, möglicherweise für den Adressaten unverständlichen Sprache gehalten sind – aufmerksam zu machen. Wer diese Kenntnis infolge einer langjährigen Geschäftsbeziehung bereits hat oder haben muß, bedarf keines entsprechenden Hinweises und steht daher nicht schlechter als derjenige, der zum ersten Mal mit dem Verwender kontrahiert. Die Geltendmachung einer unzulässigen Abweichung vom Grundsatz der Verhandlungs- und Vertragssprache wäre ihrerseits als Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu bewerten. Zu einer Einbeziehung der Gerichtsstandsvereinbarung kommt es grundsätzlich jedoch nicht, wenn der Empfänger einer erstmalig in einer Auftragsbestätigung beigefügten Gerichtsstandsvereinbarung nicht widersprochen hat. Denn ein internationaler Handelsbrauch, demzufolge eine Gerichtsstandsklausel in AGB dadurch Vertragsinhalt wird, daß sie ohne vorherige Verhandlung 666

RIW 1992, 230. Vgl. auch den auf Vorlage des OLG Innsbruck entschiedenen Fall des EuGH, Urt. v. 9. 12. 2003 – Rs. C-116/02, Slg. 2003, I-4693 Tz. 13, 18 – Gasser. 667

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hierüber einem Vertragsangebot beigefügt wird, das durch schlüssiges Verhalten angenommen wird, existiert nicht. 668 Die bloße Durchführung des Vertrags genügt jedenfalls nicht generell für die Annahme eines stillschweigenden Einverständnisses. 669 Die Berufung auf den „Formmangel“ kann dem Empfänger in Konsequenz dessen auch nicht als treuwidriges Verhalten vorgeworfen werden. In diesem Zusammenhang ist weiter hervorzuheben, daß – entgegen Forderungen aus dem deutschen Schrifttum670 – eine gesonderte, autonome Mißbrauchskontrolle von Gerichtsstandsklauseln unter Geltung des Art. 23 EuGVVO auch nicht nach autonomen europäischen Maßstäben durchgeführt werden kann. 671 Auf die Angemessenheit der Gerichtsstandsklausel kommt es nicht an. 672 Erst recht kann nicht die materielle Wirksamkeit des Hauptvertrags angegriffen werden, denn dann könnte es sehr leicht zu einer Gefährdung der mit Art. 23 EuGVVO angestrebten Rechtssicherheit kommen. 673 Zwar mag es sachlich bedenkenswert erscheinen, die Wirksamkeit der Vereinbarung des Gerichtsstands daraufhin zu überprüfen, daß „die Willensbildung der Parteien nicht durch Zwang oder die Ausnutzung wirtschaftlicher Macht eingeschränkt war“674 . Doch würde diese Prüfung – namentlich im Hinblick auf das sehr unbestimmte Kriterium der wirtschaftlichen Macht bzw. Überlegenheit – 675 mit der wesentlichen Zielsetzung der Rechtssicherheit in einem unauflösbaren Konflikt stehen. Schutzbedürftige Personenkreise wie Versicherungsnehmer, Verbraucher und Arbeitnehmer werden durch die Schranke des Art. 23 Abs. 5 in Verbindung mit den Regelungen in den Artt. 13, 17 und 21 EuGVVO geschützt. 676 Soweit ein „wirtschaftlich schwacher“ Unternehmer schutzwürdig 668 BGH NJW 1994, 2699 (2700); OLG Dresden IPRax 2000, 121 (122); OLG Hamburg IPRax 1997, 419 (420) m. zust. Anm. Koch, a.a.O., 405 (406 f.); Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3033 m. w. N. 669 Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3033. 670 Kropholler, EU-ZivilprozessR, Art. 23 EuGVO Rn. 89 m. w. N.; Reithmann/Martiny/ Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3066; Schlosser, EU-Zivilprozeßrecht, Art. 23 EuGVVO Rn. 31; H. Roth, IPRax 1992, 67 (68 f.); Kröll, ZZP 2000, 135 (149 f.); vgl. auch Horn, IPRax 2006, 2 f.; Leible/Röder, RIW 2007, 481 ff. 671 OLG Hamburg NJW 2004, 3126 (3128); LG Mainz WM 2005, 2319 Tz. 76 (juris); MüKo BGB/Kieninger, § 307 Rn. 281; Zöller/Geimer, ZPO, Anh. I, Art. 23 EuGVVO Rn. 35; siehe zu dieser Frage auch Horn, IPrax 2006, 2 ff.; Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56 ff., Leible/Röder, RIW 2007, 481 ff. 672 LG Mainz WM 2005, 2319 Tz. 76 (juris); Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3066 a. E. 673 EuGH, Urt. v. 3. 7. 1997 – Rs. C-269/95, Slg. 1997, I-3767 Tz. 29 – Benincasa/Dentalkit; LG Mainz WM 2005, 2319 Tz. 70 (juris). 674 So Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 3066 unter Hinweis darauf, daß Art. 23 EuGVVO auch nach Ansicht des EuGH Ausdruck der Privatautonomie sei. 675 Zur Kritik an der Berücksichtigung wirtschaftlicher Macht siehe schon oben § 4 B. III. 4. 676 Siehe auch Reithmann/Martiny/Hausmann, Int. VertragsR, Rn. 2955.

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erscheint, erhält er ein ausreichendes Maß an Schutz durch die strengen Voraussetzungen des Merkmals der „Vereinbarung“ sowie durch die Voraussetzung, daß Handelsbräuche im internationalen Handel ihm auch bekannt sein müssen.

§ 9 Zusammenfassung Zu § 1 I. Begrifflich ist zwischen der „Sprachregulierung“ („Sprachenzwang“) einerseits und dem „Sprachrisiko“ („Verständigungsrisiko“, „Verständnisrisiko“) andererseits zu unterscheiden. „Sprachregulierung“ meint die Festlegung sprachenbezogener Inhalte durch Rechtsnormen, während das „Sprachrisiko“ die Frage betrifft, wer die Rechtsfolgen sprachenbezogener Mißverständnisse im Rechtverkehr zu tragen hat, wenn spezielle sprachregulierende Rechtsvorschriften fehlen. II. Der Begriff des „Sprachrisikos“ wurde ursprünglich im Arbeitsrecht für den Fall der Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit der deutschen Sprache unkundigen ausländischen Arbeitnehmern entwickelt. Heute ist er für das Problem der Verständnisrisiken im Rechtsverkehr zwischen Privatrechtrechtssubjekten, also im Vertragsrecht – einschließlich des AGB-Rechts –, gang und gäbe. Daneben wird er im Internationalen Privatrecht ebenso verwendet wie im Europäischen Prozeßrecht. Es handelt sich deshalb nicht um einen einheitlichen Rechtsbegriff mit fest umrissener Bedeutung, sondern um eine Bezeichnung für verschiedene Rechtsprobleme, die im Zusammenhang mit sprachlichen Anforderungen an Rechtsgeschäfte auftreten. Der Begriff des „Sprachrisikos“ ist, da es sich nicht um einen Rechtsbegriff handelt, einer Ausdehnung zugänglich. So könnte man ihn beispielsweise auf die deliktsrechtlichen Aufklärungspflichten eines Arztes gegenüber fremdsprachigen Patienten erstrecken, oder ihn im Zusammenhang mit der Auslegung fremdsprachiger letztwilliger Verfügungen verwenden. Diese Problemkreise wurden hier allerdings ausgeschieden. Die vorliegende Untersuchung hat ihren Schwerpunkt vielmehr bei den verschiedenen Verständnisrisiken aus dem Bereich des Vertragsrechts.

Zu § 2 I. Die Europäische Gemeinschaft besitzt keine Kompetenz gemäß Art. 95 EG oder Art. 153 EG für den Erlaß einer allgemeinen Sprachenrichtlinie im Bereich des Vertragsrechts mit dem Inhalt, daß im Verkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern die Heimatsprache des Verbrauchers oder eine sonstige ihm

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verständliche Sprache Verwendung finden muß. Eine solche Regelung würde gegen die Grundsätze der Subsidiarität (Art. 5 Abs. 2 EG) und Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 3 EG) verstoßen. II. Einzelne Sprachregelungen innerhalb von Gemeinschaftsrechtsakten mit nicht primär sprachenbezogener Zielsetzung sind hingegen zulässig. Eine „weiche“ Rahmenregelung der EG, die lediglich eine Berücksichtigungspfl icht bei unzureichender Sprachkenntnis des Verbrauchers vorsähe und die Details den Mitgliedstaaten zur Regelung überließe, wäre gleichfalls mit den Vorgaben des primären Gemeinschaftsrechts vereinbar. III. Die Zuständigkeit für die Festlegung konkreter Sprachenvorgaben im Geschäftsverkehr liegt grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten. Diese haben ihrerseits – ebenso wie die EG und ihre rechtsetzenden Organe – die Anforderungen des primären Gemeinschaftsrechts zu beachten. Eine Festlegung der Amtssprache(n) der Mitgliedstaaten als im Privatrechtsverkehr zwingend zu verwendende Sprache(n) würde sich als Handelshemmnis für Binnenmarkt auswirken. Derartige nationale Sprachregeln können im Ergebnis nicht durch Allgemeininteressen wie den Verbraucherschutz oder den Schutz der nationalen Identität als Element des nationalen Kulturguts gerechtfertigt werden, da sie wegen Unverhältnismäßigkeit mit Art. 28 EG bzw. Art. 49 EG unvereinbar sind. IV. Das Transparenzgebot des EG-Sekundärrechts enthält keine mittelbare Sprachregel des Inhalts, daß als „leicht verständliche Sprache“ nur die Muttersprache des Kunden zu gelten hätte. Eine entsprechende Auslegung wäre mit den europäischen Grundfreiheiten unvereinbar. Das Klarheits- und Verständlichkeitsgebot verlangt vielmehr eine Wortwahl, die dem „Durchschnittsverbraucher“ verständlich ist. Es bezieht sich auf die Ausdrucksweise und die Sprachebene sowie auf die inhaltliche Klarheit, begründet aber nicht die Verpflichtung zur Verwendung einer ganz bestimmten Sprache. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, daß die Sprache im Absatzgebiet eines Erzeugnisses das Merkmal „leicht verständlich“ am besten erfüllt. V. Die zulässige Verwendung von Zeichnungen, Symbolen und Piktogrammen ergänzt das gemeinschaftsrechtliche Transparenzgebot. VI. Während die Festlegung konkreter Sprachanforderungen in Sekundärrechtsakten der Europäischen Gemeinschaft sowie in Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten immer in der Gefahr steht, gegen das primäre Gemeinschaftsrecht zu verstoßen, sind die Privatrechtssubjekte in ihrer Sprachenwahl frei, sofern nicht ausnahmsweise sprachregulierende Vorschriften wie z. B. § 483 BGB einschlägig sind. Es gilt der Grundsatz der Sprachenfreiheit oder auch Grundsatz der freien Sprachenwahl, der es den Parteien ermöglicht, vertragliche Vereinbarungen in der oder den von ihnen gewünschten Sprache(n) zu treffen, es sei denn, sie hätten die Sprachenverwendung privatautonom füreinander verbindlich geregelt. Derartige privatautonome Sprachenvereinbarungen

§ 9 Zusammenfassung

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kommen allerdings im Verkehr mit Verbrauchern praktisch nicht vor. In der unternehmerischen Praxis wird mitunter ausdrücklich festgelegt, welche sprachliche Fassung eines Vertrags im Konfliktfall für die Auslegung verbindlich sein soll. VII. Der Grundsatz der freien Sprachenwahl ist letztlich auch Ausfluß einer Zuständigkeitskaskade: Sowohl die Kommission und das Europäische Parlament als auch die Parlamente der Mitgliedstaaten unterliegen bei der Sprachregulierung den strengen Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts, namentlich den Bindungen an die Grundfreiheiten. Diese Bindung existiert im Horizontalverhältnis, also im Verhältnis von Privatrechtssubjekten zueinander, gerade nicht. Deren Freiheit zur rechtsgeschäftlichen Sprachenwahl ist vielmehr Ausdruck ihrer Privatautonomie.

Zu § 3 I. Rechtswahl und Sprachenwahl sind nicht identisch, ein „Gleichlauf“ zwischen beiden existiert nicht. Die Lehre vom „Sprachenstatut“ ist deshalb als mit den Artt. 27 ff. EGBGB unvereinbar abzulehnen. Eine isolierte „Sonderanknüpfung der Sprachenfrage“ findet infolgedessen nicht statt. II. Die im Zusammenhang mit dem „Sprachrisiko“ wichtigste Vorschrift des deutschen Internationalen Privatrechts ist Art. 31 Abs. 2 EGBGB, der in bestimmten, allerdings relativ eng begrenzten Fällen zugunsten der ausländischen Partei eine kumulative Sonderanknüpfung an deren vertrautes Heimatrecht anordnet, soweit dies das Zustandekommen eines Vertrags betrifft. Die Norm kann im Rahmen ihres engen Anwendungsbereichs lediglich mittelbar für die Lösung des Sprachenproblems zugunsten von Sprachunkundigen fruchtbar gemacht werden, nämlich insoweit, als ihre konsenszerstörende Wirkung gerade auch zugunsten sprachunkundiger Ausländer eingreift. Der wichtigste Anwendungsfall ist das Schweigen des ausländischen Geschäftspartners auf ein aus Gründen fehlender Sprachkenntnisse unverstandenes kaufmännisches Bestätigungsschreiben eines deutschen AGB-Verwenders. Ein berechtigtes Vertrauen auf die Anwendung des Heimatrechts der ausländischen Partei besteht regelmäßig bei Distanzverträgen, nicht aber bei reinen Inlandsgeschäften. Lediglich in seltenen Fällen ist die Anwendung des Art. 31 Abs. 2 EGBGB auch bei Inlandsgeschäften denkbar. III. In allen übrigen Fällen ist allein das Vertragsstatut anzuwenden. Der Rechtsfremdheit des Vertragspartners kann gegebenenfalls im Rahmen der Vertragsauslegung als rechtstatsächlicher Umstand (als sog. „Datum“) Rechnung getragen werden. IV. Das „Sprachrisiko“ ist kein Teilproblem der sog. lex mercatoria, da es sich dabei nicht um eine Rechtsordnung handelt, auf die im Wege des Kollisions-

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rechts verwiesen werden könnte. Daran ändert auch die Rom I-Verordnung zukünftig nichts. V. Die eigentliche Zuweisung des „Sprachrisikos“ richtet sich nicht nach den Regeln des Internationalen Privatrechts, sondern nach dem berufenen materiellen Recht. Betroffen sind die Vorschriften über die Abgabe und den Zugang von Willenserklärung, die Auslegung, die Anfechtung wegen Täuschung, Drohung und Irrtum, culpa in contrahendo sowie die AGB-rechtlichen Vorschriften über die Einbeziehung und die Transparenz- und Inhaltskontrolle von Geschäftsbedingungen. Ausnahmen gelten in beschränktem Maße für bestimmte vorrangige und autonom auszulegenden EG-Verordnungen und internationale Übereinkommen (siehe unten zu § 8 bei XXVI. – XXVIII.).

Zu § 4 I. Das materielle Recht geht über das geschriebene Recht insofern hinaus, als es – außer dem Gewohnheitsrecht – auch elementare Rechtsprinzipen erfaßt, deren Teleologie zu einer systematisch abgeleiteten und stimmigen Lösung bei der Zuweisung von Verständnisrisiken beitragen kann. Dies gilt sowohl für die Lükkenausfüllung dort, wo das geschriebene Recht keine verbindlichen Anordnungen für die Rechtsanwendung bereithält, als auch in den Fällen einer zweifelhaften Teleologie der lex lata wie beispielsweise dem § 119 Abs. 2 BGB. Im übrigen sichern die Rechtsprinzien die Anwendung des geschriebenen Rechts ab, indem sie eine Art übergeordnetes makrodogmatisches Koordinatensystem bilden, als deren Ausprägungen die geschriebenen Rechtsnormen zu verstehen sind. II. Die Beachtung von Rechtsprinzipien darf weder mit einer „freien“, topischen Rechtsfindung noch mit einer an Treu und Glauben orientierten Billigkeitsdezision im Einzelfall verwechselt werden. Statt der freien Wertung ist eine gebundene zu setzen, statt einer an dem eigenen Judiz orientierten Gerechtigkeitsvorstellung bedarf es einer Offenlegung der für richtig gehaltenen Grundund Einzelwertungen. III. Ethische Anforderungen an die Billigkeit des Handelns einzelner sind nicht deckungsgleich mit der Beachtung rechtsethischer Prinzipien. Es bedarf vielmehr einer grundsätzlichen Trennung zwischen Ethik und Rechtsethik. Das hat praktische Auswirkungen z. B. für die Begründung und die Reichweite von Aufklärungspflichten des besser informierten Teils gegenüber seinem Vertragspartner, soweit es an diesbezüglichen gesetzlichen Anordnungen fehlt. IV. Zu den relevanten Rechtsprinzipen zählen unstreitig die Privatautonomie bzw. Selbstbestimmung, die Selbstverantwortung und der Verkehrsschutz. Diese stehen mitunter im Konflikt zueinander und bedürfen daher eines Ausgleichs. Keines der Rechtsprinzipien darf absolut gesetzt werden und als alleinige Interpretationsgrundlage dienen. Die Rechtsprinzipien stehen sich in einem

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„beweglichen System“ wechselseitiger Ergänzung und Beschränkung gegenüber. V. Das teleologische System der Rechtsprinzipien ist im übrigen eine offenes und somit zur Weiterbildung fähig. Ungeachtet der Prominenz des Verbraucherschutzgedankens in jüngerer Zeit zählt der Verbraucherschutz nicht zu den elementaren Rechtsprinzipien. Aus der Verbrauchereigenschaft resultiert nicht zwingend auch eine Schutzbedürftigkeit, was nicht zuletzt an der europäischen und inzwischen auch nationalen Rechtsfigur des „aufgeklärten Durchschnittsverbrauchers“ zunehmend deutlich und im europäischen und deutschen Lauterkeitsrecht ständig praktisch wird. VI. Es gilt ferner kein Grundsatz der wirtschaftlichen und intellektuellen Machtgleichheit zwischen Vertragspartnern, so daß – nach ethischen Maßstäben oder rechtspraktischen Vorstellungen der Allgemeinheit – „ungerechte“ Verträge möglich sind. Die Ungleichheit zwischen den Kontrahenten ist für das Vertragsrecht seit jeher typisch. Das Privatrecht schützt nicht die Gleichheit zwischen den Parteien, sondern es sichert lediglich ein Mindestmaß an Entscheidungsfreiheit ab; sogar Verträge, die infolge einer arglistigen Täuschung oder einer widerrechtlichen Drohung zustande gekommen sind, bleiben bis zu ihrer Anfechtung wirksam (vgl. § 123 Abs. 1 BGB). Daraus folgt für die Stellung sprachunkundiger Ausländer, daß sie nicht per se eine Sonderstellung genießen und daß es im deutschen Recht keine generelle Rechtspflicht des anderen Teils gibt, ihre schwache Verhandlungsposition zu beachten. Ein solches Vorgehen ist zwar ein klares ethisches Gebot, entspricht aber nicht dem geltenden Recht einschließlich der oben genannten Rechtsprinzipien. Das geltende Privatrecht beschränkt sich auf die Behebung schwerwiegender „Defektlagen“ und unterscheidet dabei nicht zwischen sprachunkundigen und sprachkundigen Personen (vgl. z. B. die §§ 104, 105 BGB, § 138 Abs. 1 und Abs. 2 BGB). VII. Schwerwiegende Informationsdefizite oder Informationsasymmetrien können durch Rechtspflichten zur Informationserteilung abgemildert werden. Auf diese Weise wird die Grundlage für eine selbstbestimmte und selbstverantwortliche Entscheidung des schlechter informierten Vertragsteils geschaffen. Der sog. Informationsgrundsatz kann in einem offenen System von Rechtsprinzipien zu einem eigenständigen Rechtsprinzip weiterentwickelt werden. Einer trivialisierten Form des Informationsgrundsatzes, wie sie sich im Bereich der ökonomischen Analyse des Rechts unter den Begriffen „deep pocket-Doktrin“ und „Coase-Theorem“ als Ausdrucksformen eines allgemeinen Effizienzprinzips wiederfindet, ist allerdings eine Absage zu erteilen. Insbesondere ist niemand schon deshalb zur Weitergabe wertvoller Informationen – die man untechnisch auch als „Eigentumsrechte“ bezeichnet – verpflichtet, weil er sie zufällig und ohne eigene Kosten erlangt hat. Dies ergibt sich schon daraus, daß das geltende Recht keinem Effizienzgebot unterliegt, so daß die Privatrechtssubjekte ohne weiteres wirtschaftlich unvernünftig zu handeln berechtigt sind. Pars

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pro toto spricht auch die Regelung über den Schatzfund in § 984 BGB gegen eine Pflicht zur Informationsweitergabe, für die es im übrigen auch nicht darauf ankommt, ob ein Entgelt von dem Informierten an den Informanten entrichtet wird oder nicht. Die Frage nach Aufklärungs- und Informationspflichten kann im Ergebnis nicht auf der Basis rein ökonomischer Wertungen beantwortet werden.

Zu § 5 I. Eine Willenserklärung ist nicht bereits deshalb unzulässig oder gar unwirksam, weil sie in einer Fremdsprache abgegeben wurde. Denn jenseits der Einschlägigkeit sprachregulierender gesetzlicher Bestimmungen gilt für Privatrechtssubjekte – wie dargelegt – der Grundsatz der freien Sprachenwahl. II. Die Verwendung einer Fremdsprache bei der Abgabe von Willenserklärungen kann – in Ausnahmefällen – als rechtsmißbräuchlich zu bewerten sein, namentlich dann, wenn die Verwendung der Fremdsprache in Kenntnis oder in dem Bewußtsein des Erklärenden erfolgte, der Adressat werde die Erklärung nicht verstehen und infolgedessen von der Wahrnehmung seiner Rechte absehen. III. Der Zugang von Willenserklärungen ist abhängig von dem gewählten Erklärungsmittel: 1. „Gespeicherte“, d. h. verkörperte, Willenserklärungen gehen dem Adressaten gemäß § 130 BGB zu, wenn sie in dessen „Machtbereich“ gelangt sind und er also die faktisch-räumliche Zugriffsmöglichkeit auf sie hatte (Empfangstheorie). Daß er ihren Inhalt versteht, ist nicht erforderlich, da infolge der Verkörperung die Wiederholung der Kenntnisnahme vom Inhalt der Erklärung jederzeit – gegebenenfalls durch sprachkundige Dritte – möglich ist. Ein abweichender „subjektiver Zugangsbegriff“, der das Verstehen seitens des Adressaten der Erklärung voraussetzt, ist abzulehnen. Deshalb gehen Willenserklärungen dieses Typs auch sprachunkundigen Empfängern zu, ebenso wie beispielsweise Blinden und Analphabeten. 2. Nicht „gespeicherte“, also nicht verkörperte, namentlich mündliche Willenserklärungen folgen hingegen einem abweichenden Zugangsregime. Für sie gilt nicht die Empfangstheorie, sondern die Vernehmungstheorie. Wegen der „Flüchtigkeit“ des Erklärungsinhalts wird für den Zugang das akustische Vernehmen durch den Adressaten gefordert. Grundsätzlich geht danach eine aus Gründen fehlender Sprachkenntnis unverstandene Erklärung nicht zu. Diese Theorie ist allerdings – wegen übergeordneter Verkehrsschutzinteressen – nur als eingeschränkte Vernehmungstheorie gültig. Der Zugang ist danach trotz tatsächlichen Nichtverstehens des Adressaten zu bejahen, wenn der Erklärende redlicherweise davon ausgehen durfte, der Empfänger habe die Erklärung aku-

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stisch richtig vernommen. Mündliche Willenserklärungen gegenüber fremdsprachigen Empfängern gehen demnach zu, wenn der Erklärende den Eindruck hatte und auch haben durfte, daß dieser die Erklärung verstanden habe. IV. In den Fällen des Einsatzes von Mittelspersonen auf Empfängerseite – Empfangsvertreter und Empfangsbote – trägt der Empfänger gemäß der eingeschränkten Vernehmungstheorie das „Sprachrisiko“ in Form des Zugangsrisikos, weil die „menschliche Empfangseinrichtung“ zu seinem Einfluß- und Organisationsbereich gehört. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Erklärende die fehlende Sprachkunde seines unmittelbaren Gegenübers erkannt hat oder sie erkennen mußte. Dann greift die „reine“ Vernehmungstheorie ein und das Zugangsrisiko kehrt sich dementsprechend um. V. Das „Sprachrisiko“ kann innerhalb des deutschen Bürgerlichen Rechts nicht als ein Problem der Form der Willenserklärung qualifiziert werden, und zwar weder unter Geltung des herkömmlichen wie auch eines sog. „erweiterten“ Formbegriffs.

Zu § 6 I. Die Auslegungsfähigkeit von Willenserklärungen setzt deren Wirksamwerden durch Zugang beim Adressaten voraus. Insofern ist die Unterscheidung zwischen „gespeicherten“ (verkörperten) und nicht „gespeicherten“ (verkörperten) Erklärungen von entscheidender Bedeutung: 1. Da es für den Zugang verkörperter Willenserklärungen nach richtiger Ansicht nicht darauf ankommt, in welcher Sprache sie verfaßt sind und ob der Empfänger diese Sprache versteht, können sich diesbezügliche Auslegungsprobleme der durch Zugang wirksam gewordenen empfangsbedürftigen Erklärung stellen, beispielsweise in bezug auf die Interpretation fremdsprachiger Begriffe („Sprachrisiko“ als Rechtsbegriffsrisiko). 2. Ausgehend von der reinen Vernehmungstheorie gehen unverstandene nicht verkörperte Willenserklärungen nicht beim Empfänger zu; sie sind daher nicht wirksam und dementsprechend weder auslegungsbedürftig noch auslegungsfähig. Da diese Theorie die Verkehrsschutzinteressen vernachlässigt, ist sie wie dargelegt richtigerweise dahingehend zu modifizieren, daß der Zugang einer mündlichen Willenserklärung zu bejahen ist, wenn der Erklärende redlicherweise davon ausgehen durfte, daß der Empfänger die Erklärung richtig verstanden habe. Die so wirksam gewordene Erklärung ist ebenfalls auslegungsfähig. II. Die Auslegung vollzieht sich in verschiedenen Stufen, die man in drei gedanklich voneinander getrennte Schritte unterteilen kann: 1. Vorrangig ist immer das übereinstimmende subjektive Verständnis der Parteien, und zwar auch dann, wenn es von der herkömmlichen Verkehrsbedeutung abweicht. Dies entspricht dem Grundsatz falsa demonstratio non nocet

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Zweiter Teil: Die materiellrechtlichen Lösungsansätze des Sprachenproblems

und ergibt sich dogmatisch aus dem Vorrang der Privatautonomie. Jenseits der übereinstimmend „falsch“ interpretierten fremdsprachigen (Rechts-)Begriffe ist die subjektive Auslegung in den „Sprachrisiko“-Konstellationen allerdings kaum praktisch, da diese Fälle durch ein Mißverständnis mindestens einer Partei gekennzeichnet sind. 2. Auf der zweiten Stufe erfolgt eine normative Auslegung nach einem objektiven Maßstab (vgl. § 157 BGB) gemäß der sog. Lehre vom Empfängerhorizont. Dogmatisch folgt das aus dem Spannungsverhältnis zwischen der Privatautonomie und Selbstbestimmung einerseits („Willensprinzip“) und der Selbstverantwortung und dem Verkehrsschutz andererseits („Verantwortlichkeitsprinzip“): Wo es an einem übereinstimmenden Verständnis der Parteien fehlt, greift grundsätzlich die objektive Verkehrsbedeutung „rettend“ oder als „Notbehelf“ ein. Im Rahmen dieser Auslegung sind auch die Umstände der Erklärung zu berücksichtigen. Die persönlichen Eigenschaften und somit auch etwaige Sprachdefizite auf seiten des realen Empfängers sind keine Umstände der Erklärung und deshalb insoweit nicht beachtlich. Der Empfängerhorizont ist – entgegen mancher mißverständlicher Formulierung in der Literatur, die sich aus einer Kombination objektiver und subjektiver Auslegungselemente ergibt – niemals konkret-individuell, sondern immer objektiv zu verstehen. Das schließt die Bildung „spezieller Empfängerhorizonte“ allerdings nicht aus. Die Lehre vom Empfängerhorizont gilt nämlich auch für die Auslegung fremdsprachiger Begriffe. Die normative Auslegung kann auch aus der Sicht eines fremdsprachigen Angehörigen eines anderen Rechtskreises erfolgen, ohne daß dabei aber auf den konkreten Empfänger abzustellen wäre. 3. Auf einer dritten Stufe sind die aus Treu und Glauben (§ 157 BGB) resultierenden konkreten Anforderungen an die individuellen Parteien zu berücksichtigen. Insofern gibt es tatsächlich subjektive Elemente der Auslegung, nur sind diese eben nicht mit der Lehre vom Empfängerhorizont verbunden. a) Der Erklärungsempfänger unterliegt einer sog. Auslegungsverantwortung, d. h. er darf diejenigen Umstände, die für ihn erkennbar zu einer von der objektiv-normativen Wortbedeutung abweichenden Auslegung der Erklärung führen, nicht ignorieren. Durch die Anerkennung der Auslegungsverantwortung wird die normativ-objektive Auslegung gemäß der Lehre vom Empfängerhorizont durch ein selbständiges konkret-subjektives Auslegungsmerkmal ergänzt, das nicht Teil dieser Lehre ist, obwohl es auf derselben dogmatischen Grundlage, nämlich den Anforderungen von Treu und Glauben (§ 157 BGB), beruht. aa) Die Auslegungsverantwortung kann sowohl zu Erweiterungen als auch zu Einschränkungen der allgemeinen Wortbedeutung führen. Insbesondere ist die erfolgreiche Beachtung der Auslegungssorgfalt mit einer Bindung des Erklärungsempfängers an seinen Auslegungserfolg zu versehen, und zwar auch dann, wenn die normative Erklärungsbedeutung für ihn günstiger wäre.

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bb) Eine Verletzung der Auslegungsverantwortung liegt nicht vor, wenn der Empfänger Zweifel an der gewollten Erklärungsbedeutung hatte und diese dem Erklärenden gegenüber offenbarte, und dieser dann eine unzutreffende Antwort gibt. Hier kehrt sich die Informationsverantwortung zu Lasten des Erklärenden um. Der Adressat der Erklärung ist nicht verpflichtet, durch fortgesetztes Nachfragen den gewollten Erklärungsinhalt nach und nach präzise herauszuarbeiten. Denn Auslegungssorgfalt bedeutet nicht mehr als die Beachtung von Treu und Glauben bei der Auslegung einer Erklärung, und diese Grundsätze sind – schon wegen des Prinzips der Selbstverantwortung – eng zu begrenzen. b) Der Erklärende hat zunächst die Obliegenheit, sich gegenüber dem Adressaten klar und verständlich auszudrücken, sog. Klarheits- und Verständlichkeitsobliegenheit oder auch Ausdruckssorgfalt. Daneben hat er eine – durch Treu und Glauben begrenzte – Verantwortung hinsichtlich der (fehlenden) Verständnismöglichkeiten des Empfängers, die hier als Erklärendenverantwortung bezeichnet wurde. Ist es nämlich für den Erklärenden evident, daß der Adressat die Erklärung nicht oder nicht richtig verstanden hat, darf er sich nicht auf die herkömmliche Wortbedeutung berufen. Dies gilt auch in bezug auf sprachunkundige Erklärungsempfänger, deren Unverständnis für den Erklärenden erkennbar war. c) Das Auslegungsergebnis muß dem Erklärenden ferner zurechenbar sein. Daran fehlt es, wenn ein externer Dritter von außen in seiner Sphäre eingreift, ohne daß er, der Erklärende, dies veranlaßt oder nur gebilligt hätte. So lag es in dem berühmten Speisekartenfall v. Jherings, in dem ein Gast die von ihm vor Jahren gestohlene Speisekarte nach Jahren unbemerkt von dem Gastwirt in dessen Lokal zurückbrachte, was dazu führte, daß ein Gast die früheren Preise auf dieser Karte für gültig hielt und sie zur Grundlage seiner Bestellung machte. Der Inhalt der Speisekarte ist dem Wirt jedenfalls dann nicht zurechenbar, wenn man den Fall so bildet, daß der reuige Dieb dem Gast die gestohlene Karte direkt überreicht, ohne daß der Wirt die Möglichkeit der Aussonderung derselben gehabt hätte. Aber auch in dem Grundfall des Ablegens der Karte in der Gaststube ist die Zurechenbarkeit richtigerweise zu verneinen, weil der Wirt nicht Pflicht oder die Obliegenheit hat, nach zurückgebrachten alten Speisekarten mit ungültig gewordenen Preisen zu fahnden. Eine abweichende Entscheidung ist nur dann gerechtfertigt, wenn zwischen dem Ablegen der Karte und dem Besuch des Gastes soviel Zeit verstrichen ist, daß man von dem Wirt erwarten kann, daß er die alte Karte auffinden und aussondern werde. III. Ein „klarer und eindeutiger“ Wortlaut der Erklärung bildet nach dem heutigen Kenntnisstand der Rechtsdogmatik keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände, und zwar weder bei der einfachen noch bei der ergänzenden Auslegung. Die Auslegung entgegen dem klaren Wortlaut ist allerdings einer besonderen Begründung bedürftig, da diesem nach der zutreffenden

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Auffassung der Rechtsprechung eine erhebliche Indizwirkung hinsichtlich des Geschäftswillens zukommt. IV. Abgesehen von den Fällen der Bildung spezieller Empfängerhorizonte ist das „Sprachrisiko“ nicht schon auf der Stufe der normativen Auslegung zu berücksichtigen, da in diesem Zusammenhang subjektive personale Umstände keine Berücksichtigung finden können. Gleichwohl kann das „Sprachrisiko“ als Auslegungsproblem zu bewerten sein, nämlich insoweit, als es bei den individuellen auslegungsbezogenen Verantwortlichkeiten der konkreten Parteien eines Rechtsgeschäfts verankert wird. Um die Prinzipien der Selbstverantwortung und des Verkehrsschutzes zu wahren, sind die aus Treu und Glauben folgenden individuellen Anforderungen an die Parteien aber eng zu begrenzen. Hier spielt das Kriterium der Erkennbarkeit bzw. des Erkennenmüssens, d. h. der Evidenz, von Ausdrucks- bzw. Verständnisdefiziten eine zentrale Rolle. V. Die Regelungen in den §§ 154, 155 BGB über den Dissens haben für die „Sprachrisiko“-Fälle nur eine sehr geringe Bedeutung, da sie den Totaldissens, also den Dissens hinsichtlich der essentialia negotii, nicht erfassen, sondern lediglich den Dissens über Nebenpunkte des Vertrags, die accidentalia negotii, regeln. VI. Die Fälle des im BGB nicht geregelten Totaldissenses müssen weiter von den in § 119 Abs. 1 BGB geregelten Irrtumsfällen abgegrenzt werden. Allgemein betreffen die Fälle des Dissenses den Irrtum über den Inhalt der Erklärung des Erklärungsgegners, während die Irrtumsfälle den Irrtum über die eigene Erklärung – d. h. über den normativen Erklärungswert, der zur Vertragsperfektion geführt hat – zum Gegenstand haben. Im Hinblick auf die Verteilung des „Sprachrisikos“ gilt folgendes: 1. Wenn der Gegner den Irrtum des Sprachunkundigen nicht erkannt hat, kommt es zum Vertragsschluß mit dem Inhalt der objektiven Verkehrsbedeutung des Erklärten. Der Sprachunkundige ist in diesem Fall auf die Anfechtung seiner Erklärung wegen Irrtums gemäß § 119 Abs. 1 BGB zu verweisen. 2. Hat der Gegner den Irrtum des Sprachunkundigen und das von ihm wirklich Gewollte richtig erkannt, gilt die Erklärung in dem von dem Sprachunkundigen gewollten Sinn. So kann beispielsweise eine sog. „Ausgleichsquittung“ als Empfangsbestätigung statt als Anspruchs- und Klageverzicht zu bewerten sein. Hat aber die Erklärung in diesem gewollten Sinn für den Gegner keine Tauglichkeit, dann kommt es nicht zum Vertragsschluß. Die Erklärung ist gegebenenfalls perplex und es liegt ein Fall des Totaldissenses vor. Dies betrifft beispielsweise den Fall, daß die kreditgewährende Bank von einem sprachunkundigen Dritten eine Bürgschaft zugunsten des Hauptschuldners begehrt, dieser aber glaubte, lediglich eine Kontovollmacht zu unterschreiben, wenn und soweit die Bediensteten der Bank diesen tatsächlichen Willen des „Bürgen“ erkannt haben. Das als Kontovollmacht unterschriebene Bürgschaftsformular wäre aus der Sicht der Bank nutzlos. Es liegt Totaldissens vor. Allerdings geht

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von dem unterschriebenen Bürgschaftsformular der Rechtsschein aus, daß eine wirksame Bürgschaftsvereinbarung geschlossen worden sei. Damit stellt sich das Problem der Anfechtung nichtiger Erklärungen (siehe unten zu § 7 bei III. 4.). VII. Bei der Auslegung von Verträgen sind die Methoden der ergänzenden und der beiderseits interessengerechten (Vertrags-)Auslegung zu beachten. 1. Die Methode der ergänzenden Vertragsauslegung ist – entgegen einer weit verbreiteten abweichenden Ansicht – nach der Rechtsprechung eine rein objektive Methode der Vertragsergänzung, die mit der Ermittlung eines subjektiven hypothetischen Parteiwillens nichts zu tun hat. 2. Die Methode der beiderseits interessengerechten Auslegung ist mit der erstgenannten Auslegungsmethode eng verwandt, aber nicht mit ihr identisch. a) Die interessengerechte Auslegung ist unproblematisch, soweit sie salvatorische Funktion hat, wenn also versucht wird, mit ihrer Hilfe den Vertrag vor dem Ergebnis der Unwirksamkeit zu bewahren. Denn es entspricht sowohl dem Parteiwillen als auch dem „Wert des Auslegungsergebnisses“, wenn von zwei Alternativen diejenige gewählt wird, die den Vertrag im Ergebnis aufrecht erhält. b) Problematisch wird die interessengerechte Auslegung – ebenso wie die ergänzende Vertragsauslegung –, wenn man sie als Instrument dazu verwendet, einem als „ungerecht“ empfundenen Vertrag eine „objektivere Tendenz“ zu geben, um etwa die aus einem wirtschaftlichen und intellektuellen Ungleichgewicht zwischen den Parteien herrührende „Schieflage“ zu beseitigen. Der Richter hat nicht die Aufgabe, „unvernünftige“, aber rechtswirksam geschlossene Verträge eigenmächtig zu korrigieren. Zum einen ist ein wie auch immer geartetes Ungleichgewicht zwischen den Parteien eher die Regel als die Ausnahme – man kann es geradezu zum „Grundprinzip“ des Vertragsrecht erklären –, zum anderen gewährt die Privatautonomie den Kontrahenten gerade das Recht, wirtschaftlich „unvernünftige“ Verträge abzuschließen. Dies ist im übrigen auch eine Folge des Prinzips der Selbstverantwortung, die vom BGB nur in extrem gelagerten Fällen (§§ 104, 105 BGB, § 138 BGB) „korrigiert“ wird. Dies alles gilt grundsätzlich auch in bezug auf sprachunkundige Ausländer, die in Deutschland Verträge nach deutschem Recht abschließen. VIII. Bei der Auslegung von Verträgen tritt das Problem des „Sprachrisikos“ als Rechtsbegriffsrisiko auf: 1. Die Sprache des Vertrags und das anwendbare Sachrecht müssen nicht zwingend kongruent zueinander sein. Das kann dazu führen, daß Rechtsbegriffe und Vertragsklauseln in einem fremdsprachigen Vertrag trotz der Geltung deutschen Rechts nach dem Verständnis ihrer Herkunftsrechtsordnung ausgelegt werden müssen. Dafür spricht, daß Rechtsbegriffe als Funktionsbegriffe nicht ohne weiteres in eine fremde Rechtsordnung transferiert werden können, ohne daß damit gewisse Veränderungen in der Bedeutung einher ge-

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hen, namentlich im Fall ihrer Übersetzung. Diese Fragen sind vor allem bei Seefrachtverträgen und diesbezüglichen Versicherungsverträgen praktisch geworden, die traditionell in englischer Sprache unter Verwendung typischer Klauseln des englischen Vertrags- und Versicherungsrechts formuliert werden. 2. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn sich aus den Umständen ergibt, daß die Parteien den Rechtsbegriff von der deutschen in die Fremdsprache unrichtig übersetzt haben oder wenn sie den fremdsprachlichen Rechtsbegriff übereinstimmend abweichend von seiner normalen Verkehrsbedeutung interpretiert haben, wenn also eine falsa demonstratio vorliegt. Der Haakjöringsköd-Fall des Reichsgerichts ist dafür paradigmatisch. 3. In seltenen Fällen kann das Problem auftreten, daß ein fremdsprachiger Rechtsbegriff nach seinem Heimatrechtsverständnis zur Unwirksamkeit des Vertrags führen würde, während seine Verwendung nach der deutschen Rechtsordnung zulässig wäre. Dann gebührt dem letzteren Verständnis der Vorrang, weil davon auszugehen ist, daß die Parteien einen Vertrag mit rechtlich zulässigem Inhalt abschließen wollten. Man kann auch insoweit von einer „salvatorischen“ interessengerechten Auslegung sprechen. 4. Liegt ein Vertrag in mehreren Sprachfassungen vor, stellt sich die Frage, wie im Konfliktfall die Auslegung zu erfolgen hat. a) Sofern die Parteien vereinbart haben, daß einer bestimmten Sprachfassung des Vertrags der Vorrang zukommen soll, ist das wegen des Vorrangs der Privatautonomie zu akzeptieren. Die anderen Sprachfassungen fungieren dann lediglich als rechtlich unverbindliche Übersetzungen des Originals mit rein informatorischer Zielsetzung. Fehlt es an einer Parteiabrede über den Vorrang einer Fassung, dann sind alle existierenden Versionen des Vertrags grundsätzlich gleichwertig und daher bei der Auslegung heranzuziehen – es sei denn, die Parteien gehen auch ohne ausdrückliche Vorrangregel übereinstimmend von dem Vorrang einer Fassung aus oder es ergibt sich aus der „Entstehungsgeschichte“ des Vertrags, daß eine Fassung lediglich als Übersetzung zu verstehen sein sollte. b) In dem Fall, daß zwei rechtlich gleichwertige Sprachfassungen des Vertrags vorliegen und Streit über die Bedeutung eines Begriffs herrscht, muß das Ziel der Auslegung darin bestehen, trotz der Gleichwertigkeit beider Sprachen eine verbindliche Begriffsbedeutung zu ermitteln, weil anderenfalls keine Regelung (wegen Perplexität) oder Dissens vorliegt. Die gänzliche Unwirksamkeit des Vereinbarten ist aber ein Ergebnis, das der Privatautonomie am allerwenigsten gerecht wird. Daher muß der Richter versuchen, vornehmlich durch teleologische Auslegung gemäß dem Sinn und Zweck der jeweiligen Vereinbarung – und ggf. unter Beachtung der vorvertraglichen Korrespondenz sowie der Begleitumstände bei Vertragsschluß – nach Möglichkeit zu einer positiven Feststellung des Bedeutungsgehalts zu gelangen.

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5. Es empfiehlt sich, in Verträgen mit verschiedenen Sprachfassungen nicht nur das anwendbare Sach- und Prozeßrecht sowie den Gerichtsstand zu bestimmen, sondern mittels einer sog. „construction clause“ zusätzlich festzulegen, nach welchem Rechtsverständnis die Vertragsauslegung im Zweifel erfolgen soll.

Zu § 7 I. Die Übereinstimmung von Wille und Erklärung ist deren „naturgemäßes Verhältnis“. Störungen dieses Verhältnisses liegen auf der Hand, wenn an einem Rechtsgeschäft Personen beteiligt sind, die die „Verkehrssprache Deutsch“ nicht beherrschen. Bevor man in diesen Fällen auf die Möglichkeiten der Anfechtung rekurriert, muß der Vorrang der Auslegung vor der Anfechtung beachtet werden. Wenn nämlich der Erklärungsempfänger trotz der Sprachdefizite des Erklärenden erkennt, was dieser wirklich gewollt hat, oder wenn er dies hätte erkennen müssen, gilt das vom Erklärenden Gewollte und eine Anfechtung scheidet grundsätzlich aus (siehe oben zu § 6 II. 3. a aa). Dies resultiert aus der – von Treu und Glauben im Rahmen der Auslegung (§ 157 BGB) geforderten – Auslegungsverantwortung des Empfängers. Das „Sprachrisiko“ zeigt sich hier als Irrtumsrisiko: Der sprachunkundige Erklärende hat das Irrtumsrisiko nicht zu tragen, wenn sein Vertragspartner den Irrtum erkannt oder sich dieser Erkenntnis bewußt verschlossen hat. Dies betrifft beispielsweise den Fall, daß der Arbeitgeber eines ausländischen sprachunkundigen Arbeitnehmers erkennt, daß die diesem zur Unterzeichnung vorgelegte Ausgleichsquittung aus dessen Sicht keinen Verzicht auf noch bestehende Ansprüche beinhalten sollte, sondern lediglich als Empfangsbestätigung abgegeben wurde. II. Die oft erörterte Frage nach der Bedeutung des Erklärungsbewußtseins ist für die Anfechtungsproblematik in den „Sprachrisiko“-Fällen letztlich nicht von entscheidender Bedeutung. Das beruht auf den folgenden Überlegungen: 1. Das Erklärungsbewußtsein ist nach dem heutigen Stand der Zivilrechtsdogmatik kein zwingender Bestandteil einer wirksamen Willenserklärung mehr. Es wird lediglich verlangt, daß eine zurechenbare Erklärung vorliegt. Das Fehlen des Erklärungsbewußtseins ermöglicht die Anfechtung wegen Erklärungsirrtums gemäß § 119 Abs. 1 BGB. Für die „Sprachrisiko“-Fälle ist indessen von entscheidender Bedeutung, daß das Erklärungsbewußtsein bereits dann gegeben ist, wenn der Erklärende sich der Rechtserheblichkeit seines Tuns bewußt war. Das ist, wie ausgeführt, auch bei sprachunkundigen Personen, die etwa ein Schriftstück „ungelesen“ (genauer: unverstanden) unterschrieben haben, regelmäßig der Fall. 2. Das bei sprachunkundigen Personen vorhandene Bewußtsein, irgendeine rechtserhebliche Erklärung abzugeben, begründet also das Erklärungsbewußt-

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sein. Dies genügt für sich gesehen jedoch noch nicht, um die Anfechtung wegen Erklärungsirrtums zu rechtfertigen. Dafür ist vielmehr eine von dem Erklärten abweichende konkrete Vorstellung vom Inhalt vonnöten. Ob eine konkrete abweichende Vorstellung gegeben war, ist für das Auseinanderfallen von Wille und Erklärung und folglich für die Anfechtungsmöglichkeit die entscheidende Frage. Diese Begrenzung der Anfechtungsmöglichkeit ist durch die Rechtsprinzipien der Selbstverantwortung und des Verkehrsschutzes gerechtfertigt. III. In den „Sprachrisiko“-Konstellationen kommt eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder rechtswidriger Drohung gemäß § 123 Abs. 1 BGB in Betracht. Wirklich praxisrelevant ist nur die Täuschungsalternative. Eine Täuschung kann im Wege der vorsätzlich begangenen positiven Irrtumserregung, aber auch in dem Fall des Schweigens bei Bestehen einer Aufklärungspfl icht in Betracht kommen. Die Begründung von Aufklärungspflichten ist – sofern sie nicht gesetzlich geregelt sind – problematisch. 1. Die Rechtsprechung zu dieser Frage ist relativ vage und uneinheitlich. Grundsätzlich hat eine Partei dem anderen Teil nur diejenigen vertragswesentlichen Umstände mitzuteilen, über die dieser eine Aufklärung gemäß Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte erwarten darf. Auch kommt es darauf an, ob es sich um Verträge der Interessenwahrung oder Verträge des Interessengegensatzes handelt. Auch bei letzteren, d. h. bei Kauf-, Miet- und Werkverträgen, sind aber Aufklärungspflichten betreffend vertragswesentlicher Umstände denkbar. 2. Im Schrifttum hat man verschiedene bedeutsame Aspekte – wie z. B. Vertrauensschutzerwägungen, die Art des Schuldverhältnisses, die besondere Sachkenntnis des einen und die Unerfahrenheit des anderen Vertragspartners, das Bestehen einer laufenden dauernden Geschäftsbeziehung, die Unzugänglichkeit der Information für den Vertragspartner, die Gefahr der Vereitelung des Vertragserfolgs, etc. – zu einem „beweglichen System“ im Sinne Wilburgs verknüpft. Der Bestand und die Intensität von Aufklärungspflichten ergibt sich aus dem Zusammenspiel dieser Kriterien nach ihrer Zahl und Stärke. 3. Für die Arglistanfechtung von Erklärungen gemäß § 123 Abs. 1 BGB, die von sprachunkundigen Personen abgegeben wurden, gelten in rechtlicher Hinsicht keine Besonderheiten gegenüber den „Normalfällen“. Die fehlende Sprachkunde und die damit einhergehende Geschäftsunerfahrenheit sind aber Rechtstatsachen, die dazu beitragen können, daß die Täuschung leichter gelingt als gegenüber einem Muttersprachler. Das Abstellen auf den konkreten Betroffenen mit allen seinen Fähigkeiten und Defiziten muß von Rechts wegen akzeptiert werden; anders als bei der Auslegung von Willenserklärungen gemäß dem objektiven Empfängerhorizont gibt es bei § 123 BGB keinen wie auch immer „objektivierten“ Täuschungsadressaten. So wie bei dem Betrugstatbestand des § 263 StGB die Leichtgläubigkeit des Getäuschten relevant ist, muß es bei der Beurteilung der Täuschung und des Irrtums als Voraussetzungen der Argli-

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stanfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB hingenommen werden, wenn einzelne Teilnehmer am Rechtsverkehr oder einzelne Personengruppen leichter einem Irrtum unterliegen als der Durchschnitt. In den Fällen der positiven Täuschung oder Irrtumserregung geht es daher nicht an, dem Getäuschten die Anfechtung nur deshalb zu versagen, weil ein „vernünftiger Dritter“ an seiner Stelle keinem Irrtum unterlegen wäre. Der bei § 123 Abs. 1 BGB anzulegende konkrete Beurteilungsmaßstab darf also nicht durch eine Objektivierung, sei es durch eine entsprechende Anwendung der Lehre vom objektiven Empfängerhorizont, sei es durch eine Ausdehnung des Gedankens der Selbstverantwortung, umgangen werden. In den Fällen des Verschweigens von Tatsachen kommt es darauf an, ob nach den allgemeinen, von der Rechtsprechung und der Literatur entwickelten Grundsätzen im Einzelfall eine Aufklärungspflicht besteht. Ist das der Fall, so besteht das Anfechtungsrecht, anderenfalls trägt der Erklärende das Irrtumsrisiko gemäß dem Prinzip der Selbstverantwortung. Für diese Lösung spricht, daß es nicht gerechtfertigt erscheint, die allgemeinen Grundsätze über Aufklärungspflichten nur zugunsten von sprachunkundigen Personen abzuändern. 4. In dem Fall, daß der den Erklärenden arglistig täuschende Erklärungsempfänger die wahren Intentionen des Erklärenden erkannt hat, greift der Vorrang der Auslegung, was grundsätzlich die Anfechtung ausschließt. Der Ausschluß der Anfechtungsmöglichkeit ist aber zweifelhaft, wenn z. B. die Befürchtung im Raum steht, daß der Empfänger den „falschen“ Urkundeninhalt, z. B. eine „untergeschobene“ Ausgleichsquittung – im Rechtsverkehr zum Nachteil des Erklärenden gebrauchen könnte. Richtigerweise ist die Anfechtung in diesem Fall zuzulassen. IV. In den Fällen einer sog. nur „fahrlässigen Täuschung“ besteht die Rechtsfolge in einer Haftung des Schweigenden aus culpa in contrahendo. Ein praktisches Beispiel dafür bietet die Rechtsprechung zur Nichtaufklärung türkischer Kraftfahrer über das Fehlen von Versicherungsschutz im Ostteil der Türkei sowie auf der Insel Zypern. Die Rechtsprechung nimmt hier zudem eine verschuldensunabhängige Erfüllungshaftung des Versicherers aus Gewohnheitsrecht an. V. Weiter ist in den „Sprachrisiko“-Konstellationen auch § 138 BGB zu beachten. Die fehlende Sprachkunde kann im Zusammenwirken mit anderen Umständen zu einer besonders schwachen Verhandlungsposition des oder der Betroffenen führen, die letztlich in Verträge mündet, denen die Rechtsordnung die inhaltliche Anerkennung versagen muß. So hat die Rechtsprechung in den Fällen der Beteiligung sprachunkundiger Ausländer beispielsweise die Sittenwidrigkeit von Kredit- und Bürgschaftsverträgen sowie von Unterhaltsverzichtsverträgen zu beurteilen gehabt. Die Abgrenzung zwischen den Fällen des § 138 Abs. 1 BGB und jenen der arglistigen Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 BGB bereitet Schwierigkeiten, weil § 138 BGB neben der sog. Inhaltssittenwidrigkeit auch die Fälle der sog. Umstandssittenwidrigkeit erfaßt. Nach hier vertretener Auf-

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fassung ist es vorzugswürdig, den Fall der „untergeschobenen“ Ausgleichsquittung nach § 123 Abs. 1 BGB zu beurteilen. VI. Ein für die Frage nach der Anfechtung wegen Irrtums gemäß § 119 Abs. 1 BGB relevanter Fall liegt vor, wenn der wirkliche Wille des Erklärenden von der normativen Bedeutung seiner Erklärung abweicht und dieser Umstand von dem Adressaten nicht erkannt worden ist. Ein Sprachunkundiger ist zur Irrtumsanfechtung berechtigt, wenn er sich bei Abgabe seiner Erklärung konkrete, aber unrichtige Vorstellungen von deren Inhalt gemacht hat, d. h. wenn er einem Irrtum über die normative Bedeutung seiner Erklärung unterlegen ist. Dies betrifft namentlich die praxisrelevanten Fälle der Ausgleichsquittung im Arbeitsrecht. Im einzelnen gilt dazu folgendes: 1. Die Anwendung der sog. Grundsätze des Unterschreibens einer ungelesenen Urkunde auf „Sprachrisiko“-Fälle ist im Ergebnis insofern teilweise tragfähig, als derjenige, der lediglich geltend macht, die deutsche Sprache nicht zu beherrschen und daher die eigene Erklärung nicht verstanden zu haben, mangels einer Inkongruenz von Wille und Erklärung nicht zur Irrtumsanfechtung berechtigt ist. Unrichtig wäre es jedoch, aus der Anwendung dieser Grundsätze zu folgern, daß dem Betroffenen immer – auch bei Vorhandensein einer unrichtigen Vorstellung vom Erklärungsinhalt – die Irrtumsanfechtung abgeschnitten sei. Dies gilt nämlich nach allgemeinen Grundsätzen nur dann, wenn er sich keine positive Vorstellung von dem Urkundeninhalt gemacht hat, weil dann keine Abweichung von Wille und Erklärung vorliegt. Liegt eine unrichtige positive Vorstellung von der Erklärung aber vor und kann sie weiter vom Anfechtenden vor Gericht auch bewiesen werden, so kommt es nicht darauf an, ob der Anfechtende die Erklärung vor Unterzeichnung gelesen hat oder nicht. Hat der Erklärende z. B. zunächst eine konkrete Erwartung hinsichtlich des Erklärungsinhalts besessen, die durch eine bloß kurze und oberflächliche Lektüre fälschlicherweise bestätigt wird und leistet er danach die Unterschrift unter ein Schriftstück mit objektiv abweichender Bedeutung, ist er ebenso zur Anfechtung nach § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB berechtigt, als wenn er das Schriftstück nicht gelesen hätte. 2. Der Irrtum der Erklärenden bezieht sich regelmäßig auf das Verständnis eines Textes, d. h. auf Worte, nicht auf Zahlen. Wenn dem Erklärenden klar geworden ist, welche Art von Erklärung er abgibt – beispielsweise einen Darlehensantrag oder eine Bürgschaft gegenüber einer Bank –, ist regelmäßig für eine Fehlvorstellung über die Höhe der eingegangenen Verpflichtung kein Raum. Abgesehen von Fällen der arglistigen Täuschung (d. h. solchen des „Unterschiebens“ der Urkunde) kommt eine Anfechtung praktisch nur in dem Extremfall in Betracht, wenn der Erklärende nicht nur sprachunkundig ist, sondern zudem auch noch Analphabet, der selbst Zahlen nicht zu lesen versteht. 3. Es ist ferner möglich und – wenn auch verhältnismäßig selten – rechtstatsächlich nachweisbar, daß der Erklärende bestimmte Vorstellungen vom Erklä-

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rungsinhalt hatte, zugleich aber die Vorstellung, daß ein Teil seiner Vorstellungen unrichtig sein könnte (sog. „Risikoerklärung“). In den Fällen dieser Kombination einer positiven, aber falschen Erklärungsvorstellung mit dem Bewußtsein einer nur möglichen Unrichtigkeit derselben trägt der Erklärende das Verständnisrisiko; Zweifel über die Erklärungsbedeutung gehen also zu seinen Lasten. Die Irrtumsanfechtung scheidet dann mangels Irrtums aus. Dies entspricht dem Prinzip der Selbstverantwortung. 4. Auf die Frage, ob der Erklärende schuldhaft gehandelt hat, kommt es für die Berechtigung zur Anfechtung wegen Irrtums generell nicht an. Die Irrelevanz des Verschuldenserfordernisses ergibt sich daraus, daß der Gesetzgeber dieses Kriterium bewußt verworfen und statt dessen eine Haftung auf das negative Interesse gemäß § 122 Abs. 1 BGB statuiert hat. Hat beispielsweise der im Irrtum befindliche Arbeitnehmer die tatsächlich gegebene Möglichkeit der Heranziehung eines Betriebsdolmetschers zur Übersetzung des ihm zur Unterzeichnung vorgelegten Formulars einer Ausgleichsquittung nicht genutzt, ist er so zu behandeln wie derjenige, der eine Urkunde ungelesen unterschrieben hat, d. h. nach den Grundsätzen des Unterschriftsirrtums: Trägt der Arbeitnehmer im Nachhinein nur vor, den Urkundeninhalt wegen fehlender Sprachkenntnisse seinerzeit nicht verstanden zu haben, ist ihm die Anfechtung abgeschnitten; hat er sich hingegen eine konkrete, aber unrichtige Vorstellung von dem Urkundeninhalt gemacht, ist die Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB zulässig. VII. § 119 Abs. 2 BGB ist eine Vorschrift mit zweifelhafter Teleologie. Sie ist gegenüber den Gewährleistungsregeln des Besonderen Schuldrechts subsidiär und hat somit einen relativ beschränkten Anwendungsbereich. Verkehrswesentliche Eigenschaften sind neben Gattungsmerkmalen auch bestimmte individuelle Eigenschaften von Personen oder Sachen. Das Vorhandensein von Sprachkenntnissen kann als eine verkehrswesentliche Eigenschaft anzusehen sein. Sprachenbedingte Leistungsmängel von Arbeitnehmern rechtfertigen die Anfechtung des Arbeitgebers gemäß § 119 Abs. 2 BGB nach der Rechtsprechung allerdings nicht per se, sondern nur dann, wenn die objektive Tauglichkeit des Arbeitnehmers dadurch erheblich herabgesetzt ist. Im „Normalfall“ ist der Arbeitgeber auf die verhaltens- bzw. personenbedingten Kündigung wegen Minderleistung des Arbeitnehmers (sog. low performance) verwiesen. VIII. Die Anfechtung ist nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn der Getäuschte bzw. Irrende an ihr kein schutzwürdiges Interesse mehr hat oder wenn sie als rechtsmißbräuchlich anzusehen wäre. Hinsichtlich etwaiger sprachenbezogener Umstände gelten insoweit keine Besonderheiten. Wurde das zunächst bestehende Sprachdefizit des Arbeitnehmers inzwischen ausgeglichen, kann der Arbeitgeber aus seiner Anfechtung wegen § 119 Abs. 2 BGB keine Rechte mehr herleiten. IX. In welcher Sprache die Informationserteilung bei gesetzlichen Informationspflichten zu erfolgen hat, ergibt sich aus der jeweils einschlägigen gesetzli-

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chen Regelung, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in verbraucherschützenden EG-Richtlinien. 1. Im Bereich des Versicherungsvertragsrechts wird die Information entweder in deutscher Sprache oder – optional – in der Sprache des Versicherungsnehmers erteilt, siehe § 10a Abs. 2 S. 2 VAG. Somit besteht grundsätzlich keine rechtliche Verpflichtung des Versicherers, den Versicherungsnehmer in seiner Muttersprache zu informieren. 2. Im Verbraucherschutzrecht kann die nach § 312 Abs. 2, § 355 Abs. 2 BGB erforderliche Widerrufsbelehrung in Textform gemäß § 126b BGB grundsätzlich in deutscher Sprache abgefaßt werden. Bei der Beteiligung sprachunkundiger Ausländer hat die Rechtsprechung der Instanzgerichte teilweise eine Belehrung in der Verhandlungssprache gefordert, sofern die Verhandlungen in einer anderen Sprache erfolgten oder der Vertrag in einer anderen Sprache abgefaßt war. Dies hat sie mit dem Informationszweck der Widerrufsbelehrung begründet. Art. 4 der sog. Haustürrichtlinie 85/577/EWG verlangt lediglich die Schriftform für die Belehrung, so daß es im Ausgangspunkt zutrifft, daß die Belehrung gemäß §§ 312, 355 BGB in deutscher Sprache erfolgen kann. Fragwürdig ist die Belehrung in deutscher Sprache aber bei einem gezielten Einsatz fremdsprachiger Vermittler und weiter in den Fällen der von dem Verkäufer oder Vermittler erkannten fehlenden Deutschkenntnisse des Vertragspartners. Denn der Informationszweck der Widerrufsbelehrung wird nicht erreicht, wenn sicher ist, daß der andere Teil sie wegen Fehlens entsprechender Sprachkenntnisse nicht verstehen kann. Da hierfür kein abstrakter Maßstab, sondern das individuelle Sprachpotential des konkreten Kunden bzw. das Sprachpotential einer gezielt angesprochenen fremdmuttersprachlichen Kundengruppe entscheidend ist, läßt sich aus den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen bzw. der ihnen zugrunde liegenden Haustürrichtlinie jedenfalls keine allgemeine Sprachenvorgabe entnehmen. Insbesondere ist nicht zwangsläufig die Muttersprache des ausländischen Kunden für die Widerrufsbelehrung oder die „Sprache des Verbrauchers“ verbindlich vorgeschrieben, da dieser im Einzelfall möglicherweise ausreichend Deutsch beherrscht, um die Belehrung zu verstehen. Es entspricht der Selbstverantwortung des fremdmuttersprachlichen Kunden, sofern dieser sich auf Verhandlungen in deutscher Sprache eingelassen hat, daß ihm eine Widerrufsbelehrung in deutscher Sprache erteilt wird. Letztlich handelt es sich bei der zutreffenden Anerkennung einer fremdsprachigen Belehrung wiederum um eine Ausnahme, die sich aus den individuellen Anforderungen von Treu und Glauben im Rechtsverkehr ergibt. So wie die von dem einen Teil erkannte Sprachunkenntnis des anderen Teils bei der Auslegung zu Abweichungen von der herkömmlichen objektiven Wortbedeutung führen kann, rechtfertigt sie individuelle bzw. kundengruppenspezifische Ausnahmen von dem herkömmlichen Sprachengebrauch auch in bezug auf die Sprache der Widerrufsbelehrung und das „Sprachrisiko“ im Verbraucherschutzrecht. Für die Zulassung

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solcher Ausnahmen spricht zudem, daß sie der Teleologie der Haustürrichtlinie entsprechen und ihren effet utile verstärken. X. Entgegen der Rechtsprechung läßt sich eine Reduktion der c.i.c. auf einen reinen Vermögensschutz nach der Schuldrechtsreform von 2001 nicht mehr überzeugend begründen. 1. Sowohl § 123 BGB als auch die §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB dienen nach dem Willen des Gesetzgebers dem Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. Eines Vermögensschadens bedarf es für beide Anspruchsgrundlagen nicht. Mithin kann auch bei der c.i.c. die Eingehung einer vertraglichen Verbindlichkeit – sog. „unerwünschter Vertrag“ – als ein rechtswidriger Zustand zu qualifizieren sein, der durch Vertragsaufhebung (§ 311 Abs. 1 BGB) im Wege der Naturalrestitution i. S. des § 249 Abs. 1 BGB zu beseitigen ist. Im Fall der Unmöglichkeit der Rückabwicklung im Wege der Vertragsaufhebung hat der Schuldner den Gläubiger gemäß § 251 Abs. 1, 1. Alt. BGB in Geld zu entschädigen. Das Gleiche gilt nach § 251 Abs. 1, 2. Alt. BGB, wenn die Rückabwicklung zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist. Die Verpflichtung zur Leistung von Geldersatz greift ferner dann ein, wenn die Rückabwicklung des Vertrags für den Schuldner mit unzumutbaren Aufwendungen verbunden ist, § 251 Abs. 2 BGB. 2. Der Verzicht auf das Merkmal des Vermögensschadens führt zu Problemen in dogmatisch-systematischer Hinsicht, namentlich vor dem Hintergrund des Vorsatzerfordernisses des § 123 Abs. 1 BGB. Im Ergebnis könnten auch bloße Motivirrtümer – eine wie auch immer begründete fehlende Brauchbarkeit des Kaufgegenstands aus Sicht des Käufers – zur Rückgängigmachung von Verträgen führen. Damit würde die gesamte Dogmatik der Anfechtungsregeln in Frage gestellt. Dem dadurch zu begegnen, daß man das Vorsatzerfordernis in die §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB „hineinliest“, geht angesichts der klaren gesetzlichen Regelung und der Anwendbarkeit des § 276 BGB auf die c.i.c. nicht an. Auch eine analoge Anwendung der Anfechtungsfrist des § 124 BGB auf die c.i.c. scheidet aus. Der Reformgesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes hat mit der Absenkung der allgemeinen Verjährungsfrist in § 195 BGB von dreißig auf drei Jahre und durch die explizite Regelung der c.i.c. in §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 3 und 241 Abs. 2 BGB klare Wertungsentscheidungen getroffen, die einer analogen Anwendung der Jahresfrist des § 124 BGB entgegenstehen. 3. Deshalb muß man wohl – sofern man den Abgrenzungsbedarf mit der überwiegenden Meinung in der Literatur anerkennt – mit Blick auf das zu berücksichtigende Vorsatzerfordernis des § 123 BGB schon bei der Aufklärungspflicht selbst ansetzen. Grundsätzlich bezieht sich die Aufklärungspflicht aus c.i.c. – ebenso wie die Aufklärungspflicht im Rahmen von § 123 Abs. 1 BGB – insbesondere auf Umstände, die den Vertragszweck vereiteln können und die daher für den anderen Teil von wesentlicher Bedeutung sind. Wegen des Grund-

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satzes der Selbstverantwortung sollte man im Rahmen der c.i.c. jedenfalls nicht leichtfertig Aufklärungspflichten mit Blick auf eine bestehende informationelle Unterlegenheit des Vertragspartners begründen. Es sind vielmehr strenge Anforderungen an die Aufklärungspflicht aus §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB zu stellen. Im übrigen verdient die Frage, ob der Verkäufer nicht vielleicht doch vorsätzlich und nicht nur fahrlässig gehandelt hat, so daß § 123 Abs. 1 BGB einschlägig wäre, im Einzelfall genauer Untersuchung. Der Rückschluß von den objektiven Umständen des Einzelfalls auf das subjektive Vorhandensein des Vorsatzes bzw. der Arglist des Verkäufers ist zulässig und von der Rechtsprechung mit Recht immer praktiziert worden, um zu verhindern, daß nahezu unüberwindliche Hürden bei der Beweislast geschaffen werden. XI. Die Haftung nach §§ 311 Abs. 2 und 3, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB wird von den spezielleren Regelungen über Sach- und Rechtsmängel – die allerdings erst ab Gefahrübergang gelten (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB) – verdrängt. Auf diese Weise wird eine Umgehung der kurzen zweijährigen Verjährungsfrist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB sowie der gewährleistungsrechtlichen Sonderregelung in § 442 Abs. 1 BGB verhindert und der Vorrang der Nacherfüllung (§ 439 BGB) gesichert. 1. Das pflichtwidrige Verhalten des Verkäufers muß sich, soweit es um das Verhältnis zur Sachmängelhaftung geht, auf eine Eigenschaft der Kaufsache beziehen, die zum Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung hätte gemacht werden können. Die Verletzung von unselbständigen oder selbständigen Beratungspflichten kann weiterhin über eine Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen geahndet werden. Insoweit besteht zwischen beiden Regelungskomplexen kein Konkurrenzverhältnis. 2. Die §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB sind anwendbar, wenn es sich bei dem Umstand, über den der Verkäufer den Käufer nicht aufgeklärt hat, um einen solchen handelt, der einer Beschaffenheitsvereinbarung unzugänglich ist. Die Reichweite dieser Ausnahme hängt maßgeblich davon ab, wie der Beschaffenheitsbegriff bestimmt wird. Die Literatur tendiert – anders als die Rechtsprechung vor der Schuldrechtsreform (sog. objektiver Eigenschaftsbegriff ) – zu einer Ausdehnung dieses Begriffs (sog. subjektiver Eigenschaftsbegriff), nachdem der Gesetzgeber die frühere Unterscheidung zwischen Fehler und zusicherungsfähiger Eigenschaft aufgegeben hat. Nunmehr sei gemäß § 434 BGB von einem einheitlichen Beschaffenheitsbegriff auszugehen. Für diese Auffassung streitet der Vorrang der Privatautonomie. Ob aber tatsächlich alle vereinbarten Umstände, die zur Leistungspflicht des Verkäufers gehören, als Beschaffenheit der Kaufsache i. S. des § 434 BGB qualifiziert werden können, ist noch ungeklärt und prima vista und unter Berücksichtigung des normalen Wortsinns jedenfalls zweifelhaft. Die Reichweite der Ausdehnung hängt letztlich davon ab, ob man neben der physischen Beschaffenheit der Sache die – auch von der Rechtsprechung immer herangezogenen – Merkmale „tatsächliche, wirtschaft-

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liche, soziale und rechtliche Beziehungen der Sache zur Umwelt“ isoliert und ohne die in der Rechtsprechung bisher korrespondierenden Merkmale des Anhaftens und der Dauerhaftigkeit für relevant erachtet. So richtig die Grundannahme der Literatur ist, daß es maßgeblich auf die privatautonomen Vereinbarungen der Parteien ankommen muß, wenn die Frage der Mangelhaftigkeit einer Sache beurteilt werden soll, so schwierig ist die Bestimmung der äußeren Grenzen dieses subjektiven Eigenschaftsbegriffs. Es besteht die Gefahr, daß der Eigenschaftsbegriff durch eine zu weitgehende Subjektivierung völlig „entmaterialisiert“ wird, so daß die Regeln der c.i.c. sehr weitgehend zurückgedrängt, möglicherweise sogar praktisch bedeutungslos werden würden. 3. Da die § 434 ff. BGB nach der Schuldrechtsreform gleichermaßen für Sachwie für Rechtsmängel gelten, spricht dies zudem auch für einen Ausschluß der Haftung aus c.i.c. im Verhältnis zur Haftung wegen Rechtsmängeln i. S. des § 435 BGB. Anders als bei Sachmängeln setzt die Haftung für Rechtsmängel aber erst mit dem Eigentumsübergang ein. Für die Sperrwirkung muß man daher zwischen der Sachmängelhaftung – Sperrwirkung ab Gefahrübergang – und der Rechtsmängelhaftung – Sperrwirkung ab Eigentumsübergang – unterscheiden. XII. Einer Abgrenzung zwischen der c.i.c. und den Anfechtungsregeln bedarf es nicht nur hinsichtlich der Arglist-, sondern auch in bezug auf die Irrtumsanfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB. Dies betrifft vor allem Fälle des Motivirrtums, der grundsätzlich unbeachtlich ist. 1. Es würde nicht überzeugen, jede einfach fahrlässig begangene Aufklärungspflichtverletzung des Verkäufers bei Vorliegen eines Motivirrtums des Käufers durch eine Haftung nach c.i.c. zu sanktionieren und auf diese Weise dem Verkäufer das Irrtumsrisiko für Motivirrtümer des Käufers aufzubürden. Sowohl die Gebrauchstauglichkeit als auch die Verwendbarkeit der Sache im übrigen – z. B. als Geschenk – sind Umstände, die gemäß dem Prinzip der Selbstverantwortung in die Sphäre des Erwerbers gehören. Nach der Systematik des BGB trägt der Irrende das Risiko von Motivirrtümern mit Ausnahme solcher Irrtümer, die § 119 Abs. 2 BGB oder § 123 Abs. 1 BGB unterfallen. Die Annahme einer mit der Haftung nach c.i.c. bewehrten Aufklärungspflicht bedarf daher einer besonders sorgfältigen Begründung. 2. Jene Motivirrtümer, die ihre Ursache zumindest auch in einer sprachlichkulturellen Fremdheit des Betroffenen haben, können außerhalb der Irrtumsregeln des § 119 Abs. 1 und Abs. 2 BGB insofern Beachtung finden, als in bestimmten Fällen die Voraussetzungen der Arglistanfechtung gegeben sind. Hat der andere Teil den Motivirrtum entweder selbst absichtlich hervorgerufen oder den Irrtum als bestehend erkannt und nicht aufgeklärt, um den Geschäftsabschluß nicht zu gefährden, liegen die Voraussetzungen von § 123 Abs. 1 BGB vor, so daß sich der Betroffene innerhalb der Jahresfrist des § 124 BGB von seiner Willenserklärung lösen kann. Tendenziell kann man wohl behaupten, daß der Versuch einer arglistigen Täuschung bei nicht oder nur bedingt sprachkun-

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digen Migranten eher von Erfolg gekrönt sein wird als bei „aufgeklärten Durchschnittsverbrauchern“. 3. Daneben kommt die Rückgängigmachung des Vertrags im Wege der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) nach den Grundsätzen der c.i.c. in Betracht. Die Schwelle für die Annahme einer Pflichtverletzung i. S. des § 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB ist aus den oben angeführten Gründen allerdings hoch anzusetzen. Die Regeln der c.i.c. sind kein Instrument zur Beseitigung sprachlich-kulturell bedingter Motivirrtümer. Zwar schützen diese Regeln, wie § 241 Abs. 2 BGB („Interessen“) deutlich macht, richtigerweise nicht nur das Vermögen, sondern auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit. Dies ändert aber nichts daran, daß die Privatrechtssubjekte dem Grundsatz der Selbstverantwortung unterliegen und daher vorbehaltlich sehr enger Ausnahmen das Risiko von Motivirrtümern selbst zu tragen haben.

Zu § 8 I. Eine Vielzahl von sprachenbezogenen Fragen stellt sich bei der Einbeziehung und der Interpretation von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Dies betrifft sowohl Verbraucherverträge als auch Unternehmerverträge. II. Im Hinblick auf Verbraucherverträge ist die Frage, ob individuelle Sprachdefizite bei der Einbeziehungskontrolle gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB („erkennbare körperliche Behinderung“) Beachtung finden können, zu verneinen. Sprachenbedingte Verständnisschwierigkeiten können nicht als körperliche Behinderung i.S. des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB qualifiziert werden. Auch eine Analogie zu dieser Vorschrift ist mangels einer ausfüllungsbedürftigen Lücke richtigerweise abzulehnen. Dies widerspricht nicht etwa den Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts, da die Klauselrichtlinie 93/13/EWG die Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB nicht regelt. III. Bei der Einbeziehung der AGB ist zwischen der Sprache des Einbeziehungshinweises und der Sprache der AGB selbst zu trennen. 1. Nach den allgemeinen Grundsätzen müßte in bezug auf die Sprache des Einbeziehungshinweises eigentlich auf den Durchschnittskunden und dessen Verständnismöglichkeiten abgestellt werden. Im Hinblick auf die Verteilung des „Sprachrisikos“ wäre insoweit zu fragen, ob der Verwender auch der deutschen Sprache unkundige Ausländer zu seinen Kunden zählt und ob diese, soweit sie in sprachlicher Hinsicht eine homogene Gruppe bilden, als die relevanten Durchschnittskunden angesehen werden können. 2. Die Rechtsprechung und ihr folgend die Literatur verfahren jedoch anders und stellen maßgeblich auf die sog. Verhandlungs- und Vertragssprache der Parteien ab, also auf diejenige(n) Sprache(n), in der die Kontrahenten ihre Vertragsverhandlungen geführt haben und in der der Vertrag formuliert ist. Han-

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delte es sich dabei um die deutsche Sprache, trägt der Kunde insofern das „Sprachrisiko“, als die Einbeziehung wirksam ist und er den Inhalt der AGB in der deutschen Sprache gegen sich gelten lassen muß, wenn er diese Sprache nicht versteht. Bei Verhandlungen in einer Fremdsprache ist ein Hinweis in deutscher Sprache nicht ausreichend, sondern der Verwender muß diesen Hinweis entweder in der Verhandlungssprache oder in der Heimatsprache des Kunden erteilen. 3. Teilweise wird formuliert, die Parteien hätten die Sprache „gewählt“, so daß Abweichungen hiervon unzulässig seien. Das deutet auf eine von den Parteien intendierte rechtliche Bindung hin, die nach hier vertretener Ansicht jedoch eine Fiktion wäre. Gleiches gilt für die Literaturansicht, wonach die Verhandlungssprache dogmatisch als ein (Begleit-)Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht i. S. von § 241 Abs. 2 BGB zu qualifizieren sein soll, welches durch rechtsgeschäftlichen Kontakt, nämlich durch das widerspruchslose SichEinlassen auf eine bestimmte Sprache, zustandekomme. Danach bestehe zwar keine Pflicht zur Verwendung der Sprache, doch übernehme der Fremdmuttersprachler grundsätzlich das Verständigungsrisiko. 4. Nach Ansicht von Rechtsprechung und Literatur trägt letztlich derjenige, der sich auf Verhandlungen und den Vertragsschluß in einer bestimmten Sprache einläßt, das „Sprachrisiko“ im AGB-Recht. 5. War die deutsche Sprache Verhandlungssprache und hat der Verwender seinem fremdsprachigen Kunden den Einbeziehungshinweis in dessen Sprache verständlich erteilt, so trägt der Kunde das „Sprachrisiko“ im Hinblick auf den Text der AGB als solche, denn der deutsche Verwender muß seine AGB weder in der Verhandlungssprache vorhalten noch ist er zu einer Übersetzung derselben verpflichtet. Der Kunde hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Überlassung der AGB in einer ihm verständlichen Sprache. Vereinfacht gesagt setzt die Einbeziehung von AGB in den Vertrag nicht voraus, daß der Kunde die Sprache versteht, in der die AGB selbst abgefaßt sind, wenn nur die Einbeziehung wirksam war. Eine implizite Sprachregel des Inhalts, daß der Verwender den Fremdmuttersprachlern unter seinen Kunden – ggf. auch individuell – die Kenntnisnahme von seinen AGB in sprachlich-intellektueller Hinsicht ermöglichen müsse, verdient entgegen einer stark vertretenen Literaturmeinung keine Zustimmung, weil dadurch die legitime Rationalisierungsfunktion von AGB zu sehr beeinträchtigt werden würde. 6. Die vorstehenden Erwägungen gelten in gleichem Maße auch für ausländische Verwender, die unter Geltung des deutschen Rechts mit deutschen Kunden im Ausland Verträge schließen. Auch in solchen Fällen kann nur verlangt werden, daß der Einbeziehungshinweis in der deutschen Verhandlungssprache erfolgt, während die AGB selbst in der Sprache, in der sie bei dem Verwender vorrätig sind, dem Kunden überlassen werden dürfen. Es ist dann seine Sache, sich im Bedarfsfall eine Übersetzung davon zu verschaffen, wenn der Verwen-

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der sich dazu nicht bereit erklärt, oder eben von dem Geschäftsabschluß im Ausland abzusehen. IV. Problematisch ist die Frage, in welcher Sprache ein Aushang mit dem Text der AGB abzufassen ist, wenn dieser den Einbeziehungshinweis – wie bei Massengeschäften in Kaufhäusern, bei der Benutzung von Schließfächern, usw. – ersetzt. Richtigerweise kann von dem Verwender nicht verlangt werden, daß er seine AGB in verschiedenen Fremdsprachen – wobei dann auch zu klären wäre, welche Sprachen das sein sollten – zur Verfügung stellt. Bei Ladengeschäften mit einem regelmäßig internationalen Kundenkreis – wie z. B. einem duty free shop auf dem Gelände eines internationalen Verkehrsflughafens – erscheint es dem Verwender zumutbar, für die internationale Kundschaft einen Aushang in englischer Sprache zu verlangen. V. Weiter kann der Fall auftreten, daß sich der Verwender von seinem Sitzstaat aus gezielt an eine bestimmte sprachlich homogene Gruppe von Kunden in Deutschland wendet. Sofern es sich dabei um deutsche Verbraucher handelt, die durch eine Werbung des Verwenders in deutscher Sprache angesprochen wurden, ist fraglich, ob AGB in der sog. lingua franca Englisch zulässig sind. Die Rechtsprechung stellt zutreffend hohe Anforderungen an die Zulassung englischsprachiger AGB, wenn diese sich an die Allgemeinheit, also an den „Durchschnittsverbraucher“, richten. In der Regel ist es diesem Personenkreis nicht zumutbar, von fremdsprachigen AGB Kenntnis zu nehmen, wenn die Verhandlungssprache Deutsch war. Dies ist beispielsweise für Beförderungsbedingungen auf Flugscheinen in englischer Sprache praktisch geworden. Vergleichbare Probleme stellen sich aber auch bei Garantieerklärungen in englischer Sprache (vgl. § 477 Abs. 1 BGB), nachdem der deutsche Gesetzgeber die Optionsregel des Art. 6 Abs. 4 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 1999/44/EG nicht in das BGB übernommen hat (BT-Drucks. 14/6040, S. 245 f.). VI. Bei Verträgen mit Unternehmern genügt – anders als im Verkehr mit Verbrauchern – ein konkludenter Einbeziehungshinweis. Wenn gleichwohl ein ausdrücklicher Einbeziehungshinweis gegeben wird, hat dies grundsätzlich in der Verhandlungssprache oder in einer dem Vertragspartner verständlichen Sprache zu erfolgen (zur Frage der Zulässigkeit des Hinweises in einer „Weltsprache“ siehe unten IX. 2.). VII. In Rechtsprechung und Literatur ist die Ansicht verbreitet, der Verwender sei verpflichtet – ggf. auf Nachfrage des anderen Teils – diesem auch den Text der AGB selbst in der Verhandlungssprache zugänglich zu machen. Dem ist nicht zu folgen. Es besteht kein Anlaß, im kaufmännischen Geschäftsverkehr, für den § 305 Abs. 2 BGB gemäß § 310 Abs. 1 S. 1 BGB nicht gilt, in sprachlicher Hinsicht noch strengere Anforderungen als an Verbraucherverträge zu stellen. Der grenzüberschreitende Geschäftsverkehr im Binnenmarkt (Art. 14 Abs. 2 EG) würde erheblich beeinträchtigt, wenn ein Gleichlauf zwischen der Verhandlungssprache – die doch in aller Regel bloß als ein Notbehelf zur Er-

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möglichung der Kommunikation dient – und der Sprache der AGB verlangt werden würde. Zu mehr als der Überlassung des Textes der AGB in deutscher Sprache ist ein inländischer Verwender deshalb in aller Regel nicht verpflichtet. Hinsichtlich des Textes der AGB trägt daher der unternehmerische Kunde das Sprachrisiko (einschließlich des Übersetzungsrisikos), vorbehaltlich einer abweichenden rechtsgeschäftlichen Sprach(en)vereinbarung. VIII. Etwas anderes gilt namentlich dann, wenn der Gebrauch einer konkreten Sprache in einer bestimmten Branche üblich, d. h. internationaler Handelsbrauch, ist. Dies betrifft unter anderem den Seehandel, die Seeversicherung und den internationalen Mineralölhandel. In diesen Branchen ist die Verwendung der englischen Sprache bei Geschäftsbedingungen seit langem absolut verkehrsüblich. IX. Im grenzüberschreitenden unternehmerischen Geschäftsverkehr kann die hinreichende Kenntnis einer sog. „Weltsprache“ – zu der jedenfalls die englische Sprache zu rechnen wäre – nicht generell vorausgesetzt werden. 1. Die Rechtsprechung kann für die Lehre von der „Weltsprache“ allenfalls sehr vereinzelt in Anspruch genommen werden. Ganz überwiegend hält sie streng am Grundsatz der Verhandlungs- und Vertragssprache fest, so daß bei Hinweisen in anderen Sprachen als der Verhandlungssprache eine wirksame Einbeziehung der AGB nicht vorliegt. 2. Man kann den verhandlungssprachenbezogenen Ansatz der Rechtsprechung mit guten Gründen anzweifeln. Daß Kaufleute, die sich im internationalen Geschäftsverkehr bewegen, zumindest einfache Hinweise auf Geschäftsbedingungen in englischer Sprache zu verstehen in der Lage sind, auch wenn sie vorher in deutscher oder französischer Sprache miteinander kommuniziert haben sollten, darf man wohl zumindest für die meisten Länder in Westeuropa annehmen. Basierend auf dieser Prämisse wird mit guten Gründen gefordert, den ohnehin nicht verpflichtenden Hinweis auf die AGB, wenn er denn gegeben wird, in der „Weltsprache“ Englisch zuzulassen. Noch überzeugender wäre dies, wenn man nach den allgemeinen Grundsätzen des AGB-Rechts danach fragte, ob von dem angesprochenen „unternehmerischen Durchschnittskunden“ einfache Kenntnisse der englischen Sprache erwartet werden können – eine Frage, die aller Wahrscheinlichkeit nach länder- bzw. regionenspezifisch unterschiedlich zu beantworten wäre. 3. Ausgehend von einem Ansatz, der die strikte rechtliche Bindung an die einmal „gewählte“ Verhandlungssprache zumindest lockert, kann aber auch von Unternehmern jedenfalls das Verständnis umfassender, komplizierter Rechtstexte in einer Fremdsprache, die zu den „Weltsprachen“ zählt, nicht erwartet werden. Das bloße Sich-Einlassen auf Verhandlungen im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr im Binnenmarkt bzw. im internationalen Geschäftsverkehr rechtfertigt nicht die Annahme, daß die Akteure belastbare, d. h. im Geschäftsverkehr taugliche Weltsprachenkenntnisse besitzen. Namentlich

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die „Weltsprache“ Englisch fungiert häufig lediglich als „internationale Verkehrssprache für kommunikative Notfälle“. Die grundsätzliche Trennung zwischen der sprachlichen Fassung des Einbeziehungshinweises und der Sprache der AGB, wie sie die Rechtsprechung praktiziert, hat daher ihren guten Sinn und wird nicht dadurch obsolet, daß man hinsichtlich der Sprache des Einbeziehungshinweises „liberaler“ denkt, als es die Gerichte tun. 4. Die weitergehende Gegenansicht, die die Verwendung einer „Weltsprache“ generell für zulässig hält, müßte die ganz entscheidende Frage beantworten, welche Sprachen als „Weltsprachen“ Anerkennung verdienen sollen. Sich dabei allein auf die englische Sprache als der im internationalen Handel am weitesten verbreiteten Universalsprache festzulegen, würde schon vor dem Hintergrund nicht überzeugen, daß etwa in weiten Teilen Nordafrikas Französisch verbreiteter als Englisch ist. 5. Ein ausländischer Unternehmer, der von seinem deutschen Vertragspartner auf dessen – in deutscher Sprache abgefaßte – AGB vor Vertragsschluß in der Verhandlungssprache ausdrücklich hingewiesen wurde, hat keinen Anspruch auf Überlassung der AGB in einer „Weltsprache“. Die mit einer Übersetzung verbunden Kosten und Risiken trägt die ausländische Partei, wenn sie sich auf einen Vertragsschluß ohne Kenntnis des Inhalts der AGB eingelassen hat („Sprachrisiko“ als Übersetzungsrisiko). Es handelt sich gleichsam um eine „unternehmerische Risikoerklärung“, die Ausdruck der Selbstverantwortung der ausländischen Partei ist. X. Die Verwendung deutschsprachiger AGB gegenüber Sprachunkundigen begründet für sich genommen kein Verstoß gegen § 305c Abs. 1 BGB, da individuelle Sprachdefizite im Rahmen dieser Vorschrift unbeachtlich sind. Da bei der Subsumtion unter § 305c Abs. 1 BGB bei grundsätzlicher Ausrichtung am „Durchschnittskunden“ die Berücksichtigung der konkreten Situation Beachtung findet, also eine konkret-generelle Beurteilung angelegt wird, werden Schutzlücken, die auf sprachenbedingten Verständnisschwierigkeiten individueller Kunden im Einzelfall auftreten können, im Ergebnis weitgehend geschlossen. Von der Nichtberücksichtigung individueller sprachenbedingter Mängel zu trennen sind diejenigen Fälle, bei denen der Verwender seine AGB gegenüber einer homogenen Gruppe – typischerweise Ausländer – einsetzt und dieser Kundenkreis den maßgeblichen Durchschnittskunden bildet. Im Rahmen einer konkret-generellen Interpretation kann ein „kollektives Sprachrisiko“ grundsätzlich Beachtung finden. XI. Nicht entscheidend für die Anwendung von § 305c Abs. 1 BGB ist, ob und wie genau der Gegner des Verwenders die AGB auch gelesen hat. Die Rechtsprechung begründet dies zutreffend damit, daß überraschende Klauseln unter anderem gerade deshalb der Wirksamkeit entbehren, „weil sie sich der sofortigen Erfassung ihrer Tragweite und Auswirkung durch einen durchschnittlich aufmerksamen, rechtlich nicht gebildeten Leser selbst dann entzie-

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hen, wenn er den Text der Urkunde überfliegt, bevor er diese unterschreibt“. Dies entfaltet Rückwirkungen auf jene „Risikoerklärungen“, die von fremdsprachigen Kunden abgegeben werden. Hat ein Fremdmuttersprachler die Unterschrift unter den Vertrag nebst Vertragsbedingungen geleistet, obwohl es am Verständnis der einzelnen Bedingungen fehlte, muß er sich nach dem Prinzip der Selbstverantwortung an der Erklärung zunächst, d. h. vorbehaltlich etwaiger Anfechtungsmöglichkeiten, festhalten lassen. Er hat eine Risikoerklärung abgegeben, mit der er zugleich die – sprachenbedingte – Nichtkenntnis des Vertragsinhalts bewußt in Kauf genommen hat. Das AGB-Recht, namentlich die §§ 305c Abs. 1, 307 Abs. 1 BGB, mildern diese nachteiligen Folgen ab, indem sie unabhängig von dem Intensitätsgrad der Lektüre und dem Maß an individuellem Textverständnis durch Ausschaltung überraschender und unangemessener Klauseln auch zu seinen Gunsten eingreifen. Dies gilt freilich nicht für die essentialia negotii. Hat der Vertragspartner über den Vertragsinhalt im übrigen geirrt, ist er deshalb auf die Irrtumsanfechtung gemäß § 119 BGB verwiesen. XII. § 305c Abs. 1 BGB ist auch auf „Arbeitsverträge“ i. S. des § 310 Abs. 4 S. 2 BGB anwendbar. Dazu rechnen nicht nur jene privatrechtlichen Verträge, die ein Arbeitsverhältnis begründen, sondern auch solche, die es beenden, also Aufhebungsverträge sowie die für das „Sprachrisiko“-Problem besonders bedeutsamen Ausgleichsquittungen, die im Zuge der Abwicklung eines Arbeitsvertragsverhältnisses abgegeben werden. Der Ausgleichsquittung wohnt regelmäßig ein Überraschungseffekt für den „typischen“ oder „Durchschnittsarbeitnehmer“ nach § 305c Abs. 1 BGB inne. Um eine Übertölpelung des Arbeitnehmers zu vermeiden, muß der Arbeitgeber die Aufmerksamkeit des Arbeitnehmers in besonderer Weise durch äußere Deutlichkeitsmerkmale auf den Rechtsverzicht lenken, den diese Erklärungen beinhalten. XIII. Ein Überraschungseffekt i.S des § 305c Abs. 1 BGB ist auch bei unternehmerischen Kunden nicht ausgeschlossen. Dies gilt namentlich für Fremdmuttersprachler. Die Schwelle für den Überraschungseffekt ist bei Unternehmern allerdings generell höher anzusetzen als bei Verbrauchern. XIV. Die Auslegung von AGB richtet sich nach einer überindividuellen, generalisierenden Betrachtungsweise, die ihrem Massencharakter und Rationalisierungszweck Rechnung trägt. 1. Es gilt ein Vorrang der allgemeinen Wortbedeutung vor der fachsprachlichen Wortbedeutung, wenn sich die AGB an die Allgemeinheit und nicht an Fachleute richten. Das ist im Hinblick auf die Funktionsbegriffe des Rechts in dieser Allgemeinheit problematisch, nicht jedoch für „Rechtsbegriffe“ i. w. S. wie z. B. den Ausdruck „Ausgleichsquittung“, der vom Fachmann als Verzichtserklärung, vom Laien aber als Empfangsbestätigung interpretiert wird. Der Vorrang des Alltagssprachgebrauchs ergibt sich aus dem Grundsatz der Transparenz, der seinerseits durch die EG-Klauselrichtlinie rechtsverbindlich vorgegeben ist.

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2. Für die „Sprachrisiko“-Problematik hat der Grundsatz der objektiven Auslegung zur Konsequenz, daß bei – in deutscher Sprache abgefaßten – AGB „für Ausländer grundsätzlich der gleiche Sinn wie für Inländer“ gilt. Nach der Rechtsprechung kommt es nicht darauf an, wie ein der deutschen Sprache unkundiger Ausländer die Bedingungen versteht, sondern darauf, wie ein beliebiger, vernünftiger und verständiger Kunde sie verstehen darf. Ausländische Kunden müssen sich die AGB eines im Inland tätigen Verwenders also mit der Bedeutung entgegenhalten lassen, die ihnen inländische Durchschnittskunden normalerweise beilegen. Sprachenbezogene individuelle Mißverständnisse lassen sich nicht durch eine am Einzelfall orientierte Auslegung von AGB bewältigen, weil einzelfallbezogene Erwägungen nach ständiger Rechtsprechung unbeachtlich sind. Zwar ist auch bei AGB eine falsa demonstratio möglich, also ein übereinstimmend abweichendes Verständnis des Klauselinhalts. Rechtsdogmatisch betrachtet handelt es sich dabei um eine zulässige vorrangige Individualabrede i. S. des § 305b BGB. XV. Etwaige Vertragslücken sind im Wege der ergänzenden Auslegung der Vertragsbedingungen unter Zugrundelegung eines objektiv-generalisierenden Maßstabs zu schließen. Jene Lücken, die bei der Einbeziehung (§§ 305 Abs. 2, 305c Abs. 1 BGB) oder die infolge der Inhaltskontrolle (§§ 307 ff. BGB) auftreten, sind allerdings nicht ausfüllungsfähig. Vielmehr gelten nach § 306 Abs. 2 BGB dann die gesetzlichen Vorschriften. Das hat im Hinblick auf die Zuweisung des „Sprachrisikos“ unter anderem zur Folge, daß eine Einbeziehung, die daran scheitert, daß der gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB erforderliche Hinweis auf die AGB des Verwenders nicht in einer dem Kunden verständlichen Sprache abgefaßt ist, nicht im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung korrigiert werden kann. Das in diesem Fall dem Verwender zugewiesene „Sprachrisiko“ wird durch die grundsätzlich gegebene Möglichkeit der ergänzenden Vertragsauslegung folglich nicht tangiert. XVI. Der BGH hält die Auslegung ausländischer AGB in ständiger Rechtsprechung für unzulässig, weil diese das Gepräge einer ausländischen Rechtsordnung hätten und deshalb gemäß §§ 545, 560 ZPO der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen seien. Demgegenüber lehnt die Literatur die Gleichsetzung von ausländischem Recht mit ausländischen AGB zutreffend ab. XVII. Die Frage der Revisibilität ausländischer AGB ist – auch nach der Rechtsprechung – von der Revisibilität von AGB deutscher Verwender in einer Fremdsprache zu trennen. Letztere unterliegen unstreitig der revisionsgerichtlichen Überprüfung. XVIII. Dem AGB-rechtliche Transparenzgebot des Art. 5 Satz 1 der Klauselrichtlinie sowie des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann keine mittelbare Sprachregel des Inhalts entnommen werden, daß die „Sprache des Verbrauchers“, die Amtssprache eines Mitgliedstaats o.ä. Anwendung finden müsse (siehe auch oben zu § 2 III.).

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XIX. Problematisch ist die Frage, ob bei der Inhaltskontrolle konkret-individuelle Merkmale wie beispielsweise eine wirtschaftliche oder intellektuelle Schwäche – und damit etwaige Sprachdefizite des Kunden – beachtet werden müssen. Entgegen der weit überwiegenden Meinung im Schrifttum sind die im 16. Erwägungsgrund der Klauselrichtlinie genannten individuellen Umstände kein Grund für eine individualisierende Betrachtungsweise auf zweiter Stufe im Rahmen der Inhaltskontrolle. Dies beruht auf der Streichung des Art. 4 Abs. 1, 2. Spiegelstrich des Geänderten Vorschlags der Kommission zur Klauselrichtlinie aus dem Jahr 1992, demzufolge die wirtschaftliche und intellektuelle Schwäche des Verbrauchers bei der Inhaltskontrolle Beachtung finden sollte. Der Ansatz der herrschenden Gegenmeinung, die die persönlichen Eigenschaften des individuellen Vertragspartners des Verwenders in einem zweiten Schritt der Abwägung berücksichtigt, begegnet erheblichen Bedenken. Denn sie führt bei konsequenter Anwendung zu einem Paradigmenwechsel bei der Inhaltskontrolle „durch die Hintertür“. Daß der Paradigmenwechsel nur ergänzend auf der zweiten Stufe der Beurteilung erfolgen soll, ändert nichts an seiner grundsätzlichen Bedeutung. Nach hier vertretener Ansicht haben jedenfalls die individuellen Sprachdefizite des Verbrauchers bei der Inhaltskontrolle von AGB außer Betracht zu bleiben. XX. Individuell bedingte Fehlvorstellungen des Kunden über die Einbeziehung von AGB oder die Bedeutung einzelner Klauseln können gegebenenfalls im Wege der Anfechtung gemäß §§ 119 Abs. 1, 123 Abs. 1 BGB korrigiert werden. Ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum liegt vor, wenn der Vertragspartner die konkrete Vorstellung hatte, den Vertrag ohne die AGB oder jedenfalls nicht mit diesen AGB abzuschließen. Es gelten die in § 6 entwickelten Grundsätze. XXI. Die Inhalts- und Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB ermöglicht nicht die Berücksichtigung des „individuellen Sprachrisikos“ eines Verbrauchers (bzw. Arbeitnehmers), da es im Rahmen dieser Bestimmung auf die Verständnismöglichkeiten des zu erwartenden Durchschnittskunden ankommt. Jedoch kann gegebenenfalls durch eine „gruppenspezifische Betrachtungsweise“ den berechtigten Interessen und Erwartungen ausländischer Kunden Rechnung getragen werden (Gruppe als relevanter „Durchschnittskunde“). Durch diesen überindividuellen Ansatz wird der Sinn und Zweck der Inhaltskontrolle, ausgleichend zu wirken und Vertragsgerechtigkeit herzustellen, besser verwirklicht als durch eine konkret-individuelle, an der Person des konkreten Kunden ausgerichtete Beurteilung im Einzelfall, wie sie die herrschende Ansicht, wenngleich auch nur auf „zweiter Stufe“, nach Maßgabe des 16. Erwägungsgrundes der Klauselrichtlinie verwirklichen will. Die Nichtberücksichtigung der individuellen sprachlichen Fähigkeiten von Arbeitnehmern und Kunden im Rahmen der Inhaltskontrolle erweist sich insofern als Vorteil, als bei einem Streit der Parteien über die Verständnisfähigkeiten des Betroffenen ein klares Ergebnis

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ohne eine Entscheidung über diesen mitunter problematischen Punkt getroffen werden kann. XXII. In dem Fall, daß der Erklärende eine sog. „Risikoerklärung“ abgegeben hat und er deshalb das „Sprachrisiko“ aus Gründen der Selbstverantwortung grundsätzlich selbst tragen muß, ist er im Falle der wirksamen Einbeziehung von AGB nicht gänzlich schutzlos gestellt, wenn und soweit die Regelungen der §§ 305 ff. BGB eingreifen. Vor allem § 305c Abs. 1 BGB und § 307 Abs. 1 BGB sind geeignet, in den „Sprachrisiko“-Fällen – aber gerade unabhängig von der Berücksichtigung des jeweiligen individuellen Sprachdefizits des betroffenen Kunden – als nachgeschaltete „Filter“ zur Beseitigung grober Ungerechtigkeiten zu fungieren. XXIII. Eine Inhaltskontrolle von AGB in Unternehmerverträgen findet nach der Rechtsprechung nicht statt, wenn es sich dabei um Handelsbräuche i. S. des § 346 HGB handelt. Ein Handelsbrauch kann aber unwirksam sein, indem er Treu und Glauben widerspricht. XXIV. Kollektiv ausgehandelte Klauselwerke wie beispielsweise die Verdingungsordnungen werden nur als Ganzes einer Inhaltskontrolle unterworfen. XXV. Im Anwendungsbereich der EuGVVO und des Luganer Übereinkommens gelten im Hinblick auf die Einbeziehung von Gerichtsstandsklauseln in den Vertrag die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Verhandlungs- und Vertragssprache: 1. Eine wirksame Einbeziehung von für den Vertragspartner fremdsprachigen AGB, die eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, liegt ungeachtet fehlender Sprachkenntnisse des Adressaten vor, wenn dieser vom Verwender in der Verhandlungs- und Vertragssprache auf die AGB hingewiesen wurde und diesbezüglich eine uneingeschränkte Annahmeerklärung – namentlich durch Unterschriftsleistung – abgegeben hat. Daß der Vertragspartner der Sprache der AGB nicht mächtig ist, hat für die Wirksamkeit der Einbeziehung in diesem Fall keine Bedeutung, sofern ihm nur der Zugriff auf den Text der AGB möglich war. Auch im Anwendungsbereich der EuGVVO muß die Sprache der AGB nicht mit der der Verhandlungs- und Vertragssprache übereinstimmen. Allein die Abfassung einer Gerichtsstandsklausel in einer Fremdsprache führt mithin nicht schon zu ihrer Unwirksamkeit. 2. Die Anforderungen der Rechtsprechung an den Hinweis i. S. einer ausdrücklichen Bezugnahme auf die AGB sind allerdings streng. Ein Hinweis in deutscher Sprache genügt nicht, wenn Deutsch nicht Verhandlungssprache bzw. Vertragssprache war. Fremdsprachige Hinweise genügen nur, wenn der Gebrauch dieser Sprache in der jeweiligen Branche üblich ist, wie etwa die englische Sprache im Seehandel und in der Werftbranche. Fehlt der Hinweis ganz, werden deutschsprachige AGB nicht Vertragsbestandteil, sofern die Verhandlungs- und Vertragssprache der Parteien nicht die deutsche Sprache war. Diese Grundsätze gelten entsprechend für die formularmäßige Vereinbarung des Erfüllungsortes.

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XXVI. Für die EuGVVO und das Luganer Übereinkommen gelten die Besonderheiten der autonomen und der engen bzw. strengen Auslegung. Art. 23 EuGVVO bzw. Art. 17 LugÜ verdrängen im Rahmen ihres Anwendungsbereichs das nationale AGB-Recht vollkommen. Nach zutreffender Ansicht enthalten sie allerdings keine Abweichung von dem Prinzip des materiellen Konsenses. Das hat Auswirkungen auf die Bewertung des Zustandekommens von Gerichtsstandsvereinbarungen im Wege der Übersendung eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVVO. Der ausländische Vertragspartner kann sich im Rahmen des Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVO darauf berufen, daß ihm ein solcher Handelsbrauch nach seinem Heimatrecht nicht bekannt sei, konkret also, daß Schweigen im Handelsverkehr dort nicht als Zustimmung bewertet wird. Die Voraussetzungen des Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVVO in bezug auf die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen sind gegeben, wenn die Vertragsparteien schon früher untereinander oder mit anderen in dem betreffenden Geschäftszweig tätigen Vertragspartnern Geschäftsbeziehungen geknüpft hatten. Das Gleiche gilt, wenn in dem betreffenden Geschäftszweig ein bestimmtes Verhalten bei dem Abschluß einer bestimmten Art von Verträgen allgemein und regelmäßig befolgt wird, so daß es als ständige Übung angesehen werden kann. XXVII. Die Sprache der Gerichtsstandsvereinbarung ist eine Frage der „Form“ i. S. des Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. c EuGVVO. Innerstaatliche Vorschriften, die im Privatrechtsverkehr den Gebrauch einer bestimmten Sprache vorschreiben, haben nach der Rechtsprechung des EuGH im Anwendungsbereich der Vorschrift außer Anwendung zu bleiben. Dasselbe gilt auch für die von der Rechtsprechung eines Vertragsstaates entwickelte Regelung über das „Sprachrisiko“, da sich diese, gleich den vorgenannten Bestimmungen, auf die Anforderungen an die Art und Weise der Vereinbarung (also Form und materielle Voraussetzungen) auswirken. XXVIII. Eine autonome Mißbrauchskontrolle von Gerichtsstandsklauseln unter Geltung von Art. 23 EuGVVO findet nicht statt, so daß es auf die Angemessenheit der Gerichtsstandsklausel nicht ankommt. Zwar mag es sachlich bedenkenswert erscheinen, die Wirksamkeit der Vereinbarung des Gerichtsstands daraufhin zu überprüfen, daß „die Willensbildung der Parteien nicht durch Zwang oder die Ausnutzung wirtschaftlicher Macht eingeschränkt war“. Doch würde diese Prüfung – namentlich im Hinblick auf das sehr unbestimmte Kriterium der wirtschaftlichen Macht bzw. Überlegenheit – mit der wesentlichen Zielsetzung der Rechtssicherheit in einem unauflösbaren Konflikt stehen. Schutzbedürftige Personenkreise wie Versicherungsnehmer, Verbraucher und Arbeitnehmer werden durch die Schranke des Art. 23 Abs. 5 EuGVVO i. V. m. den Regelungen in den Artt. 13, 17 und 21 EuGVVO geschützt. Soweit ein „wirtschaftlich schwacher“ Unternehmer schutzwürdig erscheint, erhält er ein ausreichendes Maß an Schutz durch die strengen Voraussetzungen des Merk-

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mals der „Vereinbarung“ sowie durch die Voraussetzung, daß Handelsbräuche im internationalen Handel ihm auch bekannt sein müssen.

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Hinweise: Vereinzelt wurden ältere Auflagen der zitierten Werke, namentlich solche der Kommentarliteratur, herangezogen. In diesen Fällen wurde die jeweilige Auflage in den Zitaten mit angegeben; eine gesonderte Auflistung im Literaturverzeichnis neben den jeweils aktuellen Auflagen erfolgte nicht. Das in § 1 zitierte allgemeine Schrifttum zu den Sprachenfragen, die im Text nicht wieder aufgegriffen werden, wurde hier ebenfalls weggelassen. Das als Motto vorangestellte Zitat von Elias Canetti aus „Die Provinz des Menschen: Aufzeichnungen 1942–1972“ datiert aus dem Jahr 1942. Es findet sich sowohl in der Erstausgabe, München 1973, als auch in der Ausgabe des Fischer Taschenbuch Verlags von 1994 auf Seite 16.

Sachregister Abfindungsvergleich 472 Abgabe von Willenserklärungen – Adressierungserfordernis 254, 265 ff., 294 – allgemein 13, 3055, 115, 119 f., 143, 238 ff., 254 ff. – deutschsprachiger Erklärungen gegenüber Sprachunkundigen 265 ff. – fremdsprachiger Erklärungen 240 ff., 247, 256 f., 267, 305 – Richtungserfordernis siehe Adressierungserfordernis Abmahnung(sschreiben) 283, 285 accidentalia negotii 359 f., 363, 640 act of God 314 f., 319, 383, 384368, 388, 569 Ad-hoc-Publizität 3368, 39105 agent (engl.) 388390 agree to disagree 360249 agree to not yet agree 360249 Alles-oder-nichts-Prinzip 421146 all risks-Versicherung 391402 Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen (ADSp) 112, 131245,246,248, 133, 135275, 155393, 606, 607337 Allgemeine Geschäftsbedingungen – Anfechtungsmöglichkeit 594 f. – Aushang am Ort des Vertragsschlusses 522 ff. – Auslegung, allgemein 558 ff. – Auslegung, generalisierende siehe Auslegung, objektive – Auslegung, kundenfeindliche 568 f. – Auslegung, kundenfreundliche 568 f. – Auslegung, objektive 558 ff., 564 ff. – Auslegung, restriktive 558 – Auslegung zu Ungunsten des Verwenders 558, 567 ff. – Begriff 507 f.

– Einbeziehung in den Vertrag 131, 509 ff. – Einbeziehung bei Distanzgeschäften 131, 526 ff., 533 f. – Einbeziehung bei Verträgen mit Unternehmern 534 ff. – Einbeziehung durch Handelsbrauch 534, 537 – Einbeziehung durch kaufmännisches Bestätigungsschreiben 509, 534, 536 – Einbeziehung gegenüber deutschen Verbrauchern im Ausland 531 ff. – Einbeziehung und Transparenzgebot 583 – Einbeziehungshinweis, konkludenter 511, 520, 534 f., 540 – Einbeziehungskontrolle 507 ff., 541, 554 – erkannte Verständnismängel des Kunden 525 f. – Inhaltskontrolle 136, 506 ff., 51237, 513, 568 f., 571, 577 ff., 585 ff., 587 ff., 593, 595, 598, 602, 603 ff., 605 ff., 615 f. – kollektiv ausgehandelte 606 f., 660 – Massencharakter 559 – Mißbrauchskontrolle siehe Inhaltskontrolle – Rationalisierungsfunktion bzw. -zweck 524 f., 533, 559, 585422, 589448, 604, 653, 657 – Revisibilität ausländischer AGB 571, 572 ff., – Revisibilität fremdsprachiger AGB 571, 575 ff., – Sprache der AGB 516 f., 521 f., 536 f., 539, 608, 610, 624, 626, 652 ff. – Sprache des Einbeziehungshinweises 516, 52186 , 523 ff., 535 f., 539, 652 f. – Stellen von AGB, Begriff 507 f.

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Sachregister

– Transparenzgebot des AGB-Rechts 541, 559, 580, 581 ff., 584, 587, 596 f., 599 – Transparenzkontrolle 51664, 525103, 527116 , 528 f., 541 ff., 559 f., 560278, 563, 568323, 580, 581 ff., 584 412, 595 ff., 601 f. – und Arbeitsverträge 507, 510, 541 ff. – Verständlichkeit von 512 f., 51664, 51978, 520 ff., 525103, 526107, 527111, 529, 532 ff., 535, 537, 540166 , 560, 563298, 564299, 565, 587 – zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme 511 ff., 51977, 520, 523 f., 526, 529, 533 f., 536, 540166 Allgemeine Handlungsfreiheit siehe Handlungsfreiheit, allgemeine Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) 238 f. Anfechtung von Willenserklärungen – Abgrenzung zwischen § 123 BGB und § 138 BGB 438 ff. – Ausschluß der 428, 451, 460, 463, 484 f., 645 – dingliche Wirkung 488 – Eventualanfechtung 404, 428, 469 – kassatorische Wirkung 429, 488544 – trotz eines vom Gegner erkannten Irrtums 426 ff. – wegen arglistiger Täuschung 104, 108108, 137, 190, 225, 404, 405 ff., 414, 419 ff., 430 ff., 439, 444 f., 464, 468437, 473, 484 ff., 487540, 489, 493, 495, 505, 603, 634 f., 644 ff., 651 – wegen Drohung 104, 108108, 190, 225, 404 f., 426 f., 432 ff., 439, 444 f., 487540, 489549, 634 f., 644 – wegen Irrtums 94, 108, 163, 190, 224 f., 261, 332, 350, 360 ff., 363 ff., 3973, 398, 400 ff., 423154, 426 f., 430, 446 ff., 459 ff., 462 ff., 468, 470, 472 ff., 475468, 483 f., 502 ff., 505, 526, 555, 594 f., 603, 640, 643, 645 ff., 651, 657, 659 – wegen Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften 174, 208347, 429197, 446296 , 456, 474 ff., 504, 505624, 634, 647, 651 – Unverzüglichkeit 457 ff. – Verhältnis des § 123 BGB zur culpa in contrahendo 487 ff.

– Verschuldenserfordernis 402, 423, 461 ff., 474, 646 f. Anfechtungsgrund, vorübergehender Wegfall 486 f. Annahmeverweigerungsrecht 1039, 24634 Anscheinsvollmacht 181158 Anspruchsverzicht 259111, 260, 428196 , 445, 459, 549221, 552, 599, 601 Äquivalenz – objektive 217, 217, 219 ff., 581 – subjektive 203, 206, 217 Äquivalenzmangel 216 Äquivalenzprinzip 177, 203, 217 ff., 221 f. Äquivalenzverhältnis 581 Arbitrage 149, 150358 Arglist, Begriff 424 ff. Aristoteles 16661, 167 f., 169 Arzthaftungsrecht 5 Assimilationspflicht 292265 Aufhebungsvertrag 259109, 472, 473461, 510, 542 f., 600504, 657 Aufklärungspflicht – allgemein 59, 23, 944, 109114, 172 f., 187, 209, 211, 213380, 222, 232 f., 235, 299291, 31726 , 341152, 349, 405, 407, 408 ff., 432, 454, 491, 492576 , 496 f., 504, 549220, 578371, 631, 634, 636, 644, 649, 651 – gegenüber Sprachunkundigen 13, 137 ff., 172 f., 413 f., 488548 – kollisionsrechtliche Anknüpfung 129, 138 ff. – Einzelkriterien 415 ff. – gesetzliche 420 ff. – Voraussetzungen 411 f., 644 f. Ausdruckssorgfalt siehe Verständlichkeitsobliegenheit Ausgleichsquittung – allgemein 127, 141, 257 ff., 345, 353, 363, 399 f., 412, 420, 450326 , 453339, 509 f., 542, 544 f., 547, 549 ff., 563, 598 ff., 640, 643, 646, 657 – Anfechtung wegen arglistiger Täuschung 406 f., 414105, 427, 429 f., 473, 645 – Anfechtung wegen Irrtums 399, 428 ff., 453339, 459 ff., 647 – Anfechtung wegen Drohung 427184, 434

Sachregister

– arbeitsrechtliche Besonderheiten 551 f. – Bereicherungsrecht 471 ff. – Bestandteile 257 f., 459 – Dissens 365 f. – Sittenwidrigkeit 442, 444 f. – These der Unanfechtbarkeit 459 f. – Überraschungseffekt 550 f., 553 f. Aushandeln von Vertragsbedingungen, Begriff 508, 589495, 606 Aushang von AGB 509, 511, 514 f., 522 ff., 653 f. Auslandsklausel in AVB 596 f. Auslegung – autonome 29, 53 ff., 58 f., 63, 95 f., 102, 116158, 135, 138, 140, 142 ff., 145, 147 f., 151, 304, 395, 506, 608, 613, 615 f., 623, 660 – beiderseits interessengerechte 153, 220, 317, 367, 368295, 370, 373 ff., 390, 392, 641 f. – einheitliche 9512, 136279, 144, 573, 613573 – enge 85, 126, 372314, 480, 568, 586 435, 615 f., 613 ff., 623, 660 – ergänzende 200296 , 32039, 351199, 367 ff., 372, 374, 378342,345, 382, 392, 570 f., 582, 639, 641, 658 – generalisierende siehe objektivnormative – fremdsprachiger Begriffe 326 f., 381 ff. – grundrechtskonforme 174 f., 206 – individuelle 336124,125, 334, 337 f., 344, 361, 363268, 395, 399, 450 – mehrsprachiger Verträge 392 ff. – objektiv-normative 320, 324 ff., 343, 345, 355218, 357, 363 ff., 395 f., 447, 449317, 583405, 638, 657 f. – richtlinienkonforme 51664, 541, 588 ff., 593 – systematische 234, 583405 – teleologische 15811, 234, 393, 642 – von Allgemeinen Geschäftsbedingungen siehe Allgemeine Geschäftsbedingungen, Auslegung – von Verträgen 220, 319 f., 31832, 352, 358239, 367 ff., 381 f., 384370, 391, 394, 428196 , 641 – Vorrang der allgemeinen Wortbedeutung 561 ff., 657

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– Vorrang der Auslegung vor der Anfechtung 366, 398 ff., 426, 428, 450, 643, 645 Auslegungssorgfalt 32361, 334 ff., 338, 340 ff., 343 f., 346 ff., 350, 353 f., 363, 396, 398, 400, 638 f., 643 Auslegungsverantwortung siehe Auslegungssorgfalt Ausschluß der freien Willensbildung 249 Aussiedler 121202, 271168, 443, 555255, 595485 Austauschgerechtigkeit siehe iustitia commutativa Äußerungstheorie 274182 Autonomistische Theorie siehe Vorrangtheorie Beförderungsbedingungen in englischer Sprache 534 Begriffsjurisprudenz 158 Behauptung ins Blaue hinein 406 Behinderung, körperliche – allgemein 509, 513 ff., 520, 652 – und „Sprachrisiko“ 515 f., 652 Benachteiligung – von nicht unerheblichem Gewicht 579 – Unangemessenheit der 579 f., 597, 599 Beratung, situationsbezogene 419 Beratungspflichten – allgemein 129, 138 ff., 409, 418129, 419, 496, 499 f., 650 – selbständige 499601,602, 650 – unselbständige 499601,602, 650 Berechtigtes Interesse 146, 430, 436, 612 Berufs(ausübungs)freiheit 22, 240 Beschaffenheitsvereinbarung 496, 500, 650 Besonderheiten des Arbeitslebens – rechtliche 551 f. – tatsächliche 551 f. Bewegliches System siehe System, bewegliches Beweis(sicherungs)funktion 144 f., 218416 , 310 Bewußtlosigkeit 248, 278, 289 Bilder und Symbole als Ersatz für sprachliche Angaben 70 ff. Billigkeit 167 f., 170 Billigkeitsdezision im Einzelfall 163

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Sachregister

Billigkeitsjurisprudenz 174106 , 226, 227467 Binnenmarktkompetenz gemäß Art. 95 EG 15 ff. Blanketturkunde 455355 Buchstabeninterpretation, Verbot der 319, 355219 Bürgschaft 127 f., 141, 145, 206 f., 216, 24843, 256 f., 309329, 310 f., 31726 , 363 f., 378344, 411, 416120, 436243, 440, 443, 449, 456356 , 458371, 463403, 464 ff., 468 f., 473, 51978, 546204, 548, 550228, 551, 555, 640, 645 f. Bürgschaftsstatut 141306 buta ember 57 Chance zum gerechten Vertragsschluß 146, 189 f., 194, 197, 200297, 204 f., 222 Chauvinismus 268, 292 cheapest cost avoider 214 f. Cicero 168, 216 civilis aequitas 169 claris non fit inerpretatio 351199 Coase-Theorem 215392, 635 conditions 384 f., 391402, 394, 575, 576 f. construction clause 387387, 391, 642 contra legem-Judizieren 161, 172 course of dealing 111125 culpa in contrahendo 137, 150356 , 188, 397 ff., 410, 413, 419 f., 424, 425174, 454, 479495, 487 ff., 497 ff., 502 ff., 634, 645, 648 ff. c.i.c.-Statut – allgemein 137 ff. – und sprachenbezogene Pflichtverletzungen 140 ff. Datumlehre 109, 633 Dauer der Wahrnehmbarkeit 276193, 297 Dauerschuldverhältnis 235, 292, 351, 412, 484 deadfreight 389397 deep pocket-Doktrin 223 f., 635 Denkender Gehorsam 158, 16241 Deutungsdiligenz siehe Auslegungssorgfalt Dezisionismus 12, 1916 , 21, 160, 173 Dienstleistungsfreiheit 21, 81 ff., 87 ff., 270, 632

Differenzprinzip 177, 222 f. Direktunterrichtsvertrag 602 Dissens – Abgrenzung zum Irrtum 360 ff., 449, 640 – allgemein 102, 32891, 331, 333, 345, 353214, 356 ff., 360, 393 ff., 401, 428196 , 449, 640, 642 – bei nonverbalen Erklärungen 366 – logischer 358 ff. – offener 102, 358, 360, 365 – Teildissens 360 – Totaldissens 358 ff., 363, 366, 375328, 396, 640 – bei Ausgleichsquittungen siehe Ausgleichsquittung und Dissens – und „Sprachrisiko“ siehe „Sprachrisiko“ und Dissens – versteckter 102, 333, 339141, 358, 360, 40126 Distanzgeschäft 114 f., 127 f., 132, 141303, 243, 332105, 333, 509, 52184, 526 f., 533 f. Dock- und Reparaturbedingungen 575 ff. Dolmetscher 4, 241, 265, 283, 293, 310, 347, 349186 , 384, 416120, 441, 448313, 461, 464 f., 470, 474, 51978, 647 dolus – bonus 424 – eventualis 421, 467 – malus 424 Dritter, Begriff 430 Drohung – Begriff 433 – mit einem unerlaubten Mittel 436 – mit einem unerlaubten Zweck 435 – mit einem Unterlassen 433 – subjektiver Tatbestand 437 f. – Verwerflichkeit der Zweck-MittelRelation 436 f. – Widerrechtlichkeit der 435 ff. due diligence 410 Duldungsvollmacht 181158 edictum de pretiis rerum venalium 186193 Eigenschaft, verkehrswesentliche – Begriff 477 ff., 647 – bei Personen 480 f., 647 – bei Sachen 479 f.

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Eigenschaftsbegriff – objektiver 500, 650 – subjektiver 500, 501611, 502, 650 Eindeutiger Wortlaut 260, 313, 350 ff., 639 Einheitslösung für das „Sprachrisiko“ 6 Einmalbedingungen 589 Empfängerhorizont – Lehre vom 116, 249, 313, 316, 318, 319 ff., 322 f., 32463, 325 ff., 333 ff., 340, 343 ff., 348, 350, 354 f., 361, 374, 395 f., 432, 598, 638 f., 644 f. – spezieller 330, 334112, 638 ff. Empfängerirrtum 3973 Empfangsbote 276195, 301 ff., 637 Empfangstheorie 268159, 274 f., 278, 279209, 284, 288246 , 290, 300, 636 Empfangsvertreter 301 f., 637 Engere bzw. engste Verbindung 98 ff., 118, 141305, 152370 Entäußerungstheorie 274182 Entscheidungsfreiheit, rechtsgeschäftliche 184, 185 ff., 194 f., 200297, 206, 206338, 207339, 208343,344, 213, 235524, 40551, 444, 445291, 490 ff., 495582, 505, 590455, 591, 635, 648, 652 Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Mitteilung der Kommission über die Verwendung der Sprachen beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln 1814, 2021, 2125, 25 f., 52150, 61206 Erfüllungshaftung, verschuldensunabhängige 425, 488545, 645 Erfüllungsort 611 f. Erklärendenverantwortung 341, 347 ff., 354, 395, 639 Erklärungsbewußtsein 10269, 116, 127, 128227, 141, 183, 250 ff., 256 ff., 403, 448309, 450, 643 Erklärungsbote 255, 276195, 302 Erklärungsirrtum 163, 361, 363, 366, 40020, 403, 446296 , 447, 451, 453345, 454348, 455 f., 459, 462, 475468, 504, 505624, 643 Erklärungstheorie 273, 274182, 289, 398 Erlaß(vertrag) 257, 259109, 260113, 345, 366 f., 443275, 470 ff. Ermessen, gelenktes 226

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error in faciendo 455350 error in judicando 448311 error in substantia 474467 error iuris nocet 451 essentialia negotii 217, 222, 32891, 358, 363, 558, 581, 581392, 595, 597, 640, 657 Evidenz 340 f., 348, 396, 430203, 640 exceptio doli (generalis) 269162, 428196 exception clause 386382 extrinsic evidence 382358 Fachsprachengebrauch 58, 60, 329, 349, 561 ff., 581, 657 falsa demonstratio non nocet 123213, 318, 330 f., 337, 337135, 346171, 356223, 387, 389, 391, 396, 399, 449, 561, 564, 637, 642, 658 favor negotii 142 FOB-Klausel 328, 395416 Form, gewillkürte siehe Formvereinbarung Formbegriff – der EuGVVO 619 ff. – des Internationalen Privatrechts 142 ff. – des BGB siehe „Sprachrisiko“ als Formproblem – erweiterter 144 ff., 306, 308 ff., 310 f., 637 Formfreiheit, Grundsatz der 307, 309 Formstatut 142 ff., 146 f. Formvereinbarung 146 f., 307 Formzwang 309330, 310, 622630 Freie Sprachenwahl, Grundsatz der 2853, 31, 42, 117 ff., 122205, 124, 146 f., 240 ff., 267 ff., 270, 272, 305, 397, 517 f., 632 f., 636 Freirechtslehre 12, 16134, 226467 Fürsorgepflicht des Arbeitgebers 353, 412, 420 Garantieerklärung in englischer Sprache 61202, 66229, 534134, 654 Garnschlußbrief 31519 Gefahrtragungsregel, „Sprachrisiko“ als 8 f. Geltungserklärung 122205, 306, 366 Gemeinschaftsreue, Grundsatz der 29, 193

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Gerechter Preis siehe iustum pretium Gerechtigkeitsidee 225 Gerichtsstandsvereinbarung 130, 132, 134 ff., 506, 510, 595, 608 ff., 618 ff., 622 ff., 626 ff., 660 f. Geschäftsirrtum 447, 456356 Geschäfts(un)fähigkeit 143, 186, 192, 199, 231505, 248 ff., 280, 289, 621621 Geschäftsstatut 107101, 108, 121, 125, 128, 145, 382357, 389 Geschäftswille 128, 141, 250 ff., 256, 260113, 261, 340145, 353, 448, 639 Gesetzeslücken, Ausfüllung von 162 f., 368290 Gesetzespositivismus 168 Gestaltungsmacht, Ausübung von 198, 200298, 507 Gestik und Mimik 113, 263, 280, 301, 348, 434 f. Gesundheitsschutz 44 ff., 51 Gewährleistungsrecht und culpa in contrahendo 497 ff. Gleichlauf zwischen Vertragsstatut und Sprachenstatut 117 ff., 121, 124, 633 Gleichrangtheorie 152 Gran Canaria-Fälle 10479, 531 Grosrollen-Fall 450327 Guidelines-Fall 380 Haakjöringsköd 31830, 319, 337, 339, 364, 389, 396, 642 Handelsbrauch 9728, 111125, 131247, 149 f., 153 f., 387, 534, 537, 541, 557261, 566, 576, 605 ff., 613, 615596 , 619 ff., 626 ff., 654, 660 f. Handlungsfreiheit, allgemeine 178 ff., 191, 193, 240, 337, 494, Handlungswille 250, 252 f., 256 Heck, Philipp 158, 322, 324 Heimatrecht 94, 105 ff., 112 ff., 118, 126, 128, 133259, 146, 156, 382 f., 388 f., 391, 455, 527, 532, 557, 565307, 574, 576, 580, 625, 633, 642 Heimatsprache 18, 26, 53, 116 ff., 123212, 421146 , 518, 520 f., 533131, 537, 631, 652 „Heimwärtsstreben“ zum eigenen Recht 94 Hermeneutik 55170, 165 f., 16870, 231503

Hinweis auf AGB siehe Einbeziehungshinweis Historische Rechtsschule 171 f. Höchstharmonisierung 53 Hoheitliche Gestaltung der Lebensverhältnisse 186, 193 f., 198 f. Holzeinschlag-Fall 376334 Hypothetischer Ausleger 324 Ikea-Klausel 502614 implied terms 370304 Incoterms 396 indeminity clause 384368, 385 ff., 388 f., 394413, 566314 Individualabrede 390, 50811, 561, 564, 658 Individueller Beurteilungsmaßstab bei der Inhaltskontrolle von AGB 188209, 587 ff. in dubio pro informatione 211, 214 Informationsasymmetrie siehe Informationsgefälle Informationsgefälle 208 f., 211, 213, 221, 497591 Informationsgrundsatz 207, 209 f., 211, 213, 216, 504, 635 Informationspflicht – allgemein 208 f., 213 – gesetzliche 420 ff., 647 f. Informationsrisiko 173100, 214 ff., 40983 Informationsverantwortung 341, 638 f. Ingerenz 429197, 432213, 433 Inhaltsirrtum 163, 338, 3973, 426, 447, 448 f., 450 ff., 455, 459, 462, 464, 468, 469439, 472 Inhaltskontrolle von AGB siehe Allgemeine Geschäftsbedingungen, Inhaltskontrolle Integritätsinteresse 139 ff., 491570 Interesse, negatives siehe Vertrauensschaden Interessenabwägung 2125, 106, 113 ff. 129, 164, 226 466 , 288246 , 369, 371, 578, 580, 593, 596, 659 Interessengegensatz 408 ff., 559, 644 Interessenjurisprudenz 158, 16134 Interessenwahrung 408 ff., 644 Internationalität des Rechtsgeschäfts 328 Intransparenz

Sachregister

– allgemein 68239, 531, 549220, 582, 599 f. – isolierte 583 ff., 597, 599 – Rechtsfolgen der 582 f. invitatio ad offerendum 107, 113, 24845, 345167, 51235, 532 Iranerin-Fall 256, 448 f., 451328, 464 f., 519 Irrtumslehre, psychologische 163, 398, 446 f., 480 Irrung 40236 , 455 iustitia commutativa 16870, 195, 202312, 368 iustitia distributiva 16870, 195 iustum pretium 203, 206, 219, 581392 Jhering, Rudolf von 1587,11, 321, 353214, 362265, 639 joint venture-Verträge 9832 Kant, Immanuel 169 ff., 182166 , 185, 192 Kardinalpflichten 68239, 51341, 562 Karneades 168 f. Kaufmännisches Bestätigungsschreiben 110 ff., 120196 , 125, 133 f., 135276 , 156, 181, 31519, 455, 509, 534, 536, 540, 556 ff., 580383, 608547, 618 ff., 622 ff., 633, 660 Kausalität – subjektive 40556 , 423, 435, 483 – zwischen Drohung und Erklärung 434 f. – zwischen Irrtum und Erklärung 423, 456 – zwischen Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft und Erklärung 483 f. – zwischen Täuschung und Erklärung 40556 , 423 Kenntnisnahme (Möglichkeit der) 131, 135, 24324, 24327, 274 f., 277 f., 282 ff., 287 ff., 294, 296 f., 301, 311355, 313, 342, 39913, 461386 , 511 ff., 515, 51977, 520, 523 ff., 529 f., 533 f., 536, 540166 , 636, 653 Klarheit – Begriff, 54 ff., 58 ff. – und Verständlichkeitsgebot 14, 3163, 39, 41116 , 52 ff., 58 ff., 61, 65, 68, 74, 76, 79, 92, 347, 560, 581, 632, 639 Kollektiv ausgehandelte AGB siehe

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Allgemeine Geschäftsbedingungen, kollektiv ausgehandelte Konsens – allgemein 103, 125 f., 136280, 156, 337, 356 ff., 400, 475468, 520, 558, 633 – materieller 619 f., 660 – natürlicher 319, 360, 400 – normativer 356 f., 360 ff., 366, 40124 – realer siehe natürlicher Kontrollprinzip 217, 221 f. Kopfnicken als Ablehnung 366 Kreissägen-Fall 487540, 501611 Kundengruppe – homogene 509, 517, 524, 526 f., 555 ff., 598, 652, 654, 656 – typische 544 Kündigung aus wichtigem Grund 481506 , 603 Kündigungserklärung 2408, 265, 272, 280214, 282 ff., 313, 467 Kündigungsschreiben siehe Kündigungserklärung laesio enormis 217 f., 220 „Lagertheorie“ 431 Landschadensklausel 390 Lehre vom erweiterten Inhaltsirrtum 450319 Lehre vom erweiterten Sachverhaltsirrtum 446296 , 479 Lehre vom erweiterten Zugangsbegriff 287 Lehre von der charakteristischen Leistung 9833 lex causae 115150, 123209 Lexikon-Fall siehe Universallexikon-Fall lex mercatoria – allgemein 9728, 148 ff., 385379, 561 – Begriff 149 f. – und Allgemeine Geschäftsbedingungen 561 – und Sprachenfragen 150 ff., 633 – Verhältnis zum staatlichen Kollisionsrecht 151 ff. loi Toubon 78275, 81 f., 83 ff., 87 ff., 240 low performance 476, 647 Machtbereich, Hineingelangen in den

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Sachregister

273176 , 274180, 275, 276190, 282, 287, 290, 294, 303305, 313, 636 Mach(un)gleichgewicht zwischen Kontrahenten – allgemein 186 ff., 201, 589 – intellektuelles 188209, 190, 5076 , 586, 588444, 590 ff., 635, 641, 658 f. – wirtschaftliches 188209, 189 f., 5076 , 586, 590 ff., 635, 641, 658 f. – und Selbstbestimmung 186 ff. Mangelbegriff – objektiver 501 – subjektiver 496 Marktzugangshindernis 1916 , 21 f., 24, 64218, 75, 77, 90 f. Mehrdeutigkeit von Erklärungen 342156 , 343, 347176 , 360, 363268, 364, 401 f. Melkmaschinen-Fall 491 Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung, auffälliges 195, 217409, 218 ff., 439265 Mitteilung der Europäischen Kommission betreffend den Sprachengebrauch für die Information der Verbraucher in der Gemeinschaft 143, 25 f., 2852, 44, 52150, 527 f. Mitverschulden des Geschädigten 229, 418128, 489 Montageanleitung, fremdsprachige 73257 Motivirrtum – allgemein 200, 361, 416, 446295, 453 f., 456, 471, 474466 , 475 ff., 479, 493, 502 ff., 649, 651 f. – erkannter 502 f. – Rechtsfolgenmotivirrtum 453 ff. – sprachenbedingter 505 – und fahrlässige Irreführung 503 f. naturalis iustitia 169 Naturalrestitution 479495, 492, 495, 505, 649, 651 Nikomachische Ethik 16661, 167 f. Normalerklärung 467 Obhutspflichten, kollisionsrechtliche Anknüpfung 138, 139 Objektive Anknüpfung 98 ff. Offenes System siehe System, offenes

Optionsregelungen 26 f., 79 ordre public 932, 104, 108, 137 Original und Übersetzung , Verhältnis 565 ff. Ortsstatut 145 pacta sunt servanda 150356 , 181, 447303 pactum de non petendo 258, 259109, 473461 parol evidence rule 382358 Parteiautonomie 97, 102, 117 f., 270165, 339143, 368, 379 penalty clause 383, 384368, 385 f., 388 perils at sea 391402 Perplexität siehe Willenserklärung, perplexe perils of navigation 386382 Phantasiebezeichnung 331 Polnisches Sprachschutzgesetz 82, 90 f., 240 Preisgerechtigkeit 581 siehe auch iustum pretium Privatautonomie – Prinzip der 20, 97, 177 ff., 180, 182 f., 185, 187, 193 f., 199286 , 203315, 205, 206336 , 209, 214392, 224452, 225, 229 ff., 258, 291, 292266 , 307321, 320, 336, 337133, 359, 371 f., 372315, 377 ff., 390 ff., 40983, 41193, 480497, 500, 578374, 603, 629475, 633 f., 637 f., 641 f., 650 – Vorrang der 193, 258, 336, 378, 392, 500, 637, 642, 650 Prorogation 595484 Prorogationsstatut 135 Protokoll-Fall 349 f. Quittung 81, 257, 363, 400, 429, 459, 469 ff., 544, 547, 549 f., 563, 599, 601 Rahmenrichtlinie, sprachenbezogene 1814, 23 ff. Realakt 113 reasonable man 326, 352, 370304, 456 Recht und Gesetz, richterliche Bindung an 162 Rechtsfolgenirrtum 451 ff. Rechtsfolgenmotivirrtum 453 f. Rechtsfortbildung 150358, 160, 16242,43, 233 f., 447, 496

Sachregister

Rechtsidee 177, 232 Rechtsirrtum 384370, 451333, 452 Rechtsmißbrauch 150356 , 243, 247, 268 ff., 291, 295, 301, 305, 339 f., 381352, 484, 636, 647 Rechtsordnungsloser Vertrag 152 Rechtspositivismus 12, 157, 16033 Rechtsprinzipien – allgemein 12, 157 ff., 279, 291 f., 320, 362265, 398, 403, 412, 416, 447, 458, 634 f., 643 – Begriff 175 ff. – Ergänzungsfunktion 160 f. Rechtssicherheit 118, 16243, 177 f., 198, 230499, 232 f., 285, 288 f., 291 f., 343, 415111, 607, 614, 614586 , 616, 626, 630, 661 Rechtswahl 97 ff., 101, 106, 111 f., 114, 118, 122 f., 125 f., 136280,281, 137, 141305, 151 ff., 370, 393412, 394, 517, 531 f., 633 Rechtwahlklauseln in AGB 134 Regionalsprachen 3, 1044 Rejection-Versicherung 384 Restriktionsprinzip 568 Revisibilität von AGB – ausländische 571, 572 ff., 658 – inländische 573 – fremdsprachige 571, 575 ff., 658 Richtigkeit(sgewähr) des Vertrags 194, 196 ff., 585 Richtigkeitskontrolle von Vertragsinhalten 194 ff., 221 Risikobeschreibung in Versicherungsverträgen 581392, 586 f. Risikoerklärung 357, 467 ff., 471, 474, 522, 540, 554 f., 582392, 595, 603, 646, 656, 659 Risikogedanke 446, 479 Risikoprinzip 177, 223 Savigny, Friedrich Carl 171 f., 192, 397, 407, 447, 474, 474467, 478, Schadensersatz, pauschalierter siehe indemnity clause Scherzerklärung 264 f. Schiedsrichterfunktion des Verbrauchers im Wettbewerb 175 Schriftlichkeit, halbe 619, 622

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Schuldanerkenntnis, negatives 257, 259109, 345, 445290, 470 ff., 549 f. Schutzpflicht, richterliche 178, 206, 372, 378 Schwächerenschutz 165, 173, 188, 210, 221 ff., 307338, 348181, 372314, 392, 442, Selbstbestimmung – fehlerhafte 190, 205, 206336 , 207, 448, 451, 485 – formale 186, 189, 451333 – materiale 186, 191, 249 – Prinzip der freien 16241, 177 ff., 180 ff., 185 ff., 191 ff., 196, 200, 205, 217, 224 f., 231, 249, 251, 25269, 25589, 292266 , 320, 337133, 362265, 379, 390 f., 404 f., 40983, 412, 415, 435, 437, 447, 452, 487, 634, 638 Selbstbestimmungslehre 202 f. Selbstbestimmungsrecht der Wirtschaft 154 Selbstverantwortung, Prinzip der 16241, 177 f., 180 ff., 184 f., 188, 190, 214, 225, 249, 251, 25589, 279, 291 f., 294, 320, 333, 341, 343, 348 f., 353214, 355, 357, 377, 379, 402 f., 408, 40983, 410, 412, 415 f., 422, 432, 451333, 497, 504 f., 512, 525, 540, 554 f., 581392, 601, 603, 634, 638 ff., 643, 645 f., 648 f., 651 f., 652, 656, 659 Semilodei-Fall 31831, 331, 332105, 333110, 334, 360252 silence circonstancié 110 Sittenwidrigkeit – allgemein 510, 932, 104, 115, 153, 173, 179, 188214, 190, 195, 206, 217 ff., 221, 416120, 419 f., 428, 436239, 438 ff., 442 ff., 581392, 603, 614, 635, 641, 645 – Inhalts- 443, 645 – Umstands- 443, 645 Skeptische Akademie 168 f. Sonderanknüpfung – bei AGB 130 ff. – kumulative 105 ff., 109, 110119, 112 ff., 135 f., 156 – der Rechts- und Geschäftsfähigkeit 105 – der Vollmacht 382 – des Schweigens 115 – des „Sprachrisikos“ 106, 108106 , 116 ff., 126, 128, 140303, 142, 147, 155, 633

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Sachregister

– und Sittenwidrigkeit 104 Speisekarten-Fall 353214, 362265, 639 Spielballtheorie, informationsbezogene 341 Sprache – allgemein verständliche 36 – als kulturelle Angelegenheit 19 f. – (Heimat-)Sprache des Verbrauchers 18, 26, 53, 69, 422, 527116 , 529 f., 631, 648, 658 – in Finanzkreisen geläufige 36 f., 69242 – klare und verständliche 27, 29, 51 ff., 66, 68, 560, 581 – leicht verständliche 27, 38, 43122, 48, 51, 52150, 56, 60 ff., 66 ff., 70 ff., 74 ff., 92, 533, 564, 632 – verkehrsübliche 242 ff., 269, 305, 537 Sprachendivergenz 720 Sprachenfreiheit, Grundsatz der siehe Sprachenwahl, Grundsatz der freien Sprachenstatut 116 ff., 126, 633 Sprachenwahl – allgemein 31, 42, 117 ff., 121 f., 124, 147, 304, 517 f., 632 f. – als Geltungserklärung 122206 – ausdrückliche 117, 147 – Grundsatz der freien 2853,120, 146, 240 ff., 247, 267 ff., 272, 305, 397, 632 f., 636 – stillschweigende 117 Sprach(en)zwang 123212, 147335, 24112, 295, 631 Sprachgebrauch – abweichender 336121, 339, 341151, 343, 577 – allgemeiner 9, 143311, 317, 350, 530, 561 ff., 657 – artifizieller 349 – örtlicher 328 f., 331 ff. – technischer 349 Sprachregeln – abgeleitete 50 ff., 60, 66 f., 69 – allgemeine 307323 – ausdrückliche 28 f., 30 ff., 44, 51, 69 – gesetzliche 1038,39, 245 ff., 295, 305 f., 309 – im EG-Sekundärrecht 14 ff., 23, 38, 53, 63, 69 f.

– implizite siehe mittelbare – mittelbare 14, 68 f., 525101 – nationale 80 f., 92, 632 – vertragliche 121199, 307321, 309 Sprachregulierung – allgemein 5, 11 f., 14 ff., 21, 23, 37, 80, 147, 631, 633 – ausdrückliche 28 f. – Begriff 9 ff., 631 – konkrete 22 – sekundärrechtliche 26 ff. – und Fernabsatzgeschäfte über Finanzdienstleistungen 530 f. „Sprachrisiko“ – als Auslegungsrisiko 312, 345, 354 – als Erklärungsrisiko 253 f. – als Formproblem 304 ff., 308 ff., 311, 626 ff. – als Irrtumsrisiko 432, 446, 456, 462, 481510, 503618, 504 f., 643, 645, 651 – als Rechts(begriffs)risiko 314, 450326 , 556 f., 637, 641 – als Übermittlungsrisiko 303 f. – als Übersetzungsrisiko 315, 537, 654, 656 – als Zurechnungsproblem 261 ff. – bei mündlichen Erklärungen 297 – Begriff 5 ff., 631 – bei Abschluß eines Arbeitsvertrags 357 – bei der Einbeziehung von AGB 537 – im Verfahren 4 – kollektives 555, 656, 659 – und Dissens 362 ff. – und ergänzende sowie interessengerechte Auslegung 380 ff. – und Inhalts- und Transparenzkontrolle von AGB 595 ff. – und Sittenwidrigkeit 439 ff. Sprachunkenntnis, erkannte 423, 648 Standy Letter of Credit 381, 389398 stat pro ratione voluntas 189 Statutenkumulation 146 Stellvertreter des Erklärungsadressaten 301 ff., 431, 522, 621621 Stoa, antike 168 f. Störung der Geistestätigkeit – krankhafte 248 – vorübergehende 278

Sachregister

Strohmann 431 Subsidiarität, Grundsatz der 15 ff., 22, 25 f., 28 f., 53, 87 f., 240, 528 f., 632 Subsidiaritätstheorie 153 f. Substitutionsanalogie 234523 System – äußeres 16026,32 – bewegliches 159, 226 ff., 341152, 415, 634, 644 – der freien Preisbildung 480 497 – geschlossenes 15811 – inneres 16032 – offenes 154, 157 ff., 635 – teleologisches 176, 635 Systemlücken 159, 161 Systemverträglichkeit 221431 Tatsachenirrtum 452 Taubheit 24327, 267, 278203,204, 298, 299291, 300 Täuschung – aktive 406 f., 493 – arglistige siehe Anfechtung wegen arglistiger Täuschung – Begriff 405 – fahrlässige 422, 488, 645 – von Sprachunkundigen 431 f., 644 – vorsätzliche 137, 421, 495 – Widerrechtlichkeit der 426, 437254 – durch Unterlassen 407 f. Tegernseer Gebräuche im Holzhandel 605 Telquelerklärung 466 f., 595 termination indemnity 394413 to follow clause 393412, 394413 Topik 228, 634 Totaldissens siehe Dissens Transparenz, Grundsatz der 29, 207, 563, 583, 657 Transparenzkontrolle von AGB siehe AGB, Transparenzkontrolle Transparenzgebot – allgemein 51 ff., 58, 60, 62, 207342, 51664, 525103, 527116 , 528 f., 541, 559 ff., 563, 568322, 580, 581 ff., 587, 596 f., 599, 632, 658 – bei AGB siehe Allgemeine Geschäftsbedingungen, Transparenzgebot des AGB-Rechts

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Transportrisiko bei Willenserklärungen 275, 284 Treu und Glauben – als Grundlage der Auslegungssorgfalt 336, 395 f. – als Grundlage der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen 578 – als Grundlage eines Anfechtungsausschlusses siehe Anfechtungsausschluß aus Treu und Glauben – als Grundlage von Aufklärungspflichten siehe Aufklärungspfl icht – autonomes Verständnis im internationalen Vertragsrecht 618605 Trierer Weinversteigerungsfall 263, 450 Türken-Fälle 417 ff., 424 f., 556 Typenflug-Fall 360252 Typusbegriff 228, 234522 Übereilungsschutz 310 Überlegenheit siehe Unterlegenheit Überraschende Klauseln 136, 541 ff., 543 ff., 554, 558, 656 Überraschungseffekt 541, 545 ff., 548, 549221, 550 f., 553 f., 556 ff., 590, 657 Überrumpelung siehe Überraschungseffekt Übersetzungskosten 21, 119 Übersetzungspflicht 4, 19, 30, 34 ff., 44, 84291, 140, 187, 239, 24218, 287238, 347, 51875 Umfeldrecht 103, 105, 108, 109, 112, 114, 116, 126 f., 130 Umstände der Erklärung 327 ff. Umweltrecht 103, 105, 109, 110119, 112 ff., 116, 125 ff., 455, 545203 Unerwünschter Vertrag 362, 490 ff., 496, 649 Ungelesen unterschriebene Urkunde 365, 402 f., 412, 459, 460378, 462 ff., 472 ff., 555253, 601, 643, 646 f. Ungewöhnliche Klauseln 136279, 541, 543 ff., 551, 553245,246 , 555 Ungleichgewicht siehe Unterlegenheit UNIDROIT Principles 9727, 155, 360249, 40126 , 429197, 446294,296 , 454348 Universallexikon-Fall 493 ff., 501, 504622, 505

692

Sachregister

Unklarheitenregel 566, 567 f. Unterhaltsverzicht 510, 441 f., 645 Unterlegenheit – Arten 207 f., 210 – faktische – informationelle 497, 649 – intellektuelle 165, 214387, 444288, 445, 560281, 578 f., 658 f. – rollenspezifische 590452 – situative 589451 – soziale 560281 – strukturelle 196, 206337, 212, 221 f., 40983 – wirtschaftliche 165, 187205, 210357, 216 402, 560281, 578 f., 586, 630, 658 f. Unterschriftsirrtum 450 f., 455 f., 459, 462, 474, 647 Verantwortlichkeitsprinzip 320, 638 Verbraucher – Arbeitnehmer als 509, 542 f. – Begriff 1813, 210, 542 – Leitbild 67, 212, 213383, 231, 505 – Status 212 ff. Verbraucherschutz 14 f., 156 , 1814, 2023, 21 f., 2329, 24 f., 29, 40 f., 48, 50 f., 58, 60, 72, 75, 78 f., 84 f., 89, 92, 100, 113140, 134, 147335, 207, 208342,349, 209 ff., 213 f., 223, 421, 494581, 527, 528121, 529 ff., 542, 569, 598, 632, 635, 647 Verbraucherschutzrecht 25, 51, 58, 60, 207342, 208, 210363, 422 f., 543183, 647 f. Verdingungsordnungen 606 f., 660 Vereinbarungsbegriff des EuGVÜ 617 Vereinbarungsbegriff der EuGVVO 621, 661 Vereitelung des Vertragszwecks 40775, 416, 649 Verhältnismäßigkeit, Grundsatz der 15, 1712, 21 f., 24 ff., 29, 53, 71, 73, 78275, 79, 84 ff., 90 ff., 188, 240, 245, 271167, 282218, 632 Verhandlungs- und Vertragssprache, Grundsatz der 830, 146, 282218, 509, 517, 518 ff., 532 f., 538, 553, 595, 608, 609 ff., 616, 627 ff., 652, 655, 660 Verhandlungssprache – allgemein 8, 120, 422, 517 ff., 524,

529 ff., 532, 535 ff., 538 ff., 611, 628, 648, 652 ff., 660 – Gleichlauf mit der Sprache der AGB 536 f. Verkehrsschutz, Prinzip des 128228,231, 16241, 177, 180148, 180153, 182 f., 198, 216, 225, 249, 251 f., 25269, 25589, 279, 280215, 288 f., 291 f., 298, 302299, 303308, 316 f., 320, 333, 343, 353214, 362, 364, 398, 402 f., 415 f., 447, 451333, 458, 634, 636 ff., 640, 643 Verkehrssicherheit siehe Verkehrsschutz, Prinzip des Verkehrssitte 109, 243, 252, 261, 263, 319, 322, 330, 332107, 333, 335 f., 334, 350, 354 f., 368295, 369299, 371, 407, 409, 544, 552238, 644 Verlautbarungsirrtum 450 f. Vermögensschaden als Voraussetzung der Haftung aus c.i.c. 488, 490 ff., 648 f. Vernehmungstheorie – abgeschwächte siehe eingeschränkte – allgemein 273, 274182, 275, 278, 288, 293, 636 – eingeschränkte 279 f., 297, 298, 299 ff., 303 f., 316 ff., 636 f. – modifizierte siehe eingeschränkte – reine 279, 297, 300 f., 304, 316, 637 Verständlichkeit – Begriff 55 ff., 58 ff. – der Rechtssprache 3 – von Angaben 63, 65 ff. Verständlichkeitsgebot 14, 39, 52 f., 60, 68 f., 72 ff., 76, 79, 525103, 632 Verständlichkeitsobliegenheit 347 f., 350, 395, 639 Verteilungsgerechtigkeit siehe iustitia distributiva Vertragsaufhebung 23, 104, 490, 492, 496589, 649 Vertragsfreiheit, Grundsatz der 103, 195, 197269, 200297, 204, 218, 220, 412, 441, 542, 578 f. Vertragsgerechtigkeit 166, 199, 200296 , 202312, 204, 209353, 224452, 225, 233, 368, 370, 578, 602 f., 659 Vertragskorrektur, richterliche 179, 185 ff., 217, 219, 221 f., 371, 375 f.

Sachregister

Vertrags(schluß)mechanismus 189, 196, 197274, 198 ff., 204, 206, 585 Vertragsparität 165, 179, 196, 589, 591 Vertragssprache – allgemein 8, 42, 99, 244, 270, 305309, 306, 384368, 389, 416120, 655 – als Merkmal für die objektive Anknüpfung 100 f. – Lehre von der 305, 307, 311, 347176 , 349186 , 392409 – und AGB 509, 517 ff., 520, 532 f., 535, 538, 553, 608 ff., 611, 616, 652 – und Anfechtung 595 – und Form 305, 307 – und formularmäßige Gerichtsstandsvereinbarungen 609 ff., 627 ff., 660 – und Sprachenstatut 116 ff., 119 f., 120, 122 – und Verteilung des „Sprachrisikos“ 144317, 146, 242, 306, 311, 517 ff., 532 – und Zugang 282218 Vertragssprachendoktrin siehe Vertragssprache, Lehre von der Vertragsstatut – eigenständiges 116 ff. – hypothetisches 101 ff. – Vorwirkung 101 f. Vertragsstrafe 383, 385, 386381, 387, 542 Vertragstreue 224452, 225, 477478 Vertrauensverhältnis 411 f., 432213 Vertrauensschaden 225, 251, 332, 339, 360, 362, 461, 647 Vertrauensschutz, Prinzip des 150355, 180, 180153, 182 ff., 224452, 225, 251, 262, 300297, 338138, 362, 398, 415, 416121, 447, 457368, 479493, 541, 601, 644 Verweisungsvertrag, kollisionsrechtlicher 101, 104 Verzicht, rechtsgeschäftlicher 258 ff., 346, 363, 376 ff., 399, 407, 420, 429, 434, 442, 445, 459 ff., 464412, 467, 469, 469440, 470445, 544, 547, 549 f., 552, 552242, 563297, 598 ff., 640, 643, 657 siehe auch Anspruchsverzicht Verzichtswille 141304, 345170, 365 ff., 467428, 471 f., 473461 Videokatalog-Fall 572345,347, 575 vis absoluta 405

693

vis compulsiva 404, 433 Vollmachtsstatut 382 Vorrang der Auslegung 366, 398 ff., 428, 450, 643, 645 Vorrangtheorie 151 f. Vorsatzdogma, informationelles 490, 496 Vorurteil siehe Vorverständnis Vorverständnis 165 f. Warenverkehrsfreiheit, Grundsatz der 1916 , 21, 2125, 49, 50145, 63 f., 66, 74 ff., 78 ff., 83 ff., 87 f., 90, 494581, 632 Warnfunktion 188214, 310, 311333, 412, 440269 warranty 394 Wartepflicht des Anfechtenden 485 f. Wegfall des Anfechtungsgrundes siehe Anfechtungsgrund, Wegfall des Wegfall der Geschäftsgrundlage 217, 454 Weinsteinsäure-Fall 359240, 360252 Weltsprache 122, 150, 287, 295, 305, 528118, 536145, 538 ff., 654 ff. Wert des Ergebnisses 333, 376 f., 379, 390, 641 Wettbewerb 88312, 194 ff., 201306 , 204 f., 230 Wettbewerbshandlungen, unlautere 174 f. Wettbewerbsrecht 175, 212, 231, 355, 417123, 505 Wettbewerbsverbot 542 Wiederholbarkeit von Ergebnissen 163 f. Wilburg, Walter 159, 182, 226 ff., 231503, 234520, 235, 415, 644 Willenserklärung – E-Mail 239, 273 – gespeicherte 239 f., 273, 275 f., 281, 286, 288 ff., 293, 300 f., 304, 312 ff., 636 – nicht gespeicherte 273, 276 ff., 281, 295 ff., 300 f., 312, 316 ff., 636 – perplexe 345 f., 355219, 363 f., 393, 396, 401, 447304, 640, 642 – schlüssiges (konkludentes) Verhalten 113, 97 f., 123, 131, 135, 146, 151359, 242, 247, 252, 263, 270, 352, 366, 433216 , 472, 522 f., 534 f., 540, 629, 654 – Telefax 239, 273, 621622 Willensfreiheit 181156 , 191 ff., 198, 488 Willensprinzip 320, 638

694

Sachregister

Willenstheorie 321, 398 Wirkungsstatut 106, 382359 Wissenserklärung 257, 399 f., 429199, 459374, 544, 547 Wissenszurechnung 464 f. Wohnsitzrecht 10586 , 112, 540166 , 626 Wortlaut als Grenze der Auslegung 313, 329 f., 350, 351 ff., 375, 377, 381, 560, 639 Wucher und wucherähnliches Geschäft 195, 206336,337, 206338, 217, 439265, 440 Zugang von Willenserklärungen – Abhängigkeit vom Erklärungsmittel 273 f. – bei dem Einsatz von Mittelspersonen 302 ff. – E-Mail 273 – gespeicherte 281 ff., 636 – nicht gespeicherte 295 ff., 636

– stenographische 294 – Telefax 273 – Telefon 273 – und „Sprachrisiko“ 281 ff. Zugangsbegriff – erweiterter 282219, 286 ff., 293 – subjektiver 281 ff., 293, 636 Zurechenbarkeit des äußeren Erklärungstatbestands bzw. der Erklärung 252 f., 256, 261 ff., 31827, 332107, 335119, 347, 350191, 353, 362265, 395 f., 403, 639, 643 Zustandekommen des Vertrags 18, 94, 101, 102 f., 104, 106 ff., 115, 125, 127 f., 136, 156, 181, 262, 31519, 331, 348, 350, 353214, 358239, 362, 375, 429197, 431, 455, 460382, 492576 , 50811, 51015, 618608, 619, 619612, 617, , 625650, 633, 660 Zwang 186, 189, 207, 404 f., 630, 661 Zwangslage 205, 216, 218417, 220, 40983, 433, 437, 439265