Die amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollabkommen im Recht der völkerrechtlichen Verträge [1 ed.] 9783428477982, 9783428077984


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German Pages 365 Year 1993

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Die amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollabkommen im Recht der völkerrechtlichen Verträge [1 ed.]
 9783428477982, 9783428077984

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BIRGIT SCHMIDT AM BUSCH

Die amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollabkommen im Recht der völkerrechtlichen Verträge

Schriften zum Völkerrecht

Band 110

Die amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollabkommen im Recht der völkerrechtlichen Verträge

Von Birgit Schmidt am Busch

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Schmidt am Busch, Birgit: Die amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollabkommen im Recht der völkerrechtlichen Verträge / von Birgit Schmidt am Busch. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum Völkerrecht; Bd. 110) Zug!.: München, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07798-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-07798-9

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der LudwigMaximilians-Universität im Wintersemester 1991/92 als Dissertation angenommen. Für den Druck habe ich die Arbeit - bedingt durch die aktuellen Veränderungen in Osteuropa - teilweise umgeschrieben. Dabei habe ich bis zuletzt die neuesten Entwicklungen berücksichtigt. Herrn Prof. Dr. Bruno Simma, der die Dissertation betreut hat, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Mein Dank gilt auch dem Zweitgutachter der Arbeit, Herrn Prof. Dr. Rudolf Geiger, für seine Unterstützung. Besonderen Dank schulde ich ferner der University of Michigan Law School in Ann Arbor, USA, die mir durch ein Stipendium einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in den USA ermöglichte. Während dieses Aufenthaltes hatte ich Gelegenheit, Mitglieder der amerikanischen SALT- und INFDelegationen zu interviewen. Für ihre Gesprächsbereitschaft und Unterstützung danke ich besonders Herrn John B. Rhinelander und Herrn Jack Mendelsohn, Arms Contral Association, und Herrn John H. McNeill, Department of Defense. Danken möchte ich schließlich allen, die mit Rat und Tat und auf andere Weise zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben. Es sind so viele, daß ich sie nicht alle nennen kann. Besonders erwähnen möchte ich nur Herrn Felix Luggenhölscher, Herrn Prof. Dr. Ulrich Fastenrath, Herrn Markus Zöckler und Frau Irene Lamb. München, im Januar 1993

Birgit Schmidt am Busch

Inhaltsverzeichnis Einleitung

25

A. Gegenstand der AIbeit ............................................. . . . 25 B. Gang der Untersuchung ............................................... 27 1. Teil

Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

28

1. Abschnitt: Entstehung und Entwicklung von "Rüstungskontrolle" ................ 28 A. "Abrüstung" bei Gründung der Vereinten Nationen (1945) ..................... 28 B. Die Bemühungen um eine "allgemeine und umfassende Abrüstung" (1946-1954) ..... 30 C. Von "allgemeiner und umfassender Abrüstung" zu "Rüstungskontrolle" (ab 1955) .... 33

D. Die bilateralen Rüstungskontrollvereinbarungen der beiden Großmächte .......... 36 2. Abschnitt: Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache? ................. 44 A. Die umstrittenen Fälle ................................................ 45 I. Absprachen im Bereich der Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

11. Absprachen über zukünftige Verträge ................................ 48 III. Technische Absprachen ........................................... 49 B. Die Begriffselemente des völkerrechtlichen Vertrags .......................... 50

I. Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

11. Vereinbarung zwischen "Staaten" .................................... 53 111. Unerheblichkeit der Form und der Bezeichnung ......................... 55

Inhaltsverzeichnis

8

IV. "governed by international law" ..................................... 55 1. "Rechtsetzungsabsicht" als Abgrenzun~kriterium ..................... 55

2. Rechtsetzungsabsicht ungleich Rechtsbindungswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3. Rechtsetzungsabsicht nur hinsichtlich einzelner Teile einer Vereinbarung ....................................................... 59

C. Ermittlung der Rechtsetzungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I. Textuelle Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

1. Erstes Indiz: die Bezeichnung .................................... 61 2. Bedeutung der Sprache bzw. des Inhalts ............................ 62 11. Systematische Methode ........................................... 63 111. Nachfolgende Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 IV. Historische Methode ............................................. 66 V. Gleichzeitige Anwendung mehrerer Kriterien ........................... 68

2. Teil

Zustandekommen, Inhalt und Form der amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollverträge

69

1. Abschnitt: Der bilaterale Verhandlungsprozeß .............................. 69 A. Der Prozeß in Washington bzw. Moskau ................................... 70

I. Washington .................................................... 71 11. Moskau ....................................................... 73 B. Die Verhandlungen in Genf, der sog."front channel" .......................... 76 I. Zusammensetzung der Delegationen ................................. 76 11.

Verhandlun~foren

.............................................. 78

1. Plenum ..................................................... 78 2. Arbeitsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Informelle Treffen, insbesondere der Delegationsleiter ................ . 80

Inhaltsverzeichnis

9

111. Abstimmung innerhalb der Delegationen und mit den Regierungen .......... 81

c.

Ständige Beratungskommission (Standing Consultative Commission) .............. 82

D. Direkte Kontakte auf Regierungsebene .................................... 82 2. Abschnitt: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge ............................ 85 A. Die Rüstungskontrollverpflichtungen ..................................... 85 I. Verpflichtungen zur Krisenvermeidung bzw. Krisenbewältigung ............. 87

1. Technische Maßnahmen zur Vermeidung einer nuklearen Auseinandersetzung ..................................................... 88 2. Politische Maßnahmen zur Vermeidung eines Nuklearkriegs ............. 89

11. Verpflichtungen zu gemeinsamen technischen (Verifikations-) Experimenten ... 90

1. Verpflichtungen zu Maßnahmen, die verifiziert werden sollen ............ 92

2. Verpflichtung zur Duldung von bzw. Kooperation bei bestimmten Verifika-

tionsmaßnahmen ............................................. 93

III. Teststoppverpflichtungen ......................... . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

1. Geregelte Versuchsarten ........................................ 94 2. Geregelte Aktivitäten ........................... . . . . . . . . . . . . . . . 94 IV. Rüstungsbegrenzungsverpflichtungen ................................. 95

1. Geregeltes Rüstungsmaterial .................................... 95 a) Ballistische Abwehrraketen .................. . ................ 95 b) Strategische nukleare Offensivwaffen ............................ 96 2. Geregelte Aktivitäten .......................................... 98

a) Verpflichtungen zur quantitativen Begrenzung .................... 100 aa) Bestimmung der Obergrenzen ..................... . . . . . .. 100 aaa) freeze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 100 bbb) Zahlenmäßige Begrenzung .......................... 101 bb) Verpflichtung, keine Waffen über die Obergrenze hinaus zu besitzen ................................................ 102

Inhaltsverzeichnis

10

aaa) Reduzierungsverpflichtungen ......................... 102 bbb) Begrenzungsverpflichtungen ......................... 102 b)

Verpflichtungen zu qualitativen Begrenzungen .................... 104 aa) Vollständiges Veroot noch nicht existierender Waffensysteme .... 104 bb) Veroot qualitativer Veroesserungen von vorhandenen Systemen ... 105

c)

Umgehungs- und Derogationsveroot ........ . .................. 106

V. Abrüstungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 107 1. Geregeltes Rüstungsmaterial ................................... 107 a)

Nuklearwaffen ................................. . .......... 107 aa) Mittelstreckensysteme .................................. 107 bb) Strategische Waffen .................................... 108

b)

Chemische Waffen ........................................ 109

2. Geregelte Aktivitäten ......................................... 109 B. Die Verifikationsverpflichtungen ........................................ 111 I. Die Verifikation erleichternde Vereinbarungen ........................ 113 11. Die einzelnen Verifikationsmaßnahmen

116

1. Nationale technische Mittel (NTM)

117

a) Begriff ................................................. 117 b) Völkerrechtskonformer Einsatz ............................... 118 aa) Keine Verletzung der Souveränität des überwachten Staates ..... 118 bb) Keine Verletzung anderer völkerrechtlicher Grundsätze ......... 119 cc) Keine besonderen Informations- oder Konsultationspflichten . . . .. 120 c) Flankierungsregeln ........................................ 121 aa) Behinderungsveroot.................................... 121 bb) Verschleierungsveroot .................................. 122 cc)

Unterstützungsgebot ................................... 123

Inhaltsverzeichnis

11

2. Informationsaustausch ........................................ 123 3. Inspektionen an Ort und Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 124 a) Begriff ................................................. 124 b) Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 125 4. Gemeinsame Institutionen ..................................... 127 a) Ständige Beratungskommission ............................... 128 b) Die übrigen Institutionen ................................... 129 C. Die vertragstechnischen Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 130

3. Abschnitt: Vertragsarchitektur .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 131 A. Die Verträge ...................................................... 131 I. Grundsatzvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 132

11. Protokolle bzw. Annexe ........................... . . . . . . . . . . . . . .. 133 111. Memoranda of data .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 134 B. Begleitende Interpretationserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 134 I. Gemeinsame Interpretationen ..................................... 135

11. Einseitige akzeptierte Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 136 III. Unwidersprochene einseitige Erklärungen ............................ 137 IV. Einseitige widersprochene Erklärungen .............................. 138 C. Begleitende geheime Absprachen ....................................... 138 D. Begleitende gemeinsame und einseitige Absichtserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 139 E. Begleitende Verträge mit dritten Staaten ................................. 140

12

Inhaltsverzeichnis 3. Teil

Rechtliche Betrachtung

141

1. Abschnitt: Die maßgeblichen Vertragsrechtsnormen .......................... 141 2. Abschnitt: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge .......................... 144 A. Abschluß ......................................................... 144 I. Verschiedene Abschlußverfahren ................................... 144

11. Innerstaatliche Behandlung der Abkommen ............. . . . . . . . . . . . . .. 145 1. USA ...................................................... 145

a) Das Verfahren ........................................... 145 aa) treaty .............................................. 147 bb) congressional-executive agreements ........................ 148 ce)

executive agreements des Präsidenten ...................... 148

b) "Vorbehalte" in den Zustimmungsresolutionen .................... 149 2. Sowjetunion ................................................ 150 a) Die Gesetzeslage bis 1978 ................................... 150 b) Die Gesetzeslage nach 1978 .................................. 151 III. Erklärungen bei der Ratifikation = "Vorbehalte"? ...................... 152 1. "Vorbehalte"................................................ 153 2. Interpretative Erklärungen ..................................... 155 3. "decJarations of international policy" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 158 4. "decJarations of domestic relevance" .............................. 158 B. Verpflichtungen während des Abschlußverfahrens ........................... 159 I. Pflicht zur redlichen Verhandlungsführung, Art. VI des Nichtverbreitungsver-

trages ....................................................... 160

1. Ungleiche Verhandlungsgegenstände .............................. 160 2. Zurückhalten von Informationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 161

Inhaltsverzeichnis 3. Abrupter Abbruch laufender Verhandlungen

13

161

11. Pflicht, das Vertragsziel nicht zu vereiteln, Art. 18 WÜV ................. 162 1. Anwendbarkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 162 2. Geltung ................................................... 162 a) Entstehungszeitpunkt der Verpflichtung ........................ 162 b) Ende der Verpflichtung ..................................... 163 3. Inhalt der Verpflichtung aus Art. 18 WÜV ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 164 a) Ziel und Zweck ........................................... 164 b) Vertrag und begleitende Erklärungen .......................... 166 c) Vereiteln ................................................ 167 aa) irreversibility ......................................... 167 bb) gravity of violation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 169 cc) Absicht erforderlich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 170 111. Pflicht des Unterzeichnerstaates zur RatifIZierung? ...................... 171 IV. Verpflichtungen aus Treu und Glaubc.-n .............................. 172 1. Geltung von Treu und Glauben im vorvertraglichen Bereich ............ 172 2. Bei den Rüstungskontrollverträgen in Betracht kommende Verpflichtungen ....................................................... 173 C. Inkrafttreten; die Anwendung nicht ratifIZierter Verträge ..................... 173

I. Die einzelnen Fälle ............................................. 173 1. Testschwellenverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 173 2. Das Interimsabkommen ....................................... 174 3. Das SALT lI-Abkommen ...................................... 175 11. Rechtliche Bewertung ........................................... 178 1. Rechtliche Bindung durch stillschweigendes Rechtsgeschäft? ............ 179 a) Die in Betracht kommenden Möglichkeiten ...................... 179 aa) Stillschweigende Ratifikation? ............................ 179

14

Inhaltsverzeichnis bb) Vorläufige Anwendung nach Art. 25 WÜV cc)

180

Einverständliche Inkraftsetzung unter stillschweigendem Ratifikationsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 181

b) Voraussetzung: Rechtsetzungswille ............................ 182 aa) Anwendung der verschiedenen Kriterien .................... 183 bb) Gesamtbewertung ..................................... 185

2. Rechtliche Bindung durch Völkergewohnheitsrecht? .................. 187 3. Rechtliche Bindung aufgrund von Treu und Glauben (estoppei) ......... 189 4. Ergebnis ..•................................................ 191 3. Abschnitt: Mängel bei Vertragsabschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 192 A. Voraussetzungen für die Geltendmachung von Willensmängeln ................. 192

I. Irrtum .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 192 11. Betrug. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 193 B. Folgen von Willensmängeln ........................................... 194 I. Vertragliche Bestimmungen ....................................... 195 11. Allgemeines Vertragsrecht ........................................ 195 1. Das Verfahren nach Art. 65 WÜV ............................... 196 2. Die Folgen nach Völkergewohnheitsrecht .......................... 196 4. Abschnitt: Auslegung der Verträge ....................................... 198 A. Überblick über denkbare Auslegungsprobleme ............................. 198

I. Auslegungsprobleme bezüglich der Rüstungskontrollverpflichtungen ......... 198 1. crisis management-Verpflichtungen ............................... 198 2. Teststopp-, Rüstungsbegrenzungs- und AbfÜStungsverpflichtungen ....... 199 a) Geregeltes Rüstungsmaterial ................................. 200 b) Geregelte Aktivitäten ...................................... 202 11. Auslegungsprobleme bezüglich der Verifikationsverpflichtungen ............ 203

Inhaltsverzeichnis

15

1. Innerstaatliche technische Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 203

2. Übrige Verfahren ............................................ 204 III. Auslegungsprobleme bei den technischen Vertragsbestimmungen ........... 204 B. Die Anwendung der Auslegungsregeln auf die amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollverträge ............................................. 205 I. Die allgemeinen Auslegungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 205

1. Die Auslegungsregel des Art. 31 WÜV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 205

a) Ausgangspunkt: Wortlaut ................................... 206 b) Zusammenhang i.S.d. Art. 31 Abs.2 WÜV ....................... 207 aa) Vertragstext ......................................... 207 bb) "Übereinkunft" bzw. "Dokument" i.S.d. Abs.2 . . . . . . . . . . . . . . . .. 208 aaa) Voraussetzungen für die Heranziehung als Auslegungsinstrument ........................................... 208 bbb) Die einzelnen Fälle

209

(1) Begleitende Interpretationserklärungen . . . . . . . . . . . . .. 209 (2) Begleitende geheime Absprachen .................. 212 (3) Mündliche und schriftliche Interpretationserklärungen während der innerstaatlichen Zustimmungsverfahren .... 212 (4) Interpretationserklärungen bei der Ratifizierung ....... 214 c) Nachfolgende Praxis ....................................... 214 aa) Spätere Übereinkünfte, Art. 31 Abs.3 (a) WÜV ............... 215 bb) Jede spätere Übung, Art. 31 Abs.3 (b) WÜV . . . . . . . . . . . . . . . .. 215 aaa) Begriff ......................................... 215 bbb) Spätere Praxis bei den Rüstungskontrollverträgen ......... 216 (1) "Praxis" bei Rüstungskontrollverträgen .............. 216 (2) "Bewußte" Praxis? .. , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 217 (3) Schweigen auf nachfolgende einseitige Praxis. . . . . . . . .. 218 (4) Vertragserfüllung vor Inkrafttreten ................. 219

16

Inhaltsverzeichnis (5) Die sog. Uminterpretation cc) Jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz, Art. 31 Abs.3 (c) WÜV

219 222

d) Ziel und Zweck des Vertrages ................................ 223 2. Weitere ins WÜV nicht aufgenommene Regeln ..................... 224 a) Prinzip der restriktiven Auslegung ............................. 225 b) Auslegung contra pro/erentem ................................ 226 11. Ergänzende Auslegungsmittel, Art.32 WÜV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 227 1. Vorbereitende Arbeiten ....................................... 227 a) Die verschiedenen Vertragsdokumente ......................... 228 b) Aussagen von Delegationsmitgliedem und anderen Personen ......... 230 2. Umstände des Vertragsabschlusses ............................... 231 3. Weitere ergänzende Auslegungsmittel ............................. 234 III. Regeln bei Mehrsprachigkeit von Verträgen, Art.33 WÜV ................ 234 1. Beispiele von Bedeutungsunterschieden in den Verträgen .............. 235

2. Die Regel des Art. 33 Abs. 4 WÜV .............................. 236 a) Die Anwendung der allgemeinen Auslegungsregeln ................ 236 b) Die Auffangregel des Art. 33 Abs. 4 WÜV ...................... 237 c) Bewertung des Art. 33 Abs. 4 WÜV ........................... 238 5. Abschnitt: Überprüfung und Änderung der Verträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 239 A. Die Überprüfungs- und ÄnderungsklauseIn in den Verträgen .................. 240 I. Die Überprüfungsklauseln ........................................ 240 1. Überprüfung im Rahmen der Konsultationseinrichtungen .......... . . .. 240

2. Überprüfung im Wege gemeinsamer Gespräche ..................... 241 3. Kombinierte Verfahren ........................................ 242 11. Die ÄnderungsklauseIn .......................................... 242

Inhaltsverzeichnis

17

1. Das übliche Änderungsverfahren ................................ 243 2. Seit neuestem: vereinfachte Änderungsverfahren in bestimmten Fällen .... 244 B. Überprüfung und Änderung nach allgemeinem Vertragsrecht .................. 247 6. Abschnitt: Beendigung und Suspendierung der Verträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 249 A. Geltungsdauer ..................................................... 249 I. Meistens unbegrenzte Geltungsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 249

11. Befristung bei einigen wichtigen Abkommen .......................... 250 III. Sonderfall: die gemeinsamen Verifikationsexperimente ................... 251 B. Möglichkeiten der Beendigung und Suspendierung der Verträge ................ 252 I. Beendigungsmöglichkeiten aufgrund von Vertragsbestimmungen ........... 252

1. Kündigungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 253 2. Rücktrittsmöglichkeit ......................................... 254 a) Das Verfahren ........................................... 255 b) "Rücktrittsgrund" ......................................... 256 aa) "in Ausübung ihrer staatlichen Souveränität" ................. 256 bb) Gefährdung der höchsten Interessen durch außergewöhnliche, mit dem Inhalt des Vertrages zusammenhängende Ereignisse ..... 258 aaa) Auslegung dieser Rücktrittsvoraussetzung ............... 258 bbb) Einzelne Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 260 ccc) Sonderfall: Vertragsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 265 cc) Alleinige Entscheidung des rücktrittswilligen Staates ........... 266 c) Teilweiser Rücktritt möglich? ................................ 267 11. Beendigung aufgrund nachfolgender Übereinkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 268 III. Beendigungsmöglichkeiten nach allgemeinem Völkerrecht ................ 268

1. Rücktritt wegen Vertragsverletzung .............................. 269 a) Verhältnis zu den vertraglich vorgesehenen Beendigungsmöglichkeiten . 269 2 Schrnidt am Busch

18

Inhaltsverzeichnis b) "Erhebliche Vertragsverletzung" bei den Rüstungskontrollverträgen .... 270 c) Rechtsfolge .............................................. 271 2. Grundlegende Änderungen der bei Vertragsabschluß gegebenen Umstände (c/ausula rebus sie stantibus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 271 a) Anwendbarkeit der elausula neben der Rücktrittsklausel ............ 272 aa) Die Voraussetzungen der Rücktrittsklauselliegen nicht gleichzeitig vor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 273 aaa) Abschließende Regelung der Beendigungsoptionen in der vertraglichen Rücktrittsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 273 bbb) Berufung auf die c/ausula möglich ..................... 274 bb) Es liegen gleichzeitig die Voraussetzungen der Rücktrittsklausel vor ................................................ 274 aaa) Unbeschränktes Wahlrecht .......................... 275 bbb) Vorrang der Rücktrittsklausel ........................ 275 ccc) Berufung auf die c/ausula in wenigen besonderen Fällen möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 275 b) Voraussetzungen .......................................... 276 3. Andere Beendigungsmöglichkeiten nach allgemeinem Völkerrecht. . . . . . .. 276

C. Innerstaatliche Zuständigkeit für die Vertragsbeendigung ..................... 277

I. Die Rechtslage in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 277 11. Die Rechtslage in der Sowjetunion bzw. Rußland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 278 D. Nachvertragliche Pflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 278 I. Geltung von Treu und Glauben im nachvertraglichen Bereich ............. 278 11. Bei den Rüstungskontrollverträgen in Betracht kommende Verpflichtungen ... 279 7. Abschnitt: Streitbeilegung und Sanktionen bei Vertragsverletzungen ............. 281 A. Streitbeilegung ..................................................... 281 I. Vertragliche Bestimmungen zur Streitbeilegung ........................ 281 11. Streitbeilegung nach allgemeinem Völkerrecht ......................... 284

Inhaltsverzeichnis

19

1. Die Streitbeilegungsvorschriften des WÜV ......................... 284 2. Friedliche Streitbeilegung nach Kap. VI der VN-Charta ............... 284

B. Sanktionen bei Verletzung der Verträge ............................ . ..... 285 I. Die bisher diskutierten Vertragsverletzungen .......................... 285

11. Mögliche Sanktionsmaßnahmen ............................. . . . . . .. 289 1. Keine vertraglichen Regelungen ................................. 289

2. Nach allgemeinem Völkerrecht zulässige Maßnahmen

290

a) Allgemeine Voraussetzung: Vorliegen einer Vertragsverletzung ....... 290 b) Die einzelnen Maßnahmen .................................. 291 aa) Diplomatische Proteste ................................. 292 bb) Appelle an die "Weltöffentlichkeit" ........................ 292 Retorsionen

293

dd) Repressalien

294

cc)

ee) Sofortige Vertragsbeendigung wegen Vertragsverletzung ........ 296 ff)

Einschaltung der VN-Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 296

8. Abschnitt: Die Verträge und dritte Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 298 A. Die Rüstungskontrollabkommen als Verträge mit Auswirkungen auf die Inter-

essen dritter Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 298 I. Die verschiedenen Interessen dritter Staaten .......................... 298

11. Pflicht zur Achtung der Sicherheitsinteressen dritter Staaten? .............. 299 111. Die Einflußmöglichkeiten dritter Staaten ............................. 300 B. Das INF-Abkommen: Vertrag mit rechtlichen Auswirkungen auf dritte Staaten ..... 301 I. Vertrag zu Lasten Dritter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 302 1. Wortlautauslegung ........................................... 304 2. Systematische Auslegung ........................... . .......... 304 3. Teleologische Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 305

20

Inhaltsverzeichnis 4. Ergänzend: Umstände des Vertragsabschlusses

305

5. Ergebnis der Auslegung ....................................... 308 11. Einzelne Rechtsfragen ............................. . . . . . . . . . . . . .. 308 1. Pflicht der Stationierungsländer zur Zustimmung? ................... 308 2. "Leistungsstörungen" ......................................... 310 a) Pflichtverletzungen der inspizierenden Partei im Hoheitsgebiet eines Stationierungslandes ....................................... 310 b) Pflichtverletzungen durch ein Stationierungsland .................. 312 c) Wertung ................................................ 312 3. Änderungen der die Drittstaaten berührenden Bestimmungen. . . . . . . . . .. 313 III. Besonderheiten aufgrund der deutschen Vereinigung .................... 313 4. Teil

Die Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion auf die mit den USA geschlossenen Rüstungskontrollverträge

314

A. Das Vorliegen einer Staatennachfolge .................................... 315

B. Die Rechtsfolgen ................................................... 317 I. Nachfolge in geltende Verträge .................................... 317

1. Die Regelungen in der Wiener Konvention ......................... 317 a) Übernahme mit Sinn und Zweck vereinbar? ..................... 318 b) Grundlegende Änderung der Durchführungsbedingungen? ........... 319 2. Bisherige Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 321 3. Die bisherigen Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 323 11. "Nachfolge" in bisher nur unterzeichnete Verträge

325

Schlußbemerkung

327

Anhang: Amerikanisch-sowjetische Abkommen und Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle

331

Literaturverzeichnis

344

Abkürzungsverzeichnis aA.

anderer Ansicht am Ende Anti-Ballistic Missile Absatz Abschnitt Annuaire Franc;ais de Droit International American Journal of International Law Annuaire de I'Institut de Droit International Archiv des Völkerrechts Artikel Air-Launched Cruise Missile Anti-Satellite Weapon Air-to-Surface Ballistic Missile American Society of International Law Auflage

Bd.

Band Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht (deutsches) Bundesgesetzblatt Tbe British Yearbook of International Law beziehungsweise

a.E. ABM Abs. Abschn. AFDI AJIL Annuaire IDI ArchVR Art. ALCM ASAT ASBM ASIL Aufl.

Berichte DGVR BGBI. BYIL

bzw.

COCOM CW

Chapter Central Intelligence Agency Co-ordinating Committee on Multilateral Export Controls Chemische Waffen

ders. dies. d.h.

derselbe dieselbe(n) das heißt

EA ebd. EPIL EWG

Europa-Archiv ebenda R Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, 12 Bände (1981ff.) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

f., ff. FAZ Fn.

folgende, fortfolgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote

Chapt. CIA

22 gern. GOSPlAN GUS GV GYIL

Abkürzungsverzeichnis gemäß Governmental State Planning Office Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Generalversammlung Gerrnan Yearbook of International Law

HarvlU HarvLR h.M. Hrsg. Hs.

H.

Heft Harvard International Law Journal Harvard Law Review herrschende Meinung Herausgeber(in) Halbsatz

ICBM ICJ ICLQ IGH UIL ILC ILM INF insbes. i.S.d. iVm

Intercontinental Ballistic Missile International Court of Justice International and Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof Indian Journal of International Law International Law Commission International Legal Materials Interrnediate Range Nuclear Forces insbesondere im Sinne des/der in Verbindung mit

JIR NE JZ

Jahrbuch für Internationales Recht, seit 1976: GYIL Joint Verification Experiment Juristen-Zeitung

Kap. KGB KSZE KT

Kapitel Kommunistischer Geheimdienstbund Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Kilotonnen

MBFR MEMCON MichJIL MIRV MOU

Mutual and Balanced Force Reduction Talks Memorandum of Conversation Michigan Journal of International Law Multiple Independently Targetable Re-entry Vehicle Memorandum of Understanding

NATO NILR NJ NJW No. NSC NYIL N.Y.U.L.Rev.

North Atlantic Treaty Organisation Netherlands International Law Review Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Number National Security Council Netherlands Yearbook of International Law New York University Law Review

OIS ÖZöffR(V)

Office of International Security Policy Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht (und Völkerrecht)

Abkünungsveneichnis PCll

PNE

Permanent Court of International Justiee Peaeeful Nuclear Explosions

RBDI RdC Rdnr. Res.

Revue beige de droit international Reeueil de Cours de I'Academie de droit international Randnummer Resolution

S. SALT SCC SOl SIPRI SLBM sog. START StIGH s.u. Suppl. SVC SZ

Seite Strategie Arms Limitation Talks Standing Consultative Commission Strategie Defense Initiative Stockholm International Peace Research Institute Submarine-Launched Ballistic Missiles sogenannte(r) Strategie Arms Reduction Talks Ständiger Internationaler Gerichtshof siehe unten Supplement Special Verification Commission Süddeutsche Zeitung

taz TlAS 1TB

Tonne die tageszeitung Treaties and Other International Acts Series Threshold Test Ban

u. u.ä. u.a. UCLA U.N.C.I.O.

UNIOIR u.Penns.L.Rev. US USACDA UST

usw.

VB VBM vgl.

VirgJIL

VKSE VN Vol.

VPK

wüv

und und ähnliches unter anderem, und andere University of California Los Angeles United Nations Conference on International Organization (Dokumentation) United Nations Institute for Disarmament Research University of Pennsylvania Law Review Uni ted States Uni ted States Arms Control and Disarmament Agency Uni ted States Treaties and Other International Agreements und so weiter Völkerbund Vertrauensbildende Maßnahmen vergleiche Virginia Journal of International Law Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa Vereinte Nationen Volume Military Industrial Commission (russische Abkünung) Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1%9

23

24

Abkürzungsverzeichnis

wv

Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts (1961)

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Ziffer zum Teil

z.B.

Ziff. z.T.

Einleitung A. Gegenstand der Arbeit

Seit dem zweiten Weltkrieg haben die USA und die Sowjetunion mehr als 30 Abkommen im Bereich der Rüstungskontrolle geschlossen. Diese Verträge waren Teil eines politischen Konzepts, das zum Ziel hatte, Krieg zwischen den beiden Großmächten zu vermeiden und destabilisierende Rüstungswettläufe zu verhindern. Dabei ging es vor allem um die Beschränkung nuklearer Waffen. Mit der Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 sind diese Verträge keineswegs bedeutungslos geworden. Die Nachfolgestaaten haben ausdrücklich erklärt, daß sie die von der Sowjetunion eingegangenen internationalen Verpflichtungen erfüllen werden! Der russische Präsident Jeltzin kündigte im Januar 1992 an, daß Rußland die Rechte und Pflichten der Sowjetunion aus den mit den USA geschlossenen Rüstungskontrollverträgen übernehmen werde.2 So wurde der Abrüstungsprozeß unmittelbar mit Rußland fortgesetzt. Das im Sommer 1991 unterzeichnete START-Abkommen wird in Kürze für die USA, Rußland und die anderen drei Atommächte Kasachstan, Weißrußland und die Ukraine in Kraft treten. Auf der Grundlage dieses Abkommens haben die USA und Rußland im Juni 1992 darüber hinausgehende Abrüstungsmaßnahmen vereinbart. Aufgrund der Materie handelt es sich bei diesen zwischen den USA und der Sowjetunion und nun mit Rußland geschlossenen Rüstungskontrollabkommen um äußerst politische Verträge. Auf dem Spiel stehen höchste Sicherheitsinteressen. Anders als bei den multilateralen Verträgen aus diesem 1 Vgl. die Erklärung der Staatschefs Rußlands, der Ukraine und Weiß rußlands über die Gründung einer Gemeinschaft Unabhängiger Staaten vom 8. Dezember 1991 in Minsk, abgedruckt in: EA 47 (1992), S. D302f.;die Erklärung von A1ma Ata über die Auflösung der Sowjetunion und die Schaffung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten vom 21. Dezember 1991, abgedruckt ebd., S.D305f., und insbesondere Art. 2 des Abkommens der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten über die strategischen Streitkräfte der ehemaligen Sowjetunion vom 30. Dezember 1991, abgedruckt ebd., S. D308f.

2

The Arms Control Reporter 1992, S.24O.B.-1.34.

26

Einleitung

Bereich geht es nicht nur um die Verhinderung einer weiteren Aufrüstung, sondern auch um die Vernichtung des existierenden Gefährdungspotentials. Abschluß und Anwendung dieser Verträge haben deshalb vor allem politische, strategische und technische Probleme aufgeworfen. Im Vordergrund standen die Diskussion um das strategische Gleichgewicht zwischen den beiden Seiten und technische Details der Verifikation. Im Zusammenhang mit diesen Abkommen stellen sich zunehmend interessante Rechtsfragen - lassen sich doch gerade hier zahlreiche Besonderheiten gegenüber Verträgen aus anderen Völkerrechtsbereichen feststellen. Auffallend ist schon der besondere Rechtsschöpfungsprozeß; bezeichnend darüber hinaus der komplizierte Vertragsaufbau nebst speziellen Deftnitionsvereinbarungen und Anhängen; die Kombination von quantitativen und qualitativen, objektiven und subjektiven Anknüpfungspunkten für Maßnahmen der Rüstungskontrolle bei der Defmitionstechnik; das besondere Überwachungsschema; die besonderen Rücktrittsklauseln; dann auch die faktische Nichtjustitiabilität der Vereinbarungen und das Fehlen von Sanktionsregelungen.J - Verschiedentlich ist daher bereits die Rede von einem besonderen Vertragstypus. 4 Die rechtlichen Aspekte der amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollabkommen wurden bisher allenfalls am Rande behandelt.s Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist deshalb eine umfassende juristische Analyse dieser Verträge. Ihre Besonderheiten sollen ausführlich dargestellt und die damit zusammenhängenden Rechtsfragen allgemein in bezug auf alle Abkommen erörtert werden.' Der Untersuchung liegen vorwiegend amerikanische Quellen zugrunde. Sowjetische Quellen waren kaum zugänglich, da die Sowjetunion in dem Bereich der Rüstungskontrolle äußerste Geheimhaltung bewahrte und über die Ver-

3 V gl. zu dieser Charakterisierung Graf Vitzthum, Berichte DGVR 30 (1990), S.114, und Högel, S.10S, in bezug auf sämtliche Rüstungskontrollabkommen. 4 Vgl. hierzu Kewenig, Diskussionsbeitrag, S.240; Neuhold, S.448; Graf Vitzthum, Berichte DGVR 30 (1990), S.107ff.; Högel, S.l04f. 5 Auch Graham, Jr./lfft gehen in ihren beiden Aufsätzen "Legal Aspects of Bilateral Arms Control Treaties", The North Carolina Journal of International Lawand Commercial Regulation 16 (1991), S.I-13, und "Practical Problems with Bilateral Arms Control Treaties", S59-73, kaum näher auf die rechtlichen Aspekte dieser Verträge ein. 6 Die für diese Untersuchung relevanten amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollvereinbarungen sind im Anhang mit Angabe der entsprechenden FundsteIlen im einzelnen aufgeführt.

Einleitung

27

träge keine öffentlichen Diskussionen wie in den USA stattfanden. Erst in den letzten Jahren wurde die Öffentlichkeit ausführlicher informiert. B. Gang der Untersuchung Die Untersuchung ist nur auf der Grundlage fundierter Kenntnisse über die amerikanisch-sowjetischen Verträge möglich. Im ersten Teil werden deshalb zunächst die Entwicklung des Rüstungskontrollkonzepts und die Bedeutung der bilateralen Vereinbarungen dargestellt. Da es sich nicht bei allen Vereinbarungen um völkerrechtliche Verträge handelt, müssen außerdem vorab politische Absprachen von rechtlichen Vereinbarungen abgegrenzt werden. Der zweite Teil schildert den besonderen Verhandlungsprozeß, die inhaltliche Ausgestaltung der Verträge und ihre Architektur. Insoweit weisen die Verträge viele Gemeinsamkeiten auf, durch die sie sich von Verträgen aus anderen Völkerrechtsbereichen unterscheiden. Den dritten Teil bildet die eigentliche juristische Analyse der Abkommen. Untersucht werden Abschluß und Inkrafttreten der Verträge, die Folgen von Willensmängeln bei Abschluß, Methoden ihrer Auslegung, Überprüfungs- und Änderungsmodalitäten sowie Beendigungsmöglichkeiten; dann Fragen der Streitbeilegung, der Sanktionsmechanismus bei Vertragsverletzungen und auch die Auswirkungen der Verträge auf dritte Staaten. Mit der Auflösung der Sowjetunion haben sich zahlreiche Fragen im Hinblick auf die Nachfolge in die amerikanisch-sowjetischen Verträge ergeben. Diese Fragen sollen im vierten Teil - soweit dies schon jetzt möglich ist beantwortet werden.

1. Teil

Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge "Rüstungskontrolle" hat sich Ende der fünfziger Jahre aus dem Konzept der "allgemeinen und umfassenden Abrüstung" entwickelt. Schon nach kurzer Zeit standen die rein bilateralen Bemühungen der beiden Großmächte USA und Sowjetunion im Vordergrund. Maßnahmen der Rüstungskontrolle wurden vorwiegend im Rahmen von Verträgen vereinbart. In jüngster Zeit haben die beiden Staaten aber auch manchmal sog. politische Absprachen getroffen, wenn sie rechtliche Bindungen vermeiden wollten. In einigen Fällen ist die Abgrenzung allerdings nicht ohne weiteres möglich. Nach einem kurzen Überblick über die Entstehung und Entwicklung von Rüstungskontrolle und insbesondere die sowjetisch-amerikanischen Bemühungen wird deshalb näher auf die Abgrenzungsproblematik eingegangen. 1. Abschnitt

Entstehung und Entwicklung von "Rüstungskontrolle"7 A. "Abrüstung" bei Gründung der Vereinten Nationen (1945)

Bei den Vorbereitungen für die Gründung der Vereinten Nationen, also gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, spielte die Abrüstungsproblematik eine nur untergeordnete Rolle. Dies überrascht nicht. Die Staaten, die die neue 7 Einen Überblick über die Abrüstungsbemühungen nach dem 2. Weltkrieg bis zur Gegenwart geben: Brauch, Bemühungen, S.261-307; Delbrück, Einleitung, S.1-23; Schütz, Geschichte, S.102127; von Münch, Einführung, S.xIII-XXXII; lpsen, Völkerrecht, § 59 Rdnr.12-19. Ausführliche Darstellungen über die Verhandlungen der Nachkriegsjahre Ueweils bis zu ihrem Erscheinungsdatum) enthalten: Bechhoefer, Postwar Negotiations for Arms Control (1961); Robms, The Nuclear Years: The Arms Race and Arms Control, 1945-70 (1970); Epstein, Disarmament - Twenty-five Years of Effort (1971); Barton/Weiler (Hrsg.), International Arms Contro) - Issues and Agreements (1976), insbes. S.66-93.

1. Abschn.: Entstehung und Entwicklung von "Rüstungskontrolle"

29

Weltorganisation gründen wollten, befanden sich ja noch im Krieg. Ihre Sorge galt natürlich zu diesem Zeitpunkt nicht der Abschaffung von Waffen; im Gegenteil, die Produktion wurde gesteigert, um den Krieg siegreich beenden zu können. Für die Zeit nach Beendigung des Krieges strebte man - ausschlaggebend waren hier die Erfahrungen aus der Völkerbundzeit - die Errichtung eines kollektiven Sicherheitssystems' an, in dessen Rahmen der Friede auch notfalls militärisch gesichert würde. Hauptbestandteil dieses Systems sollte zwar ein umfassendes Gewaltverbot sein; militärische Gewaltanwendung durch einzelne Staaten sollte nur noch in Ausübung des Rechts auf Notwehr oder Nothilfe erlaubt sein. Doch waren die Staaten der Auffassung, daß es nicht ausreiche, die Anwendung von Gewalt zu verbieten, und wollten deshalb vor allem auch einen Mechanismus zur Überwachung und Durchsetzung des Friedens schaffen. Die neu zu gründende Organisation sollte mit den ihr von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Luft-, See- oder Landstreitkräften Aktionen anordnen können, um den Aggressor in seine Schranken zu weisen. Dies setzte aber voraus, daß bei den Mitgliedstaaten ausreichende Truppenkontingente vorhanden waren'. In die neu geschaffene Charta der Vereinten Nationen fanden - anders als bei der VölkerhundsatzuniO - Abrüstung und Rüstungsbeschränkung nicht in Form eines völkerrechtlichen Grundsatzes Eingang, sondern in Art. 26, 11 und 47 VN-Charta im Rahmen von Verfahrensvorschriftenl l • Daraus wurde damals gefolgert12, daß die Charta im Vergleich zur Völkerbundsatzung nur wenig Gewicht auf die Begrenzung und Reduzierung von Rüstungen legt, was vor allem von östlichen Autoren13 bestritten wurde. Unabhängig von diesem wohl eher ideologisch begründeten Streit steht fest, daß jedenfalls die Väter der neuen Organisation eine wesentliche Verringerung auf dem Rüstungssek8 Allgemein zum Konzept der kollektiven Sicherheit Vetschera, JIR 24 (1981), S.I44, 146-148 mit weiterer Literatur in Fn.13. 9 Zur Rolle von Abrüstung und Rüstungsbeschränkung bei den Vorbereitungen zur Gründung der Vereinten Nationen Russell/Muther, S.208-210,238-240,243-244,249-250,264271,685; Gros Espiel, in: Cot/Pellet (Hrsg.), Commentaire, S.484ff.; Goodrich/Hambro/Simons, S.211-213; Bechhoefer, S.I4-24; Schütz zu Art. 26 Rdnr5f., in: Simma (Hrsg.), Kommentar; Barton/Weiler, S.66-68. 10 Art. 8 Abs. 1 VB-Satzung lautete: "Die Bundesmitglieder bekennen sich zu dem Grundsatz, daß die Aufrechterhaltung des Friedens eine Herabsetzung der nationalen Rüstungen auf das Mindestmaß erfordert .. .o. 11 Abgelehnt worden waren die Vorschläge Chiles oder Mexikos, in den Prinzipienkatalog der VN-Charta die Rüstungsbeschränkung als Prinzip bzw. zumindest eine Prinzipienerklärung aufzunehmen, wie sie in Art. 8 Abs.l VB-Satzung enthalten war, U.N.C.I.O. 111, S.294 u. 113.

12

Kelsen, S.IOS; Goodrich/Hambro, S.209ff.; Goodrich/Simons, S525.

13

Tunkin, S50; SChulz, S.88ff.

1. Teil: Grundlegung -

30

Rüstun~kontrolle

durch völkerrechtliche Verträge

tor anstrebten. Dieses kommt auch in der Charta selbst zum Ausdruck, da der Sicherheitsrat Pläne zwecks Errichtung eines Systems der Rüstungsregelung ausarbeiten soll, damit von den menschlichen und wirtschaftlichen Hilfsquellen der Welt möglichst wenig für Rüstungszwecke abgezweigt wird l4 , und sich außerdem auch die Generalversammlung mit den Grundsätzen der Abrüstung und Rüstungsregelung befassen kann15 • Nach dem Einsatz amerikanischer Atomwaffen über Hiroshima und Nagasaki nur wenige Wochen nach Gründung der Vereinten Nationen wurde der Welt plötzlich bewußt, daß die Menschheit - ob am Krieg unmittelbar beteiligt oder nicht - durch das vorhandene Kernwaffenpotential existentiell bedroht wird. l ' Außerdem schwand mit Beginn der Ost-West-Konfrontation das Vertrauen in die neu gegründete Weltorganisation. Der Sicherheitsrat wurde durch die Vetos der Sowjetunion blockiert. Eine internationale Streitmacht konnte wegen der unterschiedlichen Ansichten über ihre Größe und Zusammensetzung nicht aufgestellt werden. Dies führte dazu, daß die Staaten immer stärker ihr individuelles und kollektives Selbstverteidigungsrecht betonten.17 Hatten "Abrüstung" und "Rüstungsbeschränkung" gegen Ende des Krieges nur einen geringen Stellenwert in der internationalen Politik eingenommen, so änderte sich das nun schlagartig. Die Abrüstungsproblematik wurde als so dringlich empfunden, daß man bereits Anfang 1946 im Rahmen der Vereinten Nationen mit Verhandlungen begann. B. Die Bemühungen um eine "allgemeine und umfassende Abrüstung" (1946-1954) Ziel der beginnenden Verhandlungen war eine allgemeine und umfassende Abrüstung. Darunter sind Maßnahmen zu verstehen, die sowohl in ihrem räumlichen als auch in ihrem sachlichen Geltungsbereich auf eine umfassende Wirkung angelegt sind, sich also auf alle Staaten und alle Arten von Waffen beziehen sollten. Angestrebt wurde eine völlig abgerüstete Welt, in der den Staaten nur noch die Polizeistreitkräfte verbleiben sollten, die zur Aufrechter-

14 Art. 26; ausführlich zu dieser Bestimmung Schütz zu Art.26, in: Simma (Hrsg.), Kommentar.

15 Art. 11; ausführlich zu dieser Bestimmung Hailbronner/Klein zu Art. 11 , in: Simma (Hrsg.), Kommentar. 16 Zu den tatsächlichen Bedrohungen durch Kernwaffen vgI. die Darstellungen bei Bluhm, Grundlagen, S.I-47, und Feist/Mack, S.49-81. 17

Ausführlich dazu Stein, RdC 133 (1971-11), S.225 (24lf.).

1. Abschn.: Entstehung und Entwicklung von

·Rüstun~kontrolle·

31

haltung des Friedens notwendig sind.lI Von Anfang an spiegelte sich die neu herausgebildete bipolare Machtstruktur in diesen Verhandlungen wider. Diese wurden, den rüstungsmäßigen Gegebenheiten entsprechend, wesentlich durch die beiden Großmächte geprägt. Deren Interessen überwogen. Sie bestimmten die Themen. 19 Der Einfluß der übrigen VN-Mitgliedstaaten blieb gering. Die Verhandlungen20 atomare Abrüstung und eines Ausschusses für konventionelle Abrüstung durch die Generalversammlung. Doch schon diese institutionelle Trennung verdeutlicht das Grundproblem jener Zeit: "Nukleare und konventionelle Abrüstung nacheinander oder gleichzeitig?" Aufgrund ihres unterschiedlichen Rüstungsstandes setzten die beiden Großmächte in den Abrüstungsverhandlungen unterschiedliche Prioritäten. Die USA hatten ihre konventionelle Rüstung gleich nach dem Ende des Krieges stark verringert und stützten ihre Verteidigung auf die atomaren Waffen, während in der Sowjetunion die konventionellen Streitkräfte im wesentlichen auf dem bisherigen Stand gehalten worden waren. Über atomare Waffen verfügte die Sowjetunion noch nicht. Den USA lag unbedingt daran, eine nukleare Aufrüstung der Sowjetunion zu verhindern. Die atomare Abrüstung hatte daher Vorrang vor der Verringerung der konventionellen Streitkräfte. Umgekehrt wollte die Sowjetunion eine konventionelle Wiederaufrüstung des Westens durch ein Abkommen über die Reduzierung der konventionellen Streitkräfte aufhalten.Z1 Keine Seite war bereit, ihren Vorsprung auf dem einen oder anderen Rüstungssektor aufzugeben. Im Ausschuß für atomare Abrüstung, auch Atomenergiekommission genannt, legten die USA am 14. Juni 1946 einen ersten umfassenden Plan zur nuklearen Abrüstung vor, den sog. Baruch-Plan.Z2 Dieser sah die Errichtung einer internationalen Atombehärde vor, die ein Monopol in ihrem Wirkungsbereich erhalten sollte. Daran anschließend plante der Entwurf das Verbot 18 Zum Begriff der allgemeinen und umfassenden Abrüstung vgI. Schuster, S.73/74; Barton, EPIL (9), S.102-106. 19 VgI. dazu die kritischen Untersuchungen von SpanierjNogee, The Politics of Disarmament. A Study in Soviet-American Gamesmanship (1962), und Myrdal, The Game of Disarmament. How the United States and Russia Run the Arms Race (1976).

20 Die Verhandlungen der ersten Jahre schildern ausführlich Delbrück, Abrüstun~bemü­ hungen, S.460477, und VollejDuisberg, Probleme der internationalen Abrüstung - Die Bemühungen der Vereinten Nationen um internationale Abrüstung und Sicherheit 1945-1961 (1964). 21 Andere Bewertung der Interessen allerdin~ bei Epstein, S.12, der behauptet, die Westmächte hätten zunächst auf eine konventionelle Abrüstung gedrängt, während die Ostrnächte vorrangig an einer atomaren Abrüstung interessiert gewesen seien. 22

Einzelheiten zu diesem Abrüstungsvorschlag bei Bechhoefer, S.41-82.

32

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

der Produktion und des Besitzes von Atomwaffen; schließlich sollten die USA all ihre diesbezüglichen Kenntnisse der internationalen Atombehörde zur Verfügung stellen. Dieser Vorschlag war für die Sowjetunion unannehmbar, da er das amerikanische Atomwaffenmonopol bis zur letzten Phase des Plans festschrieb; sie forderte die sofortige Vernichtung des bestehenden nuklearen Potentials.13 Im September 1948 ergriff die Sowjetunion die Initiative, indem sie der Vollversammlung der Vereinten Nationen einen umfassenden Abrüstungsvorschla!f4 vorlegte, der in seinem Kern die Verringerung der konventionellen Streitkräfte der wichtigsten Mächte binnen eines Jahres um ein Drittel vorsah. In den nachfolgenden Jahren kreisten sämtliche Vorschläge um diese Entwürfe. Abgesehen von der Frage der Priorität nuklearer und konventioneller Abrüstung stellte die Kontrolle der zu treffenden Abrüstungsmaßnahmen ein zentrales Problem dar. Wie Bechhoefer es in seiner klassischen Studie ausdrückte: "Which come fIrst: the commitments to disarm or the measures to ensure obseryance of the commitments?"25 Während nach Auffassung der USA die Abrüstungsmaßnahmen unter strenger internationaler Kontrolle erfolgen sollten, standen für die Sowjetunion die eigentlichen Abrüstungsmaßnahmen im Vordergrund, Kontrolle war nachrangig. Seit Mai 1952 legten die beiden Großmächte abwechselnd in der neu geschaffenen VN-Abrüstungskommission, die die beiden oben genannten Ausschüsse ablöste, umfassende und detaillierte integrierte Abrüstungspläneu vor, in denen atomare und konventionelle Abrüstung miteinander verknüpft waren. Ausschlaggebend für diese Annäherung war wohl die Veränderung der durch den Rüstungsstand vorgegebenen Rahmenbedingungen. Einerseits war die Sowjetunion zwischenzeitlich zur Atommacht aufgestiegen und konnte mithin die sofortige nukleare Abrüstung fordern, ohne sich dem Vorwurf aussetzen zu müssen, einen einseitigen Verzicht zu verlangen; andererseits hatten die Westmächte nach Erhöhung ihrer konventionellen Streitkräfte im Rahmen der NATO und anläßlich des Koreakrieges auf eben diesem Gebiet einen Verhandlungsspielraum gewonnen. Im Verlauf der Verhandlungen kam es in einigen Punkten zu beträchtlichen Annäherungen. Dennoch blieben die beiden Führungsmächte weiterhin uneins in der Frage der Reihenfolge der Abrüstungsmaßnahmen.

23

Vgl. zu den Ablehnungsgründen BanonjWeiler, S.71.

24

Einzelheiten zu diesem Abrüstungsvorschlag bei Bechhoefer, S.136-151.

25

S.45.

26

Einzelheiten bei Bechhoefer, S.159-238.

1. Abschn.: Entstehung und Entwicklung von "Rüstungskontrolle"

33

C. Von "allgemeiner und umfassender Abrüstung" zu "Rüstungskontrolle" (ab 1955) Ab Mitte der 50er Jahre deutete sich ein Wandel in der internationalen Abrüstungspolitik an. Die Verhandlungen über eine umfassende und allgemeine Abrüstung kamen nicht voran, gleichzeitig hatte sich der Rüstungswettlauf zwischen den beiden Großmächten verstärkt. Zwischenzeitlich war jeder der beiden Staaten in der Lage, den anderen zu vernichten. Weitere Staaten wie Frankreich und Großbritannien bereiteten die Errichtung einer Atomstreitmacht vor. Vorrangiges Ziel wurde jetzt die Sicherung des Weltfriedens durch Erhöhung der Stabilität in den internationalen Beziehungen, da ein Krieg unbedingt verhindert werden mußte. Weil eine umfassende Abrüstung vorerst nicht zu verwirklichen war, sollte der Rüstungswettlauf nunmehr wenigstens gezielt gesteuert werden. Für den Fall des Kriegsausbruchs sollte der Schaden möglichst begrenzt sein und eine Eskalation vermieden werden. Nicht zuletzt wollte man die Kosten für Rüstung und Streitkräfte verringern. Die Staaten gingen deshalb dazu über, über einzelne stabilitätsfördernde Maßnahmen zu verhandeln. Diskutiert wurden zwar auch echte Abrüstungsmaßnahmen, im Vordergrund aber standen Maßnahmen zur Begrenzung bestehender Militärpotentiale, das Verbot destabilisierender Rüstungsmaßnahmen, die Verhinderung einer weiteren Verbreitung von Atomwaffen und bisweilen auch Maßnahmen einer kontrollierten Aufrüstung. Damit einher gingen politische Maßnahmen, so insbesondere die Schaffung von Mechanismen zur Vermeidung und Bewältigung von Krisen. Im Gegensatz zur Abrüstungspolitik der ersten Jahre wies der "Rüstungskontroll"-Ansatrr eine größere Realitätsbezogenheit auf. Man hoffte, mit dieser "Politik der kleinen Schritte" ein besseres Klima zu schaffen, dadurch den Weg für weitergehende Abrüstungsmaßnahmen zu bereiten und so langfristig dem Ziel der allgemeinen und umfassenden Abrüstung näherzukommen.2I

7:1 Das in den USA unter dem Oberbegriff "arms control" entwickelte Konzept wird im Deutschen meistens mit "Rüstungskontrolle" übersetzt. Wegen der begrifflichen Unschärfen Rüstungskontrolle geht über die bloße Kontrolle des Rüstungsstandes im Sinne einer Überwachung usw. weit hinaus und umfaßt auch politische Maßnahmen - werden im Deutschen häufig auch andere Termini wie "Rüstungsbeschränkung" (Fahl, Rüstungsbeschränkung, S.22; Verdross/Simma, S.297), "Rüstungsbegrenzung" (Bothe, Dogmatik, S.215ff.; Ipsen, Abrüstung, S.6), "Rüstungssteuerung" (Graf von Baudissin, S.5 Fn.4) verwendet.

28 Aus der umfangreichen Literatur zum Konzept der Rüstungskontrolle vgl. nur Schütz, Arms Control, EPIL (3), S.34-38; ders. zu Art.26 Rdnr.18, in: Simma (Hrsg.), Kommentar; Anns Control Association, S.10-15; Dougherty, S.11-22; Vetschera, JIR 24 (1981), S.l44, 150-155; Fomdran, Rüstungskontrolle, S.15-38; Bundesminister der Verteidigung, Weißbuch 1983, S.173ff.; Lutz, Abrüstung/Rüstungskontrolle, S.13-23; Görtemaker, S.21-29; Thee, International Social Sciences Journal 28 (1976), S.365ff.; Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdnr. 1-5. Vgi. auch die umfas3 Schmidt am Busch

34

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

Anstoß ZU dieser neuen Politik gab der amerikanische Präsident Eisenhower im Sommer 1955 mit seinem "Open Skies"-Plan, der Luftinspektionen auf dem Gebiet der jeweils anderen Supermacht vorsah und so vor Überraschungsangriffen schützen wollte.Z9 Als gegen Ende der 50er Jahre die Sorge vor einer Ausbreitung der Atomwaffen immer größer wurde, konzentrierten sich die Verhandlungen vor allem auf Fragen wie z.B. die Begrenzung des "Atomklubs..JI , die Errichtung kernwaffenfreier Zonenl l und die "Entmilitarisierung" des WeltraumslZ • Auf Drängen der Weltöffentlichkeit begannen zwischen den USA, der Sowjetunion und Großbritannien Gespräche über eine sofortige Einstellung aller Kernwaffenversuche; die Erprobung von Kernwaffen sollte weitgehenden Beschränkungen unterworfen werden, um eine weitere nukleare Aufrüstung zu verhindern. Uneinigkeit in der Verifikationsfrage (internationale oder nationale Kontrolle) zwischen den westlichen Atommächten einerseits und der Sowjetunion andererseits verhinderte den Abschluß eines Abkommens. Daraufhin beschränkte man sich auf die Ausarbeitung eines teilweisen Testverbots, d.h. Atomwaffentests sollten nur in den Bereichen verboten sein, in denen die Einhaltung des Verbots mittels eigener Aufklärung überwacht werden konnte. 33 Um den Abschluß von Verträgen vorzubereiten und zu beschleunigen, stimmten die beiden Großmächte in diesen Jahren verschiedentlich ihr Verhalten aufeinander ab und verzichteten im Wege des gegenseitigen Beispiels vorübergehend auf bestimmte Rüstungsmaßnahmen.34 Da aber auch die "Arms Control"-Bemühungen - abgesehen vom Antarktisvertrag 195~ - keine konkreten Ergebnisse brachten, wurde das Konzept einer allgemeinen und umfassenden Abrüstung in den darauffolgenden Jahren senden Darstellungen von Bull, Tbe Control of the Arms Race (1961), und Krell, Tbe Problems and Achievements of Arms Control, Arms Control 2 (1981), S.247-283. ~ Zu den damaligen Bemühungen um die Verhinderung von Überraschungsangriffen ausführlich Rauschning, S.727-745. 30

Dazu ausführlich Bluhm, Begrenzung, S598-622.

Zu den damaligen Bemühungen um die Errichtung kernwaffenfreier Zonen ausführlich Delbrück, Errichtung, S.683-704. 31

32 Zu den damaligen Bemühungen um ein Verbot der militärischen Nutzung des Weltraums ausführlich Stahl, Verbot, S.705-726. 33

Ausführlich hierzu Stahl, Einstellung, S567-597.

Zu erwähnen ist hier vor allem das auf den Erklärungen der USA und der Sowjetunion vom 26. und 27. Juni 1959 beruhende Moratorium für Kernwaffenversuche. Ausführliche Darstellung und weitere Beispiele für "paralleles Verhalten" bei Bunn, G., Columbia Law Review 70 (1970), S.l (19ff.). Zur Politik des "gegenseitigen Beispiels" allgemein vgl. Menzel, S.756-769. 34

35

Abgedruckt in: BGB!. 1978 11, S.1518ff.

1. Abschn.: Entstehung und Entwicklung von "Rüstungskontrolle"

35

gelegentlich wiederbelebt. 1959 stellte ChruschtschoW' in einer Aufsehen erregenden Rede vor der Generalversammlung einen neuen Plan für weltweite Abrüstung vor, in dem allerdings für den Anfang die Vereinbarung von Teilmaßnahmen vorgesehen war. Ungefähr zwei Jahre später, am 20. September 1961, kam es zwischen dem sowjetischen Delegierten Sorin und dem amerikanischen Beauftragten McCloy zu einer gemeinsamen Grundsatzerklärung. Sie legte die allgemeine und vollständige Abrüstung in Phasen und die Errichtung einer Abrüstungskommission zu ihrer Überwachung als gemeinsame Ausgangspunkte neuer Verhandlungen fest. Im März 1962 unterbreiteten die beiden Großmächte in der neu ins Leben gerufenen Genfer Achtzehn-Mächte-Konferenz jeweils Entwürfe eines Vertrages über allgemeine und vollständige Abrüstung,37 die einen solchen Grad an Übereinstimmung aufwiesen, daß ihnen intensive Verhandlungen vorausgegangen sein müssen. Die Diskussion darüber kulminierte schließlich 1963/64 in der von der Sowjetunion und USA gemeinsam formulierten Vorlage der ersten Artikel einer Konvention über eine allgemeine und umfassende Abrüstung unter strikter internationaler Kontrolle. Diese Pläne realisierten sich nicht; noch immer konnte man sich nicht über die Frage der Reihenfolge der Abrüstungsmaßnahmen einigen. Bis heute ist fraglich, inwieweit diese Initiativen tatsächlich ehrlich gemeint waren; sie dienten den politischen Führungen wohl vor allem auch dazu, die Sympathien der Weltöffentlichkeit für sich zu gewinnen.lI Mit dem Scheitern der Pläne von 1962 trat die Diskussion über umfassende Abrüstung völlig in den Hintergrund und verlagerte sich jetzt gänzlich auf sachlich begrenzte Einzelfragen.39 Die Gespräche wurden nun fast ausschließlich von den beiden Großmächten gestaltet. So wichtige Staaten wie Frankreich und China gerieten immer mehr ins Abseits."

36 Zur sowjetischen AbTÜstungspolitik unter Chruschtschow vgl. Bloomfield, Khrushchev and the Arms Race (1966), insbes. S.l38ff., und Dallin u.a., The Soviet Union and Disarmament (1964), insbes. S.117-141. 37 Zu diesen Abrüstungsvorschlägen ausführlich lpsen, Abrüstungsvorschläge, S.478-508; Bluhm, Überwachung, S.509-531.

38 Vgl. dazu Stein, RdC 133 (1971-11), S.249; Larson, S.127,131; Bloomfield/Clemens/Griffiths, S.l38ff., insbes. S.143-145. 39 Warum die USA und schließlich auch die Sowjetunion in den nachfolgenden Jahren vollständig Abstand von Plänen einer umfassenden und allgemeinen Abrüstung nahmen, erörtert Larson, S.l25ff., insbes. S.131-133. 40 Ausführlich zu den Abrüstungsbemühungen in den 60er Jahren Lahn, Die Verhandlungen auf der Genfer Abrüstungskonferenz 1%2-1965, JIR 13 (1%7), S.95-132, und Fomdran, Probleme der internationalen Abrüstung. Die internationalen Bemühungen um Abrüstung und kooperative Rüstungssteuerung 1%2-1968 (1970).

36

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

Nach der Kubakrise, bei der es fast zu einem nuklearen Zusammenstoß zwischen den USA und der Sowjetunion gekommen wäre, verstärkten die Staaten ihre Abrüstungsbemühungen. Die Verhandlungen führten endlich zum Erfolg. Nur wenige Monate nach Beilegung der Krise vereinbarten die USA und die Sowjetunion die Einrichtung eines "Heißen Drahtes", einer direkten Fernschreibverbindung zwischen den jeweiligen Entscheidungszentren, um die technischen Möglichkeiten der Kommunikation zwischen den beiden Staaten zu verbessern und der Gefahr von Mißverständnissen vorzubeugen!· Auch die Verhandlungen über einen Teststopp waren schließlich erfolgreich: Im Juli 1963 wurde der Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser unterzeichnet. 4Z In den nachfolgenden Jahren kam es nach und nach zum Abschluß einer Reihe von Verträgen: Weltraumvertrag (1967)43, Nichtverbreitungsvertrag (1968)44, Meeresbodenvertrag (1971)45, Vertrag über ein Verbot biologischer Waffen (1972).46 D. Die bilateralen Rüstungskontrollvereinbarungen der bei den Großmächte Diese Verträge konnten jedoch den Rüstungswettlauf zwischen den Supermächten nicht verhindern. Daher standen seit Ende der 60er Jahre die rein bilateralen Gespräche zwischen den beiden Staaten im Mittelpunkt, während die gleichzeitig stattfindenden multilateralen Verhandlungen über chemische

41

Dazu Slahl, "Heiße Draht", S.746-755.

Abgedruckt in: BGBI. 1964 11, S.907ff. Zu Inhalt und Bedeutung des Vertrages vgl. Schwe/b, Nuclear Test Ban Treaty, AJIL 58 (1964), S.642-670; Mateesco-Malle, Annals of Air and Space Law 9 (1984), S.391-415. 42

43 Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper vom 27. Januar 1967, abgedruckt in: BGBI. 1969 11, S.1969ff. VgI. zur rüstungskontrolIpolitischen Bedeutung des Vertrages Bueckling, S. 33ff.; Co//iard, S.94ff.; Stahl, Verbot, S.716-726. 44 Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vom 1. Juli 1968, abgedruckt in: BGBI. 1974 11, S.786ff. Zu Inhalt und Bedeutung des Vertrages Firmage, AJIL 63 (1969), S.711-746; De/bTÜCk, Vertrag, S.623-682.

45 Vertrag über das Verbot der Anbringung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresboden und im Meeresuntergrund vom 11. Februar 1971, abgedruckt in: BGB!. 1972 11, S.326ff. 46 Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen vom 10. April 1972, abgedruckt in: BGBI. 1983 11, S.133ff. Zu Inhalt und Bedeutung des Vertrages vg!. /(jschlal, S.57ff.; Sims, S.15ff.; Wrighl, S.239ff.

1. Abschn.: Entstehung und Entwicklung von "Rüstungskontrolle"

37

Waffen oder über konventionelle Abrüstung in Mitteleuropa lange Zeit weniger Beachtung fanden. Die beiden Großmächte glaubten, ein rein bilateraler Dialog würde eher zu rüstungskontrollpolitischen Erfolgen führen. 47 Kernelement der bilateralen Gespräche war die Herstellung und Bewahrung des militärischen Gleichgewichts zwischen den beiden Staaten im Rahmen des geltenden Abschreckungskonzepts. 4I Die angestrebten Vereinbarungen sollten die Abschreckungspotentiale beider Seiten unangreifbar lassen. Verhandelt wurde über die Begrenzung und den Abbau redundanter Abschreckungskapazitäten. Beim Abbau der überflüssigen Potentiale sollte das Entstehen von destabilisierenden Ungleichgewichten vermieden werden:" Der Gedanke des Gleichgewichts, der "Gleichheit und gleichen Sicherheit" wurde als eine besondere Ausformung des Reziprozitätsgrundsatzes5e ein Leitprinzip der Rüstungskontrolle zwischen den beiden Großmächten. Das Problem bestand allerdings darin, Gleichgewicht und gleiche Sicherheit zu defInieren, da auf beiden Seiten unterschiedliche Waffen in unterschiedlichen Mengen bzw. gleiche Waffen unterschiedlicher Qualität vorhanden waren. Wegen dieser Asymmetrie der Abschreckungspotentiale waren die militärischen Fähigkeiten nur schwer zu vergleichen.51 So verhandelten die beiden Staaten jeweils über Teilelemente der Bedrohungspotentiale, insbesondere über einzelne Kategorien von Nuklearwaffen, um hier ein Teilgleichgewicht zu schaffen. Das hatte zur Folge, daß stets über das Restgleichgewicht gestritten wurde. Schwierigkeiten bereitete auch immer wieder die Frage, wieweit die Nukleararsenale der "kleinen" Atommächte in die Berechnung des Gleichgewichts einzubeziehen seien. Der Dialog zwischen den bei den Großmächten begann 1968 mit den Gesprächen über ihre strategischen Waffen (SALT= Strategic Arms Limita-

47

Vgl. auch die Einschätzung von GasteygerjHaug, S.29.

Zum Konzept der Abschreckung als Mittel der Kriegsverhütung vgl. etwa Rinstieg, S.429443; Lutz, Abschreckung, S.24-28. 48

49 Vgl. hierzu Bothe, Rechtsfragen, Berichte DGVR 30 (1990), S.43-47; Bothe, Dogmatik, S.213-215; Fischer, Limitation des annes strategiques, AFDI 18 (1972), S.1O-13, 18-22; Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr. 14.1., S.12-14; ders., SALT 11, S.18; Christol, Journal of Space Law 13 (1985), S.158f.

50 Allgemein zum Reziprozitätselement bei Verhandlungen Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge (1972) mit näheren Ausführungen zu RüstungskontrolIverträgen auf S.292ff. 51 Zur Komplexität der Waffensysteme und den damit verbundenen Schwierigkeiten bei den Verhandlungen siehe Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr. 14.1., S.12-14, und Sharp, Anns Control Today, März 1982, S. 1/2.

38

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

tion Talks).51 Als "Gegenleistung" für ihren Verzicht auf den Erwerb von Kernwaffen hatten die Nichtnuklearstaaten beim Abschluß des Nichtverbreitungsvertrages verlangt, daß nun auch die vertikale Proliferation, d.h. die weitere Produktion und Ansammlung von Kernwaffen durch die Atommächte selber eingedämmt werden müsse. Nach vier Verhandlungsjahren gingen aus den Gesprächen schließlich zwei wichtige Verträge hervor: der ABM-Vertrag und das Interimsabkommen. Sinn des ABM-Vertrages war es, eine Beeinträchtigung der Wirksamkeit gegenseitiger Abschreckung zu verhindern, die sich aus einer wirksamen Verteidigungsmöglichkeit gegen strategische Nuklearwaffen ergeben könnte. Deshalb begrenzte dieser die Möglichkeit der Errichtung von Raketenabwehrsystemen. Zum Abschluß der Vereinbarung mag allerdings auch die Erwägung beigetragen haben, daß ABM-Systeme zu kostspielig und letztlich unwirksam seien. Durch das Interimsabkommen wurden Angriffswaffen begrenzt, um einer durch ungleiches Wachstum hervorgerufenen Destabilisierung des strategischen Gleichgewichts vorzubeugen.53 Die SALT-Verhandlungen wurden nach Abschluß dieser Abkommen unmittelbar fortgesetzt mit dem Ziel, weitergehende Beschränkungen auszuhandeln. In dieser Phase der Entspannung Anfang der 70er Jahre vereinbarten die beiden Großmächte darüber hinaus verschiedene Maßnahmen zur Vermeidung und Bewältigung von Krisen. Dabei handelte es sich vor allem um technische Maßnahmen, die die Gefahr des Ausbruchs eines Krieges durch Zufall, durch Fehleinschätzung des militärischen Verhaltens des Gegners oder einfach aufgrund technischer Pannen verringern sollten. Die Staaten wurden sich dieser Gefahr zunehmend bewußt, nachdem es immer häufiger zwischen ihren Seestreitkräften zu gefährlichen Zwischenfällen - vor allem im Mittelmeer - gekommen w~. Innerhalb kürzester Zeit einigten sie sich deshalb über verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten zwischen ihren Entscheidungszentren und handelten zahlreiche Informations- und Konsultationspflichten aus55 . Noch einen Schritt weiter ging schließlich das Kriegsverhütungsabkommen von 1973, das durch die Festschreibung bestimmter politischer

52 Ausführliche Darstellung der SALT-Gespräche bei Singh/McWhinney, S.259-279; Farley, S.215-253. 53 Zu diesen beiden Verträgen vor dem Hintergrund des Abschreckungskonzepts vgI. Rittstieg, S.432f.; Christol, Journal of Space Law 13 (1985), S.158. 54 So war mehrmals versehentlich auf Schiffe der anderen Seite geschossen worden bzw. durch gefährliche Manöver hatte man die Einheiten der Gegenseite zum Ausweichen gezwungen. Ausführlich zu den einzelnen Vorfallen Lynn-Jones, S.482-486. Viele dieser Zwischenfalle sind der Öffentlichkeit verschwiegen worden.

55

Ausführlicher zu diesen Verhandlungen Blechman, S.473481; Lynn-Jones, S.482-509.

1. Abschn.: Entstehung und Entwicklung von "Rüstungskontrolle"

39

Grundsätze im Verhältnis der beiden Staaten zueinander auch die Vermeidung des bewußten Einsatzes von Atomwaffen bezweckte. 1974 vereinbarten die beiden Staaten, keine unterirdischen Kernwaffenexplosionen mit einer Sprengkraft über 150 KT mehr durchzuführen. Ergänzt wurde dieses Abkommen durch einen entsprechenden Vertrag über Kernexplosionen zu friedlichen Zwecken aus dem Jahre 1976. Diese Maßnahmen sollten - ebenso wie der einige Jahre zuvor geschlossene multilaterale Teilteststoppvertrag - zur Verwirklichung des Ziels eines umfassenden Teststopps beitragen.5' Da die amerikanische Regierung die VerifIkationsbestimmungen als unzureichend ansah57, wurden die Verträge zunächst nicht ratifiziert, wenngleich sich beide Staaten in der Folge an die vereinbarte Schwelle hielten. Unter dem Gesichtspunkt der Rüstungskontrolle hatten diese Abkommen nur eine begrenzte Bedeutung, da sie die Entwicklung von Kernwaffen mit geringster Sprengkraft nicht verhindern konnten.58 Beide Abkommen waren nicht zuletzt deshalb möglich geworden, weil sowohl die USA als auch die Sowjetunion keinen großen Wert mehr auf Kernwaffenexplosionen bzw. Kernexplosionen zu friedlichen Zwecken im Bereich über 150 KT legten.9 Das nächste SALT-Abkommen wurde erst im Juni 1979 unterzeichnet, obwohl sich der amerikanische Präsident Nixon und sein Nachfolger Ford und der sowjetische Parteichef Breschnew bereits 1972 und dann 1974 in der Erklärung von Wladiwostok über bestimmte Details des zukünftigen Abkommens geeinigt hatten. Neben einer weiteren Begrenzung strategischer Offensivwaffen sah dieses neue Abkommen zum erstenmal auch einige qualitative Einschränkungen im strategischen Bereich vor. Allerdings blieben neue potentiell destabilisierende Waffensysteme wie Z.B. Antisatellitenwaffen und Marschflugkörper unberücksichtigt. Die vereinbarte Obergrenze war zudem so hoch, daß die beiden Staaten die Zahl ihrer Sprengköpfe bei den erfaßten Systemen noch erheblich hätten erhöhen können. Auch bei diesem Abkommen dürfte weniger das Ziel, dem allgemeinen Rüstungswettlauf per se Einhalt zu gebieten, als vielmehr die Suche nach strategischer Stabilität im Vordergrund gestanden haben.6G

56 Neben Motiven der Rüstungskontrolle spielten auch umweltpolitische Aspekte eine Rolle: der Austritt von Radioaktivität sollte verringert werden.

S1 Näher hierzu Fischer, Limitation des explosions nuc1eaires souterraines ades fins pacifiques, AFDI 22 (1976), 5.26. SB

5IPRI Yearbook 1975, 5.415; Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr.lI.I, 5.20.

~ Vgl. hierzu Goldblat, 5.26/27; Fischer, Limitation des essais souterrains d'armes nuc1eaires, AFDI 20 (1974), S.I70; Welichow,5.28f.

40

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

Die Verschlechterung der Beziehungen nach der sowjetischen Intervention in Afghanistan im Dezember 1979 führte zu einer Pause in der Abrüstungspolitik zwischen den beiden Staaten. Der SALT lI-Vertrag wurde nicht mehr ratifIziert, wenngleich die Obergrenzen von beiden Seiten in den folgenden Jahren eingehalten wurden. Vor dem Hintergrund eines ungünstigen Gesamtklimas blieben die Verhandlungen über Mittelstreckenwaffen (INF=Intermediate Nuclear Forces) und über eine Reduzierung strategischer Waffen (START=Strategic Arms Reduction Talks), die die SALT-Verhandlungen 1982 abgelöst hatten, ergebnislos.'· In dieser Zeit mehrte sich die Kritik von seiten dritter Staaten an dem Konzept der Rüstungskontrolle. Insbesondere die Entwicklungsländer kritisierten, daß trotz der Rüstungskontrollbemühungen die Rüstungsausgaben der Industrieländer nicht hatten gesenkt werden können, sondern im Gegensatz dazu in bisher nie gekannte Höhen gestiegen waren. u Auf der 1978 von ihnen einberufenen Sondergeneralversammlung über Abrüstung verlangten sie daher umfassende Abrüstungsmaßnahmen, die die Mittel für die Entwicklungshilfe freisetzen würden. Abrüstung sollte aus diesem Grund aber nicht nur Sache der wenigen Industrieländer bleiben, sondern zu einer allgemeinen Aufgabe der Staatengemeinschaft werden. Die Länder der Dritten Welt verstärkten damit den Druck auf die Atommächte, endlich zu durchgreifenden Rüstungsbeschränkungen zu gelangen.'J Die USA und die Sowjetunion nahmen 1985 nach eineinhalbjähriger Unterbrechung ihre bilateralen Gespräche wieder auf. Allerdings ließen schon bald die Auseinandersetzungen um das amerikanische Raketenabwehrprogramm SDI (Strategie Defense Initiave) ein erneutes Scheitern der Verhandlungen befürchten. Dieses Defensivsystem hätte das dem ABM-Vertrag zugrundeliegende Konzept in Frage gestellt.64 Deshalb bestand die Sowjetunion darauf, die SDI-Frage im Zusammenhang mit der INF- und START-Problematik zu

60 Vgl. die Bewertungen von Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr. 14.1., S.12-14; Boyle, The F1etcher Forum 5 (1981), S.189f.; Riedei, Wettlauf, S.287. 61

Zu dieser "Krise der Rüstungskontrolle" Jacobson, Mich.L.Rev. 82 (1984), S.1597-1602.

Insgesamt wurde das Konzept der Rüstungskontrolle immer häufiger kritisiert: die Begrenzung auf bestimmte TeilmaBnahmen habe zu einer verstärkten Aufrüstung in von den Abkommen nicht erfaBten Bereichen geführt. Vgl. Thee, International Social Sciences Journal 28 (1976), S.368. 62

63 Zur Haltung der Drille Welt-Staaten Schütz, Disannament, Revue de Droit International, de Sciences Diplomatiques et Politiques 75 (1979), S.I30ff. 64

Näher dazu z.B. Rittstieg, S.435.

1. Abschn.: Entstehung und Entwicklung von "Rüstungskontrolle"

41

regeln. Erst nachdem Generalsekretär Gorbatschow auf dieses Junktim verzichtete, führten die Verhandlungen im Dezember 1987 zum Abschluß des Abkommens üher die Beseitigung von Mittelstrekkenraketen (INF-Vertrag), das zum ersten Male echte Abrüstungsmaßnahmen vorsah. Eine wichtige Neuerung war auch die Vereinbarung von Vor-Ort-Inspektionen. Nach Abschluß dieses Vertrages - bedingt auch durch die Veränderungen in der Sowjetunion und die zunehmende Entschärfung des Ost-West-Konflikts - erhielten die Abrüstungsbestrebungen erheblichen Auftrieb. Die USA und die Sowjetunion führten zum ersten Mal gemeinsam VerifIkationsexperimente durch, die den Abschluß von weiteren Rüstungskontrollvereinbarungen erleichtern sollten. Tatsächlich folgten in kürzester Zeit mehrere wichtige Rüstungskontrollvereinbarungen. Nach fast 15 Jahren einigten sich die beiden Staaten auf VerifIkationsprotokolle zu den Testschwellenverträgen von 1974 und 1976. Diese Protokolle sehen umfassende Kontrollen vor Ort vor, unter anderem mit Hilfe seismischer Monitoren. Die Testschwellenverträge traten daraufhin endlich in Kraft. In einem weiteren Abkommen kamen die heiden Staaten überein, ihre Chemiewaffenbestände drastisch zu verringern. Damit wurden die bilateralen Abrüstungsbemühungen zum ersten Mal auch auf andere Waffen ausgedehnt.'-S Mit diesem bilateralen Abkommen wollten die beiden Staaten die Verhandlungen über ein weltweites Verbot von Chemiewaffen weiter voran bringen." Nachdem auch die multilateralen Gespräche über konventionelle Abrüstung in Europa erfolgreich waren,'7 unterzeichneten der amerikanische Präsident Bush und der sowjetische Präsident Gorbatschow am 31. Juli 1991 schließlich das seit Jahren immer wieder angekündigte START-Abkommen. Bisher waren nur Obergrenzen für strategische Waffen festgesetzt worden. Zum ersten Mal sollten nun strategische Waffen tatsächlich abgebaut werden. Entgegen den ursprünglichen Erwartungen wurde allerdings nur eine 3O-prozentige

6S Ausführlicher zu den bilateralen Verhandlungen über chemische Waffen KoploHl, Long Arms, The Yale Journal of International Law 15 (1990), S.21 Fn.74 mit zahlreichen Hinweisen. 66

321.

Zu den Verhandlungen über ein weltweites Verbot von Chemiewaffen vgJ. Kassapis, S.ll6-

67 Die VKS&Gespräche hatten am 6. März 1989 die sog. MBFR-Verhandlungen (Mutal and Balanced Force Reduction Talks) abgelöst, in denen die NATO und der Warschauer Pakt seit 1973 versucht hatten, konventionelle Abrüstungsschritte in Mitteleuropa zu vereinbaren. Bereits nach eineinhalb Jahren wurde am 19. November 1991 in Paris der Vertrag über konventionelle Abrüstung in Europa unterzeichnet, abgedruckt in: ILM 30 (1991), S.6ff.

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

42

Reduzierung vereinbart. Doch enthält das START-Abkommen das bisher umfassendste Veriflkationsregime. Nach dem Scheitern des Putschversuchs in Moskau im August 1991 sah sich die amerikanische Regierung gezwungen, angesichts der unklaren Lage in der So\\jetunion, den Abrüstungsprozeß zwischen den beiden Staaten zu beschleunigen. Am 27. September 1991 kündigte Präsident Bush drastische Abrüstungsmaßnahmen in bezug auf taktische Nuklearwaffen an und verlangte die Fortsetzung der START-Gespräche. Nur wenig später beantwortete der damalige Präsident Gorbatschow diese Initiative mit der Ankündigung, daß die So\\jetunion ebenfalls den größten Teil ihrer landgestützten taktischen Nuklearwaffen verschrotten und die verbleibenden in Militärdepots zentral lagern werde." Als sich die So\\jetunion Ende 1991 auflöste, erklärten die Nachfolgestaaten, daß sie die von der So\\jetunion mit den USA vereinbarten Rüstungskontrollabkommen einhalten werden." Dennoch wuchs die Sorge der amerikanischen Regierung um die zuverlässige Kontrolle der in Rußland, Kasachstan, Weißrußland und der Ukraine stationierten Atomwaffen. Die USA drängten deshalb auf eine rasche Fortsetzung des Abrüstungsprozesses. Sie forderten die neuen Atommächte auf, mit der bereits begonnenen Abrüstung der taktischen Nuklearwaffen fortzufahren. Kasachstan, Weißrußland und die Ukraine versicherten daraufhin, daß sie bis Anfang Juli 1992 die auf ihrem Gebiet stationierten taktischen Atomwaffen nach Rußland zur Verschrottung verlagern würden. Gleichzeitig begannen zwischen den USA und den vier Staaten informelle Verhandlungen über die strategischen Waffenarsenale. Am 23. Mai 1992 unterzeichneten die fünf Parteien in Lissabon ein Protokoll zum START-Vertrag, in dem die vier früheren So\\jetrepubliken gemeinsam die Verpflichtungen der So\\jetunion aus diesem Vertrag übernehmen. Außerdem verpflichteten sich Kasachstan, Weißrußland und die Ukraine, so schnell wie möglich dem Nichtverbreitungsvertrag von 1968" beizutreten. Bereits zuvor hatten sie jeweils in einem Brief an Präsident Bush angekündigt, innerhalb der nächsten sieben Jahre ihre strategischen Kernwaffen zur Vernichtung an Rußland zu übergeben.71

68

Ausführlich hierzu Meiers, EA 46 (1991), S.654ff.

{f}

Vgl. die Nachweise in Fn.l.

70

Siehe oben Fn.44.

71 Ausführlicher Anns Control Today, Juni 1992, S.18ff. Ursprünglich war vorgesehen, daß der START-Vertrag nur zwischen den USA und Rußland in Kraft tritt und die Durchführung im einzelnen zwischen den vier früheren Sowjetrepubliken ausgehandelt wird. Da aber Kasach-

1. Abschn.: Entstehung und Entwicklung von "Rüstungskontrolle"

43

Auf der Grundlage dieser Vereinbarungen einigten sich die USA und Rußland im Juni auf weitere erheblich über das START-Abkommen hinausgehende Abrüstungsmaßnahmen. Das von Präsident Bush und Präsident Jeltzin unterzeichnete Rahmenabkommen sieht die Reduzierung des strategischen Arsenals um ein weiteres Drittel bis zum Jahr 2003 vor. Die Abrüstung soll in Stufen und mit amerikanischer technischer Hilfe für Rußland abgewikkelt werden. Die Abfassung eines formellen Vertragstextes wurde den Vertragsunterhändlern überlassen. Möglich wurde dieses Abkommen, weil Rußland nicht wie die frühere Sowjetunion auf zahlenmäßiger Gleichheit und symmetrischen Reduzierungen bestand. Allerdings verbleibt beiden Seiten nach Durchführung der ausgehandelten Maßnahmen immer noch ein zerstörerisches Potential für einen "Vergeltungsschlag".7Z

stan, Weißrußland und die Ukraine gleichbehandelt werden wollten, hat man sich auf ein mehrseitiges Zusatzprotokoll geeinigt, in dem nun alle vier neuen Atommächte die Verpflichtungen der Sowjetunion aus dem SfART-Vertrag übernehmen, vgl. Arms Control Today, Mai 1992, S.16ff. 72 Vgl. die Meldungen in der NewYork Timesvom 17. Juni 1992, A/1,A/6 und A/7, und der FAZ Nr.140 vom 19. Juni 1992, S.6. Ausführlicher Arms Control Today, Juni 1992, S.17ff.

44

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

2. Abschnitt

Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache? Der Überblick zur Entstehung und Entwicklung des Rüstungskontrollkonzepts und insbesondere zu den bilateralen Bemühungen hat gezeigt, daß die USA und die Sowjetunion in diesem Bereich fast ausschließlich Verträge geschlossen haben. Allerdings haben in den letzten Jahren auch sog. politische Absprachen73 zugenommen. Solche Absprachen wurden getroffen, wenn die beiden Staaten es vermeiden wollten, rechtliche Bindungen einzugehen. Der Vorteil war, daß sie sich jederzeit einseitig von den übernommenen Verpflichtungen lösen konnten, ohne der anderen Partei das Recht zur völkerrechtlichen Repressalie zu geben. Ausschlaggebend waren oft auch innerstaatliche Gründe: die Staaten waren in diesen Fällen nicht auf die Mitwirkung der Parlamente angewiesen.'· Diese politischen Absprachen unterscheiden sich in ihrer Bindungswirkung oft kaum von völkerrechtlichen Verträgen'S, unterliegen als außerrechtliche Abmachungen aber eben nicht den Regeln des

73 Die Bezeichnungen für politische Absprachen variieren: Gelegentlich werden sie als "gentlemen's agreements· bezeichnet, vgI. Menzel/lpsen, S. 75; Bahntje, S. 28ff. Verdross/Simma, § 544, verwenden dagegen den Terminus gentlemen's agreements für persönliche Absprachen zwischen Staatsmännern verschiedener Staaten, nicht für Vereinbarungen zwischen den Staaten. Einige Autoren sprechen von ·de facto agreements", vgI. Roessler, GYIL 21 (1978), S.41. Dieser Terminus wird aber allgemein abgelehnt, da er den normativen Charakter dieser Absprachen nicht zum Ausdruck bringe, vgI. Bothe, Norms, NYIL 11 (1980), S.68. Häufig wird der Begriff "unverbindliche Abmachungen" ("non-binding agreements") gewählt, vgl. Münch, Comments, ZaöRV 29 (1969), S.l; ders., Abmachungen, S.214,218; Schachter, Twilight Existence, AJIL 71 (1977), S.296. Gegen diesen Terminus wiederum wird vorgebracht, daß die betreffenden Abmachungen ja nicht schlechthin, sondern nur rechtlich unverbindlich· seien; vorgeschlagen wird daher die Bezeichnung ·außerrechtliche zwischenstaatliche Absprachen", vgI. Bothe, Norms, NYIL 11 (1980), S.68; Rotter, S.414; Verdross/Simma, § 545. 74 Ausführlicher zu den Motiven, politisch verbindliche Absprachen zu treffen, vgl. Bothe, Rechtsfragen, Berichte DGVR 30 (1990), S.69f.; Rotter, S.418-421; Bothe, Norms, NYIL 11 (1980), S.86,90-92; Lauterpacht, S.396; Wengier, Wirkungen, ArchVR 22 (1984), S.313-317; SChweisfurth, Rechtsnatur, ZaöRV 36 (1976), S.713f.; Bilder, S.24-27; Rosenne, S.87-91; Schachter, International Law, S.96f. Vgl. auch Lipson, International Organization 45 (1991), S514ff. 75 Von Lipson, International Organization 45 (1991), S502ff., wird deshalb die herkömmliche Unterscheidung zwischen rechtlich bindenden und außerrechtlichen Absprachen abgelehnt. Er unterscheidet aufgrund der Form und der Art des Zustandekommens zwischen ·treaties" und "informal agreements", wobei er zu letzteren neben schriftlichen politischen Absprachen auch aufeinander abgestimmtes Verhalten rechnet (tacit agreement, unspoken rules), vgl. ebd., S502f. Doch im Grunde hält auch er an der herkömmlichen Differenzierung fest, wenn er schreibt: '"Tbe decision to encode a bargain in treaty form is primarily adecision to highlight the importance of the agreement and even more, to underscore the durability and significance of the underlying promises.... • (S508ff.).

2. Abschn.: Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache?

45

Völkervertragsrechts." Teilweise haben gerade die beiden Staaten auf die Unterscheidung ausdrücklich Wert gelegt." In einigen Fällen läßt sich allerdings nicht ohne weiteres sagen, ob es sich um eine rechtliche Vereinbarung oder um eine nur politisch verbindliche Absprache handelt. Nicht immer werden völkerrechtliche Verträge unter feierlichem Austausch von RatifIkationsurkunden geschlossen. Die Einordnung ist vor allem dann schwierig, wenn die Parteien keine konkreten Verpflichtungen eingegangen sind oder die äußere Form nicht der in der Praxis üblichen Form der Verträge entspricht.78 Auch die beiden Staaten selbst waren manchmal über die Rechtsqualität einer Vereinbarung unterschiedlicher Ansicht, Z.B. in bezug auf die Erklärung von Wladiwostok79• Während die Sowjetunion diese Erklärung als völkerrechtlich verbindlich ansah, wurde sie in den USA nicht unter den executive agreements veröffentlicht." Damit interessiert natürlich die Frage, wann in einem solchen Fall von einer rechtlichen Vereinbarung ausgegangen werden kann. Nach einem kurzen Überblick über die umstrittenen Fälle werden deshalb Kriterien für die Abgrenzung aufgezeigt. Zur KlarsteIlung sei gesagt, daß es hier nicht um das Problem der Auswirkung von Mängeln in der Handlungsfähigkeit der Partner, in der Form oder in der Prozedur des Vertragsschlusses oder von Kollisionen mit allgemeinen Regeln des Völkerrechts geht; diese Fragen treten erst auf, wenn von einem Text feststeht, daß er rechtlich relevant ist.

A. Die umstrittenen Fälle

Der Rechtscharakter wird bei Absprachen im Bereich der Außenpolitik, Absprachen über zukünftige Verträge und Absprachen mit rein technischem Inhalt diskutiert.

76 Die politischen Absprachen können aber unter Umständen bei der Auslegung der Verträge von Bedeutung sein, vgl. unten 3.Teil, 4Abschn., B.II.3. 77 Vgl. allgemein zur Unterscheidung zwischen rechtlichen und rein politischen Vereinbarungen Wengier, Betrachtungen, ÖZöffRV 33 (1982), S.173-198. 78

Vgl. allgemein zu der Frage, warum Abgrenzungsprobleme entstehen, Bahntje, S.3lf., und

79

Siehe oben l.Teil, 1Abschn., D.

Rosenne, S.87, 92f.

Vgl. Department of State Bulletin, 23. Dezember 1974, S.879. Näheres dazu bei Wengier, Rechtsvertrag, JZ 31 (1976), S.l94 Fn.16. 80

46

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge I. Absprachen im Bereich der Außenpolitik

Schwierig ist die Einordnung amerikanisch-sowjetischer Erklärungen, in denen die beiden Staaten ihr gegenseitiges Verhältnis geregelt haben. Diese Absprachen enthalten im Grunde nur Absichtserklärungen; man bekennt sich zu gemeinsamen Zielen, gemeinsame Interessen und Wünsche werden geäußert. Insbesondere werden in diesen Dokumenten im Völkerrecht verankerte Grundsätze wie z.B. das Gewaltverbot oder die friedliche Beilegung von Streitigkeiten bestätigt. Bereits bestehende bilaterale Rüstungskontrollverpflichtungen werden erneut bekräftigt. Gemeint sind hier z.B. die am Ende der Gipfeltreffen veröffentlichten Schlußkommuniques.'l Bislang betrafen sie fast ausschließlich die zukünftigen Beziehungen der USA und der Sowjetunion.1Z Ihr Wortlaut wurde in der Regel unter größter Anstrengung festgelegt. Meist waren sie nicht eindeutig in Vertragsform verfaßt, aber ähnlich wie bei Verträgen in artikelähnliche Einheiten gegliedert. Z.T. gingen sie über das bloße Bekenntnis zu Entspannung und Rüstungskontrolle hinaus. Dies ergibt sich aufgrund von Wendungen wie "Having reviewed the state of ...", "The two leaders called for ... ", "Both sides agreed", "The two sides stated their strong support", "Taking into account, the two leaders ... ".13 Weiter zu nennen ist in diesem Zusammenhang die "Declaration on Basic Principles of Relations Between the United States of America and the Union of Soviet Socialist Republics" vom 29. Mai 1972, auch kurz Prinzipienerklärung genannt .... In diesem Dokument regelten die USA und die Sowjetunion - sehr ausführlich - ihre gegenseitigen Beziehungen. Diese sollten folglich auf den Grundsätzen der Souveränität und der Gleichberechtigung beruhen; vermieden werden sollten Situationen, die zu einer gefährlichen Verschlechterung der Beziehungen führen könnten. Weiter bekannten sich die beiden 81 Im Aegean Sea Continental Shelf Case hat der IGH anerkannt, daß auch gemeinsame Kommuniques ein völkerrechtliches Abkommen darstellen können, ICJ Reports 1978, S.3, 39ff. Allgemein zu dieser Frage Rosenne, S. 116/117.

82 Ausführlicher zu Inhalt und Bedeutung solcher Schlußkommuniques Bothe, Norms, NYIL 11 (1980), S.70. 83 Vgl. die Gemeinsame Erklärung vom 10. Dezember 1987 über die Gespräche zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow in Washington, abgedruckt in: ILM 27 (1988), S. 256-261; deutscher Text in: EA 43 (1988), D 32-D 38; ebenso die Gemeinsame Erklärung vom 1. Juni 1988 über die Gespräche zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow in Moskau, abgedruckt in: ILM 27 (1988), S.1181-1185; deutscher Text in: EA 43 (1988), D 367-D 376. 84

Abgedruckt in: Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr.l0.3.2.

2. Abschn.: Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache?

47

Staaten zum Ziel der allgemeinen und vollständigen Abrüstung und beabsichtigten, ihre diesbezüglichen Bemühungen fortzusetzen - ein Bekenntnis, das übrigens ebenfalls in den Präambeln der zweifellos rechtliche Wirkungen erzeugenden SALT-Verträge und des INF-Vertrages enthalten ist. Auch der Form nach spricht vieles für einen völkerrechtlichen Vertrag: Das Dokument, das feierlich unterzeichnet wurde, hat eine Präambel. Der Formel "Have agreed as folIows" folgen die einzelnen Grundsätze: "First ... , Second ... ". Fast wortgleiche Bestimmungen wie die oben beschriebene Erklärung enthält der Vertrag zur Verhinderung eines Atomkriegs vom 22. Juni 1973. Gemäß Art. I werden die Parteien schon die Entwicklung von kriegsgefährdenden Situationen zu verhüten suchen. In Situationen, in denen der Weltfrieden gefährdet ist, werden sie sich - gemäß Art. 11 - jeder Gewaltanwendung und Drohung mit Gewaltanwendung enthalten - eine bloße Wiederholung des global geltenden Gewaltverbots. Schließlich werden sie sich bei Gefahr eines nuklearen Konflikts unverzüglich konsultieren und alles unternehmen, um diese Gefahr abzuwenden (Art.lV). Obwohl formal als Vertrag geschlossen, kommen aufgrund dieser unbestimmt gehaltenen Verpflichtungen und der vagen Formulierungen Zweifel am Rechtscharakter dieser Vereinbarung auf.as Solche Zweifel äußerte wohl auch der damalige Außenminister Henry Kissinger: "1bese statements of principles are not an American concession; indeed, we have been affirming them unilaterally for two decades. Nor are they a legal contract; rather they are an aspiration and a yardstick by which we assess Soviet behaviour...a6

Prinzipienerklärung und das Nuklearkriegsverhütungsabkommen sind in einigen Teilen identisch. Warum wird dann die Erklärung doch mehrheitlich als nur politisch verbindlich angesehen17, das Abkommen dagegen von den meisten Autoren unbedenklich als völkerrechtlicher Vertrag behandelt?-

&5 Zweifel am Rechtscharakter - zumindest im Hinblick auf einige Bestimmungen des Abkommens - haben Ress, Überlegungen, ZaöRV 34 (1974), S.229/23O, und Simma, Consent, S.489f.

86 Department of State Bulletin, 14. Oktober 1974, S.510. Andere Äußerungen Kissingers lassen sich allerdings dahin interpretieren, daß doch trotz der vagen Formulierungen eine rechtliche Verbindlichkeit dieses Abkommens anzunehmen sei, vgl. Department of State Bulletin, 23. Juli 1973, S.143: "1be purpose of this agreement is to legalize, to syrnbolize ..... tfI

Z.B. von Bothe, Dogmatik, S.231/232.

Auch Ress, Überlegungen, ZaöRV 34 (1974), S. 230, bejaht am Ende die rechtliche Verbindlichkeit der in dem Nuklearkriegsverhütungsabkommen eingegangenen Verpflichtungen. 88

48

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge 11. Absprachen über zukünftige Verträge

Gerade im bilateralen Verhältnis ist es immer wieder vorgekommen, daß auf Gipfeltreffen in Zeiten stagnierender Rüstungskontrollverhandlungen der Rahmen für die Fortsetzung der Verhandlungen abgesteckt wurde bzw. spätere Vertragsinhalte vorfIXiert wurden. Besonders illustrativ ist hier der SALT-Prozeß. Dem ABM-Vertrag ging u.a. eine gemeinsame Erklärung der Sowjetunion und der USA vom 20. Mai 1971 voraus, in der die Gegenstände, die der angestrebte Vertrag regeln sollte - ABM und bestimmte Maßnahmen zur Begrenzung strategischer Offensivwaffen -, näher definiert wurden. Nach den SALT I-Verträgen folgte das "Agreement on Basic Principles of Negotiations on the further Limitation of Strategie Offensive Weapons" vom 21. Juni 1973, das Grundlage für SALT 11 wurde. Dieses Dokument wurde von Nixon und Breschnew feierlich unterzeichnet. Es enthält eine Präambel und zahlreiche Wendungen, die typischerweise in völkerrechtlichen Verträgen verwendet werden: "Have agreed as follows", "The two Sides" "continue active negotiations in order to work out a permanent agreement on more complete measures on the limitation of strategie offensive arms" ..."Over the course of the next year the two sides will make serious efforts to work out the provisions of the permanent agreement on more complete measures ... with the objective of signing it 1974." Daneben legte es Einzelpunkte der bereits erreichten Einigung fest (Berücksichtigung quantitativer und qualitativer Aspekte, Ersetzung bestehender Waffen). Noch präziser wurde der Inhalt des angestrebten SALT lI-Abkommens in der amerikanisch-sowjetischen Erklärung von Wladiwostok vom 24. November 1974 festgelegt; die konkret vereinbarte Höchstgrenze für Trägerwaffen und MIRVs wurde jedoch erst später allein von Präsident Ford auf einer Pressekonferenz bekanntgegeben. - Auch hier sprechen Sprache und feierliche Unterzeichnung für Vertragscharakter. Stets gingen diesen Erklärungen zähe und langwierige Verhandlungen voraus. Ebenso wie bei den SALT-Verhandlungen sind die beiden Staaten später bei den START-Gesprächen verfahren. Noch bei der Unterzeichnung des SALT lI-Vertrages einigten sich die Regierungen auf Grundsätze und Hauptleitlinien für weitergehende Begrenzungen strategischer Waffen." Da sich die Verhandlungen über Jahre hinzogen, gaben sie in gemeinsamen Erklärungen immer wieder den genauen Zwischenstand der Gespräche bekannt. ErIJ} "Gemeinsame Erklärung der Grundsätze und Hauptleitlinien für künftige Verhandlungen über die Begrenzung strategischer Waffen" vom 18. Juni 1979, abgedruckt in: Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr.14.3.1.

2. Abschn.: Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache?

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wähnenswert ist vor allem die Erklärung vom Mai 1990, die bereits die genauen Limits enthielt und bis ins Detail die Zählregeln des zukünftigen Abkommens festlegte." Jüngstes Beispiel ist das von Präsident Bush und dem russischen Präsidenten Jeltzin am 17. Juni 1992 in Washington geschlossene Rahmenabkommen über die weitere Reduzierung strategischer Waffen.'l An der Rechtsqualität dieser Absprache wurden keine Zweifel geäußert. Dabei haben sich die USA und Rußland lediglich auf bestimmte Zahlen und die verschiedenen Phasen der Abrüstung geeinigt, die Abfassung des eigentlichen Vertragstextes wurde den Vertragsunterhändlern überlassen. Handelt es sich nun um bloße politische Absprachen - so in fast allen Fällen die Mehrzahl der Völkerrechtswissenschaftler'l - oder nicht vielleicht doch um völkerrechtlich verbindliche pacta de negotiando? Der Praxis durchaus bekannt sind Abkommen, in denen sich die Staaten verpflichten, ein Abkommen über einen bestimmten Gegenstand abzuschließen bzw. Verhandlungen nach Treu und Glauben mit dem Ziel zu führen, eine für alle Teile annehmbare Einigung zu erreichen.'l III. Technische Abspra(hen

Schließlich gibt es noch eine Reihe technischer Absprachen, so z.B. das Heißer Draht-Abkommen oder die jüngst vereinbarten Veriftkationsexperimente, die wie völkerrechtliche Verträge zustande gekommen, aber höchst technisch sind, so daß ihr Rechtscharakter bezweifelt werden kann. Schaut man sich speziell die Absprachen über gemeinsame Veriftkationsexperimente an, so findet man auf fast hundert Seiten Regelungen und immer wieder Skizzen, die nur noch einem technischen Experten zugänglich sind. Dies gilt 90 Abgedruckt in: New York Times vom 2. Juni 1990 , S. Y/8. Deutscher Text in: EA 45 (1990), S. D 462ff. 91

Siehe oben Einleitung, A.

So Verdross/Simma, § 545 Gedenfalls bzgI. der vereinbarten "Basic Principles of Negotiation on the Further Limitation of Strategie Offensive Anns"); Bothe, Norms, NYIL 11 (1980), S.72/73; ders., Dogmatik, S.230-232. 92

91 Solche pacta de negotiando sind in der Praxis meistens als zusätzliche Verpflichtung in einem eine bestimmte Materie regelnden Vertrag enthalten, gebräuchlich sind aber auch rechtliche Vereinbarungen nur mit diesem Inhalt, vgI. Beyerlin, EPIL (7), S.373. VgI. auch Verdross/Simma, § 548; Münch, Abmachungen, S.22!. Beyerlin, ebd., S.372, weist allerdings darauf hin, daß in diesen Fällen die Abgrenzung zwischen völkerrechtlichem Vertrag und bloß politisch verbindlicher Absprache besonders schwierig ist. 4 Schmidt am Busch

50

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

ebenso für die zu den Verträgen gehörenden VerifIkationsprotokolle, die bei jedem neuen Vertrag an Umfang zunehmen und häufIg keine Verpflichtungen konstituieren, sondern nur technische Geräte und Ausrüstungen beschreiben. Fast noch mehr Bedenken bestehen hinsichtlich der sog. Memoranda of Understanding (MOU), in denen lediglich Daten ausgetauscht werden. Das anschaulichste Beispiel ist wohl das MOU des INF-Vertrags, das die genauen Koordinaten der Dislozierungsgebiete und Standorte der zu eliminierenden Mittelstreckenwaffen enthält und darüber hinaus zahlreiche Fotos der vom Vertrag erfaßten Waffentypen. B. Die Begriffselemente des völkerrechtlichen Vertrags

Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1%9'4 enthält eine Definition des völkerrechtlichen Vertrages, die allgemein anerkannt ist. So heißt es in Art. 2 Abs. 1 (a) WÜV: "Treaty means an international agreement concluded between States in written form and governed by international law, whether embodied in a single instrument or in !wO or more related instruments and whatever its particular designation.·95

Folglich muß es sich um eine Vereinbarung zwischen Staaten handeln, die dem Völkerrecht unterliegt. Form und Bezeichnung sind unerheblich. I. Vereinbarung

Bei allen hier fraglichen Dokumenten handelt es sich um "international agreements", um Vereinbarungen; denn "international agreement" im weiteren Sinne ist die zwischenstaatliche Willenseinigung an sich, die auch bei einer nicht als völkerrechtlicher Vertrag zu qualifizierenden Abmachung gegeben ist." Als Ergebnis gemeinsamer Gespräche sind sie Ausdruck der gemein-

94

Einzelheiten zu diesem Abkommen unten 3.Teil, 1Abschn.

Die Definition des völkerrechtlichen Vertrages geht eigentlich über die Definition des WÜV hinaus, und zwar insoweit, als jede auch mündlich oder konkludent getroffene Vereinbarung zwischen Völkerrechtssubjekten einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt; das WÜV bezieht sich nämlich aus Praktikabilitätsgrunden nur auf schriftliche Verträge zwischen Staaten. Für die hier anstehenden Fragen kann aber ohne weiteres von der WÜV-Definition ausgegangen werden, geht es hier doch gerade um schriftliche Dokumente der beiden Großmächte. 9S

96

Vgl. Rauer, S.423; Schweisfunh, Rechtsnatur, ZaöRV 36 (1976), S.684/685.

2. Abschn.: Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache?

51

samen Wünsche der Parteien." Zweifel könnten allenfalls hinsichtlich der am Ende der Gipfeltreffen herausgegebenen Schlußkommuniques bestehen; doch in der Regel sind sie mehr als bloße gemeinsame Äußerungen der Staatsführer. Sie geben nicht allein nur die Gespräche wieder, sondern stecken zukünftiges gemeinsames Handeln ab. Selbst in den Fällen, in denen die Parteien letztlich nur einem Komprorniß zugestimmt haben, also jeweils nicht das erreicht haben, was sie ursprünglich wollten, haben sich die Parteien insoweit geeinigt." Es stellt sich aber die Frage, ob bei einem Vertrag bestimmte Anforderungen an den Inhalt der Willenseinigung zu stellen sind. Bei fast allen der oben genannten Dokumente werden kaum konkrete Verpflichtungen für die Parteien festgelegt; vage Formulierungen bestimmen ihren Charakter. Denkbar ist, daß der Inhalt der Vereinbarungen für einen Vertrag zu unbestimmt ist. Zahlreiche Autoren sind der Auffassung, daß ein völkerrechtlicher Vertrag nicht zustande komme, wenn der Inhalt der Willenseinigung zu unbestimmt sei." Es müsse erkennbar sein, was die Vertragsparteien gewollt haben. IOG Wenigstens für eine Partei müsse sich eine Verpflichtung ergeben. IOI Zur Begründung führen sie an: da es im Völkerrecht keine obligatorische Streitbeilegung und keinen Gesetzgeber gäbe, müßten die Völkerrechtsnormen also auch völkerrechtliche Verträge - von vornherein präzis und klar formuliert sein, um überhaupt ihre Funktion als Recht erfüllen zu können. I01 Die geschaffenen Verpflichtungen müßten "susceptible of judicial interpretation

97

Vgl. die Definition des ·international agreement· bei Widdows, BYIL 50 (1979), S.119.

98

Vgl. Widdows, BYIL 50 (1979), S.119.

So l'erdross/Simma, § 756. Ebenso Sir Hersch Lauterpacht in seiner Erklärung zum Sovereignty over Certain Frontier Land Case: ·the ... provisions ... must be considered as void and inapplicable on account of uncertainty and unresolved discrepancy... ·, ICJ Reports 1959, S.209 (231). In die gleiche Richtung geht wohl auch De VISSCher in seiner abweichenden Meinung zum Südwestafrika-Gutachten, wenn er davon spricht, daß die Pflicht zu Verhandlungen ·the valid and practical object of an international undertaking· sein kann, ICJ Reports 1950, S.I86 (188). 99

100

Verdross/Simma, §§ 743, 756.

So Widdows, BYIL 50 (1979), S.121. ·It is axiomatic that a binding agreement gives rise to an obligation on the part of at least one of the parties." Allerdings bedeute dies nicht, daß sofort gehandelt werden müsse; die Verpflichtung könne darin bestehen, in der Zukunft etwas zu tun, immer nur bei Bedarf etwas zu tun, oder sie könne permanent bestehen, ebd., S.126/127. Auch der lOH verlangt im Südwestafrika-Gutachten, daß die Parteien sich zu etwas ·verpflichten·, es sich nicht bloß um ·a mere indication of the future conduct· handele, ICJ Reports 1950, S.l28 (135). 101

102

Münch, Agreements, EPIL (7), S.356; O'Connell, International Law, S.199/200.

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1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

and application" sein. 113 Früher wurde manchmal sogar gefordert, daß die übernommenen Verpflichtungen für beide Parteien gleichwertig und gerecht sein müßten!" Dem kann nicht gefolgt werden. Auf keinen Fall entscheiden die geregelte Materie l8S und das Verhältnis der ausgetauschten Leistungen über die Zuordnung einer Vereinbarung zum Völkerrecht. So existiert keine völkerrechtliche Regel, nach der die ausgetauschten Leistungen gleichwertig sein müssen.l~ Gerade im Rüstungskontrollbereich sind häufig asymmetrische Reduzierungen nötig - man denke nur an den INF-Vertrag; wegen des unterschiedlichen Potentials der Staaten käme man sonst nie zu einer vollständigen Abrüstung. Das Zustandekommen eines völkerrechtlichen Vertrages scheitert aber auch nicht an der Unbestimmtheit des Inhalts. Unklar ist schon, wann eine Willenseinigung "zu unbestimmt" ist. Selbst Pflichten wie "to promote" und "to encourage" sind nicht ohne Bedeutung und lassen sich fast immer inhaltlich füllen. I07 Abgesehen davon ist es gerade Aufgabe der Interpretation, bei unklarem Inhalt die Rechte und Pflichten aus einem gegebenen Abkommen zu konkretisieren. Das setzt aber bereits voraus, daß man das entsprechende Abkommen als in den sachlichen Geltungsbereich des völkerrechtlichen Vertragsrechts fallend ansieht. Die Frage, ob ein Vertrag zustande gekommen ist, ist deshalb von der sich erst daran anschließenden Frage zu unterscheiden, welche Rechte und Pflichten sich aus dem Vertrag konkret für die eine oder andere Vertragspartei ergeben.los Aus der mangelnden Durchsetzbarkeit eines Abkommens kann nicht gefolgert werden, daß gar kein Vertrag vorliege. lot

103 WiddoHlS, BYIL 50 (1979), 8.140. Vgl. auch die "separate opinions" von Sir Hersch LauterpachI zum Norwegian LoallS Case, 10 Reports 1957, 8.9 (48ff.), und von Sir Percy Spender zum Interhande/ Case, 10 Reports 1959, 8.6 (53ff.).

104

Nachweise bei WiddoHlS, BYIL 50 (1979), 8.119 Fn.4.

So Fastenrath, 8.92; Seid/-Hohenve/dern, Rdnr. 146; aA. Verdross/Simma, § 534, die die völkerrechtlichen Verträge auf Verträge hoheitlichen Inhalts eingrenzen. lOS

106 Vgl. Verdross/Simma, § 753. Hat sich eine Vertragspartei aufgrund einer Täuschung zu einer der von der Gegenseite zu erbringenden ungleichwertigen Leistung verpflichtet, gilt allerdings Art. 49 WÜV. 107

Vgl. WiddoHlS, BYIL 50 (1979), 8.139.

108

Rotter, 8.433.

109

WiddoHlS, BYIL 50 (1979), 8.139/140.

2. Abschn.: Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache?

53

Auf den Gegenstand einer Vereinbarung kommt es für die Zuordnung zum Völkerrecht nicht entscheidend an. Insoweit ist auch die Deftnition von VerdrossjSimma llo zu eng, nach der sich die Parteien "zu bestimmten einseitigen oder korrespondierenden, gleichen oder verschiedenen, einmaligen oder wiederholten Leistungen, Unterlassungen oder Duldungen verpflichten." Natürlich muß ein Vertrag einen, wenn auch noch so geringen Gehalt haben, sonst wäre er sinnlos. So kann z.B. das Setzen bestimmter Ziele durchaus Sinn haben auch ohne Angabe, wie das genau geschehen soll. Denn schließlich stehen sich hier Staaten mit unterschiedlichen Kulturen und unterschiedlichen Rechtssystemen gegenüber, so daß für das Erreichen der Ziele in jedem Staat andere Mittel zu wählen sind. Tatsächlich werden deshalb in vielen Verträgen auch nur Ziele vereinbart, die keine bestimmten Handlungsweisen vorschreiben, sondern nur eine anzustrebende, zwischenstaatliche Ordnung markieren - so etwa in Art. 1 VN-Charta oder EWG-Vertrag. Ebenso sinnvoll ist auch die Vereinbarung von Prinzipien und noch so unbestimmten Rechtsbegriffen, weil man damit Beurteilungskriterien gewinnt oder wenigstens einen Handlungsrahmen absteckt, was auch durch die Praxis bestätigt wird (vgl. z.B. nur den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966111). Schließlich bietet es sich oft sogar an, eine rechtliche Frage zunächst noch offen zu lassen, wie es auch weitgehend anerkannt ist. lU Somit ist das Vorliegen eines Vertrages in den genannten Fällen nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Dokumente aufgrund ihrer hochpolitischen Natur vage und verschwommene Inhalte haben. 11. Vereinbarung zwischen "Staaten"

Nach dem WÜV muß es sich um eine Vereinbarung zwischen Staaten handeln. l1J Eine persönliche politische Absprache zwischen Staatsmännern verschiedener Staaten, ein sog. gentlemen's agreement oder seit neuestern eher gentlefolk's agreementl14, begründet keine völkerrechtlichen Verpflich110

§ 534.

111

Abgedruckt in: BGBI. 1973 11, S.1570ff.

112 Siehe zum Ganzen Fastenrath, S.94, der die insoweit unterschiedlichen Definitionen des völkerrechtlichen Vertrages auf das jeweilige rechtstheoretische Grundverständnis zurückführt. 113 Aus redaktionellen Gründen beschränkt sich das WÜV auf die Vereinbarung von Staaten, die Einbeziehung weiterer Völkerrechtssubjekte erschien der ILC zu komplex, vgl. ILCKommentar, ILC-Yearbook 1966 11, S.187 Ziff.2. 114

Rosenne, S.115.

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1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

tungen, sondern nur eine moralische Bindung der Staatsmänner. ll5 Ob es sich um eine solche persönliche Absprache handelt, kann sich nur aus dem Inhalt und den Umständen ergeben. ll' Auf keinen Fall erlaubt Art. 7 Abs. 2 WÜV den Schluß, daß es sich bei einer Absprache zwischen Staatsmännern ohne weiteres um eine Vereinbarung zwischen Staaten handelt. Diese Vorschrift enthält lediglich die Vermutung, daß Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister allein kraft ihres Amtes zum endgültigen Abschluß von völkerrechtlichen Verträgen befugt sind, ohne eine Vollmacht vorlegen zu müssen - betrifft also die Frage, welche staatlichen Organe nach Völkerrecht zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge legitimiert sind. Betrachtet man näher den Inhalt der hier zu untersuchenden Dokumente, muß man unterscheiden: Einerseits heißt es in den Gipfelkommuniques fast immer: "The President and the General Secretary, having expressed the commitment of their two countries ... ", "determined... the two leaders noted ...", "the President and the General Secretary supported further cooperation among scientists of...", "the President and the General Secretary agreed to develop bilateral cooperation...". Andererseits ist die Rede von "the sides", und in der "Declaration of Basic Principles of Relations" heißt es: "The United States of America and the Union of the Soviet Socialist Republics ... have agreed as follows". In den zuerst genannten Fällen dürfte es sich daher wohl um persönliche Absprachen zwischen den Staatsmännern handeln. Zwar setzt das Merkmal "Vereinbarung zwischen Staaten" nicht voraus, daß im Text als vertragsschließende Parteien ausdrücklich die Staaten genannt werden, wie es in der Prinzipienerklärung sogar geschehen ist. Es handelt sich auch dann um einen Vertrag zwischen Staaten, wenn der Text die Regierungen als vertragsschließende Parteien bezeichnet, selbst wenn das in einer solchen Vereinbarung Vorgesehene allein durch Akte der Regierungen realisiert werden kann, ohne daß es auf die Mithilfe anderer Staatsorgane oder gar der Bürger ankäme.1l7 Von einem Vertrag kann dann allerdings nicht ausgegangen werden, wenn allein von den beiden Führern oder gar vom Präsidenten und Generalsekretär die Rede ist.

115 Zum Begriff siehe Verdross/Simma, § 544 und § 683. Zur unterschiedlichen Verwendung dieses Begriffes siehe Fn.73.

116

Verdross/Simma, § 544.

117

Wengier, Rechtsvertrag, JZ 31 (1976), S.l96.

2. Abschn.: Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache?

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Neben dem Inhalt wollen einige Autoren auf die begleitenden Umständeu, abstellen oder auch die jeweils von den handelnden Personen ausgeübte Funktionm in Betracht ziehen. Auch danach spricht vieles dafür, daß in den zuerst genannten Fällen die Staatsmänner der beiden Staaten ausschließlich eine persönliche Verpflichtung übernehmen wollten. Die Kommuniques bilden den Abschluß persönlicher Treffen der jeweiligen Führer. Bei diesen Gipfeltreffen stehen eher die Persönlichkeiten, nicht das Amt im Vordergrund. Und so ist es schon fast üblich geworden, daß bei diesen Begegnungen sich die Staatsführer persönlich für Fortschritte bei den Rüstungskontrollverhandlungen einsetzen. Sie treten hier eher in ihrer Funktion als politische Führer und nicht als Staatsvertreter auf, deutlich gemacht dadurch, daß die Unterzeichnung von Verträgen bei diesen Gipfeltreffen in einen ganz anderen Rahmen gestellt wird als die Veröffentlichung der Schlußkommuniques. 111. Unerheblichkeit der Fonn und der Bezeichnung

Bei allen bilateralen Vereinbarungen handelt es sich um schriftliche Dokumente; denn schon allein aus verwaltungstechnischen Gründen werden über jegliche Art diplomatischer Kontakte Aufzeichungen angelegt. Bezeichnet wurden sie entweder als "Erklärung" ("Declaration"), "Joint Statement", "Memorandum", "Protokoll" oder "Agreement". Für die Frage der Zuordnung kommt es jedoch nicht entscheidend auf die Form oder die Bezeichnung einer Vereinbarung an. IV. "governed by international Iaw"

1. "Rechtsetzungsabsicht" als Abgrenzungskriterium

Als entscheidendes Merkmal bleibt das Begriffselement "governed by international law" übrig. Dieses hat zunächst die Funktion, jene agreements zwischen Staaten aus dem Begriff des internationalen Vertrages auszugrenzen, die dem nationalen Recht eines Vertragsstaates oder eines dritten Staa-

118 Nach Verdross/Simma, § 544, ist auf den Inhalt der Absprache und auf die Umstände abzustellen.

119 Münch, Abmachungen, S.221, der drei Funktionen unterscheidet. "Staatsvertreter im zwischenstaatlichen Bereich können das treaty-making power ausüben oder aber routine mäßig die Rechte des Staates wahrnehmen oder endlich 'große' Außenpolitik programmieren und treiben." Nur beim Vertragsschluß würden sie per definitionem den Staat binden.

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1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

tes unterstellt sind. uo Darüber hinaus hat der Passus jedoch noch die weitere Funktion, jene agreements zwischen Staaten aus dem Vertragsbegriff auszuscheiden, die überhaupt keine rechtlichen Wirkungen haben. Denn der Passus "governed by internationallaw" enthält noch ein subjektives Element: "the intention to create obligations and rights under internationallaw". Dieses subjektive Element ist aus dem Wortlaut des Art. 2 Abs.l (a) WÜV zwar nicht zu ersehen; daß die VertragsdefInition es dennoch mit umfaßtUl , ergibt sich aus den travaux preparatoires zu diesem Artikel w . Sowohl während der Arbeit der ILC am Konventionsentwurf als auch auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz waren mehrfach Versuche unternommen worden, dieses subjektive Element auch in seiner Formulierung zu verdeutlichen. ru Die Versuche scheiterten jedoch, weil man dieses Element bereits als Bestandteil des Begriffes "governed by international law" ansah und eine ausdrückliche Erwähnung für überflüssig bzw. verwirrend hielt U4 • Nicht zuletzt war der Grund, daß man sich auf keine Formulierung einigen konnteus: Der Ausdruck "intention to create obligations and rights" wurde abgelehnt, weil man sich einig war, daß auch Absichten und politische Grundsätze Inhalt völkerrechtlicher Verträge sein können. Die als Alternative angebotene Formulierung "intention to establish a relationship" war insofern problematisch, als "Beziehungen" ja insbesondere auch bei rein politischen Absprachen hergestellt werden. m 120 Im ILC-Kommentar, ILC-Yearbook 1966 11, S.189 Ziff.6, heißt es dazu: "lbe phrase governed by international law serves to distinguish between international agreements regulated by public international law and those which, although concluded between States, are regulated by the national law of one of the parties (or by some other national law system chosen by the parties).· 121 So Laulerpacht, S.381 Fn.l; Verdrass/Simma, § 534 Fn. 9; Balhe, Norms, NYIL 11 (1980), S. 67 Fn. 11. Das Restatement of the Foreign Relations Law of the United States, 3. Aufl. (1987), § 301, definiert ·international agreement· von vornherein als ·agreement ... that is intended to be legally binding and is governed by international law". 122 Ausführliche Darstellung der travaux preparatoires bei Rauer, S.426ff., und Schweisfurth, Rechtsnatur, ZaöRV 36 (1976), S.686ff. Vgl. auch Münch, Comments, ZaöRV 29 (1969), S.2f.

123 Diese Diskussionen und Vorschläge hat Rauer, S. 426ff., ausführlich dargestellt, so daß hier auf seine Arbeit verwiesen wird, aus der sich auch die Originalquellen erschließen lassen.

124 Vgl. den Kommentar der ILC zu dem entsprechenden Draft Article 2 ihres Entwurfs von 1966, ILC-Yearbook 196611, S.189 Ziff. 6: •... the element of intention is embraced in the phrase 'governed by international law' ... •. Vgl. auch den Bericht des Vorsitzenden des Drafting Committee an das Committee of the Whole, A/CONF.39/11/Add.l, S.346: "lbe Committee had considered that the expression 'agreement. ..governed by international law' in Paragraph (a) covered the element of intention to create obligations and rights in international law.· 125

Zu diesen Formulierungsschwierigkeiten Rauer, S.427-429.

126

Widdaws, BYIL 50 (1979), S.121.

2. Abschn.: Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache?

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Für die QualifIzierung als völkerrechtlicher Vertrag kommt es also darauf an, ob die beteiligten Parteien die Vereinbarung dem Völkerrecht zuordnen wollen, d.h. Rechtsetzungsabsicht feststellbar ist. Diese Absicht muß übereinstimmend bei allen beteiligten Staaten vorliegen; es reicht nicht, wenn sie nur bei einer Partei gegeben ist. Nach Wengle,w "ist es unbestritten, wenn auch nicht immer mit aller Deutlichkeit ausgesprochen, daß der völkerrechtliche Vertrag nicht nur eine 'Einigung' zwischen den Vertretern von Staaten ... darüber darstellt, daß etwas 'gesollt (oder nicht gesollt) sein' soll (oder daß ein bestehendes Sollen geändert werden soll), sondern die Willensübereinstimmung muß sich auch darauf beziehen, daß mit diesem Sollen ein völkerrechtliches Sollen gemeint ist." Die Staaten unterliegen in der Frage, ob sie eine Vereinbarung dem Völkerrecht unterstellen wollen oder nicht, keinerlei Einschränkungen. Die ausdrückliche Festschreibung des außerrechtlichen Charakters ist ausnahmslos mit allgemeinem Völkerrecht vereinbar. UI Anders als im nationalen Recht, insbesondere dem Kartellrecht, stellen sich Fragen der Justizhoheit der Gerichtel29 oder die Eröffnung von Umgehungsmöglichkeiten bestimmter Vorschriften hier nicht.l.lt Umgekehrt aber gibt es Fälle, in denen eine Abrede trotz Rechtsetzungsabsicht keine rechtlichen Wirkungen erzeugt, wenn z.B. die Vereinbarung gegen ius cogens verstößt - eine Frage, die sich jedoch erst stellt, wenn feststeht, daß die Abrede überhaupt rechtlich relevant ist.Ul 2. Rechtsetzungsabsicht ungleich Rechtsbindungswille

Von den meisten Autoren wird zur Abgrenzung zwischen politischer Absprache und völkerrechtlichem Vertrag auf dieses subjektive Element abgestellt. Dabei werden häufig Bezeichnungen wie "Rechtsbindungswille"UZ, "will to be bound"1J3, "consent to be bound as a matter of law,,1J4 verwen127

Abgrenzung, S.332.

128

Vgl. Schachter, International Law, S.98; Lipson, International Organization 45 (1991),

S507. 129

Münch, Abmachungen, S.219/220.

Vgl. hierzu Münch, Abmachungen, S.219/220. So auch Schachter, Twilight Existence, AJIL 71 (1977), S.297. 1,30

131

Münch, Agreements, EPIL (7), S.356.

132

Bothe, Rechtsfragen, Berichte DOVR 30 (1990), S.67, spricht von einer auf das Erzeugen

einer rechtlichen Bindung gerichteten Willenserklärung. 133

Beyerlin, EPIL (7), S.372.

58

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

det. Dieses legt die Vermutung nahe, daß zwischen der "intention to create obligations and rights" und der in Art.11 WÜV erwähnten Zustimmung, durch den Vertrag gebunden zu sein, nicht unterschieden wird. Diese Gleichsetzung erfolgt in jedem Fall bei Schweisfurth, indem er behauptet, daß die Einigung über die Verhaltensregel (Feststellung des Vertragstextes) und die Einigung darüber, daß diese Verhaltensregel als Völkerrecht gelten soll, beim einfachen Vertragsabschlußverfahren sich in einem einzigen Akt darstellt, während im zusammengesetzten Vertragsabschlußverfahren zwei Akte getrennt aufeinanderfolgen, wobei er auf die Art. 9-11 WÜV verweist. 135 Wie schon die Wortwahl der ILC - hier: "intention to create obligations and rights" - dort: "consent to be bound", deutlich macht, dürfen beide Institute nicht miteinander verwechselt werden. Die beiderseitige Zustimmung, endgültig an den Vertrag gebunden zu sein, bewirkt, daß das vereinbarte Verhalten nun tatsächlich Recht wird; es handelt sich sozusagen um eine Wirksamkeitsvoraussetzung, d.h. um die rechtswirksame Herbeiführung der völkerrechtlichen Verbindlichkeit. Wir haben es mit einer Rechtsquelle i.S.d. Art. 38 des IGH-Statuts zu tun. Davon zu unterscheiden ist die Absicht der Parteien, daß ein bestimmtes Verhalten dem Völkerrecht unterstellt werden soll. Diese Rechtsetzungsabsicht ist Voraussetzung dafür, daß die Regeln über das Inkrafttreten völkerrechtlicher Verträge - über ihr Verbindlichwerden (also Art. 6ff. WÜV) - überhaupt Anwendung fmden. So setzt Art. 11 WÜV (Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu sein) bereits begrifflich einen Vertrag und damit - da ja konstitutives Element - Rechtsetzungsabsicht voraus. Schon allein die Tatsache, daß sich die Parteien auf das zusammengesetzte Abschlußverfahren geeinigt haben, macht deutlich, daß sie bereits zu diesem Zeitpunkt übereinstimmend ihre Vereinbarung dem Völkerrecht unterstellen wollten, d.h. die Rechtsetzungsabsicht kein Element des Abschlußverfahrens ist. Folgt man Schweisfurth, wäre jeder nicht ratifizierte Vertrag eine politische Absprache. Das ist aber sicher nicht der Fall; schon in der Praxis redet man von einem völkerrechtlichen Vertrag, der eben nicht in Kraft ist und daher kein geltendes Recht darstellt. Die Absicht, die Vereinbarung dem Völkerrecht zu unterstellen, war ja vorhanden, nur wurde letztlich die für das Inkrafttreten erforderliche Zustimmung, durch den Vertrag gebunden zu sein, nicht gegeben. Solange bei einem unterzeichneten Vertrag die Ratifizierung nicht endgültig abgelehnt ist, unterscheidet sich dieser schon allein aufgrund

134

Bathe, Nonns, NYIL 11 (1980), S.94.

Rechtsnatur, ZaöRV 36 (1976), S. 694. Zu Unrecht stützt sich Schweisfurth hier auf Tunkin. 135

2. Abschn.: Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache?

59

der Wirkungen des Art. 18 WÜV von einer nur politisch verbindlichen Absprache. Daß man auch bei einem nicht ratifizierten Vertrag, dessen RatifIzierung endgültig abgelehnt wurde, von einem "Vertrag" spricht, läßt sich mit der Mehrschichtigkeit des Vertragsbegriffs erklären. Nach Karl~ ist Vertrag zum einen das Rechtsgeschäft, der Vorgang und der Akt, durch den eine vertragliche Norm erzeugt werde; zum anderen sei er das Resultat dieses Vorgangs, die durch den Vertrag geschaffene Norm selbst. Und schließlich bezeichne das Wort auch das förmliche Instrument, die Urkunde, in der das Rechtsgeschäft seinen Niederschlag und die Norm ihren Ausdruck gefunden habe. Der Vertrag als instrumentum, als Urkunde und Dokument, sei somit vom Vertrag als Rechtsgeschäft und Norm, als negotium, zu unterscheiden. Nicht immer entsprächen sie sich. Legt man diesen Begriff zugrunde, handelt es sich bei einem nicht ratifizierten Vertrag um ein bloßes instrumentum, das Rechtsgeschäft ist unwirksam, eine Norm wird nicht geschaffen. 3. Rechtsetzungsabsicht nur hinsichtlich einzelner Teile einer Vereinbanmg

Gerade im Zusammenhang mit den hier zu untersuchenden Dokumenten wird häufig die Auffassung vertreten, daß eine Vereinbarung, bei der es sich unbestritten um einen völkerrechtlichen Vertrag handele, einzelne Bestimmungen enthalten kann, die keine rechtlichen Verpflichtungen stipulieren, sondern nur Empfehlungen, Absichtserklärungen oder vage Versprechungen wiedergeben.137 Umgekehrt soll es möglich sein, daß bei einer nur politisch verbindlichen Absprache doch einzelne Teile rechtsverbindlich sind. lJI Ein Dokument soll demnach gleichzeitig rechtliche und rein politische Verpflichtungen enthalten können!J9 Diese Konstruktionen sind theoretisch sicher möglich, da es ja allein auf die Intentionen der beteiligten Staaten ankommt; in der Praxis sind sie aber kaum denkbar. Daß die Rechtsetzungsabsicht in bezug auf einzelne Vor-

136

S.9.

Für denkbar hält dies Ress, Überlegungen, ZaöRV 34 (1974), S.230 Fn.54, beim Kriegsverhütungsabkommen. Allgemein SChweisfunh, Rechtsnatur, ZaöRV 36 (1976), S.697; WengIer, Abgrenzung, S.333; ähnliche Erwägungen im Hinblick auf den Moskauer Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR vom 12. August 1970 Steinberger, ZaöRV 31 (1971), S.66ff. 137

138 Für die KSZE-Schlußakte wird dies von Schweisfunh, Rechtsnatur, ZaöRV 36 (1976), S.697f., untersucht. 139

Vgl. Virally, La distinction, Annuaire IDI, Bd. 60-1, S.227.

60

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

schriften bei einem insgesamt als Vertrag angesehenen Dokument nicht vorliegen soll, ist nicht vorstellbar und erst recht kaum feststellbar l40; warum wären solche Bestimmungen dann überhaupt in Verträgen zu finden? Diese Argumentation gilt auch für den umgekehrten Fall. Ebenso stellt sich dann die Frage, warum die Staaten in der Praxis überhaupt verschiedene Dokumente verabschieden. Die Autoren, die z.B. die rechtliche Relevanz einzelner Bestimmungen in einem Vertrag anzweifeln, stellen auf den Inhalt, d.h. die Unbestimmtheit ab. Es wurde bereits früher gezeigt, daß das Zustandekommen einer rechtlichen Verpflichtung nicht an ihrer Unbestimmtheit scheitert, sondern entscheidend die Rechtsetzungsabsicht der Parteien ist. Für diese kann es schließlich Sinn machen, einige weniger bestimmte Verpflichtungen in einen Vertrag mitaufzunehmen!41

c.

Ermittlung der Rechtsetzungsahsicht

Sofern eindeutig feststeht, daß die beteiligten Staaten keine rechtlichen Bindungen schaffen wollten, kann der Text nicht als Vertrag angesehen werden.14z Auf Sprache, Inhalt usw. darf nicht abgestellt werden!4J Umgekehrt ist denkbar, daß die Staaten eindeutig zum Ausdruck bringen, daß eine Abrede dem Völkerrecht unterstellt werden soll, wie z.B. in Notenwechseln, wo es stets heißt, daß der Notenwechsel "einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den betreffenden Staaten darstellen" solle. In den meisten Fällen äußern sich die Partner hierzu jedoch nicht ausdrücklich, um die Situation bewußt offen zu halten!44 Wo - wie bei den oben angeführten Abreden - Zweifel bestehen, ist die Rechtsetzungsabsicht durch Auslegung zu ermitteln. Bothe will hier die Auslegungsregeln des WÜV direkt heranziehen!45 Tatsächlich müssen diese Bestimmungen analog angewendet werden; denn es geht nicht um die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages, sondern um die Frage, ob überhaupt ein völkerrechtlicher Vertrag vorliegt. Die Art. 31-33 WÜV setzen aber voraus, daß es sich um ein völkerrechtliches Abkommen handelt, das ausgelegt wer140 Von Bernhardt, Treaties, EPIL (7), S.461, wird diese Konstruktion sogar ganz ausgeschlossen. 141

Siehe oben I.Teil, 2Abschn., B.I. und B.IV.1.

142

Münch, Abmachungen, S.219/220.

143

Siehe oben l.Teil, 2Abschn., B.I.

Näher hierzu Münch, Agreements, ZaöRV 29 (1969), S.3; SChachier, Twilight Existence, AJIL 71 (1977), S.297. 144

145

Rechtsfragen, Berichte OGVR 30 (1990), S.67 und 77.

2. Abschn.: Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache?

61

den soll. Dennoch bleiben nur die dort genannten Methoden, um die Rechtsetzungsabsicht zu ermitteln!~ Praktisch werden diese Methoden auch von den meisten Autoren zur Ermittlung der Rechtsetzungsabsicht angewendet, ohne daß sie dabei näher auf die entsprechenden Regeln im WÜV verweisen.l47 I. TextueUe Methode

1. Erstes Indiz: die Bezeichnung

Aufschlußreich kann bereits die Bezeichnung der Vereinbarung sein!48 So hat es sich eingebürgert, die Bezeichnung "Deklaration" eher für politische Absichtserklärungen zu verwenden.l~ Ein als "Vertrag" bezeichnetes Dokument trägt eine fast unwiderlegliche Vermutung für den Rechtscharakter in sichlSO. Gewisse andere Bezeichnungen wie "joint statement" oder "memorandum of understanding" lassen sowohl die eine wie auch die andere Deutung zu. 15I Bei gemeinsamen Kommuniques der Regierungschefs oder der Außenminister wird eine Rechtsetzungsabsicht eher nicht vermutet.15Z Problematisch ist es, bezüglich der Bezeichnung in die innerstaatlichen Verfassungen zu schauen, da dort andere als im Völkerrecht übliche Begriffe verwendet werden. 15l 146 Lediglich die teleologische Methode dürfte für die Frage der Zuordnung einer Vereinbarung zum Völkerrecht wenig Bedeutung haben.

147 Vgl. Schweisfurth, Rechtsnatur, ZaöRV 36 (1976), S.688f.; Schachter, Twilight Existence, AJIL 71 (1977), S.297f.; Bemhardt, Treaties, EPIL (7), S.460; Beyerlin, EPIL (7), S.372; Virally, Panorama, RdC 183 (1983-V), S.193f., die alle auf den Text der Abrede und die begleitenden Umstände abstellen wollen. Vgl. auch den IGH im Aegean Sea Continental Shelf Case, 10 Reports 1978, S.3, 39ff. 148 Bemhardt, Treaties, EPIL (7), S.460, der ausdrücklich darauf hinweist, daß die Bezeichnung Aufschluß darüber geben kann, ob Rechtsetzungsabsicht vorliegt, nicht aber entscheidend für den Vertragsbegriff ist. Siehe oben 1.Teil, 2Abschn., B.IV.l. 149 Münch, Agreements, EPIL (7), S.354 und 356; nicht ganz so deutlich ders., Comments, ZaöRV 29 (1%9), S.3.

150

151

Wengler, Rechtsvertrag, JZ 31 (1976), S.l94. Ebd.

152 Widdows, BYIL 50 (1979), S.121; Wengler, Abgrenzung, S.332; Bothe, Nonns, NYIL 11 (1980), S.70. Vgl. auch den IGH in der Entscheidung Aegean Sea Continental Shelf, Interim Protection, 10 Reports 1976, S.9ff., mit der Besprechung von Wengler, Unzuständigkeit, NJW 32 (1979), S.470, in der es um den Rechtscharakter eines Kommuniques ging. 1S3 Widdows, BYIL 50 (1979), S.142. Vgl. z.B. nur die für das amerikanische Verfassungsrecht so wichtige Unterscheidung zwischen "treaty" und "executive agreement", die im Völkerrecht überhaupt keine Bedeutung hat.

62

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

2. Bedeutung der Sprache bzw. des Inhalts

Die Mehrheit in der Literatur stellt zur Ermittlung der Rechtsetzungsabsicht auf die Sprache, d.h. den Inhalt einer Abmachung ab. 1S4 Bei vagen Formulierungen und unbestimmten Begriffen (werden sich bemühen ... ; werden erwägen ... ; geben ihrer Bereitschaft Ausdruck ...) wird überwiegend angenommen, daß ein solcher Rechtsetzungswille nicht gegeben sei: "The more vague and indeterminable this wording is, the less a clause may be interpreted as a source creating legal obligations."15s Eine präambelähnliche Sprache sei ein starkes Indiz für fehlende Rechtsetzungsabsicht; schließlich würden ja nur die Motive genannt, die zu der Abrede geführt hätten.156 Typischer Inhalt außerrechtlicher Abreden seien gerade gemeinsame Wertvorstellungen, Zweckmäßigkeitsurteile, Interessenbekundungen und Wünsche oder gar gemeinsame Rechtsansichten. 157 Daß bloße Absichtserklärungen "Bindungen" begründen sollen, müsse schon deshalb bezweifelt werden, weil ein Staat seine "Absichten" dauernd ändere bzw. ändern müsse und wohl kaum dafür einstehen wolle, wenn er die Absicht letztlich doch nicht verwirklichen kann.158 Sicherlich kommen den von den Parteien gewählten Formulierungen und Begriffen bei der Auslegung Bedeutung zu. Ausdrücke wie: "die Parteien werden ..." und "die beiden Staaten müssen .. ." - weisen jedenfalls darauf hin, daß es den beteiligten Staaten recht ernst ist, vor allem wenn sie gleichzeitig die übliche Form eines Vertrages wählen. Dennoch darf die Bedeutung der Sprache bei der Auslegung nicht überschätzt werden. Da an den Inhalt eines völkerrechtlichen Vertrages keine besonderen Anforderungen gestellt werden1S9 , bedeutet der Umstand, daß sich aus einem Abkommen keine ausdrücklich formulierten Rechte und Pflichten für die Parteien ergeben, keineswegs, daß die Staaten damit keine Rechtsverbindlichkeiten begründen wollten!60 Daß man von allgemeinen Formeln und Absichtserklärungen nicht ohne weiteres auf fehlende Rechtsetzungsabsicht schließen darf, zeigen "Verfassungs"instrumente wie die VN-Charta, deren Rechtscharakter von nieman-

154

Vgl. Müneh, Agreements, EPIL (7), S.356.

ISS

Beyerlin, EPIL (7), S.372/373.

1.56

Vgl. hierzu Müneh, Comments, ZaöRV 29 (1%9), S.7/8.

157

Wengier, Rechtsvertrag, JZ 31 (1976), S.I%. Ebd.

158 1.59

Siehe oben I.Teil, 2Abschn., B.I.

160

Rotter, S.433; SeMehler, Twilight Existence, AJIL 71 (1977), S.298; ders., International Law,

S.98.

2. Abschn.: Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache?

63

dem in Zweifel gezogen wird.I'I Würde man bei einem unbestimmten Inhalt stets die Rechtsetzungsabsicht verneinen, käme es für das Zustandekommen eines Vertrages dann ja doch auf den Inhalt an; das wurde aber bereits abgelehnt. I62 11. Systematische Methode

Möglicherweise ergeben sich aus den Zusammenhängen nähere Aufschlüsse über den Willen der Parteien. Aus der Präambel können allerdings kaum nähere Erkenntnisse über diesen Willen gewonnen werden. Allenfalls ließe sich sagen: Je genauer die zu erreichenden Ziele dort beschrieben sind, je konkreter die angestrebten Ergebnisse dort festgehalten sind, um so eher ist die Rechtsetzungsabsicht der Parteien zu vermuten. I'3 Die rüstungskontrollpolitischen Dokumente der beiden Großmächte enthalten sämtlich eine Präambel; Unterschiede im Bestimmtheitsgrad sind jedoch nicht festzustellen. - In der allgemein als politische Absprache angesehenen "Declaration on Basic Principles of Relations" vom 29. Mai 1972 heißt es zu Beginn: "...geleitet von ihren Verpflichtungen aufgrund der Charta der Vereinten Nationen ..."; "aus der Erkenntnis heraus, daß es notwendig ist, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Kriegsgefahr zu beseitigen und Bedingungen zu schaffen, die die Verringerung der Spannungen auf der Welt und die Stärkung der allgemeinen Sicherheit und der internationalen Zusammenarbeit fördern". - Fast die gleichen Formulierungen finden sich in dem formell als Vertrag geschlossenen Kriegsverhütungsabkommen vom 22. Juni 1973: "... eingedenk ihrer Verpflichtungen unter der Charta der Vereinten Nationen... "; "von dem Wunsche beseelt, Bedingungen zu schaffen, unter denen die Gefahr des Ausbruchs eines Atomkriegs überall in der Welt verringert und letztlich beseitigt wird".

161

Ebd.

162 Vgl. hienu Widdows, BYIL 50 (1979), S.14O. Insoweit setzen sich viele Autoren selbst in Widerspruch: Obwohl sie herausarbeiten, daß es für das Vorliegen eines Vertrages allein auf die Absicht der Staaten ankommt, ihre Abmachung dem Völkerrecht zu unterstellen, schließen sie ohne weiteres aus vagen Formulierungen und unbestimmten Bestimmungen, daß keine rechtliche Abmachung vorliegt. Am deutlichsten wird dies bei Münch, Agreements, EPIL (7), S.356, aus dessen Ausführungen letzI ich gefolgert werden muß, daß eine präzise Sprache bei einem Vertrag begriffsnotwendig ist: "Lack of precision in itself seems to be a reason for ascribing non-binding character to a text." bzw. "A non-binding agreement also exists where the substance of the agreement is no more than the description of a policy, purpose or intent." - obwohl er als entscheidendes Abgrenzungskriterium die Rechtsetzungsabsicht der Staaten nennt.

163

Zur Bedeutung der Präambel vgl. Widdows, BYIL 50 (1979), S.142.

64

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

Hat man sich in der Vereinbarung selbst auf das zusammengesetzte Abschlußverfahren geeinigt (z.B. Ratiftkation), um das für völkerrechtliche Verträge nötige innerstaatliche Verfahren zu durchlaufen, ist klar die Absicht der Parteien zu erkennen, hier Rechte und Pflichten nach Völkerrecht zu schaffen. Das gleiche gilt, wenn die Vereinbarung eine Regelung über ihre Registrierung beim Generalsekretär enthält. Die Registrierung ist natürlich nicht konstitutiv, aber registrierfähig sind nach Art. 102 VN-Chartal64 nur völkerrechtliche Verträge. Wenn in einer Vereinbarung ausdrücklich vorgesehen ist, daß sie entsprechend dieser Chartavorschrift beim Generalsekretär registriert werden soll, dann gehen die Parteien wohl davon aus, daß es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt. Dieses wiederum bedeutet, daß sie ihre Abrede dem Völkerrecht unterstellen wollten. Fehlt nun eine solche Bestimmung über die Registrierung, dürfen daraus keinerlei gegenteilige Schlüsse gezogen werden; denn es ist nicht notwendig, daß dies ausdrücklich geregelt wird. Die hier genannten Absprachen der beiden Großmächte, eingeschlossen das Kriegsverhütungsabkommen, enthalten dazu keine Regelungen. Finden sich im Text obligatorische Streitbeilegungsregeln, spricht das ebenfalls für Rechtsetzungsabsicht,l65 auch wenn dieses Kriterium nicht durchschlagend sein kann, weil Schiedsgerichten nicht nur Rechtsstreitigkeiten unterbreitet werden müssen. u, Umgekehrt darf bei Fehlen einer Streitbeilegungsklausel keineswegs auf mangelnde Rechtsetzungsabsicht geschlossen werden, da diese fast immer auch in völkerrechtlichen Verträgen fehlt. Aufschlußreich können auch Sanktionsregelungen sein, wenn z.B. ein Dokument die wegen einer Verletzung zulässigen Reaktionen des Verletzten von vornherein auf ein Mindestmaß reduziert, so daß von einer Verpflichtungswirkung schon gar nicht mehr gesprochen werden kann. Und umgekehrt, sind die Reaktionen auf Verletzungen der "Pflichten" genau beschrieben, dürften die Parteien wohl von einer starken Bindung, eben einer rechtlichen Bindung ausgehen. I'7 Möglich ist, daß in gleichzeitig getroffenen Absprachen oder in gemeinsam gegebenen Erklärungen die mit der fraglichen Vereinbarung verfolgten Ziele 164

Vg1. zu dieser Bestimmung Knapp zu Art. 102 Rdnr. 40, in: Simma (Hrsg.), Kommentar.

Widdows, BYIL 50 (1979), S.144; Fawcett, BYIL 30 (1953), S.387f.; Rotter, S.432, bei der Aufnahme einer Schiedsklausel in den Text. 165

166

Widdows, BYIL 50 (1979), S.144.

167

Ausführlich dazu WengIer, Rechtsvertrag, JZ 31 (1976), S.195.

2. Abschn.: Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache?

65

näher definiert werden!" Man denke nur an die Schlußkommuniques, die nach Themen geordnet - nochmals die während des Treffens erreichten Ergebnisse zusammenfassen. Sie können gegebenenfalls darüber Aufschluß geben, welcher Art die eingegangenen Bindungen sind. III. Nachfolgende Praxis

Ob die Staaten rechtliche Bindungen beabsichtigten, wird vor allem die spätere Praxis bei der Anwendung der Vereinbarung ergeben; "the way the instrument is dealt with after its conclusion.,,16' Gerade Anwendung und Implementierung einer Vereinbarung können Aufschluß darüber geben, ob die Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung die Absicht hatten, Recht zu setzen. Allerdings ist es theoretisch möglich, daß sich diese Absicht erst in der Folgezeit einstellte17G bzw. die Parteien zu einem späteren Zeitpunkt einvernehmlich den Rechtscharakter der Vereinbarung konkludent aufgehoben haben, also von nun an nur noch politisch daran gebunden sein wollten, so wie sie jederzeit einvernehmlich einen Vertrag ganz aufheben können!71 Die nachfolgende Praxis ist daher genau zu analysieren. Wird der Text gern. Art. 102 VN-Charta beim Generalsekretär registriert, dürften die Parteien übereinstimmend von einem Vertrag ausgegangen sein,l7Z da - wie bereits früher erwähnt173 - nur völkerrechtliche Verträge registrierfähig sind. 174 Umgekehrt ist zu vermuten, daß eine Vereinbarung dann nicht nach Art. 102 VN-Charta registriert wird, wenn die Parteien kein Recht setzen wollten. 17S

168

Nur angedeutet werden diese Überlegungen bei Widdows, BYIL 50 (1979), S.143.

1(9

Vgl. Sclulchter, Twilight Existence, AJIL 71 (1977), S.298.

170 Hier kann allerdings auch schon die Erzeugung von Gewohnheitsrecht vorliegen, die Grenzen sind insoweit fließend. 171

Widdows, BYIL 50 (1979), S.143.

Rouer, S.432. Bedenken hat insoweit Fawceu, BYIL 30 (1953), S.389f., der der Auffassung ist, aus Art. 102 VN-Charta gehe nicht klar hervor ("Every treaty and every international agreement entered into.... ), daß es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag handeln muß. \72

173

S. 1.Teil, 2Abschn., C.I1.

Aufschlußreich ist die Registrierung selbst gerade dann, wenn in der Vereinbarung hierzu nichts vorgesehen ist. Ist die Registrierung nur durch eine Partei erfolgt, kann die Rechtsetzungsabsicht der Parteien nicht ohne weiteres gefolgert werden, vgl. Widdows, BYIL 50 (1979), S. 143. 174

175

Rouer, S.432.

5 Schmidt am Busch

66

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

Weniger aussagekräftig ist dagegen die Tatsache, daß der Text in der jeweiligen amtlichen Vertragssammlung der beteiligten Staaten veröffentlicht oder nicht veröffentlicht wurde. Das gilt erst recht, wenn dies von den Staaten unterschiedlich gehandhabt wurde, da einseitige Praxis wenig darüber aussagen kann, ob sich die Parteien darüber geeinigt haben, ihre Vereinbarung dem Völkerrecht zu unterstellen. 176 Erkenntnisse über die Intentionen der Parteien lassen sich womöglich gewinnen, wenn man die Reaktionen der Parteien auf die Verletzung der Vereinbarung durch eine der Parteien näher untersucht, sollte dieser Fall eintreten. Allerdings ist hier Vorsicht angebracht. 177 Gerade im Rüstungskontrollbereich dienen letztlich juristische Argumentationen als Vorwand für rein politische Entscheidungen. Die Rüstungskontrollgegner in beiden Staaten haben sich oftmals auf den rechtlichen Charakter einer Absprache berufen, ohne wirklich davon überzeugt zu sein. Das geschah, um die andere Partei als Rechtsbrecher bloßstellen und dann weitere Rüstungskontrollmaßnahmen abblocken zu können. Deutlich wird das Z.B. daran, daß in dem Bericht des amerikanischen Präsidenten an den Kongreß über so\\jetische Verletzungen von Rüstungskontrollvereinbarungen die So\\jetunion stets auch der Verletzung von Abkommen beschuldigt wurde, die nie in Kraft getreten waren!" Das gleiche gilt für nachfolgende einseitige Erklärungen/" wie Z.B. die schon vorher angeführten l80 Äußerungen Kissingers über die Prinzipienerklärung und das Kriegsverhütungsabkommen. 1I1 Ernst zu nehmen sind dagegen von den beteiligten Staaten später gemeinsam abgegebene Erklärungen in bezug auf eine solche Abmachung. 11l IV. Historische Methode

Am aussagekräftigsten dürften letztlich aber die Umstände bei Abschluß der Vereinbarung sein.

176

Vgl. dazu Widdows, BYIL 50 (1979), S.l44.

177

Etwas allgemeiner ebd., S.143.

17~ Ausführlich dazu unten 3.Teil, 7.Abschn., B.I. 179 Ausführlich zur Frage, inwieweit einseitige Erklärungen zur nachfolgenden Praxis i.S.d. Art. 31 Abs. 3 (b) WÜV gerechnet werden können, unten 3.Teil, 4Abschn., B.I.1.c)bb).

IBO

Siehe l.Teil, 2Abschn., A.1.

181

Vgl. Widdows, BYIL 50 (1979), S.143. Ebd.

182

2. Abschn.: Völkerrechtlicher Vertrag oder politische Absprache?

67

Gingen der Vereinbarung Z.B. intensive Verhandlungen voraus, und zwar im Rahmen der sich gerade in diesem bilateralen Verhältnis eingebürgerten Verfahren l13 , dann ist anzunehmen, daß es den Parteien um mehr ging, als sich bloß politisch zu verpflichten. Mit Äußerungen während der Verhandlungen oder in der Vorbereitungsphase wird man nur wenig anfangen können;114 denn die Regierungen woUen gewöhnlich die Frage der rechtlichen Verbindlichkeit bewußt offen lassen!85 Interessant dürften in diesem Zusammenhang ausnahmsweise innerstaatliche Aspekte sein. Wurde der Text Z.B. den nationalen Parlamenten zur Zustimmung vorgelegt?11l6 Wie ist insoweit die nationale Rechtslage? Es muß im Zweifel angenommen werden, daß ein Staatsoberhaupt keine rechtlichen Bindungen eingehen will, wenn es dazu schon nach dem nationalen Recht nicht befugt ist. l17 Da in den Vereinigten Staaten nach dem United States Arms Control and Disarmament Act jede Verpflichtung der USA zur Begrenzung, Reduzierung und Eliminierung von Nuklearwaffen die Zustimmung des Kongresses benötigt, eine solche Zustimmung für die Grundsatzerklärung von Washington im Mai 1990, in der es um die Reduzierung strategischer Waffen gingi", aber nicht eingeholt wurde, ist davon auszugehen, daß hier lediglich eine politische Abrede geschlossen werden sollte, von der sich die USA jederzeit ohne rechtliche Konsequenzen wieder lösen konnten. Ebenso kann die innerstaatliche Diskussion herangezogen werden, da es sich um Umstände handelt, die dem Abschluß der Vereinbarung vorausgingen und die jeweiligen Regierungspositionen beeinflußt haben. l89 Allein der Umstand, daß gleichzeitig getrennt von der fraglichen Vereinbarung weitere Abreden getroffen wurden, kann Aufschluß über die Intentionen der Staaten geben. So stellt sich z.B. die Frage, warum die Erklärung von

183

Dazu ausführlich unten 2.Teil, l.Abschn.

VOIwiegend auf Erklärungen von Regierungsvertretern während der Verhandlungsphase und bei Abschluß der KSZE-Schlußakte stellt Schweisfunh, Rechtsnatur, ZaöRV 36 (1976), S.688/9, ab. 184

1&5

S.297. 186

Münch, Comments, ZaöRV 29 (1969), S.3; Schachler, Twilight Existence, AJIL 71 (1977), Vgl. Schachler, Twilight Existence, AJIL 71 (1977), S.298.

Bothe, Rechtsfragen, Berichte DGVR 30 (1990), S.77. Vgl. auch Bothe, Norms, NYIL 11 (1980), S.71/72 und 74 mit konkreten Beispielen. 187

188

Siehe oben l.Teil, 2.Abschn., All.

189

In einem konkreten Fall Bothe, Rechtsfragen, Berichte DGVR 30 (1990), S.52.

68

1. Teil: Grundlegung - Rüstungskontrolle durch völkerrechtliche Verträge

Wladiwostok bzw. die Grundsatzerklärung von Washington nicht - wie sonst üblich - im Rahmen der am Ende der Gipfeltreffen veröffentlichten Schlußkommuniques abgegeben, sondern getrennt davon verabschiedet wurde. Zur Ermittlung der Rechtsetzungsabsicht wollen einige Autoren l90 auf "relationship of the parties, the seriousness of detriment al action in reliance and the subject matter" als Kriterien abstellen. Diese Kriterien können im Einzelfall durchaus hilfreich sein.I'1 So werden sich die Parteien in einem insgesamt für Abrüstung ungünstigen Klima wohl eher nur politisch verpflichten wollen. Umgekehrt kann man in Zeiten mit günstigem Klima annehmen, daß die Parteien ihre Absprache dem Völkerrecht unterstellen wollten. Aus diesem Grunde spricht vieles gegen eine Rechtsetzungsabsicht bei den pacta de negotiando;llIZ sie wurden immer dann vereinbart, wenn die Verhandlungen stagniertenm, man sich auf keine Kompromisse einigen konnte. Diese Absprachen sollten von daher wohl eher das politische Klima für dann rechtlich bindende Absprachen schaffen. Allerdings läßt sich auch genau andersherum argumentieren: Gerade in Zeiten, in denen die Beziehungen zwischen den beiden Staaten auf einem Tiefpunkt waren, wurden eher rechtliche Absprachen angestrebt, da nur diese eine ausreichende Gewähr für die Einhaltung der übernommenen Verpflichtungen bieten. Die vorangegangenen Überlegungen zeigen, daß das Abstellen auf das Verhältnis der Staaten zueinander und auf die Materie nicht ganz unproblematisch ist.

v.

Gleichzeitige Anwendung mehrerer Kriterien

Wenn die Parteien ihren Willen nicht deutlich nach außen kundtun, ist es stets sehr schwierig, diesen inneren Vorgang zu bewerten. Von den genannten Kriterien ermöglichen nur wenige eine klare Antwort auf die Frage, ob die Parteien rechtliche Bindungen schaffen wollten oder nicht. Daher kann nur eine Gesamtschau darüber Aufschluß geben.

190

Kaplan/Katzenbach, S.237.

Widdows, BYIL 50 (1979), S.142. So auch Bothe, Norms, NYlt 11 (1980), S.94, der auf die Gesamtsituation abstellen will. Ist diese derart im Fluß, so ist anzunehmen, daß die Staaten sich nicht rechtlich binden wollten, sondern möglichst viel an Flexibilität bewahren wollten. Bothe hat zunächst die Gründe und Motive für die Vereinbarung außerrechtlicher Abmachungen analysiert. Spricht in einer Situation vieles dafür, sich eher nur politiSCh zu binden, folge daraus, daß sich die Staaten wohl auch nur politiSCh binden wollten. Vgl. auch Rosenne, S.89-91. 191

192

Siehe oben l.Teil, 2Abschn., A.II.

193

Siehe ebd.

2. Teil

Zustandekommen, Inhalt und Form der amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollverträge Im Bereich der Rüstungskontrolle haben die USA und die So\\jetunion überwiegend Verträge geschlossen, politische Absprachen sind die Ausnahme. Diese Verträge weisen zahlreiche Gemeinsamkeiten in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und äußeren Form auf. Von Verträgen aus anderen Völkerrechtsbereichen unterscheiden sie sich durch den besonderen Verhandlungsprozeß, ihren komplexen Inhalt und die darauf zurückzuführende komplizierte Vertragsarchitektur . 1. Abschnitt

Der bilaterale Verhandlungsprozeß Seit Beginn der rein bilateralen Rüstungskontrollgespräche zwischen den USA und der So\\jetunion, also seit den SALT I-Verhandlungen, haben sich bestimmte Verfahren bei den amerikanisch-so\\jetischen Rüstungskontrollverhandlungen eingebürgert. Gestützt auf die Erfahrungen von SALT I wurde bei SALT 11, INF, START und den Verhandlungen über Weltraumwaffen"4 mehr oder weniger nach der gleichen Weise vorgegangen. Ebenso wie die Gespräche auf multilateraler Ebene wurden die bilateralen Verhandlungen zunehmend institutionalisiert; lediglich die Bezeichnungen der Institutionen änderten sich im Laufe der Jahre. Im Vergleich zu den multilateralen Verhandlungsforen l95 blieben die bilateralen Gespräche jedoch flexibler und

194

Zu diesen Verhandlungen Högel, S.140 Fn.I88.

Zu den multilateralen Verhandlungsforen vgl. jeweils den seit 1982 jährlich herausgegebenen Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis. Eine nähere Analyse multilateraler Verhandlungsforen findet sich bei Stein, RdC 133 (1971-11), S.267-282; SIPRI, Arms Control, S.4349; Goldblat, S.296-300; Lang, ÖZöffRV 34 (1983/84), S.25-45; Lysen, S.66-75. 195

2. Teil: Zustande kommen, Inhalt und Form

70

weniger formell. 1J6 lohn McNeil/l'J7, Rechtsberater bei SALT 11, INF und START, bezeichnete den bilateralen Verhandlungsprozeß als "a proven mechanism for the negotiation of international agreements on these subjects".191 Mit der Auflösung der Sowjetunion wurden die laufenden Gespräche vorübergehend eingestellt!" Die USA begannen unmittelbar mit den neuen Staaten informelle Verhandlungen, um die Nachfolge in die geltenden Rüstungskontrollabkommen zu regeln. Noch ist nicht klar, in welcher Form die Abrüstungsgespräche zwischen den USA und den neuen Staaten fortgesetzt werden. Bislang wurden die bilateralen Gespräche auf drei verschiedenen Ebenen geführt. In Genf wurde ständig verhandelt; dort trafen sich die Delegationen der bei den Staaten mehrmals jährlich über einen längeren Zeitraum. Von der Öffentlichkeit weniger bemerkt fanden daneben laufend Gespräche im Rahmen der durch die SALT I-Verträge errichteten "Standing Consultative Commission" (Ständige Beratungskommission) statt. Häufig traten die beiden Regierungen auch direkt miteinander in Kontakt, und zwar vor allem dann, wenn die Verhandlungen "at the front" ins Stocken geraten waren. A. Der Prozeß in Washington bzw. Moskau

Im Laufe der Jahre haben die Regierungen der USA und der Sowjetunion intern jeweils einen bestimmten Apparat und bestimmte Verfahren zur Steuerung der bilateralen Verhandlungen aufgebaut. In den ersten Jahren kam es immer wieder zu institutionellen Veränderungen, doch blieb die Grundstruktur des internen Entscheidungsapparates im wesentlichen gleich.zoo Da in beiden Staaten zahlreiche Behörden in die Entscheidungen eingebunden wa-

196

Vgl. Goldblat, S.299.

197

AJIL 79 (1985), S.52.

198 In ähnlicher Weise, aber ohne Ergebnis verliefen die sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen über Antisatellitenwaffen von 1978-79, die bilateralen Gespräche zur Erarbeitung eines multilateralen Abkommens über das Verbot radiologischer Waffen (dazu ausführlich Meyrowitz, AFDI 25 (1979), S.89-128) und die trilateralen Verhandlungen zwischen den USA, der Sowjetunion und Großbritannien über einen umfassenden Teststoppvertrag (dazu Goldblat, S.299).

199

The Arms Control Reporter 1992, S.575A.4, S.603A.8, S.605.B.125.

Wie die Entscheidungsverfahren in den ersten Jahren innerhalb der beiden Regierungen jeweils nach und nach institutionalisiert wurden, schildert ausführlich Wolfe, S.23-47 (USA) und S.49-n (Sowjetunion). 200

1. Abschn.: Der bilaterale Verhandlungsprozeß

71

ren, führte dies in der Praxis zu oftmals außergewöhnlich schwierigen und langwierigen Entscheidungsprozessen.zo1 I. Washingtonzez

Innerhalb der amerikanischen Regierung wurden an den Entscheidungen stets alle Behörden (Agencies) beteiligt, die mit Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle befaßt sind. Es waren dies das State Departmen~3, das Department of DefenseZ04 , die United States Arms Control and Disarmament Agency (USACDA)ZOS und die Central Intelligence Agency (CIA). In den letzten Jahren war auch das Department of Energy beteiligt, und zwar wenn es um nukleartechnische Fragen (z.B. Veriftkationsregelungen) ging. Bei Verhandlungen über chemische Waffen wurde zusätzlich noch das Handeisministerium eingeschaltet, soweit die Gespräche den Export von chemischen Stoffen betrafen. Koordiniert wurde die Arbeit der Ministerien vom National Security Council (NSC)206, der dafür eigens ein KoordinationsorganZ07 eingesetzt hatte, dem wiederum ein Hilfsorgan zur Seite stand - die Bezeichnungen dieser Organe wechselten unter den verschiedenen Administrationen. In ihnen waren jeweils die oben genannten Behörden und Institutionen vertreten. Entscheidungen wurden von unten nach oben getroffen, d.h. je nach Wichtigkeit bestimmte das höhere Organ. Zentrale Fragen wurden vom NSC selbst, oder letztlich vom amerikanischen Präsidenten entschieden.

201

Zur amerikanischen Rüstungskontrollbürokratie vgl. Cannizzo, S.37lf.

Die nachfolgende Darstellung der Entscheidungsabläufe in den USA beruht vor allem auf den Ausführungen von Chayes, HarvLR 85 (1972), S.920-922; Wolfe, S.25ff. (SALTVerhandlungen); McNeill, AJIL 79 (1985), S. 6lf. (INF- und SfART-Verhandlungen). 202

203 Näher zu den Entscheidungsprozessen innerhalb des State Department siehe die schon ältere, aber noch gültige Studie von Chayes, HarvLR 85 (1972), S.920f. 204

S.921.

Zu den involvierten Abteilungen des Department of Defense siehe ebenfalls Chayes, ebd.,

20S Die USACDA wurde 1961 gegründet; sie arbeitet eng mit dem State Department zusammen, ist aber eine autonome Behörde. 206 Der NSC ist ein mit dem National Security Act von 1947 geschaffenes Gremium höchstrangiger Beamter, das den amerikanischen Präsidenten in Militär- und Sicherheitsfragen unterstützen soll. Er umfaßt einen ständigen Stab von ca. 40 Mitarbeitern.

1JJ7 Früher: Committee of Principals, vgl. Wolfe, S.24; dann: Verification Panel, vgI. Chayes, HarvLR 85 (1972), S.921. Bei SALT 11: Special Coordinating Committee genannt, vgl. Earle 1I (Mitglied der SALT lI-Delegation), Tbe SALT 11 Treaty, Hearings-Part 1, S.236; Fischer, SALT 11, AFDI 25 (1979), S. 137. Bei INF und SfART: Senior Interagency Group, vgl. McNeill, AJIL 79 (1985), S.61.

72

2. Teil: Zustande kommen, Inhalt und Fonn

Washington

National Security Council

I Koordinationsorgan

I

I r-l

Vorsitzender: Sicherheitsberater des Präsidenten

I I I I I I I I

MitgUeder: - Außenminister - Verteidigungsminister - Chairman der Joint Chiefs of Staff - Direktor der USACDA - Direktor des CIA

L-

Allgemeines Organ

USDelegation

(nur am Rande mit Rüstungskontrolle befaßt)

(vorOrt)

1 I

Hilfsorgan des Koordinationsorgans

Backstopping Committee

Vorsitzender: Vertreter des NSCArbeitsstabes

MitgUeder: - USACDA - NSC - State Department • - Verteidigungsministerium - Joint Chiefs of Staff -CIA

MitgUeder: - USACDA - State Department - Verteidigungsministerium -CIA - Joint Chiefs of Staff - (Energieministerium)

Unterarbeitsgruppen

bzw. ad hoc

r---

~----l I

USBeauftragter bei der Ständigen Beratungskommission

..

11 It



bis 1977

It .. 111 111 '"

I

.I

seit 1977

SCC Backstopping Committee

II9

Lr-I------------~

:::1

Schaubild 1: Entscheidungsstruktur in den USA bei Rüstungskontrollverhandlungen mit der Sowjetunion (nach: Wolfe, S.37 und McNeill, AJIL 79 (1985), S. 61 ff.)

1. Abschn.: Der bilaterale Verhandlungsprozeß

73

Während einer Verhandlungsrunde in Genf stand die Regierung in ständigem Kontakt mit ihrer Delegation. Von Washington aus wurden die Delegationsmitglieder mit neuesten Analysen, Materialien usw. versorgt, da ihnen zur Bearbeitung von Sachfragen neben der Verhandlungsführung keine Zeit blieb. Hauptaufgabe war jedoch das "backstopping": da die Delegation stets ad referendum handelte, mußten ausgehandelte Kompromißlösungen genehmigt bzw. Anweisungen für den Fortgang der Verhandlungen gegeben werden. Daher mußten häufig innerhalb kürzester Zeit wichtige Entscheidungen getroffen werden. Diese Aufgabe oblag dem backstopping committee, das dem Koordinationsorgan des NSC unterstand. Das backstopping committee setzte sich stets aus Vertretern der involvierten Ministerien und Institutionen zusammen. Seine Beschlüsse verlangten Einstimmigkeit. Bei Uneinigkeit entschieden in aufsteigender Linie das Hilfsorgan des Koordinationsorgans, Koordinationsorgan, der NSC bzw. der amerikanische Präsident. Zwischen den Verhandlungsphasen wurden in Washington neue Initiativen vorbereitet, insbesondere wurde der Rahmen für die nächste Verhandlungsrunde abgesteckt. Mit den Delegationsmitgliedern wurden neue Verhandlungspositionen und -strategien erarbeitet. Schließlich wurden von Washington aus stets die übrigen NATO-Mitglieder unterrichtet. Gelegentlich erstatteten die Delegationsleiter dem Nordatlantikrat in Brüssel persönlich Bericht.2OI 11. MoskauZ09

Über den Entscheidungsprozeß in Moskau lassen sich nur wenige konkrete Aussagen machen. Selbst heute noch kann man darüber nur spekulieren, zu wenig ist bekannt geworden.llo

208 Zu den Konsultationen der USA mit den übrigen NATO-Mitgliedern vgl. Chayes, HarvLR 85 (1972), S.922 mit weiteren Nachweisen; McNeill, AJIL 79 (1985), S.62/63; Smith, Doubletalk, S.77; WOlfe, S.33/34; Kirgis Jr., AJIL 73 (1979), S.372, insbes. 388-394.

~ Die nachfolgende Darstellung der Entscheidungsabläufe in der Sowjetunion in bezug auf die RüstungskontrolIverhandlungen mit den USA beruht im wesentlichen auf den Ausführungen von Jones, S.116-135; Shulman, S.101, 110-116; Wolfe, S.49-77; Glagolev, Orbis 21 (Winter 1978), S.769-772; McNeill, AJIL 79 (1985), S.64ff., und Chayes, HarvLR 85 (1972), S.922-927. 210 McNeill, AJIL 79 (1985), S.64. Vgl. zu den Entscheidungsabläufen während des SALTProzesses Wolfe, S.49ff.: "a matter of more or less informed guess work".

74

2. Teil: Zustande kommen, Inhalt und Form

Moskau Präsidium des Obersten Sowjet

KPdSU Politbüro

I Hilfsorgan

\

\

\

\ VerteidigungsTat

für Sicherheitsfragen

Sekretariat des Zentralkomitees

Ministerrat \

HilfsorgarJelb

\

\

,..------,

Militärindustriekommission (VPK)

I

I

Außenministerium

Verteidigungsministerium

adhoc Organ

Sowjetische Delegation (vor Ort)

-

Militärindustrieministerien

I Übrige: - KGB - Akademie der Wissenschaften - GOSPLAN

Sowjetischer Beauftragter bei der Ständigen Beratungskommission

Schaubild 2: Bisherige Entscheidungsstruktur in der Sowjetunion bei Rüstungskontrollverhandlungen mit den USA (nach Iones, S.122 und Wolfe, S.51)

1. Abschn.: Der bilaterale Verhandlungsprozeß

75

Entsprechend der führenden Rolle der Partei wurden alle wichtigen Entscheidungen zumeist einstimmig vom Politbüro getroffen. Es wird angenommen, daß verteidigungs- und sicherheits politische Fragen einem Hilfsorgan übertragen waren, in dessen Zuständigkeitsbereich wohl auch alle Fragen im Zusammenhang mit den jeweils laufenden RüstungskontrolIverhandlungen fielen. Bei seiner Arbeit wurde das Politbüro von den persönlichen Mitarbeitern seiner Mitglieder und dem Sekretariat des Zentralkomitees unterstützt. Daneben spielten zwei weitere Institutionen eine wichtige Rolle: der Verteidigungsrat (Defense Council) und die Military Industrial Commission. Obwohl rechtlich dem Präsidium des Obersten Sowjet unterstellt, war der Verteidigungsrat faktisch ein Hilfsorgan des Politbüros. Über die genauen Funktionen dieses Organs ist wenig bekannt. Aufgrund seiner Zusammensetzung - Parteimitglieder und Militärs - ist anzunehmen, daß sich in diesem Organ die politische Führung in Fragen der Verteidigung mit den Militärs abstimmte. Die Military Industrial Commission (VPK) stellte die Verbindung zum Militärindustriekomplex (defense-industry sector) her. Hauptaufgabe der VPK war es, auf der Grundlage der vom Politbüro getroffenen Entscheidungen die Entwicklung und Produktion neuer Waffensysteme zwischen den einzelnen Industriebereichen zu koordinieren und zu überwachen. Bei rüstungskontrollpolitischen Entscheidungen wurde die VPK zur Beratung vom Politbüro herangezogen, wenn durch diese Entscheidungen laufende Rüstungsprogramme berührt werden konnten. Die tatsächliche Durchführung der Entscheidungen oblag den Ministerien, die dem Ministerrat unterstanden, und von diesen vor allem dem Außen- und Verteidigungsministerium. Während die Rolle des Außenministeriums dabei wohl auf die diplomatischen und politischen Aspekte der Verhandlungen beschränkt war, wurden die eigentlichen Sachfragen im Verteidigungsministerium vorbereitet und entschieden. Neben diesen beiden Ministerien spielte auch die Akademie der Wissenschaften eine wichtige Rolle. Da die Mitarbeiter der Akademie lange Zeit als einzige Zugang zu wichtigen Informationen aus dem Ausland hatten, wurden sie für alle technisch-wissenschaftlichen Fragen herangezogen. Involviert waren schließlich noch der KGB und - allerdings eher nur am Rande - GOSPLAN (die staatliche Planungsbehörde), das State Committee on Science and Technology und der Verteidigungsindustriesektor. Die Zusammenarbeit dieser Behörden scheint oft schwierig gewesen zu sein.Z11 Unklar ist, inwieweit den Behörden bei den Verhandlungen ein

211 Zu Beginn der bilateralen Rüstungskontrollgespräche ist es wohl mehrfach vorgekommen, daß die beteiligten sowjetischen Behörden sich untereinander nicht abgestimmt hatten, vgl. Shulman, S.115; Wolfe, S.61. Der Grund lag vor allem darin, daß auch gegenüber anderen Regierungsbehörden militärische Aspekte streng geheim gehalten wurden, vgl. ebd.

76

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

eigener Entscheidungsspielraum verblieb. Z1l Nicht bekannt ist, welche Behörde der Verhandlungsdelegation konkret Anweisungen erteilte und sich für Rückfragen während der Verhandlungen bereithielt. B. Die Verhandlungen in Genf, der sog. "front channel" Während die SALT I-Verhandlungen noch abwechselnd in Wien und Helsinki stattfanden, wurde ab 1972 Genf l l zum ständigen Verhandlungsort. Mit der Schweiz wurden besondere Abkommen über Status, Vorrechte und Immunitäten der Delegationsmitglieder vereinbart.114 Verhandelt wurde jeweils in Abständen ein bis zwei, manchmal auch bis zu vier Monate lang. I. Zusammensetzung der Delegationen

Die Delegationen der beiden Staaten bestanden in der Regel aus 25 bis 40 Personen. Ihre Zusammensetzung war stets ein Spiegelbild der Prozesse in den Hauptstädten, d.h. alle involvierten Regierungsbehörden waren in ihnen vertreten. Zum Leiter der Delegation wurde immer jeweils ein führender Politiker mit Minister- oder Botschafterrang ernannt.l15 Die Delegationsleiter, auch Chefunterhändler genannt, bestimmten in weiten Teilen Ablauf und Inhalt der Verhandlungen.

212 Vgl. Jönsson, S.143-207, und Newhouse, S.54, nach denen die Entscheidungen nicht sämtlich von der Partei getroffen wurden. AA. Johnson (Mitglied der SALT li-Delegation), The SALT 11 Treaty, Hearings-Part 2, S.38. 213 Nicht ohne Bedeutung für diese Wahl war die Tatsache, daß auch zahlreiche multilaterale Verhandlungsforen (insbes. die mit Rüstungskontrolle und Abrüstung befaßten VN-Organe) hier angesiedelt sind. 214 Status, Privileges and Immunities of the Strategie Arms Limitation (SAL1) Delegation, Nov. 21 and 22, 1972,23 USf 3736, TIAS No. 7523; Privileges and Immunities, Theatre Nuclear Forees Delegation, Oct. 17, 1980, TIAS No. 10056; Agreement Establishing Rights, Privileges and Immunities of the Delegation to the Negotiations concerning Intermediate-Range Nuclear Forces, Nov. 11 and 20, 1981, TIAS No. 10298; Agreement Establishing Rights, Privileges and Immunities of the Delegation to the Negotiations concerning the Limitation and Reduction of Strategie Anns (SfAR1), June 9, 1982, TIAS No. 10414. Vgl. McNeill, AJIL 79 (1985), S.54 Fn.15. 215 Der sowjetische Delegationsleiter wurde regelmäßig vom Außenministerium gestellt, die amerikanische Delegation wurde bis auf eine Ausnahme stets von Beamten der USACDA geleitet. In den USA mußte der vom Präsidenten vorgeschlagene Unterhändler vom Kongreß bestätigt werden.

1. Abschn.: Der bilaterale Verhandlungsprozeß

77

Zur amerikanischen Delegation gehörten stets Vertreter des State Department, des Department of Defense, der USACDA, des CIA (daneben meistens noch weitere Vertreter der Intelligence Community) und in den letzten Jahren Mitarbeiter des Department of Energy. Das Department of Defense entsandte zwei Vertreter, und zwar für den zivilen Sektor einen Angehörigen des Office of International Security Policy (OIS) und für die Streitkräfte ein Mitglied der Joint Chiefs of Staff. Die Vertreter wurden zwar von den einzelnen Ministerien bestimmt, jedoch mußte die Zustimmung des Weißen Hauses eingeholt werden. Die Delegation selbst unterstand direkt dem amerikanischen Präsidenten. Später bürgerte es sich ein, in die Delegation eine Privatperson aufzunehmen, die die amerikanische Öffentlichkeit repräsentieren sollte ("at large" member)Z16. Zuletzt waren auch Kongreßmitglieder an den Verhandlungen direkt beteiligfl7; dadurch wollte die amerikanische Regierung die Zustimmung des Kongresses zu dem ausgehandelten Abkommen sicherstellen.21I In der sowjetischen Delegation waren neben dem Außen- und Verteidigungsministerium insbesondere die Streitkräfte, die Staatsicherheitsbehörde und die Akademie der Wissenschaften vertreten. Während der START-Verhandlungen gehörte auch ein Vertreter des Ministerrats der Delegation an, in der dann jedoch ein Repräsentant der Akademie der Wissenschaften fehlte. ZIlI Die Delegationsmitglieder wurden jeweils von ihren Beratern unterstützt. Eine besondere Rolle kam den Rechtsberatern (legal advisers) zu, denen die Abfassung des konkreten Vertragstextes oblag. Die amerikanischen Rechtsberater hatten vergleichsweise mehr Spielraum als ihre sowjetischen Kollegen,

216 Siehe hierzu Earle 11 (Mitglied der SALT lI-Delegation), The SALT 11 Treaty, HearingsPart 1, S.236; McNeill, AJIL 79 (1985), S.53/54. Allerdings ist festzustellen, daß "at large" members bisher Politiker bzw. Militärs waren, z.B. der spätere Verteidigungsminister Harold Brown oder der spätere Direktor der USACDA Lieutenant General George M. Seignious 11. 217 Daneben fanden oftmals Treffen von Kongreßabgeordneten mit der eigenen und auch der sowjetischen Delegation statt. Dazu jeweils Fischer, Limitation des armes strategiques, AFDI 18 (1972), S.17; ders., SALT 11, AFDI 25 (1979), S.138/139; Chayes, HarvLR 85 (1972), S.922; Wolfe, S.38f., 45-47, und McNeill, AJIL 79 (1985), S.63/64. 218 Die Beteiligung von Kongreßabgeordneten war lange Zeit in den USA umstritten: Durch die Beteiligung der "Legislative" an den Verhandlungen werde das Gewaitenteilungsprinzip verletzt; darüber hinaus bringe dieses Vorgehen zahlreiche praktische Probleme mit sich, vgl. hierzu Wolfe, S.46. 219 McNeill, AJIL 79 (1985), S.56. Denkbar ist, daß der Ministerratsvertreter zur besseren Koordinierung der Arbeit der verschiedenen Ministerien und Institutionen in die Delegation aufgenommen wurde.

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

78

die sich am Verhandlungsprozeß selbst nicht beteiligen durften. 220 Beide Delegationen waren zudem mit technischem Personal, also Dolmetschern, Übersetzern, Schreibpersonal, Kommunikationstechnikern, außerdem auch mit Sicherheitskräften ausgestattet.221 11. Verhandlungsforen222

1.

Plenum

Während einer Verhandlungsphase setzten sich die Delegationen üblicherweise zweimal wöchentlich im Plenum zusammen, und zwar abwechselnd in der sowjetischen Botschaft bzw. dem Büro der USACDA in Genf. Das Verfahren war genau festgelegt. Zunächst gaben die Delegationsleiter wechselseitig die Positionen ihrer Regierungen wieder, genauer gesagt: sie lasen bereits vorbereitete Erklärungen vor.223 Diese enthielten konkrete Vorschläge, die im einzelnen näher ausgeführt und begründet wurden. Nur ganz selten kam es vor, daß die Unterhändler von ihrem vorbereiteten Skript abwichen. Anschließend wurde das Papier der anderen Seite übergeben.224 Ebenso erhielt diese die während des Vortrags angefertigte Übersetzung. Da kein Verhandlungsprotokoll erstellt wurde - darauf hatte man sich schon zu Beginn der SALT I-Verhandlungen geeinigt -, machten sich beide Seiten stets Aufzeichnungen von der Sitzung. Nach der Plenumssitzung wurden die Gespräche in der Regel für einige Stunden zwischen den Delegationsleitern im Beisein von Dolmetschern hinter verschlossenen Türen fortgeführt. Die übrigen Delegationsmitglieder setzten sich in kleineren Gruppen zusammen und diskutierten spezielle Fragen. Die Streitkräftevertreter Z.B. befaßten sich mit den militärischen Aspekten der im Plenum vorgetragenen Vorschläge; die damit zusammenhängenden sicherheitspolitischen Fragen wurden eher von den Beamten der Außen- und Ver-

22{)

Vgl. McNeill, AJIL 79 (1985), S.66.

221

Vgl. Earle II (Mitglied der SALT li-Delegation), Tbe SALT 11 Treaty, Hearings-Part 1,

S.236.

222 Die folgende Darstellung beruht auf den Ausführungen von McNeill, AJIL 79 (1985), S.5660, und Earle II (Mitglied der SALT li-Delegation), Tbe SALT 11 Treaty, Hearings-Part 1, S.236f. Strittig ist, welche der während der Verhandlungen angefertigten Dokumente später bei Auslegungsschwierigkeiten als travaux preparatoires im Rahmen des Art. 32 WÜV herangezogen werden dürfen. Ausführlich zu dieser Frage unten 3.Teil, 4Abschn., B.n.!.

223

Fischer, SALT 11, APOI 25 (1979), S.137.

Näher dazu McNeill, AJIL 79 (1985), S.56; Koplow, Bait, U.Penns.L.Rev. 137 (1989), S.l385. 22A

1. Abschn.: Der bilaterale Verhandlungsprozeß

79

teidigungsministerien erörtert. Über diese post-plenary sessionsZlS fertigten die einzelnen Delegationsmitglieder ebenfalls anschließend sog. Memoranda of Conversations an, sozusagen Aktenvermerke, die nur für die eigene Delegation und die Regierungen zuhause bestimmt waren. Z.T. wurden diese Memoranda sehr detailliert mit Vorschlägen für die weitere Verhandlungsführung abgefaßt, z.T. enthielten sie nicht mehr als einige für Außenstehende undurchschaubare Anmerkungen. zu 2. Arbeitsgrnppen

Zusätzlich waren stets Arbeitsgruppen eingerichtet, die über spezielle Aspekte des Abkommens verhandelten. Die bisher geschaffenen Arbeitsgruppen befaßten sich beispielsweise mit der Festlegung technischer Daten (INF) oder mit vertrauensbildenden Maßnahmen (START).= Während der SALT-Verhandlungen wurden in diesen miniplenaries das Abkommen zur Verhinderung eines unbeabsichtigten Atomkriegs von 1971, das Abkommen über die Verbesserung der direkten Nachrichtenverbindung von 1971 bzw. Änderungen schon bestehender Abkommen ausgehandelt. 2ZI Die Arbeitsgruppen tagten in der Regel direkt nach den Plenumssitzungen. Diskutiert wurde auf der Grundlage schriftlich abgefaßter Vorschläge. Allerdings war das Verfahren längst nicht so festgelegt wie bei den Plenumssitzungen. Nie gab es mehr als zwei Arbeitsgruppen gleichzeitig, da man sonst Koordinationsschwierigkeiten befürchtete.ZZ9 Waren die Verhandlungen weiter fortgeschritten, wurde eine Drafting Group bzw. Treaty Text Group2JO gebildet, die den eigentlichen Text auszuarbeiten hatte.Z31 Erst wenn bereits über bestimmte Fragen Einigung erzielt

225

McNeill, AJIL 79 (1985), S.57.

Am Ende der Verhandlungen lagen stets eine fast unübersehbare Anzahl dieser memcons vor, vgl. im einzelnen Koplow, Bait, U.Penns.L.Rev. 137 (1989), S.l386 Fn.137. Ausführlich zu diesen memcons Senator Nunn, Congressional Record, Bd. 133, S82, 20. Mai 1987. 226

2ZT

Vgl. Bundesminster der Verteidigung, Weißbuch 1983, S.208 § 388.

Vgl. die Angaben bei McNeill, AJIL 79 (1985), S.57; bei Blechman, S.475, und bei Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr. 9.1., S.5. 228

]2')

McNeill, AJIL 79 (1985), S.59.

Auch hier hat sich die Bezeichnung jeweils geändert: Drafting Group oder einfach Working Group bei SALT II (bei SALT II wurde zusätzlich eine Conforming Subgroup eingerichtet, die der Drafting Group zur Seite stand), Treaty Text Group bei INF, vgl. McNeill, AJIL 79 (1985), S.57 u. 60. 230

231 Entsprechend der Zusammensetzung der beiden Delegationen waren in der Drafting Group die wichtigen Behörden beider Seiten vertreten.

2. Teil: Zustande kommen, Inhalt und Form

80

worden war, begann man mit der Abfassung des Vertragstextes. Gemäß Vereinbarung der Delegationsleiter war die Drafting Group in der Regel gehalten, lediglich den Text zu verfassen und keine Sachprobleme zu diskutieren. Häufig ließ sich dies jedoch nicht vermeiden. Ein Beispiel: Zur KlassifIZierung von Waffensystemen stellen die Amerikaner auf die "capability" ab. In der sowjetischen Sprache existiert der entsprechende Begriff aber nur im Zusammenhang mit Menschen; Flugzeuge können also keine "capability" haben. Aus diesem linguistischen Problem wurde somit auch ein substantielles, da nunmehr nach anderen Klassifizierungskriterien gesucht werden mußte.2.JZ - Zunächst wurde von jeder Seite ein eigener Artikelentwurf verfaßt. Später wurde aus den einzelnen Vorschlägen ein gemeinsamer Vertragsentwurf, aus dem hervorging, worüber man sich bisher hatte einigen bzw. nicht hattte einigen können. Solange Fragen noch offen waren, wurden in dem gemeinsamen Entwurf an der entsprechenden Stelle beide Vorschläge angeführt.2.Jl Entsprechend dem Einigungsprozeß wurde dieser Text ständig auf den neuesten Stand gebracht. Zl4 Neben dem eigentlichen Vertragstext wurden stets auch die zahlreichen common understandings und agreed statements2lS (allein 98 bei SALT 11) von der Drafting Group ausgearbeitet. Jede in dieser Arbeitsgruppe getroffene Vereinbarung bedurfte der Genehmigung beider Regierungen. 3. Infonne/le Treffen, insbesondere der Delegationsleiter

Neben den Plenumssitzungen und Arbeitsgruppen fanden häufig informelle Treffen zwischen einzelnen Delegationsmitgliedern statt, insbesondere zwischen den Delegationsleitern. Diese Begegnungen erfolgten meist auf Wunsch einer Seite, weil man den Partner über neue Verhandlungsinitiativen vorab unterrichten oder schneller zu einer Lösung bei den aktuell anstehenden Fragen kommen wollte. 236 Solche gemeinsamen Vorstöße der Delegationslei-

232 Zu den Rechtsproblemen bei divergierenden sprachlichen Fassungen siehe unten 3.Teil, 4Abschn., B.III. 233 Vgl. hierzu Koplow, Bait, U.Penns.L.Rev. 137 (1989), S.l385 Fn.l36. Dazu auch Kampelman/Glitman (Mitglieder der INF-Delegation), The INF Treaty, Hearings-Part 1, S.439. 234 Im Englischen spricht man deshalb von "rolling text", vgl. Koplow, Long Arms, The Yale Journal of International Law 15 (1990), S.4 Fn.7.

235

Näher zu diesen interpretativen Erklärungen siehe unten 2.Teil, 3Abschn., B.

Earle II (Mitglied der SALT li-Delegation), The SALT 11 Treaty, Hearings-Part 1, S.237: "The two chairmen also held separate private meetings outside the plenary format as the need arose." (Hervorhebung durch die Verfasserin). 236

1. Abschn.: Der bilaterale Verhandlungsprozeß

81

ter haben die Verhandlungen oftmals vorangebrachf37; denn Plenumssitzungen und Arbeitsgruppen ließen aufgrund des festgelegten Verfahrens nur wenig Raum für spontane Initiativen der Verhandlungsführer. Allerdings handelten die Unterhändler auch hier nur ad referendum. Über die geführten Gespräche fertigten sie deshalb immer anschließend für ihre Regierungen Aufzeichnungen an, die Memoranda of ConversationslJl • Bekanntestes Beispiel ist der sog. Waldspaziergan!f' des amerikanischen Chefunterhändlers Nitze und seines sowjetischen Kollegen Kwitzinskij während der INF-Verhandlungen. Das dabei von ihnen ausgehandelte Kompromißpaket wurde allerdings unmittelbar darauf von beiden Regierungen verworfen. Auch erhielt insbesondere die sowjetische Delegation Anweisung, derartige informelle Gespräche einzustellen.z40 III. Abstimmung innerhalb der Delegationen und mit den RegierungenZ41

An den sitzungsfreien Tagen wurden innerhalb der amerikanischen Delegation die anstehenden Fragen zwischen den Delegationsmitgliedern und ihren Mitarbeitern beraten und Vorschläge für die Plenumserklärungen entworfen.zu Auf der Grundlage der verschiedenen Entwürfe einigte sich die Delegation auf die endgültige Erklärung. Außerdem wurde die Vorgehensweise bei den post-plenary sessions abgesprochen und die Tätigkeit in den Arbeitsgruppen vorbereitet. Insbesondere verfaßte man erste Artikelentwürfe. Für die Behörden in Washington wurden Berichte angefertigt und in die Hauptstadt gefaxt (reporting cables). Diese enthielten neben Analysen und Aufzeichnungen zu geführten Gesprächen auch Einschätzungen des Verhandlungspartners und Vorschläge für weitere Initiativen. Gleichzeitig wurde um Anweisungen für das künftige Vorgehen gebeten.Z43 Alle diese Dokumente sind Teil des "negotiating record" und somit geheim.

137 Zur Bedeutung dieser informellen Gespräche bei SALT I siehe Garthoff, Negotiating, International Security 1 (1976/77), No.4, S.18. Z38

Siehe oben 2.Teil, 1Abschn., B.II.1.

Z39

Näher hierzu Lübkemeier, S.195.

240

So der frühere amerikanische Außenminister Shultz, The INF Treaty, Hearings-Part 1,

S.19.

241 Anläßlich des ABM/SDI-Streits wurde darüber gestritten, inwieweit die jeweils intern angefertigten Dokumente später zur Auslegung herangezogen werden können. Dazu ausführlich unten 3.Teil, 4Abschn., B.II.1.a). 242

Zu den Plenumserklärungen siehe oben 2.Teil, 1Abschn., B.II.1.

243

Zum backstopping siehe oben 2.Teil, 1Abschn., A.I.

6 Schrnidt am Busch

82

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

Über die Vorgehensweise innerhalb der sowjetischen Delegation ist dagegen wenig bekannt; auch die Mitglieder der amerikanischen Delegation konnten darüber kaum etwas in Erfahrung bringen.Z+f Aus Äußerungen sowjetischer Diplomaten geht hervor, daß die sowjetische Delegation durchaus von ihrer Regierung am Entscheidungsprozeß beteiligt wurde.Z4S C. Ständige Beratungskommission (Standing Consultative Commission)

Aufgrund der SALT I-Abkomm9n wurde 1972 die Ständige Beratungskommission mit Sitz in Genf geschaffen, in der jede Regierung mit zwei Beauftragten vertreten ist. Neben ihrer Funktion als VerifIkationsbehörde~ und Streitbeilegungsinstrumenf47 kann diese Kommission auch als Verhandlungsforum genutzt werden.za Bei der Errichtung der Ständigen Beratungskommission ging man davon aus, daß die Verhandlungen über Offensivwaffen nach einigen Jahren abgeschlossen sein würden und daß es dann eine ständige Institution geben müsse, in deren Rahmen notwendige Änderungen der bestehenden Abkommen ausgehandelt werden.ze Doch insoweit ist die Bedeutung der Kommission gering geblieben, wenngleich einige Änderungen und Durchführungsabkommen von ihr ausgearbeitet wurden, und zwar unabhängig von den oben beschriebenen, in Genf geführten Gesprächen. D. Direkte Kontakte auf Regierungsebene Von großer Bedeutung waren neben den eigentlichen Verhandlungen in Genf stets auch die vielen verschiedenen Kontakte auf höchster Ebene zwischen den beiden Verhandlungspartnern.Z50 Über den sog. back channel sind die beiden Regierungen oftmals ohne Einschaltung der Delegationen direkt miteinander in Verbindung getreten. Diese Kontakte blieben geheim. Die Regierungschefs tauschten über den back channel persönliche Botschaften aus, gelegentlich fanden zwischen ihren 244 McNeill, AJIL 85 (1979), S.64; Johnson (Mitglied der SALT li-Delegation), The SALT 11 Treaty, Hearings-Part 2, S.38. 24S McNeill, AJIL 79 (1985), S.65.

246

Siehe unten 2.Teil, 2Abschn., 8.1I.4.a).

247

Siehe unten 3.Teil, 7Abschn., A.1.

248

Hierzu Goldblat, S.299.

249

Graybeal, ASIL Proceedings 1988, S.67.

2SO

VgI. zu dieser "high-level intervention" Wolfe, S.79-91.

1. Abschn.: Der bilaterale Verhandlungsprozeß

83

engsten Vertrauten kurze Treffen statt. Gebrauch gemacht wurde von dem back channel vor allem dann, wenn die Verhandlungen in Genf festgefahren waren, die Delegationen also über bestimmte Fragen keine Einigung erzielen konnten. Da die Regierungen hier an keine Verfahrensregeln gebunden waren, sie außerdem sogleich Entscheidungen treffen konnten, kamen häufig schneller Kompromisse zustande.zs1 Über den back channel wurden in den letzten Jahren immer öfter die für den Bereich der Rüstungskontrolle so wichtigen Gipfeltreffen vorbereitet. Die Institution des "back channel" ist allerdings nicht ganz unumstritten. Wiederholt ist es zu Mißverständnissen und Unstimmigkeiten zwischen den Regierungsbeamten und den Delegationen gekommen, weil die Delegationsmitglieder nicht informiert waren. ZS2 Entscheidender Motor der Rüstungskontrollverhandlungen waren seit den 80er Jahren die amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffen. Während diese Treffen ursprünglich nur den Sinn hatten, die in den konkreten Verhandlungen erzielten Ergebnisse von offizieller Seite - publikumswirksam - zu bestätigenZSl , nahmen sich die Regierungschefs der beiden Staaten zuletzt auf fast jedem Gipfel selbst der entscheidenden Fragen an. Sie selbst handelten Leitlinien für die weiteren Verhandlungen aus, setzten bestimmte Zeitlimits für den Abschluß des anstehenden Abkommens und berieten mit ihren Vertrauensleuten selbst direkt die Fragen, über die in Genf bis dahin keine Einigung erreicht werden konnte. Schon mehrmals brachten sie die Abkommen selbst zum Abschluß. Damit diese noch während des Gipfels unterzeichnet werden konnten, verhandelten die "Teams" bis zuletzt fast durchgehend über die letzten noch offenen Fragen. Als Beispiel seien die Washingtoner Gipfel vom Dezember 1987 und Mai 1990 genannt, wo jeweils erst in letzter Minute die Verträge in allen Einzelheiten feststanden. Dieses Verfahren wurde dahingehend kritisiert, daß unter Zeitdruck und mangels Erfahrung der ad hoc-Verhandlungsteams keine guten Abkommen entstehen könnten. 2S4

251

Ausführlicher McNeill, AJIL 79 (1985), 5.65.

252 Genau von diesem Problem handelt das Buch von Gerard Smith, Chefunterhändler bei SALT I, dem er den bezeichnenden Titel: "Doubletalk" gegeben hat, vgl. auch ebd, 5.62.; Ganhoff, Negotiating, International Security 1 (1976/77), No. 4, 5.14-17; Frye, 5.66,87f.; Fischer, 5ALT 11, AFDI 25 (1979), 5.136; Wolfe, 5.86-91. Während der INF-Verhandlungen wurde die Zusammenarbeit insoweit anscheinend verbessert, vgl. Kampelman/Glitman (Mitglieder der INF-Delegation), The INF Treaty, Hearings-Part 1, 5.512.

25l

Vgl. Wolfe, 5.84/85.

Ausführlich zu dieser Kritik Frye, 5.92f.; Ganhoff, Negotiating, International Security 1 (1976/77), No.4, 5.14-17; Wolfe, 5.88. 254

84

2. Teil: Zustande kommen, Inhalt und Form

Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang schließlich noch die ebenfalls üblich gewordenen Sondierungsgespräche zwischen den Außenministern bzw. Verteidigungsministern. Anders als bei Kontakten über den back channel hat man die Öffentlichkeit von diesen Treffen stets unterrichtet. Die Ergebnisse blieben oftmals jedoch geheim. Im Vergleich zu den Medienereignissen "Gipfel" fanden sie meistens weniger Beachtung.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

85

2. Abschnitt

Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge Neben eigentlichen Rüstungskontrollverpflichtungen enthalten die Verträge - und darin unterscheiden sie sich von anderen Verträgen - fast immer Verifikationsverpflichtungen, um die Einhaltung eben der Rüstungskontrollpflichten überwachen zu können. Im übrigen gibt es - wie in allen Verträgen üblich Bestimmungen vertragsrechtlicher Art wie Beendigungsklauseln, Änderungsbestimmungen usw. Diese Aufschlüsselung der vertraglichen Verpflichtungen entspricht im wesentlichen der Einteilung von Graf Vitzthum 255 , nach dem sich die vertragliche "Rüstungskontrolle" aus drei Elementen (Stufen) zusammensetzt: einer materiellen, einer formellen und einer prozedural-institutionellen Verpflichtung. Die von ihm gewählten Bezeichnungen sind jedoch mißverständlich. Insbesondere von den Veriftkationsverpflichtungen als formellen Verpflichtungen zu sprechen, ließe den Schluß zu, daß sie nur zweitrangig seien, was keineswegs der Fall ist. A. Die Rüstungskontrollverpflichtungen

Die USA und die Sowjetunion haben unterschiedliche Maßnahmen der Rüstungskontrolle vereinbart.15' Die übernommenen Verpflichtungen lassen sich einteilen in: Verpflichtungen zur Vermeidung und Bewältigung von Krisen, Verpflichtungen zu gemeinsamen Veriftkationsexperimenten, Teststoppverpflichtungen, Verpflichtungen zur Begrenzung bestehender Militärpotentiale und schließlich Verpflichtungen zu echter Abrüstung.1S7 Ein Vertrag enthält in der Regel mehrere Arten von Rüstungskontrollverpflichtungen. Im jüngsten START-Abkommen sind z.B. neben echten Abrüstungsschritten zahlreiche Begrenzungsmaßnahmen vorgesehen. Doch werden die Verträge entsprechend ihrem Schwerpunkt als Kriegsverhinderungsab-

2SS

Rechtsfragen, Berichte DGVR 30 (1990), S.l00f.

2S6

Vgl. die Ausführungen zum Konzept der Rüstungskontrolle im 1.Teil, lAbschn., C.

157 Ebenso Thee, International Social Sciences Journal 28 (1976), S.359, 361ff., der die bis 1976 existierenden bilateralen Verträge zwischen den beiden Großmächten wie folgt einteilt: a) accords on measures to reduce the risk of nuclear war b) accords on the limitation of strategie arms c) accords on nuclear weapon tests (eigentliche Abrüstungsverträge gab es damals noch nicht). Vgl. auch SIPRI, Arms Control, S.4ff.; Lysen, S.85-139; Brauch, S.277ff., die wegen der Einbeziehung der multilateralen Verträge weitere Kategorien aufführen.

86

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

kommen, gemeinsame Veriftkationsexperimente, Teststoppabkommen, Rüstungsbegrenzungsabkommen oder echte Abrüstungsverträge bezeichnet. Der Inhalt der Rüstungskontrollverpflichtungen wurde im einzelnen durch die jeweilige VeriflZierbarkeit bestimmt. Nur das VerifIZierbare war vertragsfähig. Was nicht nach den Vorstellungen der beiden Staaten (z.B. aus technischen Gründen, einfach auch mangels Anknüpfungspunkt) ausreichend verifIZiert werden konnte, wurde von vornherein zwischen ihnen nicht vereinbart. Aber auch: was nicht der Kontrolle - also dem Einblick des technisch zurückgebliebenen Vertragspartners - unterworfen werden sollte (z.B. der Gefechtskopf und das Steuerungssystem der Mittelstreckenraketen beim INF-Vertrag), blieb ebenfalls aus der Vereinbarung insgesamt ausgespart.ZS8 Bei einer näheren Analyse der übernommenen Verpflichtungen kommt man zu folgenden Beobachtungen: - Die übernommenen Verpflichtungen sind stets obligatorisch; einzig Krisenbewältigungsverpflichtungen sind in das Ermessen der beiden Staaten gestellt. Die Staaten sollen selbst entscheiden, welche Mittel sie wählen; für sie besteht allerdings die Pflicht, in den beschriebenen Situationen überhaupt Maßnahmen zu ergreifen. - Während die Krisenbewältigungs- und Abrüstungsverpflichtungen überwiegend zu einem positiven Tun verpflichten, handelt es sich bei den übrigen Rüstungskontrollverpflichtungen eher um "Unterlassungspflichten", vor allem bei den Pflichten zur Rüstungsbegrenzung ("Die Staaten verpflichten sich, ... nicht ")159 ... zu ... "bzw.... k· eme ... zu .... 11

- Die übernommenen Verpflichtungen sind in allen Verträgen stets gleichrangig. Die Abkommen unterscheiden nicht zwischen Haupt- und Nebenpflichten.uo

258 vgl. Höger, S.86f. Beispiele bei Graf Vitzthum, Berichte DGVR 30 (1990), S.122-125; Fischer, SALT 11, AFDI 25 (1979), S.188; Koplow, Arms Control Inspection, N.Y.U.L.Rev. 63 (1988), S.257 insbes. Fn.163. Allgemein zu diesen Zusammenhängen Sur, AFDI 33 (1987), S.72, und Gasteyger/Haug, S.48/49. 2S)

Vgl. hierzu Höger, S.89; Bothe, Dogmatik, S.224.

Hierzu in bezug auf SALT 11 Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr.14.1., S.17. Eine solche Unterscheidung hätte unter Umständen bei der Auslegung der Beendigungsmöglichkeiten eine Rolle spielen können. 260

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

87

- Die Verpflichtungen sind allgemein gehalten, auch wenn im Einzelfall nur einer der beiden Staaten von der Verpflichtung betroffen ist.Z61 - Zwischen den beiden Staaten wurden so gut wie nie kooperative Rüstungskontrollverpflichtungen vereinbart; erst seit dem Abkommen über chemische Waffen ist eine Tendenz zur Kooperation festzustellen, denn die Sowjetunion war zur Vernichtung chemischer Waffen allein nicht in der Lage (" ... the parties undertake, ... to cooperate regarding methods and technologies for the safe and efficient destruction of chemical weapons ...")Wo. I. VerpOichtungen zur Krisenvermeidung bzw. KrisenbewältigungZ63

Die beiden Staaten haben zahlreiche Maßnahmen vereinbart, die helfen sollen, Situationen zu vermeiden, in denen sich einer der Staaten aus dem Gefühl einer Bedrohung heraus zu militärischen Gegenmaßnahmen entschließt. Es geht darum, von vornherein das Entstehen einer Krise zu vermeiden (crisis avoidance). Kommt es dennoch zu einer Krise, soll diese zwischen den beiden Staaten gemeistert werden, ohne daß einer von ihnen zu Nuklearwaffen greift (crisis management). Sämtliche Maßnahmen zielen allerdings nur auf Vorkehrungen gegen den Ausbruch eines Nuklearkrieges. Der Grund hierfür dürfte die allgemein angenommene besondere Gefährlichkeit von Nuklearwaffen und ihre zentrale Stellung innerhalb der Abschreckungsdoktrin sein.Z64 Die zu ergreifenden Maßnahmen lassen sich einteilen in solche technischer und politischer Art.Z65 Während die rein technischen Maßnahmen darauf abzielen, die Gefahr eines unbeabsichtigten Ausbruchs eines Atomkrieges zu vermindern, bezwecken die politischen Maßnahmen darüber hinaus auch die 261

Beispiel: Art.II (9) des INF-Eliminierungsprotokolls, der nur die USA betrifft. Näher dazu

262

Art. I Abs.l (a) des Chemiewaffenabkommens.

Fischer, Euromissiles, AFDI 33 (1987), S53.

Über die tatsächlich vereinbarten Maßnahmen zur Krisenvermeidung bzw. -bewältigung hinaus wurden zahlreiche weitere Maßnahmen diskutiert, z.T. sogar verhandelt, hierzu und kritisch zu den bestehenden diesbezüglichen Abkommen Blechman, S. 466481. Vgl. zum folgenden auch George, S581-599, und AllisonjCamesalejNye, EA 40 (1985), S521-528. 263

264 Vgl. auch Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr. 10.1., S.3; Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdnr.41. 26S Vgl. auch die Einteilung bei Blechman, S.466 mit einer Übersicht auf S.467; Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr.10.1., S.l. Andere Einteilung bei Lysen, S.130-135 (freaties on Prevention, Accidents and Incidents).

88

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

Vermeidung des bewußten Einsatzes von Atomwaffen.Z66 Die verschiedenen Verpflichtungen bestehen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit im Verhältnis der beiden Vertragspartner zueinander, z.T. aber auch gegenüber dritten Staaten. So dürfen Z.B. Formationen keine Manöver in Seezonen mit starkem Verkehr durchführen - ein Verbot gerade auch im Interesse dritter Staaten.Z67 1. Technische Maßnahmen zur Vermeidung einer nuklearen Auseinandersetzung

In erster Linie sind die beiden Staaten verpflichtet, bestimmte riskante Handlungen zur Vermeidung von Nuklearunfällen ZU unterlassen. Insbesondere für Schiffe wurden Verhaltensregeln aufgestellt, um Kollisionen mit Schiffen der Gegenseite zu vermeiden.Z68 Ebenso gilt für Flugzeuge eine allgemeine Verpflichtung zu Vorsicht und Zurückhaltung. Verboten sind simulierte Angriffe auf Schiffe der anderen Seite. Der Grundgedanke ist: "In the interest cf mutual safety, personnel of the armed forces of the Parties shall exercise great caution and prudence while operating near the national territory of the other Party."ze Abgestützt werden diese Verhaltensregeln durch die Verpflichtung der beiden Staaten, zum Schutz gegen einen ungewollten oder unautorisierten Einsatz von Kernwaffen ihre vorhandenen technischen und organisatorischen Vorkehrungen aufrechtzuerhalten und ständig zu verbessern.Z70 Kommt es doch zu einem Zwischenfall, treffen die beiden Staaten gewisse Verhinderungs- oder Schadensminderungspflichten. Die entstandene Gefahr ist so schnell und so gut wie möglich abzuwenden.271 Daneben bestehen umfassende Notifikationspflichten, also einseitige Informationspflichten.m Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Mitteilungspflichten unterscheidenZ73 : Zum einen sind die beiden Staaten zur Ankündigung bestimmter militärischer Aktivitäten wie Manöver, Waffentests usw.

2{J6

vgl. Ress, Überlegungen, ZaöRV 34 (1974), S.210/11.

Art. III § 3 des Hohe See-Abkommens; vgI. auch Art. III § 7; V § 2; VI §§ 1,2 2.Hs. dieses Abkommens. 2fJ7

268

Ausführlich hierzu Lynn-Jones, S.482ff.

2fJ)

Art. III Abs.l des "Agreement on the Prevention of Dangerous Military Activities".

Z70

Vgl. Art. 1 des Kriegsverhütungsabkommens vom 30. September 1971.

Vgl. Art. 2 des Kriegsverhütungsabkommens vom 30. September 1971. Siehe hierzu Goldblal, S.74f. Z7l

V2 Vgl. zum Begriff der Notifikation und ihren verschiedenen Funktionen Dominick, EPIL (9), S.288-29O.

m Vgl. die Einteilung bei Krell, Arms Control 2 (1981), S.266.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

89

verpflichtet, die ohne eine vorherige Mitteilung an die andere Seite kriegerische Reaktionen der anderen Seite zur Folge haben könnten. Zum anderen müssen sie die Gegenseite unmittelbar über bestimmte Vorkommnisse informieren; gemeint sind unbeabsichtigte Vorfälle aufgrund technischer Pannen oder menschlichen Versagens. Die Fälle, in denen eine Mitteilung an den anderen Staat zu erfolgen hat, sind jeweils näher bestimmt. Darüber hinaus ist zum Teil geregelt, wieweit die Informationspflicht zu gehen hat. Die Benachrichtigung Dritter wie Z.B. des VN-Sicherheitsrats ist den beiden Staaten in der Regel freigestellt.174 Von zentraler Bedeutung ist die Verpflichtung zur Schaffung der entsprechend notwendigen Kommunikationsmittel und zu deren ständiger Bereithaltung (Herstellung und Sicherung des physischen Kommunikationsvorganges). Es handelt sich um Verbindungen über Telefon, Telefax und zuletzt Satelliten.Z7S Die beiden Staaten müssen die entsprechende Technik bereitstellen, darüber hinaus aber auch in ständiger Betriebsbereitschaft halten. Die technischen Geräte haben ganz bestimmten Anforderungen zu entsprechen und sind stets den neuesten technischen Entwicklungen anzupassen. Für den Kommunikationsvorgang selbst wurden bestimmte Codes und Techniken zur Vermeidung von Übersetzungsproblemen vereinbart.Z76 Die beiden Staaten sind zudem ausdrücklich verpflichtet, die übermittelten Nachrichten unmittelbar an den jeweiligen Regierungschef weiterzugeben.m Schließlich ist den Staaten auferlegt, regelmäßig Konsultationen über die Durchführung und Änderung der oben beschriebenen technischen Maßnahmen abzuhalten. Gelegentlich wurde dafür ein besonderer institutioneller Rahmen geschaffen wie Z.B. die Übertragung spezieller Funktionen auf die jeweiligen Marineattaches im Fall des Hohe See-Abkommens. Seit der Errichtung der Ständigen Beratungskommissionm steht diese ebenfalls für den Konsultationsprozeß zur Verfügung. 2. Politische Maßnahmen zur Venneidung eines Nuklearkriegs

Auf politischer Ebene besteht für die beiden Staaten die Pflicht, sich so zu verhalten, daß die folgenden - in einem Stufenverhältnis stehenden - gefährli-

174

Vgl. Art. V des Kriegsverhinderungsabkommens vom 22. Juni 1973.

175

Ausführlich zu diesen Kommunikationsmitteln Blechman, S.469-4n.

176

Hierzu Blechman, S.4n/3.

177

Vgl. den zweiten Absatz des Heißer Draht-Abkommens.

178 Ausführlich

zur Ständigen Beratungskommission siehe unten 2.Teil, 2Abschn., B.II.4.a).

90

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Fonn

chen Entwicklungen verhindert werden, nämlich zum ersten "Situationen, die eine gefährliche Verschlechterung ihrer Beziehungen verursachen könnten", zum zweiten "militärische Konfrontationen" und zum dritten "der Ausbruch eines Atomkrieges". Zu diesem Zweck haben die beiden Staaten bestimmte außenpolitische Handlungsmaximen vereinbart, aus denen sich allerdings kaum konkrete Handlungspflichten ableiten lassen. Überwiegend handelt es sich um in den Einzelheiten unbestimmte, auf Unterlassung gerichtete Pflichten. Mit diesen Maßnahmen sollen vor allem die gegenseitigen Beziehungen verbessert werden; doch sind die Staaten ebenso verpflichtet, Konfrontationen mit dritten Staaten zu vermeiden.219 Ergänzt werden diese Verhaltenspflichten durch die Pflicht zur Konsultation in Krisenzeiten. Dies bedeutet, daß die beiden Staaten über die gegenseitige Information hinaus in den oben beschriebenen Situationen gemeinsam nach Lösungen zu suchen haben. ZIO Mit zunehmender Verschlechterung der Weltlage müssen die Konsultationen intensiviert werden.Z81 Auf diese Weise wollten die beiden Staaten sichergehen, daß zu jeder Zeit die Möglichkeit zum Dialog mit der anderen Seite gegeben ist. Die Konsultationspflichten bestehen auch dann, wenn die Gefahr eines Nuklearkrieges von einem dritten Staat ausgeht. Den Rahmen für diese Konsultationen bietet wiederum die 1972 eingerichtete Ständige Beratungskommission.Z8z 11. Verpnichtungen zu gemeinsamen

techni~hen

(Verifikations.)Experimenten

Bei Rüstungskontrollverhandlungen sind Fragen der Verifikation ein zentrales Problem. Bei aller erreichten technologischen Perfektion bereitet die technische Überprüfung von einzelnen Rüstungskontrollmaßnahmen immer

Z19 Ausführlich zu diesen Verhaltenspflichten Ress, Überlegungen, ZaöRV 34 (1974), S.222228, und Fahl, Recht der Rüstungsb~hränkung, Nr. 10.1., S.18-22. 280 Konsultation bedeutet, daß die Staaten miteinander beraten, also die vorgebrachten Meinungen und Lösungen in einer schwierigen Situation gemeinsam diskutieren und in vereintem Bemühen hannonisieren mit dem Ziel der Koordinierung der Handlungen und Maßnahmen der Vertragspartner. Ursprünglich war die Konsultation ein Mittel der Streitbeilegung, später wurde die Konsultation mehr und mehr auch zur Herbeiführung einer gemeinsamen Politik vereinbart. In den Krisenbewältigungsabkommen hat die Konsultation letztlich beide Funktionen, vgI. zum Begriff Konsultation Granow, WV 11, S.290, und Dominick, Consultation, EPIL (9), S.45-49. 281

Siehe oben Text zu Fn.279.

Ausführlicher zu diesen Konsultationspflichten Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr. 10.1., S.22-25; Ress, Überlegungen, ZaöRV 34 (1974), S.231-247. 282

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

91

wieder Schwierigkeiten. Mag die bloße Anzahl von Raketen noch zu ermitteln sein, so ist dies bei der Zahl der Sprengköpfe, der Zielgenauigkeit einer Rakete oder ihrer Reichweite schon schwieriger. Seit jeher bestand auch auf beiden Seiten die Furcht vor mißbräuchlicher Ausnutzung und vor zu weitgehender Transparenz im Sicherheitsbereich. Diese Probleme zögerten den Abschluß eines Abkommens oft über Jahre hinaus.l13 Um die technischen Grundlagen für die angestrebten Verträge zu schaffen (elaboration of effective verification measures for the Treaty... ) und auch die Furcht vor mißbräuchlicher Ausnutzung abzubauen, haben sich die beiden Staaten zur Durchführung gemeinsamer Verifikationsexperimente verpflichtet. Sinn solcher Experimente ist es, die von den Verhandlungspartnern angemeldeten Bedenken hinsichtlich der im Rahmen eines Vertrages angestrebten Verifikationsmaßnahmen auszuräumen, indem die Wirksamkeit und Durchführbarkeit einer Maßnahme getestet wird. Verifikationsexperimente sollen die Grundlage für die Vereinbarung solcher VerifIkationsmaßnahmen liefern, die von jeder Seite zur Einhaltung der Bestimmungen des auszuhandelnden Vertrages angewandt werden könnten. Mit Hilfe solcher Experimente wollten die beiden Staaten nicht nur den Abschluß bilateraler Abkommen beschleunigen, sondern ebenso die Verifikationsmaßnahmen für globale Abkommen vorab bilateral im Verhältnis zueinander erproben.lI4 Diese Verpflichtungen werden hier als Rüstungskontrollverpflichtungen und nicht als VerifIkationsverpflichtungenW angesehen. Sie dienen nicht der Verifizierung vereinbarter Rüstungskontrollverpflichtungen, sondern ihr Zweck ist die Schaffung technischer Voraussetzungen für die Vereinbarung bestimmter ins Auge gefaßter Rüstungskontrollmaßnahmen. Sie sind in dem Sinne keine Verifikationsverpflichtungen, sondern bestimmen den Inhalt der später unter B. erörterten Verpflichtungen der beiden Staaten.Der Rahmen für die Verifikationsexperimente ist jeweils unterschiedlich abgesteckt. Teilweise sind nur einige grundsätzliche Prinzipien für die gemeinsame Durchführung einzelner VerifIkationsmaßnahmen vereinbart ("the parties agree ...to develop verification and stability measures to be implemented pending the conclusion of the Treaty on... "= agree to agree)2.87, teilweise

283

Ausführlich hierzu Pott, S.310-316.

Zur Bedeutung solcher Verifikationsexperimente ausführlicher Jeanclos/Manicacci, Defense Nationale, Mai 1990, S.93. 284

285

Siehe unten 2.Teil, 2Abschn., B.

2B6

Vgl. die Definition von RüstungskontrOlle oben I.Teil, lAbschn., C.

92

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Fonn

sind bestimmte VerifIkationsmaßnahmen vereinbart, deren nähere Ausgestaltung von den Staaten später auszuhandeln ist und gegebenenfalls ad hoc zu erfolgen hat (z.B. die Regelung der Vor-Ort-Inspektionen beim Chemiewaffenexperiment).ZII In anderen Vereinbarungen schließlich sind die Experimente und alle damit zusammenhängenden Fragen detailliert geregelt. Die Experimente betreffen die verschiedenartigsten technischen Fragen. Dennoch besteht jedes "Experiment" letztlich aus zwei Arten von Verpflichtungen: 1. Verpflichtungen zu Maßnahmen, die verifiziert werden sollen

Die Maßnahmen, die verifIziert werden sollen, reichen von Datenaustausch bis zur Vornahme atomarer Tests. Sie sind jeweils bis ins einzelne festgeschrieben. Vorwiegend besteht die erste Phase des Experiments im Austausch von Daten. Jede Seite muß der anderen bestimmte Daten übermitteln, die dann von dieser mit Hilfe der hier unter 2. beschriebenen Methoden, insbesondere durch Vor-Ort-Inspektionen verifIziert werden (shall ... perform on-site inspectioos to verify the accuracy of those data). Die übermittelten Daten werden mit den selbst erworbenen Daten verglichen, um auf diese Weise die Geeignetheit und Verläßlichkeit der VerifIkationsmaßnahme zu testen. Dabei ist genau geregelt, zu welchem Zeitpunkt welche Arten von Informationen weiterzugeben sind, um durch dieses schrittweise Vorgehen einen Mißbrauch zu vermeiden. Die Daten müssen vollständig und stets auf aktuellem Stand sein. Hervorzuheben ist, daß ergänzend zu den übermittelten Daten Besuche in bestimmten Anlagen des anderen Staates stattfInden können, aber: vorgesehen sind lediglich Besuche und keine Inspektionen.m

2P:1 Vgl. das "Agreement on Principles of Implementing Trial Verification and Stability Measures Tbat Would Be Carried Out Pending Tbe Conclusion Of Tbe U.S.-Soviet Treaty On Tbe Reduction And Limitation Of Strategie Offensive Anns" vom 23. September 1989. Näher zu diesem Abkommen Jeanclos/Manicacci, Defense Nationale, Mai 1990, S.8lff. 288 Teil V des "Agreement Regarding a Bilateral Verification Experiment and Data Exchange Related to Prohibition of Chemical Weapons" vom 23. September 1989. 2!P Zum Unterschied Besuch (to visit)/Beobachtung (to monitor)/Inspektion (to inspect) siehe unten 2.Teil, 2Abschn., B.II.3.a).

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

93

Auch die Durchführung der nuklearen Tests ist ziemlich genau vorgegeben. Klargestellt ist, daß zukünftige Tests der beiden Staaten nicht in gleicher Weise abgehalten werden müssen (" ... will not establish a precedent for requiring similar design procedures in the two sides' future tests ...").ZM 2. Verpflichtung zur Duldung von bzw. Kooperation bei bestimmten Verifikationsmaßnahmen

In einer zweiten Phase werden die oben beschriebenen Maßnahmen mit Hilfe bestimmter Methoden verifiziert. Der Schwerpunkt liegt bei kooperativen Verifikationsmaßnahmen. Teilweise ist eine intensive Zusammenarbeit vorgesehen, wie sie nur im Rahmen des Experiments stattfmden soll, um das Vertrauen in die entsprechende VerifIkationsmaßnahme zu stärken. Die Verifikationsmaßnahmen umfassen: den Einsatz von innerstaatlichen technischen Mitteln - und zwar ausnahmsweise auf dem Hoheitsgebiet der anderen Seite, den Austausch von Informationen zur Überprüfung eigener Daten191 und Vor-Ort-Inspektionen. Die Durchführung dieser Maßnahmen ist jeweils genau geregelt.m Einige der vereinbarten Maßnahmen dürfen nur im Rahmen des Experiments vorgenommen werden. Sie dienen der Informationsbeschaffung. Zur VerifIzierung der angestrebten Verträge selbst werden sie z.T. ausgeschlossen.193 III. Teststoppverpßichtungen

Durch ein Verbot der Kernwaffentests soll die qualitative Entwicklung im Kernwaffenbereich erheblich verlangsamt werden. Z94 Neben dem multilateralen Testverbot für Kernversuche in der Atmosphäre, unter Wasser und im

290

Annex, Abschn.7 Ziff.3,4 des "Joint Verification Experiment" vom 31. Mai 1988.

Der Austausch von Informationen kann ebenfalls eine Verifikationsmaßnahme sein, und zwar wenn mit Hilfe der Daten andere Daten nachgeprüft werden sollen. Hat z.B. die eine Seite Messungen bei einem von der anderen Seite durchgeführten Atomtest vorgenommen, so werden die erhaltenen Daten mit Hilfe der Angaben der testenden Partei schließlich überprüft. Auf diese Weise läßt sich feststellen, wie präzis die durchgeführten Messungen waren. 291

292 Vgl. die Ausführungen zu den verschiedenen Verifikationsmethoden unten 2.Teil, 2Abschn., B.I1. 293

Vgl. Zifr. 6 a.E. des "Joint Verification Experiment" vom 31. Mai 1988.

294

Ausführlicher Welichow, S.27f.

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

94

Weltrauml9S haben die beiden Staaten sich bilateral verpflichtet, bestimmte unterirdische Versuche nicht mehr durchzuführen.296 1. Geregelte Versuchsarten

Verboten ist die Durchführung unterirdischer Nuklearversuchsexplosionen zu militärischen und friedlichen Zwecken ab einer gewissen Schwelle (150 KT in Fels). Diese beiden Versuchsarten lassen sich allein von ihrem Zweck her unterscheiden; voneinander abgegrenzt werden sie durch einen rein subjektiven und damit sich wandelnden Begriff.zn Im Bereich der friedlichen Explosionen sind Ausnahmen von der vereinbarten Schwelle möglich. 2. Geregelte Aktivitäten

Zunächst einmal besteht für die beiden Staaten die Pflicht, selbst solche Tests nicht mehr durchzuführen. Diese Unterlassungspflicht obliegt den beiden Staaten "at any place under their jurisdiction or control". Planungsvorhaben und Vorbereitungen von Versuchen gelten so lange nicht als untersagt wie Kernsprengladungen nicht angebracht oder mit der Kernexplosion unmittelbar zusammenhängende Maßnahmen, wie sie in den entsprechenden Al:-· kommen näher beschrieben sind, nicht getroffen werden. Weiter sind die beiden Staaten verpflichtet, sich auch nicht an entsprechenden Explosionen zu beteiligen bzw. solche Explosionen zu fördern, die von dritten Staaten durchgeführt werden. Dabei ist eine Unterstützung von Nichtkernwaffenstaaten den USA und der Sowjetunion bereits nach dem Nichtverbreitungsvertrai" verboten. Die beiden Staaten wollten verhindern, daß die für die Herstellung von Atomwaffen nötigen wissenschaftlichen Erkenntnisse über dritte Staaten erlangt werden und auf diese Weise das Teststoppverbot umgangen wird. Darüber hinaus sind die beiden Parteien gehalten, Dritten die Durchführung entsprechender Explosionen zu verbieten. Das betrifft etwaige, allerdings

295

Vertrag vom 5. August 1963. Siehe oben I.Teil, lAbschn., D.

Ausführlich hierzu Fischer, Limitation des essais souterrains d'armes nudeaires, AFDI 20 (1974), S.153-172; ders., Limitation des explosions nucleaires souterraines ä des fins pacifiques, AFDI 22 (1976), S.9-26. 296

297

Näher hierzu Fischer, Limitation des explosions nucleaires, AFDI 22 (1976), S.9jl0.

298

Vom 1. Juli 1968. Siehe oben 1.Teil, lAbschn., D.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

95

hypothetische (in Betracht kommen nur friedliche) Kernexplosionen anderer Nuklearstaaten auf dem Gebiet der Vertragsparteien. Möglich ist aber auch, daß private Unternehmen solche Versuche durchführen. Hier zeigt sich die Verantwortlichkeit des Staates für seine Bürgerinnen und Bürger. Im übrigen haben sich die beiden Staaten noch verpflichtet, weiterhin zulässige - also unter der Schwelle liegende - Versuche soweit wie möglich auf ein Minimum zu reduzieren. Hierbei handelt es sich um eine Verpflichtung, die so allgemein und vage ist, daß sie ohne praktische Konsequenzen bleibt.29t IV. Rüstungsbegrenzungsverpnichtungen

Von zentraler Bedeutung ist die Verpflichtung der beiden Staaten, eine weitere Aufrüstung nur noch in begrenztem Umfang zuzulassen bzw. den Rüstungsstand auf dem aktuellen Niveau - status quo - einzufrieren. Z.T. fmden sich in den Rüstungsbegrenzungsabkommen schon erste Ansätze zu echter Reduzierung, die aber nicht die zentrale Verpflichtung bilden, häufig auch gar nicht akut wurden.l8O 1. Geregeltes Rüstungsmaterial

Von den Begrenzungsverpflichtungen erfaßt sind ballistische Abwehrraketen und bestimmte strategische nukleare Offensivwaffen. a) Ballistische Abwehrraketen Die ballistischen Abwehrraketen (Anti-Ballistic Missile=ABM) sind näher definiert, und zwar funktional, d.h. durch eine generalklauselartige Beschreibung der militärisch-technischen Einsatzoptionen, die ein solches System auszuführen in der Lage ist.J01 Danach ist ein ABM-System ein System zur Bekämpfung anfliegender strategischer ballistischer Flugkörper oder ihrer 299 Vgl. Fischer, Limitation des essais souterrains, AFDI 20 (1974), S.158. Diese Verpflichtung hat sich auf die Testaktivitäten der beiden Staaten auch tatsächlich überhaupt nicht ausgewirkt, vgI. Goldblat, S.26/27. 300 Aus der umfangreichen Literatur zu den amerikanisch-sowjetischen Rüstungsbegrenzungsabkommen vgI. nur GOller-Calvo/Calvo, S.7-83; Fischer, Limitation des armes strategiques, AFDI 18 (1972), S.8-84; ders., SALT 11, AFDI 25 (1979), S.129-202; Rü!del, Vereinbarungen, S.683-695; ders., Wettlauf, S.275-293; Treverton, EA 34 (1979), S.451-460. 301

Zu dieser Definitionstechnik Högel, S.l08f.

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Fonn

96

Grundbestandteile, das Abfangflugkörper, Abschußvorrichtungen und Radargeräte umfaßt. Diese GrunddefInition wird ergänzt in Art. 11 (1) S.2 des ABM-Vertrages durch die technische Beschreibung der Komponenten, aus denen die im Verhandlungszeitpunkt (1%9-72) vorhandenen oder geplanten ABM-Systeme bestanden. Die Definition der Verbotsgegenstände stützt sich somit sowohl auf eine rein abstrakte Funktionsbeschreibung als auch auf die Beschreibung technischer Merkmale vorhandener Waffensysteme.Je2 b) Strategische nukleare Offensivwaffen Gegenstand der Begrenzungen sind weiter bestimmte strategische nukleare Offensivwaffen, wie bereits den Titeln des Interimsabkommens und des SALT lI-Vertrages entnommen werden kann. Der Oberbegriff "strategische Waffen" ist in diesen Abkommen selbst nicht defmiert.303 In der Praxis wird der Begriff daher anhand der von den Begrenzungsabkommen erfaßten Waffen defmiert,304 wobei das ausschlaggebende Kriterium die Reichweite ist.lOS Anknüpfungspunkt für die Begrenzungen sind die Trägersysteme, nicht das eigentliche Gefährdungspotential: die Gefechtsköpfe.306 Die von den Abkommen erfaßten Trägersysteme werden anband technischer Merkmale wie die Art der Dislozierung (= see-, luft- oder landgestützte Systeme, bei letzteren unterscheidet man zwischen mobilen und stationären Systemen), Reichweite, bestimmte qualitative Eigenschaften (wie Wurfgewichf07, Startgewicht), Austattung mit Einfach- oder Mehrfachsprengköpfen und der technische

302 Diese komplizierte Definitionstechnik war Anlaß für den sog. ABM/SDI-Streit, siehe unten 3.Teil, 4Abschn., A.I.2.a). 303 Der Grund hierfür waren die unterschiedlichen Auffassungen über diesen Begriff. Nach Auffassung der Sowjetunion galten als strategische Waffen die Systeme, die den beiden Staaten gehören und unabhängig von ihrem Dislozierungsort das Territorium des jeweils anderen erreichen, also auch die in Europa früher stationierten amerikanischen Mittelstreckenwaffen. Die USA rechneten dagegen zu den strategischen Waffen jeweils nur die, die im Gebiet der beiden Staaten disloziert sind und von dort aus das Territorium des anderen Staates erreichen können, vgl. Goller-CalvojCalvo, S.29f.; Fischer, Limitation des annes stratl:giques, AFDI 18 (1972), S.13-15; läedel, Vereinbarungen, S.683f.

304 Vgl. Brauch, Entwicklung, S.118. Dabei wird deutlich, daß sich in den Verträgen letztlich die amerikanische Auffassung durchgesetzt hat. 30S Kriterien zur Abgrenzung strategischer Waffen von taktischen Waffen werden diskutiert bei Bluhm, Grundlagen, S.40-43; läedel, SALT, Vereinbarungen, S.683f. 306

Vgl. hierzu Sullivan 111, S.333.

3CJ7 Das Wurfgewicht (auch Nutzlast) einer Trägerwaffe bestimmt, wieviele oder wie starke Sprengköpfe das Trägersystem in ein Ziel befördern kann.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

97

Stand eines Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt (vgl. Art.1I Interimsabkommen) defInier~, teilweise kombiniert mit funktionalen Kriterien.109 Danach werden erfaßt: interkontinentale ballistische Flugkörper (ICBM), UBoot-gestützte ballistische Flugkörper (SLBM), Bomber, Unterseeboote, ballistische Luft-Boden-Flugkörper (ASBM) und luftgestützte Marschflugkörper (ALCM) mit jeweils genau festgelegten Reichweiten, bestimmten qualitativen Eigenschaften und näher ausgeführten Einsatzmöglichkeiten. Für das Vorliegen der genannten - vorwiegend - technischen Kriterien wird auf den Zeitpunkt der Entwicklung und Erprobung abgestellt. Die Verträge arbeiten hier mit Vermutungen: Ist ein System in bestimmter Weise entwickelt und getestet worden, wird angenommen, daß das System "wie getestet" ausgetattet und eingesetzt wird. Kurz: Einmal ICBM, immer ICBM. Daran schließt sich sogleich die Vermutung an, daß alle Systeme desselben Typs dann ebenfalls derart entwickelt und erprobt sind. Diese Vermutungen gelten als widerlegt, wenn sich die Waffensysteme durch "äußerlich erkennbare Konstruktionsmerkmale" ausgrenzen lassen, - vgl. 1. und 2. Absprache zu Art.II (8) des SALT li-Vertrages. Für diese Vermutungsregelungen gibt es verschiedene Gründe. Zum einen soll verhindert werden, daß - sofern es möglich ist - nach Inkrafttreten der Verträge an den entscheidenden Kriterien manipuliert wird. Ein Staat könnte sonst Systeme dem Anwendungsbereich des Vertrages entziehen, indem er z.B. angibt, daß ein mit einer bestimmten, und zwar der vertraglich festgelegten Reichweite getestetes Trägersystem nur bis zu einer darunter liegenden Reichweite verwendet wird, obwohl im Bedarfsfalle das System tatsächlich die im Vertrag festgelegte Reichweite erzielen kann.3lO Zum anderen kann das Vorliegen der entscheidenden Deflnitionskriterien in den meisten Fällen nur während der Erprobungsphase eindeutig verifiziert werden. Die Grunddeflnitionen der erfaßten Trägersysteme werden teilweise in den Verträgen selbst oder in den zusätzlichen Absprachen311 konkretisiert durch typenspezmsche, technische Kurzbezeichnungen für bereits bekannte Waffentypen; z.B. Art. 11 (3) des SALT lI-Vertrages: "Als schwere Bomber gelten

308

Ausführlich zu dieser Definitionstechnik, ihren Vor- und Nachteilen Högel, S.l09.

Vgl. z.B. die Marschflugkörperdefinitiu:l des Art. 11 (8) SALT-II-Vertrag: "Marschflugkörper sind unbemannte, mit eigenem Antrieb ausgestattete, gelenkte Trägerminel für den Waffeneinsatz (funktionales Kriterium), die ihren Rug auf dem größten Teil ihres Rugwegs durch Nutzung des aerodynamischen AuftriebS zurücklegen ... " (Hervorhebungen durch die Verfasserin ). 309

310

Zur Problematik der Vermutungsregelung Höget, S.195.

311

Ausführlich zu diesen begleitenden Absprachen unten 2.Teil, 3Abschn., B.

7 Schmidt am Busch

98

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

derzeit auf seiten ... Bomber vom Typ B-52 und B-1 und auf seiten ... Bomber vom Typ Tupolew-95 und Mjassischtschew." Es kommt dann auf die Vermutungsregelungen nicht an. Regelungstechnisch knüpfen die Abkommen aber nicht in allen Fällen unmittelbar an die Trägersysteme an, sondern aus Gründen der Zählbarkeit und Veriflzierbarkeit an deren Abschußvorrichtungen. Festinstallierte Start anlagen lassen sich hinsichtlich Anzahl, Dislozierung und technischer Ausstattung zuverlässiger veriflzieren als die Raketen selbst, die häuflg abgedeckt bleiben.lU Seit 1972 bestand kaum Besorgnis darüber, daß Raketen in der Nähe der Abschußbasen für die Nachladung aufgestellt werden könnten.lU Die Aufzählung der erfaßten Waffen ist abschließend; alle anderen Waffen, auch wenn sie durchaus mit dem erfaßten Material vergleichbar sind, werden in keiner Weise von den Rüstungsbegrenzungsverpflichtungen berührtl14 • 2. Geregelte Aktivitäten 3J5

Die zwischen den beiden Staaten vereinbarten Begrenzungsmaßnahmen lassen sich einteilen in quantitative und qualitative Maßnahmen. In Art. I des SALT lI-Vertrages z.B. verpflichten sich die beiden Staaten ausdrücklich zu quantitativer und qualitativer Begrenzung strategischer Offensivwaffen.316 Während quantitative Maßnahmen überwiegend "nur" auf die zahlenmäßige Begrenzung vorhandener Waffen gerichtet sind, berücksichtigen qualitative Maßnahmen auch Elemente des rüstungstechnischen Wandels, insbesondere Modernisierungs- und Entwicklungsprozesse.317

312 Hier wird besonders deutlich, wie sich der Inhalt der Rüstungskontrollverpflichtungen im einzelnen nach der jeweiligen VerirlZierbarkeit richtet, vgI. Kop/oMl, Arms Control Inspection, N.Y.U.L.Rev. 63 (1988), S.257. Siehe auch oben Text zu Fn.258. 313 314

Sullivan 111, S.333 Fn.7. Vgl. GOlierCalvojCalvo, S.51.

315 Die in den Abkommen festgeSChriebenen Verpflichtungen gelten nicht in bezug auf alle erfaBten Systeme, sondern es bestehen unterschiedliche Verpflichtungen je nach Waffensystem. 316 Diese Bestimmung soll die Verpflichtungen des SALT lI-Vertrages zusammenfassen und erzeugt keine zusätzlichen Verpflichtungen für die Parteien, vgl. Goller-CalvojCalvo, S.58. 317 Zur Bedeutung dieser Unterscheidung siehe 10. VN-Sondergeneralversammlung (Abrüstung) Res. 5-10/2 vom 30. Juni 1978, § 39; deutsch in: VN (26) 1978, S.17lff.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

99

Eine konturenscharfe Definition dieser Begriffe wurde in der Praxis jedoch stets vermieden.3u Dies geht darauf zurück, daß der scharfen begrifflichen Unterscheidung und einer entsprechenden Zuordnung der jeweiligen Maßnahmen Grenzen gesetzt sind. So ist etwa die Vereinbarung von Rüstungshöchstgrenzen - "klassische" Maßnahme quantitativer Rüstungskontrolle - bei der Wahl entsprechender waffentechnischer Anknüpfungspunkte (z.B. Sprengkopfanzahl) geeignet, qualitative Steuerungswirkungen zu entfalten. Z.B. kann sich eine quantitative ~eschränkung gleichzeitig qualitativ auf das System auswirken, wenn beispielsweise die Zahl der Gefechtsköpfe (quantitative Beschränkung) begrenzt wird (insgesamt qualitative Begrenzung, da damit das System in seiner Wirkung, die ja durch die Gefechtsköpfe definiert ist, begrenzt wird). Umgekehrt kann (muß aber nicht) das Verbot qualitativer Verbesserung die Wirkung haben, daß die Systeme, die nicht verbessert werden dürfen, auf dem aktuellen Stand eingefroren werden; in diesem Fall zieht also eine qualitative Begrenzung auch eine quantitative Begrenzung nach sich.3~ Häufig liegen in bezug auf ein System beide Begrenzungen vor: Waffen, für die eine Obergrenze besteht, dürfen auch qualitativ nicht verbessert werden. Die unterschiedlichen Wirkungsweisen quantitativer und qualitativer Maßnahmen werden deutlich, wenn man sie in Bezug setzt zum Rüstungsprozeß. Dieser durchläuft folgende Phasen: Grundlagenforschung; Experimentierphase; Entwicklung, Herstellung und Erprobung von Prototypen; industrielle Serienproduktion; Lagerung und schließlich Indienststellung von Waffensystemen. Die quantitativen Maßnahmen beschränken den Bestand der vorhandenen Waffen, ihre Anzahl, Produktion, Lagerung und Dislozierung.31.0 Die qualitativen Maßnahmen knüpfen weitaus früher an und untersagen die Modernisierung, Entwicklung und Erprobung von Waffen. Die ·vereinbarten Beschränkungen beziehen sich grundsätzlich auf das Territorium der beiden Staaten321 - mit Ausnahme des ABM-Vertrages322,

318

Zu den folgenden Ausführungen vgl. Högel, S.57-60,89-91.

319

Vgl. das Beispiel bei Fischer, Limitation des armes strategiques, AFDI 18 (1972), S.63.

320 Dislozieren ist das Aufstellen einsatzbereiter Waffen. Dabei bedeutet "Dislozieren" die Aufstellung eigener Waffen auf eigenem Territorium, während die Aufstellung eigener Waffen auf dem Territorium dritter Staaten als "Stationierung" bezeichnet wird. Dementsprechend wurden beim INF-Vertragswerk die Verbündeten der beiden Staaten als "Stationierungsländer" bezeichnet, vgl. Högel, S.92 Fn.13.

321

Rüstungsbegrenzungen können weltweit oder nur regional vereinbart werden.

Insoweit unterschied sich der ABM·Vertrag bis dahin von allen vorausgegangenen Rüstungskontrollabkommen, vgI. Goller.CalvojCalvo, S.21. 322

100

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

der bestimmte Maßnahmen auch außerhalb des eigenen Territoriums verbietet (Art. IX). a) Verpflichtungen zur quantitativen Begrenzun~ In erster Linie haben sich die beiden Staaten zu einer numerischen Begrenzung der vorhandenen Waffenbestände verpflichtet. Je nach vorhandenem Arsenal kann die Festlegung einer Obergrenze dazu führen, daß der existierende Bestand reduziert werden muß, dict vorhandenen Rüstungen auf dem status quo einzufrieren sind oder unter Umständen eine begrenzte Aufrüstung weiter zulässig bleibt. aa) Bestimmung der Obergrenzen Für das von den Begrenzungen erfaßte Material werden bestimmte Obergrenzen festgesetzt. Dabei kann es sich in unterschiedlichem Zustand befmden. Abgestellt wird nicht nur auf einsatzbereite Waffen, sondern mitgezählt werden müssen auch immer die sich noch im Bau befmdlichen Waffen, eingelagerte Waffen, Waffen im Umbau usw. (Art. VI des SALT lI-Vertrages, Art. 11 (2) des ABM-Vertrages). aaa) freeze Anfangs wurden die Rüstungsbegrenzungen durch das "Einfrieren" von Rüstungsbeständen zu einem bestimmten Zeitpunkt festgeschrieben, z.B. Art. I des Interimsabkommen. Diese Technik vermied die numerische Fest- und vor allem Offenlegung des vorhandenen Bestandes. Sie hatte aber zur Folge, daß die Obergrenzen für die beiden Staaten immer unterschiedlich waren. Der Grund für die Asymmetrie war die Ausrüstung amerikanischer Raketen mit Mehrfachsprengköpfen. Die USA waren daher einverstanden, weniger Raketen als die Sowjetunion zu besitzen, solange sie bei den Sprengköpfen über einen großen Vorsprung verfügten und die Ungleichheit durch Vorteile im Bereich der Zielgenauigkeit und Zuverlässigkeit der Systeme ausgeglichen wurde.3z4

323

Ausführlich zu den quantitativen Maßnahmen der Rüstungskontrolle Höget, S.91-95.

32A

Hierzu Cannizzo, S. 361, 367.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

101

bbb) Zahlenmäßige Begrenzung Später einigten sich die beiden Staaten auf konkrete Zahlen. "Ceilings" ziehen eine bei Vertragsschluß noch nicht erreichte Obergrenze, lassen also Raum für eine begrenzte quantitative Aufrüstung (SALT 11). Obergrenzen unterhalb des bei Vertragsschluß existierenden Rüstungsbestandes, die sog. "limits", erfordern Reduzierungen auf das vereinbarte niedrigere Niveau.3lS Hier sind die Grenzen in der Regel für beide Seiten gleich hoch. Bei SALT 11 wurde eine besondere Technik, nämlich die des "free mix" angewendet. Für die Gesamtzahl der nuklearstrategischen Offensivwaffen (ICBM, SLBM, strategische Bomber und ASBM) wurde eine für beide Seiten gleich hohe zahlenmäßige Obergrenze festgelegt. Innerhalb dieser Begrenzung sollten beide Staaten den jeweiligen Anteil der einzelnen Waffenkategorien bei der Zusammensetzung ihres strategischen Bestandes selbst bestimmen können, sofern nicht besondere Zwischengrenzen für einzelne System arten festgesetzt waren (Art.III (3) des SALT II-Vertrages).lu Diese Technik wird auch bei START angewendet (Art.1I des START-Vertrages). Angesichts dieses komplizierten Verfahrens wurden Zähl- und Typenregeln nötig. Bei den Zählregeln handelt es sich um Vereinbarungen, bestimmte Waffen anhand festgelegter Kriterien auf eine bestimmte Weise zu zählen. Daran knüpfen die Typenregeln unmittelbar an. Ordnet eine Zählregel an, eine bestimmte Waffe auf eine bestimmte Weise zu zählen, so bestimmt die Typenregel, daß alle Waffen desselben Typs auf die der Zählregel entsprechenden Weise zu zählen sind. Wird Z.B. eine Waffe A des Typs B im CModus getestet (Zählkriterium), so gilt nicht nur diese konkrete Waffe als tatbestandsmäßig (Zählregel), sondern auch alle Waffen des Typs B (Typenregel). Damit kann der Nachweis entfallen, daß bei jeder einzelnen Waffe einer bestimmten Kategorie die in der Zählregel genannten Kriterien vorliegen.1l7 Zähl- und Typenregeln sind so abgefaßt, daß die VerifIzierung der Einhaltung der festgelegten Obergrenzen erleichtert ist.lZ8

Höget, S.91/92. Vgl. Höget, S.170; Trevenon, EA 34 (1979), S.452; Fahl, SALT 11, S.46f. 3XI Vgl. Höget, S.l1l. 325

326

328

Ausführlich dazu unten 2.Teil, 2Abschn., B.I.

102

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

bb) Verpflichtung, keine Waffen über die Obergrenze hinaus zu besitzen Die beiden Staaten sind verpflichtet, über die vereinbarte Obergrenze hinaus keine entsprechenden Systeme zu besitzen. Dieses Besitzverbot wird durch verschiedene Verpflichtungen realisiert: aaa) Reduzierungsverpflichtungen Liegt der vorhandene Rüstungsbestand über der festgelegten Obergrenze, müssen die entsprechenden Systeme bis zu dieser Höhe abgebaut werden. Die beiden Staaten sind dann zur Zerstörung oder Demontage der überschüssigen Waffensysteme verpflichtet. Die Verfahren zur Eliminierung und Demontage haben die beiden Staaten in zwei Geheimprotokollen von 1974 näher geregelt.319 Insoweit besteht also eine Pflicht zu echter Reduktion. Allerdings ist diese Verpflichtung in der Realität nicht zum Zuge gekommen, da die Grenzen immer so gewählt waren, daß der tatsächliche Bestand nicht darüber hinausging (Art.VIII des ABM-Vertrages, Art. XI des SALT 11Vertrages).3JO bbb) Begrenzungsverpflichtungen Im übrigen dürfen die heiden Staaten die entsprechenden Systeme nur bis zu der vereinbarten Grenze besitzen bei der grundsätzlichen Möglichkeit zur Modernisierung und Ersetzung (Art. IV des Interimsabkommens).331 Ist diese Grenze erreicht, bestehen zahlreiche Verbote, die eine weitere Aufrüstung verhindern sollen. Von diesen sind zwecks Modernisierung und Ersetzung Ausnahmen möglich: - So dürfen die beiden Staaten fortan keine weiteren Waffensysteme bauen bzw. herstellen. Diese Verbote betreffen die industrielle Fertigung von Waf329 Hinweise auf diese Geheimprotokolle bei Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr.8.2.2., Text D, S.l; Fischer, SALT 11, AFDI 25 (1979), S.I30 Fn.3; Wolfe, Chapter 4, Fn.35 u.

36.

330 Genauer gesagt mußten die USA nach dem ABM-Vertrag ein noch nicht fertiggestelltes ABM-System abbauen, vgl. Fischer, Limitation des armes strategiques, AFDI 18 (1972), S52/53. Bei SALT 11 wäre diese Verpflichtung aktuell geworden (vgl. Goldblat, S.35), aber dieser Vertrag wurde nicht ratifIZiert. 331 Wird die Obergrenze damit überschritten, sind die Staaten zur Demontage bzw. Zerstörung der ersetzten Systeme verpflichtet. Dabei ist fraglich bzw. umstritten, wann mit der Vernichtung zu beginnen ist: vor oder nach der Ersetzung.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

103

fen und Waffenteilen. Falls ein solches Verbot nicht ausdrücklich wie beim Interimsabkommen (" ... nach dem 1. Juli 1972 nicht mehr mit dem Bau zusätzlicher ... zu beginnen.") vereinbart ist, ergibt es sich mittelbar aus der Abrede, daß auch die im baulichen Endstadium hefmdlichen Systeme mitzuzählen sind (Art. VI (1) des SALT lI-Abkommens). Damit das Bauverbot aber nicht dadurch umgangen wird, daß eine Partei eine große Anzahl von Systemen bis kurz vor der Endfertigung herstellt und auf diese Weise nach Ablauf des Abkommens oder bei Rücktritt über eine sofortige Überlegenheit an strategischem Waffenpotential verfügt, sind den beiden Staaten auch kurz vor der letzten Konstruktionsstufe liegende Maßnahmen untersagt.33: - Damit einher geht das Verbot, die entsprechenden Systeme von dritten Staaten zu erwerben. Dies ist nicht immer ausdrücklich festgelegt, ergibt sich aber wiederum mittelbar aus anderen Regelungen. - Schließlich ist es den heiden Staaten untersagt, Waffen, die von den Verträgen defmitorisch nicht erfaßt sind, umzubauen333 in von den Verträgen erfaßte oder aber vergleichbare Systeme (vergleichbar aufgrund der in der Defmition verwendeten Kriterien334). - Die genannten Verbote werden durch Dislozierungsbeschränkungen, Verlegungs- und Lagerungsverbote abgesichert. Dislozierungsbeschränkungen sehen bestimmte Einengungen bei der Dislozierung, also bei der Aufstellung einsatzbereiter Waffen vor. Abweichungen von den "normal deployment requirements" (normale Dislozierung) sind verboten335 • Auf diese Weise soll sichergestellt werden, daß von den Abschußvorrichtungen nur jeweils eine Rakete abgefeuert wird.336 Verlegungsverbote untersagen es den Staaten, eine dislozierte oder gelagerte Waffe von ihrem ständigen Ort an einen anderen zu verbringen. Damit soll verhindert werden, daß bei einer Verlegung Waffen in nicht mehr erlaubte Systeme umgebaut werden. Auch wollten die Parteien ausschließen, daß die Systeme derart disloziert werden, daß sie vor einem

332 Vgl. Art. IV (6) des SALT lI-Vertrages. Zu dem Zweck dieser Vorschrift näher die Detailed Analysis of SALT 11 Provisions, ILM 18 (1979), S.1122, 1128; Goller-Calvo/Calvo, S. 60; Fahl, SALT 11, S.65. Anders noch beim Interimsabkommen, wo diesbezüglich keine Regelung getroffen wurde, vgl. Fischer, Limitation des armes strah~giques, AFDI 18 (1972), S.63. 333

Vgl. z.B. Art. VI des ABM-Vertrages.

334

Siehe oben 2.Teil, 2Abschn., A.IV.l.b).

335

Art. IV § 5 SALT 11.

336 Goller-Calvo/Calvo, S.6O. Vgl. auch Detailed Analysis of the SALT 11 Provisions, ILM 18 (1979), S.1128.

104

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

möglichen Angriff besser geschützt sind.3J7 Lagerungsbeschränkungen verpflichten die Staaten, nichtdislozierte Waffen nur an bestimmten Orten oder überhaupt nicht zu lagern. Da heimlich "gelagerte" Waffen im Bedarfsfall schnell zur Verfügung stehen, soll durch Lagerungsverbote der Anreiz zu Vertragsverletzungen genommen werden. Zwischen den genannten Verboten besteht ein enger Zusammenhang, wie sich z.B. bei nachladefähigen Systemen deutlich zeigt. Diese Verbote haben in erster Linie quantitative Folgen, können sich im Einzelfall aber auch qualitativ auswirken331, z.B. Dislozierungsbeschränkungen für Waffen wie Frühwarn-, Erfassungs- und FeuerleitRadarsysteme, deren Wirkungsweise und Effektivität standortabhängig ist (vgl. Art. VI (b) des ABM-Vertrages).339 b) Verpflichtungen zu qualitativen Begrenzungen3411 Neben diesen zahlenmäßigen Begrenzungen haben die beiden Staaten sich auch zu bestimmten qualitativen Begrenzungen verpflichtet. aa) Vollständiges Verbot noch nicht existierender Waffensysteme Zum einen sollen bestimmte Waffentypen oder -kategorien ganz aus dem Rüstungswettlauf herausgenommen werden. Unerwünschte Entwicklungen im Bereich der "emerging technologies" und der noch fernen Zukunftstechnologien will man frühzeitig unterbinden. Daher ist es den Vertragsparteien von vornherein verboten, solche Systeme überhaupt zu entwickeln. Dahinter steht die Überlegung, daß Waffen, die bereits entwickelt wurden, im Krisenfall bzw. nach Ablauf der Geltungsdauer der Abkommen ohne weiteres hergestellt werden können. Da es für das Gleichgewicht der Bedrohungspotentiale auf die strategischen Konzepte und die verfügbare Technologie ankommt, ist es für die Sicherung des Gleichgewichts unter anderem wesentlich, daß es nicht unerwartet durch Technologievorsprünge beseitigt wird. Auch wollten die beiden Staaten dadurch verhindern, daß die Gegenseite ohne Vertragsverletzung den Besitz der verbotenen Waffen vorbereiten und dann plötzlich über die verbotenen Waffen verfügt, 337

Goller.CalvojCalvo, SALT Agreements, S.60.

Anders Fischer, SALT 11, AFDI 25 (1979), S.176f., der sie als qualitative Maßnahmen ansieht. 338

339

Ausführlicher zu diesen Verboten Höget, S.92-94.

340

Ausführlich zu Maßnahmen der qualitativen Rüstungskontrolle Högel, S.95-102.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

105

sei es unter Verletzung des Vertrages, sei es nach ordnungsgemäßem Rücktritt. Dagegen hat man von einem Forschungsverbot abgesehen. Ein solches wäre unrealistisch, da Forschung für spezifische Waffen wohl kaum von anderer militärischer oder auch friedlicher Forschung abgegrenzt werden kann, darüber hinaus ein Forschungsverbot nicht verifIzierbar ist. Allerdings stellt sich damit das Problem der genauen Abgrenzung von Forschung und Entwicklung.3oft Flankiert wird dieses Verbot durch ein Erprobungs- und Dislozierungsver-

bo~; und zwar deshalb, weil reine Entwicklungsverbote kaum zu verifIzie-

ren sind bzw. die Entwicklungsphase zum Teil schon fast erreicht war.34l

bb) Verbot qualitativer Verbesserungen von vorhandenen Systemen Zum anderen sollen bestimmte qualitative Verbesserungen des vorhandenen Rüstungspotentials ausgeschlossen werden. Daher bestehen gewisse Modernisierungsbeschränkungen. Grundsätzlich sind Modernisierungen des vorhandenen Rüstungsbestandes innerhalb der festgelegten Obergrenzen zulässig (Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt); bestimmte, genau aufgeführte Verbesserungen an existierenden und zulässigen Waffen sind jedoch verboten. Die Systeme sollen qualitativ auf dem status quo gehalten werden. Für die qualitative Wirkung von Modernisierungsbeschränkungen kommt es im Einzelfall darauf an, diejenigen Parameter zu erfassen, die für die technische Entwicklung der jeweiligen Waffen entscheidend sind (bei einer leBM sind dies u.a. Dislozierungsart - mobil oder ortsfest -, Reichweite und Zielgenauigkeit, das Wurfgewicht sowie Art, Beschaffenheit und Anzahl der Sprengköpfe) und die gleichzeitig ohne größere Schwierigkeiten verifIziert werden können. Aus diesem Grunde enthalten die Verträge überaus komplexe Dermitionen der erfaßten Waffensysteme. Daneben sollen Umbau- und Umwandlungsverbote verhindern, daß vorhandene Waffen durch technische Veränderungen mit neuen militärischen Fähigkeiten ausgestattet werden. Auch hier mußten die entscheidenden technischen Anknüpfungspunkte gefunden werden.

341

Um dieses Problem ging der bekannte SDI/ABM-Streit, siehe unten 3.Teil, 4Abschn.,

B.III.I. 342

Vgl. Art. V (1,2) des ABM-Vertrages, Art.IV (5c,7,9) des SALT lI-Abkommens.

343

Vgl. Högel, S.99.

106

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

c) Umgehungs- und Derogationsverbot Teilweise ist neben den eigentlichen Begrenzungsverpflichtungen ausdrücklich ein Umgehungsverbot verankert: "Um die Lebensfähigkeit und Wirksamkeit dieses Vertrages sicherzustellen.. .".344 Das Umgehungsverbot wiederholt nur ausdrücklich eine bereits aus dem "bona jide"-Grundsatz herzuleitende Vertragspflicht. Es erzeugt weder zusätzliche Vertragspflichten noch erweitert es den Umfang der vereinbarten Verpflichtungen.345 Das Umgehungsverbot ist unterschiedlich konkret formuliert. In früheren Abkommen werden einzelne Umgehungsmöglichkeiten ausdrücklich verboten34', in späteren wurde das Umgehungsverbot allgemeiner abgefaßt (Verbot, "die Bestimmungen mittels eines anderen Staates oder anderer Staaten oder in irgendeiner anderen Weise zu umgehen"). Um hier Spielraum zu bewahren, haben es die Vertragsparteien bewußt vermieden, konkrete Beispiele für eine Umgehung anzuführen.347 Daher ist das Umgehungsverbot auch Anlaß vieler Streitigkeiten gewesen. Außerdem ist die Frage höchst politisch, wann eine Umgehung vorliegt.348 Allerdings fallen bestimmte Maßnahmen wie Beteiligung an Projekten dritter Staaten bzw. Weitergabe des verbotenen Materials an dritte Staaten zweifellos unter dieses allgemeine Verbot. Abgestützt werden die Begrenzungsverpflichtungen noch durch ein Derogationsverbot. Die beiden Staaten verpflichten sich ausdrücklich, keine internationalen Verpflichtungen zu übernehmen, die im Widerspruch zu den Abkommen stehen würden. Dieses Verbot stellt eine Variante des völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatzes ''pacta sunt servanda" dar.349

344 Neben diesen ausdrücklichen Umgehungsverboten ist unter anderem Sinn verschiedener Vorschriften, eine Umgehung ganz bestimmter Verpflichtungen zu vermeiden.

345 Department of State Analysis zum SALT lI-Vertrag, ILM 18 (1979), S.l134; vgl. auch lift/Graham Jr., Practical Problems, S.67f. 346 Vgl. Art. XI des ABM-Vertrages. 347 Vgl. die Ausführungen von Earle II (Mitglied der SALT lI-Delegation), Tbe SALT 11 Treaty, Hearings-Part 2, S.361/362. 348 Ausführlich hienu unten 3.Teil, 4Abschn., AI.2.b). Für die Frage, ob eine Umgehung vorliegt, ist vor allem auf den Zweck des Vertrages abzustellen, vgl. Earle II (Mitglied der SALT lI-Delegation), Tbe SALT 11 Treaty, Hearings-Part 2, S.361/2.

349 Vgl. hienu die Diskussion in der American Society of International Law, Verification of Arms Control Agreements: New Hope in a New Area, ASIL Proceedings 1988, S.79. Siehe auch Ilft/Graham Jr., Practical Problems, S.68. Vgl. allgemein zu Derogationsverboten in Verträgen Karl, S.70ff.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

v.

107

Abrüstungsverpßichtungen

Schließlich haben sich die USA und die Sowjetunion zuletzt verpflichtet, bestimmte Waffensysteme vollständig oder teilweise (bis zu einem Restbestand) abzuschaffen, also das existierende Waffenpotential tatsächlich zu verringern. 1. Geregeltes Rüstungsmaterial

Zwischen den beiden Staaten bestehen echte Abrüstungsverpflichtungen bisher nur für bestimmte Nuklearwaffen und chemische Waffen. a) Nuklearwaffen Wie schon bei den Begrenzungsverpflichtungen werden die tatbestandsmäßigen Waffensysteme anhand technischer Merkmale, kombiniert mit funktionalen Kriterien, defIniert. Teilweise werden die so unterschiedenen Systeme durch typenspezifIsche technische Kurzbezeichnungen konkretisiert. 350 Da es sich bei den Abrüstungsverpflichtungen um weitreichende, die Sicherheit der Vertragspartner in außerordentlichem Maße berührende Maßnahmen handelt, wurde insoweit ein erheblicher DefInitionsaufwand betrieben. aa) Mittelstreckensysteme Gegenstand der Abrüstungsverpflichtungen sind zum einen die Mittelstreckensysteme der beiden Staaten, d.h. Systeme, die aufgrund ihrer geringeren Reichweite nicht mehr zu den strategischen Waffensystemen, wie sie in den SALT -Abkommen definiert sind, gerechnet werden. Die genaue Bestimmung der betroffenen Systeme erfolgte mit Hilfe einer technisch-funktionalen GrunddefInition, die alle bodengestützten und für den Waffeneinsatz bestimmten Flugkörper (ballistische und Marschflugkörper) der USA und der UdSSR mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 km erfaßt. Die DefInition verzichtet auf die Nennung des Merkmals "nuklear", da dieses nicht verifizierbar ist, und bezieht somit auch konventionelle Systeme ein, wenngleich in der Praxis ausschließlich nukleare Systeme unter diese Dcfmition fallen. 351

350

Zu dieser Definitionstechnik siehe Hägel, S.I08ff.

351

Vgl. Hägel, S.193.

108

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Fonn

Die Grunddefmition wird ergänzt durch die typenmäßige Bezeichnung der vorhandenen bzw. der bereits erprobten Systeme. Die unter diese Defmition "Flugkörper mittlerer und kürzerer Reichweite" fallenden bereits existierenden Systeme werden im Memorandum of data35Z anband ihrer technischen Schlüsselcharakteristika (maximale Sprengkopfanzahl sowie Länge, Durchmesser und Gewicht der Flugkörper und ihrer Antriebsstufen) und unter Zuhilfenahme der dem Memorandum beigefügten Fotografien beschrieben.353 Die vorhandenen Systeme sind auf diese Weise von den Erprobungsvermutungen ausgenommen und können damit nicht durch eine einmalige Erprobung jenseits der INF-Reichweitengrenzen den Abrüstungsverpflichtungen entwgen werden ..l54 Den Abrüstungsverpflichtungen unterliegen nicht nur die Flugkörper selbst, sondern darüber hinaus die Abschußvorrichtungen dieser Systeme und die mit ihnen zusammenhängenden Unterstützungsbauwerke und -ausrüstungen (Produktions-, Ausbesserungs- und Erprobungsstätten), folglich die gesamte technische Infrastruktur. Von den Abrüstungsverpflichtungen unberührt bleiben die auf diesen Systemen installierten atomaren Gefechtsköpfe. 35s bb) Strategische Waffen Auch strategische Offensivwaffen sind nunmehr Gegenstand von Abrüstungsverpflichtungen.l56 In dem jüngst unterzeichneten START-Abkommen ist eine ca. 3Oprozentige Abrüstung dieser Waffen vereinbart worden. Betroffen sind ICBMs und SLBMs mit ihren Abschußvorrichtungen sowie schwere Bomber.351 Damit einhergehend sollen die auf den verbleibenden Systemen angebrachten Gefechtsköpfe bis zu einer bestimmten Zahl reduziert werden. Zum ersten Mal wird unmittelbar an das eigentliche Atompotential angeknüpft. Die Anknüpfung an die Gefechtsköpfe wird nötig, weil durch die

352

Dazu unten 2.Teil, 3Abschn., AlU.

m Vgl. Art. III des INP-Vertrages (typenmäßige Bezeichnung). Eine kurze Darstellung dieser Waffensysteme findet sich bei Bundesminister der Verteidigung, Weißbuch 1983, S.72-82. 3S4

Dazu Höget, S.195.

Einzelheiten dazu bei Fischer, Euromissiles, AFDI 33 (1987), S.54/55; vgI. auch die Erläuterungen des früheren amerikanischen Verteidigungsministers Cartucci, NATO Defense and The INP Treaty, Hearings-Part 1, S.65/66. 356 Vgl. die Definition oben 2.Teil, 2Abschn., A.IV.1.b). 3SS

351

Ausführliche Beschreibung der erfaßten Waffensysteme bei Riihl, EA 46 (1991), S.583f.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

109

und die gesteigerte Treffsicherheit der Systeme die Zahl der Trägersysteme an praktisch-militärischer Relevanz verliert.~

MIRV-Tec~

b) Chemische Waffen Diese Waffen sind nicht näher definiert. Gemessen werden sie in Tonnen. Neben den Waffen selbst unterliegen auch "the munitions, devices and containers and chemical weapons storage facilities" den vereinbarten Verpflichtungen. Nicht erfaßt sind waffenfähige Materialien, also Stoffe, die zu Chemiewaffen verarbeitet werden können.~

2. Geregelte Aktivitäten Zentrale Verpflichtung ist die Eliminierung des von den Abkommen erfaßten Waffenpotentials. Die Vernichtung hat in allen Fällen in bestimmten zeitlichen Abständen Gährliche Zerstörungsraten) zu erfolgen. Dies ist erforderlich, um das Gleichgewichf'1 nicht zu destabilisieren; unter anderem aber auch aus technischen Gründen, weil die Vernichtung des gesamten abzuschaffenden Materials innerhalb kürzester Zeit gar nicht möglich ist. Das Verfahren der Vernichtung ist unterschiedlich geregelt. Während in den Abkommen über Nuklearwaffen bereits in diesen selbst je nach System ganz bestimmte Verfahren (Verschrottung, Verbrennung, Explosion, Abschuß ins All) vereinbart und geregelt sind, müssen die Vertragspartner bei den chemischen Waffen die Verfahren noch im einzelnen aushandeln. Erst seit neuestem besteht die Anordnung zu gefahrlosen und umweltschonenden Eliminierungsverfahren. Im jüngsten START-Vertrag ist neben der Vernichtung der erfaßten Waffen nunmehr auch die teilweise Umrüstung des abzuschaffenden Materials vorgesehen.J6Z Die Verpflichtung, die erfaßten Waffen zu vernichten bzw. umzurüsten, bedeutet auch, daß die Waffen nicht an dritte Staaten

3S8 Die Raketen werden mit Mehrfachsprengköpfen bestückt, die naeh dem Wiedereintrilt der Raketenspitze in die Atmosphäre abgefeuert werden und sieh mit Hilfe eines eigenen Antriebs in verschiedene Ziele lenken. 3S9

Vgl. Högel, S.63 und 157/8.

Anders die - allerdings umstrittene - Definition im Entwurf der multilateralen Konvention über das weltweite Verbot von Chemiewaffen. 360

361

Siehe oben I.Teil, lAbschn., D.

Vgl. das "Protocol on Procedures Governing the Conversion or Elimination of the Items Subject to the Treaty Between the United States of Ameriea and the Union of Soviet Socialist Republics on the Reduetion and Limitation of Strategie Offensive Arms". 362

110

2. Teil: Zustande kommen, Inhalt und Form

weitergegeben werden dürfen - dieses wird z.T. in den Abkommen ausdrücklich klargestellt. Daran schließt sich ein umfassendes bzw. begrenztes Besitzverbot an. Die Staaten dürfen die tatbestandsmäßigen Systeme nach Beendigung der Eliminierungsphase überhaupt nicht mehr bzw. nicht über die Untergrenze hinaus besitzen. Dieses Besitzverbot wird abgesichert durch ein totales bzw. beschränktes Herstellungsverbot. Bei einer vollständigen Eliminierung dürfen die Systeme nicht mehr hergestellt werden; bei einer Reduzierung dürfen sie teilweise doch insoweit gefertigt werden, als sie vorhandene Systeme ersetzen sollen. Das Herstellungsverbot bezieht sich bei den Nuklearwaffen auch auf einzelne Bestandteile der zu eliminierenden Waffensysteme (also Raketenstufen, Abschußvorrichtungen). Dieses Herstellungsverbot gilt ausnahmslos; die Waffen dürfen auch nicht für dritte Staaten produziert werden. Da ein Herstellungsverbot für sich genommen nicht veriftzierbar ist, ist bei den Nuklearwaffen zusätzlich ein Erprobungsverbot vereinbart. Jede Umgehung des Verbots kann nämlich von der anderen Seite festgestellt werden, andererseits sind nur unzureichend erprobte Systeme nicht verläßlich. Damit ist der Anreiz, das Herstellungsverbot zu umgehen, gering.~J Weil ein Erprobungsverbot bei chemischen Waffen kaum nachprüfbar isf", wurde bei diesen Waffen von einer solchen Vereinbarung abgesehen. Handelt es sich um eine teilweise Reduzierung der Waffen, treten neben diese Pflichten noch weitere hinzu. Diese betreffen vor allem qualitative Begrenzungen des weiterhin zulässigen Materials, nämlich Beschränkungen bei der Modernisierung der vorhandenen zulässigen Systeme, Beschränkungen bei ihrer Dislozierung usw.l65 Die erst später vereinbarten Maßnahmen der Abrüstung werden nicht mehr durch ein Umgehungsverbot abgestützt. Darauf wurde verzichtet, um zu vermeiden, daß eine Vertragspartei unter Hinweis auf das Umgehungsverbot versucht, Rüstungsmaßnahmen der anderen Partei zu verhindern, wie es in der Vergangenheit häuftg geschehen war. Der INF-Vertrag und das STARTAbkommen enthalten dagegen ein ausdrückliches Derogationsverbot. Es un363 Vgl. nur die Ausführungen von Eimer (USACDA), Tbe INP Treaty, Hearings-Part 5, S.241f.; vgl. auch Department of State Analysis zum INP-Veqrag, ILM 27 (1988), S.207. 364

Vgl. nur die Diskussion bei den multilateralen Verhandlungen.

365

Siehe oben 2.Teil, 2Abschn., A.IV.2.b).

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

111

terscheidet sich allerdings im Wortlaut von früheren Verboten: "The parties shall comply with this treaty and shall not assume any international obligations or undertakings which would conflict with its provisions."l'6 Diese erweiterte Fassung war ein Zugeständnis der USA an die Sowjetunion, um diese zu bewegen, auf ein ausdrückliches Umgehungsverbot zu verzichten.~7 Inhaltlich unterscheidet es sich kaum von den früheren Verboten, da die Begriffe "undertakings" und "obligations" fast gleichbedeutend sind.J68 B. Die Verifikationsverpflichtungen Neben den eigentlichen Rüstungskontrollmaßnahmen haben die USA und die Sowjetunion bestimmte Maßnahmen der VerifIkation vereinbart. Genauer gesagt haben sie sich verpflichtet, der Gegenseite die Überwachung der Vertragseinhaltung mittels bestimmter Mittel zu gestatten bzw. zu ermöglichen. Regelungen über die Vertragskontrolle sind in völkerrechtlichen Verträgen unüblich; bei den Rüstungskontrollverträgen sind sie mittlerweile zu einem festen Bestandteil geworden. Die entsprechenden Bestimmungen decken sich in den verschiedenen Verträgen fast wörtlich..Jji' Hinter der Vereinbarung von VerifIkationsmaßnahmen steckt die Sorge, die rechtlich verbindlich eingegangenen Rüstungskontrollverpflichtungen 370 würden in diesem hoch politischen Bereich nicht ausreichen, so daß ihre Einhaltung überwacht werden müsse - nach dem Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Damit steht die Vereinbarung von Verifikationsverpflichtungen in einem gewissen Spannungsverhältnis zur pacta sunt servanda366

Art. XIV des INF-Vertrages; fast wortgleich Art. XVI des SfART-Abkommens.

367 Zu den hiermit zusammenhängenden Auslegungsproblemen siehe oben 2.Teil, 4Abschn., AI.2.b). Die Interessen waren hier insoweit völlig gegensätzlich. Während die Sowjetunion wieder ein ausdrückliches Umgehungsverbot vereinbaren wollte, versuchten die USA, dies unter allen Umständen zu vermeiden. Die Sowjetunion gab schließlich nach, bestand aber auf einer geänderten Fassung des Derogationsverbots. Sie schlug die Aufnahme des Begriffes "actions" bzw. "activities" vor, was einer indirekten Festschreibung des Umgehungsverbots gleich-gekommen wäre. Nach langem Hin und Her einigten sich die Staaten schließlich auf den Begriff "undertakings", der sich von "obligations" kaum unterscheidet. Ausführlich :rum Ganzen die Ausführungen des früheren amerikanischen Außenministers Shultz, Tbe INF Treaty, HearingsPart 1, S.70f.; Glilman (Mitglied der INF-Delegation), Tbe INF Treaty, Hearings-Part 1, S.l46f.; ders., NATO Defense and Tbe INF Treaty, Hearings-Part 4, S.430-434; Perle (Verteidigungsministerium), Tbe INF Treaty, Hearings-Part 3, S.32/33. 368

So auch Fischer, Euromissiles, AFDI 33 (1987), S58.

Vgl. nur die Bestimmungen über die Anwendung der innerstaatlichen technischen Mittel. Dazu ausführlich unten 2.Teil, 2Abschn., B.II.1. 370 Siehe oben 2.Teil, 2Abschn., A. 3@

112

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Fonn

Regel, denn es geht letztlich um das mißtrauische Überprüfen des feierlich abgegebenen Versprechens, einen geschlossenen Vertrag nicht zu verletzen. rn Im einzelnen werden vier Ziele verfolgt: Die Verifikation soll - erstens - verdächtige Aktivitäten entdecken, so daß jeder Staat frühzeitig vor sicherheitsrelevanten Vertragsverletzungen gewarnt ist (Aufdeck- und Frühwarnfunktion).m Die VerifIkation soll - zweitens - dadurch von Vertragsverletzungen abhalten, daß diese mit großer Wahrscheinlichkeit entdeckt werden (Abhaltungsfunktion). Drittens - geht es darum, im Notfall wirksam auf die Vertragsverletzungen reagieren zu können (Funktion der Reaktionsvorbereitung). Die kooperative VerifIkation soll schließlich - viertens - politischen Mißbrauch verhindern, der mit einseitigen Vertragsverletzungsbehauptungen begangen werden könnte, und Vertrauen in weitere Abrüstungsmaßnahmen schaffen (Versachlichungs- und Vertrauensbildungsfunktion).l7l VerifIkationsverpflichtungen fmden sich dementsprechend in den Teststopp-, Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsverträgen der beiden Großmächte. Wo der unmittelbare Sicherheitsbezug nicht gegeben ist (etwa in den crisis management-Abkommen, die zur Verbesserung des politischen Klimas beitragen wollen), da fehlen VerifIkationsregeln ganz. Auch in den Vereinbarungen über gemeinsame VerifIkationsexperimente gibt es in dem Sinne keine Bestimmungen zur Überwachung der EinhaItung der vereinbarten Pflichten, sondern es sollen gemeinsam einzelne VerifIkationsmethoden erprobt werden.J74 Bei den vereinbarten VerifIkationsmaßnalunen steht das fact fInding im Vordergrund; es geht in erster Linie um die bloße Gewinnung von Informationen über die Einhaltung der Rüstungskontrollverpflichtungen. Die verein-

371 Vgl. Graf Vitzthum, Berichte DGVR 30 (1990), S.120; GasteygerjHaug, S.25. Siehe auch Pawlak, S.131. 372 Nach Auffassung der USA und der Sowjetunion sollten die Verifikationsmaßnahmen sicherstellen, daß "militärisch bedeutsame" Verletzungen der Abkommen aufgedeckt werden insoweit ist die Rede von "effective" oder "adequate" verification -, da man sich darüber einig war, daß es eine l00prozentige Überwachung der Einhaltung aller Vertragsverpflichtungen nicht geben kann. Vgl. hierzu ausführlich Fischer, SALT 11, AFDI 25 (1979), S.I84; GasteygerjHaug, S51f.; Graybeal, ASIL Proceedings 1988, S.67.

373 Vgl. zu den Funktionen Graf Vitzthum, Berichte DGVR 30 (1990), S.122; SIPRI, Disannament, S.33-37; Fischer, SALT 11, AFDI 25 (1979), S.184; GasteygerjHaug, S.26ff.; Schear, The Journal of Anns Control and Disannament 3 (1982), No.3, S.80-82, und Bilder, S.120, der sich fragt, ob die Verifikationsmaßnahmen tatsächlich Auswirkungen auf die Entscheidung eines Staates haben, seine Verpflichtungen einzuhalten oder nicht (S.I24). Zur Vertrauensbildungsfunktion UNIDIR, Approach, S.3f., und Goldblat, S.9O. 374

Siehe oben 2.Teil, 2Abschn., A.II.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

113

barten Methoden erschöpfen sich darin, bestimmte Vorgänge zu erkennen, zu identifizieren, zu lokalisieren und zu zählen. Nur ansatzweise geregelt sind die nächsten Schritte, nämlich die Auswertung der erhaltenen Informationen und die Beilegung der aufkommenden Streitigkeiten.375 Die Bestimmungen über die Verifikation enthalten zum einen zahlreiche Vereinbarungen, die die Verifikation insgesamt erleichtern sollen; zum anderen sind die einzelnen Verifikationsmethoden genau aufgeführt. Einige der vereinbarten Methoden berühren die territoriale Integrität der Staaten und bedurften deshalb einer ausdrücklichen Regelung. Nicht angesprochen weil völlig unproblematisch - ist die Informationsgewinnung durch die Presse sowie Veröffentlichungen und wissenschaftliche Abhandlungen der anderen Seite.l76 I. Die Verifikation erleichternde Vereinbarungen

Zahlreiche Bestimmungen in den Abkommen betreffen Maßnahmen, die von vornherein die Anwendung der vereinbarten Verifikationsverfahren erleichtern sollen. Derartige Vereinbarungen wurden notwendig, weil die rüstungstechnischen Entwicklungen, insbesondere die zunehmende Anwendung der Mikrocomputertechnologie zu einer fortschreitenden Interoperabilität, Mobilität und Indifferenz von Waffensystemen geführt hat. Bestimmte Systeme wie z.B. Marschflugkörper, Flugzeuge und das umfangreiche Arsenal von Lenkwaffen und Raketen können äußerlich in ihrer waffentechnischen Qualität kaum noch identifiziert werden. Die Reichweite, Zielgenauigkeit, Beladung mit nuklearem oder konventionellem Sprengkopf und z.T. auch der Aufenthaltsort sind immer seltener an physische Erkennungsmerkmale gebunden. 377 375 Dies gilt auch für die multilateralen Abkommen, Goldblat, S.90, und SIPRI, Arms Contral, S.27. Zum Konzept der Verifikation gehört theoretisch außer dem fact finding auch die Einordnung und rechtliche Bewertung der festgestellten Tatsachen und Regeln zur Beilegung damit zusammenhängender Streitigkeiten, ausführlich hierzu UNIDIR, Approach, S.7-26; Sur, AFDI 33 (1987), S.74; Pott, S.312, Gasteyger/Haug, S.25, und Pawlak, S.13O und 139. Vgl. auch Fischer, Limitation des armes strategiques, AFDI 18 (1972), S.74f.; ders., SALT 11, AFDI 25 (1979), S.18lf.; Scribner/Ralston/Metz, S.24f. Das so definierte Konzept der Verifikation beschreibt jedoch eine "ideale Verifikationsregelung", GasteygerjHaug, S.25. 376 Diese Quellen sind allerdings auch weniger verläßlich. Die USA konnten bis vor einiger Zeit in bezug auf die Sowjetunion auf diese Weise kaum sinnvolle Informationen erhalten. Vgl. hierzu ausführlich UNIDIR, Approach, S.10-12.

377 Vgl. hierzu Pott, S.315; Feigl, EA 18 (1979), S.566f.; Koplow, Arms Contral Inspection, N.Y.U.L.Rev. 62 (1988), S.268f.; Rebhan, Informationen für die Truppe 1988, Heft 9, S.26; Schear, The Journal of Arms Contral and Disarmament 3 (1982), No.3, S.85. 8 Schmidt am Busch

2. Teil: Zustande kommen, Inhalt und Form

114

Zur Erleichterung der VerifIkation haben die USA und die Sowjetunion ganz unterschiedliche Vorkehrungen getroffen.l1I Bereits die Defmitionen der tatbestandsmäßigen Waffensysteme knüpfen an Merkmale und Eigenschaften der Systeme an, die mit den zur Verfügung stehenden Mitteln relativ problemlos beobachtet werden können (Signaturen).m Eine eindeutige Identifizierung der Systeme sollen gerade auch die Zählund Typenregeln ermöglichen. Bestimmt eine Zählregel, daß eine Waffe auf eine bestimmte Weise zu zählen ist, besagt die Typenregel, daß alle Waffen desselben Typs auf diese Weise zu zählen sind.- Dabei gehen die Regeln immer vom schlimmsten Fall aus (worst case approach). Raketentypen, die mit MIRV getestet wurden, werden gezählt als mit MIRV ausgestattete Raketentypen; Raketentypen, die mit einem nuklearen und einem konventionellen Sprengkopf ausgestattet werden können, werden gezählt als mit einem nuklearen Sprengkopf ausgerüstete Typen - selbst wenn tatsächlich eine Rakete dieses Typs "nur" mit einem konventionellen Sprengkopf bestückt ist. Trägersysteme, die bis zu zehn Gefechtsköpfe befördern können, werden gezählt als Systeme mit zehn Gefechtsköpfen. Anders wird man dagegen nach dem START-Vertrag verfahren. Nunmehr will man allein von Erfahrungswerten ausgehen, d.h. für jedes System wird nicht die höchst mögliche Anzahl der Gefechtsköpfe in Rechnung gestellt, sondern eine vereinbarte, für den Systern typ übliche Anzahl - mit der Folge, daß hunderte von Gefechtsköpfen ungezählt bleiben.lIl Allerdings haben die Staaten die Möglichkeit, die Anwendung der Zähl- und Typenregeln auszuschließen, wenn sie die Systeme mit genau genannten verifizierbaren Unterscheidungsmerkmalen (funktionsbezogene verifIzierbare Unterschiede oder bestimmte äußerlich erkennbare Konstruktionsmerkmale) versehen. Weist eine Waffe ein entsprechen1es Unterscheidungsmerkmal auf, wird sie nicht zu den tatbestandsmäßigen Waffen gerechnet. Eine ganz neue Methode zur Identifizierung des tatbestandsmäßigen Materials wird nun im START-Abkommen verwendet. Nach diesem Abkommen sind die Vertragspartner verpflichtet, ca. 30% ihres strategischen Arsenals abzubauen. Bis zur vereinbarten Untergrenze dürfen die tatbestandmäßi378 Vgl. die Kategorisierung in bezug auf den SALT lI-Vertrag in den Ausführungen von ](jncade (Arms Control Association, Washington, D.C.), Tbe SALT 11 Treaty, Hearings-Part 5, S.206, und Earle Il (Mitglied der SALT lI-Delegation), Tbe SALT 11 Treaty, Hearings-Part 2, S.294-296.

379

Vgl. Högel, S.78.

3&:l

Ausführlicher schon oben 2.Teil, 2.Abschn., A.IV.2.a)aa)bbb).

381

Hierzu ausführlich Leggett/Lewis, Survival, Sept./Okt. 1988, S.419.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

115

gen Waffensysteme jedoch weiterhin disloziert werden. Eine dieser Grenze entsprechende Zahl von Systemen wird unmittelbar nach Inkrafttreten des Vertrages mit einem besonderen Etikett versehen, das weder gefälscht noch entfernt werden kann. Nach Beendigung der Eliminierungsphase gilt jedes System ohne ein solches Etikett als verboten.lIl Einschränkungen bei der Dislozierung und Verlegungsverbote sind nicht nur Maßnahmen der Rüstungsbegrenzun~l, sondern dienen auch der Erleichterung der VerifIkation. Den gleichen Zweck haben genau vorgeschriebene Transportrouten, z.B. bei der Verbringung der Systeme zu den jeweiligen Vernichtungsstätten. Der der VerifIkation unterliegende geographische Raum wird nämlich eingeschränkt, so daß die VerifIkation gezielt durchgeführt werden kann.38-4 Außerdem haben sich die beiden Staaten verpflichtet, bestimmte militärische Aktivitäten (wie z.B. Tests und jeweiliges Testgebiet, Verlegung von Systemen wie auch Ersetzung, Ab- und Umbau bestimmter Systeme) der anderen Seite vorab mitzuteilen, damit rechtzeitig und am richtigen Ort die erforderlichen VerifIkationsmittel eingesetzt werden können. Die Aufstellung neuer, nicht verbotener Systeme wird in der Regel mitgeteilt, damit die andere Seite von vornherein weiß, daß es sich nicht um verbotenes Material handelt. 385 Von großer Bedeutung ist schließlich der Vorabaustausch von Daten. Jeder Staat soll bereits vorher eine Vergleichsgrundlage für die später selbst gewonnenen Daten haben. Der Austausch von Daten erleichtert nicht nur die VerifIkation. In einigen Fällen werden dadurch VerifIkationsmaßnahmen überhaupt erst ermöglicht.- Da die beiden Staaten in diesem hochsensiblen Bereich technische Details ihrer Systeme nur so weit wie nötig bekanntgeben wollten, wurde das "Wann" und das "Wieviel" Information genau geregelt. 382 vgi. Art. IX Abs. 4 des SfART-Vertrages. Die Methode würde im Prinzip so funktionieren wie im Geldverkehr die Bankkarten. Zu den Einzelheiten vgi. Leggett/Lewis, Survival, Sept./Okt. 1988, S.422f.; Lockwood, Verifying, Arms Control Today, Oktober 1990, S.18.

383

Siehe oben 2.Teil, 2Abschn., AIV.2.a)bb)bbb).

Vgi. die Ausführungen von Eimer (USACDA), The INF Treaty, Hearings-Part 5, S.242f.; Leggett/Lewis, Survival, Sept./Okt. 1988, S.410; zu solchen Standort- und Transportroutenvereinbarungen im SfART-Abkommen Lockwood, Verifying, Arms Control Today, Oktober 1990, S.17 und 18. 384

385 Zahlreiche Beispiele aus dem SALT lI-Vertrag bei Fischer, SALT 11, AFDI 25 (1979), S.189 Fn.l90. 386

Vgi. hierzu Sur, AFDI 33 (1987), S.75.

116

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

Solche die Verifikation erleichternden Absprachen finden sich aber nicht nur in dem jeweiligen Abkommen. Auch die in den Kriegsverhinderungsabkommen vereinbarten Maßnahmen tragen in weiten Teilen zu leichterer Überprüfung bei. Nach diesen Abkommen haben die beiden Staaten umfassende Notifikationspflichten.317 Durch die Ankündigung bestimmter militärischer Ereignisse wird die andere Seite aber nicht nur "entwarnt", sondern kann auf diese Weise auch ihre Verifikationsmethoden nunmehr gezielt einsetzen. Vereinzelt wird im Rahmen der Verifikationsbestimmungen ausdrücklich auf diese Notifikationspflichten nach den Kriegsverhinderungsabkommen verwiesen. lU 11. Die einzelnen Verifikationsmaßnahmen

Die beiden Staaten haben sich auf insgesamt vier unterschiedliche Verfahren zur Verifikation geeinigt. Anfänglich war nur der Einsatz nationaler technischer Mittel vorgesehen. Diese Methode wurde im Laufe der Zeit weiter abgesichert und durch andere Verfahren, wie Informationsaustausch, die Einrichtung gemeinsamer Institutionen und Inspektionen vor Ort, ergänzt.J19 Insgesamt ist im Verifikationsbereich eine Entwicklung zu mehr Kooperation festzustellen. Gleichzeitig wurde mit Hilfe der neuen Methoden ein höherer Grad an Verifikationssicherheit erreicht; denn zweifellos ermöglichen beispielsweise Inspektionen vor Ort eine genauere und umfassendere Überprüfung als nationale technische Mittel.390

387

Siehe oben 2.Teil, 2Abschn., A.l.l.

V g1. die Erste Gemeinsame Verständniserklärung zu Art. XVI (1) des SALT li-Vertrages. Näher zu diesem Zusammenhang Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr.14.l., S59f., und Goller-Ca/vojCa/vo, S.268-270. 388

389 Vgl. die Einteilung der Verifikationsverfahren bei Fischer, Euromissiles, AFDI 33 (1987), S59; Koplow, Arms Control Inspection, N.Y.U.L.Rev. 63 (1988), S.254-259. 390 Die Verifikationsmethoden werden auch häufig nach folgenden Kriterien klassifIZiert: Grad der Kooperation, Grad der Beeinträchtigung der Souveränität, Grad der Verifikationssicherheit, Grad der Häufigkeit (ob ständig, in bestimmten Abständen oder auf Ersuchen). Zu diesen verschiedenen Kriterien näher UNIDIR, Approach, S.9f.; SIPRI, Disarmament, S.21-27.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

117

1. Nationale technische Mittel (NTM)~l

a) Begriff Der Begriff "nationale technische Mittel" ist in den Verträgen nicht definiert. Der Grund dafür ist, daß die beiden Staaten die von ihnen angewandten Mittel nicht offenlegen wollten. Nur die aufgezählten Mittel wären dann rechtlich erlaubt gewesen, so daß die Entwicklung und der Einsatz neuer technischer Mittel problematisch geworden wäre. Außerdem wollte man die jeweils andere Seite über diese technischen Mittel im dunkeln lassen, um zu verhindern, daß diese Gegenmaßnahmen entwickelt. Eine enumerative Aufzählung hätte jeder Partei schließlich Aufschluß über den technischen Entwicklungsstand des anderen Staates gegeben.ln Ungehindert dessen haben sich die beiden Staaten aber während der Verhandlungen und im Zusammenhang mit den Verträgen durchaus näher zu diesem Begriff geäußert.~3 Zu den nationalen technischen Mitteln gehören alle Instrumente und Einrichtungen, die die Staaten einseitig einsetzen, um bestimmte Aktivitäten im Gebiet des anderen Staates zu beobachten. Dies ergibt sich bereits aus dem Begriff "nationale" Mittel. Gemeint sind die Mittel der Fernerkundung wie Satelliten, Seismographen, Radarstationen und Flugzeuge~, aber auch andere Formen nachrichtendienstlicher Informationsbeschaffung. Dabei hängt

391 Da die Regelungen über innerstaatliche technische Mittel seit vielen Jahren fester Bestandteil der Verträge sind, wird diskutiert, ob die Regelungen nicht bereits als Gewohnheitsrecht angesehen werden können, vgl. Art.38 WÜV. So wurde z.B. im Rahmen der multilateralen C-Waffen-Verhandlungen teilweise angenommen, daß eine Regelung der nationalen technischen Verifikationsmittel nicht nötig sei, vgl. die Nachweise bei Graf Vitzthum, Berichte DGVR 30 (1990), S.126 Fn. 135. 392 Vgl. hierzu die Ausführungen des früheren amerikanischen VerteidigungsministersBrown, Tbe SALT 11 Treaty, Hearings-Part 2, S.279; Goller-Calvo/Calvo, S.271; Fischer, SALT 11, AFDI 25 (1979), S.189f.; Scribner/Ralston/Metz, S.48/9.

393 Vgl. z.B. State Department Analysis zum SALT li-Vertrag, ILM 18 (1979), S.1134; State Department Analysis zum INF-Vertrag, ILM 27 ("i988), S.221. 394 So die einhellige Einschätzung in der Literatur Rhinelander, S.139f.; Goller-Calvo/Calvo, S.272; Fischer, Limitation des annes strategiques, AFDI 18 (1972), S.70-75; ders., Limitation des essais souterrains d'annes nucleaires, AFDI 20 (1974), S.159; ders., SALT 11, AFDI 25 (1979), S.189f.; Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr.11.1., S.6; Gasteyger/Haug, S.36ff.; RebJum, Infonnationen für die Truppe 1988, H.9, S.17. Ausführlich zur technischen Funktionsweise dieser Systeme Krass, S.15-113; Feigl, EA 18 (1979), S555-570; Goller-Calvo/Calvo, S.272-277; Leggen/Lewis, Survival, Sept./Okt. 1988, S.418/419; Scribner/Ralston/Metz, S.47-66. Einen kurzen Überblick über den Technologiestand der USA gibt Lockwood, Anns Control Today, Oktober 1990, S.15, und Hafemeister, Bulletin of the Atomic Scientists, Januar 1985, S.39.

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Fonn

118

die Genauigkeit der Information von der den Vertragspartnern jeweils zur Verfügung stehenden Technologie ab. lt5 b) Völkerrechtskonformer Einsatz In den Verträgen ist vorgesehen, daß die Vertragsparteien die nationalen technischen Mittel in einer Weise einsetzen, die mit den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts im Einklang steht (" ... each party shall use national technical means of verification at its disposal in a manner consistent with generally recognized principles of international law"). Die beiden Vertragspartner wollten klarstellen, daß die Verträge keineswegs nach allgemeinem Völkerrecht unzulässige Maßnahmen wie z.B Überflüge legalisieren.~

aa) Keine Verletzung der Souveränität des überwachten Staates Zum einen darf die territoriale Integrität der Staaten nicht berührt werden. Zum Staatsgebiet gehören neben dem Landgebiet und bestimmten Gewässern das Küstenmeer" sowie der sich über dem Landgebiet und über den Hoheitsgewässern befmdliche Luftraum.3M Ohne besondere Erlaubnis dürfen keine Geräte auf dem Gebiet des überwachten Staates installiert werden; ebenso ist es verboten, unerlaubt in den Luftraum des anderen Staates einzudringen. Ein Einsatz wie 1962 mit der amerikanischen U-2 sollte auf jeden

39S Zum unterschiedlichen Technologiestand der USA und der Sowjetunion im Bereich der Fernerkundung vgI. die Darstellung bei Koplow, Anns Control Inspection, N.Y.U.L.Rev. 63 (1988), S.282-284. Es stellt sich die Frage, inwieweit das Prinzip der gleichen Sicherheit hier eingehalten ist, wenn auf den unterschiedlichen Technologiestand keine Rücksicht genommen wurde. Die Staaten des früheren Ostblocks haben daher die schrittweise Multilateralisierung der Nutzung der technischen Mittel bzw. des Datenzugangs gefordert, vgI. Mohr, NJ 1988, S.169.

396 VgI. die Ausführungen der amerikanischen Regierung zum START-Vertrag vor dem Senatsausschuß für auswärtige Angelegenheiten, abgedruckt in: Tbe START Treaty, HearingsPart 1, S.509. 397 VgI. Art.l Abs.1 des Genfer Übereinkommens über das Küstenmeer und die Anschlußzone vom 29. April 1958 (abgedruckt bei: Platzöder/GrafVitzthum, S.17ff.) und Art. 2 Abs. 1 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (abgedruckt bei: Platzöder/Grunenberg, S.69ff.). 398 So die als Gewohnheitsrecht anerkannten Art. 1 und 2 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt vom 7. Dezember 1944 (Abkommen von Chicago), abgedruckt in: BGBI. 1956 II, S.411ff.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

119

Fall ausgeschlossen sein. m Inzwischen ist allgemein anerkannt, daß die Verwendung von Satelliten Hoheitsrechte des beobachteten Staates nicht berührt und daher von den Verträgen gedeckt ist.Fraglich ist, ob die Souveränität des überwachten Staates verletzt ist, wenn durch die Aufklärung gewonnene Daten an dritte Staaten weitergegeben werden. Die am 3. Dezember 1986 von der Generalversammlung verabschiedeten Fernerkundungsprinzipien401 regeln die Datenweitergabe nur für die Fernerkundung im zivilen Bereich. Die Sowjetunion betrachtete bislang die unilaterale Weitergabe von Aufklärungsdaten als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten und damit als eine Verletzung ihrer staatlichen Souveränität. bb) Keine Verletzung anderer völkerrechtlicher Grundsätze Aufgrund des Wortlauts ist davon auszugehen, daß auch sonst kein Verstoß gegen Völkerrecht vorliegen darf. Danach dürfte ein Einsatz nationaler technischer Mittel auch dann nicht von den Verträgen gedeckt sein, wenn Hoheitsrechte dritter Staaten verletzt werden.40Z Die Überwachung von einem Nachbarstaat aus bedarf der ausdrücklichen Genehmigung dieses Staates. Von Bedeutung können die völkerrechtlichen Regelungen über die Nutzung des Weltraums sein, wie sie im Weltraumvertrag von 196r'3 niedergelegt wurden. Dieser Vertrag wurde später durch zahlreiche Abkommen ergänzt." Der Einsatz von Aufklärungssatelliten ist danach an keine besonderen Bedingungen gebunden. 405 Fraglich ist allerdings, inwieweit das Welt399 Vgl. Co/um, S5tHiO. Siehe auch die Ausführungen der amerikanischen Regierung zum SfART-Vertrag vor dem Senatsausschuß für auswärtige Angelegenheiten, abgedruckt in: Tbe SfART Treaty, Hearings-Part 1, S509. 400 Gol/er-CalvojCalvo, S.285; C/assen, S.107-114. Zur Haltung der Sowjetunion vgl. Cohen, S54-56. 401 Entschließung vom 3. Dezember 1986 von Prinzipien zur Fernerkundung der Erde vom Weltraum aus (GV-Res. 41/65), abgedruckt bei: Frhr. von WelckjPlatzöder, S.643ff. 402 Unklar insoweit Goller-CalvojCalvo, S.280ff., die nicht allgemein fragen, welches Gebiet zum Hoheitsraum eines Staates gehört, sondern immer nur auf die beiden Staaten abstellen.

403 Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper vom 27. Januar 1967, abgedruckt in: BGB!. 196911, S.I967 ff. 404

Ausführlich Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rdnr.2-5; VerdrossjSimma, § 115lf.

405

Ausführlich die Untersuchung von C/assen, S.149-160; vgl. auch VerdrossjSimma, § 1151.

120

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

raumregistrierungsabkommen- im Rahmen der Veriftkation von Rüstungskontrollverträgen Anwendung fmdet. Nach diesem Abkommen müssen die Staaten den Start eines Weltraumgegenstandes beim Generalsekretär der Vereinten Nationen registrieren. Alle Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, Einsicht in dieses vom Generalsekretär geführte Register zu nehmen.W1 Auf diese Weise könnten die Vertragspartner den Einsatz bestimmter Satelliten zur Überwachung der Einhaltung ihrer Rüstungskontrollverpflichtungen frühzeitig erfahren und gegebenenfalls vertragswidriges Verhalten vorübergehend einstellen. Eine Registrierung würde insofern dem Zweck der Veriftkation zuwiderlaufen. Allerdings können die Staaten trotz der Registrierungspflicht bestimmte Informationen geheim halten, da die Verpflichtung nur erfüllt werden muß, "sobald dies praktisch möglich ist" (Art. IV Abs.1 des Weltraumregistrierungsabkommens). Unter Umständen können Regeln des internationalen Seerechts einschlägig sein. Das Seerecht ist zu einem großen Teil in den vier Genfer Konventionen von 1958401 kodiftziert. Bisher nicht in Kraft getreten ist die Seerechtskonvention von 1982409 , die jedoch einige gewohnheitsrechtlich geltende Regelungen enthält. Erwähnt seien zum Beispiel die Art. 17ff., die für die Durchfahrt durch das Küstenmeer bestimmte Regeln aufstellen. Insbesondere ist es verboten, bei der Durchfahrt Informationen zum Schaden der Verteidigung oder Sicherheit des Küstenstaates zu sammeln.410 cc) Keine besonderen Informations- oder Konsultationspflichten Im übrigen ist der Einsatz an keine weiteren Bedingungen geknüpft. Insbesondere statuieren die Verträge keine besonderen Informations- bzw. Konsultationspflichten, wie sie sonst im Bereich der Fernerkundung diskutiert werden. 4l1 Die vorherige Mitteilung des Einsatzes würde dem Ziel der Veri-

406 Übereinkommen über die Registrierung von in den Weltraum gestarteten Gegenständen vom 14. Januar 1975, abgedruckt in: BGB!. 1979 11, S.650ff.

4C17

Ausführlich zu diesem Abkommen Classen, S.182f.; Ipsen, Völkerrecht, § 52 Rdnr.38.

Übereinkommen vom 29. April 1958 über das Küstenmeer und die Anschlußzone, abgedruckt bei: PlatzöderjGraf Vuzthum, S.17ff.; Übereinkommen vom 29. April 1958 über die Hohe See, ebd., S.27ff.; Übereinkommen vom 29. April 1958 über Fischerei und Erhaltung der lebenden Naturvorkommen der Hohen See, ebd., S.49ff.; Übereinkommen vom 29. April 1958 über den Festlandsockel, ebd., S58ff. 408

409

Siehe oben Fn.397.

410

Vgl. hierzu Lysen, S.207.

411

Hierzu siehe Classen, S.214-217.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

121

ftkationsbestimmungen zuwiderlaufen, die Kontrolle der Einhaltung der Verträge zu ermöglichen.4U c) Flankierungsregeln Erfolgt der Einsatz der technischen Veriftkationsmittel im Einklang mit allgemeinem Völkerrecht, wird er durch eine Reihe von Flankierungsmaßnahmen abgesichert. Seit den SALT I-Verträgen gehören diese Flankierungsregeln zum festen Bestandteil der Verträge. aa) Behinderungsverbot Zum einen dürfen die Vertragspartner den Gebrauch der innerstaatlichen technischen Mittel der anderen Seite nicht behindern, d.h. sie dürfen auf diese Mittel nicht unmittelbar einwirken. 4lJ Dieses Behinderungsverbot zielt - da die innerstaatlichen technischen Mittel vorwiegend aus Satelliten bestehen - vor allem auf ein Verbot des Einsatzes von Antisatellitensystemen (ASAT), die zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. 414 Auf den ersten Blick scheint das Behinderungsverbot überflüssig, da Verträge ja nach Treu und Glauben zu erfüllen sind. Da der Gebrauch nationaler technischer Mittel in den Verträgen ausdrücklich vorgesehen ist, würde es gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, diesen Gebrauch zu behindern. Doch das Behinderungsverbot enthält eine Art "Beweislastregel". Die angeblich "behindernde" Vertragspartei muß beweisen, daß die andere Vertragspartei (1.) Veriftkationsmethoden verwendet, die (2.) nicht mit den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts in Einklang stehen; die veriftzierende Partei muß also nicht beweisen, daß der Einsatz ihrer technischen Mittel rechtmäßig ist.415

412

Ebd., S.82f.

413

So Koplow, Arms Control Inspection, N.Y.U.L.Rev. 63 (1988), S.256 Pn.1S3.

414 Verboten nach den bilateralen Abkommen ist allerdings nur ihr Einsatz, nicht ihre Produktion, vgI. hierzu Fischer, Limitation des armes strategiques, AFDI 18 (1972), S.72; ders., SALT II, AFDI 25 (1979), S.l90; Yost, S.121-123. Über die Antisatellitensysteme fanden 1978-79 zwischen den USA und der Sowjetunion Verhandlungen in Helsinki statt, die jedoch zu keinem Erfolg führten, vgI. Meyrowitz, AFDI 25 (1979), S.89-128. 415 So Goller-CalvojCalvo, S.265.

122

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

bb) Verschleierungsverbot Zum anderen dürfen die Parteien keine Verschleierungsmaßnahmen anwenden, die die Nachprüfung der Einhaltung der Vertragsbestimmungen mit innerstaatlichen technischen Mitteln erschweren. Ein solches Verbot fmdet sich nicht in den Teststoppverträgen. Der Grund liegt möglicher",veise in der Natur dieser Verträge. Doch auch bei Atomtests, die nur bis zu einer bestimmten Schwelle durchgeführt werden dürfen, sind Verschleierungsmaßnahmen denkbar, wie z.B. Vortäuschen einer geringeren Stärke durch den Ausbau von Hohlräumen oder Verdeckung durch mehrere gleichzeitige Versuchsexplosionen. 41' Was eine Verschleierungsmaßnahme ist, wird in den Verträgen nicht defmiert. Teilweise fmden sich nähere Ausführungen zu diesem Begriff in den gleichzeitig abgegebenen Erklärungen417 der Staaten, z.B. beim SALT 11Vertrag41l • Außerdem geben im jeweiligen Vertrag die Defmitionen und Zählregeln4~ Anhaltspunkte darüber, was eine Verschleierungsmaßnahme sein könnte. Danach ergibt sich, daß entscheidend auf die Wirkung (Beeinträchtigung der Verifikation) einer Maßnahme abzustellen ist. 42t Eine Verschleierungsmaßnahme liegt demnach vor, wenn die Verifikation durch innerstaatliche technische Mittel beeinträchtigt, eventuell sogar unmöglich gemacht wird, ohne daß - und hier liegt der Unterschied zu den Behinderungsmaßnahmen - unmittelbar auf die technischen Mittel eingewirkt wird. 421 Beispiele für Verschleierungsmaßnahmen sind: Abdeckungen; Attrappen von Raketen und Silos; Verschlüsselung telemetrischer Informationen422 ; Schutzbauten, die so gebaut sind, daß sie die Verifikation unmöglich machen. In früheren Verträgen waren "vorsätzliche" Verschleierungsmaßnahmen verboten (not to use deliberate concealment) - entscheidendes Kriterium war 416 Vgl. hierzu Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr.ll.l., S.7, der solche Maßnahmen unter das Behinderungsverbot subsumieren will. 417

Dazu ausführlich unten 2.Teil, 3.Abschn., B.

418

Vgl. hierzu Goller.Ca/vojCa/vo, S.265ff.

419

Dazu oben 2.Teil, 2.Abschn., A.lV.l. und B.1.

420

Fischer, SALT 11, AFDI 25 (1979), S.19l.

421 Näher zur Abgrenzung zwischen Behinderungs- und Verschleierungsmaßnahmen Koplow, Arms Control Inspection, N.Y.U.L.Rev. 63 (1988), S.256 Fn.153.

422 Vgl. die Zweite Absprache zu Art. XV Abs.3 des SALT lI-Vertrages. Dieser Punkt ist nunmehr ausdrücklich in das START-Abkommen aufgenommen worden, vgI. Art. X des START-Vertrages und das ·Protocol on Telemetrie Information Relating to the Treaty".

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

123

hier also zudem die "Verschleierungsabsicht" -, während seit dem INF-Vertrag das Wort "vorsätzlich" weggelassen wurde. Der Grund hierfür ist, daß für das Vorliegen einer Verschleierungsmaßnahme nun eben nicht das Vorhandensein einer entsprechenden Absicht nachgewiesen werden muß. Beweisschwierigkeiten sollten vermieden werden. w In den Verträgen fmden sich jeweils verschiedene Ausnahmen vom Verschleierungsverbot: 1. "Diese Verpflichtung bedingt keine Änderung der gegenwärtigen Bau-, Montage-, Umbauoder Überholungsverfahren.· (ABM-Vertrag, Interimsabkommen)

2. Im INF-Abkommen lautet die Ausnahme: "Diese Verpflichtung findet keine Anwendung auf Tarnungs- oder Verschleierungsmaßnahmen in einem Dislozierungsgebiet, die mit den normalen Ausbildungs- und Wartungstätigkeiten sowie mit den normalen Einsätzen zusammenhängen, einschließlich der Anwendung von Vorrichtungen zum Schutz der Flugkörper und Abschußvorrichtungen vor Witterungseinflüssen .• 424

cc) Unterstützungsgebot Seit dem INF-Abkommen wurden über den "Standard" hinaus Maßnahmen der Zusammenarbeit vereinbart, die gerade den Einsatz innerstaatlicher technischer Mittel erleichtern sollen (Art. XII Abs.3 INF-Vertrag und Art. XII START-Vertrag: Abdeckungen, Aufstellung von Flugkörpern im Freien). Diese Maßnahmen haben auf Ersuchen einer Vertragspartei zu erfolgen. Damit wird auch bezüglich der innerstaatlichen technischen Mittel Kooperation angestrebt. 425 2. Infonnationsaustausch Die Weitergabe von Informationen dient nicht nur der Erleichterung der Verifikation, sondern ist selbst eine Methode der VerifIkation. Insoweit sind die Informationspflichten äußerst detailliert vorgegeben. In der Regel werden 423 State Department Analysis zum INF-Vertrag, ILM 27 (1988), S.221. Sofern eine "Verschleierungsabsicht" nicht festgestellt werden kann, durch die Maßnahme aber die Verifikation beeinträchtigt wird, wird dies im Rahmen der Ständigen Beratungskommission erörtert. 424 Da die Ausnahmen nicht weiter definiert werden, dürfte es darüber häufig zum Streit kommen, vgI. Fischer, Euromissiles, AFDI 33 (1987), S.60. Zu den Ausnahmen Glitman (Leiter der INF-Delegation), NATO Defense and Tbe INF Treaty, Hearings-Part 4, S.417.

425

Ausführlich zu den im INF-Vertrag vereinbarten Maßnahmen Sur, AFDI 33 (1987), S.8O.

124

2. Teil: Zustande kommen, Inhalt und Form

die erforderlichen Informationen vor Inkrafttreten des Vertrages ausgetauscht. Später müssen sie dann in ganz bestimmten Zeitabständen gegenüber der anderen Vertragspartei auf den neuesten Stand gebracht werden. Meist geschieht dies im Rahmen der gemeinsamen Institutionen.4l' 3. Inspektionen an Ort und Stelle a) Begriff Unter Inspektionen an Ort und Stelle im weiteren Sinne werden Veriftkationsmaßnahmen verstanden, die innerhalb der Staatsgrenzen des überprüften Staates stattfmden.427 Das Charakteristikum dieser Maßnahmen ist, daß sie gewisse Unterstützungshandlungen des überprüften Staates voraussetzen und nicht nur geduldet werden, also weitergehen als das "laissez faire-laissez passer" der nationalen Mittel. 4ZI In den jüngsten Verträgen wurden zunehmend Methoden vereinbart, deren besondere Bedeutung bzw. Kennzeichnung darin besteht, daß Staatsangehörige des überprüfenden Staates im Hoheitsgebiet bzw. in Gebieten unter der Kontrolle des überprüften Staatesm tätig werden, also Staatsangehörige der anderen Seite Zugang zu nationalen Einrichtungen haben. Aufgrund dieser Kriterien sind hierzu auch zwischen den beiden Staaten vereinbarte Verifikationsmaßnahmen zu rechnen, die in den Verträgen selbst nicht als on-site inspections bezeichnet werden.4lt Dabei gibt

426

Siehe unten 2.Teil, 2Abschn., 8.11.4.

427 Vgl. Delbrück, Überwachung, S.1332; FischerjVignes, S.7ff.; Gasteyger/Haug, S.42f., die lieber von "Untersuchungen in situ" sprechen, da der Begriff Inspektionen häufig - insbesondere in den Verträgen selbst - im engeren Sinne gebraucht wird, siehe sogleich unten.

428

Vgl. UNIDIR, Approach, S.14f.

Nach dem INF-Vertrag ist es den Vertragsparteien möglich, Inspektionen auf dem Gebiet dritter Staaten durchzuführen. 430 Gemeint sind im einzelnen: 1. in den nicht in Kraft getretenen Protokollen zu den Testschwellenverträgen: sämtliche Maßnahmen des "gestellten Personals". Diese Maßnahmen werden auch von Koplow, Arms Control Inspection, N.Y.U.L.Rev. 63 (1988), S.250, als on-site inspections bezeichnet, obwohl dieser Begriff in den beiden Protokollen selbst nicht auftaucht. Ausführliche Beschreibung bei Fischer, Limitation des explosions nucleaires souterraines a des fins pacifiques, APOI 22 (1976), S.15-24, der von "I'observation sur place" spricht. 2. im INF-Vertrag: die auch als solche bezeichneten Inspektionsmaßnahmen. Ausführlich dazu Sur, AFDI 33 (1987), S.74ff.; UNIDIR, Verification, S.9-13. 3. in den neuen Protokollen zu den Testschwellenverträgen: die hydrodynamic yield measurement method, die seismic yield measurement method und die on-site inspections. Näher dazu Panofsky, Arms Control Today, Sept. 1990, S.3-6. 429

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

125

es Unterschiede hinsichtlich der Qualität des Zugangs - 1Dl Grad der "intrusiveness".431 Die Bewegungs- und Handlungsfreiheit der Inspektoren ist unterschiedlich weit ausgestaltet. Die Maßnahmen reichen von reiner Beobachtung (Inaugenscheinnahme)43% über die bloße Bedienung von technischem Material4.lJ bis hin zu konkreten Untersuchungen. 4J4 Die Inspektionsmaßnahmen an Ort und Stelle richten sich nach den zu überprüfenden Rüstungskontrollverpflichtungen: die Maßnahmen umfassen entsprechend die Durchführung von Messungen, Überwachung von Produktionsstätten (Industrieunternehmen), Erlangung von Daten durch Beobachtung und Untersuchung, usw. Es lassen sich verschiedene Arten von Inspektionen an Ort und Stelle unterscheiden: Z.T. sind sie als Dauereinrichtung vorgesehen; meistens ist ihre Anzahl und der jeweilige zeitliche Abstand genau festgelegt (periodische Inspektionen). Z.T. sind sie zwingend vorgesehen; in anderen Fällen müssen sie ad hoc vereinbart werden. In einigen Fällen kann die Gegenseite sie bei Verdacht verlangen (Verdachtsinspektionen). b) Durchführung4l5 Die Abwicklung der Inspektionen an Ort und Stelle ist in allen Abkommen bis ins kleinste Detail geregelt. Der Grund besteht vor allem darin, Spionagetätigkeiten der überprüfenden Seite zu vermeiden.4l' 4. im START-Abkommen: die als solche bezeichneten Inspektionsmaßnahmen. Beschreibung der Maßnahmen bei Lockwood, Verifying, Arms Control Today, Okt. 1990, S.13f. 431

Zu diesen Abstufungen Fischer/Vignes, S.8/9.

432

So die meisten Maßnahmen der ursprünglichen Protokolle zu den Testschwellenverträ-

gen.

433 Hierzu gehören Maßnahmen sowohl der ursprünglichen als auch der neuen Protokolle zu den Testschwellenverträgen.

434 Hierzu gehören vor allem die Inspektionsmaßnahmen des INF-Vertrages und des STARTAbkommens. 435 Zur Durchführung der Inspektionen wurden in beiden Staaten spezielle Institutionen geschaffen. In den USA ist dies die On-Site Inspection Agency (OSIA), die zum Verteidigungsministerium gehört und ca. 400 Inspektoren umfaßt, vgl. Graham, ASIL Proceedings 1988, S.64. In der Sowjetunion wurden ca. 200 Beamte und Militärs zu Inspektoren ausgebildet, vgI. Leggett/Lewis, Survival, Sept./Okt. 1988, S.410.

436 Aus Furcht vor mißbräuchlicher Ausnutzung einer Verifikation vor Ort zu Spionagezwekken und vor zu weitgehender Transparenz im Sicherheitsbereich wurden Inspektionsmaßnahmen von der Sowjetunion lange Zeit kategorisch abgelehnt.

126

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

Mit der Durchführung der Inspektionen werden (Staats)Angehörige des überprüfenden Staates beauftragt (designated personnel =bestelltes Personal, inspection team), deren Anzahl genau festgeschrieben ist. Die Auswahl dieser Personen erfolgt nach einem jeweils genau festgelegtem Modus. Danach hat der überprüfende Staat dem überprüften Staat vorab eine Liste mit Namen von Personen einzureichen, die von letzterem zu genehmigen ist. Es können einzelne Personen unter bestimmten Voraussetzungen - auch später noch zurückgewiesen werden. 437 Das Inspektionspersonal unterliegt für die Dauer seines Aufenthalts im anderen Staatsgebiet den Vorrechten und Befreiungen nach dem Wiener Abkommen über die diplomatischen Beziehungen vom 18. April 1%1, insbesondere Art. 22,23,24,29,30,31,34 und 36. Unbeschadet dessen ist das Inspektionspersonal ausdrücklich verpflichtet, die Gesetze und Verordnungen des überprüften Staates zu beachten. Alle Angelegenheiten des Inspektionspersonals sind genau geregelt, - nämlich wie das Personal während seines Aufenthalts unterzubringen ist, welche Kommunikationsmittel bereitgestellt werden müssen, welche Freizeitmöglichkeiten zu schaffen sind, welche Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge sicherzustellen sind u.ä. Auch hinsichtlich des zu benutzenden technischen Materials bestehen genaue Regelungen. Technische Einrichtungen können entweder mitgebracht werden - sie unterliegen dann vorher einer genauen Untersuchung durch die überprüfte Seite - oder aber von dieser beigebracht werden. Teilweise müssen sie gestellt werden. In allen Fällen regeln die insoweit äußerst technischen Absprachen bis ins einzelne die Geräteausstattung, d.h. die erlaubten Meßvorrichtungen, Fotoapparate usw. 4J1 Damit an den Geräten zu keiner Zeit manipuliert werden kann, sind stets von beiden Seiten erhebliche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Die Abwicklung erfolgt je nach Art der Inspektion. Die Dauer der Inspektion ist in allen Fällen zeitlich genau bestimmt. Einreise(ort), Transport(route) und Ausreise(ort) der Inspektoren sind bereits in den Abkommen vereinbart. Während der ganzen Zeit wird das Inspektionspersonal von einem Team des überprüften Staates begleitet. Letzteres beaufsichtigt die Tätigkeiten des Inspektionsteams und ist für seine Sicherheit verantwortlich. Gleichzeitig ist es zu bestimmten Unterstützungs- und Mitwirkungsmaßnahmen verpflich-

437 Ein solches Verfahren sehen die ursprünglichen Protokolle zu den Testschwellenverträgen noch nicht vor.

438 Vgl. nur Art.IV des ursprünglichen Protokolls zum PNE-Vertrag oder Sec. VIII (Equipment) des neuen Protokolls zum TfB-Vertrag, die sich über 23 Seiten erstreckt.

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

127

tet.- Vor allem hat das Team die Verpflichtung, dem Inspektionspersonal Fernmeldeverbindungen zu dessen Dienststellen bereitzustellen. Während der Inspektionsarbeiten sind die gewonnenen Daten in der Regel der überprüften Partei mitzuteilen und mit ihr zu besprechen. Nach Abschluß ist von beiden Teams über die Inspektion ein gemeinsamer Bericht anzufertigen, der eine Zusammenfassung der beobachteten Fakten enthalten muß, darüber hinaus aber auch ansatzweise eine Bewertung dieser Fakten vornehmen soll.440 Die Kosten für die Beförderungen des Inspektionspersonals, die Ausrüstung, die Unterbringung und das Kommunikationswesen trägt die überprüfende Partei. Außerdem bestehen Vereinbarungen über die Urheberrechte an den bei der Inspektion erlangten Daten und über die Freigabe dieser Daten. 4. Gemeinsame Institutionen 441 Schließlich sind von den beiden Staaten mehrere Institutionen eingesetzt worden, in deren Rahmen - neben anderen Aufgaben im Zusammenhang mit den Abkommen - die Einhaltung der Rüstungskontrollverpflichtungen überwacht werden soll. Man kann hier verschiedene Aufgabenbereiche der Institutionen unterscheiden: Zum einen werden die nach den Abkommen auszutauschenden Daten und Informationen innerhalb der gemeinsamen Einrichtung nach einem bestimmten Verfahren an die andere Seite weitergegeben. Zum anderen werden Zweifelsfragen über die Einhaltung der jeweiligen Abkommen im Rahmen dieser Einrichtungen behandelt. Dabei steht im Vordergrund die gemeinsame Überprüfung der von einer Seite vorgetragenen Fakten. Z.T. ist aber auch eine gemeinsame juristische Bewertung dieser Fakten vorzunehmen. 442 Insoweit handelt es sich letztlich um eine institutionalisierte Form von Konsultationen zwischen den beiden Staaten über die beiderseitige Befolgung der geschlossenen Abkommen. Schließlich werden im Rahmen dieser Institutionen noch neue Veriftkationsmethoden diskutiert und tech-

439 Beim INF-Vertrag gehen die Mitwirkungspflichten und -rechte der Inlandseskorte so weit, daß man in Wahrheit von einer gemeinsam durchgeführten Inspektion sprechen muß, vgI. Sur, AFDI 33 (1987), S.78. 440 Da die Parteien sich somit auch über bestimmte Zweifelsfragen einigen müssen, wird durch die Verpflichtung zur Erstellung eines Abschlußberichts über das bloße fact finding hinaus gegangen und ansatzweise eine Verpflichtung zur Streitbeilegung geschaffen, vgI. Sur, AFDI 33 (1987), S.79. Siehe unten 3.Teil, 7Abschn., A.1. 441 Von Koplo"" Arms Control Inspection, N.Y.U.L.Rev. 63 (1988), S.256, werden sie ·Special Compliance-Related Institutions· genannt. 442

Vgl. oben Text zu Fn.375.

128

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

nische Neuheiten bei schon bestehenden Methoden eingeführt, so daß gegebenenfalls Vertragsänderungen vorzubereiten sind. Keine der bisher errichteten Institutionen kann verbindliche Entscheidungen treffen. Sie können nur Empfehlungen abgeben bzw. stellen das Forum dar, in dem sich die beiden Staaten auf bestimmte, die VerifIkation betreffende Punkte einigen. Es handelt sich gerade nicht um judicial bodies. Die Reaktionen auf festgestellte Vertragsverletzungen bleiben allein der politischen Entscheidung des betroffenen Staates vorbehalten. Anfangs sollte die durch die SALT-Verträge geschaffene Ständige Beratungskommission für die Überwachung sämtlicher, also auch zukünftiger Verträge zuständig sein. Im Verlauf der Jahre gingen die beiden Staaten aber immer mehr dazu über, in jedem ihrer Abkommen ein eigenes Organ zu deren Überwachung zu schaffen.443 a) Ständige Beratungskommission444 Die Errichtung der Ständigen Beratungskommission wurde in den SALT 1Verträgen vereinbart. 44S Kurz nach Inkraftreten der Verträge nahm diese auf der Grundlage einer weiteren Vereinbarung zwischen den beiden Staaten446 im Dezember 1972 ihre Arbeit auf. Der Ständigen Beratungskommission wurden zahlreiche Aufgaben übertragen. Der Schwerpunkt liegt dabei im Verifikationsbereich. Vorwiegend handelt es sich um die Beschäftigung mit Routinefragen. So soll sie "a) Fragen betreffend die Einhaltung der übernommenen Verpflichtungen und damit zusammenhängende Umstände, die unklar erscheinen, erörtern; b) freiwillig alle Informationen zur Verfügung stellen, die eine Vertragspartei für erforderlich hält, um das Vertrauen in die Einhaltung der übernommenen Verpflichtungen zu gewährleisten;

443 Kritisch hierzu in seinen Ausführungen Graybeal (ehemaliger Beauftragter der Ständigen Beratungskommission), The INF Treaty, Hearings-Part 3, S.I44, und ASIL Proceedings 1988, S.69/70.

444 Ausführlich zu den nachfolgenden Ausführungen Buchheim/Farley, S.254-269; Lysen, S.212-214; GoUer-Calvo/Calvo, S.297-328. 445

Vgl. Art. XIII des ABM-Vertrages, Art.VI des Interimsabkommens.

Memorandum über eine Verständigung über die Einsetzung einer Ständigen Beratungskommission vom 21. Dezember 1972. 446

2. Abschn.: Inhaltliche Ausgestaltung der Verträge

129

c) Fragen erörtern, die mit einem unbeabsichtigten störenden Eingriff in die innerstaatlichen technischen NachprüfungsmiUel zusammenhängen; ...•

Mit dem SALT lI-Abkommen wurde dieser Aufgabenkreis erweitert. Wie bereits aus dem Wortlaut klar hervorgeht ("Fragen erörtern"), überwacht die Ständige Beratungskommission nicht selbst die Einhaltung der Vertragspflichten der Parteien. Ebensowenig entscheidet sie darüber, ob eine Vertragsverletzung vorliegt. Sie bietet nur den Rahmen, in dem die beiden Staaten gemeinsam die gegenseitige Vertragskontrolle ausüben können. Die Kommission setzt sich aus je einem Vertreter (Beauftragter) und dessen Stellvertreter zusammen. Beigegeben ist ihnen jeweils ein besonderer Arbeitsstab, in dem - ähnlich wie in den Genfer Delegationen - die verschiedenen am Rüstungskontrollprozeß beteiligten nationalen Behörden vertreten sind. Die Beauftragten sind Vertreter ihrer Regierungen und streng weisungsgebunden. Das Verfahren ist in einem besonderen Protokoll geregelt. 447 Die Kommission tagt mindestens zweimal im Jahr. Auf Antrag einer Partei kann jederzeit eine Sitzung einberufen werden. Während der sitzungsfreien Zeit stehen die Vertreter miteinander in Kontakt, so daß es sich in der Tat um eine ständige Institution handelt. Zu den Sitzungen können besondere Experten geladen werden. Die Gespräche sind streng geheim. Diese Regelung war Voraussetzung dafür, daß technisch hoch brisante Fragen in der Kommission erörtert werden. In der Praxis hat die Kommission große Bedeutung erlangt. Beide Seiten haben sie gleichermaßen in Anspruch genommen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit wurden zahlreiche Streitfragen verhandelt. In Spannungszeiten wurde die Beratungskommission aber ebenso wie andere Rüstungskontrollforen zum politischen Schlagabtausch zwischen den beiden Staaten mißbraucht. b) Die übrigen Institutionen Da fast jedes Abkommen die Einrichtung einer gemeinsamen Institution vorsieht, existieren mittlerweile zahlreiche weitere Behörden nach dem Muster der Ständigen Beratungskommission. Anders als diese sind sie meistens ausschließlich mit VerifIkationsaufgaben betraut. Wegen der zuneh-

447 Protokoll und Regeln der Ständigen Beratungskommission vom 30. Mai 1973, abgedruckt in: Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr.8.3.2.1., S.l. 9 Schmidt am Busch

130

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

menden Komplexität der vereinbarten VerifIkationsmaßnahmen haben sich die Aufgaben in den letzten Jahren vervielfacht. Daher wurden bereits wiederholt Untereinheiten innerhalb der Institutionen eingerichtet..... Immer mehr rücken auch Kostenfragen der Verifikation in den Vordergrund. C. Die vertragstechnischen Bestimmungen Im übrigen enthalten die amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollverträge wie fast alle völkerrechtlichen Abkommen vertragstechnische Bestimmungen über das Inkrafttreten, die Vertragssprache, die Geltungsdauer, die Kündigungsmodalitäten usw. Je politisch brisanter die Verträge sind, um so genauer sind auch die vertragsrechtlichen Fragen geregelt. Dabei haben sich in den Rüstungskontrollverträgen bestimmte Standardklauseln eingebürgert, z.B. hinsichtlich der Kündigungs- und Rücktrittsmöglichkeiten. Auffallend ist das völlige Fehlen von Sanktionsregelungen und Streitbeilegungsbestimmungen. Auf die mit diesen Bestimmungen zusammenhängenden Fragen wird ausführlich im dritten Teil der Arbeit eingegangen.

448 Vgl. Sec. XI Abs.6 des neuen Protokolls zum Tm-Vertrag über die Bilateral Consultative Commission, die zur Erfüllung bestimmter technischer Aufgaben eine Coordinating Group einsetzen soll.

3. Abschn.: Vertragsarchitektur

131

3. Abschnitt

Vertragsarchitektur Allgemeinhin wird stets von "dem" SALT lI-Vertrag oder "dem" INF-Vertrag gesprochen; tatsächlich handelt es sich aber in fast allen Fällen um ein Vertrags-, besser Regelungspaket. 4e Regelmäßig gehören zu dem eigentlichen Vertrag noch vereinbarte und einseitige Interpretationserklärungen. Manchmal wurden gleichzeitig geheime Absprachen getroffen. Oftmals haben die beiden Staaten in zusätzlichen Erklärungen weitere Rüstungskontrollschritte angekündigt. Im Fall des INF-Vertrages waren sogar Verträge mit dritten Staaten nötig. Die von den beiden Staaten getroffenen Entscheidungen wurden also mittels unterschiedlich zu bewertender Einigungs- und Erklärungsformen umgesetzt.~ A. Die Verträge

Zentrales Element dieser "Regelungspakete" sind die eigentlichen Verträge zwischen den beiden Staaten. Ihr Umfang hat in den letzten Jahren immer mehr zugenommen. Während der ABM-Vertrag noch aus wenigen Artikeln bestand, umfaßt das START-Abkommen ungefähr 700 Seiten. Diese Entwicklung hängt damit zusammen, daß die zu regelnde Materie immer bedeutender und damit auch immer komplexer wurde. Je mehr für die Parteien auf dem Spiel stand, um so größer war ihr Interesse, die Rüstungskontrollverpflichtungen möglichst klar und eindeutig festzuschreiben; gleichzeitig wurden die Veriftkationsverfahren ausgebaut. 4S1 Die meisten der bilateralen Rüstungskontrollverträge setzen sich aus verschiedenen Dokumenten (Grundsatzvertrag, Protokolle und Datenvereinbarungen) zusammen. Die Gründe für diese Aufspaltung sind unterschiedlich. In einigen Fällen - wie z.B. beim Interimsabkommen - ist die Aufteilung das Ergebnis eines schwierigen Einigungsprozesses. Während die unstrittigen Punkte im Hauptvertrag geregelt wurden, enthalten die Anhänge Regelungen

449 So im Zusammenhang mit den SALT-Verträgen Bruha, GYIL 24 (1981), S.184ff.j Riedel, Vereinbarungen, S.688j ders., Wettlauf, S.276. 450 Vgl. für den SALT-Prozeß Bruha, GYIL 24 (1981), S.184. Riedel, Vereinbarungen, S.687, spricht im Zusammenhang mit den SALT I-Vereinbarungen von einer "Skala unterschiedlichster völkerrechtlicher Instrumente". 451 Vgl. Ilft/Graham Ir., Practical Problems, S.61j Graham Ir/11ft, Legal Aspects, Tbe North Carolina Journal of International Lawand Commercial Regulation 16 (1991), S.2ff.

132

2. Teil: Zustande kommen, Inhalt und Form

der schwierigeren Fragen.4Sz Wollten sich die Parteien - wie beim SALT 11Vertrag - in bestimmten Fragen nicht endgültig festlegen, wurden die umstrittenen Verpflichtungen in den Anhängen erst einmal für eine begrenzte Zeit vereinbart und die endgültige Entscheidung wurde hinausgeschoben. 4S3 Bei den jüngsten Verträgen erfolgte die Aufspaltung aber vor allem aus Gründen der Übersichtlichkeit4S4 : Der Hauptvertrag sollte die grundsätzlichen Verpflichtungen statuieren; die überaus technischen Ausführungsbestimmungen wurden Gegenstand gesonderter Anhänge. Die Konkretisierung eines Vertrages in einem gesonderten Anhang ist international durchaus üblich4S5 • Eine solche Praxis ist ausdrücklich in Art. 2 Abs.l Ca) WÜV anerkannt4S', da "Vertrag" jede Übereinkunft zwischen Staaten sein kann, unabhängig davon, ob sie in einer oder in mehreren, zusammengehörigen Urkunden enthalten ist. I. Grundsatzvertrag (Hauptvertrag)

Für den Grundsatzvertrag haben sich unterschiedliche Benennungen eingebürgert, nämlich "Memorandum", "Agreement" oder "Treaty". Während es sich bei der Mehrzahl der Verträge um "agreements" oder "memoranda" handelt, wurden die wirklich bedeutenden Abkommen als "Treaty" bezeichnet. Von diesem Prinzip wurde nur beim Interimsabkommen aufgrund inneramerikanischer Probleme als Ausnahme abgewichen. Es stand nämlich zu befürchten, daß die nach der US-Verfassung für "treaties" erforderliche Zustimmung einer 2/3 Mehrheit des Senats wegen streitiger Einzelheiten dieses Abkommens nicht erfolgen würde. Deshalb wählte man die Form eines Regierungsabkommens (executive agreement), bei dem der Kongreß nur mit einfacher Mehrheit zustimmen muß. 4S7 Der Hauptvertrag folgt in der Regel dem klassischen Vertragsaufbau. Die Präambel nennt die Motive des Vertragsschlusses und enthält vage Direktiven für die Auslegung. Der in Artikel unterteilte Vertragsteillegt die grundsätzlichen Verpflichtungen der Vertragsparteien fest. Die Verpflichtungsnormen werden ergänzt durch Definitions- und andere Detailregelungen. Die Schluß452

Vgl. hierzu GoUer-CalvojCalvo, S.237 Fn.1025.

453

Vgl. Bruha, GYIL 24 (1981), S.19O.

454

Vgl. hierzu Goller-CalvojCalvo, S.237 Fn. 1025; Högel, S.l06.

Bruha, GYIL 24 (1981), S.187; Plantey, S.177-181; Yasseen, RdC 151 (1976-III), S.35/6; Högel, S.106. 455

456

Vgl. den ILC-Kommentar zu Art.2, ILC-Yearoook 1966 11, S.189 Ziff.7.

457

Einzelheiten dazu unten 3.Teil, 2Abschn., AII.l.a)bb).

3. Abschn.: Vertrag)i3rchitektur

133

bestimmungen regeln die Art der Annahme, das Inkrafttreten, die Geltungsdauer, Kündigungsmodalitäten, Vertragssprache, RatifIZierung und Registrierung.4SI Es fällt auf, daß die Verträge häufig keine durchschaubare Reihenfolge der Bestimmungen enthalten: nicht immer sind Definitionen und Zählregeln vorangestellt, sondern finden sich an verschiedenen Stellen im Grundsatzabkommen und in den dazugehörigen Protokollen. Hier spiegelt sich der Einigungsprozeß wider. 459 Während man sich über die Grundpflichten recht schnell einig werden konnte, wurden Definitionen und Zählregeln erst nach und nach vereinbart. Innerhalb eines Vertrages sind die Formulierungen recht unterschiedlich. Einige Bestimmungen sind außergewöhnlich präzis und detailliert abgefaßt. Andere sind bewußt unklar gehalten.~ Konnte man sich beispielsweise über bestimmte Fragen nicht einigen, hat man auf Definitionen ganz verzichtet oder auf unklare Formulierungen zurückgegriffen~l. Teilweise wollten sich die beiden Staaten auch bewußt Spielraum bewahren, um bei der Anwendung der Vertragsbestimmungen flexibel sein zu können.~z 11. Protokolle bzw. Annexe

Dem Grundsatzvertrag beigefügt sind regelmäßig ein oder mehrere Protokolle bzw. Annexe. Sie sind "integraler Bestandteil des Vertrages". Nicht 458

Vgl. hierzu Högel, S.106 Fn.63.

459

Vgl. Goller-Calvo/Calvo, S.237 Fn.1025.

460 Vgl. die Analyse der SALT I-Abkommen bei Fischer, Limitation des armes strategiques, AFDI18 (1972), S.40; ebenso die Analyse des SALT li-Abkommens bei Fischer, SALT 11, AFDI 25 (1979), S.l48. 461 Vgl. die Ausführungen von Senator Muskie, Tbe SALT 11 Treaty, Hearings-Part 1, S.485; Kissinger (ehemaliger Außenminister und Sicherheitsberater), Tbe SALT 11 Treaty, HearingsPart 3, S.l85; Perle (ehemaliger Beamter im Verteidigungsministerium), NATO Defense and Tbe INF Treaty, Hearings-Part 3, S.l46. Vgl. hierzu auch das Statement von Glitman (Leiter der amerikanischen INF-Delegation), NATO Defense and Tbe INF Treaty, Hearings-Part 5, S.317, der die Problematik anhand eines konkreten Beispiels verdeutlicht. Allgemein dazu Balhe, Dogmatik, S.224f.; Graham Ir./llft, Legal Aspects, Tbe North Carolina Journal of International Lawand Commercial Regulation 16 (1991), S.8f.; Ilft/Graham Ir., Practical Problems, S.69f.

462 Balhe, Dogmatik, S.225, spricht von "Gummiparagraphen". Hierzu näher in bezug auf die SALT I-Abkommen Fischer, Limitation des armes strategiques, AFDI 18 (1m), S.40, und in bezug auf das SALT li-Abkommen ders., SALT 11, AFDI 25 (1979), S.l48. Hierbei handelt es sich um eine Technik, die Staaten einsetzen, wenn sie sich in einem Vertrag nicht zu weitgehend binden wollen, Bilder, S.37-40.

134

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

gemeint sind zeitlich später geschlossene "Protokolle" - wie z.B. das Protokoll zum ABM-Vertrag von 1974 -, bei denen es sich um nichts anderes als eine Vertragsänderung handelt.~3 In diesen Dokumenten werden die im Grundsatzvertrag vereinbarten Verpflichtungen konkretisiert, manchmal auch zusätzliche Verpflichtungen vereinbart. Gegenstand solcher Protokolle sind vor allem technische Details der Rüstungskontrolle wie Z.B. Eliminierungstechniken bei Abrüstungsverträgen oder die nähere Ausgestaltung einzelner Veriftkationsverfahren. Der Umfang dieser Dokumente ist oft beträchtlich. III. Memoranda of data

Immer häufiger sieht der Hauptvertrag den Austausch von Informationen vor. Dieser erfolgt in den sog. memoranda of data. Sie enthalten die erforderlichen Informationen, und zwar in Form von technischen Daten und Koordinaten, Zeichnungen und Fotos. Beim INF-Vertrag um faßt das Memorandum of data beinahe 100 Seiten.464 B. Begleitende Interpretationserklärungen Regelmäßig haben die beiden Staaten bis zur Unterzeichnung der Verträge unterschiedliche Interpretationserklärungen zu den Abkommen abgegeben. Auch bei anderen Verträgen ist eine solche Praxis bekannt, sie ist jedoch bei den Rüstungskontrollverträgen sehr stark ausgeprägt. Während meistens eine bloße Klarstellung einzelner vertraglicher Bestimmungen erfolgt, sehen die Erklärungen manchmal auch Ergänzungen zu den vertraglichen Verpflichtungen vor. Auf ihre Bedeutung im Rahmen der Auslegung wird später eingegangen. 46S

463

vgl. Bruha, GYIL 24 (1981), S.187.

Kein Bestandteil des SALT lI-Vertrages ist die Vereinbarung über die Einrichtung einer Datenbasis für die Zahl strategischer offensiver Waffen vom 18. Juni 1979, abgedruckt bei: Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr.14.3.2., S.1f. 464

46S Inwieweit die verschiedenen Interpretationserklärungen bei der Vertragsauslegung (Art. 31 Abs.2 WÜV) heranzuziehen sind, wird unten im 3.Teil, 4Abschn., B.I.1.b) bb) bbb) (1) untersucht.

3. Abschn.: Vertragsarchitektur

135

I. Gemeinsame Interpretationen

(agreed interpretations und common understandings)

Hierbei handelt es sich um zwischen den beiden Staaten vereinbarte, schriftlich fixierte Interpretationen. Während sie anfänglich von den Delegationsleitern vereinbart und paraphiert wurden, haben bei späteren Verträgen die Staatschefs diese Erklärungen zusammen mit dem eigentlichen Vertrag unterzeichnet. Ihre Bezeichnung ist uneinheitlich und daher irreführend. ~ Die vereinbarten Interpretationen lassen sich - nicht in Übereinstimmung mit ihrer Bezeichnung - einteilen in: Erklärungen, die bestimmte Vertragsbestimmungen interpretieren, und Erklärungen, die eine unbestimmt formulierte Vertragspflicht konkretisieren. Bei allen politisch wichtigen Rüstungskontrollverträgen haben die Staaten von dieser Praxis Gebrauch gemacht. Beim SALT lI-Vertrag erreichte sie ihren Höhepunkt: es wurden "98" auf den Vertrag bezogene, gemeinsame Interpretationserklärungen vereinbart. Ausschlaggebend für die Vereinbarung von Auslegungen dürften vor allem innerstaatliche, besser: innersowjetische Gründe gewesen sein. 467 Einige der getroffenen Absprachen sollten in der Sowjetunion nicht bekannt werden. Dies ließ sich dadurch erreichen, daß man gemeinsame Interpretationen vereinbarte, die in den sowjetischen Vertragssammlungen nicht veröffentlicht werden mußten und auch tatsächlich nicht veröffentlicht wurden. Auch in den USA wurden die vereinbarten Erklärungen dem Kongreß nur zur Information zugeleitet. Bei späteren Verträgen waren die beiden Staaten mit solchen Erklärungen zurückhaltender. Denn die vielen Interpretationen sorgten nicht unbedingt für mehr Klarheit, sondern warfen im Gegenteil eher neue Zweifelsfragen auf. Hinzukommen dürfte, daß die Sowjetunion auf dieser Praxis nicht mehr in gleichem Maße bestand, da es in der sich wandelnden Sowjetunion möglich wurde, Rüstungskontrollfragen öffentlich zu diskutieren461 • Als Beispiel für diese Wandlung seien nur die Debatten anIäßlich der Ratifizierung des INF-Vertrages genannt. 469

466 SALT I: agreed statements; SALT: agreed statements and common understandings; bei späteren Verträgen nur noch agreed statements. 467

Dies deutet Rhinelander, S.125f., an.

468

Zur bisherigen sowjetischen Politik der militärischen Geheimhaltung ausführlich

4(9

Abdruck der Debatten in: Tbe INF Treaty, Hearings-Part 5, S.427ff.

Gasteyger/Haug, S.30/31.

136

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Fonn

Die gemeinsamen Interpretationserklärungen werden allgemein als für beide Staaten rechtlich verbindlich angesehen.47t Uneinigkeit besteht allerdings darüber, ob sie Bestandteil des eigentlichen Vertrages sind. Von einigen Autoren wird dies bejaht unter Verweis auf Art. 2 Abs.l (a) WÜV. m Dafür spricht auch, daß sie teilweise zusammen mit dem entsprechenden Vertrag von den Staatschefs unterzeichnet wurden. Dennoch können sie gerade nicht als Bestandteil des Vertrages betrachtet werdenm, da sie von den Staaten ja ganz bewußt außerhalb des eigentlichen Vertrages getroffen wurden und in bestimmten Punkten anders behandelt werden sollten. Insbesondere unterlagen sie nicht dem innerstaatlichen Zustimmungsverfahren. Während die Protokolle und Memoranda of data als Bestandteile der Verträge gelten - was in den Präambeln ausdrücklich klargestellt ist -, heißt es bei den gemeinsamen Interpretationen nur: .... in connection with the Treaty Between ... , the Parties have agreed on the following Agreed Statements and Common Understandings undertaken on behalf .. .".~3

Auch wenn sie somit nicht als Bestandteil der Verträge anzusehen sind, beziehen sie sich unmittelbar auf diese und sind in ihrer Gültigkeit von diesen abhängig.~4

11. Einseitige akzeptierte Erklärungen

Desweiteren gibt es während der Verhandlungen von einer Seite abgegebene Interpretationen, die von der Gegenseite - als auch ihrer Auffassung entsprechend - akzeptiert wurden. Anders als bei den vereinbarten Interpretationen hat man sich hier nicht über einen gemeinsamen Text geeinigt. Erklärungen dieser Art fmden sich nur bei den SALT I-Verträgen, wo sie "common understandings" genannt werden. Inhaltlich unterscheiden sie sich nicht von den vereinbarten Interpretationen.

470 So Fischer, Limitation des annes strategiques, AFDI 18 (1972), S.4O; Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr.14.1., S.15 unter VelWeis auf die Umstände des Zustandekommens dieser gemeinsamen Erklärungen; Neuhold, S.437.

471

Goller-Calvo/Calvo, S.235-237.

So auch Fischer, Limitation des annes strategiques, AFDI 18 (1972), S.4O: .... ne font pas partie stricto sensu du traite .. .". 472

473

Vgl. Fischer, Limitation des annes strategiques, AFDI 18 (1972), S.4O.

Vgl. Högel, S.114: ·Die zum Vertragsverbund gehörenden Dokumente haben keinen eigenen rechtlichen Status."; Fahl, SALT 11, S.35. 474

3. Abschn.: Vertragsarchitektur

137

Weitgehend wird die Auffassung vertreten, daß es rechtlich gesehen zwischen den vereinbarten Interpretationen und den einseitigen, von der anderen Seite ausdrücklich akzeptierten Erklärungen keinen Unterschied gäbe; sie hätten die gleiche rechtliche Verbindlichkeit wie der Vertrag, auf den sie sich beziehen.475 Dem kann nicht zugestimmt werden. Anders als bei den Interpretationsvereinbarungen liegt hier eine Vereinbarung zwischen den beiden Staaten eben nicht vor; von ihnen wurden lediglich übereinstimmende Erklärungen abgegeben, aus denen hervorgeht, daß sich ihre Auffassungen im Hinblick auf das Verständnis bestimmter Vertragsbestimmungen decken. Dies wird deutlich, wenn man sich die konkreten Umstände näher anschaut: Beispielsweise gab am 26.Mai 1972 der amerikanische Verhandlungsleiter folgende Erklärung über die Vergrößerung von ICBM-Silos ab: "Die Vertragsparteien stimmen darin überein, daß der Ausdruck 'wesentlich vergrößert' bedeutet, daß eine Vergrößerung nicht mehr als 10 bis 15 Prozent der gegenwärtigen Ausmaße der landgestützten ICBM-Abschuß-Silos betragen wird."

Daraufhin anwortete der so\\jetische Verhandlungsleiter, daß diese Erklärung der so\\jetischen Auffassung entspreche. 476 Schließlich wurden diese Erklärungen auch offiziell nicht als agreed statements, sondern common understandings bezeichnet.477 III. Unwidersprochene einseitige Erklärungen

Im Zusammenhang mit den eigentlichen Verträgen haben die Staaten während der Verhandlungen oftmals auch einseitige Erklärungen abgegeben, auf die die Gegenseite nicht reagiert hat. Die Staaten haben hier einseitig ihren Standpunkt zu bestimmten Regelungen verdeutlicht. Z.B. stellte die amerikanische Delegation zum ABMVertrag klar, daß sich die amerikanische Regierung zum Rücktritt berechtigt sieht, wenn innerhalb von fünf Jahren kein Folgeabkommen vereinbart ist. Solche einseitigen Erklärungen wurden vor allem in bezug auf die SALT 1Verträge abgegeben. Die beiden Staaten hofften, durch die KlarsteIlung einzelner Punkte die Gegenseite von bestimmten (militärischen) Aktivitäten

475

Vgi. Neuhold, S.437; Rhinelander, S.125/6.

476

Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr. 8.3.1., S.4.

477 So wohl auch Bruho, GYIL 24 (1981), S.l88, nach dessen Auffassung die gemeinsamen Verständniserklärungen schon keine Einigung über einen gemeinsamen Text mehr darstellen.

138

2. Teil: Zustandekommen, Inhalt und Form

abhalten zu können. Bei späteren Verträgen haben sie allerdings dann mehr und mehr darauf verzichtet, weil sich die Erklärungen als wenig effektiv erwiesen hatten. m IV. Einseitige widersprochene Erklärungen

Noch ZU erwähnen sind schließlich während der Verhandlungen abgegebene, einseitige Erklärungen, die von der Gegenseite sogleich zurückgewiesen wurden. Der Unterschied zu den zuvor beschriebenen Erklärungen ist, daß die Gegenseite diese Erklärungen ausdrücklich abgelehnt hat.

c.

Begleitende geheime Absprachen

Es ist davon auszugehen, daß die Regierungen über den back channelm gelegentlich auch geheime Abreden zu den Verträgen getroffen haben, die die Auslegung und Anwendung einzelner Vertragsbestimmungen betreffen: sozusagen "geheime interpretative Absprachen". Ungefähr ein Jahr nach Unterzeichnung des Interimsabkommens wurde z.B. bekannt, daß im Juli 1972 der damalige Sicherheitsberater Kissinger und der sowjetische Botschafter in Washington Dobrynin zusätzliche Abmachungen bezüglich dieses Abkommens ausgehandelt hatten. Sie waren übereingekommen, daß die Modernisierung von Raketen auf sowjetischen U-Booten der Klasse G mit dem Interimsabkommen vereinbar sei.- In den USA waren von dieser Vereinbarung zunächst nicht einmal wichtige Regierungsmitglieder - wie der Verteidigungsminister und die Joint Chiefs of Staff oder der Leiter der Genfer Verhandlungsdelegation - unterrichtet. Noch später erfuhr der amerikanische Kongreß von dieser Absprache, die in der Öffentlichkeit heftige Kritik auslöste. 4I' 478 Vgl. die Stellungnahme von Schlesinger vom 6. März; 1975 vor dem amerikanischen Senat, Auszüge in: Labne, S.322f.

419

Siehe oben 2.Teil, lAbschn., D .

Dazu Senator Church, Tbe SALT 11 Treaty, Hearings-Part 1, S.119, und Wolfe, S.88/89. Was genau Inhalt der Vereinbarung war, geht aus diesen Quellen allerdings nicht hervor. .00

481 Vgl. Wolfe, S.89. Ein weiteres Beispiel im Zusammenhang mit dem Interimsabkommen erwähnen Wolfe, S.88/89, und auch Senator Church, SALT 11 Treaty, Hearings-Part 1, S.119. Im Zusammenhang mit dem Testschwellenvertrag dürfte es auch geheime Absprachen gegeben haben; so erwähnt Fischer, Limitation des explosions nuc1taires souterraines a des fins pacifiques, AFDI 22 (1976), S.l1, eine gemeinsame interpretative Erklärung zum Testschwellenvertrag, die erst zwei Jahre später veröffentlicht wurde.

3. Abschn.: Vertragsarchitektur

139

D. Begleitende gemeinsame und einseitige Absichtserklärungen

Von den verschiedenen interpretativen Erklärungen zu unterscheiden sind Erklärungen bei Vertragsschluß, in denen die Staaten ein bestimmtes Verhalten ankündigen. Diese Erklärungen beziehen sich auf Fragenkomplexe, über die man sich im Rahmen des Vertrages (noch) nicht einigen konnte. 4I1 Beispiel für eine gemeinsame Erklärung ist das zusammen mit dem SALT lI-Vertrag unterzeichnete "Joint Statement of Principles and Basic Guidelines for Subsequent Negotiations on the Limitation of Strategie Arms"."3 Darin werden Fragenkomplexe angesprochen, die zwischen den beiden Staaten im Detail umstritten waren und daher nicht in den Vertrag aufgenommen wurden. Um eine einseitige Absichtserklärung handelt es sich bei der sog. BackfrreErklärung der Sowjetunion zum SALT lI-Abkommen, die die sowjetischen Backfrre-Bomber betrifft: dieses Waffensystem sollte auf Wunsch der USA in den SALT lI-Vertrag einbezogen werden; die Sowjetunion lehnte das ab. In dieser schriftlichen, aber nicht unterzeichneten und später nochmals mündlich wiederholten Erklärung bekundete die Sowjetunion ihre Absicht, dem Backfrre-Bomber keine interkontinentale Reichweite zu geben"· und die Produktionsrate dieses Bombertyps zu beschränken. Nur auf der Grundlage dieser Erklärung wurde das SALT lI-Abkommen von den USA unterzeichnet. Das wiederum war der Sowjetunion bei Unterzeichnung des Abkommens bekannt. Eine fast inhaltsgleiche Erklärung hat die Sowjetunion dann wiederum bei der Unterzeichnung des START-Vertrages abgegeben. Außerdem kündigten beide Staaten einseitig an, ihre seegestützten cruise missiles zu begrenzen, nachdem diese Waffenkategorie bei den START-Gesprächen von vornherein ausgeklammert worden war. Die rechtliche Einordnung dieser Erklärungen ist teilweise schwierig. Unklar ist, ob es sich um rechtlich verbindliche Erklärungen oder um rein politische Absichtserklärungen handelt. 415 Entscheidend ist insoweit der Wille der beiden Staaten."' Bei der Backfire-Erklärung wird daher überwie482 Inwieweit diese Erklärungen bei der Auslegung eine Rolle spielen, wird ausführlich untersucht im 4. Abschnitt des 3. Teils. 483

Abgedruckt in: Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr. 14.3.1., S.lf.

4S4

Siehe insoweit den Begriff strategische Waffen oben 2.Teil, 2Abschn., A.IV.1.b).

4&S

Vgi. zu diesem Problem llft/Graham Ir., Practical Problems, S.65.

Ausführlich zu der Abgrenzung zwischen rechtlichen Vereinbarungen und politiSChen Absprachen siehe oben 1.Teil, 2Abschn., B. 486

140

2. Teil: Zustande kommen, Inhalt und Form

gend angenommen, daß die Sowjetunion sich rechtlich binden wollte. 417 Neuerdings haben die heiden Staaten in den Erklärungen selbst klargestellt, daß es sich um politische Dokumente handele.E. Begleitende Verträge mit dritten Staaten Im Fall des INF-Vertrages beschränkte sich das Regelungswerk nicht allein auf Absprachen zwischen den beiden Staaten, sondern zur Durchführung des Vertrages - genauer der Inspektionsvereinbarungen - waren auch Abkommen mit dritten Staaten nötig.-

487 vgl. Goller-Calvo/Calvo, S.237-239 mit weiteren Nachweisen; Ilft/Graham Jr., Practical Problems, S.64. 488 Z.B. die ·Declaration of the United States of America Regarding Its Policy Conceming Nuclear Sea-Launched Cruise Missiles· zum START-Vertrag vom 31. Juli 1991: •... This declaration and subsequent annual declarations will be politically binding." Zu den Abgrenzungskriterien siehe oben 1.Teil, 2Abschn., B.N. 489 Zu den damit zusammenhängenden vertragsrechtlichen Fragen siehe unten 3.Teil, 8Abschn., B.

3. Teil

Rechtliche Betrachtung 1. Abschnitt

Die maßgeblichen Vertragsrechts normen Den Abschluß, die Geltung und die Beendigung von Verträgen regelt das Recht der völkerrechtlichen Verträge. Es ist fast vollständig in dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge enthalten, das seit Januar 1980 in Kraft ist. 490 Das Abkommen war bereits am 23. Mai 1%9 zustandegekommen. Seine Aushandlung beruhte auf einer Initiative der UNO bzw. der von der UNO geschaffenen International Law Commission (ILC), die sich die KodifIZierung eines einheitlichen Völkervertragsrechts zu einer ihrer wichtigsten Aufgaben gemacht hatte.491 Nach Anfertigung zahlreicher Vorentwürfe, für die als wichtigste kodifikatorische Vorarbeit der Entwurf der Harvard Law Schoolm diente, verabschiedete die ILC im Sommer 1966 einen ausführlichen und umfassenden Konventionsentwurf zum Völkervertragsrecht. Dieser Entwurf bildet die Grundlage des jetzigen WÜV!'J Gemäß Art. 4 dieses Übereinkommens findet es formell nur auf Verträge Anwendung, die von Staaten geschlossen werden, nachdem das Übereinkommen für sie in Kraft getreten ist. Für die Sowjetunion trat das WÜV am 29. Mai 1986 in Kraft. 494 Die USA haben das WÜV zwar unterzeichnet, bis-

490 UN Doc. A/CONF.39/27; englischer und französischer Text in: ZaöRV 29 (1969), S.7Uff; deutscher Text in: BGBI. 1985 11, S.926ff.

491 Zur Entstehung des WÜV vgI. die bei Verdross/Simma, § 672 in Fn. 3 angegebene Literatur. 492

NIL 29 (Suppl. 1935), S.653.

493 Dieser Entwurf in Gestalt von 75 "draft articles" mit Kommentar ist abgedruckt im ILCYearbook 1966 11, S.173ff. 494 BGBI. 198711, S.757.

142

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

her aber noch nicht ratiflziert.es Wenngleich Art. 4 nicht ausdrücklich festlegt, daß alle an einem Vertrag beteiligten Staaten Vertrags partei des Übereinkommens sein müssen,e6 besteht an diesem Erfordernis für bilaterale Verträge kein Zweifel, da sonst der Nichtvertragsstaat an das WÜV gebunden wäre, ohne daß er zugestimmt hat. Nach allgemeinem Völkerrecht bzw. Art. 34 WÜV kann ein Staat aber eben nicht ohne seine Zustimmung an einen Vertrag gebunden werden. Abgesehen davon wurden viele der sowjetischamerikanischen Rüstungskontrollverträge überhaupt vor dem Inkrafttreten des WÜV geschlossen. Die hier zu untersuchenden Verträge liegen somit außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs des WÜV. Nach herrschender Völkerrechtslehre kodifiziert das WÜV jedoch bereits bestehendes Völkergewohnheitsrecht. 497 Dies gilt allerdings nicht pauschal für alle Regeln des WÜV. Vielmehr ist zu differenzieren zwischen Regelungen, die deklatorisch bestehendes Völkergewohnheitsrecht wiedergeben, und solchen, die - im Sinne einer "fortschreitenden Entwicklung" (vgl. Art.13 Abs.l (a) VN-Charta4M) - neu formuliert wurden. Zur ersten Gruppe gehören der Verfassungsgrundsatz pacta sunt servanda (Art.26) und der Grundsatz, daß ein Staat, der einem anderen gegenüber eine Erklärung abgegeben hat, auf die dieser Vertrauen konnte, gehindert ist, später eine gegenteilige Haltung einzunehmen (Art.45 b). In diese Gruppe fallen weiter die meisten Regeln über die Willensmängel beim Abschluß von Verträgen (Art.49-51), über die Form der Verträge, die zum Abschluß befugten Organe, das Vertragsverfahren (Art.7ff.), die Auslegung von Verträgen (Art.31-33), ihre Abänderung, Suspendierung und Aufhebung (Art.39ff.). Andere Normen entsprechen zwar der bisherigen Übung, wurden in der Konvention aber genauer formuliert. Solche Normen betreffen die Verträge zugunsten und zu Lasten Dritter (Art. 34-38), die Teilung von Verträgen (Art.44) und die Änderung der Geschäftsgrundlage (Art.62). Erstmalig formuliert wurden die Normen über den Willensmangel des gegen einen Staat ausgeübten Zwanges (Art.52), über das ius cogens (Art.53 und 64) sowie über die Folgen der Nichtigkeit, Aufhebung und

495

Die RatifIZierung wird aber bereits vorbereitet.

Diese Unklarheit des Art. 4 wird relevant bei multilateralen Verträgen, an denen Vertragsparteien des WÜV und Nichtvertragsparteien beteiligt sind. In solchen Fällen fragt sich, inwieweit das WÜV im Verhältnis der Vertragsparteien des WÜV zueinander anwendbar ist, vgl. zum Ganzen Vierdag, AJIL 76 (1982), S.779-80l. 496

497 Vgl. Verdross/Simma, § 672; Yasseen, RdC 151 (1976-III), S.16ff.; Bemhardt, Treaties, EPIL (7), S.459, und Reuter, Introduction, S.22; das WÜV wurde deshalb auch schon in der internationalen Rechtsprechung herangezogen, vgl. die bei Verdross/Simma, § 672 in Fn. 6 genannten Fälle. Auch die amerikanische Regierung ist der Auffassung, daß das WÜV in weiten Teilen Gewohnheitsrecht darstellt, vgJ. Restatement on Foreign Relations, Vol. 1, S.I44f. 498

Vgl. zu dieser Bestimmung Fleischhauer zu Art.13, in: Simma (Hrsg.), Kommentar.

1. Abschn.: Die maßgeblichen Vertragsrechtsnonnen

143

Suspendierung von Verträgen (Art.69-72). Ganz neu waren die Bestimmungen über das Verfahren bei Streitigkeiten (Art.65ff.).m Nicht alle Regeln des Völkergewohnheitsrechts haben Eingang in das neue Übereinkommen gefunden. Wie in diesem selbst klargestellt wird, gilt das Völkergewohnheitsrecht weiterhin für Fragen, die nicht im Übereinkommen normiert wurden. Es sind dies unter anderem einige - allerdings nur begrenzt anwendbare - Auslegungsregeln.500

499 Vgl. die ausführliche Untersuchung von Verdross, S.92ff. Vgl. auch Elias, The Modern Law of Treaties, jeweils im Zusammenhang mit den entsprechenden Vorschriften des WÜV; Sinc/air, S.10-21; Sztucki, S.6-%.

soo Verdross/Simma, § 780. Weitere Beispiele bei Neuhold/Hummer/Schreuer, Rdnr. 280.

144

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

2. Abschnitt

Abschluß und Inkrafttreten der Verträge A. Abschluß I. Verschiedene Abschlußverfahren

Entsprechend der allgemeinen Völkerrechtspraxis haben sich die USA und die Sowjetunion bei den wenige~ bedeutsamen Verträgen des einfachen Verfahrens bedient, während die wenigen wichtigen Verträge im zusammengesetzten Verfahren zustande kamen.5O! Die Teststopp-, Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsverträge konnten nicht im einfachen Verfahren abgeschlossen werden, weil wegen ihrer Bedeutung für die nationale Sicherheit innerstaatliche Organe beteiligt werden mußten. Nach Beendigung der meist mehrjährigen Verhandlungen5O% wurden die Abkommen bei einem besonderen Gipfeltreffen von den Regierungschefs feierlich unterzeichnet. Die Unterzeichnung fand jeweils unter großer Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit statt. Sodann wurden die Verträge dem innerstaatlichen Zustimmungsverfahren503 unterworfen. Während die Debatten im amerikanischen Kongreß intensiv von der Öffentlichkeit verfolgt wurden, gab es in der Sowjetunion beim Abschluß des INF-Vertrages zum ersten Mal überhaupt in Ansätzen öffentliche Diskussionen.SN Sobald die innerstaatliche Zustimmung vorla~, erfolgte der Austausch der Ratiftkationsurkunden bzw. der Annahmeanzeigen auf einem weiteren Gipfel der Regierungschefs. Bei den übrigen Verträgen - also den Krisenbewältigungsabkommen und den Veriftkationsexperimenten - genügte das einfache Verfahren. Weniger von der Öffentlichkeit beachtet, wurden sie von den jeweiligen beiden Außenministern bzw. den höchsten Vertretern der Militärs unterzeichnet. In der Regel traten sie sogleich mit ihrer Unterzeichnung in Kraft. Bei den rein technischen Absprachen ist manchmal ein späteres Datum des Inkrafttretens vereinbart worden, da zu ihrer Durchführung noch einige Vorbereitungshandlungen vor-

SOl

Vgl. zu dieser allgemeinen Völkerrechtspraxis lpsen, § 10 Rdnr.7ff.

S02

Ausführlich zum bilateralen Verhandlungsprozeß oben 2.Teil, lAbschn.

SOl

Ausführlich zu den innerstaatlichen Zustimmungsverfahren unten 3.Teil, 2Abschn., A.II.

504

Siehe unten 3.Teil, 2Abschn., A.II.2.

sos Zu den nicht ratifizierten Verträgen siehe unten 3.Teil, 2Abschn., C.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

145

genommen werden mußten.~ Änderungen und Ergänzungen der Verträge wurden meistens im Wege eines Notenwechsels vereinbarf01. 11. Innerstaatliche Behandlung der Abkommen

Im Zusammenhang mit den amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollverträgen lassen sich bestimmte "Erscheinungen" nur mit Hilfe der innerstaatlichen Rechtslage erklären. Beispielsweise war für die Wahl der Bezeichnung "treaty" oder "executive agreement" inneramerikanisches Recht ausschlaggebend.SOII Wie noch zu zeigen sein wird, ist bei der Bewertung der beiderseitigen Anwendung nicht ratifizierter Verträge auch die innerstaatliche Rechtslage mitheranzuziehen.509 Schließlich können innerstaatliche Aspekte bei der Auslegung eine Rolle spielen.slO Deshalb kann in dieser völkerrechtlichen Untersuchung die innerstaatliche Rechtslage der beiden Staaten nicht ganz unberücksichtigt bleiben. Das Zustimmungsverfahren in der Sowjetunion unterschied sich erheblich von dem in den USA. Der Grund war, daß eines der zentralen Prinzipien der US-Verfassung dem sowjetischen Recht fremd war: die Gewaltenteilung.sn Während in den USA das Zustimmungsverfahren unter Einbezug der Öffentlichkeit sehr aufwendig gestaltet ist, handelte es sich bei der Sowjetunion stets um eine bloße Formsache.Sll 1. USA

a) Das Verfahren Die US-Praxis kennt drei Verfahrensarten, mit anderen Staaten Vereinbarungen zu treffen.5O Einzig "treaties" werden in der Verfassung erwähnt, die 506

Dies war der Fall bei den gemeinsamen Verifikationsexperimenten.

SO?

Z.B. die Ergänzung zum Heißer Draht-Abkommen von 1975.

sos Vgl. unten 3.Teil, 2Abschn., A.IU. S09

Siehe unten 3.Teil, 2Abschn., C.I1.1.b) aa).

510

Siehe unten 3.Teil, 4Abschn., B.I1.2.

511

Näher hierzu Goller-CalvojCalvo, S.87f.

512

Vgl. Goller-CalvojCalvo, S.87.

513 Ausführlich zum Vertragsschlußverfahren nach der US-VerfassungMontag, S.II4-127. Das Zustimmungsverfahren zieht sich in den USA oftmals sehr lange hin. Kennedy, CongressionalExecutive Tensions, North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation 16 (1991), S.23ft, schlägt daher alternative Vorgehensweisen bei Rüstungskontrollverträgen vor.

10 Schmidt am Busch

146

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

weiteren Verfahren haben sich in der Praxis herausgebildet und sind so auch von der Rechtsprechung anerkannt:~l. Zunächst kann der Präsident gemäß Art. 11 § 2 der Verfassung einen Vertrag im engeren Sinne mit der Zustimmung von zwei Dritteln der Senatoren abschließen. - Dann können der Präsident und der Kongreß (Senat und Repräsentantenhaus zusammen, jedoch bei getrennter Entscheidung mit einfacher Mehrheit) eine Vereinbarung gemeinsam abschließen (congressional-executive agreement). - Schließlich kann der Präsident bzw. ein von ihm autorisiertes Regierungsmitglied eine völkerrechtliche Verpflichtung zwecks Durchführung eines schon vorhandenen Abkommens (executive agreements auf der Grundlage eines schon vorhandenen Vertrages) oder aus eigener Autoriiät (sole executive agreement) allein eingehen. Hinsichtlich der Gegenstände erscheint es unmöglich zu zeigen, daß bestimmte Materien ausschließlich in Verträgen und andere in executive agreements zu regeln sind.SB Für den Bereich der Rüstungskontrolle ist allerdings die Befugnis des Präsidenten, aus eigener Autorität executive agreements abzuschließen, teilweise eingeschränkt. So sieht Section 33 des Arms Control and Disarmament Act von 1961 vor: •... That no action shall be taken under this or any other law that will obligate the United States to disarm or to reduce or to limit the Anned Forces or armaments of the Uni ted States, except pursuant to the treaty-making power of the President under the Constitution or unless authorized by further affirmative legislation by the Congress of the United States.,.516

Die Wahl zwischen den genannten Verfahrensarten scheint weitgehend von innerstaatlichen politischen Überlegungen abhängig zu sein.5l7 Das beste 514 Vgl. Restatement (Third) of the Foreign Relations Law of the United States, § 303. Dazu näher Vartian, HarvIU 21 (1980), S.424429; Kennedy, Congressional-Executive Tensions, North Carolina Journal of International Law and Commerce Regulation 16 (1991), S.18-23. 515

Montag, S.118.

516

Ausführlicher hierzu Goller-CalvojCalvo, S.98.

In der Literatur werden zahlreiche Kriterien diskutiert, die bei der Wahl der Form heranzuziehen sind, wie z.B. die Bedeutung der Verpflichtung (importance test), die Dauer des Abkommens (durability test) usw. Diese Kriterien wurden in einern internen Papier des State Department - bekannt unter dem Namen Circular 175 - aufgegriffen, das jedoch keine bindende Wirkung hat. Zahlreiche Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, daß diese Kriterien letztlich keinen objektiven Standard für die Entscheidung der Frage der richtigen Form einer bestimmten völkerrechtlichen Vereinbarung bieten und daß deshalb die Wahl der Vertragsform nach rein pragmatischen Gesichtspunkten getroffen wird. Hierzu Goller-CalvojCalvo, S.99-101,108. Vartian, HarvIU 21 (1980), S.429ff., wendet diese Kriterien bei RüstungskontrolIverträgen an und stellt gerade für diesen Bereich ihre Unbrauchbarkeit fest. Ob der entsprechende Vertrag z.B. "important' ist oder nicht, hängt von den jeweiligen politischen Überzeugungen bzw. den eigenen Bedrohungswahrnehmungen ab. Was ein objektiver Test sein soll, ist demnach in Wirklichkeit eine höchst subjektive Entscheidung, ebd., S.436 Fn.54. 517

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

147

Beispiel hierfür sind die RüstungskontroUverträge mit der Sowjetunion.51I Ausschlaggebende Gesichtspunkte bei der Formwahl waren hier vor allem die Haltung des Kongresses gegenüber dem entsprechenden Vertrag und die Arbeitsbelastung des Senats. aa) treaty Bis auf zwei Ausnahmen wurden alle Verträge mit Teststopp-, Rüstungskontroll- und Abrüstungsverpflichtungen dem Senat vorgelegt. Gemäß Art. 11 § 2 der US-Verfassung muß der Senat seinen "advice and consent" geben.s19 Bei diesem Verfahren wird dem Senat der Vertragstext nach der Unterzeichnung zusammen mit dem letter of transmittal zugeleitet. In diesem "letter" bittet der Präsident regelmäßig um die Zustimmung des Senats und legt die Gründe für eine Ratiftzierung dar. Bei den Rüstungskontrollverträgen war dem Vertragstext stets noch eine vom State Department angefertigte Kommentierung der einzelnen Vertragsbestimmungen, die sog. article by article-analysis beigefügt.szo Fast immer wurden auch die vereinbarten Interpretationen und andere im Zusammenhang mit den Verträgen abgegebene Erklärungen dem Senat eingereicht, aber nur zur Information.s21 Der Präsident kann jederzeit seinen Antrag auf Zustimmung zurückziehen bzw. beantragen, das Verfahren aufzuschieben, wie es beim SALT lI-Vertrag geschehen ist. Nach der ersten Lesung wird der Vertragstext an das Committee on Foreign Relations und an das Committee on Armed Services überwiesen, die nun die sog. Hearings durchführen. Regierungsvertreter sowie Vertreter aus den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen nehmen zu den Abkommen Stellung und beantworten Fragen der Senatoren. Gehört werden vor allem auch die Senatoren, die als Delegationsmitglieder an den Verhandlungen teilgenommen haben.su Die Hearings sind weitgehend öffentlich; so waren fast immer auch sowjetische Vertreter anwesend.s23 Falls der Vertrag Zustimmung

518

Vartian, HarvIU 21 (1980), S.423/424.

519

Vgl. Goller-CalvojCalvo, S. 110; Montag, S.llS.

520 Inwieweit diese Kommentierung bei der Auslegung herangezogen werden kann, siehe unten 3.Teil, 4Abschn., B.l.1.b) bb) bbb) (3). 521

Näher hienu Goller-CalvojCalvo, S.lll.

5U

Siehe oben 2.Teil, lAbschn., B.I.

523 Inwieweit während der Hearings gemachte Aussagen bei der Auslegung herangezogen werden können, siehe unten 3.Teil, 4Abschn., B.I.1.b) bb) bbb) (3).

148

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

fmdet, werden Text und Entwurf einer Zustimmungsresolution mit eventuellen Auflagen an den Senat zurückgeschickt. Nach erneuter Lesung im Senat erfolgt die Entscheidung in Form einer resolution of ratification, die von einer 2/3-Mehrheit der Senatoren getragen sein muß. So hieß es beispielsweise in der Senatsresolution zum ABMVertrag: ".. (r)esolved (two thirds of the Senators present concurring therein), (t)hat the Senate advise and consent to the ratification of the Treaty.. "

bb) congressional-executive agreements Nur zwei Abkommen wurden in Form eines congressional-executive agreement abgeschlossen: das Interimsabkommen und der Chemiewaffenvertrag. Bei der Entscheidung über Verträge verfährt der Kongreß ähnlich wie bei Gesetzen. Die Abstimmung erfolgt in beiden Häusern getrennt, erforderlich ist jeweils die einfache Mehrheit.sz4 Auch beim Interimsabkommen bezog sich die Abstimmung nur auf den Vertrag, nicht auf die ebenfalls vorgelegten Interpretationserklärungen. Für die Wahl dieser Verfahrensart waren beim Interimsabkommen unzweifelhaft politische Gründe ausschlaggebend. Weil das Abkommen sehr umstritten war, konnte Präsident Nixon nicht mit einer 2/3-Mehrheit im Senat rechnen. Wegen des Arms Contral and Disarmament Act mußte jedoch zumindest der Kongreß beteiligt werden. - Beim Chemiewaffenabkommen dürfte vor allem die Arbeitsbelastung des Senats entscheidend gewesen sein; denn dieser hatte damals mehrere andere wichtige Verträge zu behandeln.szs Aus ähnlichen Gründen überlegte auch Präsident Carter, den SALT lI-Vertrag in Form eines executive agreement zu schließen.su cc) executive agreements des Präsidenten Die übrigen Verträge konnten vom Präsidenten bzw. seinem Außenminister allein abgeschlossen werden. Sie bedurften nicht der Zustimmung des Senats

S24

Ausführlich hierzu Goller-Ca/vo/Ca/vo, S.126-133.

S2S ZB. das Zwei-plus-Vier-Abkommen und das Abkommen über die Begrenzung konventioneller Rüstung in Europa. S26

Nachweis bei Goller.Ca/vo/Ca/vo, S.91/92.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

149

oder des Kongresses, da es sich entweder um die Durchführung bereits ratifizierter Abkommen handelte - wie z.B. das Memorandum zur Errichtung der Ständigen Beratungskommission - oder der Arms Contral and Disarmament Act nicht einschlägig war. b) "Vorbehalte" in den Zustimmungsresolutionen Außer beim ABM-Vertrag hat der Senat seine Zustimmung zu den ihm vorgelegten Abkommen in bestimmter Hinsicht eingeschränkt bzw. von bestimmten Bedingungen abhängig gemacht. In diesen Fällen enthielten die senate ratifIcation resolutions jeweils zahlreiche Zusätze, die als conditions, reservations, understandings, interpretations, declarations und statements bezeichnet waren. Der Kongreß dagegen hat seine Zustimmung zum Interimsabkommen an keinerlei Bedingungen geknüpft.5Z7 Solche Zusätze enthält beispielsweise die senate ratification resolution zum INF-VertraiZ8 • Aufsehen erregte vor allem ein Zusatz, mit dem der Senat sicherstellen wollte, daß künftige Regierungen der Vereinigten Staaten die Auslegung des Vertrags nicht anders vornehmen, als dies während der Anhörungen zum Inhalt und zur Bedeutung des Abkommens im Senats-Verfahren geschehen ist. sZ9 - Ungewöhnlich viele Zusätze waren für die Zustimmungsresolution zum SALT lI-Vertrag vorgesehen, zu deren Verabschiedung es schließlich aber nicht mehr kam.s38 Nach amerikanischem Recht hat der Senat die Möglichkeit, seine Zustimmung zu einem Vertrag von bestimmten Bedingungen abhängig zu machen. Dies ist zwar nicht ausdrücklich in der Verfassung vorgesehen, seit 1795 aber in der Literatur ebenso wie in der Praxis anerkannt.531 Bei diesen Zusätzen in den Zustimmungsresolutionen handelt es sich auf keinen Fall um völkerrechtliche Vorbehalte, wie das teilweise im Zusammenhang mit der Zustimmungsresolution des Senats zum INF-Vertrag behauptet

sv Vgl. die Joint Resolution vom 30.09.1972, abgedruckt in: ILM 12 (1973), S.116f. 528

Abgedruckt in: ILM 27 (1988), S.1407ff.

Zur rechtlichen Bewertung des ABM-Streits siehe unten 3.Teil, 4Abschn., B.I.1.c) bb) bbb) (5). 529

S30

Abgedruckt bei Goller-CalvojCalvo, S. 117-123.

Von dieser Möglichkeit hat der Senat gerade auch bei bilateralen Verträgen reichlich Gebrauch gemacht, vgl. hierzu Bishop, RdC 103 (1%1-11), S.270/271. Näher zu dieser verfassungsrechtlichen Frage Goller-CaivojCalvo, S.114ff. 531

150

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

wurde.5n Der Senat äußert lediglich gegenüber der eigenen Regierung, unter welchen Umständen er dem Vertrag zustimmt. Er selbst kann keinen Vorbehalt erklären, sondern allenfalls seine Regierung zu der Abgabe eines Vorbehalts verpflichten.533 Die Erklärung des Senats gegenüber dem Präsidenten ist insoweit grundsätzlich als ein rein innerstaatlicher Vorgang anzusehen ohne völkerrechtliche Bedeutung im Verhältnis zur Sowjetunion.534 Völkerrechtliche Relevanz erhalten die Einschränkungen des Senats erst, wenn sie bei der Ratifizierung durch den amerikanischen Präsidenten der anderen Seite mitgeteilt werden.535

2. Sowjetunion In der Sowjetunion fand das Zustimmungsverfahren hinter "verschlossenen Türen" statt. Die Öffentlichkeit wurde nicht beteiligt. Im Zuge von perestroika und glasnost gab es beim INF-Vertrag 1988 zum ersten Male - wenn auch noch in ganz beschränktem Umfang - Debatten im Parlament, die sogar teilweise im Fernsehen übertragen wurden.5~ Bei allen wichtigen Verträgen entschied letztlich die KPdSU (genauer: das Politbüro) über die endgültige Zustimmung der Sowjetunion zu diesen Verträgen.s37 Daher dürfte sie sich bei den meisten der mit den USA abgeschlossenenRüstungskontrollabkommen eingeschaltet haben. Das Vertragsabschlußverfahren selbst war eine reine Formsache. a) Die Gesetzeslage bis 1978 Bis 1978 war das Verfahren nur kursorisch in dem "Gesetz über das Verfahren der Ratifikation und der Kündigung internationaler Verträge der UdSSR"s38 vom 20. August 1938 geregelt. RatifIkationsbedürftig waren danach Friedensverträge, Verträge über gegenseitige Verteidigung gegen 532

Vgl. nur den klarstellenden Zeitungsartikel von Dolzer, in: FAZ Nr.l28 vom 4.6.1988, S.6.

533

Vgl. Verdross/Simma, § 706; G/ennon, AJIL 77 (1983), S.26S Fn.52.

S34

G/ennon, AJIL 77 (1983), S.264f.; Da/zer, in: FAZ Nr. 128 vom 4.6.1988, S.6.

S35

Zur rechtlichen Bewertung dieser Erklärungen siehe unten 3.Teil, 2Abschn., A.III.

Vgl. den "Report on a Session of the Preparatory Commission (the Working Body of the Foreign Affairs Commissions of the Chambers of the Supreme Soviet)", abgedruckt in: The INF Treaty, Hearings-Part 5, S.427-43O. S36

537

Zur Rolle der Partei ausführlich Schweisfunh, Neuregelung, ZaöRV 41 (1981), S.368-371.

S38

Abgedruckt in: ZaöRV 8 (1938), S.799.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

151

Aggression und Nichtangriffsverträge (also alle politischen Verträge), dann auch Verträge, in denen die Ratifikation von den Parteien vereinbart worden war. Aus dieser Aufzählung wurde z.T. abgeleitet, daß zwar echte Abrüstungsverträge der Ratifikation bedürfen, nicht aber Rüstungskontrollverträge. Danach mußte das Interimsabkommen auch in der Sowjetunion nicht ratifiziert werden. Der ABM -Vertrag war aber aufgrund der Vereinbarung im Vertrag ratifIzierungsbedürftig.s~ Darüber hinaus war nur bestimmt, daß die RatifIkation durch das Präsidium des Obersten Sowjet erfolgt. In der Praxis aber wurde zunehmend der Ministerrat zu einer "Vorabprüfung" eingeschaltet.S40 Andere Zustimmungsverfahren, wie z.B. Genehmigung und Annahme, waren nicht geregelt. b) Die Gesetzeslage nach 1978541 Das Gesetz von 1938 wurde durch das "Gesetz über das Verfahren des Abschlusses, der Durchführung und der Kündigung internationaler Verträge der UdSSR"s.u vom 6. Juli 1978 abgelöst, nachdem 1977 in der Sowjetunion eine neue Verfassung in Kraft getreten war. Dieses Gesetz erweiterte die Liste der ratifIzierungsbedürftigen Verträge nur unwesentlich. Die Verträge mußten vom Ministerium für auswärtige Angelegenheiten (eventuell gemeinsam oder in Abstimmung mit den anderen beteiligten Ressorts) dem Ministerrat zur Prüfung der "Billigung" des Vertrages und der RatifIkationsvorlage zugeleitet werden. Sofern der Ministerrat sich positiv entschied, leitete er den Vertrag dem Präsidium des Obersten Sowjet zu. Das Präsidium beauftragte sodann die Kommissionen des Obersten Sowjet mit einer vorläufIgen Prüfung des Vertrages. Aufgrund der erarbeiteten Stellungnahme der Kommissionen prüfte das Präsidium den zur RatifIkation vorgelegten Vertrag und faßte einen entsprechenden RatifIkationsbeschluß in Form eines Dekrets, das zur Unterzeichnung der RatifIkationsurkunde ermächtigte. Einzelne Änderungen konnte das Präsidium der sowjetischen Re-

S39 Ungenau insoweit Goller-CalvojCalvo, S.170, die die Rechtslage bei den 1972 geschlossenen und in Kraft getretenen Verträgen anhand des Gesetzes von 1978 bestimmen, das später das Gesetz von 1938 ablöste. S40

Zu dieser Praxis Goller-CalvojCalvo, S. 17l.

541 Ausführlich zu den nachfolgenden Ausführungen SChweisfurth, Neuregelung, ZaöRV 41 (1981), S.379-384. 542

In Kraft seit 1. September 1978; abgedruckt in: ILM 17 (1978), S.1115-1122.

152

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

gierung nicht vorschlagen.543 Der Ratifikationsbeschluß mußte ebenso wie die wichtigen Staatsverträge und Regierungsabkommen im Gesetz- bzw. Verordnungsblatt veröffentlicht werden.544 Nicht zu erkennen ist, wie mit den vereinbarten Interpretationserklärungen verfahren wurde. Da es der Sowjetunion gerade darauf ankam, die Bekanntwerdung dieser zusätzlichen Vereinbarungen zu vermeidenS4S, ist davon auszugehen, daß sie nicht Bestandteil des Ratifikationsbeschlusses waren. Weniger ausführlich geregelt war die Entscheidung über die Annahme i.S.d. Art. 14 Abs.2 WÜV. Über die Zustimmung zum Vertrag mußte das Organ beschließen, das bereits die Entscheidung über die Vertragsunt~rzeichnung getroffen hatte: nämlich bei Staatsverträgen das Präsidium des Obersten Sowjet, bei Regierungsverträgen der Ministerrat, bei Ressortverträgen die Ressorts. III. Erklärungen bei der Ratifikation = "Vorbehalte"?

Vor allem die USA haben - entsprechend einer allgemeinen Praxis - bei der Ratifizierung häufig Erklärungen abgegeben. Der amerikanische Präsident hat fast immer die vom Senat der Zustimmungsresolution beigefügten Zusätze546 in die Ratifikationsurkunde aufgenommen bzw. anläßlich der Ratifizierung der anderen Seite schriftlich mitgeteilt. Gegenstand der folgenden Untersuchung sind also die Zusätze des Senats in seiner Zustimmungsresolution, soweit sie vom Präsidenten während der völkerrechtlichen Ratifikation erklärt wurden. Die Sowjetunion hat von solchen Erklärungen weniger Gebrauch gemacht, da das Präsidium des Obersten Sowjet keine Bedingungen für seine Zustimmung stellen konnte, sondern den Vertrag als Ganzes annehmen oder ablehnen mußte.

543

Goller-CalvojCalvo, S.170.

544

Hierzu Schweisfurth, Neuregelung, ZaöRV 41 (1981), S.383f.

S45

Siehe oben 2.Teil, 3Abschn., 8.1.

S46 Siehe oben 3.Teil, 2Abschn., A.II.1.b). Die beim SALT li-Vertrag geplanten Zusätze sind abgedruckt in: Goller-CalvojCalvo, S.117-123; die Zustimmungsresolution des Senats zum INFVertrag ist abgedruckt in: ILM 27 (1988), S.1407-1410.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

153

Es stellt sich die Frage, welche Wirkungen diese Erklärungen haben. Um dies zu beantworten, muß jedoch unbedingt zwischen den verschiedenen Erklärungen unterschieden werden.S47 1. "Vorbehalte"

Bei keiner der bisherigen Erklärungen handelt es sich um echte Vorbehalte, wie häufig angenommen wird.548 Die Definition des Vorbehalts im WÜV ist identisch mit dem gewohnheitsrechtlichen Begriff. Danach ist ein Vorbehalt: •...eine wie auch immer formulierte oder bezeichnete, von einem Staat bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrags oder bei dem Beitritt zu einem Vertrag abgegebene einseitige Erklärung, durch die der Staat bezweckt, die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen in der Anwendung auf diesen Staat auszuschließen oder zu ändern ... ,,549

Die Feststellung, ob es sich bei einer Erklärung um einen Vorbehalt handelt, hängt nicht von der Bezeichnung der Erklärung, sondern ausschließlich von deren Inhalt ab. Ergibt die Auslegung, daß eine Rechtsänderung beabsichtigt ist, handelt es sich um einen Vorbehalt.550 Eine genaue Analyse der bisher 547 Problematisch sind insoweit das Memorandum von Tipson und G/ennon (Legal Advisers of the Committee on Foreign Relations), abgedruckt in: Tbe SALT 11 Treaty, Hearings-Part 4, S.l8-24, und der Brief der Ya/e Law Faculty, abgedruckt in: Tbe SALT 11 Treaty, Hearings-Part 4, S.13-16, ebenso wie Glennon, AJIL 77 (1983), S.257, die die Senatszusätze nicht näher untersuchen und ganz allgemein behaupten: "Tbe legal effect of the indusion of Senate conditions in the U.S. instrument of ratification depends on the response of the other signatory. Tbe United States is effectively placed in the position of making a 'counteroffer'... Refusal of the other state to exchange instruments of ratification constitutes rejection of the treaty. Under such circumstances, the treaty and the Senate's conditions are therefore without effect, both domestically and internationally. If, on the other hand, the other signatory expressly accepts the Senate's conditions upon exchange of the instruments of ratification, both the text of the treaty and the Senate's conditions take effect internationally... , • (Glennon, ebd., S.263, unter Verweis auf die Ausführungen zu ·Vorbehalten· bei bilateralen Verträgen bei Elias, S.28-29). Diese Aussage gilt für echte ·Vorbehalte·, fraglich aber ist, ob sie auch für interpretative Erklärungen oder garpolitische Erklärungen zutrifft. Wie aber eine genaue Analyse der Senatsbedingungen ergeben wird, handelt es sich bei diesen ausschließlich um interpretative und andere Erklärungen. 548 Z.B. wohl von Goller-CalvojCalvo, S.123ff. Sie untersuchen nämlich die Folgen von ·Vorbehalten· zu bilateralen Verträgen in bezug auf einige der zum SALT lI-Abkommen geplanten Erklärungen (abgedruckt ebd., S.121/122), bei denen es sich eindeutig um interpretative Erklärungen handelt, vgI. nur die folgenden Beispiele: 1. ... will regard as a violation of the Treaty any increase ... ; 2. any significant increase ... would be inconsistent with ... ; 3. any action ... inconsistent with ... would undermine fundamental objectives of the strategic arms limitation process justifying Uni ted States withdrawal (rom the SALT 11 Treaty. 549

Art. 2 Abs. 1 (d) WÜV; vgl. hierzu Ipsen, Völkerrecht, § 14 Rdnr.1.

550

Ipsen, Völkerrecht, § 14 Rdnr.1.

154

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

bei der Ratifikation in bezug auf die Rüstungskontrollverträge abgegebenen Erklärungen zeigt jedoch, daß letztlich keine auf eine Änderung von Vertragsbestimmungen zielt. Dennoch soll hier überlegt werden, welche Wirkungen solche "Vorbehalte" hätten, weil über diese Frage im Zusammenhang mit den Rüstungskontrollverträgen regelmäßig spekuliert wurde. Vor allem interessierte es die amerikanischen Senatoren, inwieweit sie noch Änderungen des Vertrages herbeiführen könnten, ohne daß neu verhandelt werden müsse, da sie befürchteten, der Vertrag würde bei Wiederaufnahme der Verhandlungen dann am Ende scheitern. Deshalb diskutierten sie darüber, ob es sinnvoll wäre, eventuell angestrebte Änderungen als "Vorbehalte" zu bezeichnen in der Hoffnung, die Sowjetunion würde sich des tatsächlichen Inhalts nicht so bewußt und ihr Schweigen auf diese "Vorbehalte" könne entsprechend Art. 19 und 20 WÜV als Zustimmung gewertet werden551 . Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich bei "Vorbehalten" zu bilateralen Verträgen stets um einen Vorschlag zu einem neuen Vertrag mit geänderten Inhal~5z, d.h. um die Abgabe eines neuen Vertragsangebots. So sind die beiden Staaten in bezug auf andere Verträge auch stets verfahren.553 Wird die Erklärung vom Vertragspartner zurückgewiesen, ist das Angebot zur Vertragsänderung abgelehnt worden. Der Vertrag kommt als Ganzes nicht zustande.sS4 Die Staaten treten dann meistens in neue Verhandlungen ein. Wird die vorgeschlagene Änderung ausdrücklich angenommen, tritt der Vertrag mit modifiziertem Inhalt in Kraft.sss Fraglich ist allerdings, ob entsprechend der Art. 19 und 20 WÜV im Schweigen ebenfalls eine Zustimmung zur Änderung gesehen werden kann. Einige vertreten die Ansicht, das neue Angebot könne stillschweigend vom Vertragspartner dadurch an551 Dies vermuten Goller.CalvojCalvo, 5.115; Yale Law Faculty, The SALT 11 Treaty, Hearings-Part 4, S. 17; Glennon, AJIL 77 (1983), 5.265. In der Praxis ist der Senat dann aber doch anders verfahren: beim INF-Vertrag wurden vom Senat als unbedingt notwendig angesehene Änderungen noch während des Zustimmungsverfahrens mit der Sowjetunion konkret ausgehandelt. 552 VerdrossjSimma, § 732; Ipsen, Völkerrecht, § 14 Rdnr.7; Geiger, 5.123. Vgl. auch den ILCKommentar, ILC-Yearbook 1966 11, 5.203.

553 Zur Praxis der USA bei "Vorbehalten" zu bilateralen Verträgen ausführlich Bishop, RdC 103 (1961-11), 5.266-271. Die USA haben bei "Vorbehalten" durch den anderen Vertragspartner stets advice and consent des Senats zu diesem "Vorbehalt" eingeholt.

SS4

Vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 14 Rdnr.7.

SSS

Ebd.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

155

genommen werden, daß er den Vorbehalt nicht zurückweist.5S6 So äußerten die Rechtsexperten während der Hearings zum SALT lI-Vertrag: •... (i)f the Soviet Union proceeds with the exchange of instruments of ratification, its silence constitutes assent to the treaties as modified by the United States. ,.557

Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Tatsächlich hat der andere Staat nicht geschwiegen, sondern mit Austausch der Ratifikationsurkunden den Vertrag mit geändertem Inhalt angenommen. Da die Staaten jahrelang über den entsprechenden Vertrag miteinander verhandelt haben und somit ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen ihnen entstanden is~SI, darf der erklärende Staat nach Treu und Glauben einen Widerspruch von dem anderen Verhandlungspartner erwarten, falls dieser mit den Änderungen nicht einverstanden ist.ss, In einer solchen Situation besteht nicht die Gefahr, daß der andere Staat überfahren wird. Die hier vertretene Auffassung wird von der Praxis bestätigt: In zahlreichen Fällen hat der betroffene Staat der Erklärung der anderen Seite ausdrücklich widersprochen. Es fragt sich deshalb, warum die Staaten in einigen Fällen protestieren, in anderen Fällen bewußt schweigen. 2. Interpretative Erklärungen

Bei vielen Ergänzungen handelt es sich um interpretative Erklärungen.~ Sie bezwecken nicht eben die Änderung von Vertragsbestimmungen; sie dienen lediglich der KlarsteIlung. Der erklärende Staat äußert hier nach außen, wie er bestimmte Vertragsbestimmungen versteht und anwenden wird, Z.B. wenn er bedeutet, welche Aktivitäten für ihn eine Verletzung des Abkommens darstellen (Bsp.: "the understandings that the United States...will

5.56

Geiger, S.123.

Tipson und Glennon in ihrem Memorandum, The SALT 11 Treaty, Hearings-Part 4, S. 23; Glennon, AJIL 77 (1983), S.265. SS7 558

Dazu ausführlich unten 3.Teil, 2Abschn., B.lV.1.

Vgl. auch Glennon, AJIL 77 (1983), S.265, der die Grundsätze des amerikanischen ·contract law· heranziehen will. Auch im deutschen Vertragsrecht hat das Schweigen dann die Wirkung einer Willenserklärung, wenn der Schweigende verpflichtet gewesen wäre, seinen gegenteiligen Willen zum Ausdruck zu bringen, vgI. Palandt-Heinrichs, BGB, Kommentar, Rdnr. 8 zu vor § 116. Ein ähnliches Prinzip kennen auch das französische und englische Vertragsrecht, vgI. die rechtsvergleichende Untersuchung von Owsia, International & Comparative Law Quarterly 40 (1991), S.787f., 791. Zu überlegen wäre, ob es sich bei diesem Prinzip nicht um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne des Art. 38 (1) (c) des IGH-Statuts handelt. SS9

560 Zum Begriff der interpretativen Erklärung Ipsen, Völkerrecht, § 14 Rdnr.3; McRae, BYIL 49 (1978), S.155.

156

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

regard as a violation any increase in the launch-weighL."). Die Abgrenzung zur Vertragsänderung kann schwierig sein; um einen Vorbehalt handelt es sich, wenn die Auslegung eine Erweiterung oder Einschränkung der Verpflichtungen zur Folge hat.561 Hinsichtlich der Wirkung muß man bei interpretativen Erklärungen zwei Situationen unterscheiden: Ein Staat kann eine interpretative Erklärung aus der Überzeugung heraus formulieren, daß seine erklärte Auslegung die einzig gültige ist, und sie zur Bedingung für die endgültige Zustimmung machen. Dagegen handelt es sich um eme rein interpretative Erklärung (mere interpretative dedaration), wenn die Gegenseite darüber informiert werden soll, wie der erklärende Staat bestimmte unklare Bestimmungen auslegt und anwenden wird.S6l a) Im erstgenannten Fall handelt es sich bei bilateralen Verträgen um die Abgabe eines Angebots zur verbindlichen Klarstellung des Vertrages; die Einigung über die Auslegung ist hier Bedingung für den Vertragsschluß. Die Rechtsfolgen sind daher die gleichen wie bei einem "Vorbehalt". Nur bei Zustimmung kommt der Vertrag mit diesem klargestellten Inhalt zustande; bei Ablehnung steht der gesamte Vertrag zur Diskussion.563 b) Andere Wirkung haben die rein interpretativen Erklärungen: Da es sich bei ihnen nicht um ein Änderungsangebot handelt, kommt der Vertrag in jedem Fall zustande, unabhängig davon, ob die Gegenseite zustimmt oder ablehnt. Dies bestätigt die Praxis; man denke nur an die vielen bei den SALT I-Verträgen abgegebenen einseitigen Erklärungen, denen von der Gegenseite ausdrücklich widersprochen wurde; dennoch traten die Verträge in Kraft. Welche Auswirkung aber hat die Reaktion des Vertragspartners auf die Erklärung? - Ein rechtsverbindlicher "Auslegungsvertrag" wird nicht geschlossen, wenn der Vertragspartner die Erklärung annimmt, da es sich nicht um eine Vereinbarung handelt, sondern in der Annahme ist lediglich die Mitteilung zu sehen, daß der Vertragspartner diesbezüglich der gleichen

561 Zur Abgrenzung einer Interpretationserklärung von einem Vorbehalt ausführlich McRae, BYIL 49 (1978), S.156ff. Vgl. auch Ipsen, Völkerrecht, § 14 Rdnr.3; Verdross/Simma, § 736. .562

McRae, BYIL 49 (1978), S.I60; Horn, S.238.

Vgl. McRae, BYIL 49 (1978), S.161, und Horn, S.237ff., die bei multilateralen Verträgen auf solche "qualified interpretations" das Rechtsregime der Vorbehalte anwenden wollen; sie dürften demnach bei bilateralen Verträgen in diesen Fällen ebenfalls wieder von einem Neuverhandlungsangebot ausgehen. 563

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

157

Auffassung ist wie der erklärende Staat.564 Jedoch kann die Erklärung gemäß Art. 31 Abs.2 (a) WÜV bei Auslegungsfragen herangezogen werden. Gleichzeitig kann sie die spätere Praxis der Vertragsparteien bei der Vertragsanwendung beeinflussen, die ihrerseits nach Art. 31 Abs.3 (b) WÜV bei der Auslegung zu beachten ist, wenn sich z.B. die Parteien stets entsprechend einer Erklärung verhalten haben. S65 c) Es ist somit jeweils festzustellen, um welche Art von interpretativer Erklärung es sich handelt. Bezüglich der bilateralen Rüstungskontrollabkommen ist dies nicht ganz einfach, wenn eine von amerikanischer Seite bei der Ratifikation abgegebene Erklärung die vom Senat gestellten "Bedingungen" enthält. Wenn der Senat - so könnte man folgern - seine Zustimmung zu einem Vertrag von bestimmten Bedingungen abhängig macht, bedeute dies, daß er dem Vertrag nur zustimme, wenn die andere Seite auf die Bedingung eingeht. Für das Zustandekommen des Vertrags wäre dann die Zustimmung der anderen Partei zu dieser Auslegung erforderlich. Umgekehrt kann man der Auffassung sein, der Senat mache seine Zustimmung zum Vertrag lediglich davon abhängig, daß die Gegenseite von seinen Auslegungsvorstellungen informiert wird. In diesem Fall würde es sich bei der anläßlich der RatifIkation abgegebenen Erklärung um eine rein interpretative Erklärung handeln. Ob die vom Senat formulierten "Bedingungen" echte Bedingungen sind, kann nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände im Wege der Auslegung entschieden werden. In den meisten Fällen lassen die Formulierungen den Schluß zu, daß der Senat lediglich seine Auffassung verdeutlichen will. Die Zusätze sind zudem fast immer als understandings und nicht als conditions bezeichnet. Aufschluß gibt bei SALT 11 schließlich auch die vom Senat gewählte Einteilung der Zusätze: in einigen Fällen sollten die "Bedingungen" der Sowjetunion nur mitgeteilt werden, in anderen ihre ausdrückliche Zustimmung eingeholt werden. Daraus ist zu schließen, daß es sich nur im letzten Fall um echte Bedingungen handelte. Hinzuweisen ist schließlich auch darauf, daß der Senat jedesmal darum bemüht war, den Vertrag keineswegs zum Scheitern zu bringen, so daß man folgern kann, die Annahme der interpretativen Erklärungen durch die Sowjetunion sollte in der Regel nicht unbedingte Voraussetzung für das Zustandekommen sein.

564

vgl. 3.Teil, 4.Abschn., B.I.1.b) bb) bbb) (1).

McRae, BYIL 49 (1978), S.I72; vgl. auch ebd., S.I60f. und 166f. Ausführlich hierzu unten 3.Teil, 4.Abschn., B.I.1.c) bb) bbb) (1). S6S

158

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

3. "declarations 01 international policy"

Die meisten der Erklärungen beziehen sich nicht unmittelbar auf Bestimmungen der Verträge. Häufig betreffen sie Z.B. die politischen Beziehungen des erklärenden Staates zum Vertragspartner oder zu dritten Staaten bzw. allgemeine Prinzipien seiner Außenpolitik. Man könnte sie als "declarations of international policy" bezeichnen.S66 Hierzu gehören Erklärungen, in denen die USA die Sowjetunion zur Achtung der Menschenrechte und zur Einhaltung der KSZE-Schlußakte usw. aufforderten. Betont wurde gerade auch von den USA immer wieder, daß die Abkommen die Zusammenarbeit mit den Verbündeten nicht beeinträchtige. Gelegentlich haben sich die beiden Staaten auch die Fortführung bestimmter, bereits angelaufener Rüstungprogramme vorbehalten. Bei den declarations of international policy kommt der Vertrag unabhängig von der Reaktion der Gegenseite zustande. Da sie lediglich im Zusammenhang mit dem Abkommen stehen, sich aber nicht unmittelbar auf den Vertrag beziehen, soll das Zustandekommen des Vertrages sicher nicht von der ausdrücklichen Zustimmung des Vertragspartners zu diesen Erklärungen abhängig gemacht werden; teilweise sind ja nicht einmal die Interessen des Vertragspartners berührt, soweit es um allgemeine außenpolitische Prinzipien geht. Je nach den Umständen geht der erklärende Staat möglicherweise eine rechtliche Selbstverpflichtung ein; auf die Reaktion der Gegenseite kommt es nicht an. Will sich diese allerdings später darauf berufen, wird sich das schützenswerte Interesse wohl unter anderem danach beurteilen, wie der Staat ehemals auf die Äußerungen reagiert hat. Im übrigen können solche Erklärungen bei der Auslegung von Vertragsbestimmungen eine Rolle spielen, wobei ihr Gewicht sich wiederum anhand der Reaktion der Gegenseite bestimmt.~7

4. "declarations 01 domestic relevance"

Zahlreiche Erklärungen betreffen schließlich interne Angelegenheiten (declarations of domestic relevance561). In vielen Fällen geht es darum, für die zukünftige Durchführung des Abkommens die Kompetenzen der innerS66

So Horn, S.I06ff.

567

Dazu unten 3.Teil, 4.Abschn., B.I.l.b) bb) bbb) (1).

568

Zum Begriff Horn, S.103ff.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

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staatlichen Organe genau festzulegen bzw. bestimmte Mitwirkungsrechte des Parlaments zu sichern. So sollte z.B. beim SALT lI-Abkommen erklärt werden, daß eine Verlängerung dieses Abkommens nur mit Zustimmung (advice and consent) des Senats erfolgen könne. Um die Festschreibung von Kompetenzen ging es ebenfalls in dem schon erwähnten Zusatz zum INF-Vertrag.so Andere Erklärungen betreffen innenpolitische Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dem Vertrag getroffen werden sollen, z.B. die Einrichtung bestimmter Institutionen, den Ausbau bestimmter Rüstungsprogramme usw. Bei diesen Erklärungen handelt es sich um rein intern wirkende Verpflichtungen der Regierungen, an deren Charakter sich auch dadurch nichts ändert, daß die Gegenseite diese Erklärung sogar ausdrücklich akzeptiert hat.s"" B. Verpflichtungen während des Abschlußverfahrens

Schon im Vorfeld der Verträge oblagen den USA und der Sowjetunion bestimmte Pflichten. Zum Teil beruhten diese auf völkerrechtlichen Normen. Im Einzelfall dürften sich auch Verpflichtungen aus Treu und Glauben ergeben haben.

S6}

Siehe oben 3.Teil, 2Abschn., AII.1.b).

Vgl. hierzu die Entscheidung des Uni ted States Court of Appeals (247 F. (2d) 538, S. 54lff.), in der es um einen "Vorbehalt" der USA zu dem 1950 mit Kanada geschlossenen Niagarafluß-Vertrag ging. Der amerikanischen Ratifikationsurkunde beigefügt war eine Erklärung, daß der Kongreß über die Nutzung des den USA nach dem Abkommen zustehenden Wassers entscheidet. Die kanadische Regierung hatte dieser Erklärung ausdrücklich zugestimmt. Zu entscheiden war die Frage, ob es sich bei dieser Erklärung um einen echten Vorbehalt handelt, der somit Teil des Vertrages und nach Art. VI der amerikanischen Verfassung damit auch innerstaatliches Recht geworden ist. Das Gericht entschied: "The purported reservation ... makes no change in the relationship between the United States and Canada under the treaty and has nothing to do with the rights and obligations of the treaty .... (11) was merely an expression of domestic policy which the Senate attached to its consent. 11 was not a counter-offer requiring Canadian acceptance before the treaty could become effective. That Canada did 'accept' the reservation does not change its character.· (S544) Vgl. auch das Gutachten von Philip C. Jessup und Oliver J. Lissitzyn vorn Dezember 1955, in Auszügen abgedruckt bei: Bishop, RdC 103 (1%1-11), S.319f. Auch in ihrer Praxis haben die Staaten, insbes. die USA dec1arations of domestic policy als interne Regelungen behandelt, vgl. nur die vielen Beispiele bei Bishop, RdC 103 (1%1-11), S.312322. S70

160

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

I. Pflicht zur redlichen Verhandlungslührung, Art. VI des Nichtverbreitungsvertrages

Im Nichtverbreitungsvertrag haben sich die Sowjetunion und die USA gem. Art. VI dieses VertragesS71 verpflichtet, "in redlicher Absicht" Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle. Auf diese Verpflichtung haben die beiden Staaten bei den SALT-Verträgen und dem INF-Vertrag in den jeweiligen Präambeln explizit hingewiesen.sn Welche Verpflichtungen sich im einzelnen aus Art. VI für die Vertragsparteien ergeben, ist jedoch unklar.S73 1. Ungleiche Verhandlungsgegenstände

Verschiedentlich haben sich die beiden Staaten vorgeworfen, daß zwischen den verhandelten Leistungen und Gegenleistungen keine Ausgewogenheit bestehe. Beispielsweise haben die Sowjetunion bei den INF-Verhandlungen den USA anfangs vorgehalten, sie würden unfair verhandeln, da die von ihnen zu vernichtenden Waffensysteme (Pershings und Cruise Missiles) nur auf dem Papier ständenS74, während die Sowjetunion bereits existierende Systeme abrüsten sollte. Solche Äußerungen sind mit Vorsicht zu betrachten, denn fast immer sind sie rein politisch motiviert. Hier standen sich die beiden Staaten gleichberechtigt gegenüber. Ziel der Verhandlungen war es gerade, sich auf den genauen Vertragsgegenstand zu einigen.

571

Zu diesem Vertrag siehe oben Fn.44.

Im INF-Vertrag heißt es wörtlich: "Die Vereinigten Staaten von Amerika und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, ... eingedenk ihrer Verpflichtungen nach Artikel VI des Vertra~ über die Nichtverbreitung von Kernwaffen sind wie folgt überein gekommen: .. ."

572

S73 Allgemein zu dieser Frage lpsen, Völkerrecht, § 59 Rdnr. 61. Vgl. auch Bilder, S.34: wUnder such an agreement, the parties have at least an Obligation to engage in good faith attempts to work out some type of substantive cooperation in the future." 574

Die amerikanischen Systeme wurden erst 1983 in Europa stationiert.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

161

2. Zurückhalten von Infonnationen

Ebenso haben sich die beiden Staaten während der Verhandlungen gegenseitig beschuldigt, wichtige Informationen zurückzuhalten, insbesondere wenn es um die Ermittlung des jeweiligen Rüstungsstandes ging. Die Verhandlungspflicht aus Art. VI des Nichtverbreitungsvertrages um faßt wohl auch die Pflicht, der anderen Seite die erforderlichen Informationen zu geben, also je nach den Umständen bestimmte Auskünfte zu erteilen. Insoweit ist die Verpflichtung aus Art. VI aber restriktiv auszulegen, da die Staaten nicht verpflichtet sein sollten, "ihre Karten offen auf den Tisch zu legen". 3. Abrupter Abbruch laufender Verhandlungen

Im Laufe der langjährigen Verhandlungen haben die Staaten mehrfach gedroht, die Verhandlungen abzubrechen. Ende 1983 verließ die Sowjetunion tatsächlich von einem Tag zum anderen die INF- und START-Gespräche. Zu diesem Zeitpunkt stockten die Verhandlungen in Genf. Die USA begannen deshalb in Ausführung des NATO-DoppelbeschlussesS75 mit der Stationierung der - den Verhandlungsgegenstand bildenden - Mittelstreckensysteme in einigen europäischen Ländern. Daraufhin brach die Sowjetunion sowohl die INF- als auch die START-Verhandlungen ab, ohne eine Wiederaufnahme in Aussicht zu stellen. Die Pflicht, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen, beinhaltet, daß die Verhandlungspartner um eine Einigung ernsthaft bemüht sein müssen. Sie dürfte aber kaum soweit gehen, daß die Staaten zum Abschluß eines Vertrages verpflichtet sind.s76 Die Staaten können nicht für immer und ewig an Verhandlungen festgehaIten werden. Ein Abbruch wird allerdings dann unredlich sein, wenn der nicht mehr interessierte Staat schuldhaft das Vertrauen auf das Zustandekommen des Vertrages erweckt hat. Ein solcher Vertrauenstatbestand könnte beispielsweise vorliegen, wenn der Abschluß nur noch eine bloße Formsache ist oder wenn der Vertragsschluß von dem nunmehr verhandlungsunwilligen Staat bereits als sicher hingestellt worden ist. Eine derartige Situation war im konkreten Fall jedoch nicht gegeben: Die Verhandlungen standen erst noch am Anfang; keine der beiden Staaten durfte STS Kommunique der Sondersitzung der Außen- und Verteidigungsminister der NATO vom 12. Dezember 1979, abgedruckt in: von Münch, Nr.lS. ST6

Vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdnr. 61.

11 Schmidt am Busch

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

162

mit dem baldigen und unkomplizierten Abschluß eines INF-Abkommens rechnen. Gleiches gilt auch für die START-Verhandlungen. Da sie unmittelbar mit den INF-Verhandlungen zusammenhingen, mußten die Amerikaner damit rechnen, daß sich Schwierigkeiten bei den INF-Gesprächen auch auf diese Verhandlungen auswirken würden. 11. Pflicht, das Vertragsziel nicht zu vereiteln, Art. 18 WÜV

Gern. Art. 18 wüVS77 bestand für die USA und die Sowjetunion jeweils die Pflicht, Ziel und Zweck eines Vertrages vor seinem Inkrafttreten nicht zu vereiteln. Bei dem Vereitelungsverbot handelt sich um eine Rechtspflicht und nicht nur um eine Verpflichtung aus Treu und Glauben.578 1. Anwendbarkeit

Die Regel des Art. 18 WÜV wird allgemein als Gewohnheitsrecht angeseGerade auch von den USA und der Sowjetunion wurde der gewohnheitsrechtliche Charakter des Vereitelungsverbots anerkannt.hen.5~

2. Geltung

a) Entstehungszeitpunkt der Verpflichtung Die Pflicht aus Art. 18 WÜV gilt ab Unterzeichnung. Teilweise wird diskutiert, ob Art. 18 WÜV analog auf den Zeitraum während der Verhandlungen angewendet werden kann. Eine analoge Anwendung würde eine Lücke voraussetzen, die hier nicht vorliegt.5I1 Zum einen läßt sich in diesem Stadium häufig gar nicht genau sagen, welche Handlungen das Vertragsziel vereiteln

sn Zur Entstehungsgeschichte des Art. 18 WÜV ausführlich Turner, VirgJIL 21 (1981), S.759769; Goller-Calvo/Calvo, S. 210-213. 578 Näher hierzu Morvay, ZaöRV 27 (1967), S.458 zu Art. 15 des ILC-Entwurfs; Hassan, VirgJIL 21 (1981), S.458; Goller-Calvo/Calvo, S.210-213; Turner, VirgJIL 21 (1981), S.764f.; Charme, The George Washington Journal of International Law and Economics 25 (1991), S.94f.

S79 Vgl. nur Charme, The George Washington Journal of International Lawand Economics 25 (1991), S.74-85, mit zahlreichen Nachweisen in Fn.19. AA. wohl Sinclair, S.43. 580

Ausführliche Nachweise bei Turner, VirgJIL 21 (1981), S.763, 765-769; Goller-Calvo/Calvo,

581

Zur Analogie im Völkerrecht siehe Fastenrath, S.l34ff.

S.213.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

163

würden, da die Ziele im einzelnen noch gar nicht feststehen - es wird ja noch verhandelt. Zum anderen würde eine Pflicht entsprechend Art. 18 WÜV die Staaten in ihrer Handlungsfreiheit zu sehr. einschränken. Erst mit der Unterzeichnung eines Vertrages hat sich das Band zwischen den Verhandlungspartnern so verstärkt, daß es gerechtfertigt erscheint, ein Vereitelungsverbot anzunehmen. Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte des Art. 18 WÜV dagegen. Der Vorläuferartikel, der die Pflicht auch für den Zeitraum der Verhandlungen festschrieb, ging den Staaten entschieden zu weit, so daß dieser Punkt auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz nicht in das WÜV aufgenommen wurde.SIl b) Ende der Verpflichtung Die eingeschränkten Bindungen aus Art. 18 WÜV gelten so lange, bis der Vertrag in Kraft tritt bzw. die Ratifizierung von einem Unterzeichnerstaat endgültig abgelehnt wird, (genauer:) bis ein Unterzeichnerstaat seine Absicht klar zu erkennen gibt, nicht Vertragspartei zu werden.583 In der Regel betrug bei den bilateralen RüstungskontroUverträgen der Zeitabstand zwischen Unterzeichnung und Ratifikation sechs Monate. Einige Abkommen wurden allerdings erst nach langer Zeit bzw. am Ende gar nicht ratifiziert, so daß hier lange Zeit Bindungen nach Art. 18 WÜV bestanden: - Bei den Testschwellenverträgen galt das Vereitelungsverbot fast 15 Jahre lang.5f4 Die Ratifizierung dieser Verträge war nie endgültig abgelehnt worden. Nachdem die heiden Staaten sich schließlich auf neue VerifIkationsprotokolle geeinigt hatten, traten die Verträge im Dezember 1990 endlich in Kraft. Tatsächlich haben sich die USA bei den Testschwellenverträgen stets zu der Verpflichtung aus Art. 18 WÜV bekannt.585 582

Vgl. hierzu Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rdnr. 23.

Oft läßt sich nicht ohne weiteres feststellen, wann ein Staat eine solche Absicht klar zu erkennen gegeben hat. 583

S84

Vgl. Bothe, Berichte DGVR 30 (1990), S.73 und 74; Neuhold, S.433.

Im Bericht des Präsidenten an den Kongreß ·Soviet noncompliance with arms control agreements· vom 10. März 1987, Department of State Bulletin, Juni 1987, S. 37ff.,41, heißt es: .... neither Party has indicated an intention not to ratify. Therefore, both Parties are subject to the obligation under customary international law to refrain from acts that would defeat the object and purpose of the Threshold Test Ban Treaty". Vgl. auch die Aussage von Barker (Assistant to the Secretary of Defense) vor dem Senatsausschuß für Auswärtige Angelegenheiten, Threshold Test Ban Treaty and Peaceful Nudear Explosions Treaty, Hearings, S.43f. Ebenso Senator McClure, ebd., S.152f., der darüber hinaus weitergehende rechtliche Bindungen annimmt. 58S

164

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

- Beim SALT lI-Abkommen bestand eine solche Pflicht so lange, bis Präsident Reagan die Ratiflzierung ablehnte,S116 nämlich bis zum Mai 1982.517 Beim zugehörigen Protokoll endete diese Pflicht allerdings schon am 31. Dezember 1981, weil dann das Protokoll abgelaufen wäre.518 Wenn Präsident Reagan die Begrenzungen auch darüber hinaus noch einhielt, war das jedenfalls anders motiviert. Die bewußte Hinauszögerung der Ratiflkation von SALT 11 änderte nichts an der Verpflichtung des Art. 18 WÜV.S19 In der Praxis sind sowohl Präsident Carter als auch Präsident Reagan von einer Bindung nach Art. 18 WÜV ausgegangen. S90 3. Inhalt der Verpflichtung aus Alt. 18 WÜV

Die Vorschrift des Art. 18 WÜV ist sehr vage formuliert und wirft deshalb im konkreten Fall zahlreiche Fragen aue'· Feststeht nur, daß Art. 18 WÜV keine Verpflichtung zur vollen Vertragserfüllung bedeutet.S92 a) Ziel und Zweck Die Begriffe "Ziel" und "Zweck" eines Vertrages sind nicht näher deflniert, obwohl sie in verschiedenen Artikeln des WÜV verwendet werden. Unklar ist, ob diese Begriffe eine Formel darstellen oder unterschiedliche Bedeutungen haben. Während in der Regel die Begriffe synonym verwendet werden,593 wollen manche wie folgt unterscheiden: "Zweck" meine die sich unmittelbar aus den einzelnen Bestimmungen ergebenden Verpflichtungen, "Ziel" umfasse das, was die Parteien langfristig mit dem gesamten Vertrag erreichen woll-

586 Eine solche Bindung nehmen auch VerdrossjSimma, § 705, an, die allerdings auch sehen, daß darüber hinaus eine Bindung bestanden haben könnte, ebd., Fn.17. Ebenso Bothe, Berichte OGVR 30 (1990), S.TI; Turner, VirgJIL 21 (1981), S.769ff.; Goller-CalvojCalvo, S.216ff.; Neulwld, S.433; Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdnr. 62. 5If1 Siehe unten 3.Teil, 2Abschn., c.1.3. Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdnr. 62, geht von einem anderen Zeitpunkt aus, nämlich 1986.

588

Goller-CalvojCalvo, S.217 Fn.947.

sw.I

Ebd., S.22l.

S90

Siehe die Angaben bei Turner, VirgJIL 21 (1981), S.769f.

.9)1 So die Kritik von Goller-CalvojCalvo, S.214; Nisot, RBDI 6 (1970), S501; Charme, Tbe George Washington Journal of International Lawand Economics 25 (1991), S.74ff.

.9)2

Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rdnr. 23.

.9)3

Vgi. Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rdnr. 23; Köck, Vertragsinterpretation, S.39.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

165

tenm - also letztlich eine Unterscheidung zwischen konkretem und abstraktem Zweck. Die Bedeutung dieser Begriffe wird man jeweils im Zusammenhang mit der vertragsrecht lichen Norm ermitteln müssen. Bei Art. 18 WÜV sind sie deshalb eher eng zu verstehen. Ziel dieser Bestimmung ist es, die Durchführung des Vertrages sicherzustellen. Art. 18 WÜV läuft deshalb auf einzelne Handlungs- und Unterlassungspflichten hinaus, aber eben nicht auf die Vorabanwendung des Vertrages. Würde man bei dieser Vorschrift sämtliche abstrakten Zwecke mitberücksichtigen, wie z.B. die schrittweise Verwirklichung einer allgemeinen und umfassenden Abrüstung, wären die Vertragsparteien praktisch schon voll an den Vertrag gebunden. Für die hier vertretene enge Auslegung spricht auch, daß in Art. 15 des ILC-Entwurfs von 1966 nur der Begriff "object" auftauchte, während in den übrigen Vorschriften über Vorbehalte (Art.16) und Auslegung (Art.27) beide Begriffe zu fmden waren. Ziel und Zweck eines Vertrages dürfen nicht abstrakt aus dem Zusammenhang ermittelt werden, sondern müssen sich aus dem konkreten Vertrag ergeben. Sie sind unmittelbar dem Vertragstext zu entnehmen.Danach ergibt sich für die bilateralen Rüstungskontrollverträge folgendes: Ihr Ziel und Zweck ist - allgemein für diese Verträge formuliert - die verifIzierbare Durchführung der vereinbarten Rüstungskontrollmaßnahmen, also insbesondere der konkreten Teststopp-, Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsverpflichtungen. Die Verträge verfolgen somit zwei Ziele: (1.) Rüstungskontrollmaßnahmen bei (2.) adäquater VerifIkation. Diese beiden Zwecke können bei bestimmten Maßnahmen vor Inkrafttreten des Vertrages miteinander in Konflikt geraten. Dazu ein Beispiel: Schon vor Inkrafttreten des INF-Vertrages begarm die Sowjetunion mit der Eliminierung einiger RaketensystemeS96 , da sie die Vernichtung sämtlicher zu zerstörender Raketen in dem festgesetzten Zeitraum von drei Jahren angeblich nicht geschafft hätte. Diese Vorgänge konnten von den USA nicht verifIziert werden, da die Inspektionsvorschriften noch nicht in Kraft waren.S!17 Hat die Sowjetunion durch diese Maßnahme ihre Verpflichtung aus Art. 18 WÜV verletzt?

.9)4 Yasseen, RdC 151 (1976-III), S.55 in bezug auf Art. 31 WÜV unter Verweis auf PCll, Series AlB, No.64, S.17 (Albanische Minderheiten).

595

Goller-CalvojCa/vo, S.216.

Dies berichtete die New York Times am 17. Februar 1988, die Meldung ist abgedruckt in: The INF Treaty, Hearings-Part 3, S.115. Vgl. auch die Aussage von Senator Pressier, The INF Treaty, Hearings-Part 3, S.40. S96

166

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

Wenn ja, würde das bedeuten, daß die Staaten bis zum Inkrafttreten eines Rüstungskontrollabkommens bzw. bis zur endgültigen Ablehnung seiner RatifIZierung die dort festgeschriebenen Rüstungskontrollmaßnahmen nicht vornehmen dürfen - ein Zustand, der, wie gerade SALT II und die Testschwellenverträge zeigen, sich über Jahre hinziehen kann. Auf diese Weise würden Maßnahmen der Rüstungskontrolle für längere Zeit blockiert, das genaue Gegenteil, von dem, was durch die Verträge erreicht werden soll. Aus diesem Grund ist in solchen Fällen dem Ziel "Rüstungskontrolle" der Vorzug zu geben. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Vorabmaßnahmen einen Umfang annehmen, der darauf schließen läßt, daß der Staat die Verifikationsbestimmungen ganz offensichtlich umgehen will. SM - Letztlich liegt hier eine Vertragslücke vor, weil die Staaten an solche Fälle nicht gedacht haben. Diese Lücke können sie jedoch schließen, indem beispielsweise der handelnde Staat dem anderen schon vorab gewisse Inspektionen erlaubt und in Zukunft solche Situationen ausdrücklich geregelt werden. b) Vertrag und begleitende Erklärungen Fraglich ist, inwieweit die Verpflichtung aus Art. 18 WÜV für die die Abkommen begleitenden, gemeinsamen und einseitigen Erklärungen gilt.S99 Gerade die vereinbarten Verständniserklärungen sollten ganz bewußt nicht Vertragsbestandteile werden.~ Andererseits ergeben sie für sich allein keinen Sinn, sind also in ihrer Gültigkeit von dem zugehörigen Abkommen abhängig. Abgesehen davon werden bei einer Verletzung dieser Erklärungen in der Regel auch bestimmte Ziele und Zwecke des Abkommens gefährdet sein, denn letztlich konkretisieren und ergänzen sie nur die Verpflichtungen aus dem eigentlichen Abkommen. Ebenso dienen auch einseitige Absichtserklärungen der Verwirklichung der Vertragsziele, wie gerade die Backfrre-Erklärung zeigt. Aus diesen Gründen erstreckt sich die Verpflichtung aus Art. 18 WÜV eben auch auf die begleitenden Erklärungen.

m Nach dem INF-Vertrag bestehen vor Inkrafttreten des Vertrages nur Inspektionsrechte hinsichtlich bestimmter ehemaliger Dislozierungsgebiete und Einsatzbasen. 598 VgI. hierzu die Aussage von Harris (Rand Corp.) vor dem Senatsausschuß für auswärtige Angelegenheiten, Tbe INF Treaty, Hearings-Part 3, S.141.

S99 Ohne sich diese Frage überhaupt zu stellen, gehen Goller-CalvojCalvo, S.218, und Turner, VirgJIL 21 (1981), S.776, bei Nichteinhaltung der Backfire-Erklärung von einer Verletzung des Art. 18 WÜV aus. 600

Siehe oben 2.Teil, 3Abschn., 8.1.

2. Abschn.: Abschluß und InkrafUreten der Verträge

167

c) Vereiteln Nach Art. 18 WÜV dürfen Maßnahmen nicht vorgenommen werden, die den Vertragszweck in Frage stellen. Bei der sich aus dieser Vorschrift ergebenden Pflicht handelt es sich in der Regel um eine UnterIassungspflicht.~l Unter Umständen können aber auch bestimmte Handlungspflichten bestehen. Zur Beantwortung der Frage, ob durch eine Maßnahme vor Inkrafttreten eines Vertrages Ziel und Zweck dieses Vertrages "vereitelt" werden, lassen sich verschiedene Kriterien heranziehen. aa) irreversibility Einhellig wird die Auffassung vertreten, die Vorschrift verbiete "irreversible violations of the terms of the treaty"."z Danach sind selbst Maßnahmen erlaubt, die gegen den Wortlaut des Vertrages verstoßen, wenn sie bis zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens wieder rückgängig gemacht werden können. Mit anderen Worten: es sind Maßnahmen verboten, die eine Erfüllung der Vertragsverpflichtungen bei Ratifikation unmöglich machen.~J Insoweit ist Art. 18 WÜV eben eng auszulegen, da mit der Unterzeichnung gerade noch nicht die volle Bindung an den Vertrag gewollt ist. Bei den Rüstungskontrollverträgen bedeutet dies im einzelnen: - Die Staaten sind vor Inkrafttreten eines Abkommens nicht an die darin vereinbarten Höchstgrenzen gebunden. Sie können diese ohne weiteres überschreiten, da die überzähligen Systeme bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens wieder vernichtet werden können.604 Tatsächlich muß der Staat dann dazu auch in der Lage sein.60S

601 Sonst hätte Art. 18 WÜV wie folgt fonnuliert werden müssen: .... aState is obliged to take all actions (or measures) necessary to avoid the defeat of the object and the purpose of a treaty", vgI. Goller-CalvojCalvo, S.214. 602

Turner, VirgJIL 21 (1981), S.764; Goller-CalvojCalvo, S.216.

60J

Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdnr.62.

168

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

Das gleiche gilt, wenn einige der von einem Abkommen erfaßten Waffensysteme noch vor Inkrafttreten des Vertrages so umgebaut bzw. umfunktioniert werden, daß sie dem Vertrag entzogen werden.~ In der Regel können diese Maßnahmen wieder rückgängig gemacht werden, ohne daß dem betreffenden Staat irgendwelche Vorteile verbleiben.6G7 In diesem Fall bereitet die Verneinung einer Verletzung des Art. 18 WÜV jedoch Unbehagen, vor allem dann, wenn der betreffende Staat zu erkennen gibt, daß er nicht daran denkt, die Maßnahmen wieder aufzuheben. Während im Aufrüstungs-Fall mit Inkrafttreten des Vertrages die über die Höchstgrenzen hinausgehenden Systeme vernichtet werden müssen, fallen die umgebauten bzw. umfunktionierten Systeme ganz aus dem Anwendungsbereich des Vertrages; anders als im Aufrüstungs-Beispiel kann der andere Staat hier nicht mit Inkrafttreten die Rückgängigmachung der Umfunktionierung verlangen. Spätestens aber mit Inkrafttreten wird man eine Verletzung des in den Abkommen verankerten Umgehungsverbots annehmen können. Abgesehen davon kann der andere Staat ja ~10n der Ratifizierung absehen, wenn der betreffende Staat nicht bereit ist, den alten Zustand rechtzeitig wiederherzustellen. - Aufgrund des Art. 18 WÜV gelten Testverbote schon ab Unterzeichnung.- Sinn solcher Verbote ist es, eine qualitative Weiterentwicklung von Waffen zu vermeiden.609 Insbesondere soll verhindert werden, daß durch technische Vorsprünge auf seiten eines Staates das Prinzip der gegenseitigen Sicherheit in Frage gestellt wird. Diese Ziele sind gefährdet, wenn die Staaten

604 Turner, VirgJIL 21 (1981), S.764 und 774; Gofler-CalvojCalvo, S.217; so auch Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdnr. 62.

605 Eine Verletzung des Art. 18 WÜV nimmt Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdnr. 62, daher bei der Dislozierung großer Mengen der unter die Obergrenzen fallenden Waffensysteme an. 606 Diese Frage war im bilateralen Kontext bisher kaum problematisch, wurde aber im Zusammenhang mit dem multilateralen Vertrag über konventionelle Waffen in Europa diskutiert. Vor allem in zwei Punkten soll die Sowjetunion hier Art. 18 WÜV verletzt haben: Verlagerung von mehr als der Hälfte der erfaßten Bestände aus dem Vertragsgebiet westlich des Ural in den asiatischen Teil der Sowjetunion; drei Schützendivisionen des Heeres mit rund 1000 Kampfpanzern wurden kurzerhand zu Marine-Küstenschutz-Divisionen erklärt und mit MarineUniformen ausgestattet, vgl. FAZ Nr.47 vom 25.02.1991, S.12.

(i)7 So können beispielsweise diese Marine-Küstenschutz-Divisionen ohne weiteres wieder zu Schützendivisionen des Heeres erklärt werden. Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdnr. 62, schließt dies bei der Umstellung nuklearer Waffensysteme auf einen völlig neuen Typ eher aus.

608 Dies gilt für einzelne Testverbote im SALT lI-Abkommen, vor allem aber für die Verbote in den Testschwellenverträgen, so Turner, VirgJIL 21 (1981), S.TI6f. fDJ

Vgl. oben 2.Teil, 2Abschn., A.III.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

169

bis zum Inkrafttreten ihre Tests weiter durchführen können,'·' zumal bis dahin oft eine beträchtliche Zeit vergeht. Die inzwischen gewonnenen Erfahrungsdaten können nicht wieder aus der Welt geschafft werden; ihre Verwertung läßt sich kaum verhindern. - Aus dem gleichen Grund gelten auch die in den Abkommen statuierten Forschungsverbote bereits ab der Unterzeichnung, denn Wissen ist nicht vernichtbar.'ll - Schwierigkeiten bereitet schließlich die Frage, ob Art. 18 WÜV verletzt ist, wenn ein Staat vor dem Inkrafttreten durch das Abkommen untersagte Verschleierungsmaßnahmen ergreift. So hat die Sowjetunion beispielsweise bei bestimmten Testversuchen entgegen den Bestimmungen im SALT lI-Vertrag die telemetrischen Daten verschlüsselt.612 Einerseits waren die USA zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu Verifikationsmaßnahmen nach dem Abkommen berechtigt; andererseits hatten sie ein Interesse daran, die Einhaltung der im SALT lI-Vertrag vereinbarten Testverbote zu überprüfen, die gemäß Art. 18 WÜV schon ab Unterzeichnung bestanden. Die Einhaltung von Verboten, die ab Unterzeichnung gelten - wie eben vereinbarte Testverbote -, muß auch schon vor Inkrafttreten von den Vertragsparteien verifiziert werden dürfen. Verschleierungsmaßnahmen fallen deshalb dann unter das Verbot von Art. 18 WÜV, wenn sie bewirken, daß der andere Staat nicht nachprüfen kann, ob die schon vorab geltenden Verbote beachtet werden. Diese Überprüfungsmöglichkeit ist nicht mehr nachholbar; sofern ein Staat tatsächlich schon geltende Verbote umgangen hat, hat er sich bleibende, ihm nicht zustehende Vorteile verschafft.6IJ bb) gravity of violation Darüber hinaus wird z.T. als erforderlich erachtet, daß es sich bei der nicht wieder rückgängig zu machenden Verletzung der Vertragsziele um eine solche von einigem Gewicht handeln muß: "The gravity of the violation must be

610 Owen (U.S. Department of State Legal Adviser), Memorandum vorn 21.02.1980, in Auszügen abgedruckt bei: Turner, VirgJIL 21 (1981), S.769; Turner, ebd., S.764,771,774 mit zahlreichen Beispielen von SALT 11; Goller-CalvojCalvo, S.217. 611 Turner, VirgJIL 21 (1981), S.764,771; Goller-CalvojCalvo, S. 217. 612

Vgl. die Angaben bei Turner, VirgJIL 21 (1981), S.775.

So im Ergebnis Turner, VirgJIL 21 (1981), S.775 Fn.201, der aber keine Begründung für seine Auffassung gibt. 613

170

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

weighted in light of the totality of the treaty's provisions"."4 Nicht jede Verletzung der Vertragsziele wird also von Art. 18 WÜV erfaßt, sondern nur schwerwiegende Verstöße: •... the applicability of this principle to the various provisions of the Treaty must, of course, be judged on a case by case basis in light of the specific circumstances prevailing at the time of any given action. Some actions incompatible with provisions of the Treaty which, in the abstract, might appear not to defeat its object and purpose, might, in combination with other actions, so alter the strategie situation as to amount to a violation of the principle of article 18, conversely, other actions which, in the abstract, seem to threaten the Treaty's fundamental object and purpose, might, under the circumstances, not have this effect ... ".'Jfj

Ob Ziel und Zweck des Vertrages vereitelt werden, kann deshalb nur im konkreten Fall entschieden werden. Dies ist aber nicht ganz unproblematisch; denn es dürfte häufig sehr schwierig sein zu bestimmen, ab wann eine Verletzung so schwer wiegt, daß sie von Art. 18 WÜV erfaßt wird. Soll hier allein die Quantität ausschlaggebend sein? Konkreter gefragt: Sind Ziel und Zweck eines Abkommens schon bei einem oder erst bei fünf - oder gar erst bei hundert Verstößen gegen ein Testverbot in Frage gestellt? ce) Absicht erforderlich? Diskutiert wird, ob für eine Verletzung des Art. 18 WÜV nötig ist, daß der betreffende Staat bewußt die Vertragsziele umgehen wollte, ihm also eine entsprechende Absicht nachgewiesen werden muß.'!' Wörtlich verbietet Art. 18 WÜV "acts which would defeat the object and the purpose ofthe treaty". Danach stellt er allein auf die Wirkung einer Handlung ab. Sinn dieser Bestimmung ist es, die Verwirklichung eines bereits unterzeichneten Vertrages - bis er endlich in Kraft tritt - sicherzustellen. Diese ist immer dann gefährdet, wenn Handlungen vorgenommen werden, die einzelne Bestimmungen verletzen und nicht wieder rückgängig gemacht werden können,617 - unabhängig von dem, was der handelnde Staat mit seiner Handlung beabsichtigt. Daraus ist zu folgern, daß nicht nur bewußte Umgehungshand-

614

Goller-Calvo/Calvo, S.218.

Legal Adviser of the State Department Owen, zitiert nach: Go/Ier-Calvo/Calvo, S.219. Ein Beispiel für diese Vorgehensweise liefert Turner, VirgJIL 21 (1981), S. 769-m, der die von beiden Staaten behaupteten Verletzungen von SALT 11 daraufhin untersucht, ob sie Art. 18 WÜV verletzen. 615

616

Rogo/f, Maine Law Review 32 (1980), S.298/9; Goller-Calvo/Calvo, S.216.

617

Siehe die ersten beiden Kriterien.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

171

lungen verboten sind, sondern die Staaten zudem veranlaßt werden sollen, die Wirkung ihrer Handlungen vorab zu überdenken. Dieses Ergebnis bestätigt auch die Entstehungsgeschichte des Art. 18 WÜV. SO war in den Vorläuferartikeln'" stets die Rede von !tacts tending to defeat the object and purpose of a treaty" - eine Formulierung, die in die jetzige Fassung des Art. 18 WÜV nicht mehr aufgenommen wurde. Man hatte bereits damals erkannt, daß eine entsprechende Absicht den Staaten nur selten nachgewiesen werden kann.'" IH. Pnicht des Unterzeichnerstaates zur RatulZierung?

Es ist heute unbestritten, daß sich aus der Unterzeichnung eines Vertrages keine Rechtspflicht zur Ratifikation ergibt, während früher die Klassiker des Völkerrechts eine Rechtspflicht des Souveräns zur Ratifikation eines unterzeichneten Vertrages annahmen.'ZG Der Unterzeichnerstaat ist vielmehr frei in der Vornahme oder Ablehnung der RatifIkation. Eine solche Pflicht besteht allerdings dann, wenn sie beispielsweise in einem vorangegangenen Vertrag vereinbart wurde. Ebenfalls abgelehnt wird auch eine Verpflichtung der Regierung zur Förderung des Vertragsprojekts. Die Freiheit, den unterzeichneten Vertrag zu ratifizieren oder abzulehnen, enthalte auch die Befugnis der Regierung, sich bei einer weiteren Überprüfung des unterzeichneten Abkommens gegen die RatifIkation auszusprechen und von weiteren Schritten, insbesondere der Vorlage im Parlament, abzusehen.'21 Die USA waren somit keineswegs zur Ratiftzierung der Testschwellenverträge und des SALT lI-Abkommens verpflichtet. Ebensowenig haben sie sich völkerrechtswidrig verhalten, indem erst Präsident Carter und dann Präsident Reagan die innerstaatliche Ratifizierung verzögerten bzw. die Zustimmungsvorlage schließlich ganz zurückzogen. w 618

Art. 15 des ILC-Entwurfs von 1965.

619

Zu diesem Problem Rogoff, Maine Law Review 32 (1980), S.299; Goller-CalvojCalvo, S.216.

Vgl. McNair, S.I34f.; Bemhardt, Bindungen, ZaöRV 18 (1958), S.659f.; Nisot, RBDI 6 (1970), S.499; Hassan, VirgJIL 21 (1981), S.459-464; Turner, VirgJIL 21 (1981), S.759. 620

621

Bemhardt, Bindungen, ZaöRV 18 (1958), S.669.

Die Verzögerung war allerdings verfassungsrechtlich nicht ganz unproblematisch: Durch die Entscheidung Präsident Carters, die RatifIZierung des SALT lI-Abkommens hinauszuzögern, verlängerten sich die Bindungen der USA an das Abkommen aufgrund Art. 18 WÜV in einer Zeit, in der die RatifIZierung und damit das Inkrafttreten des Abkommens durch den amerikanischen Senat sicher verhindert worden wäre. Indem Carter weiter an der RatifIZierung festhielt, könnte er. seine verfassungsmäßigen Rechte überschritten bzw. zumindest Sec. 33 des Arms 622

172

3. Teil: Rechtliche Betrachtung IV. VerpRichtungen aus Treu und Glauben

Im vorvertraglichen Bereich können ansonsten im Einzelfall Verpflichtungen aufgrund von Treu und Glauben bestehen. 1. Geltung von Treu und Glauben im vorveTtraglichen Bereich

Einige Autoren haben festgestellt, daß das ganze Verfahren zwischen der Einleitung von Vertragsverhandlungen bis zum Inkrafttreten der Vereinbarung zwar keinen festen Rechtsvorschriften unterliege, sich andererseits aber auch nicht im rechtsleeren Raum abspiele. Wie im innerstaatlichen Recht müßten auch im Völkerrecht einige Grundregeln - wie beispielsweise Treu und Glauben - beachtet werden, die der Völkerrechtsordnung immanent seien, und ohne die der moderne Rechtsverkehr überhaupt nicht möglich wäre.ru Durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen rücken die potentiellen Vertragspartner näher zusammen als es im allgemeinen, nicht vertraglichen Verkehr zwischen Völkerrechtssubjekten der Fall ist. Die Verhandlungspartner schaffen ein loses Band, das entweder nur bis zum endgültigen Scheitern des Vertragsprojekts erhalten bleibt oder sich durch Unterzeichnung und Ratifikation weiter verstärkt und schließlich durch das Inkrafttreten des Vertrags zur festen rechtlichen Bindung wird. Mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen entsteht zwischen den Parteien ein besonderes Vertrauensverhältnis, das die Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes rechtfertigt.614 Somit ist während des ganzen Verfahrens im Hinblick auf den Abschluß des Vertrages eine auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhende rechtliche Bindung zwischen den Beteiligten gegeben, aus der konkrete Verhaltenspflichten abgeleitet werden können, die im Einzelfall mit großer Vorsicht festzustellen sind. Pflichten aus Vertrauensschutz können nur im konkreten Fall unter Abwägung der Interessen und unter Würdigung des gegenseitigen Verhaltens der Parteien bestimmt werden.'2.S

Control and Disarmament Act insoweit verletzt haben, vgI. hierzu Turner, VirgJIL 21 (1981), 8.mf.; Goller-CalvojCalvo, 8.219-222. 623

Bemhardt, Bindungen, ZaöRV 18 (1958), 8. 652f.; Müller, 8.154.

624 Ausführliche Begründung bei Bemhardt, Bindungen, ZaöRV 18 (1958), 8.652f.; Müller, 5. 154f.

62S

Bemhardt, Bindungen, ZaöRV 18 (1958), 5.652f.; Müller, 5.154.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

173

2. Bei den Rüstungskontrollverträgen in Betracht kommende Verpflichtungen

Da somit der Grundsatz von Treu und Glauben im vorvertraglichen Bereich gilt, ist zu überlegen, welche Verhaltenspflichten sich im Rüstungskontrollbereich für die Verhandlungspartner im Einzelfall ergeben könnten. Keinesfalls sind die Staaten zufolge dieses Grundsatzes schon vorab zur Vertragserfüllung verpflichtet. Unter Umständen können bestimmte Geheimhaltungspflichten bestehen. Gerade in diesem hochsensiblen Bereich werden die Staaten voneinander erwarten und darauf vertrauen, daß ausgetauschte Daten nicht ohne Einverständnis öffentlich bekanntgegeben und auch nicht an dritte Staaten weitergegeben werden. Im Einzelfall ließe sich aus Treu und Glauben die Pflicht ableiten, schon vor Inkrafttreten des Vertrages der anderen Seite bestimmte VerifIkationsmaßnahmen zu gestatten, wenn es z.B. darum geht, die Einhaltung der Verpflichtungen aus Art. 18 WÜV zu überprüfen.

c.

Inkrafttreten; die Anwendung nicht ratifizierter Verträge

Regelmäßig sind die bilateralen Rüstungskontrollverträge entsprechend dem vereinbarten Verfahren in Kraft getreten. Einige der Verträge wurden jedoch jahrelang nicht oder überhaupt nie ratifiziert bzw. nach Ablauf der Geltungsdauer nicht verlängert und dennoch von den beiden Staaten zeitweilig dem Inhalt nach angewendet. Sowohl die USA als auch die Sowjetunion bekundeten jeweils ihre Absicht, sich an die Bestimmungen dieser Verträge zu halten, solange sich die Gegenseite ebenso verhalte. Es stellt sich deshalb die Frage, wie dieses Verhalten rechtlich zu bewerten ist, nämlich ob durch dieses Verhalten die Verträge rechtlich in Kraft gesetzt wurden. Dafür ist es zunächst nötig, genauer auf die tatsächliche Entwicklung einzugehen.

I.

Die einzelnen Fälle

1. Testschwellenverträge

Die Testschwellenverträge von 1974 und 1976 wurden von den USA nicht ratifiziert, da sie die VerifIkationsmöglichkeiten für unzureichend hielten.

174

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

Beide Seiten erklärten 1976 jedoch ihre Absicht, keine mit den Bestimmungen der Verträge unvereinbaren Maßnahmen vorzunehmen, solange die andere Seite ebenso verfahre.'u Mehr als 14 Jahre lang haben sich die beiden Staaten an diese Erklärungen gehalten, wenngleich sie sich zwischendurch immer wieder gegenseitig einer "Verletzung der Abkommen" bezichtigten.m Die Ratifikation wurde in diesen Jahren von den USA nie abgelehnt.618 Sie wiesen darauf hin, daß die Verträge ratifiziert würden, sobald neue Veriftkationsvereinbarungen getroffen seien. 1990 schließlich wurden zwei neue Protokolle zu diesen Verträgen unterzeichnet. Die Abkommen traten nur wenig später endlich in Kraft. 2. Das Interimsabkommen

Das Interimsabkommen war auf 5 Jahre geschlossen und trat deshalb am 3. Oktober 1977 außer Kraft. Wegen der noch nicht abgeschlossenen SALT lI-Verhandlungen wurde eine offizielle Verlängerung nicht in Betracht gezogen. Durch Erklärungen vom 23. bzw. 24. September 1977 haben die USA und die Sowjetunion aber angekündigt, das Abkommen weiterhin auf der Basis der Gegenseitigkeit anzuwenden. Der amerikanische Außenminister Vance erklärte im Namen seiner Regierung: ·In order to maintain the status quo while SALT II negotiations are being completed, the United States declares its intention not to take anyaction inconsistent with the provisions of the Interim Agreement on Certain Measures with Respect to the Limitations of Strategie Offensive Arms which expires October 3, 1977, and with the goals of these ongoing negotiations provided that the Soviet Union exercises similar restraint.-'29

626 VgI. hierzu Turner, VirgJIL 21 (1981), S.776 Fn.213; HOlhe, Berichte DGVR 30 (1990), S.73 mit Nachweisen. 6ZI

Siehe unten 3.Teil, 7Abschn., B.l.

sagte Reagan Ende 1986: ·1 will still make ratification of these treaties a first order of business for the Congress, with an appropriate reservation to the treaties that would ensure they would not take effect until they are effectively verifiable .... (zitiert nach: Threshold Test Ban Treaty and Peaceful Nuclear Explosions Treaty, Hearings, S.2). 628 So

629 Statement von Secretary Vance vom 23. September 1977, Department of State Bulletin, 7. November 1977, S.642; auch abgedruckt bei: Turner, VirgJIL 21 (1981), S.756 Fn.74, und Goller-Calvo/Calvo, S.183.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

175

Fast wortgleich lautete die von Tass in Englisch veröffentlichte Erklärung der Sowjetunion: ·In accordance with the readiness expressed by both sides to complete within the near future the work on a new agreement Iimiting strategic offensive arms and in the interests of maintaining the status quo while the talks on the new agreement are being conduded, the Soviet Union expresses its intention to keep from any actions incompatible with the provisions of the Interim Agreement on some measures pertaining to limitation of strategic offensive arms which expires on October 3, 1977, and with the goals of the talks that are being conducted, provided that the United States of America shows the same restraint."'JO

In den USA war die Bedeutung dieser Erklärungen umstritten. Einige Senatoren sahen diese als ein de facto agreement und damit als ein executive agreement an, das nach Sec. 33 des Arms Control and Disarmament Act'31 der Billigung des Kongresses bedürfe.m Unter Hinweis auf die Nichtverbindlichkeit der Erklärungen legte Präsident Carter sie jedoch dem Kongreß nicht zur Zustimmung vor.6JJ 3. Das SALT lI-Abkommen Nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan bat Präsident Carter den Senat, den ihm bereits vorgelegten SALT lI-Vertrag zunächst nicht weiter zu behandeln.'14 Am Ziel der Ratifizierung hielt Carter jedoch fest und er-

630 Ebenfalls abgedruckt bei: Turner, VirgJIL 21 (1981), S.756 Fn.74. Deutsche Übersetzung bei: Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr. 8.3.3.5.2. 631

Wortlaut siehe oben Text zu Fn.516.

Einige Senatoren waren der Auffassung, die ·parallel unilateral policy dedaration·-Politik stelle eine Umgehung des amerikanischen Rechts dar, vgl. Goller-CalvojCalvo, S.184f. mit Nachweisen. 632

633 Verschiedene Rechtsexperten unterstrichen diesen Standpunkt. Vgl. z.B. HanselI, Rechtsberater des State Department: •... The language and legislative history of the Act make dear that section 33 is confined to obligatory arms control arrangements effected by binding international agreement entered into pursuant to the Act or other law. It does not purport to limit the constitutional power of the President to take non obligatory measures in connection with conduct of international negotiations. The United States statement of September 23 does not, alone or in conjunction with the Soviet statement, impose an obligation on the United States .... (abgedruckt bei: Goller-CalvojCalvo, S.201). Ähnlich Glennon, Rechtsberater des Auswärtigen Ausschusses des Senats: •... , it will not obligate the United States; the action will be a non-binding, unilateral policy dedaration .... (abgedruckt ebd.).

Vgl. den Brief Präsident Carters an den Senator Robert B. Byrd vom 3. Januar 1980: "The purpose of this request is not to withdraw the Treaty from consideration, but to defer the debate so that the Congress and I as President can assess Soviet actions and intentions,

634

176

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

klärte, daß sich die USA auch an die im Vertrag vorgesehenen Rüstungsbegrenzungen halten würden: "... we intend to abide by the treaty's terms as long as the Soviet Union, as observed by us, complies with those terms as weil. Of course we will seek its ratification at the earliest opportune time.,,635

Reagan nahm jedoch gegenüber dem Vertrag eine grundsätzlich ablehnende Haltung ein6.16 und zog die Zustimmungsvorlage zurück. Im Mai 1982 teilten sein Außenminister und sein Verteidigungsminister dem Senat mit, daß das SALT lI-Abkommen nicht im nationalen Sicherheitsinteresse sei und daher nicht ratifiziert werden solle.637 Darautbin wurde SALT 11 auch von der Sowjetunion nicht ratifiziert.6J8 Beide Seiten erklärten jedenfalls zunächst, weiterhin die Höchstgrenzen der SALT-Verträge beachten zu wollen. Als Reaktion auf Äußerungen Breschnews6.19 erklärte Reagan in einer Rede am 31. Mai 1982 unter anderem: "As for existing strategie arms agreements, we will refrain from actions which undercut them as long as the Soviet Union shows equal restraint.,.640

and devote our primary attention to the legislative and other measures required to respond to this crisis. As you know, I continue to share your view that the SALT 11 Treaty is in the national security interest of the United States and the entire world, and that it should be taken up by the Senate as soon as these more urgent issues have been addressed." Abgedruckt bei: Turner, VirgJIL 21 (1981), S.748 Fn.8. 635 Zitiert nach Bo/he, Berichte DGVR 30 (1990), S.75 Fn. 226. Vgl. auch Turner, VirgJIL 21 (1981), S.748 mit zahlreichen Nachweisen; Vartian, HarvIU 21 (1980), S.448 Fn.103. 636

Siehe die Belege bei Turner, VirgJIL 21 (1981), S.748 Fn.12.

637

Vgl. die Nachweise und Zitate bei Gol/er-Ca/vojCa/vo, S.225.

638

Goller-Ca/vojCa/vo, S.l72.

Breschnew hatte vorgeschlagen, die strategischen Waffen bis zum Beginn der STARTGespräche einzufrieren, vgl. Gol/er-Ca/vojCa/vo, S.225 mit Nachweisen. 639

640 Documents on Disarmament 1982, S.332. Es handelte sich um eine Rede beim Memorial Day Gottesdienst auf dem Arlingtoner Friedhof. Senator Helms warf dem Präsidenten vor, seine Worte bewußt ungenau gewählt zu haben, denn das einzige gültige Rüstungskontrollabkommen ("existing strategie arms agreement") wäre der ABM-Vertrag von 1972; das Interimsabkommen sei längst abgelaufen, SALT 11 nicht in Kraft. Außerdem hätte die Regierung erklärt, SALT 11 sei tot, man könne also kaum von einer "Vereinbarung" sprechen, vgl. den Nachweis bei Gol/erCa/vojCalvo, S.225 Fn.992.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

Interessant ist wiederum die inneramerikanische Behandlung dieser Erklärung. Im Kongreß wurde auch dieses Mal darüber gestritten, ob es sich um ein executive agreement im Rüstungskontrollbereich handelt, das nach dem Arms Control and Disarmament Act zustimmungsbedürftig wäre. Während Vertreter des Repräsentantenhauses auf eine volle RatifIzierung drängten64\ lehnten die mit diesen Fragen befaßten Senatsausschüsse schließlich eine Zustimmungsbedürftigkeit der Erklärung des Präsidenten gemäß des Arms Control and Disarmament Act ab: Diese stelle lediglich eine "informal restraint policy" dar, die wegen des vom Vertragstext vorgesehenen Geltungsablaufs nicht das Protokoll zu SALT Itc, sondern nur das SALT II-Hauptabkommen erfasse. Eine solche Politik entspräche dem allgemeinen Vertragsrecht, wie sich aus Art. 18 WÜV ergebe.64l Beide Seiten haben sich über Jahre an die Bestimmungen gehalten, insbesondere wurden auch die NotifIkationspflichten des Vertrages erfüllt.644 Allerdings haben sich die heiden Staaten immer wieder gegenseitig der Verletzung ihrer Verpflichtungen aus SALT 11 beschuldigt bzw. solche Beschuldigungen bestritten.64S Unter Hinweis auf sowjetische Verletzungen der Abkommen überschritten die USA 1986 durch Inbetriebnahme eines Bombers die vorgesehene SALT II-Obergrenze und gaben bekannt, daß sie diese Grenzen nicht mehr beachten würden. In der Erklärung klingt jedoch an, daß sich die USA von den Bindungen nicht völlig lossagen wollten: "1be President has detennined that given the decision he has been forced to make by the lack of Soviet reciprocity, the U.S. williater this year continue deployment of B-52 heavy bombers with cruise missiles beyond the BIst aircraft, without dismantling additional V.S. systems under the tenns of the SALT 11 agreement ... (T)he Vnited States will continue to exercise the utmost restraint, while ensuring the credibility of our strategie deterrent, in order to help foster the necessary atmosphere for significant reductions in the offensive nuc1ear arsenals of both sides.'-

641

Bericht vom 19. Juli 1982, Documents on Disannament 1982, S.452ff.

642

Geltungsablauf wäre der 31. Dezember 1981 gewesen.

643 Report of the Senate Committee on Foreign Relations vom 12. Juli 1982, Documents on Disannament 1982, S.439. 644 SIPRI Yearbook 1986, S.69f.; Bertram, VS-Soviet nuclear anns control, SIPRI Yearbook 1987, S.323f., 334ff. 64S Ebd. 646 White House Press Release vom 27. Mai 1986, zitiert nach: Bothe, Berichte DGVR 30 (1990), S.76. Noch deutlicher wird das Abgehen von der "interim restraint policy" in folgender Erklärung Reagans: "1be Vnited States announced in May 1986 that it would henceforth base

12 Schmidt am Busch

178

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

üb dies das Ende der "informal restraint polier' sein sollte, wird nicht klar. Die Sowjetunion hingegen erklärte, daß sie sieh - jedenfalls zunächst -weiterhin an die Rüstungsgrenzen von SALT 11 halten werde, obwohl sie nach der amerikanischen Überschreitung dazu nicht mehr verpflichtet sei.647 Ab 1987 wurde in den US-Erklärungen über die Einhaltung von Rüstungskontrollverpflichtungen auf das Interimsabkommen und SALT 11 nicht mehr eingegangen: "Now that we have put the SALT I ... Interim Agreement and the SALT 11 Treaty behind us, Soviet activities with respect to those agreements are not treated".648 11. Rechtliche Bewertung

Die obige Darstellung zeigt, daß diese nicht in Kraft getretenen bzw. nicht verlängerten Abkommen dennoch von den bei den Staaten dem Inhalt nach (weiter) angewendet wurden. Beim Interimsabkommen liegt der Fall etwas anders als in den anderen beiden Fällen, doch ist die rechtliche Problematik in allen Fällen gleich. Die weitere Anwendung des Abkommens nach Ablauf seiner Geltungsdauer ist letztlich wie eine Änderung der Bestimmung über die Geltungsdauer zu werten, für die in der Regel die gleiche Regelung wie für das Inkrafttreten gilt. Daher wird dieser Fall hier zusammen mit den anderen Fällen untersucht. Zentrale Frage ist, ob die bloße Anwendung der Abkommen zu einer rechtlichen Bindung der heiden Staaten an die Abkommen geführt hat. Dann müßte es sieh entweder um ein stillschweigendes Rechtsgeschäft (unten 1.), um die Erzeugung von Gewohnheitsrecht (unten 2.) oder um einen Tatbestand handeln, dem unter den Gesichtspunkten des Verkehrs- und Vertrauensschutzes eine rechtliche Bindung zugeschrieben werden kann (unten 3.).649 decisions regarding its strategic force structure on the nature and magnitude of the threat posed by Soviet strategic forces and not on the standards contained in the expired SALT I interim agreement and the unratified SALT 11 treaty." (zitiert nach dem damaligen Außenminister Shultz, The INF Treaty, Hearings-Part I, S.45). 647

Erklärung vom 5. Dezember 1986, vgl. SIPRI Yearbook 1987, S.456.

Bericht des US-Präsidenten an den Kongreß "Soviet compliance with arms control agreements" vom 2. Dezember 1987, Department of State Bulletin, Män 1988, S.5lff., 52. 648

649 Die Abgrenzung zwischen diesen Möglichkeiten ist in der Praxis nicht leicht. So haben StlGH und IGH in ähnlichen Fällen eine Bindung festgestellt, ohne sich genau festzulegen, ob diese Bindung auf der Wirkung schlüssigen Verhaltens im Rahmen einer formlosen Vertragsabrede beruhe oder ein Ausfluß des estoppel-Prinzips sei, vgl. nur den Ostgrönlandfall, Legal Status o[ Eastern Green/and, 1933, pell, Series AlB, No.53, S.69-73. Siehe auch Kar/, S.195f.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

179

1. Rechtliche Bindung durch stillschweigendes Rechtsgeschäft?

a) Die in Betracht kommenden Möglichkeiten Bei einem stillschweigenden Rechtsgeschäft sind verschiedene Varianten denkbar. aa) Stillschweigende Ratifikation? Fraglich ist, ob man von einer "stillschweigenden Ratifikation" sprechen kann, wenn sich ein Staat nach der Unterzeichnung eines ratifizierungsbedürftigen oder annahmebedürftigen Vertrages so verhält, als sei er rechtlich schon an den Vertrag gebunden.Das Institut der "stillschweigenden Ratifikation" ist dem Völkerrecht jedoch unbekannt.651 Eine formlose oder konkludente Ratifikation kann es schon rein begrifflich nicht geben.65z Die Ratifikation ist eine formelle Erklärung eines Staates gegenüber anderen Vertragsparteien, rechtlich durch den Vertrag gebunden zu sein, und erfolgt durch die Übergabe der Ratifikationsurkunde.65J Ebenso wie die Ratifikation muß auch die Annahme ausdrücklich und formell erfolgen.654 Wenn ein Staat den ratifizierungsbedürftigen Vertrag anwendet, ohne ihn ratifiziert zu haben, kann darin eher ein stillschweigender Verzicht auf die Ratifikation zu sehen sein.655

6SO So während der Beratungen der ILC über die Kodifikation des Rechts der Verträge Yepes, Memorandum vom 13.8.1953, ILC-Yearbook 1953 11, S.l64f. Vgl. außerdem aus der älteren Literatur: Hall, S.388; Wilcox, S.38. 651 Menzel/lpsen, S.304; Ipsen, Völkerrecht, § 10 Rdnr. 17; Seidl-Hohenveldem, Rdnr. 269. Eine entsprechende Bestimmung in dem Wiener Übereinkommen wurde daher auch abgelehnt, vgl. ILC-Entwurf 1966 zu Art.2, ILC-Yearbook 1966 11, S.189 § 9.

652 Zum formellen Charakter der "Ratifikation" vgl. nur die Ausführungen im Kommentar der ILC, ILC-Yearbook 1966 11, S.197. 653

Vgl. Art. 2 Abs.1 (b), 14, 16 WÜV.

654

So Ipsen, Völkerrecht, § 10 Rdnr.17.

65S

Vg1. Sir Hersch Lauterpacht, (First) Report on the Law of the Trealies, ILC-Yearbook 1953

11, S.9Off.: "When a party or the parties have in fact acted upon a treaty which provided for

ratification, the correet legal construction is not that they have ratified it by conduct but that their eonduct amounts to a waiver of the requirement of ratification.", ebd., S.117. Vgl. auch den von Sir Hersch Lauterpacht im genannten Bericht vorgeschlagenen Art. 6 (2): "In the absence of ratification a treaty is not binding upon a contracting party unless ... (d) Tbe attendant cireumstanees or the practice of the contracling parties concemed indicate the intention 10 assurne a binding obligation without the necessity of ratification." ebd., S.112.

180

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

Hinter dem Begriff der "stillschweigenden RatifIkation" verbergen sich letztlich andere rechtliche Konstruktionen. Tatsächlich werden unter diesem Begriff Anwendungsfälle der estoppel-Doktrin bzw. des Grundsatzes von Treu und Glauben diskutiert.~ bb) Vorläufige Anwendung nach Art. 25 WÜV Nach Art. 25 WÜV wird ein Vertrag oder ein Teil eines Vertrages bis zu seinem Inkrafttreten vorläufig angewendet, wenn der Vertrag dies vorsieht oder die Verhandlungsstaaten dies auf andere Weise vereinbart haben. Nach der h.M. handelt es sich um zwei Vereinbarungen, nämlich zunächst um den Hauptvertrag selbst und darüber hinaus um eine zusätzliche, im vereinfachten Vertragsschlußverfahren zustande gekommene Abrede, die auf den Hauptvertrag verweist. Diese zusätzliche Vereinbarung bleibt in Kraft, bis der Hauptvertrag ratifIziert ist oder bis ein Vertragsstaat notifiziert, daß er nicht Vertrags partei werden will.ß7 Im Fall der Testschwellenverträge liegt es nahe, in dem Verhalten der Staaten die Vereinbarung der vorläufIgen Anwendung entsprechend Art. 25 WÜV zu sehen; denn die Ratillzierung wurde nie endgültig abgelehnt, sondern nur an weitere Bedingungen geknüpft.658 Bei SALT 11 kommt eine vorläufIge Anwendung im Sinne des Art. 25 WÜV nur in Betracht, solange die Bereitschaft zur RatifIkation gegeben war.ß9 Schwierigkeiten bereitet aber insoweit die Tatsache, daß die Bestimmungen dem Inhalt entsprechend auch nach der endgültigen Ablehnung der RatifIzierung weiter angewendet wurden. Für das Interimsabkommen scheidet eine rechtliche Verbindlichkeit zufolge

6S6 Vgl. nur Kar/, S.I98ff.; Holloway, S.80f.; Montag, S.39. Vgl. auch das in diesem Zusammenhang stets gebrauchte Beispiel der Nonh Sea Continenta/ She/! Cases, 10 Reports 1%9, S.25ff.; der IGH hat hier eine Bindung Deutschlands an die Genfer Festlandsockel-Konvention von 1958 abgelehnt, weil Deutschland sich nicht schlüssig verhalten hatte und kein Vertrauensschaden nachgewiesen werden konnte, d.h. weil die Voraussetzungen eines estoppel nicht erfüllt waren. Weitere Beispiele aus der Praxis bei Müller, S.I66-171. Verdross/Simma, § 711, verwenden in diesen Fällen deshalb wohl erst gar nicht den Begriff der "stillschweigenden Ratifikation". Inwieweit der estoppel-Grundsatz bzw. Vertrauensschutz in den hier zu untersuchenden Fällen von Bedeutung ist, siehe unten 3.Teil, 2Abschn., C.I1.3.

657

Ausführlich hienu Montag, S.36-62, insbes. S. 48ff.

6S8

Dies untersucht ebenfalls Bothe, Berichte DGVR 30 (1990), S.74.

Vgl. Bothe, Berichte DGVR 30 (1990), S.77, der dies bejaht, ohne im einzelnen die Voraussetzungen dafür zu prüfen. «R

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

181

einer vorläufigen Anwendung jedenfalls aus, weil es sich um ein abgelaufenes Abkommen handelt.uo cc) Einverständliche Inkraftsetzung unter stillschweigendem Ratifikationsverzicht Wird ein ratifizierungsbedürftiger Vertrag dem Inhalt nach angewendet, könnte darin ein stillschweigender Ratifikationsverzicht zu sehen sein, verbunden mit der Vereinbarung, daß der Vertrag im einfachen Verfahren in Kraft tritt."· Zur völkerrechtlichen Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge ist die Ratifikation nur erforderlich, wenn sie im Vertrag ausdrücklich vorgesehen ist. Als Herren der Verträge können die Vertragspartner diese Bestimmung einverständlich - ausdrücklich oder konkludent - abändern, d.h. stillschweigend auf die Ratifikation verzichten und den Inhalt des Vertrages zu einem von ihnen gewünschten Zeitpunkt in Kraft setzen. Damit einhergehen muß dann auch eine stillschweigende Änderung des Änderungsverfahrens, weil in der Regel Bestimmungen eines Vertrages nur nach einem festgelegten Verfahren geändert werden können.'62 Von einer vorläufigen Anwendung im Sinne des Art. 25 WÜV unterscheidet sich diese Konstruktion dadurch, daß das Abkommen nie ratifiziert wird. Diese Konstruktion ist nicht ganz unproblematisch. Sie kommt nicht in Betracht, solange die Parteien die Ratifikation nicht endgültig abgelehnt haben; denn in diesem Fall kann man wohl kaum von einem stillschweigenden Ratifikationsverzicht sprechen."3 Im Fall der Testschwellenverträge scheidet dieser Weg demnach logisch aus, weil gerade die USA immer wieder betonten, daß sie grundsätzlich die Ratifizierung dieser Verträge beabsichtigten. Im Fall des SALT lI-Vertrages ist es nur schwer einzusehen, weshalb die amerikanische Regierung auf die Ratifikation "verzichtet" haben soll, nachdem sie diese aus rüstungskontrollpolitischen Gründen endgültig abgelehnt hatte. Die Konstruktion des stillschweigenden Ratifikationsverzichts kommt daher allenfalls für Teile des SALT lI-Abkommens in Betracht, und zwar soweit sie politisch nicht umstritten waren und ihretwegen nicht die Ablehnung der Ratifikation erfolgte. Beim Interimsabkommen ist schließlich zu untersuchen, ob 660

Ebd.

661

Vgl. Sir Hersch Lauterpacht, oben Fn.655.

662 Dies ist allgemein anerkannt. Schon häufig haben die Staaten aufgrund ihrer Praxis vertragliche Bestimmungen geändert, ohne das vorgesehene Änderungsverfahren einzuhalten. Darin wurde dann immer eine konkludente Änderung des Änderungsverfahrens gesehen. 663

Vgl. Montag, S.40.

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

182

die Parteien stillschweigend eine Verlängerung des Abkommens vereinbart haben.664 b) Voraussetzung: Rechtsetzungswille Beide Konstruktionen - vorläufige Anwendung und Ratifikationsverzicht setzen eine rechtsverbindliche Übereinkunft voraus. Ausdrücklich wurde hier nun nichts vereinbart; denkbar ist aber, daß in der Praxis der Staaten ein "stillschweigendes Rechtsgeschäft" zu sehen ist. Es stellt sich die Frage, ob in der Anwendung der nicht ratifizierten Verträge eine stillschweigende Willensübereinkunft liegt, sich gegenseitig rechtlich zu binden. Wie oben beschrieben, kann eine völkerrechtliche Vereinbarung auch stillschweigend geschlossen werden.- Der IGH hat in seinem Urteil zur Frage des Nordseefestlandsockels grundsätzlich die Möglichkeit rechtsgeschäftlicher Bindung durch schlüssiges Verhalten bejaht.Das setzt voraus, daß die Anwendung der nicht ratifizierten Verträge von dem Willen begleitet war, sich gegenseitig rechtlich zu binden. Entscheidend ist also der Rechtsetzungswille der beiden Staaten."1 Ob ein solcher Rechtsetzungswille vorgelegen hat, läßt sich nur durch Auslegung analog Art. 32 WÜV ermitteln. Hier kommt nur eine analoge Anwendung in Betracht, da es um die Frage geht, ob überhaupt eine völkerrechtliche Vereinbarung vorliegt.'" Zu ermitteln ist danach der reale Wille; nicht abgestellt werden darf auf den potentiellen Empfängerhorizont.'" Allerdings kann diese subjektive Komponente nur anband objektiver Beweiszeichen festgestellt werden.

664

Zur stillschweigenden Vertragsverlängerung siehe Karf, S.20lf.

Zum stillschweigenden Rechtsgeschäft näher Karf, S.74f., 198ff., 273ff. Die formlose Begründung eines neuen Vertragsverhältnisses durch konkludentes Verhalten ist insgesamt eher selten, vgl. Müller, S.I09/110. 665

6(,6

10 Reports 1%9, S.25f.

Daß es allein auf den Willen ankommt, wurde oben im l.Teil, 2Abschn., B.lV. gezeigt. Vgl. in diesem Zusammenhang Goller-CafvojCalvo, S.I88f. 661

668

Insoweit nicht ganz genau Bothe, Berichte DOVR 30 (1990), S.77.

Zu dem Unterschied von "subjective" oder "objective" intent siehe Gfennon, AJIL 77 (1983), S.268-270. Anderer Auffassung ist wohl Karf, S.274f., 307. 6HJ

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

183

aa) Anwendung der verschiedenen Kriterien670 Voraus gingen der Anwendung der Verträge Erklärungen, in denen die USA und die Sowjetunion jeweils einseitig ihre Absicht äußerten, sich an die Bestimmungen der nicht ratifIZierten Verträge zu halten, soweit die andere Seite sich ebenso verhält. Bei diesen Erklärungen kann man kaum von einer rechtlichen Vereinbarung sprechen.67! Sie ergingen einseitig, ohne Bezug aufeinander, unmittelbar nacheinander. Nach Aussage des amerikanischen Außenministers Vance wurde im Fall des Interimsabkommens eine gemeinsame Erklärung ganz bewußt vermieden, um nicht den Anschein einer bestehenden völkerrechtlichen Vereinbarung zu erwecken.671 Die Erklärungen wurden auch nicht der anderen Seite "zugestellt", sondern anläßlich irgendwelcher Reden abgegeben bzw. der staatlichen Presseagentur bekanntgegeben. Hätten sich die beiden Staaten gegenseitig rechtlich binden wollen, hätten sie die Erklärung jeweils unmittelbar der anderen Regierung zugeleitet, wie es bei Notenwechseln geschieht. Allerdings hat die Sowjetunion ihre Erklärung sogleich in englischer Sprache veröffentlichen lassen, damit also klar in Richtung der USA gezielt. Man muß auch sehen, daß die Erklärungen vor dem Hintergrund laufender Verhandlungen abgegeben, also nicht - wie es zunächst scheint - völlig ohne Bezug aufeinander geäußert wurden.673 Den Erklärungen selbst kann man lediglich entnehmen, daß die bei den Staaten jeweils ein bestimmtes Verhalten ankündigen. Es ist nur die Rede davon, daß sie beabsichtigen, sich an die Bestimmungen zu halten; Verpflichtungen werden gerade nicht übernommen. Danach dürfte es sich um rein politische Absichtserklärungen handeln. Andererseits zeigt die Einfügung des strikten Gegenseitigkeitsvorbehalts, daß sie doch von irgendeiner Art der Bindung ausgehen. Das eigene Verhalten wird allein von dem der Gegenseite abhängig gemacht. Es scheint so, als wollten die Staaten hier nicht völlig nach

670

Einschlägig sind hier die oben im l.Teil, 2Abschn., C. erarbeiteten Kriterien.

Allerdings können auch einseitig abgegebene Erklärungen Ausdruck einer rechtlichen Willensübereinkunft sein, so die Auffassung des State Department, State Department Airgram (Case Act Procedures and Department of State Criteria for Deciding What Constitutes an International Agreement) vom 9. März 1976, zitiert nach: Goller-CalvojCalvo, S.l85. 671

672 Vance erklärte: •... we considered and rejected the possibility of a joint V.S. - Soviet statement which might have raised the quest ion of whether an international agreement was intended .. ." (zitiert nach Go/ler-CalvojCalvo, S.19O). 673

Dies geben Goller-CalvojCalvo, S.l88, zu bedenken.

184

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

eigenem Belieben von der Anwendung der nicht ratiftzierten Verträge abrücken."4 Immer wieder wird in diesem Zusammenhang insbesondere auf die inneramerikanische Rechtslage verwiesen: Es sei im Zweifel davon auszugehen, daß ein Staatsorgan der Vereinigten Staaten keine Erklärungen abgebe, zu denen es nach amerikanischem Recht nicht befugt sei.m Rechtsverbindliche Erklärungen hätten der Zustimmung des Kongresses nach dem Arms Control and Disarmament Act bedurft.'76 Tatsächlich hat der Kongreß selbst eine Zustimmungsbedürftigkeit abgelehnt.'77 Doch muß man bedenken, daß man möglicherweise so die gesetzlichen Bestimmungen schlicht umgehen wollte. Das wurde von einigen Senatoren ja durchaus so gesehen.'71 Nachfolgend haben sich die Staaten an diese Erklärungen gehalten und die Bestimmungen der Abkommen angewendet. Über Jahre hinweg haben sie die Begrenzungen respektiert und darüber hinaus auch andere Pflichten - wie etwa Notiftkationspflichten - eingehalten. Ebenso haben sie Zweifelsfragen wie im ursprünglichen Vertrag vorgesehen - der Ständigen Beratungskommission vorgelegt.'79 Sie haben sich folglich so verhalten, als seien sie rechtlich an die Abkommen gebunden. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man die Reaktionen der Staaten auf Abweichungen von dieser Praxis durch die andere Seite näher betrachtet. In all den Jahren haben sich die beiden Staaten immer wieder Verletzungen der "Abkommen" vorgeworfen. So wurde in dem Bericht des amerikanischen Präsidenten an den Kongreß über sowjetische Verletzungen von Rüstungskontrollvereinbarungen die Sowjetunion stets auch der Verletzung von Abkommen beschuldigt, die nicht in Kraft getreten waren. Trotzdem ist zweifelhaft, ob das regelmäßige Geltendmachen von Verletzungen für das Vorliegen eines Rechtsfolgewiliens spricht. In den US-Dokumenten, die sich mit Fragen der "Vertrags"verletzung auseinandersetzen, wer-

674 So

wohl auch Bothe, Berichte DGVR 30 (1990), S.78; Goller-CalvojCalvo, S.192.

675

Bothe, Berichte DGVR 30 (1990), S.77.

676

Siehe oben 3.Teil, 2Abschn., A.1I.I.a).

677 Später beim SALT lI-Vertrag sollte die Zustimmung des Senats zu diesem Vertrag

allerdings an die "Bedingung" geknüpft werden, daß das Abkommen nur mit Zustimmung des Senats - ob rechtlich verbindlich oder nicht - verlängert werden kann. Vgl. die Diskussionen im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, The SALT 11 Treaty, Hearings-Part 6/Markup, S.355358.

678 Siehe oben 3.Teil, 2Abschn., C.I.2. Eine ganz bewußte Umgehung wurde während der Hearings zum SALT lI-Abkommen von lide (USACDA), The SALT II Treaty, Hearings-Part 5, S.146 und 151, angenommen.

679 Vgl. Goller-CalvojCalvo, S.I97.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

185

den stets "legal or political commitments" ohne Unterschied behandelt.Hinzukommt, daß Anfang der achtziger Jahre den "Falken" in den USA daran gelegen war, die Sowjetunion als "Rechtsbrecher" hinzustellen, um weitere Rüstungskontrollmaßnahmen zu verhindern."! Die Vorwürfe waren daher eher politisch motiviert. Jedenfalls kann man nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß die Parteien, nur weil sie sich gegenseitig Vertragsverletzungen vorgeworfen haben, von einer rechtlichen Vereinbarung ausgegangen sind. Von Bedeutung ist schließlich, daß die beiden Staaten - vor allem aber die USA - in all diesen Jahren immer wieder betont haben, daß sie keinerlei rechtliche Bindungen eingegangen seien.681 Übereinstimmend - und hier waren sich die beiden Großmächte einig - äußerten sie, daß sie lediglich eine "informal restraint policy" verfolgten,"3 von der sie jederzeit wieder ohne irgendwelche Konsequenzen abrücken könnten.614 Andererseits soll Präsident Carter während einer Pressekonferenz erklärt haben, er betrachte den SALT lI-Vertrag für beide Parteien als bindend."s bb) Gesamtbewertung Insgesamt betrachtet, läßt sich das Vorliegen eines Rechtsfolgewillens bei den bei den Parteien nicht eindeutig feststellen. Ihr Verhalten ist insoweit widersprüchlich. Über Jahre haben sich die beiden Staaten so verhalten, als seien sie rechtlich an die Abkommen gebunden, gleichzeitig haben sie in begleitenden Erklärungen immer wieder betont, daß sie sich nicht rechtlich binden wollen (protestatio Jacto contraria). Im Grunde wollten sie die rechtlichen Wirkungen, da die Gegenseite jeweils zum Einhalten der Bestimmungen veranlaßt werden sollte; ihnen war aber daran gelegen, die politischen Folgen, wie Einholung der innerstaatlichen Zustimmung usw., zu vermeiden.

6110

So argumentiert auch Bothe, Berichte DGVR 30 (1990), S.74 und 78.

681

Vgl. auch oben l.Teil, 2Abschn., C.III.

682

Darauf stellt vor allem Peirce, HarvIU 19 (1978), S.375, ab.

Für Bothe, Berichte DGVR 30 (1990), S.77, spricht dies neben anderem für eine bloße politische Verbindlichkeit. 683 684

226.

Derartige Stellungnahmen sind unter anderem abgedruckt bei: Goller-Calvo/Calvo, S.I84-

68S Tbe President's News Conference of March 14,1980, Weekly Compilation of Presidential Documents 16 (1980), S.484,488, zitiert nach: Turner, ViC!~JIL 21 (1981), S.769 Fn.I54.

186

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

Bei gleichzeitig mit dem konkludenten Verhalten erfolgendem Protest kann eine rechtsgeschäftliehe Verpflichtung nicht angenommen werden, da in diesem Fall die Willenserklärungen widersprüchlich (perplex) sind, quasi einen offenen Dissens in sich tragen. Gerade im Völkerrecht gebietet das Prinzip der Souveränität der Staaten, die Verwahrung zu respektieren. So muß auch konkludentes Verhalten entsprechend diesem Grundsatz ausgelegt werden: Einschränkungen der staatlichen Freiheit sind in Zweifelsfällen restriktiv zu interpretieren.- Der IGH entschied im Nordseefestlandsockelfall, daß man nicht leichthin annehmen kann, daß sich ein Staat durch schlüssiges Verhalten den Verpflichtungen einer ratifikationsbedürftigen Konvention unterworfen habe, wenn er, obgleich er dazu berechtigt und in der Lage gewesen wäre, diese formell nicht ratifiziert habe.'" Allein durch ein tatsächliches Verhalten kann ein Vertragsverhältnis nicht entstehen, da ein Vertrag eben immer zwei korrespondierende Willenserklärungen voraussetzt. Andernfalls würde man die Rechtsgeschäftslehre in Frage stellen. Auf den realen Willen darf nicht verzichtet werden, ohne das Rechtsgeschäft selbst aufzugeben. Funktion des Rechtsgeschäfts als Institut ist es gerade, dem realen Willen der Beteiligten - hier der Staaten - Geltung zu verschaffen.618 Ein Staat wäre dann nämlich nicht gebunden, weil er will, sondern weil andere wollen, daß er soll. Es besteht auch keine Notwendigkeit, in diesen Fällen aus vertrauenstheoretischen Überlegungen von der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre abzuweichen und einen Rechtsetzungswillen zu unterstellen, wie dies im innerstaatlichen Recht diskutiert wird.'" Anders als im innerstaatlichen Bereich handelt es sich hier um Ausnahmefälle und gerade nicht um sozialtypisches Verhalten. Außerdem werden befriedigende Lösungen durch die Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes erzielt.'90 Mit Hilfe dieses Grundsat-

686

vgl. Verdross/Simma, § 780.

6ifl

10 Reports 1%9, S.25 Ziff. 28.

Vgl. insoweit Karl, S.274f. und S.306, der trotz dieser engen Verbindung zwischen Rechtsgeschäft und realem StaatswilIen im konkreten Fall durchaus auf das Vorhandensein eines realen Willens zu verzichten bereit ist, weil er hier einem vertrauenstheoretischen Ansatz folgt. Damit aber verwischt er gerade das Rechtsgeschäft mit der Geltung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes, wie unten noch gezeigt wird. 688

6if} Vgl. die Lehre vom faktischen Vertragsverhältnis, die aber inzwischen mehrheitlich abgelehnt wird, dazu Palandt-Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, Einf v § 145 Rdnr. 25ff.; Larenz, Allgemeiner Teil, S.534-536.

690

Dazu näher unten 3.Teil, 2Abschn., c.n.3.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

187

zes können im Einzelfall Ungerechtigkeiten ausgeglichen werden; schützenswertes Vertrauen wird danach auch geschützt."1 2. Rechtliche Bindung durch Völkergewohnheitsrecht?

Nach allgemeiner Auffassung kann eine langandauernde, regelmäßig wiederkehrende Praxis zu einer rechtlichen Bindung in Form von Gewohnheitsrecht führen'92, und zwar auch dann, wenn diese Praxis auf eine zunächst rein politische Absprache zurückgeht."3 Inzwischen ist anerkannt, daß sich Gewohnheitsrecht auch in begrenzten Rechtskreisen entwickeln kann. Seit dem Urteil des IGH im Right 0/ Passage-Fall (1960) wird sogar bilaterales Völkergewohnheitsrecht für möglich gehalten. Derart partikuläres Gewohnheitsrecht entsteht nicht nur auf territorialer Basis; es kann auch aus anderen Nahebeziehungen zwischen Staaten begründet werden'''' wie Z.B. aufgrund einer politischen Absprache'95. Im Unterschied zum Rechtsgeschäft durch schlüssiges Verhalten stellt sich die rechtliche Bindung hier erst später ein; in der Praxis dürfte die Abgrenzung zum stillschweigenden Rechtsgeschäft fließend sein.'" Die gewohnheitsrechtliche Konstruktion einer solchen Praxis setzt voraus, daß sie alle Bedingungen erfüllt, die an die Erzeugung einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm gestellt werden. Insbesondere muß deshalb diese Praxis von einer Rechtsüberzeugung getragen sein.'" Die beiden Großmächte haben über Jahre - beim Testschwellenvertrag sind es fast 15 Jahre - die nicht ratifizierten Verträge angewendet. Fraglich ist allerdings, ob dieses Verhalten ab einem bestimmten Zeitpunkt aus der Über-

691 Sowohl StIGH als auch IGH waren in vergleichbaren Fällen zurückhaltend mit der Annahme einer rechtsgeschäftlichen Bindung. vgl. die Wendung im Ostgrönlandfall: "Even ifthis interdependence - which. in view of the affirmative reply of the Norwegian Government .... would have created a bilateral engagement - is not held to have been established ... '". Legal Status of Eastern Greenland. 1933. pell. Series AlB. No.53. S.70. 692

Karl. S.248ff.

693

Bilder. S.26f.

694

Karl. S.266.

695

Bilder. S.27 und 30.

696 Z.T. wird angenommen. daß eine konstante bilaterale Übung eine vertragliche Bindung begründet. nicht aber zur Bildung bilateralen Gewohnheitsrechts führen kann. vgI. Guggenheim. S.108f.

697

lpsen. Völkerrecht. § 16 Rdnr. 2ff.

188

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

zeugung heraus erfolgte, die bisher eingehaltenen Begrenzungen seien "rechtens". Einigkeit besteht darüber, daß die Übung selbst als Nachweis für die Rechtsüberzeugung herangezogen werden kann. Das bedeutet, daß die Übung einschließlich der sie begleitenden Umstände einer Bewertung im Hinblick auf die Rechtsüberzeugung zu unterziehen ist.- Läßt die Übung danach Rückschlüsse auf eine mit dem tatsächlichen Verhalten der Völkerrechtssubjekte korrespondierende Rechtsüberzeugung zu, so ist der Nachweis von Völkergewohnheitsrecht gelungen.'" Es ist hier eher anzunehmen, daß das gleichförmige Verhalten der beiden Staatep außerrechtlich motiviert war. Insoweit ist zu bedenken, daß die Begrenzungen bei den SALT -Verträgen sehr hoch waren und die beiden Staaten diese Grenzen zunächst gar nicht hätten erreichen können700 bzw. beim Testschwellenvertrag kein Interesse mehr an Versuchen oberhalb der festgelegten Schwelle hatten. Darüber hinaus kann die Rechtsüberzeugung auch ermittelt werden: aus diplomatischer Korrespondenz, aus Instruktionen, Noten, Erklärungen aller Art, aus der Aufstellung von Rechtsbehauptungen"'\ der Androhung und Durchführung von Repressalien bei Abweichungen von der Übung sowie aus nationaler Gesetzgebung und der Praxis nationaler Gerichte.702 Zieht man diese Kriterien heran, muß man das Vorliegen einer opinio iuris ablehnen; eine Rechtsüberzeugung ist auch nicht später eingetreten."'3 Die Staaten, vor allem die USA, haben immer und immer wieder bis 1986 bekundet, daß sie sich nicht rechtlich gebunden fühlen, sondern lediglich eine "informal restraint policy" verfolgen.704 So hat Präsident Reagan 1986 ohne eine nähere Begründung die Grenzen von SALT 11 überschritten. Wäre er davon ausgegangen,

@8 Mangels der Möglichkeit, unmittelbar subjektive Motivationen von Staaten zu erforschen, bleibt in der Regel nichts anderes, als die objektiv vorliegende Praxis heranzuziehen, vgl. Müller, S.84/SS.

-

Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rdnr. 42.

700

So der Stand 1981, vgl. zu diesem Argument Turner, VirgJIL 21 (1981), S.769f. und 783.

701

Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rdnr. 43.

702

Fastenrath, S.97f.

Letztlich handelt es sich um die gleichen Kriterien, die bei der Frage nach dem Vorliegen eines Rechtsetzungswillens heranzuziehen sind. Während beim stillschweigenden Rechtsgeschäft der Rechtsetzungswille von Anfang an gegeben sein muß, kommt Gewohnheitsrechtsbildung dann in Betracht, wenn sich die Rechtsüberzeugung erst später eingestellt hat. Wie schon oben angedeutet, ist dies im bilateralen Bereich in der Praxis kaum auseinanderzuhalten. 703

704

Siehe oben 3.Teil, 2Abschn., C.I.3.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

189

hier von einer rechtlic~en Verpflichtung abzuweichen, hätte er sein Verhalten sicher weitaus genauer begründet. Aufgrund des Gesamtbilds kann auf das Vorliegen einer Rechtsüberzeugung bei der geschilderten Praxis nicht geschlossen werden. Mit der Annahme einer solchen Rechtsüberzeugung sollte man allgemein sehr zurückhaltend sein. Ebenso wie beim stillschweigenden Rechtsgeschäft sollte man das Gewohnheitsrecht nicht mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes vermengen.70S Der sowieso schon unklare Begriff der opinio iuris würde vollends aufgeweicht, wenn man das Vorliegen einer solchen opinio im Einzelfall aus Vertrauensschutzgründen rechtfertigt.706 Sofern ein schützenswerter Vertrauenstatbestand gegeben ist, kommt gerade die estoppel-Doktrin zur Anwendung. Auch muß anerkannt werden, daß die Staaten sich unter bestimmten Umständen - vor allem im Bereich der Rüstungskontrolle - lieber und auch mit mehr Effektivität im außerrechtlichen Bereich bewegen wollen. 3. Rechtliche Bindung aufgrund von Treu und Glauben (estoppel)

Schließlich kann ein Staat unter den Voraussetzungen des estoppel an einen Vertrag oder zumindest an Teile eines Vertrages gebunden sein. Danach kann ein unter Vorbehalt der Ratifikation abgeschlossener Vertrag auch ohne RatifIkation rechtsverbindlich werden, wenn sich aus dem klaren und dauernden Verhalten eines Unterzeichnerstaates ergibt, daß er den Vertrag annimmt, und sein Partner im Vertrauen darauf dazu veranlaßt wurde, seine Einstellung zu seinem Nachteil zu ändern, oder sonst irgendeinen Schaden erlitten hat.707 Tragender Gehalt der estoppel-Doktrin ist der Vertrauensschutzj eine Partei ist gebunden an die Erwartungen, die die andere nach Treu und Glauben in ausdrückliche oder im Verhalten implizierte Äußerungen der ersten setzen durfte. Der Staat ist hier nicht gebunden, weil er will, sondern weil andere glauben durften, daß er wolle - also auch dann, wenn er tatsächlich nicht wollte.'" Der Verpflichtungsgrund ist eben nicht ein - imaginärer Verpflichtungswille, sondern die Haftung für einen Rechtsschein.'" Dadurch 70S

Vgl. die Argumente oben 3.Teil, 2Abschn., C.I1.1.b) bb).

706

Daß der IGH dies häufig getan hat, weist Müller, S.92-100, nach.

707 So der IGH in den Nonh Sea Continental Shelf Cases, 10 Reports 1969, S.2Sff. VgJ. dazu auch Müller, S.l64ff.; Verdross/Simma, § 711; Ipsen, Völkerrecht, § 10 Rdnr. 17; Bilder, S.26; MacGibbon, leLQ 7 (1958), S.468-513. Ausführlicher zur späteren Praxis und estoppel Karl, S.331-334. 708

Günther, S.161.

7(1}

Karl, S.89.

190

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

unterscheidet sich die Anwendung des Vertrauensschutzgrundsatzes vom stillschweigenden Rechtsgeschäft und Gewohnheitsrecht. Es müssen somit die besonderen Voraussetzungen von estoppel vorliegen: nämlich ein Verhalten, das geeignet war, bei dem anderen Staat Vertrauen zu erwecken, und ein dem anderen Staat durch dieses Vertrauen entstandener Schaden zum Zeitpunkt, in dem der erste Staat von seinem bisherigen Verhalten abgeht. Der Eintritt einer solchen Bindung darf jedoch nicht vorschnell angenommen werden.710 In dem Nordseefestlandsockelfall hat der IGH am Ende die Voraussetzungen des estoppe'l ohne ausführlichere Begründung verneint. Zunächst ist also zu fragen, ob in den hier untersuchten Fällen ein besonderer Vertrauenstatbestand gegeben war. Durfte jeder der beiden Staaten darauf vertrauen, daß der andere Staat in Zukunft die in den Verträgen vereinbarten Begrenzungen einhalten wird? - Unerheblich ist, daß die Staaten sich möglicherweise wirklich nicht rechtlich binden wollten; denn der Grundsatz des Vertrauensschutzes knüpft an ein faktisches Verhalten unabhängig vom Willen des Staates an. Aufgrund der über mehrere Jahre hinweg erfolgten Anwendung der nicht ratiftzierten Verträge durfte jeder Staat vermuten, daß die Gegenseite die Abkommen angenommen hat. Beide Staaten wußten, daß die Einhaltung der in den Verträgen vereinbarten Begrenzungen im gegenseitigen Interesse war. So dürfte der Sowjetunion klar gewesen sein, daß die USA aus innenpolitischen und verfassungsrechtlichen Gründen eine rechtliche Bindung ablehnten, ihnen aber faktisch an der beiderseitigen Einhaltung der errichteten Obergrenzen gelegen war. Trotzdem war die Situation insgesamt unsicher. Nach außen haben beide Staaten immer wieder geäußert, daß sie sich nicht rechtlich binden wollten. Sie mußten damit rechnen, daß mit der technischen Weiterentwicklung der Waffensysteme die in den Abkommen vereinbarten Regelungen überholt sein würden und es zu einer Änderung der Politik kommen könnte. Die SALT -Abkommen selbst waren schon von nur befristeter Dauer. In einem so hochsensiblen Bereich wie der Rüstungskontrolle, wo substantielle Sicherheitsinteressen betroffen sind, kann kein Staat mit einer Kontinuität bei den ergriffenen Maßnahmen rechnen. Unklar wäre auch, ab wann man den Eintritt eines Schadens annehmen könnte. Dessen Nachweis wird gerade im Bereich der Rüstungskontrolle außerordentlich schwer zu beurteilen sein. Man könnte argumentieren, daß der betroffene Staat im Vertrauen auf die Praxis des anderen Staates es unterlassen hat, weiter aufzurüsten, und daß sich dadurch ein strategisches 710

10 Reports 1969, S.25 ff.

2. Abschn.: Abschluß und Inkrafttreten der Verträge

191

Ungleichgewicht ZU seinen Ungunsten eingestellt hat. Es wurde jedoch bereits oben aufgezeigt, daß über den Begriff des strategischen Gleichgewichts bisher keine Einigung erzielt worden ist.7l1 4. Ergebnis

Damit kommt man zu dem Ergebnis, daß die Anwendung der nicht ratifizierten Abkommen zu keinerlei rechtlichen Bindungen geführt hat. Dies schließt jedoch nicht aus, daß zwischen den beiden Staaten bestimmte politische Bindungen eingegangen wurden, deren Effektivität häufig stärker sein kann als eine völkerrechtliche Vereinbarung.ru Das beste Beispiel hierfür liefert die 1975 verabschiedete Schlußakte von Helsinki, die das Zusammenleben der Staaten in Europa seither grundlegend gestaltet hat. Es handelt sich hierbei um ein rein politisches Dokument. Wäre die KSZESchlußakte als ein Vertrag ausgestaltet worden, wäre sie nie zustandegekommen, da viele der beteiligten Staaten die Ratifizierung abgelehnt hätten. Als rein politische Absprache hat aber gerade die KSZE-Schlußakte mehr bewirkt als die meisten völkerrechtlichen Verträge.7U

711

Siehe oben l.Teil. lAbschn., D.

712

Siehe oben l.Teil, 2Abschn.

713

So auch Glennon, AJIL TI (1983), S.270.

192

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

3. Abschnitt

Mängel bei Vertragsabschluß Angesichts der heute allgemein praktizierten Vertragsabschlußverfahren und der besonderen Sorgfalt, mit der die Staaten bei den Vertragsverhandlungen gewöhnlich vorgehen, spielen Willensmängel, wie Irrtum und Betrug, in der Staatenpraxis kaum noch eine Rolle.714 Bei Rüstungskontrollverträgen lassen sie sich allerdings aufgrund der überaus komplizierten Materie und wegen der Bedeutung der Vereinbarungen für die staatliche Sicherheit nicht völlig ausschließen. Den beiden Staaten ist bei ihren bilateralen Verhandlungen mehrmals ein Irrtum unterlaufen. Ebenso haben sie sich oft gegenseitig betrügerisches Verhalten vorgeworfen. A. Voraussetzungen für die Geltendmachung von Willensmängeln

Zunächst stellt sich die Frage, wann die Vertragsparteien überhaupt einen Irrtum oder betrügerisches Verhalten der Gegenseite geltend machen können. Geregelt sind Irrtum und Betrug in den Art. 48f. WÜV; es handelt sich bei diesen Vorschriften um kodiftziertes Gewohnheitsrecht'15 bzw. einen kodiftzierten allgemeinen Rechtsgrundsatz.7.' I. Irrtum

Gern. Art. 48 Abs.l WÜV kann ein Staat einen Vertrag wegen eines Irrtums anfechten, wenn sich der Irrtum auf eine Tatsache oder Lage bezieht, die der Staat bei Vertragsabschluß als gegeben annahm und die eine wesentliche Grundlage für seine Zustimmung bildete. Bei Rüstungskontrollverträgen können sich leicht Irrtümer ergeben. Grundlage für die zu treffenden Vereinbarungen ist hier der jeweilige Rüstungsstand der Verhandlungspartner, den es zu ermitteln gilt. Die Staaten bedienen sich dazu vor allem ihrer nationalen technischen Nachprüfungsmittel, die aber trotz mittlerweile hoher Technologien immer noch Fehlerquellen aufweisen. Mehrmals mußten deshalb beide Staaten anhand der 714 Vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rdnr. 25. In der Praxis haben sich die Staaten äußerst selten auf Irrtum oder Betrug berufen, vgl. Sinc/air, S.I72 und 173. 715

Art.48: Irrtum, vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rdnr. 25.

716

Art.49: Betrug, vgl. ebd., § 15 Rdnr. 26.

3. Abschn.: Mängel bei Vertragsabschluß

193

bestimmungsgemäß ausgetauschten Daten die eigenen, ihnen bis dahin vorliegenden korrigieren. Es ist auch vorgekommen, daß sich die beiden Staaten über den eigenen Rüstungsstand geirrt und deshalb falsche Daten weitergegeben haben.717 Bei den SALT-Verhandlungen verfügte die Sowjetunion wegen der damals auch zwischen ihren internen Behörden üblichen Geheimhaltungspolitik über keine hinreichenden Informationen bezüglich der eigenen Waffensysteme, so daß die von den USA ermittelten Daten zugrunde gelegt werden mußten. 71I Allerdings dürften bei den Rüstungskontrollverträgen "wesentliche" Irrtümer ausgeschlossen sein. An diese Voraussetzung wurden bisher strenge Anforderungen gestellt.71' Wesentlich ist ein Irrtum dann, wenn der betreffende Staat bei Kenntnis der wirklichen Sachlage seine Zustimmung zu dem vereinbarten Vertrag nicht gegeben hätte.'"Z8 Davon wäre z.B. auszugehen, wenn sich die Vertragspartner hinsichtlich Quantität und Qualität der betroffenen Waffensysteme erheblich verschätzt haben und deshalb bei Durchführung der vereinbarten Rüstungskontrollmaßnabmen das strategische Gleichgewicht zwischen ihnen ernsthaft gefährdet ist. In der Praxis sind solche Fehleinschätzungen bei dem derzeitigen Stand der Technik kaum denkbar.nt 11. Betrug

Gern. Art. 49 WÜV kann ein Staat einen Vertrag anfechten, wenn er durch betrügerisches Verhalten zum Abschluß des Vertrages veranlaßt worden ist. Gemeint ist die vorsätzliche Herbeiführung eines Irrtums beim Vertragspartner.'7Zl 717 Vgl. z.B. die Ausführungen von Außenminister Shultz, The INF Treaty, Hearings-Part 1, S.457. In solchen Fällen ist allerdings oft zweifelhaft, ob es sich tatsächlich um einen "Irrtum" handelte. 718 Wolfe, S.70. Während der SALT I-Verhandlungen waren selbst die sowjetischen Delegationsmitglieder unterschiedlich informiert. Angeblich hätten sogar die Vertreter der Militärs versucht, von den USA bekanntgemachte Daten über das sowjetische strategische Arsenal vor den eigenen Kollegen des Außenministeriums geheim zu halten, vgI. Newhouse, S.55,14lf.

719

Vgl. die Nachweise bei Verdross/Simma, § 744.

71fJ

Vgl. den ILC-Kommentar, ILC-Yearbook 1966 11, S.244 Ziff.7.

Vgl. nur die Ausführungen über die technischen Entwicklungen auf dem Gebiet der innerstaatlichen technischen Mittel bei Lockwood, Monitoring, Arms Control Today, Oktober 1990, S.15. 721

7:12

Vgl. Verdross/Simma, § 746; Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rdnr. 26.

I3 Schmidt am Busch

194

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

Bei den Rüstungskontrollverträgen ist der Anreiz groß, die Verhandlungspartner über bestimmte Daten und Eigenschaften der betroffenen Systeme zu täuschen. Es geht hier ja um erhebliche Sicherheitsinteressen der Staaten, so daß diese nur äußerst ungern ihre militärischen Daten preisgeben. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Staaten bei dem vereinbarten Datenaustausch bestimmte Daten zurückhalten oder fälschen. Beim INF-Vertrag Z.B. haben sich die USA und die Sowjetunion gegenseitig beschuldigt, in dem Datenmemorandum falsche oder unvollständige Angaben gemacht zu haben.ru Außerdem haben sie sich vorgeworfen, Fotos gefälscht bzw. nicht den vereinbarten Bedingu~gen entsprechend angefertigt zu haben.724 Die Vorwürfe wurden jedesrttal entschieden zurückgewiesen oder man gebrauchte äußerst dürftige Ausreden.ru Im konkreten Fall wird das Problem sein, für die Täuschung dem anderen Staat eine Absicht nachzuweisen. Durch den bewußt herbeigeführten Irrtum muß der betreffende Staat zum Vertragsabschluß veranlaßt worden sein. Solche massiven Täuschungshandlungen sind im Bereich der Rüstungskontrolle heutzutage kaum mehr möglich. Beide Staaten haben sich niemals auf die von der anderen Seite übermittelten Daten verlassen, sondern stets unabhängig davon ihre Überwachungsmittel eingesetzt. Außerdem dürften sie eine bestimmte Fehlerquote einkalkuliert haben, so daß die gefälschten Daten oder Fotos kaum ins Gewicht fallen. B. Folgen von Willensmängeln Wenngleich somit beachtliche Willensmängel im Sinne der Art. 48f. WÜV kaum denkbar sind, soll hier überlegt werden, wie die betroffene Partei auf solche Mängel reagieren kann. Diese Frage ist im Vorfeld der Verträge häufig diskutiert worden.7U

723

S.412. 724

S.412. 725

Fischer, Euromissiles, AFDI 33 (1987), S.52; Leggett/Lewis, SuIVival, Sept.jOkt. 1988, Fischer, Euromissiles, AFDI 33 (1987), S.52; Leggett/Lewis, SuIVival, Sept.jOkt. 1988, Leggett/Lewis, SuIVival, Sept.jOkt. 1988, S.412.

Vgl. z.B. die Diskussion zwischen Senator Helms und Farte (Cleveland Marshall School of Law) während der Hearings zum INF-Vertrag, The INF Treaty, Hearings-Part 5, S.78f. 72fJ

3. Abschn.: Mängel bei Vertragsabschluß

195

I. Vertraglithe Bestimmungen

Da Willensmängel in der Praxis nur selten vorkommen und dieser Problemkreis in den Verhandlungen ungern behandelt wird, treffen die Staaten nie ausdrückliche Regelungen über die Folgen von Willensmängeln.7Z7 Auch in den Rüstungskontrollverträgen haben die USA und die Sowjetunion diese Fragen offen gelassen, obwohl sie die Problematik durchaus gesehen haben. na Allenfalls stellt sich die Frage, ob sich die Staaten auf die - in den wichtigen Verträgen zu findende - Rücktrittsklausel berufen können. Danach kann jede Vertragspartei vom Vertrag zurücktreten, wenn sie entscheidet, daß durch außergewöhnliche, mit dem Inhalt des Vertrages zusammenhängende Ereignisse eine Gefährdung ihrer höchsten Interessen eingetreten ist.7Z9 Vieles spricht dafür, daß die Rücktrittsklausel diese Fälle nicht erfassen sollte. Sie paßt schon vom Wortlaut nicht. Willensmängel sind im Grunde keine außergewöhnlichen, mit dem Inhalt des Vertrages zusammenhängenden Ereignisse. Die übliche Folge bei Willensmängeln ist die Ungültigkeit des Vertrages (unabhängig davon, wie die Ungültigkeit geltend zu machen ist), nicht aber ein Rücktrittsrecht. - Zu beachten sind auch die nachfolgenden Bestimmungen. Die Rücktrittsentscheidung muß sechs Monate vor dem Rücktritt vom Vertrag der anderen Seite mitgeteilt werden. Im Falle eines erheblichen Irrtums bzw. nach einer Täuschung durch die andere Seite will die unbescholtene Partei aber wohl kaum noch mehrere Monate an den Vertrag gebunden sein.7JO Selbst wenn sich die irrende bzw. betrogene Partei auf die Klausel berufen könnte, wird sie es wegen der langen Rücktrittsfristen nicht wollen. 11. Allgemeines Vertragsretht

Es ist deshalb auf das allgemeine Vertragsrecht zurückzugreifen.

m Bilder, S.105. 728

Vgl. die Diskussionen während der Hearings oben Fn.726.

7'19

Ausführlich zur Rücktrittsklausel unten 3.Teil, 6Abschn., B.1.2.

730

Forte, Tbe INF Treaty, Hearings-Part 5, S.78.

196

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

1. Das Verfahren nach Art. 65 WÜV

Nach dem WÜV kann die Ungültigkeit bzw. Anfechtbarkeit eines Vertrages nur in einem bestimmten Verfahren geltend gemacht werden. Gern. Art. 65 Abs.l iVm Art. 67 Abs.l WÜV muß die Partei, die einen Ungültigkeitsgrund geltend machen will, ihren Anspruch den anderen Vertragsparteien schriftlich notifizieren. In der Notifikation sind die beabsichtigten Maßnahmen sowie die Gründe dafür anzugeben. Wird innerhalb einer Frist von nicht weniger als drei Monaten dagegen kein Einspruch erhoben, kann die angekündigte Maßnahme durchgeführt werden (Art. 65 Abs.2). Wird Einspruch erhoben, sind die Parteien verpflichtet, mittels eines der in Art. 33 VN-Charta genannten Verfahren zur friedlichen Streitbeilegung eine Lösung zu erzielen (Art. 65 Abs.3). Führt auch das zu keinem Ergebnis und gelangen die Parteien nicht innerhalb von zwölf Monaten zu einer Beilegung ihrer Streitigkeit, kann jede Partei das in der Anlage zum WÜV bezeichnete Streitbeilegungsverfahren durch Antrag an den Generalsekretär der Vereinten Nationen einleiten (Art. 66 (b». Diese Verfahrensvorschriften sind jedoch nur für die Vertragsparteien des WÜV bindend.731 Sie wurden seinerzeit eingeführt, um eine mißbräuchliche Geltendmachung von Ungültigkeits- und BeendigungsgrÜDden auszuschließen'll, fmden jedoch im Völkergewohnheitsrecht keine Grundlage.'1l Gerade bei Rüstungskontrollverträgen, die die nationale Sicherheit berühren, wird ein solches Verfahren mit seinen langen Fristen und zahlreichen Notifikationspflichten nicht der Praxis entsprechen. 2.' Die Folgen nach Völkergewohnheitsrecht

Liegen die Voraussetzungen für das Geltendmachen eines Irrtums oder Betrugs vor, kann die betroffene Partei ihre Zustimmung zum Vertrag anfechten.'34 Die Anfechtung der Zustimmungserklärung führt bei bilateralen Verträgen zur Nichtigkeit des Vertrages.7lS Die betroffene Partei ist ab sofort nicht mehr an den Vertrag gebunden, ohne daß die Nichtigkeit noch

731 Zu beachten ist jedoch, daß die Mehrheit der Vertragsparteien allein gegen die Vorschriften der Art. 65ff. zahlreiche Vorbehalte eingelegt hat. 732 733

Vgl. Sinc/air, S.226-233. Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rdnr. 17. Vgl. schon oben 3.Teil, lAbschn.

134

Innerstaatlich stellt sich die Frage, welches Organ die Anfechtung erklären kann.

73S

Vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rdnr. 12.

3. Abschn.: Mängel bei Vertragsabschluß

197

besonders festgestellt werden muß.7l ' Die Vertrauensgrundlage ist zerstört, so daß ein Festhalten am Vertrag für weitere Monate sinnlos ist. In der Praxis dürfte es hier regelmäßig zu Streitigkeiten kommen, weil die andere Partei die Voraussetzungen für die Anfechtbarkeit nicht als gegeben ansehen wird.

736 Vgl. die Ausführungen von Forte (Cleveland Marshall School of Law), The INF Treaty, Hearings-Part 5, S.78.

198

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

4. Abschnitt

Auslegung der Verträge Gerade im Regelungshereich der Rüstungskontrolle ist die Auslegung der Verträge als Bestandteil der Normverwirklichung von zentraler Bedeutung. Wie in kaum einem anderen Bereich versuchen die Staaten, die Vertragsbestimmungen zu überdehnen und zu umgehen.737 Immer wieder ist es bei der Anwendung der Verträge zwischen den USA und der Sowjetunion zu Streit gekommen. Viele Auslegungsfragen konnten zwischen den heiden Vertragsstaaten einvernehmlich geklärt werden, andere Fragen - wie beispielsweise der Streit um die Auslegung des ABM-Vertrages731 - sind nach wie vor offen. Obwohl den Verträgen jahrelange Verhandlungen vorausgiogen,739 enthalten sie oft Formulierungsschwächen, mehrdeutige Defmitionen und Regelungslücken. Es wird deshalb zunächst untersucht, welche Vertragsbestimmungen im besonderen Auslegungsfragen aufwerfen. Dabei sollen vor allem die Gründe für diese Probleme aufgezeigt werden. Weil für die Auslegung die allgemeinen vertragsrechtlichen Interpretationsregeln heranzuziehen sind, folgt eine Beschreibung dieser Regeln unter besonderer Berücksichtigung der rüstungskontrollvertragsspezifischen Besonderheiten. A. Überblick über denkbare Auslegungsprobleme I. Auslegungsprobleme bezüglich der RüstungskontroUverpßichtungen

Unklarheiten bestehen vor allem hinsichtlich der eigentlichen Rüstungskontrollbestimmungen. 1. crisis management-Verpflichtungen 740

Bei den Krisenhewältigungsabkommen ist es oftmals schwierig, den Umfang der konkreten Verpflichtungen im einzelnen zu bestimmen. Interpretationsprobleme werfen besonders die vereinbarten politischen Maßnahmen zur Vermeidung eines Nuklearkrieges auf. Der Grund ist hier 737

Ausführlich zur Bedeutung der Vertragsauslegung in diesem Bereich Höget, S.112.

738

Näher dazu unten 3.Teil, 4Abschn., A.I.2.a).

739

Siehe oben 2.Teil, lAbschn.

740

Siehe die Darstellung dieser Verpflichtungen im 2.Teil, 2Abschn., A.1.

4. Abschn.: Auslegung der Verträge

199

zum einen, daß diese Maßnahmen an Tatbestände anknüpfen, die abhängig sind von zahlreichen schwer einzuschätzenden Bestimmungsfaktoren des internationalen Systems. Das angestrebte Ziel- die Verhinderung eines Atomkriegs - wird in verschiedene Handlungsfelder gegliedert, die nicht weiter defIniert sind und den Parteien damit einen weiten Beurteilungsspielraum geben. So ist ein verstärktes Engagement der Vertragsparteien vorgesehen in Situationen mit einer gefährlichen Verschlechterung der beiderseitigen Beziehungen, bei militärischen Konfrontationen, bei Gefahr eines Atomkriegs und beim Ausbruch eines Nuklearkriegs.741 Aufgrund dieser unbestimmten Tatbestandsmerkmale bleibt offen, ab wann und wie lange die Verpflichtungen, insbesondere die Konsultationsverpflichtungen für die Vertragsstaaten gelten. Darüber hinaus wurden weitgehend nur außenpolitische Handlungsmaximen vereinbart - wie "verhüten" oder "vermeiden", aus denen sich kaum konkrete Handlungspflichten ableiten lassen.74Z Diese Unsicherheit über die im einzelnen bestehenden Verhaltenspflichten führte z.B. bei den NATO-Staaten zu einer Diskussion darüber, ob die USA durch die übernommenen Verpflichtungen ihre Entscheidungsfreiheit zum Einsatz von Nuklearwaffen zwecks Abwehr eines Angriffs auf NATO-Gebiet eingeschränkt und dadurch den Schutz Westeuropas verringert hätten.741 Fragen im Zusammenhang mit den technischen Maßnahmen stellen sich, weil die vereinbarten Maßnahmen aufgrund der technischen Entwicklungen oft sehr schnell überholt sind. Sie müssen dann dem neuesten Stand der Technik angeglichen werden. Dies geschieht meistens im Rahmen der Ständigen Beratungskommission.744 2. Teststopp-, Rüstungsbegrenzungs- und Abrilstungsverpflichtungen

Bei den Teststopp-, Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsabkommen geht es vorwiegend um die Frage, ob eine geplante oder schon realisierte Rüstungsmaßnahme mit den übernommenen Verpflichtungen vereinbar ist.

741 Zu den mit diesen Begriffen zusammenhängenden Fragen ausführlich Ress, Überlegungen, ZaöRV 34 (1974), S.222-228; Fahl, Recht der Rüstungsbeschränkung, Nr.1O.1., S.16-25. 742

Vgl. hierzu Ress, Überlegungen, ZaöRV 34 (1974), S.226.

Vgl. dazu Nerlich, FA 28 (1973), S.669ff. Siehe auch Ress, Überlegungen, ZaöRV 34 (1974), S.213f. 743 744

Siehe oben 2.Teil, 1Abschn., C. und 2Abschn., 8.1I.4.a).

200

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

a) Geregeltes Rüstungsmaterial Diese Frage kann sich zum einen deshalb ergeben, weil nicht klar ist, ob ein bestimmtes Waffensystem (ein bestimmter Versuch) von den Verträgen erfaßt ist oder nicht. aa) In vielen Fällen erweisen sich die vereinbarten Definitionen im nachhinein als unklar und unvollständig, insbesondere weil zukünftige Entwicklungen von den Parteien nicht genügend berücksichtigt wurden bzw. wegen der raschen technischen Entwicklung nicht übersehen werden konnten.74S Es kommt dann entscheidend darauf an, ob die vertragliche Defmition allein auf das Vorliegen der genau bezeichneten technischen Kriterien oder darüber hinaus auch auf die Wirkung der Waffen abstellt (funktionale Defmition). Genau an dieser Frage hat sich der berühmte ABM-Streit'46 entzündet. Anlaß dafür war die Ankündigung der Reagan-Administration, ein Forschungsprogramm zur Entwicklungweltraumgestützer Raketenabwehrsysteme (SDI) aufzunehmen. Beide Staaten waren sich darüber einig, daß die Dislozierung solcher Waffensysteme nach dem ABM-Vertrag verboten ist, da Agreed Statement D grundsätzlich die Dislozierung von zukünftigen ABMSystemen verbietet, die auf anderen physikalischen Prinzipien beruhen und Bestandteile enthalten, die an die Stelle der damals bekannten Komponenten treten könnten.747 Unterschiedliche Auffassungen bestanden jedoch darüber, ob nicht auch die übrigen Verbote des ABM -Vertrages für diese zukünftigen 745

Vgl. Koplow, Bait, U.Penns.L.Rev. 137 (1989), S.1414f.; Höge/, S.68. Vgl. auch Lysen, S.163.

746 Dieser Streit wurde in der Literatur heftig diskutiert: Bur, Arms Control6 (1985), S.183ff., S.195.; ChayesjHand/er-Chayes, HarvLR 99 (1986), S.1972; lrish, Law Quadrangles Notes (University of Michigan Law School) 30 (1986), No.3, S.28ff.; Johnson, HarvIU 27 (1986), S.659-664; Kennedy, Treaty Interpretation, AJIL 80 (1986), S.&54; Sofaer, Tbe ABM Treaty, HarvLR 99 (1986), S.1972ff.; Bertram, US-Soviet nuclear anns control, SIPRI Yearbook 1987, S.323ff., 335; Ganhoff, History, Arms Control Today, September 1987, S.15ff.; ders., Policy, S.4; Gross, HarvIU 28 (1987), S.3lff.; Rhine/anderjRubin, Arms Control Today, September 1987, S.3ff.; Semenov, S.62-72; Smith, Provisions, S.45-61; The Association of the Bar of the City of New York, Tbe AntiBallistic Missile Treaty Interpretation Dispute (1988); Fischer, H., S.487; Johnstone, MichJIL 12 (1991), S.394-406; Kop/ow, Bait, U.Penns.L.Rev. 137 (1989), S.I353ff., 1366ff.; Sofaer, Treaty Interpretation, U.Penns.L.Rev. 137 (1989), S.137ff.; Bunn, M., S58-73; Lysen, S.152-158. 747 Der genaue Wortlaut von Statement D: 'Um die Erfüllung der Verpflichtung sicherzustellen, keine ABM-Systeme oder deren Bestandteile zu dislozieren, es sei denn, daß dies in Artikel III vorgesehen ist, kommen die Vertragsparteien überein, daß für den Fall, daß in Zukunft ABM-Systeme geschaffen werden, die auf anderen physikalischen Prinzipien beruhen und Bestandteile enthalten, die an die Stelle von ABM-Abfangflugkörpern, ABM-Abschußvorrichtungen oder ABM-Radargeräten treten könnten, spezifische Begrenzungen solcher Systeme und ihrer Bestandteile Gegenstand von Gesprächen gemäß Artikel XIII und von Vereinbarungen gemäß Artikel XIV des Vertrags sein würden."

4. Abschn.: Auslegung der Verträge

201

Waffen gelten, so daß bereits die angekündigten Entwicklungs- und Erprobungsmaßnahmen mit dem Vertrag unvereinbar sind. Die Klärung dieser Streitfrage'" hängt davon ab, ob die Definition der ABM-Systeme in Art. 11 auch diese neuartigen, auf Computer- und Lasertechnik basierenden Weltraumwaffen erfaßt. Art. 11 lautet: "Im Sinne dieses Vertrages ist ein ABMSystem ein System zur Bekämpfung anfliegender strategischer ballistischer Flugkörper oder ihrer Grundbestandteile; es besteht gegenwärtig aus'" a) ABM-Abfangflugkörpern ... b) ABM-Abschußvorrichtungen ... und c) ABMRadargeräten .. ." Die Reagan-Administration'5I vertrat hier - abweichend zu früher - die Ansicht, daß diese DefmitiPn sich allein auf 1972 existierende Systeme bezieht und nur für diese die Verbote des ABM-Vertrags gelten. Die Gegner7S1 dieser Auslegung behaupteten demgegenüber, ABM-Systeme werden ihrer Funktion nach defmiert und die genannten Bestandteile seien lediglich zur Illustration aufgeführt; die Definition umfasse daher alle damaligen und zukünftigen Systeme, die geeignet seien, strategische ballistische Flugkörper abzuwehren. Bei dem jüngeren INF-Abkommen wurde dieses Auslegungsproblem klar gesehen, die beiden Parteien haben deshalb noch kurz vor der Ratifikation des Abkommens eine Zusatzvereinbarung getroffen, nach der zukünftige Waffen mit gleicher Bedrohungswirkung in den Anwendungsbereich des Vertrages fallen. 7sz bb) Teilweise haben die beiden Staaten aber auch die Einbeziehung bestimmter Waffen ganz bewußt offen gelassen (dear undarity = bewußte Regelungslücken).7S3 Die Parteien konnten sich über den Anwendungsbereich nicht einigen und haben das Problem deshalb aufgespart im Vertrauen darauf, daß es nicht so schnell akut wird und bis dahin eine Einigung erzielt werden kann. Ein Beispiel hierfür liefert das SALT I-Interimsabkommen. In diesem Abkommen wurden unter anderem quantitative Begrenzungen für schwere ICBM vereinbart, ohne daß dieser Begriff näher defmiert wurde. Die bei '48 Ausführliche

Darlegung der Streitfrage bei Högel, S.227-237.

'49

Hervorhebung durch die Verfasserin.

7SO

So/aer, The ABM Treaty, HarvLR 99 (1986), S.lmff., 1974.

RhinelanderlRubin, Arms Control Today, September 1987, S.3ff.; Garthoff, History, Arms Control Today, September 1987, S.15ff. 7S!

752 Vgl. den Notenwechsel vom 12. Mai 1988, abgedruckt in: ILM 27 (1988), S.1186ff. Vgl. hierzu KoploMl, Bait, U.Penns.L.Rev. 137 (1989), S.1429.

753

KoploMl, Bait, U.Penns.L.Rev. 137 (1989), S.1414; vgI. oben 2.Teil, 3Abschn., A.I.

202

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

Abschluß des Vertrages von den USA einseitig vorgenommene Definition wies die Sowjetunion sogleich zurück. Erst in den SALT lI-Verhandlungen wurde diese Frage wieder aufgegriffen und endlich eine genaue Definition vereinbart (Art.I1 Abs.7 SALT I1-Vertrag).754 b) Geregelte Aktivitäten aa) Die Vereinbarkeit einer Rüstungsmaßnahme mit den Verträgen kann zum anderen deshalb zweifelhaft sein, weil der Umfang der gebotenen bzw. verbotenen Aktivitäten unklar ist. Unterschiedliche Auffassungen bestehen darüber, ob bei der Beurteilung einer bestimmten Maßnahme allein auf ihren Charakter oder - über den Wortlaut hinaus - auch auf ihre Wirkung abzustellen ist. Wird beispielsweise das Bauverbot schon dann verletzt, wenn nur einzelne Teile des Systems gebaut werden, die unmittelbar nach Beendigung des Vertrages und dann ohne großen Aufwand zusammengesetzt werden können?7ss Meinungsverschiedenheiten sind aber auch entstanden, wenn die Maßnahme mit dem Wortlaut zwar vereinbar, hinsichtlich der Verifikation aber problematisch war. Gerade bei der praktischen Anwendung der Eliminationsverfahren sind derartige Lücken immer wieder deutlich geworden. 7S6 Weitaus problematischer als die gebotenen bzw. verbotenen Aktivitäten sind die vereinbarten Ausnahmen von diesen Verhaltenspflichten. In der Praxis haben die beiden Staaten regelmäßig versucht, diese Ausnahmen möglichst weit auszulegen. Zu nennen ist hier nur die Möglichkeit der Ersetzung und der Modernisierung vom Vertrag erfaßter Systeme.7S7

754 Dazu Koplow, Bait, U.Penns.L.Rev. 137 (1989), S.1358,1362 mit ausführlicher Schilderung des Streits um die 55-19. 755 Zu dieser Frage Goller-Calvo/Calvo, S.6O. Die beiden Staaten haben diese Frage schließlich in einer gemeinsamen Erklärung einverständlich geregelt. 756 Bei der Anwendung des INF-Vertrages war zunächst unklar, ob die getrennte Anlieferung von Raketen und Abschußvorrichtungen an die zur kontrollierten Zerstörung der Waffen vorgesehenen Stellen zwingend ist oder auch gekoppelte Lieferungen vertragsgemäß sind, vgI. hierzu SZ Nr. 278 vom 2. Dezember 1988, S.9. 757 Konkretes Beispiel für eine umstrittene weite Auslegung des Begriffs Modernisierung bei N.N., HarvLR 100 (1987), S.1334f. VgI. auch Hägel, S.58.

4. Abschn.: Auslegung der Verträge

203

bb) Vor allem aber waren die in den älteren Verträgen enthaltenen Umgehungs- und Derogationsverbote758 Anlaß für Kontroversen. Die entscheidende Frage war, ob sie eigenständige Verpflichtungen erzeugen bzw. zu einer erweiternden Interpretation der anderorts normierten Vertragspflichten herangezogen werden können.7" Während in ganz frühen Abkommen einzelne Umgehungsmöglichkeiten noch ausdrücklich untersagt waren, wurde das Umgehungsverbot in späteren Verträgen allgemeiner formuliert. Die Parteien verzichteten bewußt darauf, konkrete Beispiele für eine Umgehung zu nennen. Dies hat dann allerdings dazu geführt, daß beide Staaten in jeder - wenngleich nicht unmittelbar unter den Vertrag faUenden - Rüstungsmaßnahme der anderen Seite eine Umgehung gesehen haben. Umgekehrt wurde versucht, gerade aus dem Umgehungsverbot zusätzliche Ge- und Verbote abzuleiten, z.B. Aufsichtspflichten, Verbot der Weitergabe des entsprechenden Materials an dritte Staaten, Verbot der Beteiligung an entsprechenden Projekten dritter Staaten. Da man sich in den konkreten Streitfällen letztlich nie einigen konnte, hat man in den jüngsten Verträgen schließlich ganz auf ein Umgehungsverbot verzichtet. Ähnliche Fragen warfen die Derogationsverbote auf, die in fast alle wichtigen Verträge Eingang gefunden haben.'M 11. Auslegungsprobleme bezüglic:h der Verilikationsverpßic:htungen

1. Innerstaatliche technische Mittel

Anders als die übrigen Verifikationsverfahren sind die innerstaatlichen Nachprüfungsmittel jeweils nur in einem Artikel geregelt. Der Grund dafür ist, daß es sich - wie bereits aus dem Begriff hervorgeht - um innerstaatliche Mittel handelt, deren Einsatz sich die Staaten selbst vorbehalten wollen. Die innerstaatlichen Mittel sind nicht näher definiert; ihr Einsatz muß jedenfalls mit den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts im Einklang stehen. Der Einsatz wird somit vom Völkerrecht abhängig gemacht. Das aber ist oft im Fluß und kann nicht genau umrissen werden. Da zwischen 758

Dazu siehe oben 2.Teil, 2.Abschn., A.N.2.c).

75')

Dies verneint ohne nähere Begründung Högel, S.113 Fn.85.

V g1. beispielsweise die Aussagen zu Art. XIV INF-Vertrag von Fone (Qeveland Marshall &:hool of Law), Tbe INF Treaty, Hearings-Part 5, S.28lf., und von den obersten US-Generälen, NATO Defense and Tbe INF Treaty, Hearings-Part 3, S. 70/71. 7«J

204

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

den USA und der Sowjetunion lange Zeit unterschiedliche Auffassungen über diese Grundsätze bestanden, insbesondere ob nach allgemeinem Völkerrecht die Beobachtung aus dem Weltraum zulässig ist, war umstritten, welche Mittel im einzelnen unter die vertragliche Regelung fallen. 761 Ebenfalls nicht näher geregelt sind die Flankierungsmaßnahmen und die zulässigen Ausnahmen. Das führt dazu, daß die Staaten Schlupflöcher suchen und in der Praxis - von der Öffentlichkeit unbeachtet - Verschleierungsmaßnahmen anwenden:76z 2. Übrige Verfahren

Alle anderen Verfahren sind äußerst detailliert - zumeist in einem besonderen Protokoll oder Annex - geregelt.763 Wegen ihres technischen Charakters hat die Anwendung der Bestimmungen kaum Zweifelsfragen aufgeworfen. Lediglich im technischen Ablauf haben sich gelegentlich Lücken herausgestellt, so daß in jedem nachfolgenden Vertrag das VerifIkations-, insbesondere das Inspektionsregime weiter ausgebaut wurde. III. Auslegungsprobleme bei den tec:hnisc:hen Vertragsbestimmungen

Anlaß für Auslegungsstreitigkeiten bieten vor allem die vertragstechnischen Bestimmungen, wie z.B. die Änderungs- und Beendigungsklauseln. Sie sind sehr weit gefaßt, da die Staaten sicherstellen wollten, auf unkomplizierte Weise die eingegangenen Bindungen an geänderte Umstände anpassen bzw. sich daraus lösen zu können. Damit bewahrten sich die beiden Staaten die in diesem hochsensiblen Bereich von ihnen als unbedingt notwendig angesehene Flexibilität;764 die Klauseln sind allerdings aufgrund ihrer abstrakten Formulierung wenig praktikabel.

761 Siehe oben 2.Teil, 2Abschn., 8.11.1. Ausführlich zu dieser Problematik Levin, HarvlU 22 (1981), S.392f. 761

Zu diesem Schlupfloch ausführlich Levin, HarvlU 22 (1981), S.393f.

763

Siehe oben 2.Teil, 2Abschn., 8.11.2.-4.

764

Bi/der, S.54.

4. Abschn.: Auslegung der Verträge

205

B. Die Anwendung der Auslegungsregeln auf die amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollverträge Die Verträge selbst enthalten keine besonderen Auslegungsregeln.765 So sind die allgemeinen vertragsrechtlichen Interpretationsregeln anzuwenden, also die Normen, die den Auslegungsvorgang verbindlich regeln bzw. die Kriterien (Wertungen) für die Auslegung enthalten.'" Dabei legt jede Vertragspartei den Vertrag für sich selbst aus, ohne freilich die andere Seite binden zu können. Ein verbindliches Auslegungsergebnis kann nur durch eine gemeinsame Auslegungsvereinbarung oder die entsprechende Entscheidung einer dritten Instanz herbeigeführt werden. Auslegungsprobleme stellen sich nicht nur bei den geltenden Verträgen, sondern auch bei der Anwendung der nicht ratifizierten Abkommen.767 Für diese gelten die vertragsrechtlichen Regeln analog, da nicht einzusehen ist, warum z.B. beim Interimsabkommen nach Ablauf der Geltungsdauer andere Interpretationsregeln als zuvor herangezogen werden sollen.'" Eine analoge Anwendung kommt auch bei den begleitenden Absprachen und Erklärungen in Betracht. I. Die allgemeinen Auslegungsregeln

Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge ist in Art. 31 WÜV geregelt. Einschlägig sind darüber hinaus weitere Auslegungsgrundsätze, die nicht in das WÜV aufgenommen wurden. 1. Die Auslegungsregel des Art. 31 WÜV

Das WÜV kodifiziert in Art. 31 eine allgemeine Auslegungsregel, die auch außer halb des Übereinkommens Geltung beanspruchen kann. Als völkergewohnheitsrechtliche Regel gilt sie deshalb auch für die bilateralen Rüstungskontrollverträge der USA und der Sowjetunion?"

765

Beispiele für vertragliche Regelungen bei Blix/Emerson, 130f.

Zu dieser Unterscheidung siehe Menzel/lpsen, Völkerrecht, S.320; Bos, NILR 27 (1980), S.135ff. 7fXJ

767

Siehe oben 3.Teil, 2Abschn.,

c.1.

Auch nach Ablauf der Geltungsdauer des Interimsabkommens war die Ständige Beratungskommission weiterhin mit Auslegungsfragen bezüglich dieses Abkommens befaßt, vgl. hienu GOller-Calvo/Calvo, S.195. 768

206

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

In Art. 31 WÜV haben mit Ausnahme der historischen Auslegung alle bekannten Auslegungsmethoden77e Eingang gefunden.771 Dabei kommt keiner Methode ein Vorrang zu; alle sind miteinander gleichrangig.771 Bei ihrer Anwendung ist der Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten. Damit soU von vornherein jeder Versuch der Parteien verhindert werden, einen Vertrag in spitzfindiger Weise zum Nachteil des Partners auszulegen."T13 a) Ausgangspunkt: Wortlaut Ausgangspunkt für die Auslegung der RüstungskontroUverträge ist gern. Art. 31 WÜV der Wortlaut der betreffenden Vertragsbestimmung. Dabei ist auf die gewöhnliche Bedeutung des Begriffes abzusteUen.774 Eine besondere Bedeutung ist einem Ausdruck in den Verträgen nur dann beizulegen, wenn feststeht, daß die beiden Parteien dies beabsichtigt haben (Art.31 Abs.4 WÜV). Gerade in den hier streitigen Fällen wird die "Wortlautinterpretation" kein klares Ergebnis bringen. - Da die beiden Staaten jeweils andere militärische Konzepte verfolgten und deshalb auch über unterschiedliche Technik verfügten, mußten sie sich häufig auf Kompromißbegriffe einigen - wenn z.B. bestimmte technische Ausdrücke in der anderen Sprache nicht existierten.775 Eine reine Wortlautinterpretation kann hier zu einer Deutung führen, die dem Sinn und Zweck dieser Verträge widerspricht.

7ff} Zum gewohnheitsrechtlichen Charakter des Art. 31 WÜV Geiger, S.133; Ipsen, Völkerrecht, § 11 Rdnr. 11; Ronzitti, 115f. 770

Hierzu ausführlich Fastenrath, S.176-194; Bos, NILR 27 (1980), S.I36-142.

Die historische Auslegung darf gern. Art. 32 WÜV nur unter bestimmten Voraussetzungen angewandt werden. Ausführlich dazu unten 3.Teil, 4Abschn., B.II. Tll

Tl2 Hierzu Ipsen, Völkerrecht, § 11 Rdnr. 12; Yasseen, RdC 151 (1976-III), S.19; Verdross/Simma, § n6; Fastenrath, S.176f.

"T13 Köck, Vertragsinterpretation, S.85; Blumenwitz, S.23; Ress "Zu Auslegung Rdnr. 11, in: Simma (Hrsg.), Kommentar. Ausführlich zu Treu und Glauben bei der Vertragsinterpretation Yasseen, RdC 151 (1976-III), S.20-23; Sinclair, S. 119f.

Tl4 Größtenteils wird der zur Zeit des Vertragsschlusses geltende Sprachgebrauch als maßgebend angesehen, vgI. Yasseen, RdC 151 (1976-III), S.26f.; Sinclair, S.I24; Bos, NILR 27 (1980), S.149; ebenso der IGH, Case Concerning Rights o[ Nationals o[ the United States o[ America in Morocco, ICJ Reports 1952, S.176ff., 189. Hiergegen wendet sich aufgrund seines anderen rechtstheoretischen Verständnisses Fastenrath, S.19lff. TlS

Siehe das Beispiel ·capability· oben 2.Teil, lAbschn., B.II.2.

4. Abschn.: Auslegung der Verträge

207

b) Zusammenhang i.S.d. Art. 31 Abs.2 WÜV Da sich die gewöhnliche Bedeutung eines Begriffes erst aus dem Zusammenhang mit anderen Begriffen ergibt, ist gemäß Art. 31 WÜV der Begriff entsprechend der ihm im Zusammenhang zukommenden Bedeutung auszulegen. Zum Zusammenhang sind neben dem gesamten Vertragstext auch bestimmte, bei Vertragsabschluß vereinbarte bzw. abgefaßte Mittel zu rechnen (Abs.2). aa) Vertragstext Im allgemeinen wird unter "Zusammenhang in Verbindung mit einem Vertragstext" die Bedeutung eines Wortes oder einer Wortgruppe in einem Satz oder in einem Gesamttext verstanden. Es ist also nicht nur auf den Artikel oder den Abschnitt, in dem der entsprechende Begriff steht, abzustellen, sondern auf das gesamte Vertragswerk."' Bei den Rüstungskontrollverträgen bedeutet dies, daß neben dem gesamten operativen Text noch die Präambel und sämtliche Protokolle bzw. Annexe und Datenvereinbarungen7n heranzuziehen sind (vgl. Art. 31 Abs. 2 am Anfang). Die politisch wichtigen Rüstungskontrollverträge enthalten zum Teil im Grundsatzvertrag, zum Teil in den dazugehörigen Protokollen umfangreiche Legaldefinitionen77l, die möglicherweise unmittelbar oder zumindest mittelbar durch Begriffsvergleichung Aufschluß über den auszulegenden Begriff geben. Aus ihnen kann hervorgehen, daß die beiden Parteien einem Ausdruck eine besondere Bedeutung beigelegt haben (Art. 31 Abs.4 WÜV).779 Aufschlußreich können daneben auch die Datenvereinbarungen einschließlich Fotos und Zeichnungen sein, die die abstrakten Definitionen ergänzen. Anband der zu übermittelnden Daten läßt sich unter Umständen feststellen, worauf es den beiden Parteien bei bestimmten Regelungen ankam. Z.B. kann auf diese Weise ermittelt werden, auf welche Kriterien bei der Erfassung des Materials entscheidend abgestellt wurde. Schließlich sind unbedingt die Verifikationsbestimmungen heranzuziehen. Die Parteien haben nur solche Systeme und Verhaltenspflichten in die Vern6 Sinc/air, S.127. 7n

Zur Vertragsarchitektur siehe oben 2.Teil, 3Abschn.

Vgl. Ronzitti, S.117. Allgemein zur Bedeutung solcher Legaldefinitionen Yasseen, RdC 151 (1976-111), S.34f. nB

TI9

Unverständlich insoweit Ronzitti, S.117.

208

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

träge aufgenommen, die veriftzierbar sind.1IO Die Auslegung hat sich demnach an der VeriflZierbarkeit zu orientieren.781 Was nicht veriflZierbar ist, ist von der Vertragsbestimmung im Zweifel nicht gedeckt.78z bb) "Übereinkunft" bzw. "Dokument" i.S.d. Abs.2 Zum "Zusammenhang" gehört gemäß Art. 31 Abs. 2 WÜV außerdem jede sich auf den Vertrag beziehende Übereinkunft, die zwischen den Parteien anläßlich des Vertragsabschlusses getroffen wurde, sowie jede Urkunde, die von einer oder mehreren Vertragsparteien anläßlich des Vertragsabschlusses abgefaßt und von den anderen Vertragsparteien als eine sich auf den Vertrag beziehende Urkunde angenommen wurde. Die Anerkennung dieser Instrumente als Auslegungsmittel hat aber nicht zur Folge, daß sie als integraler Bestandteil des jeweiligen Vertrages angesehen werden können.783 Während des Abschlußverfahrens haben die USA und die Sowjetunion in bezug auf die Rüstungskontrollverträge zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Absprachen getroffen und Erklärungen abgegeben, die nicht Bestandteil der Verträge sind.714 Es stellt sich also die Frage, welche dieser Erklärungen als zum Zusammenhang gehörend bei der Auslegung gern. Abs. 2 berücksichtigt werden können. Soweit es sich bei diesen Absprachen und Erklärungen um Teile des für die Auslegung relevanten Zusammenhangs handelt, wäre ihr Inhalt für die Willenserklärungen der beiden Staaten maßgebend und gleichermaßen wie der Vertragstext samt Anlagen zu beachten. Gehören sie dagegen nicht zum "context", reduziert sich ihre rechtliche Bedeutung auf ein "zusätzliches Auslegungsmittel" nach Art. 32 WÜV (Begleitumstand des Vertragsschlusses).715 aaa) Voraussetzungen für die Heranziehung als Auslegungsinstrument Art. 31 Abs.2 WÜV unterscheidet zwischen Übereinkünften (agreements) und Dokumenten (instruments). Während "agreement" ein Übereinkommen

7110

Siehe oben Text zu Fn.258.

781

Graf Vitzlhum, Berichte DGVR 30 (1990), S.14lf.; Höget, S.113; Fischer, H., S.497.

782

Vgl. oben Text zu Fn.258.

Vgl. Kommentar der ILC, ILC-Yearbook 1966 11, S.221 Ziff.13; Etias. S.34; Ress, Rechtslage, S.121; Yasseen, RdC 151 (1976-III), S.38. 783

784

Siehe oben 2.Teil, 3Abschn., B. und 3.Teil, 2Abschn., A.III.

785

Zu den ergänzenden Auslegungsmitteln siehe unten 3.Teil, 4.Abschn., B.l1.

4. Abschn.: Auslegung der Verträge

209

der Parteien bezogen auf den Inhalt voraussetzt7l6, sind mit "instruments" einseitige Erklärungen gemeint, die von dem Empfänger nur hingenommen, akzeptiert, aber nicht als eigene gebilligt werden.717 In beiden Fällen muß es sich nicht um schriftliche Erklärungen handeln, auch mündliche können unter die Interpretationsinstrumente des Art. 31 Abs. 2 WÜV fallen. Aus Gründen der Rechtsklarheit wird man aber verlangen müssen, daß die Äußerungen zumindest protokolliert wurden.'" Die Erklärungen müssen sich auf den Vertrag beziehen. Wird eine vom Vertrag völlig unabhängige Regelung getroffen, handelt es sich möglicherweise um einen echten Vertrag oder eine echte einseitige Verpflichtung, nicht aber um ein Auslegungsinstrument i.S.d. Art. 31 Abs.2 WÜV:719 Die Erklärungen gehören aber nur dann zum Kontext, wenn eine zeitliche Verbindung zwischen der Errichtung des eigentlichen Vertragstextes und den zusätzlichen Interpretationsagreements und -documents besteht. Maßgeblich ist die Verbindung mit dem Vertragsabschluß.'" bbb) Die einzelnen Fälle (1) Begleitende Interpretationserklärungen791 Wie bereits dargelegt, werden die Verträge von verschiedenen Interpretationserklärungen begleitet. Es handelt sich um: zwischen den beiden Staaten vereinbarte gemeinsame Erklärungen; ausdrücklich von der anderen Seite akzeptierte Erklärungen; unwidersprochen gebliebene Erklärungen; und schließlich Erklärungen, die von der anderen Partei unmittelbar zurückgewiesen wurden. Die meisten Autoren rechnen all diese ohne weiteres zum Zusammenhang79Z ; tatsächlich muß aber zwischen den verschiedenen Fällen unterschieden werden.

786

Blumenwitz, 8.29.

m Ebd., 8.30; Ress, Rechtslage, 8.123. 788

Blumenwitz, 8.29; anderer Meinung Köck, Vertragsinterpretation, 8.90.

7f1f)

Yasseen, RdC 151 (1976-III), 8.37/8; Blumenwitz, S.30.

790

Yasseen, RdC 151 (1976-III), 8.38; Blumenwitz, S.27.

791

Ausführlich dazu oben 2.Teil, 3Abschn., B.

14 Schmidt am Busch

210

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

Ohne Zweifel sind die zwischen den beiden Staaten vereinbarten Interpretationserklärungen als Auslegungsmittel heranzuziehen. Die beiden Staaten haben sich hier auf eine gemeinsame Auslegung geeinigt; damit sind diese gemeinsamen Interpretationserklärungen beiden Staaten als eigene Willenserklärung zuzurechnen. Sie stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vertragsabschluß, weil sie mit den Verträgen ausgehandelt und später mit ihnen zusammen - zunächst von den Delegationsleitern, dann von den Staatschefs - paraphiert bzw. unterzeichnet wurden."] Schon fraglicher ist, ob die zw~ einseitig abgegebenen, aber von der anderen Seite ausdrücklich akzeptierten Erklärungen zum Zusammenhang gerechnet werden können. Es liegt hier nämlich keine Übereinkunft, sondern lediglich ein Meinungskonsens'" vor. Der Begriff "agreement" i.S.d. Art. 31 Abs.2 (a) WÜV dagegen weist eher auf eine Auslegungsübereinkunft hin als auf einen bloßen Meinungskonsens.795 Dennoch ist folgendes zu überlegen: Das agreement bezieht sich auf die "Auslegung" des Vertrages. Bei der Auslegung geht es um das Erkennen des gemeinsamen Vertragsverständnisses, so daß agreement wohl in erster Linie einen Konsens über die Bedeutung einer Vertragsbestimmung voraussetzt (wie er bei gutgläubiger Vertragsanwendung durch die Parteien besteht), und nicht eine rechtsgeschäftliche Konstruktion"'. Hinzukommt, daß in den meisten Fällen zwischen einem bloßen Meinungskonsens und einem stillschweigenden Auslegungsvertrag kaum unterschieden werden kann. Daher ist auch eine bloße Willensübereinstimmung ausreichend.

792 Vgl. nur Neuhold, S.437; Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdnr. 63. Ungenau insoweit VerdrossjSimma, § 778 Fn. 7, die die "zahlreichen Übereinkünfte rund um die SALT-Verträge" als nachfolgende Praxis ansehen; tatsächlich stammen diese Übereinkünfte aus der Zeit bis zur Vertragsfertigstellung. Zu undifferenziert auch Ronzitti, S.117f., und Lysen, der die einseitigen Erklärungen sämtlich bei Art. 32 WÜV ansiedeln will, vgl. Lysen, S.155 und S.159 Fn.83.

793 So auch Lysen, S.155; Neuhold, S.437: "ought to be inc1uded in the context of the treaty". Ebenso geht Bruho, GYIL 24 (1981), S.l88 und 192, in diesen Fällen von einem materiellen Konsens aus. Vgl. auch das Memorandum von den Rechtsberatern des Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten Glennon und Tipson, abgedruckt in: The SALT 11 Treaty, HearingsPart 4, S.18ff. (19). 794

Siehe oben 2.Teil, 3Abschn., B.II.

Für nicht ausreichend halten einen reinen Meinungskonsens wohl Blumenwitz, S.29/3O ("Übereinkommen", "Unterschied zum normalen völkerrechtlichen Vertrag"), und Ress, Rechtslage, S.l38 ("Willenseinigung"). 795

796 Insoweit ist der Argumentation von Karl, S.192, zu folgen, der allerdings diese Fragen in bezug auf Abs. 3 untersucht.

4. Abschn.: Auslegung der Verträge

211

Anders als die vereinbarten Interpretationen wurden diese Erklärungen zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten geäußert, nämlich einige in den letzten beiden Monaten vor der Fertigstellung des Vertrages, andere noch bei der Unterzeichnung des eigentlichen Vertrages. Dennoch stehen sie mit dem Vertragsabschluß in unmittelbarem Zusammenhang. In Art. 31 Abs.2 WÜV heißt es, daß die "Übereinkünfte" an/äßlich des Vertragsabschlusses getroffen worden sein müssen. Daraus ist zu entnehmen, daß es nicht ausschließlich auf eine zeitliche Verbindung ankommt, sondern daß auch auf die Bedeutung der Erklärung für den Vertragsabschluß abgestellt werden muß. Liegt allerdings eine Erklärung schon Jahre zurück, kann sie nicht mehr als zum Zusammenhang gehörig betrachtet werden, da sich bei langer Zwischenzeit der Text und möglicherweise auch der gesamte Inhalt des Vertrages noch geändert haben.797 Unklar ist, ob die während der Verhandlungen einseitig abgegebenen, von der anderen Seite unwidersprochen gebliebenen Interpretationserklärungen berücksichtigt werden können. Dies dürfte zu bejahen sein. Wenn der Vertragspartner auf eine Erklärung nicht reagiert, hat er dennoch seine Übereinstimmung mit der Erklärung zum Ausdruck gebracht, zumindest aber die Erklärung als sich auf den Vertrag beziehend angenommen. Letztlich geht es bei Art. 31 Abs. 2 WÜV um Vertrauensschutz. Der anderen Seite soll eine Interpretation nicht einseitig aufgedrängt bzw. nicht unvermutet und unvorbereitet untergeschoben werden. Diese Gefahr war in den hier besprochenen Fällen aber nie gegeben. Die bei den Staaten hatten über Jahre hinweg miteinander verhandelt, so daß zwischen ihnen ein besonderes Vertrauensverhältnis entstanden war. Die erklärende Partei durfte nach Treu und Glauben im Falle der Nichtübereinstimmung Protest von der anderen Seite erwarten. 791 Angeblich sollen sich die beiden Staaten während der Verhandlungen sogar darauf geeinigt haben, daß Schweigen einer Zustimmung gleichkommt nach dem Motto: "If you disagree with our interpretation, speak now or forever hold your peace."'"

m Sie wird dann von Art. 32 WÜV erfaßt. '198 Vgl. schon oben 3.Teil, 2Abschn., AIII.!. AA dürfte wohl Bruha, GYIL 24 (1981), S.I88, sein, der aus den unwidersprochenen einseitigen Erklärungen allein weder auf Konsens noch Dissens schließen will, da sie nur belegten, daß die Gegenseite sie stillschweigend zur Kenntnis genommen habe. 799 Dies behauptet Högel, S.114 Fn.88, für die SALT lI-Verhandlungen, der sich auf die Recherchen von Talbott, S.I72f., 242 und 257, stützt.

212

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

Auf jeden Fall nicht als zum Zusammenhang gehörend angesehen werden können die einseitigen, von der Gegenseite zurückgewiesenen Erklärungen, da sie - eben wegen des Widerspruchs - nicht als Auslegungsmittel anerkannt wurden. In der Praxis wird die von der einen Partei ausgesprochene und von der anderen zurückgewiesene Auffassung jedoch nicht ohne Bedeutung sein; denn es läßt sich daraus erkennen, daß jedenfalls diese Auffassung mangels Einigung nicht jene sein kann, die die Parteien gemeinsam durch den Vertrag verwirklichen wollten .... (2) Begleitende geheime AbsprachenlOl Die zwischen den Staaten getroffenen geheimen Absprachen stellen in jedem Fall eine Willensübereinstimmung der beiden Vertragspartner in bezug auf die Auslegung bestimmter Vertragsbestimmungen dar. Unerheblich ist, daß es sich um geheime Übereinkünfte handelt. Sie sind damit nicht nichtig. Unklar ist allerdings, ob für geheime Auslegungsübereinkünfte die Regelung des Art. 102 Abs.2 VN-Charta gilt.1I02 (3) Mündliche und schriftliche Interpretationserklärungen während der innerstaatlichen Zustimmungsverfahren Bei Auslegungsstreitigkeiten wird von den amerikanischen Praktikern gern auf während der HearingslOJ von Regierungsbeamten abgegebene Stellungnahmen verwiesen. Da Vertreter der Sowjetunion während dieser Verfahren durchgehend anwesend seien, müsse ihr Schweigen auf die von den amerikanischen Beamten gemachten Äußerungen als inhaltliche Zustimmung zu den geäußerten Interpretationen gewertet werden.IN Es kämen auf diese Weise verbindliche Übereinkünfte über die Auslegung zustande.80S

800 Vgl. allgemein Köck, Vertragsinterpretation, S.31 Fn. 67, der sich fragt, ob in solchen Fällen überhaupt eine vertragliche Einigung vorliegt oder ob die Parteien nicht unter der gleichen Wortformel durchaus Verschiedenes verstanden haben, soweit solche widersprüchlichen Erklärungen aus Anlaß des letzten Schrittes im Vertragsverfahren abgegeben werden. Sie verdeutlichten nur den schon zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden Streit. Dazu Bruha, GYIL 24 (1981), S.l88, und Goller-Calvo/Calvo, S. 234ff. Vgl. auch Högel, S.114. 801

Ausführlich dazu oben 2.Teil, 3Abschn., C.

Ausführlich zu dieser Bestimmung Knapp zu Art. 102 Rdnr. 40ff., in: Simma (Hrsg.), Kommentar. 802

80J

Zu den Hearings siehe oben 3.Teil, 2.Abschn., A.II.!. a) bb).

4. Abschn.: Auslegung der Verträge

213

Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Bei den während der Hearings von Regierungsbeamten abgegebenen Statements handelt es sich um rein interne Erklärungen. Anders als die während der VerhandlungenlO6 abgegebenen Erklärungen sind sie nicht an den Vertragspartner gerichtet. Sie werden von Regierungsbeamten gegenüber dem eigenen Parlament bzw. seinen Ausschüssen abgegeben, um die Zustimmung zu dem jeweiligen Vertrag zu erhalten.107 Daran ändert auch nicht die Tatsache, daß die Hearings öffentlich sind. Sofern Debatten dabei ergeben, daß bestimmte Änderungen gewünscht werden bzw. einzelne KIarstellungen nötig sind, werden die vom Senat in der Zustimmungsresolution gestellten Bedingungen der Ratiftkationsurkunde beigefügt"'; diese Praxis wäre überflüssig, wenn bereits aufgrund des Schweigens der anderen Seite die geäußerten Interpretationen für diese verbindlich geworden wären. Z.T. wird gegen den rein internen Charakter der Hearings eingewendet, die Staaten müßten das innerstaatliche Zustimmungsverfahren der Vertragspartner beachten, das zu den Rechtsvorschriften von grundlegender Bedeutung i.S.d. Art.46 WÜV zu rechnen sei. Daraus folge, daß der andere Vertragspartner an solche Äußerungen gebunden werden könnte.~ Art. 46 WÜV regelt jedoch die Ungültigkeit von Verträgen und nicht die Vereinbarung von Auslegungsübereinkünften und ist deshalb in diesem Zu-

!104 Vgl. die Äußerungen von Senator Nunn:· ... I want to make it c1ear that if the Soviet Government disagrees with the reading of the treaty being presented in these hearings by our executive branch witnesses, then the time for the Soviet Union to speak out is now, not after the Senate gives approval and not several years down the line. If the Soviets remain silent on points of interpretation presented by the executive branch witnesses, then I believe that the U.S. Senate, as weil as our Government, can reasonably believe and contend that that silence connotes assent to those interpretations ...• , NATO Defense and The INF Treaty, Hearings-Part 1, 5.28, und noch weitergehend ders., NATO Defense and Ibe INF Treaty, Hearings-Part 4, 5.433/434; ders., Congressional Record, Bd.133, 538, 11. März 1987. Im So Senator Nunn, NATO Defense and The INF Treaty, Hearings-Part 1, S.28, und NATO Defense and The INF Treaty, Hearings-Part 4, S.433/434. In diese Richtung gehen auch die Ausführungen von FOrle (Oeveland Marshall School of Law), The INF Treaty, Hearings-Part 5, S.279f. Garlhoff, History, Arms Control Today, September 1987, S.16, rechnet Äußerungen während der Zustimmungsverfahren zur späteren Praxis. Hiergegen ist einzuwenden, daß während der Hearings geäußerte Erklärungen schon rein begrifflich keine spätere Übung darstellen können, da zu diesem Zeitpunkt der Vertrag noch gar nicht angewendet wird. Dazu im einzelnen unten 3.Teil, 4Abschn., B.l.l. c) bb). 806

Siehe oben 2.Teil, 3Abschn., B.

PI17

Vgl. So/aer, Treaty Interpretation, U.Penns.L.Rev. 137 (1989), S.1438.

~ Siehe oben 3.Teil, 2Abschn., A.II.l.b) und 111. Zur Bedeutung dieser Erklärungen bei der Auslegung siehe sogleich unten. 809

Forle (Cleveland Marshall School of Law), The INF Treaty, Hearings-Part 5, S.279f.

214

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

sammenhang überhaupt nicht einschlägig. Aus diesen Gründen sind solche Erklärungen daher nicht Bestandteil des Vertragszusammenhangs.11t Das gleiche gilt für den Auslegungswert von Dokumenten, die im Rahmen des innerstaatlichen Zustimmungsverfahrens angefertigt wurden. Nicht auslegungsrelevant ist beispielsweise die vom State Department regelmäßig für den Senat erstellte "Artide-by-Artide-Analysis,.an, bei der es sich um eine Kommentierung der Vertragsbestimmungen in der Art eines Gesetzeskommentars handelt.1u (4) Interpretationserklärungen bei der RatifIzierung'll Fast immer haben die beiden Staaten bei Austausch der Ratillkationsurkunden einseitig interpretative Erklärungen abgegeben, die von der Gegenseite nicht zurückgewiesen wurden. Da die erklärende Seite auch hier Widerspruch von der Gegenseite erwarten durfte,a14 wird man diese Erklärungen bei der Auslegung heranziehen können. Allerdings ist zweifelhaft, ob bei diesen zum Zeitpunkt der Ratifizierung abgegebenen Erklärungen überhaupt noch die zeitliche Verbindung zum Vertragsabschluß gegeben ist. Aus Art. 31 Abs. 2 WÜV läßt sich nicht entnehmen, inwiefern nach Erstellung des Vertragstextes noch Vereinbarungen oder einseitige Erklärungen von Relevanz sein können. Es wird jedoch mehrheitlich angenommen, daß die Erstellung des Instruments zwischen Unterzeichnung und Ratifikation ausreicht.l15 c) Nachfolgende Praxis Außer dem Zusammenhang ist gern. Art. 31 Abs. 3 WÜV in gleicher Weise die spätere Praxis zu berücksichtigen. Bei den hier genannten Mittel handelt es sich: - um spätere Übereinkünfte zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrages; - um jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Aus-

810

Im Ergebnis ebenso Högel, S.116 Fn.98.

Z.B. die "Detailed Analysis of SALT 11 Provisions· in: ILM 18 (1979), S.1122ff., und die Analyse des INF-Vertrages in: ILM 27 (1988), S.199ff. 811

812

Im Ergebnis ebenso Högel, S.116 Fn.98.

813

Ausführlich dazu oben 3.Teil, 2.Abschn., A.IlI.

814

Siehe oben Text zu Fn.798.

815

BlumenwiLZ, S.27.

4. Abschn.: Auslegung der Verträge

215

legung hervorgeht; - und um zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssätze. Das WÜV trägt demnach der Tatsache Rechnung, daß die spätere Praxis im weiteren Sinn ein gesichertes und feststellbares Indiz dafür darstellt, wie die Parteien den Vertrag einvernehmlich verstehen und als Recht anwenden.n, Tatsächlich kommt in der Praxis bei der Auslegung der Rüstungskontrollverträge der späteren Vertragspraxis eine besondere Bedeutung zu.'l7 aa) Spätere Übereinkünfte, Art.31 Abs.3 (a) WÜV Formell haben die USA und die Sowjetunion bezüglich der Rüstungskontrollverträge nie Vereinbarungen über die Auslegung von Vertragsbestimmungen nach ihrem Inkrafttreten geschlossen.n , Allerdings genügt es, wenn die beiden Parteien sich später z.B. in den gemeinsamen Institutionen mündlich oder schlüssig auf eine bestimmte Auslegung verständigt haben.'19 Daher sind vor allem von Bedeutung Erklärungen, die die Mitglieder der beiden Verhandlungsdelegationen während nachfolgender Verhandlungen in GenF' oder die Vertreter der beiden Staaten bei Tagungen der Ständigen BeratungskommissionlZl abgegeben haben. Sowohl in Genf als auch im Rahmen der Kommission werden gerade vertragsrelevante Fragen erörtert. Problematisch ist jedoch, daß diese Beratungen geheim sind.1Z2 bb) Jede spätere Übung (spätere Pr...

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Schaubild 4: Das Regelungspaket des INF-Vertrages

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3. Teil: Rechtliche Betrachtung

304

"Each Party shall have the right to conduct inspections provided for by this Article both within the territory of the other Party and within the territories of basing countries."lUG

Aus dieser Bestimmung läßt sich eine Absicht, direkt die Stationierungsländer zu binden, nicht eindeutig entnehmen. Die Bestimmung ist daher entsprechend den oben erarbeiteten Kriterienl~1 auszulegen.lI~ 1. Wonlautauslegung

Bereits der Wortlaut spricht eher dagegen, eine unmittelbare Drittwirkung

für die Stationierungsländer anzunehmen. So heißt es eben nicht, daß die

Stationierungsländer verpflichtet werden, Inspektionen auf ihrem Territorium zu dulden, sondern jeder Vertragspartei wird das Recht eingeräumt, auf dem Hoheitsgebiet dritter Staaten Inspektionen durchzuführen. Wenn sich die Vertragsparteien aber gegenseitig "Rechte einräumen", bedeutet dies wohl, daß sie einander den Zugang zu fremdem Territorium garantieren, nicht aber, daß sie die dritten Staaten unmittelbar durch diese Bestimmung binden wollen. 2. Systematische Auslegung

Zu der gleichen Auslegung kommt man bei näherer Betrachtung der übrigen Vertragsbestimmungen. Es fällt auf, daß in dem INF-Abkommen nicht geregelt ist, in welcher Form die Stationierungsländer ihre Zustimmung erklären müssen. Wenn aber Vertragsparteien - wie es Art. 35 WÜV voraussetzt - beabsichtigen, daß eine Vertragsbestimmung das Mittel zur Festlegung einer Pflicht für einen Drittstaat ist, dann werden sie im Regelfall auch die rein formelle Seite dieses Völkerrechtsgeschäftes mit regeln, wie es z.B. auch in Verträgen mit einer Beitrittsklausel geschieht.l~l

1190 Deutsche Übersetzung: "Jede Vertragspartei hat das Recht, die in diesem Artikel vorgesehenen Inspektionen sowohl im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei als auch im Hoheitsgebiet von Stationierungsländern durchzuführen." 1191 Siehe oben 3.Teil, 4Abschn., B.

1192 Rozakis, ZaöRV 35 (1975), S.lO/11, will allgemein zur Ermittlung der Intentionen der Vertragsparteien heranziehen: "any piece of evidence, such as the preparatory work, the conduct of the States-parties, the text of the treaty." D.h. er legt im Grunde den jeweiligen Vertrag aus, ohne jedoch diesen Vorgang in seinem Aufsatz klar zu benennen. 1191

Vgl. Wetzer, S.85.

8. Abschn.: Die Verträge und dritte Staaten

305

Näher Aufschluß über die Intentionen der beiden Staaten gibt auch Nr. 11 (2) des Inspektionsprotokolls: "Each Party takes note of the assurances received from the other Party regarding understandings reached between the other Party and the basing countries to the effect that the basing countries have agreed to the conduct of inspections, in accordance with the provisions of this Protocol, on their territories. "11l14

In dieser Bestimmung ist ausdrücklich die Rede von "Zusicherungen". Das deutet darauf hin, daß nur die beiden Vertragsparteien aus Art. XI (2) des INF-Vertrages verpflichtet sein sollen und daß sie - weil sie für die Erfüllung dieser Verpflichtung jeweils die Zustimmung ihrer Verbündeten brauchen diese Zustimmung der anderen Vertragspartei garantieren. Warum müßten sie dem Vertragspartner diesbezüglich Zusicherungen machen, wenn die Stationierungsländer schon unmittelbar durch den INF-Vertrag verpflichtet werden sollten? 3. Teleologische Auslegung

Die teleologische Auslegung hilft hier kaum weiter. Ziel und Zweck der fraglichen Bestimmung ist, es den Vertragsparteien zu ermöglichen, Inspektionen auch auf dem Gebiet der Verbündeten des Vertragspartners durchzuführen; denn eine effektive Verifikation erfordert neben den Inspektionen auf dem jeweils eigenen Gebiet auch Inspektionen auf dem Gebiet der Stationierungsländer. Dieses Ziel konnten die beiden Staaten sowohl dadurch erreichen, daß sie die Stationierungsländer - natürlich mit ihrer Zustimmung unmittelbar zur Duldung der fremden Inspektionen verpflichteten, als auch dadurch, daß sie sich lediglich gegenseitig zur Duldung von Inspektionen verpflichteten, wozu sie zum Teil die Zustimmung der Stationierungsländer benötigten. Sinn und Zweck der Bestimmung werden in jeder Variante verwirklicht. 4. Ergänzend: Umstände des Vertragsabschlusses

Aufschlußreich sind schließlich die beiden Stationierungsländer-Übereinkommen und die zahlreichen Notenwechsel, also die das INF-Abkommen be1194 Deutsche Übersetzung: "Jede Vertragspartei nimmt die Zusicherung der anderen Vertragspartei in bezug auf zwischen der anderen Vertragspartei und den Stationierungsländern erreichte Absprachen, in denen die Stationierungsländer der Durchführung von Inspektionen im Einklang mit diesem Protokoll in ihrem Hoheitsgebiet zugestimmt haben, zur Kenntnis." 20 Schmidt am Busch

306

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

gleitenden Vereinbarungen. Da sie keine Übereinkünfte zwischen den beiden Vertragsparteien USA und Sowjetunion sind, können sie nicht unmittelbar für die Auslegung gem. Art. 31 Abs.2 WÜV herangezogen werden; jedoch bestätigen sie das bereits oben gefundene Ergebnis, daß es sich bei dem INFVertrag nicht um einen Vertrag zu Lasten Dritter im Sinne des Art. 35 WÜV handelt (vgl. Art.32 WÜV).l1'5 Schon die "Konstruktion" spricht gegen einen Vertrag zu Lasten Dritter. Ganz überwiegend wird bei Art. 35 WÜV angenommen, daß insgesamt zwei Abkommen geschlossen werden, nämlich neben dem eigentlichen Vertrag ein weiteres Abkommen der Vertragsparteien mit dem dritten Staat bzw. den dritten Staaten (collateral agreement), in dem die Nichtvertragsparteien ihre Zustimmung zum Ausdruck bringen.ll~ Im konkreten Fall geben die Bündnispartner ihre Zustimmung nur jeweils gegenüber einer der beiden Vertragsparteien ab; gegenüber der anderen Vertragspartei erfolgt nur eine Klarstellung in einem Notenwechsel. In den Vereinbarungen zwischen den jeweiligen Verbündeten werden alle Fragen äußerst detailliert geregelt, während in den Notenwechseln die Stationierungsländer dem Vertragspartner des verbündeten Staates nur ihre Bereitschaft zur Duldung der Inspektionen erklären und ihn zur Einhaltung seiner Verpflichtungen aus dem Vertrag und Inspektionsprotokoll auffordern. Interessant ist, daß erst auf Drängen der westlichen Stationierungsländer der Notenaustausch mit der Sowjetunion erfolgte. Diese wollten nämlich unbedingt sicherstellen, daß ihre Hoheitsgewalt unberührt bleibt, während die amerikanische Regierung diese Maßnahme anscheinend gar nicht für nötig gehalten hatte.1m Insoweit ist auch von Bedeutung, daß die beiden Vertragsparteien sich problemlos gegenseitig die Durchführung von Inspektionen auf fremdem Ho1195 Vgl. auch die Einleitung der vom V.S. Department of State herausgegebenen Artic1e by Artic1e-Analysis zum westlichen Stationierungsländer-Übereinkommen: 'In order for the Vnited States to guarantee Soviet access to the territory of its Western European Allies for the purpose of conducting inspections, the authorization of the Allies had to be obtained." 1196 Vgl. ILC-Kommentar, ILC-Yearbook 1966 11, S. 227 Ziff. 1: •... that when these conditions are fulfilled there is, in effect, a second collateral agreement between the parties to the treaty, on the one hand, and the third State on the other; and that the juridical basis of the latter's obligation is not the treaty itself but the collateral agreement. However, even if the matter is viewed in this way, the case remains one where a provision of a treaty conc1uded between certain States becomes directly binding upon another State which is not and does not become a party to the treaty."; Wetzet, S.77; Rozakis, ZaöRV 35 (1975), S.12; Schweisfurth, Treaties, ZaöRV 45 (1985), S.665. Allerdings werden andere Vorgehensweisen (z.B. einseitige Zustimmungserklärung) nicht völlig ausgeschlossen, vgl. Wetzet, S.83ff. 1197 Vgl. die Ausführungen von Nitze (Verhandlungsleiter der INF-Delegation), Tbe INF Treaty, Hearings-Part 1, S.307.

8. Abschn.: Die Verträge und dritte Staaten

307

heitsgebiet zusichern konnten. Denn die Stationierungsländer-Übereinkommen wurden gleichzeitig mit dem INF-Vertrag ausgehandelt und lagen bei seiner Unterzeichnung dem Wortlaut nach bereits vor; nur wenig später wurden sie selbst unterzeichnet. m• Beide Vertragsparteien wußten somit die ganze Zeit, daß ihnen die Erfüllung dieser Verpflichtungen auch möglich sein würde.1m Für eine rein gegenseitige Verpflichtung der beiden Staaten sprechen auch zahlreiche Bestimmungen aus diesen Vereinbarungen. So heißt es in Art. I (General Obligations) Abs.2 der Stationierungsländer-Übereinkommen: .... , hereinafter the Basing Countries, hereby agree to facilitate the implementation by the United States of America of its obligations under the Treaty, including the Inspection Protocol thereto, on their territories in accordance with the requirements, procedures and arrangements set forth in this Agreement,,1200

Es ist also nicht die Rede von eigenen Verpflichtungen der Stationierungsländer, sondern allein von den Verpflichtungen der beiden Vertragsparteien, deren Erfüllung "erleichtert" werden soll. Bestätigt wird diese Deutung durch Art. lAbs. 5 (a): "Tbe United States: a) Remains fully responsible towards the Soviet Union for the implementation of its obligations under the Treaty and the Inspection Protocol in respect of United States facilities located on the territories of the Basing Countries; ....1201

Tatsächlich machen die Stationierungsländer Widrigkeiten während der Inspektionen nie gegenüber dem Vertragspartner des Verbündeten direkt geltend, sondern schalten immer den eigenen Bündnispartner ein (vgl. Art.VI Abs.4).

1198 Vgl. die Angaben in: Bundesminister des Auswärtigen, Bericht zur Rüstungskontrolle und Abrüstung 1987, S.23f. 1199 Vgl. die Ausführungen von Nitze (Leiter der INF-Delegation), Tbe INF Treaty, Hearings-Part 1, S.307. 1200 Deutsche Übersetzung:·... , im folgenden als Stationierungsländer bezeichnet, erklären sich hiermit bereit, die Erfüllung der von den Vereinigten Staaten von Amerika in dem Vertrag einschließlich des dazugehörigen Inspektionsprotokolls eingegangenen Verpflichtungen in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet im Einklang mit den in diesem Übereinkommen festgelegten Erfordernissen, Verfahren und Regelungen zu erleichtern" 1201 Deutsche Übersetzung: ·Die Vereinigten Staaten a) bleiben der Sowjetunion voll verantwortlich für die Erfüllung ihrer Verpflichtungen aufgrund des Vertrags und des Inspektionsprotokolls in bezug auf Einrichtungen der Vereinigten Staaten, die sich im Hoheitsgebiet der Stationierungsländer befinden; .....

308

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

Zweifel an dem gefundenen Ergebnis läßt einzig Art. lAbs. 4 aufkommen, der lautet: "'Ibe Basing Countries do not by this Agreement assume any obligations or grant any rights deriving flOm the Treaty or the Inspection Protocol other than those expressly undertaken or granted in this Agreement or otherwise with their specific consent."uez

An dieser Stelle ist das einzige Mal die Rede von "obligations deriving from

the Treaty or Inspection Protocol."

5. Ergebnis der Auslegung

Aus alledem ergibt sich, daß die beiden Staaten nicht die Absicht hatten, die Stationierungsländer unmittelbar aus dem INF-Vertrag zu verpflichten, sondern daß sie sich gegenseitig den Zugang zum Hoheitsgebiet ihrer Verbündeten zugesichert haben. Es handelt sich somit bei dem INF-Vertrag nicht um einen Vertrag zu Lasten Dritter im Sinne des Art. 35 WÜV. 12OJ Praktisch dürften die Unterschiede zwischen der gewählten Konstruktion und einem Vertrag zu Lasten Dritter nicht sehr groß sein, denn die Rechtsfolgen bei einem Vertrag zu Lasten Dritter sind bis auf eine Ausnahme (Art. 37 WÜV) im WÜV nicht weiter geregelt, so daß es in beiden Fällen darauf ankommt, was die Parteien im einzelnen vereinbart haben. J204 11. Einzelne Ret:htsfragen

1. Pflicht der Stationienmgsländer zur Zustimmung?

Wesentliche Voraussetzung für das Zustandekommen des INF-Vertrages war die Vereinbarung einer effektiven Verifikation, insbesondere von VorOrt-Inspektionen sowohl auf eigenem Territorium der Vertragsparteien als

1202 Deutsche Übersetzung: "Die Stationierungsländer übernehmen durch dieses Übereinkommen nur die Verpflichtungen und gewähren sich nur die Rechte aufgrund des Vertrages oder des Inspektionsprotokolls, die in diesem Übereinkommen ausdrücklich übernommen oder gewährt werden oder denen sie auf andere Weise ausdrücklich zugestimmt haben." 1203 AA. Sur, AFDI 33 (1987), S.88, der zur Begründung lediglich eine Bestimmung der Stationierungsländer-Übereinkommen heranzieht, nämlich Art. VI Abs. 7, nach dem der INFStaat gegenüber seinen Verbündeten verpflichtet ist, Änderungen nur mit ihrer ausdrücklichen Zustimmung vorzuschlagen oder anzunehmen. 1204

Siehe unten 3.Teil, 8Abschn., B.II.2.

8. Abschn.: Oie Verträge und dritte Staaten

309

auch im Hoheitsgebiet ihrer Verbündeten. Mit anderen Worten: Ohne die Zustimmung der Stationierungsländer zu Inspektionen auf ihrem Territorium wäre der INF-Vertrag wohl kaum zustande gekommen. Interessant ist daher die Frage, ob die Stationierungsländer in dieser Situation nicht sogar verpflichtet waren, ihre Zustimmung zu diesen Inspektionen zu erteilen. Allgemeiner gefaßt: Besteht eine völkerrechtliche Pflicht dritter Staaten, Verifikation auf ihrem Gebiet zuzulassen, wenn damit die Durchführung eines Rüstungskontrollabkommens erleichtert bzw. unter Umständen sogar erst ermöglicht wird?l2OS Eine solche Mitwirkungspflicht dürfte dann gegeben sein, wenn für die Staaten eine allgemeine Pflicht zur Abrüstung bzw. Rüstungskontrolle besteht: denn wenn sie zu Abrüstungs- und Rüstungskontrollmaßnahmen nach allgemeinem Völkerrecht verpflichtet sind, schließt dies ein, daß sie andere Staaten bei solchen Maßnahmen unterstützen müssen. Die Existenz einer allgemeinen Pflicht zur Abrüstung und Rüstungskontrolle ist jedoch äußerst fraglich. Die Befürworter berufen sich vor allem auf das Gewaltverbot: es mache nur Sinn, wenn es nicht allein den Akt des Friedensbruchs als solchen verbiete, sondern auch Vorsorge zur Verhinderung von Friedensbrüchen treffe. Damit verpflichte das Gewaltverbot die Staaten letztlich auch zur Reduzierung und Abschaffung ihrer Rüstungen, vor allem von Waffen, deren Existenz besonders destabilisierend wirke. u06 Dem ist entgegenzuhalten, daß insbesondere die Bestimmungen der VN-Charta über die individuelle und kollektive Selbstverteidigung (Art.S1) zeigen, daß die militärische Rüstung "an sich" nicht verboten ist. ut7 Auch aus anderen allgemeinen Prinzipien kann eine solche Mitwirkungspflicht dritter Staaten nicht abgeleitet werden.U8I Der Grundsatz von Treu und Glauben reicht für die Begründung einer generellen Pflicht nicht aus. l2G9 Verhandlungspraktische Gründe sprechen gegen die Annahme einer

1205

Vgl. den Beitrag von Frowein, Berichte OGVR 30 (1990), S.I54.

Mohr, NJ 1988, S.I66. Vgl. auch Röling, S.741ff., der darüber nachdenkt, ob sich aus dem Gewaltverbot nicht zumindest ergibt, daß die Staaten nur so viel Waffenpotential besitzen dürfen wie sie gegebenenfalls für die Ausübung ihres Rechts auf Selbstverteidigung nach Art. 51 VN-Charta benötigen. 1207 Vgl. Geiger, S.363; ebenso gegen die Annahme einer generellen Abrüstungspflicht Oeser, Grundlagen, NJ 1985, S.266; Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdnr. 61; Mrazek, GYIL 30 (1987), S.97. 1208 In diese Richtung geht der Vorschlag von Frowein, Berichte OGVR 30 (1990), S.I54, ohne daß er konkretere Ausführungen macht. 1209 Graf Vitzthum, Berichte OGVR 30 (1990), 5. 164f. 1206

310

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

solchen Rechtspflicht. Das läßt vermuten, daß sie auch tatsächlich nicht besteht.UlO Jedoch wird man sagen können, daß die Staaten immerhin verpflichtet sind, über solche Mitwirkungsmaßnahmen mit anderen Staaten nach Treu und Glauben zu verhandeln. Eine solche Pflicht ergibt sich nämlich ihrerseits aus der fast einhellig angenommenen Verpflichtung der Staaten, nach Treu und Glauben über Abrüstung und Rüstungskontrolle zu reden - ein Grundsatz, der aus Art. 11 Abs. 1 und Art. 26 VN-Charta entnommen wird.12u Selbst wenn somit eine allgemeine Mitwirkungspflicht dritter Staaten zu verneinen ist, kann sich jedoch unter den besonderen Umständen im konkreten Fall eine solche Zustimmungspflicht ergeben, z.B. aufgrund von Bündnisvereinbarungen. 2. ''Leistungsstörungen "

Da es sich bei dem INF-Abkommen um einen Vertrag mit unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen auf dritte Staaten handelt, stellt sich die Frage, welche Folgen Vertragsverletzungen in diesem "Dreiecksverhältnis" haben. Entscheidend ist insoweit, was für diese Fälle in den Verträgen vorgesehen ist; im übrigen gilt allgemeines Völkerrecht. a) Pflichtverletzungen der inspizierenden Partei im Hoheitsgebiet eines Stationierungslandes Angenommen Rußland (als Nachfolger der Sowjetunion) hält sich bei einer Inspektion amerikanischer Basen in der Bundesrepublik nicht an die im Inspektionsprotokoll vereinbarten Bestimmungen über die Durchführung von

1210

Insoweit unklar Graf Vitzthum, ebd.

VgJ. Geiger, S.363; Mohr, NJ 1988, S.l66; Mrazek, GYIL 30 (1987), S.97; vgJ. auch die Friendly Relations-Deklaration, die eine Pflicht der Staaten annimmt, ernstliche Verhandlungen zur Erreichung einer allgemeinen Abrüstung unter effektiver internationaler Kontrolle aufzunehmen. Gegen eine Pflicht der Staaten, sich immer und unter allen Umständen in Abrüstungsverhandlungen zu begeben, Oeser, Grundlagen, S.266; vgJ. auch dies., Verhandlungen, NJ 1986, S.86f., die eine allgemeine Verhandlungspflicht zur Gestaltung der internationalen Zusammenarbeit ablehnt und im Bereich der Abrüstung eine Verhandlungspflicht nur annimmt aufgrund des Vertrages über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser vom 5. August 1963 und des Art. VI des Nichtverbreitungsvertrages vom 1Juli 1968. 1211

8. Abschn.: Die Verträge und dritte Staaten

311

Inspektionen. Welche Einwirkungsmöglichkeiten hat in diesem Fall die Bundesrepublik? Eine Regelung fmdet sich nur in bezug auf den einzelnen Inspektor, wenn er die für Inspektionen im Hoheitsgebiet des Stationierungslandes geltenden Bedingungen verletzt hat. Danach kann das Stationierungsland die inspizierte Partei - im Beispiel die USA - benachrichtigen, die ihrerseits die inspizierende Partei vom Ausschluß des Inspektors in Kenntnis setzt (Art. VI Abs.4 des Stationierungsländer-Übereinkommens). Dennoch dürfte diese Regelung fast alle Fälle abdecken; gegebenenfalls führt ein Fehlverhalten des gesamten Inspektionsteams auch zum Ausschluß des gesamten Teams. Die inspizierende Partei ist nämlich gem. Abschnitt III Abs.7 des Inspektionsprotokolls verpflichtet, die betreffende Person bzw. die betreffenden Personen von der Liste zu streichen bzw. unmittelbar aus dem Hoheitsgebiet des Stationierungslandes zu entfernen. Geschieht dies nicht, kann das Stationierungsland der Person bzw. den Personen die gewährten Vorrechte und Immunitäten aberkennen. Allgemein ist bestimmt, daß der INF-Staat verpflichtet ist, in Ausübung seiner Rechte aufgrund des INF-Vertrages (einschließlich des 1nspektionsprotokolls) auf Ersuchen jederzeit alle Maßnahmen zu treffen, die zum Schutz und zur Wahrung der Rechte der Stationierungsländer nach dem Stationierungsländer-Übereinkommen erforderlich werden (Art.! Abs. 5 b». Für den Fall, daß er dieser Pflicht nicht nachkommt, ist in dem Stationierungsländer-Übereinkommen nichts vorgesehen; auch ein allgemeines Rücktrittsrecht ist nicht vereinbart worden. Das Stationierungsland könnte allerdings unter den Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 2 WÜV das Übereinkommen wegen Vertragsverletzung suspendieren oder beendigen. Im Verhältnis der beiden INF-Staaten würde dies dazu führen, daß der mit dem Stationierungsland verbündete INF-Staat nun seinerseits seine Verpflichtungen gegenüber dem anderen INF-Staat nicht mehr wahrnehmen kann; gemeint ist die Zulassung von Inspektionen seiner Einrichtungen in dem betreffenden Stationierungsland. Andererseits wurde dies gerade durch die Vertragsverletzung des anderen INF-Staates veraniaßt, so daß der vertragstreue INF-Staat unter den Voraussetzungen des Art. 60 Abs.l WÜV den INF-Vertrag suspendieren oder beenden kann. Der bei den Inspektionen sich vertragswidrig verhaltende INF-Staat seinerseits kann den Vertrag nicht wegen der nun nicht mehr gegebenen Inspektionsmöglichkeit auf dem Gebiet des betreffenden Stationierungslandes beenden, weil er diese Situation durch sein eigenes vertragswidriges Verhalten erst herbeigeführt hat.

312

3. Teil: Rechtliche Betrachtung

b) Pflichtverletzungen durch ein Stationierungsland Überhaupt nicht geregelt ist der Fall, daß ein Stationierungsland seine Verpflichtungen aus dem Stationierungsländer-Übereinkommen verletzt und die inspizierende Partei entgegen seinen Verpflichtungen bei ihrer Inspektionstätigkeit behindert. Der INF-Staat könnte von dem Stationierungsland zukünftig die Einhaltung seiner Verpflichtungen verlangen, bei fortgesetzter Vertragsverletzung unter den Voraussetzungen des Art.60 Abs.2 WÜV das Stationierungsländer-Übereinkommen im Verhältnis zu diesem Land beenden. Dies wird aber kaum in seinem Interesse sein, da er dann gegenüber seinem INF-Vertragspartner seine Verpflichtungen aus Art. XI Abs. 2 des INF-Vertrages nicht mehr erfüllen kann. Gegenüber dem INF-Vertragspartner verletzt er in jedem Fall seine Verpflichtung aus Art. XI Abs. 2 des INF-Vertrages, so daß dieser aufgrund der Rücktrittsklausel1212 bzw. - ohne Abwarten einer Frist - nach Art.60 Abs.l WÜV1213 den Vertrag suspendieren oder beenden kann. c) Wertung Werden im Rahmen dieses Dreiecksverhältnisses Verpflichtungen verletzt, kann dies letztlich zur Beendigung aller Verträge führen. Eine Beendigung des INF-Vertrages hat schließlich auch zur Folge, daß die Stationierungsländer-Übereinkommen auf beiden Seiten mit den übrigen Staaten bzw. überhaupt mit allen beteiligten Staaten beendet werden können; denn die Geltungsdauer dieser Übereinkommen ist in jedem Fall an die Existenz des INFVertrages gebunden. Umgekehrt trifft das nicht zu, da das INF-Abkommen auf unbegrenzte Zeit gilt, dagegen die Stationierungsländer-Übereinkommen nur so lange in Kraft bleiben, wie Inspektionen durchgeführt werden, also 13 Jahre. Dies ist so nicht ausdrücklich geregelt, ergibt sich aber durch Auslegung der Geltungsdauerbestimmung.1214 Aufgrund dieser komplizierten Zusammenhänge ist damit zu rechnen, daß man sich in diesen Fällen verstärkt um eine politische Lösung bemühen wird, um letztlich einen Wegfall aller Vereinbarungen zu verhindern. 1212

Siehe oben 3.Teil, 6Abschn., B.I.2. b) bb) ccc).

1213

Siehe oben 3.Teil, 6Abschn., B.I1I.1.

1214

Vgl. Sur, AFDI 33 (1987), S.87.

8. Abschn.: Die Verträge und dritte Staaten

313

3. AntJerungen der die Drittstaaten berührenden Bestimmungen

Ausdrücklich geregelt sind Änderungen des Art. XI des INP-Vertrages zwischen den Vertragsparteien. Nach Art. VI Abs. 7 des StationierungsländerÜbereinkommens darf der entsprechende INP-Staat eine Änderung zu Art. XI des Vertrags oder zu dem Inspektionsprotokoll, welche die Rechte, Interessen oder Pflichten der Stationierungsländer unmittelbar berührt, nicht ohne ausdrückliche Zustimmung der Stationierungsländer vorschlagen oder annehmen. Diese Bestimmung erinnert an Art. 37 Abs.1 WÜV. Wünscht ein Stationierungsland Änderungen der übernommenen Verpflichtungen, muß es Gespräche mit den übrigen Stationierungsländern und dem beteiligten INP-Staat beginnen. Werden dadurch Änderungen des INP-Vertrages einschließlich des Inspektionsprotokolls erforderlich, könnte das Stationierungsland aufgrund des bereits oben näher ausgeführten Art. 1 Abs.5 b) eine solche Initiative von dem verbündeten INP-Staat verlangen. III. Besonderheiten aufgrund der deutschen Vereinigunglll.S

Gem. Anlage 11 Kapitel I Abschnitt I gelten das StationierungsländerÜbereinkommen zwischen der DDR, CSSR und Sowjetunion vom 11. Dezember 1987 und der Notenwechsel vom 23. Dezember 1987 zwischen der DDR und den USA in bezug auf das INF-Abkommen gem. Art. 12 des Einigungsvertrages in dem erweiterten Gebiet der Bundesrepublik weiter. 111' In der Bundesrepublik werden nunmehr sowohl von beiden INP-Vertragsparteien Inspektionen durchgeführt; praktisch haben sich allerdings keine Änderungen ergeben.

1215

Zu den Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion ausführlich im vierten Teil.

1216

BGB\. 1990 11, S.1149.

4. Teil

Die Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion auf die mit den USA geschlossenen Rüstungskontrollverträge Im Dezember 1991 löste sich die Sowjetunion auf, nachdem wenige Monate zuvor bereits Litauen, Lettland und Estland aus der Union ausgeschieden waren. Elf der früheren Sowjetrepubliken gründeten am 21. Dezember 1991 in Alma Ata die "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" (GUS). Nicht beigetreten sind diesem Verbund Georgien und die baltischen Staaten. Noch immer unklar ist, welche Auswirkungen der Zerfall der Sowjetunion auf die mit den USA geschlossenen Rüstungskontrollverträge hat. Gelten die Verträge zwischen den USA und den neuen Staaten weiter? Diese Frage ist politisch von großem Interesse. Zum einen sind auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion vier neue Atommächte entstanden - Rußland, die Ukraine, Weißrußland und Kasachstan -, so daß sich die Gefahr der Verbreitung von Atomwaffen erhöht hat. Die USA sind daher nicht nur an einer Weitergeltung der Rüstungskontrollverträge für diese vier Staaten interessiert, sondern wollen auch die anderen Nachfolgestaaten an den vereinbarten Test-, Produktions- und Stationierungsverboten festhalten. m7 Zum anderen könnten die USA ihrerseits nunmehr eine Möglichkeit sehen, sich von dem "lästig" gewordenen ABM-Vertrag zu lösen. m, Ob und welche Rechte und Pflichten eines Gebietsvorgängers auf den Gebietsnachfolger übergehen, regelt das Recht der Staatennachfolge. Mit dem Problem der Staatennachfolge hat sich die ILC eingehend befaßt und zwei Konventionsentwürfe erarbeitet, darunter die Wiener Konvention über Staa-

1217 V g1. U nder Secretary far International Security Affairs Bartholomew, The srART Treaty, Hearings-Part 1, S.2ff.; Harris (International Policy Department, The Rand Corp.), ebd., S.I54; Bunn (Lawyers Alliance for World Security), ebd., S.301. 1218 Dahingehend haben sich bereits einige Angehörige des Verteidigungsministeriums geäußert, vgI. RhinelanderjBunn, Arms Control Today, Dezember 1991, S.7. Vgl. auch insoweit die Fragen Senator Pells an Regierungsbeamte über die Zukunft des ABM-Vertrages, The srART Treaty, Hearings-Part 1, S.27ff.

4. Teil: Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion

315

tennachfolge in Verträge vom 23. August 1978.u~ Wichtige Bereiche wurden in dieser Konvention allerdings nicht behandelt. Sie enthält zudem einige Regelungen, die es äußerst fraglich erscheinen lassen, ob die Konvention jemals in Kraft treten wird. Dennoch kommt ihr Bedeutung zu, da nicht auszuschließen ist, daß die Konvention zumindest in einigen Bereichen zur Entstehung von Gewohnheitsrecht beitragen wird. Da sich die Ereignisse, durch die eine Staatennachfolge ausgelöst wird, bislang nur seiten und unter ganz verschiedenen Umständen ergeben haben, existieren auch nur wenige allgemeingültige Regelungen. Diese wurden fast immer im konkreten Fall durch besondere vertragliche Abmachungen verdrängt. A. Das Vorliegen einer Staaten nachfolge

Von einer Staatennachfolge spricht man, wenn eine Staatsgewalt an die Stelle einer anderen tritt,me d.h. wenn territoriale Souveränität und Gebietshoheit von deren ursprünglichen Inhaber auf einen Nachfolger vollständig übergehen, der nunmehr auf diesem Gebiet seine eigene Souveränität und Hoheit ausübt. uZl Dies ist der Fall, wenn ein Gebietsteil von einem Staat auf einen bestehenden oder neuen Staat übergeht; sich mehrere Staaten zu einem neuen Staat zusammenschließen; oder aber ein Staat untergeht und dessen ganzes Gebiet in einem anderen aufgeht oder zwischen mehreren (neuen) Staaten aufgeteilt wird. Die Wiener Konvention definiert Staatennachfolge kurz als "the replacement of one State by another in the responsibility for the international relations of territory."wz Fast immer läßt sich nicht genau feststellen, zu welchem Zeitpunkt die Staatsgewalt in einem bestimmten Gebiet gewechselt hat. W3 Die baltischen 1219 Abgedruckt in ILM 17 (1978), S.1488ff.; AJIL 72 (1978), S.97lff.; ZaöRV 39 (1979), S.279ff.; deutsche Fassung in: Poeggel/MeißnerjPoeggel, S.137-157. Das WÜV schließt Fragen, die sich hinsichtlich eines Vertrages aus der Nachfolge von Verträgen ergeben können, ausdrücklich aus seinem Geltungsbereich aus (Art. 73 WÜV). 1220

DahmjDelbrückjWolfrum, S.158.

1221

Seidl-Hohenveldem, Rdnr. 1383.

die Legaldefinition in Art. 2 Abs.1 (b). Die Konvention stellt damit nicht auf den Übergang der Gebietshoheit im Sinne souveräner Staatsgewalt ab, sondern auf den Übergang der Verantwortlichkeit, ohne diesen Begriff näher zu konkretisieren. Näher zu dieser Bestimmung Zemanek, S.72lf.; Treviranus, ZaöRV 39 (1979), S.262ff., und Fiedler, Konventionen, GYIL 24 (1981), S.29ff. 1222 So

1223 Vgl. zu diesem Problem allgemein Fiedler, Konventionen, GYIL 24 (1981), S.27. Zur Beurteilung dieser Frage ist unter anderem auf den Staatsbegriff, das Effektivitätsprinzip und die Anerkennung durch die Staatengemeinschaft abzustellen, vgI. Sc/JIoh, EPIL (10), S.126.

316

4. Teil: Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion

Staaten hatten sich bereits im Frühjahr 1990 für unabhängig erklärt, dann jedoch unter dem Druck der Zentralregierung auf eine Abspaltung verzichtet. Unmittelbar nach dem gescheiterten Putschversuch im August 1991 schieden sie aus der Union aus. Die Sowjetunion erkannte die baltischen Staaten am 6. September an; wenig später wurden Litauen, Estland und Lettland in die KSZE und in die UNO aufgenommen. Um ein Auseinanderbrechen der "alten" Union zu verhindern, nahm die nun stark geschwächte Zentralregierung Verhandlungen mit den restlichen Republiken über einen neuen Unionsvertrag auf. Dieser kam aber nicht mehr zustande, da sich inzwischen auch fast alle übrigen Republiken für unabhängig erklärt hatten. Ausschlaggebend war schließlich die Kündigung des Unionsvertrages durch die Ukraine am 6. Dezember 1991. In Alma Ata gründeten elf der ehemaligen Republiken die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten und erklärten die Sowjetunion für aufgelöst. w4 Michael Gorbatschow trat daraufhin als Staatspräsident der Sowjetunion zurück. W5 Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist die Sowjetunion gänzlich untergegangen. An ihre Stelle sind die früheren Republiken getreten. Noch im Dezember wurden sie von der Staatengemeinschaft als unabhängige Staaten anerkannt. Die USA und die EG-Staaten nahmen schon sehr bald zu einigen der neuen Staaten diplomatische Beziehungen auf. Nachfolger der Sowjetunion in den Vereinten Nationen wurde Rußland; die übrigen Staaten wurden mit Ausnahme Georgiens am 2. März 1992 in die UNO aufgenommen. Mit der unmittelbaren Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten haben die unabhängig gewordenen Republiken kein neues Staatsgebilde geschaffen, sondern sich lediglich zu einem losen Verbund zusammengeschlossen. Dies geht bereits aus dem Namen der Gemeinschaft hervor. Außerdem heißt es ausdrücklich in der Erklärung von Alma Ata, daß die Gemeinschaft "weder ein Staat noch ein überstaatliches Gebilde ist". So wurde keine neue Zentralgewalt errichtet, sondern die Mitglieder der Gemeinschaft verpflichteten sich lediglich, ihre Außenpolitik aufeinander abzustimmen, einen einheitlichen Wirtschaftsraum zu schaffen und in verschiedenen anderen Be-

122A Vg1. die Erklärung von Alma Ata über die Auflösung der Sowjetunion und die Schaffung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) vom 21. Dezember 1991, abgedruckt in: EA 47 (1992), S. D305f.

1225 Vgl. die Rücktrittsrede von Präsident Gorbatschow am 25. Dezember 1992, abgedruckt in: EA 47 (1992), S. D306ff. Ausführlich zur Auflösung der Sowjetunion ChJadek, EA 47 (1992), S.D299-D302.

4. Teil: Auswirkungen der Auflösung der So9.jetunion

317

reichen wie Transport und Verkehr, Umweltschutz etc. zusammenzuarbeiten. lZU B. Die Rechtsfolgen

Damit stellte sich die Frage, welche Auswirkungen die Auflösung der Sowjetunion auf die amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollverträge hat. Sind die Nachfolgestaaten automatisch an diese Verträge gebunden? Kann von ihnen die RatifIZierung der bis dahin lediglich unterzeichneten Abkommen verlangt werden? I. Nachfolge in geltende Verträge

1. Die Rege/ungen in der Wiener Konvention

Die Wiener Konvention unterscheidet bei der Regelung von Sukzessionsfällen zwischen "newly independent states" und anderen Staaten. Während die "newly independent states" von der Fortsetzung der bisher auf ihrem Gebiet geltenden Verträge freigestellt werden, gilt für alle übrigen Staaten grundsätzlich das Kontinuitätsprinzip. Unter einem "newly independent state" versteht die Konvention in Art.2 Abs.l (f) "a successor State the territory of which immediately before the date of succession of States was adependent territory for the international relations of which the predecessor State was responsible." Die Definition umfaßt neben früheren Kolonien auch unabhängig gewordene Mandats- und Treuhandgebiete sowie Protektorate. W7 Da die Nachfolgestaaten der Sowjetunion wohl kaum als "newly independent states" angesehen werden können, kommen die Regelungen für andere Staaten zur Anwendung. ws Die Zergliederung eines Staates in mehrere neue Staaten ist in Art. 34 geregelt. Die Bestimmung lautet wie folgt: ·Succession of States in cases of separation of parts of aState 1. When a part or parts of the territory of aState separate to form one or more States, whether or not the predecessor State continues to exist:

1226 Wenn mehrere Staaten sich zu einer Realunion, einem Staatenbunde oder in einer zwischen- oder überstaatlichen Organisation miteinander verbinden, liegt keine Staatennachfolge vor, vgl. DahmjDelblÜckjWolfrum, S.160.

12Z7

VerdrossjSimma, § 979; Zemanek, S.730f.

Ausführlich diskutiert wird diese Frage allerdings von RhinelanderjBunn, Memorandum of March 10,1992, for the Committee on Foreign Relations, abgedruckt in: The SfART Treaty, Hearings-Part 1, S.309ff. (311). 1228

318

4. Teil: Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion (a)

any treaty in force at the date of the succession of States in respect of the entire territory of the predecessor State continues in force in respect of each successor State so forrned; (b) any treaty in force at the date of the succession of States in respect only of that part of the territory of the predecessor State which has become a successor State continues in force in respect of that successor State alone. 2. Paragraph 1 does not apply if: (a) the States concemed otherwise agree; or (b) it appears from the treaty or is otherwise established that the application of the treaty in respect of the successor State would be incompatible with the object and purpose of the treaty or would radically change the conditions for its operation.·

Danach gelten die Verträge für die Nachfolgestaaten weiter. Diese Regelung unterliegt jedoch dem Vorbehalt, daß zum einen anderweitige Vereinbarungen getroffen werden können und zum anderen die prinzipiell angeordnete Weitergeltung sowohl mit Sinn und Zweck des Vertrages vereinbar sein muß wie auch die Bedingungen für seine Durchführung nicht grundlegend ändern darf. Wann diese Ausnahmen vorliegen, ist allerdings unklar. W9 Wie aus den kommentierten Artikelentwürfen der ILC hervorgeht, sollte die Möglichkeit bestehen, im Einzelfall die Interessen aller betroffenen Staaten in Betracht zu ziehen und unzumutbare Belastungen für die Staaten abzufangen. wo Zu untersuchen ist, ob die Ausnahmevorschriften im Fall der amerikanischsowjetischen Rüstungskontrollverträge greifen würden. a) Übernahme mit Sinn und Zweck vereinbar? Die von den USA und der Sowjetunion in den Verträgen vereinbarten Maßnahmen hatten zum Ziel, den Ausbruch eines Krieges zwischen den beiden Supermächten zu verhindern und das Wettrüsten zu beenden. Die verabredeten Maßnahmen sollten das gegenseitige Vertrauen stärken und so die Bereitschaft zu weitergehenden Abrüstungsmaßnahmen schaffen. Entscheidend war dabei der Gedanke des Gleichgewichts und der gleichen Sicherheit. U31 Die weitere Anwendung dieser Verträge auf die Nachfolgestaaten wäre daher geradezu wünschenswert. Das abzurüstende Gefährdungspotential

1229

Vgl. zur Problematik der Ausnahmeklauseln Treviranus, ZaöRV 39 (1979), S.275ff.

1230

ILC Yearbook 1974 11, Part 1, S. 210.

1231

Ausführlicher oben I.Teil, lAbschn., D.

4. Teil: Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion

319

ist mit der Auflösung der Sowjetunion nicht verschwunden, sondern es hat sich lediglich die Kontrolle über diese Waffen geändert. W1 b) Grundlegende Änderung der Durchführungsbedingungen? Jedoch dürfte die praktische Durchführung der Verträge zum Teil schwierig, wenn nicht sogar unmöglich geworden sein. Die USA sehen sich nicht mehr nur einem Staat, sondern vielen neuen Staaten mit unterschiedlichen Strukturen gegenüber. aa) Bei den Rüstungskontrollverpflichtungen kommt es auf die Art der vereinbarten Maßnahme an: UlJ Die Weitergeltung der crisis managementVerpflichtungenUl4 wirft keine Probleme auf, soweit die Vertragsparteien zur Durchführung politischer Maßnahmenws verpflichtet sind. Die mit der Sowjetunion vereinbarten Konsultationsmaßnahmen können auch von den Nachfolgestaaten wahrgenommen werden. Das gleiche gilt für die meisten der technischen Maßnahmen.U]ji Ebensogut können z.B. die neuen Staaten die ausgehandelten Verhaltensregeln auf See befolgen, sofern sie über eine Flotte verfügen. Aber schon die Weitergeltung der Verträge über die Einrichtung besonderer Kommunikationsmittel zwischen den USA und der Sowjetunion wie Z.B. das Heißer Draht-Abkommen kommt nur für Rußland in Betracht. Mit den übrigen Nachfolgestaaten müßte die Schaffung vergleichbarer Kommunikationsmittel vereinbart werden. Problematisch ist in jedem Fall die Fortdauer der Rüstungsbegrenzungsund Abrüstungsverträge. Sieht der Vertrag bestimmte quantitative Begrenzungen von Waffensystemen mit Zwischengrenzen vor, läßt sich nicht entscheiden, wie sich die Begrenzungen auf die neuen Staaten verteilen. Das gleiche lZ32 Zum gleichen Ergebnis kommt - allgemein in bezug auf Rüstungskontrollabkommen Dicke, S.217. Anders müßte man allerdings im Falle des (multilateralen) Nichtverbreitungsvertrages (siehe oben Fn.44) entscheiden. Mit Sinn und Zweck dieses Vertrages wäre es wohl kaum vereinbar, wenn neben Rußland auch den anderen 14 Nachfolgestaaten Nuklearstatus eingeräumt würde, da ja gerade die Zahl der Atomstaaten begrenzt werden soll. Dazu ausführlich RhinelanderjBunn, Arms Control Today, Dezember 1991, S.5f., und dies., Memorandum of March 10, 1992, for the Committee on Foreign Relations, abgedruckt in: The START Treaty, Hearings-Part 1, S.313f. lZ33 Vgl. zum folgenden die Einteilung der Rüstungskontrollverpflichtungen oben im 2.Teil, 2Abschn., A

1234

Siehe 2.Teil, 2Abschn., AI.

1235

Siehe 2.Teil, 2Abschn., A1.2.

1236

Siehe 2.Teil, 2Abschn., AI.1.

320

4. Teil: Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion

Problem stellt sich, wenn die Eliminierung der erfaßten Waffensysteme nach Prozentsätzen über bestimmte Phasen verteilt wurde. In diesen Fällen müssen sich die USA und die Nachfolgestaaten über neue Quoten verständigen. Dabei wird es darauf ankommen, wieviele der von den Verträgen erfaßten Systeme in den neuen Staaten jeweils gelagert sind. Die USA haben deshalb z.B. mit den neuen vier Atommächten mehrere Ergänzungen zu dem bislang nicht in Kraft getretenen START-Abkommen ausgehandelt. W7 bb) Vor allem aber haben sich die Bedingungen für die Durchführung der VerifIkation geändert. Die meisten kleineren Republiken haben schon keinen Zugang zu den notwendigen VerifIkationsmitteln. Ebenso müßte der Austausch von Informationen und technischen Daten nachgeholt werden. Funktionsweise undAufgabenbereich der gemeinsamen Vertragsinstitutionen müßten erweitert bzw. der neuen Situation entsprechend verändert werden. All dies ließe sich nur über gesonderte Verhandlungen zwischen den USA und den neuen Staaten erreichen. Probleme wirft insbesondere die weitere Durchführung der Vor-Ort-Inspektionen auf. Zwar könnten die USA weiterhin von ihren Inspektionsrechten Gebrauch machen, da die entsprechenden Basen und die Anzahl der Inspektionen in den Verträgen mit der Sov.jetunion genau festgelegt wurden. Doch schon der ganze Ablauf ist auf einen großen Staat wie die Sov.jetunion zugeschnitten. Inzwischen hat sich bereits gezeigt, daß die meisten Republiken nicht über das erforderliche technische Personal und Material verfügen. Seit der Auflösung der Sov.jetunion wurden alle Inspektionen über Rußland abgewickelt, auch wenn sich die Inspektionsorte in anderen Staaten befanden. Nur in einigen wenigen Fällen wurde von diesen Staaten ein eigenes Begleitteam bereitgestellt. Umgekehrt stellt sich die Frage, ob die USA nunmehr Inspektionen aller neuen Staaten auf ihrem Gebiet zulassen müßten. So ist beispielsweise die Zahl der beanspruchbaren Verdachtsinspektionen jährlich begrenzt; wie würde sich diese Zahl auf die Nachfolgestaaten verteilen? Bislang wurden die anstehenden Inspektionen von Rußland durchgeführt. 1l3I

1237 Aus dem gleichen Grund wurde auch das Pariser Abkommen über konventionelle Abrüstung in Europa (siehe oben Fn.67) neu verhandelt. Die Vertragsparteien haben sich im Juni 1992 schließlich darüber geeinigt, wie sich das der Sowjetunion nach diesem Abkommen zustehende Waffenpotential auf die neuen im Vertragsgebiet liegenden Staaten verteilen soll, vgl. Feinstein, Arms Control Today, Juni 1992, S.20. 1238 Über die insoweit unklare Situation sprach Major General Robert Parker, Direktor der On-Site Inpection Agency des amerikanischen Verteidigungsministeriums, in einer Pressekonferenz, Arms Control Reporter 1992, 403.B.758.

4. Teil: Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion

321

Nach der Wiener Konvention käme eine automatische Weitergeltung nicht für alle Verträge in Betracht.W9 Einige der Abkommen müßten neu verhandelt werden, da ihre weitere Durchführung schwierig geworden ist. U40

2. Bisherige Staatenpraxis Da die Wiener Konvention nicht in Kraft ist, kommen möglicherweise bestimmte allgemeine Grundsätze zur Anwendung. Die bisherige Staatenpraxis bei Zergliederungen von Staaten zeigt, daß überwiegend von einer Kontinuität der Vertragspflichten ausgegangen wurde. Als sich 1829-31 der Freistaat Kolumbien in Neugranada, Ecuador und Venezuela aufspaltete, hielten sowohl die Vertragspartner der alten Union als auch die neuen Staaten an den bestehenden Verträgen fest. Anfänglich hatte allerdings Großbritannien die Auffassung vertreten, die Fortführung der Abkommen setze die ausdrückliche Bestätigung der beteiligten Staaten voraus. 1l41 Nach der Auflösung der Union zwischen Norwegen und Schweden 1905 wurden die früher von der Union geschlossenen Verträge, soweit sie die betreffenden Gliedstaaten miterfaßt hatten, als für diese weiter verbindlich behandelt; eine Einschränkung wurde nur insoweit vorgenommen, als "the dissolution of the Union between Sweden and Norway modifies in any way the dispositions which have hitherho regulated these relationships."llU

1239 Unproblematisch wäre wohl die Fortsetzung des ABM-Vertrags zwischen den USA und den Nachfolgestaaten, vgl. RhinelanderjBunn, Memorandum of March 10, 1992, for the Committee on Foreign Relations, abgedruckt in: Tbe START Treaty, Hearings-Part I, S.309ff. (314).

12AO Zu einem anderen Ergebnis käme man wohl bei den meisten der multilateralen Rüstungskontrollverträge. Diese enthalten vorwiegend Vorbeugungsmaßnahmen, also Test-, Produktions- und Stationierungsverbote, die unproblematisch auch von den neuen Staaten eingehalten werden könnten. Die gemeinsamen Vertragseinrichtungen sind hier bereits "multilateralisiert", so daß die Aufnahme weiterer Staaten keine Probleme bereiten dürfte. 1241 Vgl. ILC Yearbook 1974 11, Part 1, S.260; Menon, S.51; ausführlich O'Connell, State Succession, S.I65ff.; Lord McNair, S.606ff. 1242 Zitiert nach O'Connell, State Succession, S.I68. Diese Einschränkung erinnert an den Vorbehalt in Art. 34 der Wiener Konvention. Näher zur Auflösung der Union zwischen Norwegen und Schweden ILC Yearbook 1974 11, Part I, S.260f.; Menon, S.5lf.; Meriboute, S.208; O'Connell, ebd., S.I68f.; Lord McNair, S.612ff. 21 Schmidt am Busch

322

4. Teil: Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion

Nicht ganz so eindeutig war die Sachlage im Fall Österreich-Ungarn 1918. Das Ende der Doppelmonarchie war eine Folge des Weltkrieges. Größtenteils wurde die Weitergeltung der alten Abkommen in den Friedensverträgen mitgeregelt. Sofern diese Fragen aber nicht Gegenstand der Friedensverträge waren, nahmen Ungarn und Österreich unterschiedliche Haltungen ein. Während Ungarn von der Weitergeltung der alten Verträge ausging, bestand Österreich darauf, daß es als neuer Staat nicht ipso iure an frühere Verträge gebunden sei und alle beteiligten Staaten der Fortsetzung der Vertragsbeziehungen zustimmen müßten. Die neuen auf dem Gebiet der Doppelmonarchie entstandenen Staaten wie z.B. die Tschechoslowakei wurden von dritten Staaten nicht in Anspruch genommen. l2O Wieder andere Besonderheiten weist die Auflösung der Union zwischen Island und Dänemark 1944 auf. Als sich diese heiden Staaten 1918 zu einer Union zusammenschlossen, wurde ausdrücklich vereinbart, daß die von Dänemark für die Union geschlossenen Verträge Island nur binden, wenn es diesen Abkommen zugestimmt hat. Nach dem Auseinanderbrechen der Union führte Island dementsprechend nur solche Abkommen fort, die nach dieser Regelung für Island in Kraft waren. In der Praxis bedeutete dies, daß zahlreiche multilaterale Abkommen der Union nur von Dänemark übernommen wurden. l244 Von der Kontinuität der Verträge gingen Syrien und Ägypten aus, als Syrien 1961 aus der Vereinigten Arabischen Republik austrat und sich diese damit auflöste. In einem staatlichen Erlaß kündigte der syrische Präsident an, daß die von der Republik geschlossenen Verträge solange für Syrien weitergelten soUten, bis diese Abkommen entsprechend den vorgesehenen Bestimmungen geändert bzw. aufgehoben würden. l245 Häufig wird in diesem Zusammenhang auch noch auf die Auflösung der Mali-Föderation hingewiesen. Doch muß dieser Sukzessionsfall vor allem im Zusammenhang mit der Dekolonisierung gesehen werden. Der 1959 gegründeten Föderation gehörten die beiden französischen Kolonien Sudan und Senegal an, die kurz vor ihrer Entlassung in die Unabhängigkeit standen. Im Namen der Föderation wurden mit Frankreich mehrere Kooperationsabkommen vereinbart. Als Senegal kurz darauf aus der Union wieder ausschied, 1243 Vgl. ILC Yearbook 1974 11, Part 1, S.261; Mbiboute, S.208-213; O'Connell, State Succession, S.l78ff., Lord McNair, S.615f.

1244

ILC Yearbook 1974 11, Part 1, S.261; Menon, S52.

Vgl. ILC Yearbook 1974 11, Part 1, S.262; Menon, S52; Mbiboute, S.213-215; ausführlich O'Connel/, State Succession, S.169f. 1245

4. Teil: Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion

323

wurde es von Frankreich als unabhängiger Staat anerkannt. Gegenüber Frankreich erklärte Senegal in einem Notenwechsel: •... le Gouvernement de la Republique de senegal estime qu'en vertu des principes du droit international relatif a la succession d'Etats la Republique du senegal est, pour ce qui la concerne, substituee aux droits et obligations resultant des accords de cooperation, en date de 22 juin 1960, entre la Republique fran~aise et la Federation du Mali, sans prejudice des adaptations qui, d'un commun accord, seraient reconnues ßI!cessaires.•12.

Sudan, das sich später in Mali umbenannte, lehnte dagegen die Übernahme der mit Frankreich geschlossenen Verträge strikt ab. Aufgrund der Interessenlage hätte man von den beiden Staaten jeweils genau die umgekehrte Position erwartet.1247 Angesichts dieser Praxis kann man wohl im Falle der Auflösung von Bundesstaaten und Realunionen von einer Neigung zur Aufrechterhaltung der Verträge sprechen. Fraglich ist jedoch, ob man aus dieser Praxis auf einen gewohnheitsrechtlichen Grundsatz der Kontinuität schließen kann. Letztlich hat sich jeder der genannten Sukzessionsfälle unter ganz anderen Umständen ereignet. Kein Fall gleicht dem anderen. Häufig wurden besondere Vereinbarungen zwischen den dritten Staaten und den Nachfolgestaaten getroffen. Auf jeden Fall dürfte es aber an einer entsprechenden Rechtsüberzeugung der Staaten fehlen. Oftmals waren es allein praktische Gründe, die die Neustaaten zur Fortsetzung der Vertragsbeziehungen veranlaßten. 124' 3. Die bisherigen Entwicklungen

Sowohl die USA als auch die Nachfolgestaaten der Sowjetunion haben zu erkennen gegeben, daß sie an den Verträgen weiter festhalten wollen. Die USA haben bereits während der Übergangsphase auf die Fortsetzung der 1246

Abgedruckt in: Revue generale de droit international public 65 (1961), S.695.

Vgl. ILC Yearbook 1974 11, Part 1, S.262f.; Menon, S52f.; ausführlich O'Connell, State Succession, S.170-172. 1247

1248 Die Existenz einer solchen gewohnheitsrechtlichen Verpflichtung wird überwiegend abgelehnt, vgI. Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rdnr. 18; Mössner, S.81; Brownlie, S.666; Brierly, S.153; Lord McNair, S591; Dicke, S.212-214; wohl auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, S.l65f.; Starke, S.325ff. Anderer Ansicht - aber mit großen Bedenken -Akehurst, S.162; Fiedler, State Succession, EPIL (10), S.449. Vgl. auch Rhinelander/Bunn, Arms Control Today, Dezember 1991, S5ff. (insbes. Fn.2), und dies., Memorandum of March 10, 1992, for the Committee on Foreign Relations, abgedruckt in: Tbe START Treaty, Hearings-Part 1, S.309ff. (310/11), die ohne weitere Nachweise behaupten, die Wiener Konvention habe übeIWiegend Gewohnheitsrecht kodifIZiert. Unklar Zemanek, S.734f.

324

4. Teil: Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion

Verträge gedrängt und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen von der Weitergeltung abhängig gemacht. Ausgenommen von dieser Forderung waren allerdings die baltischen Staaten. Da die USA deren Eingliederung in die UdSSR niemals anerkannt hatten, wurde es den drei Staaten freigestellt, die Verpflichtungen aus den alten Verträgen der Sowjetunion zu übernehmen.ne Die ehemaligen Sowjetrepubliken ihrerseits haben bei der Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten in Alma Ata angekündigt, daß sie die internationalen Verpflichtungen, die sich aus den Abkommen und Vereinbarungen der früheren UdSSR ergeben, erfüllen werden. In Art. 2 des Minsker Abkommen vom 30. Dezember 1991 heißt es sogar ausdrücklich: "Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft verpflichten sich, die internationalen Verträge der Sowjetunion einzuhalten und eine koordinierte Politik in den Bereichen Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle durchzuführen sowie sich an der Vorbereitung und Durchführung der Programme zur Reduzierung von Rüstungen und Streitkräften zu beteiligen. Die Teilnehmerstaaten treten unmittelbar in Verhandlungen untereinander sowei mit anderen Staaten ein, die früher der UdSSR angehörten und nicht zur Gemeinschaft gehören, mit dem Ziel, Garantien zu gewähren und die Ausarbeitung von Mechanismen zur Erfüllung der genannten Verträge sicherzustellen."1250

Die weitere Anwendung der amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollabkommen setzt jedoch voraus, daß sie den neuen Umständen entsprechend angepaßt bzw. abgeändert werden. Bisher ist nicht bekannt, inwieweit zwischen den USA und den Nachfolgestaaten bereits Verhandlungen zu diesem Zweck stattgefunden haben. In einigen Fällen dürfte es genügen, wenn allein Rußland die Verpflichtungen aus den alten Verträgen übernimmt und bestimmte Zusatzvereinbarungen zwischen den USA, Rußland und den anderen Staaten - ähnlich wie beim INF-Vertra~l - getroffen werden.1252 Aufschlußreich könnte insoweit die jüngste Staatenpraxis bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten sein. Artikel 12 Abs. 1 des Einigungsvertrages vom 31. August 19901253 sieht in bezug auf die von der DDR geschlossenen Verträge vor:

1249

S.311.

VgJ. Rhinelander (Rechtsberater bei SALT I), Tbe START Treaty, Hearings-Part 1,

12'iO

Art. 2 des Abkommens, abgedruckt in: EA 47 (1992), S. D.308f.

1251

Ausführlich zur Konstruktion des INF-Vertrages siehe oben 3.Teil, 8Abschn., B.

1252 In diese Richtung gehen die Überlegungen derzeit sowohl in den USA als auch in Rußland, vgJ. Tbe Arms Control Reporter 1992, S.240.B-l.33ff. 1253 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag), BGBI. 1990 11, S.885-1245.

4. Teil: Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion

325

"Die Vertragsparteien sind sich einig, daß die völkerrechtlichen Verträge der Deutschen Demokratischen Republik im Zuge der Herstellung der Einheit Deutschlands unter den Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes, der Interessenlage der beteiligten Staaten und der vertraglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland sowie nach den Prinzipien einer freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Grundordnung ... mit den Vertragspartnern der Deutschen Demokratischen Republik zu erörtern sind, um ihre Fortgeltung, Anpassung oder ihr Erlöschen zu regeln beziehungsweise festzustellen."

Wenngleich es sich um die Fusion zweier Staaten, also einen völlig anderen Tatbestand der Staatennachfolge handelt, nennt diese Bestimmung die Kriterien, die bei der Anpassung der Rüstungskontrollverträge eine Rolle spielen sollten: Vertrauensschutz, Interessenlage der beteiligten Staaten und andere vertragliche Verpflichtungen. 11. "Nachfolge" in bisher nur unten:eichnete Verträge

Noch nicht in Kraft waren zum Zeitpunkt des Zerfalls der Sowjetunion der START-Vertrag und das Chemiewaffenabkommen. Die "Nachfolge" in nur unterzeichnete bilaterale Verträge ist in der Wiener Konvention nicht geregelt; die Art. 36 und 37 gelten nur für multilaterale Abkommen. Untersuchungen der bisherigen Staaten praxis haben sich ausschließlich mit den Auswirkungen einer Staatennachfolge auf die geltenden Verträge des Vorgängerstaates befaßt. Auf keinen Fall sind die USA oder die Nachfolgestaaten zur RatifIzierung dieser Verträge verpflichtet. Bereits oben wurde gezeigt, daß selbst für die Unterzeichnerstaaten keine Pflicht zur Ratiftzierung des unterzeichneten Vertrages besteht. US4 Unklar ist jedoch, ob für die neuen Staaten das Vereitelungsverbot des Art. 18 WÜV gilt. Diese Frage würde vor allem dann interessant, wenn einer der neuen Staaten bestimmte Maßnahmen ergreift, die Ziel und Zweck der Verträge gefährden, also z.B. weiterhin bestimmte Chemikalien produziert!lS5 Doch liegt die Antwort auf der Hand: Wenn bereits die Verpflichtungen aus den geltenden Verträgen der Sowjetunion nicht ipso iure auf die Nachfolgestaaten übergehen, kann auch das Vereitelungsverbot als eine "vorvertragliehe" Pflicht nicht automatisch für die Nachfolgestaaten gelten.

1254

Siehe 3.Teil, 2Abschn., B.III.

125S

Vgl. Art.l (1) b) des Chemiewaffenabkommens.

326

4. Teil: Auswirkungen der Auflösung der Sowjetunion

Praktisch haben sich diese Probleme weitgehend gelöst: Die USA haben inzwischen mit den vier neuen Atommächten ein Zusatzabkommen zum START-Vertrag ausgehandelt, in dem die neuen Staaten gemeinsam die Verpflichtungen der Sowjetunion aus diesem Vertrag übernehmen. W6 Als definitive Vertragsparteien besteht nunmehr für diese Staaten das Vereitelungsverbot aus Art. 18 WÜV. Was das Chemiewaffenabkommen anbelangt, so haben Präsident Bush und Präsident Jeltzin während des Gipfeltreffens in Washington am 17. Juni 1992 erklärt, daß dieses Abkommen abgeändert und dann sogleich in Kraft treten wird. W7

1256

Ausführlicher oben l.Teil, lAbschn., D.

1251

Tbe Arms Control Reporter 1992, S.704.8525.

Schlußbemerkung Nach der Auflösung der Sowjetunion werden die amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollabkommen nunmehr zwischen den USA und Rußland weiter angewendet. Bei diesen Verträgen handelt es sich um äußerst politische Verträge. Sie berühren in höchstem Maße die Sicherheitsinteressen der Vertragspartner. Es geht um die Herstellung und Bewahrung des militärischen Gleichgewichts zwischen den Vertragspartnern im Rahmen des immer noch geltenden Abschreckungskonzepts; begrenzt und abgebaut werden redundante Abschreckungskapazitäten. usa In diesem hochsensiblen Bereich besteht bei den Vertragspartnern das Bedürfnis nach Stabilität, gleichzeitig aber auch der Wunsch nach größtmöglicher politischer Handlungsfreiheit: w , - Zum einen legen die Staaten äußersten Wert auf die minutiöse Einhaltung der Vertragsbestimmungen. Angestrebt wird ein Höchstmaß an rechtlicher Verbindlichkeit, Präzision und Vereinbarungsstabilität. Diesem Ziel dienen zunächst die Wahl der Vertragsform selbst und der zunehmend institutionalisierte Verhandiungsprozeß. Es wird weiter verwirklicht durch eine perfektionistische DefInitionstechnik und eine äußerst komplizierte Vertragsarchitektur. Schließlich enthalten die Verträge umfassende Veriftkationsbestimmungen; die Staaten treffen also in den Abkommen selbst besondere Vorkehrungen für die Überwachung der Einhaltung der übernommenen Rüstungskontrollverpflichtungen. - Zum anderen wollen die Staaten die Verträge aktuellen politischen und neuen technologischen Entwicklungen möglichst rasch anpassen, in bestimmten Situationen sich sogar ganz von ihnen lösen können. Aus diesem Grunde erfolgte bilaterale Rüstungskontrolle teilweise mittels sukzessiver, befristeter 1258 Zum politischen Charakter von RüstungskontrolIverträgen Graf Vitzthum, Berichte nGVR 30 (1990), S.111; Höget, S.I04; Bothe, Rechtsfragen, Berichte nGVR 30 (1990), S.42-49; Neuhold, S.448; Stein, RdC 133 (1971-11), S.38Of.; Ronzitti, S.117. 1259 Vgl. zu dieser Charakterisierung Höget, S.I04f.; siehe auch Graf Vitzthum, Berichte nGVR 30 (1990), S.110-114.

328

Schlußbemerkung

Abkommen. Die Verträge enthalten außerdem Weiterverhandlungs-, Überprüfungs- und Änderungsklauseln; immer häufiger ist für rein technische und administrative Änderungen ein vereinfachtes Verfahren vorgesehen. Dem Bedürfnis nach Flexibilität tragen auch die speziellen KÜDdigungs- und Rücktrittsklauseln Rechnung, die bewußt allgemein gehalten sind. Schließlich entspricht dem Wunsch nach politischem Handlungsspielraum das völlige Fehlen von Streitbeilegungs- und Sanktionsbestimmungen. Wegen dieser Besonderheiten kann man bei den amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollabkommen durchaus von einem besonderen Vertragstypus sprechen. Aufgrund ihres Regelungsiohalts weisen die bilateralen Rüstungskontrollabkommen bestimmte Merkmale auf, die diese in ihrer Gesamtheit charakterisieren. Bei der einzelnen Vereinbarung, die dem "Typus" zugeordnet werden soll, müssen diese Merkmale nicht notwendig sämtlich vorliegen, vielmehr kommt es entscheidend auf das Gesamtbild an. l26O Dem Recht der völkerrechtlichen Verträge ist die Einteilung in verschiedene Vertragstypen fremd. Die Regeln des WÜV sind grundsätzlich auf alle Verträge anwendbar. Es klassifiziert lediglich nach äußeren Gesichtspunkten, nämlich nach der Form (da es nur für schriftliche Verträge gilt), nach der Art der Vertragsparteien (da es nur Verträge zwischen Staaten erfaßt) und nach deren Zahl (da es teilweise unterschiedliche Regelungen für bi- und multilaterale Verträge trifft). Ansatzweise kennt allerdings auch das WÜV eine Differenzierung nach dem Vertragsiohalt. So stellt Art. 5 ausdrücklich klar, daß das Übereinkommen auch auf jeden Vertrag Anwendung emdet, "der die GrÜDdungsurkunde einer internationalen Organisation bildet". Art. 62 bestimmt, daß eine grundlegende Änderung der beim Vertragsabschluß gegebenen Umstände nicht als Beendigungsgrund geltend gemacht werden kann, "wenn der Vertrag eine Grenze festlegt." Im übrigen stellt das WÜV nur abstrakt auf Ziel und Zweck eines Vertrages ab. lUl In der Rechtswirklichkeit haben sich aber in den verschiedenen Völkerrechtsbereichen besondere Vertragstypen herausgebildet. Ein Beispiel sind und das hat die vorliegende Arbeit gezeigt - die amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollabkommen. Die USA und die Sowjetunion bzw. Rußland haben hier aufgrund der spezifischen Interessenlagen und der in diesem

1260 Vgl. zum Typusbegriff in der Rechtswissenschaft Larenz, Methodenlehre, S.333-345; Leenen, insbes. S.25-28. 1261 Ausführlich zu diesem FragenkreisDehau.s:sy, S.305-326; Vuatly, Oassification, Comunicazioni e Studi 13 (1969), S.16-35; vgI. auch Kart, S.12-18; Reuter, Introduction, S.37·39; Bemhardt, Treaties, EPIL (7), S. 461.

Schlußbemerkung

329

Bereich möglichen Konfliktsituationen die Regeln des Rechts der völkerrechtlichen Verträge entsprechend abbedungen. Diese tragen - gerade in so hoch politischen Bereichen - den Parteiinteressen nicht genügend Rechnung. Wegen des besonderen Regelungsinhalts erfahren auch die Auslegungsregeln ganz bestimmte Konkretisierungen. Es ist daher zu überlegen, ob nicht im Recht der völkerrechtlichen Verträge eine Klassifizierung der Verträge nach ihrem Inhalt sinnvoll wäre.l2Q

1262

So auch Bemhardt, Treaties, EPIL (7), S.461.

Anhang: Amerikanisch-sowjetische Abkommen und Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle

332

Anhang

Nummer

Englische Bezeichnung (FundsteIle )

Deutsche Bezeichnung (FundsteIle )

la

Memorandum of Understanding Between the USA and the USSR regarding the Establishment of a Direct Communications Link (ILM 2 (1963], S. 793)

Memorandum über die Vereinbarung zwischen den USA und der UdSSR bezüglich der Errichtung einer Direkten Nachrichtenverbindung (EA 18 [1963], S. D 391)

Ib

Agreement Between the USA and the USSR on Measures to Improve the USA-USSR Direct Communications Link (ILM 10 [1971], S. 1172)

Abkommen zwischen den USA und der UdSSR über Maßnahmen zur Verbesserung der Direkten Nachrichtenverbindung USAUdSSR (Fahl, Nr. 9.2.3., Text D)

lc

Agreement Between the USA and the USSR amending the 1971 Agreement on Measures to improve the US-Soviet Direct Communications Link (26 usrs 564; TIAS No. 8059)

Id

MemorandumofUnderstandingon the Direct Communications Link (ILM 23 [1984], S. 1393)

Vereinbarung betreffend die Direkte Nachrichtenverbindung USA-UdSSR (--)

2

Agreement on Measures to Reduce the Risk of Outbreak of Nuclear War Between the USA and the USSR (ILM 10 (1971], S. 1173)

Abkommen über Maßnahmen zur Verminderung der Gefahr eines unbeabsichtigten Ausbruchs eines Kernwaffenkrieges zwischen den USA und der UdSSR (EA 26 [1971], S. D 534)

Ja

Agreement Between the Govemment of the USA and the Govemment of the USSR on the Prevention of Incidents on and over the High Seas (ILM 11 [1972], S. 778)

Abkommen zwischen der Regierung der USA und der Regierung der UdSSR zur Vermeidung von Zwischenfällen auf Hoher See (Fahl, Nr. 10.2.2., Text D)

3b

Protocol to the Agreement Between the Govemment of the USA and the Govemment of the UdSSR on the Prevention of Incidents on and over the High Seas (ILM 12 [1973], S. 1108)

Protokoll zum Abkommen zwischen der Regierung der USA und der Regierung der UdSSR zur Vermeidung von Zwischenfällen auf Hoher See (Fahl, Nr. 10.2.3., Text D)

(--)

Anhang

333

Datum (in Kraft)

Inhalt

Kurzform

20.6.1963 (20.6.1963)

DirekteNachrichtenverbindungüber Fernschreiber und Funk

Heißer Draht-Abkommen

30.9.1971 (30.9.1971)

DirekteNachrichtenverbindungüber Satellit

20.3. und 29.4.1975 (29.4.1975)

Technische Änderungen zur Satellitenkommunikation

17.7.1984 (17.7.1984)

Verbesserung bindung

30.9.1971 (30.9.1971)

Benachrichtigungs- und Informationspflichten zur Verminderung der Gefahr eines unbeabsichtigten Nuklearkrieges

25.5.1m (255.1m)

Verhaltensregetn für Kriegsschiffe und Militärflugzeuge zur Vermeidung von Zwischenfal1en

Hohe See-Abkommen

225.1973 (225.1973)

Zusätzliche Verhattensregetn gegenüber nicht-militärischen Schiffen

Protokol1 zum Hohe See-Abkommen

der

Satellitenver-

Anhang

334

Nummer

Englische Bezeichnung (FundsteIle )

Deutsche Bezeichnung (FundsteIle)

4a

Treaty on the Limitation of AntiBallistic Missile Systems (ILM 11 [1m). S. 784)

Vertrag zwischen den USA und der UdSSR über die Begrenzung der Systeme zur Abwehr ballistischer Flugkörper (EA 27 [1m). S. D 392)

4b

Protocol to the US-Soviet Treaty on the Limitation of Anti-Ballistic Missile Systems (ILM 13 (1974). S. 906)

Protokoll zum amerikanisch-sowjetischen Vertrag über die Begrenzung der Systeme zur Abwehr ballistischer Flugkörper (EA 29 (1974). S. D 362)

4c

Secret Protocol on Procedures Goveming Replacement. Dismantling or Destruction and Notification Thereof for ABM-Systems and their Components (Hinweis bei Fahl. Nr. 8.2.2.• Text D. S. 1)

5a

Interim Agreement and Protocol on Certain Measures with Respect to the Limitation of Strategie Offensive Arms (ILM 11 [1m). S. 791)

5b

Secret Protocol on Procedures Goveming Replacement. Dismantling or Destruction and Notification Thereof for Strategie Offensive Arms (Hinweis bei Fahl. Nr. 8.2.2.• Text D. S. 1)

6

Declaration on Basic Principles of Relations Between the USA and the USSR (ILM 11 [Im). S. 756)

Erklärung über Grundsätze für die Beziehungen zwischen den USA und der UdSSR (EA 27 [1m). S. D 289)

7

Memorandum of Understanding Between the Govemment of the USA and the Govemment of the USSR Regarding the Establishment of a Standing Consultative Commission (ILM 12 (1973). S. 46)

Vereinbarung über die Errichtung einer Ständigen Berdtungskommission (EA 28 (1973). S. D 198)

(---)

Interimsabkommen zwischen den USA und der UdSSR über bestimmte Maßnahmen hinsichtlich der Begrenzung strategischer Angriffswaffen (EA 27 [Im). S. D 396) (---)

Anhang

335

Datum (in Kraft)

Inhalt

Kurzform

26.5.1972 (3.10.1972)

Begrenzung der Systeme zur Abwehr ballistischer Flugkörper (ABM) auf zwei Dislozierungsgebiete (mit jeweils höchstens 100 ABM-Systemen in jedem Land)

ABM-Vertrag

3.7.1974 (25.5.1976)

Verringerung der Zahl der Dislozierungsgebiete von ABM auf jeweils eins

Protokoll zum ABM-Vertrag

Festschreibung des jeweiligen Bestandes an ICBMs, SLBMs und Atom-V-Booten, Laufzeit 5 Jahre

Interimsabkommen

(1)

26.5.1972 (3.10.1972)

(1)

29.5.1972

Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen, Anerkennung der beiderseitigen Sicherheitsinteressen

21.12.1972 (21.12.1972)

Einsetzung einer gemeinsamen Kommission für die Durchführung des ABM-Vertrags und des Interimsabkommens

Anhang

336

Nummer

Englische Bezeichnung (FundsteIle )

Deutsche Bezeichnung (FundsteIle )

8

Protocol with Regulations of the US-Soviet Standing Consultative Commission (Fahl. Nr. 8.3.2.1.. Dok. E)

Protokoll und Regeln der Ständigen Beratungskommission von USA und UdSSR (Fahl. Nr. 8.3.2.1 .• Dok. D)

9

Agreement Between the USA and the USSR on Basic Principles of Negotiations on the Further Limitation of Strategie Offensive Arms (ILM 12 [1973]. S. 897)

Amerikanisch-SowjetischesÜbereinkommen über Grundsätze für Verhandlungen über die weitere Begrenzung der strategischen Angriffswaffen (EA 28 [1973]. S. D 417)

10

Agreement Between the USA and the USSR on the Prevention of Nudear War (ILM 12 (1973]. S. 896)

Abkommen zwischen den USA und der UdSSR zur Verhinderung eines Atomkriegs (EA 28 [1973]. S. D 418)

11a

Treaty Between the USA and the USSR on the Limitation of U nderground Nuclear Weapon Tests (ILM 13 (1974]. S. 906)

Vertrag zwischen den USA und der UdSSR über die Begrenzung unterirdischer Kernwaffenversuehe (EA 29 (1974]. S. D 364)

11b

Protocol to the Treaty on the Limitation of Underground Nudear Weapon Tests (ILM 29 [1990]. S. 969)

12

Joint American-Soviet Statement on the Limitation of Strategie Offensive Arms (AJIL 69 (1975]. S. 401)

Gemeinsame amerikanisch-sowjetische Erklärung zur Begrenzung strategischer Angriffswaffen (EA 30 [1975]. S. D 95)

13a

Treaty Between the USA and the USSR on Underground Nuclear Explosions for Peaceful Purposes (ILM 15 [1976]. S. 891 ff.)

Vertrag zwischen den USA und der UdSSR über unterirdische Kernexplosionen zu friedlichen Zwecken (Fahl. Nr. 11.2.3.• Text D)

13b

Protocol to the Treaty on Underground Nudear Explosions for Peaceful Purposes (ILM 29 [1990]. S. 1026)

(--)

(--)

Anhang

337

Datum (in Kraft)

Inhalt

305.1973 (305.1973)

Regeln für das Verfahren der Ständigen Beratungskommission

21.6.1973 (--)

Grundsätze für Verhandlungen über die weitere Begrenzung der strategischen Angriffswaffen

22.6.1973 (22.6.1973)

Gegenseitiges Gewaltverbot und Konsultationspflichten zur Vermeidung eines Atomkriegs

Kriegsverhinderungsabkommen

3.7.1974 (11.12.1990)

Begrenzung unterirdischer Nuklearwaffentests auf eine Sprengkraft von höchstens 150 KT

TI'B-Abkommen

1.6.1990 (11.12.1990)

Umfassende Vor-Ort-Kontrollen bei Nuklearwaffentests, insbesondere mit Hilfe seismischer Monitoren (nach Auswertung eines gemeinsamen Verifikationsexperiments, s.u. Nr.18)

Protokoll zum TI'B-Abkommen

24.11.1974

Bekanntgabe der bis dahin vereinbarten Begrenzungen der strategischen Angriffswaffen

Erklärung von Wladiwostok

285.1976 (11.12.1990)

Begrenzung unterirdischer Kernexplosionen zu friedlichen Zwecken auf eine Sprengkraft von höchstens 150 KT

PNE-Abkommen

1.6.1990 (11.12.1990)

Umfassende Vor-Ort-Kontrollen bei Nuklearwaffentests, insbesondere mit Hilfe seismischer Monitoren (nach Auswertung eines gemeinsamen Verifikationsexperiments, s.u. Nr.18)

Protokoll zum PNE-Abkommen

22 Schmidt am Busch

Kurzform

Anhang

338 Nummer

Englische Bezeichnung (Fundstelle)

Deutsche Bezeichnung (Fundstelle )

14

Treaty Between the USA and the USSR on the Limitation of Strategie Offensive Arms (ILM 18 (1979), S. 1138)

Vertrag zwischen den USA und der UdSSR über die Begrenzung strategischer Angriffswaffen (EA 34 (1979), S. D 368)

15

Agreement Between the USA and the USSR on the Establishment of Nuclear Risk Reduction Centers (ILM 27 (1988), S. 78)

Abkommen der USA und der UdSSR über die Einrichtung von Zentren zur Verminderung des nuklearen Risikos (EA 42 [1987], S. D 572)

16

Treaty Between the USA and the USSR on the Elimination of their Intermediate-Range and ShorterRange Missiles (ILM 27 (1988), S. 84)

Vertrag zwischen den USA und der UdSSR über die Beseitigung ihrer Flugkörper mittlerer und kürzerer Reichweite (EA 43 (1988), S. D 18)

17

Agreement Between the USA and the USSR on Notifications of Launches of Intercontinental Ballistic Missiles and SubmarineLaunched Ballistic Missiles (ILM 27 (1988), S. 12(0)

18

Agreement Between the USA and the USSR on the Conduct of a Joint Verification Experiment (US State Department)

19

Agreement Between the Govemment of the USA and the Govemment of the USSR on the Prevention of Dangerous Military Activities (ILM 28 (1989), S. 879)

20

Memorandum of Understanding Between the Govemment of the USA and the Govemment of the USSR Regarding a Bilateral Verification Experiment and Data Exchange Related to the Prohibition of Chemical Weapons (ILM 28 (1989), S. 1438)

(--)

(---)

(---)

(---)

Anhang

339

Datum (in Kraft)

Inhalt

Kurzform

18.6.1979

Begrenzung der ICBMs, SLBMs, schwerer Bomber und ASBMs (mit Reichweiten über 600 km) auf 2250, daneben bestimmte qualitative Einschränkungen

SALT li-Vertrag

15.9.1987 (15.9.1987)

Errichtung nationaler Zentren in den Hauptstädten zur Übermittlung von Benachrichtigungen über Raketenstarts

8.12.1987 (1.6.1988)

Eliminierung aller Raketensysteme mittlerer und kürzerer Reichweite in Europa, Vereinbarung von Vor-OrtInspektionen

315.1988 (315.1988)

Pflicht zur NotiflZierung von Starts landgestützterballistischer Interkontinentalflugkörper und U-Boot-gestützter ballistischer Flugkörper

315.1988 (315.1988)

Gemeinsames Verifikationsexperiment zum Zweck der Ausarbeitung verbesserter VeriflZierungsmaßnahmen für 1TB- und PNE-Vertrag

12.7.1989 (1.1.1990)

Verbot bestimmter militärischer Aktivitäten, die den Streitkräften der anderen Seite Schaden zufügen können

23.9.1989 (23.9.1989)

Austausch von Daten über die jeweiligen Chemiewaffenbestände sowie Vor-Ort-Inspektionen in Produktionsstätten von Chemiewaffen

(RatifIZierung abgelehnt)

INF-Abkommen

NE-Abkommen

Anhang

340

Nummer

Englische Bezeichnung (FundsteIle )

21

Agreement Between the Government of the USA and the Government of the USSR on Principles of Implementing Trial Verification and Stability Measures that would be carried out pending the Conclusion . of the U~et Treaty on the Reduetion and Limitation of Strategie Offensive Arms (ILM 28 [1989), S. 1434)

22

Agreement Between the Government of the USA and the Government of the USSR on Reciprocal Advanee Notifieation of Major Strategie Exercises (ILM 28 [1989), S. 1436)

23

Agreement Between the USA and the USSR on Destruetion and Non-Produetion of Chemieal Weapons and on Measures to Facilitate the Multilateral Convention on Banning Chemical Weapons (ILM 29 [1990), S. 932)

24

Joint Ameriean-Soviet Statement on the Reduetion and Limitation of Strategie Offensive Arms (New York Times vom 2.6.1990, S.

Y/8)

25a

Treaty Between the USA and the USSR on the Reduetion and Limitation of Strategie Offensive Arms (US Department of State Dispateh, Vol.2, Suppt. NoS, Oktober 1991)

25b

Protocol to the Treaty Between the USA and the USSR on the Reduetion and Limitation of Strategie Offensive Arms (Arms Control Reporter 1992, 611.D.91)

Deutsche Bezeichnung (FundsteIle )

(--)

(---)

(---)

Gemeinsame amerikaniseh-sowjetisehe Erklärung über ein Abkommen zur Verringerung der strategischen Kernwaffen (EA 45 (1990), S. D 462)

(--)

(--)

341

Anhang Datum (in Kraft)

Inhalt

23.9.1989 (23.9.1989)

Vereinbarung bestimmter Prinzipien für die Durchführung gemeinsamer Verifikationsexperimente im Hinblick auf ein abzuschließendes START-Abkommen

23.9.1989 (1.1.1990)

Notifikationspflichten bei bestimmten Manövern

1.6.1990

Reduzierung der Chemiewaffenbestände um jeweils SO% bis Ende 1999, sodann Reduzierung auf je SOOO t bis Ende 2002

1.6.1990

Bekanntgabe bisher vereinbarter Reduzierungen und Begrenzungen der strategischen Offensivwaffen

31.7.1991

3O-prozentige Reduzierung der strategischen Offensivwaffen sowie zusätzlichequalitativeEinschränkungen

235.1992

Rußland, Kasachstan, Weißrußland und die Ukraine übernehmen gemeinsam die Verpflichtungen der UdSSR aus dem START-Vertrag

(noch nicht)

(noch nicht)

(noch nicht)

Kurzform

CW-Abkommen

START-Vertrag

Anhang

342

Nummer

Englische Bezeichnung (FundsteIle )

26

Joint Understanding on Reduetio ns in Strategie Offensive Arms (US Department of State Dispateh, Vo1.3, No.25, 22.6.1992, S.492f.)

27

Treaty Between the USA and the R)lssian Federation On the Further Reduetion and Limitation Of Strategie Offensive Arms (Arms Control Reporter 1993, 614.D.3.)

Deutsche Bezeichnung (FundsteIle)

(--)

(--)

Anhang Datum (in Kraft)

Inhalt

17.6.1992

Rahmenvereinbarung für weitere strategische Reduzierungen

3.1.1993 (noch nicht)

Reduzierungen des strategischen Arsenals um weitere 30% auf jeweils 3000 - 3500 Gefechtsköpfe bis 1.1.2003

343

Kurzform

SfART lI-Abkommen

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