Didaktisches Beiheft 9783205103530, 3205052161, 9783205052166


114 18 11MB

German Pages [140] Year 1990

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Didaktisches Beiheft
 9783205103530, 3205052161, 9783205052166

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Schmelztiegel Wien - einst und jetzt

SCHMELZTIEGEL WIEN EINST UND JETZT Didaktisches Beiheft herausgegeben von Hildegard Pruckner und Waltraud Weisch

BOHLAU VERLAG

WIEN · KÖLN

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schmelztiegel Wien - einst und jetzt: zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten ; Aufsätze, Quellen, Kommentare / von Michael John u. Albert Lichtblau. Mit e. Einl. von Erich Zöllner. - Wien ; Köln : Böhlau. NE: John, Michael [Hrsg.] Didakt. Beih. Hrsg. von Hildegard Pruckner u. Waltraud Weisch. 1990 ISBN 3-205-05216-1 NE: Pruckner, Hildegard [Hrsg.]

ISBN 3-205-05216-1 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Copyright 1990 by Böhlau Verlag Gesellschaft m.b.H. und Co.KG., Wien · Köln Satz: K L O S S · SATZ, 1100 Wien Druck: Novographic, 1238 Wien

Zu diesem Band Die vorliegenden Unterrichtsmaterialien entstanden im Rahmen des Projekts „Schmelztiegel Wien - einst und jetzt". An diesem Projekt arbeiteten mit: Projektleitung: Gero Fischer, Gernot Heiss, Michael Mitterauer Wissenschaftliche Mitarbeiter: Michael John, Albert Lichtblau Gesamtkoordination: Hildegard Pruckner Didaktische Betreuung: Waltraud Weisch; Lehrer/innen: Margarethe Anzengruber, Renate Hofbauer, Ursula Hollenstein, Susanne Jindra, Uta Kissinger, Susanne Pirstinger, Hildegard Pruckner, Elke Renner, Gerhard Wegscheider Umsetzung in der Evaluationsphase durch: Vera Cerha, Gudrun Burkert, Karin Grech, Daniela Hartmann, Christine Heinschink, Therese Jiresch, Ulrike Kühtreiber, Wolfgang Lassmann, Sylvia Lausecker, Sieglinde Massiczek, Claudia Mayerhofer, Sonja Mum, Ingeborg Muzik, Edith Preß, Michael Sertl, Herbert Steinböck, Ursula Stöffler, Martina Waibel, Friedrich Weinhofer, Fritz Wilflinger, Jutta Wittmann, Karin Zahler, Maria Zoufal-Kraner Wir danken allen Beteiligten für die gute Zusammenarbeit.

Folgenden Institutionen danken wir für die Unterstützung: Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Sport Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung Pädagogisches Institut der Stadt Wien Stadtschulrat für Wien Zentralsparkasse der Gemeinde Wien

Inhalt

VII

Inhalt

Vorwort

1

1. Theoretische Einleitung 1.1. Interkulturelle Erziehung - neue Wege in der Ausländer/innenpädagogik Erziehung für das Herkunftsland Erziehung für das Aufnahmeland Interkulturelle Erziehung Grenzen der interkulturellen Erziehung Die didaktische Konzeption des Schmelztiegel-Projekts 1.2. Aus der Notwendigkeit eine Chance machen 1.3. Das „Tschuschenbad"

3 3 3 3 4 5 5 7 9

2. Praktische Anwendung in der Schule - didaktische Umsetzung 2.1. Volksschule - Erfahrungen mit dem Quellenmaterial Claudia Mayerhofer - 2. Klasse Woher komme ich? - Migration früher - Migration heute Arbeitsblätter Ingeborg Muzik - 3. Klasse Wohnen - Die nähere Umgebung unserer Schule Aufsätze Uta Kissinger - 3. Klasse Bin ich wirklich ein/e Wiener/in? - Alte und neue Wohnhäuser in unserer Umgebung Handwerker heute und einst - Wanderhändler/innen im alten Wien - Wohnverhältnisse in Wien früher und jetzt Maria Zoufal-Kraner - 4. Klasse Verschiedene Handwerker Sonja Mum - 4. Klasse Industrie in der Großstadt - Wien wurde immer größer - Wohnen heute-einst . . . . Therese Jiresch - 4. Klasse Die Donau bei Wien Edith Preß - 4. Klasse Arbeitsverhältnisse im vorigen Jahrhundert (Beispiel Ziegelarbeiter/innen) 2.2. Allgemeine Sonderschule - Warum dieses Projekt wichtig und interessant war Christine Heinschink - 8. Klasse Vom Hausbau - Wie wir wohnen

11 11 13 13 14 16 16 18 19

19 22 22 23 23 25 25 26 26 28 29 29

VIII

Inhalt

Ursula Hollenstein - 8. Klasse Die Prunkbauten von Wien - Wer waren die Bauarbeiter? - Die „Ziegelböhm" - Bei den Tschech/inn/en am Wienerberg - Lehrlinge in der Monarchie und Lehrlinge heute - Die Wiener Küche - „Gastarbeiter/innen - Wohnen wie im Kaiserreich" - Die Religion der Gastarbeiter/innen Gerhard Wegscheider - 8. Klasse Lehrstellen- und Arbeitssuche im vorigen Jahrhundert - Massenmedien - Von woher kommen die Wiener/innen? - Berufe früher und heute, die auf der Straße/auf Wanderschaft ausgeübt wurden/werden 2.3. Hauptschule - Allgemeines zur Arbeit mit den „Schmelztiegel-Materialien" Karin Grech - 1. und 3. Klasse 1. Klasse: Das Rollenbild der Frau in der Türkei - Vergleich: türkische Mädchen/österreichische Mädchen - Matriarchat und Patriarchat - Tradition und Familie - Die türkische und die deutsche Sprache - Ausländer/innen in Wien - Ausländer/innen in Österreich 3. Klasse: Wie gingen die Nazis gegen Ausländer/innen vor? - Welche Ausländer/innen leben hauptsächlich in Wien? - Wie wohnen viele Ausländer/innen in Wien? - Welche Probleme können Ausländer/innenkinder haben, wenn sie zu uns kommen? - Rollenspezifische Tradition - Zuwanderer/innen nach Wien um 1900 - Welche Vorteile, positive Einwirkungen, Bereicherungen bringen Ausländer/innen für ein Land? Aufsatz

31

31 36

36 39 40

41

43 45

Hildegard Pruckner - 2. Klasse „Ich möchte wissen, ob Gastarbeiter in Österreich glücklich sind . . . " Aufsätze und Schüler/innen-Meinungen

46 46 57

Sieglinde Massiczek Die Arbeitswelt der Frau - Die Wohnung, ihr zweiter Arbeitsplatz Arbeitsblätter, Aufsätze, Gedichte

58 58 61

Ursula Stöffler - 3. Klasse Handwerkerleben im Mittelalter - Wiener Straßentypen - Randgruppen unserer Gesellschaft - „Warum dürfen die beiden türkischen Mädchen nicht auf Schullandwoche fahren?" Zeichnungen

66

66 68

Fritz Wilflinger - 3. Klasse Wir vergleichen das Lima von heute mit dem Wien vor 100 Jahren

70 70

Waltraud Weisch - 3. Klasse „Österreich, gutes Land?" Arbeitsblätter

72 72 75

Renate Hofbauer - 4. Klasse Wie es früher einmal war - Kinderarbeit; Wann hat es sie gegeben? - Die Familie im Wandel der Zeit Aufsätze und Plakat

77 77 81

Martina Waibel - 4. Klasse Arbeitsrechte - Wohnverhältnisse der tschechischen Zuwanderer/innen Aufsätze und Plakate

83 83 85

2.4. Allgemeinbildende Höhere Schule - Möglichkeiten und Probleme bei der Arbeit

87

Sylvia Lausecker - 1., 4. und 5. Klasse 1. Klasse: Meine Kindheit 5. Klasse: Außenseiter 4. Klasse: Situation Jugendlicher: Freizeit, Wohnen und Kommunikation im Alltag Gastarbeiter/innen

88 88 89

Karin Zahler - 4. Klasse Zeitungsartikel - was steckt dahinter?

91 91

90

Inhalt

IX Vera Cerha - 2. Klasse Die Fabel vom gefangenen Vogel Daniela Hartmann - 2. und 7. Klasse 2. Klasse: „Du nix red'n Deitsch?" - Sprachverhalten Ausländer/inne/n gegenüber . . . 7. Klasse: Hadrian, der antisemitische Prototyp - Diskriminierung von Ausländer/inne/n Gretl Anzengruber - 3. und 5. Klasse 3. Klasse: Wohnen der Gastarbeiter/innen 5. Klasse: Möglichkeiten einer sinnvollen Lebensgestaltung - Früher war das alles anders Jutta Wittmann - 4. Klasse Die Rolle der Frau in der Türkei Gudrun Burkert - 4. Klasse Die soziale Lage in Wien zu Beginn der Arbeiter/innenbewegung (Industrielle Revolution) Friedrich Weinhofer - 4. Klasse Wohn- und Lebensverhältnisse in Wien - Die Tschech/inn/en in Wien - Der Kontakt zwischen In-und Ausländer/inne/n - Arbeitsbedingungen Elke Renner - 4. Klasse Juden/Jüdinnen in Wien - Arbeits- und Wohnsituation von „Fremden" Wolfgang Lassmann - 5. Klasse Eine Stadt will nach oben: Funktion der Sprache - Wozu verwendet/e eine Stadt Sklaven/Nicht-Hellenen/„Tschuschen"?

3. Anhang 3.1. Quellenanhang 3.2. Weiterführende Literatur 3.3. Beratungsstellen für Schulprobleme ausländischer Kinder 3.4. Quellenregister

92 92 94 94 94 97 97 97 99 99 100 100 102 102 105 105 108 108 111 111 125 127 129

Vorwort

1

Vorwort 1983 wird in Wien das Türkenjahr gefeiert. Es gibt pompöse Ausstellungen, bei denen zumeist der Krieg gegen beziehungsweise der Sieg über die Türken im Vordergrund stehen. Einige Wissenschaftler/innen der Universität Wien sind mit dieser Form der Vergangenheitsbewältigung durch historische Monsterschauen nicht einverstanden - sie weisen darauf hin, daß so eine Reihe von Möglichkeiten zum Abbau von Vorurteilen Türk/inn/en und anderen derzeit in Wien lebenden Ausländer/inne/n gegenüber versäumt werden. Zur gleichen Zeit gibt es in Wien zahlreiche Schulklassen mit sehr hohen Prozentanteilen von Gastarbeiterkindern. Lehrer/innen klagen über Probleme, die diese „fremden" Kinder in ihre Klassen bringen. Sie sehen sich vehementen Vorurteilen der Wiener Kinder gegenüber, einige entdecken Vorurteile bei sich selbst. Sie suchen nach Arbeitsmaterialien, die ihnen bei der Bewältigung dieser Probleme helfen könnten. Im Juni 1983 findet im Pädagogischen Institut der Stadt Wien ein Seminar „Türken, Türkei und Türkenbelagerungen im Unterricht verschiedener Schulstufen" statt. Eingeladen dazu sind „Wissenschaft und Schule", das heißt Personen sowohl aus dem Universitätsbereich als auch von verschiedenen Schultypen, die sich schon früher in irgendeiner Weise mit der Ausländer/innenproblematik beschäftigt hatten. Bei diesem Arbeitsgespräch steht - obwohl die Mehrzahl der Anwesenden Historiker/innen sind - der Gegenwartsbezug sehr stark im Vordergrund und der Wunsch, die „Türken/innenproblematik" mit Ende des Türkenjahres nicht wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen. Aus diesem Grund treffen sich Teilnehmer/innen dieses Seminares ab dem Herbst 1983 weiter. Zuerst sind die Diskussionen noch „türkenorientiert", das heißt es geht um die Erstellung von Unterrichtsmaterialien, die ein an historischen Wahrheiten orientiertes Türk/inn/enbild vermitteln sollen. Relativ rasch werden die Diskussionen in Richtung auf ein

ebensolches „Ausländer/innenbild" hin umfassender. Die „Vielvölkerstadt Wien" scheint mit ihrer Geschichte und ihrer Gegenwart hiezu die besten Voraussetzungen zu bieten - der „SchmelztiegelGedanke" ist geboren. Ein Projektentwurf wird verfaßt. Inhaltliches Ziel ist die Erstellung von Unterrichtsmaterialien, die den Abbau von Vorurteilen erreichen und so der Diskriminierung von Gastarbeiter/inne/n beziehungsweise Ausländer/inne/n entgegenwirken sollen. Der zeitliche Schwerpunkt des kommentierten Quellenbandes soll auf der historischen Dimension liegen, allerdings ausgehend von heutigen Fragestellungen. So soll einerseits aus der Beschäftigung mit der Geschichte der Zuwanderung beziehungsweise den Integrationsproblemen in der Vergangenheit ein besseres Verständnis von Gegenwartsproblemen erreicht werden. Andererseits soll es die historische Distanz ermöglichen, heikle Themenbereiche, deren direktes Ansprechen den Betroffenen peinlich ist, zur Sprache zu bringen. Als Arbeitsweise ist vorgesehen, die möglichst enge Zusammenarbeit von Wissenschaftler/inne/n und Schulpraktiker/inne/n kontinuierlich beizubehalten. Großer Wert wird dabei darauf gelegt, daß Lehrer/innen aller Schultypen - also Allgemeine Sonderschule, Volksschule, Hauptschule und Allgemeinbildende Höhere Schule - in jeweils gleicher Anzahl vertreten sind und diese Stammgruppe von Lehrer/inne/n in jeder Phase der Arbeit, also auch in der Planungsphase und bei der Auswahl der Quellentexte, mitentscheidet. Mit der Bewilligung der Projektgelder ist die kontinuierliche Arbeit von zwei Historikern am Thema möglich, alle wesentlichen Entscheidungen werden wie geplant von Wissenschaftler/inne/n und Lehrer/inne/n gemeinsam getroffen. Im September 1985 beginnt ein weiterer neuer Arbeitsabschnitt. Ein Teil der Materialien liegt soweit vor, daß sie ausprobiert werden können. Weitere dreißig Wiener Lehrer/innen haben sich dazu

2 bereit erklärt, eine Lehrerin übernimmt mit ihrer halben Dienstverpflichtung die Betreuung der didaktischen Umsetzung. Die in dieser das gesamte Schuljahr 1985/86 laufenden Evaluationsphase mitarbeitenden Lehrer/innen treffen sich vorwiegend schulartspezifisch in Kleingruppen, in größeren Zeitabständen finden Seminare aller am Projekt Beteiligten statt. Teile der von den Lehrer/inne/n geleisteten Arbeit liegen nun mit diesem didaktischen Beiheft vor. Es bestand der Anspruch, nicht nur die reinen Unterrichtsabläufe und die dazu verwendeten Materialien zu dokumentieren. Ausgangspunkt aller Darstellungen sollten die Voraussetzungen sein, unter denen die Lehrer/innen die Materialien einsetzen wollten und mußten, weiters die Zielsetzungen für die jeweilige Klasse. Keine nachvollziehbaren Ergebnisse konnten und sollten daher dokumentiert werden, wichtig war es - so die Wunschvorstellung - , die emotionale Betroffenheit aufzuzeigen, die Vielfalt der Reaktionen, die die Materialien bei allen auslösten. Auch sogenannte Fehlschläge sollten dokumentiert werden, das heißt vordergründig nicht erreichte Ziele. Keine/r der beteiligten Lehrer/innen hat das Gefühl, daß es gelungen ist, den gesamten Arbeits- und Diskussionsverlauf zu Papier zu bringen, die geschilderten Teilbereiche spiegeln aber trotz aller Kürzungen viel von den persönlichen Arbeitsweisen wider. Aus terminlichen Gründen war es nur möglich, die Evaluierung von Materialien aus drei Kapiteln des Quellenbandes darzustellen, es findet sich daher auch der Einsatz einer Quelle oft bei mehreren

Vorwort Lehrer/inne/n. Gerade das hat aber auch einen interessanten Aspekt: aufzuzeigen, wie unterschiedlich dasselbe Material verwendet werden kann. Den Arbeitsberichten sind einige kurze Artikel vorangestellt: zunächst eine Klärung, wie wir in der Ausländer/innenarbeit häufig verwendete Begriffe verstehen; Integration und Assimilation zum Beispiel werden auch in der einschlägigen Literatur oft genug verwaschen oder schlichtweg falsch verwendet. Es folgen zwei sehr persönliche Artikel: wir die beiden Herausgeberinnen des didaktischen Beiheftes, zwei Wiener Hauptschullehrerinnen, die allerdings unter völlig unterschiedlichen Bedingungen arbeiten - schildern unseren Zugang zur Ausländer/innenproblematik, unsere Probleme damit im Schulalltag, aber auch unsere Möglichkeiten zur Bewältigung dieser Probleme. Gerade das Aufzeigen unserer so verschiedenen Situation im Schulalltag soll Lehrer/innen ermuntern, sich dem Problemfeld des interkulturellen Lernens zu stellen, in Klassen, wo ausländische Kinder geballt sitzen, genauso wie in Klassen, wo sie kaum oder gar nicht sind. Die Evaluationsberichte der Lehrer/innen sind der leichteren Überschaubarkeit wegen schulartspezifisch gegliedert, vorangestellt ist jeweils eine kurze Einleitung. Literaturhinweise am Schluß des Bandes beziehungsweise Hinweise auf zur Zeit in Wien mit der Ausländer/innenarbeit an Schulen befaßte Organisationen und Gruppen sollen als Anregung für die Weiterarbeit dienen. Hildegard Pruckner

Einleitung

3

1. Theoretische Einleitung 1.1. Interkulturelle Erziehung neue Wege in der Ausländer/innenpädagogik Betrachtet man die Entwicklung der Ausländer/innenpädagogik im mittel- und nordwesteuropäischen Raum, so lassen sich im wesentlichen drei Bildungskonzepte unterscheiden: * Erziehung für das Herkunftsland * Erziehung für das Aufnahmeland * Interkulturelle Erziehung

Erziehung für das Herkunftsland Am bekanntesten dürfte hier wohl das „Bayrische Modell" in der Bundesrepublik Deutschland sein. Die Befürworter/innen dieser Richtung der Ausländer/innenpädagogik plädieren für nationale, bilinguale Klassen, also für die Errichtung reiner Ausländer/innenklassen. Die kindliche Persönlichkeit soll durch die Förderung der Muttersprache, die Weiterführung der Tradition ihrer Sitten und religiöser Bräuche ihrer Heimatländer stabilisiert und dadurch eine Entfremdung von ihrer Familie und ihrer Heimatkultur verhindert werden. Gegen die Übernahme dieses Bildungskonzeptes sprechen unseres Erachtens eine Reihe von Argumenten. Berücksichtigt man, daß ausländische Familien hauptsächlich private Kontakte zu ihrer eigenen Nationalität pflegen, schließt sich der Kreis, daß diese Kinder von der österreichischen Aufnahmegesellschaft ausgeschlossen werden. Ausländische und österreichische Kinder leben, lernen und spielen in völlig unterschiedlichen Lebenswelten. Daher werden die deutsche Sprache und unsere Kultur nur unzureichend erlernt und jede Möglichkeit einer schulischen bzw. beruflichen Qualifikation wird durch dieses Bildungskonzept der Ghettoisierung verhindert. Es findet zwischen den österreichischen und ausländischen Schüler/inne/n kein kultu-

reller Austausch statt, statt dessen wird Ausländer/innenfeindlichkeit und die Ausbildung von Vorurteilen gefördert.

Erziehung für das Aufnahmeland Hinter diesem Bildungskonzept steckt die Idee der Assimilation,1 das heißt die direkte Anpassung an die Fremdkultur, die vollkommene Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft. Man geht von der Hypothese aus: Wenn Ausländer/innen nicht mehr „auffallen", haben sie die gleichen Chancen wie die Kinder des Aufnahmelandes, und die „Integration"2 in die Ausbildungs- und Berufswelt erfolgt problemlos. Die Kritiker/innen dieses Konzepts verweisen neben dem starken Anpassungsdruck, dem die Ausländer/innen ausgesetzt werden, noch auf weitere negative Aspekte. So vertreten die Sozialwissenschaftler/innen die Auffassung, daß die Entwurzelung von ihrer Heimatkultur und ihrer Familie zu einer Störung der Persönlichkeitsentwicklung führt. Durch das Bildungskonzept der Assimilation werden Menschen erzogen, die sich ihrer nationalen Identität schämen, da ihre Heimatkultur als „rückständig" angesehen wird, während die westliche Kultur als die „fortschrittliche" gilt. Außerdem ist nicht auszuschließen, daß ausländische Schüler/innen, auch wenn sie nach „unserem Vorbild" erzogen wurden, nicht trotzdem als Türk/inn/en und Jugoslaw/inn/en behandelt werden. Zusammenfassend kann sicherlich festgestellt werden, daß weder die Erziehung für die Gesellschaft des Heimatlandes in den nationalen Klassen noch die rasche Anpassung an unsere Kultur eine zielführende Strategie sein kann.

4

Interkulturelle Erziehung Seit Beginn der achtziger Jahre entwickelt sich in der Ausländer/innenpädagogik eine Alternative zu den beiden erstgenannten Bildungskonzepten. Man erkannte außerdem, daß die Bemühungen der vergangenen Jahre sich fast ausschließlich auf die Lösung des Sprachproblems konzentriert hatten. Das pädagogische Problem - wie begegnet man der Identitätsdiffusion, ausgelöst durch das Leben zwischen zwei Kulturen, die durch unterschiedliche Kulturkonflikte gekennzeichnet sind - geht damit weit über den Erwerb der deutschen Sprache hinaus, das heißt, mit einem guten Spracherwerb sind sicherlich nicht alle Probleme gelöst. Der Sprach- und Kulturwechsel führt zu Problemen in der Sozialisation und Identitätsbildung - eine große Anzahl von Untersuchungen bestätigen dies übereinstimmend (vgl. zum Beispiel: Boos-Nünning 1976, Schräder u. a. 1976). Dieser permanente interkulturelle Konflikt wird folgendermaßen treffend beschrieben: „Die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen befinden sich in einem fortdauernden Spannungsverhältnis zwischen den soziokulturellen Referenzmodellen ihrer Heimatländer beziehungsweise ihrer peripheren Lebensumwelt und dem Kontext der hochindustrialisierten Bundesrepublik. Während diese Gruppen schon im Heimatland zu den abhängigen und unterprivilegierten Schichten der Gesellschaft gehören, bedeutet der neue Status des .Gastarbeiters' oder .Gastarbeiterkindes' eine weitere Einordnung als Unterprivilegierte und Abhängige sowohl innerhalb der Produktionsprozesse als auch der sozialen Prozesse des Aufnahmelandes. Auf diese Weise erleben ausländische Erwachsene, Kinder und Jugendliche eine doppelte Abhängigkeit und Beherrschung, die ihr gesamtes soziales Verhalten beeinflußt." (Akpinar 1978, S. 40) Somit wird die Sozialisation ausländischer Kinder von zwei Gesellschaftshintergründen geprägt. Die ausländische Familie ist aber nicht in der Lage, ihren Kindern Strategien - für beide Gesellschaftsstrukturen - zu vermitteln, da die einst erlernten Strategien im Aufnahmeland häufig nicht anwendbar sind. Die ausländische Familie ist in vielen Fällen der Lernort für die Muttersprache und die Vermittlungsinstanz für die Wertvorstellungen, kulturellen Normen und Rituale der jeweiligen Herkunftsländer, sie ist aber nicht der Lernort für die deutsche Sprache und die westlichen Verhaltensweisen. „Die widersprüchlichen und zum Teil einander ausschließenden Anforderungen und die allgemein erschwerten Lebensumstände behindern viele ausländische Kinder in ihrer Persönlichkeitsentwicklung, denn unter den gegebenen Umständen sind Identitätskonflikte unausweichlich. Ausländische Kinder werden sowohl aufgrund des Fehlens von Ich-Identität als auch von sozialer Identität nicht

Einleitung

hinreichend befähigt, aktiv an sozialen Interaktionen teilzunehmen. Die Folge dieser Situation ist eine Isolierung von der deutschen Umwelt, so daß eine Auseinandersetzung mit ihr nur bedingt stattfinden kann." (Akpinar 1978, S. 41) Weiters erfolgt durch die Unterschichtung und Randgruppenzugehörigkeit eine Statuszuweisung, die kein positives Selbstbild entstehen läßt und das eigene Selbstwertgefühl mindert. Zu Beginn der Entwicklung von interkulturellen Konzepten standen daher folgende Überlegungen im Vordergrund: * Wie kann das Selbstwertgefühl aufgebaut werden? * Wie kann ein kulturelles Selbstwertgefühl aufgebaut werden? * Wie werden Handlungskompetenzen erworben, die es erlauben, eine kulturelle Identität zu entwickeln? Als einer der ersten Sozialwissenschaftler entwickelte der Türke Ünal Akpinar in der Bundesrepublik Deutschland Vorstellungen einer interkulturellen Erziehung, ausgehend von der realistischen Einschätzung unserer Gesellschaft hin zu einer multikulturellen Gesellschaft. „Die Entwicklung eines langfristig wirksamen pädagogischen Konzepts für die Bildung und Erziehung deutscher und ausländischer Kinder erfordert nicht nur wegen des Ausmaßes der Arbeitsmigration, sondern auch wegen der internationalen Integration, daß regionale und nationale Gesichtspunkte zugunsten einer stärkeren Beachtung internationaler Prozesse an Gewicht verlieren. Die interkulturelle Situation, die vor allem in den Ballungsgebieten der Bundesrepublik Deutschland längst vorhanden ist, kann nicht durch eine Pädagogik aufgearbeitet werden, die sich ausschließlich an Ausländer richtet und sich an einer bis zur Germanisierung reichenden Integration oder sich an einer bis zur Idealisierung der eigenen Nationalität gehenden Vorbereitung an die Reintegration orientiert." (Akpinar 1980, S. 68) Die Pädagogik der interkulturellen Erziehung steht erst am Anfang ihrer theoretischen und praktischen Entwicklung, interkulturelle Erziehung ist noch kein exakt definierter Begriff; bisweilen wird er auch bloß für jeden gemeinsamen Lernprozeß zwischen in- und ausländischen Schüler/inne/n verwendet. Als neue Chance in der Ausländer/innenpädagogik sollte aber interkulturelles Lernen mehr beinhalten: „An der Erziehungsrealität der Ausländerkinder, dem Leben zwischen den Kulturen orientiert sich eine interkulturelle Erziehung. Sie greift die Erfahrungen auf, die die Kinder in mehreren Kulturen machen . . . Sie zielt darauf ab, die unterschiedlichen Wert- und Handlungssysteme in einem übergreifenden Erziehungszusammenhang vermittelnd aufzuheben." (Steffen 1981, S. 59 und Müller 1980, S. 135) Bei diesen Überlegungen steht aber nicht ausschließlich nur der/die ausländische Schüler/in im

5

Einleitung Vordergrund, im Gegenteil, auch die Lebensrealität des/der inländischen Schülers/Schülerin zum Unterrichtsthema zu machen, ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Konzepts. Interkulturelle Erziehung kann nicht allein als Forderung an die ausländischen Schüler/innen verstanden werden. Auch für die österreichischen Kinder hat sich das soziale Umfeld durch die Migrant/inn/en verändert. Das Zusammenleben mit Menschen anderer ethnischer, kultureller und sozialer Herkunft bedeutet auch für inländische Kinder die Notwendigkeit, sich in einer multikulturellen Gesellschaft zurechtzufinden und in ihr handlungsfähig zu werden. Bloße Toleranz gegenüber Minderheiten ist für diese Anforderung sicherlich zuwenig, auch der Majorität werden interkulturelle Lernprozesse abverlangt. Interkulturelles Lernen bedeutet somit „gemeinsames" Lernen von österreichischen und ausländischen Schüler/inne/n, „und zwar nicht nur über die anderen, sondern zugleich auch über die eigene Welt und ihre Fragwürdigkeit . . . Die Relativierung der eigenen Kultur ist Voraussetzung für das Entdecken von Gemeinsamkeiten und die gemeinsame Entwicklung neuer Lebensmöglichkeiten. Das Ziel einer solchen Entwicklung ist weder in der Nivellierung der kulturellen Unterschiede noch in einer auf Ghettoisierung beruhenden neuen Ethnizität zu sehen, sondern in einem neuen kulturellen Pluralismus." (Steffen 1981, S. 60) Nimmt man interkulturelle Erziehung ernst, muß sie als didaktisches Prinzip angesehen werden, vergleichbar mit dem Unterrichtsprinzip Politische Bildung. „Basis der Überlegung ist eine Didaktik vom Anders-Sein und doch Zusammensein" oder, anders ausgedrückt, „die Offenheit für den Unterschied schlechthin. Das Fremde, das Andersartige, . . . dieses Anders-Sein muß von allen ausgehalten und verarbeitet werden. Es muß ebenso Gegenstand der Auseinandersetzung sein wie das Gemeinsame." (Wienhofer 1983, S. 8) Als Grundlage des interkulturellen Lernens können folgende Arbeitshypothesen angesehen werden (vgl. Wienhofer 1983, S. 11): * Sensibilisierung aller Schüler/innen für die Unterschiedlichkeit ihres soziokulturellen Hintergrunds; * Ausnützung der unterschiedlichen Kenntnisse, Erfahrungen und Erlebnisse der Kinder mit dem Ziel der Bereicherung und einer Erneuerung des sachkundlichen Unterrichts; * Stärkung des Selbstvertrauens und somit Aufbau eines kulturellen Selbstwertgefühls. Sehr häufig spricht und hört man von den „Defiziten" der ausländischen Schüler/innen (Defizitäre Zweisprachigkeit, Sozialisationsdefizite usw.), übersieht dabei aber ganz die enorme Bereicherung, die diese Schüler/innen darstellen. Sie bieten eine Chance zur Überprüfung und vielleicht auch zur Änderung der eigenen Wertvorstellungen. Von diesen Intentionen ausgehend beinhaltet das

Konzept wichtige Lernprozesse für alle Beteiligten (vgl. Wienhofer 1983, S. 21): * für die ausländischen Schüler/innen: Akzeptanz der eigenen ethnischen Herkunft und Kultur; * für die inländischen Schüler/innen: Akzeptanz der Fremdheit des Anders-Seins zusammen mit der Fähigkeit und Bereitschaft, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen; * für beide Schüler/innengruppen: Abbau von Vorurteilen Hilfen zur Verarbeitung der Fremdheit fundierter Wissenserwerb Wecken von Neugier und Faszination für die Begegnung mit anderen Kulturen.

Grenzen der interkulturellen Erziehung Bei allen Bemühungen darf man aber nicht vergessen, daß die Ursachen für die Misere der Gastarbeiter/innen nicht nur ausschließlich im Bereich Schule zu suchen sind, sondern grundgelegt sind in der sozialen Segregation und in den ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen der Ausländer/innenbeschäftigung. Auch die beste Pädagogik ist nicht in der Lage, bestimmte gesellschaftliche Konflikte zu lösen. Der/Die österreichische Lehrer/in vermittelt „unsere" Kulturtechniken, und die dargebotenen Unterrichtsinhalte sind in der Regel mittelschichtorientiert. Unser Schulsystem (speziell Hauptschule und Berufsschule) ist darauf ausgerichtet, gut funktionierende und leicht einzugliedernde Arbeitskräfte für die Wirtschaft heranzuerziehen. Daher vermittelt der/die Lehrer/in im Prinzip mehr Hilfen zur Assimilation als zur Integration.

Die didaktische Konzeption des Schmelztiegel-Projekts Bis jetzt gibt es in Österreich kaum Beispiele (ausgenommen im Bereich Sprache) für die Einbeziehung und Verarbeitung der Lebensrealität der ausländischen Schüler/innen, kaum konkrete Beispiele für interkulturelle Erziehung. Dieses didaktische Beiheft und der kommentierte Quellenband sollen eine Hilfestellung für interkulturelles Lernen bieten bzw. einen möglichen Weg aufzeigen. Erfahrungen im Unterricht mit ausländischen Schüler/inne/n haben immer wieder gezeigt, daß der Anpassungsdruck an unsere Kultur derart stark sein muß, daß viele der ausländischen Schüler/innen am liebsten ihre Herkunft und Heimatkultur verschweigen. Nicht auffallen wollen durch das „Anders-Sein", Angst haben, über die Konflikte, die sich aus dem Leben in zwei Kulturen ergeben, sprechen zu müssen, machen es außerordentlich schwer,

6 diese Lebensrealität in den Unterricht in Klassen mit ausländischen Schüler/inne/n miteinzubeziehen. Aus diesen Überlegungen entstand die Idee, die Methode des „Spiegelbildes" anzuwenden. Davon ausgehend, daß Wien seit langer Zeit schon eine Zuwanderungsstadt für mehrere Nationalitäten ist, bei denen die Problematik oft ähnlich wie bei den heutigen Gastarbeiter/innenfamilien gelagert war, sollen Inhalte interkulturellen Lernens ermöglicht werden. Verschiedene Lebenssituationen erleben Gastarbeiter/innenfamilien heute in ähnlicher Weise wie zum Beispiel die Tschech/inn/en in Wien vor etwa hundert Jahren: * Abwanderungsursachen und Anwerbung * Arbeitsplatzsituation hinsichtlich niedrigster Arbeiten und schlechter Bezahlung * Wohnungssituation * Sprach- und Schulprobleme der Kinder * Anpassungsdruck * Vorurteile und Diskriminierungsmechanismen * Überfremdungsängste der Einheimischen Unterrichtsthema sind jetzt nicht in erster Linie die erschwerten Situationen der heutigen Gastarbeiter/innen, sondern die Lebensbedingungen von Zuwanderergruppen im Wien des vorigen Jahrhunderts. Diese Vorgangsweise erlaubt den ausländischen Kindern, ihre Lebensrealität, ihre Erfahrungen, Ängste, Sehnsüchte und Wünsche über eine andere Personengruppe - zum Beispiel über die damaligen Tschech/inn/en - zu artikulieren und zu reflektieren. Somit bietet sich auch die Möglichkeit, alternative Lösungsstrategien zu entwickeln und Handlungskompetenzen für das Leben in zwei Kulturen zu erwerben. Andererseits sind Lernerfolge im kognitiven und im affektiven Bereich bei den inländischen Schüler/inne/n zu erwarten. Ihnen werden andere Lebensformen nahegebracht, wodurch Vorurteile abgebaut werden und Toleranz gegenüber „Andersartigen" gefördert wird. Auch eine durchgängige interkulturelle Erziehung kann nicht alle Probleme - wie schon erwähnt bewältigen. Letztlich ist daher verstärkt die Erarbeitung politischer Lösungen zu fordern, die einen langen politischen Lernprozeß miteinschließen. Ziel wäre „der vollständige Abbau nationalistischer Intoleranz, religiöser und ethnischer Vorurteile, kultureller Arroganz und die Herstellung von Bedingungen, die interethnische Solidarität und Zusammenarbeit selbstverständlich machen" (Fischer 1982, S. 8). Interkulturelle Erziehung bietet den ausländischen Schüler/inne/n Hilfestellungen beim Überwinden von Schwierigkeiten, die ein Leben in der

Einleitung Fremde mit sich bringt, an. Im Vergleich zu österreichischen Kindern werden sie auch weiterhin mit mehr Widersprüchlichkeiten konfrontiert und in einem höheren Maß Lernbereitschaft zeigen und Fähigkeiten entwickeln müssen, um ihr Leben in zwei Kulturen zu bewältigen. Waltraud Weisch

Verwendete Literatur Akpinar, Ü./Bendit/Lopez-Blasco/Zimmer: Sozialisationshilfen für Ausländerkinder - Vorlage für den Sachverständigenkreis „Bildungsforschung" beim Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, in: „betrifft Erziehung" 1978. Weinheim: Beltz, S. 3 8 50. Akpinar, Ü.: Zur interkulturellen Erziehung. In: Westermanns Pädagogische Beiträge 32 (1980), H. 2, S. 68-73. Boos-Nünning, U., u. a.: Integration ausländischer Arbeitnehmer - Schulbildung ausländischer Kinder. Studien zur Kommunalpolitik, Schriftenreihe des Instituts für Kommunalwissenschaften, herausgegeben von der Konrad Adenauer Stiftung, Band 14. Bonn: Eichholz 1976. Fischer, G.: Plädoyer für eine Ausländerpädagogik. In: Schulheft Nr. 26, Wien 1982, S. 3 - 9 . Hegele I. und Pommerin G.: Gemeinsam Deutsch lernen; interkulturelle Spracharbeit mit ausländischen und deutschen Schülern. Heidelberg: Quelle & Meyer 1983. Müller, H.: Ausländische Kinder - Kinder zwischen zwei Welten. In: Die Grundschule der achtziger Jahre. Bilanz und Perspektiven, hg. vom Arbeitskreis Grundschule e. V. (Beiträge zur Reform der Grundschule, Band 43/44). Frankfurt/Main 1980, S. 131138. Schräder, Α., u. a.: Die zweite Generation - Sozialisation und Akkulturation ausländischer Kinder in der Bundesrepublik. Kronberg 1976. Steffen, G.: Interkulturelles Lernen - Lernen mit Ausländern. In: Sandfuchs, U. (Hrsg.): Lehren und Lernen mit Ausländerkindern. Grundlagen, Erfahrungen, Praxisanregungen. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt 1981. Wienhöfer, F.: Übergangspädagogik oder Unterrichtsprinzip? Interkulturelle Erziehung am Beispiel der türkischen Migranten. In: Kunst + Unterricht 79/Juni '83: Ausländische Schüler. Seelze: Friedrich 1983. Wienhöfer, F.: Der Fortschritt ist eine Schnecke . . . Vorsichtige Annäherung an methodische und inhaltliche Möglichkeiten interkulturellen Unterrichts in der ästhetischen Erziehung. In: Kunst + Unterricht 79/Juni '83: Ausländische Schüler. Seelze: Friedrich 1983.

7

Einleitung

1.2. Aus der Notwendigkeit eine Chance machen . . . November 1985, es ist klirrend kalt, ich bin mit meiner siebenjährigen Tochter an der Hand auf dem Weg zum Christkindlmarkt. Auf der Landesgerichtsstraße können wir nicht weiter, der Gehweg wird repariert - ein Teerwagen, eine Partie Arbeiter daneben, zwei davon tragen die Teerkübel hin und her, zwei knien mit einer Art Kelle am Boden, einer schüttet den Teer zum Glattstreichen vor sie hin, einer steht dabei und schafft an. Die Schleppenden, Knienden, Schüttenden sind dunkelhäutig und -haarig, der Anschaffende hat blaue Augen und blonde Haare. Wir bleiben kurz stehen, es stinkt und dampft entsetzlich, ich muß an das Wallraff-Buch3 denken, das ich gerade gelesen habe. Wir halten den Qualm nicht mehr aus und gehen weiter. Mein Kind spürt meine Betroffenheit und fragt nach. Ich versuche ihr zu erklären, daß es nicht nur die ganz miese Arbeitssituation war, sondern auch, daß es wieder einmal Gastarbeiter waren . . . „Weißt du, ich glaube, die Österreicher können die Ausländer nicht leiden . . . " unterbricht sie meine mühsamen Verbalisierungsversuche und benützt meine Sprachlosigkeit zu weiteren Erklärungen: „ . . . also, die Wiener können die Türken nicht leiden und die Türken die Wiener nicht, und ich hab mich auch früher vor den Ausländern gefürchtet!" „Ja, warum denn?" frage ich nach. „Weil sie anders ausschauen", ist die prompte Antwort, „weil sie dunkle Haare und eine dunkle Haut haben." Mir fällt nichts Gescheiteres ein als der Hinweis, daß ich im Sommer ja auch eine dunkle Haut und der Peter zum Beispiel ganz dunkle Haare . . . „Das ist doch ganz etwas anderes", werde ich belehrt, „die schauen fremd aus, und jetzt fürchte ich mich eh nicht mehr vor ihnen!" Damit ist das Thema für sie erledigt, die Frage, ob sie jetzt am Christkindlmarkt die Zuckerwatte kriegt oder nicht, viel wichtiger. Ich aber sinniere weiter: Hat sie mir mit der Mitteilung, daß sie sich jetzt nicht mehr fürchtet, einen Gefallen machen wollen? Sie kennt meine Einstellung zur Ausländer/innenproblematik ja schließlich sehr genau. Ich komme aber, während ich ihr beim Ponyreiten zuschaue, zu dem Schluß, daß das sicherlich nur zum Teil stimmt. Sie hat ihre Angst vor diesem Fremden verloren, weil sie es kennengelernt hat - weil ich türkische und jugoslawische Freunde/innen habe, weil sie schon oft mit mir in meinen Schulklassen war, und das Mädchen, das sich dort am meisten mit ihr beschäftigt, die ligin, eine Türkin ist und nicht zuletzt weil sie mit mir schon in Jugoslawien und in der Türkei war. Die Fahrt mit dem Gastarbeiter/innenbus Wien-Istanbul und retour, die Herzlichkeit aller Insassen ihr gegenüber, der liebevolle Umgang meiner türkischen Freunde/innen mit ihr, das alles hat ihr ihre Angst genommen. Die größten Vorurteile werden von den Bevölke-

rungsgruppen Gastarbeiter/inne/n entgegengebracht, die sie nicht kennen, keinen Kontakt mit ihnen haben - das ist statistisch erwiesen. Im Faschismus haben vor allem Leute verfolgten Bevölkerungsgruppen geholfen, die Personen aus solchen Gruppen kannten - das ist eine historisch belegte Tatsache. Ich glaube, daß mit einer Verschärfung der ökonomischen Situation rechtsextremistische Kreise auch bei uns wieder mehr in Erscheinung treten werden. Ich befürchte, daß die Sündenböcke der neunziger Jahre Gastarbeiter/innen sein werden. Wie ist es aber dazu gekommen, daß ich mich mit der Ausländer/innenproblematik beschäftige und dabei speziell mit dem Leben von Gastarbeiter/innenkindern? Meine Schule, an der ich als Hauptschullehrerin arbeite, steht mit ihrem Prozentanteil an ausländischen und dabei fast ausnahmslos Gastarbeiter/innenkindern schon seit längerer Zeit im Spitzenfeld von Wien. Als ich 1976 aus Niederösterreich kommend in den Wiener Schuldienst überwechselte, hatte ich einen jugoslawischen Buben in der Klasse, die ich als Klassenvorstand übernahm. Daß er bald Klassensprecher war, erzählte ich stolz herum, daß bei einer Gruppenarbeit über alternative Parkausgestaltung gerade seine Gruppe eine Art Käfig als gesonderten Aufenthaltsort für Jugoslaw/inn/en baute und er das noch vehement vertrat, verblüffte mich zwar etwas, erklären konnte ich es mir eigentlich nicht - also schob ich es beiseite, es gab damals für mich dringendere Probleme in der Schule. Die Gastarbeiter/innenkinder an unserer Schule wurden aber bald sprunghaft immer mehr, die Lehrer/innen stöhnten über ständig neu Dazukommende, die kein Wort Deutsch verstanden - und da wir das auch bei den zuständigen Stellen sehr laut und ausdauernd taten, wurde bei uns als in einer der ersten Wiener Schulen das Begleitlehrer/innensystem4 installiert. Und ich besuchte eines der ersten Seminare, das am Pädagogischen Institut zum Thema .Ausländische Kinder an Wiener Schulen" angeboten wurde. Kein hehrer Entschluß hatte mich dorthin geführt, sondern die nackte Not: in der nächsten Klasse, die ich als Klassenvorstand übernahm, saßen bereits acht ausländische Kinder verschiedenster Nationalität mit unterschiedlichstem Sprachniveau und ebensolchen Problemen, laufend kamen Seiteneinsteiger/innen dazu - und das ließ sich nun nicht mehr wegschieben, ein halbwegs adäquates Arbeiten mit ihnen war nun zum dringendsten Problem meines Schulalltags geworden. So ging es damals nicht nur mir allein - wir stürzten uns mit Feuereifer in die „Ausländer/innenarbeit", ich las viel zum Thema, besuchte Referate, und bald referierte ich selbst dazu. War ich eine „Missionarin des zwanzigsten Jahrhunderts"5 geworden?

8

Einleitung

Ganz kann und will ich mich auch heute rückblikkend nicht in dieser Rolle sehen, aber gewisse Aspekte werden schon gestimmt haben - nicht umsonst habe ich mich über das Buch unseres lieben Freundes Gündüz streckenweise so geärgert. Auf die Integrationsarbeit in meiner damaligen Klasse war ich einige Jahre lang sehr stolz - es gab eine gute Klassengemeinschaft quer durch die Nationen, Seiteneinsteiger/innen wurden betreut, wieder war ein Slatko Klassensprecher, er brachte uns allen slowenische Tänze bei, der Novica und der Zlatomir dafür serbische . . . Viel haben wir alle voneinander gelernt. Bis dann die vierte Klasse kam und uns die Realität einholte. Die österreichischen Kinder hatten mit Hilfe ihrer Eltern alle schon im ersten Halbjahr eine Lehrstelle, einige jugoslawische und ein türkischer Bub nach vielen Rennereien am Ende des Schuljahres und einige blieben über - und da war nicht mehr viel von gegenseitiger Solidarität oder gar Helfenwollen zu spüren. Die, die eine Lehrstelle hatten, kamen sich besser vor und führten sich auch so auf. Mit der Aysel bin ich ein Jahr lang vergeblich auf der Suche nach einer Lehrstelle herumgerannt, habe alle mir möglichen Hebel für sie in Bewegung gesetzt - irgendwann hat sie wohl meine Verzweiflung über die Sinnlosigkeit gespürt und sich nicht mehr gemeldet. Sie arbeitet als ungelernte Arbeiterin wie ihre Schwestern - dafür hat sie sich vier Jahre in der Schule geplagt -, aber sie ist glücklich, daß sie Verkäuferin und nicht in einer Fabrik ist, das hat sie mir beim letzten Klassentreffen erzählt. In unserer Schule gibt es in der Zwischenzeit etwa 70 Prozent Gastarbeiter/innenkinder. Die Problemfelder haben sich verlagert beziehungsweise sind neue dazugekommen. Wir haben noch immer die Seiteneinsteiger/innen, die entgegen den Aussagen der Statistiken ständig kommen, wir haben aber natürlich auch immer mehr Kinder der sogenannten zweiten Generation. Diese Kinder sind zwar größtenteils in Österreich geboren, haben aber trotzdem ein Leben voll von Brüchen und Widersprüchen bereits hinter sich, wenn sie mit zehn Jahren zu uns kommen. In der nächsten Klasse, die ich als Klassenvorstand übernahm, waren die Hälfte der Kinder ausländischer Nationalität, in meiner derzeitigen Klasse haben von vierundzwanzig Kindern fünf die österreichische Staatsbürgerschaft, davon stammen allerdings zwei Kinder aus Jugoslawien. Die neue, österreichische Staatsbürgerschaft ist ihr Stolz, bei der Frage nach ihrer Heimat haben sie allerdings gewaltige Schwierigkeiten. Um in solchen Klassen halbwegs adäquat unter-

richten zu können, brauche ich Unterrichtsmaterialien - mit Begeisterung und dem von mir eingangs geschilderten Idealismus allein geht das nun nicht mehr. Ich bin der Meinung, daß interkulturelles Lernen mit dem Schulbuch herkömmlichen Stils - nämlich ein Schulbuch pro Gegenstand -, und das für alle Schüler/innen gleich - nicht gewährleistet werden kann. Daher ist meines Erachtens als längerfristiges Ziel eine generelle Änderung dieser Praxis anzustreben, um der in der letzten Zeit oft zitierten, aber kaum verwirklichten Binnendifferenzierung gerecht zu werden. Weiters - und auch kurzfristiger erreichbar - ist die Erstellung von zusätzlichen Unterrichtsmaterialien unabdingbare Notwendigkeit. Aus diesem Bedürfnis heraus ist meine Mitarbeit am „Schmelztiegel-Projekt" zu verstehen. Ich habe aus der schon geschilderten Zusammenarbeit mit Wissenschaftler/inne/n und Lehrer/inne/n verschiedener Schultypen sehr viel gelernt. Ich habe mit vielen Beispielen aus dem nun vorliegenden Quellenband von Michael John und Albert Lichtblau bereits gearbeitet, und zwar in verschiedenen Gegenständen und zu verschiedenen Anlässen.6 Ich weiß, daß die Quellen unterschiedlichst einsetzbar sind, wenn man die Rahmenlehrpläne als solche versteht und sie nicht mit dem dazu Angebotenen in einem Schulbuch gleichsetzt. Die Arbeit mit den Quellen war für mich sehr wichtig, die eigene Auseinandersetzung mit den Texten und Bildern, aber auch die Erfahrungen, die ich bei der Arbeit damit mit meinen Schüler/inne/n gemacht habe. Ich akzeptiere in der Zwischenzeit, daß auch ich nicht frei von Vorurteilen war und bin, daß sich Vorurteile auch „in alles Ausländische lieb und nett finden" äußern können. Ich gestatte mir heute, zuzugeben, daß ich Teile fremder Kulturen zwar rational verstehe, aber deswegen noch lange nicht emotional mag, und ich gehe - hoffe ich zumindest - sensibler mit meinen Schüler/inne/n um -, den inländischen und den ausländischen. Und ich versuche, all denen zu vermitteln, die über die hohen Anteile von Ausländer/inne/n in unseren Schulen und anderswo jammern: natürlich sind ausgewogene Anteile vorteilhaft, natürlich brauchen wir Lehrer/innen die Unterstützung der Schulbehörden und neue Unterrichtsmaterialien. Aber - wir können aus der Notwendigkeit, mit Fremden zusammenzuarbeiten und zu leben, auch eine Chance machen, eine Chance für die mit uns zusammenlebenden Ausländer/innen, eine Chance aber auch für unsere eigene Weiterentwicklung. Hildegard Pruckner

Einleitung

9

1.3. Das „Tschuschenbad" In meiner vierten Klasse7 war wieder einmal die Planung eines Wandertages fällig. Über das „Schönwetterprogramm" hatten wir uns rasch geeinigt, bei Schlechtwetter wollten die Kinder ein Hallenbad besuchen. Ich schlug das Theresienbad vor, da es von unserer Schule günstig zu erreichen war. Einhelliger Tenor der Klasse: „In des Tschuschenbad gemma net." Als sie meine Reaktion bemerkten - ich muß sie total schockiert angeschaut haben, denn ich war unfähig, irgendeine vernünftige Antwort darauf zu geben - , wurden einige verlegen und versuchten es dann mit Rechtfertigungen in folgender Art und Weise wieder „gut zu machen": „Na ja, so haben wir das nicht gemeint, aber es sind doch viele Jugoslawen und Türken dort, andere Bäder sind größer und schöner und so weiter." Auf meine Frage, was sie an Jugoslaw/inn/en und Türk/inn/en als Badegäste störe, kam zögernd zur Antwort: „Sie stinken, das Wasser ist dreckig und so fort". Ich wünschte mir sehnlichst Schlechtwetter für den nächsten Wandertag, um meinen Schüler/inne/n an Ort und Stelle das Gegenteilige ihrer Meinung beweisen zu können, doch dabei spielte das Wetter nicht mit. Die Enttäuschung über die ausländerfeindliche Haltung in meiner Klasse war groß. Vier Jahre hatte ich sie als Klassenvorstand, und in Geographie zum Beispiel sah ich die Förderung von demokratischen, toleranten und kritischen Einsichten und Verhaltensweisen als eine meiner wesentlichsten Aufgaben an. Wie stolz war ich, nie rassistische Äußerungen über Neger/innen zu hören, wie verständnisvoll arbeiteten sie sich an die Probleme der dritten Welt heran, wie tolerant bewerteten sie das Leben in anderen Kulturkreisen. Und jetzt das! Außerdem besuchte seit Beginn ein Schüler mit jugoslawischer Staatsbürgerschaft diese Klasse. Da er in Österreich geboren und aufgewachsen ist, fiel er als Ausländer niemandem auf und war auch recht beliebt in der Klasse. An diesem Tag, an dem das Gespräch über das „Tschuschenbad" stattfand, fehlte er, auch in der darauffolgenden Stunde, die ich in meiner Klasse hatte. Ich suchte mir für diese Stunde alle möglichen Statistiken und sonstigen Materialien über Ausländer/innenbeschäftigung in Österreich zusammen - gegen dieses Vorurteil meiner Klasse mußte ich etwas unternehmen. Als Anknüpfungspunkt an die Thematik fragte ich sie, wie sich das „Tschuschenbad" mit Toni (dem jugoslawischen Schüler) verträgt, den sie ja alle mögen. „Na ja, stinken tut der Toni ja auch manchmal, aber sonst ist der eh o. k. Bei ihm merkt man sowieso nicht mehr, daß er ein Ausländer ist; und wenn der Toni nicht da ist, dann kann man doch noch .offen' miteinander reden." Alle meine Statistiken nutzten nichts mehr. Eines

der sattsam bekannten Vorurteile folgte dem anderen, von „die nehmen uns die Arbeitsplätze weg" bis zu „kriminelle Elemente, die uns ausnützen". Einige in der Klasse schwiegen dazu, ein anderer Teil versuchte anfangs für die Ausländer/innen Stellung zu beziehen, aber bald gingen ihnen die Argumente aus. Die emotionale Stimmung in der Klasse verhinderte auch eine Auseinandersetzung mit den relativ abstrakten Materialien, die sie von mir zur Verfügung gestellt bekamen. Unreflektiert wurden hier die Meinungen über die „Tschuschen" wiedergegeben, die sie irgendwo aufgeschnappt hatten. Als Toni wieder gesund war, bat ich ihn, seine Eltern über ihre Lebensgeschichte zu befragen. Er spielte uns dann in einer der darauffolgenden Stunden das Tonbandinterview vor. Interessiert hörten sie sich diese Familiengeschichte an. Anschließend entwickelte sich eine durchaus positive Diskussion über die Situation der Gastarbeiter/innen. Meiner Ansicht nach ermöglichte erst diese persönliche Geschichte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Thematik, ohne sich von Vorurteilen leiten zu lassen. Mir ist schon bewußt, daß dieses einmalige Gespräch nicht alle Vorurteile beseitigen konnte, mir fehlte das Material, um in dieser Art und Weise weiterarbeiten zu können. Doch ist mir dabei klargeworden, wie man möglicherweise solch latenten Vorurteilsstrukturen entgegenwirken kann. Aus dieser Erfahrung heraus scheint es mir besonders wichtig, darauf hinzuweisen, daß dieser kommentierte Quellenband und das didaktische Beiheft nicht nur für die Verwendung in Klassen mit einem hohen Anteil an ausländischen Schüler/inne/n gedacht sind, sondern uns der Einsatz dieser Materialien in Klassen mit nur inländischen Schüler/inne/n ebenso sinnvoll erscheint. Soziologische Umfragen deuten immer wieder darauf hin, daß auch in den letzten Jahren ein erhebliches Potential an Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus vorhanden ist. Ebenso dürfen die stärker werdenden rechtsextremistischen Aktivitäten in dieser Hinsicht nicht übersehen werden. Betätigungen der Ausländer-halt-Bewegung, Ausländer-raus-Pickerl-Aktionen, Aktivitäten diesbezüglicher Gruppierungen auf Fußballplätzen können leider auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden. So ist auch im Rahmen der Förderung eines antifaschistischen Bewußtseins der Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit eine notwendige Bedingung. Der Einsatz dieses Quellenmaterials im Unterricht soll dazu dienen, durch die Bearbeitung von Vorurteilen, der Diskriminierung von Gastarbeiter/inne/n, Ausländer/inne/n und anderen Minderheiten entgegenzuwirken. Den österreichischen Schüler/inne/n soll damit die Akzeptanz der Fremdheit, des Anders-Seins erleichtert sowie die Fähigkeit

10 und die Bereitschaft entwickelt werden, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen. Letzten Endes soll durch den Abbau der Ausländer/innenfeindlichkeit eine verstärkte Integration von ausländischen Kindern und Jugendlichen erreicht werden. Waltraud Weisch

Einleitung

3 4

Anmerkungen 1 Assimilation ist der Prozeß der Angleichung einer Gruppe an eine andere; sozialpsychologisch kann dieser Vorgang auch als ethnische Selbstentfremdung charakterisiert werden. Der Grad der Assimilation hängt vom Beherrschen der deutschen Sprache und von der Übernahme von Verhaltensmustern sowie Norm- und Wertvorstellungen der Kultur des Aufnahmelandes ab. 2 Durch die allzu häufige Verwendung des Begriffs „Integration" ohne genaue Definition des Inhalts ist eine gewisse Sinnentleerung eingetreten, sodaß „Integration" häufig anstelle von „Assimilation" verwendet wird. Unserer Meinung nach sollte „Integration" ausschließlich das gleichberechtigte Neben- und Miteinander ver-

5

6 7

schiedenster ethnischer und kultureller Gruppen ausdrücken. Voraussetzungen dafür sind allerdings demokratisches Verständnis und demokratische Gesellschaftsstrukturen. Wallraff, Günter: Ganz unten. Kiepenheuer & Witsch 1985. Begleitlehrer/innen werden in Schulen mit hohem Anteil an Gastarbeiterkindern in Wien eingesetzt; sie betreuen diese Kinder in eigenen Kursen, aber auch im Teamteaching mit dem/der Klassenlehrer/in; Schwerpunkt ihrer Arbeit ist zur Zeit noch der Spracherwerb. Vassaf, Gündüz: Wir haben unsere Stimme noch nicht laut gemacht, res publicae 1985. G. Vassaf prägt den Begriff basierend auf die Beobachtung der Arbeit mit türkischen Migrant/inn/enkindern in den Niederlanden. Er versteht unter „Missionaren des 20. Jahrhunderts" in der Ausländer/innenarbeit Tätige, die voller Eifer versuchen, den Ausländer/inne/n ihr eigenes kulturelles Wertesystem überzustülpen. Veröffentlichungen in: Beiträge zur Historischen Sozialkunde/Fachdidaktik, Nr. 3/88 und 1/89. Schulversuch Integrierte Gesamtschule; Standort am Stadtrand; sehr wenige ausländische Schüler/innen.

Praktische Anwendung in der Schule - didaktische Umsetzung

11

2. Praktische Anwendung in der Schule didaktische Umsetzung 2.1. Volksschule - Erfahrungen mit dem Quellenmaterial Die Lehrer/innen/gruppe Volksschule konnte bei der Arbeit mit den Quellentexten viele positive Erfahrungen sammeln. Zunächst bieten die Quellen wichtige Informationen für Lehrer/innen. Weiters wird durch sie der Realitätsbezug für die Kinder wesentlich deutlicher, als dies bei herkömmlichen Unterrichtsmaterialien der Fall ist (zum Beispiel Quellen über wandernde Handwerker). Durch das Bildmaterial wird den Schüler/inne/n der Zugang zur Problematik erleichtert. Der Einsatz der Bilder verhilft zum besseren Verstehen von Lebenssituationen in vergangenen Zeiten (zum Beispiel Ziegelarbeiter/innen), aber auch zum Erkennen der Situation der Gastarbeiter/innen heute. Der Umgang mit den Quellen macht die Kinder zunächst betroffen, sensibilisiert sie in weiterer Folge für den Problembereich Zuwanderung und macht eine sozialkritische Behandlung der Themen möglich. Es kann bewußt gemacht werden, daß zahlreiche Familien im heutigen Wien aus der Verschmelzung von Zuwandererfamilien mit in Wien ansässigen Familien entstanden sind. Toleranz und Verständnis für Gastarbeiter/innen/ familien können entwickelt werden. Für die Lehrer/innen/gruppe Volksschule traten bei der Erprobung der Quellen im Unterricht allerdings auch einige Schwierigkeiten auf: So stand zum Beispiel als Erprobungsphase nur das erste Halbjahr des Schuljahres zur Verfügung. Es war für die Lehrer/innen der dritten Klassen der Einsatz der Quellen daher besonders schwierig, da bei dieser Altersstufe das historische Denken erst angebahnt werden muß und sich erst nach und nach entwickelt. Für den Einsatz auf der ersten und zweiten Schulstufe ergeben sich aus diesem Grund nicht allzu viele Ansatzpunkte (ausgenommen Pro-

jektunterricht), soweit es sich um historische Quellen handelt. Quellen, die den Bereich Gastarbeiter/innen heute betreffen, sind aber auch in der zweiten Klasse (zum Beispiel im Bereich Wohnen, Familie, Arbeit) einsetzbar. Da die Quellen viele sprachliche Schwierigkeiten enthalten, müssen für die Kinder unbekannte Ausdrücke schon vorher oder während des Lesens geklärt werden. Außerdem stellt das Lesen von Quellen einen hohen Anspruch an die Lesefertigkeit und das Leseverständnis der Kinder. Eine genaue Quellenauswahl, angepaßt an den Leistungsstand der Kinder, ist daher notwendig. Dabei empfiehlt es sich, möglichst solche Quellen auszuwählen, die die Kinder im Originaltext verstehen können, da ein Umschreiben beziehungsweise Vereinfachen die Aussagekraft stark einschränkt. Das Quellenmaterial bietet auch einen starken Anreiz zur Durchführung von Projekten. Aber auch dabei muß die Quellenauswahl sehr überlegt erfolgen und auf den Entwicklungsstand der Kinder Rücksicht genommen werden. Es empfiehlt sich, bei der Arbeit mit Quellen soweit als möglich von der realen Lebenssituation der Kinder auszugehen (zum Beispiel eigene Wohnsituation der Kinder, Berufssituation der Eltern, Namen in der Klasse, Nationalitäten in der Klasse . . . ) , Probleme in Spielform (zum Beispiel Rollenspiel) darzustellen und die Thematik auch in Werken, Bildnerischer Erziehung und Musikerziehung weiterzuführen und die Kinder nicht nur über den Intellekt anzusprechen, sondern ihnen auch Möglichkeiten zu geben, die Probleme emotional aufarbeiten zu können. Um Befürchtungen einiger Volksschulkolleg/inn/en entgegenzutreten, historische Quellen seien

12

Praktische Anwendung in der Schule - didaktische Umsetzung

- teilweise auch aus verständlichen Gründen - in der Volksschule nicht einsetzbar, haben wir den Versuch unternommen, einen Teil des Quellenmaterials den Wochenthemen der Volksschule zuzuordnen. Dadurch scheinen in etlichen Volksschulberichten ähnliche Inhalte auf, jedoch werden die unterschiedlichen Möglichkeiten in der Methode dadurch aufgezeigt. Außerdem erlaubte diese Vor-

gangsweise die Zusammenarbeit einer Klasse ohne ausländische Schüler/innen mit einer Klasse, die auch Gastarbeiter/innen/kinder besuchen (vgl. Inge Muzik S. 17 und Uta Kissinger S. 21). Abschließend kann festgestellt werden, daß die Quellen einen starken Anreiz darstellen, diese Thematik verstärkt in den Unterricht aufzunehmen und intensiver als sonst zu behandeln.

Benützer/innen/hinweise 1. Im weiteren Text werden folgende Abkürzungen für die Schultypen verwendet: ASO, VS, HS, AHS, IGS (Schulversuch: Integrierte Gesamtschule; ist mit Schuljahr 1985/86 ausgelaufen). 2. Nach jedem Beitrag sind jene Quellen mit dem Symbol »* angeführt, die von den jeweiligen

Autor/inn/en evaluiert wurden, und zwar durch die Angabe der Quellennummer und der Seite im Quellenband von M. John/A. Lichtblau. 3. Quellen, die nicht im Quellenband aufscheinen, sind als Anhang des didaktischen Beiheftes abgedruckt und mit römischen Zahlen ausgewiesen.

Herkunft, Migration

VS/2. Klasse

13

CLAUDIA MAYERHOFER Zum Einsatz der Materialien in dieser Klasse Ich unterrichte an einer Volksschule für schwerhörige Kinder. Unser Lehrplan entspricht dem Volksschullehrplan, zusätzlich gibt es noch drei Therapiestunden pro Woche, die vom/von der Klassenlehrer/in gehalten werden. Aus diesem Grund mache ich jetzt gerade die Prüfung für hörbehinderte und sprachgestörte Kinder. Die zweite Klasse besuchen sieben Kinder. Die Eltern von drei Schüler/inne/ η sind Jugoslawen. Durch ihre Behinderung (Schwerhörigkeit) ist ihre sprachliche Kommunikation nicht altersadäquat. Aufgrund des restringierten Sprachschatzes müssen neue Lerninhalte vor allem optisch aufbereitet werden. Die Kinder haben für die Historie wenig Interesse, da sie zunächst ihre eigene Umwelt begreifen lernen müssen. Sie beginnen erst in der zweiten Klasse ihre Stellung innerhalb ihrer Umwelt zu realisieren. Deshalb werden in der zweiten Volksschulklasse nur Basisinformationen angeboten, auf denen erst in der dritten und vierten Klasse aufgebaut wird. So wird auch eine Gegenüberstellung zwischen Vergangenheit und Jetztzeit erst in der vierten Klasse von Interesse sein. Das Quellenmaterial ist nicht direkt verwendbar, da es verbal zu differenziert ist. Als Information für den/ die Lehrer/in aber ist es äußerst notwendig. Das Bildmaterial hingegen ist im Unterricht gut einsetzbar. Ich habe versucht, einzelne Quellen optisch aufzubereiten, um einfache Inhalte für hörbehinderte Kinder erfaßbar zu machen.

1. Arbeitsblatt

Woher komme ich? Ziel: Informationen über die eigene Herkunft und Geschichte der eigenen Familie in Erfahrung zu bringen. Die Kreissegmente entsprechen der Schüler/innen/zahl der Klasse. Besonders die jugoslawischen Kinder freuten sich sehr, als sie feststellten, daß drei von ihnen aus Jugoslawien stammen. Der Text dient als Sprach- und Wortschatzübung.

2. Arbeitsblatt

Migration früher Ziel: Erkennen, daß im vorigen Jahrhundert viele Tschech/innen/en und Italiener/innen nach Wien zuwanderten. Folgende Quellen (ausgenommen die Bildquelle, die ich direkt im Unterricht einsetzte) verwendete ich als Lehrer/innen/information: italienische Rauchfangkehrerdynastie; Bild vom Rauchfangkehrer; Eisverkäufer. Aus diesem Quellenmaterial erstellte ich dieses Arbeitsblatt. Zusätzlich kopierte ich noch aus dem Branchenverzeichnis des Telefonbuchs eine Liste von Rauchfangkehrer/inne/η aus unserem Schulbezirk (vgl. Quellenkommentar - Italiener/innen) um nachzuweisen, daß die italienische Herkunft vieler Rauchfangkehrer/innen heute noch aus ihren Namen erkennbar ist.

14

Herkunft, Migration

VS/2. Klasse

3. Arbeitsblatt

Migration heute Ziel: Erkennen, daß auch heute Zuwanderer nach Wien kommen. Es haben sich aber die Emigrationsländer und die Berufe der Emigrant/ inn/ en geändert. Die Bilder am rechten oberen Rand des Arbeitsblattes sind auszuschneiden und in das entsprechende Emigrationsland zu kleben. Ein Pfeil nach Österreich verdeutlicht den Zuwanderungsstrom nach Österreich. Reihensprechübung: (spezielle Übungsform für schwerhörige Kinder, um den Wortschatz zu festigen beziehungsweise zu erweitern) Der/Die jugoslawische Straßenarbeiter/in kommt nach Österreich. Der/Die tunesische (arabische) Zeitungsverkäufer/in kommt nach Österreich. Der/Die polnische Maurer/in kommt nach Österreich. Der/Die türkische Greißler/in kommt nach Österreich. Die jugoslawische Putzfrau kommt nach Österreich. Als Lehrer/innen/information diente die Quelle: Andere Randgruppen. Quellen 57, 58: S. 52, 53; Quellen 65, 66: S. 56; Quellen 269-272:

«υ.

Mcivit.

Muv\t Ovw* \ti ivi Hl»*

Nov**;

t ans:

ist

S. 201-203.

VV\

i i v v . , ' T V / i g 1/1 o t ^ e H i - V i .

j^gnsUulgh

^«Wt*

0\p« »st \Vt D Uijffilftv/i&i

Htiw Pfly,« »S^ Λ Vi 3 Α W-ig-iQfU'v* is} (vi J Μ Qü(,f?' Vί \Mtiv\t Ονν,Λ ; i v y

3 vijOj.!^w>eh

^U«»,

>v—''

Wien Bunel esUu J

ι Pftpfi Mrt^ci Om q Opa Sttfa •

ι

\ W.

Arbeitsblatt 1

Herkunft, Migration

VS/2. Klasse

15

16

Wohnen, Familiennamen

VS/3. Klasse

INGEBORG MUZIK Zur Klasse Fünfundzwanzig Kinder. Ausländer/innen/anteil: etwas weniger als die Hälfte, aber ein Teil davon besitzt offiziell die österreichische Staatsbürgerschaft. Heimatländer der Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache: Türkei, Jugoslawien, Rumänien. Ich arbeite mit den Kindern seit Beginn der ersten Klasse, unterrichtete einen Teil der Schüler/innen schon in der Vorschule.

Thema

Wohnen Gegenstände: Sachunterricht, Deutsch, Werken. Primärziele des Unterrichts in oben genannten Gegenständen: Die Kinder sollen erkennen, * * * * * *

daß daß daß daß daß daß

Wohnen ein Grundbedürfnis des Menschen ist; eine Wohnung aus mehreren Teilen besteht (Küche, Schlafzimmer ...); die Größe der Wohnung der Größe (Mitgliederanzahl) der Familie angemessen sein sollte; außer der Größe noch andere Faktoren wichtig sind (Helligkeit, Wärme, Einrichtung, ...); Wohnen Geld kostet (Anschaffung, Einrichtung, dauernde Belastungen); nicht alle Menschen gleiche Voraussetzungen haben.

SU - D (Sprechen) - D (Aufsatz): Die folgende Unterrichtssequenz verteilte sich auf mehrere Stunden. Vorangegangene Erarbeitungen: Klassengrundriß, Orientierungsübungen, Deuten von Wohnungsplänen (einfache). Spiel: Wir stellen uns vor, unsere Klasse wäre nur halb so groß, und wir stellen auch unsere Tische so zusammen. Ergebnis: Wir können uns nicht mehr frei bewegen und haben zuwenig Platz, um angenehm arbeiten zu können. Rollenspiel: Zwei Kinder können nicht ungestört schreiben (Platzmangel). Was passiert? •+- Streit entsteht. Tafelbild: Zwei fiktive Wohnungsskizzen 1. mehrere Zimmer, Bad/WC Kinderzimmer für vier Personen

2.

Zimmer/ Küche

auch für vier Personen

Gespräch: Wo wird die von uns gespielte Situation eher entstehen?

Wohnen, Familiennamen

VS/3. Klasse

17

Quelle: Hintergründe der schlechten Wohnungssituation von Gastarbeiter/inne/n; in vereinfachter Form vorgelesen. Ergebnis: Die Kinder diskutierten zuerst sehr intensiv über beide Wohnformen und kamen dann von allein auf ihre eigenen Wohnverhältnisse zu sprechen. Die meisten beteiligten sich offen am Gespräch: sehr viele Aus-, aber auch Inländer/innen wohnen in zu kleinen Substandardwohnungen. Überraschenderweise wurden auch Vorteile für solche Wohnverhältnisse gefunden: „Ich kann immer die Aufgabe in der Küche machen." „Am Abend rede ich im Finstern noch lange mit meinen Brüdern." Der Text der Quelle hat die Kinder nicht sehr beeindruckt - wahrscheinlich deshalb, weil es für viele zu sehr der Realität entspricht. Aufsatz: Beschreibung: unsere Wohnung. Voraussetzung: wer will, bleibt anonym. (Dieser Aufsatz wurde für Kinder einer anderen Schule geschrieben, denen solche und ähnliche Wohn- und Lebensformen fremd sind. Siehe U. Kissinger S. 21.) Bemerkung: Die meisten Kinder schrieben den Namen auf die Arbeit, obwohl sie vorher in kindgemäßer Form über den Zweck informiert worden waren. Offenbar fühlte sich kein Kind als „Ausnahme", und „Vorteile" enger Wohnverhältnisse und großer Familien wirkten emotional sehr stark. Hilfe für die Ausländer/innen: Lückentext an der Tafel Meine Wohnung ist in einem Haus. Sie hat Zimmer. Unsere Familie besteht aus Personen. Mein Vater arbeitet als , und meine Mutter arbeitet als In dem Zimmer, in dem ich schlafe, schlafen auch In unserer Wohnung gibt es Telefon. Meine Großeltern wohnen in Werken - Partner/innen/arbeit: Herstellen eines Wohnungsmodells, das die Grundbedürfnisse einer dreiköpfigen Familie erfüllt. Einstimmung: Vater, Mutter und Kind kommen in die Stadt, um dort zu arbeiten, zu leben und zu lernen. Sie haben aber nicht viel Geld. Was brauchen sie aber unbedingt? Materialien: Holz, Pappe, Papier. Ergebnis: Es dauerte lange, bis die Kinder wirklich wichtige Dinge von zweitrangigen auseinanderhalten konnten (zum Beispiel: Tisch und Sessel sind wichtig, Fernsehtisch ist nicht wichtig). Dauer: zwei Doppelstunden.

Lehrausgang: Die nähere Umgebung unserer Schule (Ungeplantes) Ergebnis: * Die Kinder hatten den Auftrag, Namen von Straßen und Gassen und wichtiger Gebäude zu notieren. Selbständig begannen sie zusätzlich, die Namen der Leute zu notieren, die aus den Wohnungsschildern am Eingang von Wohnanlagen ersichtlich sind. * Auswertung in der Klasse: Sehr wenig Namen sind „echt wienerisch" -*- diese Familien oder ihre Vorfahren haben ursprünglich nicht hier gelebt. * Beispiel: Telefonbuch, Name der Lehrerin, Namen der Kinder. 9* Quelle 261: S. 198, 199

18

Wohnen, Familiennamen

VS/3. Klasse

Herkunft, Wohnen, Handwerk, Wanderhändler/innen

VS/3. Klasse

19

UTA KISSINGER Klassensituation Fünfundzwanzig Kinder, davon ein Bub mit tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft, der von den anderen Kindern in keiner Weise als „Ausländer" angesehen wird; drei Kinder mit englischsprachigen Müttern; eine Japanerin. Diese Volksschule befindet sich am Stadtrand in einer neuen Wohngegend (zum Teil Einfamilienhäuser, Reihenhäuser, auch die Gemeindewohnungen sind eher als Luxuswohnungen zu bezeichnen; nur zwei Schüler/innen wohnen in alten Gemeindebauten). Ich bin seit der zweiten Klasse Klassenlehrerin.

Voraussetzungen für meine Arbeit In der dritten Schulstufe wird begonnen, mit den Kindern in kleinsten Schritten zu erarbeiten, daß alles Bestehende etwas Gewordenes ist. Geschichtliche Rückblicke beginnen beim Erleben der Kinder. Das Vorhaben, in einer dritten Schulstufe das Quellenmaterial einzusetzen, begegnet erst einmal den Schwierigkeiten, daß zuvor gewisse Zeitbegriffe erarbeitet werden müssen und daß die Kinder aus ihrer begrenzten Erlebniswelt heraus (keine Kontakte zu Gastarbeiter/innenkindern) erst offen werden müssen für die Probleme, mit denen Zuwanderer/innen hier leben. Mein Ziel der Unterrichtsarbeit mit den Quellen war, daß die Kinder „echter" und anschaulicher mit dem Werden ihrer Heimatstadt Wien vertraut werden, daß das Leben in Wien nicht zufällig so ist, wie es jetzt erlebt wird und daß alle Bewohner/innen, die hier geborenen und die dazugekommenen, es geformt haben. Der Einsatz der schriftlichen Quellen ist für so junge Schulkinder in nur sehr kleinen Abschnitten möglich, meistens ist die Sprache zu schwierig - sehr viele Wörter und Inhalte müssen zuvor erst geklärt werden -, der Druck ist sehr klein oder oft in für Kinder unlesbarer gotischer Schrift. Statistiken waren auch in graphischer Form für die Kinder nicht direkt einsetzbar. Die verwendeten Texte allerdings, besonders wenn sie die Kinder selbst lesen, vermitteln ihnen mehr Wirklichkeit des Beschriebenen als Schulbuchtexte („Das stand in der Zeitung") und lösen eine starke Betroffenheit über die unfaßbaren Zustände aus (Wohnverhältnisse). Inhalte und Texte der Quellensammlung wurden in verschiedenen Themenbereichen in stark unterschiedlichem Ausmaß einbezogen.

I. Themenkreis

Meine Familie Bin ich wirklich ein/e Wiener/in? Ziel: Erste Einblicke in die eigene „Geschichte" gewinnen. Erfassen von Situationen im Leben des Kindes, an die es sich a) noch erinnern kann, b) die es von anderen erfahren hat. Unterrichtsablauf: Meine Herkunft: 1. Geburtsort, 2. Geburtsort der Eltern, 3. Geburtsort der Großeltern.

20

Herkunft, Wohnen, Handwerk, Wanderhändler/innen

VS/3. Klasse

Herstellen einer Stricherl-Statistik: a) in Wien geboren, b) in Bundesländern geboren, c) im Ausland geboren. Auswertung: Wir sind in Wien zu Hause. Viel mehr Eltern, noch viel mehr Großeltern sind erst nach Wien gezogen und haben die fremde Stadt für sich zu einem Zuhause machen können. Gruppenarbeit: Verschiedene Telefonbuchseiten: Anzahl der deutsch klingenden/ausländisch klingenden Namen feststellen. Hausübung: * Untersucht ebenso die Namen von Türschildern im eigenen Haus. * Erfragt die Herkunft eures Familiennamens.

II. Themenkreis

Meine Umgebung verändert sich im Laufe der Jahre Alte und neue Wohnhäuser in unserer Umgebung Unterscheidungsmerkmale: Ausstattung, Größe; Fassadengestaltung; Baumaterialien. Teilziele: a) Das Baumaterial Ziegel wird schon lange verwendet. b) Kenntnisse über die Ziegelherstellung (Quellen). c) Einblick in die Mühsal der Herstellung und Arbeitsbedingungen im vorigen Jahrhundert (Quellen). Eingesetzte Texte für die Gruppenarbeit (pro Gruppe sind ein bis zwei Absätze zu lesen): Texte wurden gruppenweise berichtet. Herstellen von Ziegeln im Unterricht: Herstellen von Modeln, Ziegeln schlagen (trocknen, brennen). Auswertung: Handarbeit braucht lange (vgl.: Ziegelarbeiter/in schlägt fünf Ziegel in drei Minuten). Arbeitskräfte werden gebraucht! Sie kommen vor allem aus Böhmen und Italien.

III. Themenkreis

A. Handwerk heute und einst Ziele:

* Kenntnisse über das Zunft- und Innungswesen

* Lebensumstände der zugewanderten Handwerker/innen Besuch des Volkskundemuseums Laudongasse: „Lebendes Museum". In der Vorbereitung zu zwei Rollenspielszenen (Zunftversammlung: Gesell/inn/en werden nach der Wanderschaft zu Meister/inne/n gesprochen) erfahren die Kinder im Spiel über Rechte und Pflichten der Meister/innen und Gesell/inn/en. Gruppenarbeit: In Gruppen lesen, gemeinsam Gruppenberichte besprechen (Quellen). Vergleich zu heute: Wie werden Lehrlinge/Arbeiter/innen eingestellt? Wie unterscheiden sich diese Berichte von euren Vorstellungen einer guten Lehrzeit?

B. Wanderhändler/innen im alten Wien Ziel: Kennenlernen von Berufsgruppen, die jetzt nicht mehr auf der Straße zu finden sind.

Herkunft, Wohnen, Handwerk, Wanderhändler/innen

VS/3. Klasse

21

Anschauungsmaterial: Altes Kartenspiel (Volkskundemuseum) Bildmaterial: Rastlbinder, Holzwarenkrawat, Glaskrawat, Ko'löffel-Spielelei, Schleifer, Rauchfangkehrer (Quellen). Gruppenarbeit mit Quellentexten (Tschech/inn/en und Italiener/innen) Texte vorlesen, den Bildern zuordnen, anmalen, Händler/innen darstellen, der/die seine/ihre Waren anpreist. Auswertung: * Straßenverkäufer/in heute (Flohmarkt, Bauernmarkt, Eisverkäufer/in, Zeitungsverkäufer/in); * Berufe, die überwiegend von Ausländer/inne/η ausgeführt werden; * Vor- und Nachteile des Straßenverkaufs.

Wohnverhältnisse in Wien früher und jetzt Ziel: Bewußt werden, daß unsere guten Wohnverhältnisse keine Selbstverständlichkeit sind und daß Zuwanderer/innen/Gastarbeiter/innen unter den schlechtesten Bedingungen wohnen. Wohnen jetzt: Auswertung von Aufsätzen: a) Meine Wohnung - Beschreibung der tatsächlichen Wohnung der Kinder dieser Klasse; b) Meine Traumwohnung - Phantasieaufsatz von den Kindern dieser Klasse; c) Wohnungsbeschreibung der Gastarbeiter/innenkinder (dritte Klasse, dritter Bezirk/Volksschule Dietrichgasse; siehe S. 17). 1. Direkter Vergleich von a) und b) im Klassengespräch zeigt vor allem die Wünsche nach sehr viel Platz, nach der Möglichkeit, Tiere zu halten, nach einem großen Garten und nach viel Grün. 2.

* Die Kinder bekommen den Auftrag, im Anzeigenteil einer Tageszeitung Wohnungsinserate zu lesen, den Preis für die Anzahlung und die monatlichen Kosten von „Traumwohnungen" festzustellen (mit Hilfe der Eltern). * Die monatlichen Kosten der eigenen Wohnung (überwiegend Genossenschaftswohnungen bzw. Luxusgemeindewohnungen) - wie Miete, Betriebskosten, Rückzahlungsraten, . . . - zu erfragen. * Überlegung: Wieviel muß man verdienen, um so viel nur für das Wohnen zahlen zu können (Berufstätigkeit beider Eltemteile, ...). 3. Lesen von c). Reaktionen der Kinder: * Staunen, daß es tatsächlich noch Klosetts auf dem Gang gibt; daß Telefon keine Selbstverständlichkeit ist. * Fragen: Wo können diese Kinder spielen, ihre Sachen unterbringen, einmal ungestört etwas tun? * Überlegung: Welche „Traum-/Wunschwohnung" könnten diese Kinder haben? (Unsere Wohnungen entsprechen vielleicht ihren „Traumwohnungen"). Vergleich mit unserer Wohnsituation: „Mir geht es gut, weil ich ein eigenes Zimmer/ein Kinderzimmer habe." * Gruppenarbeit: Überlegt Gründe für diese beengte Wohnsituation (größere Familien, schlecht bezahlte Arbeit, kein Geld für die Anzahlung einer Wohnung vorhanden, größere und schönere Mietwohnungen sind sehr teuer, . . . ) . Wohnen früher: Zuwanderer/innen - Bettgeher/innen - Delogierung. Lesen kurzer Ausschnitte aus diesem Quellenmaterial. Auch viele unserer Vorfahren waren Zuwanderer/innen - ihre damalige Wohnsituation. »* Quellen 7-13: S. 20-22; Quelle 17: S. 23; Quelle 20: S. 24-25; Quelle 28: S. 29; Quellen 29, 30: S. 29-31; Quellen 31-33: S. 31-32; Quellen 57, 58: S. 52-53; Quellen 63, 64: S. 55; Quelle 129: S. 104; Quelle 213: S. 171; Quellen 216, 217: S. 172173; Quelle 232: S. 180; Quelle 492: S. 388.

22

Handwerk

VS/4. Klasse

MARIA ZOUFAL-KRANER Zur Klassensituation Ich führe diese Klasse (zweiundzwanzig Kinder) seit dem ersten Schuljahr. Ausländer: ein Pole (in Wien geboren - Flüchtling), eine Polin (seit dreieinhalb Jahren in Wien Flüchtling), ein Jugoslawe/eine Jugoslawin (beide in Wien geboren), ein Türke (in der Türkei geboren, kam aber vor dem sechsten Lebensjahr nach Österreich).

Verschiedene Handwerker Ich hatte mir vorgenommen, mit meiner vierten Klasse das Thema „Handwerksgassen im alten Wien" ausführlicher zu behandeln. So ergab sich im Anschluß daran das Thema „Verschiedene Handwerker". Durch das Lesen der verschiedenen Quellen angeregt, wollte ich diesen Bereich besprechen (Sachunterricht - Deutsch/Soziales Lernen). Zum Einstieg in den Themenbereich „Verschiedene Handwerker" hatten die Kinder die Aufgabe erhalten, Handerwerker/innen in ihrer Wohnumgebung ausfindig zu machen und sich nach Möglichkeit bei ihnen auch über ihr Handwerk zu erkundigen. Es ergab sich dadurch ein Lehrausgang zu einem Schneider. Dabei erfuhren die Kinder, daß er ja eigentlich gar kein Österreicher ist. Er erzählte den Kindern, daß er aus Böhmen eingewandert ist und von den Erlebnissen und Schwierigkeiten, die er damals hatte. So erhielt ich also die Möglichkeit, den Kindern einiges aus den Quellen - teilweise aufbereitet nahezubringen. Folgende Quellen habe ich den Kindern vorgelesen: Die Slowaken; Die Handlanger und Maurer; Scheren- und Messerschleifer mit Bild; Gelatierfamilien; Ottokar Merinsky: Vom Wohnen in der Kaiserzeit. Andere Quellen, die durch Wortschatz oder Ausdrucksweise für die Kinder nur schwierig zu verstehen gewesen wären, habe ich ihnen durch Erzählen nahegebracht. Im Anschluß an das Vorlesen und Erzählen ergab sich natürlich ein sehr reges Gespräch. Ein polnisches Kind, das in sehr tristen Verhältnissen wohnt, meinte, nachdem es die Quelle gehört hatte: „Da geht es mir ja gut. Wir haben zwar auch nur ein Zimmer und die Küche, aber wir sind auch nur zu viert." Dieser Vergleich erscheint mir eher problematisch - in der heutigen Zeit wären solche Wohnverhältnisse nicht notwendig - , und ich werde bei Gelegenheit mit Sicherheit noch einmal darauf zu sprechen kommen. Diese Aussage des Kindes war nun der Übergang zu einem Nachdenken über die Lage der Menschen, die heute - nicht nur als Handwerker/in - nach Österreich kommen. Bedingt durch die zwei polnischen Kinder, die unsere Klasse besuchen, spielte die Gruppe der Hüchtlinge in Österreich (Menschen, die „unfreiwillig" ihr Heimatland verlassen) eine wesentliche Rolle. Die zwei polnischen Kinder erzählten von den Sprach- und Berufsproblemen ihrer Eltern (Akademiker/innen arbeiten mangels Sprachkenntnissen in Österreich als Hilfsarbeiter/innen). Ich habe das Gefühl, durch diese Unterrichtsgespräche bei den Kindern wieder ein bißchen zum Verständnis der Ausländer/innen in Österreich beigetragen zu haben. Ein sichtbares Ergebnis der Unterrichtsarbeit war eine Spalte in der Schüler/innenzeitung (deren Themen von den Kindern allein gestaltet werden). Unter dem Titel „Weißt du das? - Auch früher hat es schon Gastarbeiter gegeben" wurde die Parallelklasse informiert. Die Gruppe, die den Zeitungsbeitrag verfaßte, versuchte das in den Unterrichtsgesprächen Erarbeitete weiterzugeben. »• Quellen 7-13: S. 20-22;

Quellen 26, 27: S. 28; Quellen 63-66:

S. 55-56;

Quelle 216: S.

172-173.

Herkunft, Ziegelherstellung, Wohnen

VS/4. Klasse

23

SONJA MUM Zur Klasse Diese Klasse kenne ich seit dem ersten Schuljahr. Der Schulstandort ist in einer neuen Stadtrandsiedlung, daher sind in meiner Klasse auch nur österreichische Kinder. Sie haben auch kaum Kontakt und Erfahrungen mit Gastarbeiter/inne/η oder anderen Ausländer/inne/n, ausgenommen die ausländischen Zeitungsverkäufer/innen.

Wochenthema

Industrie in der Großstadt Sachunterricht: Vom Rohstoff zum Fertigprodukt - Arbeitsweisen in der Gegenwart: Fabriks- und Fließbandarbeit (Simulation durch ein Spiel). „Familienforschung": Wo bin ich, sind meine Eltern, Großeltern geboren? Tschechische Namen hervorheben - auch im Telefonbuch gibt es viele tschechische Namen - Verbindung zu den ehemaligen Zuwanderer/ inne/ n.

Wochenthema

Wien wurde immer größer Sachunterricht: Ringstraßenbau - Ziegelherstellung: Arbeit und Arbeitsbedingungen tschechischer Arbeiter/innen in der Ziegelherstellung (Quelle) Bilder von den Ziegelarbeiter/inne/η (Quellen) gemeinsam lesen und besprechen; Reaktion der Kinder: Situation der Ziegelarbeiter/innen unvorstellbar beziehungsweise unfaßbar (extrem lange Arbeitszeit, schwere körperliche Arbeit, Kinderarbeit, Arbeit macht krank). Werken: Ziegelherstellung mit Hilfe eines Models.

Wochenthema

Wohnen heute-einst Sachunterricht: Wie wir wohnen - Wohnen ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Wohnen einst: Ringstraßenpalais - Wohnverhältnisse der tschechischen Zuwanderer/innen (Textund Bildquelle). Raktion der Kinder: Sie sind sehr betroffen und empört über die extremen Ungleichheiten, über die unvorstellbaren Lebensbedingungen. Musikerziehung: Der Baggerführer Willibald. Zusammenfassung: 1. Das Quellenmaterial ist für mich äußerst interessant und informativ. 2. Einsatz in der Volksschule: * Ausgangspunkt müssen immer die Erlebniswelt und die Erfahrungen der Kinder sein. Daher: Familienchronik ->- tschechische Zuwanderer/innen -»- eigene Wohnsituation -*- Wohnsituation der Ziegelarbeiter / innen;

24

Herkunft, Ziegelherstellung, Wohnen

VS/4. Klasse

* Zum Einsatz eignen sich kürzere Texte, die gemeinsam gelesen und sofort genau besprochen werden. Die Bilder sind unerläßlich, um das Gelesene den Kindern auch vorstellbar zu machen. * Die Kinder werden durch die Authentizität des Gelesenen weitaus mehr beeindruckt und angesprochen, als es das Erzählen des/ der Lehrers/Lehrerin vermöchte. * Statistiken habe ich nicht eingesetzt, weil es mir nicht sinnvoll erscheint, Volksschulkinder mit diesen abstrakten Darstellungen zu konfrontieren. 3. Damit die Kinder diese Schilderungen des Arbeits- und Lebensleides der tschechischen Ziegelarbeiter/innen auch „verkraften" können, erscheint mir folgendes besonders wichtig: Die Kinder sollten die Erkenntnis gewinnen, * daß die Menschen nicht ohnmächtig sind, sondern sich gemeinsam aktiv für eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen einsetzen müssen und auch Erfolg haben; * daß sich seither vieles geändert hat (Arbeitszeit, Sozialversicherung, Urlaubsrecht, Pensionsanspruch); * daß diese Veränderungen aber nicht abgewartet werden konnten, sondern den aktiven Einsatz vieler Menschen erforderten. 4. Die Parallelen zu den Gastarbeiter/inne/n zu ziehen, ist in meiner derzeitigen Klasse einigermaßen schwierig. Es besuchen keine ausländischen Kinder unsere Klasse, und in unserer Wohnumgebung leben keine Gastarbeiter/innen. Berührungspunkte sind die ausländischen Zeitungsverkäufer/innen. Darüber berichteten die Kinder gerne. 5. Die Kinder sollten erkennen, daß die Wiener Bevölkerung keine eigene Spezies ist, sondern aus Menschen verschiedener Länder und Nationen gewachsen ist, deren Kultur und Lebensgewohnheiten uns alle prägen. * Leicht faßbarer Ausdruck für dieses Verschmelzen: Wiener Küche: Powidltascherl (tschechisch), Gulasch (ungarisch), Letscho (jugoslawisch), Pasta asciutta (italienisch). »» Quelle 28: S. 29; Quellen 29, 30: S. 29-31;

Quellen 31-33:

S. 31-32; Quelle 227: S. 177-178; Quelle 350: S. 254.

Donauregulierung, Zuwanderer/innen

VS/4. Klasse

25

THERESE JIRESCH Zur Klasse Ich führe diese Klasse das 4. Jahr. 25 Schülerinnen (davon ein Perser, ein Brasilianer; kein Gastarbeiter/innenkind).

Wochenthema

Die Donau bei Wien Sachunterricht 1 Thema: Die Donau bei Wien aus geographischer Sicht.

Sachunterricht 2 Thema: Die Donauregulierung. 1. Erarbeitung: Wienteil (Sachunterricht auf der dritten Schulstufe: Boyer-Fischer-Wingert) 2. „Gastarbeiter hat es schon immer gegeben." Quelle: „Memento" - Donauregulierung (siehe Quellenanhang). Kinder lesen teilweise vor Gespräch. Das Gespräch war von großer Betroffenheit gekennzeichnet. Die Kinder fanden es unglaublich, daß es solche Zustände geben konnte, ohne daß sie jemand verhindert hätte. Mein Einwand, daß es heute in Wien auch viele Menschen gibt, die unter schlechten Bedingungen leben müssen, machte die meisten Kinder hilflos. Sie versuchten, die Verantwortung auf ihre Eltern abzuschieben, die jedoch wenig Interesse für solche Probleme in den Augen der Kinder zu haben scheinen. Wir flüchteten zuletzt zu dem Satz: „Wenigstens die Einstellung ändern, nicht spotten, schimpfen . . . "

Sachunterricht 3 Thema: Andere Zuwanderer/innen: Die Italiener/innen - In vielen Berufszweigen tätig (Text- und Bildquellen). Zusammenfassung: Im Anschluß an die Arbeit in diesen beiden Wochen, die sowohl für die Kinder, glaube ich, als auch für mich interessant war, ergab sich noch eine sehr lebhafte Diskussion zum Thema „Außenseiter". Die Kinder waren offen und produktiv im Finden von Vorsätzen zum positiven Verhalten gegenüber Außenseiter/inne/n. Ich glaube, dazu hatten auch die Diskussionen in den vergangenen Wochen beigetragen. Quelle 57: S. 52; Quellen 61-63:

S. 54, 55; Quelle 65: S. 56; Quellenanhang

Quelle I S.

91-94.

26

Ziegelarbeiter/innen

VS/4. Klasse

EDITH PRESS Zur Klasse Kein ausländisches Kind besucht diese Klasse. Ich führe sie seit dem ersten Schuljahr. Unsere Schule befindet sich in einem Siedlungsgebiet, in dem kaum Ausländer/innen wohnen. Von sehr wenigen Schüler/inne/η stammt ein Elternteil aus dem Ausland. Diese Kinder wachsen aber deutschsprachig auf, sind vollständig angepaßt und werden von den Mitschüler/inne/η nicht als Ausländer/innen angesehen.

Wochenthema

Industrie in der Großstadt Arbeitsverhältnisse im vorigen Jahrhundert (Beispiel Ziegelarbeiter/innen) Sachunterricht: a) Maschinen ersetzen die menschliche Arbeitskraft; b) Bevölkerungsanteile der Ausländer/innen in Wien im vorigen Jahrhundert: Deutsche, Ungarn, Tschechen, Slowaken, Polen, Rumänen, Italiener, Serben, Slowenen, Kroaten, . . . (Quelle als Lehrerinformation); c) Ziegelarbeiter/innen auf dem Wienerberg * Film: Ziegelerzeugung heute: „Vom Lehm zum Ziegel" * Quellen: Auszüge vorgelesen; Schwerpunkt: damalige Arbeitsbedingungen; Arbeitszeit-Arbeitsleistung einer „Schlagerin" berechnet (beeindruckt die Kinder sehr!); Frauenarbeiten - Kinderarbeit - Gesundheitliche Schäden. Werken: Werkstück-Model Größe: 9 χ 4,5 χ 2,5 (Holzstärke: 15 mm). Holzleisten zusammengenagelt. Jedes Kind machte zwei Model (für die gesamte Klasse). Bildnerische Erziehung: Herstellen von Ziegeln - mit Sand ausgelegt, - Ton fest hineingepreßt, - herausgeschlagen, - in der Klasse getrocknet. Ich habe ein kleines Model gewählt, um Ton zu sparen. Der Ton ließ sich nur schwer herausschlagen es erforderte Geschicklichkeit, damit sich die Seitenwände des Models nicht lösten, und Kraft. Einige Ziegel hatten daher keine schöne Quaderform. Die Kinder waren trotzdem riesig stolz darauf, und wir konnten sie zu einem Gebäude zusammensetzen. Deutsch-Lesen: Ursula Wölfel: Die grauen und die grünen Felder. Ziel: Wecken der Fähigkeit und Bereitschaft, sich in die Lebensumstände anderer Menschen einzufühlen -*- Abbau von Vorurteilen. „Die anderen Kinder": - Vorurteile; -Möglichkeiten, diese abzubauen; - Unsere Klassengemeinschaft - haben wir Vorurteile? „Die grauen und grünen Felder": - Wie reagierst du, wenn du dich ungerecht behandelt fühlst (in der Klasse, daheim)? - Stell dir vor, du lebst im Ausland und verstehst die Sprache kaum.

Ziegelarbeiter/innen

VS/4. Klasse

27

Zusammenfassung: In unserer Schule (im Wohnviertel unserer Schüler) fehlen die persönlichen Erfahrungen der Kinder mit Ausländer/inne/η beziehungsweise echte Konfliktsituationen. Die Kinder erzählten von keinen negativen Erlebnissen mit Gastarbeiter/inne/n. Einige gaben an, daß ihre Väter ein gutes Verhältnis mit Ausländer/inne/η am Arbeitsplatz hätten. Einigen fiel erst durch meine Erzählungen ein, daß sie ausländische Kinder schon in der U-Bahn getroffen haben (die Internationale Schule ist bei uns in der Nähe) und daß zeitweise Ausländer/innen die Grünflächen unserer Siedlung (Gemeindebau) pflegen. Es erschien meinen Kindern daher natürlich, daß man auf Sitten und Bräuche der Ausländer/innen Rücksicht nimmt und für ihre schwierige Situation und das daraus resultierende Verhalten Verständnis zeigt. »+ Quelle 28: S. 29; Quellen 29, 30: S.

29-31.

28

Praktische Anwendung in der Schule - didaktische Umsetzung

2.2. Allgemeine Sonderschule Warum dieses Projekt wichtig und interessant war Als Lehrer/innen einer Allgemeinen Sonderschule (ASO) sind wir sehr oft unzufrieden mit dem bestehenden Angebot an Schulbüchern. Wir erleben das dem/der Schüler/in zugemutete Stoffpensum besonders im Bereich Geschichte/Geographie als zu reduziert, zu vereinfacht. Häufig ist es daher notwendig, auf Hauptschulbücher auszuweichen, sowie selbst geeignete Materialien zu suchen und diese aufzubereiten. Das Niveau einer heutigen ASO-Klasse ist, und dies trifft besonders für den städtischen Bereich zu, in den meisten Fällen nicht mit jenem einer früheren Hilfsschulklasse zu vergleichen. Ein Grund dafür liegt - besonders in den Städten - darin, daß die Klassen homogener sind, die Behinderungen und Störungen der Sonderschüler/innen mehr im sozialen Bereich bzw. Verhaltensbereich liegen - man denke an den überproportional hohen Anteil von Ausländer/innenkindern, insbesondere Türken, in der ASO. Diese Kinder haben Interessen verschiedenster Art, die im Rahmen des Gesamtunterrichts - einem Prinzip der ASO - sehr wohl berücksichtigt werden können und müssen. Leider tragen die ASO-Bücher dem bisher zuwenig Rechnung. Gerade die Problematik der Zuwanderer/innen ist eigentlich nirgends ausreichend erwähnt, obwohl die Dringlichkeit dieses Themas nicht zu übersehen ist.

Zudem legt der vage Zeitbegriff der Kinder nahe, gerade das jüngste Kapitel der Geschichte, in diesem speziellen Fall der derzeitigen Heimatstadt Wien, verstärkt zu behandeln. Dafür bietet die vorliegende Quellensammlung, vor allem für den/die Lehrer/in der ASO-Oberstufe (sechste, siebente und achte Klasse), verschiedenste Ansatzpunkte und Möglichkeiten für den Einsatz im Fach- beziehungsweise Gesamtunterricht. Dies bedeutet nicht, daß diese Materialien unreflektiert übernommen werden können. Vielmehr ist gerade in der ASO die Form der Aufarbeitung wichtig und kann von Klasse zu Klasse stark variieren. So gesehen ließe sich im Prinzip fast das gesamte Quellenmaterial in irgendeiner Form verwenden. Daher hängt es also in erster Linie wieder vom Aufwand ab, den der/die einzelne Lehrer/in bereit ist dafür zu leisten. Schwierigkeiten könnten auftauchen bei den manchmal zu „literarischen" Texten, bei Karten, Statistiken und Diagrammen, bei Faksimileauszügen von Texten - deren Schriftbild (Fraktur) den Kindern große Probleme bereitet. Der große Wert dieser Quellensammlung und der damit angerissenen Themenbereiche liegt darin, daß damit keine Einengung auf das Fach Geschichte/Sozialkunde verbunden ist, sondern eine Aufbereitung des Stoffes für fast alle Unterrichtsgegenstände möglich ist.

Hausbau, Wohnen

ASO/8. Klasse

29

CHRISTINE HEINSCHINK Zur Klasse Schülerzahl: zwölf; sieben Mädchen, fünf Knaben. Ausländeranteil: vier jugoslawische Kinder, drei türkische Kinder, ein vietnamesisches Kind. Den Großteil der Kinder kenne ich seit fünf Jahren. Ich übernahm diese Klasse in der vierten Klasse.

Thema

Sachunterricht: Vom Hausbau Ziel: * Materialien, die beim Hausbau verwendet werden; * Kinder erfahren, wie ein Ziegel entsteht; * Vergleich mit der Bauweise von heute (ζ. B. Betonplatten). 1. Halbtagswandertag: Laaerberg-Wienerberg-„Ziegelteiche"-,,Lehm" 2. Quelle: Die Ziegelböhm. Teilweise einzelne Textstellen vereinfacht und abgezogen - gemeinsam gelesen und besprochen. Der Rest wurde von mir erzählt. Die Kinder reagierten darauf sehr emotional und betroffen - früher hat es Leute gegeben, denen es sehr, sehr schlecht ging. 3. Film: Hausbau (sehr alter Schwarzweiß-Film).

Thema

Deutsch: Wie wir wohnen

Im Deutschbuch findet sich ein eklatantes Beispiel von einer unrealistischen Darstellung der Wirklichkeit (siehe S. 30). Ich wählte das Kapitel „Die Wohnungseinrichtung" aus unserem Deutschbuch bewußt aus, um den vorgegebenen Wohnungsgrundriß dem Quellenmaterial sowie den Erfahrungen der Kinder gegenüberzustellen. Wie es sich auch hier zeigte, treffen öfters Darstellungen in Schulbüchern nicht auf die Lebensrealität von ASO-Schüler/inne/n beziehungsweise auf ausländische Schüler/innen zu. Deutschbuch: Grundriß einer Wohnung; Begriffe: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Vorzimmer, . . . Ziel: Die Kinder sollen die Räume in den Grundriß eintragen und über ihr Zuhause sprechen. Quelle: Zwei Beispiele: 1880 und 1985. Problematik: Die Kinder konnten mit den Begriffen aus dem Deutschbuch wenig anfangen, es entsprach nicht ihren eigenen Wohnverhältnissen. Aussagen einiger Kinder: „Wir wohnen anders." - „So sieht es bei uns nicht aus." - „Das gibt es bei uns nicht." * Aufbauend auf diese Deutschstunde verwendete ich die Skizze einer Quelle und zeigte sie den Kindern mittels Episkop. * Hausübung: Kinder sollen einen „Plan" ihrer Wohnung zeichnen und die Zimmer eintragen. * Vergleich mit den Skizzen der Quelle und dem Grundriß im Deutschbuch. * Zeigen einer Bildtafel „Wohnen der Arbeitsmigranten" (Quelle). * Kinder bringen Bilder vom Zuhause mit. * Problematik: Die österreichischen Kinder meinten, daß ihr Zuhause auch nicht anders aussehe als die Wohnungen der türkischen und jugoslawischen Kinder -*- Streitgespräche.

30

Hausbau, Wohnen

ASO/8. Klasse

* Hausübung: Schreibe in ein paar Sätzen, wie deine Wohnung aussehen sollte. * Quelle: Wohnungsverhältnisse der böhmischen Schuhmacher/innen. Diese Quelle wurde von mir den Kindern vorgelesen, wobei ich besonders folgende Stelle hervorhob: „Als einmal ein bekanntes Dienstmädchen stellenlos wurde, kam auch sie zu uns, sie schlief bei meiner Mutter im Bett, und ich mußte zu ihren Füßen liegen und meine eigenen Füße auf einen angeschobenen Stuhl legen." * Ergebnisse: Die Kinder meinten, daß „früher" eben alle arm waren (Österreicher/innen und Ausländer/innen) und sich keine großen Wohnungen leisten konnten. Heute sei die Situation anders - in den Augen der Kinder: Österreicher/innen haben gute Arbeit, genug Geld, schöne Wohnungen - die Ausländer/innen machen die Dreckarbeit für wenig Geld und haben schlechte Wohnungen. Überbewertung der Heimat: Wir haben ein schönes Haus in Jugoslawien, in der Türkei, das heißt, wenn wir zurückgehen haben wir alles . . . Zusammenfassung: Leider sind viele Texte so verfaßt, daß ich den Kindern viele Erklärungen geben mußte und sie allein damit nicht viel anfangen konnten. Aber sie gaben viele Impulse zu Gesprächen. Bilder und Zeichnungen regen unsere Kinder viel mehr an, über ein bestimmtes Thema zu sprechen. Für mich selbst waren die Texte sehr aufschlußreich, und ich konnte sie in den Erzählungen verwenden. »+ Quelle 28: S. 29; Quellen 29, 30: S. 29-31;

Quelle 212: S. 171; Quellen 237-251:

S.

185-192.

Wohnungsgrundriß

, WC,

h^jyohc, ^tWldtöveu^rvi,

(ßoueL,

ScMeuf/XAAnAriML,

,M ^

Mhhjnjveujyrrv

i t m m ^ w ,

/

'l/i/Zvoeif^vi^,

. . .

Bauarbeiter, „Ziegelböhm", Lehrlinge, Wr. Küche, Wohnen, Religion

ASO/8. Klasse

31

URSULA HOLLENSTEIN Die Klassensituation Schülerzahl: vierzehn, davon 4 Jugoslaw/inn/en, vier Türk/inri/en. Ungefähr die Hälfte der Klasse habe ich vor sechs Jahren als dritte/vierte Klasse (diese Klasse wurde damals zweistufig im Abteilungsunterricht geführt) übernommen. Der Rest kam im heurigen Schuljahr dazu. Die Gemeinschaft ist eine sehr harmonische und enge, die Kinder akzeptieren einander, und es gibt höchst selten Streitereien. Wir sind gewohnt, über auftretende Probleme zu sprechen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Es gibt, soweit ich es beurteilen kann, keine Vorurteile zwischen In- und Ausländer/inne/η mehr, im Gegenteil, die Kinder sind untereinander befreundet, treffen sich auch privat oder spielen zusammen im selben Fußballverein. Ich habe meine Arbeit als Lehrerin nie als reine Wissensvermittlung angesehen, sondern habe stets versucht, eine umfassende Erziehungsarbeit zu leisten. Das Lesen der Quellen des Projekts „Schmelztiegel Wien - einst und jetzt" hat mir geholfen, meinen Wissensstand über andere, fremde Kulturen zu erweitern. Es hat mir geholfen, mein eigenes und das Verständnis der Kinder zu wecken beziehungsweise zu vertiefen.

Thema

Die Prunkbauten von Wien - Wer waren die Bauarbeiter? Themenbereich: Wien im neunzehnten Jahrhundert; Geschichte und Sozialkunde. Zielstellung: Verständnis für die Arbeit und die Geschichte, die hinter Wiens großen Bauten steht. Methodischer Einsatz: Darbietung und Erarbeitung im Unterrichtsgespräch. Ergebnisse: Ich konnte durch diesen Einstieg das Interesse der Kinder für das Leben und die Zeit im 19. Jahrhundert wecken, was sehr förderlich war für die weiteren Themen. Ablauf: Wir sprachen im Unterricht über die österreichisch-ungarische Monarchie, über Kaiser Franz Joseph und seine Zeit. Ich verwendete eine Karte der österreichisch-ungarischen Monarchie, weiters eine über das Wachsen Wiens zur überragenden Hauptstadt des Kaiserreiches. Vorangegangen war ein Besuch der Ausstellung „Traum und Wirklichkeit" im Künstlerhaus, den wir uns wieder in Erinnerung riefen. Die Kinder sprachen vor allem von den Fotos, die dort zu sehen waren, und von dem Modell der Wiener Innenstadt, das sie faszinierte. Also ergab sich fast von selbst die Überleitung zu den Bauten der Wiener Ringstraße. Ich bot ein Bild dar, aber ohne den Zusatz: Wie die Tschech/inn/en beim Ausbau des Parlaments helfen. „Da seht ihr so eine Gruppe von Arbeitern, die beim Bau des Parlaments halfen. Was glaubt ihr, waren das für Leute?" „Glaubt ihr, daß diese Leute alle aus Wien kamen?" „Nein, das sind sicher Gastarbeiter/innen", meinte ein türkischer Bub. Ich war überrascht und fragte, wieso er das wisse. Na, er hätte es bloß vermutet, weil doch bei allen Hausbauten nur Gastarbeiter/innen arbeiten! Nur Türk/inn/en und Jugoslaw/inn/en konnten es keine sein, da das Parlament viel früher erbaut worden war.

32

Bauarbeiter, „Ziegelböhm", Lehrlinge, Wr. Küche, Wohnen, Religion

ASO/8. Klasse

Ich erzählte dann von den Leuten aus den sogenannten Kronländern, die nach Wien kamen, um hier Arbeit zu finden. Wir sprachen über die Gründe ihrer Zuwanderung und stellten fest, daß sie in etwa dieselben waren wie die der türkischen und jugoslawischen Arbeiter/innen. Ich konnte vieles von dem, was ich in den Quellen gelesen hatte, einfließen lassen und wurde bei meinen Erzählungen lebhaft von den türkischen und jugoslawischen Kindern unterstützt. Besonders ein Bub, dessen Vater Maurer ist, war kaum noch zu bremsen. Die Mädchen waren besonders beeindruckt von den Frauen, die damals neben Familie und Haushalt so eine harte Arbeit leisteten. Ich las dazu eine Quelle vor, die wir dann in vereinfachter und gekürzter Form aufschrieben.

Thema

„Die Ziegelböhm" Themenbereich: Wien im 19. Jahrhundert; Geschichte und Sozialkunde. Zielstellung: Kennenlernen der damaligen Herstellungsweise von Ziegeln. Methodischer Einsatz: Erzählen, Vorlesen, Rollenspiel. Ergebnisse: Die Kinder konnten sich besser vorstellen, welche schwere Arbeit die Ziegelarbeiter/innen zu leisten hatten und wie aufwendig die Herstellung der Ziegel war. Ablauf: Nachdem wir vorige Stunde vom Bau der großen Gebäude an Wiens Ringstraße gesprochen hatten, war es naheliegend, einen anderen Berufsstand kennenzulernen, nämlich den, der das Baumaterial, die Ziegel, herstellte. Ich erzählte, daß es am Wienerberg im Süden Wiens eine große Ziegelfabrik gab. Dann las ich dazu eine Quelle vor, wobei wir Begriffe, die unklar waren, klärten. Während des Erzählens und Vorlesens unterbrach ich öfters, um beschriebene Tätigkeiten pantomimisch vorzuzeigen. Die Kinder waren sehr interessiert, was mich spontan auf die Idee brachte, die Arbeit in der Ziegelei als eine Art Rollenspiel zu spielen. Wir bereiteten alles vor: * Den Platz, wo die Lehmziegel gestochen werden (als „Ziegel" dienten uns ein paar Bücher). * Das Schlammloch, in dem der Lehm getreten wurde. * Dann die Scheibtruhe, mit der man die Masse zum Schlagtisch transportierte (das fahrbare Tischchen vom Overhead). * Der Schlagtisch; als Model diente eine leere Schachtel. * Der Platz, an dem die Ziegel dann trocknen mußten. Als alles fertig war, wurden die Rollen verteilt und besprochen. Ein paar Kinder „stachen aus", und zwei weitere türmten die „Ziegel" zu Pyramiden auf. Dann wurden die „Ziegel" im Schlammloch ausgebreitet und (vorsichtig) darauf getreten. Ein „Lehmscheiber" kam und lud die Masse auf sein Wagerl, um es zum Schlagtisch zu bringen. Dort wurden nun die „Ziegel geschlagen" und hernach zum Trocknen aufgereiht. Es hat allen Beteiligten Spaß gemacht, und sie haben mit Feuereifer gearbeitet. Die Schlammtreter hat am Ende sogar gefroren. Als wir alle wieder saßen und verschnauften, meinte ein Schüler: „Das war nicht schlecht. Wenn man aber bedenkt, daß die alles mit Lehm gemacht haben, dann haben sie ganz schön geschuftet." Was von den anderen Kindern mit einem zustimmenden Brummen quittiert wurde.

Thema

Bei den Tschech/inn/en am Wienerberg Themenbereich: Wien im 19. Jahrhundert; Geschichte und Sozialkunde. Zielstellung: Kennenlernen der Lebenssituation der Ziegelarbeiter/innen.

Bauarbeiter, „Ziegelböhm", Lehrlings, Wr. Küche, Wohnen, Religion

ASO/8. Klasse

33

Methodischer Einsatz: Unterrichtsgespräch, Erzählen. Ergebnisse: Es waren unheimlich interessante Stunden, in denen wir über die Ziegelarbeiter/innen hörten und sprachen. Die Kinder wollten immer mehr hören und wissen, sodaß ich keinen Merkstoff aufschreiben ließ, da ich spürte, daß die Kinder das Gehörte nicht so schnell vergessen würden. Ablauf: Ich wurde in der nächsten Sachunterrichtsstunde (nach der Einheit: „Die Ziegelböhm") sofort wieder auf die Ziegelarbeiter/innen angesprochen. „Frau Lehrerin, erzählen Sie uns wieder etwas von den ,Ziegelböhm'?" Teils erzählte, teils las ich über die soziale Situation vor (Quelle). Wir sprachen über die Wohnsituation, über das Zusammenleben mehrerer Familien in einem Raum. Die Kinder konnten sich das kaum vorstellen. Um ihnen wenigstens ein wenig das Gespür zu geben, teilte ich die Klasse in vier „Familien" auf und schickte jede in eine Ecke des Raumes. Gemeinsam versuchten wir nun, uns die jeweiligen Bereiche mit Tisch und Betten vorzustellen. Es war uns nicht möglich, irgendwelche Abteüungen durch Vorhänge zu installieren, aber ich glaube, die Kinder haben doch sehr gut begriffen, wie schwierig diese Wohnsituation war. Es entstand eine rege Diskussion, während der sehr viel des Quellenstoffes besprochen wurde. Es störte niemanden, als die Pausenglocke läutete. Sie wurde nicht wahrgenommen. Erst als ich wirklich nichts mehr zu diesem Thema sagen konnte und auch die Kinder keine Fragen mehr hatten, konnten wir uns sozusagen trennen. Aber immer wieder tauchten Bemerkungen und Gedanken auf, sogar noch mehrere Tage später.

Thema

Lehrlinge in der Monarchie und Lehrlinge heute Themenbereich: Berufskunde; Deutsch-Lesen. Zielstellung: Kennenlernen der Lehrlingssituation von vor hundert bis hundertfünfzig Jahren und einen Vergleich zu heute herstellen. Methodischer Einsatz: Lesen. Ergebnisse: Anfangs waren die Kinder nicht sehr erfreut über das Lesestück, aber je mehr wir darüber sprachen und lasen, desto mehr zeigten sie Interesse. Sie konnten feststellen, daß sich trotz den noch bestehenden Schwierigkeiten die Lehrlingssituation sehr gebessert hat. Ablauf: Als Einführung wiederholten wir bereits Gehörtes - Wien im 19. Jahrhundert etc. Wir kamen auf die jungen Leute in den damaligen Monarchieländern zu sprechen, die aus ihrer Heimat nach Wien geholt wurden, um hier in den verschiedenen Werkstätten zu arbeiten. Jedes Kind bekam dann einen maschingeschriebenen Abzug von Gustav Habermanns Geschichte (Quelle), die sie still lesen und dabei Unklares unterstreichen sollten. Anschließend wurden dann diese Unklarheiten besprochen. Dann begann ich vorzulesen, da gerade der Beginn der Geschichte etwas kompliziert ist (bis . . . ein deutsch gesprochenes „Ja" oder „Nein"). Dann lasen abwechselnd die Kinder. Im Anschluß daran versuchten wir, das Wesentliche herauszusuchen, was am Eindruckvollsten war oder am besten gefallen hatte. In Form eines Gespräches wurden dann Vergleiche zur heutigen Lehrlingssituation hergestellt.

Thema

Die Wiener Küche

Themenbereich: Gesundheit-Ernährung; Biologie kombiniert mit Geschichte.

34

Bauarbeiter, „Ziegelböhm", Lehrlinge, Wr. Küche, Wohnen, Religion

ASO/8. Klasse

Zielstellung: Kennenlernen der tschechisch-böhmischen Küche, die im allgemeinen als „Wiener Küche" bezeichnet wird. Methodischer Einsatz: Kochen. Ergebnisse: Eine köstliche Mahlzeit und viel Spaß. Ablauf: Nachdem wir uns ziemlich genau mit tschechischen und böhmischen Zuwanderer/inne/n befaßt hatten, wollten wir natürlich auch wissen, was diese gegessen hatten. Ich besprach mich mit der Hauswirtschaftslehrerin, die sich sofort bereit erklärte, mitzumachen. Sie grub eine Menge Kochbücher und Rezepte aus, und gemeinsam besprachen wir die verschiedenen Gerichte mit den Kindern. In einer Koch-Einheit kochte dann die ganze Klasse das folgende „Festessen": Prager Hühnercremesuppe, Paprikahuhn mit Serviettenknödeln und Salat, Skubanky (Mohnnudeln aus Kartoffelteig); Hühnerfleisch wählten wir aus Rücksicht auf die islamischen Kinder. Es hat ausgezeichnet gemundet, und wir haben uns vorgenommen, sobald wie möglich wieder gemeinsam zu kochen.

Thema

„Gastarbeiter/innen - Wohnen wie im Kaiserreich" Das Thema kam ganz spontan zur Sprache, hatte aber zum Ergebnis, daß die Kinder, besonders die österreichischen, wieder einmal auf die Probleme ihrer ausländischen Mitschüler/innen aufmerksam gemacht wurden. Es wurde über die vielen Vorurteile gegenüber Ausländer/irtne/η gesprochen, die für die Kinder vielleicht gar nicht so spürbar waren, da sie Tag für Tag in der Schule zusammen sind und sich in all der Zeit kennen und schätzen gelernt haben. Ablauf: Eines Tages kam ein türkischer Schüler sehr bedrückt in die Schule. Es fiel uns allen auf, weü er sonst eigentlich immer fröhlich und gesprächig ist. Auf meine Frage, ob er Probleme habe, warum er so traurig sei, gab er zur Antwort: „Scheiße, alles Scheiße!" Sein Banknachbar forderte ihn auf, zu erzählen. So hörten wir von seiner bisher ergebnislosen Suche nach einer größeren Wohnung, und was er dabei alles erlebte. Angefangen von „Tschuschen brauch ma kane" bis zu Ablöseforderungen in horrender Höhe. Wir hörten betroffen zu, und sein Banknachbar und Freund, ein Österreicher, meinte dazu: „Ich versteh das nicht, sie sind genauso wie wir." Wir versuchten nun, die Gründe für die Ablehnung der Leute herauszufinden. Zum Beispiel, daß Leute etwas ablehnen, weil sie es nicht kennen oder weil es ihnen so fremd ist. Oder weil sie schon von ihren Eltern oder Freund/inn/en hörten, daß zum Beispiel Türk/inn/en und Jugoslaw/inn/en schlecht sind und sich nie die Mühe gemacht haben, sich eines Besseren zu überzeugen. Daß es solche Vorurteile schon lange gibt, früher waren es solche gegen andere Volksgruppen oder arme Leute. Ich erinnerte mich an die Quellen und zeigte die beiden Wohnungsskizzen daraus. Wir sprachen darüber, wobei ein Schüler dann meinte: „Dann sind eigentlich die Gastarbeiter von heute so etwas Ähnliches wie die Tschechen von damals." Wir stellten fest, daß eben diese Tschech/inn/en, sofern sie nicht in ihre Heimat zurückgekehrt sind, beziehungsweise deren Nachfahren heute in Wien leben, eigentlich als Wiener/innen bezeichnet werden. Auf meine Frage, ob sich die ausländischen Kinder vorstellen können, später einmal genauso „eingebürgert" zu werden, sagte mir ein Mädchen (türkisch): „Ja, ich möchte leben wie Sie, Frau Lehrerin." Alle anderen wußten es nicht, waren unsicher. Worauf wir darauf zu sprechen kamen, daß viele türkische und jugoslawische Kinder in zwei Welten mit zwei Herzen leben und eigentlich nicht das Gefühl haben, irgendwohin zu „gehören". Ein türkischer Schüler meinte, daß er eigentlich gar nicht mehr wisse, wie es

Bauarbeiter, „Ziegelböhm", Lehrlinge, Wr. Küche, Wohnen, Religion

35

ASO/8. Klasse

in der Türkei sei, da er schon seit acht Jahren nicht mehr dort war. Aber er werde im Sommer dort Urlaub machen und freue sich schon sehr. Ein türkisches Mädchen fühlt sich in Österreich freier und stellt sich vor, hier ein besseres Leben führen zu können - trotz allem. Ein anderer türkischer Bub möchte nur dorthin zurück, weil er glaubt, dort schneller eine Karriere als Fußballprofi machen zu können. Aber dann, wenn er es einmal „geschafft" hat, möchte er nach Österreich zurückkehren und eine österreichische Frau heiraten. Eine österreichische deshalb, weil man mit der mehr unternehmen kann und mehr Spaß (im Sinne von lustig) hat als mit einer türkischen.

Thema

Die Religion der Gastarbeiter/innen Themenbereich: Islam; Sachunterricht. Zielstellung: Näheres Kennenlernen dieser anderen Weltreligion. Methodischer Einsatz: Gespräch. Ergebnisse: Wir entdecken die Vielfalt und Schönheit dieses Glaubens und auch seine Andersartigkeit. Das Thema gab den türkischen Schüler/inne/η die Möglichkeit, einen Großteil der Unterrichtsstunde zu gestalten, was sie mit Begeisterung taten. Ablauf: Ich kann hier keine spezielle Quellen anführen, da ich nicht direkt eine der vielen Quellen im Unterricht besprochen habe. Aber die Informationen, die ich durch das Lesen erhielt, halfen mir sehr. Am Anfang stand eine theoretische Behandlung der Geschichte dieses Glaubens. Bei allen meinen Äußerungen und Erzählungen wurde ich von den islamischen Kindern unterstützt und korrigiert, wenn sie es für nötig hielten. Sie waren sehr stolz, über etwas reden zu können, das sie gut kennen, sogar besser als ihre Lehrerin. Ich mußte zum Beispiel als allererstes lernen, „Allah" (Betonung auf der letzten Silbe) und „Koran" (Betonung auf der ersten Silbe) richtig auszusprechen. Am nächsten Tag brachte ein türkisches Mädchen den Koran mit, zeigte uns die Waschungen, die sie vor dem In-die-Hand-Nehmen des Buches zu tun hatte, und las uns dann vor. Besonders die österreichischen Kinder waren sehr beeindruckt und stellten viele Fragen. Ich spielte bei diesem Gespräch eher eine „Außenseiter/innenrolle", das heißt, ich war nur Teilnehmerin der Diskussion, aber nicht Wortführerin. In Anbetracht dessen, daß im Mai der islamische Fastenmonat „Ramadan" stattfindet, gab es viel Gelegenheit, über religiöse Riten und Traditionen zu sprechen. Auch über das türkische Essen wurde geredet, wobei wir uns vornahmen, gegen Ende des Schuljahres auch einmal türkisch zu kochen. Schon jetzt kommen wir hie und da in den Genuß von türkischen Spezialitäten wie Halva, Schafskäse oder Sesambrot und Hirsefladen. Auch dieses Gespräch, wie viele andere vorhergegangene über die verschiedenen Lebensweisen und -Situationen, brachte die Kinder einander näher. Immer mehr Barrieren der vermeintlichen „Andersartigkeit" konnten abgebaut werden, sodaß letztlich nur Menschen da sind, die sich kennen und schätzen. »* Quelle 27: S.28; Quelle 492: S. 388.

Quelle 28: S. 29; Quellen 29, 30: S. 29-31;

Quelle 227: S. 177-178;

Quellen 237-251:

S.

185-192;

36

Arbeitssuche, Massenmedien, Berufe, Herkunft

ASO/8. Klasse

GERHARD WEGSCHEIDER Zur Klasse Die Klasse wurde von mir im März des Schuljahres 1979/80 übernommen, also in der zweiten Klasse: vierzehn Schüler/innen, davon ein türkischer Bub und ein jugoslawisches Mädchen (in Wien geboren).

Sozialkunde/Deutsch - Rechtschreiben

Lehrstellen- und Arbeitssuche im vorigen Jahrhundert Ziele: * Deutlichmachen wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhänge; * Lesen und Verstehen eines Textes, der vor über hundert Jahren verfaßt wurde; * Erkennen der Besonderheiten der Schrift/Rechtschreibung dieser Zeit. Einstieg: Lesen von Quellen. Unterrichtsablauf: * Text einer Quelle durch den Lehrer vorgelesen, Schüler/innen lesen aufmerksam mit. * Lehrer-Schüler/innengespräch: Was fällt uns an Besonderheiten auf? Abermaliges Lesen des Textes durch die Schüler/innen. - Welchen Eindruck hinterläßt diese Schilderung? Jan ist etwa gleichaltrig zu den Schüler/inne/n der Klasse. - Annahme, daß der eine oder der andere aus der Klasse sich am Ende des Schuljahres auf eine ähnliche Reise begeben müßte (zu Fuß und barfuß, einer fremden Person anvertraut), um am Ende wie ein Sklave ausgemustert zu werden. (Schüler/innengespräch) * Zusätzliche Festigung des Textes durch seine Verwendung als Rechtschreibübung: Welche Wörter wurden 1862 anders geschrieben, als man sie heute schreibt? Brod - Brot dieß theilte Heimath Wörter, für die noch zwei Schreibweisen gebräuchlich sind: Photo - Foto Graphik Der Lehrer liest abschließend den Text der Quelle vor.

Deutsch - Lesen (Aufsatztechnische Übung)/Sozialkunde

Massenmedien Ziele: * Den Schüler/inne/n soll der Unterschied zwischen objektiver und subjektiver, realistischer und klischeehafter Berichterstattung deutlich gemacht werden. Einstieg: Quellen zum Thema „Italiener/innen". Unterrichtsablauf: * Text der ersten Quelle wird vom Lehrer vorgelesen: Lehrer-Schüler/innengespräch; Überlegungen: zur Nationalität; zur Zeit dieses Arbeitseinsatzes; zum Grund des Arbeitens im Ausland; zur Verpflegung.

Arbeitssuche, Massenmedien, Berufe, Herkunft

ASO/8. Klasse

37

* Gemeinsames Lesen der zweiten Quelle: Begriffe wie „Agitatoren", „Oppositionelle", „determiniert", „interniert", „affichiert", nachgeschlagen im Wörterbuch beziehungsweise durch den Lehrer erklärt. Überlegungen ähnlich wie zur ersten Quelle. * Vergleich der beiden Texte: Welcher wird eher der Wirklichkeit entsprechen? Begründung dafür! * Versuch der realistischen beziehungsweise klischeehaften Schilderung des Ausblicks aus unseren Klassenfenstern („Vorgarten" - Straße). Einige Schüler beschreiben diesen Ausblick so, wie er tatsächlich ist (graue, mehr oder weniger verschmutzte Häuser; vollgeparkte Straßen; Leute, die es eilig haben; eher ungepflegte, unbenützte Vorgärten). Lehrer beschreibt denselben Ausblick sehr beschönigend (saubere, in verschiedenen Farben bemalte Häuser; breite Wohnstraße; nur wenige Autos, die den spielenden Kindern den Weg verstellen; freundliche Leute, die pfeifen, trällern, Wienerlieder singen und gemütlich durch die Gegend schlendern; sehr gepflegte, blumengeschmückte Vorgärten, in denen Leute beisammensitzen/ -stehen. * Wer hat die tatsächliche Situation besser getroffen? Lehrer-Schüler/innengespräch.

Mathematik/Sozialkunde

Von woher kommen die Wiener/innen? Quelle: Zuwanderer/innen nach Wien (Kreisdiagramme). Untenichtsablauf: * Folie mit drei Schaubildern für die Jahre 1880-1934-1971 wird mittels Overheadprojektor gezeigt. Schüler/innen erhalten diese drei Kreisdiagramme als Arbeitsblatt. * Lehrer-Schüler/innengespräch: Was kann man aus den Darstellungen entnehmen? Gründe für die Abnahme der Nichtdeutschsprachigen, insbesondere der Tschech/inn/en? (Dazu machen wir Stichproben im Telefonbuch Wiens.) Wie würde dieses Schaubild für unsere Klassensituation aussehen? (Zwölf in Wien Geborene, zwei in Bundesländern Geborene, einer in der Türkei geboren.) Fünfzehn Personen: fünfzehn Teile = 360°, ein Teil = 24°, zwei Teile = 48°. * Einzelarbeit: Schüler/innen zeichnen die Klassensituation ein und fertigen die Legende dazu an. * Arbeitsauftrag für die Hausübung: In das Arbeitsblatt den eigenen Stammbaum einzeichnen (Schüler/innen-Eltern-Großeltern, mit Name und Geburtsort/land).

Bildnerische Erziehunj^Sozialkunde

Berufe früher und heute, die auf der Straße/auf Wanderschaft ausgeübt wurden/werden Einstieg: mit Bild- und Textquellen; Telefonbuch-Branchenverzeichnis. Ablauf: * Spontane Einfälle der Schüler/innen zu den Bildern: Rauchfangkehrer/in, Vertreter/in, Zigeuner/innen, die mit Hechtwaren handeln, Werkelmann/Werkelfrau. Schleifer/innen haben zwei Schüler der Klasse schon einmal gehört oder gesehen. Kinder kennen Kolporteur/inn/e/n vom Schulweg zum Teil persönlich. * Textquellen zu Rastlbinder/in, Kolöffl-Kräwät, Zwiefl-Kräwät vom Lehrer vorgelesen und die entsprechende Abbildung gezeigt. (Lehrer-Schüler/innengespräch) * Andere Textquellen ebenfalls vom Lehrer vorgelesen. Eisverkäufer/in/-hersteller/in: Vergleich mit jetzt: Rauchfangkehrerzunft sowie Scheren- und Messerschleifer/innen stammen ebenfalls aus Italien. Was blieb davon in unserer Zeit?

38

Arbeitssuche, Massenmedien, Berufe, Herkunft

ASO/8. Klasse

Telefonbuch-Branchenverzeichnis: Italienische Namen zum Teil noch bei den Rauchfangkehrer/inne/n, zum Großteil aber bei den Besitzer/inne/n der Eissalons. * Abschließend versuchten die Schüler/innen den einen oder anderen Typus nach den gezeigten Bildern zu zeichnen. »+ Quellen 3, 4: S. 14-16; Quellell: S.114.

Quellen 7-13: S. 20-22;

Quellen 65, 66: S. 56; Quelle 88: S. 78-79; Quellen 127, 128: S.

103-104;

Praktische Anwendung in der Schule - didaktische Umsetzung

39

2.3. Hauptschule - Allgemeines zur Arbeit mit den „Schmelztiegel-Materialien" Am Beginn unserer Arbeit war da viel Freude und Begeisterung - endlich dürfen auch wir Hauptschullehrer/innen wissenschaftliches Material ausprobieren, noch dazu bei einer Problematik, die uns ja viel mehr als die Allgemeinbildenden Höheren Schulen (AHS) betrifft! Endlich dürfen wir schon vor der Drucklegung eines Werkes, mit dem wir dann arbeiten sollen, sagen, daß und warum wir Materialien nicht einsetzen können, wir können aber auch gemeinsam mit Wissenschaftler/inne/n nach Materialien suchen, die für Hauptschüler/innen sehr wohl verständlich sind. Auf diese erste Phase unserer Arbeit folgte eine zweite der Ernüchterung, als wir das, was wir kognitiv wußten, hautnah erlebten: die Hauptschule gibt es nicht. Quellen, die einem Hauptschullehrer in einer IGS in einem Neubauviertel am Stadtrand von der Sprache her als durchaus adäquat für seine Schüler erschienen, wurden von Hauptschullehrer/inne/n mit einem Schulstandort in einem Gastarbeiter/innenviertel als sprachlich viel zu schwer und daher als unbrauchbar für ihren Unterricht bezeichnet. Lehrer/innen mit kaum Gastarbeiter/innenkindern hatten Probleme, wie und ob sie mit den Materialien emotionale Betroffenheit erreichen könnten. Lehrer/innen mit hohem Gastarbeiter/innenanteil in ihren Klassen hatten Angst, zum Beispiel mit Quellen über die schlechte Wohnsituation von Gastarbeiter/inne/n in offenen Wunden ihrer Kinder herumzuwühlen. Der Sprung von den theoretischen Überlegungen in die praktische Umsetzung war für uns alle ein

schwieriger. Es zeigte sich, daß viele der anfangs geäußerten Bedenken ihre Berechtigung hatten da wir sie aber kannten, konnten wir mit ihnen umgehen und waren in sehr vielen Fällen positiv überrascht. Das Lesen sprachlich schwieriger Texte wurde zum Beispiel von einigen sprachlich schwachen Klassen als spannende Aufgabe betrachtet, emotionale Anknüpfungspunkte in Klassen mit kaum Gastarbeiter/innenkindern waren oft viel rascher gefunden als gedacht. Und das Quellenmaterial, das wir nicht direkt im Unterricht einsetzten, diente uns Lehrer/inne/n als wissenschaftlich fundierter Hintergrund, der für Hauptschullehrer/innen ja oft nicht mit derselben Selbstverständlichkeit greifbar ist wie zum Beispiel für AHS-Lehrer/innen. Der dritte und schwierigste Teil unserer Arbeit war die Umsetzung in schriftliche Berichte. „Kochrezepte" mit vorprogrammierten Ergebnissen wollten wir bewußt keine liefern, hatten wir doch gerade selbst erlebt, wie verschieden Hauptschüler/innen verschiedener Klassen auf dieselbe Quelle reagierten. Vielmehr war es uns wichtig, eben diese Verschiedenheit ein wenig einzufangen - sowohl was die Einsatzmöglichkeit ein- und derselben Quelle betrifft als auch die Verschiedenheit der emotionalen Reaktionen darauf. Es gibt neben den aufgezeigten Möglichkeiten sicher noch sehr viele andere - die lesenden Lehrer/innen zur Entwicklung solcher ihren Klassen adäquaten Ideen zu animieren, war unser Ziel.

40

Frauen, Tradition, Sprache

HS, D/1. Klasse

KARIN GRECH Unsere spezifische Schulsituation Zur Organisation der Schule: In einem Schulgebäude befinden sich Volksschule, Mehrfachbehindertenklassen und die Hauptschule, wobei sich die Volksschule und die Mehrfachbehindertenklassen unter der Organisation der Volksschuldirektion befinden, während die Hauptschule eine eigene Hauptschuldirektion hat. Die Volksschule, geführt nach dem Volksschullehrplan, wird ebenso wie die Hauptschule, geführt nach dem Hauptschullehrplan, von körperbehinderten Kindern besucht. Die Mehrfachbehindertenklassen, die oft mehrstufig geführt werden, werden von körperbehinderten Kindern besucht, die nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule unterrichtet werden. Alle Schultypen werden als Ganztagsschule geführt, deren Unterricht von 8.45 -16.00 Uhr mit einstündiger Mittagspause dauert. Samstag ist unterrichtsfrei. In der Hauptschule ist der ganze Unterrichtstag mit Unterrichtsstunden ausgefüllt, während in den unteren Klassen Hortstunden den Schulalltag auflockern. Zu der normalen Stundenzahl in der Hauptschule kommen noch mindestens zwei Therapiestunden dazu. Zusätzlich werden die Kinder, je nach individueller Notwendigkeit, aus dem Unterricht herausgenommen, um mehr Therapie zu bekommen. Es gibt bei uns die Möglichkeit der Einzeltherapie, die speziell ausgebildete Therapeut/inn/ en durchführen, der Unterwassertherapie, der Handtherapie und der Therapie im Turnsaal, die alle Lehrer/innen machen. Darum ist es an unserer Schule auch notwendig, wenn man für immer dort bleiben möchte, zu der ersten Lehramtsprüfung, die meistens aus dem Hauptschulbereich gemacht wurde, eine zweite im Laufe der Unterrichtstätigkeit speziell für Körperbehinderte dazuzumachen. Im heurigen Schuljahr wurden in den zwei ersten Klassen die Leistungsgruppen in allen „Hauptgegenständen" eingeführt, wobei nach wie vor pro Klasse nur ein/e Lehrer/in zugeteilt wurde. Das bedeutet für die Praxis, daß wir offiziell drei Leistungsgruppen haben, die Kinder auch entsprechend einstufen. Aber in Deutsch unterrichte ich zum Beispiel die dritte Leistungsgruppe und die Hälfte der Kinder der zweiten Leistungsgruppe (in dem Fall eher die Schlechteren der zweiten Leistungsgruppe). Die Schüler/innenhöchstzahl ist in unserer Schule mit fünfzehn angesetzt.

Zur 1. Klasse Erste Klasse, zweite und dritte Leistungsgruppe: Deutsch. Derzeit neun Schüler/innen (stark fluktuierend), drei Ausländerinnen: Das türkische Mädchen kam mit zwei Jahren nach Österreich, das jugoslawische Mädchen wurde in Österreich geboren, das dritte Mädchen hat die bundesdeutsche Staatsbürgerschaft. Ich bin von einer der beiden ersten Klassen Klassenvorstand. Es sind auch eine Jugoslawin (in Österreich geboren) und ein Türke in der zweiten Leistungsgruppe der anderen, „besseren" Deutschgruppe. Ausländerfeindlichkeit kann allgemein in den beiden ersten Klassen als nicht vorhanden angenommen werden. (Die zwei Klassensprecherinnen in meiner Klasse sind das türkische und das jugoslawische Mädchen der anderen Deutschgruppe.)

Frauen, Tradition, Sprache

HS, D/1. Klasse

41

I. Themenbereich (Rahmen des Einsatzes) Der gesamte Unterricht läuft im allgemeinen themenzentriert ab. Voran ging ein kleines Projekt „Die Frau in unserer Gesellschaft". Unser Thema lautete ganz allgemein „Ausländer/innen in Österreich". Dabei versuchen wir, die jeweiligen Themen dem Jahresplan anzupassen.

II. Zielstellung Die Schüler/innen sollten mehr auf den latenten bis offenen Ausländer/innenhaß in Österreich aufmerksam gemacht werden, um besser damit umgehen zu lernen. Das bessere Kennenlernen ihrer türkischen und jugoslawischen Mitschüler/innen und ihre Probleme standen im Vordergrund. Folgende Fragen sollten gestellt und auch beantwortet werden: Wer ist ein/e Ausländer/in? Zählt unser Mädchen aus der Bundesrepublik Deutschland auch dazu? Warum gibt es Gastarbeiter/innen bei uns? Ist das in anderen Städten und Ländern ebenso? Welche Schwierigkeiten haben Ausländer/innen, wenn sie zu uns kommen? Welche Schwierigkeiten werden ihnen gemacht und warum? Wie würde es uns in einem fremdsprachigen Land ergehen? Welche anderen Bräuche, Sitten, Traditionen gibt es im Vergleich zu unseren? Welches Rollenbild von Mann und Frau herrscht in den südeuropäischen Ländern vor?

III. Stundenabläufe

Thema: Das Rollenbild der Frau in der Türkei Lesen: „Güler will kein Kopftuch mehr" von Eva Jancak, in: Mädchen dürfen pfeifen, Buben dürfen weinen. Anknüpfend an das vorhergehende Projekt „Die Frau in unserer Gesellschaft": Hülya (türkisches Mädchen) erzählt von ihrer Mutter, die aus einem kleinen Dorf stammt und früher ganz verhüllt ging, heute jedoch in Wien nur mehr ein Kopftuch trägt. Der Vater arbeitet seit einundzwanzig Jahren in Wien, die Mutter kam erst mit ihr vor neun Jahren nach Wien, der besseren medizinischen Betreuung ihrer Tochter wegen. Klassengespräch: Wir hören uns die von Hülya mitgebrachte türkische Musik an. Vergleich: unsere kaum vorhandene Volksliedtradition. Hausübung: Schüler/innen lesen die Geschichte fertig und schreiben eine Nacherzählung.

Thema: Vergleich: türkische Mädchen/österreichische Mädchen Gespräch: Unterschied zwischen österreichischen Mädchen und türkischen Mädchen wie Güler, deren Verwandte aus Anatolien stammen. Unterschied zwischen Stadt und Land, europäischem und asiatischem Teil der Türkei; Nacherzählung. Teamarbeit: Wir suchen gemeinsam die Türkei im Atlas, die Hauptstadt Ankara, das Gebiet Anatoliens, wo Gülers Verwandte und sie geboren wurden und Istanbul, wo Hülya geboren wurde, das Dorf aus dem ihre Eltern stammen. Dazu hören wir türkische Musik. Hausübung: freiwillig von Hülya über ihren Vater.

Thema: Matriarchat und Patriarchat Lehrerin erzählt: Historische Entwicklung der menschlichen Gesellschaft; Vergleich Urgesellschaft-unsere heutige Gesellschaft. Ein Schüler erzählt: über den Fernsehfilm „Die Insel der Frauen".

42

Frauen, Tradition, Sprache

HS, D/1. Klasse

Schüler/innen und Lehrerin stellen gemeinsame Vermutungen auf, warum es heute noch möglich ist, daß so ein matriarchalisch organisierter Stamm sich so lange „halten" konnte. - Gespräch über Praktiken der Kolonialherrschaften. (Der Film war so schlecht, daß er keine Antworten auf unsere Fragen geben konnte.) - Ergebnis des Gesprächs: auch in der Türkei ist die Entwicklung zur Gleichberechtigung der Frau unaufhaltsam. Hülya kann schon über kleine Änderungen auch innerhalb ihres Verwandtschaftskreises, natürlich auch aufgrund des europäischen Einflusses - mehrere waren Gastarbeiter/innen - berichten. Konkreter Vergleich der Rechte der Frauen in Österreich und der Rechte der Frauen in der Türkei. Einfluß der Religion: Unterschied zwischen Christentum und Islam (Hülya liest aus dem Koran vor). Wir versuchen auch einen Vergleich mit Jugoslawien. Das Mädchen weiß aber leider viel zuwenig, auch aufgrund der Nachwirkungen ihrer schweren Kopfverletzung. Hausübung: Stefan schreibt freiwillig eine kurze Zusammenfassung über den Film, den er als einziger in der Klasse sah.

Thema: Tradition und Familie Lesen in Gruppenarbeit: Schüler/innen lesen Quellen, machen sich Notizen, um anschließend ihren Klassenkolleg/inn/ en berichten zu können. Lehrerin erteilt Hilfe bei Begriffsklärungen. Während des Lesens hören wir jugoslawische Musik, von Sladjana mitgebracht. Im Vordergrund steht die Rolle der Frau in Jugoslawien. Jede Gruppe berichtet über ihr gelesenes Interview. Diskussion: Welchen Unterschied können wir zwischen türkischer und jugoslawischer Tradition bezüglich des Rollenbildes erkennen - eine andere Religion (orthodoxe). Welche Konflikte können entstehen, wenn wir in ein anderes Land ziehen, das eine andere Geschichte hat, andere Bräuche, Sitten, Traditionen, eine andere Sprache? Kurze Klärung: Was ist ein Interview? Wie läuft es ab?

Thema: Die türkische und die deutsche Sprache Wir wiederholen das Nachschlagen im Wörterbuch. Wir suchen verschiedene Begriffe, die wir während unserer Arbeit neu kennengelernt haben. Dieselben Begriffe versucht zuerst Hülya auf türkisch, dann Sladjana auf serbokroatisch zu übersetzen. Wir schreiben unser deutsches Alphabet ins Schulübungsheft und dann das türkische (Sladjana kann nicht schreiben). Wir schreiben verschiedene deutsche, englische und türkische Wörter auf. Wir kommen zu dem Ergebnis, daß sture Übersetzungen von einer in eine andere Sprache aufgrund der verschiedenen Strukturen und ihrer historischen Gewachsenheiten nicht möglich sind.

Thema: Ausländer/innen in Wien Quelle: Statistik von den Einwohner/inne/n Wiens von 1880, 1934,1971 - ein Vergleich. Wir verarbeiteten diese Quellen etwas abgeändert und versuchten gemeinsam, die jeweilige Zeit einer Statistik zu beschreiben. Da die Schüler/innen noch große Schwierigkeiten im Lesen und Begreifen von Statistiken haben, klebten wir die einzelnen „Tortenstücke" nebeneinander auf, um den ungefähren Unterschied zwischen den einzelnen Gruppen erkennen zu können. (Prozentzahlen verstehen die Kinder noch nicht.)

Herkunft, Wohnen, Sprache, Rollenbilder

HS, D/3. Klasse, II. Klassenzug

43

Allgemeines Thema zum Abschluß: Ausländer/innen in Österreich Diskussion: Vorbild Club 2 Jedes Kind wählt sich Name, Alter, Beruf, Staatsbürgerschaft, privates Zusammenleben; Lehrerin ist die Diskussionsleiterin. Es gab kein Vorgespräch. Während der Diskussion mußten wir manchmal Pausen einschalten, wenn das Gespräch ins Stocken geriet. Lehrerin las dann die Zielstellungsfragen nochmals vor.

Zur 3. Klasse Zehn Schüler/innen; vier Buben und sechs Mädchen; keine Ausländer/innen. Bei einigen Schüler/inne/n ist eine starke Ausländer/innenfeindlichkeit vorhanden, die einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn bei den anderen Schüler/inne/η gegenübersteht. Die Klasse ist „Schwererziehbaren" gleichzusetzen, entsprechend das Milieu, aus dem die meisten kommen. Diejenigen, die öfters unter Schmerzen leiden, entladen dies in einem Haß gegen verschiedenste Bevölkerungsgruppen, eben auch Ausländer/innen.

I. Themenbereich (Rahmen des Einsatzes) Wir versuchen das Thema „Ausländer/innen in Österreich" in unseren gemeinsam erstellten Wochenplan zu integrieren.

II. Zielstellung Beseitigung des Ausländer/innenhasses. Zusammenführen der Schüler/innen innerhalb der Klasse •*• Klassengemeinschaft. Kennenlernen anderer Menschen und ihrer Sitten, Bräuche, Traditionen. Anhand einzelner Lebensbiographien ihre Probleme im Ausland (Österreich/Wien) aufzeigen.

III. Stundenabläufe

Thema: Wie gingen die Nazis gegen Ausländer/innen vor? Lesen: „Jenö war mein Freund" von Wolfdietrich Schnurre, in: „Unter der Oberfläche 3", Wien: Österr. Bundesverlag 1984. Gespräch: Gemeinsames Lesen und Besprechen - Nazizeit - Wer war noch „unwertes Leben"? Behinderte, Ausländer/innen, politisch Andersdenkende, . . . Jenö ist ein Zigeuner, was wissen wir heute über Zigeuner/innen? Kurzes Besprechen ihrer Bräuche, Sitten, Lebensgewohnheiten, ihrer Schwierigkeiten, akzeptiert zu werden. Hausübung: freiwillig von Toni eine Nacherzählung. (Er hat aufgrund von Schmerzen und anderer psychischer Probleme riesige Schwankungen bezüglich der Einstellung gegenüber Ausländer/inne/n. Es liegt ein anderer Aufsatz von ihm vor, der einen offenen Ausländer/innenhaß proklamiert.)

Thema: Welche Ausländer/innen leben hauptsächlich in Wien? Gespräch: Fernzuwanderung nimmt zu; zuerst kamen Jugoslaw/inn/en, später Türk/inn/en und jetzt zum Beispiel Zeitungskolporteur/inn/e/n aus Indien, Ägypten . . .

44

Herkunft, Wohnen, Sprache, Rollenbilder

HS, D/3. Klasse, II. Klassenzug

Lesen: Lehrerin liest Quelle („900 S Miete für ein Stockbett") vor: viele Erklärungen notwendig. Vergleich zu den Bettgeher/inne/n früher bis heute. Hausübung: Aufsatz: Ausländer/innen in Wien.

Thema: Wie wohnen viele Ausländer/innen in Wien? Es war ein Problem, darüber zu sprechen, weil einige Schüler/innen der Klasse unter der Armutsgrenze leben, dementsprechend ihre Wohnungen, andere wohnen in Heimen. Gruppenarbeit: Schüler/innen erarbeiten in vier Gruppen mit Quellen. Lehrerin erteilt Hilfe bei Begriffsklärungen. Vor den Gruppenberichten schreibt jede Gruppe ihnen vorher unbekannte Begriffe wie Mietzins, Immobilienbüro, Ablöse, Provision . . . an die Tafel •*• gemeinsame Begriffsklärung. Jede Gruppe erzählt vom Gelesenen. Hausübung: Aufsatz: Ich kenne eine/η Ausländer/in.

Thema: Welche Probleme können Ausländer/innenkinder haben, wenn sie zu uns kommen? Zuhören: Lehrerin liest Quelle vor (Interview mit einer Jugoslawin, als sie als Kind nach Wien kam). Vergleich: Wie würde es uns in einem fremdsprachigen Land in einer Schule gehen? Klärung: Was ist ein Interview? - Welche Sprache wird verwendet? Unterschied Hochsprache und Dialekt; gesprochene Sprache und geschriebene Sprache. Wir schreiben das Interview um - etwas abgewandelt, um es anschließend als Diktat verwenden zu können: Text: Frau Stancic kommt aus einer ländlichen Gegend Jugoslawiens. Das Dorf ist ungefähr 120 km südlich von Belgrad, der Hauptstadt Jugoslawiens, entfernt. Das Dort hat etwa 500 Einwohner. Sie ist 1962 geboren. Ihre Eltern wanderten ein paar Jahre vor ihr nach Österreich aus. Zu dieser Zeit besuchte sie die Volksschule in Jugoslawien. Erst dann kam sie ein Jahr nach ihrem Bruder nach Wien. Sie lebte dieses Jahr allein mit ihrem Großvater. Im Juli 1972 kam sie nach Wien. Sie konnte kein Wort Deutsch sprechen. Das war sehr schwer für sie. Den ganzen Sommer mußte sie allein zu Hause bleiben, weil beide Eltern arbeiteten und ihr nicht erlaubten, fortzugehen. Sie weinte sehr viel und wollte immer nur zurück nach Jugoslawien. Im Herbst ging sie in die fünfte Klasse einer Allgemeinen Sonderschule. Obwohl sie in Jugoslawien in der Schule sehr gut war, kam sie in die Sonderschule, weil sie nicht Deutsch konnte. Hausübung: Wie würde ich mich als Ausländer/in in einer fremden Schule fühlen?

Thema: Rollenspezifische Tradition Lesen: „Güler will kein Kopftuch mehr" von Eva Jancak, in: „Mädchen dürfen pfeifen, Buben dürfen weinen". Hrsg. von Renate Boldt und Gisela Krahl. Wien: Jugend und Volk 1981. Besprechen und nacherzählen (zum zweiten Mal schon gelesen). Hausübung: Nacherzählung.

Thema: Zuwanderer/innen nach Wien um 1900 Gruppenarbeit: Drei Gruppen bearbeiten Quellen. Gruppen berichten der Klasse über Gelesenes.

Herkunft, Wohnen, Sprache, Rollenbilder

45

HS, D/3. Klasse, II. Klassenzug

Lehrerin erzählt kurz historischen Abriß: Ringstraßenbau - Wiens Einwohner wachsen ins „Unermeßliche" -*• katastrophale Wohnverhältnisse. Quellen zeigen die Situation der Kinder dabei. Wir schauen im Telefonbuch nach - tschechische Namen - Lehrerin erzählt von ihrer eigenen Familie, die um 1880 nach Wien kam.

Thema: Welche Vorteile, positive Einwirkungen, Bereicherungen bringen Ausländer/innen für ein Land? Zum genannten Thema veranstalteten wir ein Wettspiel: in vier Gruppen mußten die Schüler/innen in zehn Minuten möglichst viele verschiedene Kriterien sammeln. Anschließend ausführliches Besprechen des Spiels, einige Schüler/innen wollten auch negative Kriterien aufzählen. Sehr mühsam!

Abschließendes Die Quellen sind unheimlich interessant und reichhaltig. Für schwächere Hauptschüler/innen muß man jedoch sehr überlegt die Auswahl treffen. Viele Quellen sind einfach zu schwierig. Bildmaterial ist zum Beispiel sehr günstig. Leider konnte ich das Thema nur in Deutsch behandeln, weil ich sonst keine adäquaten Fächer in den Klassen hatte. Die Rechtschreibübungen und auch Grammatik, die ich machte, ließ ich in den Stundenbeschreibungen aus, weil ich dies für uninteressant hielt. »· Quellen 3, 4: S. 14-16; Quellen 237-251: S. 185-192; len 293 -296: S. 220-222; Quellen 318-320: S. 233-234.

^ot,



Quelle 261: S. 198-199;

Quellen 269-272:

^ d ^ J ^ U ™ * *

S. 201-203;

Quel-

46

Identität

HS, D - GS - GW/2. Klasse

HILDEGARD PRUCKNER

„Ich möchte wissen, ob Gastarbeiter in Österreich glücklich sind . . 1. Die Ausgangssituation * Ich - eine Hauptschullehrerin, die sich seit Jahren intensiv mit der „Gastarbeiter/innenproblematik" beschäftigt. * Ein GW-Lehrplan, den ich nicht mag (und, da alter Lehrplan, auch zum letzten Mal unterrichten muß - Europa länderkundlich). * Zwei zweite Klassen, ein erster und ein zweiter Klassenzug; beide wurden von mir im Vorjahr in D, GS, GW unterrichtet, beide Klassen mag ich sehr gerne. * Der Wunsch, endlich die „Schmelztiegel-Materialien" in der Praxis zu erproben.

2. Die Idee Den GW-Unterricht in den zweiten Klassen nicht traditionell mit den „Nachbarstaaten Österreichs" zu beginnen, sondern: „Wir schauen uns zuerst an, ob wir Angehörige dieser (und anderer Nationen) nicht auch in Wien finden."

3. Grundsätzliche Überlegungen * Die Klassen sind im Gesamten und auch in bezug auf die Ausländer/innenproblematik total unterschiedlich - ich werde also sicher nicht parallel vorgehen können. * Ein durchgehendes Konzept erstellen will ich nicht - es würde ihre und meine Spontanität viel zu sehr einengen. * Dafür aber will ich mir sehr genau vorher überlegen: - Was sind die „Ausländer/innenprobleme" in beiden Klassen? - Was wollen/brauchen die Kinder zu dieser Problematik? (sowohl in Hinblick auf ihre derzeitige Schulsituation, aber auch schon mit Ausblick auf ihr sonstiges späteres „Ausländer/innensein" beziehungsweise den Umgang mit dieser Problematik in ihrer Arbeitssituation) - Was will/brauche ich, inwieweit laufe ich Gefahr, ihnen mit meinem Engagement in dieser Frage Probleme aufzudrängen? Zur 2a/I: Fünfzehn Knaben/acht Mädchen, davon acht jugoslawischer Staatsbürgerschaft und zwei türkischer Staatsbürgerschaft. Es ist „meine Klasse", ich bin Klassenvorstand, unterrichte sie auch in diesem Schuljahr in D, GS und GW. Ihr Sozialverhalten gefällt mir im großen und ganzen recht gut, Gruppensitzordnung und Gruppenarbeiten sind Selbstverständlichkeiten geworden, sie regeln sich vieles selbst und gut. Also rein äußerlich eine „Herzeigeklasse", bei der man auch in der Ausländer/innenfrage auf gelungene Integrationsarbeit verweisen kann - und trotzdem stört mich etwas: ein schwelender Konflikt, den ich unter der heilen Oberfläche spüre, und der hat meines Erachtens sehr wohl teilweise mit Ausländer/innenproblematik zu tun. Im Vorjahr habe ich mir daran die Zähne ausgebissen - sie haben mich alle mitsammen abblitzen lassen, die österreichischen Knaben, bei denen ich ausländerfeindliche Tendenzen spüre, wohl auch aus gutem Grund, meine Einstellung zu der ganzen Sache ist ihnen nur zu gut bekannt. Die jugoslawischen Knaben, um die es da hauptsächlich geht, aber auch, weil sie ihr Anderssein konsequent ablehnen, negieren, überspielen (sie bieten damit keine Angriffsfläche, auch nicht im positiven Sinn) - und das stört mich am meisten.

Identität

HS, D - GS - GW/2. Klasse

47

Jetzt werde ich es mit der „historischen Distanz" versuchen, ich werde in dieser Klasse sicher keine Quellen verwenden, die die Gastarbeiter/innenproblematik der Gegenwart betreffen. Ich will also: * behutsam zeigen, daß Zuwanderer/innenprobleme in Wien nichts Neues sind, daß jetzt „alteingesessene Österreicher" in Wirklichkeit vor nicht allzulanger Zeit in ihren Familien dieselben Probleme hatten; * durch das Sprechen darüber den Druck etwas mildern, der auf beiden Seiten lastet; * und: Ich darf mir keine Wunder erwarten; die Überangepaßtheit der ausländischen Kinder, die mir weh tut, ist ein Ergebnis der gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie hier leben müssen, und unsere Schule ist nun einmal ein Teil dieser Gesellschaft und keine Insel, wo wir alle Einflüsse von außen negieren können (und meines Erachtens auch nicht dürfen). Zur 2

^

^

S D ^

h

.

A

wJkilov

w

V W v i

^ J j ^ o ^ j .

^ u k

V

SvöJOs,

i a

ήοι&ΜΛ SwiL Qji m & m AuMtri en

Μ

VJl^SLWx

W

^

vi^öjJ^,

/uJ^Li

y

l

^

12

Jene e^icc^fh

r u j u Ä

54

Identität

HS, D - GS - GW/2. Klasse

Text 2: Schriftliche Arbeiten zu Textcollagen „Probleme von Zuwandererfamilien" (auszugsweise). Antwort zu Text 2

/yon SUX rv^ -^n lUm -Vl iPvftjUcn QEniSos* J W s c n

J W r n i

/-UA c ^ J ^ e J & n

/IacW

/rrujjy^jr).

xlu

oii*^

^ α λ

J/LiüMsm eeasud»}

λλλ

^iiü^rv.

r^-iie/i

rW

oAj&eJd

xdaxp^u

jm4

λΧ\ ^vleAyuuX^TO^-ui-) Ί ο

-2Λ-Γ1ΑΛ

'JcxmAji/i

jUnf

S o m J u

jrjihx

MJL^fAtn.

Sfi^A Am ^

1

Sa

.atoo

fioxoidUiq

«

pxmcUo

Oohcu-cji

ü»

njKiJl

suclU

«fyJ

CÜMC

oicL

oiarug.

γα

bän,n.

'fodLUt

TcunSiUi bjiD-mOkt.

tu.

{WLIqjl chemo

iwic

o< cfax&cJL AaanJ.

/oicencj

k&vxAn Odilo η

oejion

ψ-Ο^

ivüL-1 ex CULCJI jucuc . QoUz^dL

ru-c

tiuiokt

x^feo^o

oficzJL·? ο ind

£u