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German Pages 366 Year 2005
A us A nlass des io o . G eburtstages vo n T h eo d or W . A dorn o veranstaltete das Institu t für So z ialforsch u ng im Sep tem ber 2003 an der F ran kfurter U n iver sität eine viel beach tete in ternationale K onferen z. Im M it telp u n k t stand da bei insbesondere die Frage nach der A k t u alität A dorn os für die zeitgenössi sche T h eorieb ild u ng. D e r vorliegen de Ban d dok u m en tiert diese K o nferen z in w eiten T eilen u n d u m fasst m it seinen Sch w erp u n k ten bein ahe das ge sam te Sch affen A dorn os, begin n en d bei seiner Erken n tn isth eorie u n d sei ner M oralp h ilosop h ie bis h in zu seiner Sozialth eorie u n d Ä sthetik . D ie ein zelnen Beiträge rich ten ihre A u fm erksa m k eit dabei insbesondere a u f die Frage, in w iefern A d orn os W erk m it seinen theoretischen A nsätzen in den ein zelnen D isz ip lin e n heute noch dazu geeignet ist, die ein zelwissenschaft liche Forsch u ng m it neuen Im p u lsen zu versehen. D ie A u tore n u n d A u tori n n en des Bandes: Ray m o n d G euss, Lyd ia G oeh r, Jü rge n H aberm as, A xel H o n n eth , Ra h el Jaeggi, A n d rea K ern , C h ris top h M en k e, Sigh ard N ec k el, Robert B. Pip p i n , Ja n Ph ilip p Reem tsm a, Peter W agner u n d A lbrec h t W ellmer.
D iale k tik der Freiheit F ra n kfurter A dorno-K onferen z 2003 H erausgegeben von A xel H on neth
Suhrkamp
B i b l i o gr a fisc h e I n f o r m a t i o n D e r D e u tsc h e n B i b l i o t h e k D i e D e u tsc h e B i b l i o t h e k ve r z e ic h n e t d i ese P u b l i k a t i o n i n d e r D e u tsc h e n N a t i o n a l b i b l i o g r a f i e h t t p :/ / d n b . d d b .d e su h r k a m p t asc h e n b u c h W isse nsch aft 1728 © Su h r k a m p V e r la g F r a n k f u r t a m M a i n 20 05 E rst e A u f l a g e 20 05 A l l e R e c h t e V o r b e h a l t e n, i nsb eso n d ere d as d e r Ü b e rse t z u n g, d es ö ff e n t l i c h e n V o r t r ags so w i e d er Ü b e r t r a g u n g d u r c h R u n d f u n k u n d F e r n se h e n, a u c h e i n z e l n er T e i l e. K e i n T e i l d es W e r k es d a r f i n i rge n d e i n er F o r m ( d u rc h F o t ogr a fi e, M i k r o f i l m o d e r a n d er e V e rf a h re n) o h n e sc h r if t l ic h e G e n e h m i g u n g d es V er lages re p ro d u z i er t o d e r u n t e r V e r w e n d u n g e l e k t ro n isch e r Syst e m e ve ra r b e i t e t , ve rv i e l fä l t ig t o d e r ver b re i t e t w e r d e n . D r u c k : N o m o s V er lagsgese l lsch aft:, B a d e n -B a d e n Pri nted in G e r m a n y U m sc h l a g n ac h E n t w ü r f e n v o n W i l l y F l ec k h a us u n d R o l f St a u d t I S B N 3-518-29328-1 I 2 3 4
5 6 -
10 0 9 08 0 7 0 6 05
In h alt
V orbem erk u ng
.......................................................................... I.
7
E rk en n tn istheorie
J ü rgen H aberm as »Ich selber bin ja ein Stüc k N atur« - A d orn o über die N aturverfloch ten heit der V ern u nft. Ü berlegu ngen zu m V erhältnis von Freiheit u n d U nverfügbarkeit ...........................
13
Raym ond Geuss Leiden u n d Erk en nen (bei A dorno)
41
A ndrea K ern Freiheit zu m O bjek t. E in e K riti k der A porie des E rk en nens
53
II.
M oralt heorie
Robert B. P ippin N egative E th ik. A d orn o über falsches, beschädigtes, totes, bürgerliches Leben ..................................................................... R a helJ a eggi »K ein E in zeln er verm ag etwas dagegen«. A dorn os M in im a M ora lia als K rit i k von Lebensform en
85
...
115
Christoph M enke T ugen d u n d Reflexion. D ie »A n tinom ien der M oralp hilosophie« ............................................................
142
III.
Gesellschaftstheorie
A x e l H onneth E in e Physiognom ie der kapitalistischen Lebensform . Skizze der Gesellschaftstheorie A dornos ....................................
165
S igh a rd N eckel D ie V erw ilderu ng der Selbstbehauptu ng. A dorn os Soz io logie: V eralten der T h eorie - E rn eu eru ng der Zeitdiagnose
188
Peter W agner V ersuch, das E n dsp iel zu verstehen. K apitalism usanalyse als Gesellschaftstheorie ............................................................
205
IV.
Ä st h etik
A lbrech t W ellmer Ü ber N egativität u n d A u to n o m ie der K u nst. D ie A k tu alität von A dorn os Ä st h etik u n d blin de Flecken seiner M usik p h ilosop h ie ..........................................................
237
Lydia Goehr D oppelbew egu ng. D ie m usikalische Bew egu ng der Philosoph ie u n d die philosophische Bew egu ng der M usi k
279
J a n P h ilipp Reemtsma D er T rau m vo n der Ich-Ferne. A dorn os literarische Aufsätze
318
Siglen ............................................................................................ H in w eise zu den A u torin n en u n d A u toren ...........................
363 364
V orbe m er k u ng
Im Ja h r 2003 hat sich vor unserer aller A ugen u n d O hren ein seltsa mes Spektakel ereignet, das m anch m al irritieren de, selten auch be wegende, häufig aber leider n ur skurrile Z üge an nah m: T h eo d o r W. A d orn o, sicherlich die Schlüsselfigur der K ritischen T h eorie, w urde anlässlich seines 100. G eburtstags zu m kollek tiven Ü ber-Ich der N a tion erhoben. D ie Feuilletons der großen Tageszeitu ng waren kurz nach der Som m erpause seitenlang m it D etails aus dem Leben des A u tors gefüllt, die drei p ü n k tlich erschienenen Biografien wurden einer vergleichenden Betrach tu ng unterzogen, Zeitgenossen u n d noch leben de F reu ndin nen aufgetrieben, um ein weiteres M al ihre persönlichen E rin n eru ngen preiszugeben, schließ lich die im m er gleichen Sätze aus der M in im a M ora lia wieder u n d wieder zitiert. A n dieser rein aufs Persönliche fixierten G ed e n k politik sin d zwei Z üge besonders auffällig, die z usam m engenom m en w oh l belegen, w ie Rech t A d orn o m it seiner düsteren Prognose einer »K ulturin d us trie« am E n de doch hatte: zunächst die buchstäbliche Folgenlosigkeit der E rh ebu ng seiner Person zu m kollek tiven Ü ber-Ich . G ew iss, es hat etwas zutiefst Beruhigendes, dass es gerade A d orn o ist, der k ri tische, non konform istische In tellektuelle u n d D en ker, der nach Jahrzeh n ten des Ressentiments, der A b k an zelu ng zu m Schreibtisch täter, heute zum moralischen V orbild für eine nachwachsende G e neration erkoren w ird - ein M o m en t der nach träglichen G erech tig keit scheint sich da zu vollz iehen, wen n plötzlich von allen Seiten bekräftigt w ird, dass w ir der Rüc k k eh r A dorn os aus dem E xil w e sen tliche A nstö ß e der politisch-geistigen E rn eu eru ng W estdeutsch lands verdan ken, seinem intellektuellen E ngagem en t das Bew usst sein für die kritischen A u fgaben unserer K ultur. A ber etwas O bszö nes besitzt die nachträgliche E ingem ein d u ng gleich wohl, beden k t m an ihre vollstän dige U nverbin dlich keit: D en hehren W orten fol gen eben n ich t die T aten, die sie erst beglaubigen w ürden, den m o ralischen Bek u n d u ngen nich t die praktischen U msetz ungen. E in anderer Z u g an dem massen medialen A u fgebot, das im Spät som m er 2003 den 100. G eb urtstag A dorn os begleitete, war aber m indestens ebenso auffällig w ie die genan nte moralische Ü berh ö h u ng: Ich meine die Tatsache, dass die Stilisieru ng seiner Person zu m kollek tiven Ü ber-Ich um den Preis der beinahe vollstän digen 7
Ignorieru ng seines theoretischen Ichs erfolgte. M i t A usnah m e der M in im a M ora lia , aus der schier endlos Sätze herbeizitiert w urden, blieb das wissenschaftliche u n d philosophische W erk A dornos, sein eigen tliches V erm äch tn is, so gu t w ie unerwäh n t; an ganz wenigen O rten w urde auch n ur die Frage gestellt, ob seine theoretischen Schriften heute noch von irgendeiner Bedeu tu ng für die Forsch ung, die akadem ische Bild u ng oder unser kulturelles Selbstverstän dnis sind. F ü r diese A usblen d u ng des G eh alts zugunsten der moralischen Botsch aft ist freilich n ich t allein die T enden z der M assen m edien oder der K u ltu rpolitik veran twortlich, m öglichst aufwendu ngsarm u n d schnell die größ te A u fm erksam k eit a u f sich zu ziehen; in ihr spiegelt sich vielm ehr eine weitaus umfassen dere V erlegen heit, die n ich t zuletzt m it dem allm ählichen V erblassen der Bedeu tu ng A d or nos für die E in zelwissenschaften zusam m en hängt. In den letzten Jah ren hat sich in den H aup tström u ngen der Geistes- u n d Sozial wissenschaften, so lässt sich w oh l oh ne Ü bertreibu ng sagen, eine dramatische A b k eh r von der T h eorie A dorn os vollzogen; in den u n i versitären Sem inaren werden seine Schriften kau m m ehr behan delt, selbst F u ß noten zu seinem W erk fin den sich in den bedeutenden, wegweisenden N euerschein u ngen dieser F ächer n ur noch selten; al lein in der Ä st h etik spielt seine T h eorie weiterhin eine einflussrei che, ja beherrschende Rolle, weil sie als Schlüssel zu m V erständnis der m odernen K u nst gelten kan n. Es ist angesichts all dessen kein W under, dass z u m io o . G eb urtstag A dornos neben den vielen bio grafisch angelegten Büchern keine ein zige M on ografie von Ra n g im deutschsprachigen Rau m erschienen ist, die sich um einen neuen Z uga n g zu seinem W erk bem ü h t hätte - die gegenwärtigen Fach disziplinen, ob n u n die Soziologie, die E rk en n tn istheorie oder die M oralp h ilosop h ie, tun sich oh ne Frage äu ßerst schwer m it dem the oretischen E rbe, das uns A d orn o in F orm eines im m er noch an wachsenden Bestandes an Schriften u n d V orlesungen hin terlassen hat. V or dieser ernüch ternden Lage kon n ten auch w ir die A ugen nich t einfach verschließ en, als w ir uns aus A nlass des io o . Geburtstags von A d orn o an die Plan u ng einer in ternationalen K onferen z am Institut für Sozialforsch u ng, seiner einstigen W irk u ngsstätte, mach ten. U ns, einem V orbereitu ngsteam , dem im lockeren V erbu n d Rahel Jaeggi, Sighard N ec k el, M artin Saar u n d Bern d Stiegler angehörten, war von A n fa n g an klar, dass es an einem vitalen, span nenden For 8
sch u ngsm ilieu fehlte, a u f das zu zugreifen die K on turen eines ver n ü nftigen Program ms wie von selbst hätte en tstehen lassen; im U n tersch ied zu der K onferen z, die hier vor zwan zig Jah ren stattge fu n den h a t,1 fehlen heute gän zlich die großen E n tw ürfe, die sich von der T h eorie A dornos anregen lassen, um zentrale Problem e in der Philosophie oder Soziologie der G egen w art zu lösen. G le ic h w oh l w urden w ir bei der V orbereitu ng von einer geradezu trotzigen Z uversich t getragen, die sich vielleich t am besten in der folgen den V erm u tu ng zusam menfassen lässt: W ü rd en heute einige bedeutsa me, höchst aktuelle E n tw ic k lu ngen in der M oralp h ilosop h ie, in der E rk en n tn istheorie oder in der Soziologie n ur noch u m eine weitere D reh u ng nach vorne geschraubt, so w ürden sich theoretische Posi tionen abzeichnen, die A dorn o in den verschiedenen T eilen seines W erkes schon vor vierz ig oder fü nfz ig Jah ren en twick elt hat. In der M oralp h ilosop h ie sin d das beispielsweise E n tw ic k lu ngen , die a u f dem W eg einer W iederan n äh eru ng von E t h i k u n d M oral deutlich machen, welches G ew ic h t die sozialisatorisch erworbene Fäh igkeit zur moralischen W ahrn eh m u ng des kon kreten A n deren für die In tegrität unserer Lebensform besitzt; in nerhalb der E rk en n t n isth eo rie sin d das E n tw ic k lu ngen , die in F orm einer W iederaufwertu ng des rationalen G eh alts unserer sin nlichen A nschauu ngen die Frage aufwerfen, ob dem » O bjek t«, um m it A d orn o zu sprechen, im Pro zess der Rech tfertigu ng unserer Erk en n t n is nich t doch ein »Vor rang« gebührt; u n d in der Soziologie schließ lich sind das E n t w ic k lu ngen, die sich unter dem verein heitlichenden D ru c k der w ach senden V erm ark tlich u ng in den westlichen Län dern erneut der A ufgabe z uwenden, den K apitalism us als eine k ulturell höchst ver einseitigte Lebensform zu analysieren. V on der H offn u ng, derartige E n tw ic k lu ngen in den E in zeldisz i plinen durch eine K on fro n tation m it dem W erk A dorn os zur Spra che zu bringen, war die In ternationale A d orn o-K on feren z getragen, die schließ lich vo m 25.-28. Septem ber 2003 an der G oe t h e- U n iver sität F ran kfurt in V eran twortu ng des Institüts für Sozialforsch u ng stattfan d; u n d alle Beteiligten haben durch ihre V orträge dazu bei getragen, dass diese H offn u n g sich über weite Strecken auch erfüll te. D er vorliegende Ban d übern im m t m it kleinen M od ifik atio n en u n d K ürz u ngen, die sich aus den Z w ängen der U m fangsbegren zu ng I F r i e d e b u rg, L . v. / H a b e r m as, J. ( H g .),
A d o r n o-K o n fe re n z 19 83, F r a n k f u r t / M . 1983.
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ergaben, die them atischen E in teilu ngen u n d Schwerpu n k te der Fran kfurter K onferen z; u n d es liegt in der N at u r des W erkes A d or nos, dass hier - w ie schon a u f der K onferen z - eine große Z a h l alternativer Perspektiven u n d T h e m e n unberücksich tigt bleiben mussten. N eben dem T eam , das an der K on z ip ieru ng der K onferen z betei ligt war, habe ich vor allem San dra Beaufays, M o n ica D en z und G ü n ter Pabst fü r die tatkräftige U n terstüt z u ng bei der Plan u ng und D u rc h fü h ru ng zu dan ken. D ie K onferen z selber hätte nich t oh ne die finan zielle U n terstüt z u ng stattfinden kön nen, die uns die Poly technische G esellschaft, die Stadt F ran k furt am M ain , das Flessische M in isteriu m fü r W issenschaft u n d K u nst u n d die V erein igu ng von Freu nden u n d Förderern der Jo h an n W olfgang Goeth e-U n iversität F ran k fu rt / M . e. V. gewährt haben; ih nen allen sei hierm it noch ein mal herzlich gedan kt. G ro ß er D a n k gebührt schließ lich N ora Sieverding, die an der Redak tion u n d Fertigstellung des vorliegenden Bandes m aßgeblich beteiligt war. F ran k furt am M ain , im Septem ber 2004
A xel H o n n et h
L Erken n tnistheorie
J ü rge n H aberm as »Ich selber bin ja ein St ü c k N atur« - A d o r n o über die N at u rverfloc h ten h eit der V ern u n ft Überlegungen zum Verhältnis von F reiheit und Unverfü gbarkeit
D as A d o r n o j u b i l ä u m ist re ic h b est ü c k t: m i t B ü c h e r n , B i o g r a f i e n , B i l d b ä n d e n , K o n f e r e n z e n — u n d m i t z a h l l ose n V e r a n s t a l t u n g e n v o n M e d i e n , L i e b h a b e r n u n d V o y e u r e n . N i c h t als h ä t t e d as A d o r n o n i c h t ge fa l l e n. A b e r d i eses vi t a l e I n t eresse e i n e r g r ö ß e r e n u n d l a u t e ren Ö f f e n t l i c h k e i t k o n t r ast i e r t m i t d e m st i l l e re n Z a u d e r n d e r F a c h k o l l ege n , d i e sic h a us d e m g l e ic h e n A n l a ss m i t d e m W e r k d es g r o ß e n P h i l oso p h e n u n d So z i o l o g e n w i e d e r b e fasse n — u n d si c h d a b e i sc h w e r t u n . A d o r n o s p h i l oso p h isc h es u n d g ese l lsc h a f tst h e o r e t isc h es W e r k ist u nse re n a k t u e l l e n D is k u ssi o n e n w e i t e r e n t r ü c k t als n o c h w ä h r e n d d e r a n d i ese m O r t v o r 2 0 Ja h r e n st a t t f i n d e n d e n A d o r n o K o n f e r e n z .1 D i e h e u t ig e V e r a n st a l t u n g ist d e r V e rs u c h , d i e a k t u e l l e A n sc h l u ssf ä h ig k e i t d e r T h e o r i e e i n e r P r ü f u n g z u u n t e r z i e h e n : W a s z ä h l t d e r P h i l oso p h u n d d e r So z i o l o g e A d o r n o i m K o n t e x t g e g e n w ä r t ig e r A u se i n a n d e rse t z u n g e n? D a z u w ä h l e i c h d as T h e m a d e r F r e i h e i t , d as A d o r n o i n se i n e n m o r a l p h i l oso p h isc h e n V o r l e s u n g e n ( P M ) w i e a u c h i n d e r N eg a t ive n D i a le k t i k v o r a l l e m i m G e s p r ä c h m i t K a n ts M o r a l p h i l o so p h i e b e h a n d e l t h a t . D i e b esc h l e u n ig t e n F o r tsc h r i t t e i n d e n B i o w isse n sc h a f t e n u n d d e n F o rsc h u n g e n z u r k ü n st l ic h e n I n t e l l ig e n z h a b e n i n z w isc h e n d e n n a t u ra l ist isc h e n A n sä t z e n i n d e r P h i l oso p h i e d es G e is t e s e i n e n e u e R e l e v a n z v e rsc h a ff t . I n d e r F o l g e fi n d e t d e r e h r w ü r d i g e St r e i t ü b e r D e t e r m i n is m u s u n d F r e i h e i t b is i n d i e n a t u r w isse n sc h a f t l i c h e n D i s z i p l i n e n h i n e i n e i n ü b e r r asc h e n d es E c h o . Je d e n f a l ls h i e r z u l a n d e , w o — a n d e rs als i n d e n V e r e i n ig t e n St a a t e n — z w a r i n d e r G e se l lsc h a f t e i n e sä k u la r e M e n t a l i t ä t w e i t f o r t g esc h r i t t e n ist, j e d o c h i n d e r p h i l o so p h isc h e n T r a d i t i o n d i e H i n t e r g r u n d a n n a h m e n e i n es sz i e n t ist isc h e n N a t u r a l is m u s k e i n esw egs t i e f v e r w u r z e l t si n d . H i e r l a b o r i e r e n w i r i m m e r n o c h d a r a n , K a n t m i t D a r w i n z u v e rsö h n e n u n d d e n
I
F r i e d e b u rg, L . v./ H a b er m as, J. ( H g .), A d o r n o -K o n fe r e n z , F r a n k f u r t / M . 1983.
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scheinbar paradoxen Sachverhalt zu begreifen, den A d orn o so aus drück t: »D aß V ern u n ft ein anderes als N at u r u n d doch ein M o m en t von dieser sei, ist ihre zu ihrer im m anen ten Bestim m u ng geworde ne V orgeschichte.« ( N D , S.285) D iese F orm u lieru ng trägt der In tu itio n Rech n u ng, dass auch die vern u nftgeleitet u n d insofern frei handeln den Subjek te keineswegs dem N aturgeschehen en thoben sind. Sie kön nen sich nicht durch V ersetzung an einen in telligiblen U rspru ngsort von ihrer n atür lichen H erk u n ft ab koppeln . D iese A bsage an den K an tischen D u a lism us zwischen dem Reich der transzendentalen Freiheit u n d dem der gesetz mäß ig verk n ü pften Phänom ene der N at u r begegnet frei lich dem alten Problem in neuer F orm - w ie den n eine naturverhaf tete Freiheit des W illens in einer kausal geschlossenen W elt a u f ver ständliche W eise Platz finden kan n: »K ön nen die em pirischen Su b jek te w irk lic h aus Freiheit handeln , so ist, weil sie selber der N at u r angehören, die K an tisch e - durch K ategorien gestiftete - E in h eit der N a t u r d urchbrochen. D ie N at u r hat dan n gewissermaßen eine Lüc k e, u n d diese Lüc k en h aftigk eit widerspräche der E in h eit der N aturerk en n t n is, a u f welche ja die N aturwissenschaften [...] abzie len.« (P M , S .i5 o f.) A n dieser Stelle bekräftigt A d orn o ausdrück lich die K an tische C h arak terisieru ng der N aturw issenschaften, um die A porie zu w iederholen, die darin besteht, dass das K on zept des freien W illens m it dem B egr iff von N aturkausalität als »der gesetz mäß igen V er k n ü pfu ng eines Z ustan des m it einem vorangehenden« in k o m pati bel ist.2 Seine A rgu m en tation w ird d ara u f abzielen, die A n tino m ie von Freiheit u n d D eterm in ism us durch eine folgenreiche sem an ti sche V erschiebu ng im B egr iff der N a t u r aufzulösen. E r ordnet den szientifischen B egr iff von N atur, d. h. den Gegenstandsbereich der kausal erklärenden N aturw issenschaften, dem rom antischen B egr iff einer Schellingschen, einer n ich t vergegenständlich ten N at u ra naturans unter - einer N aturgeschich te, die sich aus »unserer« Retro spektive als V orgeschichte des G eistes entziffern lässt. A u f dem W ege einer A ngleich u ng an die verfügbar gemachte obje k tivierte N at u r soll freilich in nerhalb der Sphäre des Geistes selber eine zweite, gleichsam verkehrte N a tu r in G estalt n aturw üchsiger gesellschaft licher V erhält nisse en tstanden sein. D as Stigm a dieser verkehrten 2
H
K a n t , L , K r i t i k d e r re i n e n V e r n u n f t , B 560 .
N at u r ist die kausale K raft unbewusster M otive, in der beides zu verschmelzen scheint: die K ausalität nach G esetzen der N a t u r m it jen er A r t von V erursach u ng durch G rü n de, die dem Selbstverständ nis eines A u tors veran twortlichen H an delns n ich t widerspricht. Psychoanalytische Erk läru ngen der M oralen tw ic k lu ng bilden so eine Brüc k e zwischen Freiheit u n d D eterm in ism us. D iese K on zep tion einer en tgleisenden N aturgeschich te kan n zwar die A n tin o m ie nich t w irk lich auflösen, aber sie w ird uns am E n de einen interessanten W in k liefern. Ich werde zunächst a u f A dorn os beiläufig entfaltete Phänom enologie des alltäglichen, in tu itiv m itlaufen den Freiheitsbewusstseins A ch t geben. D arin steckt schon ein detranszendentalisierter B egr iff von na turbedingter F rei heit , der allerdings die A n tin o m ie von Freiheit u n d D eterm in ism us noch n ich t berührt (I). A dornos In tu ition vo m E ingeden k en der N at u r im Subjek t zielt a u f Freiheit in dem anspruchsvolleren Sin ne einer E m an z ipation von N aturw üchsigk eit. A u c h diese K r i t i k einer n atur verfallenen V ern u nft kann das in K an ts dritter A n tin o m ie en t wickelte Rätsel einer natur verflochtenen V ern u nft n ich t lösen (II). G leich w oh l fü hren die beiden spek ulativ en twickelten M om en te der n atur bedingten Freiheit - die U nverfügbark eit der Stellu ngn ah m en des n icht-identischen A n deren u n d die U nverfügbark eit der subje k tiven N a t u r - ins Z e n tru m der gegenwärtigen A usein an der set zungen m it naturalistischen A nsätzen (III).
I. Z u r P h ä n o m e n o log ie des F re ih e itsb e w usstse in s F ü r eine unverstellte Phänom enologie des Freiheitsbewusstseins handeln der Subjek te ist der erste Z u g entscheidend: D er B lic k d arf sich n ich t im Subjek t der Selbstbeobach tu ng u n d in der Subjek ti vität des Erlebens verfangen. D as Bewusstsein vo n Freiheit ist im plizites H an dlu ngsbew usstsein. D er p hänom enologische B lic k muss sich a u f den Vollzug der H a n d lu ng richten u n d darin das in tuitiv m itlaufen de H in tergru n dwissen aufspüren. D as G ew ärtigen von etwas, das sich un thematisch einstellt, währen d m an etwas an deres, thematisch Beabsichtigtes tut, hat perform ativen C harak ter. D as beton t A d orn o, wen n er gegen den verm ein tlich in telligiblen C h arak ter der Freiheit die »tem porale A k tualisieru ng« der Selbst
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erfah ru ng des H an deln den ins Feld führt: »U nerfindlich, wie Frei heit, prin z ipiell A t trib u t tem poralen H an delns [ . . .] , von einem ra dikal U n zeitlichen soll prädiziert werden können.« ( N D , S. 251) In dieser W eise ist uns der illo k utionäre Sin n von Sprechak ten gegenwärtig, w en n w ir A ussagen »machen«, oh ne sie explizit als B e hauptu ngen, E in w än de, Fragen oder Ratschläge zu thematisieren. A llerdings liegt dieses M od usw issen gleichsam an der O berfläche. M a n brauch t n ur die Perspektive des Teilneh m ers gegen die einer dritten Person ein zutauschen, um den illok utionären Sin n einer Sprech han dlu ng zu m In halt einer weiteren anaphorischen Be schreibu ng zu m achen. A u f diese W eise lässt sich das »W issen, wie m an etwas macht«, in ein »W issen von etwas« überführen. A ller dings kan n m an nich t jede A r t von Praxis w ie W ittgensteins Sprachspiele als eine Befolgu ng von im pli z it gewussten Regeln analysieren. D as Freiheitsbewusstsein, das alle unsere H andlungen* stillschwei gend begleitet, liegt so t ief im U n tergru n d oder so weit im H in ter gru n d, das es n ich t leich t ans Lich t zu ziehen ist. W ic h tig ist, dass uns der perform ative C h arak ter a u f die Beteiligtenperspek tive auf m erksam m ach t, aus der allein die Selbsterfahru ng des frei handeln den Subjek ts z ugänglich ist. D e m w idersprich t die klassische V ersuchsanordnung, die uns zu Buridianschen Eseln m ach t, um das M o m en t der W illk ürfreih eit des So-oder-auch-an ders-han deln-K ön nens zu isolieren. Sie lädt dazu ein, die Perspektive einer sich selbst beobachtenden Person ein zu neh m en, obwoh l das perform ativ gegenwärtige Freiheitsbewusst sein der Perspektive eines Beobachters entgleitet. D eshalb bürstet A d orn o diese A r t von Experim en t gegen den Strich. D u rch das A u f heben u n d Fallenlassen des vor ih m liegenden Buches demonstriert er »W illkürfreiheit« nur, um seine Studen ten a u f den öffen tlichen Rau m der G rü n d e aufm erksam zu machen, von dem der solipsistische B egr iff der W ill k ürfreih eit abstrahiert. D en n n ur im sozialen E rw artu ngshorizon t einer Leh rveranstaltu ng verliert eine solche V orfü h ru ng ihre absurden Z üge: W en n ich also, u m noch ein m al a u f das blödsin n ige Beispiel zu k om m en, das B u ch fallen lasse, so ist m ir das zwar zu nächst als m ein freier E n tsch lu ß bestim m t, aber es liegen dabei doch eine ganze Reih e vo n weiteren B ed in gu ngen vor, aus denen m an das erschließ en kan n. Z u m Beispiel, ich sehe m ich veranlaß t, Ih n en dieses Ph änom en einer so genan n ten H a n d lu n g aus Freiheit irgen dw ie zu dem onstrieren, u n d habe nichts anderes z ur H a n d als
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dieses verflixte B uch , ja, dan n laß ichs halt eben fallen, u n d das k an n m an dan n w ieder weiter zurückfü hren a u f alle m öglichen D in ge. (P M , S. 80)
D ie aus Freiheit handeln de Person bewegt sich im m er schon in ei nem in tersubjek tiven Rau m , w o andere Personen sie zur Rede stel len kön nen: »W arum heben Sie das Buch a u f u n d lassen es dan n wieder fallen?« D a m it ist ein erster inh a ltlicher Aspekt dessen be rührt, was uns in tu itiv gegen wärtig ist, wen n w ir handeln. E in A k tor w ürde sich nicht frei füh len, w en n er n ich t nötigenfalls über die M otive seines H an delns Rechenschaft geben kön n te. U n w illk ürlich e Reak tion en oder Regu ngen, z. B. E rröten u n d Erbleichen oder auch das blinde A usagieren von W ü nschen, fallen n ich t un ter die K ate gorie des H an delns. D a m it H an d lu ngen einem Subjek t zugerechnet werden kön nen, müssen sie eine A bsich t verraten. Im A lltagshan deln fühlen w ir uns in tu itiv n ur dan n »frei«, w en n unsere H a n d lu n gen als die A usfü h ru ng eines Vorsatzes, eben als W illensäu ß eru ng interpretiert werden kön nen. Sonst handeln w ir n ich t zurech n u ngs fäh ig.3 D er W ille un terscheidet sich vo m d u m pfen A n trieb durch G rü n de. D a z u zählen alle m öglichen G rü n d e, sofern sie n ur zu ei nem überlegten E ntschluss führen. W eil sich ein W ille stets im M e d iu m von G rü n d e n bildet, kan n das handeln de Subjek t nach »sei nen G rü nden« gefragt werden. U n d weil V ern u n ft das V erm ögen der G rü n d e ist, versteh t m an A dorn os A ussage, dass »die V ern u nft in G estalt des W illens den Trieb in Beschlag nim m t«. (P M , S. 190) D ie räsonierende V ern u nft form t aus den diffusen Stim m u ngen u n d Regu ngen, ihrem >Material