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German Pages 390 Year 2016
Schriften zum Gesundheitsrecht Band 40
Der Wandel genetischer Information Personalisierte Medizin zwischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen
Von Christina M. Berchtold
Duncker & Humblot · Berlin
CHRISTINA M. BERCHTOLD
Der Wandel genetischer Information
Schriften zum Gesundheitsrecht Band 40 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.
Der Wandel genetischer Information Personalisierte Medizin zwischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen
Von Christina M. Berchtold
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahr 2015 als Dissertation angenommen.
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Meinen lieben Eltern
„Es leuchtet! seht! – Nun läßt sich wirklich hoffen, Daß, wenn wir aus viel hundert Stoffen Durch Mischung – denn auf Mischung kommt es an – Den Menschenstoff gemächlich komponieren, In einen Kolben verlutieren Und ihn gehörig kohobieren, So ist das Werk im Stillen abgetan. Es wird! die Masse regt sich klarer! Die Überzeugung wahrer, wahrer: Was man an der Natur Geheimnisvolles pries, Das wagen wir verständig zu probieren, Und was sie sonst organisieren ließ, Das lassen wir kristallisieren.“ Johann Wolfgang von Goethe, Faust II. Zweiter Akt, Laboratorium, V. 6848, 1832.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2014 / 2015 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München als Dissertation angenommen. Aktuelle Entwicklungen in Rechtsprechung und Literatur konnten weitestgehend bis Februar 2015 Berücksichtigung finden. Mein ganz herzlicher Dank gilt meinem juristischen Doktorvater und akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Jens Kersten, der mir in seiner begeisternden „Liebe zum Oeffentlichen Recht“ stets höchste wissenschaftliche Freiheit gewährte. Für seine interdisziplinäre Offenheit, die wertvolle Förderung dieser Arbeit und seinen äußerst konstruktiven Optimismus gebührt ihm mein besonderer Dank. Herrn Prof. Dr. Ulrich Schroth danke ich sehr herzlich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Auch Herrn Prof. Dr. Ulrich Becker, LL. M. gilt mein Dank als Mitglied der Kommission in der mündlichen Promo tionsprüfung. Special thanks goes to Prof. Lisa S. Lehmann, M. D., Ph. D., M. Sc. (Director of the Department of Global Health, Harvard University, Boston, MA) and Devon R. Quasha, M.D., J. D. (Massachusetts General Hospital, Harvard Medical School, Boston, MA) for their constructive scientific advice regarding the implementation of the integrated interdisciplinary survey on personalized medicine. Schließlich möchte ich meinen Eltern von ganzem Herzen danken – dass sie mir stets ihre Liebe und Geborgenheit geschenkt haben und mich in jeder nur erdenklichen Weise auf meinem bisherigen Lebensweg unterstützt haben. Ihnen sei diese Arbeit in ganz besonderer Weise gewidmet! München, im Juni 2015
Christina M. Berchtold
Inhaltsverzeichnis § 1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Teil
§ 2
Medizinische Grundlagen und Entwicklung
34
Medizinische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 A. Naturwissenschaftlicher Rahmen personalisierter Genmedizin . . . . . . 34 B. Gene des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Struktur genetischer Erbinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Besondere Individualität des menschlichen Genoms . . . . . . . . 36 a) Variabilität durch Basenaustausch und Sequenzwieder holung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Steuerung der Genaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Vielschichtigkeit epigenetischer Veränderung . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Prädiktive Diagnostik genetischer Erbkrankheiten . . . . . . . . . . . . 47 1. Charakteristika genetischer Diagnostikmöglichkeiten . . . . . . . . 48 a) Zytogenetische Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Molekulargenetische Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 c) Genproduktanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Charakteristika der Erbkrankheiten mit genetischem Dritt bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Chromosomenaberrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Monogen bedingte Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 c) Angeborene Stoffwechselstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 d) Multifaktoriell bedingte Stoffwechselstörungen . . . . . . . . . . 61 e) Genetisch bedingte Tumorerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . 63 III. Anwendungsbereiche der modernen Gendiagnostik . . . . . . . . . . . 64 1. Genetische Präkonzeptionsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Genetische Präimplantationsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3. Genetische Pränataldiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4. Genetische Postnataldiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 5. Genetische Prädiktivdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Prädiktive genetische Diagnostik bei monogenen Erbkrankheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
12 Inhaltsverzeichnis b) Prädiktive genetische Diagnostik bei multifaktoriell bedingten Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 c) Direct-to-Consumer Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 C. Gendiagnostische Herausforderung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 73 § 3 Personalisierung der Gendiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 A. Wandel des medizinischen Selbstverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 I. Wandel der genetischen Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 II. Wandel zur personalisierten Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 III. Wandel zur Präventivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 B. Ambivalenz der personalisierten Präventivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . 81 I. Drittwirkung genetischer Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 II. „Genetisierung“ der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 C. „Genetischer Exzeptionalismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. „Exzeptionalität“ genetischer Informationen als konzeptionelles Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. „Exzeptioneller“ Status genetischer Information . . . . . . . . . . . 85 a) Akzentuierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 b) De-Akzentuierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Normative Relativierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. „Genetischer Determinismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 III. „Exzeptionalität“ genetischer Informationen als normativer Regelungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Teil § 4
Rechtlicher Rahmen
96
Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 A. Verfassungsrechtliche Schutzpflichtdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. Integritäts- und Entfaltungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 II. Allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Normative Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Grundrechtsdogmatische Konkretisierungen. . . . . . . . . . . . . 102 b) Konkretisierungen in Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Recht auf Achtung der Individualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Recht auf Identitätsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Recht auf Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 aa) Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 bb) Dimension und Ausprägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Recht auf Nichtwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 aa) Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 bb) Dimension und Ausprägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Konflikt zwischen Wissen und Nichtwissen . . . . . . . . . . . . 119
Inhaltsverzeichnis13 4. Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Herleitung der Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Schutzpflichtdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Personenbezogene Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (1) Anonymisierte Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (2) Pseudonymisierte Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 bb) Verwendungszusammenhang der Daten . . . . . . . . . . . . 136 d) Konflikt zwischen Informations- und Datenschutzinteressen. 139 e) Grundrecht auf gen-informationelle Selbstbestimmung . . . . 141 B. Verfassungsrechtliche Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 § 5
Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 A. Europarechtliche Schutzpflichtdimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 I. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Schutzdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Achtung des Privat- und Familienlebens . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 aa) Konzept genetischer Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . 150 (1) Organisationale Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . 151 (2) Interaktionelle Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . 152 (3) Institutionelle Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . 153 bb) Konzept genetischer Anti-Diskriminierung . . . . . . . . . 154 II. Europäische Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Grund und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Leben und Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Personenbezogene Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 c) Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 III. Biomedizinkonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Rechtscharakter der Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Bindung und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Genetische Schutzdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 aa) Schutz vor Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Recht auf Wissen und Nichtwissen . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Rezeption des Zusatzprotokolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (1) Informationsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (2) Drittinformationsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 B. Europarechtliche Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
14 Inhaltsverzeichnis 3. Teil Arzt-Patienten-Verhältnis
175
§ 6 Einfachgesetzlicher Rahmen der Genmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 A. Gendiagnostische Wissensbalance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I. Regelungen des deutschen Gendiagnostikgesetzes . . . . . . . . . . . . 176 1. Regelungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Empowerment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Verbot genetischer Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Regelungsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3. Genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken . . . . . 180 a) Aufklärung und Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Genetische Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 c) Information, Geheimhaltung und Vernichtung . . . . . . . . . . . 184 4. Wissen und Nichtwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 II. Kontextualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 c) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 d) USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 e) Folgerung aus dem Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Ärztliche Anweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 III. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Genanalysen im Lichte familiärer Drittinformationsinteressen . 196 2. Genetische Regelung der Information in § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Rechtsdogmatische Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) Konflikt verwandtschaftlicher Entscheidungsautonomie . . . 207 c) Konfliktauflösung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Letztentscheidungsbefugnis der Weitergabeempfehlung. 209 bb) Ausstrahlungswirkung des § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . 211 cc) Behandlungsrelevanz als Feinjustierung der tatbestandlichen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 IV. Medizinische Konformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 B. Gendiagnostische Wissensasymmetrie in § 15 GenDG . . . . . . . . . . . . 223 I. Regelungsgegenstände des § 15 Abs. 1 GenDG . . . . . . . . . . . . . . 224 II. Regelungsgegenstände des § 15 Abs. 2 GenDG . . . . . . . . . . . . . . 225 III. Bewertung genetischen Wissens der PND . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 C. Gendiagnostische Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
Inhaltsverzeichnis § 7
15
Bioinformationelle Regelungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 A. Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 I. Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 II. Informationelle Selbstreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 B. Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 I. Paternalistische Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 II. Informed consent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 III. Supervision durch Ethikkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 IV. „Biobook“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 V. Agreement zwischen Arzt und Patient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 C. Bioinformationelle Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 4. Teil
Biobanken
256
§ 8 Rechtlicher Rahmen und Rechtsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 A. Verwendung genetischer Daten in Biobanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 B. Transnationaler Regelungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 I. Internationale Deklarationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 II. Europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 1. Regelungsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Belange genetischer Biobanksammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) Regelungen für Biobanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Bewertung einschlägiger Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 C. Grundrechtliche Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 I. Forschungsfreiheitliche Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 II. Informationelle Regelungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 1. Willensbekundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 3. Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 4. Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 § 9
Regelungsvorschläge für Biobanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 A. Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 I. Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 II. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 B. Governance-Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 C. Governance-Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 I. Biobankgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Schweigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 2. Informationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 a) Dynamic consent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 b) Global consent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 3. Differenzierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
16 Inhaltsverzeichnis II. Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 1. Zertifizierungskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 2. Beauftragtenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 III. Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 1. Berichtskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Registerstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 IV. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 5. Teil Ergebnisse
310
§ 10 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 A. Erster Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung . . . . . . . . . . . 310 B. Zweiter Teil: Rechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 I. Verfassungsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 II. Europarechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 C. Dritter Teil: Arzt- und Patienten-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 I. Gendiagnostische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 II. Bioinformationelle Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 D. Vierter Teil: Biobanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 § 11 Studie (Interdisciplinary Survey) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 A. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 B. Methodik und Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 I. Entwicklung des Fragebogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 1. Technische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 2. Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 3. Pretests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 4. Auswahl der Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 5. Hinführung zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 II. Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 1. Skalen und Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 2. Wertung der Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 3. Statistische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 III. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 1. Behandlungsrelevanz genetischer Untersuchungen . . . . . . . . . . 328 a) Fachspezifische Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 b) Länderspezifische Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 2. Anforderungen an genetische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . 332 a) Bewertung von Gesundheitsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 b) Erwartungen an Gentest-begleitende Modalitäten . . . . . . . . 333 3. Governance-Strukturen genetischer Biobanken . . . . . . . . . . . . . 335 a) Gen-medizinisches Material der Biobanken . . . . . . . . . . . . . 335
Inhaltsverzeichnis17 b) Zugriffsbestimmungen für Biobanken . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 c) Speicherungsdauer biomedizinischer Biobank-Informationen 337 4. Governance-Konzepte einer personalisierten Medizin . . . . . . . 338 a) Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 b) Bildungspolitischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 c) „Safeguards“ einer personalisierten Medizin . . . . . . . . . . . . 340 d) „Safeguards“ eines Biobankgeheimnisses . . . . . . . . . . . . . . 341 C. Zusammenfassung der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Sachwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
Abkürzungsverzeichnis a. A.
anderer Ansicht
a. a. O. am angegebenen Ort abl. ablehnend Abs. Absatz abw. abweichend AcP Archiv für civilistische Praxis (Z) a. D. außer Dienst AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung AJLM American Journal of Law and Medicine (Z) Alt. Alternative AME-FMedG Augsburg-Münchner-Entwurf Fortpflanzungsmedizingesetz Am J Hum Genet American Journal of Human Genetics (Z) Anm. Anmerkung AöR Archiv des öffentlichen Rechts (Z) Art. Artikel ArztR ArztRecht (Z) AT Allgemeiner Teil AtG Atomgesetz – Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren AuA Arbeit und Arbeitsrecht (Z) Aufl. Auflage BÄK Bundesärztekammer BayVBl. Bayerisches Verwaltungsblatt BayVerfGH Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bd. Band BDSG Bundesdatenschutzgesetz bes. besonders Beschl. Beschluss BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Z)
Abkürzungsverzeichnis19 BMBF BME BMG BMJ BMK
Bundesministerium für Bildung und Forschung Biomedical Ethics (Z) Bundesministerium für Gesundheit Bundesministerium der Justiz Biomedizinkonvention – Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin BMK-ZP Zusatzprotokoll zur Biomedizinkonvention – Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin BT Besonderer Teil BT-Drs. Drucksachen des Deutschen Bundestages BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts BZgA Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise ca. circa CADASIL Cerebral Autosomal Dominant Arteriopathy with Subcortical Infarcts and Leukoencephalopathy Captcha Completely Automated Public Turing test to tell Computers and Humans Apart CDx Companion Diagnostics CGH Comparative Genomische Hybridisierung CGREU Charta der Grundrechte der Europäischen Union Clin Chem Clinical Chemistry (Z) Clin Genet Clinical Genetics (Z) CR Computer und Recht (Z) dass. dasselbe ders. derselbe DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft d. h. das heißt dies. dieselbe DJT Deutscher Juristentag DNS Desoxyribonukleinsäure DÖV Die Öffentliche Verwaltung (Z) Drs. Drucksache
20 Abkürzungsverzeichnis Dt. Deutsch, deutsche, deutscher DTC Direct-to-Consumer Test Dtsch Arztebl Deutsches Ärzteblatt (Z) DuD Datenschutz und Datensicherheit (Z) DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt (Z) DVR Datenverarbeitung im Recht (Z) E Entscheidung ebd. ebenda EEOC The Equal Employment Opportunity Commission EFQM EFQM (European Foundation for Quality Management) EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte ELJ European Law Journal (Z) EMRK Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten engl. englisch EP Europäisches Parlament EPA Europäisches Patentamt Erl. Erläuterung ESchG Embryonenschutzgesetz ESHG Europäische Gesellschaft für Humangenetik et al. und andere etc. et cetera Ethik Med Ethik in der Medizin (Z) EU Europäische Union EUGH Europäischer Gerichtshof EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift (Z) Eur J Hum Genet European Journal of Human Genetics (Z) f. / ff. folgende Seite(n) FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht, Erbrecht, Verfahrensrecht, Öffentlichem Recht (Z) FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDA Food and Drug Administration (USA) FISH fluorescence in situ hybridization; sog. In-situ-Hybridisierung Fn. Fußnote Fs. Festschrift G-BA Gemeinsamer Bundesausschuss GEKO Gendiagnostik-Kommission GEKO-GO Geschäftsordnung der Gendiagnostik-Kommission Gen. Genesis
Abkürzungsverzeichnis21 GenDG
Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen – Gendiagnostikgesetz GenDG-E Entwurf des Gendiagnostikgesetzes GenTG Gentechnikgesetz GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GRCh / GR-Charta Charta der Grundrechte der Europäischen Union GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Z) GTG Gentechnikgesetz (Österreich) GUMG Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (Schweiz) GWAS genomweite Assoziationsanalyse HFG Schweizer Humanforschungsgesetz HHRJ Harvard Human Rights Journal (Z) h. M. die herrschende Meinung HRLJ Human Rights Law Journal (Z) Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz ICSI Intracytoplasmatische Spermieninjektion i. d. R. in der Regel IfSG Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz) IGH Internationaler Gerichtshof IGH-Statut Statut des Internationalen Gerichtshofs i. S. v. im Sinne von IVF In-vitro-Fertilisation i. V. m. in Verbindung mit i. w. S. im weiteren Sinne JA Juristische Arbeitsblätter (Z) JAMA Journal of the American Medical Association (Z) JBl. Juristische Blätter (Z) J Breast Cancer Journal of Breast Cancer (Z) J Clin Pharm Ther Journal of Clinical Pharmacy and Therapeutics (Z) JCSW Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften (Z) J Exp Psychol Journal of Experimental Psychology (Z) J Genet Couns JLH JME JML
Journal Journal Journal Journal
of of of of
Genetic Counseling (Z) Law and Health (Z) Medical Ethics (Z) Medicine and Law (Z)
22 Abkürzungsverzeichnis JMP Journal of Medicine and Philosophy (Z) JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart JR Juristische Rundschau (Z) JURA Juristische Ausbildung (Z) JuS Juristische Schulung (Z) JZ JuristenZeitung (Z) Kap. Kapitel KJ Kritische Justiz (Z) KRG Krebsregistergesetz krit. kritisch(e) KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Z) KTQ Kooperation für Transparenz und Qualität lat. lateinisch LG Landgericht lit. lat. littera (Buchstabe) Lit. Literatur M-BO Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte MDR Monatsschrift für Deutsches Recht (Z) MedR Medizinrecht (Z) ml. Milliliter MMR MultiMedia und Recht MPG Medizinproduktegesetz mRNS messenger-Ribonukleinsäure Nat Nature (Z) Nat Biotechnol Nature Biotechnology (Z) Nat Rev Card Nature Reviews Cardiology (Z) NEJM New England Journal of Medicine (Z) n. F. neue Fassung NIPD nichtinvasive pränatale Gendiagnostik NJW Neue Juristische Wochenschrift Norsk Epidemiol Norwegian Journal of Epidemiology (Z) Nr. Nummer NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Z) NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Z) OECD Organisation for Economic Corporation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)
Abkürzungsverzeichnis23 oFb online Fragebogen p.c. post conceptionem PCR Polymerase Chain Reaction, Polymerase-Kettenreaktion PersV Die Personalvertretung (Z) PID Präimplantationsdiagnostik PKU Phenylketonurie PNAS Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (Z) PND Pränataldiagnostik RDV Recht der Datenverarbeitung (Z) RG Reichsgericht RL Richtlinie Rn. Randnummer RNS Ribonukleotidsäure Rs. Rechtssache Rspr. Rechtsprechung S. Seite scil., sc. scilicet (lat.), nämlich SGB Sozialgesetzbuch SNP Single nucleotide polymorphism, Einzelnukleotid-Polymorphismus Soc Sci Med Social Science and Medicine (Z) sog. sogenannt, sogenannte, sogenannter StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung Teilbd. Teilband TFG Transfusionsgesetz – Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens t-RNS Transfer-Ribonukleinsäure u. a. unter anderem u. ä. und ähnliche umf. umfassend UN United Nations UNC Charter of United Nations UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organiza tion Urt. Urteil USA United States of America usw. und so weiter
24 Abkürzungsverzeichnis u. U.
unter Umständen
v. von, vom verb. verbunden VerfGH Verfassungsgerichtshof VersR Versicherungsrecht (Z) VfGH Verfassungsgerichtshof Österreich VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche VN Vereinte Nationen Vol. Volume Vorb. Vorbemerkung VSSR Vierteljahresschrift für Sozialrecht (Z) VVG Versicherungsvertragsgesetz WHO World Health Organization WissR Wissenschaftsrecht (Z) WRV Weimarer Reichsverfassung WTO World Trade Organization WVK Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Z Zeitschrift ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Z) z. B. zum Beispiel ZD Zeitschrift für Datenschutz (Z) ZEE Zeitschrift für evangelische Ethik (Z) ZfL Zeitschrift für Lebensrecht (Z) ZfP Zeitschrift für Politik (Z) ZfPäd Zeitschrift für Pädagogik (Z) ZfSH / SGB Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch (Z) ZfSoz Zeitschrift für Rechtssoziologie (Z) Zif. Ziffer zit. zitiert ZLR Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht (Z) ZME Zeitschrift für medizinische Ethik (Z) ZMGR Zeitschrift für das gesamte Medizin- und Gesundheitsrecht (Z) ZP Zusatzprotokoll ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik (Z) ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (Z) zugl. zugleich
§ 1 Einleitung A. Bestandsaufnahme Die Vorstellung, mit Hilfe von personalisierten Genuntersuchungen das „Buch des Lebens“1 eines jeden Menschen lesen zu können, hat den Wettlauf der 1990er Jahre um die Entschlüsselung des menschlichen Genoms geprägt. Im Erkenntnisfortschritt des 21. Jahrhunderts spiegelt sich die naturwissenschaftliche Bedeutung des Humangenomprojekts2 wider. Wissenschaftler hinterfragen die molekulargenetischen Grundlagen von biologischen Prozessen und identifizieren personalisierte Biomarker, die Wirksamkeit, Verträglichkeit oder Dosierung der Therapie beeinflussen. In Deutschland erfolgten 2004 bereits über 300.000 genetische Analysen.3 Dabei verdeutlicht das Schlagwort des „1000-Dollar-Genoms“,4 dass biotechnologische Unternehmen Genomanalysen schon für wenige hundert Euro anbieten. Mittels dieser Testuntersuchungen können nicht nur aktuelle Erkrankungen diagnostiziert werden.5 Auch lassen sich Aussagen über Risiko und Eintrittswahrscheinlichkeit in Zukunft manifest werdender Krankheiten treffen.6 Ziel der Untersuchungen ist die Abklärung genetischer Eigen1 Zur Begründung und Kritik des Begriffs „Book of Life“, siehe Kay, Book of Life, passim. 2 Vgl. zu Zielsetzung und Geschichte des Humangenomprojekts, Human Genome Project Archive 1990–2003; http://web.ornl.gov/sci/techresources/Human_Genome/ index.shtml [letzter Aufruf am 20.07.2014]; BT-Drs. 16/10532, S. 16; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 162 f.; Eberbach, MedR 2011, S. 757 (759 ff.); 2012 hat das internationale 1000-Genom-Projekt mit der Entschlüsselung des Erbguts von 1,092 Personen aus 14 verschiedenen ethnischen Gruppen das vorläufige Ziel erreicht, siehe http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/52254 [letzter Aufruf am 21.02.2015] sowie The 1000 Genomes Project Consortium, Nature 2012, S. 56 ff. 3 Vgl. BT-Drs. 16/10532, S. 16. 4 Siehe auch Eberbach, MedR 2011, S. 757 (759 ff.); Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 162 f. 5 § 3 Nr. 7 lit. a GenDG definiert eine „diagnostische genetische Untersuchung“ als eine genetische Untersuchung mit dem Ziel der „Abklärung einer bereits bestehenden Erkrankung oder gesundheitlichen Störung“; ferner sollen gem. § 3 Nr. 7 lit. b GenDG genetische Eigenschaften untersucht werden, die zusammen mit der Einwirkung bestimmter äußerer Faktoren oder Fremdstoffe eine Erkrankung oder gesundheitliche Störung auslösen können. 6 Vgl. BT-Drs. 14/9020, S. 115 ff.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 162 f.
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§ 1 Einleitung
schaften, die den Eintritt einer möglichen Erkrankung oder gesundheitlichen Störung ganz oder teilweise verhindern können (§ 3 Nr. 7 lit. d GenDG) oder die Wirkung eines Arzneimittels beeinflussen können (§ 3 Nr. 7 lit. c GenDG). Derzeit sind in der Bundesrepublik über 40 Arzneimittel zugelassen, für die ein gendiagnostischer Test verpflichtend oder empfohlen ist.7 Ein Spezifikum diagnostischer und prädiktiver genetischer Untersuchungen stellt der Drittbezug der gewonnenen Information dar: Eine Genanalyse kann nicht nur die genetische Disposition des Einzelnen identifizieren, sondern offenbart möglicherweise auch das Erkrankungsrisiko genetisch mit ihm verwandter Personen.8 Diese Besonderheit genetischer Information bedingt einen diffizilen Grundrechtskonflikt, wenn Informations- und Verschwiegenheitsinteressen konfligieren – der folgende Fall illustriert dies wie folgt: Ein 20-Jähriger fällt „unerwartet ins Koma und stirbt. Ein Arzt erkennt eine über das X-Chromosom erbliche Stoffwechselstörung der Leber als Ursache und erklärt der Mutter, an dem Defekt könnten auch die heranwachsenden Söhne ihrer beiden Schwestern erkranken. Aus Scham bewahrt die Frau jedoch das Geheimnis, und der Mediziner fühlt sich an seine Schweigepflicht gebunden, obwohl er weiß, wie die Leberstörung mit einer strikten Diät kontrolliert werden könnte. Davon ahnen die Tanten des Toten und deren Söhne nichts – die Familientragödie nimmt ihren Lauf. Drei Jahre nach dem ersten Koma-Opfer stirbt ein Cousin auf gleiche Weise, und dessen Mutter klagt den Arzt an: Sein Schweigen habe ihren Sohn einer Chance beraubt, seinem vermeidbaren Tod zu entgehen.“9
Zunächst mag man in dieser Frage auf Leben und Tod geneigt sein, eine Informationspflicht zu bejahen – bei weniger einschneidenden Diagnosen oder geringeren Behandlungschancen ist ein Geheimhaltungsinteresse jedoch möglicherweise differenziert zu betrachten.10 Jeder muss sich fragen: Wie viel Wissen braucht der Mensch, wie viel Wissen verträgt der Mensch? Der Konflikt zwischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen lässt sich zunächst individuell lösen – wenn die Entscheidung auf die eige7 Zu den sog. Companion Diagnostiscs siehe http://www.vfa.de/de/arzneimittelforschung/datenbanken-zu-arzneimitteln/individualisierte-medizin.html [letzter Aufruf am 05.08.2014]. 8 Vgl. Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 236 ff.; Damm, MedR 1999, S. 437 (439); Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 162 ff.; Rieder, Genetische Untersuchung und Persönlichkeitsrecht, S. 184 ff. 9 Stollorz, Mehr als nur ein Familiengeheimnis, FAZ vom 30.06.2010, http:// www.faz.net/s/Rub268AB64801534CF288DF93BB89F2D797/Doc~E4CE617A52F6 14754ACB762D5C71CD268~ATpl~Ecommon~Scontent.html [letzter Aufruf am 08.11.2013]. Siehe auch Albrecht, „Habe auch den Defekt“, Der Spiegel 46/2012, S. 138, http://magazin.spiegel.de/reader/index_SP.html#j=2012&h=46&a=89571166 [letzter Aufruf am 28.04.2013]. 10 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 162 ff.
§ 1 Einleitung27
nen Informationen beschränkt ist und der Patient persönlich in eine genetische Untersuchung einwilligen kann. Diffizil wird eine Entscheidung, sobald ein informationeller Drittbezug genetischer Daten für verwandte Familienangehörige, wie den Cousin des 20-Jährigen, gegeben ist. Die zugrundeliegende Problematik liegt dabei mitunter im Wandel des ärztlichen Selbstverständnisses: Bedingt durch den Wandel genetischer Information empfinden Menschen bereits die Wahrscheinlichkeit, erkranken zu können, als beeinträchtigende Belastung – gar als Krankheit.11 Es entsteht das Phänomen des „gesunden Kranken“.12 Befunde werden präsymptomatisiert, und die Betroffenen treffen in der Abwägung genanalytischer Erkenntnisse weitreichende Entscheidungen: Der vielfach zitierte Fall einer amerikanischen Schauspielerin ist dabei wohl das bekannteste Beispiel, sich aufgrund eines statistischen Erkrankungsrisikos zu einer Brustamputation zu entscheiden, ohne dass konkrete Krankheitssymptome vorliegen.13 Gleichermaßen gilt es auch in Rechnung zu stellen, dass sich der „gesunde Kranke“ möglicherweise gar nicht annäherungsweisen Aussagen der Gendiagnostik aussetzen möchte? Zu reflektieren ist, ob die Komplexität genetischer Disposition in einem Wechselspiel von exogenen, epigenetischen Faktoren der biologischen, gesellschaftssozialen und politischen Umwelt des Menschen nicht genetisch informierte Präventionslogiken überspielt?14 Denn selbst bei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu prognostizierenden Krankheiten, wie Chorea Huntington, muss man sich fragen, ob die Krankheitsdiagnose nicht zu einer beträchtlichen psychischen Verunsicherung des Patienten führt, wenn Behandlungsoptionen fehlen? In diesem komplexen Interessengeflecht würde ein konservativ behandelnder Arzt das Konzept der „personalisierten“ Information gewiss erweitern und „persönliche“ Informationen, wie etwa die Lebensumstände oder Familienkonstellationen, in die Bewertung des Einzelfalls einflechten. Folglich lautet die zentrale Frage im Kontext dieser Arbeit: Wie persönlich ist die personalisierte Medizin wirklich? Vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Personalisierung gilt es daher zunächst die Bedeutung eines „genetischen Exzeptionalismus“ zu untersuchen und sowohl Chancen als auch Risiken des medizinisch-informationellen Kersten, JZ 2011, S. 161 ff.; Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 137. auch Scholz, in: Beck-Gernsheim, Welche Gesundheit wollen wir? Dilemmata des medizintechnischen Fortschritts, S. 37 f.; BT-Drs. 14/9020, S. 132; Stockter, in: Prütting, Medizinrecht, § 4 GenDG, Rn. 12. 13 Siehe auch Müller-Jung, Jolies Brustamputation – Kleine Narben, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 14.05.2013, http://www.faz.net/aktuell/wissen/joliesbrustamputation-kleine-narben-12182499.html [letzter Aufruf am 19.08.2013]. 14 Vgl. Kersten, JZ 2011, S. 161 ff. 11 Vgl.
12 Siehe
28
§ 1 Einleitung
Wandels zu beleuchten. Dabei stellt der Gesetzgeber an den Umgang mit genetischen Gesundheitsdaten besondere Anforderungen.15 Als Ausfluss einer längeren Gesetzgebungsphase16 konstatiert das Gendiagnostikgesetz nunmehr die Exzeptionalität genetischer Information. Die Zielsetzung des Gesetzes bezweckt, die Voraussetzungen für genetische Untersuchungen zu bestimmen und zugleich eine Benachteiligung aufgrund genetischer Eigenschaften zu verhindern. Dabei obliegt es der staatlichen Verpflichtung in besonderem Maße, die Achtung und den Schutz der Würde des Menschen und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu wahren (§ 1 GenDG). Einhergehend mit dieser Bestrebung suchen Regelungen über Einwilligung, Aufklärung, genetische Beratung und Datensicherung (§§ 8, 9, 10, 11–12 GenDG) den Patienten hinreichend auf die bevorstehende Untersuchungssituation vorzubereiten. So steht es jedem frei, die ärztliche Intervention nach eigenem höchstpersönlichen Belieben zu verweigern.17 Im Umkehrschluss resultiert daraus das Erfordernis der Einwilligung (§ 8 GenDG), deren Wirksamkeit nach den allgemein anerkannten Grundsätzen des informed consent18 die vorherige ärztliche Aufklärung (§ 9 GenDG) und allenfalls vertiefte Beratung voraussetzt (§ 10 GenDG).19 Besinnt man sich dabei grundlegend auf die Intention des Gesetzgebers, so verbinden sich hierbei zwei überaus bedeutsame Ziele: Erstens wird das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt und zweitens einer Diskriminierung aufgrund genetischer Merkmale vorgebeugt.20 Schließlich wird sowohl unter der Prämisse arztrechtlicher Maxime gleichermaßen wie zur Absicherung der beiden erstgenannten Ziele die erforderliche ärztliche Sachkompetenz im Sinne einer Qualitätssicherung garantiert.21 Angesichts dieser weitreichenden Detailliertheit des Gendiagnostikgesetzes mag es erstaunen, dass § 2 Abs. 2 Nr. 1 GenDG den Anwendungsbereich des Gesetzes für genetische Analysen sowie den Umgang mit genetischen Proben und Daten zu Forschungszwecken schlichtweg ausschließt. Legt auch von Hardenberg, ZD 2014, S. 115 ff. den zahlreichen Regelungsinitiativen und -schwerpunkten im Vorfeld des Gendiagnostikgesetzes eingehend: Stockter, Individualität, S. 40 ff.; Damm, Gendiagnostik als Gesetzgebungsprojekt, Bundesgesundheitsblatt 2013, S. 145 ff. 17 Vgl. zur Therapiebegrenzung: BGHSt 11, 111 ff.; BVerfGE 52, 131, 171 ff.; Duttge, Regelung der Gendiagnostik zwischen Ideal und Realität, S. 5 ff. 18 Grundlegend hierzu: Beaucamp/Childress, Principles of Biomedical Ethics, passim. 19 Vgl. Duttge, Regelung der Gendiagnostik zwischen Ideal und Realität, S. 5 ff. 20 Siehe BT-Drs. 16/10532, S. 1 ff.; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), passim; Duttge, Regelung der Gendiagnostik zwischen Ideal und Realität, S. 5 ff. 21 Vgl. Duttge, Regelung der Gendiagnostik zwischen Ideal und Realität, S. 5 ff. 15 So
16 Zu
§ 1 Einleitung29
man insoweit zugrunde, dass genetisches Wissen aufgrund des jeweiligen Forschungsstandes und der zahlreichen, multifaktoriellen Faktoren oft nur eingeschränkte Vorhersagen im Bezug auf Gesundheit, Krankheit oder Persönlichkeitsstrukturen erlaubt,22 so stellt die Konservierung genetischer Präparate aus feingeweblichen Untersuchungen oder DNS-Analysen in Biobanken eine wichtige Komponente in der Aufklärung patho-genetischer Mechanismen dar.23 Kennzeichnender Kern ist dabei die Verknüpfung von Proben und Daten, Analyseergebnissen und Angaben der Probenspender zur Gewinnung von Information und Behandlungsansätzen.24 Demgegenüber sind die juristischen Rahmenbedingungen jenseits des Gendiagnostikgesetzes bislang von heterogenen Vorgaben unterschiedlicher Provenienz und Verbindlichkeit geprägt.25 Die zentralen Schutzdimensionen richten sich zunächst auf konstellationsspezifische Interessen – nimmt man etwa die Daten über die körperliche Verfassung oder genetische Disposition in Betracht, so sind der Schutz der Privatsphäre, namentlich der Schutz von Wissen und Wissensgrenzen und der Schutz des Interesses, bestimmte Informationen über genetische Veranlagungen und Krankheiten nicht zu erfahren, betroffen.26 Stellt man andererseits auf einen individualistischen Zugriff ab, so würden die zugrundeliegenden Interessengeflechte nur einseitig thematisiert.27 Insoweit gilt es auch kollektive Fragen, wie etwa den Schutz der genetischen Diskriminierung bestimmter Gruppen als Folge der Forschung oder die Teilhabe an Forschungsergebnissen und Fortschritt, rechtlich zu kontextualisieren.28 Aus verfahrensrechtlicher Sicht muss es dabei das Ziel sein, ein (inter-)nationales Biobankgeheimnis zu gestalten und zugleich die informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen rechtlich abzusichern. Die Vorschläge hierzu reichen von der Etablierung personalisierter Governance-Konzepte bis hin zur Schaffung eines umfassenden Biobankengesetzes. Folglich erscheint es mit Blick auf das Entwicklungspotenzial der molekularmedizinischen Erkenntnisfortschritte angezeigt, die aktuellen, rechtswissenschaftlichen Bemühungen zu hinterfragen und den Wandel einer sich 22 Vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft, Prädiktive genetische Diagnostik, passim; Stockter, in: Prütting, Medizinrecht, § 3 GenDG, Rn. 56. 23 Vgl. Nationaler Ethikrat, Biobanken, S. 9 ff. 24 Vgl. Nationaler Ethikrat, Biobanken, S. 9, 24 ff.; Albers, MedR 2013, S. 483 f. 25 So Albers, Biobanken, MedR 2013, S. 483 ff. 26 So Albers, Informationelle Selbstbestimmung, passim; Albers, MedR 2013, S. 483 f. 27 Vgl. Albers, MedR 2013, S. 483 (484): Diese sieht in der derzeitigen Anonymisierung und Pseudonymisierung der Daten kein hinreichendes Schutzkonzept. 28 Vgl. Albers, MedR 2013, S. 483 (484).
30
§ 1 Einleitung
personalisierenden Medizin in einem gesellschaftlichen29 und interdisziplinären Diskurs zu begleiten.30 Die vorliegende Arbeit hat es sich daher zum Ziel gesetzt, in der Zusammenführung von medizinwissenschaftlichen, gesundheitspolitischen, ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten einen Beitrag zu leisten und gleichermaßen das gen-personalisierte Bewusstsein zu schärfen. Bedingt durch die Komplexität der konfligierenden Interessengeflechte ist dabei eine interdisziplinäre Perspektive von besonderer Notwendigkeit.
B. Gang der Untersuchung Gegenstand dieser Arbeit ist der Wandel genetischer Informationen, der sich gegenwärtig im Kontext der personalisierten Medizin und der umstrittenen Entwicklung eines Biobankenrechts vollzieht. Ausgangspunkt der Analyse ist zunächst die medizinische und gesellschafspolitische Einordnung des „genetischen Exzeptionalismus“ – also der Besonderheit genetischer Informationen. In einem ersten Schritt setzen die Überlegungen mit der Vorstellung naturwissenschaftlicher Grundlagen ein: Die Struktur genetischer Erbinformation, die prädiktive Diagnostik genetischer Erbkrankheiten und die Anwendungsbereiche der modernen Gendiagnostik werden einschließlich ihrer Folgen für Individuum und Gesellschaft erörtert. Sodann diskutiert die Arbeit, inwiefern sich die Einschätzung genetischer Informationen durch die Entwicklung einer personalisierten Medizin gegenwärtig wandelt. Dabei lässt sich die Ambivalenz einer personalisierten Genmedizin anhand der Drittwirkung genetischer Information identifizieren, die die „Exzeptionalität“ maßgeblich prägt. So zeichnen sich genetische Informationen nicht nur dadurch aus, dass ihre Aussagekraft über lange Zeiträume erhalten bleibt, sondern auch dass sie identitätsrelevante Gesundheitsdaten mit hohem prädiktiven Potential verbinden und dabei regelmäßig Informationen über Dritte (Verwandte) offenbaren.31 Anknüpfend an diese medizinwissenschaftliche Reflexion untersucht der zweite Teil der Arbeit, wie der „genetische Exzeptionalismus“ verfassungsund europarechtlich zu bewerten ist. Im Hinblick auf die grundrechtlichen Schutzpflichtdimensionen hat sich dabei ein Paradigmenwechsel vollzogen. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht sieht sich in seiner Ausprägung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 GG i. V. m. 29 Siehe
auch Kap. § 11 B. III. 4. b). auch Damm, MedR 2011, S. 17. 31 So BT-Drs. 16/10532, S. 1; vgl. auch ebd., S. 16. 30 Vgl.
§ 1 Einleitung31
Art. 1 Abs. 1 GG dem Konflikt zwischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen ausgesetzt. Dabei münden die konfligierenden Grundrechtsinteressen in eine Diskussion um die Notwendigkeit der Kreation eines Grundrechts auf gen-informationelle Selbstbestimmung. Auf europarechtlicher Ebene hat man vor allem im Rahmen des Europarates mit dem „Menschenrechtsübereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin“ (Biomedizinkonvention) auf den molekularbiologischen Paradigmenwechsel reagiert.32 Die Konvention und ihr Zusatzprotokoll betreffend Gentests zu gesundheitlichen Zwecken beeinflussen zugleich die Auslegung und Anwendung der gendiagnostischen Schutzkonzepte, die unionsrechtlich wiederum auf unterschiedlichen Normebenen existieren: Zu nennen sind im Besonderen das Diskriminierungsverbot in Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie die in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) betonte Nichtdiskriminierung.33 Vor diesem Hintergrund hat sich die rechtliche Bewertung genetischer Informations- und Verschwiegenheitsinteressen auch in der Gesetzgebung des deutschen Gendiagnostikgesetzes niedergeschlagen. § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG sieht für einen Fall kollidierender Informationsinteressen vor, dass der Patient auf Empfehlung des Arztes seinem genetisch verwandten Familienangehörigen eine diagnostische oder therapeutische Genempfehlung erteilen soll. Doch das Konzept dieser „Empfehlung zur Empfehlung“34 ist offensichtlich eine Kompromisslösung: Ausweislich der Gesetzesbegründung soll es dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Untersuchten gleichermaßen wie jenem des Verwandten Rechnung tragen.35 Bei Lichte betrachtet kann § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG allerdings nicht beiden Anliegen – Informations- sowie Verschwiegenheitsinteressen – in gleichem Maße gerecht werden.36 Das Recht auf Nichtwissen37 des Familienangehörigen kollidiert mit dem Fürsorgegedanke, der es nicht akzeptieren lassen will, behandlungs- oder für die individuelle Lebensführung relevante Informatioim Kontext des Klonens: Kersten, Klonen, S. 2. Kersten, Klonen, S. 2. 34 Vgl. Kersten, ZEE 2013, S. 23 ff. 35 Vgl. BT-Drs. 16/10532, S. 29; Duttge, Regelung der Gendiagnostik zwischen Ideal und Realität, S. 7 ff. 36 Vgl. unter anderen: Kersten, ZEE 2013, S. 23 ff.; Duttge, Regelung der Gen diagnostik zwischen Ideal und Realität, S. 7 ff. 37 Als Ausfluss verfassungsrechtlicher Überlegungen konstatiert § 9 Abs. 2 Nr. 5 GenDG ein Recht auf Nichtwissen für die betroffene Person, einschließlich des Rechts, das Untersuchungsergebnis oder Teile davon nicht zur Kenntnis zu nehmen und vernichten zu lassen. 32 Hierzu 33 Siehe
32
§ 1 Einleitung
nen nicht zu kennen.38 „Insofern kann für Familienangehörige eine moralische Pflicht gesehen werden, genetisches Wissen zu teilen“.39 Aus rechtlicher Sicht mag dies erstaunen: Der informationsrechtliche Konflikt drittbezogener Informationalisierung wird in ein Moralsystem überführt und nicht juristisch aufgelöst.40 Wenn aber zur Vermeidung einer informationellen Grundrechtskollision dem Recht auf Wissen – und damit dem Fürsorgegedanken – der Vorrang eingeräumt werden soll, dann erscheint es nur konsequent, dies nicht von der Unsicherheit einer familiär kommunizierten „Empfehlung zur Empfehlung“ abhängig zu machen.41 Es stellt sich also die Frage, welche Schlussfolgerungen aus dieser grundrechtskollidieren Konfliktkonstellation für eine verfassungs- und verfahrensrechtliche Neugestaltung des Gendiagnostikgesetzes zu ziehen sind. In dieser Reflexion geht der dritte Teil der Arbeit schließlich noch einen Schritt weiter und untersucht die Verwendung genetischer Daten im ArztPatienten-Verhältnis. Der besondere Charakter der gendiagnostischen ArztPatienten-Beziehung liegt dabei in der Dynamik des in ihr angelegten Ansatzes.42 „Weder das Verschwinden noch das Vorhandensein von [genetischen] Risikofaktoren erlaubt eine zuverlässige, über Wahrscheinlichkeitsaussagen hinausgehende Beurteilung des (zukünftigen) gesundheitlichen Zustands.“43 Folglich steigt mit dem Verlust der Orientierungsfunktion auch die Bedeutung von medizinischen Strategiekonzepten, die der Aufklärung in geeignetem Maße Rechnung tragen. Demnach nehmen reflektierte Grundbedingungen, die gleichermaßen die Informationsfreiheit des Einzelnen garantieren und dabei Selbstvergewisserung für den Behandelnden bedeuten, einen zentralen Stellenwert ein.44 Die mit dem Drittbezug genetischer Information einhergehenden Probleme einer sich personalisierenden Medizin betreffen aber nicht nur die unmittelbare Beziehung zwischen Arzt und Patient.45 Sie konturieren auch ein 38 Vgl. BT-Drs. 16/10532, S. 29; Duttge, Regelung der Gendiagnostik zwischen Ideal und Realität, S. 7 ff.; Kersten, ZEE 2013, S. 23 ff. 39 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Humangenetik, Positionspapier, S. 8 f., www. medgenetik.de/sonderdruck/2007_gfh_positionspaper.pdf [letzter Aufruf am 17.07. 2014]. 40 Vgl. Kersten, ZEE 2013, S. 24 ff. 41 Demgegenüber kritisch: Kersten, ZEE 2013, S. 23 ff.; Heyers, MedR 2009, S. 507 (509); Duttge, Regelung der Gendiagnostik zwischen Ideal und Realität, S. 7 ff. 42 Vgl. Schuppert, Alles Governance oder was? S. 24 f. 43 Vgl. Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83. 44 Siehe hierzu und im Weiteren Kap § 7. 45 So auch im Kontext gesellschaftlicher Informationsinteressen: Kersten, ZEE 2013, S. 23 ff.
§ 1 Einleitung33
informationsrechtliches Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmungsund Forschungsfreiheiten. Das Gendiagnostikgesetz schließt in § 2 Abs. 1 Nr. 1 GenDG jedoch eine Gesetzesanwendung auf genetische Analysen respektive den Umgang mit genetischen und Proben und Daten zu Forschungszwecken schlichtweg aus. In der Folge überrascht es nicht, wenn die Praxis selbstregulatorische Normenkomplexe entwirft und mit ausgefeilten, aber zugleich weit reichenden Einwilligungserklärungen operiert.46 Daher führen die Darlegungen im abschließenden Teil dieser Arbeit dahin, dass Governance-Konzepte für ein ausdifferenziertes Biobankgeheimnis zu überdenken sind und zu unterschiedlichen Stufen „persönlicher“ und (epi-)genetischer Datenkombinationen weiterentwickelt werden.47
Albers, MedR 2013, S. 483 ff. wird diese Arbeit durch eine interdisziplinäre Studie, die in Zusammenarbeit mit der Harvard University in Boston entwickelt wurde und empirisch die Themen „Personalized Medicine, Gene Diagnostics and Biobanking in the context of privacy of patient information“ beleuchtet. 46 Vgl.
47 Gestützt
1. Teil
Medizinische Grundlagen und Entwicklung § 2 Medizinische Grundlagen A. Naturwissenschaftlicher Rahmen personalisierter Genmedizin Genetisches Wissen handelt von „unserer Natur, unserer materiellen Körperlichkeit und legt dar, was […] individuell […], mit unseren Verwandten gemeinsam oder unterschiedlich [ist]“.1 Als Gattungswesen lernen wir, wie sich genetisch codierte Informationen unter der Steuerung von Schlüsselgenen und in steter Wechselwirkung mit dem Zellmilieu entfalten – als Individuen erfahren wir, wie sich die in der Genetik vorhandenen Unterschiede auf unseren Organismus, in Teilen sogar auf unser Temperament und unser Verhalten auswirken.2 Doch wie verstehen wir den Begriff der Geninformation?
B. Gene des Menschen Die Gene des Menschen liegen in linearer Anordnung auf 46 autosomalen und geschlechtsspezifischen Chromosomen und tragen etwa 25.000 menschliche Erbinformationseinheiten.3 Im Kern der Körperzelle enthalten die Chromosomenpaare die genetische Erbsubstanz Desoxyribonukleinsäure (DNS), die wichtige Lebensfunktionen – wie Zellteilung, Nervenfunktionen, Stabilität von Gewebe, Immunabwehr, Molekültransport und -abbau – über Vorgänge der Signaltransduktion reguliert.4 Angesichts der bezeichnenden Vielzahl an genetischen Informationen überrascht es nicht, dass die zugrun1 Vgl. Reich, Das materielle Erbe, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen, S. 185 ff. 2 So Reich, Das materielle Erbe, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen, S. 185 ff. 3 So Hengstschläger, Gene – Talente – Chancen, S. 51: vor wenigen Jahren zählte man noch 30.000 bis 40.000 Geninformationen, vgl. DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 5. 4 Vgl. DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 5.
§ 2 Medizinische Grundlagen
35
deliegenden, molekularbiologischen und (epi)-genetischen medizinischen Mechanismen in höchstem Maße komplex und schwer verständlich sind. Die strukturelle Beschreibung eines Gens der Professoren Gerd Poeggel und Thomas Meitinger verdeutlicht dies in folgender Weise: „Gene weisen in der Regel einen regulatorischen […] (Promotor) und eine (kodierende) Transkriptionseinheit auf. Im Promotor befinden sich die CAAT-Region und die TATA-Region, an die die RNA-Polymerase bindet. […] Regulatorisch wirksame Sequenzen finden sich auch innerhalb der Transkriptionseinheiten von Gene. Bei +1 beginnt die Transkription der mRNA“, wobei solange transkribiert wird, „bis die RNA- Polymerase das Polyadenylierungssignal passiert hat. […] Spezielle Codons innerhalb der transkribierten Sequenz signalisieren Start und Stopp der Translation. […] [Folglich] erklärt sich, dass das Start-Triplett der mRNA (AUG) auf der DNA mit ATG beschriftet ist. […] Damit entspricht die Triplettfolge der DNA auf dem nicht codogenen Strang derjenigen der mRNA und somit auch der tatsächlichen Aminosäuresequenz.“5
Dennoch ist eine Darstellung der naturwissenschaftlichen Zusammenhänge für die vorliegende Arbeit nicht nur aufgrund der terminologischen Befassung notwendig. Erst durch das Begreifen spezifischer genetischer Charakteristika lässt sich die Frage beantworten, inwieweit die Besonderheiten der personalisierten Medizin eine gesonderte rechtliche Behandlung rechtfertigen oder gar fordern.6 Im Folgenden seien daher die molekularbiologischen Grundlagen der modernen Humangenetik und die Struktur genetischer Erbinformation (I.) dargestellt. Die Eigentümlichkeit der DNS-Spirale und deren genetischer Variabilität seien im Besonderen aufgezeigt sowie deren Bedeutung für die Prädiktion genetisch bedingter Krankheiten (II.) und die Anwendung in der humangenetischen Diagnostik (III.) hervorgehoben. I. Struktur genetischer Erbinformation Grundsätzlich besteht ein Gen aus einer Basensequenz von DNS-Molekülen, die den genetischen Code einer Zelle definieren.7 Der strukturelle Aufbau der DNS wurde 1953 erstmalig von James Watson und Francis Crick als langkettige, doppelhelikale Struktur beschrieben.8 Dabei setzt sich der von Watson und Crick identifizierte DNS-Doppelstrang aus zwei antiparallelen Einzelsträngen mit den vier Basenpaaren Guanin, Adenin, Thymin und Cyto5 Siehe Poeggel/Meitinger, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 11. 6 So auch Stockter, Individualität, S. 80. 7 Vgl. Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 7; Janning/Knust, Genetik, S. 8. 8 Watson/Crick, Molecular structure of nucleic acids. A structure for deoxyribose nucleic acid, Nature 1953, S. 737–738.
36
1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
sin zusammen.9 Adenin und Thymin bzw. Cytosin und Guanin sind über Desoxyribose (Zucker) und Phosphatgruppen verbunden und bilden eine Art „Buchstabencode“.10 Zwischen den „Buchstaben“ bilden hydrophobe Wechselwirkungen und Wasserstoffbrückenbindungen die räumliche Struktur der DNS in Form einer spiralförmigen Doppelhelix.11 Doch trotz dieser komplexen räumlichen Anordnung verändert sich die Zusammensetzung des „Buchstabencodes“ nicht: Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin behalten die Abfolge ihrer Nukleotide auch während der Zellteilung bei.12 Auf molekularer Ebene werden die Nukleotide wie „Wörter“ aus einer Sequenz von drei Basenpaaren gebildet.13 1961 identifizierten Forscher die Aneinanderreihung von „Wörtern“ zu ganzen „Sätzen“ erstmalig als Voraussetzung für eine geordnete Synthese von Aminosäuren und Proteinen.14 Mittels des sog. Poly-U-Experiments ließ sich für die Aminosäure Phenylalanin ein Basentriplett von drei Nukleotiden als Triplett-Codon des sog. degenerierten genetischen Codes bestimmen.15 Fünfzig Jahre später sequenzierten Forscher die Abfolge der Basenpaare weitgehend im Rahmen des weltweit für Aufsehen sorgenden Humangenomprojekts (HGP, engl. Human Genome Project): Allerdings blieb bislang ein Großteil der Gene im Hinblick auf seine funktionelle Bedeutung unerforscht.16 1. Besondere Individualität des menschlichen Genoms Die große Variabilität genetischer Information bestimmt die Besonderheit unseres menschlichen Genoms. Doch „wie groß […] die Variabilität im 9 Siehe Janning/Knust, Genetik, S. 7; Watson/Crick, Molecular structure of nu cleic acids. A structure for deoxyribose nucleic acid, Nature 1953, S. 737 (738); Löffler, Basiswissen Biochemie, S. 340. 10 Vgl. Kersten, Klonen, S. 6. 11 Vgl. Janning/Knust, Genetik, S. 7; Watson/Crick, Molecular structure of nucleic acids. A structure for deoxyribose nucleic acid. In: Nature 1953, S. 737–738; Löffler, Basiswissen Biochemie, S. 336, 337. 12 Siehe Janning/Knust, Genetik, S. 7; Watson/Crick, Molecular structure of nucleic acids. A structure for deoxyribose nucleic acid. In: Nature 1953. S. 737–738; Löffler, Basiswissen Biochemie, S. 336 (337). 13 Vgl. Kersten, Klonen, S. 6. 14 Vgl. Poeggel/Meitinger, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 11; Kersten, Klonen, S. 7. 15 Vgl. Nirenberg/Matthaei: The dependence of cell-free protein synthesis in E. coli upon naturally occurring or synthetic polyribonucleotides. In: PNAS 1961, S. 1588–1602. 16 Grundsätzlich bezeichnet man die Gesamtheit der Erbanlagen einer Zelle bzw. eines Gesamtorganismus als Genom, vgl. DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 6.
§ 2 Medizinische Grundlagen37
menschlichen Genom [ist]“ und was „diese Variabilität für die […] phänotypischen Unterschiede zwischen den Menschen bedeutet?“17 – das sind die wesentlichen Fragen im Kontext dieser Arbeit. Zunächst unterliegen Erbinformationen des menschlichen Genoms permanenten Veränderungen, sog. Mutationen der DNS-Basensequenzen.18 Im Laufe der Keimesentwicklung werden diese Veränderungen aufgrund von zellbiologischen Vorgängen an die nächsten Generationen weitergegeben, sofern sie für das entstehende Lebewesen keinen evolutiven Nachteil bedeuten.19 Entstehen neue Zellen, so findet die Zellteilung entweder in den Körperzellen (Mitose) mit diploidem Chromosomensatz (zweimal 23 Chromosomen) oder in den Keimzellen (Meiose) mit haploidem Chromosomensatz (einmal 23 Chromosomen) statt.20 Während des gesamten Zellzykluses durchlaufen die proliferierenden Zellen immer wiederkehrende Stadien, die sich hinsichtlich Stoffwechselaktivität, DNS-Replikation sowie Zellteilung unterscheiden.21 Die doppelhelikalen Chromatinfäden kondensieren in einzelnen Stoffwechselphasen während der Meiose und Mitose bis hin zur Ausbildung von stäbchenförmigen Chromosomen.22 Durch Halbierung, Neukombination, Bildung und Befruchtung werden sie von den Samenund Eizellen bei Mann und Frau an nachfolgende Generationen übertragen.23 Das Ergebnis ist neben der stabilen Weitergabe genetischer Information die Bestimmung des chromosomalen Geschlechts des Embryos und die Variation des menschlichen Genoms infolge möglicher Neukombinationen der Erbanlagen.24 Im Gegensatz zur chromosomalen Zellteilung werden die mitochondrialen Erbinformationen (mtDNA), die aus insgesamt 37 Genen bestehen, ausschließlich über die Mutter an deren Embryonen übertragen (maternale Vererbung).25 Die Mitochondrien sind dabei als eigenständige, zentrale 17 Propping, Vom Genotyp zum Phänotyp, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen, S. 90 ff. 18 Vgl. Poeggel/Meitinger, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 13. 19 Siehe Poeggel/Meitinger, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 13. 20 So DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 6; Speicher, in: Murken/Grimm/ Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 141. 21 Vgl. Speicher, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 163. 22 Siehe Hennig, Genetik, S. 69 ff.; Löffler, Basiswissen Biochemie, S. 340; Janning/Knust, Genetik, S. 21 ff.; DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 6. 23 Vgl. Hennig, Genetik, S. 69 ff.; Löffler, Basiswissen Biochemie, S. 340; Janning/Knust, Genetik, S. 21 ff.; DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 6. 24 Vgl. Kersten, Klonen, S. 7; DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 6. 25 So Abicht/Grimm, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 307 ff.; Janning/Knust, Genetik, S. 142; DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 6.
38
1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
Zellorganismen im Zytoplasma der Zelle lokalisiert und für die „Energiegewinnung“ der Zelle zuständig.26 Auch während der Proteinbiosynthese ist eine Übertragung von genetischen Veränderungen möglich, wenn Multienzymkomplexe Triplettbasensequenzen zu Proteinen synthetisieren.27 Die menschliche Zelle bedient sich hierzu eines Duplikationsverfahrens (sog. Transkription), in der die gesamte Information eines Gens von der DNS „abgelesen“ und in eine einsträngige Messenger-RNS (mRNS) „umgeschrieben“ wird.28 Die mRNS wird zur nachfolgenden Replikation von Information ins Zellzytoplasma übertragen.29 Dort werden einzelne Aminosäuren von mRNS-Tripletts erkannt und mit Hilfe von Anticodons der Transfer-RNS (tRNS) zu Polypeptidketten verknüpft (Translation).30 Doch funktioniert ein Gen respektive dessen allelische Variante nicht streng isoliert – es interagiert vielmehr mit mannigfaltigen Partnern: Wesentlich hierbei ist, dass auch Variationen an anderen Genorten den Anteil beeinflussen, den jede Variante an den Gesamteigenschaften eines Individuums, am sog. Phänotyp, hat.31 Zwar ist die Häufigkeit, mit der solche Veränderungen der DNS auftreten, gering.32 Doch können Einwirkungen von Umwelteinflüssen und Agenzien die Mutationsrate gleichermaßen erhöhen.33 Beispiele für diese Mutagene sind chemische Substanzen oder primär ionisierende Strahlungen, wie UV-, Röntgen- oder die bei radioaktivem Zerfall gebildete γ-Strahlung.34 Wirken Mutagene auf Eigenschaften des genetischen Programms der Zelle, können die Veränderungen spezifische Zellfunktionen beeinflussen und ggf. Modifikationen des Gesamtorganismus hervorrufen.35 Gleichwohl gibt es aber auch genetische Aberrationen ohne funktionelle Konsequenzen: Sie bleiben phänotypisch „stumm“.36 Die Umsetzung des Genotyps in den Phänotyp folgt also weder einer bestimmten „GesetzmäßigKersten, Klonen, S. 7. Hennig, Genetik, S. 253. 28 Siehe Kersten, Klonen, S. 7. 29 Vgl. Hennig, Genetik, S. 253. 30 Siehe Hennig, Genetik, S. 253. 31 So Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 25 ff. 32 Siehe Janning/Knust, Genetik, S. 142. 33 Vgl. Janning/Knust, Genetik, S. 142. 34 Vgl. Janning/Knust, Genetik, S. 142. 35 Siehe DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 7; Janning/Knust, Genetik, S. 142. 36 Der Begriff des Genotyps (griech. genos „Gattung, Geschlecht“ und typos „Abbild, Muster“) – 1909 von dem dänischen Genetiker Wilhelm Johannsen geprägt – wird auch als Erbbild eines Organismus bezeichnet und repräsentiert dessen 26 Vgl. 27 So
§ 2 Medizinische Grundlagen39
keit“ noch einer „Zwangsläufigkeit“ in der genetischen Umsetzung.37 Anders als die sog. „stummen“ Mutationen zeigen sich Veränderungen des Phänotyps oftmals in morphologisch zu unterscheidenden Merkmalen, wie Körpergröße, Hautfarbe oder Fehlbildungen.38 Gegebenenfalls können sie auch psychologische Persönlichkeits- und physiologische Zelleigenschaften prägen.39 a) Variabilität durch Basenaustausch und Sequenzwiederholung Wie ist aber nun zu erklären, dass unter Umständen fast identische genetische Informationen zu völlig verschiedenen Merkmalsausprägungen führen?40 Um zu verstehen, wann eine genetische Veranlagung zum Ausdruck kommt, bräuchte man zunächst verschiedene Theorien, die bei einem bekannten Genotyp erklären könnten, weshalb der Phänotyp abweicht.41 In dieser Überlegung wurde bereits erörtert, wie permanente Mutationen genetische Erbinformationen prägen. Basensequenzen, die deletiert42, dupliziert,43 gedreht oder verlagert werden, bestimmen einen großen Anteil der genetischen Variabilität des menschlichen Genoms.44 „Juristische Aufmerksamkeit [erlangten] genetische Neumutationen bereits 1993 in einem vom OLG Hamm entschiedenen Fall. In diesem Verfahren sollte die Vaterschaft des Beklagten mittels einer genetischen Untersuchung bewiesen werden. Es
definierte genetische Ausstattung, die den morphologischen und physiologischen Phänotyp bestimmt; vgl. DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 7. 37 Siehe Propping, Vom Genotyp zum Phänotyp, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen. S. 90 ff. 38 Vgl. Exemplifizierung am Beispiel der Hämoglobinopathien, Buselmaeri/Tariverdian, Humangenetik, S. 86 f.; DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 7. 39 Siehe Buselmaeri/Tariverdian, Humangenetik, S. 86 f.; DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 7. 40 Vgl. Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 25 ff. 41 In leichter Abwandlung zu: Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 25 ff. 42 Siehe auch Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort Deletion (lat. delere – auslöschen, vernichten): Verlust eines interstitiellen oder terminalen Chromosomenstücks oder eines DNS-Abschnitts infolge einer Mutation, vgl. Holinski-Feder in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 50. 43 Unter Duplikation (lateinisch duplicare für verdoppeln, verlängern, erweitern, vermehren) versteht man eine Verdoppelung chromosomalen materials, siehe Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 50. 44 Vgl. Hennig, Genetik, S. 289; Poeggel/Meitinger, in: Murken/Grimm/HolinskiFeder/Zerres, Humangenetik, S. 13.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
kam zu Unklarheiten, weil bei dem Vater genetische Neumutationen aufgetreten waren.“45 Folglich müssen die Mutationsmöglichkeiten der DNS zunächst einmal näher betrachtet werden. Dabei werden die DNS-Abweichungen singulärer Basenbausteine gegenüber nur einem Wildtyp-Gen als Punktmutationen bezeichnet.46 Die punktuellen Mutationen umfassen neben Deletionen und Insertionen47 auch Substitutionen einzelner Nukleotide.48 Mit einem Anteil von 68 % gehören sie zu den häufigsten Mutationen des menschlichen Genoms (HGMD-Datenbank).49 Von den Punktmutationen zu unterscheiden sind sog. frameshift mutations. Als Rasterschubmutationen können sie innerhalb der kodierenden Region eines Gens zu einer Verschiebung des transkriptionellen „Leserasters“ führen: Im falschen „Leserahmen“ folgt in der Regel bereits nach wenigen Aminosäuren ein Stopp-Codon.50 In der Folge wird die nicht vollständig translatierte mRNA abgebaut und kein Protein mehr synthetisiert.51 Auch wenn zur Korrektur der Basenfehlpaarungen zelluläre Reparaturmechanismen (sog. Mismatching-Reparatur) existieren – können selbst diese Defekte aufweisen und bei fehlerhafter Funktion z. B. die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von erblichen Kolorektalkarzinomen erhöhen.52 Eine weitere Untergruppe der Basenmutationen stellen hochrepetitive Sequenzwiederholungen dar.53 Diese Nukleotidsequenzen liegen in etwa 55 % der variablen Genombereiche und werden in die Subkategorien der Satelliten-DNS (ca. 10 % der DNS), Retroposons (ca. 40 % der DNS), endogenen Retroviren (ca. 8 % der DNS) sowie Transposons (ca. 3 % der DNS) unterteilt.54 Die Funktionalität blieb bislang aber weitgehend unerHamm, DAVorm 1994, 109 (109); Stockter, Individualität, S. 82. Ferdinand, Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik, S. 11. 47 Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort Insertion (lat. inserere – einfügen): spontane, durch Mutagene oder gentechnisch bewirkte Einfügung einer oder mehrerer Nukleotide in eine DNS-Sequenz. 48 Siehe Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 51. 49 Vgl. Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 51. 50 So auch Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 54 f. 51 Vgl. Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 54 f. 52 So Höhn, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 54 f. 53 Vgl. DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 10. 54 Siehe Poeggel/Meitinger, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 12 (13). 45 OLG 46 Vgl.
§ 2 Medizinische Grundlagen41 Tabelle 1 Schematische Überlegung zu den unterschiedlichen Mutationsarten „Die Translation der RN[S] zum Protein erfolgt unter Verwendung von Wörtern aus drei Buchstaben. Fehler im DN[S]-Genom führen zu Fehlern in der Messenger-RN[S], was […] wiederum Fehler bei den verschiedenen Proteintypen zur Folge hat.“ Normal Missense-Punktmutation Nonsense-Punktmutation Rasterschubmutation
DNA DNA DNA DNA
HAS HAS HAS HAS
ALL ALL ALL ALY
YOU LOU STOPP OUC
CAN CAN
ASK ASK
FOR FOR
ANA
SKF
OR
Quelle: Collins, Personalisierte Medizin, S. 9.
forscht.55 Die verschiedenen DNS-Sequenzmotive treten oftmals in instabiler, sich tandemartig wiederholender Anordnung auf und variieren in ihrer Anzahl an Wiederholungen mit einer Mutationsrate zwischen 10−3 und 10−7 pro Zellteilung.56 • Makrosatelliten: Zu den Makrosatelliten zählen vorwiegend die Sequenzen der α-Satelliten-DNS mit einer Länge von 100 bis 1000 Basenpaaren an sich tandemartiger Wiederholungen, die im Bereich der Zentromer region liegen. • Minisatelliten: Die Minisatelliten umfassen die Polymorphismen mit Sequenzmotiven einer Länge von 11 bis 500 Basenpaaren an sich tandemartiger Wiederholungen, die im Bereich der Telomere zu finden sind und als VNTR-Loci (variable number of tandem repeats) für genetische Fingerprints verwendet werden.57 • Mikrosatelliten: Mikrosatelliten treten mit Sequenzmotiven von 1 bis 10 Basenpaaren an sich tandemartiger Wiederholungen als simple sequence length polymorphisms (SSLP) und short tandem repeat polymorphisms (STRPs) auf und bilden ebenso eine Grundlage für die Identifikation individueller genetischer Fingerabdrücke.58 55 Vgl. Poeggel/Meitinger, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 12 (13). 56 Vgl. Gemayel/Vinces/Legendre/Verstrepen, Variable tandem repeats accelerate evolution of coding and regulatory sequences, in: Annu Rev Genet 2010, S. 445 ff. 57 Siehe Poeggel/Meitinger, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 12 (13); DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 7. 58 Vgl. Gemayel/Vinces/Legendre/Verstrepen, Variable tandem repeats accelerate evolution of coding and regulatory sequences, in: Annu Rev Genet 2010, S. 445 ff.;
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
Betrachtet man diese vielfältigen Mechanismen und Interaktionen, wäre eine Art „Satelliten“- oder „Netzwerktheorie“ der phänotypischen Effekte eine anschauliche Beschreibung der Prozesse.59 Eine solche Theorie müsste jedoch auf empirischer Basis beruhen und hierzu unzählige Genome analysieren.60 Demzufolge sollte nicht der Eindruck entstehen, dass nur lange genug daran gearbeitet werden müsste, um genügend Phänotyp-GenotypKorrelationen abzugleichen.61 In der Regel liegen Mini- und Mikrosatelliten in nicht-kodierenden Abschnitten des Genoms und wirken sich nach heutigen Erkenntnissen nicht auf den Phänotyp des Organismus aus.62 Doch trotz ihrer nicht-kodierenden Eigenschaften können instabile Tri nukleotid-Sequenzwiederholungen (z. B. CAG, CGG, GCC) auch einen bedeutenden Pathogenitätsfaktor für die Entstehung neurodegenerativer Krankheitsbilder darstellen.63 Die variablen Genombereiche verkörpern insofern besondere, prädiktive Informationen für den Organismus und für Erkrankungen, wie beispielsweise Chorea Huntington oder myotone Muskeldystrophieformen.64 b) Steuerung der Genaktivität Eine genetisch komplexe Krankheit wird regelmäßig durch die Verschiebung eines funktionellen Gleichgewichts bedingt.65 Die moderne Humangenetik behilft sich zweier Variablen, um die Ausbildung phänotypischer Unterschiede besser verstehen zu können: Der Penetranz und der Expressivität.66 Der Begriff der Penetranz definiert, „mit welcher Wahrscheinlichkeit DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 10; Poeggel/Meitinger, in: Murken/ Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 13. 59 Siehe Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 25 ff. 60 Vgl. Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 25 ff. 61 Siehe Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 25 ff. 62 Vgl. Janning/Knust, Genetik, S. 316; DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 10. 63 Vgl. Siegenthaler/Blum, Klinische Pathophysiologie: S. 33 f.; Poeggel/Meitinger, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 15 sowie Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 3, Rn. 24. 64 Vgl. Siegenthaler/Blum, Klinische Pathophysiologie: S. 33 f.; Poeggel/Meitinger, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 15. 65 Siehe Propping, Vom Genotyp zum Phänotyp, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen, S. 99 f. 66 Vgl. Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 38 ff.
§ 2 Medizinische Grundlagen43
eine bestimmte Genvariante oder ein Defektallel des Gens in einer Population zur Ausprägung […] eines Krankheitsphänotyp führt“.67 Die Expressivität besagt hingegen, mit welchem Schweregrad oder welcher Effizienz ein mutiertes Gen ein Krankheitsbild bei einem betroffenen Individuum auslöst.68 Beides sind also Größen, die ihren Ursprung in den vielfältigen Regulationsmechanismen der Genexpression finden.69 So setzt ein komplexes regulatorisches Steuerungssystem aktive Gene zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Genprodukte um (Genexpression, kurz Expression oder Exprimierung): Je nach Aktivitätszustand werden spezifische Zellfunktionen im Organismus aufgegriffen.70 Meist findet die Regulation der Genexpression auf folgenden drei Stufen statt: In einem ersten Schritt verstärken oder unterdrücken sog. housekeeping genes sowie Transkriptionsfaktoren die Aktivität des Gens.71 In einem zweiten Schritt wird RNS während der Transkription aus DNS synthetisiert, prozessiert und für die Translation die messenger(m-)RNS in Proteininformation umgeschrieben.72 Schließlich modifizieren neben Faltungs- und Spleißmechanismen auch autoproteolytische Prozesse das Protein posttranslational.73 Die „Schlüsselmechanismen“ für eine differenzierte Genexpression bilden Modifikationen am Histonproteingerüst der DNS.74 Als besondere 67 Siehe auch Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort Penetranz (lat. penetrare – durchdringen): Manifestationshäufigkeit oder -wahrscheinlichkeit eines Gens, d. h. der Anteil der Merkmalsträger bezogen auf die Gesamtzahl der Genträger, die nach ihrer genetischen Konstitution das betreffende Merkmal zeigen könnten; sowie bei: Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 38 ff. 68 Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort Expressivität: Grad der Ausprägung eines erblichen Merkmals, dem ein einzelnes Gen zugrunde liegt, siehe auch bei: Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 38 ff. 69 Siehe Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 38 ff. 70 Der Begriff der „Epigenetik“ wurde 1942 von dem Biologen Conrad Hal Waddington geprägt und befasst sich mit allen Vorgängen, die die Genexpression ohne Änderung der Genstruktur beeinflussen, vgl. Zerres, in: Murken/Grimm/HolinskiFeder/Zerres, Humangenetik, S. 42; DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 10. 71 Siehe Janning/Knust, Genetik, S. 232; http://de.wikipedia.org/wiki/Genexpres sion [letzter Aufruf am 24.04.2013]. 72 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Genexpression [letzter Aufruf am 24.04.2013]; Janning/Knust, Genetik, S. 232. 73 So Janning/Knust, Genetik, S. 232; vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Genexpres sion [letzter Aufruf am 24.04.2013]. 74 Vgl. auch nachfolgend in Kap. § 2 B. I. 2.: Die Bedeutung epigenetischer Veränderung sowie Zerres, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 42 ff.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
Mechanismen sind u. a. die DNS-Methylierung, Acetylierung und Phosphorylierung bekannt.75 In Abhängigkeit der jeweiligen chromosomalen Region (z. B. 11p15, 15q11-13) oder ihres mütterlichen bzw. väterlichen Ursprungs geben spezifische Gewebezellen die charakteristischen Aktivitätsmuster an nachfolgende Tochterzellen weiter; sie prägen insoweit den Phänotyp eines jeden Individuums.76 Keimbahnspezifische Aktivierungen und Inaktivierungen verschieben dabei das Verhältnis von väterlichen und mütterlichen Genorten (Allelen).77 Obwohl beide Allele zunächst in den sich entsprechenden Nukleotidsequenzen vorhanden sind, können sie unterschiedlich exprimiert sein.78 Wird z. B. nur eines der beiden Allele in Abhängigkeit der elterlichen Herkunft aktiviert, erfolgt dies typischerweise in der frühen Embryogenese durch Inaktivierung des anderen Genloci (genomisches Imprinting).79 Die genetisch vorgegebene Disposition weist also eine gewisse „Labilität“ hinsichtlich der Manifestation von Merkmalen auf.80 Die Theorie einer genetischen Determinierung ist insoweit abzulehnen.81 Insgesamt variieren in der Übereinstimmung der Basenpaare zweier verschiedener Individuen oftmals nur wenige (Zehntel)-Prozentpunkte – dennoch können sich auch Menschen mit diesen geringen Abweichungen ihres Genoms im Hinblick auf Persönlichkeit oder auch gesundheitliche Dispositionen unterscheiden. Daher besteht nicht nur aufgrund der morphologischen Veränderungen die Möglichkeit, anhand von genetischen Daten prädiktive – also zukunftsgerichtete Wahrscheinlichkeitsprognosen – über die Entwicklung eines Menschen zu treffen.82 Folglich sei zunächst einmal festgehalten, dass der Interpretation genetischer Informationen eine besondere Bedeutung bei der Prädiktion genetischer Information zukommt. Im Kontext dieser juristischen Aufarbeitung lassen sich die folgenden vier Kerncharakteristika genetischer Information aufzeigen: Zerres, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 43. DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 8. 77 Siehe des Weiteren: Zerres, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 44 f. 78 Vgl. Zerres, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 44 f. 79 Vgl. DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 8; Zerres, in: Murken/Grimm/ Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 44 f. 80 Siehe Propping, Vom Genotyp zum Phänotyp, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen, S. 102. 81 Siehe Propping, Vom Genotyp zum Phänotyp, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen, S. 102. 82 In abweichender, i. E. jedoch übereinstimmender Schlussfolgerung: Stockter, Individualität, S. 83: Kienle, Prädiktive Medizin, S. 13; Chadwick, in: Chadwick/ Levitt/Shickle, The right to know, S. 13 (14). 75 Siehe 76 So
§ 2 Medizinische Grundlagen
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• Die im genetischen Material gespeicherten Daten unterliegen weitestgehend einer stabilen Weitergabe der erblichen Information.83 Variable Veränderungen des Genoms treten dennoch auf und bedingen die genetische Individualität.84 • Genetische Testergebnisse können in der Regel unabhängig des Lebensalters, der Gewebeart oder des klinischen Zustandes eines Patienten bestimmt werden.85 • Genproben sind aufgrund der Bedeutsamkeit kleinster Veränderungen besonders gut für genetische Untersuchungen verwertbar: Eine kleine Menge des biologischen Materials einer betreffenden Person genügt bereits für eine aussagekräftige Prädiktion genetischer Merkmale […].86 • Individuell variable Informationen über Erbanlagen bieten die Möglichkeit, detaillierte Rückschlüsse auf die Veranlagungen von Verwandten der getesteten Person zu treffen.87 • Und schließlich wird durch einen direkten Zugriff auf die individuelle DNS des Einzelnen die Nutzung einer gewissermaßen von der Natur zur Verfügung gestellten Datenbank ermöglicht.88 2. Vielschichtigkeit epigenetischer Veränderung Neben genetischen sind auch epi-genetische Mutationen für die Pathogenese von humanpathogenen Krankheitsbildern bedeutsam.89 Der Begriff der Epigenetik wurde erstmals von Conrad Hal Waddington verwendet und bezieht sich auf Vererbungsmechanismen, die nicht ausschließlich auf der DNS-Sequenz beruhen.90 Teilen sich Zellen oder pflanzen sich Organismen fort, überträgt sich jenseits der DNS auch ein komplexer Satz von Zellmerk83 Vgl. Scholz, in: Beck-Gernsheim, Welche Gesundheit wollen wir? Dilemmata des medizintechnischen Fortschritts, S. 37 f.; Stockter, Individualität, S. 83. 84 Vgl. Stockter, Individualität, S. 83; Scholz, in: Beck-Gernsheim, Welche Gesundheit wollen wir? Dilemmata des medizintechnischen Fortschritts, S. 37 f. 85 So auch Scholz, in: Beck-Gernsheim, Welche Gesundheit wollen wir? Dilemmata des medizintechnischen Fortschritts, S. 37 f.; Stockter, Individualität, S. 83. 86 Siehe Stockter, Individualität, S. 81 f. 87 Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/DNA-Analyse [letzter Aufruf am 02.01.2015]; Stockter, Individualität, S. 81 f. 88 Vgl. Stockter, Individualität, S. 81 f. 89 Zerres, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 44 ff. 90 Vgl. Waddington, Canalization of development and genetic assimilation of acquired characters, Nature 1959, S. 1654 f.; Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 38.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
malen an die Nachkommen.91 Diese Muster der Aktivierung reagieren zu unterschiedlichen Zeiten auf Umwelt-Stimuli und sind daher wesentlich für die Ausprägung eines Gens: Epigenetisch lässt sich also die Regulation eines jeden Genes in seinem zellulären Umfeld „lesen“.92 Klinisch manifestieren sich epigenetische Mechanismen, indem sie die Risiken für Diabetes mellitus, koronare Herzerkrankungen oder auch Brustkrebs erhöhen können.93 Der wohl bekannteste Mechanismus der Epigenetik ist dabei die DNS-Methylierung: Methylgruppen lagern sich an DNS-Cytosinbasenbausteine an – mit der Konsequenz, dass die nachfolgende Base Guanin nicht mehr „abgelesen“ werden kann.94 Methylierte Cytosine agieren insofern einem „Lese-Stopp“ vergleichbar.95 Im Gegensatz dazu aktivieren HistonAcetylierungen die Gene.96 Durch die Lockerung des dicht um die Histone gespulten DNS-Stranges können Transkriptionsfaktoren binden und die DNS-Sequenz weiter entschlüsseln.97 Folglich zeigen epigenetische Forschungserkenntnisse neue Interpreta tionswege von Gesundheitsentwicklung und Krankheitspathogenese auf.98 Zugleich ist die Vielschichtigkeit der epigenetischen Faktoren und Umwelt91 Vgl. Waddington, Canalization of development and genetic assimilation of acquired characters, Nature 1959 (183), S. 1654 f.; Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 38. 92 Vgl. Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 38 f. 93 Siehe des Weiteren El Hajj et al., Metabolic Programming of MEST DNA Methylation by Intrauterine Exposure to Gestational Diabetes Mellitus, Diabetes 2013, S. 1320 ff.; Bouchard, Epigenetics and fetal metabolic programming: a call for integrated research on larger cohorts, Diabetes 2013, S. 1026 ff.; Nemeroff/Goldschmidt-Clermont; Heartache and heartbreak-the link between depression and cardiovascular disease, Nat Rev Cardiol 2012, S. 526 ff.; Mirza et al., Expression of DNA methyltransferases in breast cancer patients and to analyze the effect of natural compounds on DNA methyltransferases and associated proteins, J Breast Cancer 2013, S. 23 ff.; Zerres, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 44 ff. 94 Vgl. Zylka-Menhorn, Das Epigenom: Der Dompteur der Gene, Deutsches Ärzteblatt 109 (20), C 876 ff., http://www.aerzteblatt.de/pdf/109/20/a1027.pdf [letzter Aufruf am 07.11.2013]. 95 Siehe Zerres, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 43 ff.; Zylka-Menhorn, Das Epigenom: Der Dompteur der Gene, Deutsches Ärzteblatt 109 (20), C 876 ff., http://www.aerzteblatt.de/pdf/109/20/a1027.pdf [letzter Aufruf am 07.11.2013]. 96 Vgl. Zylka-Menhorn, Das Epigenom: Der Dompteur der Gene, Deutsches Ärzteblatt 109 (20), C 876 ff., http://www.aerzteblatt.de/pdf/109/20/a1027.pdf [letzter Aufruf am 07.11.2013]. 97 Vgl. Zylka-Menhorn, Das Epigenom: Der Dompteur der Gene, Deutsches Ärzteblatt 109 (20), C 876 ff., http://www.aerzteblatt.de/pdf/109/20/a1027.pdf [letzter Aufruf am 07.11.2013]. 98 Vgl. Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, passim.
§ 2 Medizinische Grundlagen47
einflüsse, wie Stress oder möglichen uterinen Schwangerschaftseinwirkungen, noch nicht abschließend untersucht.99 Festzuhalten bleibt, dass epigenetische Merkmale die genetische Prädisposition des Menschen wesentlich beeinflussen. II. Prädiktive Diagnostik genetischer Erbkrankheiten Genetische Entwicklungsprozesse stellen in ihrer Erforschung eine komplexe Herausforderung dar.100 Mutationen können auf zellulärer Ebene unterschiedliche Veränderungen bewirken, obgleich sich das „genetische Buchstabenalphabet“ in linearen Sequenzen auf der DNS wiederfindet.101 Dabei betreffen somatische Mutationen in der Regel nur Körperzellen und sind nicht erblich.102 Keimbahnmutationen hingegen können als Veränderungen in den Keimzellen auch an die nächste Generation übertragen werden.103 Bestimmend für die Auswirkungen einer Genmutation bei einem Anlagenträger können homologe oder heterologe Merkmalseigenschaften sein.104 Wenn eine genetische Schädigung am gleichen Genlocus an die Nachkommenschaft weitergegeben wird, bezeichnet man den Erbgang bezüglich der mutierten Erbanlagen als homozygot (reinerbig; griech.: zygotós „verbunden“).105 Ist nur eines der beiden Allele von einer Genanomalie betroffen, und weichen die Erbeigenschaften in Folge der besagten Mutation voneinander ab, so spricht man von Mischerbigkeit oder Heterozygotie.106 Mischerbige Unterschiede müssen sich allerdings nicht zwangsläufig auf den Phänotyp eines Individuums auswirken – für den Aufschluss der Pathogenese einer Krankheit dürfen also nicht per se Rückschlüsse von Phänotyp auf Genotyp gezogen werden. Zerres, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 48. Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 21 ff. 101 Vgl. Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 23 Rn. 15 ff. (17); Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 22 f. 102 Siehe DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 8. 103 So DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 8. 104 Homologe Merkmale zweier Genorte zueinander liegen vor, wenn bestimmte Eigenschaften einem gemeinsamen Vorläufer entstammen, und sich folglich beide Allele entsprechen; stimmen die Erbeigenschaften in den Allelen nicht komplementär überein, spricht man von Heterologie, vgl. auch Ferdinand, Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik, S. 13. 105 Vgl. Ferdinand, Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik, S. 13; Theile/Wendt, in: Reiter/Theile, Genetik und Moral, S. 13 (18). 106 Vgl. Ferdinand, Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik, S. 13. 99 Vgl.
100 Vgl.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
Um dennoch Dispositionen des Patienten diagnostizieren und Aussagen über den Eintritt und das Risiko von Erkrankungen treffen zu können, finden heute vermehrt genetische Analysen Anwendung.107 Eine Legaldefini tion findet sich in § 3 Nr. 1 und 2 GenDG. Demnach ist die genetische Untersuchung eine auf den Untersuchungszweck gerichtete genetische Analyse zur Feststellung genetischer Eigenschaften, § 3 Nr. 1 a) GenDG. Folglich stellt sich die Frage, welche medizinischen Analysemethoden unter den Begriff der genetischen Untersuchung zu subsumieren sind. Sieht man einmal davon ab, dass die begrifflichen Bestimmungen sprachlich missglückt sind – denn auf was soll sich eine Untersuchung beziehen, wenn nicht auf den Untersuchungszweck – ist dem Wortlaut dabei eine gewisse subjektive Zweckbindung zu entnehmen.108 Insofern gewinnt der klinische Kontext entscheidend an Bedeutung.109 Im Folgenden wird daher zunächst erörtert, wie sich die Grundprinzipien der prädiktiven Gendiagnostik unterscheiden (1.). Der anschließende Teil veranschaulicht wichtige genetische Erkrankungen (2.), deren (Risiko-)Profile ggf. auch drittbezogene Informationen verwandter Personen einschließen. Diese drittbezogenen Informationen können nicht nur über die Disposition des Einzelnen, sondern auch über die Erkrankungswahrscheinlichkeiten genetisch mit ihm verwandter Personen Aufschluss geben.110 Hervorzuheben sind hierbei die Krankheitsgruppen der Chromosomenaberrationen, der monogen bedingten Erkrankungen, der angeborenen Stoffwechselstörungen, der multifaktoriell bedingten Krankheiten sowie der Tumorerkrankungen. 1. Charakteristika genetischer Diagnostikmöglichkeiten Gegenwärtig lassen sich in der Gendiagnostik drei Analyseansätze unterscheiden, die § 3 Nr. 2 GenDG aufgreift: „[E]rstens die zytogenetische Analyse, bei der die Zahl und Struktur der Chromosomen eines Menschen untersucht werden; zweitens die molekulargenetische Analyse, deren Gegenstand die molekulare Struktur der Desoxyribonukleinsäure (DNS) oder der Ribonukleinsäure (RNS) ist; und drittens die Genproduktanalyse, bei der die Produkte der Nukleinsäure zu diagnostizieren sind.“111 Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 162 ff. Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 82 f. 109 Vgl. Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 82 f. 110 Siehe auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 162 f. 111 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 4; BT-Drs. 16/10532, S. 20 f.; bereits BT-Drs. 14/9020, S. 115 ff.; Nationaler Ethikrat, Prädikative Gesundheitsinformationen bei Einstellungsuntersuchungen 2005, S. 13 f. 107 Vgl. 108 Vgl.
§ 2 Medizinische Grundlagen49
In der Metapher des „1000-Dollar-Genoms“112 kommt dabei der rasante Fortschritt dieser Untersuchungstechniken zum Ausdruck: So soll es künftig jedem möglich sein, das eigene Genom preiswert entschlüsseln zu lassen – private Unternehmen bieten mittlerweile bereits nicht nur Abstammungstests, sondern auch den Nachweis potenziell genetischer Erberkrankungen, wie Diabetes oder Alzheimer, an.113 Nachfolgend seien daher die wichtigsten medizinischen Analysemethoden aus Zyto- und Molekulargenetik (a, b) sowie häufig eingesetzte Genproduktanalysen (c) in der gebotenen Kürze erläutert. a) Zytogenetische Analysen Als zytogenetische Untersuchung bezeichnet die Genetik Untersuchungen, die numerische oder strukturelle Chrosomosomenaberrationen nachweisen. Dabei werden Chromosomenanalysen eingesetzt, die den Karyotyp des Individuums ermitteln. So analysiert die sog. In-situ-Hybridisierung (FISH = fluorescence in situ hybridisation) die jeweilige Lokalisierung des Gens auf einem Chromosom.114 Mit FISH lassen sich modifizierte Nukleotide und Reportermolekülen an fluoreszenzmarkierte Affinitätsmoleküle binden.115 Eine genaue Charakterisierung spezifischer Genorte erfolgt, indem sog. Hybride zwischen radioaktiv markierten Sonden und der betreffenden DNS des Chromosoms „in situ“ gebildet werden.116 Die Sonden können über verschiedene Fluorophore farblich zum „Leuchten“ gebracht werden und mit Hilfe technisch hochentwickelten Bildverarbeitungssystemen mehreren DNS-Klonen gleichzeitig 112 BT-Drs. 16/10532, S. 16; vgl. Eberbach, MedR 2010, S. 155 (162); Golücke, AuA 2010, S. 82; Ganten, Evolutionäre Medizin – Evolution der Medizin, 2009, S. 22; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 4. 113 Bis zur Untersagung durch die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) wurden in den Vereinigten Staaten von 23andMe „Health and DNA services“ für 99 Dollar angeboten; inkludiert waren dabei „reports on 240+ health conditions and traits, testing for 40+ inherited conditions, discovery of ancestry composition, updates on your DNA as science advances“ https://www.23andme.com/ [letzter Aufruf am 12.05.2013]; bereits 2015 lockert die FDA allerdings die Restriktionen aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, http://www.bloomberg.com/news/ articles/2015-01-12/23andme-aims-to-end-fda-standoff-this-year-after-public-sham ing [letzter Aufruf am 15.02.2015]; siehe ferner Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 4. 114 Vgl. Janning/Knust, Genetik, S. 310 f. 115 Siehe Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 15 f.; Janning/Knust, Genetik, S. 310 ff. 116 Vgl. Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 15 f.; Janning/Knust, Genetik, S. 310 ff.
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zugeordnet werden.117 Auf diese Weise werden chromosomale Umlage rungen bei neu entstandenen Strukturveränderungen oder Tumoren an den künstlich entspiralisierten DNS-Fasern sichtbar (sog. chromosome painting).118 b) Molekulargenetische Analysen Moderne Analyseverfahren im Hochdurchsatz erlauben die Identifizierung neuartiger Biomarker;119 zusammen mit den Entwicklungen der sog. „.-omics“ (Genomics, Epigenomics, Transcriptomics, Pharmacogenomics, u. a.) bilden sie die technologischen Grundlagen einer „molekulare[n] Signatur“120. 1977 hatte Frederick Sanger die Nukleotid-Abfolge des Genoms mit der Didesoxymethode sequenziert. Ausgehend von einem kurzen Abschnitt bekannter Sequenzen (Primer) wird einer der beiden komplementären DNS-Stränge durch das Enzym der DNS-Polymerase verlängert.121 In vier Versuchsansätzen mit radioaktiv markierten Nukleotiden werden Didesoxynukleotidtriphosphate (ddNTP) hinzugegeben, die beim Ablesen der DNS-Stränge für den Kettenabbruch der Nukleotidsequenzen sorgen. Auf diese Weise wird eine spezifische Auftrennung der DNS-Fragmente auf einem radioaktiven Polyacrylamid-Gel erreicht. Auch molekularbiologische Methoden des next generation sequencing (NGS) wenden die sog. SangerMethode als Grundprinzip an. So spaltet die Pyrosequenzierung ein Pyrophosphat (PPi)-Molekül ab, sobald die DNS-Polymerase ein Nukleotid in den Matrizenstrang einliest.122 Das freigewordene PPi-Molekül wird nachfolgend in einer Luciferase-Reaktion katalysiert, in deren Verlauf ein Lumnineszenz-Leuchtsignal entsteht und gemessen werden kann.123 117 „Die maximale Auflösung des Systems liegt bei Klonen von ungefähr 2 kb.“ Siehe auch Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 15. 118 Detaillierte Informationen siehe: Janning/Knust, Genetik, S. 310 f.; Buselmaier/ Teriverdian, Humangenetik, S. 15. 119 Vgl. Bieber/Broich, Personalisierte Medizin, Bundesgesundheitsblatt 2013, S. 1469 f.; Sung/Wang/Chandrasekaran et al., Molecular signatures from omics data: from chaos to consensus. Biotechnol J, 2012, S. 102 ff. sowie Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 3, Rn. 11 ff. 120 Sung/Wang/Chandrasekaran et al., Molecular signatures from omics data: from chaos to consensus. Biotechnol J, 2012, S. 102 ff. 121 Siehe Sanger/Nicklen/Coulson, DNA sequencing with chain-terminating inhibitors. PNAS 1977, S. 5463–5467. 122 So Ronaghi, Pyrosequencing sheds light on DNA sequencing, Genome Res. 2001, S. 3 ff. 123 Vgl. Ronaghi, Pyrosequencing sheds light on DNA sequencing, Genome Res. 2001, S. 3–11.
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Gleichermaßen identifizieren Hybridiserungsmethoden anhand spezifischer Farbmarkierungen die Basenabfolgen des Genoms. Die Mikro-Arrayoder Genchip-Technologie lokalisiert DNS-Sequenzen an definierten Stellen und bindet farblich fluoreszierende Chips an Mutationen oder SNPs (single nucleotide polymorphism-Array, SNP-Array).124 Das sog. Mikro-Array-Minisequencing hybridisiert „Oligonukleotide,125 die […] vor einem SNP oder einer Mutation enden, auf eine Array-Oberfläche […]. Für jeden potenziellen SNP gibt es […] zwei Oligonukleotide, die zusammen auf einem Spot des Mikro-Arrays immobilisiert sind. Dadurch kann nicht nur die Frage zum Vorkommen eines bestimmten SNPs beantwortet werden, sondern auch, ob es sich […] um einen homo- oder heterozygoten Genotyp handelt.“126
Dabei ermöglicht die Mikro-Array Technologie eine gezielte Analyse einer großen Anzahl verschiedener bekannter und individueller Genvarianten – unbekannte DNS-Abschnitte eines Individuums können hingegen mithilfe der sog. PCR-Methode (PCR = polymerase chain reaction; Polymerase-Kettenreaktion) sequenziert werden.127 Einzelne farblich oder radioaktiv gekennzeichnete Nukleotide werden als schwarz-weiße „Banden“ in deren sequentieller Reihenfolge als „Bandenmuster“ sichtbar gemacht; auf diese Weise können Punktmutationen und Teilsequenzen von einigen 1000 Basenpaaren bis hin zur Sequenzierung des gesamtes Genoms entschlüsselt werden.128 Allerdings ersetzen vermehrt neu entwickelte NGS-Technologien die tradierten Methoden. So ermöglichen Hochdurchsatzverfahren mehrere Tausend bis zu Millionen Sequenzierreaktionen zeitgleich und automatisiert ablaufen zu lassen.129 Neben dem Whole-genome Sequencing (WGS) wird vermehrt das Whole-exome Sequencing (WES) eingesetzt, um klinisch be124 Vgl. Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 128 ff.; vgl. auch Stockter, Individualität, S. 94 f.; vgl. http://www.aerzteblatt. de/nachrichten/52647/Praenataldiagnostik-Microarray-uebertrifft-Karyotypisierung [letzter Aufruf am 28.08.2014]; Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/ Zerres, Humangenetik, S. 130. 125 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort Oligonucleotide (engl.): kurze Nukleinsäure aus mehreren Mononukleotiden, die über Phosphodiesterbindungen verknüpft sind. 126 Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 130. 127 Vgl. Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 30. 128 „Die PCR-basierte Sequenzierung ist zwar schon länger ein äußerst wichtiges Forschungswerkzeug, hatte aber lange wegen des Aufwandes und der Kosten nur eine begrenzte Bedeutung für die klinische Anwendung. Dies ändert sich derzeit aufgrund sinkender Kosten und neuer Hochdurchsatz-Methoden“; so Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 30. 129 Vgl. Rabbani/Tekin/Mahdieh, The promise of whole-exome sequencing in medical genetics, Journal of Human Genetics 2014, S. 5 ff.; Ng et al., Targeted capture and massively parallel sequencing of 12 human exomes, Nature 2009, S. 272 ff.
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deutsame Exom-Nukleotide zu analysieren, die von einer konventionellen Methode nicht detektiert werden können.130 Der wesentliche Unterschied zwischen den verschiedenen Untersuchungsmethoden liegt dabei in der Zielsetzung der zu beantwortenden Fragestellungen. Array-DNS-Hybridisierungstechnologien und WES-Analysen beschränken sich in ihrer medizinischen Anwendung zumeist auf eine bestimmte medizinische Verdachtsdiagnose und beantworten demnach spezifische und definierte Fragestellungen – PCR- oder WGS-Methoden screenen die Gesamtsequenz des Genoms und können neben der gewünschten genetischen Information auch Überschussinformationen, nicht erwartete und / oder nicht intendierte Nebenbefunde aufwerfen.131 c) Genproduktanalysen Darüber hinaus sind angeborene Stoffwechselanomalien oder Endokrinopathien beschrieben, die mit einer hohen Morbidität und Mortalität assoziiert sind, sofern sie nicht erkannt und einer Therapie zugänglich sind.132 Molekularbiologische Methoden und Genproduktanalysen, wie das sog. Neugeborenenscreening,133 können viele dieser Krankheiten frühzeitig diagnostizieren und behandeln.134 In der Regel entnimmt das medizinische Fachpersonal dem zwei bis drei Tage alten Säugling Fersenblut und schickt die Probe an ein Screening-Labor.135 Die sog. Tandemmassenspektrometrie überführt die zu analysierenden Substanzen sodann in die Gasphase und ionisiert respektive beschleunigt sie durch ein elektrisches Feld: Eine räumliche Aufteilung in Teilstrahlen und Molekülfragmente erfolgt im Verhältnis der physikalischen Masse zur Ladung (m / q).136 Aus der massenspektrome130 Folglich wurden diese Methoden auch aus ökonomischen Gründen eingesetzt, grundlegend: Yang et al., Clinical Whole-Exome Sequencing for the Diagnosis of Mendelian Disorders, in: NEJM 2013, S. 1502 ff.; de Ligt et al., Diagnostic Exome Sequencing in Persons with Severe Intellectual Disability, in: NEJM 2012, S. 1921 ff. 131 Vgl. Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 30. 132 Siehe Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 496. 133 Siehe auch Tätigkeitsbericht der Gendiagnostik-Kommission (GEKO), 12. April 2013, S. 16 (17). 134 Derartige biochemische Marker sind beispielsweise das Alpha-Fetoprotein sowie die Acetylcholinesterase, die zur Diagnostik von Fehlbildungen der Wirbelsäule und Neuralrohrdefekten herangezogen werden, vgl. Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 521. 135 Vgl. Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 75 ff. 136 Vgl. Mass spectroscopy. In: IUPAC Compendium of Chemical Terminology (the „Gold Book“), http://de.wikipedia.org/wiki/Massenspektrometrie [letzter Aufruf am 12.05.2013].
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trischen Untersuchungsweise folgt jedoch auch, dass lediglich ein Verdacht auf das Vorliegen einer Erkrankung geäußert werden kann.137 Ein positives Screeningergebnis muss daher stets durch weitere unabhängige Methoden verifiziert werden und ist nicht mit einer finalen Krankheitsdiagnose gleichzusetzen.138 Betrachtet man weiter die Zielsetzung des Neugeborenenscreenings, die auf die Erfassung von Anlageträgerschaft abzielt, so muss man sich überdies fragen, ob diese Untersuchungen überhaupt von einem Gesetz mit der Betonung auf „Gen“-diagnostik erfasst sind.139 Zwar spricht § 16 GenDG von genetischen Reihenuntersuchungen. Doch ist bei zu screenenden Krankheiten, wie der Phenylketonurie (PKU), in der praktischen Anwendung sekundär, dass die toxische Akkumulation von Stoffwechselprodukten genetisch bedingt ist.140 Gleichermaßen lässt sich nur ein kleiner Teil der sehr häufig erfassten Erkrankung der Schilddrüsenunterfunktion, Hypothyreose, auf eine genetische Vererbung zurückführen.141 Im Vordergrund steht also vielmehr das Verdachtsmoment einer manifesten Krankheitsdiagnose als die Feststellung einer genetischen Disposition.142 Maßgeblich für eine medizinrechtliche Einordnung bleibt jedoch die gesetzliche Begriffsbestimmung: Dabei definiert § 3 Abs. 1 Nr. 9 GenDG eine genetische Reihenuntersuchung als eine „genetische Untersuchung zu medizinischen Zwecken, die systematisch der gesamten Bevölkerung oder bestimmten Personengruppen in der gesamten Bevölkerung angeboten wird, ohne dass bei der jeweiligen betroffenen Person notwendigerweise Grund zu der Annahme besteht, sie habe die genetischen Eigenschaften, deren Vorhandensein mit der Untersuchung geklärt werden soll“.143 Auch die Gesetzesbegründung des Gendiagnostikgesetzes schließt damit, dass „das beMuntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 496 f. Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 496 f. 139 Vgl. Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/Engel/ Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 75 ff. 140 Siehe Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/Engel/ Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 75 ff. 141 Vgl. Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 496 f.; Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 75 ff. 142 Vgl. Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/Engel/ Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 75 ff. 143 Anknüpfungspunkt hierfür ist die Definition der Reihenuntersuchung durch die Europäische Gesellschaft für Humangenetik (ESHG). Der Definition zufolge ist „jeder Test, der systematisch durchgeführt wird, um eine erbliche Erkrankung, deren 137 Siehe 138 Vgl.
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reits etablierte Neugeborenen-Screening […] eine genetische Reihenuntersuchung des § 3 Abs. 1 Nr. 9“ ist. Und selbst ungeachtet dessen ließe sich der Anwendungsbereich der Gendiagnostik auf das Neugeborenenscreening nicht mit der Argumentation in Abrede stellen, dass das Gesetz und nicht dessen Begründung maßgebend sei.144 Vielmehr ist nämlich bei einem derart „jungen“ Gesetz, wie dem Gendiagnostikgesetz“, der gesetzgeberischen Begründung ein besonders hohes Gewicht beizumessen.145 Insofern erscheint es nur konsequent, Genproduktanalysen – wie etwa das Neugeborenenscreen ing – im hier interessierenden Kontext in die gendiagnostischen Untersuchungsmethoden einzuordnen. 2. Charakteristika der Erbkrankheiten mit genetischem Drittbezug Es gibt genetisch bedingte Krankheiten, die die Entwicklung eines Lebewesens derart beeinflussen, „dass sich recht klar die Lebenserwartung beDisposition oder Anlageträger für solche Erkrankungen frühzeitig zu entdecken oder auszuschließen“ eine genetische Reihenuntersuchung, vgl. BT-Drs. 16/10532, S. 22. 144 Vgl. hierzu ausführlich Henning Rosenau, der letztlich jedoch auch zu dem Ergebnis kommt, dass das Neugeborenenscreening dem Anwendungsbereich des GenDG unterliegt, Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/ Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 75 ff. 145 Siehe Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/Engel/ Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 75 ff.; strittig ist dabei im Besonderen, inwiefern das Neugeborenen-Screening unter den Arztvorbehalt des Gendiagnostikgesetzes zu subsumieren ist. Die h. M. argumentiert wie folgt: „Da es sich beim Neugeborenen-Screening um genetische Untersuchungen handelt, gilt der Arztvorbehalt. Die Kinder-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sehen vor, dass die Eltern (Personensorgeberechtigten) des Neugeborenen vor der Durchführung des Screenings eingehend und mit Unterstützung eines vorgegebenen Informationsblattes durch den verantwortlichen Arzt (§ 7 Abs. 1 GenDG) aufzuklären sind. Nach § 7 Abs. 1 GenDG gilt für den Fall, dass die Geburt durch eine Hebamme oder einen Entbindungspfleger verantwortlich geleitet wurde, dass die Hebamme oder der Entbindungspfleger für die Durchführung des Neugeborenen-Screenings verantwortlich ist und in gegenseitigem Einvernehmen einen verantwortlichen Arzt benennen soll. Ist eine Benennung ausnahmsweise nicht möglich, hat die Hebamme oder der Entbindungspfleger das Screening in eigener Verantwortung durchzuführen, wenn die Rückfragemöglichkeit an einen Arzt gewährleistet ist. Nur in diesem Ausnahmefall kann auch die Aufklärung durch die Hebamme oder den Entbindungspfleger erfolgen, die/der die Geburt verantwortlich geleitet hat (vgl. § 4 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 der Anlage 2 der KinderRichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss, BAnz. Nr. 40 (S. 1013) vom 11.3.2011).“ Siehe auch Tätigkeitsbericht der Gendiagnostik-Kommission (GEKO), 12. April 2013, S. 16, 17. Eine gesetzliche Klarstellung wäre jedoch wünschenswert, vgl. Scherrer, GenDG, S. 264.
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stimmen lässt, viele Handlungen durch die Krankheit vorgezeichnet sind und die Freiräume für Entscheidungen verschwindend gering werden können“.146 Moderne, humangenetische Forschungserkenntnisse treffen dabei nicht nur prädiktive Aussagen über den Untersuchten selbst, sondern auch über das Erkrankungsrisiko genetisch mit ihm verwandter Personen.147 Im Folgenden seien die Erbkrankheiten, die einen besonderen genetischen Drittbezug aufweisen, in der gegebenen Kürze aufgezeigt. a) Chromosomenaberrationen Chromosomen unterscheiden sich grundsätzlich in ihrer Größe, der Anzahl der enthaltenen Gene sowie deren Dichte.148 Kommt es zu einem Verlust oder Gewinn einer chromosomalen Materialmenge, wird meist die zelluläre Balance mehrerer Gene gestört.149 Oftmals rufen einwirkende exogene Noxen, wie ionisierende Strahlung oder chemische Substanzen, Chromosomendefekte hervor.150 Dabei ist insbesondere zwischen zwei Defekt arten zu unterscheiden: Numerische Chromosomenaberrationen entstehen aufgrund einer Fehlverteilung der Chromosomen.151 Demgegenüber treten bei strukturellen Chromosomenaberrationen Veränderungen der chromosomalen Struktur innerhalb eines oder verschiedener Chromosomen auf.152 Vorherrschend rufen sog. Non-Disjunctionen (Nicht-Trennungen der Chromosomen) während der Keimteilung numerische Chromosomenaberrationen hervor.153 Grundlegend unterteilen sie sich in: • Aneuploidien: Einzelne Chromosomen liegen in den entstehenden Tochterzellen nur einfach vor (Monosomie) oder ergänzen mit mehr als zwei homologen Chromosomen den diploiden154 Satz der Zellen (z. B. Trisomie); 146 Vgl. Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 39. 147 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 163 f. 148 Siehe DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 11. 149 Vgl. DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 11. 150 So Speicher, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 180. 151 Siehe DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 11; Speicher, in: Murken/ Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 181. 152 Siehe Speicher, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 181; DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 11. 153 Vgl. Speicher, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 181 ff.; DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 11. 154 Diploidie meint das Vorhandensein eines zweifachen Chromosomensatzes in einer somatischen Zelle mit 22 autosomalen Paaren und den Geschlechtschromosomen XX bzw. XY, vgl. Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 123.
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• Polyploidien: Der gesamte, diploide Chromosomensatz ist vervielfältigt.155 Wie auch die Aneuploidien beruhen Polyploidien auf einer fehlenden Auftrennung der Chromosomen bzw. Chromatiden während der meiotischen Zellteilung oder den ersten postmeiotischen Mitosevorgängen der befruchteten Eizelle.156 Häufig sind sie Ursache für Spontanaborte – werden die Feten jedoch geboren, sterben auch sie meist unmittelbar nach der Geburt.157 Unter den numerischen Chromosomenabweichungen stellt die „Trisomie 21“, auch „Down-Syndrom“ genannt, die wohl häufigste Ursache geistiger Retardierung dar.158 Bemerkenswert ist dabei der hohe Sozialquotient der Kinder, der durch eine frühkindliche Förderung die psychomotorischen Entwicklungschancen der Kinder entscheidend verbessern, und eine betreute Integration in das Sozialleben ermöglichen kann.159 Dennoch wird durch das trisomische Spektrum an klinischen Symptomen deutlich,160 dass prädiktive, genetische Informationen in die Familienplanung einfließen können. Demzufolge vermag auch das Wissen um eine diesbezügliche genetische Disposition zu persönlichen Konflikten innerhalb der Familie führen. b) Monogen bedingte Krankheiten Wie belastend eine gendiagnostische Prognose sein kann, zeigen Krankheiten, die sicher prognostiziert werden können und keiner Behandlung zugänglich sind161. In die Gruppe dieser nicht-therapierbaren Erkrankungen mit vollständiger Penetranz zählt Chorea Huntington. Die autosomal-domi155 Vgl. Hennig, Genetik, S. 486; Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 123 f.; Speicher, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 183. 156 Siehe Ferdinand, Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik, S. 8 ff.; Fanghänel, in: Sinowatz/Seitz/Bergmann/Petzoldt/Fanghängel, Embryologie des Menschen, S. 331 ff.; Speicher, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 168, 183; Moore/Persaud, Embryologie, S. 165 ff. 157 Vgl. Fanghänel, in: Sinowatz/Seitz/Bergmann/Petzoldt/Fanghängel, Embryologie des Menschen, S. 331 ff.; Speicher, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 168, 183; Ferdinand, Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik, S. 8 ff.; Moore/Persaud, Embryologie, S. 165 ff. 158 Vgl. Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 33 f.; Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 133. 159 So Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 34; Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 133 f. 160 Die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen mit Down-Syndrom liegt aufgrund der sozialen Einbindung und einer optimierten medizinischen Versorgung bei fast 60 Jahren, vgl. Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 26; Glasson et al., The changing survival profile of people with Down’s Syndrome: implications for genetic counseling, Clinical Genetics, 2002, S. 390 ff. 161 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 163 ff.
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nant162 vererbte Huntington-Erkrankung tritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zwischen dem 35. und 55. Lebensjahr ein und führt zu fortschreitendem körperlichen Bewegungsstörungen.163 Chorea Huntington kann zu einer vollkommenen muskulären Unfähigkeit, zum geistigen Verfall bis hin zur Demenz führen – am Ende des bis zu 20-jährigen Siechtums steht der Tod.164 Benannt ist sie nach George Huntington, der 1872 eine nordamerikanische Familie mit diesem Phänotyp beschrieb.165 Eine Muta tion des expandierenden CAG-Triplett-Repeats in Exon 1 des HuntingtonGens (IT 15 Gen) verhindert die intakte Expression des dazugehörigen Huntingtin-Proteins und führt zu den typischen, unheilbaren neurodegenerativen, psychischen und kognitiven Veränderungen.166 Wie Chorea Huntington wird auch die myotone Dystrophie autosomaldominant vererbt.167 Sie führt zu progredienter Schwäche und Lähmung größerer Muskelpartien.168 Die genetische Ursache ist ein Trinukleotid-Repeat-Defekt (CTG), der im nicht-translatierten 3’-Bereich des DystrophiaMyotonica-Protein-Kinase-Gens (DMPK-Gen) auftritt.169 Neben der Muskulatur können auch andere Organe von der Multisystemerkrankung betroffen sein: Intelligenzminderungen werden in 30 % der Fälle nachgewiesen.170 Die Mortalität ist im Gegensatz zur Huntington-Erkrankung im neonatalen Stadium besonders hoch – eine spätere Manifestation der Erkrankung verkürzt die Lebenserwartung hingegen nur geringfügig.171 Doch gerade die hohe Sterblichkeit während der ersten Lebensmonate kann im Falle einer 162 Bei einem dominanten Erbgang zeigt sich das Merkmal bereits dann, wenn eines der beiden homologen Chromosomen eines Individuums die Mutation trägt; in der Regel ist mindestens ein Elternteil bereits von der Krankheit betroffen, und die Mutation wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent auf das Kind übertragen, vgl. Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 20. 163 Die Manifestationswahrscheinlichkeit liegt im Fall von Chorea Huntington bei fast 100 % zwischen dem 4. und dem 5. Lebensjahrzehnt, siehe Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 4 ff.; DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 21. 164 Vgl. Buchborn, Konsequenzen der Genomanalyse für die ärztliche Aufklärung in der prädiktiven Medizin, MedR 1996, S. 441 (443). 165 Vgl. Grimm/Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 280. 166 Vgl. Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 468; Grimm/Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 280. 167 Siehe Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 427 ff. 168 So Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 427 ff. 169 Vgl. Grimm/Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 283. 170 Vgl. Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 428; Grimm/Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 283. 171 Siehe Grimm/Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Human genetik, S. 285; Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 428.
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Diagnosestellung eine erhebliche emotionale Herausforderung der Familien bedeuten.172 Dies verdeutlicht ein Fall aus den Vereinigten Staaten von Amerika wie folgt: Ein 20-jähriger College-Student wird in Wyoming, USA, tot in seinem Schlafsack aufgefunden. Eine umfassende Obduktion, einschließlich Untersuchungen auf denkbare Drogen oder Giftstoffe, ergibt keine erkennbare Ursache. Zwei Jahre später erleidet auch die 19-jährige Schwester des Toten einen Herzstillstand. Sie kann wiederbelebt werden und beendet trotz Hirnschädigung das College, heiratet und bringt einen Sohn zur Welt. Doch im Alter von 29 Jahren wird auch sie tot aufgefunden. Die Ursache bleibt zunächst unklar.173
Das zugrundeliegende Krankheitsbild bezeichnet man als familiäres Long-QT-Syndrom (LQTS). Es geht mit Schwächeanfällen und dem plötzlichen Herztod einher: Betroffene zeigen Prädispositionen für Kammerflimmern und lebensbedrohliche Arrhythmien.174 Im Falle des verstorbenen US-Amerikaners konnte bei 37 Familienmitgliedern eine Mutation im HERG-Gen nachgewiesen werden, die den Natriumtransport durch die Membran der Herzmuskelzelle reguliert.175 Aufgrund der verwandtschaft lichen Geninformation konnten die übrigen Familienmitglieder mit BetaBlockern und externen Defibrillatoren behandelt werden: Es traten keine weiteren Todesfälle auf.176 Auch CADASIL177 ist eine monogen vererbte Erkrankung, die zu familiär gehäuften Schlaganfällen im mittleren Lebensalter führen kann.178 Die Tücke der Arteriopathie liegt darin, dass das wichtigste Frühsymptom von CADASIL in Form migräneartiger Kopfschmerzen auftritt, die für die beschriebenen Gefäßveränderungen charakteristisch sind.179 Aufgrund des ge172 25 % der betroffenen Kinder versterben in den ersten 18 Lebensmonaten, vgl. Grimm/Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 285; Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 428. 173 Vgl. Collins, Personalisierte Medizin, S. 20 ff. 174 Anschauliche Illustrierung des LQTS, siehe auch Collins, Personalisierte Medizin, S. 20 ff. 175 So Collins, Personalisierte Medizin, S. 20 ff. 176 Vgl. Collins, Personalisierte Medizin, S. 20 ff. 177 Die englische Abkürzung CADASIL steht für Cerebral Autosomal Dominant Arteriopathy with Subcortical Infarcts and Leukoencephalopathy – zerebrale autosomal-dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie. 178 Genetisch bedingt wird die Mikroangiopathie der hirnversorgenden Blutgefäße durch eine Mutation des NOTCH3-Gens auf Chromosom 19; Joutel et al., Notch3 mutations in CADASIL, a hereditary adult-onset condition causing stroke and dementia, Nature 1996, S. 707 ff.; mit weitergehenden Informationen: http://de. wikipedia.org/wiki/CADASIL [letzter Aufruf am 03.04.2014]. 179 Joutel et al., Notch3 mutations in CADASIL, a hereditary adult-onset condition causing stroke and dementia, Nature 1996, S. 707 ff.; mit weitergehenden Informationen: http://de.wikipedia.org/wiki/CADASIL [letzter Aufruf am 03.04.2014].
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häuften Auftretens migräneartiger Kopfschmerzen in der Bevölkerung wird CADASIL allerdings zumeist erst nach einem stattgehabten Hirninfarkt diagnostiziert. Einen früheren Aufschluss über das Auftreten der autosomal-dominant vererbten Krankheit ermöglicht lediglich eine familiäre molekulargenetische Diagnostik. Doch wie bei Chorea Huntington ist auch hier bislang keine wirksame Therapie bekannt. Vielmehr schreitet die CADASIL-Erkrankung ungehindert fort: Kleine Schlaganfälle wiederholen sich und führen durch die Schädigung der weißen Hirnsubstanz schließlich zur Demenz.180 Gegenteilig verhält es sich mit der autosomal-rezessiv vererbten Phenylketonurie (PKU). Unbehandelt führt die Allelmutation zu schweren Entwicklungsstörungen, verbunden mit Krampfanfällen und geistiger Einschränkung.181 Erkennt man die Krankheit jedoch frühzeitig, kann eine phenylalaninarme Diät pathologische Krankheitssymptome verhindern.182 In gleicher Weise ist auch das Adrenogenitale Syndrom (AGS) therapierbar. Bedingt durch einen autosomal-rezessiv übertragenen Enzymdefekt führt die Unfähigkeit der körpereigenen Cortisol-Synthese bei Knaben zur vorzeitigen Pubertät.183 Bei Mädchen tritt eine „Vermännlichung“ ein – zunächst mit überschießendem Wachstum, das schließlich zum Wachstumsstillstand führt.184 Auch dieser endogene Hormonmangel kann bei einer frühzeitigen Erkennung durch die Substitution von Cortisol vollständig kompensiert werden.185
180 Siehe Joutel et al., Notch3 mutations in CADASIL, a hereditary adult-onset condition causing stroke and dementia, Nature 1996, S. 707 ff.; überdies http:// de.wikipedia.org/wiki/CADASIL [letzter Aufruf am 03.04.2014]. 181 Vgl. Propping, Vom Genotyp zum Phänotyp, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen, S. 90 ff.; Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 85 ff. 182 Im Falle der Tetrahydrobiopterin (BH4)-responsiven Form der PKU wird zudem BH4 verabreicht, siehe Muntau et al., Tetrahydrobiopterin as an Alternative Treatment for Mild Phenylketonuria, http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJ Moa021654, [letzter Aufruf am 28.12.2014] und Propping, Vom Genotyp zum Phänotyp, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen, S. 90 ff. 183 Vgl. Muntau, Intensivkurs Pädiatrie, S. 85 ff.; Propping, Vom Genotyp zum Phänotyp, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen, S. 90 ff. 184 Siehe Propping, Vom Genotyp zum Phänotyp, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen, S. 90 ff. 185 Siehe Propping, Vom Genotyp zum Phänotyp, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen, S. 90 ff.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
c) Angeborene Stoffwechselstörungen Ein 20-Jähriger fällt „unerwartet ins Koma und stirbt. [S]ein Arzt erkennt eine über das X-Chromosom erbliche Stoffwechselstörung der Leber als Ursache und erklärt der Mutter, an dem Defekt könnten auch die heranwachsenden Söhne ihrer beiden Schwestern erkranken.“186
Zu Beginn dieser Arbeit wurde der Fall eines jungen Franzosen geschildert, der an einer angeborenen hepatischen Stoffwechselstörung erkrankt war und daran verstirbt. Bei dem zugrunde liegenden Krankheitsbild handelt es sich um eine der weltweit häufigsten Stoffwechselstörungen, die autosomal dominante Hypercholesterinämie (ADH).187 Verursacht wird deren klassische Form bei über 80 % der Betroffenen durch Mutationen im LDLRezeptor Gen188, die Xanthelasmen und Xanthome an den Strecksehnen der Finger und Achillessehnen hervorrufen.189 Als Hauptkomplikation ist der frühzeitige Herzinfarkt gefürchtet, der meist bei Männern im mittleren Alter von 45 Jahren, bei Frauen etwa zehn Jahre später, auftritt.190 Gleichwohl leben auch viele Patienten bis ins hohe Alter symptomfrei.191 Tritt jedoch bei beiden Eltern ein heterozygoter LDL-Rezeptor-Defekt auf, und werden dadurch homozygot betroffene Kinder geboren, so können diese bereits im frühesten Kindesalter extreme Hypercholesterinämien mit Werten bis zu 1000 mg / dl entwickeln und multiple (!) Myokardinfarkte erleiden.192 186 Stollorz, Mehr als nur ein Familiengeheimnis, FAZ vom 30.06.2010, http:// www.faz.net/s/Rub268AB64801534CF288DF93BB89F2D797/Doc~E4CE617A52F6 14754ACB762D5C71CD268~ATpl~Ecommon~Scontent.html [letzter Aufruf am 08.11.2013], siehe auch Albrecht, „Habe auch den Defekt“, Der Spiegel 46/2012, S. 138, http://magazin.spiegel.de/reader/index_SP.html#j=2012&h=46&a=89571166, [letzter Aufruf am 28.04.2013]. 187 Vgl. Utermann, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 496 f. 188 Das LDL-Protein (LDL für low density lipoprotein receptor) ist ein sog. Membranrezeptor, der die spezifische Bindung des Apoproteins 100, einen Proteinanteil der Nahrungsfette, vermittelt, vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/LDL-Rezeptor [letzter Aufruf am 07.05.2013]. 189 Bei Xanthelasmen (griechisch ξανθός, xanthos = gelb und τὸ ἔλασμα, elasm) = die Platte) handelt es sich um scharf begrenzte Fett- oder Cholesterineinlagerungen in der Haut, vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Xanthelasma [letzter Aufruf am 07.05.2013]; Xanthome stellen in der Regel harmlose, orange-gelblich schimmernde, knoten- oder plaqueartige Fettablagerungen der Haut dar, vgl. http://de.wikipedia. org/wiki/Xanthom [letzter Aufruf am 07.05.2013]; Utermann, in: Murken/Grimm/ Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 496 f. 190 Siehe Utermann, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 496 f. 191 Vgl. Utermann, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 496 f. 192 Vgl. Utermann, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 497.
§ 2 Medizinische Grundlagen61
d) Multifaktoriell bedingte Stoffwechselstörungen Indessen sind die Ursachen anderer Stoffwechselstörungen oftmals multifaktoriell bedingt und die Übergänge fließend: Die Penetranz193 eines Gens kann herabgesetzt sein,194 obgleich ein Hauptgen oder eine mögliche genetische Variante vorhanden ist. Typische Multifaktoren, die auf die Gesamtexpression eines Gens einwirken, sind beispielsweise das Gewicht, die Größe des Körpers, der Blutdruck, die Medikamenteneinnahme oder auch individuelle intellektuelle Voraussetzungen.195 Eine familiäre Aggregation kann nicht immer als Hinweis auf genetische Faktoren geführt werden: Auch familiäre Umweltfaktoren (z. B. vergleichbare Ernährungsgewohnheiten bei erhöhter Inzidenz von Herzinfarkt oder Schlaganfällen) fließen in eine positive Familienanamnese ein.196 Die „Volkskrankheit“ Diabetes mellitus (DM) zählt zu den multifaktoriellen Erkrankungen. Das Krankheitsbild wurde aufgrund seiner ethnischen Variabilität und der Unerklärbarkeit seines Erscheinungsbildes 1976 noch als „geneticists’ nightmare“ betrachtet.197 Mittlerweile sind die Krankheitsätiologie geklärt, und drei Diabetes-Arten bekannt: Der Typ I oder insulindependent Diabetes (IDDM) im Adoleszenzalter, der Typ II bzw. nicht-insulinabhängige Diabetes (NIDDM), der meist im späteren Alter auftritt, und schließlich der maturity-onset diabetes of youth (MODY-Diabetes) Anfang des 20. Lebensjahres198. „Die hohe Konkordanz von 90 % bei eineiigen Zwillingen für den nicht-insulinabhängigen Diabetes mellitus (NIDDM) und die signifikant höhere Diskordanz bei insulinabhängigem Diabetes mellitus 193 „Die Penetranz wird angegeben in Prozent der Häufigkeit, in der ein Gen sich im Phänotyp manifestiert; vollständige Penetranz: Die Penetranz beträgt 100 %, d. h. ein Gen bewirkt immer die Ausprägung des Merkmals, dessen Information es trägt; unvollständige Penetranz: Die Penetranz liegt unter 100 %.“ Siehe Grimm, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 248. 194 Vgl. Utermann, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 49 ff.7. 195 Bedeutende genetische Erkrankungen, die durch multifaktorielle Faktoren bedingt werden, sind unter anderem Arteriosklerose, Herzinfarkt, Adipositas (Fettleibigkeit), Diabetes mellitus Typ 2, ferner Bluthochdruck, das metabolisches Syndrom, bipolare Gemütsstörungen oder Morbus Alzheimer; vgl. Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 24 ff.; Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 226, 236 ff. 196 Vgl. Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 226 ff.; Utermann, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 357 ff. 197 James v. Neel, ein amerikanischer Genetiker, prägte diesen Begriff. Er verdeutlicht die ursprüngliche Problematik in der Beurteilung der genetischen Hintergründe aufgrund einer besonderen heterogenen Krankheitsätiologie, siehe Busel maier/Teriverdian, Humangenetik, S. 235, 236. 198 Vgl. Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 236.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
(IDDM) weist [dabei] darauf hin, dass bei Typ-II-Diabetes der genetische Einfluss größer als bei Typ-I ist.“199 Auch Morbus Alzheimer ist auf eine multifaktorielle Ätiologie zurückzuführen: Familiäre und sporadische Fälle unterscheiden sich durch Allelkombinationen, die mutieren, in früh- oder spätauftretende Formen (early- or late-onset disease).200 Das Ergebnis ist ein stetiger Verlust von Neuronen, die amyloidhaltige Plaques-Ablagerungen „verdrängen“.201 Als klinisches Erscheinungsbild werden im Besonderen der progrediente Gedächtnisverlust sowie die fortschreitende Beeinträchtigung kognitiver und auch emotionaler Fähigkeiten beschrieben.202 Dies verdeutlicht abermals, dass eine diagnostizierte Morbus Alzheimer Erkrankung in der Familie sowohl für die betroffenen Patienten als auch deren Angehörige zu einer erheblichen persönlichen Belastung führen kann. Gleichwohl gibt es auch sporadisch auftretende Krankheiten – wie die Tuberöse Sklerose, die nur „minimal“ vorhersehbar sind: Obgleich zwei autosomal-dominante Genloci erforscht sind, konnte deren kausaler Zusammenhang nicht abschließend geklärt werden.203 „In 80 % der Fälle tritt die Krankheit […] sporadisch auf [und] führt bei[m Eintritt des pathologischen] Vollbild[es] oft schon im Kindesalter zum Tod.“204 Die statistische mittlere Lebenserwartung ist reduziert. Die Symptome äußern sich durch vielfältige Tumore in Leber, Lunge, Milz, Niere oder Herz: „Das Krankheitsbild ist heterogen, die Penetranz hoch, aber nicht vollständig und die Expressivität äußerst variabel.“205 Die Variabilität der auftretenden Krankheitswahrscheinlichkeiten erschwert insoweit eine juristische Einordnung. 199 Ein vergleichbarer Ansatz führte zur Identifizierung einer der häufigsten für den Myokardinfarkt prädisponierenden Hyperlipidämieformen, der familiären Hyperlipidämie, vgl. Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 235 (236); T. Grimm, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 372. 200 Die Manifestationswahrscheinlichkeit liegt im Fall von Alzheimer bei heterozygoten APOE4-Trägern bei 6–13 % ab dem 6. Lebensjahrzehnt und bei 20 % für über 80-Jährige, vgl. Bundesärztekammer, Richtlinie zur prädiktiven, genetischen Diagnostik, http://www.bundesaerztekammer.de/bericht2002-2003/pdf/130510.pdf [letzter Aufruf am 10.05.2013]; Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 234 f. 201 Vgl. Bundesärztekammer, Richtlinie zur prädiktiven, genetischen Diagnostik, http://www.bundesaerztekammer.de/bericht2002-2003/pdf/130510.pdf [letzter Aufruf am 10.05.2013]; Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 234 f. 202 Vgl. Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 234 f. 203 Vgl. Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 42 f. 204 Vgl. Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 42 f. 205 Vgl. Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 42 f.
§ 2 Medizinische Grundlagen63
e) Genetisch bedingte Tumorerkrankungen Im Bereich der Onkologie sind 2–5 % der bislang erforschten Erkrankungen mit einer familiären Prädisposition beschrieben.206 Sog. Onkogene207 und Tumorsuppressorgene208 mutieren und stören die Regulation der gesunden Zelle in der Weise, dass die Zellteilung und / oder die Lebenszeit der Zellen beschleunigt bzw. verlängert wird.209 Dabei tragen ein geschwächtes Immunsystem, Viruserkrankungen oder äußere Umwelteinflüsse, wie eine regelmäßige Exposition gegenüber Giftstoffen, wesentlich zu genetischen Fehlfunktionen bei und akzelerieren insoweit die Tumorpathogenese.210 Als häufigste tumorbedingte Todesursache bei Frauen ist das Mammakarzinom mit einer erblichen Disposition assoziiert: 5 % aller Brustkrebspatientinnen leiden unter einer Mutation des BRCA1- oder des BRCA2-Genes.211 Frauen mit Mutationen in BRCA1 erkranken bis zum 70. Lebensjahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 50–80 % an Brustkrebs – zugleich treten frühzeitig und familiär gehäuft Ovarialtumore mit einer Manifestationswahrscheinlichkeit bis zu 40 % auf.212 Im Gegensatz zum Mammakarzinom imponiert die Erkrankung der familiären Polyposis coli (FAP) durch eine Vielzahl an Adenomen (Polypen) im Dickdarm, die bereits in der Jugend oder im jungen Erwachsenenalter auftreten.213 Verursacht wird das kanzerogene Krankheitsbild durch eine Keim206 Vgl. Hennig, Genetik, S. 752 f.; Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/HolinskiFeder/Zerres, Humangenetik, S. 513 ff. 207 „Als Onkogene bezeichnet man Gene, die auf die Zellvermehrung so stark aktivierend einwirken, dass ein Tumor entstehen kann. Solange diese Gene nicht mutiert sind, sondern ihre normale Funktion […] ausüben, nennt man sie Protoonkogene“, siehe Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 514. 208 Unter Tumorsuppressorgenen sind wachstumshemmende Gene zu verstehen; werden sie durch Mutationen deletiert oder inaktiviert, können die entsprechenden Zelltypen eine dauerhafte Teilungsfähigkeit erlangen und zu onkogenen Zellen werden, so auch Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 514. 209 Vgl. Hennig, Genetik, S. 752 f.; Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/HolinskiFeder/Zerres, Humangenetik, S. 513 ff. 210 Vgl. Hennig, Genetik, S. 752 f.; Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/HolinskiFeder/Zerres, Humangenetik, S. 513 ff. 211 „Das Gen liegt auf Chromosom 17q21, neben seiner Funktion in der DNSReparatur ist es auch an der Regulation der Zellteilung [involviert]“, vgl. HolinskiFeder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 527 f. 212 Vgl. Hennig, Genetik, S. 752 f.; Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/HolinskiFeder/Zerres, Humangenetik, S. 527 ff. 213 Siehe Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 529 ff.
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bahnmutation im APC-Gen.214 Allerdings kann das Erkrankungsalter bei ein und derselben Genmutation stark variieren. Therapeutisch ist die FAP zwar durch eine frühzeitige präventive Entfernung des Dickdarms zu kurieren – allerdings nur, wenn die Diagnose im jungen Erwachsenenalter gestellt wird.215 Im Falle des erblich bedingten Brustkrebses gilt dies gleichermaßen eingeschränkt.216 Seit Einführung des BRCA-Gentests wurden zahlreiche Beobachtungsstudien veröffentlicht.217 Diese belegen in Zusammenhang mit der Brustamputation der Schauspielerin Angelina Jolie deutlich: „Wer wie Jolie den Gendefekt trägt und sich noch frühzeitig als Gesunde das Brustgewebe entfernen lässt, senkt die Wahrscheinlichkeit auf einen Tumor drastisch – in ihrem Fall von 87 auf 5 Prozent.“218 Die tägliche Angst vor Krebs – auch das lässt sich zeigen – kann den Frauen aber nur teilweise genommen werden: Sie sinkt nach Brustamputation bei den meisten – zufrieden mit dem Ergebnis, ob mit Brustprothese oder ohne Brüste, sind allerdings nur wenige.219
III. Anwendungsbereiche der modernen Gendiagnostik „Früher ging man“ – so Ernst Peter Fischer – „bekanntlich zum Arzt, wenn man krank war, und er machte eine Prognose, wann man wieder gesund sein würde.“220 Heute geht man zum Arzt, solange man noch gesund ist, und er trifft eine Vorhersage, ob und wann man krank wird.221 Die an214 Vgl. Holinski-Feder, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 529 ff. 215 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 195 f. 216 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 195 f. 217 Siehe u. a. Francke et al., Dealing with the unexpected: consumer responsed to direct-access BRCA mutation testing, Peer J 2013, 1: e8; Berliner/Fay, Risk assessment and genetic counseling for hereditary breast and ovarian cancer: recommendations of the National Society of Genetic Counselors. J Genet Couns 2007, S. 241 ff. 218 Siehe auch Müller-Jung, Jolies Brustamputation – Kleine Narben, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 14.05.2013, http://www.faz.net/aktuell/wissen/joliesbrustamputation-kleine-narben-12182499.html [letzter Aufruf am 19.08.2013]. 219 Siehe auch Müller-Jung, Jolies Brustamputation – Kleine Narben, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 14.05.2013, http://www.faz.net/aktuell/wissen/joliesbrustamputation-kleine-narben-12182499.html [letzter Aufruf am 19.08.2013]. 220 Fischer, Die Expedition ans Ende der Anatomie, in: Dierks/Wienke/Eberbach/ Schmidtke/Lippert (Hrsg.), Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, 2003, S. 5 (20). 221 Vgl. Fischer, Die Expedition ans Ende der Anatomie, in: Dierks/Wienke/Eberbach/Schmidtke/Lippert (Hrsg.), Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, 2003, S. 5 (20); vgl. Eberbach, MedR 2010, S. 155 (162); vgl. auch D. Ganten, Evolutionäre Medizin – Evolution der Medizin, 2009, S. 10.
§ 2 Medizinische Grundlagen
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gewandte humangenetische Beratung hat in der Vergangenheit mehrfach einen Paradigmenwandel durchlaufen: Nach einer vorwiegend eugenisch geprägten Zielsetzung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden präventive Aussagen mit Beginn der 1960er-Jahre zum vorherrschenden Ziel der Diagnostik.222 In zunehmendem Maße ist die Humangenetik dabei durch eine nicht-direktive Beratung charakterisiert.223 Sie soll eine individuelle Entscheidung inmitten eines persönlichen Kommunikationsprozesses ermöglichen. In Abhängigkeit der genetischen Fragestellung und Indikation lassen sich im hier interessierenden Kontext die präkonzeptionelle genetische Beratung (1.), die Präimplantationsdiagnostik (2.), die pränatale (3.), die postnatale (4.) sowie die prädiktive (5.) genetische Diagnostik unterscheiden. 1. Genetische Präkonzeptionsdiagnostik Die präkonzeptionelle genetische Untersuchung zielt darauf auf, eine genetische Veranlagung von Mutter und / oder Vater vor der Zeugung zu erkennen, und insoweit die genetische Belastung des Kindes auszuschließen.224 Bislang wurden präkonzeptionelle Anlageträgertests vorwiegend für eine oder wenige Erbkrankheiten angeboten.225 Die Tests konzentrierten sich auf Personen mit einem erhöhten Risikoprofil, das sich in der Familiengeschichte oder der Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe begründet sah.226 Durch die Entwicklung sog. genetischer Hochdurchsatz-Technologien und die damit verbunden Kostensenkung eröffnet die Präkonzeptionsdiagnostik zunehmend die Möglichkeit, genetische Risikofaktoren bereits vor der Zeugung zu untersuchen.227 Mit der Zahl der gescreenten Genorte steigt aber auch die Wahrscheinlichkeit, krankhafte genetische Veränderungen zu entdecken.228 Neue Herausforderungen für den Umgang mit prädik222 Vgl. Murken/Zerres, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 383 f.; Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 296. 223 Vgl. Murken/Zerres, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 383 ff. 224 So Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 61 f. 225 Vgl. Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 61 ff. 226 Siehe Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 61 ff. 227 Auch in Deutschland steigt die Zahl der gendiagnostischen Privatunternehmen; bereits heute bietet die Firma bio.logis Test für über 20 Krankheiten zum direkten Verkauf an den Kunden an, vgl. https://www.bio.logis.de/pgs/produktnutzen/ carrier-status [letzter Aufruf am 25.05.2013]; Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 62. 228 Siehe Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 296 f.; Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 62 f.
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tiven genetischen Informationen und die Beratung von Paaren, die eine solche Diagnostik für sich beanspruchen, drängen sich auf. 2. Genetische Präimplantationsdiagnostik Die Präimplantationsdiagnostik (PID) bietet zunächst eine Option für Paare mit erhöhtem Risiko für Erberkrankungen.229 Voraussetzung ist die künstliche Zusammenführung von Ei- und Spermienzelle durch eine Invitro-Fertilisation (IVF). Im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik werden Zellbestandteile oder Zellen entnommen und auf Chromosomenanomalien oder krankheitsrelevante Mutationen getestet.230 In der Regel richtet sich die Diagnostik auf embryonale Zellen ab dem fünften Tag nach der Befruchtung, die nicht toti-, sondern pluripotent sind.231 Embryonen, die keine patho-genetische Prädisposition aufweisen, werden anschließend für die Übertragung in den Uterus der Frau selektiert: Technisch ermöglicht die PID, „über [eine] eingeschränkte Indikation hinaus auch weitere umfangreiche genetische Daten zu dem in vitro vorhandenen Embryo zu generieren; theo retisch könnte die Analyse in Zukunft [selbst] auf die Sequenzierung des gesamten Genoms ausgedehnt werden.“232 3. Genetische Pränataldiagnostik Die pränatale genetische Diagnostik untersucht Chromosomenstörungen und genetische Veränderungen spezifischer Gene des sich entwickelnden Kindes vor der Geburt.233 Derzeit werden hierzu vor allem die Chorionzotten-Biopsie, die Amniozentese sowie nicht-invasive (transvaginale oder transabdominale) Ultraschall-Untersuchungen angewandt.234 Ferner können neu entwickelte, nichtinvasive Verfahren (sog. nichtinvasive pränatale Gendiagnostik, NIPD) mittels Blutentnahmen bei der Mutter eine geringe Menge zellfreier DNS und RNS des Fetus analysieren.235 Sie gelangen trotz des Krüger/Berchtold, Der Gynäkologe 2012, S. 65 f. Krüger/Berchtold, Der Gynäkologe 2012, S. 65 f. 231 Siehe BT-Drs. 17/5452, S. 6 sowie Erläuterungen des Bundesministeriums für Gesundheit zur Präimplantationsdiagnostik, http://www.bmg.bund.de/glossarbegriffe/ p-q/praeimplantationsdiagnostik.html [letzter Aufruf am 28.12.2014]. 232 Siehe Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 63. 233 Vgl. Murken/Kainer, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 397 ff.; Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 63 ff. 234 Vgl. Murken/Kainer, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 397 ff.; Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 63 ff. 235 Siehe u. a. Chim et al., Systematic search for placental DNA methylation markers on chromosome 21: toward a maternal plasma-based epigenetic test for fetal 229 So
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durch die Plazenta getrennten Blutkreislaufs von Mutter und Fetus in das Blut der Patientin.236 Auch hier findet die Hochdurchsatz-Sequenzierung zunehmend Anwendung, um mütterliche und embryonale / fetale DNS zu diagnostizieren.237 Dabei zeichnet sich ab, dass die neuen Testverfahren neben den zu screenenden Aberrationen auch weitere Chromosomen-Abweichungen und Krankheiten erkennen können.238 Kritiker befürchten, dass gerade bei Schwangeren ohne besonderes Risiko für die zu untersuchenden Merkmale eine erhöhte Wahrscheinlichkeit eines falsch-positiven Ergebnisses bestünde – also dass der Test eine Beeinträchtigung anzeigt, die nicht vorliegt.239 Insofern könnten sich verunsicherte Patientinnen durch unnötige invasive Untersuchungen und / oder Schwangerschaftsunterbrechungen in einem genetischen „Fahndungsnetz“ verfangen.240
trisomy 21, Clin Chem 2008, S. 500 ff.; Tong et al., 2010, Noninvasive prenatal detection of trisomy 21 by an epigenetic-genetic chromosome-dosage approach, so Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 44 ff. 236 „Eine technische Schwierigkeit des Verfahrens besteht darin, dass im Blut neben den fetalen DNA-Spuren stets auch ein bis zu 20-facher Überschuss an DNABruchstücken der Frau vorhanden ist. Um die genetische Ausstattung des Embryos/ Fetus von derjenigen seiner Mutter zu unterscheiden, kommen epigenetische und genetische Markierungen zur Identifizierung und Auszählung von kindlichen und mütterlichen Sequenzen zum Einsatz.“ So Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 44 ff.: Gegenwärtig befinden sich zahlreiche Varianten dieser Mess- und Auswertungsprinzipien in der Erprobung, vgl. beispielsweise Chim et al., 2008, Systematic search for placental DNA methylation markers on chromosome 21: toward a maternal plasma-based epigenetic test for fetal trisomy 21; Tong et al., Noninvasive prenatal detection of trisomy 21 by an epigenetic-genetic chromosomedosage approach, Clin Chem 2010, S. 90 ff. 237 Studien zeigten, dass dieser Ansatz für die klinische Praxis geeignet ist, vgl. Chiu/Lo, Noninvasive prenatal diagnosis empowered by high-throughput sequencing, Prenatal Diagnosis 2012, S. 405; so Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 44 ff. 238 Vgl. Grötker/Meichsner, Faktencheck Praenatest, Welche Regeln für nichtinvasive vorgeburtliche Gentests? Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 02.05.2013, http://www.faz.net/aktuell/wissen/faktencheck/faktencheck-praenatest-1welche-regeln-fuer-nicht-invasive-vorgeburtliche-gentests-12169473.html [letzter Aufruf am 19.08.2013]. 239 Vgl. Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 44 ff. 240 So Schmitt/Soldt, Bluttest auf Down-Syndrom in Deutschland verfügbar, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 20.08.2012, http://www.faz.net/aktuell/ politik/inland/umstrittener-gentest-bluttest-auf-down-syndrom-in-deutschland-verfueg bar-11862449.html [letzter Aufruf am 19.08.2013]; Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 44 ff.
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4. Genetische Postnataldiagnostik „Im April 2005 wies ein bis dahin gesundes männliches Neugeborenes ab dem 7. Lebenstag intermittierende Schwierigkeiten beim Stillen sowie lethargische Episoden auf. Am Tag 11 erreichte das Baby wieder sein Geburtsgewicht. Am folgenden Tag zeigte es ein graues Hautkolorit und stellte die Aufnahme von Muttermilch ein. Am Tag 13 wurde es tot aufgefunden. Die postmortale Untersuchung ergab, [dass] die Blutkonzentration von Morphin, einem aktiven Metaboliten von Codein, mit 70 ng / ml deutlich erhöht [war]. Der Mutter wurde postpartal ein Kombinationspräparat aus 30 mg Codein und 500 mg Paracetamol zur Schmerzbehandlung bei Zustand nach Episiotomie (Dammschnitt) verordnet. […] Wegen der Schwierigkeiten beim Stillen wurde am Tag 10 Muttermilch aufbewahrt, in der später eine Morphinkonzentration von 87 ng / ml gemessen wurde. Daher wurde eine Analyse auf Cytochrom-P450-Isoenzym 2D6 (CYP2D6) durchgeführt, das die O-Demethylierung von Codein zu Morphin katalysiert. Die Mutter war heterozygot für das CYP2D6*2 A-Allel mit einer 2x2 Genduplikation und wurde als ultraschneller Metabolisierer klassifiziert. Der Großvater mütterlicherseits, der Vater und das Kind wiesen 2 funktionsgemäße CYP2D6-Allele (CYP2D6*1 / 2-Genotypen) auf und wurden als extensive Metabolisierer klassifiziert. Die Großmutter mütterlicherseits war ein ultraschneller Metabolisierer.“241
Eine gendiagnostische Untersuchung nach der Geburt wird regelmäßig zu Zwecken der Prognose und Therapieplanung vorgenommen: Testergebnisse können nicht nur bei Vorliegen einer bestimmten Krankheit Aufschluss über den künftigen Verlauf der Erkrankung geben, sondern auch frühzeitig auf besonders schwere Verlaufsformen oder Komplikationen hinweisen.242 Gleichermaßen besteht die Möglichkeit, Befürchtungen der Betroffenen durch eine Vorhersage milder Verlaufsformen zu entkräften.243 Methodisch kann die genetische Postnataldiagnostik die Zuordnung eines Patienten zu bestimmten Fallgruppen erlauben; eine gezielte Behandlung, die therapeutisch Erfolg verspricht, kann auf diese Weise begonnen – oder aufgrund des genetischen Rezeptorprofils des Einzelnen ausgeschlossen werden.244 Sog. pharmakogenetische Tests oder „Companion Diagnostics“ werden dabei als Monitoring-Verfahren für die Feindiagnostik und Therapieplanung von (Tumor-)Erkrankungen eingesetzt.245 Dabei zeigte die im Rahmen dieser Arbeit 241 Fallkonstellation siehe: Lux/Wärntges/Bergner/Kütting, Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit durch Identifizierung genetisch prädisponierter Patienten, Bundesgesundheitsblatt 2013, S. 1545 (1549), erstmalig publiziert: G. Koren et al., Pharmacogenetics of morphine poisoning in a breastfed neonate of codeine-prescribed mother, Lancet 2006, S. 704. 242 Vgl. Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 66 ff. 243 So Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 66 ff. 244 Vgl. auch: Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 66 ff. 245 Eine mögliche Standardbehandlung des Mamma-Karzinoms besteht aus der täglichen Medikamenteneinnahme des Anti-Östrogens Tamoxifen; allerdings wirkt
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durchgeführte Studie „Personalized Medicine, Gene Diagnostics and Biobanking in the context of privacy of patient information“246 mit der Harvard University in Boston eine deutliche Akzeptanz einer Genotypisierung unter Berücksichtigung der klinischen Behandlungsrelevanz. 35,3 % der Studienpopulation247 würden ihr Genom im Falle eines Tests auf klinisch-relevante Genorte untersuchen lassen („definitely yes“). Weitere 30,9 % der Befragten erklärten sich bereit, möglichenfalls („probably yes“) an einem genetischen Screening auf behandlungsrelevante Genloci teilzunehmen.248 5. Genetische Prädiktivdiagnostik a) Prädiktive genetische Diagnostik bei monogenen Erbkrankheiten Demgegenüber bezeichnet die prädiktive genetische Diagnostik eine Analysemethode, die die Anlageträgerschaft einer spätmanifest werdenden Krankheit untersucht.249 Fehlbildungen, Stoffwechseldefekte oder organische Syndrome lassen sich auf diese Weise für monogene Erbkrankheiten, wie z. B. Chorea Huntington, prognostizieren.250 Bei behandelbaren genetischen Leiden stellt die Prädiktivdiagnostik eine bedeutende Chance für den Patienten dar: Erkrankungen können gelindert oder möglicherweise geheilt werden.251 Bei Krankheiten, wie der Chorea Huntington, die nicht behandelbar und nicht abwendbar sind, kann jede dieses Medikament bei knapp zehn Prozent der Frauen überhaupt nicht, bei ca. 20 Prozent lediglich abgeschwächt, so Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 66 ff.: „Pharmakogenetische Untersuchungen könnten in solchen Fällen dazu beitragen, Fehlbehandlungen zu vermeiden.“ Inzwischen gibt es aber auch spezifische Bluttests für die klinische Pharma kotherapie bei einer limitierten Anzahl anderer Krankheiten (z. B. bei der Behandlung bei Fettstoffwechselstörungen mit Statinen); Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 67. 246 Interdisciplinary Survey, vgl. zu Inhalten, Zielsetzung und Methodik: Kap. § 11. 247 Insgesamt setzte sich die Studienpopulation aus juristischen Experten des Bereichs Medizinrecht sowie medizinischen Mitarbeitern aus spezialisierten Einrichtungen mit Patientenbetreuung und gendiagnostischen Forschungsschwerpunkten zusammen, vgl. Kap. § 11 B. I. 4. 248 Siehe Kap. § 11 B. III. 1. 249 Vgl. Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 337 f. 250 „Monogene Krankheitsanlagen können zu verschiedenen Zeitpunkten untersucht werden, unter anderem auch im Rahmen der bereits oben beschriebenen präkonzeptionellen und pränatalen Tests sowie beim Neugeborenen-Screening, aber auch erst […] nach der Geburt oder im Erwachsenenalter.“ Siehe Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 67 ff. 251 So Murken/Zerres, in: Murken/Grimm/Holinski-Feder/Zerres, Humangenetik, S. 395 ff.; Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 337 f.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
Untersuchung aber grundlegende Probleme aufwerfen.252 Denn für prädik tive, molekulargenetische Tests auf monogene Krankheiten gilt folgendes Paradigma: In Fällen, in denen sich die Ursache-Wirkungs-Beziehung aufgrund einer herabgesetzten Penetranz oder verminderten Expressivität253 zwischen Genotyp und Krankheit verschiebt, besteht die Möglichkeit, dass jedes Testergebnis unvollständig ist.254 Es lässt sich dann nur ein statistisch abgeleitetes Risiko dahingehend ableiten, dass aufgrund eines „positiven“ genetischen Befundes eine Krankheit entstehen könnte.255 Aus dieser Unsicherheit ergeben sich aber bei einer genetischen Beratung nicht nur für den Untersuchten, sondern auch für den behandelnden Arzt oder Humangenetiker Konfliktsituationen.256 b) Prädiktive genetische Diagnostik bei multifaktoriell bedingten Krankheiten Auch bei multifaktoriellen Erkrankungen führt die Ermittlung eines bestimmten Genotyps oftmals nicht zur sicheren Diagnose der Krankheit.“257 Eine Vielzahl an Genorten für multifaktorielle Merkmale soll mit DNSChips anhand einer genomweiten Assoziationsanalyse (GWAS) erforscht werden, um einen statistisch signifikanten Einfluss des Genotyps auf den jeweiligen Phänotyp zu prädizieren.258 Eine sichere Diagnose erscheint aufgrund der Vielzahl der Einflussfaktoren bislang aber noch nicht möglich.259 Insgesamt gestaltet sich die Bewertung prädiktiver Diagnostik je nach Krankheit und Untersuchungsziel ambivalent. Die bisherigen Ergebnisse der Forschung zeigen, dass im Falle multifaktoriell bedingter Krankheiten meist 252 Vgl. Siedenbiedel, Meine Gene, meine Zukunft, FAZ vom 18.05.2013, http:// www.faz.net/aktuell/wirtschaft/gesundheitsvorsorge-meine-gene-meine-zukunft-1218 7574.html [letzter Aufruf am 07.11.2013]. 253 Expressivität bedeutet in diesem Kontext, dass eine unterschiedliche Ausprägungsstärke eines Phänotyps bei gleichem Genotyp auftreten kann, vgl. Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 67 ff. 254 Vgl. Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 67 ff. 255 Siehe Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 337 f.; Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 67 ff. 256 Vgl. Buselmaier/Teriverdian, Humangenetik, S. 337 f.; Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 67 ff. 257 Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 69 ff. 258 So besteht ein Ziel der GWAS darin, durch den Vergleich des Erbguts von Kranken und Gesunden in ihren single nucleotide polymorphisms (SNPs) die genetischen Gründe für die familiäre Häufung von Tumoren zu finden, vgl. http://www. aerzteblatt.de/nachrichten/53894 [letzter Aufruf am 21.02.2015] sowie Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 67 ff. 259 Vgl. Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 69 ff.
§ 2 Medizinische Grundlagen71
nur Wahrscheinlichkeiten prognostizierbar sind. Der Patient und sein Arzt werden mit unbequemen Fragen konfrontiert: Soll die Diagnostik überhaupt durchgeführt werden? Erfüllen sich die Erwartungen an die Testergebnisse? Wie gestaltet sich die Verlässlichkeit (Reliabilität) der Ergebnisse? Ist aus fragwürdigen Befundergebnissen eine Behandlungsempfehlung abzuleiten? Und wie lässt sich die finanzielle Aufwendung trotz der bestehenden Bedenken rechtfertigen? Demgemäß bewerteten die Befragten der vorliegenden Studie „Personalized Medicine, Gene Diagnostics and Biobanking in the context of privacy of patient information“260 prädiktive Informationen, die mit einer bestimmten Veranlagung assoziiert sind, als wichtigste Gesundheitsinformation. Die zweithöchste Informationsrelevanz nehmen den Studienteilnehmern zufolge Informationen über chronische Erkrankungen, wie Diabetes mellitus oder chronisch entzündliche Darmerkrankungen, ein.261 Bei diesen Erkrankungen verifizieren oftmals erst charakteristische Symptome oder klassische Labor untersuchungen die Diagnose. Insofern besteht gerade durch präventive Genuntersuchungen die Hoffnung, frühzeitig das Bewusstsein der Betroffenen zu schärfen.262 So kann der Einsatz genetischer Diagnostik bei Volkskrankheiten präventiv-medizinische Maßnahmen initiieren, wenn seltene angeborene Varianten und deren Erblichkeit in der Familie auftreten.263 c) Direct-to-Consumer Tests Neben den konventionellen genetischen Tests drängen die sog. Direct-toConsumer-Tests (DTC-Tests)264 auf den Markt:265 Als frei verkäufliche Tests 260 Interdisciplinary Survey, weitere Informationen zu Inhalten, Zielsetzung und Methodik siehe Kap. § 11. 261 Siehe Kap. § 11 B. III. 2. a). 262 So Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 69 ff. 263 „Durch die Kenntnis eines genetisch bedingten erhöhten Krankheitsrisikos soll die Motivation erhöht werden, frühzeitig präventive Maßnahmen zu ergreifen“; Deutscher Ethikrat, 2013: Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 69 ff. 264 Im Gegensatz dazu wird die bereits etablierte patientennahe Labordiagnostik (Point-of-care Testing, POCT) auf ärztliche Veranlassung qualitätsgesichert durchgeführt und ärztlich verantwortet, siehe Orth/Luppa, https://www.aerzteblatt.de/archiv/ 167563/Direct-To-Consumer-Testing-Fluch-oder-Segen-fuer-die-Patienten [letzter Aufruf am 03.02.2015]. 265 Vgl. auch Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 2, Rn. 13; zudem bietet Apple seit 2014 ein sog. „Apple Healthbook“ an, um Puls, Fitness, Ernährung sowie weitere persönliche Gesundheitsdaten in Echtzeit zu messen. Derzeit gibt es jedoch noch keine funktionierende Schnittstelle zu Blutdruckmessgeräten, so dass der Nutzer die Werte von Hand eingeben muss. Auch prüft die Applikation nicht automatisch, ob die Eingabe plausibel ist. Insofern ist das Healthbook derzeit nur
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
werden DTCs von Unternehmen vorherrschend über das Internet angeboten; der „Client“ bestellt die DTCs direkt beim Anbieter oder über Dritte (wie z. B. Fitnessstudios oder Ernährungsberater).266 Nach Einsenden einer genetischen Speichelprobe („spit kit“) besteht die Möglichkeit, die Testergebnisse mittels eines personifizierten Codes auf der Homepage der Unternehmen „downzu loaden“.267 Das Angebot der Unternehmen umfasst dabei sowohl die Sequenzierung ausgewählter Genmerkmale als auch „Tests von gesundheitlicher Relevanz für die Familienplanung (Anlageträgerschaft), Prävention (Ermittlung von Risikofaktoren für gesundheitliche Störungen) und für die Optimierung der medikamentösen Therapie (Pharmakogenetik)“.268 Darüber hinaus bieten DTC-Provider Abstammungsanalysen und Tests auf Merkmale an, die keine direkte gesundheitliche Relevanz beinhalten, aber im Sinne einer „Freizeitgenomik“ Informationen für eine „bessere“ Lebensführung versprechen.269 bedingt zu präventiven Zwecken geeignet, siehe http://www.aerzteblatt.de/nachrich ten/60221 [letzter Aufruf am 21.02.2015]. 266 Allerdings sind DTC Gentests sowohl zu medizinischen Zwecken als auch zur Feststellung der Abstammung nach dem GenDG in Deutschland nicht zulässig, wenn auf die Beteiligung eines Arztes bzw. Sachverständigen verzichtet wird; selbst wenn derartige Personen involviert sind, ist eine ausschließlich internetbasierte oder telefonische Kommunikation für die erforderliche Aufklärung regelmäßig nicht geeignet; die durchgeführte genetische Untersuchung wäre folglich bereits mangels wirksamer Einwilligung rechtswidrig, siehe ausführlich Reuter/Winkler, Gentests via Internet – Die Zulässigkeit nach deutschem Recht, MedR 2014, S. 220 (229); Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e. V. (2011): Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik zu „Direct-to-Consumer“ (DTC Gentests), http.//gfhev.de/ de/leitlinien/LL_und_Stellungnahmen/2011_12_02_GfH-Stellungnahme_DTC-Gentests.pdf [letzter Aufruf am 12.03.2013]; Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 70 ff. Zudem gilt für prädiktive und diagnostische Untersuchungen ein (qualifizierter) Arztvorbehalt, der oftmals missachtet wird, siehe Orth/Luppa, https://www.aerzteblatt.de/archiv/167563/Direct-To-Consumer-Testing-Fluch-oderSegen-fuer-die-Patienten [letzter Aufruf am 03.02.2015]. 267 So auch Leighton et al., 2011, The General Public’s Understanding and Perception of Direct-to-Consumer Genetic Test Results, Public Health Genomics, S. 1 ff.; Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 70 f.; Orth/Luppa sprechen in diesem Zusammenhang von einem DTC „Wildwuchs“, für dessen Erwerb Landesgrenzen kein Hindernis darstellen, Orth/Luppa, https://www.aerzteblatt. de/archiv/167563/Direct-To-Consumer-Testing-Fluch-oder-Segen-fuer-die-Patienten [letzter Aufruf am 03.02.2015]. 268 Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 69 ff.; allerdings werden bei DTC Testkits z. T. ungeeignete Bestimmungsmethoden, wie „semiquantitative Tumormarkermessungen aus Vollblut“, „Chlamydien-Antigendiagnostik“ oder „Tuberkulose-Antikörpertestungen“ durchgeführt, siehe mit weiteren Hinweisen: Orth/Luppa, https://www.aerzteblatt.de/archiv/167563/Direct-To-Consumer-Testing-Fluch-oder-Segen-fuer-die-Patienten [letzter Aufruf am 03.02.2015]. 269 Vgl. Collins, Personalisierte Medizin, S. 101 f.; Online-Angebote von bio.logis unter https://order.gene-verstehen.de/catalog/pgskits [letzter Aufruf am 01.06.2012], z. B. das Paket „carrier“, mit dem eine Liste genetischer Varianten mit Bedeutung
§ 2 Medizinische Grundlagen73
C. Gendiagnostische Herausforderung der Gesellschaft Beispiele für die genzentrierte Sichtweise unserer Gesellschaft gibt es auch jenseits der klassischen Anwendungsgebiete viele – so behaupteten Forscher 2005, ein einziges Gen entdeckt zu haben, das vorhersagen könne, welchen Sportlern ausdauernd Erfolg beschieden sein wird.270 „Wir möchten nicht, dass ein Sportler 100 Kilometer in der Woche läuft, wenn seine Gene sagen er sei besser darin, nur 50 Kilometer zu laufen und dafür mehr Gewichte zu heben“, so die das Screeningprogramm betreuenden Ärzte.271
Zeige mir Deine Gene, und ich sage Dir, wer Du bist.272 Das Wort, das in diesem Kontext interessiert, ist das Wort „sagen“: Gene „sagen“ vermehrt etwas über Menschen aus – oder sie werden vielmehr dazu genötigt, etwas über sie zu „sagen“. Die Prophezeiungen betreffen die Zukunft, sie sagen Krankheiten und Talente voraus und suggerieren uns, was wir tun und lassen sollen: „Doch inwieweit rechtfertigt die gegenwärtige Biologie die Sicherheit der Gene als die eines inneren Orakels?“273 Gerade die molekulargenetischen Errungenschaften der letzten beiden Jahrzehnte haben uns zu einer kritischen Überprüfung der epistemologischen Grundlagen angeregt.274 Unser Verständnis auf genbiologischer Ebene hat die Epigenetik entdeckt, und zugleich das Primat der Gene als autonome Determinanten unterlaufen.275 Gene mögen zwar die starren Replikatoren sein, als die sie Richard Dawkins einst beschrieben hat.276 Doch sind Regulierung und Aktivierung der verschiedenen Gene auch das Ergebnis eines zellulären und organischen Zusammenspiels verschiedenster Faktoren.277 Insoweit hat dieses Wissen die heutige Gesellschaft bislang nur bedingt erreicht. Zum einen fällt es schwer, im rasanten Fortschritt unserer Zeit komplexe medizinische Inhalte verständlich und transparent zu kommunizieren. Das Begreifen der „Gene“ als für die Familienplanung und Nachkommen getestet wird, das Paket „pharma“ (Verstoffwechselung von bestimmten Medikamenten) oder das Paket „complete“, das alle Pakete umfasst; vgl. Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 70 ff. 270 Vgl. Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 37. 271 Henderson, The EPAS1 gene influences the aerobic-anaerobic contribution in elite endurance athletes, Hum Genet 2005, S. 416 ff. 272 In Abwandlung zu Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 37. 273 Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 37. 274 Siehe Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 37. 275 Vgl. Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 37. 276 Vgl. Dawkins, The Selfish Gene, passim; Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 37. 277 Vgl. Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 37 f.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
Code, „die Verwendung von Textmetaphern, um Gene als verschieden von anderer biologischer Materie zu kennzeichnen, d. h. als Text-Programm, […] Codescript, als Buch des Lebens […]“ ist hierbei integraler Bestandteil für ein gesellschaftliches Verständnis.278 Allerdings ist das Skript nichts ohne den Kontext, der die genetischen Instruktionen in einer Weise interpretiert, die nicht prädeterminiert ist und sensibel auf die Umwelt reagiert.279 Daher muss zum anderen auch das „Wie?“, die Verarbeitung des gendiagnostischen Wissens vermittelt und erlernt werden – „wie sich, im Gefolge immer weiterer Technikschübe, der Umgang mit Gesundheit und Krankheit verändert, […] der Inhalt dieser Begriffe sich verschiebt, wie sich neue Hoffnungen und Wünsche herausbilden [und] neue Ängste und Kontrollen aufkommen.“280 Die zentrale Herausforderung des „Zeitalters der Postgenomik“281 liegt also in der wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und rechtlichen Einordnung des genetischen Wissens.282 Das Hauptproblem stellt dabei der schnelllebige Wandel genetischer Information dar, der das Schritthalten dem Einzelnen aber auch der Gesellschaft erschwert.283
§ 3 Personalisierung der Gendiagnostik A. Wandel des medizinischen Selbstverständnisses Der Wandel, der sich im Hinblick auf eine Personalisierung der Genmedizin vollzieht, wird verständlich, wenn man sich im Kontext des medizinischen Selbstverständnisses den Wandel genetischer Information vergegenwärtigt.284 I. Wandel der genetischen Medizin In den 1990er Jahren war die Genmedizin durch den Wettlauf um die Entschlüsselung des menschlichen Genoms geprägt.285 Das Leitbild der 278 Moss, What genes can’t do. Basic bioethics, MIT Press 2003, S. 53; Nowotny/ Testa, Die gläsernen Gene, S. 37 f. 279 Vgl. Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 37 f. 280 Beck-Gernsheim, in: Beck-Gernsheim, Welche Gesundheit wollen wir? Dilemmata des medizintechnischen Fortschritts, S. 18. 281 Müller-Wille/Rheinberger, Das Gen im Zeitalter der Postgenomik, S. 118 ff. 282 Siehe Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 4 ff. 283 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 4 ff. 284 Siehe Kersten, JZ 2011, S. 161 f. 285 Vgl. Kap. § 1 A.; Kersten, JZ 2011, S. 161 f.
§ 3 Personalisierung der Gendiagnostik
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genetischen Forschung lebte von der Vorstellung, durch eine gezielte Veränderung des Genotyps ließe sich auch der entsprechende Phänotyp optimieren.286 Allerdings ist nur in wenigen diagnostischen Fragenstellungen von einer phänotypischen Eigenschaft linear, monokausal oder deterministisch auf das genotypische Merkmal zu schließen.287 Gegenwärtig stellt die Varia bilität des Spannungsverhältnisses zwischen Geno- und Phänotyp eines der Hauptprobleme dar.288 Die Ursache liegt in der Komplexität genetischer Disposition und der Expression von exogenen, epigenetischen Faktoren, die sowohl von unserer biologischen als auch sozialen Umwelt beeinflusst werden.289 Genetische Analysen erlauben uns meist „nur“ Wahrscheinlichkeitsaussagen über die Manifestation genetischer Krankheiten: Beispielsweise beträgt die Manifestationswahrscheinlichkeit im Fall von Alzheimer bei heterozygoten APOE4-Trägern 6–13 % ab dem 6. Lebensjahrzehnt, im Fall von erblichem Brustkrebs bei BRCA1- oder BRCA2-Mutationsträgerinnen für Brustkrebs 40–80 % und für erblichen Eierstockkrebs 30–40 %.290 Diese Zahlen verdeutlichen, dass es für jede Krankheit und deren Ausprägungen sehr unterschiedliche Manifestationswahrscheinlichkeiten gibt. Prädiktivdeterministische Aussagen sind selten.291 Lediglich für die Huntington’sche Erkrankung liegt die Genauigkeit der Krankheitsprädiktion aufgrund der autosomal-dominanten Vererbung bei fast 100 % – also bei an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.292 Viel häufiger lassen sich hingegen prädiktiv-probabilistische Aussagen treffen: Veränderungen werden identifiziert, die bestenfalls annähernde, aber keinesfalls sichere Prognosen ermöglichen.293 Zu viele abhängige und unabhängige Anlagen stehen im Wechselspiel mit exogenen Faktoren – die Rede von der „Postgenomik“ spielt bei auch Kersten, JZ 2011, S. 161 f. hierzu Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e. V., Positionspapier 2007 www.medgenetik.de/sonderdruck/2007_gfh_positionspaper.pdf [letzter Aufruf: 02.11.2013]). Kersten, JZ 2011, S. 161 f.; Bundesärztekammer, Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik, Deutsches Ärzteblatt 100 (2003), A 1297 ff. 288 Vgl. Kersten, Informed Consent, S. 89 ff.; Kersten, JZ 2011, S. 161 f. 289 Vgl. auch Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 5 ff. 290 Siehe Bundesärztekammer, Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik, Deutsches Ärzteblatt 100 (2003), A 1297 ff.; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 4. 291 Siehe Bundesärztekammer, Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik, Deutsches Ärzteblatt 100 (2003), A 1297 ff.; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 4 ff.; Lindner, MedR 2007, S. 286 ff. 292 Siehe Bundesärztekammer, Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik, Deutsches Ärzteblatt 100 (2003), A 1297 ff.; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 4 ff.; Lindner, MedR 2007, S. 286 ff. 293 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 4 ff.; Lindner, MedR 2007, S. 286 ff.; Lindner, MedR 2007, S. 286 ff. 286 Vgl. 287 Vgl.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
all diesen Uneindeutigkeiten offenkundig auf den Begriff der „Postmoderne“ an.294 Typisiert man genetische Mutationen und analysiert die zugrundliegenden Wahrscheinlichkeiten, so verbergen sich hinter den prozentualen Zahlen aber keine stochastischen Werte, sondern Schicksale von Menschen und ganzen Familien, die sich als Betroffene ein gendiagnostisch fundiertes Krankheitsund Therapieverständnis einer personalisierte Medizin herbeisehnen.295 II. Wandel zur personalisierten Medizin Doch wie persönlich ist die personalisierte Medizin? Noch vor einigen Jahren hegte ein Großteil der Medizinstudierenden den Wunsch, Hausarzt zu werden. Die Welt einer persönlichen Medizin war geprägt durch Ärzte, die im Laufe der Jahre praktische Erfahrungen sammelten, ihre Patienten meist von Geburt an kannten – auch das Umfeld, die Gewohnheiten – und sich Zeit nahmen für die Geschichten der Familien.296 In einer hochtechnologisierten Medizin des 21. Jahrhunderts findet sich der Berufswunsch des klassischen Landarztes immer seltener. Der „persönlichen“, patientenbezogenen Medizin wird einerseits die ökonomisch geprägte „one size fits all“ Therapie zur Seite gestellt – andererseits etabliert sich eine stratifizierte Medizin nach Alter, Geschlechtszugehörigkeit oder Body-Mass-Index: Personalisierte Medizin strebt nunmehr danach, „ihre Patienten auf biologische und insbesondere genetische Weise neu kennen[zu]lernen“.297 Auch die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte Studie „Personalized Medicine, Gene Diagnostics and Biobanking in the context of privacy of patient information“298 unterstreicht einen diesbezüglichen Trend: 49,5 % aller Studienteilnehmer299 bewerteten die personalisierten Anwendung in einem prophylaktischen, diagnostischen und therapeutischen Setting als vielversprechend („strongly agree“). Mit einem vergleichbar hohen Wert wurde der Nutzen einer personalisierten Medizin („useful to individuals“) beurteilt: 42,1 % der Teilnehmer waren von einer Umsetzung der personalisierten 294 So Müller-Wille/Rheinberger, Das Gen im Zeitalter der Postgenomik, S. 118 ff.; Kersten, JZ 2011, S. 161 f. 295 Vgl. Kersten, JZ 2011, S. 161 f. 296 Siehe ausführlich: Kersten, ZEE 2013, S. 23. 297 So auch Kersten, ZEE 2013, S. 23. 298 Siehe Interdisciplinary Survey in Kooperation mit der Harvard University in Boston, zu Inhalten, Zielsetzung und Methodik: Kap. § 11. 299 Insgesamt setzte sich die Studienpopulation aus juristischen Experten des Bereichs Medizinrecht, medizinischen Mitarbeitern aus spezialisierten Einrichtungen mit Patientenbetreuung und gendiagnostischen Forschungsschwerpunkten zusammen, vgl. Kap. § 11 B. I. 4.
§ 3 Personalisierung der Gendiagnostik77
Medizin überzeugt („strongly agree“). Gleichzeitig zeigte sich die Studienpopulation hinsichtlich der Unbedenklichkeit einer personalisierten Medizin für nachfolgende Generationen verunsichert: 39,7 % der Teilnehmerschaft konnten sich hierbei nicht eindeutig festlegen („+ / –“). Diese Verunsicherung mag zunächst darauf zurückführen sein, dass die Dimensionen der personalisierten Medizin – ebenso wie die Begrifflichkeiten – vielfältig sind.300 Bislang befasst sich die fachwissenschaftlich-disziplinäre und interdisziplinäre Diskussion noch immer mit einer trefflichen Terminologie: So handelt es sich bei der Begriffsarbeit nicht um eine „umgangssprachliche Selbstverständlichkeit“, sondern um den Hinweis auf einen grundlegenden methodologischen und normativen Befund.301 Neben der bereits erwähnten „stratifizierten Medizin“, die bislang Patientengruppen nach klinischen Merkmalen in (Sub-)Gruppen eingeteilt hat, ist beispielsweise von „individualisierter“ oder „präziser Medizin“ die Rede.302 Doch gerade diese begrifflichen Konturierungen bereiten medizinethischen Kritikern großes Unbehagen: „Es geht überhaupt nicht mehr um die Person des Kranken, es geht wahrscheinlich noch nicht einmal um Individualisierung […]. Das hat aber nun mit Personalität, mit Person nicht das Geringste zu tun“.303 „Der Terminus personalisierte Medizin [sei …] ein unglücklicher, weil er semantisch sehr überlastet ist.“304 Indes ist entgegenzuhalten, dass „die individualisierte Medizin eine besser auf spezifische, individuelle biologische Merkmale abgestellte Medizin [darstellt].“305 „Individualisierung“ und / oder „Personalisierung“ in der Medizin sucht ein besonderes Leitbild und einen eben solchen Legitima tionsansatz für medizinisches Handeln zu kennzeichnen.306 Unabhängig 300 Vgl. Ausschuss des Deutschen Bundestages für Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung (2009): Individualisierte Medizin und Gesundheitssystem, S. 6 ff.; Kersten, ZEE 2013, S. 23. 301 Siehe Damm, MedR 2011, S. 8. 302 So beispielsweise Damm, MedR 2011, S. 8 f. 303 Bauer, in: Deutscher Ethikrat, Simultanmitschrift über das Forum Bioethik „Die Medizin nimmt’s persönlich. Möglichkeiten und Grenzen der Individualisierung von Diagnose und Therapie“, 24.06.2009, http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/ fb_2009-06-24_simultanmitschrift.pdf, [letzter Aufruf am 13.08.2014], S. 23. 304 Lindpaintner, in: Deutscher Ethikrat, Simultanmitschrift über das Forum Bioethik „Die Medizin nimmt’s persönlich. Möglichkeiten und Grenzen der Individualisierung von Diagnose und Therapie“, 24.06.2009, http://www.ethikrat.org/dateien/ pdf/fb_2009-06-24_simultanmitschrift.pdf, [letzter Aufruf am 13.08.2014], S. 23. 305 Paul, in: Deutscher Ethikrat, Simultanmitschrift über das Forum Bioethik „Die Medizin nimmt’s persönlich. Möglichkeiten und Grenzen der Individualisierung von Diagnose und Therapie“, 24.06.2009, http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/ fb_2009-06-24_simultanmitschrift.pdf, [letzter Aufruf am 13.08.2014], S. 8. 306 So beispielsweise Damm, MedR 2011, S. 8 f.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
davon, ob man auf eine „alte“ oder „neue“ Medizin abstellt – die personalisierte Medizin will auf der Grundlage genetischer Diagnostik eine passgenaue molekularbiologische Krankheitsprävention ermöglichen.307 Im Vordergrund steht der anglo-amerikanische Begriff des „tailorings“, also das Abzielen auf eine maßgeschneiderte Medizin: „tailoring of medical treatment to the individual characteristics of each patient [in order to] classify individuals into subpopulations that differ in their susceptibility to a particular disease or their response to a specific treatment. Preventive, diagnostic or therapeutic interventions can then be concentrated on those subpopulations who will benefit, sparing expense and side effects for those who will not.“308
Dieser Präzisierungsversuch des President’s Council of Advisors on Science and Technology kommt einer Begriffsklärung wohl am nächsten. Doch gänzlich überzeugen vermag auch diese Definition nicht. Allen begrifflichen Ansätzen ist nämlich eine „cloudartigen“ Begriffsarbeit gemein, mit der sie versuchen, eine sehr komplexe, wissenschaftliche Entwicklung zu beschreiben: Personalisierte Medizin möchte uns aber vielmehr als „Kompaktbegriff“ vermitteln, dass die äußerst heterogenen Entwicklungen und kulturellen Perzeptionen eines genetischen Paradigmenwechsels in der Medizin nicht nur zusammengehören, sondern auch weitreichende Folgen für unser Verständnis von Medizin, Gesundheit, Menschlichkeit und juristischer Einordnung zeigen.309 Daher erscheint es in diesem Kontext folgerichtig, vier Kernthesen zur Beschreibung einer personalisierten Medizin zu skizzieren: • Erstens: Die personalisierte Medizin stützt sich medizinisch auf eine Biomarker-gruppierte Bildung von Patientenpopulationen und ist bestrebt, möglichst individualisierte Behandlungs- und Therapieprodukte zu entwickeln.310 • Zweitens: Die personalisierte Medizin verfolgt prophylaktisch das Ziel einer genetisch informierten und fundierten Bestimmung von individuellen Gesundheitsmerkmalen und wandelt sich so zur Präventivmedizin.311 • Drittens: Die personalisierte Medizin überschreitet schrittweise die Schwelle zum „Consumer Driven Age“ – „genetic information is now 307 Vgl. Müller-Jung, FAZ, Nr. 214, 14.09.2010; Damm, MedR 2011, S. 8 f.; Kersten, JZ 2011, S. 161 f. 308 President’s Council of Advisors on Science and Technology. Priorities for Personalized Medicine. Report. September 2008, http://www.whitehouse.gov/files/ documents/ostp/PCAST/pcast_report_v2.pdf [letzter Aufruf am 29.12.2014]. 309 Siehe auch Kersten, ZEE 2013, S. 23; Powers, Das Buch Ich Nr. 9, S. 7 ff. 310 Siehe http://www.taylorwessing.com/synapse/regulatory_personalised_medici nes.html [letzter Aufruf am 29.12.2014]; Kersten, ZEE 2013, S. 23 f. 311 In Anlehnung an Kersten, ZEE 2013, S. 23 f.
§ 3 Personalisierung der Gendiagnostik79
increasingly available outside traditional medical settings […] as patients embrace direct-to-consumer (DTC) genetic tests and turn to social networks for help in interpreting results“.312 Slogans dieser Entwicklung wie „just google your genes“ oder „easy genomics“ erleichtern das „cloud computing“ und gestalten den informationstechnologischen „Bypass“ ärztlicher Beratung313 W-Lan-tauglich – also schnittstellenlos. • Viertens: Die personalisierte Medizin bewegt sich derzeit in einer Ambivalenz des Arzt-Patienten-Verhältnis – sowohl das individualisierte „Forschungspotenzial“ als auch das „Erklärungspotenzial“ der personalisierten Medizin fordern den Betroffenen und den Mediziner gleichermaßen.314 Irgendwo zwischen „persönlicher“ und „standardisierter“ Behandlung315 wäre es wünschenswert, wieder eine mitfühlende, wenn auch personalisierte Patientenbetreuung anzustreben. III. Wandel zur Präventivmedizin Mit der personalisierten Medizin einhergehend ist ein Wandel des Krankheits- und Therapieverständnisses hin zu einer defensiven Präventivmedizin: Das Ziel der modernen Gendiagnostik ist es, nicht erst Gendefekte in Krankheitsform zu heilen, sondern bereits den Krankheitsausbruch auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitsprognosen zu verhindern oder auch hinauszuzögern.316 Allerdings liegt die Schwierigkeit dieses neuen medizinischen Selbstverständnisses nicht darin, präventiv kurieren zu wollen.317 Problematisch ist vielmehr, dass die Betroffenen bereits die Wahrscheinlichkeit, krank zu werden, als „Krankheit“ empfinden.318 Die Grenzen zwischen den Risiken, tatsächlich zu erkranken, und den Vorstadien einer Krankheit, ihren Symptomen bzw. deren Erkennbarkeit verschwimmen.319 So entwickelt sich beispielsweise das Risiko einer Brustkrebserkrankung zum eigentlichen individuellen und gesellschaftlichen Gesundheitsproblem – „es wird 312 Vgl. Evans et al., Preparing for a Consumer-Driven Genomic Age, NEJM 2010, S. 1099; Kersten, ZEE 2013, S. 23 f.; Annes et al., Risk of Presymptomatic Direct-To-Consumer Genetic Testing, NEJM 2010, S. 1100 ff. 313 Vgl. Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 54 ff.; Kersten, ZEE 2013, S. 23 f.; Powers, Das Buch Ich Nr. 9, S. 7 ff., 26 ff. 314 So Müller-Wille/Rheinberger, Das Gen im Zeitalter der Postgenomik, S. 135; Kersten, ZEE 2013, S. 23 f. 315 Grundlegend Kersten, ZEE 2013, S. 23 f. 316 Vgl. Kersten, JZ 2011, S. 161 f. 317 Vgl. Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 137; Kersten, JZ 2011, S. 161 f. 318 Vgl. Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 137; Kersten, JZ 2011, S. 161 f. 319 Siehe Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 137 f.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
der ausgebrochenen Krankheit gleichgestellt“.320 Dabei ist es nur die logische Konsequenz, dass der „gesunde Kranke“ von einem vorübergehenden Zustand zu einer neuen Personenkategorie wird.321 „Nicht die Krankheit selbst, sondern die gendiagnostisch bereitgestellte Information über eine mögliche Weitervererbung bzw. die Prognose, mit [einer gewissen Wahrscheinlichkeit] zu erkranken, werden nun zum Bestandteil personaler Identität.“322 Folglich sind Patienten bei der Abwägung einer genanalytisch fundierten Diagnose verunsichert und treffen weitreichende Entscheidungen: Frauen mit einer genetischen Prädisposition für Brustkrebs lassen sich aufgrund einer genetischen Diagnose für ein Erkrankungsrisiko von 40–80 % ab dem 3. Lebensjahrzehnt die Brust amputieren, ohne dass konkrete Krankheitssymptome vorliegen.323 Den letzten Ausschlag für die Entscheidung gibt dabei möglicherweise nicht die Ratio, sondern das Gefühl – das Gefühl, die Identität zu ändern, das Vorbild der erkrankten Mutter, oder das Bedürfnis eine Art „previvor“ (eine Vorlebende, analog dem gebräuchlich Begriff des „survivors“, des Überlebenden) zu werden.324 „In der Erfahrung der Betroffenen werden die Krankheit und das Risiko, daran zu erkranken, zu ein und demselben Zustand“325 – wie Helga Nowotny / Giuseppe Testa konstatieren. Der risikoorientierte Krankheitsbegriff führt insoweit zu „Präventivtherapien, die den tradierten Krankheitsbildern weit vorgelagert sind“.326 Demgemäß sind diese Formen der Prävention unmittelbare Folgen einer gesundheitlichen und auch gesellschaftlichen Verunsicherung: Der Begriff der „Postgenomics“ versucht diesem Verständnis gerecht zu werden und impliziert, dass der Mensch nicht nur genetisch determiniert ist und die Gene nicht nur als „Schicksal“ verstanden werden dürfen.327
Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 137 f. Scholz, in: Beck-Gernsheim, Welche Gesundheit wollen wir? Dilemmata des medizintechnischen Fortschritts, S. 48 f. 322 Siehe Scholz, in: Beck-Gernsheim, Welche Gesundheit wollen wir? Dilemmata des medizintechnischen Fortschritts, S. 48 f. 323 Vgl. Kersten, JZ 2011, S. 161 f.; vgl. Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 135 ff. 324 Auch Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 135 ff. 325 Auch Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 137. 326 Vgl. Kersten, JZ 2011, S. 162 ff. 327 Vgl. Kersten, JZ 2011, S. 162 f. 320 So
321 Vgl.
§ 3 Personalisierung der Gendiagnostik81
B. Ambivalenz der personalisierten Präventivmedizin „Wie viel wollen wir wirklich über unsere Zukunft wissen?“328 Theo Dingermann, Professor der Pharmazie aus Frankfurt, ließ sich von der Firma 23andMe in Kalifornien auf mehr als 100 erbliche Krankheiten und sonstige Veranlagungen untersuchen.329 Die Ergebnisse waren für ihn ein „Aha-Erlebnis“: Unter anderem habe er den Hinweis erhalten, dass für ihn das Alters diabetesrisiko um 100 % erhöht sei – „da habe ich erst mal die Turnschuhe angezogen, bin gejoggt und habe meine Ernährung umgestellt. Damit ich zumindest mein Möglichstes tue, diese Krankheit nicht zu bekommen“.330 In Fällen wie diesem sind die Prognosen der Gentests segensreich: „Jemand erfährt von einer Disposition für eine Krankheit, gegen die er etwas tun kann. Er lebt gesünder und bewusster.“331 Insoweit eröffnet die genetische Diagnostik Chancen einer personalisierten Medizin.332 Seit der Einführung der Früherkennungsprogramme in den 1960er und 1970er Jahren konnten methodische Diagnosesicherungen auf konzeptioneller Ebene entscheidend zur Identifikation neuer Risikofaktoren beitragen.333 Soweit Krankheiten auf genetischen Dispositionen beruhen, ermöglicht eine präzise Gendiagnostik, die Krankheitsprävention individuell an Patientenbedürfnisse anzupassen und eine personalisierte Gesundheitsvorsorge zu etablieren.334 Gleichzeitig ist die personalisierte Medizin in ihrem Trend zur Prävention aber mit einem „diagnostisch-therapeutischen Gap“ konfrontiert.335 Im prädiktiv-deterministischen Analysespektrum können einerseits Erbkrankheit prognostiziert werden – andererseits ist nicht zwangsläufig die entsprechen328 Siedenbiedel, Meine Gene, meine Zukunft, FAZ vom 18.05.2013, http://www. faz.net/aktuell/wirtschaft/gesundheitsvorsorge-meine-gene-meine-zukunft-12187574. html [letzter Aufruf am 07.11.2013]. 329 Zu 23andMe, siehe https://www.23andme.com/ [letzter Aufruf am 26.03.2015] sowie Siedenbiedel, Meine Gene, meine Zukunft, FAZ vom 18.05.2013, http://www. faz.net/aktuell/wirtschaft/gesundheitsvorsorge-meine-gene-meine-zukunft-12187574. html [letzter Aufruf am 07.11.2013]. 330 Siedenbiedel, Meine Gene, meine Zukunft, FAZ vom 18.05.2013, http://www. faz.net/aktuell/wirtschaft/gesundheitsvorsorge-meine-gene-meine-zukunft-12187574. html [letzter Aufruf am 07.11.2013]. 331 Siedenbiedel, Meine Gene, meine Zukunft, FAZ vom 18.05.2013, http://www. faz.net/aktuell/wirtschaft/gesundheitsvorsorge-meine-gene-meine-zukunft-12187574. html [letzter Aufruf am 07.11.2013]. 332 So Evans/Relling, Moving towards individualized medicine with pharmacogenomics, Nature 2004, p. 464 ff.; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 5. 333 Vgl. Schmutzler/Dietz/Jöckel, Präventive Gendiagnostik – Hoffnung und Fluch der Genanalyse, Deutsches Ärzteblatt, 109(26). A-1371/B-1183/C-1168. 334 Siehe auch Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 4 ff. 335 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 5.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
de Therapiemöglichkeit bekannt oder verfügbar.336 Im Falle von Chorea Huntington müssen Patienten, Angehörige und Ärzte versuchen, die Schere zwischen möglichen Diagnosen und (noch) unmöglichen Therapien zu überwinden.337 So kann „das Wissen um ein Erkrankungsrisiko bei der Lebensund Familienplanung […] hilfreich sein.“338 Zugleich stellen sich aber – je größer die Differenz zwischen Wissen und Handlungsmöglichkeit wird – umso dringlichere Fragen nach den Risiken der prädiktiven genetischen Untersuchung und der Notwendigkeit einer solchen.339 Die Disposition mag für den Einzelnen wie ein „Damoklesschwert“340 über der Familie hängen – die genetische Veranlagung ist „sicher“ – ungewiss ist indes, wann die Krankheit ausbrechen wird.341 Diese Unsicherheit kann psychisch und physisch quälend sein – das Wissen, die Disposition für eine unheilbare Krankheit in sich zu tragen, „kann selbst krank machen“.342 In all diesen Fällen müssen Mediziner, Patient und Familie eine neue Art von „Risikokompetenz“ erlernen – „ein hohes Maß an Kompetenz im Umgang mit Unsicherheit“ wie man sie weder im Schulunterricht noch im (Medizin-)Studium vermittelt bekommt.343 I. Drittwirkung genetischer Information Gendiagnostik betrifft aber in der Regel nicht nur die Person, die eine genetische Untersuchung vornehmen lässt – auch deren genetische Familie ist berührt: Genetische Diagnostik entfaltet Drittwirkung.344 So will sich eine Frau partout keinem Gentest unterziehen, obwohl deren Nichte ihr genetisches Risiko allein mit Hilfe dieser Tante aufklären könnte; demgegenüber kommen andere Frauen heimlich, „weil das Thema Gentest in ihren Familien tabu ist“.345 Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 5. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 5. 338 BT-Drs. 16/10532, S. 17. 339 Vgl. BT-Drs. 16/10532, S. 17; vgl. Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 137. 340 Lindner, MedR 2007, S. 287. 341 So Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 5 f. 342 Siedenbiedel, Meine Gene, meine Zukunft, FAZ vom 18.05.2013, http://www. faz.net/aktuell/wirtschaft/gesundheitsvorsorge-meine-gene-meine-zukunft-12187574. html [letzter Aufruf am 07.11.2013]. 343 Vgl. Siedenbiedel, Meine Gene, meine Zukunft, FAZ vom 18.05.2013, http:// www.faz.net/aktuell/wirtschaft/gesundheitsvorsorge-meine-gene-meine-zukunft-1218 7574.html [letzter Aufruf am 07.11.2013]. 344 So BT-Drs. 16/10532, S. 23; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 5. 345 Stollorz, Mehr als nur ein Familiengeheimnis, FAZ vom 30.06.2010, http:// www.faz.net/s/Rub268AB64801534CF288DF93BB89F2D797/Doc~E4CE617A52F6 336 Siehe 337 Siehe
§ 3 Personalisierung der Gendiagnostik83
Die Schwierigkeit im Umgang mit der genetischen Drittwirkung liegt also nicht nur in der Unsicherheit einer Wahrscheinlichkeitsprognose – sondern auch darin, dass ganze Familien nahezu zwangsläufig mit einbezogen werden:346 Aufschluss geben genetische Gesundheitsdaten nämlich nicht nur über die genetische Disposition des Untersuchten selbst, sondern auch über das Erkrankungsrisiko genetisch mit ihm verwandter Personen.347 Unterzieht sich ein Betroffener einer genetischen Diagnostik und möchte – je nach Analyseergebnis – im Anschluss daran eine Therapie einleiten, so wird dies im Familienkreis meist kein Geheimnis bleiben.348 Die „genetische Unbefangenheit“ der übrigen Familienmitglieder lässt sich folglich kaum bewahren.349 „Unsere Gene sind Privatsache, und das Wissen darum ist umso intimer.“350 Ob nun gewünscht oder nicht, ob medizinisch begründet oder nicht – rein faktisch wird durch eine drittbezogene, genetische Information wohl für die meisten Familienmitglieder der Zwang entstehen, sich mit der eigenen genetischen Disposition auseinanderzusetzen: Dabei stehen sich zwei gegensätzliche „Coping“-Strategien gegenüber –„die möglichen genetischen Anlagen defensiv zu ignorieren“ oder „sich aktiv über eine eigene Veranlagung „Klarheit“ zu verschaffen“.351 II. „Genetisierung“ der Medizin In Kongruenz zu der zunehmenden Bedeutung genetischer Diagnostik wächst auch das Stigmatisierungsrisiko einer „Genetisierung“ der Medizin.352 Genährt wird die Gefahr dieser Stigmatisierung durch sehr diffuse gesellschaftliche Vorstellungen über die vermeintlich deterministische „Macht der Gene“,353 die in der Vergegenwärtigung eines „gläsernen Menschen“354 gip14754ACB762D5C71CD268~ATpl~Ecommon~Scontent.html [letzter Aufruf am 08.11.2013]. 346 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 5. 347 Siehe Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 162 f. 348 Vgl. Lindner, MedR 2007, S. 286 (290); Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 ff. 349 Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 5. 350 Stollorz, Mehr als nur ein Familiengeheimnis, FAZ vom 30.06.2010, http://www. faz.net/s/Rub268AB64801534CF288DF93BB89F2D797/Doc~E4CE617A52F614754A CB762D5C71CD268~ATpl~Ecommon~Scontent.html [letzter Aufruf am 08.11.2013]. 351 Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 5. 352 BT-Drs. 14/9020, S. 132; vgl. auch Lindner, MedR 2007, S. 286 f.; Kiehntopf/ Pagel, MedR 2008, S. 344 f.; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6. 353 Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6. 354 Begrifflichkeit siehe Siedenbiedel, Meine Gene, meine Zukunft, FAZ vom 18.05.2013, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/gesundheitsvorsorge-meine-gene-mei ne-zukunft-12187574.html [letzter Aufruf am 07.11.2013].
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
felt. Indes lässt sich die fehlende genetische Informiertheit unserer Gesellschaft „nicht allein auf einen gesellschaftlich verbreiteten, seit dem 19. Jahrhundert überkommenen genetischen Aberglauben zurückführen, der in Verbindung mit einem Vulgärdarwinismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerade in Deutschland in die […] nationalsozialistische Eugenik geführt hat.“355 Charakterisiert wurde die Orientierung an einer wissenschaftlich nicht begründbaren Ideologie dadurch, dass Mittel und Ziele einer positiven und zugleich auch negativen Eugenik – im Sinne einer Verbesserung des Genpools der Bevölkerung bzw. der Verhinderung einer Weitergabe vermeintlich „schlechter“ Gene – propagiert wurden.356 Gegenwärtig ist die moderne Genomforschung selbst in ihrer öffentlichen Wahrnehmung zwiegespalten: Einerseits wirbt sie für ein reflektiertes Verständnis der komplexen Wechselwirkungen zwischen Genom und exogenen Faktoren.357 Andererseits entwickelt sich der „genetische Reduktionismus“ zusehends zur Marketingstrategie einer therapeutisch finalisierten Genomforschung, die auf ein materialistisches Gewinnstreben abzielt.358 Der Besonderheit genetischer Gesundheitsinformationen gilt es daher gerecht zu werden, indem nicht nur einseitig mit der irrationalen Vorstellung um die „Macht der Gene“ kokettiert, sondern auch von der genetischen Reduzierung des Menschen359 auf sein Genom Abstand genommen wird.
C. „Genetischer Exzeptionalismus“ Genetische Informationen sind dadurch gekennzeichnet, „dass sie ihre Bedeutung über lange Zeiträume behalten. Sie können daher als persönlich identitätsrelevante Gesundheitsdaten mit hohem prädiktiven Potenzials verbunden sein und gegebenenfalls auch Informationen über Dritte (Verwandte) offenbaren.“360 Angesichts des Wandels, der Ambivalenz und des Drittbezugs genetischer Information geht der Gesetzgeber gegenwärtig zu Recht 355 Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6 ff.; Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e. V., Positionspaper, S. 6 (www.medgenetik.de/sonderdruck/2007_gfh_ positionspaper.pdf [letzter Aufruf: 02.11.2013]). 356 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e. V., Positionspaper, S. 6 (www. medgenetik.de/sonderdruck/2007_gfh_positionspaper.pdf [letzter Aufruf: 02.11. 2013]). 357 Siehe Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e. V., Positionspaper, S. 5 (www.medgenetik.de/sonderdruck/2007_gfh_positionspaper.pdf [letzter Aufruf: 02.11.2013]); Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6 ff. 358 Zur Ambivalenz der „Zukunft des Reduktionismus“: Müller-Wille/Rheinberger, Das Gen im Zeitalter der Postgenomik, S. 118 ff.; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6. 359 I. E. übereinstimmend: Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6 ff. 360 BT-Drs. 16/10532, S. 1; vgl. auch ebd., S. 16.
§ 3 Personalisierung der Gendiagnostik
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von „der Besonderheit genetischer Information aus“.361 Der „Status“ prädiktiver Gesundheitsinformationen und namentlich genetischer Informationen aus prädiktiven Gentest wurde dabei jüngst hinsichtlich der „Exzeptionalität“ prädiktiver genetischer Daten kontrovers diskutiert.362 Besonderes Gewicht kommt einerseits der Frage nach einem angemessen Umgang mit derartigen Informationen zu (I.) und andererseits einer entsprechenden Berücksichtigung bei der gesetzlichen Normbildung (II.).363 I. „Exzeptionalität“ genetischer Informationen als konzeptionelles Problem Zunächst besteht also forschungsrelevanter Klärungsbedarf hinsichtlich der zentralen Frage, ob genetische Information grundsätzlich eine Sonderstellung einnimmt und deswegen anders behandelt werden muss als nichtgenetische Information (sog. genetischer Exzeptionalismus).364 Der Begriff des „genetischen Exzeptionalismus“ zielt dabei darauf ab, inwiefern sich genombasierte Daten qualitativ und informativ von anderen medizinischen Gesundheitsinformationen unterscheiden.365 1. „Exzeptioneller“ Status genetischer Information Diagnostische Genanalysen und namentlich präventive genetische Gesundheitsdaten betreffen gleichermaßen den Untersuchten als Patient oder Risikoträger sowie unter Umständen dessen lebende und zukünftige Verwandte.366 Der Nachweis einer Erkrankung, die sich manifestieren wird, birgt also Informationen über das individuelle Selbstverständnis des Einzelnen, sein künftiges Verhalten und impliziert möglicherweise selbst weitreichende Konsequenzen für seinen gesamten Lebensentwurf.367 „Aber, und 361 BT-Drs. 16/10532, S. 1; vgl. auch BT-Drs. 14/9020; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6. 362 Siehe Damm/König, MedR 2008, S. 62. 363 So Damm/König, MedR 2008, S. 62. 364 Vgl. Fragestellung des Forschungsvorhabens von Wolff „Genetische Risiken – Kommunikation genetischer Risiken und der Umgang mit prädiktiven genetischen Untersuchungsmöglichkeiten in der ärztliche Primärversorgung in Deutschland im Vergleich zu Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden“, http://www. gesundheitsforschung-bmbf.de/de/570.php [letzter Aufruf am 10.11.2013]; Damm/ König, MedR 2008, S. 62. 365 Vgl. Damm/König, MedR 2008, S. 62. 366 Siehe van den Daele, Mensch nach Maß? S. 80 f.; Damm/König, MedR 2008, S. 63; Wiese, Gibt es ein Recht auf Nichtwissen? In: FS Niederländer, S. 475 (481). 367 So auch Damm/König, MedR 2008, S. 63 f.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
dies ist im hier interessierenden Zusammenhang entscheidend, ist damit bereits ein besonderer, gar „exzeptioneller“ Status genetischer Informationen belegt?“368 Zunächst gilt es also zu klären, ob und gegebenenfalls wie sich genetische Analysen und entsprechende Informationen von anderen medizinischen Methoden unterscheiden.369 a) Akzentuierung „Genetische Information hat eine Sonderstellung in der Medizin. […] Sie behält ihre Voraussagekraft über lange Zeiträume, ist von großer Bedeutung für reproduktive Entscheidungen, stellt Verbindungen zu Rasse und Ethnizität her und birgt damit das Potential sozialer Diskriminierung; [sie] hat Implikationen über das getestete Individuum hinaus, ist oft mit prognostischer Unsicherheit behaftet, kann einen Vorwand für soziale Stigmatisierung schaffen (Arbeitsplatz, Versicherungswesen, Heiratsmarkt) […] und [so] zu erheblicher psychischer Verunsicherung des [Gen-]Trägers führen.“370 Der Hinweis auf eine besondere persönlichkeitsrelevante „Eingriffstiefe“ der Genanalyse beim Menschen ist zunächst eine recht anschauliche Metapher.371 Auch die UNESCO formulierte 2003 in der „Erklärung zum Schutz genetischer Daten“ den „special status“ genetischer Daten: „Human genetic data have a special status because: (i) They can be predictive of genetic predispositions concerning individuals; (ii) They may have a significant impact on the family, including offspring, ex tending over generations, and in some instances on the whole group to which the person concerned belongs (iii) They may contain information of the collection of the biological samples (iv) They may have cultural significance for persons or groups.“372
Gleichermaßen wird der „Status“ der Gendiagnostik von fachwissenschaftlicher Seite mit einer „Sonderstellung genetischer Informationen in der Medizin“ oder die „Besonderheit genetischer Informationen“ akzentuiert.373 EntDamm/König, MedR 2008, S. 63 f. Kollek/Feuerstein/Schmedders/van Aken, Pharmakogenetik: Implikationen für Patienten und Gesundheitswesen. Anspruch und Wirklichkeit der „individualisierten Medizin“, S. 131; Damm/König, MedR 2008, S. 63 f. 370 Vgl. Schmidtke, Vererbung und Ererbtes; S. 96; Damm, MedR 1999, S. 438. 371 Vgl. BT-Drs. 14/9020, S. 282; Damm/König, MedR 2008, S. 63 f. 372 Siehe UNESCO, Art. 4, International Declaration on Human Genetic Data, http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=17720&URL_DO=DO_TOPIC&URL_ SECTION=201.html [letzter Aufruf am 10.11.2013]. 373 Vgl. Schmidtke, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin und Recht, S. 409, 422 f.; Damm/König, MedR 2008, S. 63 f.; BT-Drs. 14/9020, S. 132. 368 Vgl. 369 Vgl.
§ 3 Personalisierung der Gendiagnostik87
sprechende Aussagen finden sich in vergleichbaren, wenn auch nicht identischen Merkmalskatalogen zahlreicher Fachpublikationen, die auf den „Überschuss an Information und Bedeutung genetischer Daten“ hinweisen:374 „Genetics differs from other areas of medicine in several fundamental ways“: 1. „Provides information about other blood relatives 2. Provides information predicting the future of persons who are not healthy, including children. 3. Provides unexpected non-medical information, such as non-paternity“.375
Dennoch kritisieren Rechtswissenschaft, Rechtspolitik und wissenschaftliche Politikberatung die „genetische Exzeptionalität“.376 Mitunter wird behauptet, das Aussagepotenzial genetischer Information werde keineswegs überbewertet oder „dramatisiert“.377 Im Gegenteil – die Position einer „Exzeptionalität“ genetischer Gesundheitsdaten darf multifaktorielle Zusammenhänge in ihrer Wahrnehmung nicht verzerren und durch eine vermeintliche Prägnanz des genetischen Stempels, nicht weniger wichtige, aber möglicherweise weniger evidente Aspekte des Gesamtkontextes ausblenden.378 Aus gutem Grunde sei daher zu betonen, dass im Kontext einer „Sonderstellung“ der Gendiagnostik vor einer Überbetonung genetischer Faktoren gewarnt werden muss und damit der Vorstellung eines „genetischen Determinismus“ oder „Reduktionismus“ kein Vorschub geleistet werden kann.379 Diesen Aussagen ist erneut die International Declaration on Human Genetic Data der UNESCO gegenüberzustellen: „Each individual has a characteristic genetic make-up. Nevertheless, a person’s identity should not be reduced to genetic characteristics, since it involves complex educational, environmental and personal factors and emotional, social, spiritual and cultural bonds with others and implies a dimension of 374 Kollek/Feuerstein/Schmedders/Aken, Pharmakogenetik: Implikationen für Patienten und Gesundheitswesen. Anspruch und Wirklichkeit der „individualisierten Medizin“, S. 131 (133); Damm/König, MedR 2008, S. 63 f. 375 Wertz/Nippert/Wolff, Patient and Professional Responsibilities in Genetic Counseling, in: Sass/Schröder, Patientenaufklärung bei genetischem Risiko, S. 79, 87; Damm/König, MedR 2008, S. 63 f. 376 Siehe Ausführungen BT-Drs. 14/9020, S. 132; Damm/König, MedR 2008, S. 63 f.; Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 16 f. 377 Vgl. Damm/König, MedR 2008, S. 63 f. 378 Vgl. Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 6 ff.; BT-Drs. 14/9020, S. 132. 379 Vgl. Schmidtke, Genmedizin im Diagnose-Sektor. Überblick, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin und Recht, S. 409, 423 f.; Damm/König, MedR 2008, S. 63 f.; aus naturwissenschaftlicher Sicht: Fey, Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 44 f.; aus rechtlicher Sicht: Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6 ff.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
freedom.“380 Auch wenn jeder einzelne Mensch eine eigene genetische Disposition aufweist, darf seine Identität keineswegs auf genetische Charakteristika reduziert werden. Neben Umwelteinflüssen prägen gerade auch persönliche, soziale und kulturelle Dimensionen die Entwicklung eines Individuums. b) De-Akzentuierung „Exzeptionalität“, „Exklusivität“ oder „Einzigartigkeit“381 – in internationalem und auch nationalem Kontext ist die „epistemologische Sonder stellung“382 genetischer Informationen kritischen Einwänden ausgesetzt. Oftmals wird dem „Genetic Exceptionalism“ die gleichermaßen misstrauische als auch rhetorische Frage gegenübergestellt: „Is Genetic Information Different from Other Medical Information?“383 Dabei gründet das Plädoyer „Wider den genetischen Exzeptionalismus“384 auf dem Postulat einer „Gleichwertigkeit genetischer und anderer Information“.385 Zumeist wird die Existenz „prinzipieller Unterschiede“ in der Weise de-akzentuiert, dass auch andere medizinische Informationen „grundsätzlich“ vergleichbare Eigenschaften aufwiesen.386 So drängt sich ein Vergleich mit Gesundheitsdaten aus der Familienanamnese der Betroffenen auf – denn auch anamnestische Informationen geben über möglich gesundheitliche Veranlagungen Aufschluss, wenn sich bestimmte Erkrankungen familiär häufen.387 Bereits die bloße Erhebung der Krankheitsvorgeschichte einer Person, die Anamnese, lege relevante Auskünfte über den Verlauf einer bestehenden oder den Krankheitsstatus einer 380 Siehe UNESCO, Art. 3, International Declaration on Human Genetic Data, http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=17720&URL_DO=DO_TOPIC&URL_ SECTION=201.html [letzter Aufruf am 10.11.2013]. 381 So Damm/König, MedR 2008, S. 64. 382 Begrifflichkeit sowie weitere Ausführungen zum „genetischen Exzeptionalismus“, Lemke, „Die Polizei der Gene“ – Genetische Diskriminierung und die Fallstricke der Kritik, Soziale Welt, S. 53 (59). 383 Auch in der deutschsprachigen Diskussion als häufiger Referenzaufsatz angeführt: Murray, Genetic Exceptionalism and „Future Diaries“: Is Genetic Information Different from Other Medical Information? In: Rothstein: Genetic Secrets. Protecting Privacy and Confidentiality in the Genetic Era, S. 60 ff. 384 Siehe Schmitz, Wider den genetischen Exzeptionalismus, Ethik in der Medizin, S. 316. 385 Vgl. Breyer, Implikationen der Genetischen Diagnostik für Versicherungsmärkte, in: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 82.; Damm/König, MedR 2008, S. 64. 386 Vgl. Damm/König, MedR 2008, S. 64. 387 Demgegenüber kritisch: Heyers, MedR 2009, S. 507 (508).
§ 3 Personalisierung der Gendiagnostik89
schubförmig verlaufenden Erkrankung dar.388 Dabei bleibt jedoch zu bedenken, dass die Krankengeschichte nur einen Ist-Zustand der Vergangenheit wiedergibt. Hinreichend valide Informationen, ob eine Erbkrankheit tatsächlich ausbrechen wird oder eben nicht, beinhaltet sie keine: Auch würde einer nachteiligen Familienanamnese keineswegs ausdrücklich der Rat folgen, keine Nachkommen zu bekommen oder die Familienplanung abzuwägen.389 Der Unterschied zur Familienanamnese, bei der lediglich familiäre Durchschnittsrisiken für Gendefekte erhoben werden können, liegt aber genau in der Trägerschaft von Merkmalen, die ein Gentest wissenschaftlich direkt und individuell nachweist.390 Vermehrt wird auch auf die Parallele zur Aussagekraft ärztlicher und apparativer Untersuchungen hingewiesen: Neben der Diagnose manifester Erkrankungen erlauben sog. „Gesundheitschecks“ die Früherkennung von Risikokonstellationen.391 Mittels elektrophysiologischer oder biochemischer Messungen, wie des Cholesterin- oder Blutzuckerspiegels, lassen sich Krankheitsneigungen ableiten und prognostische Gesundheitsinformationen generieren. Dem ist freilich insoweit beizupflichten, als dass durch eine regelmäßige Kontrolle der Glucose- oder Cholesterinwerte die (Patho-)Genese von Stoffwechselerkrankungen prädiktiv begleitet werden kann. Auch beinhalten anamnestische oder apparative erhobene Gesundheitsdaten oftmals prädiktive Informationen – doch haben gendiagnostische prädiktive Daten in ihrer Besonderheit eine gänzlich andere Dimension.392 2. Normative Relativierung Gentests „sind unabhängig vom Alter, unabhängig vom klinischen Status, [teilweise] unabhängig vom Gewebe; sie sind stabil, es werden nur kleine Proben benötigt [und] sie haben Auswirkungen auf die Familie; […] die Quantität der Daten ist wesentlich größer als bei normalen medizinischen 388 Vgl. Nationaler Ethikrat, Prädiktive Gesundheitsinformationen bei Einstellungsuntersuchungen, S. 22 f.; Damm/König, MedR 2008, S. 66 f. 389 Siehe UNESCO, International Declaration on Human Genetic Data, http:// portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=17720&URL_DO=DO_TOPIC&URL_ SECTION=201.html [letzter Aufruf am 10.11.2013]; Heyers, MedR 2009, S. 507, 508; Wertz/Nippert/Wolff, Patient and Professional Responsibilities in Genetic Counseling, in: Sass/Schröder, Patientenaufklärung bei genetischem Risiko, S. 79 (87). 390 Vgl. Damm/König, MedR 2008, S. 66. 391 So auch Damm/König, MedR 2008, S. 66; demgegenüber kritisch: Heyers, MedR 2009, S. 507 (508). 392 In Übereinstimmung mit Heyers, MedR 2009, S. 507 (508).
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
Ergebnissen. Dabei schaffen genetische Tests zwar keine originär neuen Probleme, können bisherige Probleme aber verschärfen.“393 Auch Kritiker relativieren, „genetische Informationen [seien] nichts gänzlich Außergewöhnliches oder Einzigartiges“, und ergänzen dieses Postulat um die weiche Aussage, dass genetische Informationen doch den „Status des ‚Besonderen‘, wenn auch nicht ‚ganz Außergewöhnlichen oder Einzigartigen‘ “ haben.394 Selbst der Nationale Ethikrat negierte zunächst die Sonderstellung gendiagnostischer Informationen: „Prädiktive Gesundheitsinformationen, die begründete Wahrscheinlichkeitsaussagen über zukünftig auftretende, zum Untersuchungszeitpunkt noch nicht manifeste Erkrankungen zulassen, könn[t]en auch mit anderen Methoden erzeugt werden.“ – um diese Argumentation zugleich zu relativieren: „Allerdings weisen prädiktive genetische Untersuchungen Besonderheiten auf“.395 Ungeachtet dieser „fließenden Übergänge“396 spielt aber auch ein ganz anderer Umstand eine bedeutende Rolle. In medizinischem Kontext werden genetische Analysen gerade oftmals aufgrund ihres besonderen Informationsgehaltes durchgeführt. Folglich häufen sich in der Gendiagnostik potentiell problematische Merkmale medizinischer Informationen in ganz besonderer Weise.397 Gerade weil es sich bei genetischen Charakteristika um eben solche handelt, „die gemeinsam besonders häufig auf Ergebnisse prädiktiver genetischer Diagnostik zutreffen“, muss zugestanden werden, dass „ein solches Zusammentreffen in anderen medizinischen Zusammenhängen eher selten ist“.398 Im Gegensatz zu anderen gesundheitsspezifischen oder „me393 Auch wenn der Autor im Folgesatz darauf beharrt, dass dies „nicht ausreicht, um Befunden aus Gentests eine neue Qualität zuzuschreiben“, siehe Simon, Gen diagnostik und Versicherung, S. 137; zudem werden die möglichen Auswirkungen auf „die eigene Psyche, für genetisch Verwandte, für die Lebensplanung“ betont, siehe Scherrer, GenDG, S. 92. 394 Siehe Schröder, Gendiagnostische Gerechtigkeit, S. 214; zusammengefasst von: Damm/König, MedR 2008, S. 64. 395 So heißt es weiter: „Genetische Risikofaktoren bleiben zeitlebens bestehen, selbst wenn sich ihre Auswirkungen auf der phänotypischen Eben beeinflussen lassen. Daher werden sie oft als besonders bedrohlich wahrgenommen. Des Weiteren kann mithilfe genetischer Untersuchungen eine Reihe von Krankheiten mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, in einigen Fällen mit 100-prozentiger Sicherheit vorhergesagt werden. Auch wird die große zeitliche Reichweite genetischer Untersuchungen von anderen Untersuchungsmethoden nicht erreicht.“, Nationaler Ethikrat, Prädiktive Gesundheitsinformationen bei Einstellungsuntersuchungen, S. 9. 396 Vgl. DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 31 f. 397 Siehe auch Damm/König, MedR 2008, S. 64 f.; so vereinen gendiagnostische Methoden und Ergebnisse regelmäßig eine „Gesamtheit“ einzelner, wenn zwar nicht einzigartiger Merkmale auf sich, siehe Scherrer, GenDG, S. 91. 398 Hildt, Autonomie in der biomedizinischen Ethik. Genetische Diagnostik und selbstbestimmte Lebensgestaltung, S. 227; Damm/König, MedR 2008, S. 64 f.
§ 3 Personalisierung der Gendiagnostik91
dizin-therapeutischen“ Daten stehen Ergebnisse prädiktiver genetischer Diagnostik meist in besonderem lebensweltlichen Kontext:399 Wenn asymptomatische, „gesunde“ Patienten mit Wahrscheinlichkeitsprognosen konfrontiert werden, nehmen Handlungszusammenhänge, Entscheidungsspielräume der Lebensgestaltung und Familienplanung „lebensweltliche“ Dimensionen an.400 Die Humangenetik birgt dann erhebliche neue Herausforderungen für Arzt und Patient, Angehörige, aber auch Medizinethiker und Juristen. Demgegenüber sind in klinischem Kontext zukunftsbezogene Prognosen meist an vorhandene Symptome oder erste Krankheitsanzeichen geknüpft.401 In der modernen genetischen Diagnostik muss dies aber gerade nicht der Fall sein. Zwar ist die absolut-differenzierende Aussage, „dass aufgedeckte bereits ausgebrochene Krankheiten [stets], aufgedeckte gefahrerhebliche genetische Dispositionen dagegen [nie] therapiefähig“402 seien, ohne jeden Zweifel in Abrede zu stellen. Doch sind Relativierungen dahingehend vorzunehmen, dass graduelle Unterschiede in der Medizin einen Sonderstatus genetischer Information rechtfertigen.403 Genetische Informationen lassen sich nicht einmal von der betroffenen Person mutieren oder in irgendeiner Weise molekularbiologisch beeinflussen. Hinsichtlich ihres Umfangs und der persönlichen Bedeutung sind die Aussagen der Gendiagnostik nur schwer greifbar und bergen zudem das Risiko, aufgrund von Wahrscheinlichkeiten eine „genetische Diskriminierung“ von Menschen nicht gänzlich ausschließen zu können.404
399 Vgl. Hildt, Autonomie in der biomedizinischen Ethik. Genetische Diagnostik und selbstbestimmte Lebensgestaltung, S. 227; Damm/König, MedR 2008, S. 64 f. 400 Vgl. Damm/König, MedR 2008, S. 64 f.; Hildt, Autonomie in der biomedizinischen Ethik. Genetische Diagnostik und selbstbestimmte Lebensgestaltung, S. 227. 401 Siehe Damm/König, MedR 2008, S. 64 f.; DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 32. 402 Mit weiteren Hinzufügungen: Damm/König, MedR 2008, S. 64 f. in leichter Abwandlung zu: Taupitz, Genetische Diagnostik und Versicherungsrecht, S. 41, 50 ff. 403 Vgl. Damm/König, MedR 2008, S. 65. 404 Siehe des Weiteren BT-Drs. 10/9020, S. 134: „Unter ‚genetischer Diskriminierung‘ ist eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ihrer genetischen Ausstattung zu verstehen“, ferner Nationaler Ethikrat, Prädiktive Gesundheitsinformationen bei Einstellungsuntersuchungen, S. 47; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6 f.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
II. „Genetischer Determinismus“ Es ist bereits angeklungen, dass der Begriff des „genetischen Exzeptionalismus“ in diesem Kontext umstritten ist. Zum Teil wird er jedoch auch fälschlicherweise mit „genetischem Determinismus“ gleichgesetzt.405 Dabei setzt die Genetik den Begriff des „genetischen Determinismus“ keineswegs restriktiv ein.406 So sprechen wir einerseits davon, dass „unsere Hand fünf Finger habe, sei ‚genetisch determiniert‘ “, und meinen damit, „dass alle ‚normalen‘ Menschen fünf Finger haben. [Zugleich] können wir weder einen Prozess, der zur Ausbildung von fünf Fingern führt, noch die notwendigen genetisch festgelegten Anfangsbedingungen wirklich [benennen].“407 Folglich spielt die Figur der „genetischen Determinierung“ in der Diskussion um prädiktive Gentests eine wichtige Rolle und wirft zugleich komplexe konzeptionelle Probleme auf.408 Allgemein wird unter „genetischem Determinismus“ die eindeutige Festlegung des Phänotyps (Organismus) durch den Genotyp (DNS) verstanden.409 Man geht also davon aus, „die in der DN[S] gespeicherte Information [sei] hinreichend […], um den gesamten Organismus vollständig festzulegen“.410 Doch ist der Mensch weder physisch noch psychisch durch sein Genom determiniert.411 Auch seine sozialen Interaktionen und seine Verhaltensweise sind nicht genetisch vorbestimmt.412 Vielmehr kann in diesem Kontext gar nicht oft genug betont werden, wie sehr das Verhältnis von Genotyp zu Phänotyp auf einem komplexen Zusammenspiel zwischen Genen, Umwelt und epigenetischen Faktoren beruht.413 „Der zentrale Punkt ist […], dass der Beitrag, den jede […] Variante […] an einem einzigen Genort zu den Gesamteigenschaften eines Individuums, zum Phänotyp liefert, nicht nur von diesem Gen allein abhängt, sondern auch davon, welche […] allelischen Belegungen an allen anderen Genorten in diesem Individuum vorliegen.“414 Dabei ist die Ausprägung des menschlichen Genoms nicht allein 414
405 In weitester Anlehnung an: Kersten, Klonen, S. 497; Stockter, in: Prütting, Medizinrecht, § 4 GenDG, Rn. 9. 406 Vgl. Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 8 f. 407 Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 8 f. 408 Vgl. Heinrichs, Ethische Aspekte, in: Propping et al., Prädiktive genetische Testverfahren, S. 135 f. 409 Vgl. Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 8 ff. 410 Siehe mit ausführlichen metaphysischen und methodischen Nachweisen: Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 8 ff. 411 Vgl. zum Folgenden statt vieler Kersten, Klonen, S. 491; Honnefelder, Versuchungen des Menschen, S. 182. 412 Vgl. Kersten, Klonen, S. 491. 413 So auch Kersten, Klonen, S. 491; Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 8 ff.
§ 3 Personalisierung der Gendiagnostik93
durch Gene oder Allele definiert. Die Interaktion zwischen DNS-Bausteinen, Umwelt und epigenetischen Faktoren lässt an die Stelle einer „Ein-Gen-EinProtein-Hypothese“ vielmehr die Theorie eines „dynamisch-epigenetischen Netzwerks“415 treten.416 Während des gesamten Wachstums bis hin zur Geburt prägen u. a. Ernährung, Erziehung, soziale und politische Bedingungen die Expression der Gene.417 Dies ist nicht zuletzt anhand der unterschiedlichen Entwicklung eineiiger Zwillinge nachzuvollziehen:418 Trotz oder gerade wegen der individuellen genetischen „Identität“ entwickeln sich diese nicht „zu“, sondern „als“ verschiedenartige Personen.419 Die Ergebnisse genetischer Variation sind also Ausdruck der individuellen Persönlichkeit eines jeden Menschen.420 „[Our genetic individuality) shows itself forth in our distinctive appearance through which we are everywhere recognized, it is revealed in our signature marks of fingerprints and out self-recognizing immune system, it symbolizes and foreshadows exactly the unique, never-to-be-repeated character of each human life.“421 414
III. „Exzeptionalität“ genetischer Informationen als normativer Regelungsansatz Vielleicht mag die vorangehende Diskussion auf den ersten Blick juristisch etwas abstrakt anmuten. Bei näherer Betrachtung ist dieser Diskurs jedoch nicht nur fachwissenschaftlich für die Medizin bedeutsam.422 Auch von rechtspraktischer und rechtspolitischer Relevanz zeigt sich die konzeptionelle Einordnung eines „genetischen Exzeptionalismus“: Sie korrespondiert mit der Regulierungsproblematik prädiktiver Gesundheitsinformationen, namentlich im Zusammenhang prädiktiver genetischer Untersuchungen, und den hierauf bezogenen Regelungsansätzen.423 So formulierte die UNESCO bereits 1997 eine (rechtlich unverbindliche) „allgemeine Erklärung über das menschliche Genom und die Menschen Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 25. Strohmann, Was kommt nach dem genetischen Determinismus, S. 25. 416 Vgl. Kersten, Klonen, S. 491. 417 Statt vieler Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 7 ff.; Kersten, Klonen, S. 491. 418 Siehe Bell/Spector, A twin approach to unraveling epigenetics, Trends Gen 2011 S. 116 ff. 419 Vgl. Kersten, Klonen, S. 499. 420 Vgl. Kersten, Klonen, S. 499. 421 Kass, The Wisdom of Repugnance, S. 161. 422 So Damm/König, MedR 2008, S. 62. 423 Vgl. Damm/König, MedR 2008, S. 62. 414 Siehe 415 Vgl.
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1. Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung
rechte“.424 Dabei wurde zunächst das grundlegende Anliegen zum Ausdruck gebracht, dass jeder Mensch unabhängig von seinen genetischen Eigenschaften besonders zu achten ist:425 Art. 2: „Jeder Mensch hat das Recht auf Achtung seiner Würde und Rechte, unabhängig von seinen genetischen Eigenschaften.“ Art. 6: „Niemand darf einer Diskriminierung aufgrund genetischer Eigenschaften ausgesetzt werden, die darauf abzielt, Menschenrechte, Grundfreiheiten oder die Menschenwürde zu verletzen, oder dies zur Folge hat.“ Art. 5 c): „Das Recht jedes einzelnen, darüber zu entscheiden, ob er von den Ergebnissen der genetischen Untersuchung und den sich daraus ergebenden Folgen unterrichtet werden will, soll geachtet werden.“
Demgegenüber nahm in Deutschland 1988 die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Genomanalyse“ erstmalig ihre Arbeit auf: Während Sachverständige des Datenschutzes ein grundsätzliches Verbot von Genomanalysen einforderten, vertrat die Arbeitsgruppe bereits mehrheitlich, dass ein solch generelles Verbot nicht angezeigt sei: „[V]on zentraler Bedeutung sei [vielmehr] die Freiwilligkeit der Untersuchung, die Beachtung des Rechts auf Nichtwissen und die Sicherung der Vertraulichkeit der Daten.“426 Erst 22 Jahre später trat das Gendiagnostikgesetz (GenDG) in Kraft.427 Ziel des Gendiagnostikgesetzes ist es nunmehr, „die mit der Untersuchung menschlicher genetischer Eigenschaften verbundenen möglichen Gefahren von genetischer Diskriminierung zu verhindern und gleichzeitig die Chancen des Einsatzes genetischer Untersuchungen für den einzelnen Menschen zu wahren.“428 Mit Erlass des eigenständigen Regelungswerkes hat der Gesetzgeber grundlegend die „Besonderheit genetischer Information“ bestätigt.429 „Das Gesetz geht von der Besonderheit genetischer Daten aus. Die mittels genetischer Untersuchungen gewonnenen genetischen Informationen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie ihre Bedeutung über lange Zeiträume behalten. Sie können daher als persönliche identitätsrelevante Gesundheitsdaten mit hohem prädiktiven Potential verbunden sein und gegebenenfalls auch Informationen über Dritte (Verwandte) offenbaren. 424 Siehe UNESCO, Allgemeine Erklärung über das menschliche Genom und die Menschenrechte, http://www.unesco.de/445.html [letzter Aufruf am 17.11.2013]. 425 Mit weiteren Erläuterungen, UNESCO, Allgemeine Erklärung über das menschliche Genom und die Menschenrechte, http://www.unesco.de/445.html [letzter Aufruf am 17.11.2013]. 426 Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, S. 644 f. 427 Nach einem intensiven Prozess der (rechts-)politischen Willensbildung, vgl. BT-Drs. 16/10532, passim. 428 BT-Drs. 16/10532. 429 Siehe einführende Erläuterungen, BT-Drs. 16/10532; vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 173.
§ 3 Personalisierung der Gendiagnostik
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Sie können von der betroffenen Person nicht beeinflusst werden und sind hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer möglichen Bedeutung für sie nicht abschätzbar. Genetische Daten bergen prinzipiell Risiken sozialer, ethnischer und eugenischer Diskriminierung. […] Angesichts der Erkenntnismöglichkeiten der Humangenetik ist ein besonderer Schutzstandard erforderlich, um die Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger adäquat zu schützen. Darüber hinaus besteht in diesen Bereichen ein erhöhtes Risiko des Missbrauchs zu Lasten der betroffenen Personen, da die in diesem Zusammenhang vorgenommenen Untersuchungen geeignet sein können, Informationen über die genetische Disposition der Betroffenen zu deren Nachteil zu verwenden.“430 Als Konsequenz der Gesetzgebung hat sich also nicht nur naturwissenschaftlich eine Akzentverschiebung vollzogen.431 Die rechtliche Einschätzung einer genetischen „Einzigartigkeit“ soll davor warnen, das Besondere der Gendiagnostik durch eine sehr allgemein gehaltenen Grundsatzdiskussion zur „Exzeptionalität“ genetischer Information und eine mögliche „Generalisierung der Normgenerierung“ für sämtliche prädiktive Informationen zu gefährden.432 Insoweit erscheint es angezeigt, in einem ersten Schritt zu untersuchen, wie sich der „genetische Exzeptionalismus“ innerhalb der grundrechtlichen Rahmenbedingung zur Gen- und Pränataldiagnostik entfaltet und verfassungsrechtlich am Maßstab des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) zu messen ist.
430 BT-Drs. 16/10532, S. 1, 16 f.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 173 f.; BTDrs. 14/9020, S. 116, 131 f.; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6; Damm/ König, MedR 2008, S. 62 (66); Heyers, MedR 2009, S. 507 (508); Taupitz/Guttmann, Rechtswissenschaftliche Aspekte, in: Propping et al., Prädiktive genetische Testverfahren, S. 62 f.; Kiehntopf/Pagel, MedR 2008, S. 344 ff. 431 Vgl. Damm/König, MedR 2008, S. 70 f. 432 Vgl. Damm/König, MedR 2008, S. 70 f.
2. Teil
Rechtlicher Rahmen § 4 Verfassungsrecht Mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms hat die Frage nach dem normativen Umgang mit den gendiagnostisch erlangten Informationen eine neue Dimension erfahren. Ängste und Hoffnungen werden gleichermaßen geschürt: Während die einen den Vergleich mit der „Büchse der Pandora“ suchen, prophezeien andere geradezu „goldene Zeiten“ für die medizinische Versorgung der Menschheit.1 Insbesondere die rechtliche Einordnung genetischer Drittinformation bedingt dabei einen diffizilen Grundrechtskonflikt.2 „Ein 48-jähriger Mann wurde mit wiederholten, belastungsabhängigen thorakalen Schmerzen zur Abklärung des Verdachts auf eine koronare Herzkrankheit stationär aufgenommen. […] Eine Kombinationstherapie aus Thrombozytenaggregationshemmern und Atorvastatin 40 mg täglich wurde eingeleitet. Zwei Wochen später traten Myalgien (Muskelschmerzen) […] auf. […] Der Vater des Patienten klagte im Alter von 65 Jahren ebenfalls über Muskelschmerzen in den proximalen Ex tremitäten unter einer Therapie mit Atorvastatin. […] Eine erbliche Muskel erkrankung wurde ausgeschlossen, und beide Patienten wurden hinsichtlich des SLCO1B1-Gens typisiert. Der Sohn wurde als homozygot und sein Vater als heterozygot für die Risikoallele identifiziert.“3
Bedenkt man, dass die schwerste Form der toxischen Myopathie, die Rhabdomyolyse, zur vollständigen Lähmung aller Gliedmaßen führen und schließlich tödlich enden vermag,4 ließe sich sogleich eine Informations1 Vgl. Herdegen, Die Erforschung des Humangenoms als Herausforderung für das Recht, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen. S. 233 f. 2 Vgl. auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 163 ff. 3 Fallkonstellation siehe: Lux/Wärntges/Bergner/Kütting, Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit durch Identifizierung genetisch prädisponierter Patienten, Bundesgesundheitsblatt 2013, S. 1553 f., erstmalig publiziert: Notarangelo et al., Genetic predisposition to atorvastatin-induced myopathy: a case report, J Clin Pharm Ther 2012, S. 604 ff. 4 Siehe Review: Tomaszewski et al., Statin-induced myopathies, Pharmacol Rep 2011, S. 859–866.
§ 4 Verfassungsrecht97
pflicht auf Leben und Tod befürworten:5 Doch wie ist bei weniger gravierenden Erkrankungen zu verfahren? Hat ein Geheimhaltungsinteresse den Schweregrad oder gar die Behandlungsrelevanz der Erkrankung zu berücksichtigen? Oder gilt es nicht auch in Rechnung zu stellen, dass ein „gesunder Kranker“ möglicherweise gar nicht aufgeklärt werden möchte?6 Der Verdeutlichung soll hierbei ein aktueller Rechtsstreit vor dem OLG Koblenz dienen: Dieser hatte u. a. eine Schadensersatzforderung gegen einen Arzt zum Gegenstand.7 Zwar war die Antragstellerin nicht Patientin dieses Arztes, aber deren geschiedener Ehemann. Bei ihm wurde die Erbkrankheit Chorea Huntington diagnostiziert. Aufgrund dieser Diagnose und der Veranlassung ihres Mannes wurde die frühere Ehefrau über das Erkrankungsrisiko der gemeinsamen Kinder in Kenntnis gesetzt. Daraufhin löste die „Ungewissheit über die Anlage der unheilbaren und bei Ausbruch sicher zum Tode führenden Erbkrankheit im Gengut der Kinder“ bei der Klägerin psychische Störungen und einen sog. Schockschaden aus.8 Die Problemlösung solcher Interessenkonflikte misst sich zunächst an den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen. Folglich ist zu reflektieren, wie das „multipolare […] Interessengeflecht“9 der Genetik grundrechtlich zu konturieren ist. Der erste Hauptteil untersucht dabei, inwieweit verfassungsrechtliche und europarechtliche Normgehalte genetische Informationen berühren. Im Anschluss daran soll die am 01.02.2010 in Kraft getretene Konfliktlösung des deutschen Gesetzgebers – das Gendiagnostikgesetz – normativ näher in Betracht genommen werden. Vor dem Hintergrund einer (inter-)nationalen progredierenden Personalisierung wird sodann die zentrale Frage nach einer verfassungsrechtlichen Bewertung der derzeitig geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen aufgeworfen.
A. Verfassungsrechtliche Schutzpflichtdimensionen In verfassungsrechtlichem Kontext rühren genetische Informationen an die höchst-persönliche Identität eines jeden Menschen. Grundrechtliche Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 163 ff. Herleitung auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 164. 7 OLG Koblenz, MedR 2012, 742; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 164 ff. 8 Ausführliche Fallbesprechung im Kontext eines Antrags auf Prozesskostenhilfe, siehe Damm, Prädiktive Gendiagnostik im Familienverband und Haftungsrecht, MedR 2012, S. 705; OLG Koblenz, MedR 2012, S. 742; im Bezug auf genetische Drittinformation: Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 164 ff. 9 Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 164 ff. 5 Übereinstimmend 6 Vgl.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
Überlegungen finden diesbezüglich ihren Ursprung im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG). So prägt das genetische (Nicht-)Wissen die Wahrung der personalen Identität und insofern der Selbsterkenntnis maßgeblich.10 Gleichzeitig stellt die Erhebung gendiagnostischer Proben einen körperlichen Eingriff in das Leben und die körperliche Unversehrtheit dar (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG).11 Dabei wirken sich molekularbiologische Genanalysen auch mittelbar auf den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG aus, wenn unsichere Testinformationen weitere Folgeuntersuchungen bedingen.12 Mitunter erschüttert der gendiagnostische Fortschritt jedoch die pauschale Vermutung eines ausreichenden und lückenlosen Schutzes: Das aktuelle Verständnis des molekularbiologischen Menschseins fordert ein Umdenken.13 In diesem Prozess bleibt die Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) die „letzte und unübersteigbare Hürde“ zur Wahrung der Rechte des Individuums.14 So erwachsen nicht zuletzt aus der Menschenwürde Schutzpflichten, die den Gesetzgeber im Hinblick auf neue persönlichkeitsrelevante Entwicklungen zur kontextuellen Bewertung im Einzelfall aufrufen.15 Mit den Regelungen genetischer Untersuchungen und Analysen16 leistet der Gesetzgeber dieser ihm aufgetragenen Schutzpflicht Folge.17 Seinem Willen nach soll das in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Recht der informationellen Selbstbestimmung im Gendiagnostik 10 So auch BVerfGE 49, 286 (298); Scherrer, GenDG, S. 248; van den Daele, Mensch nach Maß? S. 80 f.; Wiese, Gibt es ein Recht auf Nichtwissen? In: FS Niederländer, S. 481. 11 Vgl. Stockter, in: Prütting, Medizinrecht, § 2 GenDG, Rn. 8. 12 Siehe Stockter, in: Prütting, Medizinrecht, § 2 GenDG, Rn. 8. 13 Vgl. Scherrer, GenDG, S. 196 f. 14 Siehe auch Scherrer, GenDG, S. 196 ff.; Höfling, in: Sachs, Grundgesetzkommentar, 5. Auflage, 2009, Art. 1 Rn. 30 sowie Höfling, in: Sachs, Grundgesetzkommentar 27, 29 f., 36 f.; zur Sicherung menschenwürdiger Existenzbedingungen: Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG Kommentar, Art. 1 GG; Rn. 78. Grundlegend zeichnen sich in der Konzeption der Menschenwürde Schwierigkeiten einer klaren begrifflichen Bestimmung ab. Annäherungsversuche reichen dabei mitunter von philosophischer bis zu christlicher Prägung, siehe Scherrer, GenDG, S. 196 ff. (202) sowie Eibach, Gentechnik-Erzeugung, S. 106. Verfassungsrechtlich werden fallgruppenspezifische Konstellationen zur Konturierung der Menschenwürde beschrieben – demgegenüber knüpfen die Vertreter der Objektformel zur Konturierung des Würdebegriffs an die Qualität des Verletzungsvorgangs, siehe BVerfGE 27, 1 (6); 30, 1 (26), ferner § 50, 166 (175); Dederer, JöR 2009, S. 89 ff.; ihr Anspruch ist es, durch den Verzicht auf starre Definitionen den sich neu entwickelnden Bedrohungen der Menschenwürde gerecht zu werden, vgl. Vitzhum, JZ 1985, S. 201 f.; Scherrer, GenDG, S. 198 ff. 15 Vgl. Scherrer, GenDG, S. 196 ff. (202). 16 Gemeint ist in diesem Kontext das Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen (GenDG). 17 Vgl. Scherrer, GenDG, S. 196 ff. (202).
§ 4 Verfassungsrecht99
gesetz einen besonders hohen Stellenwert einnehmen.18 Insoweit gilt es in einem multipolaren Interessenkonflikt – wie dem hier interessierenden zwischen Information und Verschwiegenheit – die Schutzdimension des Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung in den Mittelpunkt der Analyse zu stellen: Zunächst ist also in den Dimensionen des grundrecht lichen Schutzgedankens zu differenzieren.19 I. Integritäts- und Entfaltungsschutz Die Bewertung einer verfassungsrechtlichen Schutzbedürftigkeit wird einerseits in der Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Entfaltungsschutz und andererseits der Differenzierung zwischen Integritäts- und Sphärenschutz vollzogen:20 Grundrechtliche Gewährleistungsdimensionen dienen dem Entfaltungsschutz (Verhaltensfreiheiten)21 und suchen zugleich, die freie Ausübung bestimmter Handlungen zu schützen.22 Dem Staat ist es dabei grundsätzlich verboten, diese zu untersagen oder einzuschränken.23 Demgegenüber steht eine weitere grundrechtliche Komponente für den Schutz einer bestimmten Integritätssphäre (Störungsfreiheit)24 ein.25 Gewährleistet wird ein Freiheitsraum, der vor Eingriffen des Staates schützen soll.26 Ist der Einzelne in seinem „Recht, in Ruhe gelassen zu werden“27 gestört, so ist auch seine Integrität betroffen.28 Diesem Gedanken trägt die hierzu BT-Drs. 16/10532, S. 1 sowie Hahn, in: Kern, GenDG, § 1, Rn. 13. auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 163 ff. 20 Vgl. Grimm, in: Lorenz/Grimm/Schwerdtner, Schutz der Persönlichkeit, Karlsruher Forum, S. 3 ff., Stockter, Individualität, S. 395 f.; eingehend Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 196 ff. 21 Siehe Lorenz, Allgemeine Handlungsfreiheit und unbenannte Freiheitsrechte, in: FS Maurer, S. 213 (220 f.); Stockter, Individualität, S. 395 f.; Stern begreift den Begriff der „natürlichen Handlungsfreiheit“ als Verhaltensfreiheit, vgl. Stern, Staatsrecht III/1, S. 628 (634). 22 Vgl. „handlungsbezogene Rechte“, Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 332 f.; Stockter, Individualität, S. 395 f.; Dreier, in Dreier, Grundgesetzkommentar, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 23. 23 So Stockter, Individualität, S. 395 f. 24 Lorenz, in: FS Maurer, S. 213, 220. 25 Vgl. auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 333; Stockter, Individualität, S. 395 f.; „Freiheitsrechte“ (im engeren Sinne) Stern, Staatsrecht III/1, S. 624 ff.; „Integritätsschutz“, siehe Dreier, Grundgesetzkommentar, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 23, Termini nach Schwerdtner. 26 So Stockter, Individualität, S. 395 f. 27 Murswiek, in: Sachs, Grundgesetzkommentar, Art. 2 GG, Rn. 70; Stockter, Individualität, S. 395 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte 28. Aufl., Rn. 388 m. w. N. 28 Vgl. Stockter, Individualität, S. 395 f. 18 Siehe 19 So
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
verfassungsrechtliche Auslegung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts Rechnung.29 In diesem Sinne konstatierte das Bundesverfassungsgericht, dass das „verfassungsrechtlich gewährleistete [A]llgemeine Persönlichkeitsrecht“ die Aufgabe suche, „die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten.“30 Allerdings ist für das vom Bundesverfassungsgericht angenommene Allgemeine Persönlichkeitsrecht paradigmatisch, dass es sich sowohl auf Art. 1 Abs. 1 GG als auch auf Art. 2 Abs. 1 GG stützt: Garantiert wird es insoweit durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.31 Das auf diese Weise entstehende Recht bleibt dem „aktiven Element“32 (dem „Tun“) des Art. 2 Abs. 1 GG zugeordnet; zugleich schützt es das „passive Element“ den Zustandsbezug (das „Sein“) der Persönlichkeitsentfaltung.“33 Folglich ist die aufgezeigte Unterscheidung zwischen Entfaltungs- und Integritätsschutz lediglich eine dogmatische Abgrenzung.34 Sie soll der Begriffszeichnung verschiedener grundrechtlicher Schutzrichtungen dienen.35 Regelmäßig lassen sich grundrechtliche Freiheitsgewährungen nicht ausschließlich einer Dimension zuordnen: So kann ein- und dasselbe Grundrecht sowohl durch integritäts- als auch entfaltungsrechtlichen Schutzcharakter beschrieben sein.36 Als dogmatische und außernormative Zuordnungen weisen derartige Kategorisierungen keine schutzbereichsdefinierenden Wirkungen auf.37 „Entscheidend für den Schutzumfang des jeweiligen Grundrechts bleibt der normativ erfasste Lebensbereich“.38 II. Allgemeines Persönlichkeitsrecht „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“ (Art. 2 Abs. 1 GG). Der Gewährleistungsgehalt des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit steht in engem Zusammenhang mit dem Recht auf Achtung und Schutz der unantastStockter, Individualität, S. 395 f. 54, 148 (153). 31 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 333. 32 Handlungsbezug: Tun. 33 Indem es ein „Recht auf Respektierung des geschützten Bereichs“ gewährt, siehe auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 333 f. 34 Siehe Stockter, Individualität, S. 395 ff. 35 Siehe Stockter, Individualität, S. 395 ff. 36 Vgl. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/1, S. 46; Stockter, Individualität, S. 395 ff. 37 Vgl. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/1, S. 46; Stockter, Individualität, S. 395 ff. 38 Siehe Stockter, Individualität, S. 397. 29 So
30 BVerfGE
§ 4 Verfassungsrecht101
baren Würde des Menschen.39 In seiner Schutzrichtung ist Art. 2 Abs. 1 GG in der verfassungsrechtlichen Praxis als „Allgemeines Persönlichkeitsrecht“ nach Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG „verselbstständigt“40 worden.41 Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht sichert einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem der Einzelne seine Individualität entwickeln und wahren kann.42 Insofern akzentuiert die Würde des Menschen den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und korrigiert zugleich das Schrankenmodell des Art. 2 Abs. 1 GG.43 Eine Eingrenzung ist unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglich, „wenn sie zum Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsgutes geeignet und erforderlich ist und wenn der Schutzzweck so schwer wiegt, daß er die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts in ihrem Ausmaß rechtfertigt.“44 Dabei wendet sich das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht nur gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt: Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verwirklicht vielmehr auch einen objektiven Schutzgehalt und vermag insoweit privatrechtsgestaltende Wirkung anzunehmen.45 1. Normative Differenzierung Im Laufe der verfassungsrechtlichen Entwicklung haben sich typisierte Ausformungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts herausgebildet.46 Diese grundrechtsdogmatischen Konkretisierungen verfolgen den Zweck, verfassungsrechtlich geschützte Lebensbereiche zu konturieren.47 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung soll eine vergleichbare Bewertung sichergestellt und zugleich ein höheres Maß an Rechtssicherheit und Praktikabilität angestrebt werden.48 Auf grundrechtsdogmatischer Ebene sind dabei vier Badura, Staatsrecht, C, Rn. 34 f. Badura, Staatsrecht, C, Rn. 34 f. 41 Vgl. BVerfGE 27,1; 32, 373; 34, 238; 34, 269; 54, 148; 63, 131; 65, 1; BGHZ 26, 349. 42 Vgl. BVerfGE 90, 263 (270); 79, 256 (268); Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 35 ff. 43 Vgl. Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 35 ff.: Daher ist auch die in zivilrechtlichen Entscheidungen zu findende Berufung auf „Art. 1 I und 2 I“ unpräzise, so auch Jarass, NJW 1989, S. 857. 44 Siehe BVerfGE 90, 263 (271); Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 35 ff. 45 So Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Art. 2 GG, Rn. 340 ff.; Badura, Staatsrecht, C, Rn. 34 f. 46 Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Art. 2 GG, Rn. 347. 47 So Lorenz, in: FS Maurer, S. 213, 218; Stockter, Individualität, S. 386 f. 48 Vgl. Stockter, Das Verbot genetischer Diskriminierung und das Recht auf Achtung der Individualität, S. 386 f. 39 Vgl. 40 So
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
verschiedene verfassungsrechtliche Kategorisierungen zu unterscheiden: Einzelfallbetrachtungen, Fallgruppenbildungen, Teilgewährleistungsbereiche sowie die Behandlung als unbenanntes Grundrecht.49 a) Grundrechtsdogmatische Konkretisierungen Zunächst sind in der verfassungsrechtlichen Bewertung des zugrundeliegenden Sachverhalts alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (Einzelfallbetrachtung). Hierbei ist dem Gedanken der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen: Denn Rechtssicherheit kann nur dort bestehen, „wo rechtliche Entscheidungen – aufgrund klar erkennbarer Entscheidungsprinzipien – vorhersehbar sind.“50 Diese Möglichkeit scheidet insofern aus, wenn der behandelte Problemkreis uneinheitlich ist – also typisierende Strukturmerkmale nicht erkennbar sind.51 Demgegenüber sind „Vertypungen auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung“ einzuordnen, wenn die von der Problemstellung erfassten Konstellationen in typisierender Betrachtung als besonders schwerwiegend imponieren.52 Bereits auf der Ebene des grundrechtlichen Schutzbereiches lassen sich vertypisierte Teilgewährleistungsbereiche bilden: Sie finden Anwendung, sofern der „Problemkreis so wesentlich erscheint, dass er nicht nur im Rahmen der materiellen Verhältnismäßigkeitsprüfung in typisierter Form besondere Berücksichtigung finden soll, sondern auch durch das formale Kriterium des Gesetzesvorbehaltes vor Vernachlässigung geschützt werden soll.“53 Begründet wird die Vertypung sowohl mit der Wertigkeit des betroffenen Rechtsguts als auch mit der Frequenz von Eingriffen in einen bestimmten Lebensbereich.54 Schließlich entwickelte sich eine grundrechtliche Gewährleistung, der rechtsdogmatisch der Rang eines „unbenannten Grundrechts“ zugesprochen Stockter, Individualität, S. 388 f. Individualität, S. 388 f. 51 Vgl. Stockter, Individualität, S. 388 f. 52 Insofern stellt die Bildung von Teilgewährleistungsbereichen eine Untergruppe der Fallgruppenbildung dar, siehe Stockter, Individualität, S. 388 f. 53 Stockter, Individualität, S. 388 f. 54 So führt Stockter in diesem Kontext das Allgemeine Persönlichkeitsrecht an, siehe Stockter, Individualität, S. 388 f.: „Als ein Beispiel für solche Teilgewährleistungsbereiche lassen sich das [A]llgemeine Persönlichkeitsrecht und innerhalb dieses Gewährleistungsbereichs wiederum das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auffassen, welche innerhalb des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit besonders hervorgehobenen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegen.“ 49 Siehe
50 Stockter,
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wird.55 Um eine derartige Abgrenzung vornehmen zu können, bedarf es jedoch einiger Festlegungen, die letztlich aus Zweckmäßigkeitserwägungen zu treffen sind.56 Würde man nämlich alle Handlungen durch Art. 2 Abs. 1 GG erfassen, so wäre jede bestimmte Handlung betroffen – und stellte man bei handlungsbezogenen prima facie-Positionen allein auf Einschlusskriterien ab, folgten für den Begriff des unbenannten Freiheitsrechts nicht tragbare Konsequenzen: „Es [gäbe] dann so viele unbenannte Freiheitsrechte wie es Handlungsbeschreibungen gibt.“57 Daher ist eine Einschränkung dahingehend vorzunehmen, dass auf den auslösenden Auslegungsanlass abzustellen und das Problem des Konkretisierungsgrundes abzugrenzen ist.58 Auf diese Herausforderungen hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zur Online-Durchsuchung59 eine zeitgemäße und verfassungsrechtliche Antwort gesucht.60 Anknüpfend an das Volkszählungsurteilung könne Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG „gerade auch im Hinblick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit Bedeutung gewinnen. Die bisherigen Konkretisierungen durch die Rechtsprechung umschreiben den Inhalt des Persönlichkeitsrechts nicht abschließend. Es umfasst auch die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Dieses Recht auf ‚informationelle Selbstbestimmung‘ ist nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne hat nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über ‚seine‘ Daten; er ist vielmehr eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit.“61 Insoweit verweisen die verschiedenen Dimensionen unserer Kommunikationsinfrastruktur, aber auch die Mannigfaltigkeit neuartiger Forschungserkenntnisse nicht nur auf unterschiedliche Gefahrenpotenziale, sondern auch auf die eine Funk tionsfähigkeit sichernden oder gefährdenden Akteure.62 Gerade deshalb sind mehrpolige und mehrdimensionale Konzepte des Freiheitsschutzes erforder55 Siehe beispielsweise: Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung; Fisahn, Ein unveräußerliches Grundrecht am eigenen genetischen Code, ZRP 2001, S. 49 ff. Zur begrifflichen Prägung respektive demgegenüber kritisch: Stockter, Individualität, S. 389. 56 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 332 f. 57 So Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 332 f. 58 In weiteren Ausführungen: Stockter, Individualität, S. 390 f. 59 BVerfGE NJW 2008, S. 822 ff. 60 Vgl. Hömig, JURA 2009, S. 213. 61 BVerfGE 65, 1, (41 ff.). 62 Vgl. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1010 ff.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
lich.63 So stößt ein auf das Paradigma der Selbstbestimmung ausgerichteter Datenschutz „dort an seine faktischen – und normativen – Grenzen, wo es dem Einzelnen an Schutzmöglichkeiten oder am Bewusstsein der Schutzbedürftigkeit seiner persönlichen Daten fehlt“:64 Informationelle Systeme haben mittlerweile einen derart hohen Komplexitätsgrad erreicht, dass ein wirkungsvoller medizinischer oder IT-technischer Selbstschutz erhebliche Schwierigkeiten aufwerfen und den Einzelnen überfordern mag.65 Phänomene, wie „cloud computing“66 oder das „Internet of Things“67 konfrontieren den Nutzer mit flüchtig oder dauerhaft generierten, häufig nicht bekannten Daten respektive Verwendungsmöglichkeiten.68 Diese führen zur „Verletzlichkeit“ des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.69 Insofern gewinnen Sicherungen, die den Persönlichkeitsschutz gewährleisten, grundrechtliche Relevanz.70 Der Einzelne, der nicht übersehen kann, worin er einwilligt – der nicht wissen kann, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über wen erfahren kann71 – der kann nicht informiert und somit selbstbestimmt zu einem Grundrechtseingriff ermächtigen.72 Daher hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Online-Durchsuchung73 eine weitere Teilausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Form eines Grundrechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität der informationstechnischen Systeme74 konstituiert:75 „Soweit kein hinreichender Schutz vor Persönlichkeitsgefährdungen besteht, die sich daraus ergeben, dass der Einzelne zu seiner Persönlichkeitsentfaltung auf die Nutzung informationstechnischer Systeme angewiesen ist, trägt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Schutzbedarf in seiner lückenfüllenden Funktion über seine bisher anerkannten Ausprägungen hinaus dadurch Rechnung, dass es die Integrität und Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1011. JZ 2008, S. 1022. 65 Siehe auch BVerfGE NJW 2008, S. 822 ff. 66 Vgl. hierzu unter vielen: Chappell, A Short Introduction to Cloud Platforms. An enterprise-oriented view: http://www.davidchappell.com/CloudPlatforms--Chap pell.pdf [letzter Aufruf am 12.01.2015]. 67 Beispielhaft hierzu: Höller et al., Internet of Things, passim. 68 Siehe Vgl. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1012 f. 69 Vgl. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1012 f. 70 Vgl. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1012 f. 71 Siehe BVerfGE 65, 1 (43). 72 Vgl. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1012 f. 73 Zwar betrifft das Urteil die Online-Durchsuchung, geht aber in seiner verfassungsrechtlichen Reichweite darüber hinaus, vgl. BVerfGE NJW 2008, S. 822 ff.; Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1014 f. 74 BVerfGE NJW 2008, S. 822 ff. 75 Vgl. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1013. 63 Vgl.
64 Hoffmann-Riem,
§ 4 Verfassungsrecht
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Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme gewährleistet.“76 Zugleich muss aber die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Grundgedanken gestellt werden, der eine grundrechtsdogmatische Neukonzeption erforderlich macht.77 Hierbei gilt: Je deutlicher die in der grundrechtlichen Dogmatik gefestigten Grundsätze sind, desto leichter sind Reaktionen auf neue rechts tatsächliche Herausforderungen vorhersehbar.78 Denn letztlich führt eine in den Grundsätzen gefestigte Dogmatik zu einem höheren Maß an Rechtssicherheit.79 Dieser Grundgedanke greift personenbezogene Daten auf,80 die über einen bisherigen Schutz der Privatsphäre hinaus gehen – etwa wenn er auf den Schutz des Verhaltens in einer als Privatsphäre geschützten Situa tion zielt.81 „Das Schutzrecht basiert [dabei] auf den gleichen normativen Prämissen, die Grundlage der Konkretisierungen der anderen Schutzdimensionen des [Allgemeinen] Persönlichkeitsrechts sind.“82 Folglich wurde der grundrechtliche Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme nicht als neues Grundrecht konzipiert83, sondern als eine Ausprägung des Schutzes der Persönlichkeit.84 Auf diese Weise lässt sich eine kaum vorhersehbare Vielfalt von Lebensumständen und persönlichen Charakteristika adressieren.85 Gleichzeitig wird das besondere Gefährdungspotenzial durch die Hervorhebung der Grundrechtsausprägung in typisierender Weise erfasst und die Forderung nach einem typisierend ausgestalteten Schutz aufgestellt.86 Das Bundesverfassungsgericht versteht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht insoweit als ein Grundrecht, dessen Schutzbereich offen ist für das Einfangen moderner Entwicklungen.87 Die Bewältigung der mit ihnen verbundenen und gegebenenfalls für die menschliche Persönlichkeit auftretenden Gefährdungen können anhand einer kategorisierten Ausprägung im Einzelfall herausgearbeitet werden.88 „Mit der Konkretisierung 76 BVerfGE
NJW 2008, S. 822 ff. Stockter, Individualität, S. 390 f. 78 Siehe Müller/Christensen, Juristische Methodik, S. 32 ff.; Stockter, Individualität, S. 390 f. 79 Siehe Stockter, Individualität, S. 390 f. 80 Demgegenüber spricht Böckenförde, JZ 2008, S. 925 von einer „elektronischen Privatsphäre“. Dem ist jedoch mit Hoffmann-Riem entgegenzuhalten, dass der grundrechtliche Privatsphärenschutz nicht anhand des Mediums zu definieren ist, mit Hilfe dessen die Privatsphäre gestaltet wird, vgl. Hoffmann-Riem JZ 2008, S. 1012 f. 81 Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1014. 82 Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1015. 83 Vgl. Hömig, JURA 2009, S. 207 ff.; Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1022. 84 Vgl. Hömig, JURA 2009, S. 207 ff.; Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1022. 85 Vgl. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1016 f. 86 Vgl. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1019 f. 87 Siehe BVerfGE 54, 148 (153); 95, 220, (241); Hömig, JURA 2009, S. 213. 88 Vgl. BVerfGE 54, 148 (153 f.); 79, 256, 268; Hömig, JURA 2009, S. 213. 77 Siehe
106
2. Teil: Rechtlicher Rahmen
des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zum Grundrecht der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme ist eine derartige Ausprägung“ gefestigt und fortentwickelt worden.89 In einer von technischem Sachverstand geprägten Entscheidung hat das Gericht deutlich gemacht, dass es bei neuen Grundrechtsgefährdungen rechtsfortbildend einzugreifen gewillt ist.90 Dies soll im Weiteren an den Beispielen des Rechts auf Achtung der Individualität, der Identitätsfindung und der informationellen Selbstbestimmung verdeutlicht werden.91 b) Konkretisierungen in Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen.92 Vermögen die tradierten Freiheitsgarantien unseres Grundgesetzes angesichts moderner Entwicklungen den Persönlichkeitsschutz nicht vollumfänglich zu gewähren, kommt es zum Tragen.93 Dies erklärt auch seine Offenheit, die einer abschließenden Definition des Schutzbereiches entgegensteht und eine einzelfallbezogene Konturierung fordert.94 In Teilbereichen unterliegt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht einer typisierenden Gewährleistung. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt die engere persönliche Lebenssphäre und ergänzt die traditionellen Freiheitsgarantien um konstituierende Elemente der Persönlichkeit: Die autonome Lebensgestaltung, die erworbene oder auch gewordene Identität der Person sind vielmehr gleichermaßen zu wahren.95 Auch wird die unverhältnismäßige Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung des Einzelnen und seinen Charakter als Hömig, JURA 2009, S. 213. Hornung, CR 2008, S. 306. 91 Der Einordnung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als unbenanntes Grundrecht in ein Recht auf bioethische Selbstbestimmung etc. gegenüber sehr kritisch: Stockter, Individualität, S. 388 f. 92 BVerfGE 54, 148, 153, ferner E 79, 256, 268; vom Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre ist die Freiheit umfasst, sich in seine Privatsphäre zurückziehen, Dritte von dieser Sphäre auszuschließen und selbst zu entscheiden, was aus dieser Sphäre nach außen dringt, vgl. Taupitz/Guttmann, Rechtswissenschaftliche Aspekte, in: Propping et al., Prädiktive genetische Testverfahren, S. 65 ff.; Degenhart, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG, JS, 361 ff.; Dreier, in: Dreier, Grundgesetzkommentar, Art. 2 Abs. 1 GG, Rn. 69 f. 93 Siehe BVerfGE 54, 148 (153); ferner E 79, 256 (268). 94 Siehe BVerfGE 54, 148 (153); ferner E 79, 256 (268); Lorenz, JZ 2005, S. 1121 (1125); Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 167. 95 Vgl. Badura, Staatsrecht, C, Rn. 34 f. 89 So
90 Siehe
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unzulässig konkretisiert.96 Gendiagnostisch relevante Ausdifferenzierungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts finden sich im Recht auf Schutz der Privat- und Intimsphäre, das die Geheimhaltung persönlicher Lebenssachverhalte sucht, oder im Recht auf Achtung der Individualität (2.) und Identitätsfindung (3.) wieder.97 Auf den Schutz personenbezogener Daten und deren (elektronischer) Verarbeitung stellt zudem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (4.) ab. 2. Recht auf Achtung der Individualität Das Recht auf Achtung der Individualität verkörpert den Gedanken, dass jeder Mensch eine einzigartige Persönlichkeit verkörpert. Die vielschichtige Persönlichkeit eines Jeden entzieht sich einer pauschalisierenden Vereinheitlichung.98 Das Individuum lässt sich nicht auf einen rechtlichen Maßstab reduzieren – die menschliche Persönlichkeit ist individuell und jeder Mensch besonders. „Jeder hat ein Recht darauf, als Individuum geachtet und nicht aufgrund seiner Eigenschaftsindikatoren bewertet und behandelt zu werden“.99 Die Konstruktion des Rechts auf Achtung der Individualität soll dabei verdeutlichen, dass die „Verwendung von personenbezogenen Typisierungen einem besonderen Rechtfertigungserfordernis untersteht“.100 Dabei wird der Gewährleistungsbereich des Rechts auf Achtung der Individualität allerdings auf sog. Eigenschaftsindikatoren begrenzt: Nur wenn Zugehörigkeit zu einer Gruppe besteht, kann der Einzelne als Gruppenmitglied identifiziert werden.101 Selbst wenn diese abstrakt-generelle Kategorisierung zunächst einmal keinen Individualbezug vermuten lässt, sind für die Bestimmung des Schutzbereiches folgende Wesensmerkmale erforderlich: Einerseits muss die Information einen spezifischen Charakter aufweisen, andererseits ein Personenbezug identifizierbar sein.102 Eine derartige Regelung mit Personenbezug liegt immer dann vor, wenn die Rechtsfolge an bestimmte Eigenschaften 96 Vgl. Anordnung wegen Haschischgebrauchs, ein medizin-psychologisches Gutachten zum Nachweis der Fahrerlaubnis beizubringen, BVerfGE 89, 69; zu einem weiteren medizinisch-psychologischen Gutachten, BVerfGE 109, 279 (313 ff.); und grundlegend Badura, Staatsrecht, C, Rn. 34 f.; Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Art. 2 GG, Rn. 348. 97 So auch Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Art. 2 GG, Rn. 348. 98 Vgl. Stockter, Individualität, S. 390 f. 99 Stockter, Individualität, S. 400. 100 Stockter, Individualität, S. 399 ff. 101 Vgl. Stockter, Individualität, S. 399 (400). 102 Der Personenbezug ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, so Stockter, Individualität, S. 399 ff.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
von Personen geknüpft ist.103 So konstatiert Ulrich Stockter, dass „ ‚Diagnostische Aussagen‘ über ‚gegenwärtige‘ Manifestation [derartige] Individualaussagen [seien]. Ein typischer Test zur Ermittlung einer Manifestation ist [demnach] die Untersuchung auf Farbenblindheit bei […] Piloten. Die Fähigkeit, zwischen Farben zu unterscheiden, ist in diesen Berufen von entscheidender Bedeutung, eine Differenzierung nach diesem Kriterium bei der Einstellung damit gerechtfertigt.“104 Dennoch kann der Schutz des Rechts auf Achtung der Individualität erst dann greifen, wenn das Individuum in einer konkreten Handlungsmöglichkeit eingeschränkt wird.105 Erfasst ist dabei eine Nutzung genetischer Information, nicht hingegen die Erhebung, Weitergabe oder Verarbeitung genetischer Gesundheitsdaten.106 Demzufolge mag eine alleinige Verortung gen diagnostischer Informationen in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung der Individualität nicht überzeugen, weitere Konkretisierungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind zu untersuchen. 3. Recht auf Identitätsfindung So schützt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht die „Mittel zu[r] Identitätsfindung und die Entwicklung der eigenen Individualität.“107 Das Recht auf Wissen (aa.) bzw. auf Nichtwissen (bb.) vermitteln hierbei zentrale Parameter der Persönlichkeitsentwicklung.108 a) Recht auf Wissen „Jeder Mensch hat als Ausprägung seines Rechts zur Identitätsfindung ein Recht auf Kenntnis seiner genetischen Anlagen.“109 Seinen Ursprung findet das Recht auf Wissen in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.110 Eine weitere Stütze bildet zudem das von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschütz103 Diese werden anhand bestimmter Tatbestandsmerkmale typisierend festgestellt, vgl. Stockter, Individualität, S. 399 ff. 104 Stockter, Individualität, S. 399 ff. 105 Siehe auch Stockter, Individualität, S. 399 ff. 106 Vgl. Stockter, Individualität, S. 403 ff. 107 BVerfGE 115, 1, 14; vgl. auch BVerfGE 104, 373 (385); 116, 243 (262 f.); ferner E 131, 175 (190 ff.). 108 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6 ff.; Lindner, MedR 2007, S. 286 ff.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 167 ff.; Damm, Prädiktive Gendiagnostik im Familienverband und Haftungsrecht, MedR 2012, S. 709. 109 Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7. 110 Siehe BVerfG, NJW 1999, 3399 f.
§ 4 Verfassungsrecht109
te Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gebietet indirekt den Zugang zu therapierelevanten Informationen: Dies gilt insbesondere für Fallkonstellationen, in denen das diesbezügliche Wissen für eine therapeutische oder präventive Maßnahme entscheidend ist.111 So konstatierte das Bundesverfassungsrecht in einer Kammerentscheidung zur Organlebendspende, dass das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit berührt werde, „wenn staatliche Regelungen dazu führen, daß einem kranken Menschen eine nach dem Stand der medizinischen Forschung prinzipiell zugängliche Therapie, mit der eine Verlängerung des Lebens, mindestens aber eine nicht unwesentliche Minderung des Leidens verbunden ist, versagt bleibt.“112 Freilich tritt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht hinter der ergänzenden Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG subsidiär zurück: Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit kann lediglich eine partielle Dimension des Rechts auf Wissen erfassen.113 aa) Herleitung Grundlegend gilt Wissen als besonderer Wert, als erstrebenswertes Ziel, das der Entfaltung und Intensivierung persönlicher Freiheit förderlich ist.114 Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht impliziert dabei die Entwicklung und Wahrung der Individualität.115 Vorausgesetzt wird die Kenntnis der (mitunter) konstituierenden Faktoren.116 Diesen Faktoren sind das Recht von Kindern auf Kenntnis der eigenen Abstammung117 sowie das Recht der Väter auf Kenntnis der Abstammung der ihnen rechtlich zugeordneten Kinder beizuordnen.118 Das Verständnis und die Entfaltung der Individualität 111 Vgl. Taupitz/Guttmann, Rechtswissenschaftliche Aspekte, in: Propping et al., Prädiktive genetische Testverfahren, S. 65 ff.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 167 ff. 112 BVerfG, NJW 1999, S. 3399 f. 113 Dazu BVerfGE 106, 28, 39; zur Herleitung des Rechts aus Wissen; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 8. 114 In Anlehnung an Retzko, Prädiktive Medizin versus ein (Grund-)Recht auf Nichtwissen, S. 125; Huebner, Wissenszuwachs als ethisches Problem, in: SchroederKurth, Medizinische Genetik in der Bundesrepublik Deutschland, S. 169. 115 Siehe bereits unter § 4 I. 2. b); BVerfG 1989, 891; Taupitz/Guttmann, Rechtswissenschaftliche Aspekte, in: Propping et al., Prädiktive genetische Testverfahren, S. 65 ff. 116 Vgl. Taupitz/Guttmann, Rechtswissenschaftliche Aspekte, in: Propping et al., Prädiktive genetische Testverfahren, S. 65 ff.; BVerfG 1989, 891. 117 Siehe BVerfGE 38, 241 (251 ff.); 79, 256 (268 ff.); 90, 263 (270); sowie jüngst BGH, Urteil vom 28.01.2015 – XII ZR 201/13. 118 Vgl. BVerfGE 117, 202 (225 ff.).
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
sind mit der Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren eng verbunden.119 Zu diesen zählt neben anderen die Abstammung als Individualisierungsmerkmal der Persönlichkeit.120 Folglich hat das Bundesverfassungsgericht über Teilaspekte der genetischen Dimension der Persönlichkeitsentwicklung entschieden. Verallgemeinert finden sich diese Ausprägungen im Sinne eines Rechts auf Wissen um die eigene genetische Disposition wieder.121 Dabei wurde durch das Bundesverfassungsgericht betont, dass die Abstammung nicht nur die „genetische Ausstattung des Einzelnen“ festlege, sondern auch „im Bewußtsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für Individualitätsfindung und Selbstverständnis“ einnehme:122 „insofern hängt der Persönlichkeitswert der Kenntnis auch nicht von dem Maß an Aufklärung ab, das die Biologie derzeit über die Erbanlagen des Menschen, die für seine Lebensgestaltung bedeutsam sein können, zu vermitteln mag. Bei Individualitätsfindung und Selbstverständnis handelt es sich vielmehr um einen vielschichtigen Vorgang, in dem biologisch gesicherte Erkenntnisse keineswegs allein ausschlaggebend sind. Als Individualisierungsmerkmal gehört die Abstammung zur Persönlichkeit: Die Kenntnis der Herkunft bietet dem Untersuchten unabhängig vom Ausmaß wissenschaftlicher Ergebnisse wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Individualität“.123 119 So BVerfGE 79, 256 (268 f.); unlängst auch BGH, Urteil vom 28.01.2015 – XII ZR 201/13. 120 Siehe BVerfGE 79, 256 (268 f.); auch E 90, 263 (270); 96, 56 (61); 117, 202 (225); BVerfG, NJW 2009, S. 423 f.; BVerfG, NJW 2010, S. 3772 f.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 168 f. sowie BGH, Urteil vom 28.01.2015 – XII ZR 201/13. 121 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7; Lindner, MedR 2007, S. 289 f. Taupitz/Guttmann beschränken das Recht auf Wissen dabei auf die Mitteilung derjenigen genetischen Daten, die bei staatlichen oder privaten Stellen vorhanden sind; aus dem Recht auf Wissen lasse sich kein Anspruch auf Tätigwerden anderer zur Ermittlung von Daten, die die eigene genetische Konstitution betreffen, ableiten, vgl. Taupitz/Guttmann, Rechtswissenschaftliche Aspekte, in: Propping et al., Prädiktive genetische Testverfahren, S. 66; Ahrens, Ärztliche Aufzeichnungen und Patienteninformationen, S. 2612; Bartram et al., Humangenetische Diagnostik, S. 78 ff. 122 BVerfGE 79, 256 (269 f.); vgl. auch BVerfGE 117, 202 (225 f.); BGH, Urteil vom 28.01.2015 – XII ZR 201/13. 123 BVerfGE 79, 256 (269 f.); vgl. auch BVerfGE 117, 202 (225 f.); unlängst hatte der BGH bekräftigt, dass die Klärung der eigenen Abstammung ein „unabdingbarer Bestandteil des [A]llgemeinen Persönlichkeitsrechts“ ist, siehe BGH, Urteil vom 28.01.2015 – XII ZR 201/13. In seiner Entscheidung stärkte der BGH die Rechte von Kindern, die durch eine künstliche heterologe Insemination gezeugt wurden. Demnach hätten sie auch einen Anspruch auf Auskunft über die Identität eines anonymen Samenspenders. Dieser Anspruch sei auch nicht an ein bestimmtes Mindestalter gebunden, vgl. https://beck-aktuell.beck.de/news/bgh-kind-hat-anspruch-aufauskunft-ber-identit-t-seines-anonymen-samenspenders [letzter Aufruf vom 30.01. 2015].
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Diese Argumentation des Bundesverfassungsgerichts überzeugt nicht zuletzt, weil sie die Relation zwischen Person und Genom als einen vielschichtigen Prozess der individuellen Selbstreflexion wahrnimmt.124 In der Zuweisung eines vorbestimmten, wenn auch nicht determinierten Genoms, erscheint es notwendig, die Bedeutung des Genoms für das Selbstverständnis und die Selbstentfaltung eines jeden Menschen anzuerkennen: „Das individuelle Genom legt die körperliche Konstitutions- und Entwicklungsbedingungen eines jeden Menschen genetisch fest.“125 Folglich relativieren die Richter in ihren Ausführungen die Bedeutung genetischer Information zu Recht: Die „genetische Ausstattung des Einzelnen“ ist im Kontext einer Vielzahl von „Faktoren, mit denen sich das Individuum im Rahmen seiner fortdauernden Persönlichkeitsentwicklung auseinandersetzt“,126 zu betrachten. „Auf diese Weise wird das Genom als die genetische Dimension der Persönlichkeitsbildung neben andere natürliche, emotionale, soziale, wirtschaftliche und politische Konstitutionsbedingungen individueller Personalität gestellt.“127 Zugleich sehen die Verfassungsrichter aber auch von einer Banalisierung genetischer Disposition ab. Sie betrachten die genetische Disposition des Einzelnen isoliert, ohne dabei die über eine biologische Dimension hinausgehende Bedeutung des Genoms zu verkennen.128 So erfährt die komplexe und umfassende Bedeutung genetischer Konstitutionsinformationen für die Beteiligten – den von der gendiagnostischen Maßnahme Betroffenen und seine Verwandten – eine differenzierte Betrachtung.129 bb) Dimension und Ausprägung Auch wenn das Verfassungsgericht den Begriff der „Herkunft“ In seinen Ausführungen nur streift und sich die Argumentation nicht vollständig erschließen mag – der Begriff der „Herkunft“ impliziert überdies die personalen Aspekte prädiktiver genetischer Information.130 „Zum Selbstseinkönnen ist es auch nötig, dass die Person im eigenen Leib gewissermaßen zu Hause ist. […] Eine […] Person, die ausschließlich Produkt eines bestimmenden und nur erlittenen Sozialisationsschicksals wäre, entglitte im Fluss der bildungswirksamen Konstellationen, Beziehungen und Relevanzen ihr Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7. Kersten, Klonen, S. 497. 126 Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7. 127 Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7. 128 Siehe auch Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7. 129 Vgl. Lindner, MedR 2007, S. 289; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 11 ff. 130 Siehe Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7. 124 Siehe 125 Vgl.
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‚Selbst‘.“131 Daher geht das Selbstverständnis des Menschen um seine „genetische Herkunft“ nicht bloß in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Gendisposition auf: Es lässt sich auch als sehr emotional begreifen.132 Nicht nur biologisch wäre es insoweit zu kurz gedacht, würde man eine lineare Beziehung zwischen genetischer Disposition und personaler Identität annehmen.133 „Denn der, der mit genetisch fixierten Absichten hadert, kann sich nicht wie natürlich geborene Personen im Laufe einer reflexiv angeeigneten und willentlich kontinuierten Lebensgeschichte zu ihren Begabungen [und Einschränkungen] so verhalten, dass sie ihr Selbstverständnis revidiert und auf die Ausgangslage eine produktive Antwort findet.“134 Vielmehr ist die „Differenz […] nicht in der Beschaffenheit der Erbanlagen [zu suchen]. Sie liegt im moralischen Selbstverständnis.“135 Dieses Selbstverständnis und die Selbstentdeckung der eigenen genetischen Information kann sich sehr ambivalent gestalten: „Sie kann kreativ gelingen, sie kann eine optimierend überschießende Innentendenz entwickeln, oder sie kann auf pathologische Wahrscheinlichkeitsprognosen stoßen.“136 b) Recht auf Nichtwissen Die Ambivalenz des individuellen Entdeckungsbedürfnisses wurde literarisch schon früh thematisiert. Dem „faustische[n] Drang der Forschung, durch Entschlüsselung der Gene zu erkennen, ‚was die Welt im Innersten zusammenhält‘137 und ‚Alle Wirkenskraft und Samen‘138 zu schauen“,139 stellte Friedrich Schiller das Nichtwissenwollen beiseite: „Frommt’s den 131 Siehe Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? S. 101, 103. 132 Vgl. Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? S. 101 ff.; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7.; Siep, Genomanalyse, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen. S. 196 ff.; Lanzerath, Der geklonte Mensch: Eine neue Form des Verfügens? In: Düwell/Steigleder, Bioethik, S. 260 ff. 133 Vgl. Lanzerath, Der geklonte Mensch: Eine neue Form des Verfügens? In: Düwell/K. Steigleder, Bioethik, S. 260 ff. 134 Siehe Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? S. 101, 108. 135 Habermas, Die geklonte Person wäre kein zivilrechtlicher Schadensfall. In: Habermas, Die postnationale Konstellation. S. 255. 136 Siehe Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f. 137 Goethe, Faust I. Der Tragödie erster Teil, Nacht, V. 382, 383. 138 Goethe, Faust I. Der Tragödie erster Teil, Nacht, V. 384. 139 Isensee, Das entschlüsselte Genom im Verständnis der Verfassung, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen. S. 229 f.
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Schleier aufzuheben, wo das nahe Schicksal droht? Nur der Irrtum ist das Leben, und das Wissen ist der Tod.“140 Neben dem Recht auf Wissen kommt dem Recht auf Nichtwissen also eine zentrale Bedeutung bei der Entfaltung der Persönlichkeit zu.141 Obgleich die individuelle Entdeckung der eigenen genetischen Disposition zwischen dem Recht auf Wissen und Nichtwissen zwiegespalten ist,142 steht es einem jeden Menschen im Rahmen seiner Persönlichkeitsentwicklung frei, die eigene genetische Disposition zu ignorieren und sein Leben unabhängig davon zu gestalten.143 aa) Herleitung „Gibt es ein Recht auf Nichtwissen?“144 Eine solche Fragestellung mag zunächst einmal verwundern,145 zumal Hans Jonas den Begriff des NichtWissens bereits früh geprägt hat:146 Demnach müsse der Mensch einen „Anspruch darauf [haben], über sich selbst nicht mehr wissen zu müssen, als man selbst will. […] Es gehört zur Eigenverantwortung jedes Menschen, daß er selbst hierüber entscheidet. [Eine] Genom-Analyse darf daher nicht zwangsweise durchgeführt werden.“147 Wissen ist zugleich aber ein wesentliches Anliegen des menschlichen Lebens – ein menschliches Grundbedürfnis148 – und ein durchweg positiv besetzter Begriff.149 Doch „welches Wissen ist wünschenswert?“150 Jürgen Huebner beantwortet diese Frage wie folgt: „[…] Das, was dem Leben wirklich dient, was bewussteres Leben möglich macht und zur Ver140 Schiller,
Kassandra, 1802. BT-Drs. 10/9020, S. 132 f.; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f.; Lindner, MedR 2007, S. 290. 142 Siehe BT-Drs. 10/9020, S. 132 f.; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 13 f.; Lindner, MedR 2007, S. 289 f. 143 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 13 f. 144 Wiese, Gibt es ein Recht auf Nichtwissen? FS Niederländer, S. 475; Retzko, Prädiktive Medizin versus ein (Grund-)Recht auf Nichtwissen, S. 125. 145 Siehe Wiese, Gibt es ein Recht auf Nichtwissen? FS Niederländer, S. 475; Retzko, Prädiktive Medizin versus ein (Grund-)Recht auf Nichtwissen, S. 125. 146 Vgl. Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 190 ff. 147 Vgl. Jonas, Scheidewege, S. 483 ff.; Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 190 ff. 148 Vgl. Aristoteles, „Alle Menschen streben von Natur nach Wissen.“ – Metaphysik I, 21, 980a. 149 Siehe Retzko, Prädiktive Medizin versus ein (Grund-)Recht auf Nichtwissen, S. 125. 150 Huebner, Wissenszuwachs als ethisches Problem, in: Schroeder-Kurth, Medizinische Genetik in der Bundesrepublik Deutschland, S. 158 ff. 141 Vgl.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
antwortung befähigt. [Dabei] entscheidend ist, ob bei Erwerb und Einsatz von neuem Wissen die Rahmenbedingungen gegeben sind, dass mensch liches Leben an Tiefe und Entfaltungsmöglichkeiten gewinnt und nicht […] durch Überforderungen […] geschädigt wird. Das schließt auch die Möglichkeit des Verzichtes ein. Sie sollte ausdrücklich offen gehalten und – zuletzt auch rechtlich – gesichert werden. [Und] was ist nicht gut zu wissen? All das, was jenseits unserer Grenzen liegt, was nicht mehr kontrolliert werden kann, vor allem aber: was nicht verkraftet, nicht verarbeitet werden kann, wo der Überblick verloren geht, wo der konkrete Mensch in seiner Biographie überfordert ist.“151 Insoweit verankert das Allgemeine Persönlichkeitsrecht auch eine „negative Dimension.“152 Diese negative Komponente ist dem Begriff der „Verhaltensfreiheit“ immanent: In den Vorarbeiten zum Grundgesetz ist dies bereits klar formuliert worden: „Jedermann ist frei, zu tun und zu lassen, […].“153 Dennoch wird zum Teil bezweifelt, dass sich das Nichtwissen auf eine ethisch legitime und auch rechtlich schützenswerte Ausübung von Autonomie stützen könne: So konstituiere das Wissen um die eigene Persönlichkeit gerade die autonome Person.154 Beispielsweise negiert der Bioethiker Hans-Martin Sass das Recht auf Nichtwissen folgendermaßen: „Das ‚erkenne dich selbst‘ ist in unserer technisch bedingten Welt eben kein luxuriöser, philosophischer Wunsch, sondern eine Vorbedingung für sittlich 151 Huebner, Wissenszuwachs als ethisches Problem, in: Schroeder-Kurth, Medizinische Genetik in der Bundesrepublik Deutschland, S. 158 ff. 152 Wie auch andere Freiheitsrechte, siehe Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte; Lindner, MedR 2007, S. 289 f.; vgl. überdies BGH, NJW 2005, 497 f.: „Die Beklagte hat zwar ebenfalls ein grundgesetzlich geschütztes Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung; die Entscheidung darüber, ob sie dieses Recht wahrnehmen und ein entsprechendes Interesse geltend machen will, bleibt aber ihr allein […] überlassen, zumal ihr Interesse auch dann schutzwürdig ist, wenn es dahin geht, ihren gesetzlichen Status als Kind des Klägers gerade nicht in Frage stellen zu lassen. Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner genetischen Abstammung schließt nämlich auch das Recht auf Unkenntnis ein.“ Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f.; Brosius-Gersdorf, NJW 2007, S. 806 (807); Eberbach, MedR 2011, S. 757 ff.; Genenger, NJW 2010, S. 113; Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 92 f.; Herdegen, JZ 2000, S. 633 (635); Stockter, Wissen als Option, nicht als Obliegenheit – Aufklärung, Einwilligung und Datenschutz in der Gendiagnostik, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 35 ff.; Tinnefeld, ZRP 2000, S. 12. 153 Stern, Staatsrecht III/1, S. 628 f.; vgl. auch die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses des Parlamentarischen Rates vom 16.11.1948, Drs. 282, in: Parl. Rat, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe), 1948/49, S. 17. 154 Kritisch: Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 170.
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verantwortliches Handeln für sich und für andere. Die Kenntnis der Information, meiner genetischen Information, macht mir wie viele Kenntnisse das Leben nicht leichter, nicht problemloser, aber es macht mein Leben menschlicher, weil es mich zu verantwortlicherer Gestaltung meines Lebens aufruft. Nur so, und durch nichts anderes unterscheidet sich die menschliche Person vom animalischen Leben.“155 Auch das Bundesverfassungsgericht scheint hinsichtlich des Rechts auf Nichtwissen eine restriktive Haltung an den Tag zu legen:156 Es bezweifelt, dass ein Recht auf Nichtwissen der eigenen Abstammung „überhaupt als negative Kehrseite des Rechts auf Kenntnis der Abstammung vom Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung […] mitumfasst wird. Denn die Nichtkenntnis eröffnet anders als die positive Kenntnis der Abstammung dem Einzelnen mit der Information nicht die Möglichkeit, sich zu konkreten Personen in Beziehung zu setzen und den persönlichen familiären Zusammenhang zu erfahren, an dem sich die eigene Identität ausrichten kann“.157 Würde man dennoch ein Recht auf Nichtwissen anerkennen, so sei dies in jedem Falle dem Recht auf Wissen unterzuordnen: „Ein Recht aber, das eine möglicherweise fehlerhafte Annahme schützt und das Kind vor einer Klärung der tatsächlichen Abstammung bewahrt, hätte, selbst wenn es vom Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts umfasst wäre, grundsätzlich ein geringeres Gewicht gegenüber dem Recht auf Kenntnis der Abstammung, weil allein dieses letztlich einen dauerhaften Beitrag zur eigenen Identitätsfindung […] leisten kann.“158 Dieser restriktiven Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch nicht uneingeschränkt zuzustimmen.159 Es wird dabei verkannt, dass die Kenntnis genetischer Information den persönlichkeitsrelevanten Bereich nicht nur zu erweitern, sondern auch einengen oder gar zerstören vermag.160 Allenfalls kann das Recht auf Wissen eine Voraussetzung dafür sein, um das Recht auf Nicht-Wissen auszuüben, nicht jedoch, um das Recht auf Nichtwissen überhaupt zu konstituieren.161 Das „Nichtwissen155 Vgl. Sass, Wortprotokoll der Fachgespräche, in: Der Bundesminister für Forschung und Technologie, Ethische und rechtliche Probleme der Anwendung zellbiologischer und gentechnischer Methoden am Menschen, S. 121 f. 156 Vgl. auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 170 ff. 157 BVerfGE 117, 202 (230). 158 BVerfGE 117, 202 (230). 159 Streng ablehnend: Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 170 ff. 160 Vgl. Retzko, Prädiktive Medizin versus ein (Grund-)Recht auf Nichtwissen, S. 130 ff. 161 So Mieth, Der Umgang mit dem genetischen Wissen – der moralische Status des Nicht-Wissens, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen. S. 244.
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wollen“ – die Unbestimmtheit, Offenheit und Unbefangenheit seiner Zukunft – ist Ausdruck einer legitimen, autonomen Entscheidung.162 Es verkörpert eine Offenheit hinsichtlich der eigenen Zukunft und sieht im persönlichen Selbstverständnis von einer deterministisch-vorbestimmten Zukunft ab.163 So schrieb der Philosoph Hans Jonas bereits in den 1980erJahren: „Die Anrufung eines Rechts auf Unwissenheit als auf ein Gut [hat], soviel ich sehe, […] seit je den Mangel an Wissen als einen Defekt im menschlichen Zustand beklagt […] und [ist ein] Hindernis auf dem Pfade der Tugend, […] das wir nach besten Kräften überwinden sollen. Selbsterkenntnis vor allem wurde seit delphischen Tagen gerühmt als Merkmal eines höheren Lebens, wovon man nur zu wenig und nie zuviel, ja auch nur genug haben kann. […] Allerdings wurde Kenntnis der Zukunft, besonders der eigenen, immer stillschweigend ausgenommen, und der Versuch, sie sich durch irgendwelche Mitte zu verschaffen, wurde verpönt […]. Aber von dieser Bestreitung eines Rechtes oder einer Erlaubnis, zu wissen, ist immer noch ein Schritt zu der Behauptung eines Rechtes, nicht zu wissen: und diesen Schritt müssen wir jetzt tun angesichts einer völlig neuen […] Sachlage,164 die in der Tat die erste Gelegenheit für die Aktivierung eines Rechtes darstellt, das bisher mangels Anwendbarkeit latent geschlummert hatte. […] Daß des Wissens zu wenig sein kann und meistens ist, war von je bewusst. Daß seiner zuviel sein kann, steht plötzlich vor uns im grellen Licht. […] Das sittliche Gebot, das hier die erweiterte Bühne moderner Macht betritt, lautet also: Niemals darf […] das Recht zu jener Ignoranz versagt werden, die eine Bedingung der Möglichkeit authentischer Tat, d. h. Freiheit überhaupt ist.“165 Demnach steht es dem Einzelnen grundsätzlich frei, die Informationen zu wählen, die er zur Grundlage seiner Lebensplanung hinzuziehen möchte.166 162 Vgl. Retzko, Prädiktive Medizin versus ein (Grund-)Recht auf Nichtwissen, S. 130 ff.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 8 ff. 163 BT-Drs. 14/9020, S. 133 f.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 170 ff.; Taupitz/Guttmann, Rechtswissenschaftliche Aspekte, in: Propping et al., Prädiktive genetische Testverfahren, S. 64 f. 164 Jonas versuchte sich in einem fiktiven Szenario vorzustellen, wie sich ein Mensch fühlen würde, der aus dem Erbmaterial eines Verstorbenen geklont wurde, vgl. auch Stockter, Wissen als Option, nicht als Obliegenheit – Aufklärung, Einwilligung und Datenschutz in der Gendiagnostik, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 28. 165 So prägte Hans Jonas den Begriff des „Rechts auf Unwissenheit“ hinsichtlich der eigenen genetischen Konstitution im deutschen Sprachraum, Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 190 ff. 166 So auch Stockter, Wissen als Option, nicht als Obliegenheit – Aufklärung, Einwilligung und Datenschutz in der Gendiagnostik, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 28 f.
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Auch reiht sich in diese Argumentation die gemeineuropäische Grundrechtsentwicklung, das Recht auf Nichtwissen als Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes anzuerkennen:167 So hat das Recht auf Nichtwissen bereits in Art. 10 Abs. 2 der Biomedizin-Konvention168 Anerkennung gefunden: „Jeder hat das Recht auf Auskunft in Bezug auf alle über seine Gesundheit gesammelten Angaben. Will jemand jedoch keine Kenntnis erhalten, so ist dieser Wunsch zu respektieren.“ Dem positiven Anspruch auf Auskunft nach einem Eingriff in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG steht ein Abwehranspruch gegen die unfreiwillige Information nach deren grundsätzlich im Rahmen der Freiwilligkeit zulässigen Erhebung gegenüber.169 Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst vor dem Hintergrund einer genetischen Untersuchung nicht nur das Recht auf Nichtwissen, sondern schließt auch das Recht ein, Teile des Ergebnisses nicht zur Kenntnis zu nehmen oder gar zu vernichten. Dies spiegelt nicht zuletzt § 9 Abs. 2 Nr. 5 GenDG wider: Demnach umfasst die Aufklärung insbesondere das Recht der betroffenen Person auf Nichtwissen einschließlich des Rechts, das Untersuchungsergebnis oder Teile davon nicht zur Kenntnis zu nehmen, sondern vernichten zu lassen. Weitere diesbezügliche Ausprägungen finden sich in den §§ 11 Abs. 4, 12, 13 und 16 GenDG sowie in den gendiagnostischen Regelungen zum Schutz vor Diskriminierung, §§ 4, 21 GenDG. bb) Dimension und Ausprägung Der Einzelne kann folglich In der Ausübung seines Rechts auf Nichtwissen frei entscheiden, wie viele Informationen er über seine genetische Voraussetzungen erhalten oder eben nicht erhalten möchte. Auch steht es ihm frei, zu befinden, welche seiner genetischen Daten eingesetzt oder nicht verwendet werden sollen.170 Im Kontext prädiktiver Gendiagnostik entfaltet diese graduelle Abstufung des Rechts auf Wissen eine besondere Bedeutung: Nicht nur, wenn eine „gegen ihren Willen zu untersuchende […] Person selbst“ betroffen ist, sondern auch, wenn „bei Verwandten dieser Person, hinsichtlich deren ge167 Vgl. auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 171 ff.; Scherrer, GenDG, S. 272 ff. 168 Siehe Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin (Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin), vom 01.12.1990 – allerdings wurde der völkerrechtliche Vertrag bislang von Deutschland nicht ratifiziert. 169 Vgl. Stumper, Informationelle Selbstbestimmung und DNA-Analysen, S. 133. 170 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f.
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netischer Dispositionen Rückschlüsse möglich sind oder naheliegen“.171 Es ist also die gesellschaftliche Dimension genetischer Information betroffen. Im äußerst ambivalenten Wandel unseres Gesundheitsverständnisses verwundert es daher nicht, dass das selbstbestimmte Recht auf Wissen des einen mit dem Recht auf Nichtwissen des Verwandten – oder auch umgekehrt – zu konfligieren vermag.172 So dürfte der Verzicht des Betroffenen auf prädiktive genetische Informationen vielfach als „unvernünftig“ aufgefasst werden.173 Doch gerade hier besteht ein staatlicher Schutzauftrag, die Grundbedingungen für einen wirksamen Schutz des Rechts auf Nichtwissen sicherzustellen: Grundvoraussetzung für eine Ausübung des Rechts auf Nichtwissen ist es aber, eine gute Entscheidungsgrundlage zu ebnen.174 Demnach darf das Abweichen von Handlungsempfehlungen nicht reflexartig zu einer Aufkündigung der gesellschaftlichen Solidarität führen.175 Aufgabe des Rechts ist es nämlich nicht vorrangig, die Kenntnis über unsere Gene mit Gesetzen zu regulieren – dies kann auf Dauer nicht gelingen.176 „Aufgabe des Rechts muss es [vielmehr] sein, die in der vermehrten genetischen Kenntnis angelegte Ent-Solidarisierung [der Gesellschaft] zu verhindern.“177 Somit darf das Mehr an Wissen nicht zu einer Gesundheitspflicht führen.178 Das Recht auf Nichtwissen soll es dem Einzelnen ermöglichen, eine DNSAnalyse durchführen zu lassen, ohne befürchten zu müssen, die Grundrechtsbetätigung sei von Anfang vorgezeichnet und die spätere Kenntnisnahme des Dateninhalts nicht mehr abwendbar.179 Ihm kommt in der verfassungsrechtlichen Abwägung des Einzelfalls eine zentrale Bedeutung zu – 171 Siehe Lindner, MedR 2007, S. 289 f.; Im Schlussbericht der Enquete-Kommission, BT-Drs. 14/9020, S. 133, wird in diesem Kontext der folgende Fall angeführt: „Wünscht eine junge erwachsene Person, deren Großmutter väterlicherseits an der Huntington-Krankheit erkrankt war, zum Zwecke ihrer eignen Lebensplanung einen prädiktiven Test, so impliziert ein positives Testergebnis unweigerlich auch den diesbezüglichen genetischen Status des Vaters.“ 172 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f.; Lindner, MedR 2007, S. 289 f. 173 Vgl. Stockter, Wissen als Option, nicht als Obliegenheit – Aufklärung, Einwilligung und Datenschutz in der Gendiagnostik, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 35, 40 ff. 174 Siehe Stockter, Wissen als Option, nicht als Obliegenheit – Aufklärung, Einwilligung und Datenschutz in der Gendiagnostik, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 35, 40 ff.; Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 179 ff. 175 Vgl. auch Stockter, Wissen als Option, nicht als Obliegenheit – Aufklärung, Einwilligung und Datenschutz in der Gendiagnostik, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 41. 176 So Eberbach, MedR 2010, S. 155 (163). 177 Eberbach, MedR 2010, S. 155 (163). 178 Ähnlich: Eberbach, MedR 2010, S. 155 (163). 179 Vgl. Stumper, Informationelle Selbstbestimmung und DNA-Analysen, S. 130.
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wenn es zu bestimmen gilt, welches genetische Wissen einem Individuum und seinen Verwandten zugemutet werden kann.180 Hierin zeigt sich auch der Charakter eines Freiheitsrechts.181 c) Konflikt zwischen Wissen und Nichtwissen Die Problematik prädiktiver genetischer Informationen mag zunächst einmal an Konstellationen verdeckter Tests auf HIV-Infizierungen erinnern: So wurde etwa ein Schmerzensgeldanspruch mit der psychischen Belastung des Getesteten begründet, die sich aus der Kenntnis des positiven Testergebnisses ergab.182 Auch hier wird eine persönliche Disposition festgestellt, aufgrund derer es möglich ist, einen bestimmten Wahrscheinlichkeitsgrad für die Manifestation der Krankheit zu ermitteln.183 Der Unterschied zur Gendiagnostik liegt jedoch in der Gefährdung von Dritten, die möglicherweise aus dem Nichtwissen(-wollen) eines Testergebnisses resultieren kann.184 Demgegenüber lässt sich auch nicht schlicht damit argumentieren, dem Testunwilligen würde möglicherweise Angehörigen Präventionsmöglichkeiten vorenthalten.185 Dennoch bleibt unbestritten, dass die Gendiagnostik unweigerlich Auswirkungen auf genetisch verwandte Familienmitglieder hat, wenn eine Person eine genetische Analyse durchführen lässt und möglicherweise im Anschluss an die Untersuchung eine Therapie einleitet.186 In einem (mehr oder weniger) engen Familienverbund wird es nämlich kaum möglich sein, genetische Information langfristig zu verheimlichen.187 Folglich verbleibt auch Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f. Wissen als Option, nicht als Obliegenheit – Aufklärung, Einwilligung und Datenschutz in der Gendiagnostik, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 41. 182 Vgl. LG Köln, NJW 1995, S. 1621 f.: Die Vornahme eines HIV-Antikörpertests ohne die Einwilligung des Patienten ist ein Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht dieses Patienten. Der Arzt, der einen solchen Test vornimmt, ist dem Patienten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verpflichtet. Demgegenüber sieht der BGH die Schädigung der Gesundheit bei HIV-Ansteckungen in der Infizierung des Opfers. Diese verändert den körperlichen Normalzustand des Opfers tiefgreifend, vgl. BGHSt 36, 1, (7); BGH, NJW 1989, S. 781 ff.; BGH, NJW 2005, S. 2614. 183 Siehe Retzko, Prädiktive Medizin versus ein (Grund-)Recht auf Nichtwissen, S. 152 ff. 184 Siehe Retzko, Prädiktive Medizin versus ein (Grund-)Recht auf Nichtwissen, S. 152 ff. 185 So auch Retzko, Prädiktive Medizin versus ein (Grund-)Recht auf Nichtwissen, S. 152 ff. 186 Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f. 187 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f. 180 Vgl.
181 Stockter,
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also die Frage, wie der Konflikt zu lösen ist, „wenn eine Person unter Berufung auf ihr Recht auf Wissen eine genetische Analyse durchführen lässt, sein Verwandter jedoch aufgrund dessen um sein Recht auf Nichtwissen fürchtet“.188 In der Aufarbeitung dieses Grundrechtskonflikts ist zunächst festzuhalten, dass weder das Allgemeine Persönlichkeitsrecht noch das Recht auf Wissen oder Nichtwissen schrankenlos zu gewährleisten ist.189 Entsteht eine Situation, in der eine Person gegen ihren Willen Kenntnis von einer eigenen genetischen Disposition erlangt, bedarf es einer Rechtfertigung: Als solche vermögen eine verfassungsmäßige gesetzliche Ermächtigung oder die Einwilligung der betreffenden Person zu fungieren.190 Wie sich das Recht auf Wissen und das Nichtwissen gegenseitig beschränken können, lässt sich zunächst in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 2007 im Hinblick auf das Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung des ihm rechtlich zugeordneten Kindes erahnen.191 Die verfassungsrechtliche Frage nach der Zulässigkeit des Vaterschaftstests war durch eine Reihe an Besonderheiten gekennzeichnet: So hatte das Gericht das Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung des ihm rechtlich zugeordneten Kindes (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) mit dem Recht des Kindes auf Nichtoffenlegung seiner Abstammung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) abzuwägen.192 Gleichzeitig war auch das Sorgerecht der Mutter (Art. 6 Abs. 2 GG) betroffen.193 Dabei entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Verwertung heimlicher Abstammungsgutachten dem Persönlichkeitsrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG widerspreche.194 Soweit sich die Richter auf die grundrechtliche Kollision zwischen Recht auf Wissen und Nichtwissen konzentrierten, stellten sie zunächst in Frage, „ob ein solches Recht überhaupt als negative Seite des Rechts auf Kenntnis der Abstammung vom Recht auf freie Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG mit umfasst wird“.195 188 Kersten,
1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f. BVerfGE 79, 256, 269 ff.; 117, 202, 228; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f.; Taupitz/Guttmann, Rechtswissenschaftliche Aspekte, in: Propping et al., Prädiktive genetische Testverfahren, S. 64 f. 190 Vgl. Taupitz/Guttmann, Rechtswissenschaftliche Aspekte, in: Propping et al., Prädiktive genetische Testverfahren, S. 64 f. 191 Siehe Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f.; BVerfGE 117, 202, 225 ff.; Brosius-Gersdorf, NJW 2007, S. 806 ff. 192 Vgl. BVerfGE 117, 202, 228; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f. 193 Vgl. BVerfGE 117, 202, 228; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f. 194 Siehe BVerfGE 117, 202 (228). 195 BVerfGE 117, 202 (230); Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f. 189 Vgl.
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Allerdings muss an dieser Stelle abermals betont werden, dass das Recht auf Wissen zwar Voraussetzung dafür sein mag, um das Recht auf NichtWissen auszuüben und in mehrschichtigen Ausprägungen zu gestalten.196 Unabhängig davon ist jedoch die Tatsache zu behandeln, inwieweit das Recht auf Nichtwissen überhaupt konstituiert wird.197 Zwar eröffnet die Nichtkenntnis anders als die „positive Kenntnis der Abstammung dem Einzelnen mit der Information nicht die Möglichkeit, sich zu konkreten Personen in Beziehung zu setzen und den persönlichen familiären Zusammenhang zu erfahren, an dem sich die eigene Identität ausrichten kann.“198 Im betreffenden Fall des Verfahrens zur Klärung der Abstammung war allerdings nicht das Kind in dessen Nichtwissen über seine Abstammung betroffen, sondern nur „sein vermeintliches Wissen über die Abstammung von seinem rechtlichen Vater, das durch Kenntnis der wahren Abstammung erschüttert werden konnte.“199 Folglich lässt sich die Kernaussage des Bundesverfassungsgerichts des betreffenden Grundrechtskonflikts nur hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Recht auf Wissen und Nichtwissen verallgemeinern: Der Wunsch eines Menschen, seine Identität und seine genetische Disposition zu erfahren, um sich im Rahmen seiner Persönlichkeitsentwicklung mit dieser aktiv auseinanderzusetzen, überwiegt das defensiv orientierte Recht auf Nichtwissen.200 Dabei kann und muss das Recht auf Wissen verfahrensrechtlich insofern eingeschränkt werden, als in der Kenntnisgenerierung und insbesondere Kenntniskommunikation auf die Entwicklung eines Verwandten – etwa eines Kindes – Rücksicht zu nehmen ist.201 Inwiefern sich dies in der medizinischen Praxis absichern lässt, ist zu einem späteren Zeitpunkt der konkreten Auseinandersetzung zu erörtern. An dieser Stelle festzuhalten bleibt, dass das Recht auf Nichtwissen das Recht auf Wissen nicht überwiegen kann – anderenfalls würde die selbstbestimmte Persönlichkeitsrechtsentwicklung in „Fremdbestimmung“ umschlagen.202 196 Vgl. Mieth, Der Umgang mit dem genetischen Wissen – der moralische Status des Nicht-Wissens, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen. S. 244. 197 So Mieth, Der Umgang mit dem genetischen Wissen – der moralische Status des Nicht-Wissens, in: Honnefelder/Propping, Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen. S. 244. 198 BVerfGE 117, 202 (230). 199 BVerfGE 117, 202 (230); Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f. 200 Siehe Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 ff. 201 Weitere Ausführungen, siehe BVerfGE 117, 202 (230); Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 ff. 202 Vgl. Lindner, MedR 2007, S. 290; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
4. Recht auf informationelle Selbstbestimmung Die Erhebung und Verarbeitung genetischer Information ist neben dem Recht auf Identitätsfindung auch dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zuzuordnen.203 Dieses gewährt „seinen Trägern Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten“.204 Genetische Informationen, die bei prädiktiven molekularbiologischen Untersuchungen gewonnen werden, können hinsichtlich der Anlageträgerschaft künftig auftretender Erkrankungen Aufschluss geben.205 Als Information über bestimmte bzw. bestimmbare natürliche Personen unterliegen sie deshalb dem Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.206 Höchstrichterlich entschieden wurde dies bereits für den nichtcodierenden Bereich der DNS.207 Nichts anderes kann aber folglich auch für den ebenso hier in-Rede-stehenden Bereich der codierenden DNS-Abschnitte gelten.208 Ausgangspunkt ist daher im Folgenden zunächst die Entwicklungsgeschichte (a)) des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, um sodann den Schutzbereich des Grundrechts (b)) zu bestimmen. Schließlich soll vor dem Hintergrund von Informations- und Verschwiegenheitsinteressen (c)) der Bedarf eines Grundrechts auf gen-informationelle Selbstbestimmung (d)) erörtert werden. a) Herleitung der Schutzpflichten Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wurde durch das Bundesverfassungsgericht aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) entwickelt.209 Zum Teil lässt sich der Begriff der informationellen Selbstbestimmung bereits früher im Kontext 203 Zu diesem: BVerfGE 65, 1 (43), ferner E 67, 100 (142 f.); 80, 367 (373); 118, 168 (184); BVerfG, NJW 2008, 1435 f.; BVerfGE 120, 378 (397); Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 8; kritisch: Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 186 f. 204 BVerfGE 103, 21 (33). 205 Siehe Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 172 f. 206 Vgl. auch Kap. § 2, insbesondere § 2 A. II. 2.; weiter auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 172 f. 207 Vgl. bezüglich strafprozessual und polizeilich genutzter DNS-Identifizierungsmuster BVerfGE 103, 21 (33), VGH Mannheim, NJW 2001, S. 1082 (1084) und Abstammungsanalysen BVerfGE 117, 202 (228); ferner BGH, NJW 2005, 497 (499). 208 Siehe des Weiteren Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 186 f. 209 Siehe BVerfGE 65, 1 (41 ff.) – Volkszählung; ferner E 72, 155 (170) – Minderjährige; 76, 77 (84) – Entmündigung.
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der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts belegen;210 die richtungsweisende Einordnung erfolgte jedoch durch das Volkszählungsurteil211 vom 15. Dezember 1983.212 Nach dieser Entscheidung umfasst das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, selbst entscheiden zu können, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.213 „Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist damit vom Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“214 Das Bundesverfassungsgericht greift in seiner Entscheidung zum Volkszählungsurteil den Gedanken der individuellen Selbstbestimmung „unter 210 So war beispielsweise in BVerfGE 57, 170 (201) – Briefkontrolle – von dem „informationellen Selbstbestimmungsrecht“ die Rede, vgl. Steinmüller et al., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Drs. 6/3826, S. 88. 211 „Das Gesetz über eine Volks-, Berufs-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung (Volkszählungsgesetz 1983) vom 25. März 1982 sah bei allen Bürgern eine weitreichende Datenerhebung vor, die ehrenamtliche Zähler mit Hilfe von Fragebögen durchführen sollten. Die Datenerhebung sollte der Planung, der Wissenschaft und einem Melderegisterabgleich dienen. Die in der Bevölkerung verbreitete Sorge über die Folgen der Datenerhebung führte zu zahlreichen Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz.“ Siehe Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Art. 2 GG, Rn. 353. 212 BVerfGE 65, 1 (41 ff.); vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 136. 213 Siehe BVerfGE 65, 1 (41 ff.) m. w. N. auf vorangegangene Entscheidungen: BVerfGE 27, 1 (6) – Mikrozensus; 27, 344 (350 f.) – Scheidungsakten; 32, 373 (379) – Arztkartei; 35, 202 (220 ff.) – Lebach; 44, 353 (372 ff.) – Suchtkrankenberatungsstelle; 56, 37 (41 ff.) – Selbstbezichtigung; 63, 131 (142 f.) – Gegendarstellung; dazu auch bereits BVerfGE 34, 238 (245) – Tonband; 54, 148 (153 ff.) – Eppler; später BVerfGE 80, 367 (373) – Tagebücher; Stockter, Individualität, S. 455, Fn. 262. 214 „Im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung stehen Wert und Würde der Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt. Ihrem Schutz dient […] das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete [A]llgemeine Persönlichkeitsrecht, das gerade auch im Blick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit Bedeutung gewinnen kann (vgl. BVerfGE 54, 148 [153]). Die bisherigen Konkretisierungen durch die Rechtsprechung umschreiben den Inhalt des Persönlichkeitsrechts nicht abschließend. Es umfaßt […] auch die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden […]. BVerfGE 65, 1 (42 ff.); Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Art. 2 GG, Rn. 355.
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den Bedingungen moderner Datenverarbeitung“ auf.215 Konkretisiert werden diese Bedingungen wie folgt: Erstens seien dies unbegrenzte Speicherkapazitäten verbunden mit entfernungsunabhängigen schnellen Zugriffsmöglichkeiten auf die Daten.216 Zweitens zähle zu den Bedingungen moderner Datenverarbeitung die Möglichkeit über integrierte Informationssysteme, ein „teilweise oder weitgehend vollständiges Persönlichkeitsbild zusammenfügen zu können“, „ohne daß der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann“.217 Drittens seien auch die bisher unbekannten Möglichkeiten von Einsicht- und Einflussnahme, „welche auf das Verhalten des einzelnen schon durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme einzuwirken vermögen“ einzubeziehen.218 Darüber hinaus muss es jeder Person anheim stehen, Entscheidungen über ihr Verhalten zu treffen und sich sodann auch tatsächlich entsprechend dieser Entscheidung verhalten zu können.219 Diese grundsätzlichen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts gelten als normative Reaktion auf die Gefährdungen der automatisierten Datenverarbeitung, staatlicher Datenzugangs- und Verarbeitungsvoraussetzungen bis 215 BVerfGE 65, 1 (42 ff.); Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 136 ff. 216 Vgl. BVerfGE 65, 1 (42 ff.); Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 136 ff. 217 Vgl. BVerfGE 65, 1 (42 ff.); Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 136 ff. 218 Zu den Bedingungen moderner Datenverarbeitung siehe Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 136 ff.; Benda, Privatsphäre und „Persönlichkeitsprofil“, in: FS Geiger, S. 23 ff.; in der ausführlichen Formulierung des Bundesverfassungsgerichts: „Diese Befugnis bedarf unter den heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes. Sie ist vor allem deshalb gefährdet, weil bei Entscheidungsprozessen nicht mehr wie früher auf manuell zusammengetragene Karteien und Akten zurückgegriffen werden muß, vielmehr heute mit Hilfe der automatischen Datenverarbeitung Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person (personenbezogene Daten [vgl. § 3 Abs. 1 BDSG]) technisch gesehen unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar sind. Sie können darüber hinaus – vor allem beim Aufbau integrierte Informationssysteme – mit anderen Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne daß der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann. Damit haben sich in einer bisher unbekannten Weise die Möglichkeiten einer Einsicht- und Einflußnahme erweitert, welche auf das Verhalten des Einzelnen schon durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme einzuwirken vermögen“, siehe BVerfGE 65, 1, 42 ff.; Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, Art. 2 GG, Rn. 355. 219 Siehe BVerfGE 65, 1 (42 ff.); Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 136 ff.
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heute.220 In nachfolgenden Entscheidungen wurde der grundrechtliche Schutzbereich bestätigt und weiter verdinglicht.221 So umfasst der „Schutz des einzelnen gegen die unbegrenzte Verarbeitung seiner persönlichen Daten nicht nur die individualisierten, sondern auch die individualisierbaren Daten“.222 Vor dem Hintergrund seiner persönlichkeitsrechtlichen Grundlage beschränkt sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dabei nicht nur auf den jeweiligen Anwendungsbereich der Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder oder auf datenschutzrechtliche Sonderregelungen, sondern schützt vielmehr „generell vor staatlicher Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten.“223 Die für die Eigenständigkeit des Selbstbestimmungsrechts maßgebliche Exklusivität wird durch das Recht, in bestimmten persönlichen Bereichen „selbst und allein [zu] bestim men“,224 abgebildet. Gerade wegen dieser umfassenden Bedeutung ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zum „gesicherten Grundrechtsbestand“ zu zählen.225 „Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. […] Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.“226
220 Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 136; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 8. 221 Vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 136. 222 BVerfGE 67, 100 (144) – Flick; 77, 1 (46) – Neue Heimat; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 136. 223 BVerfGE 78, 77 (84) – Entmündigung; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 136. 224 Vgl. BVerfGE 34, 238 (246); 35, 202 (220); Stern, Staatsrecht III/1, S. 642 f. 225 So hat das BVerfG in einer Entscheidung zur Kapitalertragssteuer klargestellt, dass Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG einen „grundrechtlichen Datenschutz“ verbürgt, BVerfGE 84, 239 (289); vgl. auch Ebsen, IuR 1988, S. 325; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 136; BVerfG, CR 1990, 798 f. 226 BVerfGE 65, 1 (43 f.).
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b) Schutzpflichtdimension Grundrechten kommt neben ihrer Funktion als subjektive Freiheits- und Abwehrrechte ein umfassender objektiv-rechtlicher Gehalt zu.227 Der objektiv-rechtliche Gehalt der Grundrechte erfasst dabei objektive Wertentscheidungen, die in den jeweiligen Grundrechten verankert sind und zu einer Verstärkung der subjektiv-rechtlichen Bedeutung führen, da sie den Staat über Art. 1 Abs. 3 GG verpflichten, die Realisierung der Grundrechte zu sichern.228 Zum Teil wird positivistisch argumentiert, dass „die Grundrechtsnormen mittels Verbürgung subjektiver verfassungsmittelbarer Rechte Interessen des Einzelnen unter besonderen verfassungsrechtlichen Schutz [nehmen], indem sie ihm einen Anspruch auf Abwehr […] einer staatlicherseits veranlassten Verkürzung seiner Interessen einräumen, wenn und soweit diese Verkürzung nicht ihrerseits verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.“229 So steht es jedem anheim, sich bei Beeinträchtigungen seiner informationellen Selbstbestimmung in spezifischen Verfahrensvorbehalten der Gendiagnostik etwa gegenüber einer staatlichen Regelung auf eine Verletzung seines Grundrechts zu berufen.230 Umgekehrt könnte aber ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten Dritter das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gleichermaßen in der privaten Datenverwendung betreffen – dies bedarf insoweit einer verfassungsrechtlichen Begründung.231 Staatstheoretische Fundierung erhält eine solche durch die Lehre der unmittelbaren Drittwirkung, nach der Adressaten der Grundrechte nicht nur der Staat, sondern auch Privatrechtssubjektive sind.232 Ihre Legitimation erfährt die Lehre der unmittelbaren Drittwirkung in einem zunehmenden Bedeutungswandel: Bürgerliche Freiheit ist nicht mehr nur durch den Staat, 227 „Diese theoretische und dogmatische Fundierung ist Ausdruck der Entwicklung vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat. Dem lag die Erkenntnis zugrunde, dass vor der Abwehr von Eingriffen in die Freiheit zunächst die Bedingungen der Freiheit geschaffen und gesichert werden müssen, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, passim; Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, S. 1529 ff. 228 Vgl. Pflug, Regelungsstrukturen, S. 57 ff. 229 Vgl. Lindner, MedR 2007, S. 291 ff. 230 Vgl. Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 46 ff.; Lindner, MedR 2007, S. 291 ff. 231 Vgl. Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 46 ff.; Lindner, MedR 2007, S. 291 ff. 232 Siehe v. a. Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 14 ff.; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 285 ff.; Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 46 ff.; so hat sich auch von Münch für die Richtigkeit der Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung ausgesprochen, von Münch, Staatsrecht II, Rn. 188.
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sondern auch durch Private gefährdet.233 Darüber hinaus stellen die grundrechtlichen Prinzipien Ordnungsgrundsätze für das gesamte Gemeinschaftsleben dar und erlangen auf diese Weise unmittelbare Bedeutung für den Privatrechtsverkehr.234 Ausgangpunkt dieser Entwicklung war hierbei das sog. Lüth-Urteil. „Ohne Zweifel sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat […] Ebenso richtig ist aber, dass das Grundgesetz, das keine wertneutrale Ordnung sein will, in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat und dass gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt.“235 Folgt man diesen Überlegungen, erscheint es zunächst konsequent, wenn Spiros Simitis Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als einen der „klassischen Anknüpfungspunkt für die Drittwirkung der Grundrechte“ einordnet.236 Im Sinne einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte fordert er, dass „die enge, ausschließlich auf staatliche Aktivität ausgerichtete Interpretation der Grundrechtswirkung“ aufzugeben sei.237 Aus einem objektiven Gehalt der Grundrechte hat sich insofern eine multidimensionale Grundrechtsdogmatik entfaltet.238 Doch auch Argumente gegen eine unmittelbare Grundrechtsbindung von Privatrechtssubjekten lassen sich hören: Nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte eben nur Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Im Umkehrschluss dazu sollen Privatpersonen also gerade nicht vollumfänglich an die Grundrechte gebunden sein.239 Auch die Schrankensystematik der Grundrechte spreche gegen eine 233 Siehe v. a. Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 14 ff.; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 285 ff.; Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 46 ff.; von Münch, Staatsrecht II, Rn. 188. 234 Vgl. Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 14 ff.; Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 46 ff.; so betont auch der BGH, dass sich das Allgemeine Persönlichkeitsrecht „nicht nur gegen den Staat und seine Organe richtet, sondern auch im Privatrechtsverkehr gegenüber jedermann gilt“, BGHZ 24, 72 (76); ebenso BGHZ 27, 284 (285) – Heimliche Tonbandaufnahme. 235 BVerfGE 7, 198 – Lüth Entscheidung. 236 Vgl. Simitis, NJW 1984, S. 398 (401); weitere Nachweise bei Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 46 ff. 237 Vgl. Simitis, NJW 1984, S. 398 (401); Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 46 ff. 238 Vgl. Lindner, MedR 2007, S. 291 ff.; Dreier, in Dreier, Grundgesetzkommentar, Vorbemerkung vor Art. 1 GG, Rn. 96 ff. 239 Siehe Guckelberger, JuS 2003, S. 1151 (1153); ebenso Canaris, AcP 1984 (184), S. 201, 203 f.; vgl. auch Medicus, AcP 1992 (192), S. 35 (43); Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 46 ff.
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derartige Grundrechtsbildung Privater.240 Das Grundgesetz kenne gerade keine Einschränkbarkeit der Grundrechte durch privates Rechtsgeschäft, sondern nur durch oder aufgrund eines staatlichen Gesetzes.241 Indes obliegt es nicht nur dem Gesetzgeber, sondern auch den Gerichten, bei der Setzung und Anwendung ausgestaltenden Normen den schutzrechtlichen Anspruch mit einer „Ausstrahlungswirkung“ zu verbinden und zu achten.242 Diese „Drittwirkungsdimension“ der Grundrechte erfährt im Rahmen gesetzlicher Regelungen zur prädiktiven Gendiagnostik in mehrfacher Weise Bedeutung: So ist ein „Drittverhältnis betroffen, wenn sich eine Person gegen die freiwillige gendiagnostische Untersuchung bei einem Verwandten wendet, deren Ergebnisse Rückschlüsse auf die eigene genetische Disposition zulassen.“243 Eine begrenzte Grundrechtsbindung würde demnach zu einer erheblichen Einengung selbstverantworteter Freiheit führen: Gerade im privaten Rechtsverkehr wäre diese allerdings mit einer grundsätzlichen, verfassungsrechtlich gewährten Entscheidungsfreiheit vor dem Staat kaum mehr vereinbar.244 Daher können die Grundrechte in ihrer Bedeutung keineswegs nur auf ihre Funktion als Abwehrrechte gegenüber dem Staat beschränkt werden.245 Im Zuge eines sich wandelnden Grundrechtsverständnisses treten vielmehr weitere Funktionen hinzu: Grundrechte sind weitergehender als objektive Wertentscheidungen, als institutionelle Gewährleistungen oder gar als Verfahrensgarantien zu verstehen.246 Zugleich ist aber auch der Charakter eines an den Staat gerichtetes Rechts auf Schutz vorherrschend anerkannt.247 Konrad Hesse begründet diese Verpflichtung zum Grundrechtsschutz wie folgt: „Menschliche Freiheit ist nicht nur durch den Staat, sondern auch durch nicht-staatliche Mächte gefährdet, die in der Gegenwart bedrohlicher werden können als die Gefährdungen durch den Staat. Freiheit lässt sich jedoch nur als einheitliche gewährleisten: Sofern 240 Siehe Medicus, AcP 1992 (192), S. 35 (43); Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 46 ff. 241 Vgl. Medicus, AcP 1992 (192), S. 35 (43); Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 46 ff. 242 Siehe Lindner, MedR 2007, S. 291 (292). 243 Lindner, MedR 2007, S. 291 ff. 244 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 354. 245 Vgl. Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 46 ff. 246 So von Münch, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Vorb. Art. 1–19, Rn. 17 ff. 247 Insbesondere Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 410 ff.; Canaris, AcP 1984 (184), S. 201 (225 ff.), Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 350; auch Befürworter einer Zurückhaltung des Gesetzgebers im Bereich der privaten Datenverarbeitung gehen von einer grundrechtlich begründeten Schutzpflicht des Staats aus; Zöllner, Datenschutz, RDV 1985, S. 3 (9 ff.); im Überblick: Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 46 ff.
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sie nicht nur eine Freiheit der Mächtigen sein soll, bedarf sie des Schutzes auch gegen gesellschaftliche Beeinträchtigungen.“248 Mag auch so manches Detail nicht abschließend geklärt sein, so besteht grundsätzlich an der Verpflichtung des Staates zum Schutz grundrechtlicher Rechtspositionen kein Zweifel.249 Selbst wenn die private Datenverwendung und deren Legitimation nicht unmittelbar am Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung als Abwehrrecht zu messen ist, bleibt die informationelle Selbstbestimmung jedenfalls als Schutzgebot von Relevanz.250 Gerade wenn die eigentlichen Gefahren der informationellen Selbstbestimmung nicht mehr nur von staatlichen, sondern auch von privaten Datenverwendern ausgehen, gebietet das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auch ein entsprechend wirksames Schutzniveau im privaten Bereich.251 Selbstredend bedeutet dies nicht, dass ein abstrakter Standard in der Datenverarbeitung gelten soll. „Der Grundrechtsschutz kann je nach Gewicht und Dringlichkeit der den Eingriff rechtfertigenden Gründe sehr hoch oder sehr niedrig sein.“252 Bei der Beurteilung einer Reichweite des staatlichen Grundrechtsschutzes ist auf den konkreten Einzelfall abzustellen.253 Dabei ist insbesondere auch zu betrachten, inwieweit ein mit der Schutzmaßnahme verbundener Eingriff in die Grundrechte Dritte zulässig ist: Die Reichweite ist in ihrer Wirkung also nicht absolut zu bestimmen.254 Letztlich geht es um einen verhältnismäßigen Abwägungsprozess, in dem der Gesetzgeber den grundrechtlichen Belangen aller Personen angemessen Rechnung tragen 248 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 349; im selben Sinne Schmitt Glaeser in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 129, Rn. 90; Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 46 ff.; auch hat sich das BVerfG mit der Funktion der Grundrechte als Schutzgebote wie folgt auseinandergesetzt: „Die Schutzpflicht des Staates ist umfassend. Sie verbietet nicht nur […] unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, d. h. vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. An diesem Gebot haben sich die einzelnen Bereiche der Rechtsordnung, je nach ihrer besonderen Aufgabestellung, auszurichten.“ BVerfGE 39, 1 (42) – Schwangerschaftsabbruch. 249 Vgl. Hain, DVBl. 1993, S. 982; umstritten ist aber vor allem der Umfang und die Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten: Klein, NJW 1989, S. 1633 (1635); weiter auch Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 51 ff. 250 Vgl. Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 51 ff. 251 So Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 51 ff. 252 Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 55. 253 Siehe Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 51 ff. 254 Siehe BVerfGE 88, 203 (253 ff.); weiter auch Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 51 ff.
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muss.255 Grundrechte können weder in ihrer Funktion als Abwehr noch als Schutzgebot als eine einseitige Größe definiert werden. Ihre Wirkung hängt immer von verschiedenen Faktoren ab – wie beispielsweise von der Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Rechtsgutes, von den betroffenen Allgemeinbelagen oder von kollidierenden Rechtsgütern Dritter.256 Dementsprechend bestimmt sich die Reichweite des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung auch nicht danach, ob es als Abwehrrecht oder Schutzgebot betroffen ist oder nicht.257 Vielmehr ist zu hinterfragen, wie weit ein Grundrechtsträger selbst- oder fremdbestimmt handelt, oder inwieweit eine Reglementierung der Datenverarbeitung auch einen Eingriff in die legitime Grundrechtsausübung Dritter bedeutet.258 c) Schutzbereich In der Folge dieser Überlegungen sind die einschlägigen Schutzpositionen des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG näher zu beleuchten. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sichert die „Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“259 Gewährleistet wird dem Grundrechtsträger der „Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe [von] Daten“.260 Als Ausgangspunkt der Analyse ist daher zunächst der Schutzbereich personenbezogener Daten (aa)) vor dem Hintergrund des Verwendungszusammenhangs (bb)) auszulegen. In Konkretisierung des spä255 Selbst bei der Reichweite der Schutzpflicht des Lebens seien sowohl die Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechtsgutes als auch die mit ihm konkurrierenden Rechtsgüter zu berücksichtigen, so das BVerfGE in seinem zweiten Abtreibungsurteil, BVerfGE 88, 203 (253 ff.); weiter auch Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 51 ff. 256 So im Ergebnis auch Hager, Grundrechte im Privatrecht, JZ 1994, S. 373 (383) der sich in diesem Punkt ebenfalls dagegen ausspricht, in der Reichweite der Grundrecht nach Abwehr- oder Schutzaspekten zu differenzieren; siehe auch Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 57. 257 Siehe Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 57; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 424 f. 258 Siehe Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 424 f.; Alexy betont, dass bei der Abwägung im Rahmen von Schutzrechten neben Rechten anderer auch Gemeinschaftsgüter relevant werden können: „Bei Abwägungen im Rahmen von Abwehrrechten können neben Gemeinschaftsgütern Rechte anderer ins Spiel kommen, und bei Abwägungen im Rahmen von Schutzrechten können neben Rechten anderer Gemeinschaftsgüter eine entscheidende Rolle spielen. Diese triadische Struktur (Rechts des a/Gemeinschaftsgüter/Rechte des b1, b2 …) lauert hinter jedem grundrechtlichen Problem.“ Siehe auch Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 57. 259 Siehe BVerfGE 65, 1 (42 ff). 260 Siehe BVerfGE 65, 1 (42 ff.).
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ter zu diskutierenden Biobankgeheimnisses ist zudem zwischen anonymisierten und pseudoanonymisierten Daten zu unterscheiden. aa) Personenbezogene Daten Es ist bereits mehrfach angeklungen, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Bestimmung eines jeden „über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten“ gewährleistet.261 Eine Konkretisierung des Schutzbereichs erfährt der Datenbegriff abermals durch das Volkszählungsurteil sowie den nachfolgenden Entscheidungen.262 Auch wenn die datenschutzrechtlichen Begrifflichkeiten wegen des Vorranges der Verfassung nicht ungeprüft übernommen werden, orientiert sich die Terminologie zunächst am geltenden Datenschutzrecht.263 Einfachgesetzlich sind, der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 BDSG264 gemäß, „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person“ umfasst – mithin also auch Daten über die gesundheitliche oder genetische Verfassung. Zwar könnte zunächst zu fragen sein, inwieweit personenbezogene Gesundheitsdaten bereits vorliegen, sobald eine genetische Grundkonstellation in der Natur existiert.265 Auch ist insoweit zu bedenken, inwieweit möglicherweise erst bestimmte Umstände durch menschliches Tätigwerden einen in der Außenwelt hervortretenden Gegenstand mit Informationsgehalt bilden?266 Versteht man dabei den Begriff der „Angabe“ als Ausdruck menschlicher Transformation mit einem finalen Element, hätte dies zur Folge, dass das menschliche Blut, die Zellinformation und das Chromosom 261 BVerfGE
65, 1 (43). u. a. BVerfGE 65, 1, 44 (45) – Volkszählung; 78, 77 (84) – Entmündigung; auch weitere Kammerbeschlüsse, z. B. BVerfG, NJW 1987, S. 1189; NJW 1987, S. 2219; NJW 1987, S. 2805; NJW 1988, S. 962 etc.; des Weiteren Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 150. 263 Vgl. des Weiteren zur begrifflichen Einordnung der verarbeitungsspezifischen Datenschutzterminologie: Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 150 (156); § 3 Abs. 4, 5 BDSG; Weichert, in: Däubler/Klebe/Wedde/ Weichert, BDSG, § 3 Rn. 28. 264 Allerdings ist der Begriff der „personenbezogenen Daten“ keine dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) spezifische Formulierung; auch bezeichnet § 16 des Gesetzes über Statistik für Bundeszwecke, andere statistische Einzelgesetze sowie § 203 Abs. 2 StGB „personenbezogene Daten“ ebenfalls als „Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse“. § 35 Abs. 1 SGB I und § 67 Abs. 1 SGB X übernehmen den Begriff unter Begrenzung auf die Verarbeitungen im Rahmen des SGB als „Sozialdaten“, vgl. Gola/Schomerus, BDSG Kommentar, § 3 Rn. 2 f. 265 Siehe Stumper, Informationelle Selbstbestimmung und DNA-Analysen, S. 86 f. 266 Vgl. Stumper, Informationelle Selbstbestimmung und DNA-Analysen, S. 86 f. 262 Vgl.
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nicht als Ansammlung personenbezogener Daten zu kategorisieren wären.267 Doch ließe sich mit dieser Sichtweise freilich nicht vereinbaren, dass die bloße Existenz von Außenweltfaktoren, wie etwa die Größe oder die Augenfarbe, als personenbezogenes Merkmal einzuordnen sind.268 Demnach verstehen sich erst Daten, wie Fingerabdrücke oder Röntgenbilder, die durch menschliche Kreations- oder Kommunikationsakte entstanden sind, als personenbezogen.269 Diese Merkmale würden von der Definition erfasst, sofern sie einen menschlichen Tätigkeitsakt integrierten – sei es durch Mitteilung, Aufbewahrung entsprechender Hinweise oder Aufzeichnungen.270 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass bereits auf Chromosomenebene mit mikroskopischer Technik Aussagen über das Vorliegen oder Nichtvorliegen genetischer Dispositionen und auch Krankheiten zu treffen sind. Allein die Betrachtung chromosomaler Einzelbanden kann mittels direkter und indirekter DNS-Analysen Informationen über genetische Informationen offenbaren. So geben etwa Fingerabdrücke an, „welche unveränderlichen Kennzeichen eine bestimmte Person im Fingerspitzenbereich aufweist“.271 Auch mit Genprodukten verhält es sich ähnlich: Wird das Blut z. B. auf Proteinbestandteile analysiert, lassen sich je nach Fragestellung ohne weitere technische Einwirkung mikro- und molekularbiologische Aussagen über bestimmte Eigenschaften des individuellen Gen-Wirkprozesses treffen.272 Da aber spätestens der Befund, unabhängig von den zuvor durchgeführten Maßnahmen, die entsprechenden personenbezogenen Daten des Patienten enthält, kann der Informationsträger der Zelle in seinem gesamten Informationsgehalt als geeignet angesehen werden, nach menschlicher Wahrnehmung und intellektueller Verarbeitung Aussagen zum Gesundheitszustand und damit zu den persönlichen Verhältnissen eines einzelnen Menschen zu treffen.273 Vielmehr sind Proben menschlicher Körperstoffe und genetische Daten uneingeschränkt als „sensitive“ Angaben im Sinne des § 3 Abs. 9 BDSG zu qualifizieren.274 Neben der Feststellung über die Genesung oder Gesundheit einer Person erfassen sie nämlich auch Informationen über paDammann, in: Simitis, § 3 Rn. 5. Stumper, Informationelle Selbstbestimmung und DNA-Analysen, S. 86 f. 269 Vgl. Stumper, Informationelle Selbstbestimmung und DNA-Analysen, S. 86 f. 270 Siehe Dammann, in: Simitis, § 3 Rn. 5. 271 VG Wiesbaden, DVBl. 1981, S. 788 (792). 272 Vgl. Stumper, Informationelle Selbstbestimmung und DNA-Analysen, S. 86 ff. 273 So auch im Ergebnis: Stumper, Informationelle Selbstbestimmung und DNAAnalysen, S. 86 ff. 274 Dies unterstreicht zum einen die Einführung des § 3 Abs. 9 BDSG mit der Novellierung des Datenschutzrechts im Jahr 2001 und zum anderen auch die dahingehenden europarechtlichen Entwicklungen, vgl. dabei Kap. § 8 B. II.; Mand, MedR 2005, S. 569 f. 267 So
268 Vgl.
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thologische Zustände und deren Behandelbarkeit.275 Dabei gilt das Interesse der medizinischen und pharmazeutischen Forschung selbstredend den Daten, die Informationen über Körperfunktionen enthalten.276 Gendiagnostische Informationen stellen demnach zweifelsfrei personenbezogene Daten im Sinne des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dar. In der Bestimmung der personenbezogenen Daten setzt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gleichermaßen die Individualisierbarkeit von Dateninhalten voraus.277 Der Schutzbereich bezieht zum einen Daten einer bestimmten (individualisierten) Person ein; und zum anderen jene Einzelangaben, die eine bestimmte Person nicht eindeutig identifizieren, deren Identität aber mit Hilfe anderer Informationen feststellbar bzw. bestimmbar278 wird. Erfasst ist also die Erhebung und Verarbeitung sämtlicher Informationen mit Individualbezug: Informationen über Manifestationen, Eigenschaftsindikatoren und Identifikationsmuster.279 Beispielhaft gewährleistet ist der Schutz des sog. genetischen Fingerabdrucks: Für sich genommen entfaltet dieser lediglich geringe Aussagekraft, weil sich sein Informationsgehalt aus nicht-kodierenden DNS-Abschnitten ableitet.280 Durch Abgleich mit anderen Identifikationsmustern bekommt er jedoch besondere Bedeutung, so dass gegebenenfalls bestimmte (auch strafrechtlich relevante) Handlungen zugerechnet werden können.281 Allerdings verbleibt der Begriff der „Datenbestimmbarkeit“ relativ.282 Es erscheint möglich, dass dieselben Daten für den einen, der über ein Zusatzwissen verfügt, zuordenbar sind – und für den anderen, der dieses Wissens entbehrt, anonym.283
Simitis, in: Simitis, § 1 Rn. 50 m. w. N.; Mand, MedR 2005, S. 569 f. Mand, MedR 2005, S. 569. 277 Siehe Stockter, Individualität, S. 456; Steinmüller et al., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Drs. 6/3826, S. 54. 278 BGH, NJW 1991, S. 568. 279 Vgl. BVerfG, NJW 1988, 962 f.; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 151; Stockter, Individualität, S. 456. 280 Siehe Stockter, Individualität, S. 456. Auch hatte ein vor dem VGH BadenWürttemberg verhandelter Fall die Erstellung von DNS-Identifikationsmustern zum Gegenstand, VGH Baden Württemberg, DÖV 2001, S. 474 ff.; Stockter, in: Prütting, Medizinrecht, § 4 GenDG, Rn. 17. 281 Siehe Stockter, Individualität, S. 456.; VGH Baden Württemberg, DÖV 2001, S. 474 ff.: Der VGH qualifizierte die heimliche Durchführung einer DNS-Analyse zur Identifizierung und Überführung eines Mitarbeiters als erhebliche Verletzung seines Persönlichkeitsrechtes und hob die darauf gründende Kündigung auf. 282 Vgl. Gola/Schomerus, BDSG Kommentar, § 3 Rn. 10. 283 So Gola/Schomerus, BDSG Kommentar, § 3 Rn. 10 ff.; a. A. Weichert, in: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, BDSG, § 3 Rn. 13, der auf die objektiven, technischen Möglichkeiten abstellt. 275 Vgl. 276 Vgl.
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(1) Anonymisierte Daten Vor diesem Hintergrund erstreckt sich der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG auf nicht-anonyme Daten, die personenbeziehbar sind: „[D]ie grundrechtlich geschützte Entscheidungsbefugnis des einzelnen über seine Daten endet dort, wo die Daten keinen Zusammenhang […] mit seiner Person erkennen lassen.“284 Für die Ermittlung der verfassungsrechtlichen Anforderungen heißt dies zunächst, dass bestimmbare und anonymisierte Daten voneinander abzugrenzen sind. „Anonym sind Einzelangaben, die keinen Hinweis auf eine natürliche Person enthalten, oder negativ ausgedrückt, nicht anonym sind Einzelangaben einer Person, mit denen die Identität einer Person bestimmbar ist.“285 Einzelangaben natürlicher Personen sind beispielsweise anonymisiert, wenn sie „aus einem Bestand personenbezogener Angaben ohne Personenbezug“ durch entsprechende Auswertung herausgefiltert wurden, respektive der Personenbezug durch Löschung der Identifikationsmerkmale entfällt.286 Als nicht-anonymisiert gelten hingegen Daten in Fallkonstellationen, bei denen eine „Reanonymisierung“ der verantwortlichen Stelle – „unter normalen Bedingungen“ – möglich erscheint.287 § 3 Abs. 6 BDSG konkretisiert dies insofern, als dass die Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse nicht mehr oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet werden können. Wann ein „unverhältnismäßig“ hoher Aufwand vorliegt, ist hierbei im Einzelfall zu entscheiden,288 da die Grenzen zwischen personenbeziehbaren und anonymisierten Daten an dieser Stelle fließend verlaufen. So können etwa auch aggregierte Daten nicht ausreichend anonymisiert sein.289 Bei jeder Einzelfallentscheidung stellt sich insoweit die Frage, unter Zuhilfenahme welcher Kriterien anonymisierte und nicht-anonymisierte Daten 284 Bizer,
Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 152. Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 150 f. § 3 Abs. 6 BDSG sieht unter dem Begriff des „Anonymisierens“ vor, dass die Einzelangaben [nicht] einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet werden können. Ähnlich wie § 3 Abs. 6 BDSG bezeichnen andere Datenschutzregelungen anonymisierte Daten als solche, „die keinen Bezug zu einer bestimmten oder bestimmbaren Person ermöglichen“ (§ 45 StVG). 286 Vgl. dazu auch die Verpflichtungen des § 40 BDSG, wobei das BDSG hinsichtlich der Löschung, nicht jedoch der weiteren Verarbeitung Anwendung findet, Gola/Schomerus, BDSG Kommentar, § 3 Rn. 43 f. 287 So im Umkehrschluss zu Gola/Schomerus, BDSG Kommentar, § 3 Rn. 44. 288 Vgl. Gola/Schomerus, BDSG Kommentar, § 3 Rn. 44. 289 Vgl. Hammacher, in: Kaase et al., Datenzugang und Datenschutz, S. 220; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 152. 285 Bizer,
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voneinander abzugrenzen sind. Dass eine Person bestimmbar wird, wenn sie mit Hilfe von Informationen identifiziert werden kann, mag zunächst überzeugen.290 Doch setzt eine erfolgreiche Feststellung der Person verschiedene Faktoren voraus: Vorhandenes Vor- oder „Zusatzwissen“,291 technische Voraussetzungen der Datenverarbeitung oder die zur Verfügung stehende Zeit wirken zusammen.292 „Maßgebend ist die Verfügbarkeit des zur Reanonymisierung erforderlichen Wissens: ‚Verfügbarkeit‘ heißt aber zum einen nicht, dass die Zusatzinformation schon oder noch bei der verantwortlichen Stelle vorhanden ist und zum anderen nicht, dass eine Absicht der Reanonymisierung bestehen muss.“293 So ließe sich bei genetischen Proben theoretisch jederzeit ein Individualbezug durch Vergleichsanalysen herstellen.294 Hinzu kommt, dass eine realistische Prognose über die Ressourcen der Datenverarbeitung und den Wert, den die erlangten Informationen gegenwärtig oder auch zukünftig für den Betroffenen oder Dritte haben könnte, nur schwerlich vorherzusagen ist.295 Stellt man insgesamt auf die beträchtlichen Fortschritte der Technologisierung und die jüngsten US-amerikanischen Enthüllungen296 ab, ist man daher geneigt zu sagen, nahezu alle anonymisierten Daten ließen sich „de-identifizieren“ oder „re-anonymisieren“.297 Mithin kann es nur konsequent sein, den Anwendungsbereich der tatsächlich anonymen oder „absolut anonymen“ Gesundheitsdaten auf einen sehr kleinen, wenn überhaupt vorhandenen Teil der sog. anonymen Daten zu beschränken.298 290 Vgl. Beiträge in: Kaase et al.; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 150 ff. 291 Siehe BVerfGE 65, 1 (42 ff). 292 Vgl. Dittrich/Schlörer, DuD 1987, S. 30 ff.; Hammacher, in: Kaase et al.: Datenzugang und Datenschutz, S. 219 ff.; Paaß, DuD 1985, S. 97 ff.; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 150 ff. 293 Siehe Gola/Schomerus, BDSG Kommentar, § 3 Rn. 44 f. 294 Übereinstimmend: Stockter, Individualität, S. 472. 295 Siehe Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 154. 296 Bezugnehmend auf die Enthüllungen des US-amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden des Jahres 2013. 297 So Gola/Schomerus, BDSG Kommentar, § 3 Rn. 44 f.; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 150 ff.; Burkert, in: Kaase et al.: Datenzugang und Datenschutz, S. 143 ff. 298 Vgl. Begriff der „total anonymisierten Daten“ bei Brennecke, in: Kaase et al.: Datenzugang und Datenschutz, S. 158 ff.; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 150 ff. Angesichts der fortschreitenden technischen Möglichkeiten, personenbezogene Daten zu anonymisieren und zu re-identifizieren ließe sich auch begründen, das Schutzniveau in Ablehnung an verschiedene Umweltgesetze nach „Stand von Wissenschaft und Technik“ zu bestimmen, so. i. E. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 150 (155).
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(2) Pseudonymisierte Daten Demgegenüber besteht auch die IT-technische Möglichkeit, personenbezogene Daten in der Datenverarbeitung zu pseudonymisieren. Gemäß § 3 Abs. 6a BDSG ist unter Pseudonymisieren das Ersetzen des Namens und anderer Identifikationsmerkmale durch ein Kennzeichen, zu verstehen, um die Bestimmung der Person auszuschließen oder wesentlich zu erschweren. Die Reichweite des Vorgangs des Pseudonymisierens erschließt sich dabei aus dem Regelungskontext der § 3 und § 3a BDSG, wenn Daten etwa in der Forschung oder statistischen Datenerhebung aus Gründen der Auswertbarkeit oder Datensparsamkeit verschlüsselt werden: Verfolgt wird insofern das Ziel, die Kenntnis der Identität der Betroffenen während der Verarbeitung in Fällen auszuschließen, in denen das charakterisierende Wissen nicht erforderlich ist.299 Dennoch besteht über eine computergesteuerte Zuordnungsfunktion weiterhin die Möglichkeit, im Nachhinein Datensätze und Personenidentität zusammenzuführen.300 Daraus differenziert der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dahingehend, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowohl re-identifizierbare als auch pseudoanonymisierte, personenbezogene Daten umfasst. Insgesamt ist als unstreitig anzusehen, dass es sich bei den bei genetischen Untersuchungsmethoden gewonnenen Daten um personenbezogene Daten des Untersuchten handelt.301 bb) Verwendungszusammenhang der Daten „Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit“ sind in der Datenverarbeitung entscheidend. „Diese hängen einerseits von dem Zweck, dem die Erhebung dient, und andererseits von den der Informationstechnologie eigenen Verarbeitungsmöglichkeiten und Verknüpfungsmöglichkeiten ab. Dadurch kann ein für sich gesehen belangloses Datum einen neuen Stellenwert bekommen.302 Insoweit gibt es unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein ‚belangloses‘ Datum mehr.“303 In seinem Volkszählungsurteil relativierte das Bundesverfassungsgericht erstmalig die sog. Sphärentheorie.304 Diese differenzierte zwischen einem Weichert, in: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, BDSG, § 3 Rn. 51 ff. auch Weichert, in: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, BDSG, § 3 Rn. 51 ff. 301 So auch Heinemann, Die datenschutzrechtliche Einwilligung in der Humangenetik, S. 56. 302 Vgl. BVerfGE 65, 1 (45) – Volkszählungsurteil. 303 BVerfGE 65, 1 (45) – Volkszählungsurteil. 304 So meint Hufen, in: Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, JZ 1984, S. 1072 (1074), dass die Sphärentheorie „flexibler“ werde. Mückenberger, 299 Siehe 300 Siehe
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„absolut geschützten Kernbereich“ – der Intimsphäre, die letztlich unter Bezug auf die das Persönlichkeitsrecht konkretisierende Menschenwürde unantastbar und damit keiner Einschränkung zugänglich ist – und der Abstufung der Privatsphäre bis hin zur Sozialsphäre.305 Die am weitesten gefasste, öffentliche Sozialsphäre kann demgegenüber unter Berufung auf das „Menschenbild des Grundgesetzes“ verfassungsrechtlichen Beschränkungen zugänglich sein.306 „Wieweit Daten sensibel sind, kann [allerdings] nicht allein davon abhängen, ob sie intime Vorgänge betreffen. Vielmehr bedarf es zur Feststellung der persönlichkeitsrechtlichen Bedeutung eines Datums der Kenntnis des Verwendungszusammenhangs.“307 Das Volkszählungsurteil betonte gegenüber der Sphärentheorie den „Verwendungszusammenhang“.308 Es kann „nicht mehr allein auf die Art der Daten abgestellt werden“, vielmehr ist nach dem Erhebungszweck und den der Informationstechnologie eigenen Verarbeitungsmöglichkeiten zu fragen.309 Da sich die technischen Verknüpfungsmöglichkeiten bis hin zur Grenzenlosigkeit entfalten – „gibt es [insoweit] unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein ‚belangloses‘ Datum mehr.“310 Entsprechend ist die Reichweite des Schutzbereiches des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht mehr bloß nach harmlosen oder bedeutungsvollen, nach sensiblen oder weniger sensiblen Daten, aufrecht zu erhalten.311 Erst im Zusammenhang der konkreten Verwendung lässt sich für einen Betroffenen die Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von personenbezogenen Daten bestimmen. Durch den Gedanken des Verwendungszusammenhangs wird sein Korrelat einer zugemessenen Zweckbestimmung zum Ansatzpunkt für eine normative Begründung des informationellen KJ 1984, S. 1 (7) und Podlech, Leviathan 1984, S. 91 (93 f.) sprechen vom „Abschied von der Sphärentheorie“ – ebenso wie Steinmüller, DuD 1984, S. 91 (93 f.); Benda, DuD 1984, S. 86 (88); Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 145 ff. 305 Vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 145 ff. 306 Siehe BVerfGE 6, 32 (41) – Elfes; 32, 372 (378) – Arztkartei, 35, 202 (220) – Lesbach; 44, 353 (372) – Suchtberatung; BVerfGE 80, 367 (373 ff.) – Tagebuch; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 145 ff. 307 BVerfGE 65, 1 (45); BVerfG, NJW 2007, S. 2464 (2466). 308 Vgl. BVerfGE 65, 1 (45) – Volkszählungsurteil. 309 Siehe BVerfGE 65, 1 (45) – Volkszählungsurteil; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 145 ff.; schon früher: Simitis, Datenschutz – Notwendigkeit und Voraussetzungen einer gesetzlichen Regelung, DVR 2, 1973, S. 138 ff. 310 Vgl. BVerfGE 65, 1 (45) – Volkszählungsurteil, Hervorhebung durch den Verfasser; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 147. 311 Vgl. Simitis, NJW 1984, S. 398 (402).
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Schutzgedankens.312 Dabei gewinnt der Zweck der Datenverarbeitung nicht erst im Zusammenhang mit gesetzlichen Einschränkungen, sondern bereits mit der Einwilligung zu einem zweckgerichteten Dateneingriff seine Bedeutung.313 Gleichwohl ist angesichts der vollzogenen Wendung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Art der zu verarbeitenden Daten nicht gleichgültig: „[Es] kann nicht allein auf die Art der Angaben abgestellt werden.“314 Dabei impliziert das Bundesverfassungsgericht, dass eine Unterscheidung der Daten nach ihrem Sozialbezug erfolgen soll.315 Auch die Tatsache, dass Informationen, die auf eine genetische Erkrankung hinweisen, einen höheren Sozialbezug aufweisen können, ändert an der grundsätzlichen Offenheit des Begriffs nichts.316 Die Berücksichtigung des Sozialbezugs soll die Sphärentheorie aber keinesfalls wieder auferwecken, ebenso wenig wie sie einen Rekurs zur vormaligen zum Ausdruck bringen soll.317 Vielmehr ist der Verwendungszusammenhang in der Rechtfertigung eines Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu prüfen; dabei gilt es, im Rahmen der Zumutbarkeit eine verhältnismäßige Abwägung vorzunehmen und insoweit den Verwendungszusammenhang der Daten entsprechend zu berücksichtigen.318 So differenziert das Bundesverfassungsgericht, wenn die erhobenen Daten „unzumutbare intime Angaben“319 oder 312 Vgl. Mückenberger, KJ 1984, S. 1, 8, (17 f.); Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 145 ff. 313 Siehe Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 145 (148); Mückenberger, KJ 1984, S. 1, 8, (17 f.). 314 BVerfGE 65, 1 (45) – Volkszählungsurteil, Hervorhebung durch den Verfasser; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 147 ff. 315 Vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 147 f. 316 Auch wird in diesem Kontext von einem „gesteigerten Sozialbezug“ gesprochen, vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 147 ff.; siehe auch BVerfG, NJW 1988, S. 3009 ff.: So betonten die Richter, dass auch ein regelmäßig „gesteigerter Sozialbezug“ von personenbezogenen Daten nicht dazu führen kann, dass diese dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung entzogen werden; er ist vielmehr „bei der Prüfung der Einschränkbarkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Einzelfall“ zu berücksichtigen. 317 Anders Vogelsang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 62, 144 (162 ff.). 318 So auch beispielsweise in den Entscheidungen des BVerfG, die sich mit dem Beweiserhebungsrecht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse im Verhältnis zum „grundrechtlichen Datenschutz“ auseinandersetzen: Dabei erstreckt sich das Beweiserhebungsrecht nicht auf die Weitergabe von Informationen, „deren Weitergabe wegen ihres streng persönlichen Charakters für die Betroffenen unzumutbar sind.“ BVerfGE 67, 100 (144) – Flick, 77, 1 (47) – Neue Heimat; vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 147 ff. 319 BVerfGE 34, 245; BVerfGE 65, 1 (44 ff.).
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„Selbstbezichtigungen“320 enthalten oder die Weitergabe wegen „ihres streng persönlichen Charakters für die Betroffenen unzumutbar ist“321. Eine diesbezügliche Abgrenzung setzt sich aber auch im Kontext europasowie datenschutzrechtlicher Novellierungen fort: Mithin werden Daten in spezifische Kategorien nach ihrem Verarbeitungszweck, wie etwa des „Profilings“ nach Art. 4 Abs. 3a (Datenschutz-Grundverordnung, VO-E)322 unterschieden und in besonderem Maße geschützt. Deutet man diese Kategorisierung i. S. einer intendierenden Interpretationshilfe, so schafft dies mitunter die notwendige Flexibilität, um der Bedeutung des Verwendungszusammenhangs auch in der konfligierenden Konfrontation von Informations- und Verschwiegenheitsinteressen Rechnung zu tragen. d) Konflikt zwischen Informations- und Datenschutzinteressen Eine klare Trennlinie zwischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen lässt sich nur für wenige Bereiche der Datenverarbeitung und -verwendung finden.323 Ganz vorherrschend erweist sich eine Interessenabwägung zwischen Informationsfreiheit und Datenschutz als komplex.324 So kann das genetische Informationsbedürfnis aufgrund der Besonderheit genetischer Daten nicht abstrakt beurteilt werden. Ausgangspunkt ist – wie bereits festgestellt wurde – die durch das Volkszählungsurteil vorgegebene Bedeutung des Informations- und Datenschutz320 BVerfGE
65, 1 (44 ff.). 65, 1 (46); dies reflektiert auch § 28 Abs. 6 i. V. m. § 3 Abs. 9 BDSG, der besondere Daten anführt, die sich mit Art. 6 der Konvention überschneiden. Allerdings findet die dortige Einschränkung der Datenverarbeitung in einem Kontext statt, der wiederum dem Verarbeitungszusammenhang unterliegt, vgl. Stumper, Informationelle Selbstbestimmung und DNA-Analysen, S. 104 ff. 322 Siehe Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (allgemeine Datenschutzverordnung) (COM(2012)0011 – C7-0025/2012 – 2012/0011(COD)) http://www.europarl.europa. eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2014-0212+0+DOC+XML+ V0//DE&language=DE [letzter Aufruf am 31.05.2014]; auch im Weiteren unter Kap. § 8 B. II. 323 So sind etwa nach dem Bundesdatenschutzgesetz all solche Datenverarbeitungsvorgänge vom Anwendungsbereich ausgeschlossen, die ausschließlich für persönliche oder familiäre Tätigkeiten erfolgen, siehe § 1 II Nr. 3 BDSG, Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 80 f. 324 „Je weiter die Ausnahmen vom jeweiligen Ausgangspunkt eines datenschutzrechtlichen Regelwerks gefasst sind, desto weniger praktische Bedeutung kommt diesem Ausgangpunkt im Ergebnis zu.“ Siehe Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 80 f. 321 BVerfGE
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rechts: Demnach ist eine Datenverarbeitung nur dann gestattet, wenn sie sich durch eine Rechtsvorschrift legitimiert, oder der Betroffene seine Einwilligung erteilt hat.325 Dabei waren der Schutz vor Datenverarbeitung und seine weitläufigen Interpretationen durch das Volkszählungsurteil auf eine breite Basis gestellt.326 Zugleich wurden die Belange der Informationsfreiheit jedoch zusehends in den Hintergrund gedrängt.327 Mithin konstatierte Hans-Ullrich Gallwas: „Wechselt man […] zum Schutz des Wissbegierigen […], so ist zunächst festzustellen, dass es bei der eher schmalen Ausgangssituation geblieben ist. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht hat sich auf der informationsrechtlichen Schiene nicht weiterentwickelt. Vielmehr hat es, eben durch die Entfaltung des verfassungsrechtlichen und des nachrangigen Datenschutzes, an Boden verloren.“328 Auffällig an der Diskussion ist, dass sich die Terminologie der Vertreter beider Seiten oftmals gleicht, und die Gefahren einer prinzipiellen Informationsfreiheit mit ähnlich eindrücklichen Worten beschworen werden, wie die Gefahren eines grundsätzlichen Datenverwendungsverbots.329 So wird unter anderem argumentiert, es müsse zumindest für den „traditionellen Informationsverkehr“ dabei bleiben, „dass, was wahr ist, gesagt werden darf und […] deshalb ein Verbot der Weitergabe richtiger Informationen die Ausnahme zu bleiben hat und nicht umgekehrt.“330 Doch gerade im Falle prädiktiver genetischer Diagnostik muss die Entscheidung zwischen Information und Verschwiegenheit nicht im Sinne einer Entweder-Oder-Entscheidung getroffen werden. „Egal, welches Grundprinzip – Datenschutz oder Informationsfreiheit – gewählt wird, kann diese Wahl durch die Normierung von Ausnahmebestimmungen331 und die Möglichkeit einer abweichenden privatautonomen Vereinbarung332 relativiert werden.“333 325 Vgl. § 4 I BDSG; etwa dazu Simitis, Bundesdatenschutzgesetz – Ende Diskussion oder Neubeginn? NJW 1997, S. 729 (731): „Spätestens seit dem Bundesdatenschutzgesetz [ist] die Rangordnung […] eindeutig definiert, an der Spitze steht der Respekt vor der Person des Einzelnen.“ Siehe Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 81 ff. 326 Vgl. Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 81 ff.; Geis, Individualschutzrechte CR 1995, S. 171 (172); Gallwas, NJW 1992, S. 2785 (2787). 327 Siehe Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 81 ff.; Geis, Individualschutzrechte CR 1995, S. 171 (172); Gallwas, NJW 1992, S. 2785 (2787). 328 Gallwas, NJW 1992, S. 2785 ff. 329 Siehe Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 81 ff. Siehe etwa Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 129, Rn. 91: „Ausgangspunkt aller Erwägungen im privaten Recht hat […] die Freiheit der Datenverarbeitung und nicht ihre Beschränkung zu sein.“ 330 Zöllner, Datenschutz, RDV 1985, S. 3 (15). 331 Siehe des Weiteren: Kapitel § 4 B. zu den gendiagnostischen Sonderbestimmungen.
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Gleichermaßen wird die Informationsfreiheit jedoch auch dadurch gehemmt, dass dem Einzelnen relevante Informationen, auf die er zur Ausübung seiner Freiheit angewiesen ist, vorenthalten werden – „eine verordnete Unwissenheit kann [also] lähmend wirken“.334 Reflektiert man dies im Kontext grundlegender Werte unserer Verfassung, so baut das grundfreiheitliche Gedankengut der Selbstbestimmung gerade auf der Kenntnis des Verwendungszusammenhangs möglicher Chancen und Risiken auf.335 Eine differenzierte Betrachtung und positivistische Ausgestaltung von Entscheidungsmöglichkeit ist dabei genuiner Ausdruck selbstverantworteter Freiheit.336 Erst wenn der Informationsdrang nur mehr einseitig bestehen würde, erfordert eine missbräuchliche Durchsetzung von zu weitgehenden Informationsansprüchen, Grenzen zu setzen.337 Stellt man dabei auf Konstellationen ab, in denen genetische Prädisposition auch Aufschluss über das Erkrankungsrisiko verwandter Personen geben mag, so ist aus verfassungsrecht licher Sicht besondere Rücksicht auf die Entwicklung eines Verwandten – etwa eines Kindes – zu nehmen.338 Doch auch hier lässt sich die Kernaussage des Grundrechtskonflikts abermals nur hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Information und Verschwiegenheit verallgemeinern: Das defensiv geprägte Verschwiegenheitsbedürfnis muss sich am Ziel und Wunsch eines Menschen, seine Identität und seine genetische Disposition zu erfahren, messen lassen.339 332333
e) Grundrecht auf gen-informationelle Selbstbestimmung In der Diskussion um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird deutlich, dass das mittlerweile etwas angejahrte informationelle Selbstbestimmungsrecht von vergleichsweise harmlosen Fragestellungen ausging. 1983 war vor dem Hintergrund der Volkszählungen und Datensammlungen 332 Vgl. insbesondere nachfolgendes Kapitel § 5 A. IV. 2. zur Einwilligung im Kontext der Biobankengovernance. 333 Siehe Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 85. 334 Gallwas, NJW 1992, S. 2785 (2790) und Fn. 42; Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 85 ff. 335 Unter Bezugnahme auf den Anknüpfungspunkt der Privatautonomie: vgl. Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 85 ff. 336 Siehe weiter Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 85 ff. 337 Vgl. Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 129, Rn. 92; Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 85 ff. 338 Siehe auch Kapitel § 4 A. I. 2. c) cc) und BVerfGE 117, 202 (230); Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f. 339 Vgl. Kapitel § 4 A. I. 2. c) cc) sowie Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f.
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noch nicht absehbar, dass es einmal um genetische Daten gehen könnte, die den Kern der Menschenwürde betreffen. „Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in denen Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.“340 Nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung versteht sich Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Quelle neu entdeckter Freiheitsgewährleistungen.341 Andererseits argumentieren etwa Martin Koppernock342 oder Andreas Fisahn343, dass die Kenntnis und Weitergabe genetischer Informationen „gravierend wichtige Teile von dessen Persönlichkeit“ betreffe: Die gegenwärtigen grundrechtlichen Schutzausprägungen könnten diesen nicht in angemessener Weise gerecht werden.344 Insofern sei durch die „Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse“ vielmehr „ein geradezu klassischer Fall einer Lücke im Recht“ entstanden.345 Die Lösung soll also darin liegen, eine Analogie zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu begründen und unter dem Begriff der gen-informationellen oder bioethischen Selbstbestimmung zusammenzufassen.346 In Fällen, in denen eine Genomanalyse über den aktuellen Befund hinaus genetische Dispositionen für individuelle Eigenschaften und Krankheiten feststellt, die in unvorhersehbarem Maße ein ganzes Leben konturieren, mag dies auf den ersten Blick überzeugen.347 Ähnlich verhält es sich, wenn genetische Daten Rückschlüsse auf Verwandte, auf Dritte, zulassen.348 340 BVerfGE
65, 1 (42 ff.) – Volkszählungsurteil. Stockter, Individualität, S. 386; BVerfGE 54, 148 (154) – Eppler; 65, 1 (42 ff.) – Volkszählungsurteil; 106, 28 (39) – Fernmeldegeheimnis. 342 Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, passim. 343 Fisahn, Ein unveräußerliches Grundrecht am eigenen genetischen Code, ZRP 2001, S. 49 ff.; auch Cramer fordert ein (für den Embryo) „vorwirkendes“ Allgemeines Persönlichkeitsrecht i. S.e. (gen-)informationellen Persönlichkeitsrecht, Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 186. 344 Siehe Fisahn, Ein unveräußerliches Grundrecht am eigenen genetischen Code, ZRP 2001, S. 51 f. 345 Siehe Fisahn, Ein unveräußerliches Grundrecht am eigenen genetischen Code, ZRP 2001, S. 52 f. 346 Vgl. Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 17. 347 So Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 89 f. 348 Vgl. Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 89 f. 341 Vgl.
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Doch wie bereits herausgestellt wurde, umfasst das Allgemeine Persönlichkeitsrecht sowohl das Recht auf Kenntnis als auch die Unkenntnis der eigenen genetischen Konstitution.349 Dabei werden die Wissensausprägungen vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung abgehoben, um die Schutzausrichtungen über die Verarbeitung von personenbezogenen Daten hinaus zu komplimentieren.350 Ein eigens für die Humangenetik kreiertes „Recht auf informationelle Abgeschiedenheit“351 – oder wie auch immer man es nennen mag – bedarf es nicht. Die genetische Selbstbestimmung geht in den verschiedenen Grundrechtsdimensionen auf, die auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückzuführen sind.352 Die individuelle Selbstbestimmung ist eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsund Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten, freiheitlich demokratischen Grundwesens – gleichermaßen unter den Bedingungen der modernen Informationsverarbeitungstechnologien und den Innovationen der Biotechnologie.353 Entscheidungsfreiheit umfasst dabei auch „die Möglichkeit des Auch-anders-Könnens“.354 Insoweit kann unter den Voraussetzungen der Gendiagnostik nichts anderes gelten, als dass individuelle Selbstbestimmung im Sinne einer Entscheidungsfreiheit dahingehend zu verstehen ist, „wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“.355 Die Möglichkeit, sich dann auch tatsächlich entsprechend dieser Entscheidung verhalten zu können, muss auch in diesen Fällen durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewahrt bleiben.356
349 Siehe bereits Kap. § 4 A. II. 3.; a. A. aber u. a. Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 89 ff. 350 A. A. Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 89 ff., 17 f.: würde man jedoch Koppernocks Neuschaffung eines Grundrechts auf bioethische Selbstbestimmung folgen, so wäre eine „wundersame Vermehrung von Grundrechten“, ja sogar eine Inflation an Grundrechten, zu befürchten. Argumentationsformeln eines „Grundrechts auf ästhetische Unversehrtheit“ oder auch eines „Grundrechts auf Autofahren“ könnten demnach ebenfalls ihre Berechtigung finden, siehe auch Sendler, Wundersame Vermehrung von Grundrechten, NJW 1995, S. 1468 ff. 351 Vgl. auch Duttge, DuD 2010, passim; Duttge, Regelung der Gendiagnostik zwischen Ideal und Realität, S. 7 ff.; Taupitz, Das Recht auf Nichtwissen, in FS Wiese, S. 587. 352 A. A. Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 89 ff. 353 So auch BVerfGE 65, 1 (42 ff.) – Volkszählungsurteil. 354 Begriffsprägend, aber i. E. nicht übereinstimmend: Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 42 ff.; BVerfGE 65, 1 (42 ff.) – Volkszählungsurteil. 355 BVerfGE 65, 1 (42 ff.) – Volkszählungsurteil; vgl. ferner BVerfGE 56, 37 (41 ff.) – Selbstbezichtigung; 63, 131 (142 f.) – Gegendarstellung. 356 Vgl. BVerfGE 65, 1 (42 ff.) – Volkszählungsurteil.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
B. Verfassungsrechtliche Schlussfolgerung „Gefährdungen grundrechtlich geschützter Interessen gehen in einer von Komplexität und ungleichen Vergleichsverhältnissen geprägten gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit nicht vom Staat, sondern in immer stärker werdendem Maße von – ebenfalls grundrechtsberechtigten – Akteuren des Privatrechtsverkehrs aus.“357 Die vorstehenden Ausführungen hatten zum Ziel, die Grundrechtsrelevanz genetischer Information in einem – sowohl staat lichen als auch privatrechtlichen – Spannungsfeld zwischen Informationsund Verschwiegenheitsinteressen aufzuzeigen. Dabei schützt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor fremdbestimmter Datenverwendung und definiert hierzu die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Datenerhebung und -verarbeitung. Zwar gestaltet sich die Interessenabwägung zwischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen im Einzelfall als komplex.358 Vor dem Hintergrund einer positivistischen Ausgestaltung von Entscheidungsfreiheiten kann die Kernaussage des Grundrechtskonflikts aber hinsichtlich des Verhältnisses von Information und Verschwiegenheit spezifiziert werden: Das defensiv geprägte Verschwiegenheitsbedürfnis muss sich am Ziel und Wunsch eines Menschen, seine Identität und seine genetische Disposition zu erfahren, messen lassen.359 Ein eigens für die Humangenetik entworfenes „Recht auf informationelle Abgeschiedenheit“360 bedarf es insoweit nicht. Die genetische Selbstbestimmung geht in den verschiedenen Grundrechtsdimensionen auf, die auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zurückzuführen sind.361 Sie umfasst dabei auch die Möglichkeit des „Anders-Könnens“.362 Angesichts der dynamischen Reichweite und der bedeutenden Grundrechtsrelevanz prädiktiver genetischer Diagnostik verwundert es zugleich nicht, dass es notwendig wird, die Entwicklungen der Gendiagnostik europarechtlich zu thematisieren: Die betroffenen grundrechtlich geschützten Lindner, MedR 2007, S. 295. weiter die Ausnahmen vom jeweiligen Ausgangspunkt eines datenschutzrechtlichen Regelwerks gefasst sind, desto weniger praktische Bedeutung kommt diesem Ausgangpunkt im Ergebnis zu.“ Siehe Buchner, Informationelle Selbstbestimmung, S. 80 f. 359 Vgl. Kapitel § 4 A. I. 2. c) cc) sowie Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f. 360 Vgl. auch Duttge, DuD 2010, passim; Duttge, Regelung der Gendiagnostik zwischen Ideal und Realität, S. 7 ff.; Taupitz, Das Recht auf Nichtwissen, in FS Wiese, S. 587. 361 A. A. Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 89 ff. 362 Begriffsprägend, aber i. E. nicht übereinstimmend: Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 42 ff.; BVerfGE 65, 1 (42 ff.) – Volkszählungsurteil. 357 Vgl. 358 „Je
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Interessen müssen nicht nur benannt, sondern auch in Einklang gebracht werden.363 Im Folgenden seien daher die einschlägigen Vorschriften des Europarechts näher in Betracht genommen.
§ 5 Europarecht A. Europarechtliche Schutzpflichtdimensionen Die wissenschaftlich-biogenetische Dimension der Gentechnologie und Humanbiologie erweitert genetische Analysemöglichkeiten und fußt auf einem neuen Selbstverständnis.364 Die Molekulargenetik sucht das codierte Potential des Menschen abzuschätzen und zugleich, auf das „Schicksal“ des Menschen Einfluss zu nehmen: Ein Betroffener, der durch einen prädiktiven Gentest bereis frühzeitig gewarnt ist, soll besser, länger und gesünder leben.365 Gleichwohl kann auch der reifende Druck einer (Leistungs-)Gesellschaft den Einzelnen veranlassen, die eigene biologische Zukunft zu erforschen oder in der pädiatrischen Diagnostik alle erdenklichen Schritte zu unternehmen, um einen Gendefekt auszuschließen.366 Da nahezu für alle Lebensbereiche genetische Dispositionen bekannt sind, verbleibt kaum mehr ein „Nichtbetroffener“.367 Demgegenüber erfordert auch der Medienwechsel von Papier zur elektronischen Datenbank, zusammen mit einer multinationalen Verbreitung genetischer Daten ein übergreifendes Regelungskonstrukt, das die Rechte des Individuums adressiert.368 Diese grenzüberschreitende Betrachtung reflektiert sicherlich einen Wandel in der europäischen bioethischen Debatte – seit der Entschlüsselung des humanen Genoms. Doch so begrenzt der bioethische Konsens unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch gewesen sein mag – er hat die Europäische Union veranlasst, auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK, I.) sowie der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh, II.) die Menschenrechte zu stärken und ein „Menschenrechtsübereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Lindner, MedR 2007, S. 295. Tinnefeld, ZRP 2000, S. 10. 365 So auch Siedenbiedel, Meine Gene, meine Zukunft, FAZ vom 18.05.2013, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/gesundheitsvorsorge-meine-gene-meine-zu kunft-12187574.html [letzter Aufruf am 07.11.2013]; Tinnefeld, ZRP 2000, S. 10. 366 Siehe erneut Siedenbiedel, Meine Gene, meine Zukunft, FAZ vom 18.05.2013, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/gesundheitsvorsorge-meine-gene-meine-zu kunft-12187574.html [letzter Aufruf am 07.11.2013]; Tinnefeld, ZRP 2000, S. 10. 367 Tinnefeld, ZRP 2000, S. 10. 368 Vgl. Tinnefeld, ZRP 2000, S. 10; zu den genomischen Herausforderungen für das Recht: Herdegen, JZ 2000, S. 633 ff. sowie Spranger, VersR 2000, S. 815 ff. 363 Vgl. 364 Vgl.
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Anwendung von Biologie und Medizin“ (Biomedizinkonvention, BMK, III.) auf den Weg zu bringen. I. Europäische Menschenrechtskonvention Anfänglich enthielten die Unionsverträge keinen geschriebenen und zugleich verbindlichen Grundrechtekatalog.369 Auch die Proklamation der Charta der Grundrechte der Europäischen Union370 durch den EU-Ratsgipfel von Nizza im Dezember 2000 führte zunächst zu keiner Rechtsänderung.371 Demgegenüber hatte der Europäische Gerichtshof aber schon früh begonnen, die ursprüngliche Grundrechtslücke der Unionsverträge durch die Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze zu schließen.372 1. Rechtsgrundsätze Besondere Bedeutung kam hierbei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu.373 Ziel des Europarates war es, eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern herzustellen, und damit die Wahrung und Fortentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu erreichen.374 In dieser Bestrebung spiegeln die Menschenrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention einen gemeineuropäischen Mindeststandard des Grundrechteschutzes wider.375 Geprägt von der Idee eines „gemeinsamen Erbes an politischen Überlieferungen, Idealen“ sowie „Achtung der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit“ sollte die Europäische Menschenrechtskonvention die Grundlage von Gerechtigkeit und Frieden bilden.376 Zugleich richtete Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 46. http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf [letzter Aufruf am 15.02.2015]. 371 Erst durch den Vertrag von Lissabon wurde die Charta in europäisches Primärrecht transferiert, vgl. Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 46. 372 Siehe Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 46. 373 Vgl. beispielsweise EuGH 12.11.1969, Rs. 29/69 „Stauder“, Slg. 1969, 419, 425 sowie EuGH 14.10.2004, Rs. C-36/02 „Omega“, Slg. 2004 I-9609, 9652, Rn. 33; http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Europaeische_Konvention.pdf? __blob=publicationFile [letzter Aufruf am 15.02.2015]; des Weiteren: Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 46. 374 Vgl. zu Zielsetzung und Intention: Präambel der EMRK, http://www.bmjv.de/ SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Europaeische_Konvention.pdf?__blob=publication File [letzter Aufruf am 15.02.2015]. 375 Vgl. Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 46. 376 Siehe Präambel der EMRK, http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/ pdfs/Europaeische_Konvention.pdf?__blob=publicationFile [letzter Aufruf am 15.02. 2015]. 369 Vgl.
370 Siehe
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sich das gemeinsame Verständnis der Grundfreiheiten darauf, eine „wahrhaft demokratische politische Ordnung“ zu sichern.377 Demgemäß wirken die Menschenrechte der Europäischen Konvention mittelbar als Rechtserkenntnisquelle bei der Konkretisierung ungeschriebener allgemeiner Rechtsgrundsätze fort.378 Diesen Rechtszustand hat auch das Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon weiter bestärkt: Nach Art. 6 Abs. 3 EUV bleiben die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind, und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des (primären) Unionsrechts.379 2. Schutzdimension Betrachtet man also die Grundrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention auf einer mit dem (geschriebenen) Vertragsrecht vergleichbaren normhierarchischen Stufe380, so seien im hier interessierenden, gendiagnostischen Kontext das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK (a) sowie das Verbot der Diskriminierung gemäß Art. 14 EMRK (b) näher untersucht. a) Achtung des Privat- und Familienlebens Zunächst adressiert Art. 2 Abs. 1 S. 1 EMRK das Recht auf Leben. Geschützt wird die „biologisch-physische Existenz“ des Menschen als solche, unabhängig von physiologischen und psychologischen Merkmalen, wie Alter, Geschlecht oder Krankheiten.381 Nicht vom Schutzbereich des Art. 2 EMRK umfasst ist die Erschaffung menschlichen Lebens oder dessen in377 Siehe Präambel der EMRK, http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/ pdfs/Europaeische_Konvention.pdf?__blob=publicationFile [letzter Aufruf am 15.02. 2015]. 378 Vgl. Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 46. 379 So Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 46. 380 Zur Einordnung, siehe Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 46. 381 Vgl. Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 2 EMRK, Rn. 6. Letztlich verbleibt den Konventionspartnern auch hier ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum, insbesondere im Hinblick auf die Pränataldiagnostik: „[D]a sich der [Europäische Gerichtshof für Menschenrechte] – zumindest gegenwärtig – au ßerstande sieht, die personale Reichweite des Art. 2 [Abs. 1 EMRK] zu determinieren, müssen zwangsläufig die Mitgliedstaaten über das ‚Ob‘, ‚Ab wann‘ und ‚Wie‘ eines pränatalen Lebensschutzes entscheiden.“ Siehe dazu Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 2 EMRK, Rn. 6; auch hat der EGMR dies in seiner Entscheidung „Evans/Vereinigtes Königreich“ (EGMR, NJW 2008, S. 2013 ff.) bestätigt.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
dividuelle Persönlichkeitsentfaltung.382 Demnach dient das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens dem Schutz der Privatsphäre.383 „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz“ (Art. 8 Abs. 1 EMRK). Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist der Begriff des „Privatlebens“ dabei weit zu verstehen: Ihm unterfallen mitunter „die körperliche und geistige Integrität einer Person, Aspekte ihrer körperlichen und sozialen Identität, ihr Name, ihre geschlechtliche Identität und sexuelle Ausrichtung sowie ihr Sexualleben“.384 Da die persönliche Autonomie (des Patienten) ein wichtiger Grundsatz ist, fließt aus Art. 8 Abs. 1 EMRK auch ein „Recht auf Selbstbestimmung“ ein.385 Insoweit erlangt Art. 8 Abs. 1 EMRK im medizinischen Bereich der Fortpflanzung besondere Bedeutung: So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in den Entscheidungen „Evans / Vereinigtes Königreich“ respektive „Dickson / Vereinigtes Königreich“ ein „Recht auf Respekt der Entscheidung, Eltern zu werden oder nicht“ anerkannt.386 Dieses Recht wurde in der Dickson-Entscheidung dahingehend konkretisiert, dass auch die Inanspruchnahme einer künstlichen Befruchtung zum Privat- und Familienleben gehört, weil sie die „Achtung [der] Entscheidung umfasst, Eltern eines von [Menschenrechtsträgern] abstammenden Kindes zu werden“.387 In der Entscheidung „Costa und Pavan / Italien“ ging der Gerichtshof zudem noch einen Schritt weiter: Die Richter stellten den Wunsch der Beschwerdeführer, ein Kind ohne den Gendefekt der Mukoviszidose medizinisch assistiert388 zu erzeugen, als Ausdruck der Achtung des Privat- und Familienlebens unter den
382 Zudem können sich fortpflanzungsspezifische Rechte aus Art. 8 Abs. 1 und Art. 12 EMRK ergeben, vgl. Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 2 EMRK, Rn. 6. 383 Siehe Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 8 EMRK, Rn. 24. 384 Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 8 EMRK, Rn. 24. 385 Ist der Patient, etwa infolge einer schweren zerebralen Einschränkung nicht in der Lage, so soll dem EGMR zufolge das Recht auf Selbstbestimmung durch den gesetzlichen Vertreter wahrgenommen werden, vgl. EGMR 61827/00 „Glass/Vereinigte Königreich“, Rn. 70; Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 8 EMRK, Rn. 24. 386 Vgl. EGMR 6339/05 „Evans/Vereinigtes Königreich“, EuGRZ 2006, S. 389 ff.; EGMR 44362/04 „Dickson/Vereinigtes Königreich“, NJW 2009, S. 971 ff.; sowie im Bezug auf den reproduktionstechnischen Anwendungsbereich Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 8 EMRK, Rn. 24 ff. 387 Vgl. EGMR, NJW 2009, S. 971 (973), Rn. 66; mittlerweile ständige Rechtsprechung, vgl. EGMR 25579/05, „A, B und C/Irland“, NJW 2011, S. 2107 (2108), Rn. 212; Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 8 EMRK, Rn. 26. 388 In diesem Falle unter Zuhilfenahme der Präimplantationsdiagnostik, vgl. hierzu Kap. § 2 B. III. 2.
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Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK.389 Zwar folgte keine detaillierte Begründung für ein solch weitreichendes Schutzbereichsverständnis des Art. 8 Abs. 1 EMRK.390 Das Gericht rekurrierte vielmehr auf den Umstand, dass der Begriff des „Privatlebens“ weit auszulegen sei und entschied folglich auch über den effektiven Gewährleistungsgehalt des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht abschließend.391 b) Diskriminierungsverbot Dem Schutz vor Diskriminierung kommt im biomedizinischen Anwendungsbereich bei Genanalysen eine hervorgehobene Stellung zu, da diese eine aus der Untersuchung resultierende Gefahr der Ungleichbehandlung in sich bergen.392 Mit Art. 14 EMRK enthält die Konvention einen allgemeinen Diskriminierungsgrundsatz, den Art. 1 des Protokolles Nr. 12 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über das Diskriminierungsverbot bekräftigt.393 So untersagt Art. 14 EMRK mitunter eine Diskriminierung aufgrund genetischer Merkmale, Rasse, Hautfarbe oder der Geburt (bb)). Bevor dieser Anti-Diskriminierungs-Schutz nachfolgend untersucht wird, ist zunächst der Begriff der Diskriminierung konzeptionell zu klären (aa)).
389 Vgl. EGMR 54270/10, „Costa und Pavan/Italien“, Rn. 64 http://hudoc.echr. coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-112993#{ %22itemid %22: %5B %22001112993 %22 %5D} [letzer Aufruf am 26.02.2015]; Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 8 EMRK, Rn. 27. Demgegenüber sah der EGMR zwei österreichische Paare, denen eine In-vitro-Fertilisation mit gespendeten Samen- respektive Eizellen durch das damalige österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz verboten worden war, nicht in ihrem Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens verletzt, siehe EGMR 03.11.2011, 57812/00 „S. H./Österreich“, MedR 2012, S. 355 ff.; Vöneky, MedR 2014, S. 704 f. 390 Siehe Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 8 EMRK, Rn. 27. Anders hatte der EGMR zuvor hinsichtlich der österreichischen Regelungen zur künstlichen Befruchtung keine Verletzung der Konvention festgestellt. So entschied die Große Kammer, Österreich komme angesichts der Tatsache, dass die In-vitro-Fertilisation vor dem Hintergrund dynamischer wissenschaftlicher Entwicklungen aufwirft, ein weiter Beurteilungsspielraum zu, vgl. EGMR 03.11.2011, 57812/00 „S. H./ Österreich“, MedR 2012, S. 355 ff.; Vöneky, MedR 2014, S. 704 f. 391 Vgl. EGMR 28.8.2012, 54270/10 „Costa und Pavan/Italien“, Rn. 64 http:// hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-112993#{ %22itemid %22: % 5B %22001-112993 %22 %5D} [letzer Aufruf am 26.02.2015]; Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 8 EMRK, Rn. 27. 392 Siehe Voss, Charta der Grundrechte, S. 267. 393 Vgl. http://www.echr.coe.int/Documents/Convention_DEU.pdf [letzter Aufruf am 20.02.2015].
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aa) Konzept genetischer Diskriminierung Der Begriff der genetischen Diskriminierung bezeichnet zunächst eine Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund vermuteter oder tatsächlich vorhandener genetischer Eigenschaften.394 Er ist von Formen der Diskriminierung, die aufgrund von zerebraler Einschränkung oder Krankheit auftreten, zu unterscheiden.395 Dabei reicht das Spektrum des konzeptionellen Diskriminierungsspektrums „vom Vorwurf der Irrationalität und Unsachlichkeit von Beurteilungen ‚genetisch behinderter‘ Personen über die Behauptung einer Verletzung moralisch verbürgter Persönlichkeitsrechte oder grundlegender [ethischer] Prinzipien bis hin zur Unterstellung eugenischer Absicht“.396 In Anbetracht dieser terminologischen Unschärfe verwundert es freilich nicht, wenn die Angst vor einer „genetischen Unterschicht“397 in zahlreichen gesetzgeberischen Initiativen und Stellungnahmen internationaler Organisationen resultiert.398 So formulierte beispielsweise die UNESCO399 1997 in Art. 6 ihrer „Allgemeine[n] Erklärung über das menschliche Genom und Menschrechte“ das Antidiskriminierungsverbot wie folgt: „Niemand darf einer Diskriminierung aufgrund genetischer Eigenschaften ausgesetzt werden, die darauf abzielt, Menschenrechte, Grundfreiheiten oder die Menschenwürde zu verletzten, oder dies zur Folge hat.“400 Desgleichen normiert die am 19.10.2005 angenommene „Allgemeine Erklärung über Bioethik und Menschenrechte“ der UNESCO in Art. 11 ein Diskriminierungsverbot.401 auch Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 323 ff. Billings et al., Am J Hum Genet 1992, S. 477; Natowicz et al., Am J Hum Genet 1992, S. 466 sowie Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 323. 396 Paslack/Simon, Genetische Diskriminierung, S. 133 f. 397 Nelkin/Tancredi, Dangerous Diagnostics, S. 176; Nelkin, Sprengkraft genetischer Information, S. 209; Keays, Genetic Discrimination, S. 84 f. 398 Vgl. Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 323 (324). 399 Ausformuliert für: United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO). 400 Siehe Allgemeine Erklärung der UNESCO über das menschliche Genom und Menschenrechte, http://www.unesco.de/445.html [letzter Aufruf am 14.02.2015]; allerdings stellt Art. 6 auf „gewisse Zielvorstellungen bzw. Folgen der Benachteiligung“ ab und kann demnach beispielsweise die Weite des § 4 GenDG nicht erreichen, vgl. Reuter, in: Kern, GenDG, § 4 Rn. 19. Zugleich wird die Erklärung bislang von Deutschlang förmlich nicht mitgetragen, Reuter, in: Kern, GenDG, § 4 Rn. 19, Fulda, in: Winter/Fenger/Schreiber, S. 195 ff.; Scherrer, GenDG, S. 64 ff. 401 „Einzelpersonen oder Gruppen sollen aus keinem Grund unter Verletzung der Menschenwürde, der Menschenrechte oder der Grundfreiheiten diskriminiert oder stigmatisiert werden.“ Vgl. http://www.unesco.de/erkl_bioethik_05_text.html [letzter Aufruf am 20.02.2015]; Art. 5 und 6 der Erklärung greifen dabei die Selbstbestimmung und Einwilligung des Einzelnen auf. Art. 8 konkretisiert ferner die Achtung der Schutzbedürftigkeit des Menschen und der persönlichen Integrität, und Art. 9 394 So
395 Vgl.
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Die folgenden Überlegungen zielen demnach darauf ab, die Vielfalt der Erfahrungen genetischer Diskriminierung in drei Analysedimensionen zu entwickeln und dem unionsrechtlichen Konzept einer Anti-Diskriminierung gegenüberzustellen.402 (1) Organisationale Diskriminierung Im Mittelpunkt der organisationalen Diskriminierung steht zunächst die Benachteiligung von Individuen und deren Familienangehörigen in und durch Organisationen.403 Mitunter sind konkrete Beispiele der genetischen Diskriminierung durch Versicherungen, Arbeitgeber oder Behörden bekannt, die den Einzelnen benachteiligen, missachten oder ausgrenzen.404 Die analytische Konzentration auf diese Subkategorie führt allerdings zu einer Verengung der Untersuchungsperspektive: Es müssen nämlich auch jene Handlungsstrategien in den Blick genommen werden, mit denen Betroffene eine negative Kategorisierung durch das soziale Umfeld antizipieren und sich entsprechend diesen Situationen im Vorfeld entziehen.405 So ließ sich beispielsweise in empirischen Analysen unter Beweis stellen, dass die im Rahmen von amtsärztlichen Untersuchungen oder gegenüber Versicherungen respektive Adoptionsbehörden Befragten zu familiär bedingten Erkrankungen lücken- oder fehlerhafte Informationen angaben.406 Gleichwohl dürfen die bislang dokumentierten Fälle organisationaler Diskriminierung nicht dazu verleiten, das Ausmaß des Problems zu verzerren.407 Auch dem schützt die Privatsphäre und Vertraulichkeit. Doch auch diese Regelungen entfalten kein Völkerrecht und keine unmittelbare Rechtskraft, sondern stellen lediglich Absichtserklärungen dar, siehe Reuter, in: Kern, GenDG, § 4 Rn. 19, Scherrer, GenDG, S. 64 ff.: sowie http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/173/thema/tolmein/unescoerklaerung-zur-bioethik [letzter Aufruf am 20.02.2015]. 402 So auch Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 323 (324). 403 Vgl. Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 329. 404 Vgl. Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 329; diesbezügliche Bedenken beleben auch die derzeitige Debatte um Bonuszahlungen für zur Verfügung gestellte Gesundheitsdaten. So hatte ein Versicherungsunternehmen angekündigt, Rabatte zu gewähren, sofern die Versicherten mithilfe eines Smartphones Daten über ihre Gesundheit zur Verfügung stellten. Dabei ließe sich auf Blutzuckerwerte, Einnahme von Medikamenten, Konsum von Alkohol, Nikotin und Drogen, Zyklus und Schwangerschaften, aber auch sportliche Aktivitäten, Essgewohnheiten oder Schlafphasen schließen, vgl. http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/61766 [letzter Aufruf am 21.02. 2015]. 405 Demnach wird z. T. konstatiert, das wirksamte Mittel, genetischer Diskriminierung zu entgehen, bestünde darin, Organisationen einen (möglichen) Risikostatus nicht mitzuteilen, vgl. Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 329 (330). 406 Vgl. Lemke, Polizei der Gene, S. 87 ff.; Lemke/Lohkamp, Formen und Felder genetischer Diskriminierung, S. 45 ff. 407 Siehe. Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 329.
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Einzelnen obliegt eine Verantwortung, praktische und präventive Interven tionen zu unternehmen: „In other words, the issue of compliant behaviour now comes to the fore. Not only the medical risk is the subject of assessment but also the moral risk, the patient’s reliabiliy and disease management“.408 Neben genetischen Dispositionen in der Familiengeschichte gewichten Organisationsstrukturen aber auch zunehmend Informationen zu Lebensstilrisiken.409 „Pardoxically, the most important consequence of the genetics discovery might be that it is individual lifestyle that would be given an ever increasing importance. […] Instead of a ‚genetic discrimination‘, it seems more plausible that we are all subject to different levels of susceptibility. As a consequence, if society finds out a genetic mutation for some disease, the individual’s lifestyle habits, preventive initiatives and compliant behavior in relation to these susceptibilities could be stressed more.“410 (2) Interaktionelle Diskriminierung Eine zweite Form genetischer Diskriminierung kontrastiert den sozialinteraktionellen Ausschluss respektive die Missachtung im Familien-, Freundes und Bekanntenkreis.411 In dieser Form der „Alltagsdiskriminierung“ treten spontan stigmatisierende oder missachtende Handlungen personaler Akteure auf.412 Sie können sowohl von Individuen als auch Kollektiven ausgehen und äußern sich zum Beispiel in der Konfliktsituation drittgerichteter Informationsinteressen:413 „People felt pressure to assist another family member, or there was pressure to have a test because it might show something about their own health.“414 Dabei erlaubt eine Öffnung des Begriffs der genetischen Diskriminierung hinsichtlich interaktioneller Benachteiligungsformen überdies Erfahrungen von Stigmatisierung aufgrund genetischer Merkmale in die Analyse einzubeziehen.415 Die Betroffenen entwickeln insoweit reaktive Bewältigungsstrategien: Diese reichen von „vorsorgHoyweghen et al., Soc Sci Med 2006, S. 1228. Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 329 ff. 410 Siehe Hoyweghen et al., Soc Sci Med 2006, S. 1232 f. 411 Zur interaktionellen (Neu-)Ausrichtung, siehe Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 332 ff. 412 Vgl. Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 332 (333). 413 Siehe Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 332 (333). 414 Robotham, Genetic Tests, http://www.smh.com.au/news/National/Genetic-teststaken-under-pressure-survey-finds/2004/11/04/1099547322551.html?oneclick=true [letzter Aufruf am 14.02.2015]; siehe des Weiteren: Billings, Nature Genetics 2005, S. 559 f. 415 Vgl. Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 332 ff. 408 Siehe 409 Vgl.
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licher Geheimhaltung“416 bis zur „Informationskontrolle als Management von genetischer Besonderheit“.417 Der charakteristische Coping-Mechanismus besteht typischerweise in einer Doppelstrategie: Auf der einen Seite vermeiden die Merkmalsträger Situationen, in denen das genetische Wissen relevant werden könnte. Auf der anderen Seite teilen sie die betreffenden Inhalte mit einem kleineren Personenkreis, und setzen somit gegebenenfalls Handlungszwänge und Schuldgefühle frei: „Enge Beziehungen zu anderen, die durch das wechselseitige Offenbaren unsichtbarer Mängel immer wieder bestätigt werden, zwingen die einzelnen entweder dazu, den Vertrauten ihre Situation zu gestehen oder sich schuldig zu fühlen, weil sie dies [gerade] nicht tun.“418 (3) Institutionelle Diskriminierung Neben einer direkten Diskriminierung, die Menschen unmittelbar mit Stigmatisierung konfrontiert, müssen aber auch Diskurse und Praktiken in die Analyse mit einbezogen werden, die mittelbar auf Einzelpersonen einwirken.419 So konzentrieren sich Diskriminierungsansätze zumeist auf „negative“ Prozessmuster: Als Leitvorstellung fungieren institutionelle Interaktionen, die zwangsförmige Verfahren oder asymmetrische Entscheidungsprozesse ebnen.420 Ausgeblendet wird oftmals, dass auch formal symmetrische Entscheidungssituationen diskriminierende Effekte haben können.421 Mitunter verstehen sich die in diesem Prozess entstehenden, normativen Handlungsmuster als kulturelle Selbstverständlichkeiten, die Vorurteilsstrukturen und Formen von Missachtung (re-)produzieren und prägen.422 Diese Unterscheidung liegt auch dem Definitionsversuch der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ zugrunde.423 „Direkte Diskriminierung bedeutet eine moralisch nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung 416 Lemke,
Polizei der Gene, S. 87 (89). auch Scholz, in: Beck-Gernsheim, Welche Gesundheit wollen wir? Dilemmata des medizintechnischen Fortschritts, S. 52 ff.; Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 332 ff. 418 Scholz, in: Beck-Gernsheim, Welche Gesundheit wollen wir? Dilemmata des medizintechnischen Fortschritts, S. 53. 419 Vgl. Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 335 ff. 420 Siehe Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 335 (336). 421 So stellt sich beispielsweise die Frage, mit welchen normativen Erwartungen „genetischer Verantwortung“ der Einzelne konfrontiert wird. Auch können Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeit auch darüber hinaus gesellschaftich eingeschränkt werden, vgl. ausführlich: Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 335 (336). 422 Vgl. Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 335. 423 Vgl. Schlussbericht der Enquete-Kommission, BT-Drs. 14/9020, S. 57; Lemke, Genetische Diskriminierung, S. 335 f. 417 Siehe
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oder Ausgrenzung von Menschen durch andere Menschen bzw. Institutionen. Darunter wäre etwa die Diskriminierung von […] Arbeitnehmern, […] Versicherten oder Menschen mit [zerebraler Einschränkung] auf der Grundlage von Gentests zu verstehen. Unter indirekter Diskriminierung sind so ziale Werte und Normen zu verstehen, die eine Geringschätzung bestimmter Menschen ausdrücken. Darunter würde die Etablierung gesellschaftlicher Normen wie beispielsweise ‚Lebenswertzuschreibungen‘ aufgrund chronischer Krankheit […] fallen.“424 bb) Konzept genetischer Anti-Diskriminierung Nach Art. 14 EMRK sind die in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung, „insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status“ zu gewährleisten. Als diskriminierend wirkt eine Regelung oder Maßnahme insbesondere dann, wenn sie hinsichtlich der Gewährleistung der Ausübung eines Rechts zwischen Personen, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, unterscheidet, ohne dass es hierfür einen objektiven und angemessenen Rechtfertigungsgrund gibt und / oder zwischen den eingesetzten Mitteln und dem angestrebten Zweck kein angemessenes Verhältnis besteht.425 Der Struktur nach handelt es sich bei Art. 14 EMRK um ein akzessorisches Diskriminierungsverbot: Aus Art. 14 EMRK lassen sich keine selbstständigen Gewährleistungspflichten ableiten.426 Doch selbst wenn Art. 14 EMRK keine von den übrigen normativen Vorschriften losgelöste Bedeutung zukommt, hängt seine Anwendbarkeit nicht von der Verletzung einer anderen Norm ab.427 Viel424 Schlussbericht der Enquete-Kommission, BT-Drs. 14/9020, S. 57; auch Hellman differenziert in ähnlicher Weise: „While it may be true that an individual is pitied rather than blamed for being obese or alcoholic in that the genetic link tends to absolve individual responsibility for the condition, it may remain true that social practices which continue to treat the obese or alcoholic and others with genetic conditions less well express that the lives of these people are less valuable.“ Siehe Hellman, AJLM 2003, S. 108. 425 Vgl. EGMR 6833/74 „Marcks/Belgien“, NJW 1979, S. 2449 ff.; sowie R. Hofmann, http://www.jura.uni-frankfurt.de/50633810/_-12-Menschenrechtsschutz.pdf [letzter Aufruf am 28.02.2015]. 426 Siehe R. Hofmann, http://www.jura.uni-frankfurt.de/50633810/_-12-Menschen rechtsschutz.pdf [letzter Aufruf am 28.02.2015]. 427 Vgl. EGMR 1474/6274 „Belgischer Sprachenfall/Belgien“, EUGRZ 1975, S. 298 ff.; siehe R. Hofmann, http://www.jura.uni-frankfurt.de/50633810/_-12-Men schenrechtsschutz.pdf [letzter Aufruf am 28.02.2015].
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mehr ist das Handeln der Mitgliedstaaten durch das Gebot der Nichtdiskriminierung grundlegend determiniert.428 Folgt also aus einer Garantie der Europäischen Menschenrechtskonvention eine Gewährleistungspflicht, so ist diese unter der Beachtung des Art. 14 EMRK zu erfüllen.429 Gleichwohl tendiert der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Ansätzen dazu, die Staaten zu verpflichten, Diskriminierungen zu verhindern.430 So hat er wiederholt ein Kohärenzgebot für die gesetzliche Ausgestaltung reproduktionstechnischer Maßnahmen deduziert.431 Ungeachtet des weiten Beurteilungsspielraums der Vertragstaaten ist der geschaffene Rechtsrahmen in sich widerspruchsfrei zu gestalten.432 Dabei wurde den nationalen Gesetzgebern bereits mehrfach mangelnde Kohärenz attestiert: Beispielsweise beanstandete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall „Costa und Pavan / Italien“, dass dem Beschwerdeführer keine Möglichkeit eröffnet wurde, einen Embryo mittels Präimplanta tionsdiagnostik auf die Erbkrankheit der Cystischen Fibrose untersuchen zu lassen, obschon der Gendefekt nach italienischem Recht eine spätere Abtreibung gerechtfertigt hätte.433 Demgegenüber greift es jedoch zu kurz, allein aus einer derart gelagerten Diskrepanz auf eine inkohärente und damit konventionswidrige Ausgestaltung der nationalen Rechtsordnungen zu schließen.434 Vielmehr ist erneut der weite Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten in Betracht zu nehmen – zumal über die rechtliche und ethische Bewertung reproduktionstechnischer Maßnahme zwischen den euro päischen Staaten bis heute kein einheitlicher, rechtlicher respektive ethischer Konsens besteht.435
428 So auch R. Hofmann, http://www.jura.uni-frankfurt.de/50633810/_-12-Menschen rechtsschutz.pdf [letzter Aufruf am 28.02.2015]. 429 Siehe R. Hofmann, http://www.jura.uni-frankfurt.de/50633810/_-12-Menschen rechtsschutz.pdf [letzter Aufruf am 28.02.2015]. 430 Vgl. EGMR 67336/01, „Danilenkov/Russland“, https://www.ris.bka.gv.at/Do kument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20090730_AUSL000_000 BSW67336_0100000_000 [letzter Aufruf am 28.02.2015]; R. Hofmann, http://www. jura.uni-frankfurt.de/50633810/_-12-Menschenrechtsschutz.pdf [letzter Aufruf am 28.02.2015]. 431 Zumeist i. V. m. Art. 8 Abs. 1 EMRK, vgl. kritisch Cornides, ZfL 2012, S. 102, (111 f.); Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 14 EMRK, Rn. 40 f. 432 Vgl. Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 14 EMRK, Rn. 40 f. 433 Vgl. EGMR 28.8.2012, 54270/10 „Costa und Pavan/Italien“, Rn. 64; MüllerTerpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 14 EMRK, Rn. 40 f. 434 So Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 14 EMRK, Rn. 40 f. 435 Siehe hierzu auch Rechtsvergleich, Kap. § 6 A. II. 1.
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II. Europäische Grundrechtecharta Mit der Bestrebung, die europäischen Menschenrechtsgarantien weiter zu stärken, verkündeten das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission am 07.12.2000 mit Billigung des Europäischen Rates436 die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh).437 „In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität.“438 Demnach beruht die Europäische Grundrechtecharta auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit: „Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns [und begründet] die Unionsbürgerschaft [mit] eine[m] Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.“439 Mit einem Grundrechtskatalog von 54 Artikeln reflektiert die Charta nicht nur den Entwicklungsstand, der mit Blick auf die Europäische Menschenrechtskonvention gilt.440 Sie reagiert zudem auf biomedizinische und biotechnologische Herausforderungen, indem die Charta nicht zuletzt auch gendiagnostische Innovationen aufgreift.441 1. Anwendung Gemäß Art. 51 Abs. 1 GRCh bindet die Europäische Grundrechtecharta die Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union sowie die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts. Ihr soll seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon nunmehr Rechtsverbindlichkeit zukommen.442 „Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7.12.2000 in der am 12.12.2007 in Straßburg angepassten Fassung niedergelegt sind; 436 Vgl. die Schlussfolgerung des Vorsitzes zur Tagung des Europäischen Rates in Nizza, http://www.consilium.europa.eu/it/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/00 400.%20ann.d0.htm [letzter Aufruf am 10.02.2015]. 437 Vgl. Schmitz, JZ 2001, S. 833 ff.; Präambel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, http://www.europarl.de/resource/static/files/europa_grundrechte charta/_30.03.2010.pdf [letzter Aufruf am 10.02.2015]. 438 Siehe Präambel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, http:// www.europarl.de/resource/static/files/europa_grundrechtecharta/_30.03.2010.pdf [letzter Aufruf am 10.02.2015]. 439 Siehe Präambel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, http:// www.europarl.de/resource/static/files/europa_grundrechtecharta/_30.03.2010.pdf [letzter Aufruf am 10.02.2015]. 440 Vgl. Schmitz, JZ 2001, S. 833 ff. 441 Siehe Kersten, Klonen, S. 90 ff.; Schmitz, JZ 2001, S. 833 ff.; Borowsky, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 3 GRCh, Rn. 21. 442 Vgl. Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 47.
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die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig“ (Art. 6 Abs. 1 EUV). Allerdings resultiert aus dem Umstand, dass die Europäische Union zur Beachtung der geregelten Grundrechtspositionen verpflichtet ist, noch nicht die Befugnis, die von den Grundrechten umhegten Lebensbereiche normativ zu gestalten: „Die Grundrechte folgen mithin stets den Zuständigkeiten der Union und nicht umgekehrt.“443 In diesem Sinne konstatiert Art. 51 Abs. 2 GRCh: „Diese Charta dehnt den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union […].“ Auch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten nicht (Art. 51 Abs. 2 GRCh). Vielmehr sind die Handlungen der Mitgliedstaaten gemäß Art. 51 Abs. 1 GRCh nur an die europäische Hoheitsgewalt gebunden, wenn diese „als verlänger Arm der Union“ tätig werden.444 Im Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention gilt dabei, dass grundsätzlich ein Vorrang zugunsten der Konvention eingeräumt wird.445 „Soweit die […] Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird“ (Art. 52 Abs. 3 S. 1 GRCh). Allerdings bedeutet diese Regelung nicht, dass die Grundrechte der Charta im Überschneidungsbereich gänzlich wie die Grundrechte der Konvention auszulegen sind.446 Art. 52 Abs. 3 S. 2 GRCh lässt gleichsam zu, dass die Charta Rechte einen weitergehenden Schutz als die Konvention gewähren können.447 2. Grund und Grenzen Die Unionsgrundrechte verbürgen nicht nur Abwehrrechte im klassischen Sinne.448 Sie lassen sich auch mit einer Schutzdimension zugunsten der Grundrechtsberechtigten auslegen.449 Gleichwohl hat sich der Europäische Gerichtshof bislang nicht zu einer solchen Schutzpflichtdimension des Unionsgrundrechts geäußert – im Wege einer „wertenden Rechtsverglei 443 Müller-Terpitz,
in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 47. Borowsky, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 51 GRCh, Rn. 25; Reuter, in: Kern, GenDG, § 4 Rn. 19. 445 Siehe Jarass, Art. 52 GRCh, Rn. 60 ff.; Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizin recht, Art. 35 GRCh, Rn. 48. 446 Vgl. Jarass, Art. 52 GRCh, Rn. 60 ff. 447 So auch Jarass, Art. 52 GRCh, Rn. 60 ff. (63): „Im Ergebnis darf aber der (gesamte) Schutz der Charta nicht hinter dem der Konvention zurückbleiben.“ 448 Vgl. Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 49. 449 Vgl. Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 49. 444 Vgl.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
chung“450 lässt sie sich jedoch mitunter aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten destillieren.451 Freilich stehen die Rechte und Freiheiten der Europäischen Grundrechtecharta unter dem in Art. 52 Abs. 1 GRCh niedergelegten Vorbehalt der allgemeinen Einschränkung: „Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechts und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.“ Im medizinischen Bereich452 werfen die sektorspezifischen Kompetenzen der Europäischen Union Fragen nach den grundrechtlichen Grenzen auf, denen das (legislative und sonstige) Unionshandeln unterworfen ist.453 In vorliegendem Kontext von Belang sind vor allem das Recht auf körperliche Unversehrtheit (a)), der Schutz der personenbezogenen Daten (b)) sowie das Verbot der Diskriminierung (c)).454 Diese sollen vor dem Hintergrund ihres europäischen Geltungsbereiches nachfolgend untersucht werden. a) Leben und Unversehrtheit Den Wesensgehalt der Charta-Grundrechte umreißt zunächst die europäische Menschenwürde.455 „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen“ (Art. 1 GRCh). Ausgehend von dieser menschenrechtlichen Verbürgung im Zentrum der Kodifikation456 wird man für 450 So Grabitz/Hilf/Nettesheim nach Art. 6 EUV Rn. 11 ff.; Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 49. 451 So auch Jaeckel, Schutzpflichten, S. 194 ff.; Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 49. 452 Vgl. Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, EMRK, Rn. 3 ff. 453 Vgl. Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 45. 454 Siehe Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 45. 455 In ihrer Konzeption folgt die unionsrechtliche Würdegarantie nicht nur sprachlich dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 GG, sondern ist auch im Übrigen von der in Deutschland verfassungsrechtlich entwickelten Dogmatik geprägt; vgl. Borowsky, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 1 GRCh, Rn. 7; Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 52. Trotz des in Art. 52 Abs. 1 GRCh niedergelegten Generalvorbehalts ist sie nicht zu beschränken, siehe Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 46. 456 Parallel zu diesem verstärkenden Kodifikationsprozess hat der EuGH die Menschenwürde zudem als ungeschriebenes Grundrecht anerkannt, vgl. hierzu Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 50 ff. sowie beispielsweise EuGH 14.10.2004, Rs. C-36/02 „Omega“, Slg. 2004 I-9609, 9653, Rn. 34.
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genetische Informationen regelmäßig den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GRCh zu untersuchen haben: Bislang finden sich jedoch kaum grundlegende Hinweise zum personalen Schutzbereich.457 Lediglich in den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs ist zu erkennen, dass von einer eigenständigen rechtlichen Bewertung abgesehen wird: Die rechtliche Würdigung soll den einzelnen Mitgliedstaaten anheimgestellt sein.458 Im Ergebnis wird man deshalb aus Art. 2 Abs. 1 GRCh nicht mehr als einen „angemessenen“ Lebensschutz deduzieren können, der länder- und einzelfallabhängig zur Entfaltung gelangt.459 Art. 3 Abs. 1 GRCh enthält demgegenüber ein materielles Grundrecht auf körperliche und geistige Unversehrtheit, das auch die Einwilligung kontextualisiert. Dieser Schutz der Unversehrtheit ist jedoch keineswegs auf das Gebiet der Medizin und Biologie respektive auf bioethische Fragestellungen begrenzt: „Eine derartige Engführung findet sich erst im zweiten Absatz.“460 Nach Art. 3 Abs. 2 GRCh muss in Medizin und Biologie Folgendes „beachtet“ werden: • „[D]ie freie Einwilligung des Betroffenen nach vorheriger Aufklärung entsprechend den gesetzlich festgelegten Einzelheiten, • das Verbot eugenischer Praktiken, insbesondere derjenigen, welche die Selektion von Menschen zum Ziel haben, • das Verbot, den menschlichen Körper und Teile davon als solche zur Erzielung von Gewinnen zu nutzen, [sowie] • das Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen.“ Diese demonstrativ aufgezählten Bestimmungen stehen in enger Beziehung zur Forschungsfreiheit (Art. 13 GRCh) und zum Gesundheitsschutz (Art. 35 GRCh), aber auch zum Verbot der Diskriminierung wegen genetischer Merkmale (Art. 21 Abs. 1 GRCh).461 Die Gesamtregelung ist dabei zukunftsoffen konzipiert und keineswegs abschließend gestaltet: Rechte und Grundsätze sollen in das Schutzsystem der Charta Eingang finden, die be457 Siehe Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 2 GRCh, Rn. 55 f. Auch Art. 2 Abs. 1 EMRK lässt keine klare Festlegung der personalen Reichweite zu, so kommt Rechten der EMRK nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die „gleiche Bedeutung und Tragweite“ zu wie den Charta-Grundrechten, vgl. Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 2 GRCh, Rn. 55 f. 458 „In einer jüngeren Entscheidung […] lehnte es der EGMR vielmehr ausdrücklich ab, zur Anwendbarkeit des Art. 2 Abs. 1 S. 1 EMRK auf den nasciturus Stellung zu beziehen“, vgl. EGMR 53924/00 „Vo/Frankreich“, NJW 2005, S. 727 ff. sowie Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 2 GRCh, Rn. 57. 459 Siehe Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 2 GRCh, Rn. 55 ff. 460 Borowsky, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 3 GRCh, Rn. 37. 461 Siehe dazu auch die Erläuterungen im Folgenden, Kap. § 5 A. II. 2. d); Borowsky, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 3 GRCh, Rn. 37.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
reits in der Biomedizinkonvention oder ihren Zusatzprotokollen aufgenommen sind und zukünftig darin Berücksichtigung finden werden.462 Somit fungiert Art. 3 Abs. 2 einer „dynamische[n] Transferklausel“ vergleichbar für rechtliche Fortschritte.463 Dabei ist jedoch nicht zu verkennen, dass die Biomedizinkonvention wie auch ihre ergänzenden Zusatzprotokolle nur ein Minimum an Schutznormen gewähren.464 Abermals besteht für den zuständigen Gesetzgeber hinsichtlich des Inhalts und der Reichweite der durch Art. 3 GRCh garantierten Schutzpflichten ein weiter Entscheidungsspielraum.465 Dieser ist lediglich insofern zu relativieren, als dass Art. 3 Abs. 2 a) GRCh für die dort verankerte Einwilligung eine autonome Entscheidung der betroffenen Person unter Einbeziehung einer Aufklärungspflicht voraussetzt.466 b) Personenbezogene Daten „Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten“ (Art. 8 Abs. 1 GRCh). Gemäß Art. 8 Abs. 2 S. 1 GRCh dürfen diese Daten nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Dabei hat jede Person das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken (Art. 8 Abs. 2 S. 2 GRCh).467 Mit Art. 8 GRCh wird der Schutz personenbezogener Daten somit in den Rang eines Grundrechts erhoben.468 Vordergründig war die Vorschrift dem Datenschutzrecht des Europarates nachgebildet, um die Zunahme der Datenströme in der Gemeinschaft zu regulieren.469 Der Schutz personenbezogener Daten findet sich nunmehr allerdings auch in Art. 16 AEUV: In ihrem Wortlaut sind beide Vorschriften nahezu identisch.470 Anders als Art. 8 Abs. 2 GRCh beinhaltet Art. 16 AEUV aber keine DatenverarbeitungsanforderunBorowsky, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 3 GRCh, Rn. 42. Borowsky, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 3 GRCh, Rn. 42. 464 Vgl. hierzu Kap. § 5 A. III.; Borowsky, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 3 GRCh, Rn. 42. 465 Siehe Voss, Charta der Grundrechte, S. 242. 466 Zu den Erfordernissen des informed consent, siehe Kap. § 7 B. II. sowie des Weiteren Voss, Charta der Grundrechte, S. 242 f. 467 Siehe hierzu auch Rechtsprechung des EuGH zum „Recht auf Vergessen“ im Internet, Rs C-131/12 Google Spain SL, Google Inc./Agencia Española de Protec ción de Datos, Mario Costeja Gonzále. 468 Bernsdorff, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 8 Rn. 1. 469 Vgl. Bernsdorff, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 8 Rn. 2. 470 Vgl. Borowsky, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 8 GRCh, Rn. 10a. 462 Vgl.
463 Siehe
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gen.471 Der Inhalt der Gewährleistung ist durch Art. 16 AEUV anhand von Art. 8 GRCh und unter Heranziehung des einschlägigen Sekundärrechts auszulegen.472 c) Diskriminierung Mit Art. 20 GRCh enthält die europäische Grundrechtecharta einen allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, den Art. 21 GRCh durch besondere Diskriminierungsvorschriften konkretisiert.473 Art. 21 Abs. 1 GRCh bestimmt, dass „Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer [zerebralen Einschränkung], des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ verboten sind. Art. 21 GRCh erweitert also den grundrechtlichen Schutz über die in Art. 19 AEUV genannten Eigenschaften hinaus, insbesondere auf ein Diskriminierungsverbot wegen genetischer Merkmale.474 Insoweit enthält Art. 21 Abs. 1 GRCh ein Diskriminierungsverbot für bestimmte Merkmale, die dem Menschen anhaften oder von ihm nur schwerlich geändert werden können (personengebundene Merkmale).475 Da hinsichtlich dieser Eigenschaften Ungleichbehandlungen besonders bedenklich sind, steht die Vorschrift in engem Zusammenhang mit dem Schutz der Würde des Menschen durch Art. 1 GRCh 471 Zur näheren Ausgestaltung der europarechtlichen Datenschutzgrundlagen siehe Kap. § 8 B. II.; im Übrigen Borowsky, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 8 GRCh, Rn. 10a. 472 „Die GR-Charta ist gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV bindendes Recht und gleichrangig mit den Verträgen.“ Herrmann, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 16 AEUV, Rn. 5. Für eine einheitliche Anwendung der Bestimmungen des AEUV und der GR-Charta spricht zudem, dass auch Art. 16 Abs. 1 AEUV einen über den Anwendungsbereich des Unionrechts hinausgehenden Schutz nicht gewährleisten kann. Siehe hierzu: Herrmann, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 16 AEUV, Rn. 5 ff. 473 Vgl. Voss, Charta der Grundrechte, S. 267 ff. 474 Art. 14 EMRK bestimmt, dass der Genuss der in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten „ohne Benachteiligung zu gewährleisten ist, die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen und sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist“, siehe Voss, Charta der Grundrechte, S. 267 ff. (272). „Genetische Merkmale wurden wegen möglicher Diskriminierungen aufgrund von Gentests aufgenommen.“ Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 21 GRCh, Rn. 4 ff. 475 Oder auf deren Vorhandensein oder Fehlen er keinen oder nur einen begrenzten Einfluss nehmen kann oder muss, vgl. Jarass, Art. 21 GRCh, Rn. 2.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
und dient dem Ziel des Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 EUV.476 Im Unterschied zu Art. 14 EMRK kommt Art. 21 Abs. 1 GRCh jedoch nicht nur im Anwendungsbereich der Grundrechte zum Tragen: Er gebietet vielmehr den diskriminierungsfreien Genuss aller Rechte.477 Doch trotz seiner weiten Formulierung verbieten sowohl Art. 21 Abs. 1 GRCh als auch Art. 14 EMRK nicht jede Ungleichbehandlung in der Ausübung der durch die Konvention garantierten Rechte und Freiheiten. Das Diskriminierungsverbot bezieht sich lediglich auf eine unterschiedliche Behandlung ohne sachliche Rechtfertigung.478 Dabei führt gerade die Auslegung im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dazu, dem jeweilig kompetenten Gesetzgeber einen weiten Ermessensspielraum bei der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zuzugestehen.479 III. Biomedizinkonvention Die Biomedizinkonvention (BMK) ist zunächst ein völkerrechtliches Übereinkommen, das die unterzeichnenden Staaten verpflichten soll, die europäischen Regeln in nationales Recht überzuführen.480 Der endgültige Entwurf – ursprünglich als Bioethik-Konvention bezeichnet – wurde von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates mit großer Mehrheit gebilligt.481 Als Rahmenkonvention will das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin einen europäischen Mindeststandard sichern.482 Im Hinblick auf ein dynamisches Rechtsinstrument konturieren einzelne Zusatzprotokolle die Weiterentwicklung bestimmter Bereiche.483 Damit verficht die Konvention die menschliche Individualität zum Schutze derjenigen, die sich der „Anwendung von Biologie und Medizin“ unterwerfen.484 Dies geschieht in dem Bewusstsein, „daß der Mißbrauch von Biologie und Medizin Jarass, Art. 21 GRCh, Rn. 2. Hölscheidt, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 21 Rn. 3; Jarass, Art. 21 GRCh, Rn. 1 f. 478 Ausführlich hierzu: Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 21 GRCh, Rn. 4 ff. (7); Voss, Charta der Grundrechte, S. 267 ff. (274). 479 Siehe Voss, Charta der Grundrechte, S. 267 ff. (281). 480 Vgl. Tinnefeld, ZRP 2000, S. 12. 481 Im gleichen Jahr wurde er vom Ministerkomitee des Europarates einmütig verabschiedet und am 04.04.1997 zur Zeichnung aufgelegt, siehe Taupitz, VersR 1998, S. 542. 482 So auch Tinnefeld, ZRP 2000, S. 12. 483 Z. B. Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens, siehe Kersten, Klonen, S. 109 ff. oder Zusatzprotokoll über die Transplantation. 484 Vgl. Taupitz, VersR 1998, S. 542. 476 Vgl. 477 So
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zu Handlungen führen kann, welche die Menschenwürde gefährden“.485 Die im hier interessierenden Kontext wichtigsten Grundsätze der Biomedizinkonvention lassen sich zunächst als die folgenden skizzieren:486 • Das Interesse und das Wohl des menschlichen Lebewesens haben Vorrang gegenüber dem bloßen Interesse der Gesellschaft oder der Wissenschaft (Art. 2 BMK). • Unter Berücksichtigung der Gesundheitsbedürfnisse und der verfügbaren Mittel ist der gleiche Zugang zu einer Gesundheitsversorgung von angemessener Qualität zu gewähren (Art. 3 BMK). • Im Gesundheitsbereich darf eine Intervention erst nach Aufklärung und freier Einwilligung der betroffenen Person in Kenntnis von Zweck, Art, Folgen und Risiken der Intervention erfolgen (Art. 5 BMK). • Zum Schutz der Privatsphäre hat jeder das Recht auf Wissen und Nichtwissen der über seine Gesundheit gesammelten Angaben. Will jemand jedoch keine Kenntnis erhalten, so ist dieser Wunsch zu respektieren (Art. 10 BMK). • Jede Form von Diskriminierung einer Person wegen ihres genetischen Erbes ist verboten (Art. 11 BMK). • Untersuchungen zur Vorhersage genetisch bedingter Erkrankungen oder eine genetische Prädisposition dürfen nur für Gesundheitszwecke oder für gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung und nur unter der Voraussetzung einer angemessenen genetischen Beratung erfolgen (Art. 12 BMK). • Gezielte Interventionen in das menschliche Genom, um eine Veränderung des Genoms von Nachkommen herbeizuführen, dürfen nicht vorgenommen werden. Abgesehen davon sind Eingriffe in das menschliche Genom nur zu präventiven, diagnostischen oder therapeutischen Zwecken möglich (Art. 13 BMK). • Die Geschlechterwahl ist verboten. Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung dürfen nicht dazu verwendet werden, das Geschlecht des künftigen Kindes zu wählen, es sei denn, um eine schwere, erbliche geschlechtsgebundene Krankheit zu vermeiden (Art. 14 BMK). 485 Siehe Präambel, Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin, http://conventions.coe.int/Treaty/ ger/Treaties/Html/164.htm [letzter Aufruf am 03.02.2015]. 486 Vgl. Präambel, Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin, http://conventions.coe.int/Treaty/ger/ Treaties/Html/164.htm [letzter Aufruf am 03.02.2015]; Taupitz, VersR 1998, S. 542 f.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
• Der menschliche Körper und Teile davon sind nicht als solche zur Erzielung eines finanziellen Gewinns zu verwenden (Art. 21 BMK). • Wird bei einer Intervention ein Teil des menschlichen Körpers entnommen, so darf er nur zu dem Zweck aufbewahrt werden, zu dem er entnommen worden ist; jede andere Verwendung setzt angemessene Informations- und Einwilligungsverfahren voraus (Art. 22 BMK). Die Biomedizinkonvention nimmt sich also der Aufgabe an, die Menschenrechte im Spannungsfeld der Biomedizin fortzuschreiben.487 Um den moralischen und rechtlichen Herausforderungen der Genmedizin gerecht zu werden, reflektiert sie einen internationalen Wirkbereich des Rechts, der eine zwischenstaatliche Angleichung nationaler Normen anstrebt.488 Ganz in diesem Sinne wird nachfolgend der Charakter der Konvention (1.) sowie die einschlägige Bestimmung des Menschenrechtsübereinkommens zur Biomedizin (2.) und seiner Zusatzprotokolle (3.) aufgegriffen. 1. Rechtscharakter der Konvention Gegenüber der sehr geringen bioethischen Normdichte der Grundrechtecharta als reifendem Verfassungsrecht der Europäischen Union, will die Konvention zur Biomedizin einen einheitlichen, länderübergreifenden Mindestschutz gewähren.489 Art. 27 BMK formuliert dabei einen Versuch, dem „Slippery-[S]lope-Argument“ entgegenzuwirken:490 Auf diese Weise soll gerade jenen in Deutschland artikulierten Befürchtungen entgegengewirkt werden, dass das Übereinkommen eine Absenkung des bisher geltenden Schutzniveaus erfahren könnte.491 Nach Art. 27 BMK bleiben also weitergehende Schutzbestimmungen des nationalen Rechts nicht nur „unberührt“, wie es Jürgen Taupitz formuliert.492 Vielmehr enthält Art. 27 BMK einen sog. „Auslegungsimperativ“493, wonach das Übereinkommen nicht derart interpretiert werden dürfe, als dass es die Möglichkeit der Vertragsparteien zu weitergehenden Schutzvorschriften beschränke oder beeinträchtige. Auch muss nach Art. 4 BMK jede Intervention des Gesundheitsbereiches, einschließlich der Forschung, den einschlägigen Rechtsnormen, Berufspflichten und Verhaltensregeln gemäß erfolgen. Tinnefeld, ZRP 2000, S. 11. auch Tinnefeld, ZRP 2000, S. 11 f. 489 Siehe Kersten, Klonen, S. 89; Taupitz, VersR 1998, S. 542 ff. 490 Vgl. Taupitz, VersR 1998, S. 542 ff. 491 Siehe ausführlich: Taupitz, VersR 1998, S. 542 ff. 492 Vgl. Taupitz, VersR 1998, S. 542 ff. 493 Taupitz, VersR 1998, S. 542 ff. 487 Vgl. 488 So
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Hinsichtlich der Bemühungen einer europäischen Vereinheitlichung gilt es jedoch vornehmlich zu berücksichtigen, dass das Übereinkommen der Biomedizinkonvention nur in den Ländern in Kraft tritt, in denen es ratifiziert wurde.494 Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist die Konvention von insgesamt 35 Staaten unterzeichnet und von 29 Staaten ratifiziert worden.495 Die Bundesrepublik Deutschland unterfertigte die Konvention zur Biomedizin bislang allerdings nicht.496 Somit entfaltet sich deren Rechtsverbindlichkeit bis heute nur auf einen außerdeutschen Geltungsbereich. 2. Bindung und Bedeutung Die Bedeutung der Biomedizinkonvention liegt in der Internationalisierung und Vereinheitlichung einer biomedizinischen Rechtsgrundlage. Mangels Ratifizierung erfahren die Inhalte der Konvention gleichwohl in Deutschland keine Geltung: Dennoch lässt der Einfluss des Abkommens auch die deutsche Rechtssituation nicht unberührt.497 Im Bereich der Gendiagnostik erlangt er vor dem Hintergrund einer europaweiten Überlegung zu Funktion und Normkontextualisierung fortbildenden Charakter.498 a) Genetische Schutzdimension Als völkerrechtlicher Vertrag soll das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin eine europaweite Regulierung von Forschungsmaßnahmen am Menschen vornehmen.499 Die Ausführlichkeit der Befassung stellte gemessen an den oftmals bestehenden Normhülsen eine rechtliche Konkretisierung der Behandlung der Humanforschung dar.500 494 Siehe Art. 33 Nr. 2 S. 1 BMK. Das Übereinkommen über Menschenrecht und Biomedizin wurde am 04.04.1997 verabschiedet. Nach Ratifizierung durch fünf Vertragsparteien trat es am 01.12.1999 in Kraft. Bislang haben es 35 der 47 Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet und zusätzlich 29 Staaten ratifiziert, vgl. http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp?NT=164&CM=8&DF=20 /02/2015&CL=GER [letzter Aufruf am 20.02.2015]. 495 Abzurufen unter: http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp? NT=164&CM=1&DF=&CL=GER [letzter Aufruf am 07.02.2015]; Scherrer, GenDG, S. 66 f. 496 Vgl. Scherrer, GenDG, S. 66 f.: eine Unterzeichnung solle derzeit wegen des weiter andauernden Meinungsbildungsprozesses noch nicht vorgenommen werden, siehe auch BT-Drs. 16/12272, S. 5; zu den Gründen: Taupitz, VersR 1998, passim. 497 Siehe hierzu Scherrer, GenDG, S. 149 ff. 498 Vgl. Scherrer, GenDG, S. 149 f. 499 Vgl. Spranger, MedR 2001, S. 238 ff. 500 So auch Spranger, MedR 2001, S. 238 (239).
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
aa) Schutz vor Diskriminierung Art. 11 BMK verbietet zunächst jede Form von Diskriminierung einer Person wegen ihres genetischen Erbes. Diese Vorgabe war nicht zuletzt maßgeblich, um eine Reihe von Streitigkeiten des deutschen Rechts zur Frage der Auswirkungen genetischer Analysen zu beenden und einen stärkeren Schutz der Betroffenen herbeizuführen.501 Auch stimmt Art. 5 BMK mit den weithin vertretenen Garantien von Einwilligung und Aufklärung überein. So darf eine Intervention im Gesundheitsbereich erst dann erfolgen, nachdem die betroffene Person über sie aufgeklärt worden ist und frei eingewilligt hat. Zuvor ist sie angemessen über Zweck und Art der Intervention sowie über deren Folgen und Risiken aufzuklären. Eine bereits erteilte Einwilligung kann jederzeit frei widerrufen werden. Dabei kann die Forschung am Menschen nach Art. 16 BMK nur unter bestimmten objektiven und subjektiven Voraussetzungen durchgeführt werden: Es hat keine Alternative vergleichbarer Wirksamkeit der beabsichtigten Forschung zu geben (Art. 16 i. BMK). Darüber hinaus darf das Risiko, das die Person mit der Teilnahme an dem Forschungsprojekt eingeht, nicht außer Verhältnis zu einem möglichen Nutzen stehen (Art. 16 ii. BMK). Das Forschungsverfahren muss unabhängig auf seinen wissenschaftlichen Wert einschließlich der Wichtigkeit des Forschungsziels geprüft werden sowie interdisziplinär und ethisch vertretbar sein (Art. 16 iii. BMK). Neben der Dokumentationspflicht wird die Widerrufbarkeit der Einwilligung wiederholt.502 Insofern stellt die Biomedizinkonvention vor dem Lichte des Schutzes vor Diskriminierung und Patientenautonomie ein gesteigertes Maß an Voraussetzungen für die Durchführung von Forschungsvorhaben. In Deutschland kommt ihr bislang jedoch nur Vorbildcharakter zu. bb) Recht auf Wissen und Nichtwissen Nach Art. 10 Nr. 1 BMK hat jeder das Recht auf Wahrung der Privatsphäre in Bezug auf Angaben über seine Gesundheit. Art. 10 Nr. 2 BMK konkretisiert dies dahingehend, dass zudem ein Recht auf Auskunft in Bezug auf alle über die Gesundheit des Einzelnen gesammelten Angaben besteht. 501 Vgl. Taupitz, VersR 1998, S. 542 ff.; vergleichbare Norminhalte finden sich auch im Gendiagnostikgesetz: Art. 4 Abs. 1 GenDG konstatiert ein Benachteiligungsverbot, wonach niemand wegen seiner oder der genetischen Eigenschaften einer genetisch verwandten Person, wegen der Vornahme oder Nichtvornahme einer genetischen Untersuchung oder Analyse bei sich oder einer genetisch verwandten Person oder wegen des Ergebnisses einer solchen Untersuchung oder Analyse benachteiligt werden darf. 502 Siehe Kern, MedR 1998, S. 487 f.
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„Will jemand jedoch keine Kenntnis erhalten, so ist auch dieser Wunsch zu respektieren“ (Art. 10 Nr. 2 S. 2 BMK). Die Konvention betont also die Notwendigkeit der Achtung der Privatsphäre, namentlich in der Wahrnehmung des Rechts auf Wissen und Nichtwissen. Gleichwohl soll das Recht, die eigenen Gesundheitsdaten „nicht zu wissen“, beachtet werden („shall be observed“).503 Dabei erscheinen interessenabhängige Einschränkungen möglich: So vage die Formulierung bestimmt, so weitreichende Auslegungen lässt sie zu.504 Für Untersuchungen, die es ermöglichen, genetisch bedingte Krankheiten vorherzusagen oder bei einer Person entweder das Vorhandensein eines für eine Krankheit verantwortlichen Gens festzustellen oder eine genetische Prädisposition oder Anfälligkeit für eine Krankheit zu erkennen, legt Art. 12 BMK lediglich fest, dass eine „angemessene“ genetische Beratung notwendig ist. Wie sich eine derartige Beratung gestalten soll, bleibt offen. Und auch die Forderung der Konvention, wonach prädiktive genetische Tests nur für gesundheitliche Zwecke oder für eine gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung zulässig sind (Art. 12 i. V. m. Art. 11 BMK), ist unklar formuliert: Mitunter schließt sie gesundheitliche Untersuchungen im Arbeitsleben nicht aus.505 Folglich bleiben neue Risikolagen, die sich durch die Anwendung der Biomedizin für den Menschen ergeben, in der Konvention des Europarates nur lückenhaft berücksichtigt.506 b) Rezeption des Zusatzprotokolls Von besonderem Interesse ist daher das Zusatzprotokoll betreffend genetischer Tests zu gesundheitlichen Zwecken („Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine, concerning Genetic Testing for Health Purposes“).507 Indem sich das Zusatzprotokoll auf Gentests beschränkt, beeinflusst es die Vorschriften der Konvention maßgeblich, die gemäß Art. 21 BMK-ZP nur in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Zusatzprotokolls Anwendung finden.508 Zu beachten ist allerdings, dass das Zusatzprotokoll betreffend der Gentests zu gesundheitlichen Zwecken bis 503 Vgl. die englische Version des Art. 10 Nr. 2 S. 2 BMK: „However, the wishes of individuals not to be so informed shall be observed.“ Hierzu ausführlich: Tinnefeld, ZRP 2000, S. 12 f. 504 Siehe Tinnefeld, ZRP 2000, S. 12 f. 505 Beispielsweise wäre eine präventivmedizinische Zielsetzungen im Rahmen von Einstellungsverfahren und Eignungsprüfungen denkbar. Daher kritisch: Tinnefeld, ZRP 2000, S. 12 f. 506 So auch Tinnefeld, ZRP 2000, S. 12 f. 507 Vgl. http://conventions.coe.int/Treaty/EN/Treaties/Html/203.htm; siehe auch: Scherrer, GenDG, S. 151 f. 508 So auch Scherrer, GenDG, S. 151 f.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
heute nicht in Kraft getreten ist.509 So haben lediglich drei Staaten das Zusatzprotokoll bislang ratifiziert.510 Aufgrund der zunehmend an Bedeutung gewinnenden europäischen und internationalen Vorgaben sollen die hier wesentlichen Vorschriften dennoch in Augenschein genommen werden. aa) Struktur Auffällig ist zunächst, dass das Zusatzprotokoll der Biomedizinkonven tion zu Gentests im Gleichlauf zum deutschen Gendiagnostikgesetz keine Genuntersuchungen zu Forschungszwecken erfasst.511 Entsprechend den internationalen Standards der Biomedizinkonvention bekräftigt es erneut das Verbot der genetischen Nicht-Diskriminierung: „Any form of discrimination against a person, either as an individual or as a member of a group on grounds of his or her genetic heritage is prohibited“ (Art. 3 Nr. 1 BMK-ZP). In diesem Sinne sind alle angemessenen Maßnahmen zu veranlassen, um einer genetischen Diskriminierung vorzubeugen: „Appropriate measures shall be taken in order to prevent stigmatisiation of persons or groups in relation to genetic characteristics“ (Art. 3 Nr. 2 BMK-ZP). Mitunter konkretisiert das Zusatzprotokoll daher die Erfordernisse der Aufklärung, Einwil509 So stellt das Zusatzprotokoll betreffend Gentests zu gesundheitlichen Zwecken verschiedene Lösungsmodelle nebeneinander vor und überlässt die Entscheidung im Einzelfall den Mitgliedstaaten: Art. 18 (information relevant to family members) formuliert zunächst allgemein: „Where the results of a genetic test undertaken on a person can be relevant to the health of other family members, the person tested shall be informed.“ Die Explanatory Reports (Nr. 140 zu Art. 18) ergänzen wie folgt: „For the communication of this information to the family members, appropriate provisions should be made, bearing in mind the rules on confidentiality and the protection of the private life of the various persons concerned (person on whom the test is performed and members of his or her family). The choice of procedure(s) is left to the States. If the person tested is unable or unwilling to contact his or her family members directly he or she may be given appropriate material or letters to pass on to the family member(s). Consideration could be given to setting up a mediating body responsible for contacting family members of the person concerned if the latter has asked for them to be informed without him or herself being identifiable as the source of the information. Another example, would be the possibility to provide for a decision by a competent body, following comparative assessment of the respective interests of the persons concerned, on whether or not the information in question must be communicated to the members of the family.“ (http://conventions.coe.int/ Treaty/EN/Reports/Html/203.htm, letzter Aufruf am 31.03.2014), siehe insgesamt: Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 176 ff. 510 Siehe http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp?NT=203&C M=8&DF=20/02/2015&CL=GER [letzer Aufruf am 20.02.2015]. 511 Vgl. hierzu http://conventions.coe.int/Treaty/EN/Treaties/Html/203.htm; siehe auch: Scherrer, GenDG, S. 151 f.
§ 5 Europarecht169
ligung und Beratung und konstatiert die regelmäßige Überprüfung von Qualitätsstandards – sei es hinsichtlich der Testtauglichkeit, der durchführenden Labore oder der vornehmenden Personen.512 (1) Informationsinteressen Ist ein genetischer Test, der eine monogene Erbkrankheit oder eine Anlageträgerschaft einer Erkrankung untersucht, angedacht, so ist die betroffene Person hinsichtlich des Zwecks, der Art sowie der Auswirkungen des Test angemessen zu informieren: „When a genetic test is envisaged, the person concerned shall be provided with prior appropriate information in particular on the purpose and the nature of the test, as well as the implications of its results. For predictive genetic tests as referred to in Article 12 of the Convention on Human Rights and Biomedicine, appropriate genetic counselling shall also be available for the person concerned.“ (Art. 8 Nr. 1 und 2 BMK-ZP). Unklar in diesem Kontext bleibt jedoch erneut, was unter einer „angemessenen“ Informationspolitik zu verstehen ist. Zwar greift Art. 8 BMK-ZP in der Ausgestaltung der Informationspflichten die Tragweite der Testergebnisse sowie deren Auswirkungen auf den Einzelnen und seine Familie auf. Ein solches Verfahren soll den betroffenen Personen die Möglichkeit eröffnen, Risiken und Verantwortung für sich, für lebende Familienmitglieder oder potenzielle Nachkommen abzuschätzen.513 „The form and extent of this genetic counselling shall be defined according to the implications of the results of the test and their significance for the person or the members of his or her family, including possible implications concerning procreation choices“ (Art. 8 BMK-ZP). Doch sind die Ausmaße eines Test oder dessen Reichweite im Vorhinein gegebenenfalls noch nicht einmal erforscht oder gar zu sehen. Dass die Beratung dabei in nicht-direktiver Weise erfolgen soll514, reflektiert die weitere Ausgestaltung des Art. 8 BMK-ZP – inwiefern dies jedoch im Einzelfall umzusetzen ist, bleibt abermals offen.
512 Im Unterschied zum deutschen Gendiagnostikgesetz werden pränatale Untersuchungen nicht mitumfasst. Der Anwendungsbereich des Protokolls soll nur auf Gentests zu medizinischen Zwecken beschränkt sein und nicht auf Arbeits-, Versicherungs- oder Abstammungszwecke ausgeweitet werden, siehe Scherrer, GenDG, S. 151 f. 513 Vgl. Tinnefeld, ZRP 2000, S. 12 f. 514 „Genetic counselling shall be given in a non-directive manner.“ (Art. 8 BMPZK), Hervorhebungen durch den Verfasser.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
(2) Drittinformationsinteressen Aus dem Rezeptionszusammenhang des Zusatzprotokolls zur Biomedizinkonvention lässt sich des Weiteren auf drittbezogene Informations- und Verschwiegenheitsinteressen schließen. Art. 16 Nr. 2 BMK-ZP richtet sich zunächst auf eine Stärkung des Rechts auf Wissen: „Everyone undergoing a genetic test is entitled to know any information about his or her health derived from this test.“ Zugleich soll aber auch das Recht auf Nichtwissen des Einzelnen Berücksichtigung finden. „The wish of a person not be in formed shall be respected“ (Art. 16 Nr. 3 BMK-ZP). Die insofern bestehende Unsicherheit der Ausgestaltung des „Nicht-Wissens-Wollens“, die sich in der Formulierung „shall be“ reflektiert, bleibt also weiter bestehen. In diesem Sinne adressiert auch Art. 14 BMK-ZP geninformationelle Drittinformationsinteressen: „When it is not possible, with reasonable efforts, to contact a person for a genetic test for the benefit of his or her family member(s) on his or her biological material previously removed for another purpose, the law may allow the test to be carried out in accordance with the principle of proportionality, where the expected benefit cannot be otherwise obtained and where the test cannot be deferred.“ Ist also eine verwandte Person, die zu einem früheren Zeitpunkt, humanbiologisches Probenmaterial zur Verfügung gestellt hat, nicht erreichbar, so ist in einer Verhältnismäßigkeitsprüfung auf die Dringlichkeit der Untersuchung sowie den Nutzen des Tests abzustellen.515 515 Dabei fällt eine rechtliche Bewertung ungleich schwieriger aus, wenn die betroffene Person selbst nicht einwilligen kann. Für diesen Fall geht Art. 13 BMKZP noch einen Schritt weiter und legitimiert die fremdnützige Forschung unter bestimmten Bedingungen (u. a.: The benefit envisaged cannot be obtained without carrying out this test; the risk and burden of the intervention are minimal for the person who is undergoing the test). Allerdings müssen durch den Wegfall der Eigennützigkeit schwerwiegende Bedenken angemeldet werden, denn eine fremdnützige Forschung vollzieht konsequent den Schritt einer Entindividualisierung. Auch verbietet das deutsche Recht in derart gelagerten Konstellationen eine Einwilligung durch Dritte, siehe Spranger, MedR 2001, S. 242 f. Nur, wenn das Forschungsvorhaben für den Einzelnen von therapeutischer Natur ist, kann die erforderliche Einwilligung ersetzt werden (vgl. diesbezüglich: BVerfGE, 30, 1 (26), die Vorschriften des § 1627 S. 1 BGB und § 1901 Abs. 2 S. 1 BGB sowie Spranger, MedR 2001, S. 242 f.). Insoweit lässt sich eine fremdnützige Forschung an Einwilligungsunfähigen mit dem Grundrechtsverständnis des Art. 1 Abs. 1 GG nicht in Einklang bringen, vgl. Spranger, MedR 2001, S. 242 (243), in Bezug auf „edukative Werte“; Eberbach, Humanforschung, S. 170 f.; Eberbach, FamRZ 1982, S. 450 (455) sowie weitere Nachweise bei Kern, MedR 1998, 485 (489). Gleichermaßen obliegt es den bereits diskutierten Schutzpflichten des Staates – auch wenn eine private Einrichtung in einer derartigen Konstellation forscht – das Interesse der Forschung und der Allgemeinheit niemals über das Wohl des Einzelnen zu stellen, siehe Giesen, Medical Malpractice Law, Rn. 1130; Spranger, MedR 2001, S. 242 (243).
§ 5 Europarecht171
Insgesamt stellt das Zusatzprotokoll betreffend Gentests zu gesundheit lichen Zwecken dabei verschiedene Lösungsmodelle nebeneinander und überlässt die Entscheidung im Einzelfall den Mitgliedstaaten.516 Art. 18 BMK-ZP517 formuliert insofern sehr allgemein: „Where the results of a genetic test undertaken on a person can be relevant to the health of other family members, the person tested shall be informed.“ Die Explanatory Reports (Nr. 140 zu Art. 18 BMK-ZP) schlagen dazu eine vermittelnde Stelle respektive ein komparatives Assessment vor: „For the communication of this information to the family members, appropriate provisions should be made, bearing in mind the rules on confidentiality and the protection of the private life of the various persons concerned (person on whom the test is performed and members of his or her family). The choice of procedure(s) is left to the States. If the person tested is unable or unwilling to contact his or her family members directly he or she may be given appropriate material or letters to pass on to the family member(s). Consideration could be given to setting up a mediating body responsible for contacting family members of the person concerned if the latter has asked for them to be informed without him or herself being identifiable as the source of the information. Another example, would be the possibility to provide for a decision by a competent body, following comparative assessment of the respective interests of the persons concerned, on whether or not the information in question must be communicated to the members of the family.“518 Wie diese Maßnahmen zu konkretisieren sind, bleibt somit weiter den Mitgliedstaaten anheimgestellt. Und selbst wenn man die wissenschaftliche Forschung entgegen dem hier vertretenen Ansatz für zulässig erachten würde, so bedürfte es einer näheren Auseinandersetzung mit den Konkretisierungen des Art. 13 BMK-ZP. Vgl. hierzu: Explanatory Report to the Convention for the protection of human rights and dignity of the human being with regard to the application of biology and medicine: Convention on human rights and biomedicine, http://conventions.coe.int/Treaty/EN/Reports/ Html/164.htm [letzter Aufruf am 09.02.2015]. Ausführlich bei Spranger, MedR 2001, S. 242 ff. sowie weitere Nachweise bei Kern, MedR 1998, 485 (489). 516 Siehe auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 176 ff. 517 Art. 18 BMK-ZP: Information relevant to family members. 518 Vgl. http://conventions.coe.int/Treaty/EN/Reports/Html/203.htm, [letzter Aufruf am 31.03.2014], Hervorhebungen durch den Verfasser. Siehe insgesamt: Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 176 ff.; gleichermaßen kommt den „Proposed International Guidelines on Ethical Issues in Medical Genetics and Genetic Services“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) keine rechtliche Verbindlichkeit zu. Doch selbst wenn man den WHO-Guidelines Rechtsverbindlichkeit attestierte, könnten sie wohl kaum zur Lösung des Problems beitragen: Denn auch die WHO äußert sich zur familiären Kommunikation von genetischen Risiken nur vage: „The provision of genetic information to relatives about the family so as to learn their own genetic risks should be possible, especially when a serious burden can be avoided.“ Vgl. im
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
bb) Anwendung Unabhängig von der staatlichen Einschätzungsprärogative wird dem Zusatzprotokoll der europäischen Biomedizinkonvention insgesamt lediglich ein Vorbildcharakter zukommen. Unterzeichnen und ratifizieren kann ein Staat nämlich ein Zusatzprotokoll nur dann, wenn er auch bereits das Übereinkommen unterzeichnet und ratifiziert hat (Art. 31 BMK).519 Da Deutschland die Biomedizinkonvention bislang weder unterfertigt noch ratifiziert hat, bleibt eine deutsche Anwendung der Zusatzprotokolle auch grundsätzlich außer Betracht. Hinzu kommt, dass der Schutz, den das Übereinkommen betroffenen Individuen gewährt, derzeit lediglich schwach ausgeprägt ist: Insbesondere fehlt es an einer individuellen Klagemöglichkeit gegen Verletzungen der Biomedizinkonvention.520 Folglich bestimmt also weiterhin der nationale Gesetzgeber die Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Personen.521
B. Europarechtliche Schlussfolgerung In der Analyse gendiagnostischer Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene ergibt sich ein heterogenes Bild: Einerseits sind die bioethischen Ambitionen hoch gesteckt.522 Dabei streben nicht nur die Menschenrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention einen gemeineuropäischen Mindeststandard des Grundrechteschutzes an.523 Insoweit zeigt gerade die europarechtliche Zusammenschau der gendiagnostisch relevanten Normen, dass hinsichtlich der gemeinsamen Idealen sowie der Achtung von „Freiheit und Rechtsstaatlichkeit“ Einigkeit besteht.524 Dennoch verfügen die Mitgliedstaaten in deren Konkretisierung und Umsetzung über weite Einschätzungs- und Gestaltungsspielräume, zumal zwischen den europäischen Staaten bis heute kein einheitlicher rechtlicher respektive ethischer Konsens im Weiteren: Report of WHO meeting on Ethical Issues in Medical Genetics (http:// www.who.int/genomics/publications/en/ethicalguidelines1998.pdf – letzter Aufruf am 31.03.2014); Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 176 ff. 519 Dabei verliert die Bundesrepublik zwar nicht Sitz und Stimme in den zuständigen Entscheidungsgremien, untergräbt jedoch zumindest ein moralisch-politisches Mitwirkungsrecht, siehe: Taupitz, VersR 1998, S. 542 ff.; Scherrer, GenDG, S. 152. 520 So auch Taupitz, VersR 1998, S. 542 ff. 521 Vgl. Taupitz, VersR 1998, S. 542 ff. 522 So auch Kersten, Klonen, S. 206. 523 Vgl. Müller-Terpitz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Art. 35 GRCh, Rn. 46. 524 Siehe Präambel der EMRK, http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/ pdfs/Europaeische_Konvention.pdf?__blob=publicationFile [letzter Aufruf am 15.02. 2015].
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Hinblick auf eine rechtliche und ethische Bewertung reproduktionstechnischer Maßnahmen besteht.525 Diese Zwiegespaltenheit spiegelt auch die Europäische Biomedizinkonvention wider. So ist die Biomedizinkonvention zunächst ein völkerrecht liches Übereinkommen, das die unterzeichnenden Staaten verpflichten soll, die europäischen Regeln in nationales Recht überzuführen.526 Gleichwohl hat die Bundesrepublik Deutschland die Konvention zur Biomedizin und auch ein entsprechendes Zusatzprotokoll betreffend der Gentest zu gesundheitlichen Zwecken bis heute nicht unterfertigt.527 Desgleichen ist in der Anwendbarkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention der Regelungsspielraum, der den Konventionsstaaten nach der sog. Margin-of-appreciation-Doktrin zukommt, weit ausgestaltet.528 Zwar schützt Art. 8 EMRK die Achtung des Privat- und Familienlebens und umfasst somit auch die familiären Grundrechtspositionen auf Wissen, Nichtwissen und Geheimhaltung.529 Mit der Margin-of-appreciation-Doktrin gesteht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den Konventionsstaaten jedoch eine hohe Einschätzungsprärogative zu und nimmt insoweit seinen Kontrollanspruch zurück.530 „Gibt es aber unter den Mitgliedstaaten des Europarats keinen Konsens, sei es über das Gewicht des betroffenen Interesses, sei es [über dessen bestmöglichen Schutz], ist der Ermessensspielraum weiter [– … i]nsbesondere dann […], wenn der Fall schwierige Fragen der Gesellschaftspolitik aufwirft: Dank ihrer unmittelbaren Kenntnis der eigenen Gesellschaft und ihrer Bedingungen können die staatlichen Behörden und Gerichte grundsätzlich besser als der internationa525 Siehe
hierzu auch Rechtsvergleich, Kap. § 6 A. II. 1. Tinnefeld, ZRP 2000, S. 12. 527 Vgl. Scherrer, GenDG, S. 66 f.: eine Unterzeichnung solle derzeit wegen des weiter andauernden Meinungsbildungsprozesses noch nicht vorgenommen werden, siehe auch BT-Drs. 16/12272, S. 5; zu den Gründen: Taupitz, VersR 1998, passim. 528 Siehe EGMR, NJW 2009, S. 971 (974); ferner NJW 2000, S. 2089 (2092); NJW 2008, S. 2013 (2015); siehe auch Wollenschläger, MedR 2011, S. 21 (23 f.); ders., AöR 138 (2013), S. 177. 529 Vgl. hierzu EUGH 5.10.1994, Rs. C-404/92 „X/Kommission“, Slg. 1994, I-4737, Rn. 17; die gegenständliche Entscheidung behandelte die Tragweite der Weigerung eines Betroffenen, sich im Rahmen der Einstellungsuntersuchung einem HIV-Test zu unterziehen, Wollenschläger, AöR 138 (2013), Fn. 66. 530 „Da es zunächst Aufgabe der staatlichen Behörden und Gerichte ist, zu beurteilen, wo der gerechte Ausgleich in einem bestimmten Fall liegt, bevor dann der Gerichtshof abschließend darüber entscheidet, haben die Behörden und Gerichte des betreffenden Staates bei ihrer Entscheidung grundsätzlich einen gewissen Ermessensspielraum.“ EGMR, NJW 2009, 971, 974; ferner NJW 2000, S. 2089 (2092); NJW 2008, S. 2013 (2015); siehe auch Wollenschläger, MedR 2011, S. 21 (23 f.); ders., AöR 138 (2013), S. 177. 526 Vgl.
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2. Teil: Rechtlicher Rahmen
le Richter beurteilen, was das öffentliche Interesse verlangt. […] In solch einem Fall respektiert der Gerichtshof grundsätzlich die Entscheidung des Gesetzgebers, es sei denn, ihr fehlt ‚offensichtlich eine vernünftige Begründung‘ “.531 Gerade im Hinblick auf biomedizinische Fragestellungen erscheint es undenkbar, dass ein nicht von allen Mitgliedstaaten getragener Konsens eine derart sensible Materie umfassend regulieren könne.532 Zugleich belegt die Vielzahl der nationalen Regelungen die differenzierende Beurteilung der Konventionsstaaten in den einzelnen, gesundheitsrechtlichen Bereichen.533 Von konkretisierten, bioethischen „Verfassungsprinzipien“ der Europäischen Union kann angesichts einer normativen Steuerung der humangenetischen Biomedizinvorschriften also nur schwerlich die Rede sein.534 Obgleich die Quantität der europäischen Menschen- und Biorechtsinstrumente beeindruckend ist, bleibt „deren fehlende Konkretisierung bedrückend“.535 Verstärkt wird dies durch den Umstand, dass sich die Bundesrepublik Deutschland weder international noch europarechtlich an juristische Vorgaben gebunden hat: Die grundlegenden Weichen stellt somit die nationale Verfassung und deren länderspezifische Ausgestaltung.536
531 EGMR, NJW 2009, S. 971 (974 f.); ferner NJW 2003, S. 2145 (2148); NJW 2008, S. 2013 (2015). 532 Vgl. Wollenschläger, MedR 2011, S. 21 (23 f.); ders., AöR 138 (2013), S. 15. 533 Soweit ersichtlich, existiert eine diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR bislang nicht; vgl. aber zur europarechtlichen Gestaltungsfreiheit: EGMR, NJW 2009, S. 971 (974 f.); ferner NJW 2003, S. 2145 (2148); NJW 2008, S. 2013 (2015); Wollenschläger, MedR 2011, S. 21 (23 f.); ders., AöR 138 (2013), S. 15. 534 In reproduktionstechnischem Kontext: Kersten, Klonen, S. 206. 535 Kersten, Klonen, S. 206. 536 Vgl. Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, S. 643 f.
3. Teil
Arzt-Patienten-Verhältnis § 6 Einfachgesetzlicher Rahmen der Genmedizin Mit dem Inkrafttreten des neuen Gendiagnostikgesetzes am 1. Februar 2010 hat der Gesetzgeber einer über 20 Jahre andauernden, rechtspolitischen Diskussion ein vorläufiges Ende gesetzt.1 Er nimmt sich dabei einer äußerst komplexen Problematik mit umfassendem Regelungsanspruch in sehr detaillierter Form an.2 In den nachfolgenden Überlegungen wird das Gendiagnostikgesetz (A.) vor dem Hintergrund des soeben entfalteten Grundrechtskonflikts zwischen Wissen und Nichtwissen auf seine grundlegenden Regelungen untersucht (I.), kontextualisiert (II.) und verfassungsrechtlich (III.) bewertet.
A. Gendiagnostische Wissensbalance Die jüngsten humangenetischen Entwicklungen seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms fordern den Gesetzgeber heraus: Mit der Möglichkeit, die Gene des Menschen unter den verschiedensten Gesichtspunkten zu analysieren, tritt neben datenschutzrechtliche und ethische Fragestellungen eine weitere Dimension.3 Die Besonderheit liegt darin, dass gendiagnostische Anwendungen nicht nur persönliche, zur Privatsphäre im engeren Sinne gehörende Daten erzeugen, verarbeiten oder speichern.4 Genmolekulare Informationen kommen vielmehr in einer Vielfalt vor, die ihnen eine neue Qualität 1 Siehe Kersten, 2. Teil, PersV (2011), S. 84 ff.; Scherrer, GenDG, S. 98 ff.; BGBl. 2009 I, S. 2529; Gesetzesbegründung: BT-Drs. 16/10532, Unterrichtung durch die Bundesregierung: BT-Drs. 16/10582; Beschlussempfehlung und Bericht des Gesundheitsausschusses an den Bundestag: BT-Drs. 16/12713; Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: BT-Drs. 16/12719, 16/12720; Entschließungsantrag der Fraktion der FDP: BT-Drs. 16/12745; Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke: BT-Drs. 16/12746; Beschluss des Bundesrates: BR-Drs. 374/09. 2 So auch Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, S. 644 f. 3 Vgl. Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, S. 640. 4 Vgl. zu informationstechnischem Systemen: BVerfG NJW 2008, S. 822 (826); Hornung, CR 2008, S. 303; Hömig, JURA 2009, S. 209.
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
verleiht.5 Dabei erfordern die technischen Vernetzungen und die damit verbundenen Möglichkeiten des heimlichen Eindringens in den Persönlichkeitsbereich des Einzelnen eine auf diese Spezifika abgestimmte Grundrechtsausprägung.6 Lässt sich die grundrechtliche Relevanz der erhobenen Daten vor oder bei der Datenerhebung nicht festmachen, und bestehen gleichwohl Anhaltspunkte für die Gefährdung eines überragend wichtigen Schutzgutes, so müssen geeignete Verfahrensvorschriften gefunden werden.7 Soweit es um die Aktivierung objektiv-rechtlicher Grundrechtsfunktionen8 geht, und diese nicht in der Auslegung und Anwendung geltender Normen bedeutsam sind, bedarf es einer entsprechenden Ausgestaltung.9 Neben Ge- und Verboten stehen hierfür Regelungen in Bezug auf Organisation und Verfahren offen:10 „Der Gesetzgeber hat durch geeignete Verfahrensvorschriften sicherzustellen, dass dann, wenn Daten mit Bezug zum Kernbereich privater Lebensgestaltung erhoben worden sind, die Intensität der Kernbereichsverletzung und ihre Auswirkungen für die Persönlichkeit und Entfaltung des Betroffenen so gering wie möglich bleiben.“11 Demnach entfaltet sich das Verhältnis von gendiagnostischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen im Verfahren. Die nachfolgende Darstellung erfordert also eine ausführliche Auslegung der einschlägigen Normen des Gendiagnostikgesetzes. I. Regelungen des deutschen Gendiagnostikgesetzes Insofern hat der Gesetzgeber die Problematik des Drittbezugs genetischer Information einfachgesetzlich in § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG gelöst (3.). Die im Folgenden beleuchtete Regelung erschließt sich aus dem gesetzlichen Regelungsziel (1.) sowie der Systematik des Gesetzes (2.). 1. Regelungsziele Mit dem Erlass eines eigenständigen Regelwerkes hat das Gendiagnostikgesetz die „Besonderheit genetischer Daten“12 anerkannt und die Bereiche 5 In Anlehnung an das Urteil des BVerfG zur Online Durchsuchung: BVerfG NJW 2008, S. 822 (827); siehe auch Hömig, JURA 2009, S. 209. 6 Siehe Hömig, JURA 2009, S. 209. 7 Vgl. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1020 f. 8 Siehe beispielsweise: BVerfGE 96, 56 (64). 9 So Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1013 f. 10 Vgl. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1013 f. 11 BVerfG NJW 2008, S. 822 f.; hier BVerfG Urteil v. 27.2.2008 – 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, Rn. 282. 12 Siehe hierzu auch Kap. § 3 C.
§ 6 Einfachgesetzlicher Rahmen der Genmedizin 177
der medizinischen Versorgung, der Abstammung, des Arbeitslebens und der Versicherungen spezifisch geregelt: „Das Gesetz geht von der Besonderheit genetischer Daten aus. Die mittels genetischer Untersuchungen gewonnen genetischen Informationen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie ihre Bedeutung über lange Zeiträume behalten. Sie können daher als persönliche identitätsrelevante Gesundheitsdaten mit hohem prädiktiven Potential verbunden sein und gegebenenfalls auch Informationen über Dritte (Verwandte) offenbaren. Angesichts der Erkenntnismöglichkeiten der Humangenetik ist ein besonderer Schutzstandard erforderlich, um die Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger adäquat zu schützen.“13 Das Gendiagnostikgesetz verfolgt also das Ziel, die Chancen des Einsatzes genetischer Untersuchungen für den Einzelnen zu wahren und zugleich möglichen Gefahren genetischer Diskriminierung vorzubeugen.14 § 1 GenDG definiert die ratio legis dahingehend, dass „Voraussetzungen für genetische Untersuchungen und im Rahmen genetischer Untersuchungen durchgeführte genetische Analysen sowie die Verwendung genetischer Proben und Daten [bestimmt] und eine Benachteiligung auf Grund genetischer Eigenschaften [verhindert werde], um insbesondere die staatliche Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Würde des Menschen und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu wahren“. a) Empowerment Angesichts des Wandels genetischer Information, der Drittwirkung und der Risiken eines gendiagnostischen Krankheits- und Therapieverständnisses15 soll das Gendiagnostikgesetz den Untersuchten insofern in den Stand setzen, genetische Entscheidungen informiert und selbstbestimmt treffen zu können:16 Die Regelungen zur Aufklärung, Einwilligung, genetischen Beratung und zum Arztvorbehalt dienen dazu, „dass die betroffenen Personen nicht unvorbereitet in eine Untersuchungssituation geraten.“17 Dabei integriert der Ansatz eines „bioethischen Empowerments“18 vier grundlegende Ziele, die es ermöglichen sollen, mit Diagnoseergebnissen angemessen umzugehen: „Erstens soll das Gendiagnostikgesetz hohe Qualitätsstandards bei genetischen Untersuchungen und Analysen sichern, zweitens die Sicher13 BT-Drs.
16/10532, S. 1. BT-Drs. 16/10532, S. 1, 16, 19; Hahn, in: Kern, GenDG, § 1, Rn. 1 ff.; Fenger, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 1 GenDG, Rn. 3 ff. 15 Siehe Kap. § 3. 16 Vgl. Kersten, 2. Teil, PersV (2011), S. 84 ff. 17 BT-Drs. 16/10532, S. 16. 18 Prägend: Kersten, 2. Teil, PersV (2011), S. 84 ff. 14 Vgl.
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
heit im Umgang mit genetischen Proben und Daten gewährleisten, drittens Benachteiligungen aufgrund genetischer Eigenschaften verhindern und viertens die Menschenwürde sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wahren.“19 b) Verbot genetischer Diskriminierung Unter diesen vier Prämissen kommt dem Benachteiligungsverbot in § 4 GenDG eine besondere Bedeutung zu: Niemand darf wegen seiner oder der genetischen Eigenschaften einer genetisch verwandten Person, wegen der Vornahme oder Nichtvornahme einer genetischen Untersuchung oder wegen des Ergebnisses einer solchen Untersuchung oder Analyse benachteiligt werden (§ 4 Abs. 1 GenDG).20 Mit dieser Regelung verfolgt der Gesetzgeber einen sehr weiten Schutzanspruch: Der Begriff der genetischen Eigenschaft soll gerade nicht der Art und Weise ihrer Bestimmung untergeordnet werden, sondern ist von ihr unabhängig.21 Als maßgeblich gestaltet sich dabei der spezielle Anknüpfungspunkt der Benachteiligung: Im Zusammenhang mit einer Manifestation wird eine Benachteiligung im Sinne des § 4 Abs. 1 GenDG jedenfalls „dann denkbar, wenn die festgestellte Erkrankung Rückschlüsse auf eine genetische Eigenschaft ermöglicht und diese wiederum Annahmen in Bezug auf andere zukünftige oder parallele Erkrankungen zulässt.“22 Demnach ermöglichen auch die Bestimmung des Blutzuckers, der Urinbestandteile oder des Salzgehaltes des Schweißes eine Diskriminierung aufgrund genetischer Eigenschaften.23 Neben dem wohl hauptsächlich anzutreffenden Fall, dass sich die Benachteiligung an den vermuteten genetischen des Benachteiligten selbst orientiert, erfasst die begriffliche Weite des § 4 Abs. 1 GenDG zudem verwandte Personen.24 „Wenn eine Diskriminierung dieser Art stattfindet, beruht diese regelmäßig [zwar] nur mittelbar 19 Siehe dazu auch die europarechtliche Reflexion in Kap. § 5 sowie die weiteren Ausführungen bei Kersten, 2. Teil, PersV (2011), S. 84; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 174 ff.; Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 2 ff. 20 Vgl. Kersten, 2. Teil, PersV (2011), S. 84 f.; BT-Drs. 16/10532, S. 19; Genenger, NJW 2010, S. 113 (114). Gleichwohl enthält § 4 Abs. 1 kein absolutes Gleichbehandlungsgebot, das jede Form von Ungleichbehandlung ausschließen würde, vgl. Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 4, Rn. 7; Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 83. 21 Vgl. Stockter, in: Prütting, Medizinrecht, § 4 GenDG, Rn. 32; Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 4, Rn. 2; Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 29. 22 Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 33. 23 Siehe Schmidtke, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin und Recht, S. 411; Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 31; Stockter, in: Prütting, Medizinrecht, § 3 GenDG, Rn. 20. 24 Vgl. Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 30 ff. (35).
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auf den Eigenschaften des Verwandten. Tatsächlich stützt sich diese jedoch auf die Annahme, dass die Dispositionen auch bei dem Betroffenen selbst vorliegen.“25 Gleichsam erschiene denkbar, dass bei einer Person eine genetische Untersuchung vorgenommen wird, die eine negative genetische Konstitution enthüllt: Sodann könnte der Einzelne infolge einer Vergleichsbetrachtung Rückschlüsse ziehen und seinen Angehörigen benachteiligen.26 Daher schützt § 4 Abs. 1 GenDG auch vor einer (Nicht)-Vornahme genetischer Analysen.27 Diese Variante des Verbots meint mitunter den Fall, dass jemand benachteiligt wird, weil er selbst eine genetische Untersuchung durchführen hat lassen – oder bereits die Vornahme eine genetische Belastung nahe legt.28 Umgekehrt könnte der Benachteiligte vermuten, dass lediglich jemand mit hoher Wahrscheinlichkeit einer ungünstigen genetischen Disposition an einem Gentest kein Interesse zeigt.29 Indem also die vielfältigsten Alternativen von Wissen und Nichtwissen einer betroffenen Person und ihrer genetisch verwandten Familienmitglieder umfasst sind, darf der Mensch im Hinblick auf seine gesundheitliche Konstitution nicht „auf das bloße genetische Substrat“ reduziert werden.30 Niemand darf wegen der Befürchtung einer Benachteiligung in seiner höchstpersönlichen Entscheidung, eine genetische Untersuchung vornehmen zu lassen, beeinflusst werden.31 Gerade im diagnostisch-therapeutischen Bereich soll das Gendiagnostikgesetz also die „Chancen des Einsatzes genetischer Untersuchungen“ wahren und zugleich einhergehenden Gefahren begegnen.32 25 Reuter,
in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 30. Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 36. 27 Zum Recht auf Nichtwissen eingehend: Duttge, DuD 2010, S. 34 ff.; restriktiv Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 41: „Hingegen schützt das Verbot der Benachteiligung wegen der Vornahme einer genetischen Untersuchung/Analyse nicht das Recht auf Nichtwissen.“ A. A. Stockter, in: Prütting, Medizinrecht, § 4 GenDG, Rn. 74. 28 Vgl. Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 41 ff., der dies an folgendem Beispiel verdeutlicht: „Würden durch Richtlinien des G-BA (§ 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 i. V. m. § 25 SGB V) zukünftig auch genetische Untersuchungen als Gesundheitsuntersuchungen (Früherkennung) anerkannt, könnte dies i. V. m. § 62 Abs. 1 S. 3 SGB V eine im Rahmen von § 4 Abs. 1 [GenDG] zu berücksichtigende und rechtfertigungsbedürftige Benachteiligung begründen.“ Bislang dürfen die Krankenkassen nach § 65a SGB V den Versicherten lediglich einen Bonus für die regelmäßige Teilnahme an Gesundheitsuntersuchungen gewähren, vgl. Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 41. 29 So auch BT-Drs. 16/10532, S. 23 ff. (36); Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 41; zum Recht auf Nichtwissen in diesem Kontext: Duttge, DuD 2010, S. 34 ff. 30 Vgl. BT-Drs. 16/10532, S. 23; Kersten, 2. Teil, PersV (2011), S. 84 f. 31 Siehe BT-Drs. 16/10532, S. 23; Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 41; so auch Kersten, 2. Teil, PersV (2011), S. 84 f. 32 Vgl. BT-Drs. 16/10532, S. 1; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 174 f.; den zentralen Ansatzpunkt dieser Begründung bilden insofern die spezifischen Charakte26 Siehe
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
2. Regelungsgegenstände Der Anwendungsbereich des Gendiagnostikgesetzes umfasst genetische Untersuchungen und im Rahmen genetischer Untersuchungen durchgeführte genetische Analysen bei geborenen Menschen sowie bei Embryonen und Föten während der Schwangerschaft und den Umgang mit dabei gewonnenen genetischen Proben und genetischen Daten bei genetischen Untersuchungen zu medizinischen Zwecken, zur Klärung der Abstammung sowie im Versicherungsbereich und im Arbeitsleben (§ 2 Abs. 1 GenDG). In seiner Konkretisierung gliedert sich der Gesetzestext in allgemeine Vorschriften (§§ 1–6 GenDG), in Regelungsgegenstände über genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken (§§ 7–16 GenDG), genetische Untersuchungen zur Klärung der Abstammung (§ 17 GenDG) sowie Gendiagnostik im Versicherungsbereich (§ 18 GenDG) und Arbeitsleben (§ 19–22 GenDG). Dabei werden besondere Aufklärungs-, Einwilligungs- und Beratungspflichten sowie ein eigens geregelter Arztvorbehalt für genetische Untersuchungen (§ 7 ff. GenDG) in der Systematik des Gesetzes entfaltet. Der wissenschaftlichen Dynamik Rechnung tragend, sind die Regelungen durch die Richt linien der Gendiagnostik-Kommission (§ 23 GenDG) konkretisiert.33 Sanktionen erfolgen nach den Straf- und Bußgeldvorschriften gemäß §§ 25, 26 GenDG.34 3. Genetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken Als genetische Untersuchung bei Menschen ist gemäß § 3 Nr. 7 a bis d GenDG eine „genetische Untersuchung mit dem Ziel der Abklärung einer bereits bestehenden Erkrankung oder gesundheitlichen Störung, der Abklärung, ob genetische Eigenschaften vorliegen, die zusammen mit der Einwirkung bestimmter äußerer Faktoren oder Fremdstoffe eine Erkrankung oder gesundheitliche Störung auslösen können. Weitere Diagnostikzwecke sind die Abklärung, ob genetische Eigenschaften vorliegen, die die Wirkung eines Arzneimittels beeinflussen können, oder die Abklärung, ob genetische Eigenschaften vorliegen, die den Eintritt einer möglichen Erkrankung oder ristika genetischer Daten: Die Aussagekraft bleibt aufgrund von Wahrscheinlichkeiten oftmals relativ, so dass sich der prädiktive Charakter genetischer Untersuchungen auch auf den Krankheitswert der Erkrankung erstreckt, vgl. Reuter, in: Kern, GenDG, § 4, Rn. 52 ff. 33 Vgl. BT-Drs. 16/10532, S. 24. 34 Ergänzend zu diesen bereichsspezifischen Regelungen findet das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) oder das jeweilige Landesdatenschutzgesetz insoweit Anwendung, als dieses Gesetz keine oder keine abschließende Regelung trifft (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BDSG), siehe BT-Drs. 16/10532, S. 16.
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gesundheitlichen Störung ganz oder teilweise verhindern können“ (diagnostische genetische Untersuchung).35 So stellt die Bestimmung des Cholesterin-Wertes im Blut als Maßnahme des individuellen Gesundheitsscreenings noch keine genetische Analyse im Sinne des Gendiagnostikgesetzes dar: Sie ermittelt lediglich den augenblicklichen Wert der zugrunde liegenden Konstitution.36 Zudem kann ein erhöhter Cholesterin-Wert auch maßgeblich durch exogene Faktoren, wie beispielsweise eine unausgewogene Ernährung, bedingt sein.37 Anders wäre die Situation jedoch zu beurteilen, wenn eine molekularbiologische Analyse aufgrund einer familiären Disposition im Rahmen einer autosomal dominant vererbten familiären Hypercholesterinämie ADH durchgeführt würde: In diesem Falle wäre die dem Cholesterin-Wert zugrunde liegende genetische Disposition Ziel der Analyse.38
Zu den genetischen Analysen bei Menschen zählen darüber hinaus genetische Untersuchungen nach § 3 Nr. 8 a bis b GenDG „mit dem Ziel der Abklärung einer erst zukünftig auftretenden Erkrankung oder gesundheit lichen Störung oder einer Anlageträgerschaft für Erkrankungen oder gesundheitliche Störungen bei Nachkommen“ (prädiktive genetische U ntersuchung). Ausgenommen vom Anwendungsbereich sind hingegen genetische Untersuchungen und Analysen sowie der Umgang mit genetischen Proben und Daten zu Forschungszwecken (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 GenDG). Der Gesetzgeber differenziert also zwischen diagnostischen und prädiktiven Untersuchungen, um dem unterschiedlichen Aussagepotenzial Rechnung zu tragen.39 In der Regel sichern diagnostische Genanalysen klinischer Verdachtsmomente in den Phasen ab, in denen es gilt, behandlungsspezifische Handlungen und Entscheidungen abzuwägen. Prädiktive Tests hingegen werden zumeist bei zum Untersuchungszeitpunkt gesunden Personen durchgeführt – und sind somit häufiger mit informationellen Konfliktpotenzialen behaftet: In der Regel kann nicht mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden, ob sich die Erkrankung in ihrem späteren Verlauf überhaupt mani35 In Bezug auf die Wirkung von Arzneimitteln: „Patienten, die an der gleichen Krankheit leiden, können auf ein[-] und dasselbe Medikament […] unterschiedlich reagieren: Während einige Patientin […] darauf ansprechen (sog[.] Responder), zeigen andere […] keine Reaktion (sog[.] Non-Responder oder Fast Metabolizer).“ So bauen manche Patienten das Medikament beispielsweise zu schnell ab oder entwickeln schwerwiegende Nebenwirkungen im Rahmen einer langsameren Verstoffwechselung des Wirkstoffes (sog. Poor Metabolizer). Pharmakogenetische Analysen dienen dabei der Unterscheidung genetischer Polymorphismen, die die Wirksamkeit beeinflussen, vgl. Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 3, Rn. 39. 36 Vgl. Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 3, Rn. 6. 37 So auch Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 3, Rn. 6. 38 Siehe Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 3, Rn. 6. 39 Vgl. Scherrer, GenDG S. 177 f.; Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, S. 646 ff.
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
festieren wird – und freilich umso weniger, zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Schweregrad.40 a) Aufklärung und Einwilligung Wie bereits herausgestellt wurde, bedarf die Durchführung eines Gentests als Eingriff in die Integrität der getesteten Person einer Rechtfertigung: „Das wichtigste Instrument, um die Freiwilligkeit der Inanspruchnahme von Gentests […] zu garantieren, ist das medizinethische Prinzip des informed consent. An diesen sind im Zusammenhang genetischer Diagnostik besondere […] Anforderungen zu stellen.“41 Insofern ist der Patient vor der Durchführung einer genetischen Untersuchung und der Einholung einer erforderlichen Einwilligung über Wesen, Bedeutung und Tragweite der Diagnostik zu informieren (§ 9 Abs. 1 S. 1 GenDG). Er ist dabei im Besonderen über „Zweck, Art, Umfang und Aussagekraft der genetischen Untersuchung einschließlich der mit dem vorgesehenen genetischen Untersuchungsmittel im Rahmen des Untersuchungszwecks erzielbaren Ergebnisse“ aufzuklären (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 GenDG). Dazu gehören die Bedeutung der zu untersuchenden genetischen Eigenschaften für eine Erkrankung oder gesundheitliche Störung sowie die Möglichkeiten, sie zu vermeiden, ihr vorzubeugen oder sie zu behandeln (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 GenDG). Vornehmlich ist auf gesundheitliche Risiken, die 40 Vgl. Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, S. 646 ff.; um den besonderen Anforderungen genetischer Testsituationen gerecht zu werden, ist eine entsprechende Qualität der Durchführung zu gewährleisten. Der Gesetzgeber stellt daher die genetischen Untersuchungen in § 7 Abs. 1 Alt. 1 unter einen einfachen Arztverhalt: „Eine diagnostische genetische Untersuchung darf nur durch Ärztinnen und Ärzte […] vorgenommen werden.“ Für prädiktive genetische Untersuchungen geht das Gendiagnostikgesetz noch einen Schritt weiter und fordert einen sog. qualifizierten Arztvorbehalt (§ 7 Abs. 1 Alt. 2 GenDG). Demnach sind nur Fachärztinnen oder Fachärzte für Humangenetik zugelassen – ebenso wie Ärzte, die sich für den Erwerb einer Facharzt-, Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnung für genetische Untersuchungen im Rahmen ihres Fachgebietes entsprechend qualifiziert haben. Diese besondere Qualifikationsanforderung soll nicht zuletzt ein tiefergehendes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient sicherstellen, vgl. auch diesbezüglich die Ausführungen der Bundesärztekammer, Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik; Deutsches Ärzteblatt 100 (2003), A 1297 ff. 41 BT-Drs. 14/9020, S. 133, auch der Bundesärztekammer zufolge ist auf das Prinzip des informed consent abzustellen: „Nur wenn der Patient über die Aussagekraft des Testverfahrens und die möglichen Konsequenzen eines Befundes sachgerecht informiert ist, kann er eigenverantwortlich von seinem Recht auf Wissen oder Nichtwissen Gebrauch machen und eine nach seinem Dafürhalten richtige Entscheidung treffen.“ Bundesärztekammer, Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik; Deutsches Ärzteblatt 100 (2003), A 1297 ff.
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mit der Kenntnis des Ergebnisses der genetischen Untersuchung und der Gewinnung der dafür erforderlichen genetischen Probe für die betroffene Person verbunden sind, hinzuweisen. Bei Schwangeren muss allerdings auch über gesundheitliche Risiken aufgeklärt werden, die mit der vorgeburtlichen genetischen Untersuchung und der Gewinnung der dafür erforder lichen genetischen Probe für den Embryo oder Fötus verbunden sind (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 GenDG). Bis zur Entscheidung über eine etwaige Einwilligung ist dem zu Untersuchenden eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen (§ 9 Abs. 1 S. 2 GenDG). Dabei soll dem Patienten bewusst sein, die Einwilligung jederzeit widerrufen zu können (§ 9 Abs. 2 Nr. 4. GenDG). Darüber hinaus umfasst die Aufklärung nach § 9 Abs. 2 Nr. 5 GenDG nicht nur ein Recht auf Nichtwissen einschließlich des Rechts, das Untersuchungsergebnis oder Teile davon nicht zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch ein Recht, genetische Informationen vernichten zu lassen. Die Vorbereitung der Einwilligung hat dabei durch die „verantwortliche ärztliche Person“ entsprechend der allgemeinen Anforderungen der ärztlichen Aufklärung42 und nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft und Technik zu erfolgen (§ 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 GenDG). b) Genetische Beratung Im Falle einer diagnostischen genetischen Untersuchung ist eine genetische Beratung anzubieten, sobald ein Untersuchungsergebnis vorliegt (§ 10 Abs. 1 GenDG). Diese Beratung soll ergebnisoffen und in allgemein verständlicher Form erfolgen. Sie zielt darauf ab, medizinische, psychische und soziale Fragen mit der betroffenen Person zu erörtern und sie bei der Interpretation der Testergebnisse sowohl physisch als auch psychisch zu unterstützen (§ 10 Abs. 3 S. 2 GenDG). Daher darf die diagnostische genetische Beratung nach der Untersuchung auch nur von Fachärztinnen oder Fachärzten für Humangenetik oder demgemäß qualifizierten Personen vorgenommen werden (§ 10 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 und Abs. 3 GenDG). Ferner muss die jeweilige Person im Falle einer prädiktiven genetischen Analyse nicht nur vor der Untersuchung, sondern auch nach Vorliegen der Ergebnisse genetisch beraten werden (§ 10 Abs. 2 S. 1 GenDG). Auch diese Beratung hat gemäß § 10 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 und Abs. 3 GenDG durch Ärzte, die den Anforderungen des qualifizierten Arztvorbehalts genügen, zu erfolgen. Der betroffenen Person ist eine angemessene Bedenkzeit zwischen Beratung und Untersuchung einzuräumen (§ 10 Abs. 2 S. 2 42 Vgl. dazu auch das im Jahr 2013 in Kraft getretene Patientenrechtegesetz und die diesbezüglich einschlägigen Vorschriften der §§ 630 c ff. BGB.
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
GenDG). Dabei sollen die zusätzlichen Beratungserfordernisse der Freiwilligkeit und Eigenbestimmtheit der Entscheidung des Einzelnen Rechnung tragen.43 Anders als bei akuten Krankheiten besteht in der prädiktiven Diagnostik meist kein dringender Handlungsbedarf, sondern vielmehr die Notwendigkeit einer tiefergehenden psychologischen und sozialen Beratung.44 c) Information, Geheimhaltung und Vernichtung Genetische Daten sind „sensible Daten“.45 Folglich enthält das Gendiagnostikgesetz besondere Bestimmungen zum Schutz genetischer Information und konkretisiert insoweit die allgemeinen Vorschriften der Datenschutzgesetze sowie der ärztlichen Schweigepflicht.46 So darf das Ergebnis einer genetischen Untersuchung nur der jeweiligen Person und dabei ausschließlich durch die verantwortliche ärztliche Person oder die Ärztin bzw. den Arzt, die die genetische Beratung durchgeführt haben, mitgeteilt werden (§ 11 Abs. 1 GenDG). Hat sich der Patient nach § 8 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 8 Abs. 1 S. 2 GenDG jedoch dazu entschieden, das Ergebnis des Gentests zu vernichten oder die Einwilligung nach § 8 Abs. 2 GenDG zu widerrufen, so darf das Ergebnis gemäß § 11 Abs. 4 GenDG nicht mitgeteilt werden. Andere Personen als der Betroffene können über das Untersuchungsergebnis lediglich mit ausdrücklicher und zugleich schriftlicher Einwilligung des Patienten informiert werden (§ 11 Abs. 3 GenDG). 4. Wissen und Nichtwissen Wie bereits mehrfach angeklungen ist, ermöglicht es der Drittbezug genetischer Diagnostik auf Krankheitsveranlagungen von Verwandten zu schließen. Er verlangt daher nach einem Ausgleich der Interessen von Wis43 Siehe 44 Vgl.
Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, S. 647. Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, S. 647; Kern, in: Kern, GenDG, § 10,
Rn. 13. 45 Vgl. Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, S. 647; aber Abschlussbericht der BundLänder-Arbeitsgruppe „Genomanalyse“, BAnz 1990 Nr. 161a v. 29.8.1990, S. 13: „Für die Schutzwürdigkeit der Daten kommt es in erster Linie auf die Eigenart der Daten an, nicht auf die Methoden ihrer Erhebung. So gibt es auch Daten, die nicht oder nicht allein durch Genomanalyse zu gewinnen sind, die aber schutzwürdiger sein können als konkrete, durch Genomanalyse erhobene Befunde.“ § 3 Abs. 9 GenDG spricht von einer besonderen Art personenbezogener Daten. 46 Siehe § 203 StGB; ergänzend zu diesen bereichsspezifischen Regelungen findet das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) oder das jeweilige Landesdatenschutzgesetz insoweit Anwendung, als dieses Gesetz keine oder keine abschließende Regelung trifft (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BDSG), siehe BT-Drs. 16/10532, S. 16.
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sen, Nichtwissen, Informiertheit und Verschwiegenheit.47 In seiner Lösung zum Gendiagnostikgesetz hat der Gesetzgeber dabei dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung einen hohen Stellenwert eingeräumt: Zum einen wird dies anhand der gesetzgeberischen Zweckbestimmung gemäß § 1 GenDG deutlich. Zum anderen normieren § 9 Abs. 2 Nr. 5 GenDG und § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GenDG ein Recht auf Nichtwissen dahingehend, dass der Betroffenen Untersuchungsergebnisse nicht zur Kenntnis nehmen muss und ein Versicherer vom Versicherten weder vor noch nach Abschluss eines Versicherungsvertrages die Vornahme genetischer Analysen verlangen darf.48 Im Gegensatz dazu hat sich der deutsche Gesetzgeber im Falle familiärer Interessenkonflikte, die auf den Drittbezug genetischer Information zurückzuführen sind, für einen „Mittelweg“ entschieden: Die Generierung von Daten über Dritte steht dabei einer Zulässigkeit genetischer Analysen nicht entgegen.49 Zwar verwehrt § 11 Abs. 1 GenDG dem Arzt, das Ergebnis einer Genanalyse anderen Personen ohne ausdrückliche oder schriftliche Einwilligung mitzuteilen. Zugleich konstatiert § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG aber eine sog. „Empfehlung zur Empfehlung“: Wenn also anzunehmen ist, dass genetisch Verwandte Träger der zu untersuchenden Eigenschaften mit Bedeutung für eine vermeidbare oder behandelbare Erkrankung oder gesundheitliche Störung sind, umfasst die genetische Beratung auch die Empfehlung, diesen Verwandten eine genetische Beratung zu empfehlen.50 Dadurch werde – so der Gesetzgeber – sowohl das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Pa tienten als auch der potentiell betroffenen Person gewahrt.51 Bezogen auf Erbkrankheiten, die beispielweise monogen oder durch Chromosomenaberrationen bedingt sind, bedeutet dies, dass weder eine Pflicht zur Information des mitbetroffenen Verwandten oder ein Informationsrecht noch ein Verbot der Weitergabe im Interesse des Rechts auf Nichtwissen besteht.52 II. Kontextualisierung Bevor die komplexe Frage, welcher Bewertung sich diese Konfliktlösung des deutschen Gesetzgebers verfassungsrechtlich unterzieht (III.), beantwortet werden kann, drängt sich eine differenzierende Analyse auf, die alternative Parallelregelungen anderer Staaten (1.) prüft und sodann konkrete Anweisungen für die klinische Praxis (2.) erhellt. BT-Drs. 16/10532, S. 16; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 175 ff. Heyers, MedR 2009, S. 507 (509). 49 Siehe auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 175 f. 50 Vgl. Schlussbericht der Enquete-Kommission, BT-Drs. 14/9020, S. 168. 51 Vgl. BT-Drs. 16/10532, S. 29. 52 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 175 ff. 47 Vgl. 48 Vgl.
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
1. Rechtsvergleich Der Blick über die Grenzen Deutschlands hinweg zeigt indes, dass die Lösung des deutschen Gesetzgebers auf Vorbilder und Entsprechungen verweisen kann, gleichwohl aber nicht die einzig praktizierte Möglichkeit ist.53 Im Folgenden seien daher Regelungsalternativen anderer Länder beleuchtet.54 a) Österreich In Österreich existiert seit 1994 ein Gentechnikgesetz (GTG), das im Unterschied zum deutschen Gentechnikgesetz sowohl Genanalyse als auch Gentherapie einschließt (§§ 64–79 GTG). Das Gentechnikgesetz unterscheidet vier verschiedene Typen genetischer Untersuchungen: • „Typ 1 dient der Feststellung einer bestehenden Erkrankung, der Vorbereitung einer Therapie oder Kontrolle eines Therapieverlaufs und basiert auf Aussagen über konkrete somatische Veränderung von Anzahl, Struktur, Sequenz oder deren konkrete chemische Modifikationen von Chromosomen, Genen oder DNA-Abschnitten. • Typ 2 dient der Feststellung einer bestehenden Erkrankung, welche auf einer Keimbahnmutation beruht. • Typ 3 dient der Feststellung einer Prädisposition für eine Krankheit, insbesondere der Veranlagung für eine möglicherweise zukünftig ausbrechende genetisch bedingte Erkrankung oder Feststellung eines Überträgerstatus, für welche nach dem Stand von Wissenschaft und Technik Prophylaxe oder Therapie möglich sind. • Typ 4 dient der Feststellung einer Prädisposition für eine Krankheit, insbesondere der Veranlagung für eine möglicherweise zukünftig ausbrechende genetisch bedingte Erkrankung oder Feststellung eines Überträgerstatus, für welche nach dem Stand von Wissenschaft und Technik keine Prophylaxe oder Therapie möglich sind.“55 Maßgeblich für prädiktive Untersuchungen ist dabei eine Legaldefinition, die zwischen therapierbaren und nicht-therapierbaren Erkrankungen unterscheidet.56 In den Parallelregelungen des deutschen Gendiagnostikgesetzes 53 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 178 ff.; Corinth, Schweigepflicht, S. 160 ff. 54 Vgl. Corinth, Schweigepflicht, S. 160 ff.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 178 ff. 55 § 65 GTG, siehe https://www.jusline.at/65_Genetische_Analysen_am_Men schen_zu_medizinischen_Zwecken_GTG.html [letzter Aufruf am 25.01.2015]. 56 Vgl. § 65 Nr. 3 und 4 GTG; Scherrer, GenDG, S. 156 ff.
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findet sich hierzu keine Entsprechung.57 Weiter umfasst das österreichische Gentechnikgesetz zwar pränatale Untersuchungen.58 Eine gesonderte Würdigung, die mit den gendiagnostischen Vorschriften vergleichbar wäre, existiert gleichermaßen nicht.59 Den Kern der Regelungen bildet das Selbstbestimmungsrecht der Testperson in Form des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Demnach werden genetische Analysen insoweit reguliert, als dass genetische Analysen für wissenschaftliche Zwecke sowie zur Ausbildung zulässig sind (§ 66 GTG).60 Zum Schutz des individuellen Selbstbestimmungsrecht bedarf es dabei einer ausdrücklichen und schriftlichen Zustimmung des Probenspenders oder einer anonymisierten Probe (§ 66 Abs. 1 S. 1 GTG). Die zuvor notwendige Aufklärung über Wesen, Tragweite und Aussagekraft der Genanalyse muss von einem in Humangenetik / medizinischer Genetik ausgebildeten Facharzt oder einem für das Indikationsgebiet zuständigen Facharzt durchgeführt werden (§ 69 Abs. 1 S. 1 GTG). Auch dürfen Ergebnisse aus genetischen Analysen gemäß § 66 Abs. 2 GTG nur dann vernetzt oder veröffentlicht werden, wenn geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass der Probenspender nicht bestimmbar ist. Darüber hinaus gibt § 70 GTG Aufschluss, wie mit genetischen Daten, die auch Verwandte betreffen können, umzugehen ist: So hat der Arzt, der die Gendiagnostik veranlasst, „der untersuchten Person zu empfehlen, ihren möglicherweise betroffenen Verwandten zu einer humangenetischen Untersuchung und Beratung zu raten,“ wenn zur Beurteilung des Ergebnisses einer genetischen Analyse die Einbeziehung von Verwandten der untersuchten Person erforderlich ist – oder wenn anzunehmen ist, dass eine ernste Gefahr einer Erkrankung von Verwandten der untersuchten Person besteht (§ 70 Nr. 1 und 2 GTG). Auf diese Weise räumt der österreichische Gesetzgeber – ebenso wie der deutsche – den Geheimhaltungsinteressen des Patienten einen hohen Stellenwert ein.61 Im Gleichlauf zu § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG beschränkt er sich für den Fall einer familiären Gendisposi tion auf eine Weiterempfehlung durch den Arzt, der die Letztentscheidung hinsichtlich der Information mitbetroffener Verwandter bei dem Einzelnen belässt.62 Scherrer, GenDG, S. 157. Scherrer, GenDG, S. 157. 59 Vgl. zu den vorgeburtlichen genetischen Untersuchungen: § 15 GenDG sowie Kap. § 6 B.; des Weiteren Scherrer, GenDG, S. 157 f. 60 Im Gegensatz zum deutschen Gendiagnostikgesetz, das genetische Untersuchungen zu Forschungszwecken ausschließt, vgl. auch Scherrer, GenDG, S. 157 f. 61 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 178 ff. 62 Siehe auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 178 ff. 57 Siehe 58 Siehe
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
b) Schweiz Demgegenüber gilt in der Schweiz das Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG). Das GUMG bestimmt die Voraussetzungen, unter denen genetische Untersuchungen beim Menschen in den Bereichen Medizin, Arbeit, Versicherung und Haftpflicht veranlasst werden dürfen (Art. 1 S. 1 GUMG). Nicht anwendbar ist das Gesetz über genetische Untersuchungen hingegen zu Forschungszwecken.63 Eine Ausnahme hierzu bildet jedoch Art. 20 S. 2 GUMG: „Genetische Untersuchungen zu Forschungszwecken dürfen an biologischem Material, das zu anderen Zwecken entnommen worden ist, durchgeführt werden, sofern die Anonymität der betroffenen Person gewährleistet ist und diese oder, falls sie urteilsunfähig ist, ihr gesetzlicher Vertreter über ihre Rechte informiert worden ist und die Weiterverwendung zu Forschungszwecken nicht ausdrücklich untersagt.“ Ziel des schweizerischen Gesetzgebers ist, die Menschenwürde und die Persönlichkeit zu schützen, missbräuchliche genetische Untersuchungen und die missbräuchliche Verwendung genetischer Daten zu verhindern und zugleich die Qualität der genetischen Untersuchungen und der Interpretation ihrer Ergebnisse sicherzustellen (Art. 2 lit. a. bis c GUMG). So ist eine genetische Untersuchung im medizinischen Bereich nur in den Fällen zulässig, in denen sie einem medizinischen Zweck dient, und zugleich das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gewahrt bleibt. Daher kann eine genetische Untersuchung nur nach einer grundlegenden Aufklärung und Zustimmung des Probanden (Art. 5 GUMG) und auf Veranlassung der Ärzte durchgeführt werden (Art. 13 S. 1 GUMG). Wie bereits in den Regelungen des deutschen Gendiagnostikgesetzes ist auch in der Schweiz jeglicher Art genetischer Diskriminierung vorzubeugen (Art. 4 GUMG). Dennoch verfolgt der schweizerische Gesetzgeber im Gegensatz zur deutschen oder österreichischen Lösung einen anderen Ansatz, um drittbezogene Genkonflikte zu vermeiden. So darf der Arzt das Ergebnis einer genetischen Untersuchung mit ausdrücklicher Zustimmung der betroffenen Person (oder ihres gesetzlichen Vertreters) auch den Verwandten, der Ehegattin oder dem Ehegatten, der Partnerin oder Partner mitteilen (Art. 19 S. 2 GUMG).64 Wird diese Zustimmung jedoch verweigert, so kann der Arzt die Entbindung von seinem strafrechtlich sanktionierten Berufsgeheimnis beantragen, „sofern die Information der Verwandten oder der Partnerin oder des Partners 63 Soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht, siehe § 1 S. 3 GUMG; diesbezügliche Regelungen finden sich im Bundesgesetz über die Forschung am Menschen (Humanforschungsgesetz, HFG). 64 Vgl. Damm, MedR 1999, S. 444.
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zur Wahrung überwiegender Interessen notwendig ist“.65 Art 19 S. 3 GUMG normiert dies wie folgt: „Wird die Zustimmung [zu einer genetischen Untersuchung] verweigert, so kann die Ärztin oder der Arzt bei der zuständigen kantonalen Behörde nach Artikel 321 Ziffer 2 des Strafgesetzbuchs die Entbindung vom Berufsgeheimnis beantragen, sofern dies zur Wahrung überwiegender Interessen der Verwandten, der Ehegattin oder des Ehegatten, der Partnerin oder des Partners notwendig ist. Die Behörde kann die Expertenkommission für genetische Untersuchungen beim Menschen um Stellungnahme ersuchen.“ Demnach kann sich ein Arzt im Ausnahmefall und unter Wahrung prozessualer Verfahrensvorschriften über seine grundsätzlich bestehende Schweigepflicht nach Art. 19 S. 1 GUMG hinwegsetzen.66 Gleichwohl bleibt zu betonen, dass diese Auslegung nur das Verhältnis zwischen Arzt und Patient meint und das familiäre Beziehungsgeflecht zunächst unberührt lässt.67 Zur Lösung einer möglichen innerfamiliären Konfliktsituation beinhaltet Art. 6 GUMG68 einen weiteren Ansatz, indem die Erleichterung der Schweigepflicht nur für den Einzelfall besteht, wenn bei der Weitergabe der Information gleichermaßen dem Recht auf Nichtwissen eines Dritten Rechnung getragen werden kann.69 c) Frankreich Desgleichen zielt der französische Code de la santé publique70 auf eine Information der Familienmitglieder ab: Die 2011 novellierte Regelung des Art. L1131-1-2 verpflichtet den Arzt zunächst, vor der Untersuchung auf das Risiko eines Schweigens gegenüber Verwandten hinzuweisen (Unterabsatz 2).71 Darüber hinaus normiert Art. L1131-1-2 Uabs. 3 eine Informa tionspflicht des Patienten gegenüber seinen Angehörigen: „La personne est Art 19 S. 3 GUMG; Damm, MedR 1999, S. 444. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 178 ff. 67 Siehe Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 178 ff.; Rieder, Genetische Untersuchung und Persönlichkeitsrecht, S. 204. 68 Art. 6 S. 1 GUMG: „Jede Person hat das Recht, die Kenntnisnahme von Informationen über ihr Erbgut zu verweigern.“ 69 A. A.: Rieder, Genetische Untersuchung und Persönlichkeitsrecht, S. 204: Dort wird eine restriktive Handhabung im Interesse der informationellen Selbstbestimmung des Patienten vertreten; demgegenüber zustimmend: Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 178 ff. 70 LOI n° 2011-814 du juillet 2011 – Art. 2. Allgemeine Regelungen der Gen diagnostik regelt Art. 16-10 bis 16-13 des Code civil den Themenkomplex „De l’examen des caractéristiques génétiques d’une personne et de l’identification d’une personne par ses empreintes génétiques“; vgl. auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 15 ff. 71 Weitere Ausführungen u. a. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 15 ff. 65 Vgl. 66 Vgl.
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
tenue d’informer les membres de sa famille potentiellement concernés dont elle ou, le cas échéant, son représentant légal possède ou peut obtenir les coordonnées, dès lors que des mesures de préventions ou de soins peuvent leur être proposées.“ Voraussetzung hierfür ist, dass die betreffende Person oder ihr rechtlicher Vertreter über die Kontaktdaten des Angehörigen ver fügen. Ist der Patient dennoch außerstande, die möglicherweise genetisch disponierten Verwandten zu informieren, so sieht Unterabsatz 4 für diesen Fall eine weiterreichende Informationspflicht des Arztes vor: „Si la personne ne souhaîte pas informer elle-même les membres de sa famille potentiellement concernés, elle peut demander par un document écrit au médecin prescripteur, qui atteste de cette demande, de procéder à cette information. Elle lui communique à cette fin les coordonnées des intéressés dont elle dispose. Le médecin porte alors à leur connaissance l’existence d’une information médicale à caractère familial susceptible de les concerner et les invite à se rendre à une consultation de génétique, sans dévoiler ni le nom de la personne ayant fait l’objet de l’examen, ni l’anomalie génétique, ni les risques qui lui sont associés.“ In diesem Falle ist eine schriftliche Anfrage unter Angabe der familiären Kontaktdaten an den Arzt zu richten. Der Arzt soll dem jeweiligen Familienmitglied sodann die Möglichkeit einer genetischen Familienerkrankung überbringen, ohne ihm jedoch den Namen der untersuchten Person, die genetische Anomalie oder auch die Risiken mitzuteilen. Auf diese Weise sucht der französische Gesetzgeber zu gewährleisten, dass auch der mitbetroffene Angehörige sein Recht auf (informationelle) Selbstbestimmung unabhängig und eigenständig wahrnehmen kann. Hinsichtlich der rechtlichen Konsequenzen einer gleichwohl unterbliebenen Information durch den Patienten ist schließlich von Bedeutung, dass im Zuge der Novellierung der frühere Haftungsausschluss des Art. 1131-1 UAbs. 5 gestrichen wurde.72 d) USA In den Vereinigten Staaten von Amerika führte der genetische Gesetzgebungsprozess zum Erlass des Genetic Information Nondiscrimination Act.73 Bis 2008 existierten in den einzelnen amerikanischen Bundesstaaten ver72 Art. 1131-1 UAbs. 5 Code de la santé publique lautete: „Le fait pour le patient de ne pas transmettre l’information relative à son anomalie génétique dans les conditions prévues au troisième alinéa ne peut servir de fondement à une action en responsabilité à son encontre.“ Mit weiteren Hinweisen Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 180 ff. 73 Siehe http://www.eeoc.gov/laws/statutes/gina.cfm [letzter Aufruf am 25.01. 2015]; ausführlich siehe Scherrer, GenDG, S. 171 f.
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schiedene Gesetze, die die Grundlagen genetischer Informationsverarbeitung festsetzen.74 In diesem multiplen Rechtsgeflecht sollte der Genetic Information Nondiscrimination Act einen für alle Staaten geltenden Mindeststandard garantieren.75 „The statute’s […] is […] proposing not only ‚to fully protect the public from discrimination‘ but also to ‚allay their concerns about the potential for discrimination, thereby allowing individuals to take advantage of genetic testing, technologies, research and new therapies.‘ “76 In Abkehr zu den einzelstaatlichen Regelungen adressiert er zentrale Vorschriften für den Einsatz genetischer Untersuchungen in arbeits- sowie versicherungsrechtlichem Kontext.77 Die besonderen Regelungen zur Prävention genetischer Diskriminierung verdeutlichen dabei das von gendiagnostischer Information ausgehende (Gefahren)-Potenzial.78 Im Unterschied zur deutschen Gesetzgebung ist jedoch bemerkenswert, dass der amerikanische Genetic Information Nondiscrimination Act auch familiäre Gentests von Angehörigen in die Legaldefinition der „genetischen Information“ einschließt.79 In general: „The term ‚genetic information‘ means, with respect to any individual, information about (i) such individual’s genetic tests, (ii) the genetic tests of family members of such individual, and (iii) the manifestation of a disease or disorder in family members of such individual.“ (Sec. 201 (4)(A) GINA 2008). Insoweit erfasst der Genetic Information Nondiscrimination Act auch genetische Krankheitsmanifestationen der Familienmitglieder. Um zugleich jedoch den verschiedenen gendiagnostischen Informationsinteressen gerecht zu werden, fordert Sec. 206 GINA 2008, genetische Informationen getrennt und einer vertraulichen Patientenakte vergleichbar zu bewahren: „If an employer, employment agency, labor organization, or joint labor-management committee possesses genetic info about an employee or member, such information shall be maintained on separate forms and in separate files and be treated as a confidential medical record.“80 74 Vgl. https://www.genome.gov/10002328 [letzter Aufruf am 25.01.2015]; ausführlich siehe Scherrer, GenDG, S. 171 f. 75 Vgl. https://www.genome.gov/10002328 [letzter Aufruf am 25.01.2015]; ausführlich siehe Scherrer, GenDG, S. 171 f. 76 Green et al., NEJM 2015, S. 397 ff.: „The Equal Employment Opportunity Commission (EEOC) estimates that in fiscal year 2013 there were 333 GINA-related charges of employment discrimination by more than 90,000 in other areas) […].“ 77 Siehe Scherrer, GenDG, S. 171 f.; https://www.genome.gov/10002328 [letzter Aufruf am 25.01.2015]; http://www.eeoc.gov/laws/statutes/gina.cfm [letzter Aufruf am 25.01.2015]; ausführlich siehe Scherrer, GenDG, S. 171 f. 78 Vgl. Scherrer, GenDG, S. 171 f. 79 Siehe http://www.eeoc.gov/laws/statutes/gina.cfm [letzter Aufruf am 25.01. 2015]; ausführlich siehe Scherrer, GenDG, S. 171 f. 80 Hervorhebungen durch den Verfasser; zudem mit weiteren Ausführungen: Scherrer, GenDG, S. 171 f.; Ausnahmen zu Sec. 206 GINA 2008, siehe http://www.
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
e) Folgerung aus dem Rechtsvergleich Die rechtsvergleichende Betrachtung spiegelt zunächst einen gendiagnostischen Grundkonsens wider: So sichern verfahrensrechtliche Vorkehrungen und Qualitätsstandards den Schutz vor genetischer Diskriminierung.81 Auch zeigt sich länderübergreifend, dass konsensfähige Regelungen der Besonderheit genetischer Information Rechnung tragen.82 Der amerikanische Genetic Information Nondiscrimination Act schließt genetische Informationen verwandter Personen bereits in die Legaldefinition genetischer Information ein. In Kongruenz zur deutschen Gesetzgebung sieht das österreichische Gentechnikgesetz eine Weiterempfehlung an die Familienangehörigen vor, wenn bei der Beurteilung einer genetischen Analyse eine ernste Gefahr einer Erkrankung von Verwandten der untersuchten Person besteht (§ 70 Nr. 1 und 2 GTG). Insofern weiß sich das deutsche Gendiagnostikgesetz grundlegend in Einklang mit den österreichischen Parallelregelungen.83 Demgegenüber zielt der französische Code de la santé publique84 auf eine Information der Familienmitglieder ab. Für den Fall, dass der Patient außerstande ist, die möglicherweise genetisch disponierten Verwandten zu informieren, konstatiert er eine weiterreichende Informationspflicht des Arztes.85 Unter Gewährung größtmöglicher Anonymität soll der Arzt dem jeweiligen Familienmitglied die Möglichkeit einer genetischen Familienerkrankung überbringen. Somit geht die französische Normierung einer anonymisierten Informationsübermittlung weiter, und auch die schweizerische Lösung unterscheidet sich mit Blick auf den hohen Rang des Lebensschutzes. Nach Art. 19 S. 2 GUMG darf der Arzt den Verwandten der betroffenen Person zwar nur mit ausdrücklicher Einwilligung informieren. Wird diese aber verweigert, kann er bei Überwiegen der (Gesundheits-)Interessen des Angehörigen eine Entbindung seines strafrechtlich sanktionierten Berufsgeheimnisses fordern. Aufgrund der zum Teil auftretenden, notstands ähnlichen Situationen und der Bedeutung des Rechts auf Leben erscheint dnapolicy.org/resources/GINATitleIIsummary.pdf [letzter Aufruf am 25.01.2015]; http://www.eeoc.gov/laws/statutes/gina.cfm [letzter Aufruf am 25.01.2015]. 81 Vgl. Scherrer, GenDG, S. 172 ff. 82 Siehe Scherrer, GenDG, S. 172 ff. 83 So auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 202. 84 LOI n° 2011-814 du juillet 2011 – Art. 2. Allgemeine Regelungen der Gen diagnostik regelt Art. 16-10 bis 16-13 des Code civil den Themenkomplex „De l’examen des caractéristiques génétiques d’une personne et de l’identification d’une personne par ses empreintes génétiques“; vgl. auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 15 ff. 85 Siehe voranstehende Ausführungen, vgl. Kap. § 6 A. II. 1. c).
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es insoweit auch im Rahmen des § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG plausibel, eine Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht nach schweizerischem Vorbild zu diskutieren.86 2. Ärztliche Anweisungen Eine weitere Konkretisierung erfahren familiäre Konfliktsituationen, die durch eine Genanalyse bedingt sind, in den ärztlichen Leit- und Richt linien.87 Gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 GenDG wird hierfür eine unabhängige Gendiagnostik-Kommission beim Robert Koch-Institut eingerichtet, die sich interdisziplinär aus 13 Sachverständigen zusammensetzt. Die Sachverständigen entstammen den Fachrichtungen Medizin und Biologie sowie Ethik und Recht und schließen auch „[Vertreter] der für die Wahrnehmung der Interessen der Patienten, der Verbraucherinnen und Verbraucher und der Selbsthilfe behinderter Menschen auf Bundesebene maßgeblichen Organisationen“ ein (§ 23 Abs. 1 S. 1 GenDG). Zu den wesentlichen Aufgaben der Gendiagnostik-Kommission gehört es dabei, unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der Wissenschaft und Technik Richtlinien zu erstellen. Namentlich und im hier interessierenden Zusammenhang sind die Richtlinien für die „Beurteilung genetischer Eigenschaften hinsichtlich ihrer Bedeutung für Erkrankungen oder gesundheitliche Störungen sowie die Möglichkeiten, sie zu vermeiden, ihnen vorzubeugen oder sie zu behandeln“ (§ 23 Abs. 2 Nr. 1a GenDG) zu nennen – ebenso wie die Richtlinien über die „Anforderungen an die Inhalte der Aufklärung und der genetischen Beratung“ (§ 23 Abs. 2 Nr. 3 GenDG). Doch selbst wenn die Richtlinien an den allgemein anerkannten Stand von Forschung und Wissenschaft angelehnt sind, konkretisieren sie keineswegs die praktischen Anforderungen an die Handlungs- oder Ausführungsbestimmungen der Gendiagnostik. Die in der Richtlinie dargestellten Inhalte begnügen sich damit, den deutschen und internationalen Leitlinien zur genetischen Beratung zu entsprechen, und paraphrasieren im Übrigen den gendiagnostischen Gesetzestext.88 Unterlegt wird dies durch entsprechende 86 Dazu auch nachfolgende Erläuterungen zu § 34 StGB, vgl. Kap. § 6 A. III. 2. c) bb); Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 202. 87 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 181 ff. 88 Siehe dazu Gendiagnostik-Kommission, GEKO, Richtlinie der GendiagnostikKommission (GEKO) über die Anforderungen an die Qualifikation zur und Inhalte der genetischen Beratung gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 21 und § 23 Abs. 2 Nr. 3 GenDG aus dem Jahre 2011, S. 1255, online abrufbar unter: http://www.bvdh.de/news download/61/2011_02_21_RL-E_Untersuchung_bei_Nicht-Einwilligungsfaehigen. pdf [letzter Aufruf: 24.03.2014].
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
Literaturzitate.89 „Hat die genetische Untersuchung und deren Ergebnis Konsequenzen für zukünftige Nachkommen, wird eine genetische Beratung beider Partner empfohlen. Ergeben sich aus dem Befund bzw. aus dem Beratungsgespräch Hinweise, dass genetische Verwandte der betroffenen Person Trägerinnen oder Träger der zu untersuchenden genetischen Eigenschaft sein können, sollten die genetisch Verwandten durch die ratsuchende Person auf die Möglichkeit einer genetischen Beratung hingewiesen werden; im Fall einer vermeidbaren oder behandelbaren Erkrankung bzw. gesundheitlichen Störung ist der jeweiligen Person zu empfehlen, den Verwandten eine genetische Beratung zu empfehlen.“90 Desgleichen bekräftigt die S2-Leitlinie „Humangenetische Diagnostik und genetische Beratung“ der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik (GfH) und des Berufsverbandes Deutscher Humangenetik (BVDH) die gendiagnostische Empfehlung zur Empfehlung: „Dem Patienten soll die mögliche Bedeutung der bei ihm erhobenen Befunde für die Gesundheit, Vorsorge und ggf. für die Familienplanung seiner Angehörigen erläutert werden. Der Patient soll ggf. darauf hingewiesen werden, seinen Angehörigen eine genetische Beratung zu empfehlen.“91 Eine direkte Kontaktaufnahme mit dem nicht unmittelbar Rat suchenden Angehörigen ist demnach ohne den ausdrücklichen Wunsch des Untersuchten zu untersagen.92 Offener formuliert gestaltet sich hingegen ein bereits vor Erlass des Gendiagnostikgesetzes verabschiedetes Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik93 – und auch die Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik bekräftigen die Notwendigkeit einer Abwägung im Ein89 Gendiagnostik-Kommission, GEKO, Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission (GEKO) über die Anforderungen an die Qualifikation zur und Inhalte der genetischen Beratung gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 21 und § 23 Abs. 2 Nr. 3 GenDG aus dem Jahre 2011, S. 1255, online abrufbar unter: http://www.bvdh.de/newsdownload/ 61/2011_02_21_RL-E_Untersuchung_bei_Nicht-Einwilligungsfaehigen.pdf [letzter Aufruf: 24.03.2014]. 90 Gendiagnostik-Kommission, GEKO, Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission (GEKO) über die Anforderungen an die Qualifikation zur und Inhalte der genetischen Beratung gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 21 und § 23 Abs. 2 Nr. 3 GenDG aus dem Jahre 2011, S. 1250, online abrufbar unter: http://www.bvdh.de/newsdownload/ 61/2011_02_21_RL-E_Untersuchung_bei_Nicht-Einwilligungsfaehigen.pdf [letzter Aufruf: 24.03.2014]. 91 Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e. V.; Berufsverband Deutscher Humangenetiker e. V. (2011): S2-Leitlinie Humangenetische Diagnostik und genetische Beratung, S. 11 (http://www.bvdh.de/download/LL_ST/2011_06_24_S2_LL_Human genetik.pdf [letzter Aufruf am 24.03.2014]). 92 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e. V.; Berufsverband Deutscher Humangenetiker e. V. (2011): S2-Leitlinie Humangenetische Diagnostik und genetische Beratung, S. 11 (http://www.bvdh.de/download/LL_ST/2011_06_24_S2_LL_ Humangenetik.pdf [letzter Aufruf am 24.03.2014]).
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zelfall. So hat der behandelnde Arzt eine Abwägung nach dem Grad der Betroffenheit und den Möglichkeiten der Geheimhaltung vorzunehmen, bei der die Behandelbarkeit der Erkrankung sowie das Informationsinteresse des Verwandten im Besonderen zu berücksichtigen ist.94 Allerdings wurden sowohl die Richtlinien als auch das Positionspapier der GfH vor Inkrafttreten des Gendiagnostikgesetzes verabschiedet. Aufgrund der gesetzlichen Neue93
93 „Werden genetische Informationen unter den Mitgliedern einer Familie nicht weitergegeben, so werden hierdurch Personen unter Umständen von ihnen erwünschte und für sie wichtige, gesundheitsrelevante Informationen vorenthalten. Es handelt sich bei dieser Situation für den Humangenetiker, der über diese Informationen verfügt, um einen prinzipiell unlösbaren Konflikt. Unabhängig davon, wie er sich verhält, verletzt er zwangsläufig wichtige Handlungsprinzipien. Bei Drängen auf Weitergabe der Information oder eigener Weitergabe durch den Humangenetiker wird die Patientenautonomie, ggf. auch die Schweigepflicht verletzt, und im Falle der Nichtweitergabe ggf. die Verpflichtung zur Hilfeleistung. Zur Lösung dieses Konflikts kann es also keine allgemein anwendbare Regeln geben, sondern nur eine Abwägung im Einzelfall unter Einbeziehung möglichst vieler Beteiligter. Bei nicht behandelbaren und nicht verhinderbaren Erkrankungen sollte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Vorrang vor dem Recht auf Information haben. Wenn sie nicht selbst nachgefragt haben, sollen Angehörige nicht informiert werden. […] Eine spezielle Problemsituation entsteht, wenn der Wunsch nach Untersuchungen geäußert wird, deren Ergebnis unmittelbar auch eine Aussage über den genetischen Status eines weiteren Angehörigen erlaubt (z. B. eineiige Zwillinge und direkte, prädiktive Gendiagnose bei Kindern von noch nicht betroffenen Eltern). Auch in diesen Fällen kann keine grundsätzliche Entscheidung für oder gegen die Durchführung solcher Untersuchungen bzw. die Ergebnismitteilung erfolgen, sondern es muss im Einzelfall nach einer Lösung unter Einbeziehung möglichst aller Beteiligten gesucht werden.“ Vgl. hierzu Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e. V., Positionspapier 2007, online abrufbar unter www.medgenetik.de/sonderdruck/2007_ gfh_positionspaper.pdf [letzter Aufruf: 24.03.2014]. 94 „[B]esondere Schwierigkeiten kann die Tatsache bereiten, dass die Ergebnisse molekulargenetischer Untersuchungen häufig Rückschlüsse auch auf genetisch verwandte Dritte zulassen, die an der Untersuchung nicht beteiligt waren. Durch eine genetische Diagnostik gerät also unter Umständen das Recht auf Kenntnis der eigenen genetischen Konstitution mit dem Recht auf persönliche und informationelle Selbstbestimmung der Verwandten in Konflikt. Hier ist eine Abwägung nach dem Grad der Betroffenheit und nach den Möglichkeiten einer Geheimhaltung erforderlich. […] Falls bei der genetischen Untersuchung ein stark erhöhtes Risiko für eine genetische Erkrankung bei einem Verwandten des Getesteten festgestellt wird, stellt sich für den Arzt die Frage einer Weitergabe der Information an den Verwandten, wenn dieser Verwandte ebenfalls in der Behandlung desselben Arztes steht. Dann hat der Arzt eine Weitergabe der Informationen möglichst mit Zustimmung des Getesteten und insbesondere bei behandelbaren Krankheiten in Betracht zu ziehen. Zudem muss er das Recht auf Nichtwissen des Verwandten achten und schonend erkunden, ob dieser überhaupt an Informationen über ein erhöhtes Erkrankungsrisiko interessiert ist.“ Vgl. Bundesärztekammer, Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik; Deutsches Ärzteblatt 100 (2003), A 1297, 1303.
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
rungen des Gendiagnostikgesetzes müssen diese Ausführungen daher als überholt angesehen werden. III. Würdigung In § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG skizziert das Gendiagnostikgesetz schließlich eine Regelung zum genetischen Drittbezug, deren Kompromisscharakter unverkennbar ist.95 Inwieweit § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG dabei einen angemessenen Ausgleich zwischen den Grundrechten auf Wissen, Nichtwissen und den Informations- oder Verschwiegenheitsinteressen Dritter gefunden hat, soll das nachfolgende Kapitel erörtern. Grundsätzlich muss hierfür zunächst die Zulässigkeit gendiagnostischer Untersuchungen im Lichte familiärer Drittinformationsinteressen (1.) bewertet werden, um sodann die Informationsregelung der „Empfehlung zur Empfehlung“ auf ihre verfassungsrechtliche Konformität (2.) zu untersuchen. 1. Genanalysen im Lichte familiärer Drittinformationsinteressen Durch das Gendiagnostikgesetz wurde ein neuer gesetzlicher Rahmen für genetische Untersuchungen beim Menschen geschaffen.96 Der Wandel der genetischen Information hat eine solche Gesetzesneuerung eingefordert, nicht zuletzt weil Ergebnisse einer genetischen Untersuchung meist auch Rückschlüsse auf die genetische Disposition der Familie zulassen.97 Um sich an dieser Stelle die drittinformative Aussagekraft einer gendiagnostischen Untersuchung erneut zu vergegenwärtigen, sei zunächst ein weiteres medizinisches Beispiel illustriert: In einer Situation, in der ein junger Erwachsener, dessen Großvater mütterlicherseits an CADASIL erkrankt war, nunmehr einen prädiktiven genetischen Test auf CADASIL durchführen lassen möchte, könnte sich die Frage stellen, wie mit dieser Situation umzugehen wäre – wenn ein positives Ergebnis unweigerlich auch den genetischen Status der Mutter definiert?
Zu gewichten sind dabei nicht nur die Informations- und Verschwiegenheitsinteressen des Patienten, sondern auch die der Angehörigen. Mit der Einführung des Gendiagnostikgesetzes hat der deutsche Gesetzgeber gleichwohl darauf verzichtet, die mitunter bestehenden Geheimhaltungsinteressen der Angehörigen als Anlass für eine Beschränkung der Gendiagnostik zu Duttge, DuD 2010, S. 34 ff.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 183 ff. Stockter, Wissen als Option, nicht als Obliegenheit – Aufklärung, Einwilligung und Datenschutz in der Gendiagnostik, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 28. 97 Vgl. Lindner, MedR 2007, S. 286 (292). 95 Siehe 96 Vgl.
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nehmen.98 So sieht das Gendiagnostikgesetz davon ab, in das Recht auf Wissen des Einzelnen einzugreifen, um einer Schutzpflicht zugunsten der informationellen Selbstbestimmung der Familie nachzukommen.99 Demgegenüber betonte die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Genomanalyse bereits in den 1990er-Jahren die Bedeutung der verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen für den Untersuchten: „Das [A]llgemeine Persönlichkeits recht […] sichert dem einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Zur Entfaltung der Individualität gehört auch die Möglichkeit, die für sie konstitutiven Faktoren zu kennen, aber auch die grundsätzliche Entscheidungsfreiheit darüber, welche Kenntnisse über die eigene Person der einzelne für erforderlich und wünschenswert hält. Insofern umfasst das [A]llgemeine Persönlichkeitsrecht sowohl ein Recht auf Kenntnis als auch ein Recht auf Unkenntnis der eigenen genetischen Konstitution. Zum [A]llgemeinen Persönlichkeitsrecht gehört außerdem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, d. h. das Recht eines jeden, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann, in welchem Umfang und für welche Zwecke er persönliche Sachverhalte Dritten gegenüber offenbart. Insbesondere angesichts der Möglichkeiten der modernen Datenverarbeitung […] erfordert die freie Entfaltung der Persönlichkeit den Schutz des einzelnen vor einer unbegrenzten Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten.“100 Doch dessen ungeachtet wird der Grundrechtskonflikt zwischen Wissen und Nichtwissen oftmals übersehen, seine Existenz gar geleugnet: So urteilte das VG Darmstadt, dass die Frage nach einer familiären Vorbelastung keine Erhebung von personenbezogenen Daten der Verwandten sei.101 Der Entscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Dienstherr die Verbeamtung einer Lehrerin aufgrund fehlender gesundheitlicher Eignung mit dem Hinweis auf ein amtsärztliches Gesundheitszeugnis abgelehnt hatte. Der Amtsarzt hielt die Bewerberin zwar grundsätzlich für die zu verbeamtende Tätigkeit geeignet, wies allerdings auf die genetische Disposition von Chorea Huntington in der Familie der Bewerberin hin.102 Zwar bezog sich die Entscheidung in diesem Falle allein auf das Fragerecht des Amtsarztes und folglich nicht auf die gendiagnostische Anordnung zur Abklärung der WahrWollenschläger, AöR 138 (2013), S. 184 ff. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 184 ff. 100 Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Genomanalyse“, BAnz 1990 Nr. 161a v. 29.8.1990; Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, S. 643 f. 101 So VG Darmstadt, NVwZ-RR 2006, S. 566 ff. 102 Vgl. hierzu und im Folgenden: VG Darmstadt, NVwZ-RR 2006, S. 566 ff.; Nationaler Ethikrat, Prädikative Gesundheitsinformationen bei Einstellungsuntersuchungen, 2005, S. 13 f.; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 11 f. 98 Vgl. 99 So
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
scheinlichkeitsprognose für spätmanifestierende Erkrankungen.103 Nach Auffassung der Richter findet sich aber in der Analyse genetischer Daten auch im Allgemeinen „keine Erhebung personenbezogener Daten Dritter, nämlich bestimmter Familienangehöriger, statt, ohne dass diese davon Kenntnis hätten“.104 Vielmehr gehe es ausschließlich um die Frage der gesundheit lichen Disposition der Bewerberin, zu deren Beantwortung die Kenntnis bestimmter Erkrankungen ihrer Vorfahren und ihrer Angehörigen hilfreich sein kann, ohne dass es um die Individualisierung jener Vorfahren gehe.105 Allerdings schienen die Richter vorliegend selbst Zweifel an der Einschlägigkeit des informationellen Selbstbestimmungsrechts zu hegen.106 So betonte das Verwaltungsgericht, dass, selbst wenn man der Auffassung des Gerichts nicht folgen wolle und von der Erhebung personenbezogener Daten Dritter ohne deren Kenntnis ausgehe, der Eingriff in Hinblick auf die datenschutzrechtlichen Bestimmungen jedenfalls zu rechtfertigen sei: Die Daten stellten wegen ihrer Aussagekraft für die Beurteilung des Gesundheitszustandes der Bewerberin eine zwingende Voraussetzung dar – eine verlässliche Gesundheitsprognose durch den Amtsarzt könne eben nur dann vorgenommen werden, wenn auch die familiäre Disposition hinterfragt seien und auf Grundlage dieser die Risiken beurteilt würden.107 Bei entsprechender Würdigung des Sachverhalts erscheinen die Zweifel der Richter aber durchaus berechtigt: Das Beispiel der Huntington-Erkrankung illustriert sehr anschaulich, dass die genetische Untersuchung nicht nur Informationen über die Veranlagung des Patienten fördert, sondern eben auch über die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung eines Verwandten.108 Erst durch die Kenntnis eines innerfamiliären Gengesamtprofils lässt sich der Gesundheitszustand des Einzelnen und dessen Angehörigen prognostizieren. In Bezug auf deren genetische Disposition liegen daher unstrittig Informationen über bestimmbare Dritte und somit personenbezogene Daten im Sinne des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vor: Angesichts des genetischen Drittbezugs der Familienangehörigen ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegend sehr wohl betroffen.109 Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 11 f. Darmstadt, NVwZ-RR 2006, S. 566 (568). 105 Vgl. VG Darmstadt, NVwZ-RR 2006, S. 566 (568); auch Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 11 f. 106 Siehe VG Darmstadt, NVwZ-RR 2006, S. 566 (568); auch Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 11 f.; vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 21 ff. 107 Vgl. VG Darmstadt, NVwZ-RR 2006, S. 566, 568; auch Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 11 f.; vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 21 ff. 108 So auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 184 ff. 109 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 185. 103 So
104 VG
§ 6 Einfachgesetzlicher Rahmen der Genmedizin 199
Legt man also zugrunde, dass molekular-pathologische Befunde hinsichtlich der genetischen Identität einer Person besonders sensible,110 personenbezogene Daten sind, und diese wohl auch die „genetische Unbefangenheit“ der übrigen Familienmitglieder betreffen,111 ließe sich über weitergehende Schutzpflichten des Gesetzgebers nachdenken.112 Gleichwohl mag selbst in Fällen, in denen Verwandte mögliche genetische Anlagen defensiv ignorieren und nicht einwilligen würden, ein Eingriff in das Recht auf Wissen des Patienten durch ein Verbot der Genanalyse als unverhältnismäßig erscheinen.113 Zwar hat das Bundesverfassungsgericht zur Identitätsfeststellung mittels eines genetischen Fingerabdrucks Folgendes entschieden: Der Schutzbereich114 des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei jedenfalls dann nicht betroffen, „solange sich die Eingriffsermächtigung nur auf den nichtcodierenden, zu etwa 30 % aus Wiederholungseinheiten bestehenden Anteil der DNA bezieht […], ausschließlich die Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters zum Zweck der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren vorgenommen und das Genmaterial nach der Feststellung des DNAIdentifizierungsmusters vernichtet wird.“115 Entscheidend für die Verneinung des Schutzbereichs nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist die Feststellung des DNS-Identifizierungsmusters116, die gerade keine Rückschlüsse auf persönlichkeitsrelevante Merkmale, wie Erbanlagen, Charaktereigenschaften oder Krankheiten des Betroffenen im Sinne eines umfassenden Persönlichkeitsprofils zulässt.117 Dabei darf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aber nicht dahingehend (miss-)verstanden werden, dass im Gegensatz zu nicht-codierenden DNS-Abschnitten codierende Bereich der DNS jedwedem Zugriff verwehrt bleiben sollen.118 Vielmehr ist in der Bestimmung des Schutzbereiches des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG wiederum auf den konkreten Verwendungszusammenhang der genetischen Daten im Einzelfall abzustellen. So erfolgt bei der Identitätsfeststellung durch einen genetischen Fingerabdruck ein gezielter Zugriff auf genetische 110 Vgl. § 3 Abs. 9 BDSG; Art. 8 RL 95/46/EG sowie Damm, MedR 1999, S. 438; Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, S. 644 f. 111 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6. 112 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 184 ff. 113 Siehe Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 184 ff. 114 In betreffender Entscheidung heißt es „Kernbereich“, siehe hierzu Kapitel § 4 A. I. 2. d) cc) (3). 115 BVerfGE 103, 21, 31. 116 Gem. § 81g Abs. 2 StPO ist das betreffende Probenmaterial unverzüglich zu vernichten, sobald es für die molekulargenetische Untersuchung nicht mehr erforderlich ist. 117 Vgl. BVerfGE 103, 21, 32. 118 Siehe auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 185 ff.
200
3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
Informationen: Deren Kenntnisnahme tritt als unvermeidbare Nebenfolge auf, die es konstellationsabhängig zu berücksichtigen gilt.119 Nun hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber für Art. 2 Abs. 1 GG eben „kein [Mit-]bestimmungsrecht über einen anderen Menschen“ zuerkannt respektive eröffnet: Art. 2 Abs. 1 GG erfasse „allein die eigene Identität und Lebenssphäre“.120 Wenig überzeugend erscheint es daher, ein Geheimhaltungsrecht mit dem Verweis zu verneinen, es handele sich um „eine Art gemeinsames Rechtsgut“121 und damit um geteilte Daten, zu denen jeder Betroffene Zugang habe. Konsequenter Weise würde die Information eines „Geheimnisherren“ dann zwangsläufig eine „Verletzung des Geheimhaltungsanspruchs des anderen Geschäftsherren“ bedeuten,122 und somit die Einverständniserklärung eines jeden Beteiligten bereits vor einer entsprechenden Untersuchung voraussetzen.123 Indes zeigt eine nähere Betrachtung die Parität beider Rechtspositionen auf einer normativen Ebene für die Autonomie und Wahlfreiheit des Individuums.124 Faktisch ist jedoch ein Stufenverhältnis zwischen Wissen und Nichtwissen zu deklarieren.125 So streitet zugunsten eines vorrangigen Rechts auf Wissen der gesetzgeberische Spielraum bei der Erfüllung von Schutzpflichten – „[a]nders als die Grundrechte in ihrer Funktion als subjektive Abwehrrechte sind die sich aus dem objektiven Gehalt der Grundrechte ergebenden staatlichen Schutzpflichten grundsätzlich unbestimmt […]. Wie die staatlichen Organe solchen Schutzpflichten nachkommen, ist von ihnen prinzipiell in eigener Verantwortung zu entscheiden […].“126 InWollenschläger, AöR 138 (2013), S. 185 ff. 104, 373 (392) – zum Ausschluss von Doppelnamen durch Weitergabe der Eltern. 121 Vgl. Corinth, Schweigepflicht, S. 174 ff.; Spann/Liebhardt/Penning, Genomanalyse und Schweigepflicht, in: FS Narr, S. 27 ff., 30. 122 Spann/Liebhardt/Penning, Genomanalyse und Schweigepflicht, in: FS Narr, S. 30. 123 Derart tendierend jedoch: Spann/Liebhardt/Penning, Genomanalyse und Schweigepflicht, in: FS Narr, S. 27 ff.; a. A. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 185; Corinth, Schweigepflicht, S. 174 ff. 124 Siehe Damm, MedR 1999, S. 446. 125 Vgl. Damm, MedR 1999, S. 446. 126 BVerfGE 115, 118 (152); BVerfGE 96, 56 (64); a. A. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 187; ebenso für einen geringeren gesetzgeberischen Spielraum in der Beurteilung des Rechts auf Wissen: Schlussbericht der Enquete-Kommission, BTDrs. 14/9020, S. 214: „Das via Gentests erlangte Wissen über genetische Bedingungen bleibt nicht auf die Getesteten beschränkt, da immer auch Informationen über erbverwandte Dritte erlangt wird. Damit ist deren Recht auf Selbstbestimmung berührt. Diese besondere Art der Grundrechtskollision setzt dem individuellen Recht auf Wissen enge Grenzen“. 119 Vgl.
120 BVerfGE
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soweit gilt es, den Vorrang des Rechts auf Wissen im Besonderen zu postulieren, da auf die erhebliche Bedeutung gesundheitsrelevanter Daten und deren Selbstbestimmungs- und Identitätsrelevanz in der Erkundung von Gesundheit und Krankheit abzustellen ist.127 Gleichermaßen muss auch der Sinn der Genomanalyse berücksichtigt werden. Schließlich liegt der Hauptzweck einer genetischen Untersuchung nicht darin, Daten über Dritte zu erheben, sondern die eigene genetische Disposition zu entschlüsseln.128 Demgemäß würde ein etwaiges Vetorecht der genetischen Familienangehörigen jegliche Realisierung des individuellen Rechts auf Wissen sperren.129 In der rational-rechtlichen Lösungsbestrebung des Interessenkonfliktes zwischen Wissen und Nichtwissen ist daher abermals die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu genetischen Abstammungsanalysen zu bemühen. Wie bereits dargelegt wurde, urteilten die Richter in der betreffenden Entscheidung über einen Teilaspekt der genetischen Dimension der Persönlichkeitsbildung.130 Dabei begriffen sie die genetische Abstammung als „konstituierenden Faktor“ für das individuelle Selbstverständnis und räumten dem Recht des Vaters auf Kenntnis der Abstammung des ihm rechtlich zugeordneten Kindes gegenüber den Verschwiegenheitsinteressen des Kindes hinsichtlich der eigenen Abstammung ein höheres Gewicht ein: „Bei Zweifeln über die Vaterschaft können jedoch allein diese Daten in Abgleich mit den genetischen Daten des rechtlichen Vaters Kenntnis über die Abstammung des Kindes von ihm verschaffen. Ein uneingeschränkter Schutz der genetischen Daten eines Kindes gegenüber dem rechtlichen Vater bedeutete deshalb zugleich für diesen die Vorenthaltung der Kenntnis von eigenen Daten sowie vielfach die Unmöglichkeit, Kenntnis von der Abstammung des Kindes von ihm zu erlangen, kann er doch nicht unbedingt wissen, ob die Mutter des Kindes während der Empfängniszeit noch mit anderen Männern Geschlechtsverkehr gehabt hat. Das berechtigte Interesse des Vaters an der Kenntnis der wahren Abstammung des Kindes wird verstärkt durch die für ihn als rechtlichen Vater bestehenden Pflichten für das Kind. […] Da es sich um Daten handelt, die in Beziehung zu denen des Mannes stehen können, der rechtlicher Vater des Kindes ist, ist das Recht des Kindes, diese Daten nicht preiszugeben, ihm gegenüber weniger schützenswert. Dem Recht des rechtlichen Vaters auf Kenntnis der Abstammung des Kindes ist in dieser Grundrechtskonstellation größeres Gewicht beizumessen als dem 127 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), passim. Im Ergebnis zwar grundsätzlich übereinstimmend, nicht jedoch hinsichtlich der Diskussion: Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 184 ff. 128 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 184 ff. 129 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 184 ff. 130 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f.
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung, insbesondere auch, weil der Gesetzgeber seiner Verpflichtung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nur nachkommen kann und Genüge leistet, wenn er ein Verfahren bereitstellt, in dem unter Zuhilfenahme der genetischen Daten des Kindes in Abgleich mit den Daten des rechtlichen Vaters geklärt werden kann, ob das Kind wirklich von diesem abstammt.“131 Auch wenn die verfassungsrechtliche Frage nach der Zulässigkeit freilich durch eine Reihe von Besonderheiten gekennzeichnet wird, wie etwa durch die Unterhaltungspflichten des Mannes für das ihm rechtlich zugeordnete Kind oder das Persönlichkeits- und Sorgerecht der Mutter,132 hat sich die genetische Ausstattung des Einzelnen mit einer Vielzahl von Faktoren im Rahmen einer Persönlichkeitsentwicklung auseinanderzusetzen.133 In diesem Identifizierungsprozess gehört die Kenntnis der Abstammung als Individualisierungsmerkmal der Persönlichkeit an und bietet wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Individualität.134 Daher lässt sich die Kernaussage des Bundesverfassungsgerichts, dass das Recht auf Nichtwissen „grundsätzlich ein geringeres Gewicht gegenüber dem Recht auf Kenntnis der Abstammung [habe], weil allein dieses letztlich einen dauerhaften Beitrag zur Identitätsfindung sowohl des Mannes als auch des Kindes leisten kann“135 auch dahingehend verallgemeinern, dass der Wunsch eines Menschen, Informationen über die eigene genetische Identität zu erfahren und sich im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts damit aktiv auseinanderzusetzen, in der Abwägung dem defensiv orientierten Recht auf Nichtwissen vorgehen muss.136 Zugleich zeigen Extrembeispiele, wie die CADASIL-Erkrankung, dass sich die rational biologisch-begründete und affektive Selbstentdeckung der eigenen genetischen Disposition als sehr ambivalent gestalten kann. Ist das Wissen um genetische Dispositionen dabei noch nicht der Welt, stehen sich Wissen und Nichtwissen in einer gleichrangigen Wissensbalance gegenüber. Kommt es hingegen zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund einer Genanalyse zu einer unvermeidbaren Interessenkollision, so sind die informationellen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen der Betroffenen in einem Stufenverhältnis zueinander zu gewichten. In derart gelagerten Fällen kann das Geheimhaltungsverlangen genetisch Verwandter, mag es auch gegenüber 131 BVerfGE
117, 202 (231 f.). BVerfGE 117, 202 (231 ff.); Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f. 133 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 ff. 134 Vgl. BVerfGE 79, 256 (269 f.); siehe des weiteren BVerfGE 117, 202 (225 f.); BGH, Urteil vom 28.01.2015 – XII ZR 201/13. 135 BVerfGE 117, 202 (230). 136 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 7 f. 132 Vgl.
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dem Recht auf Wissen nachgeordnet sein, aber nicht vorbehaltlos gewährt werden.137 So ist die aktive Auseinandersetzung mit dem Recht auf Wissen verfahrensrechtlich einzuschränken, als im Hinblick auf die Kenntnisgenerierung und Kenntniskommunikation auf die Entwicklung des Verwandten – etwa eines Kindes – Rücksicht zu nehmen ist.138 Auch muss die Möglichkeit des Missbrauchs oder eines etwaigen Nachteils der Datenverwendung durch Dritte139 angesichts der von genetischen Daten ausgehenden Diskriminierungsgefahr abgesichert werden. Dies könnte über Modalitäten der ärzt lichen Schweigeplicht und verwandtschaftliche Verschwiegenheitsauflagen, wie etwa im schweizerischen Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), erreicht werden.140 Allerdings soll an dieser Stelle der Erörterung die praktische Ausgestaltung einer theoretischen Betrachtung der Informationsregelung des § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG (siehe unter 2.) nicht vorgreifen. 2. Genetische Regelung der Information in § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG Zunächst gestaltet sich die theoretisch-rechtliche Bewertung der Informationsregelung des § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG nämlich ungleich komplexer141 als das soeben erörterte Verhältnis von Informations- und Verschwiegenheitsinteressen zueinander. Der erste Teil der nachfolgenden Überlegungen 137 Vgl. auch Nationaler Ethikrat, Prädiktive Gesundheitsinformationen beim Abschluss von Versicherungen, S. 58: „Der Antragsteller wird nach eigenem Wissen über Krankheiten in der Familie gefragt; er verfügt über Daten, die ihm selbst gehören. Diese Daten kann er ungeachtet der Persönlichkeitsrechte seiner Angehörigen im eigenen Interesse verwenden, beispielsweise um die Diagnose eigener unklarer Krankheitsbefunde zu erleichtern. Das sollte er ebenso zur Erfüllung vorvertrag licher Anzeigepflichten gegenüber dem Versicherer tun können. Die Persönlichkeitsrechte der Angehörigen sind durch die enge Zweckbindung geschützt, die nach den Regeln des Datenschutzes einzuhalten ist. Der Versicherer darf die übermittelten Daten nur für den Vertragsschluss mit dem Antragsteller verwenden, keinesfalls aber für eventuelle Vertragsverhältnisse zu den Angehörigen.“ Des Weiteren Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 184 ff. (196 f.). 138 Vgl. hierzu BVerfGE 117, 202 (230); Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 8. 139 So hat das Diskriminierungsverbot besonders vor solchen Benachteiligungskonstellationen innerhalb eines Arbeitsverhältnisses zu schützen, in denen sich die Betroffenen weigern, genetische Untersuchungsergebnisse zu offenbaren (§§ 4, 21 GenDG). In einem ausführlichen Beitrag zu den arbeits- und dienstrechtlichen Regelungen des Gendiagnostikgesetzes: Kersten, 2. Teil, PersV (2011), S. 84 ff. 140 Vgl. auch hierzu Art. 19 GUMG sowie Kapitel § 4 B. I. 1 Nr. 2 und Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 8. 141 Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 189.
204
3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
rekonstruiert daher rechtsdogmatisch die „Empfehlung zur Empfehlung“ (a)), um zu ermöglichen, dass der zweite Teil die Herausforderungen der Schutzbedürftigkeit einer Entscheidungsautonomie zwischen Verwandten (b)) aufzeigen und die Auflösung des Grundrechtskonfliktes (c)) beleuchten kann. a) Rechtsdogmatische Rekonstruktion Grundrechtsdogmatisch sind vorab verschiedene Konstellationen zu unterscheiden. Stellt man zunächst auf die getestete Person ab, zeigt sich, dass § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG nicht in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Untersuchten eingreift: So mag zwar die an ihn gerichtete Empfehlung des Arztes, den Verwandten zu informieren oder diesbezüglich eine Empfehlung abzugeben, den Entscheidungsdruck auf den Patienten erhöhen.142 Inwiefern dieser in einer ohnehin schon schwierigen Situation aufgrund der prognostizierten Diagnose auch praktisch in der Lage ist, den verwandtschaftlichen Interessenkonflikt zu lösen, soll an dieser Stelle der juristischen Betrachtung einmal dahingestellt bleiben. Blendet man also den ethisch-moralischen Gewissenskonflikt weiter aus, so obliegt es dem Einzelnen, die Möglichkeiten des Wissen- und Nichtwissenwollens abzuwägen und schließlich dem Grundsatz der Non-Direktivität genetischer Beratung (vgl. § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG) zu widersprechen.143 Das Letztentscheidungsrecht steht dem Untersuchten zu, der auch im Falle der Verschwiegenheit keinen unmittelbaren Nachteil erleidet.144 Die medizinisch-psychologische Zumutbarkeit des Entscheidungskonflikts unterstellt, scheidet ein Verstoß gegen eine Schutzpflicht zugunsten des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung für die Testperson aus.145 Aus Sicht des Verwandten rührt die in § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG normierte „Empfehlung zur Empfehlung“ hingegen an den grundrechtlichen Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG: Die Qualifikation – und hierin liegt das Dilemma – hängt von den individuellen Informationsinteressen im Einzelfall ab.146 Dies zeigt sich schon an folgenden Konstella tionen: Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 190. auch Gen-ethisches Netzwerk, Stellungnahme zum Referentenentwurf des Gendiagnostikgesetzes (GenDG), http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gen/ 2008/stellungnahme-gen-zum-referentenentwurf-gendiagnostikgesetz-gendg [letzter Aufruf am 06.04.2014]; Damm, MedR 1999, S. 443 f.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 190; Henn, Zeitschrift für medizinische Ethik 2002, S. 345 f. 144 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 190. 145 Siehe Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 190. 146 So auch Scherrer, GenDG, S. 307 f.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 190 ff. 142 Vgl.
143 Siehe
§ 6 Einfachgesetzlicher Rahmen der Genmedizin
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Der erste Fall handelt von einem Vater eines möglicherweise an Alzheimer erkrankten Patienten, der seine genetische Identität nicht wissen will. Sein Sohn hingegen möchte seine Zukunft nach einer Erkrankungswahrscheinlichkeit für Alzheimer ausrichten, und hierzu seine genetische Disposition erfahren. Erfolgt in dieser Situation eine Untersuchung trotz der Ablehnung des Vaters, so würde der Staat durch eine ihm zurechenbare Maßnahme in das Recht auf Nichtwissen eingreifen: Zwar ist aufgrund der dazwischentretenden Willensentscheidungen von Arzt und Sohn lediglich eine ausstrahlende Grundrechtsbeeinträchtigung gegeben – gleichwohl ist diese aber dem Staat als Eingriff in den objektiv-rechtlichen Gehalt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung zuzurechnen:147 Indem der Sohn dem Vater eine bloße „Diagnoseempfehlung“ rät, gibt die untersuchte Person gerade das preis, was sie möglicherweise nicht offenbaren möchte.148 Zugleich wird die Entscheidung des Vaters in Kenntnis des Befundes und dessen Bedeutung für den Sohn wohl kaum mehr als freiwillig anzusehen sein.149 Im Ergebnis wirkt die Empfehlung zur Empfehlung auf ein bestimmtes Verhalten des Patienten hin (Lenkungs- oder Unmittelbarkeitskriterium) und berührt zugleich dessen gewichtige Informationsinteressen (Intensitätskriterium).150 Im Gegensatz zur Ausgangskonstellation kann der Verwandte der Rechtsbeeinträchtigung nicht entgegentreten, der Untersuchte jedoch schon.151 In der zweiten Konstellation ist der Familienvater an seiner Veranlagung für das genetisch bedingte Long-QT-Syndrom interessiert und lässt sich molekularbiologisch untersuchen. Sein Sohn hingegen steht einer Diagnostik gleichgültig gegenüber. Für diesen Fall stellt die gesetzlich angeordnete Empfehlung die Erfüllung der dem Staat obliegenden Schutzpflicht des verwandtschaftlichen Rechts auf Wissen dar, da das Recht auf Wissen nicht nur in modaler Hinsicht als Abwehrrecht einer ungerechtfertigten staatlichen Beschränkung der Kenntnisnahmemöglichkeit entgegensteht.152 Vielmehr kommt nun in einer derart gelagerten Situation das zum Tragen, was der 147 Die Grundrechtsrelevanz im Sinne einer mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung bejahend: Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 190 ff. 148 Vgl. Duttge, Regelung der Gendiagnostik zwischen Ideal und Realität, S. 7 ff. 149 Vgl. Duttge, Regelung der Gendiagnostik zwischen Ideal und Realität, S. 7 ff. 150 Siehe auch Duttge, DuD 2010, passim; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 190 ff. 151 So auch Duttge, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes über genetische Untersuchungen beim Menschen (GenDG), S. 3, der in der Umgehung einer direkten Kommunikation gar einen „Taschenspielertrick“ sieht; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 26 ff. 152 Wie etwa ein Verbot der Gendiagnostik; vgl. BVerfGE 96, 56, 63; Lindner, MedR 2007, S. 289; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 190 ff.; siehe bereits Kapitel § 4 A. I. 2. d) bb).
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
Intention des Gesetzgebers in Wahrheit zugrunde lag: So bestand das Bestreben des § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG darin, bei Vorliegen eines Befundes, allen davon Betroffenen die Chance zu sichern, hiervon rechtzeitig Kenntnis zu erlangen.153 Insofern soll § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG angesichts der besonderen Bedeutung der Kenntnis der eigenen genetischen Disposition für Identität, Individualität und Lebensführung154 einen angemessenen Zugang zu prädiktiven Gesundheitsinformationen ermöglichen.155 Bereits das Bundesverfassungsgericht hatte in seinen Entscheidungen zur Abstammungsanalyse einen dahingehenden Anspruch zuerkannt, dass „Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG […] kein Recht auf Verschaffung von Kenntnissen der eigenen Abstammung [verleiht], sondern […] nur vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen schützen [kann].“156 Gleichwohl darf diese Aussage nicht im Sinne einer allgemeinen Ablehnung verstanden werden, sondern ist vielmehr im Lichte eines weiteren Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur Abstammungsanalyse auszulegen: „Dieser Schutz [im Sinne einer Vorenthaltung entsprechender Informationen] ist nur dann gewährleistet, wenn ein Verfahren eröffnet ist, das einem Mann Zugang zu den ihm vorenthaltenen Informationen ermöglicht, die für die Kenntnis […] erforderlich sind. Solche Informationen liegen aufgrund des heutigen Standes der Wissenschaft insbesondere in den genetischen Erbsubstanzen des Kindes begründet, die in Abgleich mit den genetischen Daten des Vaters im Wege der DNA-Analyse zu einer gesicherten Kenntnis darüber führen, ob das Kind von dem Mann abstammt. Die genetischen Informationen aus der Erbanlage des Kindes sind somit der Schlüssel zur Kenntnis des Mannes, ob er der Vater des Kindes ist.“157 Insoweit liegt „[e]ine Verletzung des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit […] auch dann vor, wenn der Gesetzgeber es unterlässt, die Verwirklichung des Grundrechts auf Kenntnis der Abstammung in einem dafür geeigneten Verfahren zu ermöglichen. Die Grundrechte enthalten nicht nur Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt, sondern stellen zugleich Wertentschei153 Vgl.
S. 7 ff.
Duttge, Regelung der Gendiagnostik zwischen Ideal und Realität,
154 Für eine Schutzpflicht bezüglich der Gewährleistung der für die Persönlichkeitsentfaltung konstitutiven Bedingungen, vgl. BVerfGE 96, 56 (61). 155 Von den durch einen Gentest eröffneten, mitunter lebenserhaltenden Therapie möglichkeiten einmal ganz abgesehen; vgl. des Weiteren auch VG Lüneburg, NJW 1997, S. 2468 (2469); Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 191. 156 BVerfGE 79, 256 (269); 90, 263 (271); 96, 56 (63); 117, 202 (226); BVerfG, NJW 2010, 3772 f. 157 BVerfGE 117, 202 (226); BVerfG, NJW 2010, S. 3772 f.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 191.
§ 6 Einfachgesetzlicher Rahmen der Genmedizin 207
dungen der Verfassung dar, aus denen sich Schutzpflichten für die staat lichen Organe ergeben.“158 b) Konflikt verwandtschaftlicher Entscheidungsautonomie Die Lösung des Konflikts liegt – gerade was die innerfamiliäre Entscheidungsautonomie angeht – im Detail. Wie soeben aufgezeigt, richtet sich die grundrechtliche Bewertung einer Empfehlung innerhalb der Familie nach den Informationsinteressen der Verwandten. Doch trotz der unterschied lichen Interessengeflechte hat der Gesetzgeber bislang keine Vorkehrungen getroffen, um eine verschiedenartige Willensentscheidung angemessen zu berücksichtigen – daher mag auch der Einwand entstehen, „der Gesetzgeber habe den Autonomieschutz durch Verfahren vernachlässigt“.159 Folglich ließe sich mit Gunnar Duttge160 erwägen, eine vorherige Benachrichtigung der Angehörigen vorzunehmen. Von einer „nicht nur postulierten, sondern tatsächlichen Entscheidungsfreiheit“ kann nämlich nur so lange gesprochen werden, wie sich die Zukunft noch offen gestaltet.161 Die Lösung des Problems sei also darin zu suchen, die Angehörigen schon vor einem Gentest zu befragen, ob sie über etwaige genetische Befunde, die sie betreffen, informiert werden möchten. Auch müsse eine gegebenenfalls bereits erteilte Zustimmung bis zur erfolgten Benachrichtigung frei widerruflich bleiben.162 Doch auch mit einem Vorgriff der Benachrichtigung erscheint es denkbar, dass die Information mit einem evtl. auftretenden Wunsch der untersuchungswilligen Person kollidieren wird. Selbst wenn eine solche „Betroffenheit, die nur die geplante Vornahme der genetischen Untersuchung und nicht – wie bei ‚heimlicher‘ Durchführung der Untersuchung – bereits vorliegende, höchst sensible personenbezogene Daten (vgl. §§ 3 Abs. 9, 4a Abs. 3, 13 Abs. 2, 14 Abs. 5 BDSG) zum Gegenstand“ hat,163 kann dieser Weg nicht überzeugen: So sieht er sich Praktikabiliätseinwänden ausgesetzt, wenn ein großer Kreis potentiell betroffener Verwandter vorab zu informie158 Vgl. erneut Kapitel § 4 A. I. 2. d) bb); BVerfGE 117, 202, 227; 96, 56/64; BVerfG, NJW 2009, S. 423 (423 f.); NJW 2010, S. 3772 (3773). 159 So auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 192 f.: Damit habe der Gesetzgeber ohne Weiteres eine mögliche Entschärfung des Konflikts zwischen Wissen und Nichtwissen unterlassen. 160 Duttge, DuD 2010, S. 26 f.; ferner Duttge, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes über genetische Untersuchungen beim Menschen (GenDG), S. 3 ff. 161 Vgl. Duttge, DuD 2010, S. 26 f.; ferner Duttge, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes über genetische Untersuchungen beim Menschen (GenDG), S. 3 ff. 162 Siehe Duttge, DuD 2010, S. 26 f. 163 Duttge, DuD 2010, S. 26 f.
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
ren wäre – und vermag im Besonderen das Recht auf Nichtwissen des Familienangehörigen nicht adäquat zu schützen.164 Der Familienangehörige müsste nämlich bereits vorab Stellung nehmen – und zwar in einer Situa tion, in der ihm seine Unbefangenheit spätestens dann abhandenkommen wird, wenn die Besorgnis einer Krankheitsveranlagung überhandnimmt, oder die tatsächliche Tragkraft der Entscheidung noch überhaupt nicht absehbar ist.165 Vergegenwärtigt man sich dies nun am familiären Beispiel eines 20-jährigen Mannes, der unerwartet ins Koma fällt und an der autosomal dominanten Hypercholesterinämie (ADH) verstirbt, so wird man die Schwierigkeit einer vorgelagerten und zugleich autonomen Entscheidung für die heranwachsenden Verwandten zumindest erahnen können. Entsprechendes ist Auffassungen166 zu entgegnen, die das Recht auf Nichtwissen für „aktivierungsbedürftig“ erachten und dabei eine – unterschiedlich weit gefasste – Grundinformation der Familienmitglieder befürworten: In diesen Fällen ließe sich nämlich das Recht auf Nichtwissen überhaupt nicht mehr ausüben.167 Demnach müsse nämlich das Recht, im Rahmen der eigenen Selbstbestimmung, bestimmte Informationen nicht zu erhalten, vom Untersuchten erst einmal „aktiviert“ werden, bevor sich etwaige Abwehr- oder Schutzansprüche ergeben könnten.168 Angesichts dieses Interessenkonflikts und einer fraglichen Tatsachenbasis führe die Vorenthaltung von Informationen ohne jedes Anzeichen eines individuellen Abwehrwillens „zu einer (wenn auch vielleicht paternalistisch motivierten) Verhinderung der Ausübung des individuellen Selbstbestimmungsrechts“.169 So verlange das Primat des Autonomieprinzips in der Medizinethik eine Information bei fehlender Abwehrhaltung – ansonsten ergebe sich ein Widerspruch zum allgemein anerkannten Wechsel vom Primat des Nichtschadens prinzips zu eben diesem Primat der Autonomiefreiheit.170 Gleichwohl werden auch situationsspezifische Unterschiede eingeräumt, die ein Minimum an Information fordern, um eine autonome Entscheidung zu ermöglichen – dieses Minimum sei jedoch unter den gegebenen Umständen besonders schonend zu unterbreiten.171 „Bezogen auf Informationen von geringer BeWollenschläger, AöR 138 (2013), S. 192 ff. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 192 ff. 166 Siehe Taupitz, Das Recht auf Nichtwissen, in FS Wiese, S. 592 ff.; Rieder, Genetische Untersuchung und Persönlichkeitsrecht, S. 211 ff. 167 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 192 ff. 168 So Taupitz, Das Recht auf Nichtwissen, in FS Wiese, S. 592 ff. 169 Vgl. Taupitz, Das Recht auf Nichtwissen, in FS Wiese, S. 596 ff. 170 Siehe Taupitz, Das Recht auf Nichtwissen, in FS Wiese, S. 596 ff.; vgl. auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 193 f. 171 Vgl. Taupitz, Das Recht auf Nichtwissen, in FS Wiese, S. 596 ff.; vgl. auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 193 f. 164 Vgl. 165 Vgl.
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deutung ist eine explizite Äußerung des Betroffenen zur Aktivierung des Rechts auf Nichtwissen erforderlich, während bei Informationen, die für den Betroffenen ‚lebenswichtig‘ sein können, sehr viel intensiver auf Anzeichen für einen Abwehrwillen zu achten ist.“172 Doch steht diese Argumentation gegen die medizinisch-faktische Beratungssituation, in der nicht der Angehörige, sondern nur der Untersuchte um genetische Beratung angesucht hat.173 Anders als der Patient selbst ist der Verwandte nämlich nicht in die genetischen Beratungsgespräche eingebettet, so dass ihm insoweit auch wichtige Informationen, u. a. über die Existenz seines Rechts auf Nichtwissen, fehlen werden.174 Selbst in Fällen, in denen man keine „informierte“ Aktivierung im Sinne einer „vollinformierten“ Aktivierung fordert, liefe das Recht auf Nichtwissen dabei leer.175 Dem Angehörigen würde somit jegliche Chance vorenthalten, einen gegenteiligen Willen zu artikulieren und folglich von seinem Recht auf Nichtwissen Gebrach zu machen: Eine vorherige Informations-Aktivierung bedroht daher auch jedes noch so vorsichtige Herantasten an Wissen und Nichtwissen im Familienverbund.176 c) Konfliktauflösung im Einzelfall Angesichts der in concreto resultierenden Schwierigkeiten erscheint es also notwendig, den Konflikt zwischen Wissen und Nichtwissen im Einzelfall zu betrachten.177 Dabei stellt sich nun die Frage, inwieweit der Gesetzgeber mit einer bloßen Weitergabeempfehlung des Untersuchten seinen Schutzpflichten zugunsten der Familienangehörigen nachkommen konnte (aa)). Neben einer abstrakt-geltenden Regelung seien daher weitere Alternativen eines angemessenen Ausgleichs zwischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen aufgezeigt: Denkbar erschiene hierbei, die Notstandsregelung des § 34 StGB als Anknüpfungspunkt zu erwägen (bb)) oder den therapeutischen Nutzengehalt der Information stärker zu gewichten (cc)). aa) Letztentscheidungsbefugnis der Weitergabeempfehlung Für die Bewertung der Letztentscheidungsbefugnis innerhalb einer verwandtschaftlichen Empfehlung ist zunächst eine weitere Familienkonstella172 Taupitz,
Das Recht auf Nichtwissen, in FS Wiese, S. 596. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 193 f. 174 Vgl. Rieder, Genetische Untersuchung und Persönlichkeitsrecht, S. 213 ff. 175 A. A. Taupitz, Das Recht auf Nichtwissen, in FS Wiese, S. 598. 176 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 193 f. 177 So auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 194. 173 Vgl.
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tion zu betrachten. Stellt man sich vor, dass ein möglicherweise an Chorea Huntington erkrankter Patient seine Diagnose aufgrund deren Infaustität nicht zur Kenntnis nehmen möchte, seine Schwester jedoch ihre Familienplanung an einer genetischen Disposition festmachen will. In diesem Fall erscheint nun fraglich, inwieweit der Gesetzgeber mit § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG das Recht auf Wissen der Angehörigen dem Geheimhaltungsinteresse des Getesteten und Zu-Testenden unterordnen durfte. Auch wenn eine innerfamiliäre „Empfehlung zur Empfehlung“ auf eine Information der Schwester abzielt, kann diese gleichwohl unterbleiben, sofern angesichts des vorliegend bestehenden Geheimhaltungsinteresses die Information der Familie fraglich wird.178 In diesem Sinne verwehrt § 11 Abs. 3 GenDG die Unterrichtung eines mitbetroffenen Verwandten in den Konstellationen, in denen keine ausdrückliche, schriftliche Einwilligung der Testperson vorliegt.179 Ist die innerfamiliäre Kommunikationsebene aber beispielsweise aufgrund persönlicher Belastungen oder Konfliktsituationen gestört, erscheint eine Weitergabe durch den Patienten erst recht zweifelhaft.180 Als Schlussfolgerung stünde damit der Vorwurf einer situativ-suboptimalen Erfüllung der Schutzpflicht zugunsten der Letztentscheidungsbefugnis des Untersuchten im Raum.181 Formuliert man ihn, ist dennoch zu berücksichtigen, dass sich der Gesetzgeber in der Realisierung seiner Schutzpflichten auf einen weiten Gestaltungsspielraum stützen kann.182 So gibt die Verfassung einen solchen Schutz als Ziel vor, nicht aber die konkrete Ausgestaltung im Einzelfall: „Die Grundrechte enthalten nicht nur Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt, sondern stellen zugleich Wertentscheidungen der Verfassung dar, aus denen sich Schutzpflichten für die staatlichen Organe ergeben. [Die Ausgestaltung dieser Schutzpflichten] ist Aufgabe der jeweils zuständigen staatlichen Organe, denen bei der Erfüllung der Schutzpflichten ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt. […] Notwendig ist jedoch ein unter Berücksichtigung anderer, möglicherweise entgegenstehender Rechtsgüter angemessener Schutz, der auch wirksam ist.“183 Weiter besteht der Spielraum in der Gesetzesausgestaltung „nicht nur für die Fälle, in denen es verschiedene Möglichkeiten gibt, den vom Grund178 Vgl. Duttge, DuD 2010, passim; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 194 ff.; Duttge, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes über genetische Untersuchungen beim Menschen (GenDG), S. 3 ff. 179 „Die verantwortliche ärztliche Person darf das Ergebnis der genetischen Untersuchung oder Analyse anderen nur mit ausdrücklicher und schriftlicher Einwilligung der betroffenen Person mitteilen.“ § 11 Abs. 3 GenDG. 180 Vgl. Heyers, MedR 2009, S. 509 f.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 194 ff. 181 So Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 198 f. 182 Siehe auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 198 ff. 183 So BVerfGE 117, 202 (227); BVerfGE 96, 56 (64); BVerfGE 88, 203 (254).
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gesetz geförderten Schutz zu verwirklichen. Vielmehr ist es auch Aufgabe der jeweils zuständigen staatlichen Organe, zwischen den einander gegenüberstehenden Grundrechten abzuwägen und die negativen Folgen zu berücksichtigen, die eine bestimmte Form der Erfüllung der Schutzpflicht haben könnte.“184 Im Rahmen einer angemessenen Güterabwägung dürfen also die gegenläufigen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen innerhalb der Familie gleichermaßen nicht außer Acht gelassen werden. Um deren verschiedenartiges Gewicht zu begründen, ließe sich trotz der Sensibilität genetischer Daten auf die Drittwirkung genetischer Information verweisen, die den Geheimhaltungsanspruch reduziert.185 Betrachtet man dabei die genetische Komplexität der Beratungssituation, so ginge eine drohende Informationspflicht möglicherweise zulasten der Gesundheit des Getesteten;186 insofern ist das Schutzgut der informationellen Patientenautonomie in einer Wissensbalance zwischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen angemessen zu gewichten. Im Folgenden seien also weitere Modelle des Interessenausgleichs zwischen Wissen und Nichtwissen in Augenschein zu nehmen. bb) Ausstrahlungswirkung des § 34 StGB So könnte der Gesetzgeber im Konfliktfall, in dem die innerfamiliäre „Empfehlung zur Empfehlung“ nicht ausreicht, einen grundsätzlichen Vorrang des Rechts auf Wissen konstituieren.187 Doch stellt sich die Frage, ob dieses Lösungsmodell zu überzeugen vermag, wenn die Information in Extremfällen, wie dem der autosomal dominanten Hypercholesterinämie (ADH), möglicherweise lebenserhaltend ist? Denkbar erschiene, den Konflikt über die Maßstäbe der Notstandsregelung des § 34 StGB188 neu zu 184 BVerfGE
96, 56 (64). § 3 Abs. 9 BDSG; Art. 8 RL 95/46/EG sowie Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 199 ff.; Damm, MedR 1999, S. 438; Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, S. 644 f. 186 So Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 199 ff. 187 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6 ff.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 199 ff.; Spann/Liebhardt/Penning, Genomanalyse und Schweigepflicht, in: FS Narr, S. 27 ff. (29). 188 De lege lata kann dieser Ansatz strafrechtsdogmatisch nicht überzeugen. Angesichts der differenzierenden Regelungen im Gendiagnostikgesetz sind die widerstreitenden Interessen vorliegend abschließend ausbalanciert. Gerade die Sperrwirkung des Einwilligungsvorbehalts aus § 11 Abs. 3 GenDG kann dabei nur schwerlich in Abrede gestellt werden: „Die verantwortliche ärztliche Person darf das Ergebnis der genetischen Untersuchung oder Analyse anderen nur mit ausdrücklicher und schriftlicher Einwilligung der betroffenen Person mitteilen.“ Vgl. Corinth, Schwei185 Vgl.
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lösen.189 Die ärztliche Mitteilungspflicht könnte im Falle einer Rechtsgüterkollision aus den Grundsätzen des rechtfertigenden Notstandes resultieren. Dabei orientiert sich die Güterabwägung190 in der Offenbarung von ärztlichen Geheimnissen vor allem an den Interessen übergeordneter Rechtsgüter, die im Einzelfall den Bruch der ärztlichen Schweigepflicht191 legitimieren.192 Eine solche Offenbarungspflicht des Arztes könnte in den Fällen anerkannt sein, in denen vom Gesundheitszustand des Patienten eine nicht abwendbare Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgeht.193 Zwar mag man geneigt sein, einzuwenden, in der genetischen Disposition läge anders als bei einer bereits manifesten Erkrankung keine gegenwärtige Gefahr vor.194 Doch streiten gerade medizinische Informationen über behandelbare oder vermeidbare Gendefekte für die Gefährdung einer Intensivierung der Schädigung.195 Damit würde die Notlage sowohl zur Missachtung des Selbstbegepflicht, S. 60 m. w. N., 148 ff.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 199 ff.; Fischer, StGB Kommentar, § 34 Rn. 35; Heyers, MedR 2009, S. 510; Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 249 f. 189 Spann et al. vergleichen die Situation mit einer Kollision zwischen den Belangen des Patienten bzw. einer Einzelperson oder den Belangen der Allgemeinheit, wie im Fall eines an Epilepsie erkrankten Busfahrers oder Piloten (BGH NJW 1968. S. 2288) oder eines an Syphilis erkrankten Ehemannes (RG St 38, 62), siehe Spann/ Liebhardt/Penning, Genomanalyse und Schweigepflicht, in: FS Narr, S. 27 ff. (29); vgl. des Weiteren auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 199 f. 190 Dabei hängt die Güterabwägung „von der Gesamtheit aller widerstreitenden Interessen und Gründe“ ab; „namentlich der Rang der betroffenen Rechtsgüter, der Grad der ihnen drohenden Gefahren und das Bestehen besonderer Gefahrtragungspflichten […] auf der einen und die Angemessenheit […] auf der anderen Seite bilden wichtige Richtpunkte der Bewertung.“ Lackner/Kühl, StGB, § 34, Rn. 6; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 362. 191 Vgl. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB: Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebsoder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. 192 Vgl. Henn, Zeitschrift für medizinische Ethik 2002, S. 344 f. 193 Vgl. Henn, Zeitschrift für medizinische Ethik 2002, S. 344 f.; Rieder, Genetische Untersuchung und Persönlichkeitsrecht, S. 215 f. 194 Siehe Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 10 Rn. 4; Lemke, Polizei der Gene, S. 126. 195 So auch Begemann, Zufallsfund, S. 89 f. Die Möglichkeit eines schädigenden Ereignisses ist schon dann der Fall, wenn der Eintritt einer Rechtsgutverletzung nicht ganz unwahrscheinlich ist, vgl. Roxin, Strafrecht AT 1, § 16, Rn. 14; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 34 Rn. 12 ff. Eine genaue prozentuale Wahrscheinlichkeit ist allerdings nur schwerlich festzulegen, so auch Perron, in: Schönke/ Schröder, StGB, § 34 Rn. 15; Erb, in: MüKo StGB, § 34 Rn. 69.
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stimmungsrechts des Untersuchten als auch zur Missachtung des Rechts auf Nichtwissen der zu informierenden dritten Person berechtigen.196 Die anschließende Fallkonstellation verdeutlicht dies wie folgt: „Einer 32-jährigen, klinisch gesunden Frau […] wird nach dem [Darmkrebs-]Tode ihrer Mutter und deren Bruders […] von ihrem Hausarzt zu einer endoskopischen Darmuntersuchung geraten. Dabei zeigen sich zahlreiche Darmpolypen sowie ein [K]olonkarzinom im Frühstadium, das erfolgreich behandelt wird. Eine molekulargenetische Untersuchung könnte beweisen, dass die Patientin an familiärer adenomatöse Polyposis leidet. Damit stünde gleichzeitig fest, dass ihr 30 Jahre alter Cousin mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % dieselbe Anlage mit dann extrem hohem [Erkrankungs]srisiko trägt. […] [D]ementsprechend [wäre auch] bei ihm eine klinische und genetische Beratung und Diagnostik dringend indiziert […].“197 Wegen persönlicher sowie innerfamiliärer Konflikte lehnt die Patientin eine Genanalyse jedoch ab. Zudem möchte sie ihren Cousin nicht über das Krankheitsrisiko informieren: Unter Verweis auf dessen Schweigepflicht untersagt sie ihrem behandelnden Arzt, Kontakt mit der Risikoperson aufzunehmen.198
Berücksichtigt man dabei, dass die Verlaufsform der familiären adenomatösen Polyposis maßgeblich durch eine kurative Kolektomie199 beeinflusst wird, mag eine Unterrichtung des Verwandten durch den Arzt zunächst nicht abwegig erscheinen. So müsste es dem Arzt in diesem Einzelfall anheim stehen, bei einer hinreichend konkreten, durch Unterrichtung der Angehörigen abwendbaren Gefahr für Leib und Leben diesen unter Berufung auf die Notstandsregelung des § 34 StGB zu informieren.200 Denn selbst in einer Rieder, Genetische Untersuchung und Persönlichkeitsrecht, S. 215 f. Zeitschrift für medizinische Ethik 2002, S. 344 f. (347). 198 Fall in Abwandlung zu: Henn, Zeitschrift für medizinische Ethik 2002, S. 344 f. (347). 199 Operative Entfernung des gesamten Dickdarms, siehe Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort Kolektomie. 200 Vgl. Henn, Zeitschrift für medizinische Ethik 2002, S. 344 f.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 199 ff. Demgegenüber zurückhaltend Damm, Prädiktive Gen diagnostik im Familienverband und Haftungsrecht, MedR 2012, S. 707. Ablehnend OLG Koblenz, MedR 2012, S. 742 (743). Ferner hatte das OLG Frankfurt, NJW 2000, S. 875 ff. eine Information des Partners eines HIV-Infizierten gefordert, sofern zu seinem Partner eine Behandlungsbeziehung und eine Garantenstellung besteht. Allerdings bleibt die direkte Information auch mit der Einwilligung des Patienten problematisch, so wohl OLG Koblenz, GesR 2012, S. 164 sowie Kern, in: Kern, GenDG, § 10 Rn. 17. Grundlegend Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 201 m. w. N. Cramer sieht dies allenfalls bei einer zum Angehörigen bestehenden Behandlungsbeziehung, vgl. Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 241 f. Ist eine Behandlungsbeziehung aber nicht gegeben, wird auch in Anlehnung an die HIV-Problematik eine entsprechende Aufklärungspflicht kraft Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter diskutiert, siehe Heyers, MedR 2009, S. 510 ff. Doch lässt sich eine derartige Parallele nicht ohne Weiteres ziehen. So fehlt es bereits an einer vergleichbaren Interessenlage, denn in HIV-Fällen kommt der Dritte mit einer ärztlichen Leistung 196 Vgl.
197 Henn,
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Notlage würde das Recht auf Nichtwissen des Verwandten einer Mitteilung des Arztes entgegenstehen: Lediglich die Zustimmung der untersuchten Person wäre in diesem Fall nicht erforderlich und bliebe im Wege der Interessenkollision zurück.201 Gleichzeitig ist zu fragen, ob bereits bei einem statistisch erhöhten Risiko eines Krankheitseintritts von einer gegenwärtigen Gefahr gesprochen werden kann.202 So wird der für das Vorliegen einer Gefahr notwendige Grad der Wahrscheinlichkeit im Strafrecht sehr unterschiedlich formuliert: Zum Teil setzt das Vorliegen einer Gefahr den „sicher oder doch höchst wahrscheinlich[en]“ Eintritt des schädigenden Ereignisses203 oder dessen „bedrohlich“ liegende „Nähe“ voraus.204 Diese terminologischen Unschärfen machen aber bereits deutlich, dass eine begriffliche Fixierung des Gefahrbegriffes schwer fällt.205 Und selbst in oben angeführtem Beispielsfall der familiären adenomatösen Polyposis ist der verwandte Cousin potenziell mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % betroffen – sofern man vorab das positive Testergebnis der Patientin unterstellt. Diese schlichte Prozentprognose streitet freilich nur zaghaft für die notstandsgleiche Gefährdungssituation der potenziell betroffenen Angehörigen. Folglich wird auch zum Teil angenommen, dass bei kurativen Therapieansätzen ein konkludenter Verzicht auf das Recht auf Nichtwissen seitens der betroffenen Verwandten vorliege.206 Die Idee eines Grundrechtsverzichts suggeriert jedoch, dass der Einzelne bereits die Chance der Wahrung seines in Kontakt, weil die Verletzung der Aufklärungs- und Beratungspflichten des Infizierten ein Infektionsrisiko für den Dritten darstellt. Dieses Risiko besteht jedoch bei einer genetischen Disposition, die „naturgemäß veranlagt“ ist, nicht. „Von einer Verletzung kann der genetisch Verwandte also höchstens deshalb betroffen sein, weil die vertraglich verbundene Testperson […] ihrerseits nicht in der Lage ist, den genetisch Verwandten von einer möglichen Erkrankung in Kenntnis zu setzen. Unterläßt sie dies jedoch und ist das dem Arzt auch erkennbar, fehlt es offensichtlich an der zweiten Voraussetzung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, dem sog. Gläubigerinteresse. [… Denn w]eist ein Patient trotz entsprechender Beratung Verwandte nicht auf ein erhöhtes Krankheitsrisiko hin, so macht er deutlich, daß er am Gesundheitsschutz Drittbetroffener kein Interesse hat. Da der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte auf ergänzender Vertragsauslegung beruht [BGH, NJW 184, 355 (356) neben weiteren Nachweisen], wäre eine Erstreckung ärztlicher Pflichten gegenüber Dritten rechtlich unzulässig.“ Heyers, MedR 2009, S. 510 ff. 201 Vgl. auch Rieder, Genetische Untersuchung und Persönlichkeitsrecht, S. 216; Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 248 ff. (256 ff.). 202 I. d. S. Corinth, Schweigepflicht, S. 149. 203 BGH, MDR 1992, 447. 204 BGHSt 19, 371 (373). 205 So auch Corinth, Schweigepflicht, S. 149 f. 206 Siehe Kubiak, Prädiktive Diagnostik, S. 114.
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Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) einem Leben in Nichtwissen vorziehen würde.207 Unabhängig davon ist es aber denklogisch widersprüchlich, zuerst eine umfassende, qualitativ hochwertige Aufklärung und Beratung als Ausdruck der Selbstbestimmung zur Ausübung des Rechts auf Nichtwissen zu fordern – um dieses Recht sodann innerhalb der Familie zu negieren.208 Demnach erscheint die informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen derart gewichtig gegenüber einer bloßen Vermutung, die das Wohl des genetisch Verwandten fingiert.209 Auch wenn die Konstruktion des § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG einer verwandtschaftlichen „Empfehlung zur Empfehlung“ zunächst eigen anmutet: Sie entspringt der Ambivalenz, das Recht des genetisch Verwandten für eine Mitteilung im Falle potenzieller Heilbarkeit als auch gegen eine Information angesichts der Verletzung des Rechts auf Nichtwissen gewichten zu wollen.210 Somit wählt § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG einen behutsamen Weg der Informationsmöglichkeit: Einerseits entspricht es der Gesetzeswertung, die Rechte desjenigen vorrangig zu schützen, der seine genetische Disposition erfahren möchte.211 Andererseits sollen mögliche negative Konsequenzen für genetisch Verwandte gering gehalten werden.212 Denkt man dennoch über eine Neukonturierung des § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG nach, mag § 34 StGB eine Ausstrahlungswirkung im Sinne einer differenzierten Einzelfallbetrachtung213 zukommen: Selbstredend müssten hierbei die tatbestandlichen Voraussetzungen der Behandlungsrelevanz abgestimmt und nachjustiert werden.214 Scherrer, GenDG, S. 305. Scherrer, GenDG, S. 305. 209 Vgl. Scherrer, GenDG, S. 306. 210 Demgegenüber spricht sich Günther für eine direkte Mitteilung im Fall lebensbedrohlicher, behandelbarer Krankheiten aus und stellt dabei auf die Rechtfertigung durch Notstand ab, siehe Günther, Gläserner Mensch, S. 219 sowie ausführlich Scherrer, GenDG, S. 303 ff. (307). 211 Siehe Scherrer, GenDG, S. 303 ff. (307). 212 Auch Scherrer spricht demnach von einem „vertretbaren Ausgleich der angesprochenen Rechte“, siehe Scherrer, GenDG, S. 303 ff. (307). 213 Mitunter bei einer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einer gesundheitlichen Gefahr für die Angehörigen, wie etwa im Fall der autosomal-dominant vererbten Hypercholesterinämie. Zudem wäre über eine entsprechende Auslegung der gendiagostischen Verschwiegenheitsbestimmung des § 11 Abs. 3 GenDG nachzudenken. 214 Siehe nachfolgend § 6 III. 3. c) cc). Derzeit regelt § 14 GenDG im Spannungsfeld zwischen Wissen und Nichtwissen, dass genetische Untersuchungen an Nicht-Einwilligungsfähigen nur unter engen Voraussetzungen durchzuführen sind, ausführlich siehe: Scherrer, GenDG, S. 309 ff.; Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 14 Rn. 4 ff. Hierzu unterscheidet das GenDG zwischen dem Falle der indizierten Behandlung des Betroffe207 Vgl.
208 Siehe
216
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cc) B ehandlungsrelevanz als Feinjustierung der tatbestandlichen Voraussetzungen Dass die vorsichtige Formulierung des § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG vor dem Hintergrund komplexer konfligierender Informationsinteressen nicht fehlleitet, ist bereits angeklungen.215 In diesem Sinne streiten auch Konstellationen, in denen die Behandlungsrelevanz der genetischen Kenntnis belegt werden kann, für eine Präferenz des Wissenwollens.216 In erster Linie betroffen sind der Schutz des Lebens und der Gesundheit und damit der Schutz von „Höchstwert[en] innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung“.217 Auch empirische Untersuchungen untermauern diese Präferenz:218 Die im nen (§ 14 Abs. 1 GenDG) und einer fremdnützigen Verwendung (§ 14 Abs. 2 GenDG), vgl. Kern, in: Kern, GenDG, § 14, Rn. 1 ff. Gem. § 14 Abs. 1 ist dabei u. a. Voraussetzung, dass die indizierte Untersuchung nach dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft und Forschung erforderlich ist, „um bei der Person eine genetisch bedingte Erkrankung oder gesundheitliche Störung zu vermeiden oder zu behandeln oder dieser vorzubeugen“. Auch kann sich die Zulässigkeit der genetischen Untersuchung ergeben, um bei dem Betroffenen das Vorliegen einer Anlage für eine noch nicht manifeste, genetisch bedingte Erkrankung abzuklären – mit dem Ziel, präventive Maßnahmen einzuleiten oder Belastungen durch weitere Untersuchungen zu vermeiden (z. B. Tumordispositionssyndrome), vgl. Kern, in: Kern, GenDG, § 14, Rn. 7 ff. Gleichwohl darf die Untersuchung für die betroffene Person nur mit möglichst wenigen Risiken und Belastungen verbunden sein (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 GenDG). Zwar entspricht diese Forderung dem allgemein anerkannten Schutzstandard bei Nicht-Einwilligungsfähigen, vgl. BT-Drs. 16/10532, S. 30 sowie Kern, in: Kern, GenDG, § 14, Rn. 7 (8). Dennoch weist § 14 GenDG beträchtliche begriffliche Unschärfen auf und wirft demzufolge einschlägige Problemkreise auf, siehe dazu Kern, in: Kern, GenDG, § 14, Rn. 16 ff. sowie Scherrer, GenDG, S. 309 ff. In seiner derzeitigen Ausprägung reibt sich § 14 Abs. 2 GenDG insofern mit dem Schutzgedanken des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, namentlich dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, siehe Scherrer, GenDG, S. 309 (314). 215 So auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 193 f.; Scherrer, GenDG, S. 303 ff. (307). 216 Vgl. Scherrer, GenDG, S. 306 ff. (357), in dieser Hinsicht übereinstimmend: Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 195 ff. 217 BVerfGE 115, 25 (45); BVerfGE 39, 1 (41); 46, 160 (164); BVerfG, NJW 1999, 3399 (3401); Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 197. 218 In diese Richtung tendierend untersuchte eine unter 2907 humangenetisch tätigen Medizinern durchgeführte Studie anhand eines konkret gestellten Fallbeispiels deren Einstellung zum Konflikt zwischen der ärztlichen Schweigepflicht und den kollidierenden Gesundheitsinteressen Drittbetroffener: 36 % der befragten Mediziner würden die ärztliche Schweigepflicht wahren, 32 % würden den potentiell betroffenen Verwandten die relevanten Informationen auf Nachfrage mitteilen, und 15 % würden die Problematik dem überweisenden Arzt überlassen. Wertz/Fletcher/ Nippert/Wolff/Ayme, Ethik und Genetik aus der Patientenperspektive: Ergebnisse einer internationalen Studie, S. 15 f.; Wertz/Fletcher/Nippert/Wolff/Ayme, Patient and Professional Responsibilities in Genetic Counseling, S. 80 ff.; Forschungsprojekt in
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Rahmen dieser Arbeit durchgeführte Studie (§ 11) zeigt, dass 35,3 % der Befragten ihr Genom auf klinisch relevante Genorte screenen lassen würden (35,3 % der Gesamtpopulation – overall „definitely yes“). Demgegenüber betrachteten 26,5 % eine Sequenzierung des gesamten Genoms, ohne dabei nach der Behandlungsrelevanz zu differenzieren, kritisch (26,4 % overall „definitely not“).219 Als besonders bedeutend wurden gesundheitsrelevante Daten bewertet. 51,5 % der Befragten legten höchsten Wert („definitely yes“) auf die Interpretation von Gesundheitsinformationen, die präventiv oder therapeutisch von Bedeutung sind.220 Insoweit verbürgt die Lösung des deutschen Gendiagnostikgesetzes, den Getesteten in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, Vorkehrungen für einen Ausgleich zwischen Wissen und Nichtwissen.221 Gleichwohl erscheinen Feinjustierungen geboten: So sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer „Empfehlung zur Empfehlung“ bislang weitestgehend unbestimmt.222 Beispielsweise bleiben die folgenden Fragen offen: Ab welcher Manifestationswahrscheinlichkeit lässt sich tatsächlich ein späterer Krankheitsausbruch vorhersagen? Ist ein 25- oder 50 %-prozentiges Risiko (un-)abhängig der Schwere des Krankheitsbildes ausreichend? Und ersetzen geringfügig überdurchschnittliche Erkrankungsrisiken, etwa für Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht vielmehr auf präventiv-personalisierte Weise den Rat des Arztes, „gesünder zu leben“? Demgemäß besteht das nachdrückliche medizinrechtliche Bedürfnis, Konkretisierungen vorzunehmen – namentlich in Bezug auf die „Bedeutung“ oder genetischen Disposition für eine „vermeidbare oder behandelbare Erkrankung“.223 Im Besonderen lässt sich die der Übersicht: Wertz/Fletcher/Nippert/Wolff/Ayme, http://campus.uni-muenster.de/ fgf_project10.html [letzter Aufruf am 19.04.2014]. Weitere Studiennachweise siehe Corinth, Schweigepflicht, S. 170 ff. 219 Vgl. Studie (§ 11) „Personalized Medicine, Gene Diagnostics and Biobanking in the context of privacy of patient information“, Abb. 16 „Would you subject yourself to the following testing? (Overall)“. Weitere Differenzierungen nach Fachzugehörigkeit und Länderzugehörigkeit. Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse, dass die Akzeptanz, medizinisch bedeutsame Gensequenzen zu analysieren, in allen Studienpopulationen signifikant vorhanden war. Bezüglich einer Untersuchung des gesamten Genoms ohne Berücksichtigung des therapeutischen Nutzens verhielten sich die Befragten größtenteils zurückhaltend. 220 40,2 % der Befragten bewerteten die Interpretation über eine Wahrscheinlichkeit der Krankheitsentstehung oder Verschlechterung als sehr wichtig. Auch Informationen über die Verstoffwechselung von Medikamenten wurden als sehr bedeutend angesehen (36,8 % „definitely yes“). 221 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 193 f. 222 So auch Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 184 ff. 223 So findet die Therapierbarkeit einer Erkrankung auch Anklang in § 10 Abs. 1 S. 2 GenDG, wenn die verantwortliche ärztliche Person eine genetische Beratung anzubieten hat, sofern bei der betroffenen Person eine genetische Eigenschaft mit
218
3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
Sinnhaftigkeit der Informationsweitergabe in den Fällen, in denen eine Erkrankung auch behandlungsrevelant ist und Therapieoptionen gegeben sind, bekräftigen. Dabei könnten belastende oder nicht-weitergaberelevante Krankheiten wie Chorea Huntington im Wege eines Richtlinienerlasses durch die Gendiagnostik-Kommission gemäß § 23 GenDG auf einer Ausschlussliste festgesetzt werden. Die Aufstellung ließe sich im Sinne eines Umkehrschlusses zur Indikationsliste des American College of Medical Genetics and Genomics (ACMG) deuten, die Ärzte und Laboratorien dazu verpflichtet, bei pathogenen (oder höchstwahrscheinlich) pathogenen Mutationen, den Patienten zu informieren.224 So würde eine eben solche Ausschlussliste das Recht des Einzelnen, behandlungsirrelevante Informationen, nicht zu kennen, wahren und ein dynamisches225 Rechtsinstrument für Arzt und Patient konkretisieren. Insofern erscheinen Ergänzungen und Nachjustierungen der Tatbestandsvoraussetzungen hinsichtlich der diagnostischtherapeutischen Möglichkeiten nach der hier vertretenden Auffassung gleichermaßen geboten wie erforderlich. IV. Medizinische Konformität Doch auch jenseits einer rechtlichen Gewichtung von Informations- und Verschwiegenheitsinteressen verwundert, dass der Betroffene der geeignete Bedeutung für eine Erkrankung oder gesundheitliche Störung festgestellt wurde, die nach dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft und Technik nicht behandelbar ist. Für eine weitergehende Abwägung unter Berücksichtigung der Manifestationswahrscheinlichkeit: Lindner, MedR 2007, S. 288: „Diese Unterscheidung ist insofern wichtig, als sie im Rahmen der grundrechtlichen Interessenabwägung zum Tragen kommen kann: je höher die Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs einer Krankheit ist, desto höhere Anforderungen sind an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Zwangs zu Wissen wider Willen zu stellen.“ In strenger Auslegung: Gen-ethisches Netzwerk zu § 10 GenDG: So müsse die Frühdiagnose eine „unerlässliche Voraussetzung für das Verhindern einer späteren Erkrankung sein“. „Nach derzeitigem Wissensstand [gäbe] es aber keine Krankheit, deren Ausbruch ausschließlich durch das frühzeitige Wissen einer genetischen Veranlagung sicher zu verhindern oder auch nur bedeutend besser zu behandeln ist, Gen-ethisches Netzwerk, Stellungnahme zum Referentenentwurf des Gendiagnostikgesetzes (GenDG), http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gen/2008/stellungnahme-gen-zum-referenten entwurf-gendiagnostikgesetz-gendg [letzter Aufruf am 06.04.2014]; des Weiteren grundlegend: Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 197 ff. 224 According to an ACMG clarifying statement, „patients cannot opt out of the laboratory’s reporting of incidental [secondary] findings to the ordering clinician“, vgl. Annas/Elias, 23andMe and the FDA, NEJM 2014, S. 985–988. 225 Freilich müsste eine entsprechende Auflistung regelmäßig dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Forschung aktualisiert werden. Auch dies könnte im Wege eines Richtlinienerlasses gemäß § 23 GenDG durch die Gendiagostik-Kommission erfolgen.
§ 6 Einfachgesetzlicher Rahmen der Genmedizin 219
Mittler für genetische Informationen sein soll: Aufgrund des Untersuchungsergebnisses muss er sich möglicherweise selbst mit einer schweren Erkrankung auseinandersetzen und befindet sich daher in einer psychischen Ausnahmesituation.226 Dabei ist die psychosoziale Dimension genetischer Information keineswegs zu unterschätzen.227 Mitunter nimmt die Auswertung einer genetischen Diagnostik Monate in Anspruch, so dass die Betroffenen bereits eine kräftezehrende Wartezeit bewältigen mussten.228 Abgesehen davon sind Familienmitglieder in der Regel freilich keine (qualifizierten Fach-)Ärzte. So sei an dieser Stelle erneut darauf hingewiesen, dass § 10 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 i. V. m. § 7 Abs. 1 und 3 GenDG229 den qualifizierten Arztvorbehalt fordert. Erst nach mehrjähriger, (fach-)ärztlicher Ausbildung und Schulungen, wie „Breaking Bad News“-Simulationen oder supervisierten Kommunikations-Trainings, ist es Medizinern erlaubt, eine spezifische genetische Beratung vorzunehmen. Dass der Gesetzgeber den Patienten nicht bereits durch das fachliche Wissen übervorteilen möchte, ist augenfällig.230 Zugleich gilt es, Missverständnisse und unnötige Beunruhigungssitua tionen der Patienten abzuwenden.231 Demgegenüber sieht sich das Gesundheitswesen überdies einer zunehmenden Ökonomisierung ausgesetzt. Die Aus- und Weiterbildung einer Vielzahl von genspezialisierten Ärzten gleicht einer „Quadratur des Kreises“.232 Nicht zuletzt deshalb hat es sich in der klinischen Praxis be226 Vgl. Henn, Zeitschrift für medizinische Ethik 2002, S. 347; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 199 ff.; Rieder, Genetische Untersuchung und Persönlichkeitsrecht, S. 215 f. 227 So formuliert Henn: „Ist es, über medizinische Prävention hinaus, für die Lebensgestaltung der werdenden Eltern eines möglicherweise genetisch bedingt behinderten Kindes oder eines jungen Erwachsenen, der von einem vielleicht künftig eintretenden neurodegenerativen Erbleiden bedroht ist, wirklich hilfreich, das technisch gewinnbare Wissen hierüber tatsächlich abzurufen?“ Henn, Genetische Beratung, S. 15. 228 Vgl. Henn, Genetische Beratung, S. 15 f. 229 Bezugnehmend auf die Anforderungen der genetischen Beratung, siehe Kap. § 6 A. I. 3. b). 230 Siehe Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 199 ff.; Rieder, Genetische Untersuchung und Persönlichkeitsrecht, S. 215 f.; zu der Überforderung der Patienten aufgrund der Komplexität der Information auch: Wöhlke et al., Ethik in der Medizin 2013, S. 220 f. 231 Vgl. Rieder, Genetische Untersuchung und Persönlichkeitsrecht, S. 215 f.; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 199 ff.; Wöhlke et al., Ethik in der Medizin 2013, S. 220 f. 232 Vgl. Henn, Genetische Beratung, S. 21 f.; vgl. zu den detaillierten Ausbildungsanforderungen: Gendiagnostik-Kommission, Richtlinie der GendiagnostikKommission (GEKO) über die Anforderungen an die Qualifikation zur und Inhalte der genetischen Beratung gem. § 23 Abs. 2 Nr. 2a und § 23 Abs. 2 Nr. 3 GenDG,
220
3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
währt, die diagnostische Befunderstellung den Laborärzten zu übertragen, um die anschließende Befundberatung des Patienten mit der prädiktiven Ergebnisbewertung betrauten Ärzte zu überantworten.233 Insoweit zerrüttet das Gendiagnostikgesetz Aufklärungs-, Untersuchungs- und Beratungstätigkeiten und spaltet Zuständigkeiten in komplexer Weise auf. Die nachstehende Tabelle verdeutlicht dies in vereinfachter Darstellung: Tabelle 2 Übersicht der Qualifikationsanforderungen nach dem GenDG Die Qualifikationsanforderungen für die ärztlichen Tätigkeiten Aufklärung, genetische Untersuchung und Analyse sowie für die genetische Beratung sind voneinander abgegrenzt. Tätigkeit
Qualifikationsanforderung
GenDG
Aufklärung vor genetischer Untersuchung
Ärztliche Approbation
§ 3 Nr. 5; §§ 7–9
diagnostisch
Ärztliche Approbation
§ 7 Abs. 1, 1. Alt.; §§ 8, 9
prädiktiv
Fachärztin / Facharzt für Humangenetik
§ 7 Abs. 1, 2. Alt.; §§ 8, 9
Ärztin / Arzt mit Zusatz bezeichnung „Medizinische Genetik“
§ 7 Abs. 1, 2. Alt.; §§ 8, 9
Ärztinnen oder Ärzte, die sich beim Erwerb einer Facharzt-, Schwerpunkt- oder Zusatz bezeichnung für genetische Untersuchungen im Rahmen ihres Fachgebiets qualifiziert haben
§ 7 Abs. 1, 2. Alt.; §§ 8, 9
Ärztliche Approbation oder andere qualifizierte Person
§ 5, § 7
Vornahme der genetischen Untersuchung
Vornahme der genetischen Analyse
http://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/GendiagnostikKommission/Richt linien/RL-GenetischeBeratung.pdf?__blob=publicationFile [letzter Aufruf am 30.04. 2014]. 233 Vgl. Kiehntopf/Pagel, MedR 2008, S. 344 (348).
§ 6 Einfachgesetzlicher Rahmen der Genmedizin 221 Tätigkeit Genetische Beratung
Genetische Fragestellungen in allen Bereichen der Medizin
Qualifikationsanforderung
GenDG
Fachärztin / Facharzt für Humangenetik
§ 7 Abs. 1. 3; § 10
Ärztin / Arzt mit Zusatzbezeichnung „Medizinische Genetik“, sofern sie / er fortlaufend im gesamten Bereich der Medizin tätig war
§ 7 Abs. 1, 3; § 10
Quelle: http: / / www.rki.de / DE / Content / Kommissionen / GendiagnostikKommission / Mitteilungen / GEKO_Mitteilungen_09_Tabelle.pdf;jsessionid=0B0224FC734C82159 F424940CD0A128A.2_cid298?__blob=publicationFile [letzter Aufruf am 03.09. 2014].
Aus medizinischer Sicht sind daher die vielschichtigen Voraussetzungen zugunsten einer innerfamiliären Kommunikationskultur zu vereinfachen. In diesem Prozess gilt es gendiagnostischen Besonderheiten gerecht zu werden. So definieren nicht zuletzt einschlägige Studien entsprechende Vorschläge für Rahmenbedingungen: „Family communication about genetic risk is described as a deliberative process, in which sense is made of personal risk; the vulnerability and receptivity of the family member is assessed; decisions are made about what will be conveyed; and the right time to disclose is selected. The communication strategy adopted will depend on these factors and varies within families as well as between families. Inherent in these processes are conflicting senses of responsibility: to provide potentially valuable information and to prevent harm that may arise from this knowledge. […] Rather than considering all failure to communicate as the same and testing a ‚one-size-fits-all‘ solution, it may be more fruitful and ethical to recognise the diverse nature and causes of poor communication and address each with a distinct approach.“234 Neben einer Vorbetrachtung der zugrundeliegenden Familiensituation erscheint eine stufenweise Unterstützung der betroffenen Familien folgerichtig. So äußerten Familien, in denen eine BRCA1 / 2-Mutation nachgewiesen werden konnte, das Bedürfnis in einem mehrstufigen Prozess Zusatzmate rialen oder schriftliche Informationen über ihre genetische Disposition zu erhalten: „The development of educational materials, which individuals could use when communicating the risks of carrying a BRCA gene mutation with their relatives, was identified as a specific need. Many participants 234 Review of 26 papers in: Gaff et al., Process and outcome in communication of genetic information within families: a systematic review, Eur J Hum Genet 2007, S. 999 ff. (1003).
222
3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
expressed a preference for a staged approach, where relatives are notified of their increased risk and the availability of genetic testing risk either faceto-face or via a letter, with additional educational sources, including brief written information or access to a website, made available for those wishing to access more in-depth information.“235 Angemessen mag zudem eine weitergehende Betreuung der Familien sein. So ließe sich das Modell einer konkretisierten innerfamiliären Weiterempfehlung des § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG durch sog. „Genetic Counselors“ stützen.236 Nach angloamerikanischem Vorbild wären personelle Ausbildungsvoraussetzungen neu zu definieren, und zugleich auf den zeitlichen Bedarf der genetischen Konfliktsituation abzustimmen. Eine schottische Studie formuliert diese Sinnhaftigkeit wie folgt: „Communication within a family about genetic risk is a complex issue and is influenced by both pre-existing familial and cultural factors and individuals’ responses to risk information. If genetic counsellors understood how these factors operate in individual families they might be able to identify effective strategies to promote considered decisions and prevent un necessary emotional distress.“237 Mit Blick auf den Gesundheitsschutz erscheint es daher fragwürdig, (fach-)ärztliche Zuständigkeiten zu verschärfen und zugleich auf weitergehende Regelungen für den Einzelfall zu verzichten.238 Im Besonderen streiten Konstellationen, in denen eine lebensbedrohliche, aber behandelbare Krankheit vorliegt, zugleich aber dem Arzt aufgrund einer unterlassenen 235 Vgl. Ratnayake et al., An exploration of the communication preferences regarding genetic testing in individuals from families with identified breast/ovarian cancer mutations, Fam Cancer 2011, S. 97 ff. 236 Vgl. zur Diskussion um die Praktikabilität des Arztvorbehaltes und der Einheitlichkeit des Verfahrens auch Scherrer, GenDG, S. 262 (263): „Selbst bei einer Erweiterung der Beratungsvornahme auf andere Berufsgruppen würde zudem der Facharzt wegen bestehender Kompetenzen weiter zu der zulässigen Gruppe derer, die einen Test auch vornehmen können, zählen.“ 237 Forrest et al., To tell or not to tell: barriers and facilitators in family communication about genetic risk, Clin Genet 2003, S. 317 ff.; auch die im Rahmen dieser Arbeit mit der Harvard University (§ 7) durchgeführte Studie bestätigt diese Tendenz. So hat die persönliche medizinische Betreuung in der präventiven Gendiagnostik für 37,3 % der Teilnehmer eine besondere Bedeutung („definitely yes“). Entschieden abgelehnt wurde hingegen die alleinige Auswertung und Betreuung der Patienten durch eine automatisierte Datenbank (40,2 % „definitely not“). Konzen triert man sich vor diesem Hintergrund auf die Bedürfnisse der Betroffenen, so wird deutlich, dass die persönliche Beziehung im Arzt-Patienten-Verhältnis einen zentralen Stellenwert einnimmt. Letztlich verlangt der Ausgleich der Interessen von Probanden und Angehörigen an Information, Verschwiegenheit und Geheimhaltung der eigenen genetischen Disposition eine weitergehende fachliche Unterstützung der Familien. 238 Siehe Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 202.
§ 6 Einfachgesetzlicher Rahmen der Genmedizin 223
Empfehlung zur Empfehlung die Kontaktaufnahme und genetische Beratung verwehrt wird, für eine weitergehende Personalisierung der Beratung und Patientenbetreuung.239
B. Gendiagnostische Wissensasymmetrie in § 15 GenDG Angesichts der Vermeidbarkeit respektive Behandelbarkeit genetischer Krankheiten empfiehlt § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG eine Beratungslösung der Familienangehörigen. Den Verwandten wird auf diese Weise die Möglichkeit eröffnet, bei bestehender Therapierbarkeit präventiv tätig zu werden.240 Anders verhält es sich hingegen bei pränatalen Untersuchungen. In diesen Fällen besteht die Besonderheit, dass die invasive genetische Untersuchung des Nasciturus241 denklogisch einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Mutter bedingt.242 Die Mutter hat insofern für sich selbst sowie in Vertretung des Nasciturus in die vorgeburtliche Maßnahme einzuwilligen.243 Im Einzelnen normiert das Gendiagnostikgesetz die Voraussetzungen zur Pränataldiagnostik (PND) in § 15 Abs. 1 und 2 GenDG neu. Dabei können sowohl pränatale Methoden244 als auch die diesbezüglichen Testergebnisse mit schweren psychischen Belastungen der Mutter einhergehen.245 So liegt der neuralgische Punkt der Problematik abermals in der Bestimmung der Reichweite des genetischen Wissens, das im Rahmen der Untersuchung gewonnen wird: „Was – so lautet die zentrale Frage – dürfen Eltern präimplantativ und pränatal von ihren Kindern genetisch wissen?“246 Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 202. Scherrer, GenDG, S. 357. 241 Als Nasciturus (lat. nasciturus – derjenige, der geboren werden wird) wird das bereits gezeugte, aber noch ungeborene, selbstständige Lebewesen bezeichnet, das auch als erzeugte, aber noch nicht geborene „Leibesfrucht“ umschrieben ist, siehe Palandt, § 1 Rn. 5. 242 Vgl. Scherrer, GenDG, S. 357 f. 243 Vgl. Scherrer, GenDG, S. 357 ff. 244 Vereinzelt kann durch den Eingriff eine zerebrale Einschränkung oder gar ein Spontanabort ausgelöst werden, vgl. Haag/Hanhart/Müller, Gynäkologie, passim; Kiechle, Gynäkologie, passim; insoweit berühren die pränatalen Methoden auf der einen Seite die körperliche Unversehrtheit der Schwangeren und auf der anderen Seite das Recht auf Leben des Nasciturus, vgl. Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen, Stellungnahme, S. 289; Scherrer, GenDG, S. 357 (358). 245 Siehe Scherrer, GenDG, S. 357 (358). 246 Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 118; vgl. auch Kirch hof, Präimplantationsdiagnostik oder Was sollen wir wissen? FAZ Nr. 13. 17.1.2011, 27; Hepp, Die BKK 2010, S. 672: „Im Zentrum der PID steht die Information.“ 239 Vgl.
240 Siehe
224
3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
I. Regelungsgegenstände des § 15 Abs. 1 GenDG Die Reichweite des genetischen Wissens einer PND regelt § 15 GenDG. So enthält § 15 Abs. 1 S. 1 GenDG die Grundregel des Rechts auf Wissen hinsichtlich der genetischen Konstitution eines Embryos: Eine genetische Untersuchung darf vor der Geburt nur zu medizinischen Zwecken und allein dann vorgenommen werden, wenn die Untersuchung auf bestimmte genetische Eigenschaften des Embryos oder Fötus abzielt, die seine Gesundheit während der Schwangerschaft oder nach der Geburt beeinträchtigen, oder wenn eine Behandlung mit einem Arzneimittel vorgesehen ist, dessen Wirkung durch bestimmte genetische Eigenschaften beeinflusst wird. Insofern verbietet § 15 Abs. 1 S. 1 GenDG diejenigen Informationen zu erheben, die nicht medizinischen Zwecken oder der Gesundheit der Embryos dienen.247 Allerdings legt das Gendiagnostikgesetz zugleich nicht fest, welche Eigenschaften von Eltern gewusst werden dürfen und welche nicht.248 Vielmehr wird deren Auslegung und Definition den Mitgliedern der Gendiagnostik-Kommission überantwortet (§ 23 Abs. 1 Nr. lit. d) GenDG). Die Konflikte, die § 15 Abs. 1 S. 1 GenDG dabei lösen muss, lassen sich an alltäglichen Fallkonstellationen der pränatalen Diagnostik veranschaulichen: So stellt sich die Frage, inwieweit den werdenden Eltern das Ergebnis einer pränatalen Diagnostik durch Labor- und Ultraschalluntersuchung auf Trisomie 21 mitgeteilt werden darf?249 Dem strengen Wortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 GenDG zufolge, wäre das Testergebnis nicht mitzuteilen, denn eine Analyse, die auf Trisomie 21 gerichtet ist, dient für sich genommen weder medizinischen Zwecken noch der Gesundheit des Embryos während oder nach der Geburt.250 Doch bedarf es freilich keines großen medizinischen Sachverstands, um zu prognostizieren, dass sich die Trisomie 21 gleichwohl unter den genetischen Eigenschaften befinden wird, die eine Untersuchung nach § 15 Abs. 1 S. 1 GenDG legitimieren.251 So gehen mit der Trisomie 21 erhöhte Gesundheitsrisiken, z. B. für innere Organfehlbildungen, wie Herzvitien oder auch für Anomalien des MagenDarm-Traktes, einher.252 Und selbst wenn nicht jeder Träger der Trisomie Kersten, JZ 2011, S. 163 ff. Kersten, JZ 2011, S. 163 ff. 249 Vgl. Kersten, JZ 2011, S. 163 ff. 250 Ganz abgesehen davon, bleibt die gesetzliche Formulierung unklar: was meint „seine“ Gesundheit (des Embryos oder Fötus?) und auf welche Gesundheit nach der Geburt zielt der Gesetzgeber ab, wenn es – medizin-begrifflich (!) – nach der Geburt keinen Embryo oder Fötus mehr gibt, vgl. Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 119; Kersten, JZ 2011, S. 163 ff. 251 Vgl. Kersten, JZ 2011, S. 163 ff. 252 Siehe zu den medizinischen Grundlagen: Kapitel § 2 B. II. 2. b). 247 Siehe 248 Vgl.
§ 6 Einfachgesetzlicher Rahmen der Genmedizin
225
21 einen Herzfehler erleiden muss, genügt gemäß der Richtlinie der Gendiagnostikkommission § 15 Abs. 1 S. 1 GenDG für eine Beeinträchtigung der Gesundheit des Embryos oder des Fötus während der Schwangerschaft oder nach der Geburt bereits das Vorliegen genetischer Eigenschaften, „die zusammen mit der Einwirkung bestimmter äußerer Faktoren oder Fremdstoffe eine Erkrankung auslösen können (§ 3 Nr. 7b GenDG)“.253 Die statistische Wahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung wird also bereits als Krankheit verstanden.254 II. Regelungsgegenstände des § 15 Abs. 2 GenDG Ferner ist eine vorgeburtliche genetische Untersuchung im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 GenDG nicht zulässig, wenn sie darauf abzielt, genetische Eigenschaften des Embryos oder des Fötus für eine Erkrankung festzustellen, die nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres ausbricht, vgl. § 15 Abs. 2 GenDG.255 Doch gerade die Neureglung des § 15 Abs. 2 GenDG ist umstritten. Nach § 15 Abs. 2 GenDG darf eine vorgeburtliche genetische Untersuchung, die darauf abzielt, genetische Eigenschaften des Embryos oder Fötus für eine 253 Hervorhebungen durch den Verfasser; siehe Richtlinie der GEKO für die Beurteilung genetischer Eigenschaften hinsichtlich ihrer Bedeutung nach § 15 Abs. 1 S. 1 GenDG für eine Beeinträchtigung der Gesundheit des Embryos oder Fötus während der Schwangerschaft oder nach der Geburt gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 1d) GenDG, Bundesgesundheitsblatt 2013, S. 1028 ff.; http://www.rki.de/DE/Content/ Kommissionen/GendiagnostikKommission/Richtlinien/RL_Vorgeburtl-Untersuchung. pdf?__blob=publicationFile [letzter Aufruf am: 26.04.2014]; siehe auch. Kersten, JZ 2011, S. 163 ff. 254 So Kersten, JZ 2011, S. 161 ff. 255 Vgl. Richtlinie der GEKO für die Beurteilung genetischer Eigenschaften hinsichtlich ihrer Bedeutung nach § 15 Abs. 1 S. 1 GenDG für eine Beeinträchtigung der Gesundheit des Embryos oder Fötus während der Schwangerschaft oder nach der Geburt gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 1d) GenDG, Bundesgesundheitsblatt 2013, S. 1028 ff.; http://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/GendiagnostikKommission/Richtli nien/RL_Vorgeburtl-Untersuchung.pdf?__blob=publicationFile [letzter Aufruf am: 26.04.2014]. „Zu den vorgeburtlichen genetischen Untersuchungen zählen alle invasiven Untersuchungsmethoden wie Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese), Untersuchung an Chorionzotten oder an fetalem Nabelschnurblut. Aber auch Untersuchungen, die nur eine Wahrscheinlichkeitsangabe zulassen, ob bei dem Embryo oder Fötus bestimmte genetische Eigenschaften vorliegen, gehören zu den vorgeburtlichen genetischen Untersuchungen (pränatale Risikoabklärung).“ Dazu zählt mitunter der so genannte Triple-Test oder die Ultraschallbestimmung der Nackenfalte, mit denen die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines kindlichen Down-Syndroms abgeleitet werden soll, vgl. BT-Drs. 16/10532, S. 32.
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
Erkrankung festzustellen, nicht vorgenommen werden, sofern die Erkrankung nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres ausbricht. Die durch § 15 Abs. 2 GenDG konstatierte „Pflicht zum Nichtwissen“ betrifft folglich alle sich spätmanifestierenden Krankheiten.256 Dabei lässt sich die Grenzziehung des Gesetzgebers für viele Krankheiten aber nicht zweifelsfrei definieren.257 Weiter erscheint zweifelhaft, warum der „allgemeine Stand der medizinischen Technik und Wissenschaft“ mit dem Ausbruch der Krankheit einhergehen soll, zumal spätmanifesten Erkrankungen meist eine autosomal-domi nante Vererbung zugrunde liegt.258 So fallen genetische Prädispositionen für Krankheiten, wie Chorea Huntington, Zystennieren oder auch Brustkrebs, unter diese Regelung. Allerdings bleibt zu bedenken, dass selbst wenn entsprechende familiäre genetische Dispositionen oder gar gute Heilungschancen bekannt wären, die betreffenden Erbkrankheiten pränatal nicht diagnostiziert und den Eltern mitgeteilt werden dürften.259 Begründet wird das Verbot, die genetische Konstitution zu kennen, mit dem Argument, die Regelungen des § 14 GenDG über die genetischen Untersuchungen bei nicht einwilligungsfähigen Personen sollen eingehalten werden.260 Auch seien durch das Auftreten spätmanifestierenden Erkrankungen weder Gesundheitsbeeinträchtigungen der werdenden Mutter noch therapeutische Konsequenzen für den Embryo zu befürchten.261 So diene es dem Kindeswohl, wenn schwer lösbare familiäre Konflikte vermieden würden – insbesondere dann, wenn das geneKersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 120. Regelung der Gendiagnostik zwischen Ideal und Realität, S. 10; Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, Stellungnahme, Prädiktive genetische Diagnostik als Instrument der Krankheitsprävention, S. 63, http://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/201011_ natEmpf_praedikative-DE.pdf [letzter Aufruf am 27.04.2014]. 258 Vgl. Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, Stellungnahme, Prädiktive genetische Diagnostik als Instrument der Krankheitsprävention, S. 63, http://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublica tion/201011_natEmpf_praedikative-DE.pdf [letzter Aufruf am 27.04.2014]: Insbesondere erweckt die Formulierung von § 15 Abs. 2 GenDG den Eindruck, „der Gesetzgeber wollte eine vorgeburtliche genetische Untersuchung einer spätmanifesten Krankheit nicht mehr untersagen, sobald es mit feineren Analysemethoden gelungen ist, das Auftreten der Krankheit sehr früh zu objektivieren“. 259 Vgl. Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 120; Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, Stellungnahme, Prädiktive genetische Diagnostik als Instrument der Krankheitsprävention, S. 63, http://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/201011_natEmpf_ praedikative-DE.pdf [letzter Aufruf am 27.04.2014]. 260 Vgl. BT-Drs. 16/10532, S. 11; Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 120; Eberbach, MedR 2010, S. 155 (158). 261 Ausführlich siehe Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 120. 256 Vgl.
257 Duttge,
§ 6 Einfachgesetzlicher Rahmen der Genmedizin 227
tische Wissen der Eltern diese vor das Problem führt, ob dem Kind das genetische Wissen zu offenbaren sei oder eben nicht.262 Doch trotz dieser ausführlichen Begründungen lässt der Gesetzgeber in § 15 Abs. 2 GenDG wesentliche Fragen offen.263 So ist dem Grundsatz nach einer gesetzgeberischen Differenzierung zwischen genetischer Diagnostik von Erbkrankheiten, die während der Schwangerschaft auftreten können (§ 15 Abs. 1 GenDG), und der genetischen Untersuchung auf spätmanifeste Erkrankungen (§ 15 Abs. 2 GenDG) zwar zuzustimmen.264 Schließlich kann sich die genetische Diagnose des § 15 Abs. 1 GenDG auch unmittelbar auf die Gesundheit der Mutter auswirken.265 Dennoch vermag es nicht zu überzeugen, dass sich § 15 Abs. 2 GenDG allein auf Erbkrankheiten bezieht, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres manifest werden.266 „Denn die Bewertung einer Krankheit kann nicht schlicht davon abhängen, wann sie sich manifestiert.“267 Für die Auswertung pränatalen Wissens gilt es aus verfassungsrechtlicher Sicht vielmehr zwischen dem Lebensrecht des Embryos (Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG) und der Manifestationswahrscheinlichkeit, aber vor allem auch dem Schweregrad und den zur Verfügung stehenden Therapieoptionen abzuwägen.268 III. Bewertung genetischen Wissens der PND Die aufgezeigten Asymmetrien und Unsicherheiten können folglich nur durch den Gesetzgeber behoben werden.269 Dabei drängt sich für einen angemessenen Interessenausgleich ein objektiviertes, gendiagnostisches Balancemodell zwischen Wissen und Nichtwissen auf.270 Wie schon im Konflikt zwischen Information und Verschwiegenheit im Rahmen des § 10 Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 120. Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, Stellungnahme, Prädiktive genetische Diagnostik als Instrument der Krankheitsprävention, S. 63, http://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopub lication/201011_natEmpf_praedikative-DE.pdf [letzter Aufruf am 27.04.2014]; Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 120 f. 264 Siehe Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 120. 265 Vgl. Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 120. 266 Vgl. Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, Stellungnahme, Prädiktive genetische Diagnostik als Instrument der Krankheitsprävention, S. 63, http://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublica tion/201011_natEmpf_praedikative-DE.pdf [letzter Aufruf am 27.04.2014]; Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 120 f. 267 Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 121. 268 So Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 120 f. 269 Vgl. Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 121 ff. 270 Kersten differenziert in diesem Kontext bei typologischer Betrachtung zwischen einem „medizinisch-objektiven“ und einem „psychologisch-subjektiven Modell“ für 262 Vgl.
263 Siehe
228
3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
Abs. 3 S. 4 GenDG271 wäre abermals eine Ausschlussliste derjenigen Diagnosen, die weder der Behandlungsrelevanz noch der Entwicklung des Kindes förderlich sind, in Betracht zu ziehen.272 Eine derartige Auflistung entspricht dabei unter Berücksichtigung der Behandlungsrelevanz den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die das Grundgesetz stellt.273 So geht von einem Katalog genetischer Diagnosen weder ein Diskriminierungspotenzial aus, noch werden die Integritätsrechte der Frau berührt, wenn Diagnosen erfasst werden, die eine Gefährdung der mütterlichen Integrität bedeuten.274 Zugleich stünde es jeder Frau und damit jedem Paar frei, sich für oder gegen eine genetische Pränataldiagnostik zu entscheiden.275 Selbstredend ließe sich auch erwägen, in Gleichlauf zu § 3a Abs. 2 ESchG276 auf Krankheiten mit „schwerwiegender“, gesundheitlicher Beeinträchtigung abzustellen.277 § 3a Abs. 2 S. 1 ESchG erlaubt eine PID, wenn eine genetisch Disposition für „Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit“ begründet.278 Gemeint ist damit aber nicht, dass die Bestimmung und Bewertung genetischen Wissens, siehe Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 121 ff. 271 Auch in Bezug auf § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG empfiehlt sich eine Indikationsliste, allerdings im Gegensatz zum hier vorliegenden Fall mit Ausschlussdiagnosen, bei denen eine Therapierbarkeit nicht gegeben ist, vgl. Kapitel § 4 B 3 b) cc. (3). 272 Vgl. Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 121 ff. 273 Vgl. Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 121 ff. 274 Siehe auch Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 121 ff. 275 „Das Argument, es entstünde insofern gesellschaftlicher Druck auf Frauen oder Paare, eine […] PND in Anspruch nehmen zu müssen, verfängt nicht, da die Entscheidungsfreiheit durch eine medizinische Indikation zum Schutz des Embryos oder der Mutter in jedem Einzelfall begründet ist.“ Vgl. Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 122. 276 § 3a Abs. 2 GenDG definiert die Zulässigkeit der PID in Ausnahmen wie folgt: „Besteht auf Grund der genetischen Disposition der Frau, von der die Eizelle stammt, oder des Mannes, von dem die Samenzelle stammt, oder von beiden für deren Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit, handelt nicht rechtswidrig, wer zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mit schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt, nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik Zellen des Embryos in vitro vor dem intrauterinen Transfer auf die Gefahr dieser Krankheit genetisch untersucht. Nicht rechtswidrig handelt auch, wer eine Präimplantationsdiagnostik mit schriftlicher Einwilligung der Frau, von der die Eizelle stammt, zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos vornimmt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Totoder Fehlgeburt führen wird.“ Hervorhebungen durch den Verfasser. 277 Dabei muss das „Risiko des Paares“ nicht auf einer Belastung beider Partner beruhen, sondern kann sich auch bei an einem der Partner festmachen, vgl. BT-Drs. 17/5451, S. 8. 278 Eine solche Krankheit ist dann gegeben, wenn eine Abweichung vom üblichen Risiko gegeben ist. Diese sieht der Gesetzgeber bei einer Wahrscheinlichkeit
§ 6 Einfachgesetzlicher Rahmen der Genmedizin 229
das „hohe Risiko“ in einem mathematisch exakten Sinne zu ermitteln ist, sondern vielmehr auch das Krankheitsbild sowie die therapeutischen Möglichkeiten zu berücksichtigen sind.279 „Schwerwiegend“ sind dem Gesetzgeber zufolge Erbkrankheiten nur dann, „wenn sie sich durch eine geringe Lebenserwartung oder Schwere des Krankheitsbildes und schlechter Behandelbarkeit von anderen Erbkrankheiten wesentlich unterscheiden“.280 Ganz in diesem Sinne ließe sich vermeiden, dass die Subjektivierung genetischen Wissens werdende Mütter und Väter überfordert. Einem biopolitisch-subjektivistischen Trend, die Gewissensfrage den Eltern zu stellen, gilt es nämlich entschieden zu widersprechen. Pointiert wurde die Gewissensfreiheit der Frau zunächst als Rechtfertigung von PND und PID in einer Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina, der acatech sowie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften für die Union der Deutschen Akademie der Wissenschaften: „Die PID ist ebenso wie die PND (Pränataldiagnostik) Zeichen des objektiv unlösbaren Konflikts zwischen der Schutzwürdigkeit der sozialen und gesundheitlichen Lebensinteressen der Frau einerseits und der Schutzwürdigkeit des Lebensrechts des Embryos andererseits. In diesem […] Konflikt kommt der Gewissensentscheidung der Frau eine überragende Bedeutung zu.“281 Eine subjektive Bewertung genetischen Wissens durch die Frau oder das Paar entspricht allerdings – ohne die Zuhilfenahme einer Indikationsliste – nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes.282 So kann das von der Leopoldina behauptete Grundrechtspatt nicht durch den Verweis auf Art. 4 Abs. 1 GG gelöst werden.283 In der Kritik der Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina wird zu Recht auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch hingewiesen.284 In dieser Entscheidung führen die Richter aus, dass „die Frau für die mit dem Schwangerschaftsabbruch einhergehende Tötung des Ungeborenen nicht eine grundrechtlich in Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition in Anspruch nehmen kann“.285 Wenn die gewisvon 25–50 %, vgl. Krüger/Berchtold, Der Gynäkologe 2012, S. 65, 68; BT-Drs. 17/5451, S. 8. 279 Vgl. Krüger/Berchtold, Der Gynäkologe 2012, S. 65 ff. 280 BT-Drs. 17/5451, S. 8. 281 Leopoldina/acatech/Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (für die Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften), Präimplantationsdiagnostik – Auswirkungen einer begrenzten Zulassung in Deutschland, S. 3, 24 (26); demgegenüber kritisch: Graf Kielsmansegg, Fingierter Konsens in Sachen PID, FAZ Nr. 33, 09.02.2011. 282 Vgl. Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 123 f. 283 Siehe Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 123 f. 284 Vgl. Stark, Rechtsschutz wird weggeredet, FAZ, Nr. 15, 19.11.2011, S. 30; Deutscher Ethikrat, Präimplantationsdiagnostik, S. 89. 285 Siehe BVerfGE 88, 203 (LS 5).
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
senhafte Entscheidung einer Frau bzw. eines Paares den „objektiv unlösbaren Konflikt […] zwischen Schutzwürdigkeit der sozialen und gesundheit lichen Lebensinteressen der Frau einerseits und der Schutzwürdigkeit des Lebensrechts des Embryos andererseits“ aufzuwinden vermag,286 erstaunt es dennoch, warum eine subjektivierte Gewissensentscheidung der Frau nicht bereits im Rahmen der Regelung des § 218a Abs. 2 StGB Anwendung gefunden hat. Gerade bei einem Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 2 StGB kann und wird die genetische Disposition des Embryos allein nicht genügen („embryopathische Indikation“).287 Vielmehr muss eine schwerwiegende und unzumutbare Belastungssituation für die Mutter bestehen, die nicht anders abgewendet werden kann als durch einen Schwangerschaftsabbruch selbst („mütterliche Indikation“).288 Die Wertung des § 218a Abs. 2 StGB ermöglicht ohnehin einen Schwangerschaftsabbruch nach der 12. Wo che, um „eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr der schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Gesundheitszustands der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere zumutbare Weise abgewendet werden kann“. Zugleich weist auch § 15 Abs. 1 GenDG auf eine objektive medizinische Zwecksetzung hin, die mit der Behandlungsrelevanz einhergeht. Demnach darf eine genetische Untersuchung nur zu medizinischen Zwecken und nur insoweit vorgenommen werden, als dass die Diagnostik auf bestimmte genetische Eigenschaften des Embryos oder Fötus abzielt, die nach dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft und Technik seine Gesundheit während der Schwangerschaft oder nach der Geburt beeinträchtigen. Im Gegensatz zu einer objektivierten Diagnoseentscheidung würde ein „Aussortieren“ von genetischen Eigenschaften „allein weil sie jemandem – den Eltern, dem Arzt, einer Kommission [oder] der Rechtsgemeinschaft – unerwünscht sind“, Verfügungs- und Herrschaftsgewalt beanspruchen, die „Elementaranforderungen der Humanität verletzt“.289 Insoweit bestünde ein verfassungsrechtlich zufriedenstellendes Ergebnis nur darin, die Reichwerte und Bewertung genetischer Information nach objektiv-medizinischen Indi286 Vgl. Leopoldina/acatech/Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (für die Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften), Präimplantationsdiagnostik – Auswirkungen einer begrenzten Zulassung in Deutschland, S. 3, 24 (26). 287 Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 123 f.; Böckenförde, Warum nicht PID? FAZ Nr. 61, 14.03.2011, S. 27 f. 288 Siehe auch Kersten zum Ansatz „Mein Bauch gehört mir“ hin zu „Ich wähle die genetische Konstitution meiner Kinder“, Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 123 f. 289 Kirchhof, Präimplantationsdiagnostik oder Was sollen wir wissen? FAZ Nr. 13, 17, 17.01.2011.; Kersten geht dabei noch einen Schritt weiter und nennt den Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 1 und Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 GG beim Namen, Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 125.
§ 6 Einfachgesetzlicher Rahmen der Genmedizin 231
kationen zu gestalten und dabei den therapeutischen Nutzen im Sinne einer Behandlungsrelevanz für die Entwicklung des Individuums in die Abwägung einzuflechten. Auch eröffnet das Grundgesetz hierzu die notwendigen Gestaltungsspielräume, die der Gesetzgeber nur aufgreifen müsste.290
C. Gendiagnostische Schlussfolgerung Zusammenfassend integriert der Ansatz des „bioethischen Empower ments“291 die grundlegenden Ziele, die es ermöglichen, mit Diagnoseergebnissen angemessen umzugehen. Somit darf niemand wegen seiner oder der genetischen Eigenschaften einer genetisch verwandten Person, wegen der Vornahme oder Nichtvornahme einer genetischen Untersuchung oder wegen dessen Ergebnisses benachteiligt werden (§ 4 Abs. 1 GenDG). „Das wichtigste Instrument, um die Freiwilligkeit der Inanspruchnahme von Gentests […] zu garantieren, ist [dabei] das medizinethische Prinzip des informed consent.“292 Insoweit ist der Patient vor der Durchführung einer genetischen Untersuchung und der Einholung einer erforderlichen Einwilligung über Wesen, Bedeutung und Tragweite der Diagnostik zu informieren (§ 9 Abs. 1 S. 1 GenDG). Zugleich konstatiert § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG im innerverwandtschaftlichen Verhältnis eine sog. „Empfehlung zur Empfehlung“, wenn Informations- und Verschwiegenheitsinteressen konfligieren. Im internationalen Vergleich reiht sich § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG damit in einen gendiagnostischen Grundkonsens ein, der jedoch in der schweizerischen Gesetzgebung auf alternative Regelungsstrukturen stößt. Dort wird die ärztliche Schweigepflicht aufgrund der zum Teil auftretenden, notstandähnlichen Situationen und der Bedeutung des Rechts auf Leben zum Teil aufgeweicht.293 Legt man dabei zugrunde, dass molekular-genetisch Befunde besonders sensible,294 personenbezogene Daten sind, die auch die „genetische Unbefangenheit“ der übrigen Familienmitglieder betreffen,295 ließe sich auch in Deutschland über weitergehende Schutzpflichten des Gesetzgebers nachdenken.296 Doch ist die Lösung des Konflikts komplex. Der Ausgleich zwischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen ist im Detail zu suchen. So erscheint es trotz guter Gründe, Krankheitsveranlagungen Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 125. Kersten, 2. Teil, PersV (2011), S. 84 ff. 292 BT-Drs. 14/9020, S. 133; Bundesärztekammer, Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik; Deutsches Ärzteblatt 100 (2003), A 1297 ff. 293 Vgl. hierzu Art 19 S. 3 GUMG; Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 202. 294 Vgl. § 3 Abs. 9 BDSG; Art. 8 RL 95/46/EG sowie Damm, MedR 1999, S. 438; Hasskarl/Ostertag, MedR 2005, S. 644 f. 295 Vgl. Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 6. 296 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 184 ff. 290 Vgl.
291 Prägend:
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
nicht kennen zu wollen, folgerichtig, zwischen Wissen und Nichtwissen abzuwägen. Im Besonderen streiten Konstellationen, in denen die Behandlungsrelevanz der genetischen Kenntnis belegt werden kann, für die Präferenz des Wissenwollens. Knüpft man in der Behandlungsrevelanz der Information an die Weiterempfehlung des § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG an, mag die Kenntnis vermeid- oder behandelbarer Erkrankungen wenig zu beanstanden sein.297 Dennoch sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer „Empfehlung zur Empfehlung“ bislang weitgehend unbestimmt, und demgemäß erscheinen Feinjustierungen geboten.298 Gleichermaßen ist die Divergenz zwischen Wissen und Nichtwissen im Bereich der Pränataldiagnostik unbefriedigend reguliert. Objektivierte Diagnoseaufstellungen unter Berücksichtigung der Behandlungsrelevanz könnten hierfür Balancemodelle zwischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen schaffen.299 Eine derartige Interessenabwägung würde insoweit auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes gerecht.
§ 7 Bioinformationelle Regelungsvorschläge A. Maßstäbe Die besondere „Kompetenz“ der Arzt-Patienten-Perspektive liegt also in der Prozesshaftigkeit und der Dynamik des in ihr angelegten Ansatzes.300 Die Dimensionen des perspektivischen Prozesses können dabei näher entfaltet werden – in: • sich wandelnde und neue Akteurskonstellationen, die zugleich prozesshaft dynamisiert werden, • sich wandelnde und neue institutionelle Arrangements und Regelungsstrukturen, die vor allem institutionenkonstituell angereichert werden, • sich auflösende Grenzziehungen, die zwischen national und international, öffentlich und privat, formal und informal die Entgrenzung vollziehen und • schließlich in sich wandelnde und neu zu entwickelnde Legitimationskonzepte, die Anforderungen an neue, insbesondere transnationale Strukturierungen stellen.301 297 Siehe auch Scherrer, GenDG, S. 306 (357); Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 193 f. 298 Vgl. Wollenschläger, AöR 138 (2013), S. 184 ff. 299 So auch Kersten, Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, S. 121 ff. 300 Vgl. Schuppert, Alles Governance oder was? S. 24 f. 301 Vgl. Schuppert, Alles Governance oder was? S. 24 f.
§ 7 Bioinformationelle Regelungsvorschläge233
Folgt man diesen Analyseinstrumenten, sind also zunächst einmal die sich verändernden Konstellationen als zugrundeliegende Bedingungen zu kontextualisieren. Dabei ist der Wandel genetischer Information mit dem einhergehenden Paradigmen-Wechsel der Präventivmedizin bereits hinreichend erörtert worden. Um gleichermaßen auch die gesundheitlichen Informationserwägungen der beteiligten Akteure zu veranschaulichen, seien nachfolgend der Indikationsbegriff (I.) sowie die informationelle Selbstreflexion (II.) des Einzelnen als bioinformationelle Regelungsbedingungen beleuchtet. I. Indikation Der Indikationsbegriff legitimiert neben der Einwilligung des Patienten und dem Standard der Wissenschaft und Technik das ärztliche Handeln.302 Der ärztliche Grundsatz des „nihil nocere“ gebietet dem Arzt, diagnostische Maßnahmen aufgrund einer vorliegenden Indikation durchzuführen.303 Als grundlegende Forderung im Rahmen des Heilauftrages ist die Indikation zugleich auch rechtfertigende Voraussetzung der diagnostischen Maßnahme.304 „Indiziert ist eine diagnostische Maßnahme nur dann, wenn sie geboten ist und vo[m …] ärztlichen Heilauftrag gedeckt“.305 Eng verknüpft mit den individuellen Bedürfnissen werden Bedarf, Erfolgsaussichten, Risiken und Nebenwirkungen der angedachten Behandlung mit medizinischem Sachverstand wertend betrachtet.306 Dabei gilt es die Funktion der Behandlung gleichermaßen wie die gesundheitliche Selbsteinschätzung des Einzelnen nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu objektivieren.307 302 Vgl. Laufs/Uhlenbruck, Arztrecht, § 6 Rn. 1; Damm/Schulte in den Bäumen, KritV 2005, S. 101 ff.; Biermann, in: Ulsenheimer, S. 191 ff.; Lanzerath, Krankheit und ärztliches Handeln, S. 272; Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 73 ff. 303 Vgl. Kern/Laufs, Die ärztliche Aufklärungspflicht, S. 10; Cramer, Genomund Genanalyse, S. 162 ff. 304 Vgl. Kern/Laufs, Die ärztliche Aufklärungspflicht, S. 10; Cramer, Genomund Genanalyse, S. 162 ff.; so ist die Indikation rechtfertigende Voraussetzung seit RGSt 38, 34 anerkannt, vgl. ferner BGH, NJW 1978, S. 1306. 305 Vgl. Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 162. 306 Besteht ein zwingender Grund zur Vornahme eines diagnostischen oder therapeutischen Verfahrens, wird von der relativen Indikation, die im Falle einer bedingten Gefährdung des Patienten oder bei Inbetrachtkommen sinnvoller alternativer Maßnahmen vorliegt, die absolute Indikation unterschieden, Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort Indikation (lat. Indicare – anzeigen); vgl. des Weiteren: Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 73 ff. 307 Siehe auch Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 73 ff.; D. Lanzerath, Krankheit und ärztliches Handeln, S. 271 (274); Damm/Schulte in den Bäumen, KritV 2005, S. 101 (105 f.).
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
Im Hinblick auf die Arzt-Patienten-Beziehung und ihre rechtliche Ausgestaltung lässt sich von der Festlegung einer Indikation auch auf den Umfang der Aufklärung schließen: „Je weniger ein ärztlicher Eingriff medizinisch geboten ist, umso ausführlicher und eindrücklicher ist der Patient […] über dessen Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen zu informieren.“308 Knüpft man insoweit an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an, lässt sich der Indikationsbegriff bereits als Normkonzept betrachten.309 Allerdings liegen dem präventivmedizinischen Kontext – anders als in klinisch-therapeutischen Settings – meist noch kein konkretes Leiden und keine definierten Krankheitssymptome zugrunde.310 Vielmehr wird die ärztliche Tätigkeit auf die Untersuchung genetischer Auffälligkeit vorverlagert und greift somit in tieferem Maße in die persönliche Lebenseinstellung des Betroffenen ein als bei einer bestehenden Indikation: „Der Mensch ist nur solange gesund, solange er noch nicht gründlich untersucht worden ist.“311 II. Informationelle Selbstreflexion Wenn nunmehr das ärztliche Tätigwerden in den Kontext einer präventivprognostischen Medizin vorverschoben wird, so bedingt dies auch eine Entwertung der Orientierungsfunktion des Indikationsbegriffs.312 Dies gilt gleichermaßen für Arzt und Patient: Auch das Individuum wird durch biobibliothekarische Forschungs- und Präventionsprojekte geschult, seinem eigenen Gesundheitsempfinden zu misstrauen.313 Dieser Verlust der eigenen gesundheitlichen Einschätzungskompetenz kann mitunter die Akzeptanz des medizinischen „Jetztzustandes“ unmöglich machen und mit einer erheb lichen persönlichen Verunsicherung einhergehen.314 So führt im Bereich der Pränataldiagnostik die Angst, eine zerebrale Einschränkung des werdenden Kindes festzustellen, dazu, dass Frauen bis zum Zeitpunkt eines noch mögMedR 1991, S. 85 f.; vgl. auch Biermann, in: Ulsenheimer, S. 219. Damm/Schulte in den Bäumen, KritV 2005, S. 101 (104); Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 73 ff. 310 Siehe auch Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 78. 311 Ausführlich: Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 78 ff.; Stockter, in: Prütting, Medizinrecht, § 4 GenDG, Rn. 43. 312 Vgl. Duden/Zimmermann, Aspekte des Wandels des Verständnisses von Gesundheit/Krankheit/Behinderung, passim; Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 78. 313 Insoweit wird auch die Selbstauslegung, wie sie D. Lanzerath beschreibt, unmöglich; vgl. Lanzerath, Krankheit und ärztliches Handeln, passim; auch Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 78 ff. 314 Vgl. Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 78 ff. 308 BGH 309 Vgl.
§ 7 Bioinformationelle Regelungsvorschläge
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lichen Schwangerschaftsabbruchs die Schwangerschaft (noch) nicht annehmen, sich vielmehr „auf Abruf“ schwanger fühlen.315 Mit fortschreitender Desorientierung kann diese Vorstellung ja gar in eine Form der „Selbstverstümmelung“ münden, wenn aufgrund eines BRCA-Testergebnisses gesundes Brustgewebe amputiert wird, oder die präventivmedizinischen Maßnahmen mit anderen, weitreichenden körperlichen Eingriffen verbunden sind.316 Folglich steigt mit dem Verlust der Orientierungsfunktion gleichermaßen die Bedeutung von Verhaltensstrategien, die der Aufklärung in geeignetem Maße Rechnung tragen. Zwar sind die therapeutischen Handlungskonzep tionen, die sich im Bereich der kurativen Medizin bewährt haben, nicht vorbehaltlos auf die genetischen Konzepte der Präventivmedizin zu übertragen:317 „Weder das Verschwinden noch das Vorhandensein von [genetischen] Risikofaktoren erlaubt eine zuverlässige, über Wahrscheinlichkeitsaussagen hinausgehende Beurteilung des (zukünftigen) gesundheitlichen Zustands.“318 Demzufolge kommt der Wahl eines ausdifferenzierten Gespräch-Modells in diesem Prozess eine umso ausstrahlendere Wirkung zu:319 Zum einen werden für den Patienten Grundbedingungen geschaffen, die ihm eine freibestimmte und informierte Entscheidung ermöglichen und somit seine Entscheidungsfreiheit garantieren.320 Zum anderen kann eine reflektierte Arzt-Patienten-Konzeption Selbstvergewisserung für den Behandelnden und gleichermaßen Qualitätssicherung für Forschung und Gesundheitssystem bedeuten.321
B. Instrumente Zur Beschreibung des Arzt-Patienten-Verhältnisses werden daher zunächst drei Kommunikations-Konzepte betrachtet: Das Modell des Paternalismus, das des informed consent und das des shared decision making.322 In histo315 Siehe u. a. Schlussbericht der Enquete-Kommission, BT-Drs. 14/9020, S. 77 f.: auch kann die Entscheidung über einen möglichen selektiven Schwangerschaftsabbruch nach PND mit gesellschaftlichem Druck einhergehen, so mitunter Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 79 f. 316 Vgl. Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 78 ff. 317 Siehe Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 81. 318 Vgl. Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83. 319 Dabei ist die wichtige Rolle der Aufklärung im Arzt-Patienten-Verhältnis durch Formen öffentlicher Aufklärung zu ergänzen, vgl. Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 ff. 320 Ausführlich, siehe Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 f. 321 Vgl. Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 f. 322 Vgl. Klemperer/Rosenwirth; Shared Decision Making; S. 5 f.; http://www.ber telsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-307908CC-1858FC32/bst/chartbook_190705_
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
rischer Betrachtung wurden diese Begriffe in den letzten zwei Jahrhunderten nacheinander entwickelt.323 Allerdings bedeutet dies notwendigerweise nicht, dass die mit ihnen beschriebenen Kommunikationsformen nicht auch nebeneinander Bestand haben respektive weiterentwickelt werden könnten.324 So ist der Zweck einer modellhaftigen Beziehungsebene wohl weniger, die Realität abzubilden als vielmehr strukturelle Grundlagen offenzulegen und in Kontrastierung zueinander die Aufmerksamkeit auf zentrale Aspekte der Arzt-Patienten-Kommunikation zu lenken.325 Im Folgenden seien daher die Ansätze eines paternalistischen Modells (I.), des informed consent (II.) und der Supervision durch Ethikkommission (III.) beleuchtet. Abgerundet wird diese Betrachtung durch die Besprechung des Modells „Biobook“ (IV.) und eines Vorschlags des Agreements zwischen Arzt und Patient (V.). I. Paternalistische Beziehung Das Modell des Paternalismus wurde in Alterität zu anderen wissenschaftlichen Modellen mutmaßlich nicht entwickelt, sondern gründet wohl eher auf einer erst in der Rückschau vorgenommenen Analyse des ArztPatienten-Verhältnisses.326 Als Arbeitsdefinition soll zunächst und im Folgenden auf den Vorschlag Gerald Dworkings zurückgegriffen werden: „I suggest the following conditions as an analysis of X acts paternalistically towards Y by doing (omitting) Z: 1. Z (or its omission) interferes with the liberty or autonomy of Y. 2. X does so without the consent of Y. 3. X does so just because Z will improve the welfare of Y (where this includes preventing his welfare from diminishing), or in some way promote the interests, values, or good of Y.“327
Die rechtssetzenden Instanzen verhindern oder erschweren also mit Maßnahmen, die nach den betreffenden Ansichten geeignet sind, die Alterna %282._Auflage %29.pdf [letzter Aufruf am 21.06.2014]; Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 f. 323 Vgl. Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 f. 324 Siehe Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 f. 325 Vgl. Klemperer/Rosenwirth; Shared Decision Making; S. 5 f.; http://www.ber telsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-307908CC-1858FC32/bst/chartbook_190705_ %282._Auflage %29.pdf [letzter Aufruf am 21.06.2014]; Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 f. 326 Vgl. Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 ff. 327 Dworkin, Paternalism, http://plato.stanford.edu/archives/sum2010/entries/pa ternalism/ [letzter Aufruf am 21.06.2014].
§ 7 Bioinformationelle Regelungsvorschläge237
tivwahl der betroffenen Person.328 Diese Alternativwahl ist nach deren Ansicht für die Wahrung oder Förderung des Wohls der betreffenden Person nicht bestenfalls geeignet, um die Person hierdurch vor einer Beeinträchtigung ihres Wohles durch die nicht optimale Alternativenwahl zu bewahren.329 In der Vorstellung einer „horizontalen“, paternalistisch geprägten Arzt-Patienten-Beziehung ist dabei im klinisch-wissenschaftlichen Kontext die Dominanz des Arztes vorherrschend.330 So obliegt es dem Arzt, über diagnostische und therapeutische Maßnahmen zu befinden, die aus seiner professionellen Sichtweise die „richtige“ Therapie für den individuellen Patienten darstellen.331 Informationen, die Zweifel an der Geeignetheit der Behandlung aufwerfen, werden durch selektives Informieren vermieden oder zur Vermeidung einer Verunsicherung des Patienten gänzlich nicht 328 Vgl. Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 20; Gutmann, Paternalismus und Konsequentialismus, S. 5. „Als (Rechts)Paternalismus wird allgemein das Handeln einer Person zugunsten einer anderen bezeichnet. Der Handelnde greift dabei in die rechtlich geschützte Autonomie des anderen ein, da er auch gegen den Willen des Betroffenen agieren kann.“ Vgl. Begemann, Zufallsfund, S. 151 ff.: Die Medizinethik sah z. T. einen Schwerpunkt im „Patientenwohl und damit [in Form eines] Fürsorgeprinzip[s] bzw. Schädigungsverbot[s]“. Siehe mitunter Hildt, JCSW 2004, S. 37, 39 sowie umfassend im Bereich der Lebendorganspende, insbesondere zu § 8 Abs. 1 S. 2 TPG: Schroth, Begrenzung der Lebendspende – Paternalismus, in: FS Schreiber, S. 843 ff. Zum einen ist ein harter Paternalismus beschrieben, bei dem der Wille des Betroffenen vollständig ignoriert wird. Lehnen z. B. Zeugen Jehovas eine Bluttransfusion für ihr Kind ab, und wird diese Entscheidung zum Schutze der kindlichen Integritätsinteressen übergangen, liegt ein Fall des harten Paternalismus vor, siehe Olzen, in MüKo BGB, § 1666, Rn. 80; OLG Celle, Beschl. v. 21.02.1994 – 17 W 8/94; anders gestaltet sich der Fall bei einwilligungsfähigen Patienten, bei denen sich das Hinwegsetzen über einen entgegenstehenden Willen – auch bei Lebensgefahr – verbietet, siehe OLG München, Urt. v. 31.01.2002, 1 U 4705/98; Begemann, Zufallsfund, S. 154. Zum anderen wird mitunter als weich paternalistisch angesehen, wenn eine Beratung rechtlich vorgeschrieben ist, und sich der Betroffene dieser nicht entziehen kann, vgl. Begemann, Zufallsfund, S. 154. Vossenkuhl, Gerechtigkeit, Paternalismus und Vertrauen, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl, Grenzen des Paternalismus, S. 163 ff. Eine weitere Form des Paternalismus findet sich in der Ausprägung des indirekten Paternalismus. Sie schützt beispielsweise einen Verwandten vor bestimmen Verhaltensweisen anderer. Die Freiheitseinschränkung und das Wohl der unterschiedlichen Akteure gilt es insoweit abzuwägen, vgl. Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 15; allgemein: Vossenkuhl, Gerechtigkeit, Paternalismus und Vertrauen, in: Fateh-Moghadam/Sellmaier/Vossenkuhl, Grenzen des Paternalismus, S. 163 ff. 329 Vgl. Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 20; Gutmann, Paternalismus und Konsequentialismus, S. 5. 330 Ähnlich Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 ff.; Gutmann, Paternalismus und Konsequentialismus, S. 5. 331 Vgl. Gutmann, Paternalismus und Konsequentialismus, S. 5; Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 ff.
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
erwähnt.332 Idealtypisch lassen sich zwei Arten des Paternalismus unterscheiden: Die erste Form des Paternalismus gründet auf Rationalitätsdefizite im menschlichen Entscheidungsverhalten.333 Dabei ist die Vorstellung eines von systemischen Rationalitätsdefiziten geprägten Verhaltens auf empirische Evidenzdaten zurückzuführen.334 Diese besagen, dass wir Risiken systematisch unterschätzen und vorhandene Informationen durch einen überoptimistischen und eigennützigen „Filter“ verzerren („self-serving bias“).335 Paternalistische Verhaltenspflichten korrigieren also die vorhandenen Rationalitätsdefizite inmitten eines wohlverstandenen Interesses.336 Demgegenüber beruht die zweite Form des Paternalismus auf Werten und Überzeugungen des paternalistischen Intervenierenden: Widersprechen faktisch vorgefundene Präferenzen diesen Werten, soll eine Korrektur erfolgen.337 Auf der Grundlage der deutschen Verfassungsordnung wird ein solcher Wertepaternalismus etwa durch die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts motiviert, die Grundrechte begründeten eine objektive und für alle Rechtsbereiche maßgebliche Wertordnung.338 In gendiagnostischem Kontext lässt sich eine paternalistische Entscheidungskorrektur zunächst durch die Zuhilfenahme des ärztlichen Selbstverständnisses rechtfertigen: Die hippokratischen Grundsätze339 prägen das ärztliche Identitätskonzept bis zum „Genfer Gelöbnis“, das die Konsequenzen aus den Nürnberger Ärzteprozessen (1946 / 1947) gezogen hat.340 Legt man dies vor dem Hintergrund eines therapeutischen Behandlungsprivilegs dahingehend aus, dass den Arzt die Verpflichtung treffe, gegenüber seinem Patienten „angemessene“ Informationen zurückzuhalten, die dessen Genesung abträglich sein könnten, so ließen sich die Einwilligungserfordernisse 332 Vgl. Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 ff.: freilich sind Informationen, auf die der Patient im Rahmen der Aufklärung ganz ausdrücklich verzichtet, von dieser Betrachtung ausgenommen. 333 Siehe Eidenmüller, JZ 2011, S. 815 f. 334 Vgl. Fischhoff/Slovic/Lichtenstein, J Exp Psychol 1997, S. 552 ff.; Eidenmüller, JZ 2011, S. 815 f. 335 Vgl. Miller/Ross, Psychological Bulletin 1975, S. 213 ff.; Eidenmüller, JZ 2011, S. 815 f. 336 Siehe Eidenmüller, JZ 2011, S. 815 f. 337 Vgl. Eidenmüller, JZ 2011, S. 815 f. 338 Grundlegend: BVerfGE 7, 198 (205) – Lüth. 339 „Ich werde ärztliche Verordnungen treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden.“ Nach Hippokrates von Kos, um 460 bis 370 vor Christus, auf den auch die Deklaration von Helsinki abstellt. 340 Vgl. Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/ Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 871 ff., Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 ff.
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zurückweisen.341 Auch ließe sich in dieser Überlegung noch einen Schritt weitergehen, und den normativen Individualismus und damit den Prima-facie-Vorrang individueller Rechte gegenüber kollektiven Gütern, wie dem Standesdenken der Ärzteschaft einerseits, und politischen Zielen, wie Forschungsinteressen andererseits, eingrenzen und einem offenen Kollektivismus das Wort reden.342 Doch bereits die einschlägige Reichsgerichtsentscheidung von 1894 kontextualisiert die Einwilligung als rechtlich verbind lichen Kontext der ärztlichen Maßnahme: So ging es etwa um die Frage, ob eine (nach dem damaligen Stand der Wissenschaft und Technik) absolut und dringend indizierte Fußamputation bei tuberkulöser Entzündung des Fußknöchelgelenks eines Kindes auch gegen den Willen des naturheilkundlich orientierten Vaters durchzuführen ist.343 Dabei erscheint es jedoch bereits zweifelhaft, inwieweit ein derart gelagerter Fall dem Reichsgericht Anlass gegeben haben soll, ein Einwilligungserfordernis für alle medizinischen Maßnahmen zu konstatieren.344 Vielmehr mag man wohl eher bekräftigen, dass das gerichtlich konstatierte Einwilligungserfordernis den Gedanken der Patientenautonomie gefördert, nicht jedoch geschaffen hat.345 Noch heute können paternalistische Eingriffe im Sinne eines normativen (moralischen und rechtlichen) Rahmens, der den Patienten als Einzelnen respektiert und ihm geschützte Bereiche individueller Entscheidung zuweist, nur als begründungsbedürftig begrenzt sein.346 Grundlegend müssen sich normative Theorieangebote daran messen lassen, ob sie in der Lage sind, paternalistische Interventionen auf eine Weise zu beschränken, die der Bedeutung individueller Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit gerecht wird.347 Gerade im gendiagnostischen Forschungskontext erscheint es aber in höchstem Maße fragwürdig, inwiefern präventiv angelegte Genprojekte und genetische Wahrscheinlichkeitsprognosen eine paternalistische Instrumentierung rechtfertigen können. Wenn sowohl Forschungstendenzen als auch medizinischer Erkenntnisgewinn zum Erhebungszeitpunkt kaum zu definieren, gar nicht einmal abzuschätzen sind – welche theorieinternen Mittel können dann der wohlmeinenden Bevormundung des Untersuchten Schranken setzen? Folglich legen die voranstehenden Überlegungen die Frage nahe, ob nicht eine Art liberaler Paternalismus die Defizite des rechtlichen Paternalismus ablehnend: Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 ff. hierzu: Alexy, Individuelle Rechte und kollektive Güter, S. 244 ff. (260); kritisch Gutmann, Paternalismus und Konsequentialismus, S. 3 ff. 343 So auch Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 ff. 344 Zu RGSt 25, 375 ff.: Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 85. 345 Siehe Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 83 ff. (85). 346 Vgl. Gutmann, Paternalismus und Konsequentialismus, S. 3 ff. 347 Siehe Gutmann, Paternalismus und Konsequentialismus, S. 4. 341 Vgl.
342 Grundsätzlich
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
ausgleichen könnte.348 Darunter lässt sich eine intendierte Verhaltensbeeinflussung verstehen, die auf die Korrektur von Rationalitätsdefiziten beschränkt ist.349 Sie betrifft also gerade nicht diejenige Paternalismusform, die soeben als Wertepaternalismus beschrieben wurde.350 „The libertarian aspect of our strategies lies in the straightforward insistence that, in general, people should be free to do what they like – and to opt out of undesirable arrangements if they want to do so. […] Still, the approach we recommend does count as paternalistic, because private and public choice architects are not merely trying to track or implement people’s anticipated choices. Rather, they are self-consciously attempting to move people in directions that make their lives better. They nudge.“351 Auf dieser Grundlage haben Richard Thaler und Cass Sunstein die „goldene Regel“ des liberalen Paternalismus formuliert: „So the short answer is an obvious one, call it the golden rule of libertarian paternalism: offer nudges that are most likely to help and least likely to inflict harm.“352 Diese paternalistische Intervention solle vor allem bei schwierigen, zukunftsbezogenen und seltenen Entscheidungen353 – wie auch im Bereich der prädiktiven Gendiagnostik – überzeugen. Paternalistische Vorgaben wären dabei durch eine Reihe von Instrumenten zu konkretisieren: Aus gendiagnostischer Sicht unproblematisch erschiene zunächst eine optimale Bereitstellung relevanter Informationen.354 Eine Freiheitsbeschränkung bestünde freilich nicht. Gleichwohl sähe sich eine derartige Intervention Praktikabilitätseinwänden ausgesetzt – insbesondere dann, wenn gendiagnostische Informationen über Krankheitsentwicklungen oder Behandlungsmöglichkeiten erforderlich werden, die noch gar nicht erforscht oder abzuschätzen sind. So bestimmten sich Wissen und Nichtwissen auf einer Basis ungewisser Angaben, ohne dass evidenzbasierte oder begründete Argumente vorlägen. Demgemäß entstünde ein willkürliches Kalkül, das in kritischen Fällen möglicherweise gerade keine zufriedenstellende Informationsbasis darstellt.355 Insoweit könnte ein zweites liberalpaternalistisches Eidenmüller, JZ 2011, S. 815 f. Eidenmüller, JZ 2011, S. 815 ff. 350 Siehe Eidenmüller, JZ 2011, S. 815. 351 Thaler/Sunstein, Nudge, S. 4 ff. mit Hervorhebungen durch den Verfasser: „A nudge, we will use the term, is any aspect of the choice architecture that alters people’s behavior in a predictable way without forbidding any option or significantly changing their economic incentives.“ 352 Dementsprechend solle die Rechtsordnung also Anstöße, sog. „nudges“, geben, die sehr wahrscheinlich helfen und genauso wahrscheinlich nicht schaden. Thaler/Sunstein, Nudge, S. 74 mit Hervorhebungen durch den Verfasser. 353 So Eidenmüller, JZ 2011, S. 817 f. 354 Siehe im Allgemeinen: Eidenmüller, JZ 2011, S. 818. 355 In generellem Bezug zum Fehlen eines begründeten normativen liberalpaternalistischen Konzepts: Eidenmüller, JZ 2011, S. 820. 348 Vgl. 349 So
§ 7 Bioinformationelle Regelungsvorschläge241
Instrument in der Einforderung einer expliziten Entscheidung des Betroffenen liegen.356 Ein freiheitbeschränkender Effekt würde demzufolge minimiert, indem der Betroffenen lediglich gezwungen wäre, eine privatautonome Entscheidung für oder gegen eine gendiagnostische Informiertheit zu treffen.357 Der Realität am nächsten kommt jedoch, dass sich einzelne Präferenzen in einer Wechselwirkung individueller Dispositionen und sozialer Einflüsse erst einmal formen müssen.358 Faktisch exogene und stabile Präferenzen, die sich weder auf einer Mikro- noch auf einer Makroebene beeinflussen lassen, sind für die Zusammenhänge der Gendiagnostik lediglich zu unterstellen.359 Daher begründe sich das dritte Instrument eines liberalen Paternalismus in der Vorgabe „sinnvoller“ und zugleich abwählbarer Rückfalloptionen: So ließe sich mit einem gendiagnostischen Regelarrangement „im Zweifel für das Wissen“ auf eine Art „Opt out“ oder Widerspruchslösung spekulieren, das mit dem Beharrungsvermögens des dispositiven gesetzlichen Angebots kalkuliert.360 Doch auch diesem Instrument ist entgegenzuhalten, dass ein längeres, gesünderes oder „besseres“ Leben eine Zielvorstellung ist, die sich als zu vage für eine ausgearbeitete normative, rechtspolitische Konzeption gestaltet.361 Indem der liberale Paternalismus das „Wohl“ der Betroffenen zu befördern sucht, sich aber zugleich jedweder Aussage enthält, wie dieses „Wohl“ zu bestimmen sei, offenbart er seinen im Grunde normativ leeren Kern.362 Die Hauptschwäche des liberalen Paternalismus stellt dabei das Fehlen eines begründeten normativen Interventionsmaßstabes dar.363 II. Informed consent Ein solcher Maßstab ließe sich in Form des sog. informed consent abbilden. Vor dem Hintergrund einer sich personalisierenden Medizin wandeln sich sowohl faktische Anforderungen als auch normative Bedingungen an die informierte Einwilligung des Patienten: Deutlich wird dieser Wandel im Kontext des sog. informed consent.364 Grundlegend sichert der informed consent die eigenverantwortlich-selbstbestimmte Information des Patienten und konThaler/Sunstein, Nudge, S. 88 f.; Eidenmüller, JZ 2011, S. 818. im Allgemeinen: Eidenmüller, JZ 2011, S. 818. 358 Losgelöst vom Anwendungsbereich der Gendiagnostik: siehe Eidenmüller, JZ 2011, S. 821. 359 Allgemein, siehe Eidenmüller, JZ 2011, S. 821. 360 Vgl. in den Grundzügen Eidenmüller, JZ 2011, S. 818. 361 Siehe Thaler/Sunstein, Nudge, S. 250; Eidenmüller, JZ 2011, S. 818. 362 So Eidenmüller, JZ 2011, S. 820 f. 363 Siehe Eidenmüller, JZ 2011, S. 821. 364 Vgl. Kersten, Informed Consent, S. 89 ff. 356 Vgl.
357 Siehe
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
kretisiert den ärztlichen Behandlungsauftrag.365 Bislang bezog er sich in typologischer Betrachtung meist punktuell auf einen bestimmten medizinischen Eingriff.366 Ein ganzheitlicher Ansatz einer personalisierten Gen-Medizin lässt sich allerdings nur schwerlich punktuell – in ein einmaliges Aufklärungsgespräch für eine konkrete Intervention – fassen. Dabei ist bereits angeklungen, dass analytisch fundierte Diagnosen genetischer Disposition das Therapieverständnis in ein präventivmedizinisches Setting vorverlagern und in ihrer Komplexität meist „nur“ Wahrscheinlichkeitsaussagen über die Manifestation genetischer Krankheiten zulassen: Für jede Krankheit und deren Ausprägungen gibt es unterschiedliche Manifestationsprognosen, deterministisch-prädiktive Aussagen sind selten.367 Das Phänomen der „Präsymptomatik“ dominiert und fordert einen Wandel des informed consent: Die informierte Einwilligung muss sich nunmehr verstärkt von einem situativen und technischen Aufklärungsakt hin zu einem zentralen und konstituierenden Bestandteil der ärztlichen Therapie und Begleitung fortentwickeln.368 Folglich liegt die zentrale Herausforderung des informed consent in der Neukonturierung inmitten einer sich personalisierenden Medizin: Sie besteht einerseits in der Aufklärung über die gesichert-linearen Dimensionen genetischer Disposition und andererseits in der Hervorhebung nicht-linearer, epigenetischer Faktoren.369 Gleichermaßen dürfen aber auch keine überzogenen rechtlichen Anforderungen an den informed consent gestellt werden.370 Mannigfaltig detaillierte Informationen überfordern einerseits den Patienten und werden andererseits meist nicht ausreichend zur Kenntnis genommen.371 Dabei sieht sich die individuelle, „persönliche“ Aufklärung aber auch der Konkurrenz zu nicht notwendigerweise professionellen Informationsquellen, wie dem Internet, ausgesetzt.372 Zwischen Medizin, Technik und Gesellschaft wird das Schritt-Halten-Können insofern weiter erschwert. Ärzte müssen demzufolge eine „besondere Medizinkompetenz“ entwickeln, um die informierte Einwilligung lege artis stattfinden zu lassen.373 Kersten, Informed Consent, S. 89 ff. Kersten, Informed Consent, S. 89 ff. 367 Siehe Bundesärztekammer, Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik; Deutsches Ärzteblatt 100 (2003), A 1297 ff.; Kersten, Informed Consent, S. 89 ff.; Kersten, 1. Teil, PersV (2011), 54 (1), S. 4 ff.; Lindner, MedR 2007, S. 286 ff.; Stockter, in: Prütting, Medizinrecht, § 4 GenDG, Rn. 2. 368 Vgl. Kersten, Informed Consent, S. 89 ff. 369 Vgl. Kersten, Informed Consent, S. 89 ff. 370 Siehe auch Mand, MedR 2005, S. 569 f. 371 Siehe auch Mand, MedR 2005, S. 569 f. 372 Vgl. Kersten, Informed Consent, S. 89 ff.; Mand, MedR 2005, S. 569 f.: Albers, MedR 2013, S. 483 ff. 373 Siehe Kersten, Informed Consent, S. 90. 365 So
366 Vgl.
§ 7 Bioinformationelle Regelungsvorschläge243
Demgemäß muss sich die informierte Aufklärung und Einwilligung noch stärker individualisiert und genetisch begreifen.374 Für den Einzelnen sind im Besonderen verständliche Informationen über Verwendungs- und Verwertungszweck, Forschungsinteressen, Zusatzbefunde oder die Art der Datennutzung erforderlich. Zugleich wird aber auch deutlich, dass sich das international andiskutierte Konstrukt des „broad consent“ oder des „blanket consent“ nicht mit isoliertem Blick auf das Paradigma der informierten Einwilligung lösen können wird.375 Eine breit und offen gestaltete Einwilligung kann nur rechtmäßig sein, wenn verfahrens- und organisationsrechtliche Vorkehrungen eine beständige Arzt-Patienten-Interaktion376 sichern.377 Einem gendiagnostisch ausgerichteten Arzt-Patienten-Gespräch könnten dabei die folgenden Schlüsselinformationen zugrunde gelegt werden: • Informationen über die Besonderheit der genetischen Information, die Hervorhebung linearer und nicht-linearer Faktoren, gleichermaßen wie die mögliche Tragweite von Wahrscheinlichkeitsaussagen für Patienten und Angehörige, • Informationen über die Behandlungsrelevanz gendiagnostischer Ergeb nisse, • Informationen über das Recht, Informationen hinsichtlich der gespeicherten Daten zu erhalten, • Informationen über das Recht, die Einwilligung widerrufen oder eine Vernichtung, Löschung oder Anonymisierung der Daten beantragen zu können, • Informationen über die vorgesehene Dauer der Aufbewahrung von Gewebeproben und Analyseergebnissen, • Informationen über Schutzeinrichtungen zur Gewährleistung der Datensicherheit und -sparsamkeit,378 • Informationen über eine geplante Veröffentlichung der Forschungser gebnisse unter der Verwendung personenbezogener Informationen und Daten.379 Kersten, Informed Consent, S. 89 ff. Albers, MedR 2013, S. 483 ff. 376 Etwa im Falle neu auftretender Schutzerfordernisse oder Forschungsergebnisse. 377 So etwa Albers, MedR 2013, S. 483 ff. 378 Im Besonderen wurde im Rahmen der vorliegend durchgeführten Studie betont: „Again very clear consent instruments that ensure participants understand how long their data will be stored, how it will be stored, where it will be stored, who will have access, and the purpose for creating [information].“ (Kap. § 11 B. III. 4. d). 379 Vgl. hierzu die Ergebnisse der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Studie, Kap. § 11 B. III. 4. c): „Clear, thorough, and plain language consent instru374 So
375 Vgl.
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
Diesen Anforderungen einer prädiktiven Gendiagnostik wird dabei ein einmaliges Beratungsgespräch kaum Genüge leisten können. Mag es dem Arzt auch gelingen, die Chancen und Risiken in der gebotenen Kürze der Zeit zu vermitteln, wird dies in typisierender und zugleich verallgemeinernder Weise erfolgen (müssen): Angesichts der vielschichtigen Behandlungsdimensionen ist aber eine auf den Betroffenen ausgerichtete Personalisierung erforderlich. Den hohen Anforderungen des Spannungsverhältnisses zwischen Diagnostik und Therapie, zwischen Information und Verschwiegenheit und insoweit auch zwischen Patienten und Familienangehörigen kann dabei in einer partizipatorischen und auf Dauer angelegten Arzt-Patienten-Beziehung Rechnung getragen werden. Inmitten Patientenautonomie, Familieninteressen und gesellschaftlichen Impulsen darf Wissen nicht generalisierend vorenthalten oder gar aufgedrängt werden. Vielmehr ist die normative Frage im Einzelfall zu klären, wie viel Wissen zumutbar ist. Freilich wird man dabei die familiäre „Garantenstellung“380 nicht in Abrede stellen können. Zugleich ist jedoch erneut die Behandlungsrelevanz381 genetischer Information zu thematisieren. Ergänzungen und Nachjustierungen der Tatbestandsvoraussetzungen, die auf die Behandlungsrelevanz der Gendiagnostik abstellen, sind folglich auch für den Wandel des informed consent einzufordern. III. Supervision durch Ethikkommission Doch trotz erforderlicher Konkretisierungen der bestehenden Tatbestandsmerkmale gilt es in freien und pluralistischen Gesellschaften, einer fortschreitenden Verrechtlichung der Medizin vorzubeugen.382 Die Folge eines spannungsgeladenen Wandels der personalisierten Medizin ist nicht nur eine Verrechtlichung medizinischer, sondern auch ethischer Fragestellungen.383 Motiviert durch ein ärztliches Selbstverständnis, das auf hippoments that include (1) conditions under which disclosure to third parties may occur, (2) possibility of acquiring information outside of the intended purpose (i. e., unanticipated findings, misattributed paternity, etc.), (3) opt-in to receive clinically relevant unanticipated findings, and (4) process and procedure should a privacy breach occur.“ Siehe aber auch Wellbrock, MedR 2003, S. 77 ff.; Mand, MedR 2005, S. 572; darüber hinaus unterstreichen auch die weiteren Ergebnisse der Untersuchung (§ 11), dass 40,2 % der Befragten die Interpretation über die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Krankheitsentstehung oder Verschlechterung als sehr wichtig beurteilten – überdies wurden auch Informationen über die Verstoffwechselung von Medikamenten als sehr bedeutend bewertet (36,8 % „definitely yes“). 380 Hierbei auf § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG abzielend, vgl. Kersten, Informed Consent, S. 92. 381 Vgl. bereits Kap. § 6 A. III. 2. c) cc). 382 Zu einer fortschreitenden Verrechtlichung in der Medizin: Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 871 ff.
§ 7 Bioinformationelle Regelungsvorschläge
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kratischen Grundsätzen beruht, suchen Ethikkommissionen medizinische Handlungsmaxime zu bewahren: So soll der Arzt seinem Patienten keinen Schaden zufügen, alleine dessen Gesundheit fördern, niemanden missbrauchen oder gar diskriminieren und über die Behandlungsinhalte Stillschweigen bewahren.384 Am prominentesten kommt dies wohl in den fünf „Principles of Biomedical Ethics“: Respect of Autonomy, Nonmaleficence, Beneficence, Justice and Professional-Patient Relationship zum Ausdruck.385 Gleichzeitig resultiert aus den moralischen Bestrebungen die Metamorphose von Ethikkommissionen hin zu unabhängigen Sachverständigengremien, die sich auch in der Gendiagnostik auf den Ebenen der Gesetzesberatung, -konkretisierung und -anwendung ausdifferenzieren.386 383
Kritiker sehen darin eine mit einem „Ethik-Boom“ einhergehende „Kom missionisierung“.387 Eine politisch belastbare Lösung der damit einhergehenden Konflikte könne dabei nicht (mehr) in einer „rein“ ethischen Entscheidung gefunden werden – umso weniger, sofern das Ergebnis von einem „individuellen ethischen Vorverständnis der mehr oder minder zufällig bzw. zielgerichtet ausgewählten Mitglieder einer heterogenen Vielzahl von Ethikkommissionen“388 abhängt. Folglich ließe sich allein in Anknüpfung an verfassungsrechtliche Freiheiten eine individuell wie kollektiv akzeptierte Lösung gendiagnostischer Konflikte erreichen.389 383 Vgl. Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/ Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 871 ff. 384 Siehe http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=1.100.1142.1145.1147 [letzter Aufruf am 10.01.2015]; Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 871 ff. 385 Vgl. Beaucamp/Childress, Principles of Biomedical Ethics, S. 99 ff.; Hacker/ Rendtorff/Cramer/Hallek/Hilpert/Kupatt/Voigt/Zichy, Biomedizinische Eingriffe am Menschen. Ein Stufenmodell zur ethischen Bewertung von Gen- und Zelltherapie, S. 20; Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 871 ff.; Schroth, Ärztliches Handeln, S. 21 (42 ff.). 386 Vgl. Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/ Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 871 ff. 387 Vgl. Freund, Aus der Arbeit einer Ethik-Kommission: Zur Steuerung von Wissenschaft durch Organisation, MedR 2001, S. 65; auch Bogner, Moralische Expertise? Zur Produktionsweise von Kommissionsethik, in: Bogner/Torgersen, Wozu Experten? Ambivalenz der Beziehung von Wissenschaft und Politik, S. 172 (176); Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 871 ff.; Deutsch, Der Beitrag des Rechts zur klinischen Forschung in der Medizin, NJW 1995, S. 3019 (3021 f.). 388 Vgl. Gramm, Verrechtlichung von Ethik und Ethisierung von Recht, in: FS Hollerbach, S. 611, 622 ff.; Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 871 ff. 389 Vgl. Freund, Aus der Arbeit einer Ethik-Kommission: Zur Steuerung von Wissenschaft durch Organisation, MedR 2001, S. 65; Kersten, Technische und ethi-
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3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
Dabei kann eine Einbindung interdisziplinären Sachverstandes in Verfahrensregelungen eine dynamische und möglicherweise auch gegenseitige Weiterentwicklung von Recht und Medizin / Technik ermöglichen. Gleichwohl ist in einer verfassungsmäßig angemessenen Ausgestaltung der Organisation und des Verfahrens von Sachverständigenkommissionen stets auch das von Eberhard Schmidt-Aßmann entwickelte Konsistenzgebot zu achten:390 „Je nachhaltiger der faktische oder der rechtliche Einfluss solcher Gremien ist, desto stärker muss von Seiten des Staates jedoch darauf gesehen werden, dass Neutralität und Ausgewogenheit die Sachverständigenarbeit bestimmen. Es muss [also] sichergestellt sein, dass die in den beteiligten Kreisen vertretenen Auffassungen zumindest tendenziell vollständig erfasst werden. Das, was Sachverständige in dieser Eigenschaft bieten können, und das, was wegen seines vorrangig politischen Charakters staatlich zu verantworten ist, muss in den Verfahrens- und Organisationsregelungen getrennt bleiben.“ Eine dynamisch-partizipative Regulierung der personalisierten Arzt-Pa tienten-Beziehung bedingt also die ständige Aktualisierung des Standes von Wissenschaft und Forschung als integrative und interdisziplinäre Wissensvermittlung einen integralen Baustein eines biomedizinischen Abwägungsprozesses.391 Insoweit hat der Gesetzgeber auch auf allen drei Ebenen – der Rechtssetzung392, der Rechtskonkretisierung393 und auch der Rechtsanwendung – Ethikkommissionen vorgesehen. Im Bereich der personalisierten Gendiagnostik wurde gemäß § 23 Abs. 1 GenDG eine interdisziplinär zusammengesetzte, unabhängige Gendiagnostik-Kommission (GEKO) beim Robert Koch-Institut in Berlin einberaumt. Sie setzt sich aus 12 Sachverständigen der Fachrichtungen Medizin und Biologie, zwei Sachverständigen der Fachrichtungen Ethik und Recht sowie drei Vertretern für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten zusammen. Gemäß § 23 sche Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 871 ff. 390 Schmidt-Aßmann, NJW 2004, S. 1689 ff. (1692); siehe auch Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 871 ff. (875). 391 So auch Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/ Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 871 ff. (875). 392 Auf der Ebene der Gesetzgebungsberatung zeigt sich in den Stellungnahmen des Nationalen und Deutschen Ethikrates eine regelmäßig an der Verfassung orientierte Argumentation, vgl. Deutscher Ethikrat, Präimplantationsdiagnostik, Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft, ausführlich hierzu Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/ Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 875 ff. 393 So hat etwa das Gendiagnostikgesetz auf der Ebene der Gesetzeskonkretisierung die Gendiagnostik-Kommission (GEKO) geschaffen, § 23 Abs. 1 GenDG.
§ 7 Bioinformationelle Regelungsvorschläge247
Abs. 2 GenDG erstellt die Gendiagnostik-Kommission dabei aktuelle Richtlinien in Bezug auf den allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft und Technik. Diesen weiten Gestaltungsspielraum legitimiert § 23 GenDG aber nur ansatzweise, so dass auch der Geschäftsordnung der Gendiagnostik (GEKO-GO) eine zentrale Bedeutung zukommt.394 Über die organisationsund verfahrensrechtliche Ausgestaltung der GEKO-GO395 hinaus sind verfassungsrechtlich Unabhängigkeit, Neutralität und Transparenz eines demokratischen Rechtsstaates (Art. 20 Abs. 1–3 GG) zu gewährleisten.396 Insoweit sind intransparente Mischformen wissenschaftlicher, ethischer und gesundheitsökonomischer Interessen397 nachdrücklich zu untersagen. Mit der zunehmen Verrechtlichung und Ökonomisierung der modernen Medizin haben sich auch die Aufgaben der Ethikkommission gewandelt: Sie beraten nicht mehr in erster Linie Ärzte im Hinblick auf medizin-ethisch-rechtliche Aspekte der Heilbehandlung, sondern sind vielmehr in gesetzgeberische und verwaltungsrechtliche Aufgaben eingebunden.398 Vor dem Hintergrund einer personalisierten Zukunft in der Gendiagnostikforschung und der Besonderheit genetischer Information bleibt aber gerade deshalb zu fragen, ob nicht eine Entscheidung eines unabhängigen Gremiums aus zwei oder mehreren spezialisierten Ärzten399, die nicht unmittelbar in die (gendiagnostische) 394 Auf der Ebene der Gesetzesanwendung hat der Gesetzgeber einen Paradigmenwechsel nicht in der Bezeichnung, wohl aber in der Aufgabengestaltung von Ethikkommissionen vollzogen, vgl. Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 877; VGH BW, MedR 2003, S. 109 (112 f.). 395 Siehe hierzu ausführlich Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 883 ff.; vgl. des Weiteren: http://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/GendiagnostikKommission/ GEKO_node.html [letzter Aufruf am 04.07.2014]. 396 Vgl. Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/ Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 887 f. 397 So vermischen Bundesärztekammer (BÄK) und Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) zum Teil gesetzeskonkretisierende Aufgaben der GendiagnostikKommission (GEKO) mit berufsständischen und gesundheitsökonomischen Interessen; zur „Gastpolitik“ der GEKO kritisch: Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 886 ff. 398 Vgl. Kersten, Technische und ethische Fragen der Medizin, in: Ehlers/Fehling/ Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, S. 904. 399 Wie beispielsweise im Bereich der Transplantationsmedizin: So sind gem. § 5 Abs. 1 S. 1 TPG die notwendigen transplantationsmedizinischen Feststellungen nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 von zwei hierfür qualifizierten Ärzten zu treffen, die den Organ- oder Gewebespender unabhängig voneinander untersucht haben. Nach § 5 Abs. 2 S. 1 und 2 TPG dürfen sie weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe oder Gewebe des Spenders beteiligt sein. Auch dürfen sie nicht Weisungen eines Arztes unterstehen, der an den entsprechenden Maßnahmen beteiligt ist.
248
3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
Behandlung der Familien eingebunden sind, sich aber mit dem individuellen Beziehungsgeflecht eingehend befasst haben, praxisnäher und „persönlicher“ wäre? IV. „Biobook“ Im informationellen Spannungsfeld der Gendiagnostik treffen Bedürfnisse der Spender auf wissenschaftliche Grundwerte und wirtschaftliche Interessen der Medizin. § 2 Abs. 2 Nr. 1 GenDG regelt, dass das Gendiagnostikgesetz nicht für genetische Analysen und den Umgang mit genetischen Proben zu Forschungszwecken gilt. Gleichwohl werden medizinische Arbeitsabläufe sowohl im Diagnostikals auch im Forschungsbereich durch Schichtarbeit, arbeitsrechtlich vorgegebene Ruhezeiten oder aber Kongressreisen zerrüttet.400 Infolgedessen ermöglichen Krankenhausinformationssysteme (KIS) den Online-Zugriff auf meist sämtliche Labor- und Untersuchungsparameter.401 Dass dabei einer Vielzahl an Mitarbeitern ein umfassender Zugriff auf sensible Patientendaten offenstehen soll, erscheint im hier interessierenden Kontext problematisch. Insoweit ist in der Mitteilung von Analyseergebnissen eine konsistente und gangbare Lösung zu suchen, die den Interessen des Patienten gerecht wird und das zentrale Gute der informationellen Selbstbestimmung in seiner Ausprägung auf Wissen und Verschwiegenheit angemessen schützt.402 Gleichermaßen streitet eine datenschutzrechtliche Zusammenschau des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG mit § 11 Abs. 2 GenDG im Besonderen dafür, eine Konfrontation des Patienten mit genetischen Befunden außerhalb des Arzt-Patienten-Verhältnisses zu vermeiden.403 Als unterstützende Maßnahme der praktischen Ausgestaltung zwischen Arzt und Patient ist daher eine geschützte Online-Plattform im Sinne eines „Biobook“ anzudenken. Unter der Prämisse einer getrennten Analyse- und Patientenspeicherung differenziert das Modell nach Verantwortlichkeiten. Datenschutzbeauftragte stellen IT-technische Maßnahmen, wie Administra400 Siehe Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/Engel/ Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 84 ff. 401 Vgl. Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 11, Rn. 5; Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 84 ff. 402 So auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 16/10532, S. 29; Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 84 ff. 403 Vgl. Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 84 ff.
§ 7 Bioinformationelle Regelungsvorschläge249 Patientenplattform „Biobook“
Zentrale Proben- und Datenbank Schnittstelle
Patientenliste
Verschlüsselung
Administrator-Zugriff
AnalyseDatenbank
Forschungsprojektkoordination
PatientenDatenbank
Abb. 1: Modell-Konzept des „Biobook“ Die organisatorischen Maßnahmen umfassen eine getrennte Speicherung und Lagerung von Forschungs- und Patientendaten. Die zentralen Verantwortlichkeiten obliegen der administratorgeschützten Schnittstelle zwischen Forschung, Klinik und Patienten. Schlüsselelemente in der Koordination stellen der geschützte Datenbereich und ein IT-gesteuertes Patientenportal dar.
toren-Bereiche, Verschlüsselungen und Firewalls, sicher und verpflichten teilnehmende Akteure zur Einhaltung der Schweigepflicht. Zugleich minimieren beschränkte Zugangsberechtigungen das Rückidentifizierungsrisiko. In einem für jeden Nutzer individuell geschützten Profilbereich könnten neben Ärzten aber auch die Betroffenen freiwillig und eigenständig ihre Einwilligung zur Forschung und Weiterverwendung oder zum wissenschaftlichen Austausch in den Einstellungen zur Privatsphäre erteilen. Insoweit ließen sich der Zeitraum, der Forschungszweck, die Art und der Umfang sowie ein jederzeit möglicher Widerruf der Speicherung der Daten über eine entsprechende Online-Wahlfunktion regulieren.404 Darüber hinaus wäre es denkbar, dass Benachrichtigungen über aktuelle und auf das Risikoprofil personalisierte Forschungs- und Behandlungsfortschritte den Spender in regelmäßigen Abständen informieren. Im Falle einer 404 So fand die Zugänglichkeit der Biodaten für die verantwortlichen und behandelnden Ärzte (30,5 %) sowie für Ärzte und Wissenschaftler der betreffenden Einrichtung (31,2 %) signifikante Akzeptanz. Mit einer Zugangsmöglichkeit für Ärzte und Wissenschaftler von Partner-Einrichtungen oder Klinikkooperationen erklärten sich mithin 19,3 % der Studienteilnehmer einverstanden, siehe des Weiteren Kap. § 11 B. III. 3. b).
250
3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
Beendigung der Arzt-Patienten-Beziehung würden sowohl Proben als auch Daten dem nachfolgenden Arzt übermittelt, sofern die spendenden Personen hierzu die Einwilligung erteilen. Auch die gerne bemängelte Löschungspflicht des § 12 Abs. 1 GenDG405 nach Ablauf von zehn Jahren ließe sich bei gleichzeitigem Schutz der Spenderinteressen modifizieren: So ist die Datenaufbewahrung nicht erst beendet, wenn aus ärztlicher (und insoweit paternalistisch-fürsorglicher) Sicht „schutzwürdige Interessen“ der Einzelnen betroffen sind.406 Die maßgebende Entscheidung kann durch die OnlineZugriffsmöglichkeiten mit dem Patienten abgestimmt werden. Insofern sind die online-verfügbaren Analyseergebnisse nicht unwiederbringlich verlustig oder ungefragt vorrätig.407 Dass dieses Modell der unterstützenden Online-Beziehung ein mögliches ist, ergibt sich für den Bereich der Forschung bereits aus den allgemeinanerkannten Rechtsgrundsätzen der Einwilligung und für den Bereich der klinischen Anwendung aus § 11 Abs. 3 GenDG.408 Doch stellt § 11 Abs. 3 GenDG besondere Formerfordernisse. So hat die Einwilligung ausdrücklich und schriftlich zu erfolgen, sofern Untersuchungsergebnisse an Dritte und nicht-ärztliche Personen409 weitergegeben werden. Diese Formanforderungen sind im hier interessierenden Kontext freilich auch nachvollziehbar, sind doch die Behandlungsdaten bei der Weitergabe an Dritte außerhalb eines klinisch-therapeutischen Kontextes besonders schutzwürdig.410 Abgesehen davon kann die gezielte Koordination der Arzt-Patienten-Beziehung durch das Internet das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient keinesfalls ersetzen. Trotz einer informationellen und ITmedizinischen Personalisierung muss dem persönlichen Arzt-Patienten-Verhältnis eine hervorgehobene Bedeutung zukommen. 405 Vgl. Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, Stellungnahme, Prädiktive genetische Diagnostik als Instrument der Krankheitsprävention, S. 61, http://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublica tion/201011_natEmpf_praedikative-DE.pdf [letzter Aufruf am 06.07.2014]. 406 Vgl. Duttge, Das Gendiagnostikgesetz: Vorbild für eine Gesamtregelung der Fortpflanzungsmedizin? S. 235 ff. (239). 407 Vgl. zur Löschungspflicht des § 12 Abs. 1 GenDG: Duttge, Das Gendiagnostikgesetz: Vorbild für eine Gesamtregelung der Fortpflanzungsmedizin? S. 235 ff. (239). 408 So auch Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/Engel/ Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 84 ff. 409 „Hier wird – auch aus der gesetzgeberischen Begründung – nicht deutlich, ob sich dies auf dritte Personen allgemein oder auf dritte Personen im Sinne von Mitbehandlern erstreckt.“ Vgl. Schillhorn/Heidemann, Kommentar GenDG, § 11, Rn. 8. 410 Vgl. Kap. § 3 C.; Rosenau, Relevante Fragenstellungen des GenDG, in: Duttge/ Engel/Zoll, Das Gendiagnostikgesetz im Spannungsfeld von Humangenetik und Recht, S. 84 ff.
§ 7 Bioinformationelle Regelungsvorschläge
251
V. Agreement zwischen Arzt und Patient In der Folge gründet das Modell eines „Agreements“ zwischen Arzt und Patient auf einer partizipativen Entscheidungsfindung (sog. shared decision making)411. Von biopsychosozialen Einflüssen ausgehend412 fördern die Arbeiten von Michael Balint das Konzept einer patientenzentrierten Medizin.413 In einem sich wandelnden Selbstverständnis beraten und entscheiden Arzt, Forscher und Betroffener gemeinsam. Der Informationsfluss ist nicht einseitig, sondern mehrdimensional auf Interaktion und einen gegenseitigen Informationsaustausch abgestimmt. Eine partnerschaftliche Entscheidung, ein Agreement, garantiert die für die Entscheidung erforderlichen Fachinformationen und reflektiert sich wandelnde Bedürfnisse des Einzelnen. Neben objektiven medizinischen Kriterien sind dabei auch subjektive Elemente, wie die persönliche Lebenseinstellung des Patienten, in besonderer Weise zu gewichten. Folgende Messinstrumente verifizieren das subjektivierende Konzept eines Agreements beispielhaft: 1. PartizipationsScale);
und
Informationspräferenzen
(Autonomy
Preference
2. Präferenzen der Beteiligung an der Entscheidungsfindung (Control Pre ference Scale); 3. Individuelle Wahrnehmungen der Risikokommunikation sowie der Behandlungsrelevanz biogenetischer Information (COMRADE Measure); 411 Vgl. Charles/Gafni/Whelan, Shared decision-making in the medical encounter: What does it mean? Soc Sci Med. S. 681 ff.: „We suggest as key characteristics of shared decision-making (1) that at least two participants-physician and patient be involved; (2) that both parties share information; (3) that both parties take steps to build a consensus about the preferred treatment; and (4) that an agreement is reached on the treatment to implement.“ Klemperer/Rosenwirth, Shared Decision Making, S. 5 f., http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-307908CC-1858FC32/ bst/chartbook_190705_ %282._Auflage %29.pdf [letzter Aufruf am 21.06.2014]; Stockter, Präventivmedizin und Informed Consent, S. 88 ff. 412 Nach diesem Modell des ganzheitlichen Krankheitsverständnisses stellt sich Krankheit dann ein, wenn der Organismus die autoregulative Kompetenz zur Bewältigung von auftretenden Störungen auf beliebigen Ebenen des Systems „Mensch“ nicht ausreichend zur Verfügung stellen kann und relevante Regelkreise für die Funktionstüchtigkeit des Individuums überfordert sind bzw. ausfallen, vgl. Engel, Psychisches Verhalten in Gesundheit und Krankheit, 1976, passim; ausführlich E gger, Das biopsychosoziale Krankheitsmodell, S. 3 ff., http://www.psygraz.at/fileadmin/ user_upload/Psy_2/Psy201bpsMod2005_Egger.pdf [letzter Aufruf am 22.06.2014]. 413 Vgl. Stewart/Brown, Patient-centredness in medicine, passim; Klemperer/Rosenwirth, Shared Decision Making, S. 5 f., http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/ rde/xbcr/SID-307908CC-1858FC32/bst/chartbook_190705_ %282._Auflage %29.pdf [letzter Aufruf am 21.06.2014].
252
3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis
4. und schließlich individuelle Eigeninitiative und Integration des Patienten (PIC Scale).414 Unabdingbar für eine partizipatorische Entscheidungsfindung ist jedoch die Fähigkeit des Arztes, medizinische Bewertungskriterien transparent und persönlich zu gestalten. So legt der Arzt gemeinsam mit dem Patienten die gendiagnostische Fragestellung und Ausrichtung des Untersuchungsanlasses fest. Als Grundprämisse einer ergebnisoffenen und verständlich geführten Aufklärung und Einwilligung garantiert der informed consent415 dabei, dass Unklarheiten hinsichtlich des Studien-Settings und der Aussagekraft der Ergebnisse vermieden werden. Neben Informationen zu Zuständigkeiten im Organisationsbereich und Ansprechpartnern sind auch Forschungsaktivitäten und Maßnahmen der Qualitätssicherung zu erörtern. In Kontrastierung zu einem paternalistisch geprägten Modell ermöglicht der partizipatorische Arzt-PatientenAustausch eine anfängliche Beschreibung der Testmöglichkeiten. Dies sichert gleichermaßen eine individuelle Gewichtung der Spenderinteressen. Insoweit steht die Phase des Agreements, die testbegleitende Erwartungen und subjektive Ansprüche identifiziert, im Zentrum der patientenorientierten Instrumentierung. Die persönlichen Informationen des Spenders werden informationstechnologisch416 definiert. Nach einem festgelegten Zeit raum417 wird der Patient i. S. eines partizipatorischen Re-Agreements erneut zur weiteren Verwendung und Speicherung seiner Daten befragt. In diesem personalisierten Umfeld setzen ihn beratungskompetente Ärzte oder Genetic Counselors über etwaige neue Erkenntnis- und Therapiemöglichkeiten in Stand. Persönliche Daten werden gemeinsam mit neuen Forschungserkenntnissen ausgewertet, die bislang möglicherweise noch unzureichend erforscht waren. Die dialogische Vereinbarung mit beiderseitigen Kooperationsberechtigungen erreicht insoweit sowohl auf Patienten- als auch auf Behandlungs- und Forschungsseite ein interaktives „benefit sharing“. Die für eine personalisierte Medizin erforderliche Transparenz und Akzeptanz wäre freilich gewahrt und einem Datenmissbrauch mittels zeitlich versetzter (Re-) Evaluationsterminen vorgegriffen.418 414 Zu den Skalen der Autonomy Preference (1.), der Control Preference Scale (2.), der COMRADE Measure (Combined Outcome Measure For Risk Communication and Treatment Decisions Making Effectiveness, 3.), der PIC (Patients’ Perceived Involvement in Care) Skala (4.) siehe ausführlich: Giersdorf/Loh/Härter; Quantita tive Messverfahren, S. 69 ff. 415 Vgl. hierzu Kap. „informed consent“ § 7 B. II. 416 Siehe hierzu auch Kap. „Biobook“ § 7 B. IV. 417 Von beispielsweise einem Jahr, vgl. hierzu auch die Ergebnisse hinsichtlich der Aufbewahrungsdauer in Biobanken (§ 11 B. III. 3. c)): 31,0 % der befragten Studienteilnehmer präferierten eine zehnjährige Aufbewahrungszeit von Proben und Daten.
§ 7 Bioinformationelle Regelungsvorschläge
253
Der nachstehende Algorithmus bildet die iterative Struktur im Kontext einer präventiv-genetischen Biobibliothek ab. Das tragende Fundament gründet in der partnerschaftlichen Interaktion zwischen Arzt und Patient gleichermaßen wie in einer kontinuierliche Re-Evaluation der Behandlungsbeziehung: 418
1. Gemeinsame Definition der gendiagnostischen Fragestellung
2. Gemeinsame Beschreibung der Testmöglichkeiten
Positives Testergebnis
Negatives Testergebnis
Kein Testergebnis
Wahrscheinlichkeitsprognose
Indifferentes Ergebnis
3. Individuelle Gewichtung der Testmöglichkeiten
4. Überprüfung des gegenseitigen Verständnisses
5. Erarbeitung testbegleitender Gefühle
Hoffnungen
Vorstellungen
Erwartungen Ängste
Sorgen
6. Individuelle Gewichtung der Emotionen
7. Überprüfung des gegenseitigen Verständnisses
(Fortsetzung der Abbildung auf der nächsten Seite) 418 Diesen Wandel der kommunikativen Beziehung zwischen Arzt und Patient hin zu einem partizipatorischen Agreement konstatieren auch die Befragungsergebnisse
254
3. Teil: Arzt-Patienten-Verhältnis 8. AGREEMENT
Durchführung des Test
Unterlassen des Tests
Aufschieben des Tests
Speicherung
Vernichtung
9. Individuelle Gewichtung der Studienmöglichkeiten
10. Überprüfung des gegenseitigen Verständnisses
9. RE-AGREEMENT
Neue Testergebnisse
Neue Forschungserkenntnisse
Widerruf der Einwilligung
Abgleich Geno--Phänotyp
Fortsetzung der Studie
10. Individuelle Gewichtung der Studienmöglichkeiten
11. Überprüfung des gegenseitigen Verständnisses
12. REVIEW DES AGREEMENTS Abb. 2: Beispielhafter Flow-Chart-Algorithmus eines Agreement-Instruments Die einzelnen Phasen der partizipatorischen Interaktion zwischen Arzt und Proband sind kontrastiert dargestellt. Im Zentrum des Konzepts steht eine dialogische Vereinbarung zwischen Arzt und Patient mit beidseitigen Kooperationsberechtigungen, die ein interaktives „benefit sharing“ gewähren.
§ 7 Bioinformationelle Regelungsvorschläge
255
C. Bioinformationelle Schlussfolgerung Zusammenfassend müssen sich Erfolgsbedingungen einer gendiagnostischen Arzt-Patienten-Beziehung in ihrer grundlegenden Ausgestaltung auf Erkenntnisse des informed consent stützen. Unter der Prämisse, Patienten seien in globalem Forschungskontext einer permanenten Generierung neuer Wissens- und Forschungsmöglichkeiten ausgesetzt, gelangen mit dem Gedanken des informed consent auch verfassungsrechtliche Determinanten auf das Tableau. Unabhängig von einer konkreten Ausgestaltung der einzelnen Struktur-Modelle – sei es unter Zuhilfenahme eines Biobooks, der Konsultation einer Ethikkommission und algorithmischer Strukturen zur Ausgestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses – kann durch eine global gestaltete Beachtung grundlegender Strukturen des informed consent ein schnelllebiger Wandel genetischer Information in Anschlag gebracht werden. Eine interaktiv-normative Diskursstruktur wird in einem informationsrechtlichen Spannungsverhältnis zwischen Patientenautonomie, verwandtschaftlichen Informationsinteressen und Perspektiven der Forschung durchgängig durch die Frage nach der Zumutbarkeit und therapeutischen Qualität gendiagnostischer Information geprägt sein. Dem Bereich der personalisierten Medizin, der Gendiagnostik, aber auch der zukünftigen Ausrichtung individueller Bioinformationen ist hierbei gemeinsam, dass der Mensch in seiner Persönlichkeit und seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung dialogisch bestmöglich und „persönlich“ zu achten ist.
der
im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Studie. Sie fordern einen aktiveren Part in der Abstimmung des Behandlungsprozesess und betonen insoweit die informationelle Selbstbestimmung und Autonomieentscheidung des Einzelnen. Ein besonderes Bedürfnis äußerten die Studienteilnehmer hinsichtlich der Interpretation von Gesundheitsinformationen, die präventiv oder therapeutisch von Relevanz sind. Des Weiteren war für 37,3 % der Befragten die persönliche Betreuung durch einen Arzt („medical doctor“) von besonderer Bedeutung („definitely yes“). Entschieden abgelehnt wurde hingegen die alleinige Auswertung und Betreuung der Patienten durch eine Biobank (40,2 % „definitely not“). Insofern nimmt die persönliche Beratung im Rahmen der Arzt-Patienten-Beziehung einen zentralen Stellenwert ein. Siehe weitere Ergebnisse in Kap. § 11 B. III. 2. b).
4. Teil
Biobanken § 8 Rechtlicher Rahmen und Rechtsprobleme Genetische Informationen sind einzigartig: Sie „sind unabhängig vom Alter, unabhängig vom klinischen Status, [teilweise] unabhängig vom Gewebe; sie sind stabil, [und] es werden nur kleine Proben benötigt […].“1 Genetische Informationen sind exzeptionell. Die personalisierte Medizin gründet auf der Besonderheit genetischer Information und wertet gendiagnostisch gewonnene Ergebnisse personenbezogen aus. In ihrer Fortentwicklung bedient sie sich dabei des Aufbaus und der Erweiterung von Biobanken, um genetische Daten mit persönlichen Informationen aufzubewahren.2 Sammlungen humaner Geninformationen werden weltweit vernetzt und in Forschung, Diagnostik und Therapie eingesetzt.3 Zugleich stellen Biobanken aber auch ein relativ neues Problem für das Recht dar: Die juristischen Rahmenbedingungen sind von heterogenen Vorgaben unterschiedlicher Provenienz und Verbindlichkeit geprägt.4 Der Einzelne, der sein Blut, sein Gewebe oder seine DNS für diagnostische, therapeutische oder forschungsspezifische Zwecke entnehmen lässt, sieht sich in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Mit einer intensivierten Auswertung des Gewebes und den hieraus gewonnenen Informationen können auch Daten über den gegenwärtigen Gesundheitszustand oder Prognosen für die künftige Gesundheitsentwicklung ausgewertet und bewahrt werden.5 Vor diesem Hintergrund würde man vermuten, dass sich der Gesetzgeber den regulatorischen Anforderungen einer BiobankenGovernance im Rahmen der Umsetzung des Gendiagnostikgesetzes ange1 Auch wenn der Autor im Folgesatz darauf beharrt, dass dies „nicht ausreicht, um Befunden aus Gentests eine neue Qualität zuzuschreiben“, siehe Simon, Gen diagnostik und Versicherung, S. 137. 2 Vgl. Huster/Gottwald, Rechtliche Implikationen der Personalisierten Medizin, In: Wienke/C. Dierks/Jahnke, Rechtsfragen der Personalisierten Medizin, S. 44 f. 3 Vgl. Mand, MedR 2005, S. 565. 4 So Albers, MedR 2013, S. 483 ff. 5 Vgl. Mand, MedR 2005, S. 565 f.; Albers, MedR 2013, S. 483 ff.
§ 8 Rechtlicher Rahmen und Rechtsprobleme
257
nommen hätte. Doch trotz zahlreicher politischer Absichtserklärungen, den internationalen Vorgaben der Konvention über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates und des jüngsten Zusatzprotokolls zur biomedizinischen Forschung erfolgte eine legislative Annährung bislang nicht.6 So begrenzt § 2 Abs. 1 Nr. 1 GenDG den Anwendungsbereich des Gendiagnostikgesetzes auf genetische Untersuchungen und Analysen und schließt den Umgang mit genetischen Proben und Daten zu Forschungszwecken schlichtweg aus.7 Diese Ausnahme mag angesichts der zunehmenden Zahl an Biobanken, die Probenmaterial genetischer Untersuchungen in der Forschung vorhalten, erstaunen.8 In der Folge überrascht es daher nicht, dass die Praxis selbstregulatorische Normenkomplexe entwickelt und mit ausgefeilten, aber zugleich weit reichenden Einwilligungserklärungen operiert.9 So hat Marion Albers das derzeitige Gemenge aus internationalen, europäi schen, verfassungsrechtlichen und selbstregulatorischen Vorgaben zu Recht als „unübersichtliches und unbefriedigendes Bild“ gezeichnet.10 Im Folgenden sei zunächst der regulatorische Rahmen der Biobanken skizziert (A.). Die Verwendung genetischer Daten in Biobanken (I.) wird erörtert und die Anwendbarkeit transnationaler Regelungen (II.) reflektiert. Die nachfolgenden Überlegungen zeigen die grundrechtlichen Schutz- und Regulierungserfordernisse einer verfassungsrechtlich legitimierten Einwilligung auf und bewerten diese (III.). In einem abschließenden Teil gehen die Untersuchungen noch einen Schritt weiter und entwickeln GovernanceKonzepte für ein ausdifferenziertes und entbürokratisierendes Biobankgeheimnis mit unterschiedlichen Stufen genetischer und epigenetischer Datenkombinationen (B.).
6 Siehe Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with regard to the Application of Biology and Medicine: Convention on Human Rights and Biomedicine (Oviedo, 4.IV.1997), http://conventions.coe.int/ Treaty/en/Treaties/Html/164.htm [letzter Aufruf am 09.05.2014]; Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine, concerning Biomedical Research, http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/195.htm [letzter Aufruf am 09.05.2014]; Mand, MedR 2005, S. 565 f. 7 Insbesondere finden damit auch die Regelungen zur Mitteilung und Weitergabe genetischer Daten, § 11 GenDG, sowie zur Verwendung und Vernichtung genetischer Proben, § 13 GenDG, für Biobanken keine Anwendung. 8 Vgl. BT-Drs. 16/10532, S. 46. 9 So Albers, MedR 2013, S. 483 ff. 10 Albers, MedR 2013, S. 483 ff.
258
4. Teil: Biobanken
A. Verwendung genetischer Daten in Biobanken Der Begriff der „Biobank“ umschreibt zunächst ein vielfältiges Spektrum an Sammlungen biologischen Materials, das auf verschiedenste Zwecke ausgerichtet sein kann.11 Dabei zielt die Terminologie nicht nur auf reine Materialsammlungen oder auf Gewebebanken ab.12 Vielmehr liegt die Besonderheit der Biobanken in ihrem janusköpfigen Doppelcharakter als Proben- und Datensammlungen.13 Biobanken führen Proben menschlicher Körpersubsatz – Gewebe, Blut oder DNS – mit personenbezogenen Daten und soziodemographischen Informationen der Spender zusammen.14 Doch bereits jede Körperzelle stellt für sich genommen eine von der Natur zur Verfügung gestellte Datenbank dar.15 Mithin sind unterschiedliche Zell- und Gewebetypen, wie Blut, Sperma, Speichel, Haare oder Hautpartikel, als genetisches Datenmaterial geeignet.16 Der somatische Datenträger weist dabei besondere Qualitäten auf:17 Die DNS kann als stabiles Molekül auf Jahre hin aufbewahrt werden (hohe Probenstabilität).18 Bereits kleinste Mengen genetischer Erbsubstanz reichen aus, um ein umfangreiches Genprofil einer Person zu stellen (gute Probenverwertbarkeit). Auch die Verfügbarkeit der Proben lässt sich angesichts der Vielzahl der individuellen Datenträger sichern (leichte Probenverfügbarkeit).19 Schließlich können die unveränderbaren, spezifischen DNS-Muster durch elektrophoretische Auftrennung und Hybridisierung mittels Gensonden dem Individuum zugeordnet werden (individualisierte Proben- und Datenzuordnung).20 Kennzeichnend ist also die Verknüpfung von personifizierten Proben und Daten, mit dem Ziel, Information und Wissen zu erhalten.21 Zugleich bleibt Albers, MedR 2013, S. 483 ff. Gassner, Pathobiology 2007, S. 270 ff. 13 Siehe Nationaler Ethikrat, Biobanken, S. 9 (24 ff.). 14 Vgl. BT-Drs. 17/2629, S. 3; Nationaler Ethikrat, Biobanken, S. 9 (24 ff.). 15 So Stockter, Individualität, S. 83 ff. 16 Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort DNA-Fingerprint-Methode; Stockter, Individualität, S. 83 ff.; LG Darmstadt, NJW 1989, S. 2238 f. 17 Siehe Stockter, Individualität, S. 83 ff.; LG Darmstadt, NJW 1989, S. 2238 f.; Hennig, Genetik, passim; Löffler, Basiswissen Biochemie, passim. 18 Vgl. LG Darmstadt, NJW 1989, S. 2238 f.; Stockter, Individualität, S. 83 ff. 19 Siehe Hennig, Genetik, passim; Löffler, Basiswissen Biochemie, passim; Stockter, Individualität, S. 83 ff. 20 Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort DNA-Fingerprint-Methode; Nationaler Ethikrat, Biobanken, S. 9 (24 ff.); Stockter, in: Prütting, Medizinrecht, § 3 GenDG, Rn. 13 ff. 21 Vgl. Nationaler Ethikrat, Biobanken, S. 9 (24 ff.); Albers, MedR 2013, S. 483 f. 11 Vgl.
12 Vgl.
§ 8 Rechtlicher Rahmen und Rechtsprobleme
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das mit der Beschreibung befasste Spektrum vielschichtig.22 Zwar können im Kontext begrenzter Forschungsprojekte kleine Biobanken entstehen – nachhaltiger sind jedoch Datenbanken zu bestimmten Erkrankungen oder Körpermaterialien angelegt.23 Insoweit bilden sich größere, vernetzt organisierte Biobanken als „Aktivitätskomplexe“, die ein Geflecht von Beteiligten und Interessen repräsentieren.24 Dabei belegen die zahlreichen Initiativen, dass eine flexible Gestaltung zunimmt und starre, an vorhandenen Einrichtungen orientierte Differenzierungen zu kurz greifen würden.25 22 So findet sich unter www.biobanken.de eine Übersicht der nationalen Biobanken [letzter Aufruf am 10.05.2014]. Das Biobanken-Register der TMF e. V. wird dabei durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und soll u. a. der Vernetzung einzelner Forschungsplattformen dienen; weitere Ausführungen zur Diversität der Biobanken, siehe Albers, MedR 2013, S. 483 ff. 23 Beispiele für Biobanken umfassen u. a. das isländische Genomprojekt Health Sector Database, das estnische Genomprojekt oder die BioBank UK, vgl. Albers, MedR 2013, S. 483 f.; Morr, Biobanken, S. 13 ff.; Nationaler Ethikrat, Biobanken, S. 38 ff.: Eine der bedeutendsten Studien der epidemiologischen Forschung war die US-amerikanische Framingham Heart Study. Sie untersuchte u. a. den Einfluss kardiovaskulärer Risikofaktoren, wie Body-Mass-Index (BMI) Hypertonie oder Hypercholesterinämie, auf die Prävalenz von Schlaganfällen, Angina pectoris oder Myokardinfarkten. Das Projekt „Monitoring of Cardiovascular Diseases“ (MONICA) umfasste repräsentative Querschnittsstudien, die von der WHO initiiert wurden und seit 1984 in 25 Ländern aus Europa, Australien und Nordamerika nach standardisierten Protokollen durchgeführt wurden. Etwa 20.000 Proben waren für die Erforschung der Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes mellitus untersucht worden. Gespeichert wurden sowohl medizinische Informationen über den Probanden als auch Blut-, Gewebeproben und Zellen. Des Weiteren analysierte das „Prospektive Cardiovaskuläre Münster“ PROCAMProjekt eine europaweite, bevölkerungsorientierte Kohorte, um die Ursachen des Herzinfarktes zu erforschen. Ziel war die Erstellung personalisierter, kardiovaskulärer Risikoprofile anhand von Blutcholesterinwerten und anderer Risikofaktoren. In Schleswig-Holstein befasst sich derzeit POPGEN mit Krankheiten, für die bereits erste genetische Dispositionen erforscht sind. Dabei wird auch eine Verknüpfung mit potenziell pathogenen Gensequenzen erforscht. Dieser Erfassungsmodus ermöglicht es, nicht nur typische, sondern auch atypische Krankheitsverläufe zu erfassen. Darüber hinaus werden Patienten für die Nationale Kohorte, eine LangzeitStudie mit 200.000 Teilnehmern in Deutschland, rekrutiert. Auch die Technische Universität München verfügt mit „ProteomicsDB“ über eine Sammlung von Proteinen und Peptiden, die Wissenschaftler mit Hilfe der Massenspektrometrie-basierten Proteinanalytik identifiziert haben, siehe https://www.proteo micsdb.org/ [letzter Aufruf am 21.02.2015]. 24 Vgl. Engels, in: Nationaler Ethikrat, Tagungsdokumentation Biobanken 2002, S. 11 (15 f.); Albers, MedR 2013, S. 483 f. 25 Beispiele auf transnationaler Ebene sind P3G als Kommunikations- und Datenaustauschnetzwerk, http://www.p3g.org/ [letzter Aufruf am 10.05.2014]; die EuroBioBank, http://www.eurobiobank.org/ [letzter Aufruf am 10.05.2014] oder die
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Mit Blick auf die verschiedenen Funktionen und Beteiligten richten sich die zentralen Interessen daher zunächst auf konstellationsspezifische Schutz interessen – nimmt man dabei die Daten über die körperliche Verfassung oder genetische Disposition in Betracht, so sind der Schutz der Privatsphäre, namentlich der Schutz von Wissen und Wissensgrenzen, und der Schutz des Interesses, bestimmte Informationen über genetische Veranlagungen und Krankheiten nicht zu erfahren, betroffen.26 Im Folgenden sind zunächst die transnationalen Rahmenbedingungen zu untersuchen.
B. Transnationaler Regelungsrahmen Auf transnationaler Ebene (1.) existieren derzeit einschlägige Bestimmungen, deren Aussagekraft jedoch nur von prinzipienhafter Rechtsnatur ist – so sind die Empfehlungen und Leitlinien meist vage gehalten und nicht auf die Problematik der Biobanken zugeschnitten.27 Europarechtlich (2.) fließen neben sektorbezogenen Richtlinien auch datenschutzrechtliche Überlegungen in die Harmonisierungsbemühungen einer Biobankvernetzung ein.28 I. Internationale Deklarationen Die Allgemeine Erklärung der UNESCO über das menschliche Genom und Menschenrechte, über humangenetische Daten und über Bioethik und Menschenrechte29 konstatiert in Art. 2, die Vielfalt und Einzigartigkeit des Menschen zu achten. Nach Art. 6 darf niemand aufgrund genetischer Eigenschaften diskriminiert werden. Für Forschungs-, Behandlungs- und Diagnoseverfahren, die das menschliche Genom untersuchen, fordert die Deklaration eine Einhaltung der Einwilligungserfordernisse innerstaatlichen Rechts. Spezifische Biobank-Regelungen finden sich jedoch nicht. Darüber hinaus ist an dieser Stelle abermals zu betonen, dass die UNESCO-Deklaration als politische Erklärung keine völkerrechtliche Bindung entfalten kann.30 Biobanking and Biomolecular Resources Research Infrastructure, http://bbmri.eu/ [letzter Aufruf am 10.05.2014]; vgl. Albers, MedR 2013, S. 483 f. 26 Vgl. Albers, Informationelle Selbstbestimmung, passim; Albers, MedR 2013, S. 483 f. 27 Siehe u. a. Albers, MedR 2013, S. 483 f.; Albers, Informationelle Selbstbestimmung, passim. 28 Vgl. Morr, Biobanken, S. 111 ff.; Albers, MedR 2013, S. 484 ff.; Antonow, Zulässigkeit für Biobanken zu Forschungszwecken, S. 58 ff. 29 Siehe Allgemeine Erklärung der UNESCO über das menschliche Genom und Menschenrechte, http://www.unesco.de/445.html [letzter Aufruf am 11.05.2014]. 30 Vgl. Morr, Biobanken, S. 114.
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Desgleichen beinhaltet auch die Biomedizinkonvention31 keine ausdrücklichen Regelungen für genetische Daten in Biobanken. Inhaltlich greift Art. 5 die Grundsätze der Einwilligung auf und bestimmt, dass eine gesundheitliche Intervention nur erfolgen darf, sofern der Betroffene nach einer umfassenden Aufklärung frei eingewilligt hat. Art. 12 definiert weiter die Zulässigkeit prädiktiver genetischer Tests ausschließlich zu Gesundheitszwecken und unter strengen Voraussetzungen für gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung. Für den Fall, dass menschliches Gewebe dem Körper entnommen wird, regeln Art. 21 und Art. 22, dass dieses nur zu dem Zweck aufbewahrt wird, zu dem es entnommen worden ist – „jede andere Verwendung setzt angemessene Informations- und Einwilligungsverfahren voraus“. So regelt Art. 17 des Zusatzprotokolls betreffend Gentests zu gesundheitlichen Zwecken32 prinzipienhaft: „Biological samples […] shall only be used and stored in such conditions as to ensure their security and the confidentiality of the information which can be obtained therefrom.“ Zwar konkretisiert Art. 13 des Zusatzprotokolls zur biomedizinischen Forschung33 dies insofern, als dass Art. 13 Nr. 2 die folgenden Anforderungskataloge konstatiert: „The information shall cover the purpose, the overall plan and the possible risks and benefits of the research project, and include the opinion of the ethics committee. Before being asked to consent to participate in a research project, the persons concerned shall be specifically informed, according to the nature and purpose of the research: i. of the nature, extent and duration of the procedures involved, in particular, details of any burden imposed by the research project; ii. of available preventive, diagnostic and therapeutic procedures; iii. of the arrangements for responding to adverse events or the concerns of research participants; iv. of arrangements to ensure respect for private life and ensure the confidentiality of personal data; v. of arrangements for access to information relevant to the participant arising from the research and to its overall results; 31 Siehe dazu bereits § 5 A. III. sowie Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin, http:// conventions.coe.int/treaty/ger/treaties/html/164.htm [letzter Aufruf am 11.05.2014]. 32 Siehe dazu bereits § 5 A. III. sowie Zusatzprotokoll betreffend Gentests zu gesundheitlichen Zwecken, http://conventions.coe.int/Treaty/EN/Treaties/Html/203. htm [letzter Aufruf am 11.05.2014]. 33 Siehe dazu bereits § 5 A. III. sowie Zusatzprotokoll zur biomedizinischen Forschung, http://conventions.coe.int/Treaty/EN/Treaties/Html/195.htm [letzter Aufruf am 11.05.2014].
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vi. of the arrangements for fair compensation in the case of damage; vii. of any foreseen potential further uses, including commercial uses, of the research results, data or biological materials; viii. of the source of funding of the research project.“
Insgesamt wurden aber weder das Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin noch dessen Zusatzprotokolle durch Deutschland ratifiziert. Daher haftet auch den Vorgaben der Menschenrechtskonvention lediglich ein sog. „soft law“-Charakter an.34 Dieser Charakter prägt auch die Deklarationen des Weltärztebundes. Deren Einfluss auf nationale Regelungen zur medizinischen Forschung am Menschen ist gleichwohl unbestritten.35 So regelt die Deklaration, dass die biomedizinische Forschung am Menschen den allgemein anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen der Deklaration36 zu entsprechen hat: Insoweit muss eine Versuchsperson „bei jeder Forschung am Menschen […] angemessen über die Ziele, Methoden, Geldquellen, eventuelle Interessenkonflikte, institutionelle Verbindungen des Forschers, die erwarteten Nutzen und potentiellen Risiken der Studie, möglicherweise damit verbundene Unannehmlichkeiten, vorgesehene Maßnahmen nach Abschluss einer Studie sowie alle anderen relevanten Aspekte der Studie informiert (aufgeklärt) werden. Die potentielle Versuchsperson muss über das Recht informiert (aufgeklärt) werden, die Teilnahme an der Studie zu verweigern oder eine einmal gegebene Einwilligung jederzeit zu widerrufen, ohne dass ihr irgendwelche Nachteile entstehen. Besondere Beachtung soll dem spezifischen Informationsbedarf der individuellen potentiellen Versuchspersonen sowie den für die Übermittlung der Informationen verwendeten Methoden geschenkt werden. Nachdem er sich vergewissert hat, dass die potentielle Versuchsperson diese Informationen verstanden hat, hat der Arzt oder eine andere angemessen qualifizierte Person die freiwillige, informierte Einwilligung (Einwilligung nach Aufklärung – „Informed consent“) der Versuchsperson – vorzugsweise in Schriftform – einzuholen.“37 Albers, MedR 2013, S. 485. Taupitz, Forschung am Menschen: Die neue Deklaration von Helsinki, Deutsches Ärzteblatt 2001; 98(38): A-2413/B-2082/C-1933, http://www.aerzteblatt. de/archiv/28727/Forschung-am-Menschen-Die-neue-Deklaration-von-Helsinki [letzter Aufruf am 11.05.2014]. 36 Nach mehrjährigen Vorarbeiten wurde auf der 52. Hauptversammlung des Weltärztebundes in Edinburgh am 7. Oktober 2000 eine grundlegend überarbeitete Neufassung verabschiedet, vgl. Taupitz, Forschung am Menschen: Die neue Deklaration von Helsinki, Deutsches Ärzteblatt 2001; 98(38): A-2413/B-2082/C-1933, http:// www.aerzteblatt.de/archiv/28727/Forschung-am-Menschen-Die-neue-Deklarationvon-Helsinki [letzter Aufruf am 11.05.2014]. 37 Vgl. Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes in der Version 2008, Nr. 26 http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/DeklHelsinki2008.pdf [letzter Aufruf 34 Vgl. 35 So
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Demnach gilt auch für den Bereich der Biobanken, dass medizinische Forschung nur dann zulässig ist, wenn die Bedeutung des Forschungsziels in einem angemessenen Verhältnis zu den Risiken und Belastungen des Betroffenen steht.38 Grenzen setzt die Deklaration von Helsinki in den Fällen, in denen es sich als unmöglich oder nicht praktikabel erweist, eine Einwilligung einzuholen. In diesen Fällen ist eine unabhängig und inter disziplinär besetzte Ethikkommission einzuberufen: „Bei medizinischer Forschung, bei der identifizierbare menschliche Materialien oder Daten verwendet werden, müssen Ärzte für die Sammlung, Analyse, Lagerung und / oder Wiederverwendung normalerweise eine Einwilligung einholen. In manchen Situationen kann es sich als unmöglich oder nicht praktikabel erweisen, eine Einwilligung für derartige Forschung zu erhalten, oder dies würde die Gültigkeit der Forschung gefährden. In solchen Situationen darf die Forschung erst nach Beurteilung und Zustimmung einer ForschungsethikKommission durchgeführt werden“.39 II. Europarechtliche Vorgaben Auf Unionsebene scheidet eine grundlegende Regulierung von Biobanken angesichts beschränkter EU-Kompetenzen aus.40 Art. 168 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV definiert die Unionspolitik im Gesundheitswesen wie folgt: „Die Tätigkeit der Union ergänzt die Politik der Mitgliedstaaten und ist auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der körperlichen und geistigen Gesundheit gerichtet. Sie umfasst die Bekämpfung der weit verbreiteten schweren Krankheiten, wobei die Erforschung der Ursachen, der Übertragung und der Verhütung dieser Krankheiten sowie Gesundheitsinformation und -erziehung gefördert werden; außerdem umfasst am 11.05.2014]; siehe des Weiteren http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/ wma_aerztliche_ethik.pdf [letzter Aufruf am 11.05.2014]. 38 Siehe Morr, Biobanken, S. 111 ff. (116). 39 Vgl. Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes in der Version 2008, Nr. 15, 25 http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/DeklHelsinki2008.pdf [letzter Aufruf am 11.05.2014]; siehe des Weiteren http://www.bundesaerztekammer.de/ downloads/wma_aerztliche_ethik.pdf [letzter Aufruf am 11.05.2014]; schließlich entfalten auch die Richtlinien der OECD für Biobanken und genetische Forschungsdatenbanken einen vermittelnden Einfluss (Guidelines for Human Biobanks and Genetic Research Databases, www.oecd.org/sti/biotechnology/hbgrd; http://www. oecd.org/science/biotech/44054609.pdf [letzter Aufruf am 11.05.2014]), den es zwar in der Praxis nicht zu unterschätzen gilt – dennoch hat eine Konkretisierung durch weitergehende Normen zu erfolgen, vgl. Albers, MedR 2013, S. 485. 40 Siehe umfassend Wollenschläger, in: FS Scheuing, S. 447 (449 ff.).
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sie die Beobachtung, frühzeitige Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren.“ Zwar lassen sich auch Biobanken unter diese gesundheitspolitische EUKompetenz in Abhängigkeit der jeweiligen Zielsetzung fassen. Allerdings sehen Art. 168 Abs. 1 UAbs. 2 sowie Art. 168 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV nur eine Ergänzung, Förderung und Unterstützung durch die Union vor. Abweichend hiervon beschränkt sich die Gesetzgebungskompetenz auf europarechtlicher Ebene gemäß Art. 168 Abs. 4 lit. a) und c) AEUV auf die folgenden Ziele, die den gemeinsamen Sicherheitsanliegen Rechnung tragen: „Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs sowie für Blut und Blutderivate“ und „Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Arzneimittel und Medizinprodukte.“ Art. 168 Abs. 5 AEUV umfasst ferner Fördermaßnahmen zum Schutz und zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit sowie insbesondere zur Bekämpfung der weit verbreiteten schweren grenzüberschreitenden Krankheiten, Maßnahmen zur Beobachtung, frühzeitigen Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren sowie Maßnahmen, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung vor Tabakkonsum und Alkoholmissbrauch zum Ziel haben. Gleichwohl steht Art. 168 Abs. 5 AEUV unter dem Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten und scheidet demgemäß zur Begründung einer europaweiten, biobankspezifischen Gesetzgebung aus. Darüber hinaus sieht die Europäische Kommission in der Verordnung über einen gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für ein Konsortium einer europäischen Forschungsinfrastruktur einen potenziell weiterreichenden Handlungsspiel raum:41 „This special legal structure was designed to facilitate the establishment and joint operation of respective research infrastructures within ESFRI. This will allow biobanks across Europe that become part of the ERIC to operate under a common law structure.“42 Allerdings bleiben die derzeitigen forschungsspezifischen Vorgaben konturierungsbedürftig. Weiter gediehen sind demgegenüber die Reformierungsbemühungen des europäischen Datenschutzrechts.43 Mit Art. 16 Abs. 2 41 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 723/2009 des Rates vom 25. Juni 2009 über den gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für ein Konsortium für eine europäische Forschungsinfrastruktur (ERIC), https://beck-online.beck.de/default.aspx?bcid=Y-100-GEWG_VO_723_2009 [letzter Aufruf am 13.08.2014]. 42 Vgl. Expert Group on Dealing with Ethical and Regulatory Challenges of International Biobank Research, Biobanks for Europe: A Challenge for Governance, S. 21. 43 Am 25.01.2012 legte die Europäische Kommission einen ersten Entwurf der Grundverordnung vor. Das Europäische Parlament einigte sich am 21.10.2013 auf einen Entwurf für eine Änderung der von der Kommission vorgelegten Grundver-
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UAbs. 1 S. 1 AEUV normiert das EU-Primärrecht umfassende Rechtssetzungsbefugnisse und eine eigenständige Kompetenz für den Datenschutz: „Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Vorschriften über den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie durch die Mitgliedstaaten im Rahmen der Ausübung von Tätigkeiten, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, und über den freien Datenverkehr.“ Demnach soll eine neue EU-Verordnung die bislang geltende DatenschutzRichtlinie 95 / 46 / EG44 ersetzen.45 Durch den Wechsel zur Verordnung werden in Deutschland künftig nicht mehr das Bundesdatenschutzgesetz und die Landesgesetze Anwendung finden, sondern unmittelbar die Regeln der Verordnung.46 Gegenstand und Ziel des Entwurfs der „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung, VO-E)“47 ist nach Art. 1 Abs. 2 VO-E, die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen und insbesondere deren Recht auf Schutz personenbezogener Daten zu wahren. Dabei greift die neue Datenschutz-Grundverordnung zwar auf die Grundsätze zurück, die bereits in der RL 95 / 46 / EG niedergelegt waren, modifiziert diese aber auch wesentlich.48 ordnung, beriet am 12.03.2014 in erster Lesung darüber und einigte sich nach Positionierung des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, vgl. http:// gesetzgebung.beck.de/node/1029754 [letzter Aufruf am 31.05.2014]; M. Klinger, jurisPR-ITR 6/2014 Anm. 2, http://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid= jpr-NLITADG000414&cmsuri= %2Fjuris %2Fde %2Fnachrichten %2Fzeigenachricht. jsp [letzter Aufruf am 31.05.2014]. 44 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24. 10. 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, Amtsblatt Nr. L 281 v. 23. 11. 1995, S. 31. 45 Nachdem die Europäische Kommission im Januar 2012 einen Vorschlag einer europäischen Datenschutz-Grundverordnung vorgelegt hatte, erzielte das Europäische Parlament im September 2013 eine Einigung auf einen gemeinsamen Standpunkt, der von der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments im März 2014 erneut modifiziert und angenommen wurde. 46 Vgl. Taupitz, MedR 2012, S. 423 (428). 47 Siehe Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (allgemeine Datenschutzverordnung) (COM(2012)0011 – C7-0025/2012 – 2012/0011(COD)) http://www.europarl.europa. eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2014-0212+0+DOC+XML+ V0//DE&language=DE [letzter Aufruf am 31.05.2014]. 48 So Taupitz, MedR 2012, S. 423 ff.
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1. Regelungsgegenstände Zunächst zeigt sich in Artt. 2 und 3 der europäischen DatenschutzGrundverordnung (VO-E), dass sowohl der sachliche als auch der räumliche Anwendungsbereich nur unwesentlich von der bisherigen Richtlinie 95 / 46 / EG abweicht.49 Die Grundsätze der Verarbeitung personenbezogener Daten knüpfen an den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 und 2 GRCh an,50 modifizieren und konkretisieren diesen aber wesentlich. Neben „personenbezogenen Daten“ und „pseudonymisierten Daten“ werden nunmehr auch „Profiling“-Daten definiert. Dabei verdeutlicht der Begriff der „personenbezogenen Daten“ in Art. 4 Abs. 2 VO-E, dass eine Person als bestimmbar angesehen wird, wenn sie direkt oder indirekt identifiziert werden kann – insbesondere durch die Zuordnung zu einer Kennung eines Namens, einer Kennnummer, eines Standorts oder eines oder mehrerer spezifischer Elemente, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen oder geschlechtlichen Identität dieser Person sind. Neu aufgenommen wird in Art. 4 Abs. 3a VO-E der Begriff des „Profilings“. Unter Profiling versteht die Verordnung jede Form automatisierter Verarbeitung personenbezogener Daten, die bestimmte personenbezogene Aspekte, die einen Bezug zu einer natürlichen Person haben, bewerten oder insbesondere die Leistungen der betreffenden Person bei der Arbeit, ihre wirtschaftliche Situation, ihren Aufenthaltsort, ihre Gesundheit, ihre persönlichen Vorlieben, ihre Zuverlässigkeit oder ihr Verhalten analysieren oder voraussagen soll. Aber auch „genetische Daten“ werden in Art. 4 Abs. 10 VO-E als personenbezogene Daten betreffend die genetischen Merkmale eines Menschen konkretisiert, „die ererbt oder erworben wurden [und] aus einer Analyse einer biologischen Probe des betreffenden Menschen resultieren, insbesondere durch DNA- oder RNA-Analyse oder Analyse eines anderen Elements“. In der Verarbeitung personenbezogener Daten werden nunmehr neben „pseudonymisierten Daten“ verschlüsselte Daten unterschieden. Nach Art. 4 Abs. 2b VO-E sind verschlüsselte Daten solche, die durch technische Schutzmaßnahmen für Personen, die nicht zum Zugriff auf die Daten befugt sind, unverständlich gemacht wurden. Dabei konstatiert der Verordnungsentwurf auch die umfassende Verantwortung und Haftung des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen.51 Taupitz, MedR 2012, S. 423. hierzu im Besonderen Kap. § 5 A. II. 2. b). 51 Vgl. http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA +P7-TA-2014-0212+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE [letzter Aufruf am 01.06.2014]; Taupitz, MedR 2012, S. 423 f. 49 Vgl.
50 Vgl.
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Des Weiteren normiert Art. 10a VO-E, 13 VO-E bis 15 VO-E Informations- und Auskunftsrechte zugunsten der Betroffenen. Gemäß Art. 15 Ziff. 1 VO-E hat die betreffende Person das Recht, folgende in einfacher und verständlicher Sprache abgefasste Informationen zu verlangen: a) „die Verarbeitungszwecke für jede Kategorie personenbezogener Daten; b) die Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden, c) die Empfänger, an die die personenbezogenen Daten weitergegeben werden müssen oder weitergegeben worden sind, darunter auch bei Empfängern in Drittländern, d) die Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden, oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer, e) das Bestehen eines Rechts auf Berichtigung oder Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten durch den für die Verarbeitung Verantwortlichen beziehungsweise eines Widerspruchrechts gegen die Verarbeitung dieser Daten, f) das Bestehen eines Beschwerderechts bei der Aufsichtsbehörde sowie deren Kontaktdaten, g) die Tragweite der Verarbeitung und die mit ihr angestrebten Wirkungen […].“
Hat der Spender seine personenbezogenen Daten zur Verfügung gestellt und werden diese elektronisch verarbeitet, kann er von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen gemäß Art. 15 Ziff. 2a S. 1 VO-E eine Kopie dieser Informationen in einem interoperablen gängigen elektronischen Format verlangen. Zudem darf er seine Daten weiter verwenden, ohne dabei von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen behindert zu werden (Art. 15 Ziff. 2a S. 1 VO-E). Als zusätzliche, über die Richtlinie hinausgehende Rechte werden dem Betroffenen in Art. 16 VO-E ein Recht auf Berichtigung und in Art. 17 VO-E ein Recht auf Löschung eingeräumt.52 In Gleichlauf zur jüngsten Rechtsprechung des EUGH53 hat die untersuchte Person das Recht, von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen die Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten und die Unterlassung jeglicher weiteren Verbreitung dieser Daten sowie von Dritten die Löschung aller Querverweise auf diese perso52 Es gelten die Prinzipien des Transparenzgebots, der Rechtmäßigkeit und Verarbeitung nach Treu und Glauben sowie der Konkretisierung der Zweckbindung; auch werden die Grundsätze der Daten- und Speicherminimierung sowie der Richtigkeit und Integrität der Verarbeitungsmaßnahmen benannt; vgl. http://www. europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2014-0212+ 0+DOC+XML+V0//DE&language=DE [letzter Aufruf am 01.06.2014]; Taupitz, MedR 2012, S. 423 f. 53 Siehe Rechtsprechung des EuGH zum „Recht auf Vergessen“ im Internet, Rs C-131/12 Google Spain SL, Google Inc./Agencia Española de Protección de Datos, Mario Costeja Gonzále.
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nenbezogenen Daten zu verlangen.54 Auch sieht Art. 19 VO-E ein Widerspruchsrecht vor, das im Vergleich zur bisherigen Richtlinie eine weitergehende Ausgestaltung erfahren hat: So räumte die Richtlinie 95 / 46 / EG das Recht auf Widerspruch im Grundsatz nur in Fällen des Art. 7 e) und f) VO-E ein, wenn überwiegende, schutzwürdige oder sich aus der besonderen Situation ergebende Gründe vorliegen.55 Art. 19 Ziff. 1 VO-E versteht sich nunmehr dahingehend, dass „jederzeit gegen die Verarbeitung personenbezogener Daten, die auf der Grundlage von Artikel 6 Absatz 1 Buchstaben d56 und e“57 VO-E erfolgt, Widerspruch eingelegt werden kann, sofern der für die Verarbeitung Verantwortliche nicht zwingende schutzwürdige Gründe für die Verarbeitung nachweisen kann, die die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person überwiegen. Wird die Verarbeitung personenbezogener Daten auf „Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f “58 gestützt, hat der Spender nach Art. 19 Ziff. 2 VO-E darüber hinaus jederzeit und ohne weitere Begründung das Recht, im Allgemeinen oder für jeden spezifischen Zweck unentgeltlich Widerspruch einzulegen. Dabei muss er nach Art. 19 Ziff. 2a VO-E ausdrücklich sowie in einer verständlichen Weise und Form unter Verwendung einer klaren und einfachen Sprache auf das Recht nach Art. 19 Ziff. 2 VO-E hingewiesen werden. Dieser Hinweis hat sich von anderen Informationen deutlich zu unterscheiden.59 54 Z. T. unter Vorliegen weiterer Voraussetzungen, wie der Notwendigkeit der Erhebung der Daten, des Widerrufs der Einwilligung oder der unrechtmäßigen Verarbeitung der Daten, Art. 17 Nr. 1 a)-d). 55 Siehe http://byds.juris.de/byds/013_1.5_95_46_EG_rahmen.html [letzter Aufruf am 01.06.2014]; Taupitz, MedR 2012, S. 423 f. 56 Dabei lautet der Wortlaut von Art. 6 Ziff. 1 d) VO-E: Die Verarbeitung ist nötig, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person zu schützen. 57 So lautet der Wortlaut von Art. 6 Ziff. 1 e) VO-E: Die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung hoheitlicher Gewalt erfolgt und die dem für die Verarbeitung Verantwortlichen übertragen wurde. 58 Insoweit lautet der Wortlaut von Art. 6 Ziff. 1 f) VO-E: Die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des für die Verarbeitung Verantwortlichen – oder, im Fall der Weitergabe, der berechtigten Interessen eines Dritten, an den die Daten weitergegeben wurden –, die die berechtigten Erwartungen der betroffenen Person, die auf ihrem Verhältnis zu dem für die Verarbeitung Verantwortlichen beruhen, erfüllen, erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen. Dieser gilt nicht für die von Behörden in Erfüllung ihrer Aufgaben vorgenommene Verarbeitung. 59 Schließlich erweitert Art. 20 VO-E den Schutz gegenüber Profilingmaßnahmen, die Rückschlüsse auf Lebensführung und Persönlichkeit erlauben, vgl. weiter http:// www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-20140212+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE [letzter Aufruf am 01.06.2014]; Taupitz, MedR 2012, S. 423 f.
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Weiter konstatieren die Artt. 22 ff. VO-E detailreiche Pflichten für die Verarbeitung und deren Verantwortliche.60 So regelt Art. 28 VO-E die Dokumentation, Art. 30 VO-E die Sicherheit der Datenverarbeitung, und Art. 31 VO-E die Meldung von Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten an die Aufsichtsbehörde. Zu einer besonderen Einhaltung der Risikogrundsätze verpflichtet dabei der neu geschaffene Art. 32a VO-E.61 Abschließend finden sich in den Artt. 73 ff. VO-E Vorschriften zu Rechtsbehelfen, zu Haftung und verwaltungsrechtlichen Sanktionen sowie Vorschriften für besondere Datenverarbeitungssituationen,62 die vor dem Hintergrund einer forschungsspezifischen Ausrichtung von Biobanken nachfolgend erörtert werden. Geht man also von einer europäischen Neuregelung aus, würde eine demgemäße Novellierung im Bereich der Biobanken einen Zuständigkeitsverlust der deutschen Gerichte und Behörden bedeuten.63 Durch den Wechsel von Richtlinie zu Verordnung wäre im Falle der Biobanken eine Grundrechtskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht nicht mehr möglich: Das Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsschutz und Wissenschaftsfreiheit müsste der Europäische Gerichtshof nach den Regeln des Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 Abs. 1 b) AEUV) auslegen.64 Insoweit wäre ein weiter Bereich hoheitlicher Biobankverwaltung nicht mehr durch das Bundesverfassungsgericht überwacht.65 Dem einzelnen Grundrechtsträger stünde 60 Vgl. http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA +P7-TA-2014-0212+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE [letzter Aufruf am 01.06. 2014]; Taupitz, MedR 2012, S. 423 (424). 61 Kapitel IV (ab Art. 33 VO-E) enthält sodann Konkretisierungen bezüglich eines datenschutzrechtlichen Lebenszyklusmanagement, das die Folgenabschätzung, die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen und die Bestellung sowie Tätigkeit der Datenschutzbeauftragten umfasst. Das V. Kapitel beinhaltet die Übermittlung personenbezogener Daten in Drittländer oder an internationale Organisatio nen, wohingegen die Kapitel VI und VII (Artt. 46 ff. VO-E) im Wesentlichen die Einrichtung und Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden regeln, vgl. http://www. europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2014-0212+ 0+DOC+XML+V0//DE&language=DE [letzter Aufruf am 01.06.2014]; Taupitz, MedR 2012, S. 423 (424). 62 Vgl. http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA +P7-TA-2014-0212+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE [letzter Aufruf am 01.06.2014]; Taupitz, MedR 2012, S. 423 (424). 63 Siehe Taupitz, MedR 2012, S. 423 (424). 64 Kritisch Hornung, ZD 2012, S. 99 (100). 65 An dieser Stelle soll das Verhältnis zwischen dem Geltungsbereich europarechtlichen Normen und den Grundrechten des deutschen Grundgesetzes nicht weiter erörtert werden. Würde man dem Europarecht den Vorrang gegenüber den Grundrechten des deutschen Grundgesetzes einräumen, so verloren diese ihre Wirkung, und auch die Entscheidungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts würde entspre-
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auf europäischer Ebene kein der Verfassungsbeschwerde vergleichbarer Rechtsbehelf offen, um gegen Eingriffe in den Schutzbereich informationeller Selbstbestimmung vorzugehen.66 2. Belange genetischer Biobanksammlungen Neben der Sensibilität der gespeicherten Daten stellen die Forschungszwecke, die zu Beginn eines Forschungsprojekts noch nicht abschließend definiert sind, Biobanken vor das Problem eines angemessenen Ausgleichs zwischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen.67 Zu untersuchen ist dabei, wie sich die Interessen der Spender einerseits und die Anforderungen der Forschung andererseits in den Regelungen des Verordnungsentwurfs reflektieren.68 Im Folgenden werden in einem ersten Schritt die einschlägigen Rechtsnormen der VO-E-dargestellt, um sie in einem zweiten Schritt informationsrechtlich zu bewerten. a) Regelungen für Biobanken Zunächst setzen die Grundsätze nach Treu und Glauben sowie Transparenz in der Verarbeitung voraus, „dass die betroffene Person […] über die Existenz des Verarbeitungsvorgangs und seine Zwecke, die voraussichtliche Speicherdauer für den jeweiligen Zweck, ob Daten an Dritte oder in Drittstaaten übermittelt werden sollen, die betreffenden Widerspruchsmöglichkeiten und das Recht auf Auskunft sowie das Recht auf Berichtigung und Löschung der Daten und das Beschwerderecht“ zu informieren ist.69 Den Begriff der „Verarbeitung“ definiert Art. 4 Abs. 3 VO-E dabei als jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang chend beschränkt; Hornung, ZD 2012, S. 99 (100). Zur Entwicklung der Rechtsprechung von der Solange-I- bis hin zur Honeywell-Entscheidung, siehe Fn. 89. 66 Vgl. Hornung, ZD 2012, S. 99 (100). 67 Vgl. Recommendation Rec(2006)4 of the Committee of Ministers to member states on research on biological materials of human origin (adopted by the Committee of Ministers on 15 March 2006 at the 958th meeting of the Ministers’ Deputies) des Europarates, Draft version CM(2006)21 https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id= 961137 [letzter Aufruf am 02.06.2014]; Taupitz, MedR 2012, S. 424 ff. 68 Siehe weiter die Besprechung des ursprünglichen Verordnungsentwurfs der Datenschutz-Grundverordnung KOM(2012) 11 endgültig vom 25.01.2012 bei Taupitz, MedR 2012, S. 424 ff. 69 Vgl. hierzu Erwägungsgrund 48 zur legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (allgemeine Datenschutzverordnung) (COM(2012)0011 – C7-0025/2012 – 2012/0011(COD)).
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oder jede Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten.70 Gemäß Art. 7 VO-E hat die Verarbeitung auf Grundlage der Einwilligung zu erfolgen. Art. 7 Ziff. 4 S. 1 VO-E konkretisiert dies dahingehend, dass die Einwilligung zweckgebunden zu erheben ist. Unwirksam wird sie, sobald der Zweck nicht mehr gegeben oder die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Erreichung des Zwecks, für den die Daten ursprünglich erhoben wurden, nicht mehr erforderlich ist. In dieser Aufarbeitung geht Art. 5 lit. b VO-E allerdings noch einen Schritt weiter und fordert, dass personenbezogene Daten für genau festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben werden und nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden dürfen. So ist der betreffenden Person bei der Erhebung ihrer Daten mitzuteilen, ob sie verpflichtet ist, diese Daten bereitzustellen, und welche Folgen eine Zurückhaltung der Daten bei der Verarbeitung nach sich ziehen würde.71 Die Berücksichtigung dieser Maßnahmen zielt folglich auch auf Datenspeicherungsminimierung und Zugangsbeschränkung zu personenbezogenen Daten ab. Insoweit regelt Art. 5 lit. e VO-E, dass die direkte oder indirekte Identifizierung der betroffenen Personen nur so lange durchsetzbar ist, wie es für die Realisierung der Zwecke, für die sie verarbeitet werden, erforderlich ist. Gleichermaßen konstatiert Art. 6 Ziff. 2 VO-E, dass die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten zu historischen oder statistischen Zwecken oder für wissenschaftliche Forschungszwecke den Bedingungen und Garantien des Art. 83 VO-E unterliegt. Demgemäß ist zu fragen, welche Grenzen die Artt. 83 f. VO-E der Verarbeitung personenbezogener Daten in gen-medizinischen Biobanken setzen. Art. 83 Ziff. 1 lit. a VO-E legt fest, dass personenbezogene Daten nur dann zu historischen oder statistischen Zwecken oder zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung72 verarbeitet werden dürfen, wenn diese Zwecke 70 Darunter zu subsumieren sind etwa das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Weitergabe durch Übermittlung, Verbreitung oder jede andere Form der Bereitstellung, der Abgleich oder die Verknüpfung sowie das Löschen oder Vernichten der Daten. 71 „Diese Information sollte den betroffenen Personen nach der Bereitstellung vereinfachter Informationen in Form standardisierter Icons präsentiert werden“, vgl. Erwägungsgrund 48 zur legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (allgemeine Datenschutzverordnung) (COM(2012)0011 – C7-0025/2012 – 2012/0011(COD)). 72 „Wissenschaftliche Forschung im Sinne dieser Verordnung sollte Grundlagenforschung, angewandte Forschung und privat finanzierte Forschung einschließen und darüber hinaus dem in Artikel 179 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der
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nicht auf andere Weise durch die Verarbeitung von Daten erfüllt werden können, die eine Bestimmung des Spenders nicht oder nicht mehr ermöglichen. Im Besonderen statuiert Art. 83 Ziff. 1 lit. a VO-E, dass Daten, die die Zuordnung von Informationen zu einer bestimmten oder bestimmbaren betroffenen Person ermöglichen, von den übrigen Informationen gemäß den höchsten technischen Standards getrennt aufbewahrt und sämtliche notwendigen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um unbefugte Rückschlüsse auf die Identität der jeweiligen Personen zu verhindern. Sofern die Rekonstruierung der betreffenden Person nicht in Aussicht genommen wird oder weitere Daten, wie beispielsweise Verlaufsdaten, mit früheren Daten verknüpft werden müssen, wird diese Art der Pseudonymisierung in der Praxis grundsätzlich durchsetzbar sein.73 Fraglich erscheint allerdings, wie der Begriff des „höchsten technischen Standards“ juristisch auszulegen ist und sich in einer praktisch angedachten IT-medizinischen Handhabung gestalten wird. Eine Erleichterung der diesbezüglichen Anforderungen könnte dabei gegebenenfalls Art. 81 Ziff. 1b S. 1 VO-E begründen. Demnach kann die Einwilligung in den Fällen, in denen die Einwilligung der untersuchten Person zur Verarbeitung medizinischer Daten für den ausschließlichen Zwecke der Forschung zu Fragen der öffentlichen Gesundheit erforderlich ist, für eine oder mehrere spezifische und ähnliche Forschungen gegeben werden. b) Bewertung einschlägiger Regelungen Doch trotz der detaillierten Regelungen wird der praktische Vollzug der Verordnung bis zum finalen Erlass des entsprechenden Rechtsaktes mit Rechtsunsicherheit behaftet sein.74 Vor dem Hintergrund einer dynamischen Forschung sind die strengen Anforderungen, die die Datenschutz-Grundverordnung an die Zweckbindung stellt, kritisch zu beleuchten. Nach Art. 5 lit. b VO-E müssen personenbezogene Daten „für genau festgelegte, eindeuEuropäischen Union festgeschriebenen Ziel, einen europäischen Raum der Forschung zu schaffen, Rechnung tragen. Die Verarbeitung personenbezogener Daten zu historischen oder statistischen Zwecken oder wissenschaftlichen Forschungszwecken sollte nicht dazu führen, dass personenbezogene Daten zu anderen Zwecken verarbeitet werden, es sei denn, die betroffene Person stimmt ihr zu oder die Verarbeitung erfolgt auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats.“ Erwägungsgrund 126 zur legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (allgemeine Datenschutzverordnung) (COM(2012)0011 – C7-0025/2012 – 2012/0011(COD)). 73 Vgl. Taupitz, MedR 2012, S. 424 ff. 74 Siehe BR-Drs. 52/12 (Beschluss), Nr. 7 S. 4; Taupitz, MedR 2012, S. 426 f.
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tige und rechtmäßige Zwecke erhoben werden und dürfen nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden“. Art. 7 Ziff. 4 VO-E greift dies im Kontext der Einwilligung wiederum auf.75 Dabei erschwert eine strenge Zweckbindung von Proben und zugehörigen Daten einerseits den Forschungsfortschritt in Biobanken;76 andererseits unterliegen Biobanken einem stetigen Wandel, der durch den Erkenntnisgewinn einer sich personalisierenden Medizin gesteuert wird.77 Müsste nunmehr für jedes neue Subprojekt von jedem Individuum eine erneute Einwilligung eingeholt werden, würde dies einen geradezu unverhältnismäßigen personell-finanziellen Aufwand bedeuten. Demgegenüber streiten jedoch auch die berechtigten Erwartungen der betroffenen Person für eine Wahrung des Geheimhaltungsinteresses im Sinne der Zweckgebundenheit. Die Verordnung sieht daher vor, den für die Verarbeitung Verantwortlichen aus Transparenzgründen zu verpflichten, seine berechtigten Interessen gegenüber dem Spender ausdrücklich darzulegen, diese zu dokumentieren und die betroffene Person über ihr Widerspruchsrecht zu belehren.78 So konstatieren die Erwägungsgründe, dass ge75 Vgl. hierzu insbesondere Erwägungsgrund 30 zur legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (allgemeine Datenschutzverordnung) (COM(2012)0011 – C7-0025/2012 – 2012/0011 (COD)): „Jede Verarbeitung personenbezogener Daten sollte gegenüber den betroffenen Personen nach Recht und Gesetz sowie nach Treu und Glauben und in transparenter Form erfolgen. Insbesondere sollten die besonderen Zwecke, zu denen die Daten verarbeitet werden, eindeutig und rechtmäßig sein und zum Zeitpunkt der Datenerfassung feststehen.“ 76 In diagnostisch-klinischem Kontext fordert § 13 Abs. 1 S. 1 GenDG, dass eine genetische Probe nur für die Zwecke verwendet werden darf, für die sie gewonnen worden ist. § 13 Abs. 2 führt weiter aus, dass eine Verwendung zu anderen Zwecken nur zulässig ist, soweit die Person, von der die genetische Probe stammt, zuvor nach Unterrichtung über die anderen Zwecke in die Verwendung ausdrücklich und schriftlich eingewilligt hat. 77 Vgl. Taupitz, MedR 2012, S. 424 ff. 78 Vgl. Erwägungsgrund 38 zur legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäi schen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (allgemeine Datenschutzverordnung) (COM(2012)0011 – C7-0025/2012 – 2012/0011(COD)). Der neu geschaffene Art. 10a Ziff. 2 VO-E benennt die Rechte wie folgt: „Zu diesen Rechten gehören unter anderem die Bereitstellung klarer und leicht verständlicher Informationen über die Verarbeitung der personenbezogenen Daten der betroffenen Person, das Recht auf Zugang, Berichtigung und Löschung ihrer Daten, das Recht auf Herausgabe von Daten, das Recht, dem Profiling zu widersprechen, das Recht auf Beschwerde bei der zuständigen Aufsichtsbehörde und Klageerhebung sowie das Recht auf Ersatz des Schadens, der durch eine rechtswidrige Verarbeitung entsteht. Die
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rade in Situationen, in denen die einzelnen Personen vernünftigerweise nicht mit einer weiteren Verarbeitung rechnen können, die einschlägigen Interessen und Grundrechte in besonderer Weise zu schützen sind.79 Auch für den umgekehrten Fall – wenn die Interessen oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der Spender nicht überwiegen können – muss die Vermutung gelten, dass eine Verhütung oder Begrenzung von Schäden bei den für die Datenverarbeitung Verantwortlichen ein berechtigtes Interesse auf Seiten der Verantwortlichen begründen kann.80 So dürfen die Erwartungen eines globalen Wissenschaftsauftrages nicht außer Acht gelassen werden. Um insoweit den Forschungsstandort Europa langfristig nicht zu gefährden, sind hinreichende Ausnahmen zugunsten der Forschung vom Erfordernis einer strengen Zweckbindung erforderlich.81 Folglich erscheint es mit Jochen Taupitz geradezu „inkonsequent, wenn nicht gar widersprüchlich“82 zu den Zielen der Verordnung, für einen „soliden“ und „kohärenten“ Rechtsrahmen sorgen zu wollen83, und zugleich das strenge Transparenz- und Zweckbindungsgebot aus Art. 5 lit. b VO-E in den Kontext weitergehender Vorschriften zu stellen: Nach Art. 6 Ziff. 2 VO-E unterliegt die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten zu historischen oder statistischen Zwecken oder für wissenschaftliche Forschungszwecke den Bedingungen und Garantien des Art. 83 VO-E. Dass die Verarbeitung den Voraussetzungen des Art. 83 VO-E zu genügen hat, auch wenn sie nicht mehr für den Zweck verarbeitet wird, zu dem sie ursprünglich erhoben wurde, lässt sich an dem uneingeschränkten Verweis des Art. 6 Ausübung dieser Rechte darf grundsätzlich mit keinen Kosten verbunden sein. Der für die Verarbeitung Verantwortliche hat die Anträge der betroffenen Personen innerhalb einer angemessenen Frist zu bearbeiten.“ 79 Vgl. Erwägungsgrund 38 zur legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäi schen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (allgemeine Datenschutzverordnung) (COM(2012)0011 – C7-0025/2012 – 2012/0011(COD)). 80 Vgl. Erwägungsgrund 39a zur legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäi schen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (allgemeine Datenschutzverordnung) (COM(2012)0011 – C7-0025/2012 – 2012/0011(COD)). 81 Vgl. Taupitz, MedR 2012, S. 424 (426). 82 Siehe Taupitz, MedR 2012, S. 424 (426). 83 Vgl. Erwägungsgrund 6 zur legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäi schen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (allgemeine Datenschutzverordnung) (COM(2012)0011 – C7-0025/2012 – 2012/0011(COD)).
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Ziff. 2 VO-E auf Art. 83 VO-E festmachen.84 Allerdings verweist auch Art. 9 Ziff. 2 lit. i VO-E auf Art. 83 VO-E, dass die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten abweichend vom präventiven Verbot des Art. 9 Ziff. 1 VO-E zulässig ist, wenn sie „vorbehaltlich der Bedingungen und Garantien des Artikels 83 zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung erforderlich“ wird.85 Die Erwägungsgründe greifen dies wie folgt auf: „Ausnahmen vom Verbot der Verarbeitung sensibler Datenkategorien sollten auch dann erlaubt sein, wenn es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt, und – vorbehaltlich bestimmter Garantien zum Schutz der personenbezogenen Daten und anderer Grundrechte – wenn dies durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt ist, speziell wenn es um gesundheitliche Belange geht, wie die Gewährleistung der öffentlichen Gesundheit oder der sozialen Sicherheit oder die Verwaltung von Leistungen der Gesundheitsfürsorge, vor allem wenn dadurch die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Verfahren zur Abrechnung von Krankenversicherungsleistungen sichergestellt werden soll, oder wenn die Verarbeitung […] wissenschaftlichen Forschungszwecken […] dient.“86 Schließlich bekräftigt Art. 81 Ziff. 1b VO-E die Lockerung einer engen Zweckbindung in Fällen, in denen die Einwilligung der betroffenen Person zur Verarbeitung medizinischer Daten für den ausschließlichen Zweck der Forschung zu Fragen der öffentlichen Gesundheit erforderlich ist, und die Einwilligung hierzu für eine oder mehrere spezifische und ähnliche Forschungen gegeben werden kann. Insofern ist der Ausschluss einer globalen Einwilligung durch Art. 5 VO-E als weniger einschneidend zu bewerten.87 Doch wenn der Gesetzgeber im Rahmen einer strengen Zweckbindung auf der ersten Ebene der Erhebung der Daten und der Einholung der Einwilligung eine transparente Aufklärung über die Zwecke der Verwendung einfordern möchte, kann dies nicht im Sinne einer stringenten Neuregelung gestanden haben, wenn Art. 6 Ziff. 2 VO-E bzw. Art. 9 Ziff. 2 lit. i VO-E diesen Schutz auf der zweiten Ebene zugunsten spezifischer Forschungsgebiete relativiert.88 Eine Interessen- und Güterabwägung inmitten eines gespaltenen Consent-Verständnisses wird daher nur schwerlich den medizinisch-genetischen Besonderheiten des Einzelfalls gerecht werden können. Taupitz, MedR 2012, S. 426. auch Taupitz, MedR 2012, S. 427. 86 Vgl. Erwägungsgrund 42 zur legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäi schen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (allgemeine Datenschutzverordnung) (COM(2012)0011 – C7-0025/2012 – 2012/0011(COD)). 87 Vgl. Taupitz, MedR 2012, S. 424 ff. 88 Vgl. Taupitz, MedR 2012, S. 424 (427). 84 So 85 So
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C. Grundrechtliche Folgerungen Solange die unionsrechtlichen Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung nicht in Kraft getreten sind und das Verfassungsrecht nicht überlagern,89 gilt es weiter die Maßstäbe der grundrechtlich gewährten Garantien zu untersuchen. Eine verfassungsrechtliche Erschließung des Spannungsverhältnisses zwischen Informations- respektive Verschwiegenheitsinteressen und Forschungsinteressen muss sich daher an der in Art. 5 Abs. 3 GG gewährten Forschungsfreiheit messen lassen.90 I. Forschungsfreiheitliche Schutzpflichten Biobanken sind ihrer Zielsetzung nach zu differenzieren. Grundlegend ist zwischen Biobanken, die der Forschung zuzurechnen sind, und solchen zu unterscheiden, die unternehmerische Ziele verfolgen. Art. 5 Abs. 3 GG greift Einrichtungen und Verfahren der Biobank auf, die nach ihrer Ausgestaltung und ihrem Zweck der Wissenschaftsfreiheit unterliegen.91 Dabei ist unerheblich, ob die Biomaterialsammlungen entkoppelt von den eigentlichen Forschungsprozessen oder auf eine vorbereitend-unterstützende Funktion beschränkt sind, „weil Wissenschaft insgesamt nur als arbeitsteiliges Netzwerk begriffen werden kann“.92 Sind Biobanken demgegenüber als reine Privat- oder Wirtschaftsunternehmen tätig, richtet sich der grundrechtlich gewährleistete Schutzbereich nach Art. 12 GG sowie Art. 14 Abs. 1 GG.93 89 Vgl. Albers, MedR 2013, S. 485 ff.; folglich kann die Entscheidung des Verhältnisses europarechtlicher Sekundärnormen zu deutschem Verfassungsrecht vorliegend dahinstehen. Zwar verdrängt aus Sicht des EuGH Europarecht jedweder Stufe nationales Recht; doch hat das BVerfG zunächst in seiner Solange-I-Entscheidung, BVerfGE 37, 271 ff., festgestellt, dass der europäische Grundrechtsschutz nicht ausreichend gewährleistet sei. In seiner Solange-II-Entscheidung, BVerfGE 73, 339 ff., wurde dies dahingehend modifiziert, dass der Grundrechtsschutz der EG grundsätzlich ausreichend gestaltet ist. Solange dies so sei, seien daher schlichte Verfassungsrügen unzulässig. Mit dem Maastricht-Urteil, BVerfGE, NJW 1993, 3047 ff., wurde nunmehr ein „Kooperationsverhältnis“ zwischen nationalem und europäischen Recht konstatiert. Doch ergingen diese Entscheidungen vor Einführung des Art. 23 I GG. Seither wurde das Verhältnis zwischen der Solange-Rechtsprechung und Art. 23 I 3 GG nicht hinreichend geklärt. Im Lissabon-Urteil, BVerfG, NJW 2009, 2267 ff., bestätigte das Bundesverfassungsgericht seine Prüfungskompetenz im Rahmen des Art. 23 I GG. Die Unterscheidung zwischen Identitäts- und ultra-vires-Kontrolle wurde allerdings in der Honeywell-Entscheidung, BVerfG, NJW 2010, 3422, weiter konkretisiert. 90 Vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 39. 91 Vgl. Wicklein, Biobanken, S. 12 ff.; Albers, MedR 2013, S. 485 ff. 92 Albers, MedR 2013, S. 487. 93 Die nachfolgende Erörterung richtet ihr wesentliches Augenmerk auf Art. 5 Abs. 3 GG, da in Deutschland aufgrund der Nationalen Biobanken Initiative der
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Art. 5 Abs. 3 GG garantiert, dass „Wissenschaft, Forschung und Lehre“ frei sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erstreckt sich der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit auf „jede wissenschaftliche Tätigkeit“.94 So sind wissenschaftliche Tätigkeiten „mit dem Ziele, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen“, erfasst.95 Wissenschaftliche Forschung erstreckt sich also „auf alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist.“96 Als Institutionen der Forschung sind genetische Biobanksammlungen und wissenschaftliche Datenbanken zunächst in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG eingeschlossen. Zugleich zeichnet sich aber auch ein Konflikt zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen und dem Recht des Forschers auf Suche nach Erkenntnissen ab, „denn die Neugier des Forschers ist prinzipiell unbegrenzt, sie ist auf alles nur irgendwie Erkennbare gerichtet – und dazu gehören unbestreitbar alle physischen, psychischen, sozialen und wirtschaftlichen Daten jedes Individuums und jeder Gruppe.“97 Folglich hat das Grundgesetz von vornherein konstatiert, dass dieser Konflikt nicht zwischen Forscher und Untersuchten ausgetragen werde: Art. 5 Abs. 3 GG adressiert sich zunächst an den Staat.98 Insoweit wird also kein Wissenschaftler eine grundrechtlich gesicherte Rechtsposition beanspruchen können, um in geschützte Selbstbestimmungsrechte Dritter einzugreifen.99 Zwar ist mithin anerkannt, dass die Freiheitsrechte nicht nur der Eingriffsabwehr dienen, sondern auch Elemente objektiv-rechtlicher Wertentscheidungen Teilhabeansprüche begründen.100 Dabei stärken altruistische Probenspender, die zugunsten der Allgemeinheit Geninformationen hinterlegen, einen „public-good“ Charakter der Biobanken.101 Im Hinblick auf den Zugang des Forschers zu staatlich verwahrten Daten ist die praktische Bedeutung einer objektiv-rechtlichen Wertentscheidung aber äußerst geuniversitär-ausgerichtete und fachübergreifende Netzwerkcharakter der Biomaterialsammlungen überwiegt; zur Nationalen Biobanken Initiative, siehe http://www. gesundheitsforschung-bmbf.de/de/2638.php [letzter Aufruf am 09.06.2014]; zum Netzwerkcharakter der Biobanken als „Aktivitätskomplexe“, vgl. auch Albers, MedR 2013, S. 485 ff. 94 BVerfGE 35, 79, 113 – Hochschulurteil. 95 Wissenschaft wird dabei als Oberbegriff für Forschung und Lehre verstanden, vgl. BVerfGE 35, 79, 113; 47, 327, 367; Albers, MedR 2013, S. 487. 96 Vgl. Kirchhof, Wissenschaft in verfasster Freiheit, S. 2. 97 Berg, CR 1986, S. 234 (236 f.). 98 Vgl. Berg, CR 1986, S. 234 (236 f.). 99 Vgl. Berg, CR 1986, S. 234 (236 f.). 100 Vgl. Berg, CR 1986, S. 234 (236 f.). 101 Siehe BT-Drs. 16/5374; Chadwick/Berg, Nature 2001, S. 318 ff.
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ring.102 Die Verfahrenheit der Grundrechtskollision kann der Gesetzgeber nämlich durch Abwägung lösen.103 Die hierfür wesentlichen Regelungselemente des informed consent zeigen die nachfolgenden Überlegungen auf. Auf der Bewertung dieser gründend werden sodann Governance-Modelle eines Biobankgeheimnisses fortentwickelt. II. Informationelle Regelungselemente Es ist bereits angeklungen, dass gegenwärtig gesetzliche Biobankvorschriften fehlen. In der Praxis haben sich folglich Selbstregulierungsmechanismen entwickelt: Zum einen wird vor dem Hintergrund des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG mit den Grundsätzen der „informierten Einwilligung“ operiert, zum anderen finden Pseudonymisierungsverfahren Anwendung.104 Doch sind die diesbezüglichen Inhalte keineswegs konsistent.105 Die vorherrschende Grundstruktur stellt gleichwohl die informierte Einwilligung dar. Zum Teil unterliegt die Ausgestaltung der Einwilligung Anforderungen, die Ausfluss gesetzlicher Normen106 sind, zum Teil aber auch durch Rechtsprechung und Dogmatik weiterentwickelt wurden.107 Grundlegend sind die Regelungselemente, die dem Verfassungsrecht entstammen, vorgegeben: So schützt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG die Entscheidungsautonomie des Patienten.108 Mit der Einwilligung „bestimmt“ er, ob und inwieweit Dritte in die Verarbeitung seiner Persönlichkeit eingreifen dürfen.109 Die Einwilligung ist also ein zentraler Bestandteil des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung; mit der (Nicht-)Erteilung seiner Zustimmung übt der Betroffene die „Befugnis […], 102 Vgl. Berg, CR 1986, S. 234 (236 f.): Letztlich beschränkt sie sich auf eine Bekräftigung des ohnehin selbstverständlichen Willkürverbots: Der Wissenschaftler könne eben nur verlangen, dass „sachgerecht, also frei von Willkür und unter angemessener Berücksichtigung des Zwecks des Anliegens“ entschieden wird. 103 Vgl. Berg, CR 1986, S. 234 (236 f.). 104 Vgl. betreffend der Pseudonymisierung auch Kap. § 4 A. II. 4. c) aa) (2); des Weiteren Albers, MedR 2013, S. 489. 105 Siehe auch Albers, MedR 2013, S. 489 ff. 106 Auf spezifische Vorgaben des Arzneimittelgesetzes (AMG) oder die jeweiligen Landesdatenschutzgesetze soll in der nachfolgenden Untersuchung nicht näher eingegangen werden. 107 Siehe auch Albers, MedR 2013, S. 489 ff. 108 Vgl. BVerfGE 65, 1 (42) – Volkszählung; 35, 202 (220) – Lebach; 54, 148 (153 ff.) – Eppler; 63, 131 (142 f.) – Gegendarstellung; grundlegend: Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 139 f. 109 Vgl. BVerfGE 65, 1 (42) – Volkszählung; 35,202 (220) – Lebach; 54, 148 (153 ff.) – Eppler; 63, 131 (142 f.) – Gegendarstellung; des Weiteren: Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 139 f.
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selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten“ zu bestimmen, aus.110 Damit der Spender aber „nicht zum bloßen Informationsobjekt“ wird, muss ihm die Verarbeitung seiner Daten zu einer bestimmten Verwendung nicht nur bekannt sein, sondern er muss seine Einwilligung erklärt haben, um den Eingriff zu legitimieren.111 Das Recht, über die eigenen gendiagnostischen Daten zu verfügen, gestattet eine Datenverarbeitung ohne oder gegen den Willen des Untersuchten nicht.112 Dabei beschneiden nicht erst die möglichen Folgen das Selbstbestimmungsrecht oder, dass die Daten anders als zu Verwaltungszwecken zu Forschungszwecken113 verarbeitet werden, sondern bereits die fehlende Beteiligung des Einzelnen an der Erhebung und Verarbeitung seiner persönlichen Daten.114 1. Willensbekundung Kann der Patient nicht mit hinreichender Gewissheit vorhersehen, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, ist er in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen.115 Entscheidungsfreiheit bedeutet, dass der Spender vorab über die Verarbeitung aufgeklärt worden sein muss, um wirksam in die Verarbeitung seiner Daten einwilligen zu können.116 Die Aufklärung setzt dabei grundsätzlich ein ärztliches Gespräch in angemessenem Zeitabstand vor dem Eingriff voraus, das über den Anlass, die Behandlungsmethoden und -alternativen, die Komplikationen und Folgen, Nebenwirkungen und Risiken des Eingriffs informiert.117 Im Rahmen einer biobankspezifischen Aufklärung gilt es zudem, weitergehende Informationen über Freiwilligkeit der Spende, Forschungszwecke, Ziel des Forschungsvorhabens, die 110 Dazu BVerfGE 65, 1 (42) – Volkszählung; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 139 f. 111 Siehe BVerfGE 65, 1 (42) – Volkszählung; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 139 f. 112 Vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 139 f. 113 So wird der Betroffene bei der Verarbeitung zu Forschungszwecken anders als zu Verwaltungszwecken wohl weitgehend keinen negativen Interventionen ausgesetzt sein, vgl. Scheuch, Die Weiterentwicklung des Datenschutzes als Problem der Sozialforschung, in: Kaase et al., Datenzugang und Datenschutz, S. 252 (253). 114 So auch Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 140. 115 BVerfGE 65, 1 (43) – Volkszählung; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 139 ff. 116 Grundsätzlich übereinstimmend Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 139 ff. 117 Vgl. Biermann, in: Ulsenheimer, S. 200 ff. sowie 218 ff. (222); Albers, MedR 2013, S. 489 ff.
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durchführende und verantwortliche Stelle oder aber über die Möglichkeiten der Verwendung und Übermittlung von Körpermaterialien und Daten mitzuteilen. Zugleich sollen auch die (vertraglichen) Rechte der Betroffenen118 mit dem Patienten besprochen werden.119 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt also das „individuelle Wissen“ um die Verarbeitung der persönlichen Daten.120 Insofern stellt eine unzureichende oder gar unterlassene Aufklärung vor Erteilung der Einwilligung des Einzelnen einen unrechtmäßigen Eingriff in die informa tionelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dar. In gleicher Weise begreift daher auch die neue europäische DatenschutzGrundverordnung die Einwilligung in Art. 4 Abs. 8 VO-E als „jede ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgte ausdrückliche Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen Handlung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten einverstanden ist.“ 2. Freiwilligkeit Darüber hinaus setzt informationelle Selbstbestimmung „Entscheidungsfreiheit“ über die durchzuführenden oder zu unterlassenden Maßnahmen voraus.121 Wird eine Einwilligung unter Zwang oder Täuschung des Spenders erteilt, widerspricht dies seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.122 Die Einwilligung muss freiwillig erfolgen, ohne dass der Betroffene einen Nachteil zu befürchten hat, damit der Schutz des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht in Fremdbestimmung durch Dritte umschlagen kann.123 Folglich konstatieren sowohl Art. 4a BDSG als auch der Entwurf 118 Wie beispielsweise die Verweigerung der Teilnahme oder sein Eigentumsrecht an den betreffenden Körpermaterialien, vgl. auch Art. 7 Ziff. VO-E: „Der Widerruf der Einwilligung muss so einfach wie die Erteilung der Einwilligung sein. Die betroffene Person wird von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen informiert, wenn der Widerruf der Einwilligung zu einer Einstellung der erbrachten Dienstleistungen oder der Beendigung der Beziehungen zu dem für die Verarbeitung Verantwortlichen führen kann.“ 119 So Mand, MedR 2005, S. 565 ff.; Söns, Biobanken im Spannungsfeld von Persönlichkeitsrecht und Forschungsfreiheit, S. 211 ff.; Albers, MedR 2013, S. 489 ff.; Deutscher Ethikrat, Humanbiobanken für die Forschung, S. 42 f. 120 Vgl. BVerfGE 65, 1, 43 – Volkszählung; 34, 238 (246 f.) – Tonband; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 139 ff. 121 Siehe BVerfGE 65, 1 (42) – Volkszählung; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 143 f. 122 Vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 143 f. 123 Weiterführend aus BVerfGE 65, 1 (42) – Volkszählung; Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 43 f.1.
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der europäischen Datenschutz-Grundverordnung wie folgt: „Die Einwilligung sollte ausdrücklich mittels einer geeigneten Methode erfolgen, die eine ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage abgegebene Willensbekundung der einzelnen Person in Form einer Erklärung oder einer eindeutigen bestätigenden Handlung, die auf einer individuellen Entscheidung basiert, ermöglicht, die sicherstellt, dass der betreffenden Person bewusst ist, dass sie ihre Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten gibt.“124 Vielfach wird nun aber bestritten, dass den Betroffenen die tatsächliche Entscheidungsfreiheit zusteht.125 Mit dem Aufnahmeantrag im Krankenhaus seien vertragliche Klauseln möglich, wonach der Patient seine persönlichen Gesundheitsdaten und Körpermaterialien über den Verwendungszusammenhang der Behandlung hinaus der medizinischen und / oder pharmazeutischen Forschung zur Verfügung stellt.126 Durch diese faktische Bedrohung der Entscheidungsautonomie des Spenders kann aber noch nicht verallgemeinernd gefolgert werden, dass die Entscheidungsfreiheit in Wirklichkeit überholt sei.127 Verkannt wird nämlich der normative Gehalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung: So wird der grundrechtliche Schutz der Entscheidungsfreiheit nicht dadurch aufgehoben, dass die informierte Einwilligung in einigen Fällen „reine Fiktion“ sein kann.128 „Vielmehr verdeutlicht die Norm die ihr widersprechende Praxis“.129 Insoweit ist im Besonderen zu sichern, dass ein spezifisches Biobankgeheimnis den Einzelnen vor einem „unkalkulierbaren Risiko für die informationelle Selbstbestimmung“130 zu schützen vermag.131
124 Vgl. hierzu Erwägungsgrund 25 zur legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (allgemeine Datenschutzverordnung) (COM(2012)0011 – C7-0025/2012 – 2012/0011(COD)). 125 Vgl. Schmidt, JZ 1974, S. 241 (247); Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 143 f.; Simitis, in: Simitis, § 3 Rn. 25. 126 Vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 413 f. 127 Kritisch bei Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 143 f.; so aber Vogelsang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 150 f. 128 So Simitis, NJW 1984, S. 398 (401); Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 143 f. 129 Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 144. 130 Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 144. 131 Vgl. hierzu im Folgenden Kap. § 9.
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3. Schriftlichkeit In formeller Hinsicht wird regelmäßig eine schriftliche Einwilligung zu fordern sein. Zwar normiert § 4a Abs. 2 BDSG ausdrücklich Umstände, die gemäß § 4a Abs. 1 S. 3 2. HS BDSG in Ausnahmefällen ein Absehen von der Schriftlichkeit rechtfertigen.132 Mitunter sucht diese Regelung den Interessen der Wissenschaft gerecht zu werden. Insoweit sieht auch der Entwurf der europäischen Datenschutz-Grundverordnung keine ausdrückliche Notwendigkeit einer schriftlichen Einwilligung vor. Vielmehr trägt der für die Verarbeitung Verantwortliche nach Art. 7 Ziff. 1 VO-E die Beweislast dahingehend, dass die betroffene Person ihre Einwilligung zur Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten für eindeutig festgelegte Zwecke erteilt hat.133 Folglich erweisen sich die Anforderungen an einen Verzicht auf die Schriftform auch im Bereich der Forschung als hoch.134 Demgegenüber wird in Forscherkreisen vermehrt darauf hingewiesen, dass aus kostenspezifischen Erwägungen Telefoninterviews in der empirischen Forschung an Bedeutung gewinnen; zum anderen vergesellschaftet sich erhöhte Ablehnungsraten mit den Erfordernissen einer schriftlichen Einwilligung.135 „Die Schriftform erwecke vor allem bei älteren Menschen und Personen mit einem niedrigen Bildungsstand Mißtrauen, so daß häufig diese Menschen eine Befragung verweigern würden.“136 Dadurch könnten nicht zuletzt repräsentative Erhebungen verfälscht und verlässliche Forschungsergebnisse erschwert werden.137 Aus verfassungsrechtlicher Sicht bindet Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG in der Ausübung der informationellen Selbstbestimmung an kein Form erfordernis: Das Selbstbestimmungsrecht kann sowohl schriftlich wie auch mündlich ausgeübt werden.138 Allerdings liegt gerade der Sinn und Zweck des Schriftformerfordernisses darin, dem Betroffenen die Reichweite und auch Mand, MedR 2005, S. 571 ff. die Einwilligung durch eine schriftliche Erklärung erfolgen, die überdies noch einen anderen Sachverhalt betrifft, muss das Erfordernis der Einwilligung äußerlich klar erkennbar von dem anderen Sachverhalt getrennt werden (Art. 7 Ziff. 2 S. 1 VO-E). 134 Vgl. Mand, MedR 2005, S. 571 ff. 135 Siehe auch Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 144 f. 136 Vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 144. 137 Vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 144 f.; Mand, negiert demgegenüber die Problematik: „Auch die Furcht, dass die Schriftlichkeit der Einwilligung Misstrauen erzeugt und womöglich einzelne Probanden davon abhält, Körperstoffe und personenbezogene Daten zur Verfügung zu stellen, ist in diesem Rahmen ohne Bedeutung.“ Siehe Mand, MedR 2005, S. 571. 138 Vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 144 f. 132 Vgl. 133 Soll
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Bedeutung seiner Entscheidung zu verdeutlichen. In der Ausübung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung kommt der Schriftform also gleichermaßen eine schützende Garantiefunktion zu.139 Freilich entsteht insoweit eine nicht zu vernachlässigende Belastung, die den Aufbau oder die Nutzung der Biobank erschweren, wenn nicht in Frage stellen kann.140 Zugleich wird aber auch die Transparenz der Datenverarbeitung gesichert, so dass die mit der Einwilligung definierten Grenzen nachvollzogen und gesichert werden können.141 Im Gleichlauf einer fortschreitenden Technik und der europäischen Datenschutz-Novellierung könnte aber auch eine bestätigende Tätigkeit, wie etwa das Anklicken eines Kästchens beim Besuch einer Internetseite, erwogen werden, um das Einverständnis zu der beabsichtigten Verarbeitung personenbezogener Daten und somit der Sinnhaftigkeit eines Schrifterfordernisses hinreichend abzusichern.142 4. Bestimmtheit „Die Einwilligung ist zweckgebunden und wird unwirksam, wenn der Zweck nicht mehr gegeben ist oder die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Erreichung des Zwecks, für den die Daten ursprünglich erhoben wurden, nicht mehr erforderlich ist“ (Art. 7 Ziff. 4 S. 1 VO-E). Auch bislang war die informierte Einwilligung auf ein bestimmtes Forschungsprojekt beschränkt.143 Art. 4a Abs. 1 S. 2 BDSG konstatiert, dass der Betroffene auf den vorgesehenen Zweck der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung sowie auf die Folgen der Verweigerung der Einwilligung hinzuweisen ist. Die Zweckbindung wird also zum entscheidenden Sicherungsinstrument der Einwilligung, mit dem der Spender seine Entscheidungsfreiheit auszuüben im Stande ist.144 Die Möglichkeit des Empfängers oder der verantwortlichen 139 Vgl. Simitis, in: Simitis, § 4a Rn. 47 ff.; insoweit differenzierend: Gola/Schomerus, BDSG Kommentar, § 4a Rn. 29 ff.; Mand, MedR 2005, S. 571 ff. 140 So Mand, MedR 2005, S. 571 ff. 141 Vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 144 f. 142 Vgl. hierzu Erwägungsgrund 25 zur legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. März 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (allgemeine Datenschutzverordnung) (COM(2012)0011 – C7-0025/2012 – 2012/0011(COD)); so heißt es weiter: „Wird die betroffene Person auf elektronischem Weg zur Einwilligung aufgefordert, muss die Aufforderung in klarer und knapper Form und ohne unnötige Unterbrechung des Dienstes, in dessen Bereitstellung eingewilligt wird, erfolgen.“ 143 Vgl. Mand, MedR 2005, S. 571 ff. 144 Vgl. Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 140 ff.; zur Zweckbindung im Kontext gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen: BVerfGE 65, 1
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Stelle, über die Daten frei verfügen zu können, wird begrenzt.145 Demzufolge stellen „Zweckentfremdungen“ Eingriffe in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dar, die es zu rechtfertigen gilt.146 Sobald der Betroffene nicht (mehr) erkennen kann, zu welchen Forschungsvorhaben und zu welchem Zweck seine Körpermaterialien und Daten verwendet werden, genügt die Bestimmtheit der Einwilligung hingegen nicht.147 Im Zweifel wird sich der Forschungszweck auf die Projekte oder Fragestellungen beziehen müssen, mit denen dem Spender gegenüber die Notwendigkeit der Erhebung und Verarbeitung seiner Informationen begründet wurde: Eine von Beginn an nicht abzusehende Anzahl von Forschungsvorhaben, über die der Einzelne keine Vorstellung haben kann, wird den juristischen Anforderungen nicht gerecht werden können.148 Art. 81 Ziff. 1b VO-E relativiert diese Einschränkung nunmehr dahingehend, dass die Einwilligung der Person zur Verarbeitung medizinischer Daten für den ausschließlichen Zweck der Forschung zu Fragen der öffentlichen Gesundheit erforderlich ist: So könne die Einwilligung für eine oder mehrere spezifische und ähnliche Forderungen erteilt werden. Doch wie konkret149 ist der Forschungszweck tatsächlich zu benennen? Sind Anforderungen insoweit zu definieren, als dass personenbezogene Daten nur dann zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung verarbeitet werden dürfen, sofern sie von den übrigen Informationen gemäß den höchsten technischen Standards getrennt aufbewahrt und sämtliche notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um unbefugte Rückschlüsse auf die Identität der untersuchten Personen zu verhindern? Rechtlich gesehen sind dabei sämtliche Einwilligungserfordernisse hinsichtlich „bestimmter Forschungsprojekte“, „Forschungsvorhaben“ oder spezifischer „Zwecke wissenschaftlicher Forschung“ auslegungsbedürftig.150 Ein definiertes Bioban(45); siehe ferner Simitis, in: Kaase/Krupp/Pflanz/Scheuch, passim; Simitis, S. 83 (90); Schmidt, JZ 1974, S. 241 (249). 145 Vgl. Simitis, NJW 1984, S. 398 (402); Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 140 f. 146 Die sog. Zweckentfremdung thematisierend: BVerfGE 57, 170 (201 f.) – Briefkontrolle; BVerfGE 65, 1, 45 – Volkszählung; Schmidt, JZ 1974, S. 241 (249); vgl. im Übrigen: Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 140 ff. 147 Vgl. Simitis, MedR 1985, S. 195 ff.; Bizer, Forschungsfreiheit und informa tionelle Selbstbestimmung, S. 140 f. 148 So auch Bizer, Forschungsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, S. 141. 149 Vgl. Wicklein, Biobanken, S. 176 ff.; Albers, MedR 2013, S. 490; Antonow, Zulässigkeit für Biobanken zu Forschungszwecken, S. 137 ff.: Fink, Biobanken, S. 91 ff.; Wellbrock, MedR 2003, S. 77 ff. 150 Siehe dazu die spezifischen Landesdatenschutzgesetze sowie Albers, MedR 2013, S. 490.
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kengesetz oder spezifische Standards existieren gerade nicht. Insofern könnte man zunächst die Zweckbindung der Einwilligung auf ein konkretes Forschungsvorhaben als grundlegende Voraussetzung der Einwilligung festsetzen.151 Um dabei den Bestimmheitsanforderungen152 gerecht zu werden, müsste der Betroffene also mit einer einmaligen Einwilligungserklärung zu Beginn des Projekts in die praktizierten Maßnahmen einwilligen. Offen zu diesem Zeitpunkt sind aber regelmäßig nicht nur wissenschaft liche Frageentwicklungen und methodische Innovationen des Vorhabens.153 Auch der Umfang der gespeicherten Datensätze, der zeitliche Rahmen, der Kreis der zugriffsberechtigten Personen und die einzubeziehenden (behördlichen) Stellen sind kaum transparent.154 In einer nicht zu vernachlässigenden Anzahl von Forschungsvorhaben wird dies dazu führen, dass die beabsichtigen Forschungsergebnisse nicht zu vollenden sind.155 Unvorhergesehene Anschlussfragen, die sich aus den Forschungsauswertungen ergeben und zu Beginn der Versuchsgestaltung noch nicht definiert waren, blieben schlichtweg unbeantwortbar. Das Ziel des Forschungsvorhabens würde konterkariert. Auch die Aufsplittung der Einwilligung – etwa in eine allgemeine Einwilligung zum Aufnahmezeitpunkt der Daten in die Datenbank und eine konkrete Einwilligung in spezifische Vorhaben – vermag einen derartigen Konflikt nicht aufzulösen.156 In einer Vielzahl der Fälle resultiert daraus nämlich ein unverhältnismäßiger Aufwand – nicht zuletzt, weil Spender möglicherweise verzogen oder bereits verstorben sind.157 Folglich ist eine Lösung zu suchen, die sich an grundrechtlichen Maßstäben misst, zugleich aber die forschungstechnische Praktikabilität der Vorhaben gewährleistet. Voraussetzung hierfür wird ein entsprechender Kenntnisstand des Einzelnen sein. Der Patient muss Nutzen und Risiken gegenübereinander abwägen können, um eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.158 Die Aufklärung hat im Besonderen über die Unsicherheit der zukünftigen Verwendung seiner Körpersubstanzen und Daten zu erfolgen.159 Kann der 151 Nach Wellbrock, MedR 2003, S. 77 (81) und Morr, Biobanken, S. 97 f. ist eine sog. „globale“ Einwilligung nur dann zulässig, wenn der Spender in der regelmäßen Abständen über neue Forschungsergebnisse in Kenntnis gesetzt wird. 152 Siehe voranstehende Ausführungen. 153 Vgl. Wellbrock, MedR 2003, S. 77 (81). 154 Siehe Wellbrock, MedR 2003, S. 77 (81). 155 So auch Wicklein, Biobanken, S. 176 ff. 156 Siehe Wellbrock, MedR 2003, S. 77 (81). 157 Vgl. Wicklein, Biobanken, S. 176 ff.; Nationaler Ethikrat, Biobanken, S. 59. 158 Zum Ziel der Aufklärung: siehe beispielsweise BGHZ 29, 176 (181); 90, 103 (106); BGH NStZ 2000, 87 (88). 159 Siehe Nationaler Ethikrat, Biobanken, S. 60; Wicklein, Biobanken, S. 178 ff.; Antonow, Zulässigkeit für Biobanken zu Forschungszwecken, S. 141 ff.; Mand,
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Spender die Gefahren einer „globalen“ Einwilligung überblicken, und sind für ihn die zugrundeliegenden Unsicherheiten ersichtlich, so stellt sich die Frage, warum ihm das Recht verwehrt werden soll, der Weiterverwendung seiner Gewebesubstanzen und Daten zuzustimmen?160 Sofern er ausreichend über die Ungewissheit der Datenverwendung informiert wurde, und sich auf die der Forschung immanenten Unsicherheiten einzulassen bereit ist, trägt die Beachtlichkeit der Einwilligung der informationellen Selbstbestimmung des Einzelnen genüge. Freilich bleibt zu berücksichtigen, dass der Betroffene sein Einverständnis auch im Rahmen einer generalisierenden Einwilligung auf bestimmte Forschungszwecke und Zielsetzungen einschränken kann. So stünde es ihm frei, weiterhin über die Verwendung seiner gendiagnostischen Informationen zu entscheiden und seine Einwilligung jederzeit zu widerrufen.161 Denkbar erschiene auch eine generalisierende Einwilligung, die der Gesetzgeber vor Missbrauch schützt:162 So ließe sich eine globale Einverständniserklärung nur für solche Forschungsvorhaben einrichten, die entsprechende verfahrensrechtliche Missbrauchsvorkehrungen163, wie beispielsweise Überlegungsfristen für eine ausreichende Bedenkzeit, vorsehen. Desgleichen könnte eine Weiterverwendungsklausel vereinbart werden. Die Einwilligung wäre insofern auf Zwecke wissenschaftlicher Fragestellungen einzugrenzen. Dabei ist die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer generalisierenden Einwilligung dem deutschen Recht keineswegs fremd:164 Auch im Transplantationsgesetz165 erteilt der Organspender seine Einwilligung in eine postmortale Organentnahme, ohne dass ihm zum Zeitpunkt der Einwilligung bekannt ist, welchem Empfänger seine Gewebespende eingesetzt wird.166
MedR 2005, S. 565 (573); DFG, Prädiktive genetische Diagnostik, S. 43 f.; Fink, Biobanken, S. 95 ff. 160 So auch Wicklein, Biobanken, S. 180 ff. 161 Vgl. Wicklein, Biobanken, S. 180; Mand, MedR 2005, S. 565 (573); Morr, Biobanken, S. 98 f. 162 Vgl. Wicklein, Biobanken, S. 180 f. 163 Beispielsweise regelt das Schweizer Humanforschungsgesetz eine „globale“ Einwilligung für die Forschung in verschlüsselter und anonymisierter Verschlüsselung: Art. 32 Abs. 2 und 3 HFG. 164 Vgl. Wicklein, Biobanken, S. 180 f. 165 Siehe § 9 TPG. 166 Die Allokation der Organe wird in der Regel von einer zentralen Vermittlungsstelle übernommen, vgl. https://www.eurotransplant.org/cms/ [letzter Aufruf am 18.01.2015].
§ 9 Regelungsvorschläge für Biobanken287
§ 9 Regelungsvorschläge für Biobanken Biobanken sind als funktional-globale Verknüpfung von humanbiologischen Materialien, Analyseergebnissen und personenbezogenen Daten vielfach von Bedeutung. Sie bewegen sich inmitten einer rechtswissenschaft lichen Kollision zwischen Persönlichkeitsinteressen und Forschungsfreiheit. Demgemäß treten Fragen der Forschungs- und Datensteuerungsstrukturen auf. Im Folgenden soll nunmehr überlegt werden, wie sich die diesbezüglichen Gesetzgebungskompetenzen gestalten (I.) und ob angesichts der komplexen Wirkungszusammenhänge die Governance-Perspektive (II.) den informationsrechtlichen Regelungselementen beizuziehen ist.
A. Gesetzgebungskompetenz Für die Regulierung von Biobanken existiert zunächst kein spezifischer Kompetenztitel, der dem Bund die diesbezügliche Gesetzgebungskompetenz übertragen würde (1.). Mithin könnten sich jedoch (punktuelle) Regelungsbefugnisse aus den Einzelregelungen der Art. 73 f. GG ergeben (2.). Soweit diese eine Bundeskompetenz nicht tragen, tritt nach Art. 70 Abs. 1 GG die Zuständigkeit der Bundesländer ein. I. Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz Dem Bundesgesetzgeber steht gemäß Art. 70 Abs. 1 GG das Recht zur Gesetzgebung zu, sofern ihm das Grundgesetz die Befugnisse hierzu verleiht. Eine Regulierung der Biobanken über Bundeskompetenzen ist im Gesundheitsbereich allerdings nur begrenzt möglich: Eine umfassende Bundeskompetenz für das Gesundheitswesen existiert nicht.167 Neben spezifischen Kompetenztiteln des Grundgesetzes regelt Art. 73 GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes grundlegend.168 Im Folgenden anzudenken wäre eine ausschließliche Bundeskompetenz für „die Statistik für Bundeszwecke“ (Art. 73 Abs. 1 Nr. 11 GG). Allerdings kann die betreffende Kompetenznorm im hier interessierenden Kontext nur bedingt weiterführen, weil sie sich allenfalls auf die (statistische) Erhebung der Gesundheitsdaten bezieht. Mangels lesbarer Notation stellen Blut- oder Gewebeproben regelmäßig jedoch keine statistischen Daten dar.169 Insoweit Wollenschläger/Schmidl, VSSR 2014, S. 117 ff. (124). Heintzen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 71 Rn. 11. 169 So auch Morr, Biobanken, S. 107 f.; Redecker/Reimer, Jahrbuch für Ostrecht, S. 361 (371); Wicklein, Biobanken, S. 167 f. 167 Vgl. 168 Vgl.
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4. Teil: Biobanken
sind im Weiteren die Kompetenztitel einer konkurrierenden Gesetzgebung zu prüfen. II. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG begründet die konkurrierende Kompetenz für „Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen […], Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, sowie das Recht des Apothekenwesens, der Arzneien, der Medizinprodukte, der Heilmittel, der Betäubungsmittel und der Gifte“. Stellt man nunmehr auf den therapeutischen Forschungsansatz der Biobanken ab, so wäre ein hinreichender Zusammenhang zu bejahen,170 soweit sich die Therapie auf „gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten“ stützt. Dabei sind unter den Begriff der gemeingefährlichen Krankheiten insbesondere schwere und verbreitete Krankheiten,171 wie beispielsweise aus der Onkologie, zu fassen. Dem Begriff der „übertragbaren Krankheiten“ unterliegen gemäß § 2 Nr. 3 IfSG meist Infektionskrankheiten. Vor dem Hintergrund, dass Biobanknetzwerke auch regelmäßig der Erforschung schwerwiegender Krankheitsbilder dienen und dabei einen umfassenden Proben- und Datenvergleich erfordern, mag man geneigt sein, die Einschlägigkeit des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zu bejahen. Führt man dabei die forschungstechnischen Entwicklungen für das Recht der Arzneien und der Medizinprodukte analog ins Felde, so lässt sich eine bundesstaatliche Gesetzgebungskompetenz auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG stützen.172 Die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG gilt hierbei nicht. Darüber hinaus lassen sich punktuelle Bundeskompetenzen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG ableiten.173 Demnach umfasst die „Untersuchung und künstliche Veränderung von Erbinformationen“ nicht nur die Gewinnung und Analyse der Erbinformationen, sondern zudem eine Annexkompetenz für die (über den Untersuchungsanlass) hinausgehende Aufbewahrung, Speicherung und Nutzung des gewonnenen Materials einschließlich der einhergehenden spenderbezogenen Informationen.174 Ein Bezug zur Analyse genetischer Information ist jedoch unabdingbar: Eine Regelungskompetenz hin170 Vgl.
hang.
im Weiteren zu den Erläuterungen des Kriteriums kraft Sachzusammen-
171 Jarass/Pieroth,
Art. 74 Rn. 41. Axer, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Rn. 16; demgegenüber zustimmend Morr, Biobanken, S. 108 f.; Redecker/Reimer, Jahrbuch für Ostrecht, S. 361 (373 f.); Wicklein, Biobanken, S. 170. 173 In Bezug auf das Gendiagnostikgesetz: Scherrer, GenDG, S. 190 ff. 174 Vgl. Morr, Biobanken, S. 109; Redecker/Reimer, Jahrbuch für Ostrecht, S. 361 (371 f.); Wicklein, Biobanken, S. 172 f.; Scherrer, GenDG, S. 190 f. 172 Restriktiv:
§ 9 Regelungsvorschläge für Biobanken289
sichtlich sonstiger Untersuchungsmethoden und -ziele besteht insoweit nicht.175 Aufgrund der Notwendigkeit bundeseinheitlicher Standards und Strukturen ist schließlich das Kriterium der bundeseinheitlichen Regelung im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG zu bejahen.176 Umstritten ist, ob und inwieweit der Kompetenztitel der „Förderung der wissenschaftlichen Forschung“ nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG in vorliegendem Kontext einschlägig sein mag: Zum Teil werden dabei alle forschungserleichternden Regelungen unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG subsumiert.177 Demgegenüber erstrecken Jochen Taupitz und Jukka Weigel den Kompetenztitel vorrangig auf die Förderung der Forschung, nicht aber auf die Forschung selbst – unabhängig davon, dass die betreffenden Regelungen auch mittelbar der Forschung dienlich sein können.178 Doch angesichts der weit reichenden Bundeskompetenzen, die sich gleichermaßen auf Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten, das Recht der Arzneien und Medizinprodukte, die genetische Erbinformation oder die Kommerzialisierung von Biobanken erstrecken, lässt sich für eine bundesstaatliche Kompetenzverteilung zur Regelung des Biobankwesens streiten. Stellt man überdies auf die dringende Notwendigkeit bundeseinheitlicher Standards im Bereich des Biobanksektors ab, so ließen sich weitergehende Lücken auch über eine Kompetenz kraft Sachzusammenhang schließen.179 Die Maßstäbe für die Relevanz des Sachzusammenhangs entwickeln sich dabei aus der föderalistischen Ordnung heraus.180 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht das Kriterium des Sachzusammenhangs, „wenn eine dem Bund zugewiesene Materie verständigerweise nicht 175 Vgl. Taupitz/Weigel, WissR (45) 2012, S. 35, 75; demgegenüber ohne nähere Begründung: Weichert, Stellungnahme Öffentliche Anhörung zum Thema „Humanbiobanken“, A-Drs. 17(18)154 b), S. 4. 176 Vgl. Morr, Biobanken, S. 110; Redecker/Reimer, Jahrbuch für Ostrecht, S. 361 (372 f.); Wicklein, Biobanken, S. 173 f.; Scherrer, GenDG, S. 193 (194): „Allein eine einheitliche und damit Vertrauen schaffende Regelung [im Bereich der Gendiagnostik] kann die im Raum stehenden Risiken bei einer gleichzeitigen Optimierung der Chancen tatsächlich bannen.“ Darüber hinaus kann sich eine weitere konkurrierende Kompetenz für das Recht der Wirtschaft aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ergeben, sofern der Betrieb kommerzieller Biobanken infrage steht; die Erforderlichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung i. S. d. Art. 72 Abs. 2 GG ist in diesem Falle aus den genannten Gründen ebenfalls zu bejahen, vgl. Taupitz/Weigel, WissR (45) 2012, S. 35 (75). 177 Vgl. vorwiegend ohne weitergehende Erläuterung: Morr, Biobanken, S. 108; Redecker/Reimer, Jahrbuch für Ostrecht, S. 361 (373); Wicklein, Biobanken, S. 168 f. 178 Siehe Taupitz/Weigel, WissR (45) 2012, S. 35 (76). 179 Vgl. Bullinger, Ungeschriebene Kompetenzen im Bundesstaat, AöR (1996), S. 237 ff. (250); zunächst a. A. Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 296. 180 So auch Bullinger, Ungeschriebene Kompetenzen im Bundesstaat, AöR (1996), S. 237 ff., (250); Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 296.
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4. Teil: Biobanken
geregelt werden kann, ohne dass zugleich eine andere Materie mit geregelt wird, wenn also das Übergreifen in einen an sich den Ländern übertragenen Kompetenzbereich für die Regelung der zugewiesenen Materie unerlässlich ist.“181 Angesichts des zentralen (gen-informationellen) Forschungskontexts der Biobanken und der steigenden (inter-)nationalen Vernetzung im Bereich des Biobankwesens überzeugt es daher auch abschließend, die diesbezügliche Gesetzgebungskompetenz in übergreifender Akzentuierung dem Bund zuzuweisen. Die rechtlichen Dimensionen der genetischen Diagnostik betreffen zentrale Fragen der selbstbestimmten Lebensführung und -planung des Einzelnen.182 So führt die Dimension der diagnostischen Aussagekraft nicht zuletzt dahin, dass der Betroffene sowohl in gesellschaftlicher als auch sozialer Interaktion den Gefahren einer „Genetisierung“ ausgesetzt ist – insoweit hat die informationsrechtliche Tragkraft genetischer Information eine existenzielle und zugleich länderübergreifende Wirkung.183
B. Governance-Perspektive Als übergreifende Theorie plädiert Hans-Christian Röhl für die Govern ance-Perspektive, die im Kontext von Wissenserzeugung und Recht einem steuerungswissenschaftlichen Ansatz angesichts der in diesem Felde auftretenden komplexen Wirkungszusammenhänge überlegen sei.184 Mithin ergebe sich die Komplexität daraus, dass zwischen privat- und öffentlich-rechtlichen Akteuren und Regelungen ein unübersichtliches Zusammenspiel stattfinde: In den Wissen[schaft]snetzwerken verbleibe dem Staat dabei mitunter die Rolle eines Moderators.185 Die vorangestellte Darstellung hat dies bereits als zentrale Herausforderung einer informationsrechtlichen Lösung des BiobankenKonflikts formuliert. Gleichwohl wäre es verfehlt, das Verhältnis von Steuerung und Governance als gegensätzlich anzusehen.186 So wird nämlich zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass ein modernes Verständnis von Rechtswissenschaft als einer handlungs- und entscheidungsorientierten Wis181 BVerfGE
110, 33 (48). Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 296. 183 So Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 296. 184 Vgl. Röhl, Die Verwaltung, Beiheft 9, 2010, Wissen – Zur kognitiven Dimension des Rechts, S. 65 (68 f.); vgl. des Weiteren auch Pflug, Regelungsstrukturen, S. 57 ff. 185 Siehe Röhl, Die Verwaltung, Beiheft 9, 2010, Wissen – Zur kognitiven Dimension des Rechts, S. 65 (68 f.); vgl. des Weiteren auch Pflug, Regelungsstrukturen, S. 51 ff. 186 Vgl. Schuppert, Alles Governance oder was? S. 18 f.; scheinbar kontrovers jedoch W. Hoffmann-Riem, Die Governance-Perspektive in der rechtswissenschaft lichen Innovationsforschung, passim. 182 Vgl.
§ 9 Regelungsvorschläge für Biobanken291
senschaft nicht auf das Gegenüber von einem bestimmten Steuerungssubjekt und einem Steuerungsobjekt187 angewiesen ist:188 „Wichtig für Steuerungserfolge sind auch die Strukturen (insbesondere Institutionen), in denen gehandelt wird, die ihrerseits Orientierungen und Grenzen für die Bewirkung normativ erwünschter Wirkungen schaffen. Insbesondere verschließt diese Sichtweise nicht den rechtlich geprägten Zugriff auf sämtliche Faktoren, die auf den Steuerungserfolg einwirken, also neben der geschriebenen der ungeschriebenen, staatlich oder nicht-staatlich gesetzten Norm etwa die Art der eingesetzten (formellen und informellen) Organisation und deren Organisationskulturen, die Gestaltung der Interaktion, insbesondere des Verfahrens, das zuständige Personal und dessen Schatz an Erfahrungs- und Wertewissen, ja die bei ihm verfügbaren ‚Sinnmuster‘. Die steuerungswissenschaftlich orientierte Rechtswissenschaft will verdeutlichen und zugleich produktiv nutzen, dass Normanwendung in entsprechende Kontexte eingebunden, der Erfolg also kontextabhängig ist. Aber gerade darum ist es wichtig, auch solche nicht in Normtexten abgebildeten Steuerungsfaktoren – wie die verfügbaren Ressourcen (Personal, Finanzen, Zeit, Wissen), wie Organisation und Verfahren – rechtlich zu legitimieren, das heißt zu sichern, dass ihr Einsatz den dafür maßgebenden rechtlichen Orientierungen gerecht wird, also auch durch den Input – Recht und Verfahren – und nicht nur durch Output-orientierten Erfolg legitimiert wird. Dies führt […] zu einer institutionenbezogenen Sichtweise.“189 Steuerung und Governance-Theorien stehen einander also nicht alternativ gegenüber, sondern ergänzen sich vielmehr komplementär.190 So ermöglicht gerade die Governance-Perspektive einen ganzheitlichen Blick auf die Bandbreite der Steuerungsmodi des Verwaltungshandelns.191 Dabei lassen Govern ance-Strukturen die Akteure nicht verschwinden.192 Sie betten sie vielmehr in Regelungsstrukturen ein, die in diesem Sinne Handlungskorridore eröffnen, verschließen oder gar eingrenzen können.193 Wenn Wissen und Information im Kontext einer europäischen und nationalen Regelungsstruktur im Vorder187 So aber Mayntz, Governance Theory als fortentwickelte Steuerungstheorie? in: Schuppert, Governance-Forschung, S. 11 ff. 188 Vgl. Schuppert, Alles Governance oder was? S. 18 f. 189 W. Hoffmann-Riem, Die Governance-Perspektive in der rechtswissenschaft lichen Innovationsforschung, S. 10. 190 Siehe Mayntz, Governance Theory als fortentwickelte Steuerungstheorie? in: Schuppert, Governance-Forschung, S. 11 ff.; Pflug, Regelungsstrukturen, S. 51 ff.; Schuppert, Alles Governance oder was? S. 19. 191 So Mayntz, Governance Theory als fortentwickelte Steuerungstheorie? in: Schuppert, Governance-Forschung, S. 11 ff.; Pflug, Regelungsstrukturen, S. 51 ff.; Schuppert, Alles Governance oder was? S. 19. 192 Siehe Schuppert, Alles Governance oder was? S. 19. 193 Vgl. auch Schuppert, Alles Governance oder was? S. 19.
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4. Teil: Biobanken
grund stehen, eignen sich verschiedenartige Konzepte dafür, Organisationsund Regelungsstrukturen zu entfalten.194 Wenn aber das Interesse den Ak teuren als interventionistisch Handelnden gilt, werden Fragen der „Steuerungsproblematik“ durch Governance erschwert.195 Insofern erfolgt durch Governance-Strukturen lediglich eine Akzentverschiebung in Richtung Regelungsstrukturen und grenzüberschreitender Kooperation.196 Als Interpedenzbewältigung verlangt Governance nicht nur nach Handlungskoordination, sondern vielmehr auch nach Koordinationsmodi.197 Sind bzw. werden diese Modi miteinander verknüpft, erscheint es mit Hans-Heinrich Trute et al. auch legitim, von Governance-Regimen zu sprechen.198 Der Begriff des Govern ance-Regimes leistet dabei dreierlei: „[E]inmal führt er über das Betrachten und die Analyse einzelner Regelungen hinaus, zum anderen wird damit die klassische einzelaktorientierte Perspektive der Verwaltungsrechtswissenschaft überwunden, und drittens […] wird [schließlich] deutlich gemacht, dass ein Governance-Regime nicht nur aus rechtlichen, sondern auch anderen sozialen Koordinationsmechanismen bestehen kann“.199
C. Governance-Strukturen Es ist bereits angeklungen, dass die Balance zwischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen maßgeblich auf dem Konstrukt des informed consent beruht. Die informierte Einwilligung bildet also zunächst den Ausgangspunkt der nachstehenden Überlegungen. Dabei zeigt die Analyse anhand der bisher entwickelten Grundsätze, dass Biobanken nicht nur die informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen schützen, sondern auch gefährden. Neben der Mannigfaltigkeit neuartiger Forschungserkenntnisse wirkt auf Humanbiobanken ein Interessengeflecht verschiedener Akteure ein, die funktionsgemäße Ausführung der Strukturen sowohl sichern als auch gefährden.200 Insofern ist das bisherige Einwilligungskonzept durch institutionelle Pflug, Regelungsstrukturen, S. 52. Mayntz, Governance Theory als fortentwickelte Steuerungstheorie? in: Schuppert, Governance-Forschung, S. 11 ff.; Pflug, Regelungsstrukturen, S. 51 ff. 196 Siehe auch Mayntz, Governance Theory als fortentwickelte Steuerungstheorie? in: Schuppert, Governance-Forschung, S. 11 ff.; Pflug, Regelungsstrukturen, S. 51 ff. 197 Vgl. Schuppert, Alles Governance oder was? S. 27. 198 Vgl. Trute/Kühlers/Pilniok, Governance als verwaltungsrechtwissenschaft liches Analysekonzept, in: Schuppert/Zürn, Governance in einer sich wandelnden Welt, S. 173 ff.: Schuppert, Alles Governance oder was? S. 27. 199 Siehe erneut Schuppert, Alles Governance oder was? S. 27; dazu im Folgenden Trute/Kühlers/Pilniok, Governance als verwaltungsrechtwissenschaftliches Analysekonzept, in: Schuppert/Zürn, Governance in einer sich wandelnden Welt, S. 173 ff. 200 Vgl. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1010 ff. 194 Vgl. 195 So
§ 9 Regelungsvorschläge für Biobanken293
Biobankgesetz
Spenderinteressen
Transparenz
Biobankinteressen
Qualitätssicherung
Biobankgeheimnis
Abb. 3: Pyramidenstruktur als Grundlage eines Biobankengesetzes Eine pyramidal ausgerichtete Struktur soll zwischen dem Doppelcharakter der Biobanken zwischen Spender- und Biobankinteressen einen Ausgleich schaffen. Die wesentlichen Elemente der Pyramide stellen dabei die Konstrukte der Transparenz, Qualitätssicherung und des Biobankgeheimnisses dar. Essenzielle Ausgangsbedingung für die individuelle Entwicklung des Einzelnen und somit für die Ausgestaltung der Biobank ist die genetische Information als solche.
und prozedurale Regelungen zu ergänzen, die der Biobankenforschung gleichermaßen Freiräume wie auch objektive Grenzen setzen.201 Die Erörterung findet ihren Ursprung in einer naturwissenschaftlich begründeten und kulturell reflektierten Position, die das Genom als essenzielle Ausgangsbedingung für die individuelle Entwicklung des Einzelnen beschreibt.202 Auf diesem gründend entwickeln die nachstehenden Ausführungen ein pyramidales Konzept mit grundlegenden Bausteinen zur Sicherung und Regelung von Biobankkonstrukten. Die einzelnen Elemente einer derartig gelagerten Pyramidenstruktur sind – in aufsteigender Reihung – die folgenden: 1. Festlegung eines Biobankgeheimnisses 2. Qualitätssicherung und Datenschutz 3. Transparenz und Strukturierung der Verantwortlichkeiten. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 29 ff. dem Hintergrund menschlicher Reproduzierbarkeit: Kersten, Klonen,
201 Siehe 202 Vor
S. 482 ff.
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4. Teil: Biobanken
Ziel des pyramidalen Aufbaus ist die Festigung eines Biobankengesetzes203, das Interessenkonflikte regelt, die der Errichtung und dem Betreiben von Biobanken immanent sind. Durch diese Instrumentierung werden die Spender zum einen in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung gestärkt. Zum anderen fördert ein Biobankgesetz die Forschungsfreiheit und öffentliche Gesundheit („public good“). Dass individualisierte Personendaten und Spenderproben für Längsschnitt analysen und risikogruppenspezifische Auswertungen notwendig sind, ist bei der Analyse gen-informationeller Biobankstrukturen deutlich geworden.204 Entsprechende Untersuchungsergebnisse können sich mitunter auf geno- und phänotypische Merkmerkmale beziehen, die für eine wissenschaftliche Bewertung der Befunde unabdingbar sind. Insoweit erfordern diese biobankimmanenten Voraussetzungen Regelungen, die eine erweiterte Zweckbindung zulassen – unabhängig davon, dass ein nachhaltiger Schutz der Spenderinteressen quantitative und qualitative Veränderungen zu berücksichtigen hat.205 I. Biobankgeheimnis Differenziert man in der pyramidalen Entwicklung eines Biobankengesetzes, so ist zunächst die Ausprägung eines Biobankgeheimnisses zu konkretisieren. Konstrukt soll dabei ein Schutzkonzept sein, das in Biobanken gespeicherte und von deren Betreiber weitergegebene Proben und Daten gegen Zugriffe sichert, die den Zweck der wissenschaftlichen Forschung nicht legitimieren.206 Das Biobankgeheimnis konzentriert sich auf der einen Seite auf Spender und Wissenschaftler, die eine forschungsbezogene Nutzungsfreigabe anstreben. Auf der anderen Seite werden drittbezogene Instanzen und deren wissenschaftsfremde Interessen unterbunden. Versteht man ein informationell gesichertes Biobankgeheimnis als grundlegenden Pyramidenbaustein, so werden mehrere Schutzrichtungen erfasst. Auch finden sich hierfür die nachstehend diskutierten Vergleichsnormen im geltenden Recht.207 203 Aufgrund der Achtung staatlicher Souveränität wäre der Anwendungsbereich eines Biobankengesetzes dabei grundsätzlich auf das deutsche Hoheitsgebiet zu beschränken. 204 Siehe Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 30. 205 Vgl. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 29 (30). 206 So führt der Deutsche Ethikrat in seinem Fünf-Säulen-Konzept eine Abschottung gegenüber Dritten, wie Versicherungen, Arbeitgebern und staatlichen Instanzen an, vgl. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 29 ff. 207 Siehe auch Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 29 (30).
§ 9 Regelungsvorschläge für Biobanken
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1. Schweigepflicht Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts208 flankiert und erweitert das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung den Schutz von Verhaltensfreiheiten und persönlicher Privatsphäre, „indem es ihn schon auf der Stufe der Persönlichkeitsgefährdung beginnen lässt. Eine derartige Gefährdungslage kann bereits im Vorfeld konkreter Bedrohungen benennbarer Rechtsgüter entstehen, insbesondere wenn personenbezogene Informationen in einer Art und Weise genutzt und verknüpft werden können, die der Betroffene weder überschauen noch verhindern kann. Der Schutzumfang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt sich dabei nicht auf Informationen, die bereits ihrer Art nach sensibel sind und schon deshalb grundrechtlich geschützt werden. Auch der Umgang mit personenbezogenen Daten, die für sich genommen nur geringen Informa tionsgehalt haben, kann, je nach dem Ziel des Zugriffs und den bestehenden Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten, grundrechtserhebliche Auswirkungen auf die Privatheit und Verhaltensfreiheit des Betroffenen haben“.209 In Biobanken sind vergleichbare Gefahren angelegt: Spender stellen ihre Proben und Daten zur Verfügung und geben umfangreiche, mitunter sensible Informationen preis.210 Dies gilt umso mehr, als dass die Betroffenen oftmals nicht nur eigennützig, sondern altruistisch handeln.211 Sie widmen das humanbiologische Material der medizinischen Forschung und hoffen auf neue Heilungschance. Dass die Ausübung des ärztlichen Berufes als „ars muta“ gilt, ist unbestritten.212 Neben den standes- und vertragsrechtlichen Bestimmungen213 normiert § 203 StGB die Schweigepflicht. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt Ärzte und deren Hilfspersonen, die unbefugt fremde Geheimnisse, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbaren, unter Strafandrohung. Zwar gilt der Schutz nach § 203 Abs. 4 StGB auch über den Tod des Patienten hinaus. Den Embryo oder den Fötus erfasst er bislang aber nicht.214 Insoweit bedarf der gesundheitsrechtliche Schutz eines Biobankgeheimnisses einer eigenen Regelung. Betrachtet man nämlich die Schweigepflicht als solche, so finden sich freilich bereits
208 Vgl
hierzu Kap. § 4 A. II. 1. a). BVerfG, NJW 2008, S. 822 ff.; BVerfG, NJW 2007, S. 2464 (2466). 210 Siehe Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 29 ff. (34). 211 So auch Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 29 ff. (34). 212 Vgl. neben einzelvertraglichen Vereinbarungen: § 9 Abs. 1 M-BO. 213 Deutsch/Spickhoff, Arztrecht 2008, Rn. 634. 214 Siehe Grabsch, Offenbarung höchstpersönlicher Daten, passim; Deutsch/ Spickhoff, Arztrecht 2008, Rn. 634. 209 Vgl.
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4. Teil: Biobanken
bei Hippokrates Hinweise auf diese „heilige Pflicht“.215 Im Hinblick auf innovative Methoden der Gendiagnostik fehlt eine Erneuerung des medizinischen Bekenntnisses jedoch gänzlich: Der Anwendungsbereich des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist auf diejenigen Geheimnisse beschränkt, die der Mediziner als „Arzt“ im Rahmen diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen erfährt. Demgegenüber wird ein „ärztliches“ Tätigwerden aber weder für die Gewinnung des humanbiologischen Materials zu Forschungszwecken noch für dessen Aufbewahrung zwingend. Als Schnittpunkte verschiedener Interessenlagen gewichten Biobanken also Informationsinteressen neu: Nicht zuletzt ergeben sich „[d]ie mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung abzuwehrenden Persönlichkeitsgefährdungen […] aus den vielfältigen Möglichkeiten des Staates und gegebenenfalls auch privater Akteure zur Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten. Vor allem mittels elektronischer Datenverarbeitung können aus solchen Informationen weitere Informationen erzeugt und so Schlüsse gezogen werden, die sowohl die grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen beeinträchtigen als auch Eingriffe in seine Verhaltensfreiheit mit sich bringen können.“216 Gemessen an diesen Dimensionen bedarf es folglich bereichsspezifischer Regelungen, die in Biobanken akkumulierte, humangenetische Materialien adressieren. Ausgangspunkt soll dabei ein sektorbezogenes Normkonstrukt sein, das einen Schutz für molekularbiologische, personenbezogene Daten formuliert. Letztlich muss sichergestellt werden, dass weder Versicherer noch Arbeitgeber vor und nach Begründung eines Vertragsverhältnisses gendiagnostische Informationen erlangen. Dies verdeutlichen auch die in diesem Kontext erhobenen Studienergebnisse: Ein Zugriff auf gesundheitsrelevante Daten durch Versiche rungen (0,4 %), industrielle Unternehmen (1,5 %), die Regierung (1,9 %) sowie durch die Öffentlichkeit (1,1 %) ist demnach entschieden abzulehnen. Gleichermaßen sollen Arbeitgeber auf biomedizinische Biobank-Daten keinen Zugriff erhalten. Aufgrund des allgemeinen Interesses an einer hohen Spendebereitschaft ist dieses Verbot auch ausnahmslos zu gestalten. Zwar konstatiert Art. 5 Abs. 3 GG, den „forschungsinternen“ Datenverkehr besonders zu privilegieren und gegenüber nicht-wissenschaftlichen Bereich zu differenzieren.217 Aus dem funktionalen Zusammenhang der Biobank resultiert aber zugleich, dass eine personelle Zuordnung für den operativen
215 So Deichgräber, Der Hippokratische Eid, S. 11, 28 f.; Lilie, Schweigepflicht, S. 52 ff.; Deutsch/Spickhoff, Arztrecht 2008, Rn. 634; Parzeller et al., Schweigepflicht, passim. 216 Vgl. BVerfG, JZ 2007, S. 576; BVerfG, NJW 2008, S. 822 ff.; BVerfG, NJW 2007, S. 2464 (2466). 217 Vgl. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 34.
§ 9 Regelungsvorschläge für Biobanken297
Aufbau und Betrieb einer Forschungsbank stattzufinden hat.218 Demnach erscheint eine Zugangsberechtigung für verantwortliche und behandelnde Ärzte (30,5 %) gleichermaßen wie für Ärzte und Wissenschaftler von Partner- oder Kooperationseinrichtungen (19,3 %) angemessen.219 Unabhängig davon muss der Adressatenkreis eines Biobankgeheimnisses wegen der zunehmenden Möglichkeiten einer Re-Identifizierung anonymisierter Daten all diejenigen erfassen, denen anonymisierte und pseudonymisierte Proben und Daten zugänglich sind.220 2. Informationspflicht Dass die zentrale Herausforderung des informed consent in der Neukonturierung inmitten einer sich personalisierenden Medizin liegt, ist bereits diskutiert worden.221 So werfen im Bereich der Biobanken zukunftsbezogene Projekte Fragen im Umgang mit nicht-linearen, epigenetischen Faktoren auf.222 Einerseits dürfen erneut keine überzogenen rechtlichen Anforderungen an den informed consent gestellt werden.223 Andererseits ist der Spender in hinreichendem Maße über die Sammlung und funktionale Vernetzung von humanbiologischen Material mit personenbezogenen Daten zu Forschungszwecken zu informieren. In besonderem Maße gewährleistet ein Biobankgeheimnis, die Erfordernisse der Einwilligung zu stärken: Denn in gleicher Weise wie der Patient vertrauen darf, dass biogenetische Geheimhaltungspflichten gewahrt werden, muss er sich auf das für ihn notwendige Maß an Informationsvermittlung verlassen können.224 Anders gesagt, misst sich der Grad der bioinformationellen Informiertheit des Betroffenen daran, inwieweit Sicherungsinstrumente an beauftragte Institutionen übertragen werden.225 So genügt es, wenn der Patient über die wesentlichen Umstände des Biobank-Settings, wie Verwendungszweck, Forschungsinteressen, Arten der Datennutzung und Mitteilungsmodalitäten, in Kenntnis gesetzt wird.
Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 29 ff. (35). Ergebnisse, vgl. Kap. § 11 B. III. 3. b). 220 Der Deutsche Ethikrat schlägt dies wie folgt vor: „Unter diesem Gesichtspunkt sind alle Personen in den Adressatenkreis eines Biobankgeheimnisses einzubeziehen, die tatsächlich Zugriff auf Datenschlüssel und identifizierende Daten haben, vgl. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 29 ff. (35). 221 Vgl. hierzu erneut Kap. § 7 B. II.; Kersten, Informed Consent, S. 89 ff. 222 Vgl. Kersten, Informed Consent, S. 89 ff. 223 Siehe auch Kap. § 7 B. II.; Mand, MedR 2005, S. 569 f. 224 Vgl. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 41 f. 225 Siehe Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 41 f. (42). 218 Siehe
219 Weitere
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4. Teil: Biobanken
a) Dynamic consent Zu reflektieren sind dabei verschiedene Einwilligungsmodelle. Ein dynamisches Konstrukt des informed consent hat dabei das US-amerikanische Technologie-Unternehmen First Genetic Trust entwickelt: Mittels eines Online-Systems werden Spender kontaktiert, sobald ihre genetischen Daten für weitergehende Studien, Follow-Ups oder neue Datenerhebungen in Verwendung sind.226 Dem Spender bietet sich auf diese Weise die Möglichkeit, kontinuierlich die Nutzungsmöglichkeiten seiner Geninformation zu erweitern oder auch einzuschränken.227 Desgleichen greift auch das Ensuring Consent and Revocation (EnCoRe) Projekt, ein interdisziplinär besetztes Projekt aus Wissenschaft und Wirtschaft, die Idee des dynamic consent auf: The EnCoRe „dynamic consent“ is a web-based platform with an interface that allows research participants to have an „interactive relationship with the custodians of biobanks and the research community“.228 2 „Here a dynamic process is promoted, which emphasizes continuous re-contact with biobank donors, giving them ‚real-time‘ information on specific research projects, and enabling the participants to easily provide or revoke their consent.“229 Demgegenüber fordert das Modell des „dynamic consent“ in einem Biobanksetting sowohl Forscher als auch Spender heraus: Zum einen müssen neue Partnerschaften zwischen Patient und Wissenschaft geschaffen werden.230 Auch hat ein Bewusstseinswandel auf institutioneller Ebene zu erfolgen: Aufgrund der dimensionalen Netzwerksaktivität ist die Biobankstruktur insoweit mit den Gegebenenheiten des Arzt-Patienten-Verhältnisses nur schwerlich vergleichbar.231 Zum anderen sind neuartige Technologien und Prozesse erforderlich, die eine operative Kontrolle ermöglichen. Unabhängig von technischen Voraussetzungen müssen sich aber auch klinisch tätige Ärzte oder forschende Wissenschaftler bereit erklären, ihre Zeit und ihre Expertise einzubringen. Insofern fassen Jane Kaye et al. die betreffenden Herausforderungen sehr trefflich zusammen: „The implementation of dynamic consent requires: A change in culture for both health professionals 226 Vgl. Wee, Dynamic Consent, http://www.jphc.org/assets/documents/Publi cations/JPHC/September-2013/JPHCEthicsSept2013.pdf [letzter Aufruf am 21.02. 2015]; Koch, Biobankgeheimnis, S. 177 ff. 227 Siehe Koch, Biobankgeheimnis, S. 177 ff. sowie Wee, Dynamic Consent, http://www.jphc.org/assets/documents/Publications/JPHC/September-2013/JPHC EthicsSept2013.pdf [letzter Aufruf am 21.02.2015]. 228 Kaye, Norsk Epidemiol 2012, S. 169 ff.; Steinbekk/Myskja/Solberg, Eur J Hum Genet 2013, S. 897 ff.; vgl. ferner: http://www.encore-project.info/ [letzer Aufruf am 21.02.2015]. 229 Steinbekk/Myskja/Solberg, Eur J Hum Genet 2013, S. 897 ff. 230 Vgl. Kaye et al., Eur J Hum Genet 2015, S. 141 ff. 231 Siehe bereits Kap. § 7 B. V.
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and individuals. The development of new kinds of partnerships between researchers and patients. New policies, standards and ways of working that recognise the valuable role of patients. New technologies and processes to provide operational control. Time, money, expertise and, most importantly, commitment from clinicians, researchers, health-care services, research and governments.“232 Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Ökonomisierung gilt es insofern weitere praktikable Konstrukte für das Biobank-Setting in Augenschein zu nehmen. b) Global consent Aufgrund der Schwierigkeit, über zukünftige Forschungsrichtungen zu informieren, drängt sich die Governance-Lösung eines „global consent“ auf: So kann sich bei größer angelegten Biobankprojekten die wissenschaftliche Fragestellung wandeln und Methoden, Inhalt oder Umfang der gespeicherten Datensätze gleichsam wie zeitliche Rahmenbedingung variieren.233 Müsste dabei für jedes neuartige Forschungsvorhaben erneut die Einwilligung eingeholt werden, würde dies einen unverhältnismäßig hohen Aufwand für die Wissenschaftler bedeuten.234 Insofern ist davon abzusehen, zu jedem forschungsrelevanten Zeitpunkt verschiedenartige Handlungsoptionen anzubieten.235 Vielmehr ist der Spender ausdrücklich und ausführlich über die Unsicherheit der wissenschaftlichen Ausrichtung zu informieren: Dem Betroffenen ist einerseits die Tragweite seiner Einwilligung und andererseits die zum Zeitpunkt seiner Zustimmung vorherrschenden unbekannten Verwendungszweckrichtungen der Forschung zu verdeutlichen.236 Somit würde der Einzelne weder getäuscht noch besteht ein darüber hinaus reichendes Schutzbedürfnis.237 Selbstredend soll der Spender Verwendungen, die er nicht gutheißen will, jederzeit und gegebenenfalls auch rückwirkend ausschließen respektive widerrufen können.238 Entscheidend ist demnach, dass der Betroffene die Konsequenzen seiner Entscheidung transparent begreifen und folglich die Argumente für und wider der Einwilligung persönlich abwägen kann.239 232 Kaye
et al., Eur J Hum Genet 2015, S. 141 ff. Koch, Biobankgeheimnis, S. 183 ff.; Wellbrock, MedR 2003, S. 81. 234 Siehe Mand, MedR 2005, S. 572 f.; Koch, Biobankgeheimnis, S. 183 ff. 235 Vgl. Antonow, Zulässigkeit für Biobanken zu Forschungszwecken, S. 141 f.; Koch, Biobankgeheimnis, S. 183 ff. 236 I. d. S. auch Koch, Biobankgeheimnis, S. 183. 237 Siehe Spranger, NJW 2005, S. 1087; Koch, Biobankgeheimnis, S. 183. 238 Siehe Deutscher Ethikrat, Zukunft der genetischen Diagnostik, S. 59; Koch, Biobankgeheimnis, S. 183. 239 Vgl. hierzu Wellbrock, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates, S. 57 ff. 233 Vgl.
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4. Teil: Biobanken
In diesem Kontext betonte auch die im Rahmen der Studie befragte Teilnehmerschaft die Bedeutung einer diesbezüglichen Patientenaufklärung inmitten der Governance zwischen verschlüsselten Informationen240 und Biobankgeheimnis. Aufklärungsmodalitäten sind in ihrer konkreten Umsetzung wiederum derart zu gestalten, dass sie auf klare Formulierungen abstellen: „Again very clear consent instruments that ensure participants understand how long their data will be stored, how it will be stored, where it will be stored, who will have access, and the purpose for creating and maintaining the biobank.“241 Hinsichtlich des Untersuchungszweckes und möglicher Zusatzbefunde ist der Spender in verständlicher Formulierung in Kenntnis zu setzen: „Clear, thorough, and plain language consent instruments that include (1) conditions under which disclosure to third parties may occur, (2) possibility of acquiring information outside of the intended purpose (i. e., unanticipated findings, misattributed paternity, etc.), (3) opt-in to receive clinically relevant unanticipated findings, and (4) process and procedure should a privacy breach occur.“242 Begründet dabei die Konzeption des Forschungsprojekts die Annahme, dass die erhobenen und bewahrten Informationen auch Bedeutung für eine weiterführende Studien aufweisen, sind die bereits entwickelten Aufklärungsinhalte der Arzt-PatientenBeziehung243 zu erweitern auf: • Informationen über den Träger und die Forschungsinteressen der Biobank, • Informationen über den Verwendungszweck und mögliche Zusatzbefunde (und eine diesbezügliche Informationspolitik), • Informationen über das Recht, Informationen hinsichtlich der gespeicherten Daten zu erhalten, • Informationen über das Recht, die Einwilligung widerrufen oder eine Vernichtung, Löschung oder Anonymisierung der Daten beantragen zu können, • Informationen über die vorgesehene Dauer der Aufbewahrung und Speicherungsart (ggf. Anonymisierung / Pseudonymisierung) von Gewebeproben und Analyseergebnissen, 240 „[It is necessary to] have information encrypted so that it is not directly identifiable to a particular patient – except to the medical doctor who can guide direct therapeutics and cares when relevant. Strict guidelines and safe guards to prevent information from getting into the wrong hands; information should be protected from insurance companies who may use information to deny services.“ Vgl. Kap. § 11 B. III. 4. d). 241 Siehe des Weiteren: Kap. § 11 B. III. 4. d). 242 Vgl. Kap. § 11 B. III. 4. c). 243 Siehe Kap. § 7 B. II.
§ 9 Regelungsvorschläge für Biobanken301
• Informationen über Schutzeinrichtungen zur Gewährleistung der Daten sicherheit, -sparsamkeit und einen möglichen Einsatz von Datenschutz beauftragten, • Informationen über eine geplante Veröffentlichung der Forschungsergebnisse unter der Verwendung spenderbezogener Informationen.244 Doch nicht nur für die unbegrenzte Aufbewahrung von Proben und Daten liegt die methodologische Herausforderung in der informierten Zustimmung des Einzelnen: Selbst im Falle einer thematisch oder zeitlich begrenzten Sammlung bedeutet die Zustimmung der betroffenen Person die Sicherung des informationellen Selbstverständnisses.245 Gleichermaßen bleibt die Einwilligung auch erforderlich, wenn humanbiologische Informationen erst nach Anonymisierung und Pseudonymisierung in eine Biobankstruktur eingestellt werden.246 3. Differenzierungspflicht Im Rahmen der Einwilligung stellt sich darüber hinaus die Frage nach der Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Zweckbindung.247 So konkretisieren auch die Studiendaten diese grundlegende Dimension: Gemessen an der Unterscheidung zwischen wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Zielsetzung sprach sich die Mehrheit der befragten Experten für eine differenzierte Abgrenzung wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Forschungsprojekten aus (52,2 % – „definitely yes“).248 „[…] The question whether I would allow data or samples to be stored in a database (q. 11) would be answered differ ently by me depending on the purposes for which the database is used […]. If it is a database for research purposes only and strict anonymity is guar anteed, I have no objection against long-term storage of anything, even my medical record. But if it’s a database that […] would be used by the government or by commercial companies, I would most definitely object.“249 Somit drängen sich Konkretisierungen in der Auftrennung zwischen wissenschaftlicher Forschung, die neben medizinischer Grundlagenforschung auch angewandte Projekte verfolgt, und kommerziellen Vorhaben auf. Bevor der Spender seine Einwilligung erteilt, sind finanzielle Interessenkonflikte of244 Vgl. hierzu Kap. § 7 B. II.; siehe darüber hinaus Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 41 ff. sowie Wellbrock, MedR 2003, S. 77 ff.; Mand, MedR 2005, S. 572. 245 Siehe Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 41 ff. 246 So auch Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 41 ff. 247 Vgl. in Erörterung einer individuellen Zweckbindung, Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 40 ff. 248 Vgl. Kap. § 11 B. III. 4. a). 249 Siehe Kap. § 11 B. III. 3. a).
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4. Teil: Biobanken
fenzulegen. Wird eine diesbezügliche Kategorisierung bereits bei der Aufklärung der Biobankspender berücksichtigt, so muss es im Fortlauf des Forschungsprojekts allerdings auch möglich sein, generalisierend250 in die Aufbewahrung von Proben und den damit verbundenen Daten eines Forschungsprojekts oder einer -richtung einzuwilligen.251 Freilich steht es dem Patienten weiterhin anheim, seine Zustimmung einzugrenzen und zugleich Verwendungen jenseits des Forschungsprojekts zu untersagen. Eine wissenschaftliche Zweckbindung muss jedoch de lege ferenda derart konstruiert sein, dass sie neben dem Biobankbetreiber auch sämtliche Personen offenbart, die über funktionale Verknüpfungen von Informationstechnologien zugriffsberechtigt sind.252 Denn abermals definiert der Kontext das Skript:253 „[…] Often when answering the questions254 I thought: well, depends […] depends on the context – do we talk about direct-to-consumer-marketing, do we talk only about genetic information in a medical setting – very different things […].“255 II. Qualitätssicherung Neben einem geninformationellen Biobankgeheimnis kategorisiert das zweite zentrale Anliegen verantwortliche Strukturen der Qualitätssicherung und Datensicherheit der Biobank. Im Anbetracht der teils konfligierenden Interesssenslagen erweist sich dabei ein standardisiertes Qualitätsniveau als bedeutsam. Eine nachhaltige Qualitätssicherung gründet dabei auf angemessenen, technischen und organisatorischen Maßnahmen, die vor missbräuchlicher Verwendung schützen.256 Datensichernde Strukturen enthalten insofern qualitätssichernde Modalitäten und stören das öffentliche Vertrauen in gendiagnostische Biobankmaßnahmen. Neben einer grundlegenden Verunsicherung der Bevölkerung257 zeigte sich in der durchgeführten Studienbefra250 Vgl.
dazu weitere Ausführungen in Kap. § 8 C. II. 4. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 41 ff. 252 Sei es in der Form von „tags“ oder anderweitigen technischen Möglichkeiten. Diese „tags“ sind beispielsweise Meta- oder Zusatzinformationen, die über deren Ursprung und/oder Verwendungszweck Aufschluss geben, vgl. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 41 (Fn. 45). 253 Vgl. einleitend Kap. § 2 C. sowie Nowotny/Testa, Die gläsernen Gene, S. 37 f. 254 Als Fragen i. d. S. sind die Questions of the Interdisciplinary Survey gemeint, siehe Kap. § 11. 255 Vgl. Kap. § 11 B. III. 3. a). 256 Siehe Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 44 ff. 257 Vgl. zu dieser Verunsicherung Orth/Luppa, die den „Fluch oder [den] Segen für die Patienten“ beschreiben: So hatte die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) die wissenschaftliche Auswertung genetischer Datenbanken (insbesondere 23andMe) in Frage gestellt, siehe Orth/Luppa, https://www.aerzteblatt.de/ar 251 Vgl.
§ 9 Regelungsvorschläge für Biobanken303
gung auch, dass selbst 29,4 % der Experten hinsichtlich der Unbedenklichkeit gendiagnostischer Vorkehrungen verunsichert sind („+ / –“). Demgemäß besteht also das dringende Bedürfnis einer Stärkung vertrauensbildender Maßnahmen. So ist mitunter eine Trennung zwischen den die Betroffenen identifizierenden Daten und humanbiologischen Proben zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt zu erwägen.258 Doch hängt die Akzeptanz der Biobankstrukturen nicht allein von struktursichernden Maßnahmen ab. Auch die in Gewebebaten gespeicherten Inhalte bedingen eine genetische Toleranz: So befürworteten 31,3 % bzw. 32,4 % der Studienbefragten eine Biobankaufbewahrung von Blut- und Gewebeproben, die während einer Operation entnommen wurden („definitely yes“; 35,3 % bzw. 33,3 % mit „probably yes“).259 Erhebliche Bedenken äußerten die Befragten hingegen hinsichtlich elektronisch gespeicherter (Patienten-)Arztbriefe: 31,4 % sprachen sich gegen eine derartige Aufbewahrung in Biobanken („definitely not“) aus.260 Als maßgeblich erwiesen sich erneut die Zielsetzung sowie der Forschungskontext im Einzelfall. Eine nachhaltige Qualitätssicherung muss demnach an Datenschutzmaßnahmen für den angestrebten Zweck und ihre langfristige Eignung anknüpfen.261 Aufgrund der besonderen Gefährdungslage personenbezogener Biobankdaten gilt es zudem sicherzustellen, dass die zuständigen Behörden über die Einrichtung der Humanbiobank informiert sind und die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen kontrollieren. Dieser Prozess beginnt bereits damit, dass Biobankbetreiber angehalten sind, die Einrichtung einer Biobank sowie strukturelle Veränderungen der zuständigen Datenschutzbehörde anzuzeigen. 1. Zertifizierungskultur Können die qualitätssichernden Maßnahmen biobankintern gesichert werden, besteht eine weitere Möglichkeit der Qualitätssicherung darin, das Datenschutzkonzept einer Biobank auf die Vereinbarkeit mit den Vorschriften des Datenschutzes zu prüfen und zu bewerten: Eine entsprechende Zertifizierung ist im Rahmen eines Datenschutzaudits denkbar.262 Sie bechiv/167563/Direct-To-Consumer-Testing-Fluch-oder-Segen-fuer-die-Patienten [letzter Aufruf am 03.02.2015]; 2015 relativierte die FDA allerdings ihre Bedenken aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, http://www.bloomberg.com/news/ articles/2015-01-12/23andme-aims-to-end-fda-standoff-this-year-after-public-sham ing [letzter Aufruf am 15.02.2015]. 258 Vgl. hierzu Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 44 (45). 259 Vgl. Kap. § 11 B. III. 3. a). 260 Siehe hierzu Kap. § 11 B. III. 3. a). 261 Vgl. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 44 (45). 262 Grundlegend auch: Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 44 ff.
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4. Teil: Biobanken
zieht sich auf Maßnahmen zur Sicherung des Informationsbestandes sowie von Organisationsabläufen innerhalb einer Biobank, die eine Standardisierung mittels eines Qualitätsmanagementsystems erfordern. Anknüpfend an das Managementmodell der DIN EN ISO 9001- oder KTQ-Zertifizierung263 bewerten objektivierte Verfahren Sammel-, Aufbewahrungs- und Auswertungstechnologien. Ressourcen werden gleichermaßen mit Verantwortlichkeiten und nachhaltigen Analysemechanismen verbunden. Zwar beeinträchtigt eine verpflichtende Einführung eines Qualitätsmanagementsystems die wissenschaftliche Forschungsfreiheit der Biobanken im eigentlichen Sinne. Zugleich rechtfertigen jedoch die hohen Schutzgüter des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, namentlich des informationellen Selbstbestimmungsrechts und des Diskriminierungsschutzes eine derartige Qualitätsausgestaltung. 2. Beauftragtenstruktur Im Rekurs auf eine vertrauenssichernde Qualitätsstruktur müssen die Verantwortlichkeiten im Bereich des Datenschutzes definiert sein: Im Besonderen gilt es, Rollenkonflikte zu vermeiden.264 Die zuständigen Qualitäts- und Datenschutzbeauftragten garantieren also die Einhaltung der Datenschutzvorschriften.265 Sie überwachen eine ordnungsgemäße Durchführung der Qualitätsaudits, die funktionsgerechte Anwendung der Datenverarbeitungsprogramme und verbürgen die wissenschaftliche und inhaltliche Zweckbindung der Biobank. Objektiv sind hierzu beispielsweise gesonderte Listen über zugangsberechtigte Personen zu führen. Aus diesem Analyseinstrument resultiert zugleich, dass der Biobankbeauftragte die bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und Proben tätigen Personen durch geeignete Maßnahmen und Schulungen mit den jeweilig besonderen Erfordernissen der Qualitäts- und Datensicherung vertraut zu machen hat.266 Werden Unstimmigkeiten im qualitäts- und datensichernden Ablauf festgestellt, informiert der Bereichsleiter abermals die für die Datenschutzkontrolle zuständige Behörde. Damit der Qualitätsauftrag an den Bedingungen der Forschungsstruktur gemessen werden kann, muss der Qualitäts- und Datenschutzbeauftragte in der Ausübung seiner Fachkunde weisungsfrei handeln. Sicherzustellen ist, 263 KTQ meint dabei die Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen. Darüber hinaus stellen auch das EFQM (European Foundation for Quality Management)-System oder das proCum Cert alternative Zertifizierungsmodelle dar, vgl. http://www.procum-cert.de/ [letzter Aufruf am 31.01.2015]. 264 Zu den allgemeinen Aufgaben eines Datenschutzbeauftragten, vgl. § 4 g BDSG. 265 Siehe hierzu § 4 g Abs. 1 BDSG. 266 In Anlehnung an § 4 g Abs. 1 Nr. 2 BDSG.
§ 9 Regelungsvorschläge für Biobanken
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dass keine Benachteiligungen in den einzelnen Phasen seiner Aufgabenerfüllung entstehen.267 Vom Grundsatz her bestimmt sich also das Maß der erforderlichen Fachkunde nach dem Umfang der Datenverarbeitung der verantwortlichen Stelle und dem Schutzbedarf der personenbezogenen Daten, die die entsprechende Stelle erhebt oder verwendet.268 Dieses Verständnis erfordert insofern ein Beauftragtenverhältnis für den Datenschutz, das die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit garantiert.269 Eine biobankbezogene Spezialisierung erscheint daher auch im Hinblick auf die Schnittstellenfunktion inmitten eines privaten und öffentlichen Interessengeflechts gerechtfertigt. III. Transparenz Doch ganz einerlei wie man Einzelstrukturen des Qualitäts- und Datenschutzmanagements ausgestalten will, unter dem Gesichtspunkt der Patientensicherheit wird man sie regelmäßig als maßgeblich bewerten können. Der Hauptgrund besteht in einer gestärkten Vertrauensbildung und Koopera tionsbereitschaft der Bevölkerung. Insofern dürfen qualitätssichernde Maßnahmen nicht isoliert betrachtet, sondern müssen auch lückenlos im Außenverhältnis kommuniziert werden. Als ein den Datenschutz flankierendes Instrument spielt eine transparente Kommunikationskultur eine unabdingbare Rolle in der Konkretisierung der Biobank-Governance. Transparenz erfordert einerseits eine vollständige Dokumentation über den Inhalt und die Organisation der Biobank.270 Andererseits sichert ein durchsichtiges Berichtsystem den Umgang mit humanbiologischen Proben und spenderbezogenen Daten: Neben der Herkunft der aufbewahrten Proben und Daten, des Verwendungszwecks, der Zugangsberechtigung müssen insoweit auch die Zugriffe auf Inhalte der Biobanken ebenso wie die Weitergabe geregelt werden.271 Als Vorbedingung eines transparenten Biobankensystems wird regelmäßig auch die Einführung von Standard Operating Procedures notwendig sein.272
267 Siehe
§ 4 f Abs. 3 S. 3. beispielsweise § 4 f Abs. 2 S. 2 BDSG. 269 In Bezug auf die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen, siehe § 4 f Abs. 2 S. 1 BDSG. 270 Siehe Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 45 ff. 271 U. a. werden hierzu sog. Material Transfer Agreements vereinbart, vgl. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 45 ff. 272 Sog. SOPs als Einführung standardisierter Arbeitsanweisungen, die einen biobankübergreifenden Schutz gewährleisten, vgl. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 45 ff. 268 So
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4. Teil: Biobanken
1. Berichtskultur Umsetzen lassen sich derart gelagerte Vorkehrungen durch die Einrichtung einer öffentlich zugänglichen Berichtskultur mit Informationen zum Biobankbetreiber, den Inhalten273 und der Organisationsform der Biobank.274 Der Betreiber einer Biobank hat die folgenden Angaben mitunter auf einem allgemein zugänglichen Internetportal275 offenzulegen: • Informationen über den Träger der Biobank, die Finanzierung, die Rechtsform sowie die zuständigen Aufsichtsbehörden, • Informationen über die organisatorischen Zuständigkeiten und Zugriffsmöglichkeiten der Datenbank sowie mögliche private und öffentliche Kooperationspartner, • Informationen über Inhalte276 und Anwendungszeitraum277 der Biobank, • Informationen über weiterführende Regelungen zu Sammlung, Verwendung und der Weitergabe von humanbiologischen Proben und spenderbezogenen Daten, • Informationen über wissenschaftliche und / oder wirtschaftliche Zweckbindungen der Biobank und deren Betreiber, 273 Zu den medizinischen und forschungsrelevanten Inhalten der Biobanken, siehe im Folgenden sowie Kap. § 11 B. III. 3. a). 274 Derartige Register existieren bereits in Finnland und Schweden. In Deutschland geht eine entsprechende Konzeptionierung auf die Vorschläge des Deutschen Ethikrates zurück: vgl. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 46 (47). 275 Eine Informationspolitik über das Internet bewerteten 15,5 % der im Kontext dieser Arbeit befragten Studienpopulation als sinnvolle Maßnahme, vgl. Kap. § 11 B. III. 3. b). 276 In der im Rahmen dieser Arbeit mit der Harvard University durchgeführten Studie beurteilten die Teilnehmer u. a. auch die in einer Biobank aufzubewahrenden Proben und Daten: Dabei befürworteten 31,3 % bzw. 32,4 % eine Speicherung von Blutproben und Gewebe, das während einer Operation entnommen wurde (mit „definitely yes“; 35,3 % bzw. 33,3 % mit „probably yes“). Eine vergleichbare Zustimmung erhielt die Verfügbarkeit von klinischen Studiendaten in Biobanken (27,4 % „definitely yes“ und 36,8 % „probably yes“) sowie die Sammlung verwandtschaft licher Informationen (25,5 % „definitely yes“). Demgegenüber wurden erhebliche Bedenken hinsichtlich einer elektronischen Speicherung der Arztbriefe geäußert, vgl. Kap. § 11 B. III. 3. a). 277 Hinsichtlich der Speicherungsdauer zeichnet sich im Kontext der Interdisciplinary Survey eine Tendenz zu einer langjährigen Datenspeicherung ab. 31,0 % der Teilnehmer befürworteten dabei einen nachhaltigen Speicherzeitraum von zehn Jahren. 29,1 % der Studienadressaten sprachen sich für einen unbestimmten Aufbewahrungszeitraum („forever“), 17,7 % der Befragten für eine lebenslängliche Dauer aus. Demgegenüber lehnten nur 6,4 % der befragten Teilnehmer eine Speicherung biomedizinischer Daten grundlegend ab, vgl. Kap. § 11 B. III. 3. c).
§ 9 Regelungsvorschläge für Biobanken307
• Informationen über die Qualitäts- und Prozesssicherung sowie den datenschutzrechtlich verantwortlichen Beauftragten der Biobank, • Informationen über die Regelmäßigkeit der einschlägigen Berichtskultur, • Informationen über eine mögliche Abwicklung der Biobank im Falle einer Einstellung und Beendigung der biobankspezifischen Tätigkeit.278 An diese Konkretisierung schließt eine transparente Berichtskultur an und ermöglicht die allgemeine Transparenz der Biobank, um die Spenderinteressen im Einzelfall zu achten. Durch eine öffentlich zugängliche Informationspolitik erhalten betroffene Personen einerseits die Möglichkeit, die Aktivitäten der Biobank nachzuverfolgen. Andererseits bezweckt eine prozedurale und informationelle Transparenz die Inkenntnissetzung eines potenziellen Spenderkreises bereits vor dem Zeitpunkt der Abgabe einer Zustimmungs erklärung. Dies erweitert schließlich auch die rechtliche Durchsetzung der Interessenlagen des Adressatenkreises, namentlich die Wahrnehmung von Widerrufsrechten. 2. Registerstruktur Aufschluss über eine stringente Berichtskultur, die ein hohes Maß an Transparenz sichern soll, gewährleistet darüber hinaus ein Biobankregister. Gemeint ist eine Registerstruktur, die bei einer unabhängigen und neutralen Stelle eingerichtet wird,279 einen international vergleichbaren Schutzstandard sichert und zugleich einen Überblick über (trans-)nationale Biobankstrukturen gibt. Als Instrument weist eine biobankinterne Dokumentationsstruktur zunächst auf einzelne Organisations- und Verfahrensabläufe hin. An diesen Prozessstrukturen gemessen enthält das Register Angaben zu biobankspezifischen Probe- und Dateneinrichtungen, ihrer Erreichbarkeit sowie zu den Tätigkeiten – auch sind Angaben über die Betreibererlaubnis, die Genehmigung der Be- oder Verarbeitung respektive Konservierung zu führen.280 Angesichts des nicht von vornherein absehbaren Verwendungszwecks und -zusammenhangs von Biobankinhalten kann der Spender während der gesamten Nutzungsdauer der humanbiologischen Materialien und Daten Sammlungs-, Sicherungs und Weitergabemodalitäten verfolgen.281 Da auf 278 Vgl. u. a. Konzeptpapier des Deutschen Ethikrates: Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 46 ff. 279 So schlägt § 8 f Abs. 1 S. 1 TPG das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information vor. Auch wäre eine entsprechende Institution auf europäischer Ebene denkbar. 280 In Anlehnung an den bereits hinsichtlich Transplantationen geltenden § 8 f TPG, siehe § 8 Abs. 1 S. 2 TPG. 281 Siehe hierzu Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 46 ff.
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4. Teil: Biobanken
diese Weise die Kooperations- und Spendebereitschaft des Einzelnen erhöht werden kann, kommen die Dokumentations- und Transparenzmaßnahmen auch indirekt den Forschungs- und Wissenschaftsinteressen zugute.282 IV. Würdigung Die Einführung bioinformationeller Governance-Strukturen ist in vielfacher Weise von Bedeutung. Steuerung und Governance-Theorien ergänzen sich zunächst komplementär.283 Da durch Governance-Strukturen mitunter eine Akzentverschiebung in Richtung Regelungsstrukturen und grenzüberschreitender Kooperation erfolgt,284 hat ein Biobankengesetz diese Tendenz aufzugreifen. Es muss zum einen die Strukturen für ein flexibles und dy namisches Informationsmanagement schaffen, um so die Heterogenität und Unberechenbarkeit der Forschungszielsetzung auffangen zu können.285 Zum anderen erfordert die Ungewissheit, die auch im Rahmen von empirischen Studien nachweisbar ist, flexible Governance-Strukturen, die den unterschiedlichen Interessenlagen der Akteure Rechnung tragen.286 Insoweit entwickeln die voranstehenden Ausführungen eine pyramidale Grundstruktur als Vorbedingung eines neuen Biobankengesetzes. Die Bestandteile der Pyramidenstruktur sind daher die bereits dargelegten Elemente eines Biobankengeheimnisses, der Qualitätssicherungs- und Datenschutzstruktur sowie weitere Schutzkonzepte der Transparenz und Verantwortlichkeit. Entscheidend ist jedoch, dass die in Biobanken gespeicherte und weiterverarbeitete Proben und Daten gegen Zugriffe gesichert werden, die der Zweck der wissenschaftlichen Forschung nicht legitimiert.287 Da sich der Anwendungsbereich des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB aber auf Geheimnisse beschränkt, die der Mediziner als „Arzt“ im Rahmen diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen erfährt, ist die Perspektive eines Biobankgeheimnisses vor dem Hintergrund einer nicht-ärztlichen Gewinnung des humanbiologischen Materials zu Forschungszwecken zu erneuern. Letztlich muss nämlich sicherDeutscher Ethikrat, Biobanken, S. 46 ff. Mayntz, Governance Theory als fortentwickelte Steuerungstheorie? in: Schuppert, Governance-Forschung, S. 11 ff.; Pflug, Regelungsstrukturen, S. 51 ff.; Schuppert, Alles Governance oder was? S. 19. 284 Siehe auch Mayntz, Governance Theory als fortentwickelte Steuerungstheorie? in: Schuppert, Governance-Forschung, S. 11 ff.; Pflug, Regelungsstrukturen, S. 51 ff. 285 Siehe hinsichtlich informationeller und kognitiver Regelungsstrukturen: Pflug, Regelungsstrukturen, S. 73. 286 Vgl. Trute, KritV 2005, S. 342 (352); Pflug, Regelungsstrukturen, S. 73. 287 So führt der Deutsche Ethikrat in seinem Fünf-Säulen-Konzept eine Abschottung gegenüber Dritten, wie Versicherungen, Arbeitgebern und staatlichen Instanzen an, vgl. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 29 ff. 282 Vgl.
283 Siehe
§ 9 Regelungsvorschläge für Biobanken309
gestellt sein, dass weder eine Versicherung noch der Arbeitgeber vor und nach Begründung eines Vertragsverhältnisses Kenntnis gendiagnostischer Informationen erlangt. Zugleich ist der Spender in hinreichendem Maße über die Sammlung und funktionale Vernetzung von humanbiologischen Material mit personenbezogenen Daten zu Forschungszwecken in Kenntnis zu setzen. In gleicher Weise wie der Patient vertrauen darf, dass biogenetische Geheimhaltungspflichten gewahrt werden, muss er sich auf das für ihn notwendige Maß an Informationsvermittlung verlassen.288 In Anbetracht der durch gendiagnostisch verursachte Risikolagen ist zudem eine Konkretisierung der wissenschaftlichen Zweckbindung erforderlich. Begründet wird dies durch finanzielle und informationelle Interessenunterschiede, die zwischen wissenschaftlicher und kommerzieller Forschung bestehen. Berücksichtigt man auf einer ersten Stufe eine Trennung zwischen wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Projektausrichtung, so kann im Fortlauf der Proben- und Datenverwertung eine generalisierende Einwilligung in ein wissenschaftliches Forschungsprojekt erteilt werden.289 Freilich besteht weiterhin die Schwierigkeit, vor einer missbräuchlichen Verwendung humanbiologischer Proben und spenderbezogenen Daten zu schützen. Um einem solchen Missbrauch vorzubeugen, gründet eine nachhaltige Qualitätssicherung aber auf angemessenen technischen und organisatorischen Maßnahmen. Das Qualitäts- und Datenschutzkonzept einer Biobank prüft insoweit die Vereinbarkeit der Governance-Struktur mit den Vorschriften des Datenschutzes: Neben regelmäßigen Auditzertifizierungen leiten die zuständigen Qualitäts- und Datenschutzbeauftragten die funktionsgerechte Anwendung der Datenverarbeitungsprogramme und verbürgen insoweit den Qualitätsstandard der Biobank. Weitere Konturen erfolgen mittels einer transparenten Kommunikationskultur als ein den Datenschutz flankierendes Instrument. Stets von Bedeutung bleibt schließlich eine inhaltlich vollständige und zeitlich lückenlose Dokumentation der Aktivitäten und Akteure einer Biobankorganisation.290
Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 41 f. Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 41 ff. 290 Siehe Deutscher Ethikrat, Biobanken, S. 45 ff. 288 Vgl. 289 Vgl.
5. Teil
Ergebnisse § 10 Zusammenfassung A. Erster Teil: Medizinische Grundlagen und Entwicklung Personalisierte Medizin, Gendiagnostik- und Biobanktechnologien entfalten vielfältige Perspektiven in der Entwicklung individueller Behandlungsmöglichkeiten. Zugleich steigen die gesellschaftlichen Anforderungen an eine ganzheitliche Medizin. Eine „maßgeschneiderte“, „individualisierte“ Medizin sucht auf der Grundlage genetischer Diagnostik eine passgenaue molekularbiologische Krankheitsprävention für den Einzelnen. In der Bestrebung einer genetisch informierten Bestimmung von individuellen Gesundheitsmerkmalen wandelt sie sich so zur Präventivmedizin und überschreitet schrittweise die Schwelle zum „Consumer Driven Age“.1 Gegenwärtig drängen Anstrengungen um das Etablieren personalisierter Versorgungsstrukturen neben eine qualitative und quantitative Ausweitung der Gendiagnostik: Hochtechnologische Sequenzierungsverfahren des „next generation sequencing“ eröffnen die Perspektive, das Genom eines jeden Menschen innerhalb kürzester Zeit auf Krankheitsdispositionen hin analysieren zu können.2 Dabei fordern sowohl „Forschungspotenzial“ als auch „Erklärungspotenzial“ der personalisierten Medizin Patient, Forscher und Ärzte in gleichem Maße. Genetische Diagnostik betrifft also nicht bloß die Person, die eine genetische Untersuchung vornehmen lässt – auch für Familienangehörige lassen sich Wahrscheinlichkeitsprognosen dahingehend treffen, ob eine vergleichbare genetische Disposition vorliegt: Gendiagnostik entfaltet genetischen Drittbezug.
1 Vgl. 2 Vgl.
Kap. § 3 A. II. Kap. § 2 B. II. 1. b).
§ 10 Zusammenfassung311
B. Zweiter Teil: Rechtlicher Rahmen Angesichts dieses Wandels, der Ambivalenz und des Drittbezugs genetischer Information geht der Gesetzgeber zu Recht von „der Besonderheit genetischer Information aus“.3 Das Gendiagnostikgesetz beschreitet hierbei keineswegs einen „deutschen Sonderweg“: Auch Art. 21 der Europäischen Grundrechte-Charta und Art. 11 der Biomedizinkonvention des Europarates verbieten jedwede Form der genetischen Diskriminierung einer Person. I. Verfassungsrechtliche Ebene In verfassungsrechtlichem Kontext rühren genetische Informationen an die höchste persönliche Identität und damit an den Kernbereich eines jeden Menschen. Grundrechtliche Überlegungen finden diesbezüglich ihren Ursprung im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. So schützt Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG die Mittel zur Identitätsfindung, die Entwicklung der eigenen Individualität gleichermaßen wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.4 Dabei geht das Selbstverständnis des Menschen um seine „genetische Herkunft“ nicht bloß in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Gendisposition auf. Es lässt sich auch emotional begreifen. So steht es dem Einzelnen frei, die eigene genetische Disposition zu kennen oder auch zu ignorieren, denn wie auch andere Freiheitsrechte verankert das Allgemeine Persönlichkeitsrecht eine „negative Dimension“.5 Diese ist dem Begriff der Verhaltensfreiheit bereits immanent: „Jedermann ist frei, zu tun und zu lassen, […].“6 Das „Nichtwissenwollen“ – die Unbestimmtheit, Offenheit und Unbefangenheit seiner Zukunft – ist insoweit Ausdruck einer legitimen, autonomen Entscheidung.7 Gendiagnostische Untersuchungen offenbaren mitunter aber auch Informationen über genetisch verwandte Familienangehörige. In einem (mehr oder weniger) engen Familiengeflecht wird es kaum möglich sein, genetische Informationen langfristig zu verbergen.8 Selbstredend verbleibt also die Frage, wie der Konflikt zu lösen ist, wenn ein Betroffener unter Berufung auf sein Recht auf Wissen eine genetische Analyse durchführen lässt, sein Familienangehöriger jedoch aufgrund dessen um sein Recht auf Nicht3 Vgl. 4 Vgl. 5 Vgl. 6 Vgl. 7 Vgl. 8 Vgl.
Kap. § 3 Kap. § 4 Kap. § 4 Kap. § 4 Kap. § 4 Kap. § 4
C. A. A. A. A. A.
I. II. II. II. II. II.
3. 3. 3. 3. 3.
b). b). b). c).
312
5. Teil: Ergebnisse
wissen fürchtet?9 Dabei sind weder das Recht auf Wissen noch das Recht auf Nichtwissen schrankenlos zu gewähren. Entsteht eine Situation, in der eine Person gegen ihren Willen Kenntnis von einer eigenen genetischen Disposition erlangt, bedarf es einer Rechtfertigung.10 Als solche vermögen etwa eine verfassungsmäßig gestaltete Ermächtigung oder die Einwilligung der betreffenden Person zu wirken.11 II. Europarechtliche Ebene Im rechtlichen Kontext der Europäischen Union gilt es, zwischen drei Normebenen zu unterscheiden – der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie dem Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin, kurz Biomedizinkonvention. Art. 2 Abs. 1 S. 1 EMRK adressiert zunächst das Recht auf Leben. Geschützt wird die „biologisch-physische Existenz“ des Menschen als solche, unabhängig von physiologischen und psychologischen Merkmalen, wie Alter, Geschlecht oder Krankheiten.12 Nicht vom Schutzbereich des Art. 2 EMRK umfasst ist die Erschaffung menschlichen Lebens oder dessen individuelle Persönlichkeitsentfaltung.13 Demgegenüber hat jede Person nach Art. 8 Abs. 1 EMRK das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zufolge beinhaltet der Begriff des „Privatlebens“ mitunter die körperliche und geistige Integrität einer Person, Aspekte ihrer körperlichen und sozialen Identität sowie den Ausfluss eines Rechts auf Selbstbestimmung. Hinsichtlich einer gesetzlichen Ausgestaltung reproduktionstechnischer Maßnahmen untersagt Art. 14 EMRK eine Diskriminierung aufgrund genetischer Merkmale, Rasse, Hautfarbe oder der Geburt. Dabei hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt ein Kohärenzgebot deduziert.14 Zwar ist der insoweit geschaffene Rechtsrahmen in sich widerspruchsfrei zu gestalten.15 In der Konkretisierung verbleibt den Konventionspartnern jedoch ein weiter Beurteilungsspielraum im Hinblick auf gendiagnostische Maßnahmen. Im Verhältnis zur Europäischen Grundrechtecharta kommt der Europäischen Menschenrechtskonvention „besondere Bedeutung“ zu.16 Art. 3 Abs. 1 9 Vgl.
Kap. § 4 A. II. 3. c). Kap. § 4 A. II. 3. c). 11 Vgl. Kap. § 4 A. II. 3. c). 12 Vgl. Kap. § 5 A. I. 2. a). 13 Vgl. Kap. § 5 A. I. 2. a). 14 Vgl. Kap. § 5 A. I. 2. c) bb). 15 Vgl. Kap. § 5 A. I. 2. c) bb). 16 Vgl. Kap. § 5 A. II. 1; Jarass, Art. 52 GRCh, Rn. 60 ff. 10 Vgl.
§ 10 Zusammenfassung313
GRCh konstatiert zunächst ein materielles Grundrecht auf körperliche und geistige Unversehrtheit. Die in Abs. 2 demonstrativ aufgezählten Bestimmungen stehen dabei in enger Beziehung zur Forschungsfreiheit (Art. 13 GRCh) und zum Gesundheitsschutz (Art. 35 GRCh), aber auch zum Verbot der Diskriminierung wegen genetischer Merkmale (Art. 21 Abs. 1 GRCh).17 Zugleich ist die Regelung zukunftsoffen konzipiert und fungiert für recht liche Fortschritte einer „dynamische[n] Transferklausel“ vergleichbar.18 Wie schon Art. 3 Abs. 2 GRCh greift auch Art. 8 Abs. 2 S. 1 GRCh das Konzept der informierten Einwilligung auf: Personenbezogene Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Zustimmung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten, legitimen Grundlage verarbeitet werden. Dabei stehen personengebundene Merkmale unter dem besonderen Schutz der Charta. Art. 21 Abs. 1 GRCh formuliert ein Diskriminierungsverbot für Merkmale, die dem Menschen anhaften oder von ihm nur schwerlich geändert werden können. Gleichwohl führt diese Auslegung im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abermals zu einem weiten Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten.19 Trotz aller Kritik enthält auch die Europäische Biomedizinkonvention einen besonderen Diskriminierungsschutz: Art. 11 BMK verbietet jede Form von Diskriminierung einer Person wegen des genetischen Erbes. Nach Art. 10 Nr. 1 BMK kommt jedem ein Recht auf Wahrung der Privatsphäre hinsichtlich der Angaben über seine Gesundheit zu. Art. 10 Nr. 2 BMK konkretisiert dies sodann dahingehend, dass ein Recht auf Auskunft in Bezug auf alle über die Gesundheit des Einzelnen gesammelten Angaben besteht. „Will jemand jedoch keine Kenntnis erhalten, so ist auch dieser Wunsch zu respektieren“ (Art. 10 Nr. 2 S. 2 BMK). Zudem gestaltet das Zusatzprotokoll betreffend Gentests zu gesundheitlichen Zwecken verschiedene Lösungsmodelle im Konflikt zwischen Informations- und Verschwiegenheitsinteressen aus. Art. 16 Nr. 2 BMK-ZP richtet sich auf eine Stärkung des Rechts auf Wissen. Desgleichen soll aber auch das Recht auf Nichtwissen des Einzelnen Berücksichtigung finden (Art. 16 Nr. 3 BMK-ZP). Ganz in diesem Sinne adressiert Art. 14 BMK-ZP geninformationelle Drittinformationsinteressen. Doch trotz dieser quantitativ beeindruckenden Fülle an europäischen Menschen- und Biorechtsinstrumenten handelt es sich der Struktur nach zumeist um europäische Normhülsen, die der Ausfüllung durch die Vertragstaaten der Biomedizinkonvention und ihrer Zusatzprotokolle überlassen sind. Die Explanatory Reports (Nr. 140 zu Art. 18 BMK-ZP) verdeutlichen dies wie 17 Vgl.
Kap. § 5 A. II. 2. b). Kap. § 5 A. II. 2. b). 19 Vgl. Kap. § 5 A. II. 2. c). 18 Vgl.
314
5. Teil: Ergebnisse
folgt: „For the communication of this information to the family members, appropriate provisions should be made, bearing in mind the rules on confidentiality and the protection of the private life of the various persons concerned (person on whom the test is performed and members of his or her family). The choice of procedure(s) is left to the States.“20
C. Dritter Teil: Arzt- und Patienten-Verhältnis Die Besonderheit genetischer Daten bedingt, dass das genetische Informationsbedürfnis auch im Rahmen der Arzt-Patienten-Beziehung nicht abstrakt beurteilt werden kann. Ein eigens für die Humangenetik kreiertes „Recht auf informationelle Abgeschiedenheit“ bedarf es dabei jedoch nicht.21 Mit dem Inkraftreten des Gendiagnostikgesetzes hat sich der Gesetzgeber auf einfachgesetzlicher Ebene einer äußerst komplexen Problematik mit umfassendem Regelungsanspruch und in sehr detaillierter Form angenommen.22 I. Gendiagnostische Ebene Demnach wurde dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch im Rahmen des Gendiagnostikgesetzes ein hoher Stellenwert eingeräumt: Dies wird sowohl im Anbetracht der gesetzgeberischen Zweckbestimmung offenkundig als auch anhand des mehrfach konstatierten Rechts auf Nichtwissen. Doch trotz dieses informationsrechtlichen Regelungsanspruchs hat sich der Gesetzgeber für den Fall familiärer Interessenkonflikte, die auf den Drittbezug genetischer Information zurückzuführen sind, für einen Mittelweg entschieden: § 10 Abs. 3 S. 4 GenDG konstruiert eine sog. „Empfehlung zur Empfehlung“. Wenn anzunehmen ist, dass genetisch Verwandte Träger der zu untersuchenden Eigenschaften mit Bedeutung für eine vermeidbare oder behandelbare Erkrankung oder gesundheitliche Störung sind, umfasst die genetische Beratung auch die Empfehlung, diesen Verwandten eine genetische Beratung zu empfehlen.23 Mit dieser Lösung werde – so der Gesetzgeber – sowohl das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Patienten als auch der potentiell betroffenen Person gewahrt.24 20 Vgl.
Kap. § 5 Kap. § 4 22 Vgl. Kap. § 4 23 Vgl. Kap. § 6 24 Vgl. Kap. § 6 21 Vgl.
A. A. B. A. A.
III. 2. b) (2). II. 4. e). sowie ausführlich Kap. § 6. I. 4. I. 4.
§ 10 Zusammenfassung
315
Indes kann diese Lösung der „Empfehlung zur Empfehlung“ bei näherer Betrachtung das faktische Unterlaufen gleichgewichteter Informationsinteressen bedeuten. So streiten zunächst Fallkonstellationen der Praxis zugunsten eines vorrangigen Rechts auf Wissen vor dem Hintergrund einer gesetzgeberischen Erfüllung von Schutzpflichten. Doch zeigen Extrembeispiele, wie die CADASIL- oder Huntington-Erkrankung, dass sich die rational biologisch-begründete und zugleich affektive Selbstentdeckung der eigenen genetischen Disposition als sehr ambivalent gestalten kann. Dabei ist das Informationsverlangen genetisch Verwandter auch nicht vorbehaltlos zu gewähren.25 So gilt es, die aktive Auseinandersetzung mit dem Recht auf Wissen verfahrensrechtlich einzuschränken, als im Hinblick auf die Kenntnisgenerierung in der Ergebniskommunikation die Entwicklung des Verwandten – etwa eines Kindes – zu berücksichtigen ist.26 Zudem muss die Möglichkeit des Missbrauchs oder eines etwaigen Nachteils der Datenverwendung durch Dritte27 angesichts der von genetischen Daten ausgehenden Diskriminierungsgefahr abgesichert werden. Dies könnte über Modalitäten der ärztlichen Schweigeplicht oder verwandtschaftliche Verschwiegenheitsauflagen erfolgen.28 Insofern erscheinen Feinjustierungen – namentlich in Bezug auf die „Bedeutung“ oder genetische Disposition für eine „vermeidbare oder behandelbare Erkrankung“ – geboten.29 Erst wenn eine Erkrankung auch Behandlungsrelevanz aufweist oder Therapieoptionen gegeben sind, lässt sich die Sinnhaftigkeit der Informationsweitergabe bekräftigen. Die Lösung des innerfamiliären Entscheidungskonflikts liegt also in einer „persönlicheren“ Betrachtung des Einzelfalls. Ein weiterer neuralgischer Punkt der aktuellen Diskussion liegt in der Bestimmung der Reichweite des genetischen Wissens, das im Rahmen einer pränatalen genetischen Untersuchung gewonnen wird.30 Diese Dimension des genetischen Wissens für die PND regelt § 15 GenDG. Demnach darf eine genetische Untersuchung vor der Geburt nur zu medizinischen Zwecken und allein dann vorgenommen werden, wenn die Untersuchung auf bestimmte genetische Eigenschaften des Embryos oder Fötus abzielt, die seine Gesundheit während der Schwangerschaft oder nach der Geburt beeinträchtigen, oder wenn eine Behandlung mit einem Arzneimittel vorgese25 Vgl.
Kap. § 6 A. III. 1. Kap. § 6 A. III. 1. 27 So hat das Diskriminierungsverbot besonders vor solchen Benachteiligungskonstellationen innerhalb eines Arbeitsverhältnisses zu schützen, in denen sich die Betroffenen weigern, genetische Untersuchungsergebnisse zu offenbaren (§§ 4, 21 GenDG). 28 Vgl. auch hierzu Art. 19 GUMG sowie Kap. § 6 A. III. 1. 29 Vgl. Kap. § 6 A. III. 2. c) cc). 30 Vgl. Kap. § 6 B. 26 Vgl.
316
5. Teil: Ergebnisse
hen ist, dessen Wirkung durch bestimmte genetische Eigenschaften beeinflusst wird. Unabhängig davon ist eine vorgeburtliche genetische Untersuchung im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 GenDG nicht zulässig, wenn sie darauf abzielt, genetische Eigenschaften des Embryos oder des Fötus für eine Erkrankung festzustellen, die nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres ausbricht, vgl. § 15 Abs. 2 GenDG. Gleichzeitig überzeugt es nicht, dass sich § 15 Abs. 2 GenDG allein auf Erbkrankheiten bezieht, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres manifest werden – die Bewertung einer Krankheit kann nicht schlichtweg davon abhängen, zu welchem Zeitpunkt sie sich manifestiert.31 Für die Auswertung pränatalen Wissens gilt es vielmehr zwischen den Grundrechten des Individuums und der Manifestationswahrscheinlichkeit, aber im Besonderen auch dem Schweregrad und der zur Verfügung stehenden therapeutischen Qualität im Einzelfall abzuwägen.32 II. Bioinformationelle Ebene Im Kontext einer sich personalisierenden Medizin wandeln sich nicht nur faktische Anforderungen, sondern auch normative Bedingungen, die an die informierte Einwilligung des Patienten zu stellen sind.33 Deutlich wird dies vor dem Hintergrund des sog. informed consent.34 Die zentrale Herausforderung des gendiagnostischen informed consent besteht einerseits in der Aufklärung über die gesichert-linearen Auswirkungen genetischer Disposi tion und andererseits in der besonderen Hervorhebung der Unsicherheit nicht-linearer, epigenetischer Faktoren.35 Vor diesem Hintergrund sind die folgenden Schlüsselinformationen einem gendiagnostischen Arzt-PatientenGespräch zugrunde zu legen: • Informationen über die Besonderheit der genetischen Information, die Hervorhebung linearer und nicht-linearer Faktoren, gleichermaßen wie die mögliche Tragweite von Wahrscheinlichkeitsaussagen für Patienten und Angehörige, • Informationen über die Behandlungsrelevanz gendiagnostischer Ergeb nisse, • Informationen über das Recht, Informationen hinsichtlich der gespeicherten Daten zu erhalten, 31 Vgl.
Kap. § 6 Kap. § 6 33 Vgl. Kap. § 7 34 Vgl. Kap. § 7 35 Vgl. Kap. § 7 32 Vgl.
B. B. B. B. B.
II. II. II. II. II.
§ 10 Zusammenfassung317
• Informationen über das Recht, die Einwilligung widerrufen oder eine Vernichtung, Löschung oder Anonymisierung der Daten beantragen zu können, • Informationen über die vorgesehene Dauer der Aufbewahrung von Gewebeproben und Analyseergebnissen, • Informationen über Schutzeinrichtungen zur Gewährleistung der Datensicherheit und -sparsamkeit,36 • Informationen über eine geplante Veröffentlichung der Forschungser gebnisse unter der Verwendung personenbezogener Informationen und Daten.37 Angesichts der vielschichten Behandlungsbedingungen und -folgen bleibt insgesamt festzuhalten, dass eine noch stärker auf den Patienten ausgerichtete Personalisierung erforderlich ist. Den hohen Anforderungen des Spannungsverhältnisses zwischen Diagnostik und Therapie, zwischen Information und Verschwiegenheit und schließlich zwischen dem Betroffenen und seinen Familienangehörigen kann nur in einer partizipatorischen und auf Dauer angelegten Arzt-Patienten-Beziehung Rechnung getragen werden. Die diesbezüglichen Tatbestandsvoraussetzungen sind daher auch hinsichtlich der diagnostisch-therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten für den Wandel des informed consent zu konkretisieren.
D. Vierter Teil: Biobanken Die Dimensionen der personalisierten Medizin sind vielfältig. In ihrer Fortentwicklung stützt sich die personalisierte Medizin mitunter auf gen diagnostische Informationen in Biobanken. Ziel ist es, genetische Proben in Verknüpfung mit persönlichen Daten zu sichern.38 Zugleich stellen Bioban36 Vgl. hierzu die Ergebnisse der vorliegend durchgeführten Studie: „Again very clear consent instruments that ensure participants understand how long their data will be stored, how it will be stored, where it will be stored, who will have access, and the purpose for creating and maintaining the biobank.“ (Kap. § 11 B. III. 4. d) sowie Kap. § 7 B. II. 37 Vgl. hierzu die Ergebnisse der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Studie, Kap. § 11 B. III. 4. c): „Clear, thorough, and plain language consent instruments that include (1) conditions under which disclosure to third parties may occur, (2) possibility of acquiring information outside of the intended purpose (i. e., unanticipated findings, misattributed paternity, etc.), (3) opt-in to receive clinically relevant unanticipated findings, and (4) process and procedure should a privacy breach occur.“ Siehe aber auch Kap. § 7 B. II. 38 Vgl. Kap. § 8 A.
318
5. Teil: Ergebnisse
ken aber auch ein relativ neues Problem für das Recht dar: Der Spender, der sein Blut, sein Gewebe oder seine DNS für diagnostische, therapeutische oder Forschungszwecke entnehmen lässt, sieht sich in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Mit einer intensivierten Auswertung des Gewebes und den hieraus gewonnenen Informationen können auch Daten über den gegenwärtigen Gesundheitszustand erzeugt oder Prognosen für die künftige Gesundheitsentwicklung getroffen werden.39 In Europa soll nunmehr eine neue EU-Verordnung das Recht auf Schutz personenbezogener Daten natürlicher Personen wahren. Sofern die Interessen oder die Grundfreiheiten der Betroffenen nicht überwiegen können, muss dabei die Vermutung gelten, dass die Verhütung oder Begrenzung von Schäden bei den für die Datenverarbeitung Verantwortlichen ein berechtigtes Informationsinteresse der Verantwortlichen begründen kann.40 Die Schwierigkeit in der Handhabung der Informationen liegt wiederum im Einzelfall, namentlich in der Abwägung konfligierender Informationsinteressen sowie im Rahmen einer konkreten Bestimmung des Untersuchungszweckes. Indes erfolgt durch Governance-Strukturen eine Akzentverschiebung in Richtung Regelungsstrukturen und grenzüberschreitender Kooperation.41 An diesem Maßstab gemessen wäre ein zeitgemäßes Biobankengesetz wünschenswert, das den Weg für ein flexibles und dynamisches Informationsmanagement ebnet. Denn wird die Forschungszielsetzung heterogen und unabsehbar, gilt es, das bisherige Einwilligungskonzept durch institutionelle und prozedurale Regelungen zu ergänzen, die der Biobankenforschung gleichermaßen Freiräume wie auch objektive Grenzen setzen.42 In Anbetracht einer genetischen Innovationskultur bedarf es neuartiger Regelungen zum Schutz eines Biobankgeheimnisses, die das medizinische Bekenntnis zur Schweigepflicht erneuern. Entscheidend ist, dass der Betroffene die Konsequenzen seiner Entscheidung transparent begreifen und Argumente für und wider der Einwilligung persönlich abwägen kann.43 De lege ferenda besteht nicht zuletzt ein gewichtiges Aufklärungsinteresse an wissenschaftlichen Zweckbindungen und funktionalen Verknüpfungen bei Zugriffs- und Informationstechnologien.44 Als flankierendes Instrument kommt insoweit einer transparent kommunizierten Qualitäts- und Datenschutzkultur eine wesent liche Rolle in der Umsetzung einer Biobank-Governance zu. 39 Vgl. 40 Vgl. 41 Vgl. 42 Vgl. 43 Vgl. 44 Vgl.
Kap. § 8 Kap. § 8 Kap. § 9 Kap. § 9 Kap. § 9 Kap. § 9
A. A. C. C. C. C.
II. 2. b). IV. I. 2. b). I. 3.
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey)319
Doch nicht nur im Bereich der Biobanken macht sich die an Genotypen orientierte Individualisierung diagnostisch-therapeutischer Handlungsempfehlungen auf, zu erkennen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“.45 Auch im konventionellen Arzt-Patienten-Verhältnis verabschiedet sich die personalisierte Medizin wohl zunehmend von einer „glückseligen Ungewissheit“ – wie Richard Powers46 den Zustand vor der Sequenzierung seines Gesamtgenoms nennt. Im Recht der informationellen Selbstbestimmung ist dabei kein bloßes Nebeneinander von Information und Verschwiegenheit, von Betroffenen und Familien oder von Individuen und Wissenschaft zu sehen. In Zeiten der Postgenomics wird ein persönlich-kooperatives und informationsrechtlich umhegtes Miteinander einer freien, individuell geführten Abwägungsentscheidung über genetisches Wissen oder Nichtwissen wohl am besten gerecht.
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey) A. Zielsetzung Inhalt der im Kontext dieser Arbeit durchgeführten Studie (engl.: survey) war eine Expertenbefragung unter Medizinern und Juristen. Es sollten medizinrechtliche Anforderungen an juristische Dimensionen einer personalisierten Gendiagnostik empirisch festgemacht werden. Dafür erfolgte eine untersuchende Befragung in Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, die sowohl die Akzeptanz als auch Praktikabilität gendiagnostischer Organisationsstrukturen beleuchtete. Insgesamt hatte sich die Analyse der Interviews zum Ziel gesetzt, die Erwartungen an eine personalisierte Medizin, an juristische Rahmenbedingungen und deren Ausgestaltung aufzuzeigen. Aus den Ergebnissen sollten sodann mögliche Stärken und Schwächen konkretisiert und Konsequenzen für gendiagnostische Governance-Konzepte abgeleitet werden.
B. Methodik und Inhalte Im Folgenden seien zunächst die methodischen Ansätze der Entwicklung des Fragebogens (I.) dargestellt sowie Grundzüge der technischen und statistischen Ausführung der Datenerhebung erläutert.
45 Johann
46 Powers,
Wolfgang von Goethe, Faust I, Nacht, V 382 f. Das Buch Ich Nr. 9, S. 5, 18.
320
5. Teil: Ergebnisse
I. Entwicklung des Fragebogens Das (Web-)Design einer Online-Studie ermöglichte zunächst eine bessere Erreichbarkeit der Teilnehmer im In- und Ausland. Die onlineFragebögen (oFB) sowie das entsprechende Software-Paket konnten unentgeltlich von SoSci Survey bezogen werden.47 SoSci Survey wurde für wissenschaftliche Befragungen am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität München konzipiert.48 Erstmalig konnte die Studie zum Thema „Personalized Medicine, Gene Diagnostics and Biobanking in the context of privacy of patient informa tion“ am 07.07.2012 freigeschaltet werden. Die Online-Befragung war in den Jahren 2012 / 2013 insgesamt sechs Monate unter dem folgenden Link abrufbar: URL des Fragebogens: https: / / www.soscisurvey.de / personalized_medicine / 1. Technische Umsetzung Für die Zusammenstellung der Fragen erfolgte eine Abfolge statistisch validierter Standardfragen in horizontaler und vertikaler Ausrichtung sowie in Skalen-Modulen (unter Verwendung der sog. Likert-Skala49): Mehrfachauswahlmöglichkeiten waren mit Dropdown-Systemen, Polaritätsprofilen und Elementen der numerischen Rangordnung kombiniert.50 Ein Captcha (Completely Automated Public Turing test to tell Computers and Humans Apart) verhinderte ein automatisches oder maschinelles Ausfüllen des Fragebogens: Dabei wurde den Teilnehmer der Studie eine leicht zu lösende Aufgabe gestellt, die von einem automatisierten Computersystem nicht zu beantworten ist.51 Neben den elektronischen Online-Versionen wurden auch 47 Siehe Leiner et al., https://www.soscisurvey.de/ [letzter Aufruf am 01.06. 2013]. 48 Vgl. hierzu nähere Erläuterungen auf der Startseite des Internetprovider SoSci Survey: https://www.soscisurvey.de/ [letzter Aufruf am 01.06.2013]. 49 „Die Likert-Skala (nach Rensis Likert) ist ein Verfahren zur Messung persönlicher Einstellungen, die mittels so genannter Items abgefragt werden. Die Items sind positiv oder negativ formulierte Aussagen über einen Sachverhalt, zu dem die Befragten Zustimmung oder Ablehnung in mehreren, vorgegebenen Abstufungen äußern können. Die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten sind so konstruiert, dass der ‚Abstand‘ zwischen den Antwortmöglichkeiten möglichst gleich ist (Äquidistanz).“ Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Likert-Skala [letzter Aufruf am 01.06.2013]. 50 Siehe Tabelle 3, Kapitel § 11 B. 2. 51 Im Bereich der Einstellungen des Fragebereichs abrufbar unter: https.//www. soscisurvey.de/admin/index.php?o=question§ion=102526&question=645461. [letzter Aufruf am 01.06.2013].
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey)321
Fragebögen in Papierform eingesetzt, die anonymisiert verteilt und mittels einer verblendeten verschlossenen Box eingesammelt wurden. 2. Datenschutz Auf die Aufzeichnung von elektronischen IP-Adressen wurde im Rahmen der Studie aufgrund deren begrenzten Aussagekraft verzichtet.52 Um zugleich aber eine wiederholte Teilnahme der User zu vermeiden, erfolgte die Registrierung einer verkürzten IP-Adresse, die anonymisiert die ersten beiden Bytes der Adresse abspeichert. Der Zeitpunkt des Fragebogen-Onlineaufrufs wurde ebenso wie die Bearbeitungszeiten der einzelnen Seiten standardmäßig in den Datensatz übernommen. Eine Reaktionszeitmessung der Teilnehmer war nicht vorgesehen. Bei der Beantwortung der Fragen zeichnete der Questionnaire keine Klickzeiten auf. Auch die Bewegungen des Mauszeigers (Clickstream) wurden nicht hinterlegt.53 Darüber hinaus waren sog. Cookies im Rahmen der Datenerhebung nicht installiert. Eine getrennte Erhebung von E-Mail-Adressen fand nicht statt. 3. Pretests In technischen und inhaltlichen Pretests wurden während der Monate Mai und Juni 2012 Teilnehmer der Zielgruppe der Universität München sowie Frau Prof. Lisa Lehmann, M.D., Ph.D., M.Sc., Direktorin des Institutes of Global Health, Social Medicine and Medical Ethics an der Harvard University in Boston, MA, USA und Frau Dr. Devon Quasha, M.D., J.D., Massachusetts General Hospital, Harvard University in Boston, MA, hinzugezogen. Mit der Durchführung dieser Pretests sollten folgende drei Kernziele gesichert werden: • (Sprachliche)Verständigungsprobleme aufzudecken,54 • ein verlässliches und valides Messinstrument zu etablieren, • einen vorzeitigen Abbruch oder eine Korrektur der Umfrage zu vermeiden. 52 Alle datenschutzrechtlichen Angaben beruhen auf Informationen des Anbieters SoSci Survey; siehe: https://www.soscisurvey.de/index.php?page=privacy [letzter Aufruf am 01.06.2013]. 53 Datenschutzbestimmungen siehe: https://www.soscisurvey.de/index.php?page= privacy [letzter Aufruf am 01.06.2013]. 54 Aufgrund der internationalen Implementierung erfolgte die Fragestellung in englischer Sprache.
322
5. Teil: Ergebnisse
In Folge der Pretest-Auswertung wurde eine Drag- and Drop-Applikation gegen eine Standardfrage in horizontaler Ausrichtung eingetauscht. Möglichen Kompatibilitätsschwierigkeiten in den verschiedenen Betriebssystemen (Microsoft Windows, Mac-OS) sollte auf diese Weise vorgebeugt werden. Auch die Wertung der Zahlensysteme von „Note 1“ bis „Note 6“ wurde aufgrund der unterschiedlichen Bewertungskultur der verschiedenen Länder weitergehend erläutert.55 4. Auswahl der Teilnehmer Zielgruppe der Studie waren juristische Experten des Bereichs Medizinrecht sowie medizinische Mitarbeiter aus spezialisierten Einrichtungen mit Patientenbetreuung und gendiagnostischen Forschungsschwerpunkten. Insgesamt wurden 448 potenzielle Studienteilnehmer per E-Mail und persönlich kontaktiert. Schwerpunktmäßig handelte es sich dabei um Mitarbeiter wissenschaftlicher Einrichtungen in Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (wie beispielsweise in Palo Alto, München, Boston, San Francisco, Berlin, Heidelberg etc.).56 Hatten die Online-Teilnehmer innerhalb von 14 Tagen nicht geantwortet, erfolgte der Versand einer elektronisch generierten Erinnerungsmail. Während des Befragungszeitraumes wurden 129 Fragebögen online bearbeitet und 97 Questionnaire-Bögen in Papierform ausgefüllt. Die Rücklaufquote belief sich somit auf 50,4 Prozentpunkte. Bedingt durch die Unvollständigkeit einzelner Formulare mussten 21 Fragebögen aus der Wertung genommen werden. Ein weiterer Teilnehmer konnte aufgrund seines wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrundes nicht zur Studiengruppe gezählt werden. Somit ergibt sich eine korrigierte Rücklaufquote von 45,5 Prozent. Die Teilnahme war freiwillig und ohne finanzielle Anreize gestaltet. Wie bereits beschrieben (§ 11 B. I. 2.), wurden alle Zugangsdaten insoweit individualisiert, als dass eine Mehrfachteilnahme der User vermieden werden konnte. In den Abbildungen 4 und 5 ist die Aufteilung der Studienteilnehmer nach Landeszugehörigkeit (Abb. 5) sowie Berufsgruppen (Abb. 4) dargestellt. 55 So wird beispielsweise im deutschen Schulsystem die „Note 1“ als Bestnote, in der schweizerischen Ausbildung jedoch gegenläufig als schlechteste Note gewertet. 56 Das Hinzuziehen der amerikanischen Vergleichspopulation erschien nicht zuletzt wegen ihrer führenden Positionierung im Bereich der Genomforschung geboten, siehe dazu: National Human Genome Research Institute, http://www.genome. gov/10001772 [letzter Aufruf am 25.01.2015].
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey)323 Field of Work/Study 12,4 % 4,3% 44,3%
Med Law Ethic
39,0%
Other
Country 9,8% 57,8%
32,4%
GER USA Other
Abb. 4 und 5: Kreisdiagramme zur Länder- und Fachzugehörigkeit der Studienteilnehmer Um einen binationalen Vergleich von Deutschland (GER) und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) zu erreichen, wurden vor allem Studienteilnehmer der beiden Staaten angeschrieben. Die Studienteilnehmer setzten sich aus den unterschiedlichen Fachrichtungen Medizin (med. = medicine), Jura (law), Ethik (ethic = ethics) zusammen. Mehrfachnennungen waren möglich. In der Sektion der anderen Teilnehmer (other) konnten die Teilnehmer in einem Freitextfeld zusätzliche Optionen anführen. Den Großteil stellten hierbei in der Humangenetik tätige Biologen (biology / molecularbiology / genomics).
324
5. Teil: Ergebnisse
Die höchste Teilnehmerquote lag mit 44,3 % im Bereich der Medizin. Zweitstärkste Studienpopulation war die Teilnehmergruppe der Juristen mit 39,0 %. Somit entspricht die fachliche Verteilung dem ursprünglich angelegten Studiendesign. Die um 5,3 % höhere Teilnahmequote bei der Gruppe der Mediziner lässt sich mit der häufigeren Durchführung von Online-Evaluationen in Kliniken und medizinischen Fakultäten der Universitäten erklären. Insgesamt wurden 43,3 % der ausgewerteten Fragebögen von Professoren („assistant professor or full professorship“) abgegeben. Dies ist einerseits auf den einbezogenen Teilnehmerkreis bei der Gestaltung des Studiendesigns zurückzuführen. Andererseits erforderte sowohl die thematische als auch die sprachliche Ausrichtung der Umfrage einen fortgeschrittenen Kenntnisstand der medizinischen und rechtlichen Hintergründe. Diesem Ergebnis entspricht auch die altersgemäße Verteilung der Befragten mit einem Spitzenwert von 23,5 % aller teilnehmenden Wissenschaftler in der Gruppe der 40–50 Jährigen. 5. Hinführung zum Thema Als Einleitung war eine kurze Information zum Thema gewählt geworden, die auf die fachliche Zusammensetzung der Studienteilnehmer abstellte. Die wesentlichen Aspekte der Studie wurden thematisiert und sollten dabei die Adressaten für das Thema sensibilisieren. Abbildung 13 zeigt die Einführung zur Online-Studie in einer Screenshot-Darstellung. II. Datenerhebung Der Fragebogen beinhaltete Fragen zum persönlichen Hintergrund der Teilnehmer (Alter, Berufsgruppe, Länderzugehörigkeit). Allgemein gehaltene Fragen zur wissenschaftlichen Grundhaltung („general cultural attitude“) bezüglich der personalisierten Medizin folgten. Ferner beleuchteten spezifische Fragen datenschutzrechtliche Themen, wie den Zugang zu medizinischen Datenbanken oder die Speicherungsdauer von Gesundheitsinforma tionen. Den Abschluss bildeten einerseits eine offene Frage zum Inhalt der Umfrage und andererseits eine offene Feedback-Frage, die sich auf die Umsetzung der Studie bezog. Sprache der Online-Survey war aufgrund der ausgewählten Zielgruppe Englisch. Gleichwohl waren die Freitextantworten sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache möglich.
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey)
325
1. Skalen und Werte Als Fragetypen wurden die in Tabelle 3 angegebenen Aufgabenvarianten gestellt. Sie wurden statistisch in einer automatisierten oder teilautomatisierten Auswertung analysiert.57 Die offenen Abschlussfragen – ebenso wie alle weiteren Freitextantworten – wurden manuell aufbereitet. Tabelle 3 Übersicht der im Kontext der Online-Studie eingesetzten Fragetypen Alle Kategorien stellen statistisch validierte Werte- sowie Skalensysteme dar. Die Wertebereiche wurden aufgrund unterschiedlicher kultureller Bewertungs systeme im Bereich der Fußnoten ausgewiesen. 58596061
Fragetyp
Erläuterung
Standardfrage
Mehrfachantwortmöglichkeiten in horizontaler sowie vertikaler Anordnung
Skalen-Module
Abgestufte Bewertungseinheiten anhand der Likert-Skala58
Drop-down Auswahl
Graphische Benutzeroberfläche, anhand derer ein Benutzer den Wert aus einer vorgegeben Liste auswählen kann59
Polaritätsprofil
Semantisches Profil genannt zur Analyse von begrifflichen Assoziationen60
Numerische Rangordnung
Spezifizierter Wertebereich mit verschiedenen Punktzahlen innerhalb eines Zahlenabschnitts61
57 Vgl.
Aufschlüsselung in Kapitel § 11 B. II. 3. Likert-Skala (nach Rensis Likert) ist ein Verfahren zur Messung persönlicher Einstellungen, die mittels so genannter Items abgefragt werden. Die Items sind positiv oder negativ formulierte Aussagen über einen Sachverhalt, zu dem die Befragten Zustimmung oder Ablehnung in mehreren, vorgegebenen Abstufungen äußern können. Die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten sind so konstruiert, dass der „Abstand“ zwischen den Antwortmöglichkeiten möglichst gleich ist (Äquidistanz), vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Likert-Skala sowie http://www.uni-kassel.de/ einrichtungen/servicecenter-lehre/educampus/e-klausuren/pruefungsdidaktik.html [letzter Aufruf am 01.06.2013]. 59 Weitere Information, u. a. zu Drop-down Listen im html-Format: http://de. wikipedia.org/wiki/Dropdown-Liste [letz7er Aufruf am 01.06.2013]. 60 Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Semantisches_Differenzial [letzter Aufruf am 01.06.2013]. 61 http://www.uni-kassel.de/einrichtungen/servicecenter-lehre/educampus/e-klau suren/pruefungsdidaktik.html [letzter Aufruf am 01.06.2013]. 58 „Die
326
5. Teil: Ergebnisse
2. Wertung der Fragebögen Nicht vollständig ausgefüllte Fragebögen und solche, in denen die Thematik der Evaluierung offensichtlich nicht verstanden wurde, blieben in der Auswertung der Studie unberücksichtigt. Einzelne Antworten, die inkonsistente Ergebnisse (z. B. lediglich „do not know“-Antworten) aufwiesen, konnten ebenfalls nicht gewertet werden. 3. Statistische Analyse Die statistische Auswertung erfolgte unter Verwendung des statistischen Software Packages SPSS (Chicago, IL) sowie Microsoft-Excel. Die Ergebnisse wurden als Mittelwerte + / – Standardabweichung des Mittelwerts dargestellt und mit dem nicht-parametrischen Mann-Whitney-U-Test auf Signifikanz geprüft. Ein p-Wert ≤ 0.05 wurde als statistisch signifikant gemessen. III. Ergebnisse Zu Beginn der Studie wurde die individuelle Grundhaltung („general questions: culture / attitude“) gegenüber der personalisierten Medizin identifiziert. Eine einführende Frage ermittelte die Akzeptanz der Teilnehmer hinsichtlich einer behandlungsrelevanten Personalisierung. Darüber hinaus beurteilten die Befragten die Anwendung und Realisierung der Gendiagnostik als solche. Implementation of personalized medicine 60
promising idea
Nu m b e r o f p a rtic ip a n ts in %
legally sufficiently regulated
50
useful to individuals
safe for future generations 40
30
20
10
0
strongly agree
+
+/–
–
strongly disagree
Abb. 6: The implementation of personalized medicine into individual prophylactic, diagnostic or therapeutic intervention is …
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey)327
In den allgemeinen Einführungsfragen der Studie wurden die Teilnehmer nach ihrer grundsätzlichen Einstellung zur personalisierten Medizin in fünf abgestuften Bewertungseinheiten eines Polaritätenprofils von „strongly agree“ bis „strongly disagree“ befragt. Die Adressaten sollten das Themengebiet der personalisierten Medizin hinsichtlich der Aspekte „a promising idea“ (graue Linie), „is legally sufficiently regulated“ (schwarze Linie), „is useful to individuals“ (grau gestrichelte Linie), „is safe for future generations“ (schwarz gestrichelte Linie) beurteilen. Im Schaubild gezeigt sind die Mittelwerte in Prozentzahlen unter Berücksichtigung der Standardabweichung. Implementation of gene diagnostics
Nu m b e r o f p a rtic ip a n ts in %
promising idea 50
legally well regulated
45
useful to individuals
40
a safe approach
to be encouraged
35 30 25
20 15 10
5 0
strongly agree
+
+/–
–
strongly disagree
Abb. 7: A wide availability and implementation of gene diagnostics is … Ferner wurden die Teilnehmer in fünf abgestuften Bewertungseinheiten eines Polaritätenprofils von „strongly agree“ bis „strongly disagree“ zur Verfügbarkeit und Implementierung der Gendiagnostik befragt. Die Adressaten der Studie sollten die Gendiagnostik wiederum hinsichtlich der Kategorien „a promising idea“ (graue Linie), „legally well regulated“ (schwarze Linie), „is useful to individuals“ (grau gestrichelte Linie), „is a safe approach“ (schwarz gestrichelte Linie) bewerten. Im Schaubild gezeigt sind die Mittelwerte in Prozentzahlen unter Berücksichtigung der Standardabweichung.
49,5 % aller Antworten werteten eine Anwendung der personalisierten Medizin in ihrer prophylaktischen, diagnostischen und therapeutischen Behandlung als vielversprechend („strongly agree“). Mit einem vergleichbar hohen Wert wurde der Nutzen einer personalisierten Medizin („useful to individuals“) beurteilt: 42,1 % der Teilnehmer waren von einer Umsetzung der personalisierten Medizin überzeugt („strongly agree“). Unentschlossen-
328
5. Teil: Ergebnisse
heit bestand jedoch hinsichtlich der Unbedenklichkeit einer personalisierten Medizin für die nachfolgenden Generationen. 39,7 % der Teilnehmerschaft konnten sich hierbei nicht eindeutig festlegen („+ / –“). Indessen wurden die derzeit geltenden rechtlichen Regelungen mit 35,3 % als nicht ausreichend geregelt („disagree“) angesehen. Die Verdrossenheit der deutschen Studienpopulation (39,0 % „disagree“) übertraf dabei die der amerikanischen Befragten (33,3 % „disagree“) um rund 6,0 Prozentpunkte.62 Auch die Anwendung und Implementierung gendiagnostischer Methoden bewerteten 42,6 % aller Befragten als vielsprechenden Ansatz. Den Nutzen des Einzelnen schätzen 42,6 % als sehr hoch ein. Demgegenüber legten sich 29,4 % der Teilnehmer hinsichtlich der Unbedenklichkeit gendiagnostischer Maßnahmen nicht fest („+ / –“). Vielmehr hielten 31,4 % der Studienpopulation die derzeit geltende Gesetzgebung im Bereich der Gendiagnostik für unzureichend („not well regulated“). 1. Behandlungsrelevanz genetischer Untersuchungen Einen wesentlichen Bestandteil der Studie stellte die Frage nach der genetischen Testbereitschaft dar. Dabei wurde zwischen einer Genotypisierung klinisch relevanter Genabschnitte mit Behandlungsrelevanz und der Sequenzierung des gesamten menschlichen Genoms differenziert. Genetic Testing – Overall 50
genotyping clinically relevant genetic variants
Nu m b e r o f p a rtic ip a n ts in %
sequencing your whole genome 40
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probably not
maybe yes/not
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Abb. 8: Would you subject yourself to the following testing? (Overall)
62 Ursächlich hierfür dürften u. a. zulassungs- und erstattungsrechtliche Hindernisse sein, vgl. Berchtold/Epping, GRUR-Prax 2014, S. 492 ff.
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey)329
Im Rahmen der Studienuntersuchung wurden die Teilnehmer befragt, inwieweit sie sich einem genetischen Test unterziehen würden. Unterschieden wurde die Testung auf klinisch relevante Genmerkmale (weißer Balken) von einer Sequenzierung des gesamten Genoms (schwarzer Balken). Die Teilnehmer waren gehalten in den Kategorien „definitely yes“, „probably yes“, „maybe yes / not“, „probably not“, „definitely not“ zu antworten. Das Balkendiagramm zeigt die Mittelwerte in Prozentzahlen unter Berücksichtigung der Standardabweichung.
Insgesamt zeigte sich eine deutliche Akzeptanz einer Genotypisierung unter Berücksichtigung einer klinischen-Behandlungsrelevanz. 35,3 % der Studienpopulation würden ihr Genom im Falle eines Tests auf klinisch-relevante Genorte untersuchen lassen („definitely yes“). Des Weiteren erklärten sich 30,9 % aller Befragten bereit, möglicherweise („probably yes“) an einem genetischen Screening auf behandlungsrelevante Genloci teilzunehmen. Demgegenüber differenzierten die Studienteilnehmer hinsichtlich einer Sequenzierung des gesamten Genoms. Ein Teil der Studienpopulation (26,5 %) zeigte keine Bereitschaft, sich testen zu lassen („definitely not“). 26,0 % der Studienteilnehmer würden einem Test hingegen zustimmen („definitely yes“). a) Fachspezifische Differenzierung In der interdisziplinären Befragung der Teilnehmer konnte also gezeigt werden, dass die Akzeptanz eines Screening auf gendiagnostisch relevante Genabschnitte vorhanden ist. In einem weiteren Schritt wurde daher untersucht, inwieweit sich dies in den verschiedenen Fachrichtungen unterscheidet (Abb. 9 und Abb. 10). Die Abbildungen 9 und 10 zeigen deutlich, dass die genetische Aufgeschlossenheit der Mediziner die der juristischen Studienpopulation überwiegt. 44,1 % der Mediziner würden einen Test auf klinisch-behandlungsrelevante Gensequenzen zustimmen: 32,2 % aller Mediziner erklärten, mit der Sequenzierung des gesamten Genoms einverstanden zu sein („definitely yes“). Im Gegensatz dazu waren in der Population der Juristen nur 21,9 % der Befragten bereit, behandlungsrelevante Genabschnitte analysieren zu lassen („definitely yes“). 43,9 % der juristischen Befragten lehnten die Untersuchung des Gesamtgenoms gänzlich ab („definitely not“).
330
5. Teil: Ergebnisse Genetic Testing – Medicine 50
genotyping clinically relevant genetic variants
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sequencing your whole genome 40
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Genetic Testing – Law 50
genotyping clinically relevant genetic variants
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sequencing your whole genome 40
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maybe yes/not
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Abb. 9 und Abb. 10: Would you subject yourself to the following testing? (Medicine and Law) Sowohl Mediziner als auch Juristen wurden nach der Akzeptanz eines Tests auf klinisch relevante Genmerkmale (weißer Balken) und einer Sequenzierung des gesamten Genoms (schwarzer Balken) gefragt. Antworten waren in den Kategorien „definitely yes“, „probably yes“, „maybe yes / not“, „probably not“, „definitely not“ möglich. Die Balkendiagramme zeigen die Mittelwerte in Prozentzahlen unter Berücksichtigung der Standardabweichung.
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey)331
b) Länderspezifische Differenzierung Ferner wurde untersucht, inwieweit sich die Akzeptanz genetischer Tests zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika unterscheidet. Interessanterweise befürworteten 30,5 % der befragten Deutschen eine Genotypisierung klinisch bedeutsamer genetischer Varianten („definitely yes“). 27,1 % der deutschsprachigen Teilnehmer lehnten eine Genomsequenzierung ab („definitely not“). Genetic Testing – Germany 50
genotyping clinically relevant genetic variants
Nu m b e r o f p a rticip a n ts in %
sequencing your whole genome 40
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Genetic Testing – USA 50
genotyping clinically relevant genetic variants
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sequencing your whole genome 40
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Abb. 11 und Abb. 12: Would you subject yourself to the following testing? (Germany and USA)
332
5. Teil: Ergebnisse
Die deutsche und US-amerikanische Studienpopulation wurde hinsichtlich der Akzeptanz eines Tests auf klinisch relevante Genmerkmale (weißer Balken) und einer Sequenzierung des gesamten Genoms (schwarzer Balken) ausgewertet. Antworten waren in den Kategorien „definitely yes“, „probably yes“, „maybe yes / not“, „probably not“, „definitely not“ möglich. Die Balkendiagramme zeigen die Mittelwerte in Prozentzahlen unter Berücksichtigung der Standardabweichung.
Demgegenüber zeigte die amerikanische Studienpopulation eine größere Bereitschaft, sich einer gendiagnostischen Analyse zu unterziehen. 31,6 % der Befragten würden einem Screening ihres Genoms („definitely yes“) und 40,9 % einem Test auf klinisch relevante Genabschnitte zustimmen („definitely yes“). Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse, dass die Akzeptanz, behandlungsrelevante Gensequenzen analysieren zu lassen, in allen Studienpopulationen vorherrschend vorhanden war. Bezüglich einer Untersuchung des gesamten Genoms verhielten sich die Befragten zumeist zurückhaltend. Die Bereitschaft, an einem genetischen Screening teilzunehmen, war unter den Medizinern und amerikanischen Studienteilnehmern signifikant höher (p ≤ 0.05) als unter ihren juristischen respektive deutschen Kollegen. Immerhin lehnten aber auch 17,2 % der Mediziner bzw. 19,7 % der US-Amerikaner eine umfassende Genomsequenzierung ab. 2. Anforderungen an genetische Untersuchungen Darüber hinaus wurden spezifische Erwartungen an genetische Analysen untersucht. Die für den Einzelnen bedeutsamen Informationen wurden herausgestellt (a) und die einen Gentest-begleitenden Modalitäten beurteilt (b). a) Bewertung von Gesundheitsdaten Als wichtigste Gesundheitsinformation bewerteten die Befragten prädiktive Informationen, die mit einer bestimmten Veranlagung assoziiert sind. Den zweithöchsten Stellenwert nahmen Informationen über chronische Erkrankungen, wie Diabetes mellitus oder chronisch entzündliche Darmerkrankungen, ein. Mit signifikantem Unterschied hierzu wurden Informationen bewertet, die spätmanifestierende Krankheiten und verwandtschaftliche Familienbeziehungen betrafen. Diese wurden von den Teilnehmern der Studie mit signifikant höheren Punktwerten (p ≤ 0.05) als weniger bedeutsam gewichtet.
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey)333 1
2
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4
predictive information
chronic disease information
late-onset disease information
ancestry information
*
Abb. 13: If you underwent genetic testing, what information would be most important to you? Die Teilnehmer waren gehalten, vier verschiedene genetische Dateninformationen nach der für sie bedeutsamen Relevanz zu kategorisieren. Die Bewertungsstufe „1“ wurde als „most important“ definiert. Die weiteren Bewertungseinheiten waren in absteigender Wichtigkeit eingestuft. Das Balkendiagramm zeigt die gemittelten Punktwerte unter Berücksichtigung der Standardabweichung. Statistisch signifikante Werte (p-Wert ≤ 0.05) wurden mit * gekennzeichnet.
Insbesondere betonten die Befragten, dass die Behandlungsrelevanz der jeweiligen Erkrankung und Therapieoptionen für das Informationsinteresse von entscheidender Bedeutung sind. Der folgende Kommentar eines Stu dienteilnehmers verdeutlicht dies wie folgt: „[…] For instance, I might not want to know that my personalized tests have made the chances of my surviving given a generic cancer diagnosis atypically low unless knowing that made one treatment more efficacious than the one I would otherwise select. And even then I might want the info only in the form of relevance to treatment rather than prognosis.“ b) Erwartungen an Gentest-begleitende Modalitäten Darüber hinaus sollten die Erwartungen an Gentest-begleitende Modalitäten konkretisiert werden. Als besonders wichtig wurde die Auswertung gesundheitsrelevanter Daten bewertet. 51,5 % der Befragten zeigten besonderes Interesse („definitely yes“) an der Interpretation von Gesundheitsinformationen, die therapeutisch von Bedeutung sind. Ferner gewichteten 40,2 % der Befragten die Interpretation der Wahrscheinlichkeiten einer Krankheitsentstehung oder Verschlechterung als sehr bedeutsam. Auch Informationen
334
5. Teil: Ergebnisse Expectations – genetic testing interpretation of information regarding likelihood of disease development/contraction
Nu m b e r o f p a rtic ip a n ts in %
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interpretation of information relevant for treatment or prevention interpretation of information for metabolizing medication
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personal visit to a medical doctor automatic information by a biobank without any personal interaction
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Abb. 14: If you underwent genetic testing, what would be your subsequent expectations? In fünf abgestuften Bewertungseinheiten eines Polaritätenprofils von „definitely yes“ bis „definitely not“ wurden die Teilnehmer zu Erwartungen nach einem durchgeführten Gentest befragt. Die Adressaten der Studie waren gehalten, eine Bewertung hinsichtlich der Kategorien „interpretation of information regarding the likelihood of disease development / contraction“ (graue Linie), „interpretation of information relevant for treatment or prevention“ (schwarze Linie), „interpretation of information for metabolizing medication“ (grau gestrichelte Linie), „personal visit to a medical doctor“ (schwarz gestrichelte Linie) sowie „automatic information by a biobank without any personal interaction“ (eng gestrichelte Linie) abzugeben. Im Schaubild gezeigt sind die Mittelwerte in Prozentzahlen unter Berücksichtigung der Standardabweichung.
über die Verstoffwechselung von Medikamenten wurden als wesentlich angesehen (36,8 % „definitely yes“). Jenseits der Auswertung behandlungsrelevanter Daten war für 37,3 % der Teilnehmer die persönliche Betreuung durch den Arzt („medical doctor“) von besonderer Bedeutung („definitely yes“). Entschieden abgelehnt wurde hingegen die alleinige Auswertung und Betreuung der Patienten durch eine Biobank (40,2 % „definitely not“). Insofern nimmt die persönliche Beratung im Rahmen der Arzt-Patienten-Beziehung eine zentrale Rolle ein.
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey)
335
3. Governance-Strukturen genetischer Biobanken Ein weiterer Fragenteil stellte auf die Governance-Strukturen einer Biobank ab. Thematisiert wurden sowohl die Informationsinhalte einer Biobank (a)) als auch die Zugangsmodalitäten (b)). Schließlich war nach einer konkreten Aufbewahrungsdauer für Daten und Proben (c)) gefragt. a) Gen-medizinisches Material der Biobanken Zunächst wurde die Akzeptanz der Teilnehmer hinsichtlich einer Speicherung sowie Aufbewahrung genetisch-medizinischer Materialien und Befunde ermittelt. Hierbei zielte die Befragung auf eine Speicherung von Blutproben, Operationsmaterial, klinischen Studiendaten, Verwandtschaftsinformationen und Arztbriefen ab. Biobank data blood sample
Nu m b e r o f p a rticip a n ts in %
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tissue collected during medical operation
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clinical trial data ancestry information
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medical record from your doctor
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Abb. 15: Would you permit the following to be placed in a database that is accessible by other researchers? Die Teilnehmer sollten innerhalb eines Polaritätsprofils mit fünf abgestuften Bewertungseinheiten von „definitely yes“ bis „definitely not“ beantworten, welchen Inhalten einer Biobank sie offen und welchen sie ablehnend gegenüber standen. Die Adressaten der Studie waren gehalten, eine Bewertung hinsichtlich der Kategorien „blood sample“ (graue Linie), „tissue collected during medical operation“ (schwarze Linie), „clinical trial data“ (grau gestrichelte Linie), „ancestry information“ (schwarz gestrichelte Linie) sowie „medical record from your doctor“ (eng gestrichelte Linie) abzugeben. Im Schaubild gezeigt sind die Mittelwerte in Prozentzahlen unter Berücksichtigung der Standardabweichung.
336
5. Teil: Ergebnisse
Die Teilnehmer beurteilten insofern die in einer Biobank aufzubewahrenden Proben und Daten. Eine Speicherung von Blutproben und Gewebe, das während einer Operation entnommen wurde, befürworteten 31,3 % bzw. 32,4 % (mit „definitely yes“; 35,3 % bzw. 33,3 % mit „probably yes“). Eine vergleichbare hohe Zustimmung erhielt die Verfügbarkeit von klinischen Studiendaten in Biobanken (27,4 % „definitely yes“ und 36,8 % „probably yes“) sowie die Sammlung verwandtschaftlicher Informationen (25,5 % „definitely yes“). Erhebliche Bedenken wurden hinsichtlich einer elektronischen Speicherung der (Patienten-)Arztbriefe geäußert. 31,4 % stimmten gegen eine Aufbewahrung in Biobanken („definitely not“). Als maßgeblich bewerteten die Teilnehmer die Zielsetzung der Aufbewahrung sowie den Forschungs kontext. Die folgenden Anmerkungen der Studienteilnehmer spiegeln dies wider: „[…] The question whether I would allow data or samples to be stored in a database (q. 11) would be answered differently by me depending on the purposes for which the database is used and the way in which data and samples are stored. If it is a database for research purposes only and strict anonymity is guaranteed, I have no objection against long-term storage of anything, even my medical record. But if it’s a database that doesn’t anonymize or would be used by the government or by commercial companies, I would most definitely object.“ „[…] Often when answering the questions I thought: well, depends […] depends on the context – do we talk about direct-to-consumer-marketing, do we talk only about genetic information in a medical setting – very different things. […]“
b) Zugriffsbestimmungen für Biobanken Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die befragten Teilnehmer einen Zugriff auf gesundheitsrelevante Daten durch Versicherungen (0,4 % im Umkehrschluss), industrielle Unternehmen (1,5 %), die Regierung (1,9 %) sowie durch die Öffentlichkeit (1,1 %) ablehnten. Auch widersprachen die Befragten einem Zugriff auf biomedizinische Biobank-Daten durch den Arbeitgeber. Beträchtliche Zustimmung fand hingegen die Zugänglichkeit der Biodaten für die verantwortlichen und behandelnden Ärzte (30,5 %) sowie für Ärzte und Wissenschaftler der betreffenden Einrichtung (31,2 %). Der Berufsgruppe der Datenschutzbeauftragten vertrauten allerdings nur 6,7 % der Befragten. Mit einer Zugangsmöglichkeit für Ärzte und Wissenschaftler von Partner-Einrichtungen oder Klinikketten waren mithin 19,3 % der Studienteilnehmer einverstanden.
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey)337 Access
30 20
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Nu m b e r o f p a rticip a n ts in %
40
Abb. 16: Who should have access to data collections of personal biomedical information? Die Antworten der Studienpopulation spiegeln in schwarzen Balken wider, welchen Personen- und Berufsgruppen ein Zugang zu vertraulichen Biobankinformationen nach Auffassung der Befragten eingeräumt werden sollte. Das Balkendiagramm zeigt die Mittelwerte in Prozentzahlen unter Berücksichtigung der Standardabweichung.
c) Speicherungsdauer biomedizinischer Biobank-Informationen Des Weiteren zeichnete sich ein deutlicher Trend zugunsten einer längeren Aufbewahrungszeit für biomedizinische Informationen in Datenbanken ab. 31,0 % der Teilnehmer befürworteten einen nachhaltigen Speicherzeitraum von zehn Jahren. Die Speicherung biomedizinischer Daten lehnten hingegen nur 6,4 % der befragten Teilnehmer ab. 29,1 % der Studienadressaten befürworteten einen unbestimmten Aufbewahrungszeitraum („forever“), 17,7 % der Befragten eine lebenslängliche Dauer.
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5. Teil: Ergebnisse Database Time
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Time Duration
Abb. 17: For how long would you permit your personal biomedical information be saved in a database? Die Antworten der Studienpopulation spiegeln in schwarzen Balken wider, welche Dauer die Befragten für eine Aufbewahrung vertraulicher Biobankinformationen präferieren. Das Balkendiagramm zeigt die Mittelwerte in Prozentzahlen unter Berücksichtigung der Standardabweichung.
4. Governance-Konzepte einer personalisierten Medizin Abschließend wurden künftige Governance-Konzepte der personalisierten Medizin thematisiert. Zum einen war nach medizinrechtlichen Rahmenbedingungen (a), zum anderen nach bildungspolitischen Ansätzen (b) und zu etablierenden „safeguards“ (c) gefragt. a) Rahmenbedingungen Zunächst beleuchtete der Questionnaire den Forschungszweck der personalisierten Untersuchungen. Eine Differenzierung zwischen wissenschaft lichem und wirtschaftlichem Forschungszweck war den Studienteilnehmern ein zentrales Anliegen (52,2 % – „definitely yes“). Gleichzeitig unterstrichen die Studienteilnehmer die Notwendigkeit einer liberalen Ausgestaltung der rechtlichen Voraussetzungen (45,2 % – „definitely yes“). Für streng regulatorische Regelwerke sprachen sich 31,9 % der Teilnehmer aus. Im Besonderen wurde konstatiert (52,2 % – „definitely yes“), dass rechtliche Strukturen die Arzt-Patienten-Beziehung unterstützen und die gegenseitige Vertrauensbeziehung stärken sollten.
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey)339 60 differentiate between academic and commercial research provide liberal and basic background guidance
Nu m b e r o f p a rticip a n ts in %
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foster interaction between doctors and patients be accompanied by ethics commissions provide strong frameworks and principles
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Abb. 18: Laws and regulations of personalized medicine, gene diagnostics and biobanks should … Die Teilnehmer waren gehalten, innerhalb eines Polaritätsprofils mit fünf abgestuften Bewertungseinheiten von „definitely yes“ bis „definitely not“ zu bestimmen, welche Anforderungen sie an medizinrechtliche Rahmenbedingungen stellen. Hinsichtlich der Kategorien „differentiate between academic and commercial reserach“ (graue Linie), „provide liberal and basic background guidance“ (schwarze Linie), „foster interaction between doctors and patients“ (grau gestrichelte Linie), „be accompanied by ethics commissions“ (schwarz gestrichelte Linie) sowie „provide strong frameworks and principles“ (eng gestrichelte Linie) sollten die Adressaten ihren persönlichen Standpunkt wiedergeben. Im Schaubild gezeigt sind die Mittelwerte in Prozentzahlen unter Berücksichtigung der Standardabweichung.
b) Bildungspolitischer Ansatz Zudem ist die gesellschaftspolitische Aufklärung der Bevölkerung von Bedeutung. Auf die Frage, welche bildungspolitischen Maßnahmen hierbei angemessen erscheinen, wählten 26,9 % der Studienpopulation eine Aufklärung durch Ärzte. 23,5 % der Befragten betonten eine bildungspolitische Einbindung der Medien. Auch die Information über das Internet sahen 15,5 % als sinnvolle Maßnahme an. Eine personalisierte Aufklärung solle dabei bereits in möglichst frühem Alter einsetzen: „On your question ‚so ciety should be better educated by …‘ the options should include: schools, colleges and universities, and medical schools.“
340
5. Teil: Ergebnisse Education via
Nu m b e r o f p a rtic ip a n ts in %
40 30 20 10
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Abb. 19: Society could be better educated and prepared for personalized medicine and genetic innovations by … Die Antworten der Studienpopulation spiegeln in schwarzen Balken wider, welche bildungspolitischen Maßnahmen die Teilnehmer für sinnvoll erachteten. Das Balkendiagramm zeigt die Mittelwerte in Prozentzahlen unter Berücksichtigung der Standardabweichung. Mehrfachantworten waren möglich.
c) „Safeguards“ einer personalisierten Medizin Trotz des starren Designs einer Online-Umfrage wurden auch persönliche Meinungen, Anregungen und Erfahrungen der Studienteilnehmer einbezogen. In zwei offen gestalteten Freitextfeldern wurde nach sog. „safeguards“ gefragt, die Governance-Konzepte der personalisierten Medizin und der Biobanken unterstützen könnten. Die folgenden Ausführungen greifen die wichtigsten Tendenzen auf. „Legal liabiility. Disclosure and data safeguarding obligations upon all health care professionals with access to individualized genetic information. Professional licensure suspension or loss as a regulatory agency sanction for intentional or repeated violations.“
Besonders wichtig erschien den Befragten die Vermeidung des Datenaustausches mit Versicherungsunternehmen („complete prohibition of sharing with insurance companies“; „laws to keep insurance companies away from this information either directly or indirectly“; „the information should never be used against you when applying for insurance or employment“; „not allowing insurance companies to use the information to deny you coverage or increase your payments, or employers to not hire you or fire you or not promote you, or any one to discriminate against you in any way“).
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey)341
40,2 % der Experten bewerteten die Einrichtung von Ethikkommissionen („ethic boards“) als bedeutend, um eine individuelle Beurteilung im Einzelfall vornehmen zu können („individual ethical considerations“). 5,4 % der Befragten sprachen sich gegen eine Einberufung von Ethikkommissionen aus („no need for ethic panels!“). Ein zentrales Anliegen war für 58,3 % der Interviewteilnehmer der sog. „informed consent“. Hohe Erwartungen wurden an eine umfassende Aufklärung und Einwilligung des Patienten gestellt (z. B. „proper counseling of the meaning of the information“, „explanation of implications, written guidance“). Nach Meinung der Befragten müssen Patienten dabei auf die bestehenden Unsicherheiten und das derzeit fehlende Fachwissen hinsichtlich des genomischen Informationsgehalts hingewiesen werden („Full disclosure to patients that complete privacy for genomic data is not realistic“). „Clear, thorough, and plain language consent instruments that include (1) conditions under which disclosure to third parties may occur, (2) possibility of acquiring information outside of the intended purpose (i. e., unanticipated findings, misattributed paternity, etc.), (3) opt-in to receive clinically relevant unanticipated findings, and (4) process and procedure should a privacy breach occur.“
Die Notwendigkeit der medizinischen Aus- und Fortbildung der Ärzteschaft wurde betont und zugleich ein umsichtiger Umgang mit Zufallsbefunden gefordert. 10,2 % der Teilnehmer unterstrichen die Bedeutung eines Veto-Rechts hinsichtlich erteilter Einwilligungen („Patient reserves the right to veto access – at any time“; „disclosure rights solely to the patient“). Darüber hinaus äußerten 3,4 % der Befragten den Wunsch nach einer für den Datenschutz und die Aufklärung zuständigen Berufsgruppe („well-train ed genetic counselors“; „genetic consenters“). d) „Safeguards“ eines Biobankgeheimnisses Abschließend konnten die Befragten Konzepte zur Etablierung eines Biobankgeheimnisses einbringen. 25,5 % der Teilnehmer argumentierten für eine Verschlüsselung der Daten („appropriate computational security, en cryption, 2-factor authentication“; „use of pseudonyms so there is no chance of individual data being released“; „coded so data cannot be traced back to person if requested, personal consent for access to patient data“): „[…] have information encrypted so that it is not directly identifiable to a particular patient – except to the medical doctor who can guide direct therapeutics and care when relevant. Strict guidelines and safe guards to prevent information from getting into the wrong hands; information should be protected from insurance companies who may use information to deny services.“
12,7 % der Experten forderten strenge Zugangskontrollen für Biobanken („use of coded IDs to protect privacy“; „fingerprint scans or eye scans for
342
5. Teil: Ergebnisse
access to information“; „access should be linked to certain requirements and competency assurances – similar to human subjects research training“). Insgesamt betonte die Mehrheit der Studienteilnehmer abermals die Bedeutung des informed consent („umfassende Aufklärung durch Broschüren und dergleichen“; „persönliches Aufklärungsgespräch durch Arzt“; „record for what research the samples were used“; „making sure that patients are aware of use of genetic testing for clinical and research purposed through informed consent“; „informed consent, with careful attention to the „in formed“).
C. Zusammenfassung der Studie Die interdisziplinäre Befragung dieser Arbeit zeigt, dass der Wandel einer sich personalisierenden Medizin mit einer zunehmenden wissenschaftlichen Akzeptanz einhergeht. So würden sich 35,3 % der medizinrechtlichen Stu dienteilnehmer einer Genotypisierung klinisch relevanter Genomabschnitte unterziehen. Demgegenüber lehnten 26,5 % der Befragten eine Gesamt sequenzierung des Genoms ab. Ein besonderes Screeninginteresse zeigte sich hinsichtlich prädiktiver Daten, die von therapeutischer Relevanz für den weiteren Behandlungsverlauf sind. Zugleich betonte die Teilnehmerschaft die zentrale Bedeutung der Arzt-Patienten-Beziehung: 37,3 % der Studienteilnehmer wünschen sich ein persönliches Aufklärungsgespräch mit einem Arzt, um gendiagnostische Befunde zu besprechen. Eine automatisierte Information einer Biobank – ohne den persönlichen Kontakt zu einer Vertrauensperson – lehnten hingegen 40,2 % der Befragten ab. Einen zweiten Schwerpunkt der Studie stellten Governance-Konzepte eines Biobankgeheimnisses dar. Die Mehrheit der Studienteilnehmer befürwortete die Speicherung von Blutproben (31,3 % „definitely yes“ – 35,3 % „probably yes“), Operationsmaterialien (32,4 % „definitely yes“ – 33,3 % „probably yes“), klinischen Studiendaten (27,4 % „definitely yes“ – 36,8 % „probably yes“) und verwandtschaftlichen Informationen (25,5 % „definitely yes“ – 23,0 % „probably yes“) in einer Biobank. Der Aufbewahrung des persönlichen Arztbriefes widersprachen 31,4 % (31,4 % „definitely not“ – 24,0 % „probably not“). Besonders deutlich wurde das Anliegen der Befragten, Biobanken in diagnostischem und forschungsspezifischem Kontext zu unterscheiden. Die Ergebnisse zeigen schließlich, dass der Zugang zu sensiblen Gesundheitsdaten auf das behandelnde sowie forschende Medizinpersonal zu beschränken und eine Zugriffsmöglichkeit Dritter (z. B. Versicherungen) auf persönliche Gesundheitsdaten einzudämmen ist. Hervorgehoben wurde
§ 11 Studie (Interdisciplinary Survey)343
schließlich die Bedeutung des „informed consent“: „Again very clear consent instruments that ensure participants understand how long their data will be stored, how it will be stored, where it will be stored, who will have access, and the purpose for creating and maintaining the biobank.“ Abschließend ist also festzustellen, dass die vorgestellte, interdisziplinäre Studie die Besonderheit genetischer Information aufzeigt. Die Ergebnisse verdeutlichen die Notwendigkeit, ein ausdifferenziertes und entbürokratisierendes Governance Konzept für unterschiedliche Stufen genetischer und epigenetischer Datenkombinationen zu entwickeln.
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Sachwortverzeichnis Acetylierung 44, 46 Achtung des Privat- und Familienlebens 147, 148, 173 Agreement 236, 251, 252, 254 Aktivierung 46, 73, 116, 176, 209 Aktivitätskomplex 259 Algorithmus 253 Allgemeine Persönlichkeitsrecht 30, 100, 101, 104 –106, 108, 109, 114, 120, 140, 143, 144 Amerika 58, 190, 322, 331 Aneuploidie 55 Angeborene Stoffwechselstörung 60 Anonymisierte Daten 134 Anti-Diskriminierung 154 Array-DNS-Hybridisierung 52 Ärztliche Anweisung 193 Aufklärung 28, 29, 32, 110, 117, 159, 160, 163, 166, 168, 177, 182, 183, 187, 188, 193, 215, 220, 234, 235, 242, 243, 252, 261, 262, 275, 279, 280, 285, 300, 302, 316, 339, 341, 342 Ausprägung 30, 43, 46, 75, 92, 104 –106, 108, 110, 111, 117, 121, 242, 248, 294 Ausstrahlungswirkung 128, 211, 215 Autosomal dominante Hypercholesterinämie 60 Basenaustausch 39 Beauftragtenstruktur 304 Behandlungsrelevanz 69, 97, 215–217, 228, 230 –232, 243, 244, 251, 315, 316, 328, 329, 333 Belastung 27, 62, 65, 119, 179, 210, 223, 263, 283 Benefit sharing 252
Beratung 28, 65, 66, 70, 79, 163, 167, 169, 183–185, 187, 193, 194, 204, 209, 211, 213, 215, 219–221, 223, 314, 334 Berichtskultur 306, 307 Besonderheit 26, 30, 36, 84 – 86, 89, 94, 139, 175–177, 192, 243, 247, 256, 258, 311, 314, 316, 343 Bestimmtheit 283, 284 Bildungspolitischer Ansatz 339 Biobanken 29, 256 –261, 263, 264, 269–271, 273, 276, 277, 287–290, 293–297, 303–305, 308, 317, 319, 335, 336, 340–342 Biobankgeheimnis 29, 33, 293, 294, 302 Biobook 236, 248, 249, Biomarker 25, 50, 78 Biomedizinkonvention 31, 146, 160, 162–166, 168, 170, 172, 173, 311, 312, 313 BRCA 64, 221, 235 Broad consent 287 Buch des Lebens 25, 74 Bundesgesetz über genetische Unter suchungen beim Menschen 188 CADASIL 58, 59, 196, 202, 315 Charta der Grundrechte der Euro päischen Union 31, 156, 312 Chorea Huntington 27, 42, 56, 57, 59, 69, 82, 97, 197, 210, 218, 226 Chromosomenaberration 48 Cloud computing 79, 104 Code de la santé publique 189, 192 Consumer Driven Age 78, 310 Coping 83, 153
Sachwortverzeichnis Datenbank 40, 45, 145, 249, 258, 259, 277, 285, 306, 324, 337 Datenschutz 94, 104, 139, 140, 265, 272, 276, 281–283, 293, 305, 309, 321, 341 Datenschutzinteresse 139 Datensicherung 28, 304 Datenverarbeitung 123, 124, 129, 130, 135, 136 –140, 197, 269, 274, 279, 283, 296, 305, 318 Determinismus 87, 92 Diabetes 61, 62, 71, 81, 217, 332 Diagnostik 30, 35, 47, 53, 59, 65, 66, 69 –71, 78, 81–83, 90, 91, 140, 144, 145, 182, 184, 194, 205, 213, 219, 224, 227, 230, 231, 244, 248, 256, 290, 310, 317 Diagnostische genetische Untersuchung 181 Differenzierung 99, 101, 108, 227 Differenzierungspflicht 301 Dimension 87, 89, 96, 100, 109–111, 114, 117, 118, 145, 175, 201, 219, 290, 301, 311, 315 Diskriminierung 28, 29, 86, 91, 94, 95, 117, 147, 149 –154, 158, 159, 161, 163, 166, 168, 177, 178, 188, 191, 192, 311–313 Diskriminierungsverbot 31, 149, 150, 154, 161, 162, 313 Disposition 26, 27, 29, 44, 48, 53, 56, 63, 75, 81, 82, 84, 88, 95, 110 –113, 119 –121, 128, 141, 144, 179, 181, 196 –198, 201, 202, 205, 206, 210, 212, 214, 215, 217, 221, 228, 230, 242, 260, 310 –312, 315, 316 DNS 29, 34 –38, 40, 41, 44 –52, 66, 67, 92, 93, 122, 132, 133, 199, 256, 258, 318 DNS-Polymerase 50 Down-Syndrom 56 Drittbezug 26, 27, 32, 54, 55, 184, 185, 196, 310, 314 Drittinformationsinteressen 170, 196, 313
385
Drittwirkung 30, 82, 83, 126, 127, 177, 211 Dynamic consent 298 Einwilligung 28, 120, 138, 140, 159, 160, 163, 166, 177, 182–185, 192, 210, 231, 233, 239, 241–243, 249, 250, 252, 254, 257, 261–263, 271–273, 275, 278 –286, 292, 297, 299, 300, 301, 309, 312, 313, 316 –318, 341 Einzelfall 27, 98, 102, 105, 106, 118, 129, 134, 138, 144, 159, 168, 169, 171, 189, 199, 204, 209, 210, 212, 213, 215, 222, 244, 275, 303, 307, 315, 316, 318, 341 Empfehlung 31, 32, 185, 187, 192, 194, 196, 204, 205, 215, 217, 223, 231, 232, 314, 315 Empowerment 177, 231 Entfaltung 100, 109, 110, 113, 123, 140, 159, 176, 197, 202 Entscheidungsautonomie 204, 207, 278, 281 Epigenetik 45, 46, 73 Erbinformation 30, 35, 289 Erbkrankheit 81, 89, 97, 155, 169, 228 Erkenntnis 27, 42, 110, 252 Ethik-Boom 245 Ethikkommission 236, 244, 245 –247, 255, 263, 341 Europäische Menschenrechtskonvention 146, 156 Exklusivität 88, 125 Expressivität 42, 43, 62, 70 Exzeptionalität 28, 30, 85, 87, 88, 93, 95 Feinjustierung 216, 217, 232, 315 Forschungsfreiheit 159, 276, 287, 294, 304, 313 Fragebogen 310, 320 –322, 324, 326 Frankreich 189 Freiheit 109, 116, 126, 128, 129, 141, 142, 146, 156, 172
386 Sachwortverzeichnis Freiwilligkeit 94, 117, 182, 184, 231, 279, 280 Fremdbestimmung 121, 280 Gap 81 Garantenstellung 244 Gattungswesen 34 Geheimhaltung 107, 173, 184, 195 Genaktivität 42 Genanalyse 26, 86, 185–187, 193, 199, 202, 213 Gendiagnostik 27, 30, 48, 54, 64, 66, 74, 75, 77, 79, 81, 82, 86, 87, 90, 91, 95, 117, 119, 126, 128, 143, 144, 165, 180, 193, 196, 218, 224, 240, 241, 244, 245 –248, 255, 296, 310, 319, 326, 328 Gendiagnostikgesetz 28, 29, 31–33, 53, 54, 94, 97, 172, 175 –177, 179 –181, 184 –186, 188, 192, 194 –197, 217, 220, 223, 224, 248, 257, 311, 314 Gendiagnostik-Kommission 180, 193, 218, 224, 246, 247 Genetik 49, 92, 97, 187, 220, 221 Genetisch bedingte Tumorerkrankungen 63 Genetische Postnataldiagnostik 68 Genetische Prädiktivdiagnostik 69 Genetische Präimplantationsdiagnostik 66 Genetische Präkonzeptionsdiagnostik 65 Genetische Pränataldiagnostik 66 Genetischer Determinismus 92 Genetisierung 83, 290 Genexpression 43 Gen-informationelle Selbstbestimmung 31, 122 Genlocus 47 Genmedizin 34, 74, 164, 175 Gen-medizinisches Material 335 Genmutation 47, 64 Genom 37, 41, 49, 69, 84, 92, 93, 111, 113, 150, 163, 212, 217, 260, 293, 310, 329
Genomforschung 84 Genotyp 39, 47, 51, 70, 92 Genproduktanalysen 49, 52, 54 Gentechnikgesetz 186, 187, 192 Gesetzgebungskompetenz 264, 287, 288, 290 Gesunde Kranke 27, 80 Gesundheitsdaten 28, 30, 83– 85, 87– 89, 94, 108, 131, 135, 167, 177, 281, 287, 332, 342 Global consent 299 Governance 29, 33, 278, 287, 290 –292, 299, 300, 305, 308, 309, 318, 319, 335, 338, 340, 342, 343 Governance-Perspektive 287, 290 Governance-Struktur 305 Grenze 79, 103, 104, 114, 123, 134, 141, 143, 157, 158, 186, 263, 271, 283, 291, 293, 318 Grundrechtskonflikt 26, 96, 197 HIV-Infizierung 119 Humangenomprojekt 25 Identität 80, 88, 93, 98, 106, 112, 115, 121, 133, 134, 136, 141, 144, 148, 199, 200, 202, 205, 206, 266, 272, 284, 311, 312 Indikation 65, 66, 230, 233, 234 Individualität 36, 101, 107, 108, 109, 162, 197, 206, 311 Individuum 38, 43, 44, 47, 49, 51, 86, 88, 92, 98, 107, 108, 111, 119, 145, 200, 231, 234, 258, 273, 277, 316 Information 26 –30, 32, 36 –38, 44, 45, 52, 69, 71, 74, 76, 78, 80, 82–88, 91, 92, 94, 95, 99, 107, 108, 111, 112, 115, 117–119, 121, 122, 140, 141, 144, 169, 170, 171, 176, 177, 184, 185, 187–192, 196, 200, 203, 207–211, 215, 219, 221, 222, 227, 230, 232, 233, 241, 243, 244, 247, 255, 256, 258, 261, 288, 290, 291, 293, 298, 300, 302, 311, 314, 316, 317, 319, 320, 324, 333–343
Sachwortverzeichnis387 Informationelle Selbstbestimmung 28 –31, 95, 102, 107, 122, 125, 126, 129, 130, 131, 133, 136, 138, 141–144, 177, 178, 185, 198, 204, 205, 215, 255, 256, 277–280, 283, 292, 294 –296, 314, 318 Informationelle Selbstreflexion 233 Informationsinteresse 195, 318, 333 Informationspflicht 26, 189, 190, 192, 211, 297 Informed consent 182, 231, 234, 236, 241, 242, 244, 255, 278, 288, 297, 298, 316, 317, 341, 342, 343 In-situ-Hybridisierung 49 Instrument 182, 231, 241, 305, 307, 309 Integrität 99, 104 –106, 148, 182, 228, 312 Interaktionelle Diskriminierung 152 Interessengeflecht 27, 97, 292 Internet of Things 104 Konflikt 26, 119, 120, 139, 195, 207, 209, 211, 227, 229, 230, 277, 285, 311, 313 Konfliktauflösung 209 Konformität 196, 215 Kontextualisierung 185 Krankheitsdiagnose 27, 53 Leben 26, 97, 98, 109, 113 –115, 142, 147, 158, 192, 212, 213, 215, 230, 231, 241, 312 Lebenssphäre 100, 106, 200 Legitimation 126, 129 Leseraster 40 Letztentscheidungsbefugnis 209, 210 Liberaler Paternalismus 239 Long-QT-Syndrom 58, 205 Macht der Gene 83, 84 Makrosatelliten 41 Mammakarzinom 63 Margin-of-appreciation-Doktrin 173 Medizinkompetenz 242
Menschenwürde 31, 94, 137, 142, 145, 150, 158, 163, 178, 188, 262 Merkmal 75, 116, 132 Methylierung 44, 46 Mikro-Array Technologie 51 Mikrosatelliten 41, 42 Minisatelliten 41 Molekulargenetische Analyse 48 Monogen bedingte Krankheit 56 Multifaktoriell bedingte Stoffwechsel störungen 61 Mutation 47, 51, 57, 58, 63, 152, 221 Netzwerktheorie 42 Neugeborenen-Screening 54 Non-Direktivität 204 Nukleotidsequenz 40, 44, 50 Ökonomisierung 219, 247, 299 Onkogen 63 Online-Durchsuchung 103, 104 Opt out 240, 241 Organisationale Diskriminierung 151 Österreich 186 Paradigmenwechsel 30, 31, 78 Paternalismus 235, 236, 238 –241 PCR 51 Penetranz 42, 56, 61, 62, 70 Personalisierte Medizin 27, 41, 76 –79, 81, 252, 256, 310, 317, 319 Personenbezogene Daten 105, 131, 133, 136, 160, 198, 199, 207, 231, 266, 271, 272, 284, 296, 313 Personengebundene Merkmale 161, 313 Phänotyp 38, 39, 42, 44, 47, 57, 70, 75, 92, 254 Pharmakogenetik 72 Phenylketonurie 53, 59 Phosphorylierung 44 Polyploidie 56 Postgenomik 74, 75 Postmoderne 76 Prädiktive genetische Untersuchung 90
388 Sachwortverzeichnis Präimplantationsdiagnostik 65, 66 Präventivmedizin 78, 79, 81, 233, 235, 310 Pretest 322 Profil 325 Prognose 56, 64, 68, 80, 135 Prozess 92, 98, 111, 153, 221, 235, 303 Pseudonymisierte Daten 159 Pseudonymisierung 272, 300, 301 Public good 294 Qualifikationsanforderung 220, 221 Qualitätsmanagementsystem 304 Qualitätssicherung 28, 235, 252, 293, 302, 303, 308, 309 Rahmenbedingung 29, 95, 97, 114, 172, 221, 256, 260, 299, 319 Reanonymisierung 134, 135 Recht auf Identitätsfindung 108, 122 Recht auf Nichtwissen 112–115, 117, 118, 120, 121, 170, 183, 185, 189, 202, 205, 208, 209, 214, 312, 313 Recht auf Wissen 32, 108, 113, 115, 118, 120, 121, 163, 166, 182, 197, 199, 203, 205, 210, 311, 312, 315 Rechtscharakter 164 Rechtsdogmatische Rekonstruktion 204 Rechtsstaatlichkeit 146, 156, 172 Rechtsvergleich 186, 192 Reflexion 30, 32 Regelungselement 278, 287 Regelungsgegenstände 180, 224 –226 Regelungsrahmen 260 Registerstruktur 307 Reliabilität 71 Risikofaktor 32, 65, 72, 81, 235 Rückschlüsse 45, 47, 118, 128, 142, 178, 179, 196, 199, 272, 284 Safeguards 338, 340, 341 Schriftlichkeit 282 Schutzdimension 99, 147, 157, 165 Schutzgehalt 101
Schutzpflicht 98, 197, 204, 205, 210, 211 Schutzpflichtdimension 126, 157 Schweigepflicht 26, 184, 189, 193, 213, 231, 249, 295, 318 Schweiz 188 Selbstbestimmung 28 –31, 95, 99, 103, 104, 106, 107, 122, 123, 125, 126, 129–131, 133, 136, 138, 141–144, 148, 177, 178, 185, 191, 197, 198, 202, 204, 205, 208, 215, 239, 248, 255, 256, 270, 277–283, 286, 292, 294 –296, 311, 312, 314, 318, 319 Selbstreflexion 111, 233, 234 Selbstverständnis 85, 110 –112, 116, 145, 201, 244, 251, 311 Sensible Daten 184 Sequenzwiederholung 39 Sicherungsinstrument 283 Skala 325 Sonderstellung 85 –88, 90 Spannungsverhältnis 33, 255 Speicherung 122, 123, 130, 137, 197, 249, 252, 254, 288, 335, 336, 341 Speicherungsdauer 324, 337 Spenderinteressen 252, 293, 294, 307 Spit kit 72 Stand von Wissenschaft und Technik 186 Standard 129, 223, 305 Statistische Analyse 326 Status genetischer Information 85 Stoffwechselstörung 26, 60 Supervision 236, 244 Survey 319, 320, 324 Survivor 80 Teilnehmer 76, 320 –324, 326 –329, 331, 333–341 Transkription 35, 38, 43 Translation 35, 38, 41, 43 Transparenz 247, 252, 270, 274, 283, 293, 305, 307, 308 Triplett 35, 36, 57
Sachwortverzeichnis389 Trisomie 21 56, 224 Tumorerkrankung 48, 63 Tumorsuppressorgene 63
Wahrscheinlichkeit 27, 40, 42, 57, 63–65, 67, 75, 79, 80, 179, 198, 213, 214, 225
UNESCO 86, 87, 93, 150, 260 UNESCO-Deklaration 260 Unversehrtheit 98, 109, 158, 159, 215, 223, 313
Wandel 27, 29, 30, 74, 76, 79, 118, 145, 196, 233, 241, 242, 244, 255, 273, 317, 342
Variabilität 35–37, 39, 61, 62, 75 Veränderung 37–39, 44, 45, 47, 55, 57, 58, 65– 67, 75, 163, 186, 288, 294, 303 Verarbeitung 74, 107, 108, 122, 125, 132, 133, 136, 143, 144, 265 –276, 278–284, 296, 304, 307 Verbot 94, 140, 147, 158, 159, 168, 178, 185, 199, 226, 275, 296, 313 Verfassungsprinzip 174 Vernichtung 184, 243, 254, 296, 317 Verschwiegenheitsinteresse 26, 31, 122, 139, 144, 170, 176, 196, 201–203, 209, 211, 218, 231, 232, 270, 276, 292, 313 Vertypung 102 Verwendung 32, 41, 74, 107, 122–124, 130, 131, 137, 139, 164, 177, 188, 197, 216, 243, 252, 257, 258, 261, 264, 275, 279, 280, 285, 286, 298, 301, 302, 306, 309, 317, 320, 326 Verwendungszusammenhang 136, 138, 199, 281 Vielschichtigkeit 45, 46 Vorhersage 64, 68, 163
Wahrscheinlichkeitsprognose 83, 253
Weitergabe 37, 45, 84, 106, 108, 122, 123, 130, 137, 139, 140, 142, 185, 189, 197, 210, 250, 305, 306 Weitergabeempfehlung 209 Werte 76, 141, 154, 156, 325 Whole-exome Sequencing 51 Whole-genome Sequencing 51 Widerspruchslösung 241 Willensbekundung 279, 280, 281 Wissensasymmetrie 223 Wissensbalance 175, 202, 211 Wissenschaft 163, 183, 186, 193, 206, 225, 226, 230, 233, 239, 246, 247, 276, 277, 282, 298, 316, 319 Zellteilung 34, 36, 37, 41, 56, 63 Zertifizierungskultur 303 Zugriff 29, 45, 199, 248, 249, 266, 291, 296, 336 Zusammenfassung 310, 342 Zusatzprotokoll 31, 167, 168, 171, 172, 173, 313 Zytogenetische Analyse 48