Der Wald in der deutschen Dichtung [Reprint 2019 ed.] 9783111556697, 9783111186306

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German Pages 127 [136] Year 1936

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einleitung
1. Kapitel. Vorgeschichte
2. Kapitel. Achtzehntes Jahrhundert
3. Kapitel. Volksmärchen
4. Kapitel. Tieck
5. Kapitel. Eichendorff
6. Kapitel. Romantische Walddichtung
7. Kapitel. Realistische Walddichtung
Verzeichnis der Texte
Namenverzeichnis
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Der Wald in der deutschen Dichtung [Reprint 2019 ed.]
 9783111556697, 9783111186306

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STOFF- UND MOTIVGE SCHICHTE DER DEUTSCHEN LITERATUR

STOFF- UND MOTIVGESCHICHTE DER DEUTSCHEN LITERATUR HERAUSGEGEBEN VON

PAUL MERKER UND GERHARD LÜDTKE

WOLFGANG

BAUMGART

DER WALD IN DER DEUTSCHEN DICHTUNG

1936

WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G.J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — T. GUTTENTAG, VERLAGS. BUCHHANDLUNG — GEORG REIMER - KARL J. TRUBNER - VEIT & COMP.

BERLIN U N D

LEIPZIG

DER WALD IN DER

DEUTSCHEN DICHTUNG VON

WOLFGANG BAUMGART

1936

WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG - J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG - GEORG REIMER - KARL J. TRÜBNER - VEIT & COMP.

BERLIN UND LEIPZIG

Archiv-Nr. 24 ox 35 Druck yon Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 Printed in Germany

MEINER MUTTER UND DEM ANDENKEN MEINES VATERS

Vorwort. Das Wesen der Dichtung eines Volkes ist stets mitbestimmt von der Natur des Bodens, auf dem sie wächst. Die vorliegende Arbeit bemüht sich, für die deutsche Dichtung Maß und Formen dieses Einflusses von einer einzelnen landschaftlichen Erscheinung her festzustellen. Dazu wurde der Wald gewählt, ein landschaftliches Urelement unserer heimatlichen Erde, das durch Jahrhunderte hindurch für das Gesicht der deutschen Landschaft entscheidend gewesen ist. Die historischen Gegebenheiten setzen uns innerhalb dieses Rahmens die weiteren Aufgaben, literargeschichtlich die Nachwirkung des Volksmärchens auf die Kunstdichtung der Deutschen in ihrer Tiefe und Nachhaltigkeit wenigstens auf diesem Teilgebiete sichtbar zu machen, methodisch zu einer gründlicheren Erfassung der Bedeutung des Stoffs für das dichterische Werk beizutragen.

Inhalt. Seite

Vorwort

VII

Einleitung

i

1. Kapitel. V o r g e s c h i c h t e Antike Bukolik — Deutsch bestimmte Formen — Künstliche Gartenlandschaft.

6

2. Kapitel. A c h t z e h n t e s J a h r h u n d e r t Brockes — Anakreontik — Klopstock — Klopstocks Nachfolger — Sturm und Drang — Trivialromane — Zusammenfassung — Die Klassik.

15

3. Kapitel. V o l k s m ä r c h e n 33 Zauberreiche des Märchens — Wald in südamerikanischen Märchen — Die »Welt«-Form — Das äußere Bild und der innere Sinn des Märchenwaldes — Probeanalysen, nach den Kompositionsformen — Wielands Oberon. 4. Kapitel. T i e c k Die Quellen — Frühe Nachbildungen von Kunstdichtungsformen — Der Blonde Eckbert und das Volksmärchen — Naturstimmung im romantischen Walde — Waldinhalte — Die »Welt «-Form.

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5. Kapitel. E i c h e n d o r f f 65 Die »Welt «-Form bei Tieck und Eichendorff — Literarische Quellen — Das Volkslied — Biographische Quellen — Das Wandern — »Welt« und Gegenwelt — Die Inhalte und ihre Einheit als »Welt« — Probeanalyse. 6. Kapitel. R o m a n t i s c h e W a l d d i c h t u n g 79 Grenzen der Epoche — Sachlicher Überblick — Schilderungsformen — Waldinhalte — Walddichter im engeren Sinne — Romantiker, Pseudoromantiker und Epigonen — Wald im romantischen Kunstmärchen — Wald in den Dichtungen der romantischen Musik. 7. Kapitel. R e a l i s t i s c h e W a l d d i c h t u n g 100 Prinzipien und Vorgeschichte des Realismus — Stifter — Ludwig und Keller — Meyer, Scheffel und Raabe — Storm — Die Romanschreiber — Impressionismus und Heimatdichtung. Schluß

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Verzeichnis der Texte

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Namenverzeichnis

126

Einleitung. Die deutsche Landschaft ist erst verhältnismäßig spät in den Stoffkreis deutscher Dichtung getreten. Zwar waren einzelne Erscheinungen der Natur wie Bäume, Blumen, Vögel von jeher geläufige Hilfsmittel der Dichter. Eigentliches Landschaftsempfinden aber gibt es erst seit dem achtzehnten Jahrhundert. Und die einzelnen Landschaftsformen wie Meer oder Gebirge haben dabei wieder ihre eigene Geschichte, die sich keineswegs mit der Geschichte des Landschaftsgefuhls überhaupt zu decken braucht. Diese Tatsache berechtigt zur Herauslösung solcher einzelnen Formen aus der allgemeinen Geschichte des Landschafts- oder Naturgefiihls zu gesonderter historischer Betrachtung. Eine solche Einzeluntersuchung verdient vor allem — wegen seiner hervorragenden Bedeutung für die deutsche Dichtung — der Wald. Die Form einer Arbeit über den Wald in der deutschen Dichtung muß selbstverständlich stoffgeschichtlich sein. Aber die Natur des Stoffes, den wir untersuchen wollen, macht einige prinzipielle Vorbemerkungen nötig. Der Wald als dichterischer Stoff ist nämlich etwas grundsätzlich anderes als etwa eine historische oder mythische Gestalt samt ihrer Geschichte (Stoff) oder ein dichterisches Handlungselement (Motiv), er ist kein Handlungsstoff, sondern ein elementarer Naturstoff. Dieser Unterschied bedingt eine entsprechende Verschiedenheit in der stoffgeschichtlichen Untersuchungsweise. Bei der stoffgeschichtlichen Prüfung von Handlungsstoffen ist das Thema, dessen Variationen man im Ablaufe geschichtlicher Wiederholung betrachten will, von vornherein fest ins Auge zu fassen. Nicht so beim Walde! Während beispielsweise die Themen »Siegfried« (Stoff) oder »Drachenkampf« (Motiv) fest umrissen, nämlich dichterisch geformt sind, ist »Wald« gänzlich unbestimmt, ungeformter Stoff. Die motivgeschichtlichen Untersuchungen sind durch begriffliche Eindeutigkeit und Umgrenztheit der Identität ihres Themas versichert, den gewöhnlichen stoffgeschichtlichen, die die Geschichte von Neuformungen behandeln, bietet der Weg der historischen Uberlieferung, auf dem der Stoff in die Hände B a u m g a r t , D. Wald i. d. dt. Dichtg.

1

2

EINLEITUNG

der Neubearbeiter gelangt, die Gewähr für seine Identität. Beim Walde ist jedoch der Stoff jedem Bearbeiter stets neu auf dem Wege eigenen Erlebnisses gegeben, d. h. im Grunde, stets ein neuer, mit dem vorbehandelten nicht mehr notwendig identischer Stoff. Nun sind freilich die Grenzen, innerhalb derer sich die Verschiedenheit des Walderlebens bewegen kann, recht eng. Zudem ist der Weg eigenen Erlebens j a nicht die einzige Form, den Stoff zu empfangen. J a , bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein ist geradezu das Gegenteil der Fall; d. h. die Dichter bedienen sich, auch was den Wald angeht, traditioneller Formen. Nachher, also seit Brockes, vereinigen sich beide Wege, des eigenen Erlebens und der Tradition (nicht mehr nur in Übernahme des Traditionellen, sondern auch in Stellungnahme dazu); das Schwergewicht liegt bald auf dem einen, bald auf dem andern: so hebt sich z. B. bei Brockes mehr die tatsächliche, bei Klopstock die literarische Erfahrung hervor. Die stoffgeschichtliche Form der Untersuchung ist also nicht völlig ausgeschlossen, sondern es ist nur eine besondere Abart dieser Form in Anwendung zu bringen, die den Unterschied des realen Erlebnisses, das der dichterischen Gestaltung zugrunde liegt, gegebenenfalls zu berücksichtigen hat. (Handelte es sich nicht darum, den Wald im allgemeinen, sondern nur eine bestimmte Formung des Waldes, etwa »Schäferwald« oder »Märchenwald«, in ihrer geschichtlichen Wiederkehr zu untersuchen, so wäre allerdings mit dem fest umrissenen, nur auf dem Wege der Tradition erwerbbaren Stoffe wieder die gewöhnliche Betrachtungsweise die geeignete.) Der Wesensunterschied zwischen ungeformtem und geformtem Stoffe macht auch eine andere Bewertung der einzelnen Etappen des geschichtlichen Weges notwendig. Bei der Geschichte eines geformten Stoffes ist jedes Vorkommen des in Frage stehenden Themas gleichberechtigtes Glied einer Kette, und jedes dieser Glieder ist mit gleichem, gleichmäßig fortschreitendem Interesse zu betrachten. Der Rang der einzelnen Neuwendungen innerhalb des geschichtlichen Ablaufs ist von ihrer dichterischen Qualität bestimmt. Die Bewertung der Formungen eines an sich ungeformten Stoffes aber geschieht nach dem Maßstabe der höchsten erreichbaren Formung; zunächst ohne Ansehen der dichterischen Bedeutung im einzelnen. So stehen nach der Bedeutung ihrer Waldgestaltung etwa der dichterisch recht unbedeutende Karl Mayer über Lenau oder die höchst fragwürdigen Trivialromane vom Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts über Hölderlin. Es entspricht den Gegebenheiten der Geschichte des Landschaftsgefühls in Deutschland, daß innerhalb der verschiedenen Rangordnung der einzelnen Stufen für unser Thema eine Entwicklung festzustellen ist, eine bis fast zum Schlüsse hin zunehmende Steigerung der Bedeutung. Diese Entwicklung haben wir zu verfolgen

EINLEITUNG

3

bis zu dem Punkte, an dem alle bis heute erschienenen Formen der Waldgestaltung in die deutsche Dichtung eingeführt sind. Ein weiterer Grund für die Abweichung vom gewöhnlichen stoffgeschichtlichen Wege ist, daß bei jedem andern geformten Stoffe vorausgesetzt werden darf, daß der Neubearbeiter das Thema bewußt neu gestaltet, daß in unserm Falle dagegen der Wald, der, wie natürlich, mit so unvergleichlicher Häufigkeit in der deutschen Dichtung erscheint, nicht jedesmal in besonderem und hervorgehobenem Sinne »gestaltet« ist. Da aber nur die bewußten Gestaltungen für die Untersuchung wesentlich und nutzbar sind, ist nur nach ihnen der Maßstab für Aufbau und Verteilung genommen und alles nur Zufallige und Gelegentliche (wie z. B, manche bedeutungslose bloße Erwähnung) weggelassen. Der entscheidende Gesichtspunkt nun aber, unter dem wir den Wald als ungeformten Stoff von der Masse der gewöhnlichen stoffgeschichtlichen Themen abheben müssen, ist folgender: Die geformten Stoffe bilden selber Inhalt und Vorwurf der Neuformungen, der Wald im Vergleiche dazu kann niemals ausschließlicher Dichtinhalt sein ohne zum wenigsten ein Mindestmaß menschlichen Bezugs; fehlt das, so bleibt nur noch die dichterische F o r m . Der Wald also in wirklicher Dichtung »kommt nur vor«, auch in seinen höchsten Verwendungsformen. Hierbei ist er — auch wenn man nur die bewußten Gestaltungen des Waldes ins Auge faßt — in verschiedenen Graden für die Dichtung, in der er erscheint, wichtig. Eine gangbare Symbolvergleichung, sie mag noch so bedeutsam sein, ist doch, wenn sie von außen herangeführt wird, weniger wesentlich als irgendeine innerlich dem Inhalte verbundene Verwendung. Demnach sind die verschiedenen möglichen Arten der Verwendung zu beachten und bei der Bewertung der einzelnen Behandlungen in Anschlag zu bringen. Alle diese von den sonstigen Stoffen so stark abweichenden Charakterzüge des Waldes als ungeformten Stoffes nötigen uns zu einer generellen Prüfung seiner Wesensqualität. Aus ihr ergeben sich, wie wir im Laufe der Untersuchung sehen werden, überraschende Folgerungen für die Struktur der Walddichtungen. Was ist also eigentlich Wald? Wir haben eine eindeutige Antwort auf diese Frage vorausgesetzt und den Wald Bestandteil der Landschaft genannt (nach deren Wesen wiederum nicht gefragt werden soll), wie das Gebirge, das Meer oder das bäuerliche Bild von Feldern und Wiesen. Fragen wir weiter, so hat der Wald gegenüber dem letzten mit Meer und Gebirge (in seiner reinen Form, als Steinwelt) die Eigenschaft des von menschlicher Einwirkung unberührten Urelements gemeinsam. Als einziges unter diesen drei (und unter allen) Gliedern der Landschaft ist 1*

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EINLEITUNG

er abgeschlossener Raum. Denn Meer und Gebirge reichen in ihrer dreidimensionalen Räumlichkeit über den Rahmen der Landschaft hinaus! Während der Wald also innerhalb der Landschaft gesehen Teil neben Teilen ist, die zusammen eben diese Landschaft ausmachen, so ist er, fiir sich gesehen, in seiner unter allen Landschaftsteilen einzig ihm eignenden Qualität des abgeschlossenen Raumes, eine — wenn man so will — Landschaft für sich. Er hat also die einzigartige Eigenschaft, je nach dem Standpunkte des Betrachters einmal Teil der Landschaft, ein anderes Mal selber Landschaft zu sein. Welche Bedeutung kann nun der Wald auf Grund seiner natürlichen Eigenschaften in seiner Wirkung auf den Menschen für die Dichtung haben? Als Raum — abgeschlossen oder nicht — ist er der gegebene Schauplatz. Da er aber nicht nur Raum, d. h. leerer Raum, sondern zugleich bereits erfüllter Raum ist, und in dieser Eigenschaft wiederum unendlich (denn er wird Wald erst da, wo seine Grenzen verschwinden), ist er eine eigene Welt. Freilich ist seine Abgeschlossenheit wie seine Unendlichkeit nur Schein; der Wald ist nicht abgeschlossener Raum, nicht unendlich, nicht Welt, aber er wirkt so, er kann so empfunden werden von dem Menschen, der in der Dichtung spricht. Schauplatz und Welt werden also die äußersten möglichen Grenzen der Formen bezeichnen, in denen der Mensch bei seinem stets möglichen Neuerleben den Wald erfaßt, einen Schauplatz oder eine bestimmte Welt zu bedeuten wird also auch unterste und oberste Grenze des Maßes sein, mit dem der Wald an der Dichtung beteiligt sein kann. Hierbei ist aber seine vorher erwähnte Qualität als Teil der Landschaft noch nicht berücksichtigt, in der Art der Betrachtung, die den Wald von außen sieht, also nicht ihn allein, deren Blickfeld nicht Wald, sondern Landschaft ist. Die Form ist deshalb für uns wichtig, weil diese Sehweise — die mehr als nur das Einzelne im Auge hat, den Wald nur als vegetative Teilform einer Landschaft, meist von erhöhtem und entferntem Blickpunkte aus, real oder gedacht — allein die Pluralbildung »Wälder« ermöglicht, deren Anwendung als Grenzfall immerhin in unser Thema gehört. Allerdings nur als Grenzfall, denn diese Art des Sehens erfaßt den Wald nicht in seiner Eigenschaft als Raum und den Auswirkungen dieser Eigenschaft, die gerade sein besonderes Wesen und seine besondere Stellung unter allen landschaftlichen Stoffen ausmachen. Die Verwendbarkeit der in ihrer Stoffwahl unserm Thema verwandt oder benachbart scheinenden Arbeiten, die zumeist in monographischer Form »Landschafts-« oder »Naturgefühl« eines Dichters oder einer Epoche behandeln, ist gering. Ihr Blick ist auf die Landschaft oder Natur als

EINLEITUNG

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gesamten physischen Raum eines dichterischen Inhalts, also seinen Schauplatz im weitesten Sinne, gerichtet, und den grundlegenden Unterschied zwischen Landschaft im ganzen und Wald in seiner Eigenheit haben wir eben angedeutet. Zudem untersuchen sie in der Regel nach Empfindungen der einzelnen Sinne ordnend die Sinneswahrnehmungen des Dichters, die in der Dichtung niedergelegt sind. Sie unterrichten also über das Wesen des Dichters, nicht der Dichtung, denn sie bedienen sich der Dichtung j a als sozusagen autorisierter Quelle, um etwas über die Wahrnehmungen des Dichters zu erfahren. Über die Dichtung selbst, also über die dichterische Verwendung dessen, was seine Wahrnehmungsfähigkeiten den Dichter aufnehmen lassen, würde diese Betrachtungsweise nur dann etwas ergeben, wenn sie ihre Kenntnis über die Wahrnehmungen des Dichters aus anderer Quelle schöpfte, etwa aus Tagebuch- oder Briefaufzeichnungen, und in Vergleichen feststellte, was von tatsächlichen Wahrnehmungen in die Dichtung eingegangen ist; aber auch dann bliebe sie von ziemlich untergeordneter Bedeutung. Wenn in der vorliegenden Arbeit selbst diese Art in Anwendung kommt, bei Brockes nämlich, so erklärt sie sich von selbst als notwendig, denn bei ihm liegt in der bloßen Aufzeichnung von Sinneseindrücken gerade das Charakteristische! Im allgemeinen aber wird das Bestreben der Arbeit sein, nicht durch Auflösung des Stoffes in seine Elemente einer näheren Kenntnis der jeweiligen Dichterpersönlichkeit zu dienen, sondern durch Untersuchung des Stoffes als eines Ganzen zur Erfassung der Strukturbedingungen der Dichtung an sich im Verhältnis von Stoff und Werk beizutragen.

i. K a p i t e l .

Vorgeschichte. Die Kunstdichtung der Deutschen erfahrt im sechzehnten Jahrhundert durch die Renaissance einen geistigen Umschwung, der ihren Weg für mehr als zwei Jahrhunderte der Folgezeit entscheidend bestimmt hat. Nach dem Absinken der mittelalterlich deutschen Dichtkunst in ihren Epigonen bis zu dem Tiefpunkt um 1500 versuchte man die verdorrende Kunstdichtung zu beleben durch die Übermittlung des neuen Geistes der in Italien wiedergeborenen antiken Poesie. Doch diese Übernahme bedeutete keine Anregung, sondern eine Überschwemmung mit fremden Formen und Stoffen, aus denen sich ein poetischer Kanon entwickelte, der in Deutschland die Kunstdichtung mit dem Anspruch auf alleinige Legitimität jahrhundertelang beherrschte. Wie fremd diese antikisch bestimmte Bildungspoesie der eigentlich deutschen Dichtung war, zeigt deutlich schon ein Blick auf ihre Naturmotive. Die schematische Verwendung der arkadischen Landschaftsformen darin ist mit ein Grund für die späte Entwicklung des deutschen Landschaftsgefühls, d. h. des Gefühls für deutsche Landschaft. Dem kam freilich entgegen der traditionelle, unrealistische Gebrauch der Naturthemen in mittelalterlich deutschen Dichtungen, der in den Volksliedern fortlebte. Diese beiden Gründe, die typische Verwendung einerseits der fremden, gedachten, andererseits der heimatlichen, erlebten Landschaft, vereinigen sich, um die Tatsache zu erklären, daß das Thema »Wald« in der gesamten deutschen Dichtung bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein ausschließlich schematisch gebraucht wird. Dadurch schließt sich die gesamte Zeit vor Brockes für unsern Zusammenhang zu einer Epoche zusammen, in der von fortschreitender Entwicklung keine Rede sein kann, die vielmehr nur eine Vorgeschichte dazu darstellt. Die schematische Stoffbehandlung dieses Zeitraumes liegt nicht darin, daß dem Wald eine einmalige, feste Sinnbedeutung beigelegt wäre und er nun ausschließlich in dieser Gebrauchsform Anwendung fände. Die Zahl der Typen ist sogar ziemlich groß und durch vielfaltige Mi-

VORGESCHICHTE

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schungsmöglichkeiten reich nuanciert. Der Kanon wechselt auch durch die modische Bevorzugung der einen oder andern oder durch Hinzufiigung einer neuen Form. Der feste Zusammenhang liegt nur im typischen Gebrauch. Es handelt sich in der vorliegenden Darstellung nicht darum, festzustellen, inwieweit das als Erbe germanischer oder frühdeutscher Naturbetrachtung anzusehen ist und wieviel die Übernahme des mittelmeerischen Gutes dazu beigetragen hat. Wir haben nur die Tatsache festzuhalten und die Erscheinung als Ganzes der Art des späteren achtzehnten Jahrhunderts gegenüberzustellen, das sich in seinen fortwirkenden Bemühungen gerade von diesem Hintergrunde abhebt. Deshalb kann es sich hier auch nicht darum handeln, ein lückenloses Verzeichnis aller Typenformen aufzustellen, sondern nur, mit den wesentlichen ein zulängliches Bild der gesamten Art zu entwerfen. Den Mittelpunkt der Betrachtung bilden die Erscheinungsformen, die der Wald innerhalb der Bukolik antiker Herkunft annimmt. Mit dem gesamten bukolischen Gerät, den Hirtengefuhlen, mythologischen Gestalten und Namen war zunächst auch die arkadische Ideallandschaft in Deutschland übernommen worden. Der eigentliche Zentralbegriff dieser Landschaft aber, der Hain, ist selten genannt. Er wandelt in der nördlichen Zone seinen Namen (nicht sein Wesen), und man spricht lieber von Myrtenwäldern (z. B. Opitz 118) als von Myrtenhainen, ohne aber im Inhalt zu unterscheiden. So entsteht die Gleichsetzung von Wald und Hain, die bis ins achtzehnte Jahrhundert weiterlebt. Die Dichter der Renaissance sprechen von Wald und meinen etwa einen Myrtenhain, und Klopstock oder die Göttinger sagen »Hain« in gewählter Metapher und meinen durchaus dichten, dunklen, vor allem natürlichen, deutschen Wald. Als Metapher lebt der Hain auch über das achtzehnte Jahrhundert hinaus. Die Anlässe, aus denen dieser bukolische Wald erscheint, sind wieder recht mannigfach. Mit mythologischen Gestalten wird er als die ihnen zugeordnete Sphäre genannt, wie in den »Waldgöttinnen« (Opitz 138) oder bei Hock: Es tragen, ohn zagen, Die Götter wol gestalt, Die Satirj vnd Faunj gut, Auch Hörner in dem Waldt. (Hock xio.) Er ist die Ruhestätte der Venus: Dort oben auff jenem Berge, Da steht ein Garten lustig vberzwerge, Dem Paradis zugleichen, Von Früchten süß vnd Blümblen seuberleichen, Ein Waldtlein finster drinnen,

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VORGESCHICHTE

Drauß thut ein Brünlein Clar vnd süß her rinnen. Da schlafft mein Mutter leise, Wohl vnder eim Granaten Baumb vnd Reise, . . . (Hock 30.) Der Wald ist auch Aufenthaltsort der Nymphen: Und wie die Nymfen auch sich legen gegen Morgen, Wann der nächtliche Tantz sie hat gemachet laß. Das sie nicht also bald erwachen von der Sonnen, Deckt sie der dicke Wald: Pan aber schiäffet nicht. (Opitz 104.) Es stund ein dicker Wald mit frisch belaubten Myrten, Der NymfTen Auffenthalt, die Hole müder Hirten, An dessen Schatten-Nacht sie ihr Gemüt ergetzte, Daß sie sich bei der Pracht der Bäume niedersetzte. (Heinrich Mühlpfort, DNL 36, 345.) Neben der Götterrast ist der Wald vor allem ein unentbehrliches Requisit der Hirtenlandschaft: Als ich nechst war ausspatzieret Zu den Hirten in den Waldt, . . . (Opitz 46, s. App.) Da kam der Venus Kindt, bracht eine Krön von Myrten Vor meinen Lorbeerkrantz, verstieß mich zu den Hirten In einem grünen Wald, . . . (Opitz 14.) Den weitaus größten Raum nimmt der Wald in der schäferlichen Liebesszenerie ein. Gegenüber den reinen Bildungsformen mythologischer Griechenlandschaft ist hier aber schon ein gewisses Unterscheiden im Sinne der deutschen Naturformen spürbar. In den Schäfergedichten von Liebesfreude und Erfüllung kommt der Wald selten vor. Dafiir ist die angemessene Szenerie der Garten (z. B. Geh. Venus 67,69). Nur die Seligkeit der Gottesliebe bei Friedrich Spe hat auch im Walde ihren Raum: Wann Jesu Pfeil ich fühle Zu scharf und hitzig sein, Mit Freuden mich verfüge Zum grünen Wald hinein; Wollt Gott, nun dapfer schlüge Der Klang der Vögelein. (Spe 77), ähnlich, bereits mit einem Ansatz zu näherer Schilderung, zwar noch nicht in Brockesscher Kraft, aber gleicher theologischer Tendenz: Wer will die Bäum nun zählen In jen und jenem Wald? Seind deren doch, ohn Fehlen, So tausend, tausendfalt; Gar hoch die Gipfel klimmen In klaren Luft hinauf Und gleich den Wolken schwimmen, Wenn stößt ein Windlein drauf. O Mensch, ermeß im Herzen dein, Wie wunder muß der Schöpfer sein! (Spe 83.)

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Spezielle Dekoration ist der Wald dagegen für Liebesklagen und in solchem Zusammenhang denn auch unendlich viel häufiger, wieder in vielen Bedeutungsabwandlungen. Oft erscheint er auch hier nur als die selbstverständliche Hirtenszenerie: Ach hätt* ich nie getrieben, die Herd in diesen Wald, hie zwang mich erst zu lieben, Chrysillen ihr gestallt. (Venusgärtlein 53.) DraufF ließ ich meine Schaff im Busch lierumme gehn, denn ich begehrte nichts als Delien zu sehn, ich lieff durch manchen Wald, vnd sang von jhrer Macht. wie sie mich, elendiglich, in solche Noht gebracht. (Joh. Rist, ebd. 24.) Ach, Amaryllis, hast du denn Die Wälder ganz verlassen . . . Wohin? so sprich: den Wäldern zu, Da sich Myrtillo klaget. (Joh. Rist, Sommerfeld 108/9.) In engerer Verknüpfung mit dem Inhalt des Gedichts ist der Wald das verschwiegene Echo der Klagen: Ihr, ihr unbewohnten örter, (sprach er) und du stiller Hain wo die außgebrachten Wörter meiner Brunst verschwiegen sein. . . (Geh. Venus 33.) Er erscheint als Teil einer reizvollen Landschaft, deren Freundlichkeit der Niedergeschlagenheit des Liebenden entgegengesetzt wird: Ob schon diß lieblich Thale Ob schon die Berg und Wäldt Schön grünen uberale Mir dessen nichts gefeilt. Ob schon die Bächlein sausen Ich doch nit schlafen kan, Ob schon die Bäume brausen, Ficht mich doch immer an, Daß Phyllis von mir ferne Gar ferne zu der frist, . . . (Zinkgref 55.) Oder er spiegelt in seiner Schrecklichkeit die Leiden des Liebhabers: Erbarme du dich meiner Qualen du dicker wüster Hain, Wie dunkel hier ist deine schwarze Hole, so finster auch ist meine kranke Seele. (Paul Fleming, I, 432.) Hier begegnet uns ein Gefühl, das eine weit realere Grundlage hat als die Bildungsgefühle der andern Formen. Es wird die Stellung fühlbar, die der Mensch der Barockzeit zu der Wirklichkeit der Waldnatur hat. Da ist der Wald entweder nutzbar, liefert Holz und Wild (vgl. Opitz 230, Zlatna V v . 169 ff.:

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VORGESCHICHTE Der Wald, Herr Lisabon, auß dem jhr ohn beschwerde Holtz habt so viel jhr wolt: Er wächst euch auff dem Herde Vnd in der Kuchen fast; bringt außerlesen Wildt . . . )

oder er ist wüst und feindlich, von den Menschen gemieden, aus Abneigung gegen die Kultur- und Menschenferne, und weiter aus begründeter Angst vor Tieren, Räubern und Wegelagerern (vgl. Venusgärtlein 7: »durch Wäldern und wilden Thieren« und G. Ph. Harsdörffer, Sommerfeld 34: »ein Raub- und Mörder-Wald«) und aus abergläubischer vor Gespenstern (wie im Simplizissimus: . . . und wanderte so lang im Wald fort, biss ich von fern einen faulen Baum schimmern sähe, welcher mir eine neue Forcht einjagte;... [S. 18].)

Ein zusammenfassendes Bild der natürlichen (nicht dichterisch geformten) Anschauung des Barockmenschen vom Walde geben die Natur- und Weltkompendien der Zeit. So erscheint der Wald bei Comenius im Orbis pictus in folgenden Formen: Die Erde / hat / Berge / Wälder / Felder / Thiere / Menschen. (9.) Auf der Erden / sind / hohe Berge / tieffe Thäler / . . / ebene Felder / schattichte Wälder. (21.) In den Wäldern kommen hervor / die Erdschwämme / die Erdbeere / die Heydelbeere / u. dg. / . . . (23.) Der Jäger / jaget das Wild / indem er den Wald / umstellet mit Garnen / . • • (109.)

und gelegentlich in der Goldenen Tür (Ianva Lingvarvm . .): Die wilden Thiere / wenn sie in den lustigen Wäldern / oder nahe bey den Forsten der Wälder / geweidet haben / begeben sich wieder zu jhren Wildlägern / Holen vnnd Schlupffwinckeln. (S. 111/12.)

mit der bezeichnenden lateinischen Version »in amoenis nemoribus (!) aut secus sylvarum saltus . . . « Ein besonders deutliches Bild des Barockwaldes aber gibt Abrahams a Santa Clara »Huy und Pfuy der Welt. . « mit einer Gegenüberstellung von Prosabeschreibung und dichterischer Darstellung (5 lateinische Distichen und 2 deutsche Strophen): Der Wald ist eines aus denen / wormit der Erdboden nicht ein wenig pranget / zu mahlen derselbe nicht allein wegen des Bauholzes und anderer Nothdurfften / dem Menschen sehr dienlich ist / sondern auch denen Jägeren und Waidleuten / wegen des Wildpräts / gar angenehm und bequem: . . . Der Wald. Geht ein Weg offt Kreuz-weiß drein? Lieber! reise nicht allein! Der Forst eröffnet sich in eine grüne Bühne / die Eichen wechseln da / dort Birken / das Gesicht. Wagt sich ein Wandrer so / daß ihm kein Führer diene? so irrt er auf dem Weg / und trifft den Ausgang nicht. Indessen bricht die Nacht mit aller Macht herein / und er muß voller Angst / bey Wild und Mördern seyn. (69 ff.)

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Die zweite Strophe bringt dann noch eine symbolisch ausdeutende Nutzanwendung auf das menschliche Leben. Wo der schreckliche, wilde Wald in der Barockdichtung auftaucht, entspringt er aber nun keineswegs nur dem persönlichen Erleben des Barockdichters. Vielmehr hat sich auch hierfür eine Verwendungsform, aber eine deutschen Ursprungs überliefert. Die Behandlungsweise des Waldes in mittelhochdeutscher Zeit, die wir in diesem Zusammenhang rückblickend überschauen, ist zwar genau so schematisch wie die aus der Antike übernommene, aber sie entstammt wenigstens in ihren Formen ganz den Gegebenheiten des deutschen Landes und Lebens. Der Wechsel der Jahreszeit, das Hauptthema mittelhochdeutscher Naturdichtung, bringt am häufigsten eine Verwendung des Waldes mit sich, als eines Einzelbildes neben andern wie Linde, Rose, Nachtigall, schon von der frühsten Zeit an: Der walt in griiener varwe stät: wol der wunneclichen zit! ( M F 6, i4f.), Sich hat verwandelot diu zit, des bin ich wol worden innen: geswigen sint die nahtegal, sie hänt gelän ir süezez singen, und valwet obenan der walt. (Dietmar von Eist, M F 3 7 , 30fr., vgl. a. M F 82, 26; 99, 2 9 u. ö.);

so auch bei Waither: Diu werlt was gelf, rot unde blä, grüen in dem walde und anderswä (L 75, 25 u. ö.), und besonders häufig bei Neidhart: Der meie der ist riche, er füeret sicherliche den walt an siner hende. Der ist nü niuwes loubes vol (3, 22), Der walt stuont aller grise vor sne und ouch vor ise ( 6 , 1; vgl. a. 5 , 8 ; 8 , 2 0 u. ö.).

Neben diese hauptsächlich lyrische Form tritt eine andere mehr epische, handlungsmäßige, die den Wald als Stätte der Jagd zeigt; allerdings ist sie viel seltener, besonders wohl, weil in der ritterlichen Zeit die höfische Mode der Falkenbeize die eigentliche Jagd verdrängte: Gunther unde Hagene / die recken vil balt, lobten mit untriuwen / ein pirsen in den walt. Morgan der herzöge rite da jagen

(Nib. 9 1 6 , s. a. 9 2 6 ) ,

von walde ze walde. (Gottfried von Straßburg, Trist. 5 3 1 2 f. u. ö.). Diesen beiden Formen, in denen der Wald um eines Anderen willen erscheint, steht gegenüber eine dritte, die seinen eigentlichen Charakter in der damaligen Zeit zeigt, nämlich als menschenferne, menschenfeindliche Natur, den »wilden walt« (Wolfram, Parz. 449, 15) oder »ruhen walt

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âne w e c . . . « (Hartmann, Erec 5313). Reichere Schilderung entwickelt diese Anschauungsweise zwar nicht, jedenfalls nicht breiter als in den folgenden Versen: ze Breziljân in den walt. dâ wären die wege mannecvalt. dô kêrt ich nach der zeswen hant ûf einen stîc den ich dâ vant, der wart vil rûch und enge: durch dorne und durch gedrenge sô vuor ich allen den tac . . . (Hartmann, Iwein 263 fr.) Jedoch entspringen hieraus wiederum charakteristische Waldinhalte, die wie die Jahreszeitenform in der Lyrik das Gesicht des Waldes im mittelhochdeutschen Epos bestimmen. Der menschenferne Wald wird die Heimstätte asozialer Elemente, des Einsiedlers und des Räubers. Das Leben in der Abgeschiedenheit des Waldes kennen wir aus dem Parzival, aus Parzivals Jugend im dritten, aber auch aus Sigûnes und Trevrizents Klausnerleben im neunten Buche. Räuber kommen häufiger vor, z. B. im Erec (3113 ff., 3306 fr.). Hier dringt aber die Fabulierfreudigkeit auch übers Reale hinaus bis ins Ubersinnliche, statt des Räubers wird auch der Riese eine solche Waldgestalt (Erec 5355 ff., Iwein 418 ff.). Der Wald als Raum zauberhafter Gestalten braucht sogar nicht einmal seinen schrecklichen Charakter zu behalten, wie das vereinzelte Beispiel des Waldes der Blumenmädchen im Alexanderliede des Pfaffen Lamprecht beweist (5004—5205). Hier liegt bereits ein Ansatz zum Gedanken des Märchenwaldes, freilich mit Orientalischem verquickt, vor, den wir in einem eigenen Kapitel über den Wald im Volksmärchen näher untersuchen werden. Dieser Grundstock deutscher Waldformen steht neben den Renaissanceformen und wird wie sie weiter verwendet. So pflegt auch die Barockdichtung, bei der wir stehenblieben, den T y p des wilden Waldes, und zwar ist es entweder wie im wirklichen Walde die angsterregende Einsamkeit, die geschildert wird: Laß mich nicht hie gantz alleine stehen, Schaw! wie dick vnd einsam ist der Wald?

(Königsb. Dicht. 51),

selbst in einer sonst wesentlich antikischen Umgebung wie in Opitz' Unterweltvision (118): Der dicke wüste Wald war Sonn vnd Mondes bloß, Das schrecklich höllensee grundloß ohn rauschen floß...; oder es ist der Wald als Symbol der Trauer. So in dem schon oben genannten Flemingzitat (I, 432) und in Opitz' »Echo oder Widerschall« (36):

VORGESCHICHTE

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Diß Ort mit Bäumen gantz vmbgeben, Da nichts als Furcht vnd Schatten schweben, Da Trawrigkeit sich hin verfugt, Da alles wüst vnd öde ligt . . . usw. Auch der Wald, der den Wechsel der Jahreszeiten verkündet, wird weiter besungen. Er ist seit der Frühzeit mittelhochdeutscher Dichtung kaum verändert, nur näher ausgestaltet worden. Das Mittelalter kannte nur gute und schlechte Jahreszeit — jetzt werden vier Jahreszeiten unterschieden und alle vier besungen. (Dazu kommen sogar noch die Lieder auf die Tageszeiten, die Abend- und Nachtlieder schließen sich dieser Form an, vgl. z. B. Simon Dach, Königsb. Dicht. 148; noch in Claudius* berühmtem Abendliede ist das Schema spürbar.) Bekannte Beispiele für die Jahreszeitenpoesie geben Schirmers Lied: Der vorhin dürre Wald Ist wieder Wohlgestalt Die Felder prangen, . . . (DNL 27, 375) und Simon Dachs »Vor-Jahrs Liedchen«: Die Lust hat mich gezwungen Zu fahren in den Wald, Wodurch der Vögel Zungen Die gantze Lufft erschallt. (Königsb. Dicht. 174.) Neben diese ältesten Formen, die seit dem Einbruch der Antike oder seit dem Mittelalter im Grunde unverändert in Gebrauch sind, treten andere jüngerer Entstehungszeit, die die Typenfulle bereichern helfen. So bildet die Neigung der Barockmenschen zu weiten, offenen Landschaften eine neue Form aus, die freilich ihre Vorbilder schon in typischen Begriffsverbindungen des Mittelhochdeutschen hat. Sie zeigt den Wald als Teil einer großräumigen Landschaft von erhöhtem Blickpunkte überschaut oder wenigstens so gedacht. Höhen und Felder Seen und Wälder . . . (Philipp v. Zesen, Somm. 70), . . . wann alles fröhlich blühet, Und Wald, Berg, Feld und Tal anmütig schön aussiehet . . . Martin Opitz, Somm. 160.) So manchen Weg, Landt, Wald vnd Feldt, So manches wilde Meere . . . (Hock 62.) Wenn deine liebliche Gestalt Vergnügt das Feld, den Berg und Wald . . .

(Martin Hanke, Somm. 72.)

Er liefF entsinnt durch Wiesen, Wälder, Berg und Tahl Das Scheiden bracht' ihm Herzensangst und Qwaal. (Geh. Venus 70.) Diese Beispiele zeigen zugleich, wie ungezwungen sich in diesen typischen Barockformulierungen die einzelnen Formen zusammenfugen, so die

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VORGESCHICHTE

Frühlingsfreude in der Opitzstelle und Schäferlust und -leid in den beiden letzten Zitaten mit der summierenden Landschaftsbetrachtung. Während sich über die ganz undeutsche antikische Bukolik hinaus im Barock wenigstens einige der deutschen Landschaft entsprechendere Formen, wenn auch schematischer Art, dem Kanon anschlössen, wie die der Jahreszeitenpoesie und der großräumigen Landschaft, so- wird zuletzt noch einmal ein Typ durch die Mode herausgestellt, der in anderer Weise als die räumlich und zeitlich entfernte Antikenszenerie den Weg zu einem natürlichen Walde verlegt. Es ist die seit der Renaissance vorkommende Umdeutung der Natur im Sinne der künstlichen Gartenlandschaft, die als natürliche Folge der Bevorzugung des Gartens im aufsteigenden Rokoko — in Nachahmung des französischen Modeideals — von neuem auflebt und bis ins letzte Drittel des achtzehnten Jahrhunderts hinein ein zähes Leben bewiesen hat. So entstehen die vielen Vergleiche, die Begriffe der Gartenanlagen in die freie Natur hineintragen, wie -hallen, -gänge, -alleen, -lauben usw. (Die Umdeutung des Waldesinnern zum geschlossenen Raum ist viel älter, vgl. Mühlpforts »Hole müder Hirten« und Flemings »schwarze Hole«.) Friedrich Kammerer (Zur Geschichte des Landschaftsgefühls im frühen 18. Jahrhundert, Berlin 1909, S. 18 ff.) gibt treffende Beispiele dafür: Grün gewölbte lange Straßen . . . (Suppius), Ihr Wälder, ihr belaubte Gänge . . . (Uz), Die grünen Grotten des Waldes . . . (Kleist) u. v. a. Über die Vergleiche hinaus ist die verkleinernde, verniedlichende, verzärtlichende Neigung deutlich. Statt des Waldes sieht man Bäume oder Büsche und wie in der früheren Gleichsetzung Wald — Hain wird jetzt gar der ganze Wald zum Busch. Der letzte, der diese Formen in völliger Reinheit bewahrt hat, ist Hölty. Er bediente sich bewußt dieser festen Formen, ohne sich ihnen zu unterwerfen, sondern um — allerdings schon im Genüsse des Gewinnes, den Klopstock hier bedeutete—ihre Möglichkeiten noch einmal bis ins letzte hinein auszuschöpfen. (Bei ihm finden wir sogar noch Verse, die aufs Haar der barocken Schäferklage gleichen (II, 31). . . . Die schauervolle Nacht / Verschränkter düstrer Fichtenwälder / Hat jetzt mehr Reiz für mich . . . ) Seinen Gedichten entnehme ich noch zwei Beispiele für die verkünstelte Naturbetrachtung: Alles küßt jezt! Küsse flüstern In beschatteten Alleen, Wo die Liebenden in düstern Buchenlabyrinthen gehn. Küsse rauschen in den Lauben, Um die Abenddämmerung . . . (Maylied, I, 233.)

ACHTZEHNTES JAHRHUNDERT

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Wenn der silberne Mond durch die Gesträuche blickt, Und sein schlummerndes Licht über den Rasen geußt, Und die Nachtigall flötet, Wandl ich traurig von Busch zu Busch. (Die Maynacht, I, 159.) Mit dieser letzten Form sind wir bis in die Zeit gelangt, in der innerhalb der allgemeinen Auflehnung gegen die schematische Naturdichtung auch die Abkehr von der schematischen Verwendung des Stoffes »Wald« beginnt. 2. K a p i t e l .

Achtzehntes Jahrhundert. Das Streben des achtzehnten Jahrhunderts nach neuer, freierer Stoffbehandlung, die individueller im Sinne des Dichters, natürlicher im Hinblick auf den Wald als Stoff sein soll, bezeichnen die Namen Klopstocks und der Stürmer und Dränger. Als bahnbrechender Vorkämpfer geht ihnen Barthold Heinrich Brockes voran. Bisher—und die traditionelle Verwendung geht auch nach Brockes noch weiter — war der Gebrauch des Stoffes schematisch, man wußte, daß der Wald im Frühling grüne Blätter kriegt, und daß seine Öde und Einsamkeit beängstigend und gefährlich ist, und man verwandte das Wissen davon entsprechend. Brockes, der Vater der Naturbeobachtung und Revisor aller sinnlichen Wahrnehmungen, empfindet erst einmal selbst und registriert dann in seinen Gedichten, Was er empfindet. Weiter: war bisher der Wald das äußerliche Medium für den kommenden Frühling oder Schauplatz und Rahmen fiir Schäferlust oder Verzweiflung, so wird er jetzt Inhalt. Brockes zuerst besingt den Wald, wenn auch, wie stets, nur, um seinen Schöpfer zu preisen. Er besingt ihn als erster, nicht nur in dem Sinne, daß er sein Lied an ihn richtet (das tat z. B. auch Fleming schon), und nicht, als ob der Wald in Zukunft ausschließlich so besungen würde (er ist auch fernerhin a u c h noch Schauplatz) — vielmehr: bei Brockes zuerst wird der Stoff »Wald« nicht mehr gehandhabt, sondern gestaltet, er wird vom anderes bezeichnenden Mittel zum selbst gemeinten dichterischen Inhalt. In der Art, wie er seinem Stoffe nahekommt, ist Brockes noch vielfach den Gewohnheiten der Rokokodichter seiner Zeit verhaftet. Ein frühes Waldgedicht beginnt (I, 201): Es gingen jüngst Ergast und Belisander In einen dicht-verwachsenen Wald, . . . oder er kommt auf die geradezu paradoxe Idee, einen

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ACHTZEHNTES JAHRHUNDERT

. . . kleinen Wald, Der dick verwachsen, ungebraucht, und wegen seiner Lage gar, Im Lande keinem fast bekannt gewesen w a r . . . , zu »zieren«, wie er sagt, indem er regelmäßige Gänge, Nischen, Lauben anlegen läßt, alles, um die Natur bequemer genießen zu können. (VII, 66 ff., 73 ff., 171 ff.) Was ihn an dieser so zubereiteten Natur dann ergötzt, ist nun allerdings wieder das Natürliche. Sein scharfer Blick und sein helles Ohr vor allem vermitteln ihm eine ungeheure Vielfalt neuer Entdeckungen. A m eifrigsten beobachtet er Licht- und Schattenwirkungen. Ein tausendfach gefärbtes Licht, Ein tausendfach geformter Schatten, Die sich bald trennen und bald gatten Und tausendfach vermischet seyn (I, 202), das beschreibt er immer wieder in den vielfaltigsten Variationen. Ein sanftes Licht- und grünes Schatten-Spiel (II, 419), Der grünen Schatten klarer Schwann, . . . der . . . das licht-grüne Gras zwar schwärzt, doch nicht beflecket (I, 204), Diess zier- und liebliche Gemenge, da bald das Licht und bald der Schatten, Im sanften Streit und holden Wechsel, die Oberhand und Vorzug hatten (VII, 352), . . . das Gewebe der zarten Blätter, dunkel dort, Wodurch jedoch, bald hie, bald da, ein hell-erscheinend schnelles Licht, Durch vieler Stellen Dunkelheit, noch desto mehr erhöhet, bricht. Solcher Stellen ließen sich noch viele zeigen, besonders die Mischungen, wo sich Licht und Schatten »gatten«, ein Ausdruck, der um des Reimes willen besonders häufig ist. Dazu tritt eine Vielfalt von Farbnuancen, besonders natürlich mannigfache Abwandlungen von grün; »grünlich-goldgefärbt« (VII, 353), »dunkelgrüne Tiefe« (VII, 352), »licht-grünes Gras« (I, 204), »braune Schatten« (I, 205), »holde Schwärze« des beschatteten Bodens (ebd.) »grünlichblaue« Schatten (II, 419), sogar von »grünem Feuer« (VII, 353) und »gemischtem, gelb- und grünem Feuer« (VII, 70) und einem einzeln von der Sonne bestrahlten Stamm, der »wie eine Feuer-Seule schien«, ist die Rede (11,417). Vor allem hat er ein Auge für das Kleine und Einzelne, er sieht das Funkeln der Sonnenstrahlen und das Blitzen der Regentropfen (VIII, 38; V I I , 172), das grünliche Spiegeln des vereisten Schnees im winterlichen Walde (II, 418), die einzelnen Nadeln der Fichten und die Blätter der Laubbäume. Nach dem Regen z. B. beobachtet er, wie

ACHTZEHNTES JAHRHUNDERT

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. . . die Stellen, welche naß, Viel Blätter-Bilderchen formieren, Von andern Blättern, die man nah, Und sich in ihnen bilden, sah. ( V I I I , 38.)

Kaum weniger reich sind die Gehörsempfindungen. »Die Stille, die den Wald erfüllt« (VII, 77), entstammt zwar dem Zeitgeschmack, vgl. auch Haller »Wie angenehm ist doch der Büsche Stille...« (DNL 41, 2, S. 87), neu aber sind Vogelrufe wie diese: »ein zwitscherndes Geräusch, ein süß-verwirrtes Singen« (I, 202), oder »das Gurgeln der verliebten Nachtigall« (ebd.); er hört das »Murmeln von den hellen Bächen« oder wie »gelinde Winde säuselnd zischen« (I, 201). In geradezu bewundernswerter Steigerung ist das Geräusch des Regens im Walde beschrieben: Indeß erhub sich überall Ein lispelnder und sanfter Schall. Auf hohen Wipfeln und in Büschen Verspührte man ein lautes Zischen. Es rauschte durch des Regens Fall Die Luft, das Laub, . . . ( V I I I , 37.)

Überhaupt ist die Neigung zu differenzierender Tonmalerei deutlich; in der Schilderung eines Unwetters heißt es: Die bange Stille brach, indem der Lüfte Bahn, Wie eine wilde Flut, schnell an zu rauschen finge. Die Zweige heulten recht; es brausete das Laub; . . .

(I, 152.)

Blätter werden »mit sausendem Geräusch empor gefuhrt«, eine Eiche »kracht und stürzt«. Man sieht aus diesen wenigen Beispielen, mit welcher Sorgfalt und Peinlichkeit Brockes beobachtet und niederschreibt. Aber über diesen vielen Einzelheiten geht ihm das Ganze verloren. Und wo ihn die Einzelheiten noch nicht genug zersplittern, zerstört er den Gesamteindruck durch triviale Überlegungen, z. B.: Es ist, wenn man es recht beachtet, Ein jeder Zweig ein kleiner Baum; und folglich, wenn man dieß betrachtet, Ein jeder Wald ein Wald von Wäldern, da jeder Baum ein kleiner Wald. Ja, wo wir etwas weiter gehen, hat jedes Blättchen die Gestalt V o n einem Baum: nur daß es platt: Indem es einem Stamm, im Stiel, und so viel Zweig', als Adern, hat. (VIII, 167.)

Ein anderes Mal sucht er den Wald bei Mondschein auf, allerdings nur seinen zurechtgemachten Rokokowald und nur in Gesellschaft, aber jede mögliche Mondscheinstimmung zerstört er durch die platten Verse: B a u m g a r t , D. Wald i. d. dt. Dichtg.

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ACHTZEHNTES JAHRHUNDERT Wir sahen Licht- und Schatten-Bilder mit Lust und dem Erwegen an, Daß alle Zierlichkeit derselben, und daß sie sich so lieblich mahlen, Wir nicht so sehr des Mondes Glanz, als eigentlich der Sonnen Strahlen, Im Widerschlag zu danken haben, . . . (VII, 75.)

Es folgen noch fünf Verse mit der Schlußfolgerung, daß man die Welt eigentlich aüch nachts im Sonnenlicht sieht. Gefühlsmäßige Durchdringung also fehlt überhaupt, trotz häufiger »grüner Dämmerung« und »grüner Dunkelheit«; und das ist der Hauptgrund, der diese gereimte Anschaulichkeit hindert, Naturdichtung zu werden, Brockes hat zwar Empfindungen, wenn er in den Wald geht, aber die Verse fließen nicht aus der Empfindung. E r beobachtet sich, wie die Natur, konstatiert ein Gefühl und notiert es mit. Diese Empfindung ist immer dieselbe, er nennt sie mit der eigentümlichen Vorliebe der Zeit fiir Mischungen »ein holdes heiligs Schrecken«, »ein schaudrigtes Vergnügen« (I, 209), oder er spricht vom Walde, »worin sich Furcht und Licht und Lust und Schatten mischen« (I, 203), oder vom Wohnplatz dunkler Lieblichkeiten, Schaudrigter Zufriedenheiten (I, 210). Wir fassen zusammen: Brockes verwirft trotz mancher Bindungen an die Rokokogewohnheiten seiner Zeit das überkommene Schema, das dem Walde anhaftete, und verläßt sich auf eigene Erfahrung in der Schilderung. E r überschreitet ferner die üblichen Anwendungsarten und macht den Wald zum Inhalt seiner Gedichte. D a aber auf der andern Seite seine Beobachtungsgabe sich mehr aufs Einzelne und Kleine richtet und eine Gefühlshaltung, die ihn den Wald als Ganzes erleben oder erfassen ließe, fehlt, so ergibt sich bei ihm mehr eine Mosaik von Einzelheiten als tatsächlich »Wald«. — Durch die beiden positiven Punkte jedoch, den Bruch mit der erstarrten Tradition und die Erhebung des Stoffes zum Gedichtinhalt, ist Brockes als Ausgangspunkt und bedeutsamer erster Vertreter der eigentlichen Entwicklung gekennzeichnet. Brockes steht, für unsern Zusammenhang, einzeln in seiner Zeit, obwohl ausgeprägtes Empfinden für die landschaftliche Natur bei manchen Zeitgenossen, wie E w a l d von Kleist, unverkennbar ist, und obwohl das französische Gartenideal auch durch die natürlichere Natur der Idyllen Geßners endgültig überwunden scheint: Schüchtern durchstreift mein Blick den dunkeln Wald, und ruhet auf lichten Stellen, die der Mond durch das dichte Gewölb zitternder Blätter, hier am moosigten Stamm, dort auf dem winkenden Gras, oder an zitternden Aesten ins schwarze Dunkel hinstreut, oft eilt' er schüchtern zurück, durch triegende Gestalten krummer Stämme, oder im Dunkel rauschender Aeste oder schwarzer Schatten erschreckt . . . (Geßner II, 294).

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Aber die Modedichter der Anakreontik fuhren im Grunde die Traditionen— in verwässerter Form — fort; die offenen Landschaften des Barock und Rokoko, in denen der Wald nur ein durchsichtiges Gehölz ist, bevölkert von den schemenhaften und umrißlosen Gestalten einer verdünnten Mythologie, die diese Landschaft zum Schauplatz ihrer konventionellen Empfindungen machen. Eine neue Stufe in unserer Entwicklung stellt erst Klopstock dar. Aber er wirkt nicht unmittelbar. Die Erneuerung des Hainbegriffs scheint ein Rückschritt, seinem Inhalte nach ist dieses Landschaftsideal aber neu, und von großer, wenn auch nur mittelbarer Wirkung. Ebenfalls nur mittelbar werden die Klopstockischen Dichtungen für uns bedeutsam, die sich in der Form der Naturstimmung zusammenfinden, nämlich durch ihre formale Beziehung zu der Darstellungsart der Romantik. Zunächst gibt Klopstock dem blaß und leer gewordenen Begriff des Hains einen neuen Inhalt. Nachdem das Hauptstück des bukolischen Landschaftsinventars im Barock durch die beliebte Waldwildnis vorübergehend verdrängt worden war, hatte die glattere und leichtere Rokokodichtung die alte Modeform wieder in den Mittelpunkt gerückt. Klopstock nun empfindet, wie zeitlich fern, und vor allem, wie inhaltlich fremd der antikische Hain für das deutsche Landschaftsgefiihl ist, und erfüllt den Begriff mit der neuen, unverbrauchten Vorstellung der Eichenwildnis der germanischen Vorwelt (er braucht also noch das heroisierende und idealisierende Medium der Ferne, früher in der biblisch-christlichen, jetzt in der frühgermanischen Welt). Freilich ist das nur ein Tausch und kein innerer Umschwung. Wie wenig es ihm gelang, den neuen Inhalt wirklich lebendig zu machen, beweist die Tatsache, daß diese Hinwendung zum Germanentum die Grenzen einer literarischen Mode nicht überschritten hat. Er behält auch den Namen »Hain« bei und die Unangemessenheit der Benennung für solchen Inhalt hat zur Folge, daß der Hain schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit nur noch metaphorische Verwendung findet. Dieser Hain ist bei Klopstock die heilige Stätte der altdeutschen Dichtkunst, der »Hain der Barden« (Thuiskon, V . 3, S. 126), ein »Eichenhain« (Die beiden Musen, V . 24, S. 79), mit »melodisch tönender Quelle« (Thuiskon, V . 4, Der Hügel und der Hain, V . 106, S. 156), dicht, dunkel und geheimnisvoll. »Ich lernt' es im innersten H a i n . ..« (Skulda, V . 1, S. 135), » . . . w o Eich' und ihr Graun uns dämmert« (Unsre Fürsten, V . 10, S. 140), das »geheime Graun des Hains« (Hermann, V . 62, S. 158), die »Öde des Hains« (Die Krieger, V . 1, S. 179), sein Rauschen: »O wie festlich rauscht der Hain!« (Unsre Fürsten, V . 33, S. 141), »im wehenden Geräusche des begrüßenden Hains« (Thuiskon, V . 19, S. 126), alles das soll dazu dienen, dem Hain die Weihe und Würde eines deutschen Parnass 2*

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zu verschaffen. — Diese Erneuerung bleibt also ohnmächtig und abseits, wichtig für uns ist sie nur im Kerne, nämlich in der Umkehr von einer durchgliederten, klassizistischen Landschaftsform zur natürlichen, unberührten, wilden Natur des Waldes; sie bedeutet also einen Auftakt zu dem, was durch weiteren direkten Ossianeinfluß (dem auch schon Klopstock unterlag) in den Darstellungen von Wald und Wildnis bei den Stürmern und Drängern verwirklicht wird, und mit ihren popularisierten Ideen in der typischen Landschaft der Trivialromane fortlebt, die durch Tieck wieder Eingang in die hohe Literatur findet. Dieser Hain ist die besondere und charakteristische Erscheinungsform des Waldes bei Klopstock. Sonst ist der Wald — abgesehen von einigen Stellen in griechisch- statt germanisch-mythologischer Einkleidung und der Natur etwa der »Zürcher-See«-Ode, die im Banne der Rokokomode steht, Hagedorn ist als Pate geradezu genannt — ein wenig hervortretendes Teilstück der zeitlosen umgebenden Natur. Hier bildet sich aber nun etwas aus, das von größter Bedeutung fiir alle Naturdichtung der Folgezeit und vor allem fiir den Wald der Romantiker werden sollte; der zweite, entscheidende Punkt, der Klopstocks Stellung innerhalb unserer Motiventwicklung bezeichnet, — es ist die Naturstimmung. Der Dichter, der sich der Naturstimmung bedient, sieht in der Natur etwas der Seele Verwandtes, in ihrer Bewegung etwas den Regungen der Seele Vergleichbares. Er setzt Natur und Seele in Beziehung. Indem er die Naturstimmung zur Übermittlung der dichterischen Kunde wählt, sucht er seelisches Sein und Geschehen durch Sein und Geschehen der Natur auszudrücken oder zu verdeutlichen. Damit diese Gleichung möglich wurde, bedurfte es nicht nur eines innigen Naturerlebens, das die Natur als sinnhaltigen, lebenden, regungs- und ausdrucksfahigen Organismus erfuhr (Brockes), sondern vor allem auch der Entdeckung der Seele (Klopstock). Beides vollzog sich auf dem Wege der Religiosität, bei Brockes in der Form nüchterner, recht weltlicher Frömmigkeit, bei Klopstock im religiösen Überschwang, im Gottesrausch. Gegenüber Brockes bedeutet Klopstock die Ablösung der rationalistischen Gottesschau durch die pietistisch-empfindsame. (Aus religiöser Quelle fließt das Naturgefühl sogar noch bei den Stürmern und Drängern, nur entspringt sie bei diesen nicht mehr dem Boden der christlichen, sondern der Geniereligion. Es zeigt sich so auf allen drei Stufen dieser traditionsfeindlichen Bewegung unserer Stoffgeschichte ein religiöses Gefühl eng mit dem Naturgefuhl verbunden, eine Vertiefung des Gefühls also gegenüber der Unverbindlichkeit der Normen, gesteigertes Empfinden für den Wert des Stoffes.) Gott ist für Klopstock das Ziel seiner Dichtung wie fiir Brockes. Aber Brockes besang (oder besser: besprach) Erscheinungen

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der Natur, um die Güte oder den Verstand des Schöpfers zu erklären und zu preisen, Klopstock feiert Gott i n den Erscheinungen der Natur, im Sternenhimmel (Die Gestirne, Dem Unendlichen, Der Tod, Die Zukunft u. a.) oder im Gewitter (Die Frühlingsfeier). Hier zeigt sich die eine Form Klopstockischer Naturstimmung, die Gottesfeier der überströmenden Seele mit der »gleich gestimmten« Natur. Die Anrede des Dichters, mit der er die Erscheinungen der Natur brüderlich nennt oder zum Preise des Herrn mit aufruft, sprechen die Verbundenheit von Natur und Seele aus. Donnert, Welten, . . . Tönt, all* ihr Sonnen, . . . (Dem Unendlichen, Vv. 13, 15, S. 116), Euch, wunderbare Lüfte, . . . (Frühlingsfeier, V . 5 1 , S. 100), O Anblick der Glanznacht, Sternheere, Wie erhebt ihr! . . . (Der Tod, V v . 1, 2, S. 116). Und der übermächtige Gefühlsdrang durchbricht die begrifflichen Bahnen und formt sich in ausdrucksgewaltigen Naturbildern. Mit heiligem Schauer fühl' ich der Lüfte Wehn, Hör' ich ihr Rauschen! . . . (Dem Allgegenwärtigen, V . 69fr., S. 93.) Es tönet sein Lob Feld und Wald, Tal und Gebirg, Das Gestad' hallet, es donnert das Meer dumpfbrausend . . . Es singt die Natur dennoch dem, welcher sie schuf, Ihr Getön schallet vom Himmel herab, lautpreisend In umwölkender Nacht rufet des Strahls Gefährt' Von den Wipfeln und der Berg' Haupt es herab. (Die Gestirne, Vv. 1, 2, 5—8, S. 114.) Lüfte, die um mich wehn und sanfte Kühlung Auf mein glühendes Angesicht hauchen, . . . Aber jetzt werden sie still, kaum atmen sie. Die Morgensonne wird schwül, Wolken strömen herauf, Sichtbar ist, der kommt, der Ewige! Nun schweben sie, rauschen sie, wirbeln die Winde! . . .

(Frühlingsfeier, Vv. 49/50, 53—57, S. 100.)

Ein paar weitere Zitate geben auch ein Bild von der Rolle, die der Wald hierbei spielt. (Es ist dabei für unsern Zusammenhang die Naturstimmung als ganze wichtig, nicht nur das zufällige Vorkommen des Waldes.) Die Natur zeigt sich in diesen Oden nur in ihren eindrucksvollsten Erscheinungen, der Wald vertritt die vegetative Natur als ihr gewaltigstes Glied. Wie beugt sich der Wald, . . . Der Wald neigt sich . . . vor dem Ewigen im Gewitter (Die Frühlingsfeier, Vv. 58, 61, S. 100). — Das Bild übrigens ist häufiger: Wälder neigen das Haupt vor dem Orkan (Die unbekannten Seelen, V. 26, S. 296), und mit der Nebenbedeutung

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des ehrfürchtigen Grußes: Die Wipfel des Walds neigen sich vor dem König von Dänemark (Friedensburg, V . 21, S. 68), schon 1751, acht Jahre vor der »Frühlingsfeier«, die Höhen und Tiefen bücken sich vor Gott (Dem Allgegenwärtigen, V . 81 f., S. 94). — Und die Gewitterwinde? . . . . . . wie sie mit lauter Woge den Wald durchströmen! . . . Und der geschmetterte Wald dampft . . . (Frühlingsfeier, Vv. 90, 96, S. 101.) Neben die hymnische Form der Naturstimmung tritt die besinnliche. Den Einklang von Natur und Seele, den die Naturstimmung voraussetzt, fand Klopstock bereits vorgebildet in den Gedichten Ossians. Wehmut und Grauen der Vorzeitgesänge Macphersons schienen geradezu abgeleitet aus der schottischen Landschaft. Ihr Hauptmotiv, Vergangenheitsund Vergänglichkeitsschauer, das eigenen schwermütig-träumerischen Neigungen entgegenkam (vgl. An Giseke, An Ebert, A n Fanny), übernahm Klopstock, ohne es geradezu nachzuahmen. Er löste es aus der lokalen Gebundenheit und umgab es mit der Weihe seines feierlichen Christentums. Die Vergänglichkeitsoden (Die frühen Gräber, Die Sommernacht) traten als Vertreter der zweiten Form klopstockischer Naturstimmung neben die Gotteshymnen. »Die Sommernacht« (S. 133), im A u f b a u ganz den »Frühen Gräbern« entsprechend, gibt einen besonders deutlichen Begriff von den dichterischen Mitteln der Naturstimmung. (Auch hier erscheint Wald, aber wieder ohne eigene Bedeutung über die der Naturstimmung überhaupt hinaus.) Wenn der Schimmer von dem Monde nun herab In die Wälder sich ergießt, und Gerüche Mit den Düften von der Linde In den Kühlungen wehn, So umschatten mich Gedanken an das Grab Der Geliebten, und ich seh' in dem Walde Nur es dämmern, und es weht mir Von der Blüte nicht her. Ich genoß einst, o ihr Toten, es mit euch! Wie umwehten uns der Duft und die Kühlung, Wie verschönt warst von dem Monde Du, o schöne Natur! Der gedankliche Inhalt des Gedichts ist in begrifflicher Form nur in den Worten »so umschatten mich Gedanken an das Grab der Geliebten« ( V . 5/6) ausgedrückt und später (V. 9) in »einst, o ihr Toten« noch einmal angedeutet. Alles andere ist in Naturbildern ausgesprochen. Die ganz knappen, begrifflichen Andeutungen werden überaus kunstvoll sofort

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wieder vom Naturbilde abgelöst. Nicht einmal der Grundbegriff der Wehmut oder Trauer ist genannt, und sogar das metaphorische »umschatten«, das darauf hinweist, ist wieder eine Naturmetapher. Aus der Natursituation, die in breiter Schilderung die erste Strophe einnimmt, entspringt der Gedanke (5/6), und der Gleichklang der Seele mit der Natur spricht sich hier sogar noch in der grammatisch engen Bindung »Wenn der Schimmer... — so umschatten« aus. Naturschilderung füllt auch den Rest der zweiten Strophe, aber gleichsam mit umgekehrtem Vorzeichen, Unempfänglichkeit für die Reize der gegenwärtigen Natur ausdrückend, die bestimmten Naturempfindungen der ersten Strophe negierend und auflösend. Die dritte endlich nimmt rückblickend im Erinnerungsbilde die Schilderung wieder auf und mündet dort in breiter Schlußanrufung an die Natur. Es zeugt von feinstem Gefühl fiir Gewichtsverteilung, wie der Bogen des Aufbaus in den Bedeutungswerten der schildernden Worte sich hebt und wieder senkt. Die Natur der ersten Strophe ist als gegenwärtige deutlich und ins einzelne gegliedert. Dem gegenüber erscheint sie in der zweiten, wo sie Bedeutungsträger wird, verdünnt und zerfließend; selbst der naturabgekehrte Sinn wird aber noch durch Naturbilder dargestellt. (Statt des Mondenschimmers Dämmern im Walde, statt der Lindendüfte »es weht mir von der Blüte nicht her«.) Das Gefühl der gegenwärtigen Trauer löst in der dritten Strophe die Erinnerung an vergangenes Glück ab. Die Schilderung wendet sich wieder der Natur zu, aber die Bilder, entsprechend der Rückschau in die Vergangenheit, lösen sich vom einzelnen ab, werden allgemeiner; nicht mehr Lindendüfte, sondern der Duft, nicht mehr Gerüche in den Kühlungen, sondern die Kühlung, nicht mehr Schimmer des Mondes, der sich in die Wälder ergießt, sondern — nun ganz zum Allgemeinen hin — vom Monde verschönt, die schöne Natur. Innerhalb dieser Kunst der Naturstimmung bildet sich nun noch ein weiteres Kunstmittel aus, das sich der musikalischen Werte der Sprache, der Tonqualität der ausgesprochenen Worte bedient. Alle bisherige Dichtung bemüht sich, Gefühlsinhalt in Begriffe zu fassen und auf dem Wege der verstandesmäßigen Aufnahme dieser Begriffe dem Leser zu vermitteln. Bei Klopstock dagegen ist der Gefuhlsdrang und -Überschwang zu groß, um in den engen Raum von Begriffen gepreßt werden zu können. Es bleibt immer ein Rest. Damit sind die Begriffe nur ein Teil des Gemeinten, für den aufnehmenden Leser oder Hörer nur Anhaltspunkte, über sich hinaus auf ein Größeres weisende Zeichen. Er bemüht sich nun um eine neue, gemäßere Form, die den mächtigen Gefühlsinhalt möglichst unmittelbar und insgesamt übermittelt, eine irrationale Form, die

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der Unzulänglichkeit der Begriffe zu Hilfe kommt und sie ergänzt. Dies irrationale Mittel ist die Musik der Sprache. Die Art der Wirkung dieser Mitteilungsform ist fiir die Ratio nicht faßbar. Wir können nur unzureichend einzelnes darüber aussagen, so z.B., daß Rhythmus und Klangfarbe die größte Rolle dabei spielen. Das Geheimnis der Wirkung können wir aber nicht erklären, obwohl es möglich ist, die Beobachtungen weiterzuführen, etwa durch Zählung der Silben oder Satztöne; aber das birgt die Gefahr des Mechanisierens in sich und führt doch nur zu einer erweiterten Kenntnis der beteiligten Faktoren, ohne die Sache zu erklären. Nur auf ein paar Erscheinungen, die sich in der »Sommernacht« zeigen, möchte ich hinweisen: es sind die gehäuften Nasale und Liquiden und die hellen und umgelauteten Vokale in der ersten Strophe, das wiederholte a in V . 5 (vielleicht auch das o in V . 9), der durch die vollen Vokale klangreiche Schlußvers (übermäßig konsonantenarm, nur einfache Konsonanz und ein Hiat). Rhythmische Beobachtungen sind erschwert durch das antike Odenmaß, das aber natürlich auch nicht zufällig gewählt ist, und das schon durch die weiten Entfernungen der einzelnen Hebungen ein getragenes, sehr ruhiges Vortragsmaß erzwingt. Die Naturstimmung bedeutet einen gewaltigen Fortschritt auch für die Entwicklung unseres Themas, obwohl der Wald hier nur eine geringe Teilrolle spielt. Ihre größte Bedeutung liegt in dem Nachhall, den sie in der späteren Zeit fand, besonders in der Waldstimmung der Romantik. Klopstocks Nachfolger sind fiir uns bedeutungslos. Der altgermanische Hain bleibt neben vor allem ossianischen Naturformen ein Hauptstück der Landschaftsdarstellung in der Bardenlyrik. Hain bleibt auch ein Stichwort fiir die Göttinger Dichter, nicht nur im Namen ihres Bundes, ist aber bei ihnen mehr ein Zeichen für Klopstockbegeisterung und Naturbedürfnis, ein heimatlos und damit leer gewordener mythologischer Begriff, hier und dort verwendet mit anderm mythologischen Gemengsei, in der Wahllosigkeit seine Sinnlosigkeit offenbarend. Darüber hinaus zeigt sich bei den selbständigem unter ihnen der Wald bald ganz verschieden. Hölty bewegt sich trotz seiner rührenden, echten Naturfreude fast ausschließlich in den Bildern und Gewohnheiten der Rokokosprache. V o ß fuhrt abseits zur Idylle. In der Verquickung von Klopstockischer Dichterbegeisterung mit einer Naturbetrachtung aus bäuerlicher Perspektive bringt er es zu — fiir unsern Geschmack — lächerlichen Mischungen; so z. B. ,wenn der Zwiegesang nach dem feierlichen Kaffeetrinken im Walde mit folgenden Worten beschlossen wird: Also sangen sie beid und der Wald war Tempel der Gottheit. (Luise I, 422: DNL 49, S. 18.) Hier, aus dem bäuerlichen Gesichtskreis heraus, entsteht die Idyllik des

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Waldesrands. Sie wird weiter entwickelt bei Matthisson, dem Dichter des Abendfriedens, der Ruinen und der Vorweltschauer. Herrlich ists im Grünen! Mehr als Opernbühnen Ist mir abends unser Wald, Wenn das Dorfgeläute Dumpfig aus der Weite Durch der Wipfel Dämmrung hallt.

(Der Wald, I, S. 195.)

Diese Gegenüberstellung von Naturidyll und Opernsaal, die uns so unendlich platt anmutet, ist keine einmalige Entgleisung des Geschmacks, sondern kehrt bei Matthisson öfter wieder. Vgl. z.B.: Vom Opfer des Atriden Im goldnen Opernsaal Eilt' ich zu deinem Frieden, Umbüschtes Rhonethal! Nach Einsamkeit nur schmachtend Wähl' ich die Gartenthür, Der Landschaft Reiz betrachtend, Zur Opernloge mir. (Kinderjahre, V . gff., S. 163.) D a war, im Abendscheine, Ein stilles Veilchenthal A m Nachtigallenhaine Mir Ball- und Opernsaal! (ebd. V . 124).

(Ähnlich auch S. 199, 232.)

Diese Stellen zeigen, daß Matthisson, obwohl er sich vom zivilisierten Gesellschaftsleben ab- und der Natur zuwendet, dennoch die Wertmaßstäbe dieses Lebens beibehält. — Die dichterisch reinste Erscheinung unter den Klopstocknachfolgern ist Matthias Claudius, der sich durch die allgemeine Klopstockbegeisterung (der Mond und die goldnen Sternlein stammen sicher daher) zu einem eignen Platz durchgefunden hat. Ihm ist es gelungen, in einer an Bildungsmassen und Gefühlsüberladenheit erstickenden Epoche seine kindlichen Gefühle bis zu dem Maße von Einfachheit zu verdichten, das die Volks- und Kirchenlieder des 16. Jahrhunderts auszeichnet; allerdings schon unter dem befreienden Einflüsse Herders und der Volksdichtungsbewegung. Er verdient es, an dieser Stelle wenigstens genannt zu werden, da er mit zwei Versen wohl jedem gegenwärtig ist, der an den »Wald« denkt; mit dem Verse aus dem »Lied vom Reifen«: Viel schön, viel schön ist unser Wald! Dort Nebel überall, Hier eine weiße Baumgestalt Im vollen Sonnenstrahl . . . (S. 287.)

und mit der ersten Strophe des Abendlieds:

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Der Mond ist aufgegangen, Die goldnen Sternlein prangen Am Himmel hell und klar; Der Wald steht schwarz und schweiget, Und aus den Wiesen steiget Der weiße Nebel wunderbar. (S. 293 f.) Was die Stürmer und Dränger mit Klopstock oder den Göttingern verbindet, ist die energische Durchfuhrung von Bestrebungen, die in schüchternen Anfängen auch bei diesen vorliegen, nämlich nach Natürlichkeit; und der Punkt, worin sie sich begegnen, ist der Einfluß Ossians, dem sie beide unterliegen. Für Klopstock ist er eine literarische Anregung, für die Stürmer und Dränger das geradezu kanonische Buch ursprünglicher Dichtkraft des Volkes, und diese Ursprünglichkeit ist es auch, mit deren Hilfe sie die Norm endgültig überwinden. So wird vom Sturm und Drang der Kampf gegen Norm und Schema der — nach zwei Menschenaltern immer noch gleichen — Modekunst, von der in ihren Anfangen Brockes sich abwandte, über die während ihrer Blütezeit Klopstock sich so hoch erhebt, siegreich beschlossen. Das Streben der Stürmer und Dränger nach Natürlichkeit, Originalität, Befreiung, Entfesselung ist stärker als alle bisherigen Bemühungen dieser Art, und die Unerbittlichkeit, mit der sie gegen die bisherige Mode vorgehen, übertrifft alles Vorangegangene. Die natürliche Reaktion fuhrt zum Umschlag in die Gegenextreme; die Waldlandschaft ist statt heiter düster, statt offen geschlossen, statt ruhig bewegt und so fort. Statt der idealisch-freundlichen wird die menschenfeindliche Waldlandschaft geradezu gesucht als angemessener Spiegel der eigenen Seele. Der gesamte Sturm und Drang trägt den Stempel der Aktivität. Das zeigt sich schon äußerlich in der Bevorzugung der dramatischen Dichtform. Diesem allgemein sichtbaren Streben entspricht ein gleiches für den engen Rahmen unserer Betrachtung. Die bildhafte Ruhe des Klopstockischen Waldes, die höchstens durch Bewegung von außen unterbrochen wird (in der Frühlingsfeier ist das Gewitter j a gerade als Vorgang wichtig), aber keine Eigenbewegung hat, wird durch eine immer bewegte Landschaft ersetzt. Gewaltigere Lebenskraft floß noch einmal durch alle meine Nerven, riß mich nun ganz der Erde los — da stand ich auf: der Sturm wirbelt* die Wipfel, das braust' herunter, das kühlte meine Brust — . . . (Maler Müller, Adams erstes Erwachen . . . S. 34.) Der an sich j a immer ruhende Wald wird besonders mit einem belebenden und bewegenden Element ausgestattet, dem fließenden Wasser (als Bach, Fluß oder Wasserfall) *), dem wichtigsten und häufigsten Natursymbol *) Vgl. die berühmte Schilderung der Kaskade von Terni bei Wilhelm Heinse, Tagebücher VII, toaf. u. 108ff.: Ardinghello, IV, 336.

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des Sturmes und Dranges. Darüber wird der Wald selbst zurückgedrängt. Der Strom gescht, springt über mir hin in die Tiefe, zerreißt die Klippe des Tals; fürchterlich hast du seinen Pfad in Wildnis geboten — Durchbrecher eigner Bahn — er reißt sich die hallende Tiefe hinunter, und Felsen stürzen ihm nach —• Er höhnend Bäume anfaßt an ihrer Wurzel und wirft aufeinander Gestade — über seinen Sturz hervor stoßen junge Tannen, in sein Gebraus nieder rauscht die geschlagene Fichte — . . . (Maler Müller, Adams erstes Erwachen . . . S. 27.) Die elementare Großartigkeit von Wald, Sturm und Wasser — schon zum festen Bilde geworden (vgl. Laub-Meer, Wogen, Fluth) — zeigt auch eine Szene aus F. H . Jacobis Roman »Woldemar«, ganz in der A r t der Stürmer und Dränger, obwohl er schon nachwertherisch (1779) ist. Draußen gieng ein starker Wind. Man hörte sein Anfallen an das dichte Gebüsch, wie er die Aeste bog und die Blätter drängte, — dann im Laube verwehte, — drinnen zum sanftesten Lüftchen wurde — . . . In den mannichfaltigen Millionen Blätter, welch unendliches Spiel! Welch ein Wallen und Wühlen der Aeste! — Unter und über das luftige Laub-Meer! — Ergriffen von seinen Wogen schwamm mein Auge hinweg in die schöne Fluth, und ließ sich von ihr verschlingen. — . . . Der mächtige Stamm, an den ich gestützt war, schwankte, fast unmerklich, hin und her — bald stärker bald schwächer; wiegte meinen Rücken und bewegte sanft schauerlich mein Haupt. — Nie war meine Seele so in allen meinen Sinnen! — Lauter Genuß mein ganzes Wesen! — Ewigkeit, mein fliehendes Daseyn! (S. 267.) Der Wald wird durch diese Aktivierung wieder auf seine Funktion als Schauplatz beschränkt, vor allem natürlich im Drama. A b e r er wird es doch nicht soweit, daß er zur unwichtigen örtlichkeit herabsinkt; er hat auch teil am Handlungsinhalt, als Spiegel des Gefühlsgehalts. (Es besteht hier wohl eine Beziehung zu der bei Klopstock gezeigten Stimmung; aber es ist nicht zu übersehen, daß Klopstock sie mit dichterischen Mitteln erzeugt, während sie im Drama des Sturmes und Dranges auf die dichterisch höchst begrenzten oder überhaupt außerdichterischen Regiebemerkungen beschränkt ist. In dem als Theaterspiel aufgeführten Drama ist sie j a geradezu Sache der Wiederverkörperung durch Bild oder Spiel.) Wir brauchen hier nur an die »Räuber« und die Waldszenen in Maler Müllers »Golo und Genoveva« zu denken. Ist aber hier der Wald als R a u m von der Handlung selbst nicht zu trennen und ihr notwendiger Schauplatz, so tritt die stimmungsmäßige Verwendung noch deutlicher hervor, wo er der nicht handlungsbedingte Ort bedeutungsvoller G e schehnisse oder auch nur Gedankenäußerungen ist. Es entspricht dem schrecklichen Charakter dieser bedeutungsvollen Szenen und der exaltierten Art der Stürmer und Dränger überhaupt, daß immer ein schrecklicher, furchterregender Wald vorgeschrieben ist. In der wichtigen Zigeuner-

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szene im »Götz« (5. Akt, »Nacht, im wilden Wald. Zigeunerlager«) mit seiner Gefangennahme mag dieser Schauplatz vielleicht noch bis zu einem gewissen Grade von der Handlung gefordert sein; ebenso in Maler Müllers »Fausts Leben dramatisirt«, in der Beschwörungsszene gegen den Schluß hin (S. 289): »Dunkler Wald. Kreuzweg«; er ist nicht handlungsnotwendig für Golos Selbstgespräch (Golo und Genoveva, V , 8): »Wald vor Pfalzel. Morgengrau.« (Golo: Wenn alle abschnappen, die von der Sache wissen, so bleibt auf die Letzt keiner, der mich verrät.. . usw. Und ganz deutlich ist es im »Fiesco« (III, 1): Verrina führt Bourgognino in eine »furchtbare Wildnis«, um ihm den Entschluß, Fiesco zu töten, mitzuteilen. Hier führt diese Szene ohne äußeren Zwang sogar als einzige aus dem Stadtbezirk, in dem alle andern Szenen spielen, in die freie Natur hinaus. Verr. Bourg.

Verr.

Das ist der Ort. Der schrecklichste, den du auffinden konntest. Vater, wenn das, was du hier vornehmen wirst, dem Orte gleich sieht, Vater, so werden meine Haarspitzen aufwärts springen. Doch blühet das, gegen die Nacht meiner Seele. ...

In drei großen Etappen, Brockes, Klopstock, Sturm und Drang, ist also der Kampf gegen Normierung und normative Verwendung des Stoffs geführt worden. Erst mit der letzten Stufe ist der Sieg errungen. Und nun muß es uns wie Ironie anmuten, daß das endlich Gewonnene, ein inhaltsverbundener, stimmungsmäßig dargestellter *), natürlicher Wald, popularisiert und verbreitet wird in den wieder schematischen, normativen Formen der künstlerisch fragwürdigen Romane aus dem letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts. Hier mischt sich in starrer Nachahmung wertherische Schwärmerei mit der unverstandenen Welt des Sturmes und Dranges zu flachen aufklärerischen Literaturprodukten. (So schon äußerlich: Statt der gedrängten lyrischen Fülle oder der vorgelebten Tätigkeit des Dramas die belehrende Geschwätzigkeit oft vielbändiger Erzählungen.) Der im Sturm und Drang lebendige, wenn auch wenig hervortretende Wald wird jetzt zwar häufig, ja massenhaft, aber erstarrt damit zur genormten Kulisse. Die ja fast einzig im Sturm und Drang auftretende Art des wilden Waldes, oder besser der wilden Waldlandschaft, wird in der Festlegung ihres Stimmungswertes aber auch noch weiter entwertet. Im Sturm und Drang der bedeutungsvolle Schauplatz menschlich-großer, ergreifender Geschehnisse, sinkt sie im Trivialroman zum Orte nur mehr abenteuerlicher, sensationeller schauerlicher Begebenheiten. Die religiöse, geniegläubige Tiefe, aus der die Liebe der Stürmer und Dränger zu den Elementar*) Dies mit Vorbehalt: Die stimmungsmäßige Darstellung ist zwar prinzipiell gefunden, aber noch nicht für den Wald selbst und ihn allein angewandt.

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gewalten erwuchs, verflacht zu bloßem Aberglauben in der dämonischen Natur des Trivialromans. Statt des Wassers in seiner symbolischen Bedeutung als Bild tätigen, heldenhaften Lebenskampfes ist in dem Waldstrom hier eine fremde, unbekannte Macht am Werke, die die Unheimlichkeit der Gesamtszenerie steigern hilft. Der gebirgige Charakter der Landschaft, der auch im Sturm und Drang vorhanden war (notwendig fïir das Gefalle des ja immer heftig abstürzenden Stroms), wird ganz stereotyp und trägt ebenfalls zu der Gefährlichkeit und Schrecklichkeit der Szenerie bei. In dieser Waldlandschaft, wie wir es nennen müssen, steht also der eigentliche Wald neben zwei gleich wichtig genommenen anderen Faktoren, dem Strom und dem Gebirge. — Die grenzenlose Popularität des Werther half die Brücke zwischen Sturm und Drang und Trivialroman schlagen. Eine Beschreibung wie die folgende ist eine ganz typische Vorlage für die verflachenden Kopien der Trivialromane: Ungeheure Berge umgaben mich, Abgründe lagen vor mir, und Wetterbäche stürzten herunter, die Flüsse strömten unter mir, und Wald und Gebirg erklang; . . . (Werther, i. Buch, »am 18. Aug.«.)

In diesen Landschaften tritt eine bestimmte Waldart in den Vordergrund; das Düster der Tannen- und Fichtenwälder kommt zu seinem Rechte; außer der Eiche, die als einzelner Baum ab und zu begegnet, erscheint der Laubwald nur in seiner herbstlichen Trauer, der Nadelwald ist angemessener fîir das Grauen und den Schauder, der immer gesucht wird. (Z. B. Siegwart I, 216; II, 310; III, 841 u. ö.; vgl. auch Marianne Thalmann, Der Trivialroman des 18. Jh. und der romantische R o m a n . . . , Berlin 1923, S. 25 f., außerdem zu dem ganzen Abschnitt S. 4—33.) Die Skala der Gefühle in dieser Grundform der Landschaft der eigentlichen Trivialromane und der sentimentalen Romane, die sich eng aneinander schließen, reicht vom unheimlichen Schauder im Stile des Sturmes und Dranges bis zur sanften Wertherwehmut und Todessehnsucht. Millers Siegwart (als Beispiel) gibt eine ganze Reihe solcher Abstufungen. J e tiefer die Sonn am Himmel hinab sank, desto dunkler wards im Tannenwald, so daß ihm endlich zu grauen aniieng. (III, 843.) . . . ein schönes Tannenwäldchen, das mit jungen Eichen von hellgrünem Laub durchmischt war. Zuweilen war es ganz dunkel und schauderlich.

(II, 310.) Neben dem »schauderlich« des Sturmes und Dranges steht das »wehmütig« Werthers. Das Dunkel des Waldes und der melancholische Gesang der Amsel hatten die Seele des jungen Siegwart zum Wehmütigen und Feyerlichen g e s t i m m t . . . (I, 13.)

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Der Wald ward immer dicker und unwegsamer, weil neben den hohen Fichten viel niedriges Tannenreiß wuchs. Hören könnt er' auch weder die Glocken in einem Dorf, noch sonst einen Laut von Menschen, weil die etwas laute Luft durch die Tannenwipfel rauschte. Zuweilen machten ihn das übrige tiefe Schweigen, die Abgeschiedenheit von allen lebenden Geschöpfen — denn kein Vogel war im Wald — und das Dunkel, durch das kaum ein Sonnenstral dringen konnte, so wehmütig, daß ihm Thränen aus den Augen auf das Moos stürzten. (II, 842.) Auch die Einsamkeit des Waldes mit der klösterlichen verbunden und verglichen hat schon ihr Vorbild im Werther (»Am 30. August«). Ey, dies Wäldchen will ich mir zueignen und ein Einsiedler drinnen werden, sagte Kronhelm. (II, 310.) Das Klosterleben und die Einsamkeit hat doch immer den meisten Reiz für ein edles empfindungsvolles Herz! Wenn wir nur erst in unserm Wäldchen wären . . . (II, 326.) Und schließlich entspringt auch die Werthersehnsucht nach dem Tode dieser Waldszenerie. Der helle Herbstmorgen machte aufsein offnes Herz den tiefsten Eindruck. Die bleichgelben Blätter, deren eins nach dem andern von den Bäumen herabfiel; Das Rauschen der verdorrten Blätter im Gesträuch; der halb durchsichtige Hain; . . . Alles brachte ihm das süße Bild des Todes in die Seele. Er fühlte eine dunkle Sehnsucht, sich hinzulegen und zu sterben. (II, 516.) Diese wieder formal starre und von Typen beherrschte Walddarstellung der sentimentalen Romane gehört als Schattenseite und Reaktionserscheinung zu dem Abschnitte unserer Stoffgeschichte, der die Bemühungen des achtzehnten Jahrhunderts umfaßt, und schließt ihn zugleich ab. Übersehen wir noch einmal kurz die Ergebnisse, besonders im Hinblick auf die Inhaltsverbundenheit des Stoffs. Brockes hebt zwar mit einem Schlage den Wald vom äußerlichen Medium zum Dichtinhalt, wie wir sagten, aber erfüllt damit noch keineswegs, wie es so wohl scheinen möchte, die Forderung der Inhaltsverbundenheit, wie wir sie als wesentlich für Stoffund Dichtung erhoben haben. Der Stoff gewinnt bei ihm nicht an Wirkung auf den Dichtungsinhalt, sondern er verdrängt diesen überhaupt und setzt sich an seine Stelle. Es kann nicht von Inhaltsverbundenheit die Rede sein, wo das, was stets den eigentlichen Inhaltskern der Dichtung ausmacht, das Menschliche, von Protokollen empirischer Naturbetrachtung in dichterischer Form verdrängt oder ihnen nur flüchtig angeflickt ist. Klopstocks Bedeutung liegt darin, daß die Erreichung eines Zieles, wie wir es in der inhaltsverbundenen Stoffverwendung ansetzten, für die Kunstdichtung überhaupt erst möglich gemacht ist durch die Entdeckung

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jener menschlichen Empfindungen, die wir mit dem vieldeutigen Worte »Naturgefühl« bezeichnen, die Entdeckung der Möglichkeit gefühlsmäßig enger Beziehung zwischen dem, was wir eben ganz allgemein »das Menschliche« in der Dichtung nannten, und der Natur. Ein Gewinn für den Wald liegt in dem, was wir als aus der neuen Beziehung folgende dichterische Erscheinung unter dem Namen »Naturstimmung« betrachteten, insofern, als hierin für die Natur überhaupt und damit indirekt auch für den Wald ein neuer Zugang in die Dichtung eröffnet ist. Der Sturm und Drang, der sich diese Neuentdeckung zwar in weitem Maße zunutze macht, gerät doch durch seine allzustarke Betonung des »Menschlichen« (einseitig, aber großartig im Geniekult gipfelnd) auf den Abweg einer ebenso einseitigen und dazu nur nebensächlichen Naturgestaltung. Der Trivialroman schließlich folgt den Neigungen, die sich vom Rokoko her vererbt haben, und bildet nur Formen, deren Inhalt zwar anders, deren Typencharakter aber der gleiche ist wie in den Zeiten der Vorgeschichte. Die populäre zeitgenössische Lyrik zweiten und dritten Ranges bewegt sich in denselben Bahnen, ohne für unsern Zusammenhang wichtig zu sein. Wenn wir hier diesen ersten Abschnitt schließen, so scheint die klassische Dichtung, d. h. die klassischen Werke Goethes, Schillers und Hölderlins, willkürlich übergangen zu sein. In Wahrheit stellt sie sich selbst außerhalb unseres Zusammenhangs. Die klassischen Dichter sind keineswegs naturfremd. Sie wenden sich aber (wenn wir von naturwissenschaftlichen Neigungen, wie z. B. Goethes zur Optik, Geologie, Meteorologie als außerdichterischen absehen) völlig der landschaftlichen Natur als ganzer zu. Auch diese aber ist nicht ein Endziel, in dem das Eigentliche der Dichtung gesucht oder ausgedrückt wird. (Solche zentrale Stellung hat sie, nur wenig später, bei den Romantikern.) Sie ist nur ein Weg, ein Zugang, eine erreichte Stufe, von der aus sich die Seele zum Eigentlichen erhebt. Nie (auch nicht verhüllt) liegt Erfüllung in der Natur; sie dient in einer Art Mittlerstellung dem Aufschwung in die ideale Sphäre. — Es ist verständlich, daß diese Natur dann in hellen, klaren, durchsichtigen Landschaftsformen erscheint, die sich wieder den klassischen, d. h. antikischen Vorstellungen nähern. In solchem Zusammenhange behält der Wald von seiner Eigengesetzlichkeit, seinem spezifischen Wesen als eigener, abgetrennter Raum beinahe nichts. Betrachten wir als Beispiel den Wald Hölderlins, so sehen wir zunächst mehrfache, einfach übernommene Formen und Motive, ohne den Zusammenhalt einer übergreifenden Gesamtbedeutung wie später bei Tieck, so etwa Räuber (II, 34) und Verirren (II, 35) und Klopstocks germanischen Dichterwald (I, 96),

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oder formal Sturm und Drang-Szenerie (I, 89) und besonders häufig den Hain-Begriff (formal, nicht wie I , 96 inhaltlich!) (I, 3 1 , 5 5 , 5 7 u. ö.). Wenn aber weiterhin einmal der Wald deutlicher sein eigenes Wesen zu erreichen scheint, »und einsam spielte des Mittagslicht im schweigenden Dunkel« (II, 68), obwohl durch das schon breite Bild des fließenden Wassers und durch die Rokokometapher »Bogengänge« getrübt, so muß er sich doch auch hier mit einer Teilrolle innerhalb des großen Naturbildes (II, 67—68) begnügen; und auch dies große Naturbild wird abgebrochen, um den Idealbegriffen Freude, Seligkeit, Vergessen Platz zu machen. Dieser Teilcharakter ist hier noch nicht so deutlich, aber er tritt ganz klar heraus in der festen Form der »großräumigen Landschaft«. Sie ist die vorherrschende bei Hölderlin, in ihr ordnet sich der Wald in die großen Anreihungen oder die großen Bilder ein, und zwar besonders und für Hölderlin charakteristisch in der pluralischen Form »Wälder«. Wenn sich mälig der Wald dehnet, der Strom sich regt, Schon die mildere Luft leise von Mittag weht . . . (I, 1 6 1 ; vgl. a. 84, 183, 280.) und . . . erwachen die Berge rings, Es regen sich die Wälder, es hört die Kluft Den Herold fern . . . (I, 2 1 3 ; vgl. a. 130, 139, 159, 328.) Ihren gewaltigen Höhepunkt erreicht diese F o r m (und mit ihr als Teil und Landschaftselement der Wald) in den großartigen Bildern, in denen der Dichter die ganze Griechenwelt wie aus der Vogelschau im Blicke u m faßt, im »Main« und »Nekar« und vor allem im »Archipelagus«: . . . Dann sendest du über das Land sie, Daß am heißen Gestad die gewittertrunkenen Wälder Rauschen und woogen mit dir, daß bald, dem wandernden Sohn gleich, Wenn der Vater ihn ruft, mit den tausend Bächen Mäander Seinen Irren enteilt, und aus der Ebne Kayster Dir entgegen frohlokt . . . (I, 261) und Blüht, ihr Gärten Ioniens! nur, und die an Athens Schutt Grünen, ihr Holden! verbergt dem schauenden Tage die Trauer! Kränzt mit ewigem Laub, ihr Lorbeerwälder, die H ü g e l . . . (274). Wald in seiner wahren Eigenheit fehlt also der Klassik völlig. In der Art, wie der Wald hier erscheint, bleibt er hinter andern Epochen des achtzehnten Jahrhunderts zurück, j a , der Wald der Klassik stellt für unsern Zusammenhang überhaupt keine eigene Epoche dar, er bleibt für unser Thema bedeutungslos. Hiermit ist der erste Abschnitt, der von Brockes bis zur Klassik die wichtigsten Jahrzehnte des achtzehnten Jahrhunderts umfaßt, beschlossen, ohne daß der Wald bis zur höchsten Stufe seiner stofflichen Entwicklungsmöglichkeit gelangt wäre. Einmal, in Wielands Oberon, wird sie

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flüchtig berührt. Das erklärt sich durch die Beziehung zum Märchen, in dem diese Höhe tatsächlich erreicht ist, und ist nur von dort aus zu verstehen. Darum ist die Betrachtung des Oberon in den Zusammenhang des folgenden Kapitels eingefügt.

3. K a p i t e l .

Volksmärchen. Zauber und Wunder, die Grundprinzipien des Märchens, begegnen dem Märchenmenschen überall. Die Geräte seiner Arbeit, die Pflanzen in seinem Garten, die Tiere in seinem Hause können den Zauber tragen. Vor allem andern aber wird es das Fremde sein, von dem er Zauber und Wunder erwartet. Und wenn er sie lokalisieren will, so wird er sie in den unbekannten Räumen beheimatet glauben, die sich hinter den Grenzen seines kleinen Lebensraumes ausdehnen, also in der Wasserwelt, unter dem Wasserspiegel, im Innern der Erde, unter ihrer Oberfläche, und in der Welt, die am Rande seines Kulturlandes, auf gleicher Ebene damit, überall beginnt, im Walde. So finden wir diese Räume als Zauber- und Wunderreiche im Märchen. Die Wasserwelt spielt etwa als Brunnen in »Frau Holle« (24), als Teich in der »Wassernixe« (79, Lefitz S. 126) und der »Nixe im Teich« (181, vgl. a. Lefitz S. 173) eine Rolle; geläufiger ist sie uns vom Kunstmärchen her, aus Brentanos »Rheinmärchen« und dem »Murmelthier« (vgl. dazu auch das Vorbild Lefitz 108) oder aus Mörikes »Historie von der schönen Lau«. Unter die Erdoberfläche führen z. B. »Die Wichtelmänner« (39, II). »Der Gevatter Tod« (44), »Die drei Federn« (63), »Das blaue Licht« (116), »Die zertanzten Schuhe« (133), »Simeliberg« (142), »Die weiße Taube« (64, I (1812), Lefitz 50), »Der gläserne Sarg« (163), »Von den achtzehn Soldaten« (Zaunert I, S. 101). Näher aber als die Räume des Wassers und der Erde, die ihm unerforschlich bleiben, steht dem Menschen des Volksmärchens das Reich des Waldes, in das tiefer einzudringen ihm wenigstens seine Physis gestattet. Dieser fremde Raum steht ihm, der in dem vertrauten Bezirk seines bezwungenen, kultivierten Bodens wurzelt, dauernd als ununterworfenes, nicht-menschliches Gebiet gegenüber, als fremder, also zunächst feindlicher Nachbar, mit dem er auf gleichem Grunde lebt. Der Wald wird also für ihn die wichtigste fremde Welt und so auch die wichtigste Zauberwelt des Märchens. So stellt es sich jedenfalls in Mitteldeutschland dar, der Heimat der meisten und bedeutendsten deutschen Volksmärchen. B a u m g a r t , D. Wald i. d. dt. Dichtg.

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Für den Menschen eines andern Landschaftstypus wird der Mittelpunkt des Erlebens fremder Welt ein andrer sein und dem entsprechend der Begriff der Wunderwelt, an diesen Mittelpunkt geknüpft, auch ein andrer. So spielt das Meer eine zentrale Rolle in den Märchen meernaher Gebiete Niederdeutschlands (z. B. Wisser NF 4 ( = Grimm 19) u. 6, Zaunert I, S. 63), und das Erdinnere vor allem in den Sagen der Bergbaugebiete (z. B. Grimm, Sagen I, 122, 3, Peuckert S. 219 ff., Quensel 158 ff., 174, 204 f., 239). Die Stellung des Menschen zum Walde und, davon abhängig, die Rolle des Waldes im deutschen Volksmärchen erhellt ein interessanter Vergleich mit den Märchen einer andern Völkergruppe, für die, wie sonst nirgends weiter, der Wald ebenfalls eine so außerordentliche Bedeutung hat, die Indianer Südamerikas. Es zeigt sich hierbei, daß der Wald keineswegs in demselben Maße, in dem er die Landschaftsform beherrscht, auch auf die Märchen bestimmend einwirken muß. Kein Land ist so stark von der Waldnatur geprägt wie die Heimat der Indianer des tropischen Südamerika; dennoch sind die Märchen, in denen der Wald am stärksten hervortritt, die deutschen. Dieser Gegensatz erklärt sich aus dem Grundcharakter des Waldes, den wir in der Einleitung erörterten. Für den Indianer ist die landschaftliche Natur, in der er lebt, aufgeteilt in die zwei Welten des Wassers und des Waldes, die nicht einmal scharf getrennt sind. Alles, was er an Erscheinungsformen des festen Erdbodens kennt, trägt das Zeichen der Waldvegetation. Sein Gewerbe ist vor allem das des Jägers, und der wenige Boden, den er als Pflanzer bebaut, ist dem Walde so mühselig abgerungen und stets von ihm so bedroht, daß er noch seiner Sphäre zugerechnet werden muß. Der Lebensraum des Indianers und die Waldwelt sind nicht (wenigstens nicht wesentlich) verschieden. Für den Menschen des deutschen Volksmärchens ist der Wald als Naturmacht zwar noch vorhanden, aber er bildet nur die äußerste Grenze eines kultivierten Raumes, in dem sich das menschliche Leben abspielt. Er ist also fiir den Menschen dieses Raumes eine fremde Welt, nicht mehr die einzige und eigene wie fiir den Indianer. Solange der Wald einzige Form der Naturwelt bleibt, fehlt ihm die Eigenschaft, die seinen einzigartigen Charakter unter allen vegetativen Erscheinungen bedeutet und ihn fiir den Menschen so wesentlich macht, die des abgeschlossenen, gegen ein anderes abgegrenzten Raumes. So zerteilt sich für den Indianer der Wald ins einzelne. Ursprungssagen und kosmogonische Mythen heften sich an Pflanzen und Tiere des Waldes (besonders Jaguar, Schlange, Schildkröte, vgl. KochGrünberg Nr. 21, 25 u. ö.). Die Waldgeister sind keineswegs in prägnantem Sinne Wald-Geister, sondern eher wie Kurupira (48, 52) Tierdämo-

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nen. (Insofern ist der Vergleich Kurupiras mit Rübezahl — Koch-Grünberg S. 323 Anm. — vielleicht irreführend. Rübezahl ist ja seinem Wesen nach Lokaldämon, Hüter einer bestimmten Lokalität, Kurupira zwar in seinem Vorkommen räumlich begrenzt (er erscheint hauptsächlich im Amazonasgebiet), aber nicht Spezialdämon einer besonders gearteten Lokalität! Auch alle anderen Dämonen sind so gut wie er Waldgeister, nämlich im Walde behaust, wenn sie nicht gerade ausgesprochene Wassergeister sind.) So ist die Anschauungsweise des Waldes in den Indianermärchen zersplittert, da der Begriff des abgegrenzten Raumes fehlt. In Deutschland dagegen ist der Wald durch den Raumbegriff für den Menschen des Märchens eine der unbekannten Welten geworden, und hat sich als die nächstliegende unter diesen zum Kern- und Mittelbegriff, zum eigentlichen und wichtigsten Zauberreich des deutschen Märchens verdichtet. Im Volksmärchen zuerst begegnet uns der Wald, wie wir es in der Einleitung bezeichnet haben, im höchst erreichbaren Maße stofflicher Inhaltsverbundenheit: als eigene, von der wirklichen unterschiedene Welt. Unter all den Formen der Volksdichtung, die wir mit dem Namen »Märchen« zusammenfassen, ist der Wald in dieser Bedeutung aber nur dem »eigentlichen Märchen« eigen. Wo er im gleichen Sinne in Schwänken oder Tiererzählungen erscheint, dürfte er bereits aus jenen übernommen sein. Natürlich erscheint der Wald außer in dieser besonderen Bedeutung auch noch in anderer Weise im Märchen, häufig als Schauplatz (Jagd: 9, 11, 49, 65, 67 u. ö.) oder in dem Typus der »großräumigen Landschaft«, (der »Felder und Wälder«: 17, 88, 121), und in anderen mehr oder weniger zufälligen Formen als Schauplatz und Spielraum (33, 45, 51, 52, 71, 85 — hier auch die andre Form! — , 97, 107, 108, 134, 146, 153, 184), ganz abgesehen von den reinen Tiergeschichten, in denen er öfter vorkommt. Alle diese Formen treten für uns zurück hinter der einen, durch die der Wald des Volksmärchens an Wichtigkeit alle bisherigen Stufen unserer Stoffgeschichte weit übertrifft, die Form »Wald als eigene Welt«. Als Märchen, in denen der Wald als Welt erscheint, sind 48 Nummern aus der Sammlung der Brüder Grimm anzusehen, auf die wir uns in der vorliegenden Untersuchung beschränken wollen, obwohl natürlich auch andere Sammlungen zahlreiche Waldmärchen enthalten. (Vgl. z. B. Zaunert I, S. 1, 15, 37, 71, 98, 128 u. ö., II, S. 4, 21, 25, 47, 67 u. ö.). Der gemeinsame Charakter dieser Stücke als »Waldmärchen« liegt darin, daß in ihnen der Wald als G a n z e s in b e s t i m m e n d e r Weise in die H a n d l u n g eingreift. Alle Waldmärchen beginnen außerhalb des Waldes. Der oder die Helden gelangen erst im Verlauf der Erzählung hinein. Die Anlässe sind verschieden: der Held kommt zur Lösung einer Aufgabe (13) oder zu praktischer Arbeit, Holz zu holen (3) oder Reisig zu 3*

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sammeln (60), oder auf der Reise in den Wald (88). Manchmal ist der Anlaß noch dürftiger, j a bis zu jenem Antriebe verblaßt, der als Wanderregung des Märchenhelden, offen ausgesprochen oder heimlich, hinter mancher Handlung steht: »Hier ist meines Bleibens nicht länger« (so z. B. in 3, 9, 11, 31 u. ö.). Dann greift der Wald, zu bestimmten Gestalten verdichtet, deren Art wir kennen lernen werden, in die Handlung ein; und zwar sind diese Gestalten ihrem Wesen nach keineswegs vom Walde unabhängig, nur zufallig darin als einem beliebigen Schauplatz, sondern sie sind, wie der Zusammenhang deutlich ergibt, die Vertreter dieses fremden Reiches für den Helden, der es betritt. Denn als Gegenspieler sind sie die Träger des guten oder bösen Zaubers; der Zauberbegriff aber ist an den des Unvertrauten und Fremden geheftet, und dies wiederum kommt nicht nur der einzelnen Gestalt zu, sondern dem Walde als Ganzem, dem Reiche des Waldes, wie es aus den Anschauungen des Märchenmenschen eingangs zu schildern versucht wurde. Unter den Waldmärchen, in denen so von vorn herein Außenhandlung und Waldhandlung gegenüberstehen, lassen sich j e nach der Mächtigkeit, mit der eben diese Waldhandlung das gesamte Märchen bestimmt, verschiedene Formen erkennen, die sich hinsichtlich dieses Kompositionsprinzips (nicht in Hinblick auf ihren Charakter als eigentliche Märchen oder Schwänke) in folgende Gruppen ordnen: Reine Waldmärchen, die, abgesehen von der schmalen Außenhandlung, nur aus der Waldhandlung bestehen: 15 Hansel und Gretel, 106 Der arme Müllerbursch und das Kätzchen, 123 Die Alte im Wald, 161 Schneeweißchen und Rosenrot, 163 Der gläserne Sarg, 169 Das Waldhaus, 199 Der Stiefel von Büffelleder. Zusammengesetzte Waldmärchen, in denen die Waldhandlung den Kern bildet: 9 Die zwölf Brüder, 11 Brüderchen und Schwesterchen, 13 Die drei Männlein im Walde, 20 Das tapfere Schneiderlein, 22 Das Rätsel, 28 Der singende Knochen, 40 Der Räuberbräutigam, 49 Die sechs Schwäne, 54 Der Ranzen, das Hütlein und das Hörnlein, 64 Die goldene Gans, 69 Jorinde und Joringel,

VOLKSMÄRCHEN 88 93 99 in 116 142 127 136 166 179

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Das singende, springende Löweneckerchen, Die Rabe, Der Geist im Glas, Der gelernte Jäger, Das blaue Licht, Simeliberg, Der Eisenofen, Der Eisenhans, Der starke Hans, Die Gänsehirtin am Brunnen.

Zusammengesetzte Waldmärchen, in denen die Waldhandlung als Einzelteil vorkommt, aber nicht im Mittelpunkt steht: 29 Der Teufel mit den drei goldenen Haaren, 60 Die zwei Brüder, 85 Die Goldkinder, 122 Der Krautesel, 125 Der Teufel und seine Großmutter, 197 Die Kristallkugel.

Besondere Formen von Waldmärchen und Grenzfalle, die in ihrer Besonderheit einzeln zu untersuchen sind: 3 26 27 31 46 53 55 57 65 100 128 KL KL KL

Marienkind, Rotkäppchen, Die Bremer Stadtmusikanten, Das Mädchen ohne Hände, Fitchers Vogel, Sneewittchen, Rumpelstilzchen, Der goldene Vogel, Allerleirauh, Des Teufels rußiger Bruder, Die faule Spinnerin, 1 Der heilige Joseph im Walde, 2 Die zwölf Apostel, 6 Die drei grünen Zweige.

Einzelheiten über die äußere Erscheinung des Märchenwaldes fehlen zwar nicht ganz, sind aber doch selten. Denn das Einzelne wird im Märchen nur herausgegriffen, wo es fiir die Handlung notwendig ist oder ihr als Halt dient. Nadel- oder Laubwald ist niemals unterschieden, immer ist es Wald schlechthin; aber wenn ein Baum einzeln benannt wird (oft erst in den späteren, eingehenderen Fassungen) so ist es meist ein Laubbaum: » . . . und in dem Walde unter einer alten Linde war ein Brunnen« (1) (1812 noch: »..die ging hinaus in den Wald und setzte sich an einen kühlen Brunnen«), » . . . einer saß auf der höchsten Eiche uns schauete nach dem Turm« (9) (in der Urfassung — Lefitz 74 — fehlt noch die ganze Figur); dagegen in 166: »Tannenreiser lesen« (!). Auch

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ohne Bezeichnung der Baumart wird der einzelne Baum fiir die Handlung spezialisierend herausgehoben. Unter einem Baum oder in einem hohlen Baum schlafen die verirrten Kinder ( u , 15, auch 65). A u f einem hohen Baum näht das Mädchen die Zauberhemden, um ihre Brüder zu erlösen (9, 49). Gebüsch, Moos und Kräuter werden genannt (11). Wurzeln, Beeren und Nüsse (11, 15) dienen den Verirrten als Nahrung, und um Erdbeeren aus dem Walde zu holen, wird das Mädchen von der bösen Stiefmutter im Winter in den Wald geschickt (13). Im Wald holt man Holz (3, 15, 64, 99) und Reisig (60, 161, 166). Vögel (nicht der häufige einzelne Zaubervogel!) picken die Brotbröcklein Hänsels vom Wege auf. Vögel, die »lieblich singen« (und dazu die »schönen Blumen«) bezeichnen auch die Waldfreude: » . . . es ist so lustig haußen in dem Wald« (26); dieser fröhliche Wald aber geht bereits über den eigentlichen Märchenwald hinaus. Diese äußerlichen, fast zufälligen Einzelheiten geben aber noch kein Bild vom Wesen des Märchenwaldes. Das läßt sich nur aus der Rolle erkennen, die er als Gesamtheit im Märchen spielt, in seiner Eigenschaft als abgeschlossener Raum und zaubererfiillte Welt. Diese Welt ist wild, d. h. im Urzustand und keine menschliche Stätte (11,31 u. ö.), ist, dem Nichtmenschlichen entsprechend, dunkel (1, 9 u. ö.), und ist unermeßlich groß (9, 15, 22 u. ö.). Menschliches Leben in dieser Welt ist einsam. Nicht nur der Held ist »allein im Wald und verlassen von aller Welt« (11), oder »mutterseligallein«; einsam steht im Walde auch ein Schloß (49), ein »kleines Haus« (11, 13, 22 u. ö.), ein »kleines, verwünschtes Häuschen« (9). Menschliche Ansiedlung im Walde ist aber nur scheinbar menschlich, sie gehört dem Walde und seinen Geheimnissen an. Das führt uns zu der Form, in der das Wesen des Märchenwaldes sich verlebendigt, um mit dem eindringenden Menschen in Beziehung zu treten, es sind die fremden Mächte des Waldes. Die Gewalten, die dem Helden entgegentreten, können zunächst ganz natürlicher Art sein, nämlich Tiere — es sei hier abgesehen von den Tieren in ausgesprochenen Tiermärchen wie »Der wunderliche Spielmann« — »wilde Tiere« (11, 15), der Wolf (26), das Wildschwein (20, 28), oder auch ein Fabelwesen wie das Einhorn (20), oder menschenfeindliche Menschen, nämlich Räuber (27, 29, 40, 163 u. ö.), Mörder (22) und Menschenfresser (193). Die freundlichen, ungefährlichen Tiere, die auftreten, stehen im Dienste der andern, der übernatürlichen Mächte, »ein schönes, schneeweißes Vöglein« (15), »ein weiß Täubchen» (123), »ein kleines buntes Kätzchen« (106), der Fuchs im »Goldenen Vogel« (57). Die übernatürlichen Mächte selber sind entweder freundliche: Zwerge (13, 53), Maria (3), oder, weitaus häufiger, böse: Riesen (20), vor allem Hexen (15, 22 u. ö.) und der Teufel (100).

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Dies sind die Formen, in denen der Wald sich in den Waldmärchen zeigt. In welchen Graden er handlungsbestimmend in die Erzählung eingreift, untersuchen wir an Hand einzelner Analysen jeweils eines für die Gruppe repräsentativen Märchens. Die Gruppe reiner Waldmärchen, die bei geringer Außenhandlung im wesentlichen ganz von der Waldhandlung ausgeilillt sind, vertritt »Hänsel und Gretel« (15). Die Außenhandlung ist spärlich; die Not der Eltern, die Triebfeder des Entschlusses, die Kinder im Walde auszusetzen, wird am Schlüsse nur andeutungsweise mit einem kurzen Satze wieder aufgenommen, die Mutter, die als Urheberin des grausamen Entschlusses unbequem wäre, ist einfach gestorben. Nach der Einleitung, die verhältnismäßig breit ist, um die Klugheit der Kinder zu exponieren, stehen sie allein im Walde. (Dies Motiv »in den Wald fuhren und dort verlassen« in außerdeutschen Märchen: siehe BP I, 1 2 3 f.) Sie werden durch die feindliche Macht, zuerst von dem Vöglein, dann, in großartiger Ausfuhrung der Kernidee, von dem Knusperhäuschen angelockt und von der Hexe überwältigt. Die Katastrophe wird durch die vorher nachdrücklich eingeführte List der Kinder hinausgezögert (Hänsels Knöchlein) und verhindert (Gretels Geistesgegenwart). Damit ist die Waldhandlung beendet. Die Erzählung kehrt — abgesehen von dem Einschiebsel mit der Ente, das sowohl in der Urfassung (Lefitz S. 49) wie auch 1 8 1 2 (Neudruck Panzer I, S. 68) noch fehlt und erst seit der zweiten Auflage in verschiedenen Formungen erscheint ( K . Schmidt S. 258 f.) — rasch zur Rahmenhandlung zurück: die Kinder gewinnen Schätze und kehren heim. Das treibende Anfangsmotiv der Außenhandlung wird nur ganz flüchtig wieder aufgenommen. Erst seit der 2. bzw. 5. Auflage (K. Schmidt S. 260) wird ausdrücklich auf die frühere materielle Not Bezug genommen. Die ganze eigentliche Märchenhandlung spielt sich im Walde ab; sie besteht aus dem Angriff einer feindlichen Macht *) und ihrer Uberwindung durch die Helden. Die Motivierung des Anstoßes ist sehr sorgfältig und deswegen etwas breiter, die Rahmenhandlung an sich sparsam. Z u dieser Gruppe gehören noch sechs weitere Märchen (106, 1 2 3 , 1 6 1 , 163 — hier ist Wald- und Bergzauber vereint, wie auch in 1 1 6 und 142 der zweiten G r u p p e — , 169, 199). Unter ihnen heben sich 1 6 1 , »Schneeweißchen und Rosenrot«, und 199, »Der Stiefel von Büffelleder«, heraus. In beiden Märchen vollzieht sich das Geschehen zwischen Held und Waldmacht in Etappen, so daß zwischen die einzelnen Phasen des Geschehens *) Die interessante Frage, ob hier zur engeren Motiwerknüpfung absichtlich pädagogische Züge eingeflochten sind, wozu die Kindergeschichten neigen, nämlich über Hunger hinaus Naschhaftigkeit, über Notwehr hinaus Lüge (seit der 2. Aufl. »Der Wind, der Wind ..«, K . Schmidt S. 248), geht über den Rahmen unserer Analyse hinaus.

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jeweils eine Rückkehr nach »außen« eingeschoben ist. Da aber sowohl Held wie Waldmacht die gleichen bleiben, bildet diese Form nur eine Variation des Kompositionsprinzips der ganzen Gruppe. Neben dieser kleinen Gruppe reiner Waldmärchen stehen zwei andere solcher Märchen, in denen die Waldhandlung nur einen Teil der ganzen Märchenhandlung einnimmt. Von diesen zeigt die erste die Waldhandlung als Kern der Handlung, entweder als Grundlage weiteren Geschehens oder als eigentlichen Hauptinhalt, auf den mit anderen Motiven langsam hingeführt wird. Als Beispiel hierfür wählen wir »Brüderchen und Schwesterchen« ( n ) . Der äußere Anstoß ist noch geringer als in »Hänsel und Gretel«; die Kinder entfliehen den Plagen ihrer Stiefmutter und gelangen zufällig in den Wald. Es folgt die Waldhandlung (Verwandlung des Brüderchens) in ausführlicher Entwicklung (dreifach), darauf (wieder dreifach) die zweite Stufe (Jagd des Königs und die Entdeckung), damit der Höhepunkt, dann entfernt sich die Handlung aus dem Walde und kehrt nach außen zurück. Eine neue Handlung außerhalb des Waldes wird aufgenommen und gibt einen neuen Anstoß (Verbrennung der Königin), daran schließt sich (jetzt nur einmalige) Weiterentwicklung (dreifach), darauf Lösung beider Handlungsteile zugleich. Hier scheint die Außenhandlung viel wesentlicher zu sein, nämlich außer dem Anstoß die ganze zweite Hälfte einzunehmen, (der Held, das Kinderpaar, ist ja hier geteilt, der Angriff gegen Brüderchen geschieht im Wald, gegen Schwesterchen, die Königin, außerhalb des Waldes, im Schlosse.) Die Außenhandlung ist hier aber überhaupt nur scheinbar vorhanden. Denn die böse Stiefmutter, zugleich die Hexe des zweiten Teils, ist auch die feindliche Macht des Waldes, die Brüderchen durch das Brünnlein verwandelt, und nur aus Gründen der Motivierung vorerwähnt. Und der zweite Teil ist keineswegs Fortsetzung der Außenhandlung, sondern neues, selbständiges Geschehen. Und zwar haben wir um so mehr Grund, den zweiten Teil als neue Handlung anzusehen, als im ersten Teil tatsächlich Zauber vorliegt, im zweiten dagegen wesentlich menschlicher Angriff, Gewalt gegen die schwache Königin und Täuschung des Königs, durch die untergeschobene Gestalt der anderen Tochter, also nichts Übernatürliches. Freilich ist die Beziehung zwischen der Hexe des zweiten Teils und der Waldmacht nicht zu leugnen, denn erst mit ihrem Tode erlischt der aus dem ersten Teil noch geltende Verwandlungszauber. Man kann also annehmen, die Hexe des zweiten Teils sei eine außerhalb ihrer Sphäre fortwirkende Waldmacht. Dieser Fall, daß die Waldmacht außerhalb ihres eigentlichen Bezirks, des Waldes, auftritt, kommt vor; vgl. den Zauberer in 46. (In einem Märchen entsprechenden Inhaltscharakters, dem in den späteren

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Auflagen fortgelassenen »Blaubart«, Nr. 62 (1812), liegen die Raumverhältnisse von »Wald« und »außen« seltsamerweise genau umgekehrt; der Vater der drei Söhne und der schönen Tochter, also die Partei der Heldin, lebt »in einem Walde«. Da das innerhalb aller Grimm-Märchen einzig da steht und das Parallelmärchen 46 die gewöhnlichen Verhältnisse aufweist, möchte ich geradezu Erzählerversehen annehmen.) Trotz dieser deutlichen Verbindung der beiden Teile habe ich den zweiten als abgetrennte Handlung aufgefaßt, weil das Motiv der untergeschobenen Braut in reinster Prägung vorliegt, und darum das ganze Märchen in diese Gruppe gerückt. Die Motive greifen hier so ineinander, daß eine reinliche Scheidung unmöglich ist; ich halte es für bedenklich, gegenüber den individuellen Motiwerbindungen des Einzelmärchens den Typus streng durchsetzen zu wollen. Die anderen Märchen dieser reichen Gruppe (21 Nummern) gleichen im wesentlichen dem Beispiel von »Brüderchen und Schwesterchen«, sie unterscheiden sich nur durch einfachere oder kompliziertere Komposition in den übrigen Handlungsteilen, nur »Die goldene Gans« (64) zeichnet sich durch Teilung der Waldhandlung und dreifache Wiederkehr aus. Die Märchen der dritten Gruppe, der zweiten der zusammengesetzten Waldmärchen, enthalten die Waldhandlung ebenfalls nur als Teil des Ganzen, aber nur als n i c h t grundlegenden und n i c h t bedingenden (im Sinne des Ganzen), der sich einer sonst anders gerichteten Märchenhandlung einfügt. Im Märchen von den »Zwei Brüdern« (60) z. B., und ganz entsprechend in den »Goldkindern« (85) fallt der eine der Brüder am Schlüsse der vielfach verknüpften Handlungen in einem Zauberwald einer Hexe in die Hände, die erst seine Tiere unschädlich macht und dann ihn versteinert; sein Bruder, durch das Zeichen des rostenden Messers (60) bzw. der welkenden Blume (85) benachrichtigt, folgt ihm und erlöst ihn aus dem Zauber der Waldmacht. Diese Form, in einfacher Knüpfung und Lösung des Knotens, zeigt etwa das geringste Maß, mit dem der Wald für den Inhalt der Märchen bestimmend wird; aber auch hier noch ist seine Bedeutung nicht zu unterschätzen. Unter den fünf Nummern dieser Gruppe ist besonders »Der Teufel und seine Großmutter« (125) interessant, weil sich hier wieder eine enge Verbindung zwischen der Welt des Waldes und der des Erdinnern zeigt: der Held kommt im Walde an eine »eingestürzte Felsenwand« (1812: »eine zerfallene Klippe«), »die aussieht wie ein Häuschen«, und dringt hier in die Welt der Unterirdischen ein. Eine Reihe von Märchen, die sich nicht mühelos in die Ordnung dieser drei Gruppen einfügen ließen, habe ich aus solchen Zusammenhange herausgenommen, um durch einzelne Besprechung ihrer Einzel-

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heiten den eigentlichen Sinn des Märchenwaldes gegen die Abweichungen davon herauszuheben. Auch die Kinderlegende i, die sich der ersten, und die Märchen 3, 31 und 100, die sich der zweiten Gruppe zuteilen lassen, erwähne ich gesondert, weil sie, ohne in ihrem Charakter als Waldmärchen nur im geringsten dadurch beeinträchtigt zu sein, christliche Gestalten als Waldmächte einiiihren, wobei Joseph und Maria die Stelle der »guten«, der Teufel die der »bösen« Waldmacht einnehmen. Unter den anderen verdient zunächst (in der Reihenfolge Grimms) »Rotkäppchen« (26) Beachtung. Drei Punkte machen hier den Waldmärchencharakter von vornherein zweifelhaft. Zunächst ist Nr. 26 kein eigentliches Märchen, sondern eine vergleichsweise junge Erzählung mit Fabel- und Märchenzügen. Ich erwähne nur ein paar Beweisgründe dafür: reale Zeitangaben (»eine halbe Stunde«, »eine gute Viertelstunde«), zur Schule gehen, der Jäger als Deus ex machina. Da die Waldmärchen aber nur unter den eigentlichen Märchen heimisch sind und in andern Formen erst abgeleitet und angewandt vorkommen, ist es zwar nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich, daß der Wald in 26 dem der rechten Waldmärchen entspricht. Ferner: die Großmutter »wohnt draußen im Wald«. Daß eine von Anfang an zur Partei der Heldin gehörige Nebenfigur im Wald wohnt, kommt außer dem einzigen Falle des »Blaubart« (1812: 62), den wir zu erklären versuchten, niemals mehr vor. Drittens ist der Wald, wiederum zum ersten und einzigen Male, freundlich und angenehm (und dazu ausgiebiger als gewöhnlich) geschildert: ». . . Ich glaube, du hörst gar nicht, wie die Vöglein so lieblich singen? D u gehst j a für dich hin, als wenn du zur Schule gingst, und ist so lustig haußen in dem Wald.«

Bei genauer Prüfung des Charakters des Waldes in 26 zeigt sich auch wirklich, daß die Grundbedingungen des Märchenwaldes fehlen, die der fremden Welt und des Zaubers dieser Welt. Der Wald, in dem die Großmutter wohnt, und der Wald, in dem der Wolf begegnet, sind identisch. Das bedeutet: vertraute und fremde Sphäre (nach den Gesetzen des echten Waldmärchens) fallen zusammen. Der Wald ist also nicht mehr die fremde Welt und so zum allgemeinen Spielraum der einen wie der andern Handlungsteile gesunken, er ist nur mehr Schauplatz. So ist auch der Wolf, der Gegenspieler der Heldin, nicht Vertreter des Waldes als Zauberwelt, sondern steht für sich selbst. Sein Handeln im Märchen ist auch ohne jeden Zauber, sie besteht einfach im »Fressen«, der gänzlich zauberlosen Haltung des Raubtiers gegen sein Opfer, poetisch zu »Verschlingen« vereinfacht. (Daß er die Gabe zu sprechen hat, ist von Zauber wohl zu scheiden. Auch die Fabeltiere sprechen, ohne eine Spur von Zauberumgebung.) Ein rechtes Märchentier aber, als Vertreter der Zauberwelt

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des Im wie Nr.

Waldes, äußert seine Zugehörigkeit dazu durch zauberhaftes Wesen. »Rotkäppchen« erscheint der Wald als Folge der Gestalt »Wolf«, nicht, im richtigen Waldmärchen, die Gestalt als Ausdruck des Waldes. 26 ist also kein Waldmärchen, nur sind Märchenzüge verwendet. »Die Bremer Stadtmusikanten« (seit 1819 als Nr. 27) ist nichts als eine schwankhafte Tiergeschichte in der nur äußerlichen Einkleidung eines Waldmärchens. »Fitchers Vogel« (46) weist, wie bereits erwähnt, die Eigentümlichkeit auf, daß die Waldmacht außerhalb ihrer Sphäre erscheint, um die Handlung in Gang zu bringen. Es ist sonst ein richtiges Waldmärchen und gehört als solches der ersten Gruppe an. »Sneewittchen« (53) kennt zwar den Wald als fremde Welt und kennt auch Zauber. Aber der Zauber erscheint nicht als Äußerung der Waldmächte, wie in dem verwandten Märchen Nr. 13. Durch Zauber oder auch nur natürlich wirkend greifen die Zwerge in die Handlung gar nicht ein, weder treibend noch hemmend, sondern nur mit Rat und Warnung. Sie sind keineswegs eine Waldmacht, die entweder gegen eine andere helfend siegt oder feindlich besiegt wird. — Aus demselben Grunde ist 193 kein Waldmärchen. Der Menschenfresser und der Trommler haben nur einen kleinen, ganz menschlichen Betrugshandel miteinander. Ihre Beziehung ist rein episodischer Art. Der Menschenfresser ist keine Waldmacht. Da die Erzählung Schwankcharakter trägt, ist anzunehmen, daß das Wesen des Schwanks die Abkehr vom Zauberhaften und die Hinwendung zum Menschlichen und Realistischen bewirkt. Ähnlich ist 184, wo das Verhältnis Held-Gegenspieler durch die vermenschlichten, entzauberten Züge soweit verkehrt ist, daß am Schlüsse der eigentliche Gegenspieler im Gesichtskreis der Erzählung bleibt. Damit ist es aber auch als Fragment erwiesen. — Im Zusammenhang mit »Sneewittchen« ist noch eine interessante Waldformel zu erwähnen, in der der Wald aber nur Schauplatz ist: der Held wird in den Wald geführt, um dort getötet zu werden, wird dann aber aus Mitleid verschont. Dies Motiv kommt mehrfach vor (z. B. in 33, 53, 97) und ist uns besonders aus der Genovevasage geläufig. »Rumpelstilzchen« (55) ist deswegen zu erwähnen, weil es, ohne selbst Waldmärchen zu sein, dennoch, offensichtlich in Analogie zu so vielen anderen Märchen, ganz gewohnheitsmäßig und unbewußt den Gegenspieler, die feindliche Zaubermacht, als im Wald beheimatet annimmt. (Es liegt nicht, wie man denken könnte, der Fall von Nr. 46 vor, wo die Waldmacht ihre Sphäre verläßt; von Waldmärchen kann keine Rede sein, die Heldin kommt mit dem Walde überhaupt nicht in Berührung.) Rumpelstilzchen wird vom Boten belauscht:

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» . . . wie ich an einen hohen Berg um die Waldecke kam, wo Fuchs und Has sich Gute Nacht sagen, so sah ich da ein kleines H a u s . . . « Die Undeutlichkeit des Ausdrucks scheint der Annahme, daß Waldmärchengewohnheit zugrunde liegt, zu widersprechen. Diese Undeutlichkeit liegt aber nur in der späteren Sprachformung vor. Wenn wir auf die frühere Form von 1812 zurückgehen, so finden wir als Bestätigung unserer Annahme an entsprechender Stelle: » . . . als ich tief in den dunkelen Wald kam, war da ein kleines Haus . . . « (Neudr. Panzer S. 255); und noch deutlicher spricht es die Urfassung aus: » . . . am dritten befiehlt sie einer getreuen Dienerin hinaus in den Wald zu gehen, aus welchem das kleine Männchen gekommen sey...«(Lefitz S. 60). Einen Grenzfall stellt der »Goldene Vogel« (57) dar. Das handlungleitende Zaubertier, der Fuchs, zeigt sich immer am Rande eines Waldes und kehrt auch immer in den Wald zurück. Seine Beziehung zum Wald im Waldmärchensinne steht also außer Frage, wenn er sich auch außerhalb zeigt (wie in 46). Der eigentliche Held des Märchens aber hat unmittelbar nichts mit dem Walde zu tun. Das Märchen baut also auf den Vorbedingungen eines anderen Waldmärchens auf, das zugrunde liegt, aber nicht erzählt wird. In diesem Märchen wäre der Fuchs der Held, der dann am Schlüsse von 57 »von dem Zauber, der auf ihm lag, erlöst« wird. Das Motiv der Waldbraut, das in »Allerleirauh« (65) erscheint, ist auch aus andern Märchen (3, 9, 49) geläufig. Ursprünglich entstammt es, wie in 9 und 49, Erlösungsmärchen; der Dienst an den Erlösungsaufgaben, Schweigsamkeit, Ernst und Arbeit an den Zauberhemden innerhalb bestimmter Frist, ist in den Wald verlegt (Beziehung zu der alten Form »Einsiedlerwald«), um mittels des andern alten Motivs der Jagd im Walde die Anknüpfung an das folgende Geschehen zu ermöglichen. Dabei ist der Wald sowohl in dem Motiv »Jagd« wie in dem Motivkomplex »Waldbraut« nur Schauplatz. Sowohl in 9 und 49 aber wie in 3 (obwohl das nicht, wie die beiden andern, Erlösungsmärchen ist) bleibt das Waldbrautmotiv wenigstens in enger Beziehung zum Waldzauber, der den Charakter dieser Märchen als Waldmärchen begründet. — In 65 erscheint es nun aber von jedem Waldzauber gelöst und ist nur noch um der Verknüpfung mit Jagd und Entdeckung willen da. Der Wald ist hier gänzlich ohne Inhaltsverbundenheit. »Die faule Spinnerin« (128) ist ein Schwank, in dem Waldzauber vorgetäuscht wird, nicht durch den Erzähler, sondern durch die Hauptfigur selbst, die Kinderlegenden 2 und 6 endlich zeigen nur noch angebrochene Waldmotive wie »im Walde verirrt zu einer Raststätte und zu Schätzen kommen« und »im Walde in eine Räuberhöhle geraten«.

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Der Wald des Volksmärchens, den wir hier zusammenfassend betrachtet haben, stellt neben dem einen der Kunstdichtung den andern Zweig literarischer Tradition innerhalb unseres Themas dar. Die jahrhundertelang völlige Trennung der beiden Gattungen ist der Grund dafür, daß der Wald, der im Volksmärchen schon längst seinen Höhepunkt als Stoff erreicht hatte, nicht von hier aus vorbildlichen Einfluß auf die Kunstdichtung genommen hat. Das unnatürliche der Beziehungslosigkeit beider Gattungen empfand Herder als erster; aber erst durch die Romantiker wurden die trennenden Mauern soweit niedergerissen, daß die neue Anerkennung des Volksgutes auch der Entfaltung unseres Stoffes in der Kunstdichtung zugute kam. Eine Ausnahme, eine wirkende Beziehung des Märchenwaldes auf eine Schöpfung der Kunstdichtung, müssen wir (durch die sachliche Abhängigkeit notwendigerweise nachträglich) erwähnen: Wielands Oberon. Die Einwirkung erfolgte, bei der damals noch, in der Zeit des ausklingenden Rokoko, schroffen Ablehnung der »Ammenmärchen«, auch durch Wieland selbst, auf dem Umwege über die modischen Feengeschichten der Franzosen. Hier liegen unverkennbare Märchenmotive zugrunde, wenn auch nicht ausschließlich deutsche, so z. B.: übermäßig schwere Aufgaben werden dem Heiden gestellt (wie in Grimm 13 u. ö.), Blumen künden das Schicksal des Entfernten (Grimm 85 u. ö.), Tanz wider Willen nach dem Klange eines Zauberinstrumentes (Grimm 110 u. ö.). Neben diesen allgemeinen Motivbeziehungen zeigt der Wald im Oberon zweimal über das sonstige Format der Zeit hinausgehende Ansätze in der Richtung zu dem Ziele hin, das im Märchenwald erreicht ist und offenbar als Vorbild gewirkt hat. Bereits im ersten Gesang (V. 97 ff.) hebt sich der Wald in dieser Art hervor. Obwohl ganz auf seine Schauplatzqualität beschränkt, ist er doch als Schauplatz wichtigen Geschehens betont; durch die Handlungsmotive, deren Schauplatz er wird, werden wir ans Märchen erinnert. Der wilde (V. 101, 106, 141), unbekannte (114) Wald . . . scheint sich von allen Seiten, Je mehr er schaut, je weiter, auszubreiten. (103/4.) Der Held Hüon, in diesem Walde verirrt, sieht schließlich Licht und findet, zwar nicht wie im Märchen ein Häuschen und damit den Walddämon und Gegenspieler, aber recht ähnlich eine Höhle, »ein prasselnd Feuer« und den Mitstreiter und Gefolgsmann Scherasmin; und sogar der Zauber fehlt nicht, nur ist der nicht real wie im Märchen, sondern ganz rationalistisch nur als Schein und Glauben angedeutet: Was ganz natürlich war, deucht ihm ein Zauberspiel. (105.) . . . Mit lustvermengtem Grauen (vgl. Brockes! Ebenso zu 782 u. 796.) Bleibt unser Ritter stehn, den Zauber anzuschauen. (143/4.)

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Die »Natürlichkeit« dieser Waldnatur überrascht selbst noch im ausgehenden Rokoko; aber es ist nicht zu vergessen, daß die Szene im Orient spielt und daß so die exotische Landschaft diese (im Rokokosinne) Geschmackswidrigkeit rechtfertigt. Neben dieser Stelle, die im äußeren stark dem Märchenwald angeglichen ist und auch, obwohl Schauplatz, handlungsmäßig wenigstens an hervorgehobenem Orte steht, zeigt der Wald an der zweiten Stelle (II. Ges., V . 657 ff.) sogar innerliche Inhaltsbezogenheit im Sinne des Märchens. Dieser Wald, wenn auch der Natur der handelnden Gestalten nach, die rationalistisch denken, aber mit dem Märchenzauber umgehen, zunächst nur nach Schein und Glauben (in Tiere verwandelte Menschen, V . 670, 693 ff.), ist wirklich Zauberwald. Es ist der Ort, an dem der Held der Zaubermacht, dem Gegenspieler, der zweiten und überragenden Hauptfigur der Dichtung, begegnet, und so nicht mehr nur Schauplatz, sondern Raum voller inhaltlicher Beziehung. Diese Rolle ist nun aber wieder auch nicht zu überschätzen. Äußerlich gleitet der vermeintliche Zauberwald gleich in einen wirklichen Zaubergarten über (V. 778), in dem die Gartenbegriffe des Rokoko triumphieren (V. 779, 783, 786/7, 792). Inhaltlich aber ist der Wald wohl Sphäre und Reich Oberons, aber keineswegs ist das n u r der Wald! Oberon, wenn er überhaupt einem Elemente oder Räume besonders zugerechnet werden soll, das wird nicht betont, mag als König der Elfen (der »zephyrgleichen Schar«, V I . Ges., V . 3453) am ehesten als Luftgeist gelten. Jedenfalls ist er nicht nur Waldgeist, keine Waldmacht im Märchensinne. Dem entsprechend wendet sich die Handlung auch schnell von diesem Räume weg, um nicht mehr dahin zurückzukehren. Das ist entscheidend. Wald wie im Märchen liegt also im Oberon nicht vor, nur eine Neigung in dieser Richtung, nämlich den Wald als märchen- und zaubernah anzusehen, ähnlich wie wir in Volksmärchen, die nicht ausgesprochene Waldmärchen sind, die Neigung feststellen konnten, Zaubermächte im Walde zu lokalisieren, auch wenn sie gar nicht dahin gehören. (Vgl. die Besprechung von Grimm 55.) Der Fall des Oberon bleibt eine Ausnahme und in seiner Märchenbeziehung ohne Nachwirkung. Dennoch ist er im Zusammenhange mit der Betrachtung des Waldes im Märchen interessant genug als Zeugnis der Abhängigkeit einer Kunstdichtung vom Volksmärchen in volksmärchenfeindlicher Zeit. In den vorher behandelten Zeiträumen, den gleichgerichteten der Vorgeschichte und den bemühungsvollen des achtzehnten Jahrhunderts, sahen wir die Entwicklung des Waldes als eines landschaftlichen Stoffes unter anderen, deutlicher oder blasser unter ihnen erscheinend, aber nie-

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mals einzigartig. Im Volksmärchen zuerst zeigt der Stoff sich in der vollen Entfaltung seines eigenen Wesens. E r gewinnt in seiner Eigenschaft als eigene Welt Inhaltsverbundenheit, d. h. er steht nicht mehr nur als einzelnes Stoffelement verarbeitet in der Handlung, sondern er greift in die Handlung ein und treibt sie vorwärts, j a er bildet ein Handlungsprinzip des Märchens. E r umfaßt als Raum eine ganze Sphäre von Gedanken und Vorstellungen, er stellt so einen der Pole dar, aus deren Doppelheit die Spannung der Handlungen entspringt. E r bedeutet (zwar nicht ausschließlich, aber an Wichtigkeit wie Häufigkeit vor allem anderen) Gegenspieler die Welt des Fremden, des Gegenspielers im Märchen. des Helden ist die Zaubermacht auch, wo sie ihm verbündet und helfend auftritt, nicht nur im Sinne des Widersachers, sondern des Gegensatzes von Zauber- und »Außen«-Welt, der sich in Held und Machtträger verkörpert. In dieser Gegenwelt wiederum begreift der Wald das Eigentliche des Märchens, das Märchenhafte, das Wunderbare, in sich. Mit dieser Rolle, die der Wald im Märchen spielt, ist das höchste Ziel gesetzt, das er überhaupt erreichen kann; in einer durch Gattung oder Persönlichkeit in sich geschlossenen Dichtung das Eigentliche der Gedankenwelt als verkörpernder Raum, als eigene Welt zu umschließen. Dies Ziel erreicht er dreimal: im Volksmärchen, bei Tieck und bei Eichendorff. 4. K a p i t e l .

Tieck. Gegenüber dem Volksmärchen, das wir deutlich von der Form »Wald als eigene Welt« beherrscht fanden, tritt uns in Tiecks Dichtung, selbst wenn wir uns, wie notwendig, nur auf die der romantischen Zeit beschränken, wieder eine Vielfalt von Formen entgegen, die dann durch die eine, höchste, der »Welt«-Bedeutung zusammengefaßt werden. Der Wald der romantischen Dichtungen Tiecks entspringt aus drei Quellen. Davon ist die erste, die scheinbar persönlichste des eigenen Erfahrens und Erlebens, für uns am wenigsten greifbar. Was Köpke in seinen Erinnerungen *) erzählt, geht zwar auf Mitteilungen Tiecks zurück, ist aber in seinem Zeugniswert stark geschwächt durch offensichtlich spätere Hineindeutungen, sei es von Köpke, sei es von Tieck selbst. Dazu kommt als weiterer Grund, daß Tieck in seinem gesamten Erleben durch literarische Vorerfahrung bestimmt wird, das Erlebte *) R . Köpke, Ludwig Tieck, Erinnerungen aus dem Leben des Dichters, 2 Tie., Leipzig 1855.

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also bereits im Augenblick des Erlebens durch literarisches Vorurteil in seiner Ursprünglichkeit gefährdet ist. Dennoch ist sicher, daß seine Walddichtung aus dem lebendigen Grunde eines eigenen, persönlichen Verhältnisses zur Waldnatur kommt. Wir wissen, daß er in der Zeit geistiger Krise, in den letzten Berliner Jahren vor dem Studium, 1790/91, während seiner krankhaften Zustände Zuflucht bei der Natur sucht, in nächtlichen Waldspaziergängen und -Wanderungen. Wir kennen auch die Walderlebnisse bei der mißglückten Besteigung des Ochsenkopfes im Fichtelgebirge (während des Erlanger Sommers). Aus dem Fichtelgebirge — ist mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen — (und daneben aus dem Harz) sind auch die Vorlagen zu der in den Dichtungen immer wiederkehrenden Mittelgebirgslandschaft gekommen. Aber es ist ebenso wahrscheinlich, daß damals noch nicht, wie es bei Köpke scheinen möchte, von »romantischem Walde« die Rede sein kann. Eine spätere, rückblickende Erinnerung ( X I , S. X X X V I I ) gibt vielmehr Zeugnis, daß Tieck damals die Gebirgslandschaft mit den Augen des Trivialromanlesers ansah (vgl. a. »Karl v. Berneck«!). Die zweite Quelle sind die literarischen Vorgänger; und zwar nicht nur die Trivialromane (wenn auch wohl am wirksamsten), sondern auch der Sturm und Drang selbst, sogar Schäferdichtung, und dazu Shakespeare. Zu diesen beiden Quellen tritt als wichtigste dritte das Volksmärchen. Alle diese Formen, die vielfach verschiedenen der Kunstdichtung und die eine des Volksmärchens, zeigt Tieck in seiner eigenen Dichtung noch einmal. Er probiert gleichsam alle Masken durch, bevor er zu seiner Form kommt, bevor es ihm gelingt, die lebendigen und brauchbaren Einzelzüge zusammenzufügen, nicht zu einem enzyklopädischen Nebeneinander, sondern zu der neuen Einheit des romantischen Waldes. Wir sehen in einem Gedicht von 1790 typischen Schäferwald: Sie sieht meine Thränen, Achtet ihrer nicht; . . . Ach vertrocknet, Büsche, Wälder, streift euch ab! (Klage, N. S. 175), aber im gleichen Gedicht auch den Wald des Trivialromans: Brauset, finst're Tannen, Rausche, Wasserfall, Stimm in meine Klagen, Finst'rer Eichenwald! (174.) In der frühen Zeit ist diese Form des Waldes häufig, so z. B. auch in dem nachgelassenen Romanfragment »Ryno« von 1791 ( N . S . I I , 8f.): . . . es brauste durch den Eichenwald... Tannen und Eichen traten fürchterlich wie schwarze Gespenster aus der Erde hervor, die ihre zackigen Arme gegen ihn hinstreckten.. .

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oder in dem Feenmärchen »Das Reh« von 1790 (N. S. I , 35): Was hör' ich? Warum rauscht der Wald so schrecklich? Der Sturmwind brauset durch die Eichen, Der Rabe krächzt, die Eule heult, Es tönen Klagestimmen durch den Hain, Die ganze Waldung schaudert 1 Solche Trivialroman-Szenerie erscheint noch im »Sternbald« ( X V I , 330): . . . dann würde ich einsame, schauerliche Gegenden abschildern, morsche zerbrochene Brücken über zwei schroffen Felsen, einem Abgrunde hinüber, durch den sich ein Waldstrom schäumend drängt: verirrte Wandersieute, deren Gewänder im feuchten Winde flattern, furchtbare Räubergestalten aus dem Hohlwege heraus, angefallene und geplünderte Wägen, Kampf mit den Reisenden. Sogar die konventionellen Begriffe des Rokoko, wenn auch nicht ihre Inhalte, zeigt der Sternbald noch ( X V I , 262): Wie man an heißen Tagen . . sich des Haines liebliche Kühlung und seine rauschenden Schatten wünscht, um sich tief in der dunkeln Grüne zu ergehn und immer weiter in das dicht verflochtne Labyrinth zu dringen... Ganz ossianische Natur kennen wir aus zwei Gedichten (1791) des Nachlasses: Bäche flieh'n murmelnd dahin, Winde rauschen durch Wälder, Stürme brausen im Klippengewinde, Wolken jagen sich am H i m m e l . . . (N. S. 200), oder Dann wallt mein Schatten über der nahen Tannen Wipfel empor, der Knabe sieht's und schaudert... (N. S. 196). Shakespeares Sommernachtszauber schließlich versucht er nachzuahmen in dem »dramatischen Fragment« von 1789, »Die Sommernacht«. Zu diesen ersten Nachahmungen von Vorbildern der Kunstdichtung, den schülerhaften Formproben von 1790 und 1791 oder den ähnlichen Relikten im Sternbald tritt die Auseinandersetzung mit dem Walde des Volksmärchens im »Blonden Eckbert« (1796). Hier ist das Vorbild nicht mehr bloß kopiert, sondern verarbeitet. In seiner äußern Erscheinung hat der Wald des Blonden Eckbert kaum Ähnlichkeit mit dem Märchenwalde. Es ist kein Wald, sondern wieder eine Waldlandschaft, deutlich abhängig vom Trivialroman, stark — nach Tiecks Art — mit Gebirgselementen durchsetzt, so daß der Gebirgscharakter teilweise geradezu vorherrscht. Diese Verschiedenheit vom Märchenwalde gilt nicht nur fiir die Landschaften, die Bertha auf ihrer B a u m g a r t , D.Wald i. d. dt. Dichtg.

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Flucht durcheilt, sondern auch von der entscheidenden Szenerie, der der eigentlichen Kernhandlung im Märchensinne. Das Häuschen der Alten steht nicht mitten im dichten Walde, wie es dem Märchen entsprochen hätte, sondern in einer fast offenen Landschaft, die sogar Spuren menschlicher Zivilisierung zeigt: Wir stiegen nun einen Hügel hinan, der mit Birken bepflanzt (!) war, von oben sah man in ein grünes Thal voller Birken hinein, und unten mitten in den Bäumen lag eine kleine Hütte. (IV, 151 f.) Diese Landschaft, dem Märchenwalde kaum noch verwandt, ist für Tieck im Blonden Eckbert »Wald«, wie er auch der Formel »Waldeinsamkeit« zugrundeliegt. Um so stärker zeigt sich die inhaltliche Beziehung zum Märchenwalde, bei einem Handlungsvergleich mit dem Märchen. Der Blonde Eckbert beginnt mit einer Rahmenerzählung, die später in die Kernhandlung eingeflochten wird, ihren Rahmencharakter also damit verliert, eine Kunsttechnik, die dem Märchen fehlt, weil es in der dritten Person erzählt wird. Die Kernhandlung, die Erzählung Berthas, ist das eigentliche Märchen. Sie beginnt, wie das Waldmärchen, mit einer Außenhandlung. Bertha entflieht vor den Mißhandlungen ihres Pflegevaters und gelangt auf ihrer Flucht, die sehr ausfuhrlich geschildert wird, endlich in den Wald, oder wie wir besser gleich sagen, in die »Waldeinsamkeit«. Hier kommt sie mit der Zauberwelt in Berührung. Sie besteht aber die Prüfung der Geduld nicht, sondern stiehlt den Zaubervogel und entflieht. Die Außenhandlung wird wieder aufgenommen; die Pflegeeltern Berthas sind bei ihrer Rückkehr bereits gestorben, sie lebt allein und tötet endlich den mahnenden Vogel. — Damit ist die eigentliche Märchen- und Kernhandlung abgeschlossen oder besser abgebrochen, denn sie ist nicht gelöst. U m nun zur Lösung zu gelangen, wird in die vorher realistische, j a aufgeklärte (146, 156) Rahmenhandlung — das rittermäßige Kleid darf darüber nicht täuschen — der Zauber der Kernhandlung hineingetragen. So mischt sich jetzt Märchen- und Zauberhaftes (Verwandlung, der lebende Tote, sowohl Walther wie der Zaubervogel, 167/8) mit Psychologisch-Realistischem zu unentwirrbarem Durcheinander. Das wird sogar ausgesprochen: . . das Wunderbarste vermischte sich mit dem Gewöhnlichsten, die Welt um ihn her war verzaubert.. (168/9). Mitten im als real und wahr empfundenen Erleben verschwindet plötzlich der Boden der Wirklichkeit unter den Füßen, und es entsteht der vielberufene Eindruck des Alptraums. (So z. B. auch im »Runenberg« I V , 225). — Die Wiederkehr der Märchengestalten Zauberfrau, Vogel, Hund einem andern Helden gegenüber erinnert an die Doppelheit der Machtwirkung, die uns bei der Besprechung von »Brüderchen und

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Schwesterchen« beschäftigte. (Auch der Beginn der Kernhandlung, Berthas Flucht, ähnelt dem Anfange von »Brüderchen und Schwesterchen«.) Hier haben wir nun wirklich die Waldmacht, die in Verwandlungen auch außerhalb ihrer Sphäre auftritt und dort Zauber und Wunder hinträgt, aber dabei ihr Wesen behält, wie das identische Wiederauftreten am Schlüsse beweist. Die Doppelheit des Heldenpaares ist aber hier eine andere als im Märchen Grimm 11; es steht nicht jeder Held im Erleben mit eigener Konfliktknüpfung und -lösung für sich, sondern Eckbert tritt gleichsam das Erbe Berthas, im Handlungs- und Lösungssinne, an. Wir haben auch Wald als ursprüngliche Zauberwelt, Verknüpfung der realen Außenwelt (in der Person Berthas, dann Eckberts) mit der wunderbaren Wald weit (in der Gestalt der Alten). Die Waldeinsamkeit ist wie der Wald im Volksmärchen der Angelpunkt des Geschehens. Die dort hausenden Mächte sind Gegenspieler und treibende Kräfte der Handlung. Solcher nahen Ähnlichkeitsbeziehung zum Märchen steht nun aber gegenüber, was grundsätzlich den Gesetzen des Märchens widerspricht: Im Volksmärchen behält stets der Held den Sieg über feindliche Waldmächte und kehrt am Ende aus dem Walde zurück. Im Blonden Eckbert siegen die Mächte des Waldes und die Katastrophe des Helden, die das Märchen j a nicht kennt, fuhrt wieder in den Wald. Das Recht triumphiert wie im Märchen, aber das Recht liegt auf der Seite des Waldes und seiner Mächte. Die Außenwelt, die als Grundposition des Helden und des parteiischen Erzählers im Märchen eine gehobene Stellung einnimmt, verliert sie hier zugunsten des Waldes. Damit erhält dieser einen ganz andern Akzent. Er wird stärker betont und höher bewertet als die Außenwelt. Das Verhältnis von realer Welt des Helden und zaubermächtiger Waldwelt wird geradezu vertauscht, so daß am Schlüsse Zauber und Unwirklichkeit das Feld behaupten. Diese Gewichtsverschiebung ruht auf dem Grunde der antithetischen Zweiteilung im Zauber der Waldwelt und Realismus der Außenwelt. Im Blonden Eckbert ist die Verlagerung des Schwerpunkts auf die Waldwelt der Ausdruck der nahezu pathologischen Neigung des jungen Tieck zur Dämonie. Die Antithetik bleibt aber auch in der ganzen romantischen Epoche bestehen. Und auch hier behält — trotz Wandlung der Bedeutungsgehalte der gegeneinander stehenden »Welten« — die Waldwelt das Übergewicht. Diese frühen Waldformungen Tiecks zeigen entweder unfreie Nachahmung eines Vorbildes oder deutliche Abkehr von einem Gegenbilde, beidemal jedoch unverkennbare Abhängigkeit von vorgefundenen Schöpfungen. Sie stellen aber nur den Unterbau dar, auf dem sich der die eigentlich romantische, d. h. nicht auf andere Formen bezogene, sondern eigene Form, eben die romantische, darstellende Wald Tiecks erhebt. 4*

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Das äußere Gesicht des romantischen Waldes bei Tieck ist in seinen einzelnen Zügen oft genug dargestellt worden, um hier übergangen werden zu können. Wichtiger als die Elemente der Schilderung ist uns das Schilderungsprinzip, das in der Tieckischen Darstellungsweise des Waldes, aber nicht nur des Waldes, herrscht. Das ist die Kunst der Stimmung, deren Grundlagen und Anfänge wir bei Klopstock beobachtet haben, und die uns hier verfeinert und ausgebildet entgegentritt. In der Kunst, ein Gefühl durch Naturschilderung zu unterbauen, zu umschreiben, auszuschmücken, erreicht Tieck einen — mindestens e i n e n — Höhepunkt seines dichterischen Könnens. Bei der sprachmusikalischen Ausgestaltung der Naturstimmungen gerät er allemal in einen Rausch sinnlicher Wahrnehmungen und Vorstellungen und erzielt in ihrer Eindringlichkeit nahezu impressionistische Wirkungen. Sein Reichtum an sinnlicher Nuancierung ist unerschöpflich, und wo er von dieser Gabe Gebrauch macht, ist seine Schilderung von fast ausschweifendem Raffinement. Unsre Beispiele können hiervon nur einen kleinen Ausschnitt geben, schon aus dem Grunde der notwendigen Beschränkung auf das Stoffgebiet »Wald«, wenn auch gerade hier vor allem seine Stimmungskunst sich bewährt und der Wald Tiecks auch in seiner landschaftlich-äußerlichen Erscheinungsform reicher und umfassender ist als z. B. der Wald des Volksmärchens in seinem unversehrt reinen, ausschließlichen Waldcharakter; so werden auch die Stimmungselemente nicht nur aus dem Spezifischen des Waldes genommen, die Sonne und noch mehr der Mond vor allem spielen für Licht- und Farbeffekte eine große Rolle. . . . indem die Schatten dichter zusammenwuchsen und das Roth der sinkenden Sonne tief unten durch die Baumstämme äugelte, und mit zuckenden Strahlen um ihn spielte. ( X V I , 36.) Plözlich war es Mondschein. Wie vom holden Schimmer erregt, klang von allen silbernen Wipfeln ein süßes Getöne nieder; da war alle Furcht verschwunden: der Wald brannte sanft im schönsten Glänze, und Nachtigallen wurden wach, und flogen dicht an ihm vorüber, dann sangen sie mit süßer Kehle, und blieben immer im T a k t e mit der Musik des Mondscheins. (Ebd. 84.)

Die Stimmungsschilderung erscheint nicht erst im romantischen Walde; auch der sonst so außergewöhnlich knapp und gehetzt erzählte Blonde Eckbert verweilt in der Schilderung, um durch Naturstimmung — wenn auch in einfacherer Form — zu wirken: Als wir heraus traten, ging die Sonne gerade u n t e r . . . In das sanfteste Roth und Gold war alles verschmolzen, die Bäume standen mit ihren Wipfeln in der Abendröthe, und über den Feldern lag der entzückende Schein . . . usw. ( I V , 151);

und natürlich das Lied des Zaubervogels:

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Waldeinsamkeit, Die mich erfreut, So morgen wie heut In ew'ger Zeit, O wie mich freut Waldeinsamkeit. (IV, 152) und seine Variationen ( 1 6 1 , 168). Die vollendete Form dieser Kunst aber zeigen die romantischen Walddichtungen, so vor allem mit einer großen Reihe von Beispielen, von denen ich einige auswähle, der »Sternbald«: Alles war still, und nur das Rauschen der Bäume schallte und säuselte in abwechselnden Gängen über ihm weg durch die liebliche Einsamkeit, in dem Getöne und Murmeln eines Baches, der entfernt durch das Gehölz hin floß... Franz setzte sich auf den weichen Rasen, . . dann höhlte er frischen Athem, und ihm war leicht und wohl; . . . (XVI, 14.) Ein Wind rauschte herüber und ging durch die großen Aeste des Baums, und alle Gefühle, die fernsten und dunkelsten Erinnerungen wurden mit herübergeweht.... (Ebd. 37.) Die Sonne senkte ihre fröhlichen Strahlen durch das grüne Gebüsch, und neuer Muth und neue Heiterkeit ward in ihm w a c h . . . . Denn aus der Farbe, aus dem Schmuck blühte wie ein voller knospenschwerer Frühling die Sehnsucht wieder auf ihn zu und umfing ihn mit duftenden blumenden Zweigen. (Ebd. 151. Vgl. a. 153, 226.) Diese beschreibende Stimmungskunst hat Tieck meisterhaft beherrscht. In der epischen Schilderung als verweilender Betrachter sinnliche Vorstellungen stimmungzeugend zu häufen, abzuwandeln, zu verquicken ist er wohl unübertroffen. Außer den erzählenden Dichtungen weisen nun auch die lyrischen Gedichte Tiecks Naturstimmung des romantischen Waldes auf, und da seine Meisterschaft auf dem Gebiete der Naturstimmung in der Art der epischen Schilderung lag, ist es verständlich, daß diese auch aufs lyrische Gedicht übergreift und dort hie und da in gleicher Weise wie in der Erzählung erscheint. Da ist's, als wenn die Quellen schwiegen, Ihm dünkt, als dunkle Schatten stiegen, Und löschten des Waldes grüne Flammen, Es falten die Blumen den Putz zusammen.

Oder:

Die Nacht'gall versteckt die Gesänge im Wald, Nur Echo durch Still' und Einsamkeit schallt. (XVI, 199.) Wohl seh' ich Gestalten wanken Durch des Waldes grüne Nacht, Die bewegten Zweige schwanken, Sie entschimmern wie Gedanken, Die der Schlaf hinweg gefacht. (XVI, 241.)

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A b e r Tieck entwickelt neben dieser beschreibenden auch noch eine andere, spezifisch lyrische Art, Stimmung zu erwecken. Aber sie wächst bei ihm nicht als das natürliche und angemessene Kleid eines durchdrungenen und tiefen Gehaltes; denn Tieck ist kein lyrischer Dichter. Er ist ein lyrischer Formkünstler. U n d so, formal gewandt, launisch, sprunghaft, einfallsreich, überzüchtet er einen der Zweige der Stimmungskunst, den unmittelbar klanglicher Wirkung durch die Musik der Sprache. Dabei sind die mittelbaren Wirkungen auf die andern Sinne natürlich nicht ganz übergangen, das Sprachmusikalische jedoch im Rhythmus, in Reimverschränkungen, in Responsionen (Echowirkung!) ist deutlich das vorherrschende Prinzip. Waldnacht! Jagdlust! Leis' und ferner Klingen Hörner, Hebt sich, jauchzt die freie Brust! Töne, töne nieder zum T h a l , Freun sich, freun sich allzumal Baum und Strauch beim muntern Schall.

( X V I , 228.)

Oder: Laue Lüfte Spielen lind, Blumendüfte Trägt der Wind, Röthlich sich die Bäume kräuseln, Lieblich Wähnen Zärtlich Sehnen In den Wipfeln, abwärts durch die Blätter säuseln.

(Ebd. 254.)

Sogar im D r a m a ist die dichterische Naturstimmung zu finden, und bei der Vermengung der Formen, die Tiecks Dichtungen auszeichnet, nimmt es nicht wunder, wenn sie auch hier wieder in durchaus epischer Art erscheint. Gerade Tiecks Schauspiele sind j a bis zur Unkenntlichkeit, bis zum fast völligen Verlust der eignen Form, durch Einmischung undramatischer Züge entstellt. Naturstimmung im Drama, oder vielmehr, was ihr dort entspricht, wird j a , wie wir bereits im Zusammenhang mit dem »Sturm und Drang«-Drama andeuteten, nicht mit dichterischen, sondern mit schauspielerischen oder regietechnischen Mitteln erzeugt. (Darum ist es dort nicht Stimmung in unserm Sinne, der nur die dichterische Wiedergabe meint.) Naturstimmung in dichterischer Schilderung also zeigt sich im D r a m a Tiecks, wo eine dramatische Gestalt sich episch oder lyrisch benimmt. Die Berechtigung zu solcher allerdings verlockenden Verletzung der dramatischen Gesetze könnte Tieck von Shakespeare abgeleitet haben ( z . B . Kaufmann von Venedig V , 1); aber wie ausnahms-

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weise erscheint sie hier, u n d wie maßvoll verwendet! U n d die Berechtigung Tiecks bliebe selbst in der Anlehnung an solches Vorbild fragwürdig genug! Wie wallen die Wogen, Wie rauscht der W a l d . . . (Das Ungeheuer u. d. verzaub. Wald, XI, ¡263; vgl. a. ebd. 215.) Hör' wie der Waldstrom unten braust und schäumt, Wie golden sich des Waldes Wipfel säumt, Wie die Strahlen hinunter klimmen, Im Schein die Fichten flimmen. Wie das Gebirg, in seinen Klippen gespaltet, Gar wunderbar im Mondschein sich gestaltet, Wie die Wälder sich rauschend neigen, Da unten die engen Thäler schweigen, Aus Felsenritzen Nebelwolken s t e i g e n . . . (Genoveva, II, 230; vgl. a. ebd. II, 195.) Diese Kunst der Schilderung ist die K u n s t des Dichters, Gefühle in sinnlicher Vergegenwärtigung, durch den Sprachklang unmittelbar, durch die eindruckskräftige Übermittlung sinnlicher E m p f i n d u n g ü b e r h a u p t mittelbar wirkend wachzurufen. Das Prinzip der Stimmungskunst, nach d e m mit einfachen Mitteln große Wirkungen erzielt werden, nämlich mit der einzelnen sinnlichen Vorstellung, die den Leser oder Hörer zu weiterer Assoziierung anregen u n d d a d u r c h das Gesamte des gemeinten Eindrucks hervorrufen soll, erscheint n u n bei Tieck in allen Graden. Die unterste Grenze, mit geringstem Mittel große Wirkung zu tun, bezeichnet die Stimmungsformel. Mit e i n e r Vorstellung, e i n e m Begriff wie mit einem Zauberworte sucht der Dichter eine ganze Welt der Stimm u n g aufzutun. Diese Stimmung kann, räumlich betrachtet, überall ihren Platz haben, sogar im geschlossenen R a u m . D e n n aus hier findet die N a t u r (nur nicht eben die landschaftliche) Eingang. Die Flamme warf einen hellen Schein durch das Gemach und spielte oben an der Decke, die Nacht sah schwarz zu den Fenstern herein, und die Bäume draußen schüttelten sich vor nasser Kälte. (Bl. Eckbert, IV, I45-) Aus den vielfältigsten R ä u m e n könnten also die Begriffe stammen, die zur Stimmungsformel erhoben werden. D a ß sie aber auch d e m Waldr a u m genommen sind, zeigt eine Betonung des Waldes als Stimmungssphäre, die — ohne d e n Begriff der »Welt« -Bedeutung pressen zu wollen — als auch im Formalen sich offenbarende Neigung Tiecks zu innerlich geschlosseneren, »welt«mäßigeren Waldvorstellungen hier immerhin angemerkt sei. Diese Stimmungsformeln sind neben d e m häufig als Vorstellung u n d auch in praktischer A n w e n d u n g auftretenden Echo die Begriffe der »Waldeinsamkeit« aus d e m Blonden Eckbert, des Wortes,

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das Tiecks Freunde verdammen wollten, das Wackenroder »unerhört und undeutsch« fand, und das zum Schlagwort und Sammelbegriff flir die ganze Romantik wurde, und des »Waldhorns«, das vom Sternbald her ( X V I , 39, 69, 220, 270 u. ö.) seinen Siegeszug antrat und später bei Eichendorff noch häufiger zu finden ist als bei Tieck. In ihnen ist das Stimmungsprinzip bis zur äußersten Grenze der Möglichkeit verdichtet, und so boten auch sie die beste Handhabe, um in ihnen die ganze romantische Dichtung zu verspotten, in der als ganzer j a die Stimmung einen großen Platz einnimmt. Tieck selbst machte sich in seiner gleich benannten Novelle (1840) über die Waldeinsamkeit lustig (als Realist über den Romantiker) und bereits im Zerbino (etwa gleichzeitig mit dem Sternbald!) über das Waldhorn (als Romantiker über die nüchternen Feinde der Romantik): Waldhorn.

Hörst, wie spricht der Wald Dir zu, Baumgesang — Nestor (hält ihm den Mund zu). Um Gotteswillen, schweige doch nur, denn Du bist mir das fatalste von allen diesen Instrumenten. Da ist ein Buch kürzlich herausgekommen, mich dünkt, Sternbalds Wanderungen, da ist um's dritte Wort vom Waldhorn die Rede, und immer wieder Waldhorn. Seitdem bin ich Deiner gänzlich satt. — (X, 292.)

Die Kunst der Naturstimmung ist das Prinzip, nach dem der romantische Wald Tiecks in seiner äußern Erscheinung dargestellt ist. Fragen wir nun, nachdem wir sahen, wie er erscheint, was er bedeutet, und betrachten die Inhalte, die er umschließt, so verhindern mehrfache Schwierigkeiten eine einfache Beantwortung dieser Frage. Zunächst ist die Häufigkeit, mit der der Wald in den romantischen Dichtungen Tiecks erscheint, überraschend. So steht z. B. in den Dramen, fiir die eine Szenenstatistik vorliegt (G. Danton, T h e nature sense in the writings of Ludwig Tieck, Diss. N e w York 1907, S. 63), der Wald als Schauplatz von 3 2 unter 3 7 4 Szenen aus insgesamt 1 8 Stücken an erster Stelle. Z u diesem rein zahlenmäßig häufigen Vorkommen tritt eine Vielfalt von verschiedenen Inhalten, die in den Wald verlegt sind. Und schließlich ist der Grad der Verschiedenheit dieser Inhalte so groß, daß sie als Hinweis auf etwa eine bestimmte Grundhaltung des Dichters dem Walde gegenüber, wie bei Klopstock oder im Sturm und Drang oder im Trivialroman, versagen. Wenn wir jetzt aus der Grundfrage heraus, was der romantische Wald Tiecks bedeute, eine Reihe solcher Inhalte betrachten, so ist dabei im Auge zu behalten, daß es das Tieckische oder im engern das TieckischRomantische nicht dieser Inhalte ist, das uns angeht, sondern vielmehr

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des Waldes, in Beziehung zu diesen Inhalten. Dies ist aus keiner einzelnen Form als Ganzes zu gewinnen. Die Form der »großräumigen Landschaft«, die wir als Grenzfall ansehen, weil der Wald darin von außen gesehen seiner eigentlichen Raumqualität beraubt erscheint, ist seit ihrem ersten Auftreten in den Zeiten der Vorgeschichte nicht mehr aus der Dichtung und dem Sprachgebrauch der Deutschen verschwunden; sie begegnet auch bei Tieck und erweist hier wiederum, daß sie nicht ganz aus dem Rahmen unseres Themas fallt, sondern einen gewissen Grenzcharakter besitzt. Das offenbart sich in der Tatsache, daß der Wald im Zusammenhang solcher nur auf die Landschaft als zusammengesetzten Raum achtenden Blickweise nicht gänzlich ohne spezifische Eigenheit zu sein braucht. Da die wirklich charakterisierenden Bezeichnungen des Waldes aber, wenn sie hier erscheinen, aus ausschließlicher Waldbetrachtung geschöpft sein müssen, ist das Grundgesetz der »weiträumigen Landschaft«, den Teil nur in seiner Teileigenschaft zu werten, verletzt. Der eigentliche Grundgedanke, die Teile in einer Landschaft zusammenzufassen, geht verloren, und die Form gerät leicht in Gefahr, zu bloßer Aneinanderreihung an sich und nicht mehr teilhaft gemeinter Landschaftsteile zu zerfließen. — Neben der gewöhnlichen Art Wald und Berg (XVI, 73), durch Wälder, über Berge, an Strömen vorüber (74) usw. erscheint die attributiv erweiterte Form. Sie kann so völlig blaß sein wie in den Versen Garten, Berge, Wälder weit — Sind mir Grab und Einsamkeit (XVI, 255; Ged. 405), bei Tiecks Bedenkenlosigkeit in solchen Dingen muß man sogar annehmen, daß »weit« nur um des Reimes willen dasteht; unbeeinflußt und selbständig tritt das bezeichnende Wort oder Wortgefuge aber in folgenden beiden Beispielen hinzu: Berge und Auen, Einsamer Wald (IV, 296, Ged. 69) und Schön ist's, wie Berge auf zum Himmel steigen, Wie sich der Strom im ew'gen Leben reget, Der laute Sturm mit seinen Flügeln schlaget, Der grüne Wald mit seinem dunkeln Schweigen (Ged. 165). Die Charakterisierungen, die der Wald so erfährt, wie »einsam« oder »mit seinem dunkeln Schweigen«, sind nur möglich, wenn man den Wald fiir sich sieht, nicht in der Einordnung in das Bild einer Landschaft, in der er nur Teil und von außen gesehen ist. Die »großräumige Landschaft«

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ist also im Grunde genommen keine eigene Form, in der der Wald sich zeigt, sondern nur ein Gehäuse der eigentlichen Formen. Die ältesten Waldformen, wie auch schon die Rahmenform der »großräumigen Landschaft« noch aus der Zeit der Vorgeschichte, erscheinen wieder (oder noch) bei Tieck, aber nicht konventionell, sondern jedesmal bewußt und individuell geformt. Als Schauplatz für Liebeshandlungen waren Naturszenerien von je beliebt, aber jetzt hat der Wald auch die Rolle des Gartens allein übernommen. Erste Liebesbegegnungen, wie die Oktavians und der Felicitas (I, 65), Leos und Lealias (I, 233) oder Wiederfinden (I, 409) oder das ungestörte Liebesglück (I, 394) sind gern in den Wald verlegt; außer dem Glück des Liebespaares führt auch die Seligkeit des einzelnen Liebenden in den Wald (X, 230). Aber zugleich hat auch Niedergeschlagenheit, Klage und Verzweiflung des Liebenden im Walde ihren Platz; beides rückt sogar das gleiche Gedicht nebeneinander (Ged. 92), in dem dann schließlich die Klage dominiert; ähnlich setzt auch die Magelone im Handlungsablauf die Gegensätze der Inhalte und entsprechend des Waldcharakters hart aneinander (IV, 328—336). Die Rastlosigkeit des Liebhabers treibt den Klagenden in den Wald (Ged. 42), und ebenso klagt das Mädchen im Walde (Ged. 403; X , 44). Die widersprechendsten Waldformen stehen so eng nebeneinander, und zwar nicht nur hier. Ganz ebenso ist es in den Formen, die mit dem Begriff der Einsamkeit zusammenhängen. Die Vorstellung des einzelnen Menschen dem Walde gegenüber ist hierbei die Grundposition, von der aus mannigfache Inhalte und wiederum widersprüchliche Waldformen entwickelt werden. Es stehen auf der einen Seite das Sich-Verirren ( X V I , 305) und die Wehrlosigkeit gegenüber den mit Gestalten verknüpften Unbilden des Waldes, wie Mördern oder wilden Tieren (I, 99), die meist zu negativer Gefuhlshaltung fuhren, wie »Grausen und Haarsträuben« (I, m ) . Dem steht gerade entgegen die Haltung positiver Bewertung des einsamen Waldes unter entsprechender Veränderung seines Wesens, die sich um die Gestalt des Einsiedlers gruppiert, der nicht immer, wenn auch am häufigsten (besonders im Sternbald X V I , 154, 306, aber auch I, 366) geistlich zu sein braucht; als Einsiedlerleben z. B. auch die Maler im Sternbald ( X V I , 171 u. 272 ff.). Das Waldleben in der Einsamkeit kann aber auch vorübergehend, ja unfreiwillig sein, ohne darum weniger gepriesen zu werden (Felicitas im Oktavian, I, 1 1 2 ) . Und schließlich gehört auch ein gelegentlicher Ausdruck hierher, der beglückt ein gesellig-einsames Leben unter den Tieren des Waldes anruft, wie vom »leichtbefiederten, fröhlichen Waldleben« in der Erzählung »Die Freunde« ( X I V , 145). Hier ist die Einsamkeit als Glück und Lust gepriesen. Ebenso wie in der größeren Ausgestaltung

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stehen sich bei gelegentlicher, meist adjektivischer Einführung der Einsamkeitsvorstellung die beiden Anschauungen gegenüber. Dieser ganzen auf den Einsamkeitsbegriff zurückzuführenden Gruppe von Inhalten steht teilweise wiederum eine neue entgegen, die das gesellige Walderleben umgreift und den Wald ausschließlich positiv wertet. Dahin gehört z. B. das Fest im Walde (im Sternbald, X V I , 293) und vor allem das überaus häufige Motiv der J a g d (II, 2 0 3 ; X , 3 ; X I , 186; Ged. 36, i n , 1 7 5 u. ö.). Eine dritte Gruppe umfaßt die Motive bloßer Gefiihlszustände der Dichtungsgestalten an sich, in denen das Gefühl nicht nur, wie in dem Darstellungsprinzip der Naturstimmung, durch die Schilderung des Waldes ausgedrückt, sondern von der Waldumgebung selbst hervorgerufen wird; der Wald erregt im Menschen »Stimmungen«, im Sinne des gewöhnlichen Wortgebrauchs. Es sind die Gefühlswerte, die auch bei den vorigen Gruppen, aber unter anderm Gesichtspunkt, als Gefühlsgehalte der betrachteten Motive, in ihrer Gegensätzlichkeit beobachtet wurden. A u c h hier liegt der Gegensatz deutlich zutage. So steht auf der einen Seite die Beruhigung des Verwirrten ( X V I , 62) und die »Herzensfreudigkeit« ( X , 2 3 1 , ähnlich auch 2 5 7 u. ö.), dann aber auch das trotz der Gefiihlsmischung deutlich positive »froh beklommen« der Felicitas (I, 1 1 2 ) und die »hohe Empfindung« ( I V , 1 2 3 , auch X V I , 36), die besonders in der Spätzeit hervortritt (»edle Gefühle« X X I I I , 73, »heiliges Grauen«, »andächtige Stimmung« X X I I I , 1 2 7 ) . — D e m gegenüber steht auf der andern Seite die Wehmut (Ged. 1 1 7 ) , die Schwermut ( X I V , 1 4 7 ) : . . . er schritt aus seiner Schwermuth heraus, so wie er aus dem Schatten des Waldes trat. und sogar, ganz stark: Von den rauschenden Blättern Zur Erde zittern Gedanken des Unglücks Und Bilder von Leiden. (X, 228.) Aus diesen Widersprüchen geht deutlich hervor, daß der romantische Wald Tiecks nicht von der Grundlage eines bestimmten Gefühlsurteils aus gesehen wird. E r steht über der Einseitigkeit solcher voreingenommenen Einstellung. Sehen wir zu, wie sich der Wald in stofflich-technischer Hinsicht zu den ihn erfüllenden Inhalten verhält, so finden wir eine entsprechende Uneinheitlichkeit. In der Gruppe von Liebeslust und -leid reiner Schauplatz und höchstens reflektierender Spiegel der Gefühlsgehalte, in der von Einsamkeit und Geselligkeit zum größten Teil (nicht überall, vgl. das

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Waldfest des Sternbald!) mit seinen realen Wesensqualitäten eingreifend, in der letzten Gruppe als Geiuhlserreger sogar motivbildend, ist auch diese Beziehung immer verschieden. In den drei Gruppen, die ich vorführte, ist der Motivreichtum der romantischen Walddichtung Tiecks natürlich nicht erschöpft. Sie sind hier ausgewählt, weil sie am klarsten die Gegensätze des Waldcharakters aufzeigen. Alle Waldmotive aufzuzählen (von andern seien als bedeutsam noch genannt: Allegorie Ged. 557, Märchen- und Sagenzauber XI, 145; X , 311), wäre vergeblich. Sie würden nur etwas über Motive, also Handlung, aussagen, aber nichts über die Bedeutung des Waldes. Es wäre nun voreilig zu glauben, der romantische Wald Tiecks sei nichts als ein Sammelsurium der widersprechendsten Formen zu den verschiedensten Inhalten, ohne den festen Halt eines Gesamtsinnes. Eine eigentliche und Grund-Bedeutung ist durchaus vorhanden, die alle einzelnen dichterischen Formen in sich vereinigt, nur ist sie nicht von der einzelnen Form in der Dichtung aus zu gewinnen, sondern von der Reflexion über die Dichtung. Diese Grundbedeutung ist die Auffassung Tiecks vom Walde als im engern Sinne poetischer Welt. Wiederum, wie im Märchen, erreicht der Wald hier die höchste Stufe seiner stofflichen Entfaltungsmöglichkeit, eine (wenn auch nicht mehr reale, sondern gedachte) eigene Welt im Gegensatz zur wirklichen zu bedeuten. Auf dem Traditionswege der deutschen Kunstdichtung aber geschieht es zum ersten Male, daß das die dichterische Schöpfung gründende Gedankengut eines Dichters, der Kerninhalt seines Dichterwerks als Ganzen, mit einem räumlichen Stoffe wie »Wald« eng verbunden wird, so daß der Stoff dem Gesamtsinn des Dichtens zugehört und ihn in symbolischer Umdeutung gleichsam verkörpert. Wie der Märchenwald das Wunderbare als Grundgedanken des Märchens, so umschließt der Wald Tiecks das Poetische (in der Wortbedeutung der romantischen Poetik) als Grundgedanken seiner Dichtung. Die Beziehung, die Tieck hier mit dem Märchen verbindet, ist deutlich. Auch beweist sie der Blonde Eckbert hinlänglich mit seiner klaren Stellungnahme zu den Märchenformen. Jedoch hat Tieck wohl nicht bewußt bloß ein Formprinzip des Märchens übernommen, sondern eher im romantischen Walde sich einen Träger dichterischer Grundanschauung, entsprechend dem Märchen, nachgeschaffen. Die Tatsache jedenfalls einer Einwirkung des Märchenwaldes auf den romantischen Wald Tiecks ist unleugbar. Daß das Volksmärchen in die Geschicke der Kunstdichtung eingreifend die Stoffentwicklung zum Gipfel führt, macht seine große Bedeutung fiir den Zusammenhang unseres Themas aus.

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Ein kurzer Vergleich zwischen dem Walde Tiecks und dem des Märchens verdeutlicht die enge Beziehung. Der Wald im Märchen stellt die Welt des Wunderbaren als des konstituierenden Märchenprinzips vor. Das Wunderbare spielt auch bei Tieck eine große Rolle, nicht nur in den ausgesprochenen Märchenerzählungen der Frühzeit, sondern in seiner ganzen Dichtung, besonders später wieder in den Novellen. So wird dies Grundprinzip des Märchenwaldes als Zauberwelt in den Tieckischen Wald mit hineingenommen. Freilich ist er verhältnismäßig selten so (z. B. I V , 216 u. 238; X , 97/8; X I , 215). Denn Tiecks Dichtung kreist nicht allein um den Gedanken des Wunderbaren. A b e r der Kerngedanke der Tieckischen Dichtung ist nicht etwa gänzlich verschieden von dem des Märchens, sondern nur umfassender und weiter. Das Märchen ruht auf der Grundidee des Wunderbaren, das als e i n dichterisches Prinzip seit Bodmer und Klopstock auch für die Kunstdichtung anerkannt war; Tieck mit dem gewaltigen Anspruch des Romantikers meint das Dichterische an sich. Der tragende Gedanke ist beide Male durch sein Gegenprinzip bestimmt, nämlich durch Welt und Gedanken der Realität. Ihr stellt sich im Märchen das Wunderbare, bei Tieck das Poetische entgegen. Seiner Bedeutung nach ist dieses »poetisch« das undefinierbare Schlagwort des Romantikers, das eine erlesenere, gewähltere Poesie meint gegenüber der landläufigen Scheinpoesie der Aufklärung, ein »poetisch im engern Sinne« gegenüber dem »poetisch schlechthin«, nicht dichterisch überhaupt, sondern gleichsam dessen potenzierte Form, keinen kunsttechnischen Begriff, sondern ein romantisches Ideal. Räumliche Verkörperung dieses Ideals (nicht die einzige, aber die vorherrschende) ist der Wald. Hier aber entfernt sich Tieck vom Märchen. Das Märchen steht zunächst auf dem Boden der Realität und gewinnt ihn am Ende wieder zurück, das Wunderbare hat den Charakter der Ausnahme (im Sinne dieses Grundstandpunktes, von dem aus es geschehen wird), wenn auch die Ausnahme als gerade gemeinter dichterischer Inhalt den größten R a u m einnimmt. Tieck strebt nicht mehr von der außerordentlichen Ausnahme zurück; die Gegenwelt des Realen wird vielmehr weggeschoben, gemieden, verabscheut; das Poetische ist das Eigentliche, Wahre, Ersehnte (z. B. Ged. 44; X , 231). Dieser Überbetonung, die den Begriff in seiner Ausnahmestellung und seinem Werte gefährdet, entsprach, biographisch gesehen, das »antibürgerlich« der Literatenexistenzen, Friedrich Schlegels oder Brentanos. Literarhistorich betrachtet hat sie, selber schon Reaktionserscheinung, wiederum den Rückschlag des Realismus zur Folge gehabt. D a nun hier, im Gegensatz zum Märchen, die Gegenwelt verschwindet, ist auch der Maßstab verloren, an dem sich der Begriff des Poetischen innerhalb der Dichtung ermessen ließe. Diesen neutralen Standort gewinnen wir in der

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romantischen Ironie wieder, in der sich der Dichter in der Dichtung reflektierend über sie erhebt. Hier ist, wenigstens sprunghaft und für Augenblicke, der Punkt erreicht, der uns den Begriff des Poetischen und damit die Rolle des Waldes als poetischer Welt klar erkennen läßt. Zwar ist der Wald nicht die einzige poetische Welt; wie im Märchen neben der Waldwelt auch die des Wassers und der Erde als Wunderreiche stehen, wenn auch als solche von geringerer Bedeutung, so gibt es neben dem Walde andere poetische Regionen, z. B. den Traum (vgl. X X V I , 37). Mindestens jedoch für die romantische Zeit, die uns j a allein angeht, ist der Wald als poetische Welt wenn nicht allein-, so doch vorherrschend. Die einfachste Form jener Reflexion, durch die wir diesen Charakter des Waldes erkennen, ist die bloße Hinzufügung des Beiwortes »poetisch«. So nennt die Erzählung »Die Freunde« das Leben im Walde ein »leichtes, poetisches Leben« ( X I V , 145). Deutlicher sprechen die Bilder die Beziehung von Wald und Poesie aus: Dichtkunst nicht mehr durch Zweige z i e h t . . . heißt es in einem Sternbald-Gedicht ( X V I , 2 1 1 ) . Oft treff' ich in dem Buchenhain die Lieder, Die er dort sang, sie hängen in den Blättern . . .

(Zerbino, X , 41.)

Meiner alten Amme Lieder, die lieben Geschichten, Die wohnen, wie seltsam, in diesem, diesem Wald! (Fortunat, III, 131.) Vom »Waldgrün hehrer Dichtung« spricht ein späterer Theaterprolog (Ged. 582). Die Volksdichtung wird ein »Wald voll ächt einheimischer und patriotischer Gewächse« genannt (IV, 26). Und in engster Verbindung mit der poetischen Schöpfung ist er die Stätte, j a geradezu die Quelle der dichterischen Inspiration. Sternbald dichtet im Walde ( X V I , 80). Im Zerbino, im »Garten der Poesie«, der zwar so heißt, aber »kein Garten, sondern eine Wildniß« ( X , 257), also eher der »Wald der Poesie« ist, spricht der Wald: Grüne bedeutet Lebensmuth, Den Muth der frohen Unschuld, Den Muth zur Poesie. (X, 263.) Und der Dichter im Oktavianus-Prolog sagt (I, 18): Wie sehnsuchtsvoll fühlt sich mein Herz gezogen, Dem frischen grünen Walde zugelenket,... Läßt höher noch der Mensch die Stimm' erklingen, Der Dichter Himmelslust der Welt verkündet.... Es brennt der Wald im hellen grünen Feuer, Und Geister spielend im Gezweige springen, Da regt die Poesie sich im Gemüthe, Es greift der Dichter nach der goldnen Leier, Die Wonne, die sein Herz bewegt, zu singen.

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Diese Reflexionen über die Dichtung in der Dichtung öffnen erst den Blick für die Grundvorstellung, die alle Waldmotive und Waldformen Tiecks vereint. Das ist das Charakteristische des Tieckischen Waldes: Nicht aus irgendeiner inneren Beziehung, wenigstens nicht aus nur solcher, gehören die vielen Waldmotive, Einsiedler und Mörder, klagender Liebhaber und verlassene Schöne, in den romantischen Wald, sondern weil sie besonders und hervorragend poetisch sind. Darin liegt eine gewisse Sanktion der Motive und Formen, die früher, in der Vorgeschichte, konventionell waren (aber nicht mehr bei Tieck sind!), freilich keine Rechtfertigung der früheren typischen Erscheinungsform. Sie werden nur gleichsam in ihrer poetischen Qualität bestätigt. Als spezifisch poetisch gehören sie dem Walde als poetischer Welt zu. Zweimal hat Tieck diesen Gedanken vom Walde als poetischer Welt in großartiger, einheitlicher Konzeption nun auch dichterisch zu gestalten versucht, indem er das inhaltliche Geschehen aus dem Walde als dem poetischen Boden entspringen läßt, in den beiden erzromantischen Spielen »Prinz Zerbino« (1796—98) und »Kaiser Oktavianus« (1801/2). Bei der unerfüllbaren Weite seines »Welt«-Begriffs ist es nicht verwunderlich, daß das Ergebnis nur unzulänglich, die dichterische Verwirklichung der Idee recht schwach und künstlich ist. Die beiden Dramen suchen alle Formen des Waldes zusammenzubringen, von der gewöhnlichsten der Schauplatzfunktion bis zur höchsten der »Welt«-Bedeutung, in die das Ganze eingebettet ist, und in zahlreichen Waldszenen alle möglichen poetischen Waldgestalten und -Situationen vorzuführen, im Zerbino noch innerhalb einer andern Hauptabsicht, denn er ist im Kerninhalt Literatursatire, erst der Oktavianus ist Spiel um des Spiels willen, ohne Nebenzweck, Beide Dramen sind durch Prolog und Epilog und durch Zwischenaktsreden in einen allegorisch-bildlichen Rahmen eingefugt, der diesen Gedanken, wie j a notwendig, nachdrücklich aussprechen und hervorheben soll. Im Zerbino wird das Spiel von der einzelnen Prologfigur des Jägers dem Satirencharakter ganz angemessen unter dem Bilde einer Jagd im Lande der Poesie eingeführt und durch die Zwischenaktsreden weitergeleitet; und am Schlüsse wird das Bild von der Jagd zu Ende geführt und noch einmal — nachdem schon der Prolog hinlängliche Andeutungen enth i e l t — ausdrücklich auf die »Welt«-Bedeutung des Waldes hingewiesen: Wir kehren zurück von der Jagd! Wohlauf, besucht das grünende Land, Den Wald mit den Hörnern durchklungen, Von bunten Vöglein durchsungen, Besucht ihn öfter, er ist Euch bekannt. (X, 381.)

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D e m Oktavianus, der, unbelastet von dem Neben- oder Hauptsinn der literarischen Satire, den Gedanken von der umfassenden Poesiewelt des Waldes reiner zur Anschauung bringt, ist als Prolog zur Einführung dieses Gedankens ein personenreiches Vorspiel vorangeschickt, das poetische Typenfiguren wie Ritter, Pilgerin, Liebender, Hirtenmädchen vorfuhrt und u m die Gestalten des Dichters und der Romanze mit einem Gefolge anderer allegorischer Figuren gruppiert. Der Waldgedanke wird auch im Oktavianus in reichen Motiven und Formen in Erzählung und D a r stellung durchgeführt (als Szenenbezeichnung erscheint sogar »Der Wald« (I, 108), nicht bloß »Wald«!) Der Rahmen schließt sich zwar nicht in einem selbständigen Epilog, der dem Vorspiele entspräche, wohl aber nichts weniger deutlich in dem gegen den eigentlichen Handlungsschluß nicht abgegrenzten Wiedererscheinen der Prologchöre und -gestalten und der Wiederholung der lyrischen Partie, der berühmten Verse: Mondbeglänzte Zaubernacht, Die den Sinn gefangen hält, Wundervolle Mährchenwelt, Steig' auf in der alten Pracht! Mit dieser Verschmelzimg der eigentlichen Handlung und des allegorischen Rahmens am Schlüsse ist der Leitgedanke der poetischen Welt am greifbarsten verwirklicht. In Worten wird er durch den wiederaufklingenden Refrain der Vorspiellieder: Der Liebe Tempel sei Im Walde — angedeutet, und ganz ausdrücklich noch einmal hervorgehoben durch die Verse: . . . im Walde sei hier alles Vollendet, wie es in dem Wald begann.

(I, 418.)

In einer späten Buchwidmung (an Friedrich Schlegel, für den zweiten Band der Schriften, 1828) verwendet Tieck noch einmal das Bild vom »Walde der Dichtung«, das uns in früheren Abwandlungen aus romantischer Zeit den Kern der Tieckischen Waldbedeutung erkennen half. Dies Bild ist alt (uns am geläufigsten aus Buchtiteln des 1 7 . Jahrhunderts und späterer Zeit, denen es zugrunde liegt — Spe: Trutznachtigall oder Geistlich-Poetisch Lust-Wäldlein, Fleming: Poetische Wälder, Herder: Kritische Wälder, Kerner: Deutscher Dichterwald usw.). Die verblaßte Ausdrucksweise geht letzthin sicherlich auf die antike Vorstellung vom Musenhaine zurück. Erst bei Tieck ist sie wieder von eigenem Gehalt erfüllt. Sie spiegelt bildlich die Auffassung wider, die Tiecks Stellung zum

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Walde begründet und die vielfältigen StofFormungen seiner Dichtung zusammenhält und krönt, die vom Walde als poetischer Welt. So darf er berechtigt und sinnvoll das Bild wieder gebrauchen: Je älter ich werde, je tiefer verirre ich mich in die grünenden Frühlingswälder der Poesie . . . 5. K a p i t e l .

Eichendorff. In Tiecks Walddichtung scheint der Gipfel der Entwicklung erreicht. Die »Welt«-Bedeutung des Märchenwaldes, in der das natürliche und ursprüngliche Verhältnis des Deutschen zu seinem Walde für eine durch ihr Wesen begrenzte Dichtgattung dichterische Gestaltung gewann, ist hier erweitert und in ihrer Geltung auf die gesamte Dichtung ausgedehnt. Der Welt-Sinn des Waldes, der im Märchen umfassend war, ist auch in der Erweiterung des Geltungsbereichs als umfassend bewahrt. Aber die Beziehung zwischen Sinn und Sinnträger hat sich grundlegend verändert. Gewiß ist auch bei Tieck der Wald wiederum Verkörperung dessen, was als Kerngedanke seiner ganzen Dichtung zugrundeliegt. Aber: Tiecks Fähigkeiten liegen auf dem Gebiete der Formkunst und der Theorie. Seine Formkunst bewährt er mit vordem ungekannter Meisterschaft am Einzelnen. Das Allgemeine, Grundlegende und Wesentliche liegt für ihn aber — wie für die frühen Romantiker, die Jenenser Vier, überhaupt — in der Theorie. Das heißt: ihre Leistung entspringt nicht dem ursprünglichen Antrieb, sondern der Reflexion; sie ist weniger Poesie als Poetik, poetisieren ist ihnen ein wichtigerer Begriff als dichten. Und zwar ist diese Reflexion nicht abgelöst und gesondert als literarische Betrachtung, sondern gehört als romantisch-ironische Haltung wesentlich zur Dichtung selbst. Der Welt-Sinn des Waldes ist auch noch umfassend wie im Märchen, aber er ist verflüchtigt zu einem ästhetischen Begriff. Wie im Märchen, so erweist er auch hier jedes Einzelgeschehen (durch den Charakter des Wunderbaren dort, des Poetischen hier) als Welt-zugehörig. Im Märchen aber ist dieser allgemeine Sinn dem Einzelnen untrennbar verbunden und stets darin wirkend vorhanden, bei Tieck nur, wenn er in der Reflexion über das Einzelne gedacht wird. Daß der Welt-Sinn in dieser Form tatsächlich vorhanden ist, ist nicht zu übersehen, er ist keine nachträgliche Konstruktion des Betrachters; daß er aber nur in der Reflexion erscheint, ist bezeichnend für Dichtung und Dichter. Der Welt-Begriff des Waldes hat hier seine größte Ausweitung erfahren. Seine dichterische Erfüllung aber bringt erst Eichendorff. B a u m g a r t , D. Wald i. d. dt. Dichtg.

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Wiederum, nun zum dritten Male, verkörpert der bevorzugte Stoff des Waldes als eigene Welt den Wesenskern eines dichterischen Gesamtwerkes. Wiederum, wie im Märchen, aber entgegen Tiecks Veräußerlichung, ist das alte Sinnverhältnis hergestellt: ein Gesamtsinn, der. nicht nur in der Reflexion existiert, sondern allem Einzelnen, dauernd darin wirksam, zugrundeliegt. So charakteristisch für Tieck die ästhetische Verdünnung ist, so deutlich kennzeichnet die Vertiefung der Waldvorstellung das Wesen Eichendorffs. Der bei Tieck verblaßte Begriff gewinnt erneut dichterische Substanz. Das bedeutet keineswegs zugleich eine Verengung des Welt-Begriffs, keine einseitige Festlegung auf eine bestimmte Gefiihlswertung wie im Trivialroman, keine Beschränkung auf die ebenso einseitige und verhältnismäßig äußerliche Verwendung als Gefühls- oder Stimmungsspiegel. Der Sinn des Eichendorffischen Waldes ist nicht wie bei Tieck und im Märchen in einem Worte zu fassen. Vorläufig zu umschreiben ist er etwa als sinnbildlicher Welt-Raum wahren und reinen Menschentums. Der Rahmen ist also durchaus nicht enger gespannt als bei Tieck. Im Gegensatz jedoch zu dem großartigen und anspruchsvollen, aber unerfüllbaren Programm des Frühromantikers ist hier die Gesamtidee in der dichterischen Schöpfung verwirklicht. Unter den literarischen Quellen, die auf Eichendorffs Stellung zum Walde Einfluß hatten, nimmt die Walddichtung Tiecks den ersten Platz ein. Durch sie wird ihm zum Teil direkt, zum Teil über Brentano und Loeben, die ganze bisherige große Walddichtung vermittelt. Die Ideen des zauberhaften und des poetischen Waldes bilden in einer Reihe von Gedichten und auch in vereinzelten Romanpartien gleichsam den historischen Unterbau des eigentlich Eichendorffischen Waldes. Der Märchenwald erscheint in mehreren Romanzen und romanzenhaften Prosastellen, aber nicht in der ursprünglichen Form des Märchens, sondern in der Tieckischen Umgestaltung, die die Waldseite höher bewertet, wie sich am Beispiele des Blonden Eckbert ergab. Der Held gerät in die Gewalt einer Waldmacht, besteht sie aber nicht, sondern erliegt ihr. So ergeben sich die bezeichnenden Schlußverse: Doch den Sohn erblickt' er nimmer (Die Zauberin im Walde), Kommst nimmermehr aus diesem Wald (Waldgespräch), Der Jäger irrt und irrt allein, Find't nimmermehr heraus (Der verirrte Jäger).

Eine entsprechende Romanze, »Der Gefangene«, ist beziehungsreich als Gesang der Gräfin Romana in die Handlung von »Ahnung und Gegenart« eingeschoben (III, 305 fr.). Auch das Jugenderlebnis der Gräfin (III, 181 ff.) ist eine ähnliche Romanze dieser Art in Prosa. Hier spielt

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bereits der Gedanke Tiecks vom »Poetischen« hinein, in fast wörtlichen Anklängen an den Fortunat: Ich ging nun zum ersten Male allein durch die dunkelgrünen Gänge, . . . alte seltsame Geschichten, die mir die Amme oft erzählte, fielen mir dabei e i n . . . (AuG III, 181.) Meiner alten Amme Lieder, die lieben Geschichten, Die wohnen, wie seltsam, in diesem diesem Wald! (Tieck, Schriften III, 131.) Tiecks Gedanke spielt noch deutlicher hinein in den literarischen Waldzauber der Libertassatire und der Romanze »Die wunderliche Prinzessin«. Als dem Märchencharakter ähnelnd ist auch die Beziehung des Waldes zum Geheimnisvollen zu erwähnen in den Gestalten Erwins und Rudolfs in Ahnung und Gegenwart. Beide Gestalten, die des vertrauten Knaben und die des unbekannten Bruders, sind von einem Geheimnis umgeben, auf das durch das ganze Buch immer wieder in dunklen Andeutungen hingewiesen wird, bis es sich gegen den Schluß hin enthüllt, ohne daß dadurch der Hauch des Sonderbaren, der sie umgibt, zerstört würde. Beide stehen in deutlicher Beziehung zum Walde. Die Erwin-Handlung hat dort ihren Ausgangs- und Endpunkt, Rudolf haust im Walde und verschwindet am Schlüsse wie die Romanzenhelden: Hiermit drückte er seinem Bruder schnell die Hand und ging mit großen Schritten in den Wald hinein. Sie sahen ihn nicht mehr wieder. (III, 459.) Von dem eigentlichen Grundgedanken Tiecks hat Eichendorff nur die Form des »Dichtens im Walde« übernommen. Leontin reitet hinter der Jagd her und dichtet »unaufhörlich seltsame Lieder« (III, 116). In dem Gedichte »Die Werber« heißt es von dem Dichter: Er hört der Quellen Gänge Durch die Waldeinsamkeit, Da sinnt er auf Gesänge, Die Welt gibt volle Klänge, Die Welt wird ihm so weit. (I, 98.) Und endlich die Umkehrung, der natürlich auch derselbe Gedanke zugrundeliegt, die lustige Abkehr Fortunats von seinem Dichten (V, 128): . . . hinter ihm aber stimmen die Wipfel ihr uraltes Lied wieder an, das in keine Novelle paßt, die Waldvögel singen ganz fremde Noten dazwischen, . . . da warf er gewiß Feder und Papier f o r t . . . , schließlich in das Lied einmündend: Ich wollt' im Walde dichten Ein Heldenlied voll Pracht. . . Natürlich ist auch für Eichendorff der Wald ein hervorragend poetischer Raum. Auch er liebt es, gesteigert poetische, romantische Situationen oder Geschehnisse mit dem Walde zu verknüpfen, im Walde nächtigende 5*

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Komödianten (Glücksritter, V I , 280 ff.), eine tolle Wagenfahrt durch den Wald bei Nacht (Taugenichts, I V , 271), Überfall oder Verbrüderung mit einer Zigeunerbande im Walde (AuG, III, 421). Aber diese Verbindung des gesteigert Poetischen mit dem Walde geschieht in völliger Unbefangenheit, ohne ästhetische Reflexion darüber. So kann auch nicht mehr ein Gedanke, der erst in der Reflexion erscheint, den eigentlichen und tragenden Sinn der ganzen Walddichtung Eichendorffs abgeben. Dies ist das eine, das ihn deutlich von Tieck trennt. Noch augenfälliger ist der formale Unterschied. Im Gegensatz zu Tiecks ausschweifender Versund Sprachkunst begnügt sich Eichendorff auch zum größten Teil schon in den noch stofflich von Tieck bestimmten Gedichten mit einfachen reimenden oder assonierenden Strophen (abgesehen von den Sonetten) und mit den geringsten und ganz sparsam gebrauchten Elementen der Stimmungsmusik; nur die einfachen Stimmungsformeln Waldeinsamkeit und Hörnerklang kehren wieder, sogar häufiger als bei Tieck, auch sie haben aber, besonders das Waldhorn, vertiefte Bedeutung in der Beziehung zum Welt-Sinn des Eichendorffischen Waldes. Trotz dieser Beschränkung der Mittel ist die Stimmungswirkung bei Eichendorff ungleich größer als bei Tieck. — A n diesen beiden unterscheidenden Merkmalen der Unbefangenheit hat die zweite Quelle, aus der Eichendorff geschöpft hat, großen Anteil, nämlich das Volkslied. Der formale Einfluß des Volkslieds auf Eichendorffs Einfachheit in Vers und Sprache und seine naive, reflexionslose Haltung des Schaffens berührt unser Thema nur indirekt. Beides ist Zeichen eines erfolgreichen Bemühens um Volkstümlichkeit, in der Anlehnung an das, was sich durch ein bloßes Fortleben durch Jahrhunderte als natürlich deutsch bewährt hat. Wichtiger für uns ist ein direkter stofflicher Einfluß. Die Gleichheit der Namensbildung in Volkslied und Volksmärchen, die nur die Art ihrer Überlieferung meint, verfuhrt leicht dazu, die beiden Formen auch ihrem Inhalte nach in nähere Beziehung zu setzen. Wie grundverschieden sie aber zeitlich und wesentlich sind, zeigt sich auch hier mit großer Deutlichkeit. Die Waldanschauung des Volksmärchens setzt eine Waldnatur voraus, die als Urvegetation den Kulturboden des bäuerlichen Menschen dauernd feindlich bedrängt; nur so entsteht der Begriff der fremden Welt. Dies hohe Alter der ältesten Märchen (und die Waldmärchen gehören zu den ältesten) ergibt sich auch aus dem Indiz ihrer vorchristlichen Entstehung. V o n der frühen Zivilisationsstufe, auf der der Wald außerhalb der Landschaft steht, bis zur Entstehungszeit der frühsten Volkslieder, d. h. dem ausgehenden Mittelalter, ist ein weiter Schritt über Jahrhunderte hinweg. Das Vegetationsbild Deutschlands hat sich völlig verändert. Der Wald ist dem Menschen vielleicht noch unheimlich

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oder nicht ganz geheuer, aber er gehört in sein Landschaftsbild hinein! Der Bildung eines Welt-Begriffs in realem Sinne ist der Boden entzogen. Als eigene Welt kann der Wald nur noch gedachte Welt sein. Einen solchen Weltbegriff hat das Volkslied nicht entwickelt. Seine Waldvorstellungen knüpfen sich nur an bestimmte Waldmotive, die im Gegensatz zum Volksmärchen kein gemeinsames Band eines Grundgedankens verbindet. Die Gestaltung ist größtenteils formelhaft, also dem Prinzip der Kunstdichtung in den Zeiten der Vorgeschichte scheinbar entsprechend, in Wahrheit aber ganz entgegengesetzt. Denn dort war es die konventionelle Nachahmung eines fremden, unnatürlichen Schemas, das eine natürliche Erlebnisbeziehung unmöglich machte und an seine Stelle trat; hier wird eine aus natürlichem Erleben heraus gestaltete Form als gültige Formel anerkannt und weiterhin übernommen. Die Motive, mit denen der Wald im Volksliede erscheint, sind zum Teil die gleichen, deren sich in den Zeiten der Vorgeschichte auch die Kunstdichtung bemächtigte, hier aber in den reinen, einfachen Formen; vom Einsiedler (Wunderhorn II, 350), Mörder (I, 218, 284, 328), Wechsel der Jahreszeit (II, 137) bis zur Rahmenform der großräumigen Landschaft (II, 196, III, 90) und dem nicht eigentlich geformten Vorkommen in bloß gelegentlicher Erwähnung (II, 50, 253, III, 126). Im Mittelpunkt aber steht, wohl auch schon durch den soziologischen Entstehungsraum des Volksliedes mitbedingt, die motivische Figur des Jägers. Neben anderer motivischer Verknüpfung, z. B. der Liebesbegegnung des Jägers im Walde (I, 316, II, 206) bildet sich hier eine Form der Waldbeziehung und Waldgestaltung aus, die das Waldbild des Volksliedes schon durch ihre Häufigkeit bestimmt und auch auf Eichendorff Einfluß gewinnt, die Waldes-Lust. Jäger: Wenn ich in Freuden leben will Geh' ich in grünen Wald, :,: Vergeht mir all mein Traurigkeit, Und leb wie's mir gefallt. (I, 210, ähnlich 163, 337.) Auch ohne die Figur des Jägers erscheint die Form: Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald, Ich hört die Vöglein singen,... (III, 83, auch 71, 148.) Was Eichendorff dem Volksliede in dieser Form verdankt, ist nicht aus der Ganzheit seiner Walddichtung herauszuheben, so wenig wie das Beste, das er von Tieck entnahm, die Weite stofflicher Sinngebung. Mit dem engen Anschluß an das Volkslied, in Fortführung der natürlichen Tradition festigte er das unbeeinflußt und unverbildet Deutsche seiner Walddichtung, das in seinem eigenen Wesen und dem Erlebnis seiner Jugend bereits gegründet war. Die dritte, biographische Quelle ist bei Eichendorff von ungleich

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größerer Bedeutung als bei dem Städter Tieck. Denn Eichendorff ist seit frühster Jugend in engem, persönlichem Verhältnis zur Waldnatur, inmitten der »frischen Wälder von Oberschlesien« (Brief an Ph. Veit 1815, K X I I , 15), der »unendlichen Wälder um Lubowitz« ( K X I , 271) aufgewachsen. Welch große Rolle der Wald in seinem Heimatgefiihl spielt, läßt sich aus den Spiegelungen in seiner Dichtung entnehmen: Denkst du des Schlosses noch auf stiller Höh? Das Horn lockt nächtlich dort, als ob's dich riefe, Am Abgrund grast das Reh, Es rauscht der Wald verwirrend aus der Tiefe — . . . (Die Heimat, An meinen Bruder. I, 114.) »Hüt' dich wohl«, entgegnete Fortunat, »es ist ein wunderbares Lied in dem Waldesrauschen unserer heimatlichen Berge; wo du auch seist, es findet dich doch einmal wieder, und war' es durchs offene Fenster im Traum, keinen Dichter noch ließ seine Heimat los.« (V, 299.) Der Versuch allerdings, das Verhältnis Eichendorffs zum heimatlichen Walde direkt in biographischen oder autobiographischen Zeugnissen zu erfassen, versagt, trotz der erhaltenen Briefe und Tagebücher. Die Briefstelle an Veit ist einzig, und in den Tagebüchern wird nur eifrig »pro memoria« registriert, was ihm an merkwürdigem Geschehen erinnerungswürdig erscheint, die erste Lerche, Nachtigall und Schwalbe, vom Walde hur die Jagd. Dagegen wird auch die ruhende Natur der Aufzeichnung gewürdigt, wo sie ihm nicht wie die heimatliche als selbstverständlich bekannt, sondern fremd und neuartig entgegentrat. So weisen die Tagebuchblätter über die Harzreise 1805 mehrfache Waldschilderungen auf. Sie sind, wie bei Tieck in seiner Frühzeit, stark vom Geschmack der Trivialromane beeinflußt, die auch der junge Eichendorff in reichlichen Mengen gelesen hatte (vgl. Tageb. K X I , 316), und sie gipfeln ebenfalls, wie bei Tieck im Fichtelgebirgserlebnis, in einem romantischen oder besser trivialromanhaften Sich-verirren. Lange durchwandelten wir zuerst einen schönen dunkeln Erlen- u. Eichen-Wald . . . mit Schauder blikten wir hinab in die heilige Einsamkeit des schwartzen berühmten Selkethals, dessen grause Stille nur durch das monotone Rauschen der Selke noch fürchterlicher gemacht wird. Von hier gieng es . . . zu der Teufelsmühle, diesem fürchterlichen Koloße von der Natur selbst aufgethürmter Felsenmaßen, die wir mit vieler Mühe erklimmten, u. so mitten aus dem beengenden Dunkel des Waldes eine unbeschränkte Aussicht genoßen.... Nun gieng es immer tiefer in die grause Nacht des unendlichen Waldes hinein . . . usw. (K XI, u i f . , ähnl. 113, 114, 116.) Ähnlich erscheint der Wald im Tagebuch während der Oderfahrt 1809 (234, 240) und sogar in allerdings nur äußerlichen Rokokovergleichen, die j a auch hie und da in der Dichtung auftauchen, ohne den Waldcharakter

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zu beeinträchtigen, in Wien 1811 (290, 297). Es ist also ulimöglich, in deix historischen Zeugnissen etwas über den heimatlichen Wald oder auch den Wald überhaupt vorzufinden, das bereits auf die Waldvorstellung derEichendorffischen Dichtung hinwiese, denn auch die Tagebuchschilderungen der Gegenden, die als Gesamtlandschaften das Landschaftsbild der Dichtung aufs stärkste beeinflußt haben, das Donau- und Neckartal (190, 196, 212, 213, 215, u. ö.) ergeben nichts für den Wald. — D a ß es uns nicht mehr gelingt, das reale Walderleben Eichendorffs in seinem Wesen nachzuweisen, beweist nichts gegen sein Vorhandensein und seine Eindringlichkeit, die wir im Grunde seiner so persönlichen Dichtung deutlich empfinden. Aber nicht die Realität, sondern die dichterische Gestaltung geht uns an, und so ist hier nur ein Hilfsweg zur Deutung versperrt, die nun ganz aus der Gesamtheit der Dichtung selber heraus geschehen muß. Da die stofflichen Elemente auch des Eichendorffischen Waldes bereits untersucht sind, können wir uns wiederum damit begnügen, ein inhaltliches Darstellungsprinzip, etwa entsprechend dem formalen der Stimmungsschilderung bei Tieck, herauszuheben, nämlich das Rahmenmotiv des Wanderns. Als motivische Grundform des Entwicklungsromans (nicht ohne Beziehung übrigens zu den im 18.Jahrhundert üblichen Bildungs- und Hofmeisterreisen) war das Motiv auch schon vor Eichendorff von Bedeutung. Nicht gerade als Wandern, sondern als Reisen überhaupt hatte es dort den symbolischen Sinn des Fortschreitens in der Entwicklung und war zugleich eine technische Hilfe in der Anreihung der Geschehnisse. Das wirkt auch bei Eichendorff fort. Ein grundlegender Unterschied aber ist, daß es sich dort um eine Bewegung vom einen zum andern, um eine gerichtete Bewegung handelt, das Wesen des Eichendorffischen Wanderns dagegen nicht in der Richtung auf ein Ziel, sondern in der Bewegung an sich liegt. Hier ist der Zugang zu einer neuen, von Kulturbindungen mehr gelösten, hingehenderen Art des Naturerlebnisses geschaffen, das außer Eichendorff z. B. auch für Uhland und Wilhelm Müller bezeichnend ist. Der Sinn dieses Wanderns ist nicht in ein paar Worten zu erschöpfen, es geht uns auch nur um seiner Teilbeziehung willen an. Denn aus dem Wandern als Bewegung ohne Ziel auf der einen Seite und aus der Tatsache auf der andern, daß der Wald (wenn auch von realer Erlebnisgrundlage des Dichters aus gestaltet) nie individuell bestimmte Natur wie jede Kulturlandschaft, sondern allgemeine, unindividuelle darstellt, ergibt sich Wesentliches flir den Eichendorffischen Wald als Folge. Im Gegensatz zu der in ihrer jeweiligen Individualität festgelegten Kulturlandschaft behält also der Wald auch bei dauernder Ortsveränderung des Betrachters seine Identität, er ist immer derselbe, ist immer der Wald. Wenn er überhaupt vorhanden ist, und er fehlt j a nie

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bei Eichendorff, selbst wenn das der Wirklichkeit widerspricht (wie in der Schilderung mancher italienischer Landschaften), so ist er stets der gleiche. Im Wechsel immer neuer, fremder Landschaftserscheinungen ist er der bleibende, vertraute. So gewinnt der Wald eine eigentümlich enge, persönliche Beziehung zu dem Wandernden. Er begleitet ihn wie nur sein eigenes Selbst; und nicht nur den Wanderer im Räume, auch den in der Zeit, den alternden, als der alte, nie alternde, ewige Wald. Die unveränderliche Gleichheit hebt den Wald über alle andern Landschaftsformen heraus. So liegt es nahe, innerhalb der landschaftlichen Natur gerade ihn zum Sinnbilde festen, unverrückbaren Gutes zu machen, sowohl des zeitlichen der Heimat, der Tradition, des Guten Alten wie der zeitlosen, allgemein menschlichen, ethischen Werte. Das wird der Wald Eichendorffs, und zwar nicht gelegentlich als Symbol des einen oder andern, sondern als sinnbildliche Welt, deren Sein von der einheitlichen Gesamtheit all dieser Werte bestimmt ist. Der Begriff einer sinnbildlich gedachten Welt entwickelt sich am Vorbilde und Gegenbilde der wirklichen Welt. Der Wald als Welt verkörpert die Gegenwelt eines Gedankens gegen das Reale. Diese formale Höhe der stofflichen Entfaltungsmöglichkeit ist im Märchen und bei Tieck erreicht. Noch nicht erreicht ist aber die Ausschließlichkeit der Verkörperung eines Gedankens. Das Märchen kennt neben der Wunderwelt des Waldes andere, der Erde und des Wassers, Tiecks Wald teilt seine Qualität als poetische Welt mit denen des Traums oder der Vergangenheit. Erst bei Eichendorff ist der Wald die ausschließliche und einzige sinnbildliche Verkörperung der wesentlichen Gedanken seiner Poesie. Nur die Basis, auf der sich der mehrfach gegliederte Bau dieser sinnbildlichen Welt erhebt, das Grundgefiihl reiner Daseinslust, gehört nicht dem Walde allein an. Die abschätzige Beurteilung der wirklichen Welt, die Tieck in das Verhältnis der beiden Gegenwelten gebracht hat, besteht auch bei Eichendorff. Nur hat die Schilderung jetzt die polemische Schärfe verloren, die Tiecks Dichtungen so oft in ihrem dichterischen Charakter beeinträchtigt. Selbst freundlicher Spott ist bei Eichendorffselten (III, n g f f , V I , 312/3). Im allgemeinen ist die wirkliche Welt flir ihn nur mehr der dunkle, umrißlos verschwommene Hintergrund, von dem sich seine eigentliche, gestaltete Welt abhebt, dargestellt meist, nicht immer, im natürlichen Raumbilde als die dumpfe und unklare Tiefe im Gegensatz zur reinen Höhe der eigentlichen Stellung des Dichters. Tief die Welt verworren schallt (I, 186), . . . Und dürft' von allem nichts spüren In dieser dummen Zeit, Was sie da unten hantieren, Von Gott verlassen, zerstreut... (I, 17a.)

EICHENDORFF Waldeinsamkeit D u grünes Revier, Wie liegt so weit Die Welt von hier! (II, 37.)

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(Ähnlich I, 32, 58, 108, I I I , 261, 398 u. ö.)

Noch in dieser rein negativen Entgegensetzung als Abwertung der wirklichen Welt ist der Wald nicht das einzige, wenn auch das häufigste und wichtigste Gegenbild; die Natur überhaupt oder die Schöpfungswelt des Dichters treten gelegentlich neben ihn. Wo es Eichendorff aber um das Positive seiner Gegenwelt, um die großen Werte als den Kern und den Gipfel seines Dichtens geht, da wird der Wald die einzige Verkörperung. Die unterste und allgemeinste Stufe des eigentlichen Seins gegenüber dem der wirklichen Welt ist eine reine, tiefe Lust am Dasein. Könnt' ich zu den Wäldern flüchten, M i t dem Grün in frischer Lust M i c h zum Himmelsglanz aufrichten — Und Ließ Doch Ward

manches Jauchzen schallen ich aus frischer Brust, aus den Helden allen nichts vor tiefer Lust. (I, 136.)

(I, 86.)

(Ebenso I, 31, 46, 58, auch I I I , 181 u. ö.)

Aber diese freudige Daseinsbejahung Eichendorffs ist nicht einfach in einigen zitierten Worten oder Versen aufzuzeigen. Sie ist nicht ein Motiv seines Dichtens, sondern eine Grundhaltung seines Wesens, für die das ganze Werk zeugen muß. Deshalb gehört sie auch nicht nur einem Stoffgebiete ausschließlich wie dem Walde zu. Als einem Teile des Ganzen ist sie aber auch in ihm dauernd wirksam, sie kann sogar in Gestaltungen erscheinen, die in engster Beziehung zum Walde stehen. Hier macht sich z. T . der Einfluß des Volkslieds bemerkbar. Das Wandern im Walde (als einzelnes Motiv, nicht als Rahmen) kann so ein bestimmter Ausdruck der Daseinslust werden, oder ein Fest im Walde (III, 117 fr,), und besonders die Jagd (I, 244^, 260f., 267f. u. ö.). Das sind aber nur einzelne, einseitige auf unser Thema bezügliche Formungen der lebensbejahenden Haltung, die allem zugrundeliegt. Gedanken- und Gefühlssituationen des Menschen im Walde, des Dichters oder der Gestalten, aus denen er spricht, fuhren dazu, die Inhalte des Denkens und Fühlens in dieser Situation als vom Walde symbolisch verkörpert zu denken. Der Dichter erinnert sich des Vergangenen, und der Wald, der nicht vergeht, wird zum Sinnbilde der Werte der Vergangenheit. Oder in einer flüchtigen Erscheinung angesichts des Waldes, der nicht vergeht, rührt ihn der Schauer der Vergänglichkeit an: so wird der Wald zum sinnbildlichen Träger unvergänglicher zeitloser Werte. Diese Gedanken,

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die der Wald als Welt umschließt, sind nun dieselben, die den eigensten und wesentlichen Gehidt der ganzen Dichtung Eichendorffs bestimmen. Unter den Vergangenheitswerten steht zunächst der Gedanke an Heimat und Jugend. Doch rauscht der Wald im Grunde Fort durch die Einsamkeit Und gibt noch immer Kunde Von unsrer Jugendzeit... (I, 325.) A n die Heimat zu denken, scheint aus nur räumlicher, nicht zeitlicher Ferne natürlicher zu sein. Daß sie fiir den alternden Dichter auch zum Vergangenen gehört, hat seinen Grund nicht nur in der Verknüpfung mit dem Jugendbegriff, sondern auch in der historischen Tatsache, daß die engere Heimat Lubowitz in fremde Hände übergegangen war. So gehen denn auch Ferne und Alter im Blick auf die Heimat ineinander, in dem »Erinnerung« betitelten Gedicht: Lindes Rauschen in den Wipfeln, Vöglein, die ihr fernab fliegt, Bronnen von den stillen Gipfeln, Sagt, wo meine Heimat liegt? (I, 73; so auch I, 74.) Wichtiger als der Heimatgedanke ist der von der »alten, schönen Zeit«, der von der Erinnerung an die eigene Jugend ausgeht, aber nicht nur darauf beschränkt ist. Die Nachtigallen schlagen Hier in der Einsamkeit, Als wollten sie was sagen Von der alten, schönen Zeit. (I, 56.) Was wisset ihr, dunkele Wipfel Von der alten, schönen Zeit? (I, 74.) Kennst du noch die irren Lieder Aus der alten schönen Zeit? Sie erwachen alle wieder Nachts in Waldeseinsamkeit, . . . (V, 200.) Über das Persönliche hinaus erweitert gewinnt der Gedanke der »alten Zeit« allgemeinere Bedeutung im Sinne deutscher Vergangenheitswerte. Die Wälder haben sie ausgehauen, denn sie furchten sich vor ihnen, weil sie von der alten Zeit zu ihnen sprechen... (III, 448.) So wird derdeutsche Wald zum symbolischen Träger deutscherTradition überhaupt; entweder in jeweils einzelner Beziehung zum »alten Dichtertum«: Es haben viel Dichter gesungen Im schönen deutschen Land, . . . Im Walde da liegt verfallen Der alten Helden Haus, . . . (I, 153), oder zum »alten Recht«:

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Einen Wald doch kenn' ich droben, Rauschend mit den grünen Kronen, Stämme brüderlich verwoben, Wo das alte Recht mag w o h n e n . . .

(I, 185),

oder er wird sogar, in ähnlichem Sinne wie der Kyffhäuserberg im Barbarossamythos, ganz allgemein zum politischen Symbol des Deutschtums, das der Auferstehung harrt. Das ist die Grundidee des visionären Gedichts »Klage«, nach Angabe des Dichters 1809 entstanden, also wie alle die Gedichte, in denen sich dieser neue Sinn in enger Beziehung zur Gegenwart bildet, aus den Jahren kurz vor den Befreiungskriegen stammend: O könnt' ich mich niederlegen Weit in den tiefsten Wald, Zu Häupten den guten Degen, Der noch von den Vätern alt, . . . usw. (I, 172.) Diesen Werten zeitlicher Vergangenheit, die der Wald als Symbol vertritt, schließen sich hier eng an die. allgemein menschlichen, überzeitlichen. Zu der Vorstellung des guten, alten Deutschen gehört unablösbar der Gedanke der Treue: Gleichwie die Stämme in dem Wald Woll'n wir zusammenhalten, Ein' feste Burg, Trutz der Gewalt, Verbleiben treu die alten. (I, 183, ganz ähnlich I, 235), und die berühmten Worte in »Der Jäger Abschied«: Was wir still gelobt im Wald, Wollen's draußen ehrlich halten, Ewig bleiben treu die Alten: Deutsch Panier, das rauschend w a l l t . . . (I, 185.) Ebenso bildet sich, zunächst in Beziehung zur Lage der Zeit, der Gedanke der Freiheit, die der Wald verkörpert, die aber dann über den der politischen Freiheit hinausgeht: Ich meine jene uralte, lebendige Freiheit, die uns in großen Wäldern wie mit wehmütigen Erinnerungen anweht. .., jene frische, ewig junge Waldesbraut, nach welcher der Jäger frühmorgens aus den Dörfern und Städten hinauszieht und sie mit seinem Hörne lockt und ruft. . . (III, 447/8.) Außer diesen unvergänglichen, a,ber menschlichen und irdischen Werten verkörpert der Wald nun auch das unvergänglich Überirdische; er wird auch religiöses Symbol. Im plötzlichen Schauer der Vergänglichkeit rührt sich das erste Ahnen Gottes: Und eh' ich's gedacht, war alles verhallt, Die Nacht bedecket die Runde, Nur von den Bergen noch rauschet der Wald Und mich schauert im Herzensgrunde. (I, 28.)

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Dieser Schauer steht nicht in Widerspruch zu der Daseinsbejahung, die, wie wir sagten, der ganzen Dichtung zugrundeliegt. Gerade die gleichzeitige und gleichmäßige Gewalt von Schauer und Lust ergibt die merkwürdige ernst-heitere Gesamtstimmung der Eichendorffischen Dichtungen, und nicht nur der Walddichtungen! Es schauert der Wald vor L u s t . . .

(I, 324)

Und in Waldes grünen Hallen Tiefe Schauer in der Brust, Lassen wir die Hörner schallen, In das Blau die Stimmen hallen, So zum Schrecken wie zur Lust. (I, 194; ähnl. 197. 221 u. ö.) Der Schauer erweckt die Nachdenklichkeit und die ernsten und feierlichen Gedanken: Wenn die Wipfel über mir schwanken, Es klinget die ganze Nacht, Das sind im Herzen die Gedanken, . . . (I, 311, auch II, 43); wiederum erregt der Wald dies nicht nur, sondern verkörpert es auch selber als Symbol: Der Wald ernst wie in Träumen spricht... (II, 50) . . . Hört' ich wieder durch das tiefe Schweigen Rings der Wälder feierlichen Gruß. (I, 201.) Ebenfalls gehört hierher (wenn auch andern Ursprungs, nicht vom Walde als Gegenbild der Vergänglichkeit, sondern von äußeren Zügen, der Stille, Dunkelheit, Einsamkeit her) der Wald im Zusammenhang mit der Todessymbolik: O du stille Zeit! Kommst, eh' wir's gedacht, Uber die Berge weit. Nun rauscht es so sacht In der Waldeinsamkeit, Gute Nacht — (V, 397.) Dunkel rauscht es schon im Walde, Wie so abendkühl wird's hier, Schwager, stoß ins Horn — wie balde Sind auch wir im Nachtquartier! (II, 56.) Abendlich schon rauscht der Wald . . . Hier in Waldes grüner Klause Herz, geh endlich auch zur Ruh! (II, 51.) Schließlich führt der Wald den Menschen direkt zur Frömmigkeit: Wenn von drüben Lieder wehen, Waldhorn garnicht enden will, Weiß ich nicht, wie mir geschehen, Und im Herzen bet' ich still. (I, 86),

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und er ist auch selber wieder das Sinnbild dafür: Nächtlich macht der Herr die R u n d ' , . . . Nur der Wald vernimmt's mit Schauer, Rauschet fromm die ganze Nacht. (V, 445.) So, als religiöses Symbol, zeigt ihn auch der Schluß der »Dichter und ihre Gesellen« noch einmal; ebenso wie der Schluß von »Ahnung und Gegenwart« weist er eine eindringlichere und bedeutendere, tiefere Symbolik auf. Der Wald scheint zwar fast zufallig, hat aber doch den tiefen Sinn eines religiösen Welt-Raums, auf den auch bereits die Einsiedlerszenen vorbereitet haben; Graf Viktor, der sich von der Welt abkehrt und Priester wird, nimmt Abschied von seinen Freunden: Hier reichte er ihnen noch einmal die Hand und wandte sich schnell zum Walde. (V, 448.) In der notwendigen Kürze all dieser Zitate, die die einzelnen Inhalte des Eichendorffischen Waldes aus seiner Dichtung nachweisen, liegt die Möglichkeit eines Mißverstehens. Die einzelnen Gedanken sind hier verschärft und verdeutlicht ausgehoben, denn nur die prägnanten Stellen dienen als zulängliche Belege. So mag es fast scheinen, als ob es jeweils um den Gedanken als einzelnen ginge, als ob der Wald eine Reihe einzelner Gedanken symbolisch verkörpere. Das ist nicht der Fall. Auch der Eichendorffische Wald ist eine eigene Welt. Die einzelnen Gedanken, die mehr oder weniger in den Vordergrund treten, machen erst in ihrer Gesamtheit den Sinn dieser Welt aus. Sie stehen nicht für sich, sondern geben nur eine Teilansicht des Ganzen von einem herausgehobenen Blickpunkt aus. Auch das Einzelne bedeutet mehr als nur sich selbst, nämlich den Gesamtsinn der »Welt«, unter besonderem Gesichtswinkel. Das kann aus dem einzelnen Zitat nicht mit Gewißheit hervorgehen. Deshalb soll noch am Beispiel eines der großen Waldgedichte EichendorfFs (»O Täler weit, o Höhen . . .«, I, 58) die Verbundenheit der Gedanken untereinander und ihre »Welt«-Zugehörigkeit in einer allerdings nicht erschöpfenden, sondern nur auf dies eine Ziel gerichteten Interpretation kurz gezeigt werden. Das Gedicht, als Abschied vom Walde und Aufbruch in die Welt noch stärker im Zusammenhang der Romanhandlung (AuG III, 162) betont, scheint von e i n e m Gedanken, dem »stillen ernsten Wort«, »des Emsts Gewalt«, beherrscht. Dennoch ist dieser nur der hier in den Mittelpunkt gerückte Teil des Ganzen, der Zugang, von dem aus sich die Gesamtheit der Waldwelt eröffnet. Sie wird sichtbar in einer Reihe anderer mitanklingender Gedanken, die dem Leser kaum deutlich bewußt werden; es sind, um von der allgemein daseinsbejahenden Haltung abzusehen, die der Heimat (»fremd in der Fremde gehn«), der Jugend (»so wird mein

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Herz nicht alt«), der Ehrlichkeit und Treue (»da draußen, stets betrogen«, »ich habe treu gelesen«) und schließlich der Frömmigkeit (»andächt'ger Aufenthalt«, wesentlicher aber im Tone des Ganzen zu spüren). Fast alle erscheinen im negativen Ausdruck. (Schon das weist auf ihre Einheit!) Sie schließen sich zusammen in der gemeinsamen Abwendung vom selben einen Gegenbilde, der »geschäft'gen Welt«, dem »trüben Erdenleid« usw. Sie werden durch die gemeinsam gleiche Wertung vereint, die das Reine gegen das Trübe, das Treue gegen das Trügliche, das Schlichte gegen das Bunte, das Wahre gegen das Äußerliche, den Schein, »des Lebens Schauspiel« setzt, mit einem Wort: das Bejahte, worauf es ankommt, gegen das Verneinte, das zu überwinden ist. Die einzelnen Gedanken bilden also wirklich eine Einheit. Und diese Einheit ist auch wirklich die einer Welt: der Wald birgt nicht nur eine Reihe in sich ruhender Idealbegriffe, sondern das Einzelgeschehen im Waldraume ist getragen von diesem einheitlichen Sinne; und er umschließt ein eigenes Sein, das seinem Wesen nach verschieden ist vom anderen, wirklichen Welt-Sein. Diesen einheitlichen Sinn der Eichendorffischen Waldwelt und die Art ihres eigenen Seins offenbart uns die Grundidee, die die einzeln ausgesprochenen Gedanken wie Heimat oder Treue oder Frömmigkeit verbindet: es ist das zeitlich oder ewig Unvergängliche, das der Wald verkörpert. Und ebenso wie der Held im Walde des Märchens oder Tiecks in ein eigenes Sein einbezogen wurde, in das wunderbare oder poetische, so gilt auch bei Eichendorff für ihn ein eigenes Sein, wenn er den Wald betritt, ein Sein nämlich, das von den Werten bestimmt ist, die der Wald sinnbildlich vertritt, von dem also, was in Zeit oder Ewigkeit Gültigkeit und Dauer besitzt. So ist das Sein dieser Waldwelt ein im Gegensatz zum gewöhnlichen, realen Leben zugleich gesteigertes und vertieftes Sein für Eichendorff, ein wahreres, reineres Menschsein, der Wald selber aber als Welt der dichterische Ausdruck dessen, was als Wert und Anspruch dies reinere Menschsein bestimmt. Der Wald Eichendorffs stellt den Höhepunkt der Entwicklung dar. Er geht nicht nur weit hinaus über das gewöhnliche Bedeutungsmaß eines Stoffs, sondern überschreitet auch die Grenzen, die im Walde des Märchens und bei Tieck erreicht sind, durch eine gedanklich tiefere Erfüllung der Welt-Form und die Ausschließlichkeit ihrer Bedeutung. Dort war nur ein dichterisches Prinzip umfaßt, bei Eichendorff knüpft sich dazu eine innige Beziehung vom Walde im Welt-Sinne, und nur von ihm, zu dem innersten menschlichen Kern und Gehalt seiner gesamten Dichtung. Im formalen Sinne (»Wald als eigene Welt«) stehen der Wald des Märchens, Tiecks und Eichendorffs auf einer Stufe. Der Vorrang unter diesen drei Gestaltungsformen gebührt der, die den allgemeinsten und gültigsten Sinn

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verkörpert. Das Märchen und Tieck haben in ihrem Walde einen nur dichterischen Sinn (in den Prinzipien des Wunderbaren und des Poetischen) geformt. Bei Eichendorff ist unter dem Sinnbilde des Waldes gestaltet, was überhaupt den Menschen dauernd angeht.

6. K a p i t e l .

Romantische Walddichtung. Um die Entwicklung der »Welt«-Form in ununterbrochener Linie bis zu ihren Höhepunkten fuhren zu können, haben wir in der Behandlung Eichendorffs der Zeit vorgegriffen. Denn schon vor dem Jahre 1815, in dem der Roman »Ahnung und Gegenwart« als erstes Zeugnis Eichendorffischer Waldgestaltung erschien, sind eine Reihe anderer Vertreter der Epoche deutscher Walddichtung aufgetreten, die als »romantische« die ganze erste Hälfte des Jahrhunderts beherrscht und darüber hinaus weitgehend auf die Dichtung auch der zweiten Hälfte eingewirkt hat. Diese Epoche reicht vom Sternbald (1798) bis zu den Epigonen um die Jahrhundertmitte, etwa Putlitz und Roquette, viel weiter also als die eigentliche Romantik. Denn was an Walddichtungen in dieser Zeit, auch nach dem Absterben der eigentlichen dichterischen Romantik ans Licht getreten ist, nährt sich noch ganz aus der romantischen Walddichtung. In Tieck und Eichendorff haben wir bereits ihre Gipfel betrachtet. Jetzt aber handelt es sich nicht um die nachwirkenden Höhepunkte der Gesamtentwicklung in den beiden einzelnen Gestaltern, sondern um die Epoche der Walddichtung, in der sie stehen, als ganze, die für unser Thema bedeutungsvollste im Ablaufe der deutschen Dichtungsgeschichte überhaupt, nicht nur dem Fortschritt in der Entwicklung und der Vertiefung der Gestaltungsart nach, die wir bereits würdigten, sondern auch nach der Fülle der Stoffbehandlungen. Es ist unermeßlich, wie häufig in den Dichtungen dieser Zeit »Wald« vorkommt. Freilich ist der Wald nicht überall, wo er erscheint, in dichterischem Sinne »geformt«, er ist oft nur nebenher erwähntes Moderequisit der Zeit. Aber auch die Zahl der wirklichen Formungen, auf die wir uns beschränken, ist noch groß genug. Wir wollen versuchen, diese Masse des Materials durch eine mehrfache Prüfung nach verschiedenen Richtungen hin zu durchgliedern. Die romantische Epoche der Walddichtung beginnt nicht nur mit Tieck, sie ist ganz eigentlich von ihm geschaffen. Sie beginnt also auf einer Höhe, die — Eichendorff ausgenommen — kein einziger der romantischen Walddichter auch nur annähernd erreicht hat. Und unter ihnen

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ist die Zahl derer, die überhaupt ein eigenes Verhältnis zum Walde zu gewinnen und zu gestalten versuchten, wiederum auffallend gering. Nicht auf der individuellen Darstellungsform der einzelnen Dichter, sondern auf dem allgemein Romantischen muß also das Hauptgewicht der Betrachtung für diese Epoche liegen. Darum suchen wir uns vor allem einen sachlich, nach Erscheinungsformen und Inhalten geordneten Überblick über Wesen und Bedeutung des romantischen Waldes zu verschaffen. Es ist verständlich, daß Tiecks vollendete Walddichtung, die gleich am Anfange der Epoche steht, die Folgenden stark beeinflußt hat, am stärksten zunächst seine Anschauungs- und Schilderungsform, die Tieckische Stimmungsmalerei reichster sinnlicher Fülle, aus musikalischer Grundhaltung heraus. Darum bemüht sich z. B. Friedrich Schlegel trotz seines ewigen Zuges zum Gedanklichen: Wie mächtig dieser Aeste Bug, Und das Gebüsch wie dicht, Was golden spielend kaum durchschlug Der Sonne funkelnd Licht. (»Im Speßhart«, I X , 123.) Gewandter und prächtiger ist Brentano darin. E r sagt vom Frühling: Er schwebet liebend über todte Wälder, Die bang mit kalten Armen aufwärts langen, Da zündet er den Wald mit grünen Flammen, Und alle Blätter küssen sich so lieb zusammen, Und blicken still, das Götterkind zu fangen. (Werke V , 126, vgl. a. 232.) Auch die Pseudoromantiker, besonders die Kreise um Loeben und Kind, zeigen ihre Abhängigkeit von Tiecks musikalischer Stimmungskunst in ihren primitiven Nachahmungen, aber aus Mangel an sprachlicher Virtuosität, wie sie Tieck und auch Brentano eigen ist, halten sie sich mehr an die rhythmischen Klangspielereien: Du verschwiegner Wald, Grüner Aufenthalt Meiner Lieder und meiner Träume, . . . Wenn ein Waldhorn ruft Durch die Abendluft Fallen Blüten von allen Bäumen. (Gottwalt, d. i. Joh. Georg Seegemund, Sängerfahrt 152.) Im Wald, Da schallt, Im Wald Da hallt Ist Lust und Fried', Der Vöglein Lied. (J. N. Vogl, Somm. 59; ähnlich auch St. Schütze, Somm. 56f.) In der eigentlichen Dichtung der späteren Romantik verlieren sich die Spuren dieser Tieckischen Schilderungskunst. Denn bald nach der Jahrhundertwende trat neben Tiecks Anschauungsweise eine andere, einfachere Form der Waldbehandlung, die aus der Beschäftigung mit dem

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Volkslied entsprang und bei Eichendorff ihren Höhepunkt erreicht hat. Sie wurde bald vorherrschend und blieb es für den größten Teil der Epoche, wenn sie auch manche Tieckischen Stimmungselemente in sich aufnahm. Diese Form vertritt als erster auch hier Brentano (»O kühler Wald . . . « , Ged. 14, ähnl. 51, 77 u. ö.), dann aber vor allem die Altersgenossen Eichendorffs, Uhland und Wilhelm Müller: Kein' bessre Lust in dieser Zeit, Als durch den Wald zu dringen, Wo Drossel singt und Habicht schreit, Wo Hirsch' und Rehe springen. (Uhland 26.) Und wann alle Bäume rauschen Im weiten Jagdrevier,... Und wann alle Zweige sich neigen Und nicken dir Grüße z u . . . (Müller 128.) Auch, Lenau schildert mit diesen sparsamen, volksliedmäßigen Mitteln: Bin mit dir im Wald gegangen; Ach, wie war der Wald so froh! Alles grün, die Vögel sangen, Und das scheue Wild entfloh. (286.) Unter den späteren Dichtern zeigt Geibel noch am meisten die einfache Eichendorffische Art: Nun rauscht im Morgenwinde sacht So Busch als Waldrevier! (I, 229); bei den übrigen ist im allgemeinen eine Neigung zu erkennen, die einfachen Schilderungsformen wieder etwas reicher mit Tieckischen Stimmungselementen auszuschmücken, so bei Hoffmann von Fallersleben (II, 216, 308), Freiligrath (I, 27, 86), Strachwitz (262). Bei den späten Epigonen niederen Ranges, Zedlitz, Redwitz u. a., ist dann die Schilderungsweise wieder allzu sehr mit Stimmungszutaten »romantischer« Art (im populären Sinne des jetzigen Sprachgebrauchs) überschwemmt, wie ein Beispiel aus Roquettes »Waldmeisters Brautfahrt« beweist: O tief geheimnisvolles Träumen Der duftdurchwehten Waldesnacht! . . . Lebendig wirrt in grünem Golde Der Sonnenstrahlen buntes Licht, Es streift des Grases Blütendolde Den Blumen neckend ums Gesicht... usw. (77.) So schaffen sie ihren Waldgedichten ein anspruchsvolles Gewand, dem weder ihr dichterischer Rang noch eine vertiefte innerliche Beziehung zum Walde entspricht. Durch die Ausgestaltung der alten Vorstellung vom »Walde der Dichtung«, die den Begriff der Poesie mit dem Naturraum verknüpft, B a u m g a r t , D . W a l d i. d. dt. Dichtg.

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zur Welt-Form des Volksmärchens hat Tieck sein weites und umfassendes Wald-Bild geschaffen. Diese alte Gedankenverbindung begegnet in der ganzen romantischen Epoche immer wieder. Nur ist, so häufig das Bild auch erscheint, nirgends mehr wie bei Tieck versucht, die Gesamtheit der dichterischen Stoffverwendung des Waldes einheitlich darin (durch die Vorstellung des Waldes als poetischer Welt) zu umgreifen; nirgends bietet sich die Gewähr für einen solchen Versuch, wie ihn bei Tieck Zerbino und Oktavian bezeugen. Einzeln tritt die Vorstellung auf, neben anderen Einzelinhalten, in denen oder an denen der Wald geformt wird. Und diese Einzelinhalte sind es auch, aus denen wir ein Bild von der allgemeinen Art der romantischen Stoffbehandlung gewinnen. Bereits zu den Kapiteln über Tieck und Eichendorff haben wir eine ganze Reihe davon herangezogen. Die über die dort erwähnten Beispiele hinaus typischsten und häufigsten Verwendungsformen wollen wir in einem Querschnitt durch die romantische Epoche betrachten, bevor wir uns den einzelnen Gestaltern des Waldes in diesem Zeitabschnitt zuwenden. Die alte bildliche Verknüpfung von Wald und Dichtung, die in dieser Epoche so beliebt ist, begegnet in verschiedenen Abwandlungen. A m gewöhnlichsten ist die Vorstellung, daß die Dichtung im Walde zu Hause sei; entweder in einfachem Bilde: Im Wald . . . Da klingt Und springt Der Dichtung Q u e l l . . . (J. N. Vogl, Somm. 59), . . . Die auf schatt'ger Stell* Im Wald, an Quell' Und Strom erwuchs, die deutsche Poesie . . . (Freiligrath I, 22) oder in Personifizierungen, durch die klassizistische Figur der Muse bei J . D. Gries, noch ganz am Anfange der Epoche, in Schillers Musenalmanach auf 1799: Du stiller Ort, wo oft mit lieblichem Erröthen Die Muse mir den Schleier fallen ließ . . . Und hier, wo dichte Schatten uns umwehten, Sich unverhüllt dem Sänger wieß — (»Das Plätzchen im Walde«, 170), allegorisiert bei Uhland, auch bei Lenau (366) und Geibel (I, 150): Ihr habt gehört die Kunde Vom Fräulein, welches tief In eines Waldes Grunde Manch hundert Jahre schlief. Den Namen der Wunderbaren Vernahmt ihr aber nie: Ich hab' ihn jüngst erfahren: Die deutsche Poesie. (Uhland 317.)

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In einer etwas anderen Darstellungsform regt die Waldumgebung den Dichter zu seinem Liede an, Kerner singt den Wäldern zu: Wo in euren Dämmerungen Vogelsang und Silberquell, Ist auch manches Lied entsprungen Meinem Busen, frisch und hell; (II, 87), ebenso Freiligrath: Waldesruhe, Waldeslust, Bunte Märchenträume, O, wie labt ihr meine Brust, Lockt ihr meine Reime! (I, 86), ähnlich auch Strachwitz in der Einleitung zu einer Ballade (»Der Elfenring«, 202); und bei Kinkel (»Traum im Spessart«) macht der Wald den Jüngling überhaupt erst zum Dichter (105). Der alten Buchtitelform, die wir am Schlüsse des Tieckkapitels erwähnten, entspricht der Gebrauch des Bildes bei Uhland (in den Versen vom »deutschen Dichterwald«, 32), Geibel (in dem satirischen Gedichte »Epigonen«, 1,62 f.) und Anastasius Grün (»Drum grüne kühn, Baum meiner Lieder, Im Haine deutschen Sangs ein Sprosse . . . I I , 70). Manchmal wird das Bild auch nur auf einzelne Dichtungsgattungen angewandt, von Fouque in der Zuneigung des »Sigurd«: Aus deutschen Wäldern mahnend stieg der Klang Uralten Heldenliedes, halb verweht... (3), von Uhland in den Volksliedern (»Aus dem grünen Walde stammt die alte, naturtreue Volksdichtung«, I I I , 308), von Geibel (»O Fei der Waldesgründe, O Sagenpoesie!« I, 150). Andererseits wird die Bedeutung aber auch erweitert und der Wald zum Räume der Phantasie oder des Gedankens überhaupt bei Friedrich Schlegel (Somm. 26 u. 5 1 ) und ganz allgemein der Kunst bei Uhland (32 f.) und Lenau (124) gemacht. Das letzterwähnte Uhlandgedicht (»Freie Kunst«, 32 f.), auch das früher erwähnte Lenaus (»Die Poesie und ihre Störer«, 366 f.) leiten zu einer zweiten typisch romantischen Formung des Stoffes über, die dem Walde den Gedanken der Freiheit unterlegt. Beide verteidigen die Freiheit der Poesie, Uhland in einer Gegenüberstellung von klassizistisch gebundener und national-romantisch freier Kunst, Lenau in der Lobpreisung einer selbstgenügsamen, zweckfremden gegen die Tages- und Tendenzpoesie. Dieser Gedanke der Freiheit, aber allgemeiner, nicht nur der der Poesie, ist schon zu Anfang der Epoche fest ausgebildet, besonders bei Friedrich Schlegel. Neben der gedanklichen Freiheit: Windes Rauschen, Gottes Flügel Tief in dunkler Waldesnacht! Frei gegeben alle Zügel Schwingt sich des Gedankens M a c h t . . . (Somm. 52) 6*

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hat er den Wald als Symbol vor allem politischer Freiheit besungen. Beispiele dafür sind die Gedichte »Im Speßhart« (1806): . . . Dann denk' ich, wie vor alter Zeit, Du dunkle Waldesnacht! Der Freyheit Sohn sich dein gefreut, Und was er hier gedacht. Du warst der Alten Haus und Burg; Zu diesem grünen Zelt Drang keines Feindes Ruf hindurch, Frey war noch da die W e l t . . . . (IX, 123) und »Freyheit« (1807): Freyheit, so die Flügel Schwingt zur Felsenkluft,. . . Rausch' in deutschem Klange, Athme Waldes Luft! Frey sich regt und froher Ahndung in der Brust, Und des Waldes hoher Geist wird uns bewußt. (IX, 182.) Dies letzte wurde nach Form und Inhalt das Vorbild des berühmten Liedes von Schenkendorf »Freiheit, die ich meine . ..«, das auch in gleicher Weise wieder den Wald verwendet: Auch bei grünen Bäumen In dem lust'gen Wald, Unter Blütenträumen Ist dein Aufenthalt. (3.) Denselben Gedanken hat Schenkendorf noch ein zweites Mal etwas breiter ausgeführt (in »Der Schwarzwald«): Wie schaurig hier und wie allein Im höchsten schwarzen Wald, Nicht fern kann hier die Wohnung sein Der seligsten Gestalt: Der Freiheit, die mein Herz gewann . . . O Freiheit, Freiheit, komm heraus, So kräftig und so fromm, Aus deinem grünen dunkeln Haus, Du schöne Freiheit, komm. (89/90.) Aber durch die Dichter der Freiheitskriege wird diese Symbolformung dann auch abgewandelt. Statt des Waldes werden die einzelnen Bäume, Tannen oder Eichen, zum politischen oder Freiheitssymbol und bleiben es; das bezeugen vielfach Stellen bei Arndt und Körner, aber auch bei Schenkendorf. In bitter ironischer Umkehrung erscheint das Symbol in dieser Umformung dann in der politischen Lyrik des Vormärz, z. B.

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bei Herwegh (»Eure Tannen, Eure Eichen — . . . die grünen Fragezeichen Deutscher Freiheit . . . 53, auch 78); der Wald als politisches Symbol ist dort ganz verschwunden. In einer dritten Fassung wird der Wald in religiösem Sinne gedeutet. »In dem Walde wohnet stiller Glaube« (Brentano, Wasa 60) stellt die einfachste Stufe dar, Uhlands »Verlorene Kirche« (313) die am breitesten ausgebildete: Aus der sagenhaften Vorstellung einer im Walde verschwundenen Kirche gestaltet er die Vision des Waldes als Dom. In gelegentlicher Formung ist dieser Vergleich häufiger (Aloys Schreiber (I, 205) z. B. spricht vom Walde als »grüngewölbtem Dom«); die metaphorische Auffassung des Waldes als geschlossenen Raumes ist j a schon sehr alt. Zuversicht der Unsterblichkeit spricht aus Lenaus »Waldgang«: Dort aus des Walds Verdüstern, Den Stimmen des Vergehens, Hört ich die Hoffnung flüstern Des ewgen Wiedersehens. (142, vgl. a. 456), der vertrauensvolle Glaube an die bessere Zukunft aus seinem Gedicht »Weib und Kind«: Der Tannwald stand ein fester Bürge da, D a ß sich noch alles wenden wird zum Guten.

(252); auch das stammt ganz aus religiösem Grunde, wie der Kerngedanke des Gedichtes ergibt, der Gott und die Natur als die beiden Grundfesten eines schönen und glücklichen Lebens preist. Besonders charakteristisch aber ist die Gedankenformung, die Gott als Gestalt mit dem Walde verbindet: Windes Rauschen, Gottes Flügel Tief in dunkler Waldesnacht!

(Friedrich Schlegel, Somm. 5 2 . )

Euch Bäume hat kein Mensch gestreut, Euch säte Gottes Hand, . . . Durch eure schlanken Wipfel geht Sein wunderbarer Gang. (Schenkendorf 89.)

Auch Lenau hat dieses Bild (»Der Eichwald«): Der Wind rauscht geheimnisvoll im Walde, Doch schien er plötzlich zu erschrecken V o r Gottes Näh — und wurde still. (94, vgl. a. 4 4 8 fr.)

Das bekannteste Beispiel hierfür, als schlichtes und tiefes Bild fast vom dichterischen Range Eichendorfls, gibt Wilhelm Müller in seinem Gedichte »Jägers Lust«: I m Walde bin ich König, Der Wald ist Gottes Haus; D a weht sein starker O d e m Lebendig ein und am. (127.)

In den drei Gruppen der bisher behandelten Beispiele wurde jedesmal

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ein stofflich Fremdes, die Gedanken der Poesie, der Freiheit, der Religion, in den Wald als deren Symbol hineingedeutet. Die letzte, wichtigste Verwendungsform des Stoffes, die wir heranziehen, im Motiv der »Waldlust«, entspringt ohne notwendige stoffliche Beeinflussung von außen her allein aus der Begegnung des Menschen mit dem Walde, von der wir als dichterischer Keimzelle überall ausgegangen sind, aus dem reinen Gefühlserlebnis. Freilich gibt es auch hier wieder Grenzfalle nach andern Verwendungsformen hin, so z. B. den Inhalten »Freiheit« bei Friedrich Schlegel (»Deutsche Lust im Walde blühte . . «, Somm. 61), oder »Jäger« (W. Müller 397) und »Liebe« (Geibel 278). Das Wohlgefallen, mit dem der Romantiker in dieser unbefangenen Gefuhlsbewegung auf den Wald reagiert, schafft nun die zentrale romantische Dichtungsform des Waldes, die zwar nicht alle andern in sich umgreift, aber sie an Bedeutung übertrifft. A u f der dichterischen Höhe der Epoche ist die ästhetische Wertung nicht selbst Inhalt der Dichtung, sondern nur ihr Ausgangspunkt. Sie braucht nicht einmal ausgeführt zu werden, sondern kannhinter den Hauptinhalt zurücktreten oder ganz verborgen bleiben. Denn aus dem ursprünglichen sinnlichen Erleben schwingt sich das Gedicht auf zu einem enthusiastischen Ichgefuhl. Arnims Gedicht »Im Walde« (Somm. 52) läßt diesen Aufschwung besonders schön erkennen. Aus dem zunächst nur sinnlichen, nur körperlichen Naturgenießen erhebt sich plötzlich das menschliche Selbstbewußtsein, das romantische Ich kommt zu sich und erfahrt eine großartige Steigerung zu seiner eigentlichen Höhe, einem individualistisch unabhängigen, nur eng der Natur verbundenen Lebensgefühl. Ähnliches zeigen das schon erwähnte Schlegelgedicht (Somm. 51) und Brentanos großer Prosahymnus auf den Wald im Godwi (Werke V , 232). Ein typisches Stück romantischen Geistes, diese subjektive Lebenshaltung, wird aus dem Walde gewonnen und an seinem Bilde wiederum dichterisch dargestellt, am reichsten und breitesten in Brentanos großer Godwi-Stelle. Diese Haltung gilt nun aber nicht fiir die ganze romantische Epoche. Schon kurze Zeit später ist sie in ihr Gegenteil umgeschlagen. A n dem Reiz der in sich seligen Waldnatur gewinnt der Mensch das Bewußtsein seiner eigenen Unzulänglichkeit oder seines Unglücks. Fouqud schildert (»Waldessprache«) das »Flüstern, Rauschen, Klingen« des Waldes und schließt dann: Doch schon im leichten Wandeln Zog das Geflüster fort; Dumpf ist der Menschen Handeln, Und todt der Sprache Wort. (I, 102.) und auch Kerner und Lenau führt die Lieblichkeit des Waldes nur auf Qual und Trauer ihres Innern:

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Tief durch den Wald Gesang erschallt, Die leichten Vöglein scherzen, Der Mensch allein, der trägt die Pein Recht tief im kranken Herzen. (Kerner II,

190.)

Häufiger liegt bei diesen beiden dann aber der Schwerpunkt nicht mehr auf dem Gegensatz zwischen dem lustigen Waldwesen und der niedergeschlagenen Menschenseele, sondern auf dem Melancholischen an sich. Hiermit vergleichbar ist eine etwas andere Fassung derselben Gedankenverbindung, die Mischung von Lust und Schauer, die besonders die Pseudoromantiker liebten: Mich ergreifen Lust und Bangen Unter'm grünen Baumgezelt . . .

(Aloys Schreiber, I, 205.)

Das Waldhorn tönt im grünen Haus, Ein Echo meiner Brust; Es spricht ein banges Sehnen aus, Es tönt vergang'ne Lust . . . (Stephan Schütze, Harfe 293.)

Dichterische Tiefe hat diese Mischung nur bei Eichendorff durch seine metaphysische Deutung des Gedankens erhalten. Nach ihm benutzen es dann wieder die Epigonen, Freiligrath sagt von der »Sprache, die der Bergwald führt«: Ich horcht' auf sie mit innerlichem Schauer; In meine Waldlust stahl sich süße Trauer . . .

(I, 27.)

Von dem Höhepunkt der Formung des Themas »Waldeslust«, an dem die Dichtung aus dem ästhetischen Erlebnis heraus ihren seelischen Aufschwung nahm, sinkt seine Bedeutung mit der Zeit immer mehr ab. Mit den Epigonen tritt die einfache Schilderung des Walderlebnisses in dieser Form wieder in den Mittelpunkt. Die »Waldlust« wird eine Stimmungschiffre wie die Tieckische »Waldeinsamkeit« und wird häufig benutzt: Waldesruhe, Waldeslust . . . (Freiligrath I, 86), Der Wald der kann uns geben Viel Lust und Fröhlichkeit . . . (Hoffmann von Fallersleben II, 349.)

Hoffmann von Fallersleben hat auch noch eine neue Nuancierung dieses Themas gefunden, in der Verengung auf den Spielraum des kindlichen Erlebens in den »Kinderliedern« (II, 215 ff.), in denen er die Freude an den Waldbeeren oder den Kuckucksrufen besingt. Bei den niederen Epigonen ist dann nur noch eine analytische Anreihung der einzelnen Reizwirkungen übriggeblieben: K e i n Reiz, der nicht die Gegend schmückt! Hier ist, was je ein A u g ' entzückt: Die Matten licht, die Büsche grün, D e r Riesenbäume Baldachin, Die bunten Blumen mannigfalt . . . usw. (Zedlitz 12.)

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Wir haben hier einige Gruppen von Waldformungen zusammengestellt, die in ihrer thematischen Gedankenverknüpfung für die romantische Epoche charakteristisch sind. Man könnte noch manche weiteren Gruppen hinzufügen, solche um den Gedanken der Heimat (als Beispiel Brentano, Wasa 71) oder den der Erinnerung (als Beispiel Friedrich Schlegel I X , 123), besonders zahlreiche aber von solchen Formungen, in denen der Wald bloße Schauplatzqualität besitzt oder gar nur gelegentlich erscheint, wie bei den Themen Jagd, Räuber, Einsiedler, Verirren und den verschiedenen der Jahreszeiten und der Liebesgefiihle. Es sind die alten Formen, und sie sind natürlich auch in der romantischen Zeit eifrig im Gebrauch, besonders wo sie sich dem Stofflichen zuneigt, wie bei den Balladen- und Romanzendichtern. Trotzdem haben wir sie hier ganz außer acht gelassen, denn über das spezifisch Romantische des Waldes in dieser Epoche sagen sie nichts. Bereits zu Beginn dieses Abschnitts stellten wir fest, daß die allgemeine Walddichtung der romantischen Epoche an Bedeutung weit hinter der Tiecks und Eichendorffs zurückbleibt. Vor allem ist nirgends wieder wie bei Tieck und Eichendorff eine Zusammenfassung der thematischen Vielheit der Walddarstellungen in einer eigenen »Welt«-Form versucht worden. Jedoch ist es nun interessant zu beobachten, daß dieser Gedanke nicht völlig verschwunden, sondern zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder aufgenommen worden ist. Als nämlich gegen Ende der Epoche die Realität der Gegenwart sich unabweisbar in das individuelle Leben des Einzelnen einzudrängen begann, suchte der romantische Dichter eine Zuflucht vor der Welt bei der Natur, besonders im Walde. So spricht es Hoffmann von Fallersleben aus: O nimm mich auf, du Waldeseinsamkeit, Daß ich vergesse diese trübe Zeit . . .

(I, 68,)

und Geibel gibt dem Gedanken unter der Maske des Einsiedlers Ausdruck: Wie wird mir das Gewühle Der Welt doch gar zu Last . . . (I, 160.) Enttäuschung (Kerner II, 153) oder Abscheu gegen die »Fratzen der Gesellschaft« (Mörike I, 120, ähnlich Holtei 7 f.), gegen den Tagesstreit (Putlitz 3) oder die Kritik und Politik (Strachwitz 112) treiben die Dichter aus der Welt der Gegenwart. Der Wald wird der realen Welt gegenübergestellt und erhält so selbst etwas wie den Charakter einer eigenen »Welt«. Dennoch ist diese Erscheinung weit von der »Welt«-Form Tiecks oder Eichendorffs entfernt. Es fehlt dem Walde eine spezifische eigene Seinsqualität und die einheitliche Verbundenheit all seines »Welt«-Geschehens in dieser Seinsqualität. Keiner der Dichter, die den Wald so verwandten,

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hat versucht, unter diesem »Welt«-Gedanken seine ganze Walddichtung einheitlich zusammenzufassen, und so ist er, wo er erscheint, nur als eine Form neben vielen anzusehen, gänzlich ohne die Tiefe der Bedeutung, die ihm im Märchen, bei Tieck und bei Eichendorff zukam. Nach dem sachlich geordneten Überblick, der uns den inneren Zusammenhang der romantischen Epoche zeigte, wollen wir nun, um nicht das Bewußtsein des historischen Ablaufs zu verlieren, kurz die Reihe der einzelnen Walddichter in ihrer zeitlichen Folge uns vor Augen führen und ihre Walddichtung in den allgemeinen Zusammenhang einzuordnen suchen. Tieck ist der Schöpfer des romantischen Waldes. Er schuf in ihm ein dichterisches Medium des romantischen Geistes. Medium ist der Wald für Tieck nicht in dem Sinne, daß er als notwendiger oder gelegentlicher Begleiter eines anderen, eigentlich Gemeinten erschiene, in der Form also, die schon Brockes als erster überwunden hatte. Andererseits ist stets ein gewisser medialer Charakter unumgänglich, solange die Darstellung noch von einem eigenen Sinn getragen ist; erst in einer objektiveren Naturschilderung mit einer Zielrichtung, der auf dem Gebiete des Bildlichen etwa das Ideal der Photographie entspricht, ist dieser Charakter verschwunden, so in der wissenschaftlichen Beschreibung, etwa schon in Roßmäßlers »Wald« (1861); dichterisch gemeint, wie in der »objektiven« Naturlyrik Martin Greifs (1839—1911), bedeutet sie dann fast nichts mehr. Tiecks Wald nun ist mehr als die nichtssagende Medialform der Vorgeschichte; er ist als Medium der Ausdruck eines spezifisch romantischen Gedankens, der in unzähligen Formulierungen immer wieder anders erscheint und in keiner Definition endgültig faßbar ist. Durch ein Bild verdeutlicht ist es das Prisma zwischen Auge und Schauobjekt, das die Blicklinie bricht und das Objekt »romantisiert«. Auf der Brechung, auf diesem Mittel-Charakter liegt die Betonung für die frühromantischen Dichter. Es ist zugleich der Grund, aus dem ihre Vorliebe für die Stimmungsspiele entspringt. Solch ein Medium, neben anderen wie Nacht und Traum, ist der Wald fiir Tieck und nächst ihm für Friedrich Schlegel und Brentano, der nach Wesen und Bestreben in seinen früheren Werken auch zu den Frühromantikern zu zählen ist. Er fehlt fast gänzlich bei Novalis oder tritt jedenfalls völlig zurück hinter dem für ihn typischen Medium des Magischen; auf seine einzige bedeutendere Waldformung kommen wir später noch zurück. Auch Jean Paul, an den man sich in diesem Zusammenhange erinnern mag, hat kein eigentliches Verhältnis zum Walde; wo er, selten genug, vorkommt, wie in der »Waldbrücke« des Titan und auf Walts Wanderung in den Flegeljahren, ist er nur ein

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einzelnes und recht unbedeutendes Element der »Gefühlslandschaft«, ohne seine eigene spezifische Wesensqualität. Tieck hat aber nicht nur den Anstoß gegeben und das Prinzip selbst verwandt, sondern in typisch romantischer Übersteigerung des Gedankens es wiederum selber dichterisch zu gestalten, sozusagen das Poetische selber zu dichten versucht. In dieser formalen Hinsicht steht er über Friedrich Schlegel und Brentano. Aber nicht hierin liegt der Grund für den großen Einfluß, den Tiecks Dichtung auf seine Zeit geübt hat. Er ist in der Originalität, der Schönheit und Fülle seiner Walddichtung zu sehen, in der er alle andern, auch Brentano, überragt. Friedrich Schlegel hält völlige Durchschnittshöhe, Brentano gelangt wohl weiter als er, aber nicht in seiner Haltung zum Walde, sondern nur durch die dichterisch bedeutendere Ausführung, in dem schönen Godwi-Hymnus auf den Wald oder einer glücklichen Formulierung, etwa »wie in Gewölben von Smaragd . . .«, die aber schon dem späteren Brentano zugehört. Im größeren Zusammenhang der Stoffgeschichte gesehen führt Tieck nun aber gerade auch mit dieser (wenn auch überspitzten) formalen Unternehmung, dem Versuch einer »Welt«-FormGestaltung, vorwärts, und zwar zum Höhepunkte der Entwicklung, zu Eichendorff. Eichendorff ist der Vertreter einer jüngeren Romantikergeneration weniger spekulativ-denkerischer als naiv-dichterischer Richtung, deren reinste Verkörperung er darstellt; Uhland, Wilhelm Müller, auch Brentano (der spätere) gehören dazu. Der neugewonnene Stoffbezirk wird nicht mehr gedanklich beschwert, sondern frisch und unbefangen benutzt. Die »Welt«-Form des Eichendorffschen Waldes ist nicht aus der Reflexion geschaffen zu nachträglicher Zusammenfassung der Einzelformen, sondern wie beim Volksmärchen natürlich gewachsen und aus ursprünglichem Antriebe einer Sinndeutung des Waldes entwickelt, aus der dann erst die Einzelinhalte entspringen. Der Gedanke des Mediums tritt dagegen selbstverständlich völlig in den Hintergrund. Durch diese reichste und tiefste Sinndeutung in der reinsten dichterischen Formung wird Eichendorffs Wald der Gipfel der deutschen Walddichtung. Hier erhebt sich Eichendorff zu einer Höhe, auf der er weiter von seiner Generation entfernt steht als Tieck von der seinen, und von der kaum noch eine Beziehung zu den andern zeitgenössischen Walddichtern läuft. Auch bei diesen, wie überall jetzt, ist der mediale Charakter frühromantischer Herkunft bedeutungslos geworden mit der Fortentwicklung von der unstofFIich-musikalischen zur stoffbetonten Lyrik, — denn um Lyrik handelt es sich jetzt allein. — Diese Bewegung geht vom Balladesk-Romanzenhaften aus, wo der Medialcharakter zunächst nur hinter den Inhalt zurücktritt (Fouqui, Uhland, auch Eichendorfis Jugendromanzen), dann aber verschwindet er auch ganz, wie in der Liederdichtung (Wilhelm Müller,

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auch Uhland); hier kehrt der Wald zu der Erscheinungsform der Volkslieder zurück, in denen er als Formel oder Requisit gebraucht wurde. In diesen beiden Formen, in der Unterordnung unter den Handlungsstoff der Ballade oder im Requisitgebrauch des Liedes, bleiben Eichendorffs engere Zeitgenossen stecken, ein eigenes ursprüngliches Verhältnis zum Walde, das alles Einzelvorkommen auf einen bestimmten Gesamtsinn bezöge und so die Vereinzelung überwände, haben sie nicht. Abseits von den Hauptwegen der Romantik zeigen noch ein paar Dichter, durch Einseitigkeit charakteristisch, ein eigenes Gesicht in ihrer Waldbehandlung. Das ist bei Justinus Kerner der Fall, dessen zugleich magische und melancholische Beziehung zur Natur auch aus seinen Waldgedichten hervorblickt: »Schmerz ist der Grundton der Natur; Schmerz des Waldes rauschend Singen« (II, 184); der Grundstimmung seines Wesens entsprechend sieht er den Wald schon nur als Einsamkeit, Trauer und Bangnis. Noch stärker, weil entscheidender im Gefühl und dichterisch bedeutender im Ausdruck, ist der Durchbruch der Individualität bei Lenau, dem aus allem, auch dem heiter und liebenswürdig Begegnenden, die leidvolle Zerrissenheit hervorbricht. Das ist in den Waldformungen seiner ganzen Gedichte ausgeprägt bis zum Schlüsse hin: D a erscheint im Zyklus der »Waldlieder« eine neue Schöpfung. Der Dichter trägt sein Leiden Linderung suchend zur Natur zurück, in den Wald. Aus dem wilden Wetter, das durch den Wald braust, schöpft er neue Kräfte, das Bild der Vermählung der Natur mit dem Geiste spiegelt ihm Verjüngung vor, die Merlinsgestalt drückt sein befreiendes Ringen um ein dämonisch-tiefes Verstehen der Natur aus, der Schlaf in der ruhevollen Stimmung des sommerlichen Pansfriedens erleichtert ihn. Aber auch hier scheint doch wieder die Grundstimmung des Herzens durch als Wehmut oder Erinnerungstrauer. Es ist doch keine Heilung, die der Dichter erfährt, sondern nur die Milderung, die dem hoffnungslos Kranken gewährt wird, der schon nur noch rückwärts in sein Leben blickt, in letzten Wünschen spricht (»Einmal nur, bevor mirs nachtet. . .«) und sich dann mehr und mehr ins Jenseitige wendet. Das ist der Sinn der Waldlieder Lenaus, des im Aufdämmern der wahren Erkenntnis der Hoffnungslosigkeit erschütternden Schlußpunktes, den er selber unter die Sammlung seiner Gedichte setzte. — V o n den Walddichtern besonderen Gepräges bleibt noch ein letzter, auch aus dem schwäbischen Kreise, kurz zu betrachten, wegen seiner eigenartigen Haltung dem Walde gegenüber; nicht Mörike, dessen vereinzelte Ansätze sich ins Idyllenhafte verlieren und durch das antikische Gewand abseitig werden, sondern der fast vergessene Karl Mayer. Er war ein recht bescheidenes Talent, aber auf seinem kleinen Gebiete von den berühmteren Freunden aner-

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kannt, wie ihre Gedichte an ihn beweisen, — Mörike (I, 109), Freiligrath (III, 34), auch Uhlands berühmtes Merlingedicht (238) gilt ihm — , und er wurde als eine Art Sachverständiger für Natur- und besonders für Walddichtung angesehen. In vielen kleinen, unendlich variablen Naturbildchen bemühte er sich, seiner Liebe und Begeisterung für den Wald Ausdruck zu verleihen (»Waldabend«, »Waldesstille«, »Walderinnerung« usw. sind typische Titel). Aber seine dichterische Kraft reichte doch kaum hin. In Form und Sprechweise ist er an die größeren Romantiker oder gar an das vergangene Jahrhundert gebunden, und in der dichterischen Ausschöpfung und Durchdringung seines Vorwurfs bleibt er stecken. Dies Versagen kommt jedoch nicht nur aus dem Mangel an ausreichender Begabung, sondern aus einem tiefen persönlichen Grunde, der den Dichter eigenartig und für uns beachtenswert macht. Der ästhetische Eindruck, den die Waldnatur auf ihn macht, ist so stark, daß er ihm erliegt. Der Wonne, die er aus dem Walde schöpft, ist sein Herz nicht gewachsen; sie entzieht ihn der Zeit, der Welt, j a sich selbst (39). Dieses Sich-Verlieren an den Wald geht bis zu dem Grade gänzlicher Entselbstung, einem völligen Aufgehen in der Natur, einem Zur-Pflanze-Werden (35 u. ö.). Diese Verpflanzlichung des Menschen, eine einzigartige Erscheinung, die hier mehr bedeutet als die auch sonst öfter erscheinenden pflanzlichen Bilder, die auf den Menschen angewandt werden wie »blühen«, »Wurzel fassen« usw., ist interessant als genaues Gegenstück zur Vermenschlichung der Natur und Naturbeseelung überhaupt, die überall erscheint, wo ein inniges Verhältnis zur Natur den Dichter antreibt, die Kluft zwischen Natur und Mensch wenigstens im Bilde zu überbrücken. Diese Versuche, den Wald (und überhaupt die Natur) durch vermenschlichte Darstellung dem Menschlichen näherzurücken, ist auch in der Romantik außerordentlich häufig. Die einzige Umkehrung aber, das Aufgehen des Menschen im Walde, hebt den als Dichter sonst recht unbedeutenden Karl Mayer aus seiner Umgebung sonderbar heraus. Mit dieser Gestalt so seltsam schwärmerischer Haltung haben wir bereits die Grenze der eigentlichen Romantik erreicht. Bevor wir aber die Abhängigkeit der Nachgeborenen betrachten, wenden wir uns noch einen Augenblick denen zu, die von den Romantikern abhängig gleichzeitig mit ihnen eine literarische Unterschicht ausfüllen. Es verlohnte keines Wortes, wenn diese Pseudoromantiker nur die Leistungen der Romantik auf niederer Stufe wiederholt hätten, zumal wir sie schon in unsern Sachüberblick einbezogen haben. Aber sie hängen zum Teil noch fest mit dem vergangenen Jahrhundert zusammen, und durch sie wird längst Veraltetes in das Erbe der Romantik eingeschmuggelt. Loeben ist der geschickteste Anempfinder unter ihnen und weiß sich am sichersten

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in den (trotz seiner allgemeinen Novalis-Abhängigkeit) Tieckischen Bahnen der Walddarstellung zu bewegen. Die andern zeigen alle mehr oder weniger deutlich, daß sie von der sentimentalen Poesie aus dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts herkommen. Ein eindringliches Beispiel dafür ist Stephan Schützes Gedicht »Trost im Walde«, weil die Nachahmungen der widerstrebenden Vorbilder hier in reinster Form nebeneinander stehen. Der Anfang (2. Strophe) klingt ganz nach Tieck (»Das Waldhorn tönt im grünen Haus . . .« usw.), der Schluß aber verrät den völlig sentimentalen Charakter des Ganzen: Ja, schließe du, o stiller Hain, Bei Kummer und Verdruß Mich oft in deine Schatten ein, A u c h Trauer ist Genuß. (Harfe 293.)

Das ist der Empfindungsgehalt der Siegwart-Zeit, und er beweist trotz der romantischen Verbrämung, daß Hölty und Matthisson wichtiger fiir die Pseudoromantiker gewesen sind als Tieck. Im einzelnen noch mehr als Schütze bewahrt Friedrich Kind Matthissons Empfindungs- und Schilderungsapparat hinter einer fadenscheinigen Verkleidung mit romantischen Elementen, z. B. in »Waldesstille« (45) und »Die Ruinen (!) des Waldschlosses« (47). Auch in Sprechweise und Darstellungsform erhält sich hier manches Alte unter dem Deckmantel des Romantischen, wie der Hainbegriff und die Vorliebe für Eichen und Tannen. Solche Überbleibsel vergangener Zeit reichen sogar wieder in die höhere Dichtung der Romantik hinein. Uhland gebraucht zwar nur die Worte Eichenhain und Tannenhain (33, 103), — auch Tieck und Eichendorff wiesen j a in den Romanzen solche Spuren von Früherem a u f — , Fouque aber bringt auch die balladesken Schauerempfindungen (»Die Waldfrau«, 162), und E. T . A . Hoffmann (Elixiere des Teufels) ist stark von den Waldformen der Trivialromane beeinflußt. Auch die eigentlichen Epigonen der romantischen Walddichtung teilen sich wieder in zwei Schichten. Aber gerade die Dichter von einigem Range haben kein eigenes Verhältnis zum Walde. In der Lieder- wie in der Balladendichtung war der Wald j a schon vorher auf ein Mindestmaß von Bedeutung herabgesunken. So erscheint er an sich nicht oft; und wo er etwas häufiger ist, gewinnt er keine charakteristische Prägung. Hoffmann von Fallersleben suchte zwar mit den Kinderliedern einen neuen Bezirk auf, blieb in der Darstellung aber ganz im Überkommenen befangen, und auch Geibel kam aus der Abhängigkeit von der Walddichtung Eichendorffs nicht heraus. Die Epigonen niederer Stufe dagegen pflegten den Stoff mit Vorliebe. In den süßlichen Kleinepen aus ritterlicher Vorzeit (Zedlitz, »Waldfräulein«, Redwitz, »Amaranth«) spielt

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er schon eine viel bedeutendere Rolle als in den Liedern und Balladen der Epigonen, und in den Werkchen der Holtei, Putlitz, Roquette hat er sogar noch eine besondere Form gefunden, in einer minutiösen Art der Waldbetrachtung. Es ist hier kein Blick für das Kleine wie bei Brockes, wo es hervorgehoben, aber mit in die großen Sinnbeziehungen eingebaut wurde, es ist eine Betrachtungsweise wie durchs Vergrößerungsglas, die das Einzelne heraushebt und unmäßig verstärkt, während alle übrigen Verhältnisse verzerrt oder dem Auge ganz entzogen werden. Die kleinen Bücher sprechen von Blumen, Vögeln, Steinen als Elementen der Waldnatur und lassen sie reden und handeln zum Lobe des Waldes. Von der Früh- und Hoch-Zeit der Epoche ist nur noch ein leiser Hauch in ein paar Einzelformen und in der Stimmungsmache zu spüren. Übriggeblieben ist nur noch eine breite, aber kleinliche Analyse der romantischen Reizwirkung des Waldes in dichterischer Form; die romantische Substanz ist verschwunden. Im Zusammenhang unseres Überblicks über die einzelnen Verwendungsformen des romantischen Waldes stellten wir bereits fest, daß außer bei Tieck und Eichendorff nirgends in romantischer Zeit der Wald aus einer einheitlichen eigenen Grundidee heraus in »Welt«-Form dargestellt worden ist. Eine bestimmte Gattung romantischer Dichtung jedoch, das romantische Kunstmärchen, übernimmt eine frühere Darstellungsform solcher Art und führt sie weiter, nämlich die des Volksmärchens aus dem Gedanken des Wunderbaren. Die Bedeutung der Gattung »Kunstmärchen« für die ganze romantische Epoche macht es nötig, ihr Waldbild etwas näher zu betrachten. Und zwar kommt es nur auf eine Prüfung der Wandlungen des »Welt«-Gedankens an, da die Schilderungsformen auch des Kunstmärchens sich ganz in den Grenzen der Zeit halten und zwischen den beiden Polen Tieckischer und volksmäßig einfacher Art (wie in Volkslied und Volksmärchen) nach der Natur des Dichters wechselnd schwanken. Der Wald als Welt des Wunderbaren, allein oder neben anderen »Welten«, abgehoben von der Realität der wirklichen Welt, die den Rahmen gibt, in die der Zauber, an die Waldmächte gebunden, aber hineinragen kann: das ist die Grundbedeutung des Waldes im Volksmärchen. Diesen Gedanken finden wir am reinsten wieder in Hauffs Märchen »Das kalte Herz«. Glasmännlein und Holländer Michel sind die Waldmächte, die dem Kohlenmunkpeter begegnen, und ihr Revier ist deutlich gegen die wirkliche Welt der Dörfer und Glashütten abgegrenzt. Der Wald ist die Welt, aus der der Zauber stammt, der gute wie der böse, wenn er auch über die Grenzen des Waldes hinauswirkt. Eine Stufe

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tiefer, aber auch ganz in der Art des Volksmärchens hält sich Fouques »Undine«. Hier steht der Wald zwar hinter der Wasserwelt zurück, aber als Teilreich des Wunderbaren hat er völlig Volksmärchencharakter. Der Zauberwald, den der Held durchreitet, ist in gleicher Weise wie die Wasserwelt (als See oder Brunnen im Schlosse) gegen die reale Welt abgehoben. — Zu diesen neu erfundenen Märchen ließe sich auch der einfachere Fall der Kunstfassung eines volkstümlichen Waldmärchens heranziehen: Arnims Umformung von »Hänsel und Gretel« in den »Kronenwächtern« (II, 158 f.). Nur ist der Waldcharakter hier ganz verdeckt und kaum zu erkennen, das Zuckerhäuschen steht »vor einem dunklen Walde«; die Weltform ist hier also nicht nachzuweisen, sondern nur aus dem Vergleiche mit der Grimmschen Fassung zu erschließen. Viel häufiger als diese einfache Übernahme der Volksmärchenverhältnisse ist eine Verwischung der Grenzen. Die Trennung von realer und Zauberwelt verschwindet, der Wald ist nicht mehr Wunderwelt, sondern nur noch ein bevorzugter Wunderbezirk; aber weder die Zauberwirkung noch auch die verursachenden Mächte bleiben an diesen Bezirk gebunden, ja sie sind überhaupt an keine eigene Sphäre mehr gebunden, sondern spielen frei in der (dichterischen!) Wirklichkeit. Auf der Grenze zwischen der ersten und dieser zweiten Gruppe steht Contessas Märchen »Das Schwerdt und die Schlangen«, weil der Verfasser — man möchte eher sagen: der Kompilator — hier die verschiedensten Züge, die nur irgend zum Märchen zu rechnen sind, zusammengetragen hat. Zauberwelt ganz wie im Volksmärchen ist der Wald der Schlangenhöhle (bei der allerdings der Zauber der unterirdischen Welt hijieinspielt, wie auch manchmal im Volksmärchen), und der Wald, in dem Raimund der Waldkönigin Diana (!) begegnet. Dieser selbe Wald beherbergt aber zugleich auch den gar nicht zauberhaften groben Schmied. Und bei dem Zauber wiederum des Ränzleins und der Alpenrose ist nicht ersichtlich, daß er an irgendeine Welt gebunden sei. Contessas Märchen steht also noch in der Mitte. — Ein reiner Vertreter der zweiten Form aber, in der die Grenzen der Zauberreiche, j a die Reiche selber verschwunden sind, ist Brentano. Radlaufs wunderbare Ahnengeschichten (Rheinmärchen) gehen im Walde vor, und der Riese Wellewatz (Hüpfenstich) hat sein schreckliches Schloß Knochenruh im »dichten, dunkeln Wald, wo sich die Wölfe einander gute Nacht sagen« (11,279); a ^er weder der Rheinzauber noch die wunderbare Rettung durch die Frau Woche haben als Zauber mit dem Walde zu tun. Auch im Gockelmärchen bietet der Wald nichts Zauberhaftes als sprechende Tiere, den wesentlichen Zauber des Märchens, den wunderbaren Stein, berührt er gar nicht. Ebenso steht es in E. T . A . Hoffmanns »Fremdem Kind«. Der Zauber

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ist über Wald wie Außenwelt gleichmäßig verteilt. Hierin hat Hoffmann ja überhaupt die Eigentümlichkeit seiner phantastischen Erzählung entwickelt: die zeit- und ortgebundene und stark realistisch geschilderte Wirklichkeit mit dem Wunderbaren ganz zu durchsetzen. Im Tone zwar, aber nicht in der Waldgestaltung, steht Kerners »Goldener« dem Volksmärchen nahe, mehr ins Gebiet der Sage wendet sich das Hausmärchen des Ehrenhalt in Arnims Kronenwächtern (I, 220 ff.), beide ebenfalls Vertreter dieser Gruppe, in der das Wunder so gut im Walde wie außerhalb lokalisiert oder besser gesagt überhaupt nicht besonders lokalisiert wird. Diese Verwischung der Grenzen ist etwas, das sich scharf von der Ursprünglichkeit der volkstümlichen Waldmärchen abhebt. Dort entstammt die Auffassung des Waldes als Zauberwelt den ursprünglichen Verhältnissen von Urwelt und Kulturlandschaft, wie wir im Märchenkapitel sahen. Hier ist die Einfuhrung des Zaubers ein willkürlicher intellektueller Akt. Der »Dichter« der Volksmärchenfabel glaubt an seinen Zauber, mit gutem Grund, denn er meint ihn ja, zaubergläubig ausdeutend, aus der Natursphäre abzulesen, der Kunstmärchendichter denkt ihn sich aus, braucht sich also nicht streng an die landschaftlichen Bereiche, die die Volksmärchenfabeln bestimmen, zu halten. Dieser Herabstimmung der Bedeutung des Waldes für das Märchen auf seinem eigensten Gebiete, dem Wunderbaren, steht wieder ein bedeutungsvolleres Vorkommen in einer andern Form von Dichtungen gegenüber, die wir ebenfalls zu den romantischen Märchen zählen, obwohl sie nicht eigentlich Zauber oder Wunder, die Grundbedingungen des Märchenhaften enthalten. Es sind die »Märchen« des magischen Idealismus, die durch die Persönlichkeit Novalis' so große Bedeutung für die romantische Epoche gewonnen haben. Hier erscheint auch der Wald, allerdings nur zweimal, in Novalis' Atlantismärchen der Kaufleute im Ofterdingen (32—54) und in Kerners »Heimatlosen« (VI, 7 ff), und spielt eine gewisse Rolle, die wichtiger ist als in den Märchen der vorigen Gruppe. Zwei Bezirke stehen sich in Novalis' Märchen gegenüber, deutlich gegeneinander abgesetzt, der des Königs und der des Alten und seines Sohnes. Der Waldbezirk ist es, in dem sich der Knoten schürzt und zusammenzieht. Wenn am Schlüsse der Jüngling aus diesem Waldgebiet heraus und vor den König tritt, so merkt man, daß in dieser Waldsphäre ein eigenes Reich, ja fast eine eigene Welt verkörpert zu denken ist, der Bedeutung nach eine Sphäre des Märchenhaft-Schönen und Poetisch-Idealen, die dem, was Tieck meinte, nahe kommt, aber eine ursprünglichere Schöpfung ist und nicht mit unbedingter Sicherheit auf den »Welt«-Begriff festzulegen. Daß der Wald als gesonderte Sphäre hier wieder stärkere Betonung besitzt als in den vorher erwähnten Märchen,

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ist deutlich. Diese Abgrenzung ist auch bei Kerner stark herausgearbeitet. Hier geht die Erzählung gleich vom Walde als vom gegebenen Räume aus, die Scheidung der Bezirke ist aber nichtsdestoweniger scharf, wie vor allem die Darstellung jener Szene beweist, in der Serpentin aus dem Walde ins Freie hinaustritt (VI, 22/23). Auch hier ist, ebenfalls ohne den Gegensatz von Wunder und Realität, eine Hervorhebung des Waldes als besonderer Sphäre zu erkennen. Das ist das Wichtige: auch in diesen nur märchenhaften Kunstgebilden ist der Wald der landschaftliche R a u m eines Gedankens, der dem des Märchens zwar nicht entspricht, aber nahesteht, nicht als »Welt« gedacht, — das ist nicht nachzuweisen, auch gar nicht anzunehmen — , aber in seiner besonderen Raumqualität erfaßt und gestaltet. Dies sind die Formen, in denen das romantische Kunstmärchen den vom Volksmärchen übernommenen »Welt«-Begriff wiedergibt. Unter den Gattungen verglichen hat der Wald hier größere Tiefe und stärkere Bedeutung für den Charakter des Dichtwerks als in den andern erzählenden oder den lyrischen Dichtungsarten. Und da das Kunstmärchen in der Romantik keine abseitige und unbedeutende Dichtungsgattung ist, sondern hochgeschätzt und mit Vorliebe gepflegt wird, hat die Waldbehandlung dieser Märchen auch eine entsprechend größere Bedeutung in der Zeit. Das bezeugt wiederum die Übernahme der im Märchen zentralen Begrifisverbindung von Wald und Wunder in die Sprache der Lyrik, wo dieser Gedanke in bildlicher Form und rein ästhetisch gemeint in Versen wie ». . . o Wald, dein grünes Zauberreich . . .« (Mayer 219) und ähnlichen öfters erscheint. Von den Kunstmärchen des romantischen Zeitabschnitts haben sich nur die der eigendichen Romantiker hier und da enger an den »Welt«Gedanken des Volksmärchens angeschlossen. Die Epigonen weichen davon ab. In der Schilderung zwar gehören sie noch in den Zusammenhang der Epoche. Ihrem Charakter nach sind aber die Märchen der Epigonen nicht »Waldmärchen«, sondern »Naturmärchen«. Der Wald erscheint nicht mehr in hervorgehobener Stellung. Seine Raumqualität tritt zurück, und das Einzelne, Baum oder Bach oder Blume, rückt in den Vordergrund. Dazu werden die Grenzen zwischen Realität und Wunder noch weiter verwischt, aber nicht in Fortführung der Art Brentanos und Hoifmanns, die wir prüften, sondern grundsätzlich abweichend durch eine Verschiebung der Idee des Wunderbaren. Der Antrieb dazu geht allerdings von der eigentlichen Romantik aus; er liegt in der häufigen und weitgehenden Beseelung der Natur durch den Romantiker. Wenn wir auf den großen Waldhymnus Brentanos (Godwi, V , 232) als ein Beispiel für viele zurückgehen, so finden wir gleich eine ganze Reihe von B a u m g a r t , D. Wald i. d. dt. Dichtg.

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Ausdrücken, die die einzelnen Naturglieder vermenschlichen, vor allem natürlich die Bäume (sich umarmen — Küsse — Tod — Häupter — Füße), daneben aber auch die einzelnen Blätter, die Sonne, den Mond. Diese Beseelung und Vermenschlichung der Natur und ihrer Elemente ist das Maß, auf das das Wunderbare bei den Epigonen um die Jahrhundertmitte zusammengeschrumpft ist. Gerät dabei noch die Mythologie, vollends die antike, dazwischen, so ist vom Märchen kaum ein Hauch geblieben. Das ist der Fall bei Kinkels »Traum im Spessart«. Auf der andern Seite, gegenüber der Vermenschlichung der Pflanzen des Waldes, wird das vermenschlichte, denkend und sprechend gedachte Waldtier Mittelpunkt der Dichtung (Holtei, »Stimmen des Waldes«). Bei dieser durchgehenden Auflösung ins Einzelne entfernt sich das Märchen von seinem eigenen Wesen und nähert sich der Natursage oder der Fabel. Diese Veränderung des Wunderbegriffs zieht eine Veränderung des Verhältnisses zum Walde nach sich. Wo das als märchenhaft Empfundene nicht mehr an einen Raum, sondern an die Einzelerscheinung eines Raumes geknüpft ist, hat der Raum, in unserm Falle der Wald, seine umfassende Bedeutung fiir diesen Gedanken verloren. Er tritt seinen Rang an das ab, das nun Träger des Gedankens wird, an die einzelne Pflanze oder das einzelne Tier. Bei Kinkel ist der Wald noch als Raum, der das Einzelne zusammenfaßt, geblieben und geschlossen einer Außenwelt gegenübergestellt, aber Träger des Inhalts ist doch das beseelte Einzelne, bei Holtei, Putlitz, Redwitz (»Das Märchen vom Waldbächlein und Tannenbaum«) ist der Wald nur noch der unumgängliche Schauplatz für etwa die Waldmaus oder den Waldbach, die handeln und sprechen und natürlich zum Walde gehören. Nicht mehr der Wald ist hier gemeint, wie die Titel versprechen (»Stimmen des Waldes« — »Was sich der Wald erzählt«), sondern seine Elemente. Er ist noch da, als natürliche Grundlage und szenisch unentbehrlich, aber nicht mehr als Ganzes, nicht mehr er selbst ist der Inhalt. Von den romantischen Walddichtungen gattungsmäßiger Bindung bleibt noch eine kleine Gruppe wenigstens mit einem Blick zu streifen: die Textdichtungen romantischer Musik. Es sind weniger die Lieder, denn deren Texte decken sich ja wieder mit den lyrischen Dichtungen, die wir bereits untersuchten, soweit nicht auch den Komponisten der romantischen Zeit vorromantische Dichtungen als Vorlage dienten (z. B. für Schubert: Hölty, Matthisson, Ossian, Goethe usw.). Wichtiger sind die Libretti der romantischen Oper, die wir noch nicht in unsere Betrachtung einbezogen haben. Die Bedeutung, die etwa Webers »Freischütz« fiir die Verbreitung romantischer Waldstimmung gehabt hat, ist

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nicht zu bestreiten. Und so ist es um so auffälliger, daß gerade die wichtigsten romantischen Opern, die den Wald schildern oder verwenden, zu Dichtungen von literarisch recht geringem Werte komponiert sind. Das Buch des »Freischütz« stammt von Friedrich Kind, das der »Euryanthe« von Helmina von Chizy, den Text zu Heinrich Marschners »Hans Heiling« hat der Schauspieler Eduard Devrient (als Freund Otto Ludwigs bekannt) verfaßt. Es ist begreiflich, daß die dichterische Verwendung des Waldes in den Werken dieser Pseudoromantiker nicht über die Grenzen hinausgeht, die wir fiir ihre literarischen Bezirke abgesteckt haben. Aber diese dichterisch schwachen oder gar seichten Produkte werden durch die musikalische Kunst e c h t romantischen Geistes wie Webers oder Marschners geadelt. So geht die Wirkung zwar im wesentlichen doch von der Musik aus, aber aus Schöpfungen, die wenigstens zum Teil über die Grenze des literarischen Gebietes hereinragen, sind die romantischen Opern in unserm Zusammenhang doch nicht gänzlich zu unterschlagen. Vor allem, weil sich auf diesem Wege, am Ende der romantischen Zeit auch ein Werk von literarischem Range entwickelt, das als Walddichtung zu beachten ist: Wagners »Siegfried«. Zur Zeit der Putlitz und Holtei (1851/52) entsteht hier noch einmal auf romantischem Boden ein Kunstwerk, das heute noch als eine der großartigsten Gestaltungen des Waldes zu gelten hat. Bei näherer Prüfung zeigt sich allerdings, daß die Rolle des Waldes in der Siegfriedd i c h t u n g nicht allzu groß ist. D i c h t e r i s c h geschildert ist der Wald nur in einer größeren Partie (Mime: »Fühltest du nie im finstern Wald . . .« I, 3), die sich auf die Prinzipien des Tieckischen Stimmungsreizes stützt, sonst wird der Wald nur flüchtig genannt (Siegfried: »Nun erst gefallt mir der frische Wald« II, 2 u. ö.). Als romantischer Spielraum des gesamten Geschehens liegt er aber den ganzen beiden ersten Aufzügen zugrunde, deutlich begrenzt (Siegfrieds Wanderlied: »Aus dem Wald fort in die Welt ziehn« I, 1), wenn auch nicht in der strengen Weise des Märchens. In völliger Abhängigkeit vom Siegfried ist übrigens später (1893) auch das reine Grimmsche Märchen zum Stoffkern eines Wagnerschen Musikdramas kleineren Formates gemacht worden, durch Engelbert Humperdinck in »Hänsel und Gretel«; die Waldverhältnisse des Märchens sind hier gewahrt, obwohl sich die Dichtung, wie die ganze bedenkliche Gattung der dramatisierten Märchen, die — mit Ausnahme von Storms »Schneewittchen« — fast alle dichterisch wertlos sind, mit Auffüllungen und Einschiebseln helfen muß, die zum großen Teile ganz glücklich im Tone der Kinderlieder des Wunderhorns und der Nachformungen Hoffmanns von Fallersleben gehalten sind. Dichterische Waldschilderung ist auch in Hänsel und Gretel äußerst gering. Die wirkungsvolleren Mittel, 7*

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mit denen der Wald dargestellt ist, entstammen der Musik, hier ebenso wie auch (in noch stärkerem Maße) im Siegfried. Das »Waldweben« des zweiten Aufzugs, die wundervolle Stimmungsmalerei, die auf musikalischem Gebiete noch weit übertrifft, was Tieck auf dichterischem darin geleistet hatte, stützt sich nicht auf eine dichterisch-textliche Gestaltung des Waldes und bleibt doch das unbestrittene Kernstück der Walddarstellung im Siegfried. Auch an dichterischer Leistung überragt Wagner zwar seine romantischen oder romantisierenden Zeitgenossen bei weitem. Aber nur als Gesamtkunstwerk gesehen ist der Siegfried die Waldschöpfung großen Stils, die hier am Ende der romantischen Epoche steht. Mit dem Siegfried (der Dichtung — die Musik ist ja erst viel später (1871) vollendet), findet die romantische Zeit der Walddichtungen ihren Abschluß. Die romantische Art zwar lebt noch weiter und kommt hier und da zum Durchbruch durch eine sonst gänzlich veränderte Haltung dem Walde gegenüber. Die geschlossene Epoche der romantischen Walddichtung aber ist zu Ende.

7. K a p i t e l .

Realistische Walddichtung. Die in der Einleitung erwähnte Gefahr für die Identität des Stoffes »Wald« in der historischen Folge der Behandlungen, die in dem stets möglichen neuen, individuellen Walderleben des Dichters liegt, wird drohend in dem Augenblick, da eine neue Kunstrichtung die Forderung nach Wirklichkeitsnähe und -treue der Dichtung erhebt. Die Erfüllung dieser Forderung rückt die Wirklichkeit des jeweiligen Walderlebens in den Vordergrund, und die Unterschiedlichkeit der einzelnen Waldmodelle macht — rein theoretisch gesehen — die Sprengung der Stoffeinheit möglich. In der Tat geschieht das aber erst ganz am Ende der Epoche, in die wir nun eintreten, der letzten großen Epoche deutscher Walddichtung. In den voraufgehenden Jahrzehnten wird die Zerstörung der Stoffeinheit dadurch hintangehalten, daß die Forderung nach Wirklichkeitstreue nicht bis zum Grade sklavischer Modellabhängigkeit erfüllt wird, die das Einzelobjekt des Walderlebens zur absoluten Gattungsnorm erhöbe. Ziel der Darstellung ist auch hier noch der Wald im allgemeinen, der Wald überhaupt, nicht ein bestimmter und besonderer, nicht der oder jener Wald. Nur wird, um den Wald zu geben, wie er wirklich ist, einen sozusagen authentischen Wald, auf die Wirklichkeit einer bestimmten Anschauung zurückgegriffen; die Anschauung eines bestimmten Waldes also in der Schilderung zur Gültigkeit von »Wald im allgemeinen« erhoben»

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Durch eine Vergleichung mit den Begriffen philosophischer Terminologie verdeutlicht, wandelt sich die Methode von der deduktiven zur induktiven! Diese Zielrichtung zur Allgemeingültigkeit bei aller Wendung zur Wirklichkeit in der Schilderung aus realer Anschauung heraus bleibt gültig durch den ganzen größeren ersten Teil der Epoche und wird in einem kleineren Abschnitt erst gegen ihr Ende hin aufgehoben, der die Wendung zur Wirklichkeit mit radikaler Konsequenz durchführt, der Heimatdichtung. In dieser »Wendung zur Wirklichkeit« liegt die Einheit der Epoche realistischer Walddichtung. Hieraus ergibt sich schon, daß sie entsprechend der des vorigen Kapitels mehr umgreift als nur die Dichter des sogenannten »poetischen Realismus« (nach Otto Ludwigs Ausdruck) und ebensowenig wie die Epoche der romantischen Walddichtung mit der »Romantik«, mit dem literargeschichtlichen Abschnitt »Realismus« gleichzusetzen ist. Es ist nun vor allem andern unsere Aufgabe festzustellen, welche prinzipiellen Veränderungen am Bilde des Waldes — über den individuellen Charakter der einzelnen tatsächlichen oder gedachten Musterwirklichkeit hinaus — sich in der Schilderungsform dieser Epoche erkennen lassen. Zunächst baut der Realist in seiner Schilderung den Wald aus dem Einzelnen seiner konstituierenden Elemente auf: Er nennt die Baumart oder die verschiedenen Baumarten und weist wohl auch auf das Wesentliche in der Eigenart des einzelnen Baumes oder ihrer Vielzahl, auf Dichte oder Weiträumigkeit, er gibt die weiteren pflanzlichen Erscheinungen, Sträucher und Moose, die Bodenbeschaffenheit, Stein und Fels, Bach oder Quell, dazu die Tiere an, und er fügt etwa auch noch die allgemein-sinnlichen Wahrnehmungen hinzu, die des Auges (Licht und Dunkel), des Tastsinns (Kühle und Feuchte), des Gehörs und, a m seltensten, des Geruchs. Aus dem Einzelnen heraus entwickelt sich so das Gesamtbild des Waldes: . . . sie kamen zuletzt in den Nadelwald, wo die Föhren sausen, die Fichten mit den herabhängenden grünen Haaren stehen, und die Tannen die flachzeiligen glänzenden Nadeln auseinanderbreiten. . . . Dann gingen sie in den Wald, wo es dunkel war, wo die Beeren und Schwämme standen, die Moossteine lagen und ein Vogel durch die Stämme und Zweige schoß. Sie pflückten keine Beeren, weil sie nicht Zeit hatten, . . . usw. (Stifter, BSt 228f.; ähnl. BSt 602, Stud. I, 263^, II, 643f.) Doch Dietegen wurde wieder still und beschaulich, als sie den Hochwald betraten, in welchem die Tannen und die Eichen, die Fichten und die Buchen, der Ahorn und die Linde dicht ineinander zum Himmel wuchsen. Das Eichhörnchen blitzte rötlich von Stamm zu Stamm, die Spechte hämmerten, hoch in der Luft schrieen die Raubvögel, und tausend Geheimnisse rauschten unsichtbar in den Laubkronen und im dichten Gestäude . . . usw. (Keller III, 488f.; ähnl. II, i7gf., 356f.)

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Die Fülle und Ergiebigkeit dieser Beispiele ist allerdings nicht Voraussetzung der realistischen Schilderung, und ebenso wie eine Beschränkung des Maßes kann häufig ein Absinken der Kunst der Schilderung zu geringerer Beschreibung, j a bloßer Aufzählung eintreten. Ein weiterer Grundzug realistischer Waldschilderung liegt in einer leichten Verschiebung des Waldbegriffs; die Grenzen seiner vegetativen Erscheinungsform werden weiter gezogen, in Anlehnung an die Bedingungen der Wirklichkeit, der damaligen Wirklichkeit natürlich, die als Muster dient, also der von etwa 1840 an. Der Wald ist nicht mehr ausschließlich, was im reinsten Sinne auf diesen Namen Anspruch hat, ein in sich geschlossener, unabsehbarer, unberührter Ur-Wald. Im Innern des Waldes beginnt die Lichtung, das Nicht-Wald-hafte, eine größere Rolle zu spielen. Sie war zwar auch früher schon hie und da erschienen, aber wegen ihres dem eigentlichen Waldwesen widersprechenden Charakters nur als Ausnahmefall. Jetzt nimmt sie an Häufigkeit und Wichtigkeit zu: sie vertritt geradezu als Handlungsschauplatz den eigentlichen Wald, die nicht hervorgehobene, unindividuelle Baumwelt. Die Betonung, die die Waldwiese in Stifters »Hochwald« oder im »Witiko« (als Szenerie der ersten Begegnung Witikos mit Berta) erhält, ist deutlich genug. Die Bemühung, im immer gleichen, unterschiedslosen Walde die unterscheidbare Stelle als Handlungsort herauszuheben, wie es besonders bei Stifter häufig geschieht (der »Beschriebene Tännling«, der »Waldsteig« geben sie schon als Titel, sonst in »Hochwald«, »Katzensilber«, »Waldbrunnen«), ist verständlich und eignet nicht nur der realistischen Walddichtung; daß in den späteren Zeiten der Epoche aber gerade das als bevorzugter Handlungsschauplatz gewählt wird, was am wenigsten der eigentlichen Natur des Waldes entspricht, die Lichtung, die Waldblöße, — bei Ludwig in des Erbförsters Erzählung von der verirrten Marie, bei Storm (Schweigen), bei Spielhagen (Problematische Naturen) u. ö. — ist bezeichnend für die angedeutete Begriffsverschiebung. — Außerhalb des in sich zusammenhängenden Waldbezirks ist sie noch deutlicher. Es wird nämlich unter dem Namen »Wald« nicht mehr nur die vegetative Erscheinung selbst, sondern auch das ganze Gebiet verstanden, das als Landschaftsbild von ihr bestimmt ist, wiederum entsprechend der Wirklichkeit, in dem Sinne, in dem die geographischen Namen Bayrischer, Böhmer, Thüringer Wald usw. gesagt sind. Dieser Wald im weiteren Sinne, wie er z. B. bei Stifter und Otto Ludwig erscheint, umfaßt außer dem eigentlichen Walde oder den Wäldern — der Plural erscheint nun natürlich auch häufiger als früher — auch Tal und Ebene (z. B. Stifter, Wit. 175), j a sogar bebautes Land (z. B. Wit. 177 und 186). Jedoch gibt der eigentliche Wald dieser erweiterten Sphäre mit gutem Grunde seinen Namen, er prägt ihr Äußeres

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und bleibt auch der inhaltliche und gedankliche Kern. Das zeigt sich bereits in beschreibender Schilderung, bei Stifter, der eine solche Waldlandschaft in zunehmender Steigerung mit dem Bilde des Waldes abzuschließen liebt (BSt 223, 601, Erz. I, 283), am wuchtigsten im Witiko (174, 185). Der Einfluß der menschlichen Bodenkultur, der sich schon in der Einbeziehung von bebautem Land in den Waldbereich zeigt, hat nun eine dritte Grundform realistischer Veränderungen im hergebrachten Waldbild geschaffen: Wald wird durch Forst ersetzt. Der Name Forst tritt hier zwar nicht zum ersten Male auf, wohl aber der Begriff mit allen notwendigen Folgerungen. Wie tiefgreifend diese Artveränderung des deutschen Waldbestandes gerade in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gewesen ist, geht am deutlichsten hervor aus einem Vergleiche zwischen den Äußerungen zweier Beobachter: der Madame de Stael (1810), die die vielen und ausgedehnten Wälder und die Spuren einer noch unbewohnten Natur für das wichtigste und erste Kennzeichen des deutschen Landschaftsbildes hält und gleich an den Anfang ihres Buches über Deutschland setzt, und W. H. Riehls, der in den »Culturstudien aus drei Jahrhunderten« (1862) sagt: »Das damalige Geschlecht« — gemeint sind die alten Maler Italiens — »hatte doch noch ein ganz anderes Urbild von der ungefalschten und unverkümmerten Herrlichkeit des Waldes als wir, für die fast nur noch ein nach Maß und Elle abgegrenzter, vom Beil verwüsteter forstculturlicher Wald besteht« (S. 65). Der Kerninhalt dieser Veränderung ist: Der natürliche gewachsene Wald wird durch die Zweckbestrebungen des Menschen nach Holznutzung und Wildhege zum angelegten und gepflegten Forst. Hieraus ergeben sich schon im Bilde manche tiefgreifenden Veränderungen, die eine realistische Walddarstellung gründlich von einer vorrealistischen trennen können, wie gefällte Bäume, geschlagenes und geschichtetes Holz, Abführwege, der Schlag, die Schonung oder Pflanzschule usw., all das, was aus dem Bilde des Waldes für den heutigen Menschen — ausgenommen die wenigen Naturschutzgebiete wirklichen Urwaldes — nicht mehr wegzudenken ist. Eine ganze Reihe von Elementen dieser forstlichen Waldnatur vereinigt z. B. Stifters »Beschriebener Tännling« (Stud. II, 615—618) in der »Lebensbeschreibung« einer Periode solchen Waldes, der dort allerdings noch wächst, ungepflegt und ungehegt. Unter den Veränderungen im Bilde des Waldes, die durch die Forstkultur eintreten, sind aber die inhaltlichen besonders wichtig, das Auftauchen neuer Gestalten, die nun aber bereits zu dem Bereich der realistischen Waldinhalte hinüberführen. Dies sind die Grundformen von Veränderungen, die die realistische Anschauung am hergebrachten äußeren Waldbilde vornimmt. Aber

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man darf sie nicht mißverstehen als unentbehrliche Grundbedingungen, aus deren Gesamtauftreten erst sich die realistische Waldschilderung ergäbe. Sie sind vielmehr Symptome eines realistischen Sehens, prinzipielle Möglichkeiten, in denen es sich äußern kann. Die Epoche realistischer Walddichtung ist j a nichts weniger als einheitlich und keineswegs in ihrem Wesen geschlossen. Elemente realistischen Schauens, die sich in der Schilderung zeigen, gehen oft mit hergebrachten Inhalten und überkommener Sinngebung zusammen. Und so dringen selbst in die Schilderung des äußeren Waldbildes, die sonst am reinsten den realistischen Gedanken vertritt, manchmal frühere, etwa romantische Elemente (z. B. Spielhagen, Probl. Nat. I, 77). Trotz solcher gelegentlichen Beeinträchtigung ist doch die Schilderung das Gebiet, auf dem das eigentlich Neue dieser Epoche, der Realismus, nicht nur einsetzt, sondern auch grundlegend und herrschend bleibt. In Inhaltsverwendung und Sinngebung dagegen werden die Folgerungen des Realismus stets vom Hergebrachten bedrängt, so daß ein dauerndes Hin und Her von Neuem und Altem der ganzen Epoche das Gepräge gibt. Inhaltlich neu sind einzelne Gestalten, die sich aus der realistisch gesehenen Forstnatur ergeben: Der Förster wird eine unendlich häufige und beliebte Figur (Keller: Dietegen, Ludwig: Erbförster, Storm: Schweigen, Spielhagen: Selbstgerecht usw.), neben ihn treten der Holzknecht (Stifter: Tännling) und der Heger (Stifter: Waldgänger). Ebenso erscheint im Zusammenhange mit der erweiterten Waldnatur, die auch bebautes Land umschließt, eine ganze Gruppe neuer Gestalten, die in ihrem Wesen vom Walde geprägt sind, die »Waldleute« (besonders in Stifters Witiko, aber auch bei Ludwig oder Raabe). Auch schon früher hie und da vorhandene Gestalten erhalten in realistischer Umgebung neue und verstärkte Bedeutung wie der Köhler (Stifter: Granit) oder der Schmuggler und der Wilddieb (Ludwig: Emanzipation der Domestiken, Fontane: Quitt). Aber diese Gestalten müssen keineswegs rein realistisch (wie etwa in Ludwigs Erbförster) bleiben. Sie reihen sich auch in die Tradition, das will heißen die romantische Tradition, ein und übernehmen frühere Rollen, der Wilddieb und Schmuggler die des Räubers und überhaupt jedes Waldbösen, der Förster die des Jägers und des Waldhelden überhaupt. So wird von den realistisch konzipierten Gestalten romantisches Restgut weitergetragen; und es geschieht umso häufiger, je tiefer man sich in die Niederungen der Dichtung, zu Gartenlauberomanen und Tagesschreibereien herabbegibt. Dort werden schließlich der Förster oder das Gegenspielerpaar Förster—Wilddieb geradezu »romantische« (in Wirklichkeit romantisierende) Gestalten, Träger einer verzerrten Waldromantik.

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Gänzlich der Tradition entsprechen — einzig von Stifter abgesehen — die realistischen Waldinhalte. Es sind die alten allgemein zeitlosen der Affekte, Liebes- und Verzweiflungshandlungen, in denen der Wald reine Schauplatzfunktion erfüllt, und die romantischen, in denen er als Symbol einzelne Gedanken vertritt, wie die der Poesie, der Politik usw. »Welt«Form erreicht der realistische Wald nicht mehr, dem widerspricht mit der immanenten Voraussetzung zwiefach verschiedenen (wenn auch nur verschieden gedachten) Seins der Kerngedanke des Realismus, die Wirklichkeitsbindung, allzusehr; jedoch kommt die großartige Waldkonzeption Stifters, die größte der Epoche, dem Welt-Gedanken so nahe, als es die realistische Grundhaltung erlaubt. Ein Versuch, Vorstufen realistischer Walddarstellung zu finden, fuhrt uns bis an den Ausgangspunkt der ganzen Entwicklung zurück: Brockes, auch Haller und Geßner sind in ihrer Waldschilderung so wirklichkeitsgebunden, daß man sie als realistische Darsteller ansprechen möchte. In der T a t liegt aber noch etwas anderes vor: Der dichterische Geist, ganz anderen als realistischen Zielen zugewandt, klebt noch an der Wirklichkeit, die seiner Dichtung zugrunde liegt; der Realist des neunzehnten Jahrhunderts dagegen kehrt freiwillig und bewußt zu ihr zurück. Auch die spätere Unterscheidung der Waldbäume im Trivialroman und ihm folgend in der Pseudoromantik, die auf den ersten Blick realistisch anmutet, ist es keineswegs; sie ist nichts anderes als die schablonenhafte Ausnutzung bestimmter Gefühlswerte. So scheint es, als ob erst die doch nun wahrhaft der Wirklichkeit zugewandte Reisebeschreibung realistische Züge in die Waldschilderung bringen soll. Aber auch hier werden wir enttäuscht. Forster erwähnt zwar in den Ansichten vom Niederrhein ( 1 7 9 1 — 9 4 ) ab und zu Wald, aber er bleibt dabei, wo er näher zu schildern sucht, durchaus abhängig von den sentimentalen Literaturformen seiner Zeit (vgl. I I I , 403 ff.), genau wie dann von der romantischen Waldanschauung der Fürst Pückler, rund vierzig J a h r e später, in den Briefen eines Verstorbenen (vgl. I, 140: »Tiefe Waldesnacht umfing mich . . « usw.) oder der junge Alexis in den Schattenrissen aus Süddeutschland (1834). Die früheste Reisebeschreibung, die wirklich realistischen Blick für den Wald verrät, ist die Immermanns von seiner Fränkischen Reise ( 1 8 3 7 ) : Der Wald wird immer dichter und mächtiger. Die herrlichsten kronenreichen Eichen und Buchen oder kleine Waldwiesen oder dunkle Plätze, mit breitfacherigen Farnkräutern bewachsen. Lichte Durchsichten leiten den Blick nur wieder zu fernen Waldhügeln. Man hat recht das Gefühl eines urgermanischen Forstes. ( X X , 14.) Es folgt darauf noch ein Spaziergang mit eingehender Beobachtung der Tierwelt, der Käfer, Schmetterlinge, eines Eichhorns. K a n n man das

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noch Vorstufe des Realismus nennen, an der Schwelle dieser Epoche, ein Jahr vor der ersten frührealistischen Gedichtsammlung (der Droste)? Es ist bereits selber realistische Waldbeschreibung, in reinster Form. Ohne Vorboten, unvermittelt erscheint also gegen Ende der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts der Realismus in der Waldschilderung, wenn man nicht etwa die wissenschaftliche Beschreibung exotischen Waldes durch Humboldt (Ansichten der Natur) oder Chamisso (Reise um die Welt) oder die romantische Landschaftsmalerei in ihren realistischen Zügen (z. B. Carus' »Tannenwald« im Goethemuseum Weimar) dahin rechnen will. Beides erscheint etwas künstlich, obwohl auf eine Verbindung der wissenschaftlichen Naturbeschreibung mit der dichterischrealistischen einzelne Spuren hinweisen (etwa die Verwendung lateinischbotanischer Namen im Gedicht: Annette von Droste »Instinkt«). Bereits vier Jahre nach diesem ersten Zeugnis realistischen Sehens bei Immermann erhebt sich mit der ersten realistischen Walddichtung (Hochwald) die Gestalt ihres größten Vertreters Adalbert Stifter. Nach dem biographischen Grunde der Stifterschen Walddichtung zu fragen ist unergiebig, nicht weil uns das Material fehlte — es liegen zahlreiche eigene Äußerungen des Dichters darüber vor — , sondern weil der Grad der Erfassung und Gestaltung des Wirklichen in den dichterischen Werken sich nicht so wesentlich über den in den nicht-dichterischen erhebt, daß nicht aus diesen wie jenen fast gleichmäßig das zugrundeliegende Erleben oder Erfahren des Dichters entnommen werden könnte; das entspricht dem Prinzip des Realismus. Man vergleiche etwa den Brief an den Freiherrn von Kriegs-Au vom 22. 5. 65. (Br. IV, 296 f.) mit der entsprechenden Stelle der autobiographischen Erzählung »Aus dem bairischen Walde« (Erz. I, 283) und dann beide mit der dichterischen Verwendung der gleichen Landschaft (Waldlandschaft im weiteren Sinne) im Waldbrunnen (BSt 593 ff.). So treten die Walderwähnungen also entweder neben die Waldgestaltungen der Dichtung oder sie geben nur die Bestätigung dessen, was mit Gewißheit bereits aus dem dichterischen Werk erschlossen werden konnte: eines auf tiefem Erleben begründeten dauernden Verhältnisses zur Waldnatur. Hierbei sind am wichtigsten die Zeugnisse für die vordichterische Zeit, zwei Jugendbriefe aus dem Jahre 1832 (Br. I, 30 f.) und die autobiographischen Rückblicke in den Briefen an Piepenhagen (Br. III, 166) und Richter (Br. V , 236) auf das Walderleben der Knabenzeit in Oberplan, und endlich die fragmentarische Selbstbiographie, die in die tiefsten Tiefen der Erinnerung hinabsteigend schon für die allerfrühesten Jahre, die Zeit des ersten Erwachens seines menschlichen Bewußtseins, aussagt: »Es waren dunkle Flecken in mir.

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Die Erinnerung sagte mir später, daß es Wälder gewesen sind, die außerhalb mir waren.« (Hein ig). Der erste der beiden Jugendbriefe (Br. I, 30) gibt mit der Nennung Jean Pauls einen Wink für die Feststellung literarischer Einflüsse auf Stifters Walddichtung. Allerdings ist gerade für seine Walddichtung Jean Paul bedeutungslos; bei ihr hat die Romantik Pate gestanden: die erste dichterische Verwendung des Waldes — Gestaltung kann man nicht sagen — trägt das Etikett »Waldeinsamkeit« (Feldblumen, Stud. I, 139). Hier ist passend fiir alle realistischen Walddichter im voraus zu sagen, daß die romantischen Elemente, die ja konstitutiv und bezeichnend für ihre Dichtung sind, nicht in einer Prüfung der literarischen Quellen voraufgenommen werden können. Es kann hier nur eine dieser Quellenfragen vorweg beantwortet werden, inwieweit nämlich das Märchen von direktem Einfluß auf die Walddichtung Stifters gewesen ist. Im »Katzensilber« werden den Kindern von der Großmutter mehrere Geschichten erzählt, von denen zwei als Waldmärchen anzusprechen sind, die vom Hagenbucher Bauern und seiner starken Magd und die zweite (halb Wald-, halb Erdmärchen) vom Schäfer, der den Karfunkel findet. Wichtiger aber als diese Einfügungen ist, daß die ganze Erzählung »Katzensilber« selbst, ähnlich auch die Kernhandlung von »Granit«, starke Beziehungen zum Waldmärchen aufweist. Natürlich wäre es lächerlich gezwungen, die Erzählung »Katzensilber« in das Schema eines Waldmärchens pressen zu wollen. Um aber die Ähnlichkeit deutlich zu machen, seien einmal die Formen des Waldmärchens an die Erzählung herangetragen. Dann stände dem Helden (in der Dreizahl der Kinder, wenn man von der Großmutter als Begleitfigur absieht) das braune Mädchen als Waldmacht gegenüber; Stifter sagt ja selbst von ihm, »daß es ein Waldgeschöpf sei« (BSt 252). Es übt seine Wohltaten zuerst in seinem streng geschiedenen Waldbezirk (beim Hagel), dann außerhalb (beim Brand des Hauses). Die dankbaren Bemühungen aber der Heldensphäre sind ein schließlich untragbarer Eingriff in sein Wesen; auch das ist ein Märchen- (wenn auch nicht gerade Waldmärchen-) zug: das Wichtelmännlein, das seine freundliche Tätigkeit einstellt, wenn man es in allzu menschlicher Weise belohnen will, wurde sogar in einer Erzählung der Großmutter erwähnt. Am Schlüsse endlich wird das braune Mädchen mit der Waldmacht des ersten erzählten Märchens durch die Worte »Sture Mure ist tot . . . « usw. in geheimnisvolle Beziehung gebracht, bevor es verschwindet. Der Kern der Waldmärchen, nach dem der Wald in der Verkörperung irgendeiner Gestalt in wunderbare Beziehung zum Helden tritt, ist deutlich übernommen. Nur sind die Verhältnisse des Märchens ins Reale übertragen, das Wunderbare (außerhalb der Naturgesetze) ist zum

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nur Außerordentlichen (innerhalb der Naturgesetze) verwandelt. Es kann sich hier ebensowenig wie früher darum handeln, eine bewußte Kopie der Waldmärchenverhältnisse festzustellen. Daß Stifter gerade an zwei Stellen seiner Fabel Märchencharakter einzudeuten sucht, an denen der Vergleich keineswegs so nahe liegt wie hier, nämlich im »Hochwald« (Stud. I, 277, 287), hier dagegen nicht, spricht auch gegen eine bewußte Nachahmung. Wichtig ist nur, daß sich an einer solchen Nachschöpfung die Wirkung ablesen läßt, die die Konzeptionsform des Waldes in den Waldmärchen geübt hat, und die auch in einer dem Märchen fremderen Zeit als die Romantik stark genug war, um zu unmittelbarer Anlehnung zu fuhren. Auch in einer anderen Erzählung (Granit) sind wenigstens im Groben die äußeren Züge eines Waldmärchens zu erkennen, wenn auch der Wald nicht seine eigentliche Rolle dabei spielt: der Knabe findet das kranke Mädchen im Walde, pflegt es, gelangt mit ihm heim und heiratet es schließlich; dafür ist hier die Sprechweise märchenhafter, z. B.: »Der Knabe war nun allein in dem fürchterlichen großen Walde« (BSt 45). Der »Waldbrunnen«, der der Erzählung »Katzensilber« so ähnlich scheint, kann garnicht mit dem Märchen in Verbindung gebracht werden, da Juliana, die als Waldgestalt zu gelten hätte, sich vom Walde dauernd fortentwickelt und sich am Schlüsse gänzlich von ihm entfernt. In der Unmittelbarkeit ist die Wirkung des Märchens auf Stifters Waldgestaltung nicht erschöpft. Sie zeigt sich auch in mittelbarem Einfluß, ist hier aber ebenso wie die der Romantik (insgesamt also die Tradition der großen Walddichtung) nur aus einer Gesamterfassung des Sinnes des Stifterschen Waldes zu verstehen. Zuvor verweilen wir jedoch noch einen Augenblick bei der Schilderung. Die Prinzipien realistischer Schilderung haben wir zu Beginn dieses Kapitels dargelegt. Ihre Grenzen sind zu eng, als daß der realistische Dichter darin noch eine besondere Schilderungsform ausbilden könnte, so wie es in der Romantik eine Tieckische und eine Eichendorffische gibt, die ihn außer seinem persönlichen Stil vom andern realistischen Walddichter unterschiede. Bei keinem der Dichter dieses Abschnitts ist also die Schilderungsform näher zu behandeln, und auch hier bei Stifter erwähnen wir sie nur darum noch einmal, weil er der beste und reichste Schilderer des Waldes in realistischen Formen gewesen ist. Er stellt den unberührten Urwald und den Kulturwald bewohnter Gebiete dar, in der Wirklichkeit seiner damaligen Gegenwart oder in die Wirklichkeit früherer Jahrzehnte oder Jahrhunderte zurückprojiziert. Er war nicht nur, wofür man ihn seit Hebbels Vorwurf immer noch zunächst hält, ein Schilderer des Kleinen und Einzelnen, allerdings war er gerade hierin und für die Kleinnatur auch gerade des Waldes einer der feinfühligsten

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und genauesten — man betrachte nur seine eingehende Schilderung der Falter, Moose, Steine im »Waldgänger« (BSt 388 fr.) — und erreichte etwa die Grenze, die einer künstlerischen realistischen Schilderung auf diesem Gebiete gesetzt ist. Aber in der Schilderung der Großartigkeit des Waldes gelangte er ebensoweit, er schuf zugleich die gewaltigsten Waldbilder der realistischen Epoche, ich nenne nur die groß gesehene Lebensgeschichte des bunten Schlags im »Tännling« (Stud. I, 615ff.) und etwa noch den Eisbruch in der »Mappe« (Stud. II, 552), dessen elementarer Charakter erst am Walde, der davon betroffen wird, seine größte Wucht erhält. Eine so allseitige Ausschöpfung der Möglichkeiten realistischer Waldschilderung hat außer Stifter keiner vermocht. Wenn wir unserm Vorsatz gemäß von den zeitlosen Waldinhalten affekthaften Charakters absehen, die auch bei Stifter zu finden sind und sein Waldbild uncharakteristisch beeinträchtigen (z. B. BSt 565fr., Stud. I, 481fr.), so kehren in Stifters Walddichtung eine Reihe von Stimmungseindrücken, untereinander ähnlich und zusammengehörig, mit bedeutsamer Häufigkeit wieder, die von der Pracht und Feier, dem Ernst, der Würde und Erhabenheit des Waldes sprechen, und zwar nicht nur in der Dichtung (Stud. I, 240, 264, 318, Erz. I, 284), sondern auch in den Briefen (II, 297, I V , 297, V 223) und besonders beachtenswert in der Beschreibung eines Gemäldes, in der nebenher und sozusagen unwillkürlich solch ein Ausdruck auftaucht: ». . all das Ernste, Düstere und Erhabene großer Wälder liegt in diesem Bilde« (Pr. A . X I V , 180). Die Häufigkeit derartiger Kennzeichnungen weist auf eine religiöse Auffassung des Waldes. Der Wald ist aber bei Stifter kein religiöses Symbol wie hie und da in der Romantik, er ist überhaupt kein Symbol, sondern ein ganz reales Stück der gesamten Natur, die für den benediktinisch frommen Geist an sich eine religiöse Feierlichkeit besitzt. Darin aber ist der Wald der unirdischste, gottnächste, paradiesisch unbefleckte Teil voll ethischer Würde, ein Stück Urzustand der Natur. Das ist bereits in Stifters erster großer Walddichtung, im »Hochwald«, vollendet ausgeprägt: »Man stand einen Augenblick stumm, die Herzen der Menschen schienen die Feier und Ruhe mitzufühlen; denn es liegt ein Anstand, ich möchte sagen ein Ausdruck von Tugend in dem von Menschenhänden noch nicht berührten Antlitze der Natur, dem sich die Seele beugen muß, als etwas Keuschem und Göttlichem« (Stud. I, 269). Die Worte von der »Unschuld des Waldes« (Stud. I, 319), von dem Jugendhauch, den er ausströmt (Stud. I, 265), von der »naiven klaren Kraft« als Erbteil des Waldes (Stud. II, 435) sind nur verschiedene Wendungen des gleichen Gedankens, und auch die religiöse Bindung wird wiederholt aufgedeckt (Stud. I, 245, 271, 319). Dies also ist die Grundbedeutung des Stifterschen Waldes, sie überträgt sich, an

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der Natur des unberührten Urwalds konzipiert, von dorther auch auf den Kulturwald und geht damit also durch das ganze Werk. Ein Vergleich mit dem Eichendorffischen Waldbegriff drängt sich auf. Und gerade die Ähnlichkeit des Sinngehaltes macht den Unterschied in der funktionellen Bedeutung um so klarer. Die Überbetonung der Waldwelt bei Eichendorff, Hand in Hand mit einer Abwertung der Außenwelt, wie wir sie verschieden gewendet auch bei Hoffmann von Fallersleben, Strachwitz und anderen beobachten konnten, finden wir auch bei Stifter, ebenfalls in einem ethischen Sinne, nur ohne die ausgesprochene Abwertung der Außenwelt. Aber die Begriffe Waldwelt und Außenwelt sind bei Stifter unanwendbar. Stifters Wald ist keine Welt in irgendeinem Sinne, mit eigener Seinsqualität und scharf abgegrenzt gegen eine Außenwelt. Das Sein seines Waldes ist nicht prinzipiell unterschieden von dem außerhalb, es ist das betont wirkliche Sein der realen Welt, das im Walde wie außerhalb gilt und neben sich keine andern Seinsqualitäten zuläßt. Mit dem Fehlen der i>Welt«-Form ist aber noch nicht gesagt, daß der Wald bei Stifter nur in dieser bestimmten Begriffsfarbung nur Schauplatzfunktionen zu erfüllen habe. Seine Bedeutung für die Struktur des dichterischen Werks ist viel größer. Sein Wesen ist nicht in bloßem statischem So-Sein (wie das Symbol-Sein bei den Romantikern) erschöpft, zu dem der Mensch sich anbetend, bewundernd, genießend oder andererseits überhaupt gleichgültig verhält, sondern der innerste Wesenskern des Stifterschen Waldes tritt erst zutage, wo er aus diesem Sein heraus zu wirken beginnt, wo der Wald — und nun kommt der pädagogische Urtrieb Stifters zum Vorschein — in der Auswirkung seines Seins Bildungsmacht wird. Das ist freilich auch die gesamte Natur bei Stifter (und auch wiederum nicht nur sie), aber der Wald ist hervorgehobener Bildungsfaktor im besonderen Sinne seines eigenen Seins, im organischen, natürlichen, paradiesisch einfachen; nicht bloß entfaltend, er bringt nicht nur das Rechte zur Reife, sondern rückt auch das Unrechte zurecht. Damit soll nicht gesagt sein, daß auch der Eichendorffische Wald in starrer Idolhaftigkeit verharre und nicht wirke. Auch sein Wesen tut sich in Wirkungen auf den Menschen kund, aber mit anderer Zielrichtung. Eichendorffs Wald wirkt auf den Menschen bei der scharfen Trennung von abgewerteter Außenwelt und hochgeschätzter Idealwelt, die er verkörpert, in seinem Sinne, im Sinne des Waldes und seines Ideals, weg von der Welt. Stifters Wald, selbst innerhalb der realen Welt stehend, bildet im Sinne dieser Welt und für die Welt. Daß die Einflüsse der Romantik einen wesentlichen Teil der realistischen Walddichtung ausmachen, haben wir bereits betont. Auch Stifter

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hat, obgleich der am reinsten realistische unter den Walddichtern, der Tradition diesen Tribut gezahlt. Die romantischen Spuren in seiner Walddichtung finden wir jedoch nicht, wie zuerst Sauer (Pr. A. I, S. X V I I I ff.) meinte, in der Schilderung (die steht fest auf dem Boden des Realismus) oder in der Sinndeutung (die Nähe zum Waldbegriff Eichendorffs dürfte weniger Folge- als Parallelerscheinung auf Grund ähnlicher Wesensanlage, Kindheitsumgebung und religiöser Erziehung sein). Daß hie und da einmal eine romantische Sprachgewohnheit, Vermenschlichung des Waldes oder BegrifFseinfärbung im romantischen Sinne auftaucht, verrückt die Grundpositionen nicht. Aber die von der eigentlich Stifterschen unterschiedene Rolle des Waldes in der Struktur einzelner Werke zeigt deutlich einen romantischen Einfluß. Dort, wo auch sonst (nicht hinsichtlich des Waldes!) romantisches Gut zu erkennen ist, also in »Hochwald«, »Katzensilber«, »Waldbrunnen« (in der Fabel, in einzelnen Handlungszügen oder Gestalten), bleibt auch der Wald auf einer niederen Stufe stehen, wohl im Sinne seiner allgemeinen Grundbedeutung bei Stifter, aber unterhalb der besonderen des Bildungsgedankens. Dabei ist der Einfluß der Welt-Form der romantischen Epoche deutlich festzustellen, ohne daß Stifter eine wirkliche eigene Welt-Form entwickelte oder eine frühere rein übernähme. In den genannten drei Erzählungen ist gleichmäßig eine strenge Scheidung von Wald- und Außenbezirk zu erkennen; vom Boden des Realismus weicht Stifter dabei nicht ab, aber innerhalb dieser Grenzen sucht er ein Sein des Waldes vom Sein der Außensphäre möglichst scharf abzuheben: im Hochwald ist die Veränderung, die den Unterschied hervorruft, an den beiden Mädchen breiter dargestellt, Ronald empfindet sie selbst und spricht es auch aus (Stud. I, 319), Gregor gehört überhaupt in den Wald; in »Katzensilber« und »Waldbrunnen« ist das gesonderte Sein zu den Gestalten der beiden seltsamen Mädchen verdichtet. Die scharfe Trennung der Sphären zeigt klar genug die Nachwirkung der »Welt«-Form der romantischen Epoche. Sie hemmt noch das, was über die auch hier schon feste Grundbedeutung hinaus den eigentümlich Stifterschen Charakter des Waldes ausmacht, das Bildende. Die Gipfelhöhe der Stifterschen Waldgestaltung läßt sich an fünf Werken Stifters aufzeigen, am »Waldsteig« und »Beschriebenen Tännling«, in denen der Gedanke vom Walde als bildender Sphäre im Mittelpunkte steht, am »Waldgänger« und »Kuß von Sentze«, in denen er nebenher mit geringerem Gewichte gebraucht wird, und, bei außergewöhnlichen Maßen, an der gewaltigen Schöpfung des »Witiko«. Die früheste Gestaltung des Gedankens findet sich seltsamerweise in einer Erzählung leicht humoristischen Charakters. Der Held des »Waldsteig« wird durch den Wald von seiner Hypochondrie geheilt und zur

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Welttauglichkeit zurückgeführt. Das verwechselbare Äußere eines Waldsteigs fuhrt ihn in die Irre (das alte Waldmotiv des Verirrens gibt hier wieder einmal den Anstoß) und zwingt ihn zu außergewöhnlicher körperlicher Anstrengung. Glücklich hinausgelangt kommt er aus Neugier wieder und gewinnt langsam ein näheres Verhältnis zum Walde. Dies geschieht zuerst auf dem Wege zeichnerischer Arbeiten, die j a methodisch auch an die typische Form realistischer Naturerfassung vom Einzelnen aus gebunden sind. Zu der Reinigung, die sein Wesen durch den einfachen Natureindruck vom Walde in steigendem Maße erfahrt, fügt sich die Belehrung und Klärung, die er durch das Erdbeermädchen und dessen wahrhaft ursprüngliches Wesen empfängt. Seinen Abschluß findet dieser Gesundungsprozeß durch die Heirat des Helden mit dem Mädchen aus dem Walde. Daß diese Wirkung in der T a t dem Walde zuzuschreiben ist, sieht man deutlich. Stifter weist zu allem Überflusse noch zu Anfang der Erzählung in einigen scherzhaften Worten darauf hin, die den Waldsteig übertreibend als Ursache (statt als Anlaß) hinstellen, hinter denen sich aber die wirkliche Meinung kaum verbirgt. — Das ernste Gegenstück zu dieser Erzählung bildet der »Beschriebene Tännling«. Hier zeigt sich die erziehlich-bildende Wirkung des Waldes im Sinne der Natürlichkeit, ethischen Reinheit usw. nicht an einem Waldfremden, sondern an einem Menschen des Waldes, einem Holzknecht, der den zukünftigen Gatten seiner ungetreuen Braut vor der Jagd erschlagen will, und darum beim beschriebenen Tännling nächtigend den Morgen erwartet. Ein Traumbild, an dem er erwacht, bringt ihn zur Besinnung, er gibt sein Vorhaben auf, verläßt tief erschüttert den Wald und kehrt zu seiner Arbeit zurück. Hier ist es schwerer, in den Geschehnissen den Einfluß des Waldes zu erkennen, und überhaupt, wie bei allen diesen Belegen, nicht zu beweisen; es läßt sich nur bis zu gewissem Grade wahrscheinlich machen. Ginge von der Mutter Gottes, die in der Traumvision erscheint, und nicht vom Walde die bildende Kraft aus, die die Handlung entscheidet, so wäre der Titel »Der beschriebene Tännling« kaum verständlich; er knüpfte sich dann an den bloßen Schauplatz der entscheidenden Szene. Solche äußerliche Titelgebung kennt Stifter aber nicht. Auch der »Waldbrunnen«, den man hier anfuhren könnte, hat keinen bloßen Schauplatztitel, man lese nur die tief beziehungsreiche erste Erwähnung (BSt 595), ebensowenig der »Hochwald«; dort ist die Bedeutung des Titels über den Schauplatzsinn hinaus ohnehin klar. Aus der Titelgebung dürfen wir also entnehmen, daß der Wald auch im »Beschriebenen Tännling« als bildender Faktor gemeint ist, nicht die Mutter Gottes, deren Erscheinung nur als deutlicherer Handlungsantrieb dient, der der religiösen Bedeutung, die Stifters Wald besitzt, auch wohl ansteht.

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In den beiden andern Erzählungen, »Waldgänger« und »Kuß von Sentze«, steht die bildende Kraft des Waldes nicht wie in den eben besprochenen im Mittelpunkte, sondern seitab als nur begleitende Erscheinung in der Handlung. Im »Waldgänger« trägt das zerbrochene Leben des Helden unter der Wirkung des Waldlebens noch eine späte Frucht im seinerseits bildend tätigen Eingreifen in die Erziehung des Hegerknaben. Im »Kuß von Sentze« gelangt der Held durch seinen Waldaufenthalt — hier spielt die wissenschaftliche Erfassung der Waldnatur an den Moosen die entsprechende Rolle wie die zeichnerische im »Waldsteig« — zu einer Wesensbereicherung, die zum Ausgleich und guten Ende führt. Aber die Komposition des »Waldgänger« ist zu brüchig, die Waldfunktion darin zu verwischt, der »Kuß von Sentze« andererseits seinem dichterischen Range nach zu belanglos, als daß daraus noch Bemerkenswertes über den Wald zu schöpfen wäre. Die Bedeutung wie in den andern beiden Erzählungen aber erreicht, ja übertrifft noch bei weitem der Wald im »Witiko«. Auch im »Witiko« ist der Wald die Sphäre gottnaher Urnatur in Reinheit und Einfachheit, wirkend aus diesem Wesen. Der Sinn ist der gleiche geblieben, aber die Maße haben sich ungeheuer vergrößert. Zum ersten Mal in großem Stile erscheint der Wald im weiteren Sinne des Realismus, als Waldlandschaft. Das ganze bayrisch-böhmische Grenzgebiet umfaßt er, mit seinen Siedlungen und Menschen. Sie sind von seinem Wesen geprägt, Witiko: »Singen kann ich nicht, aber denken wie der Wald« (51) und seine Gefolgschaft, besonders die Männer von Plan, die »Waldleute«: »Ich erkenne es, daß wir ein anderes Geschlecht sind als das auf den offenen Feldern« (393), gleichsam schon die Ergebnisse der bildenden Kraft des Waldes, Vertreter des Wertes, den der Wald bedeutet und mitteilt. So hebt sich an ihnen z. B. Ehrlichkeit, Gehorsam und Treue, Gefolgschaftsund Gemeinschaftsgeist vorbildlich gegen die Charakterzüge der Anderen ab. Sie sind, selber vom Walde geformt, wiederum die Mittler seines Wesens, die Träger des Stifterschen Waldgedankens, durch sie handelt und wirkt der Wald. Auch was er handelt und wirkt, ist von außergewöhnlichem Ausmaß. Die Kämpfe am Wysoka, vor Znaim und auch in Italien sind in ihrem Ausgange entscheidend von den Waldleuten beeinflußt; an der Rettung, an dem neuen Aufstiege Böhmens haben sie beträchtlichen Anteil. Das Wiederaufblühen des Witiko-Geschlechts gründet sich zwar auf die menschliche Substanz, die Persönlichkeit Witikos. Aber diese ist ja gerade wieder vom Wesen des Waldes bestimmt, ja Ausdruck seines Wesens. Der Beginn einer neuen bayrisch-böhmischen Kultur im Süden Böhmens, die sich am Ende ankündigt und in der geplanten Fortsetzung des Rosenbergerzyklus weiter ausgeführt worden wäre, hängt B a um g a r t , D.Wald i. d. dt. Dichtg.

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eng mit dem Vorigen zusammen und entspricht letztlich ebenfalls den Kräften des Waldes, die unerschöpflich in der ganzen Dichtung wirken. Damit ist die Bedeutung des Waldes im »Witiko« aus der Gesamtheit des Werkes verstanden in kurzen Worten zusammengefaßt. Das einzelne Erscheinen des Waldes erweitert oder bereichert dieses Bild nicht mehr, sondern vertieft nur seine Eindringlichkeit. So oft der Wald in dem Buche auch sichtbar wird, immer bleibt er der gleiche, ein monumentales Urbild, bei jeder Wendung des Geschehens zeigt er sich als der unerschütterliche Hintergrund, karg geschildert bei aller Breite der Rede, aber klar erkennbar in seinem Stifterschen Wesen als Idealsphäre innerhalb der realen Welt, als spendender Kräftequell des Lebens. Stifter ist der größte Walddichter realistischer Anschauung. Ja, er ist eigentlich der einzige, der selbständig eine realistisch zu nennende Walddichtung geschaffen hat, in der die romantische Tradition auf Teilwirkungen beschränkt wenigstens nur an manchen Stellen durchscheint. Bei den anderen ist der Einfluß des romantischen Waldes so stark, daß man eine Untersuchung des Waldes bei den Realisten ganz unter diesen Gesichtspunkt stellen kann. Romantischer Sinn und realistische Beschreibungsformen stehen nebeneinander. Je geringer die dichterische Kraft und das eigene Gefühl für die Waldnatur sind, um so deutlicher zeigt sich ein Bruch zwischen diesen beiden herkunftsfremden Teilen in der dichterischen Verwendung. Den äußersten Fall bildet hier etwa eine wirklichkeitsgetreue Beschreibung mit bewußter romantischer Hineindeutung von zitatenhafter Äußerlichkeit wie bei Spielhagen. Das Maß der. romantischen Einflüsse also schwankt, vorhanden sind sie überall. Diese Tatsache wirkt am befremdlichsten bei den beiden Großen des Realismus, Ludwig und Keller. Bei Otto Ludwig ist der Einfluß der Romantik am stärksten in den ersten Walddichtungen. Rein romantischen Wald weisen seine Gedichte auf: Sternlein blinken schweigend nieder, Leise flüstert's durch den Wald (IV, 18), oder, aus den Buschliedern: Auf bunten Blumenmatten, Vom Weltgedräng' so weit, Im tiefen Waldesschatten, In süßer Einsamkeit, . . . (IV, 136); man kann sich kaum sprechendere Beispiele für spät- oder nachromantischen Wald wünschen. In den frühen Erzählungen neigt die Waldverwendung deutlich zum Pseudoromantischen, das Irregehen, die Räuber-

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höhle, die Spukrederei, der Überfall in der »Emanzipation der Domestiken« sind geradezu trivialromanhaft (I, 40 fr., 60; ähnlich auch in den Gedichten: I V , 149); realistische Schilderung, die ein Gegengewicht bilden würde, fehlt dabei fast völlig. Den Zug zum Schauerlichen pseudoromantischer Art hat der Wald bei Otto Ludwig stets behalten, er kommt auch in den reifer und reiner realistischen Werken wieder zum Vorschein. Im »ErbfÖrster« ist der Heimliche Grund, der Hauptschauplatz des wichtigsten Geschehens, in solcher Weise ausgestattet (vgl. V I , I . A b t . S. 17, 68 (Bühnenbemerkung) und 112), in der »Heiteretei« erscheint das Ulrichsholz — das einzige Mal, daß in dieser Novelle Wald mehr als nur genannt wird — in Schauerstimmung (II, 81 ff.); realistisch Gesehenes wird (pseudo-) romantisch wiedergegeben, z. B. »Der Wald zitterte vor Verwunderung oder vor Schauder an allen seinen grünen Gliedern« (II, 83). Trotz dieses störenden Erbteils einer vergangenen Epoche ist Ludwig unbestritten ein realistischer Walddichter. Die realistische Konzeption des Stoffes, im »ErbfÖrster« des Waldes im engern Sinne, in der »Heiteretei« im weiteren Sinne des Waldlandes, ist klar zu erkennen. Der tief in die Handlung einschneidende Streitanlaß zwischen dem Förster und dem Grundherrn, die ganze forstwirtschaftliche Atmosphäre beweisen es für den »ErbfÖrster«, ein schwerwiegendes Briefzeugnis (an Ambrunn) für die »Heiteretei«: ». . es soll eine Erzählung jetzt durchaus einen realistischen, sozialhistorischen Grund und Boden haben. Und der Thüringer Wald ist noch gar nicht ausgebeutet; dort steht eine unendlich reiche Ernte für einen beobachtenden Kopf und eine geschickte Hand« (II, S. X I I ) . Gegenüber dem »Witiko«, wo wir zum ersten Male Wald als Waldland im größeren Stile fanden, steht der Wald selber hier an Bedeutung weit zurück. Er erscheint selten und nur sparsam geschildert, und seine Rolle in der Struktur des einzelnen Werkes ist bei Ludwig nirgends größer als sie ein Entwurf zum »ErbfÖrster« bezeichnet: »Und dem Ganzen über die Schulter sehend der grüne rauschende Wald!« (VI, I. Abt. S. X X I X ) . Nur in den Menschen spricht sich Ludwigs Wald aus, der ErbfÖrster, die Heiteretei, der HoldersFritz sind eigenste, eigentümliche Waldnaturen. Daß und wie der Wald seine Menschen prägt, gehört im Gegensatz zu Stifter für Ludwig nicht mehr in den Bereich seiner Dichtung, sein Blick ist ausschließlich, j a starr auf den Menschen, wie er schon ist, gerichtet, sein realistisches Interesse gilt der Wirklichkeit des Lebens in seinen menschlichen Verhältnissen. So ist am Ende auch der Wald eigentlich nur in seinen Menschen gesehen. Gegenüber Ludwig, bei dem die Bedeutung des Waldes zum größten T e i l verdeckt und, wo sie hervortritt, vorzugsweise von der einen Form des pseudoromantischen Schauers bestimmt ist, sehen wir bei Gottfried 8*

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Keller in offener Breite die ganze romantische Vielfalt der Formen nachwirken. So finden wir die Formen des Dichterwaldes (I, 70, 290, 316) und der Waldfrömmigkeit (I, 67, II, 181, mit ironischer Umkehr der DomMetapher I, 95), die des Lebens- und des Zeitsymbols (I, 86, 119) und die alten der Jagd (I, 73) und Liebe (I, 98, 336, II, 356fr., 824, III, 463). Bevorzugt erscheint bei Keller der Wald als politisches Symbol im zweiten der »Waldlieder« (I, 66 f.) und in der Ansprache im »Fähnlein der sieben Aufrechten« (IV, 301 f.), die das Bild breiter ausführt und die prägnanten Worte vom »Waldesdickicht der Nation«, von der »heimelichen Waldnacht des Volkes« gibt. Der Gedanke vom Walde als Ausdruck des Gemeinschaftsgeistes, der hier zugrundeliegt, erscheint noch häufiger, nicht bloß mit der Symbolisierung der republikanisch-schweizerischen Politik verknüpft (I, 76, II, 179), und aus gleicher Wurzel entspringt auch das Bild von der Eiche als Waldkönig (I, 110). Obwohl so vielfaltig beeinflußt, bleibt Keller doch reinster Realist auch in seiner Walddichtung. Nicht nur dadurch, daß er etwa eine alte Symbolbindung aus realistischem Geiste neu belebt, wie das Todessymbol (in den Gedichten 11 und 12 des Zyklus »Lebendig begraben«, I, 135ff-, und beim Bau von Annas Sarg im »Grünen Heinrich«, II, 447ff.). Vor allem ist er der meisterhafte realistische Schilderer des Waldes. Wir haben zu Anfang des Kapitels bereits auf einzelne Stellen im »Grünen Heinrich« und »Dietegen« hingewiesen. Es ließen sich noch hinzufügen die Einzelschilderungen in den »Mißbrauchten Liebesbriefen« (III, 440f.), auch im »Sinngedicht« (I, 775) und in lyrischer Form in »Lebendig begraben« (I, I36f.). Zu diesem Meistertum der Wirklichkeitswiedergabe steht die breite Verwendung der traditionellen Inhalte in schroffem Gegensatz. Aus der Unbekümmertheit, mit der er auch ein abgebrauchtes Bild der Romantik benutzt (so das von der »Siegfriedsgestalt, . . . die im Schatten der Wälder verborgen schlief«, II, 645, — ganz wie Fouque oder Uhland! — ) gewinnen wir den Eindruck, als bedeute die Übernahme der romantischen Waldinhalte einen Verzicht darauf, die Romantik in der Walddichtung übertreffen oder überwinden zu wollen. Nur einmal, scheint es, hat er es doch versucht und alle Elemente zur Synthese eines großen Gedichts zusammengeschmolzen, im ersten der »Waldlieder«: »Arm in Arm und Krön an Krone steht der Eichenwald verschlungen . ..« (I, 65f.). Mit dem unendlich langen Atem seiner einfachen paarig gereimten Langzeilen und breit wiegendem Rhythmus steigt es in klarster Harmonie gewaltig schwellend auf und sanft wieder ab. Nichts, weder formal noch gedanklich, durchbricht die Rundung des Ganzen, das eine äußerliche einfache Handhabe für die Deutung gäbe, die »jungen Dichter« sind kein billiges Etikett für das romantische Poesiesymbol, »Pan der Alte« keine fremde allegorische Puppe. Von irgend-

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einem Traditionssinne, also von außen her, ist das Gedicht nicht zu verstehen. Es gibt nur ein solches Gedicht bei Keller, ja im ganzen Realismus, weil es einmalig, unwiederholbar ist. Es ist die reinste lyrische Schöpfung der Epoche. Vollendete Gestaltung mit den Mitteln des Realismus und mit der Zielrichtung aufs Reale hin ist es ein glaubensfroher, aber nicht gott-gläubiger, sondern irdisch-frommer Hymnus auf die Wirklichkeit in der Wirklichkeit des Waldes. Als eine Art Gegenstück wird gern neben Kellers erstes Waldlied das Gedicht seines Landsmannes G. F. Meyer »Jetzt rede du!« gestellt. Das geschieht ohne rechten Grund, schon weil der Wald bei Meyer gar nicht zur realistischen Walddichtung zu rechnen ist. Ähnlich wie bei Mörike ist seine Walddichtung von Bildungsassoziationen gefesselt, die ihn gar nicht an den eigentlichen Stoff gelangen lassen, mythologische Figuren wie die »Dryas«, die Nymphe in »Sonntags«, das Historisch-Balladenhafte im »Heiligtum«, auch romantische Waldformen von Poesie und Jugend (»Mein Jahr«, »Wanderfliße«) und epigonal-märchenhafte (in der Novelle »Der Heilige«). Noch näher liegt der Vergleich mit Scheffel. Bei beiden fiihrt Bildungs-, besser Wissensüberladenheit, die Krankheit des Historismus, zum Rückschlag einer gewissen Kultursattheit, bei Scheffel hoch deutlicher als bei Meyer. Daraus entspringt ihre Wendung zur Natur, und das heißt beinahe ausschließlich: zum Walde. So ist auch verständlich, daß das Heilende der Waldnatur solche Rolle bei ihnen spielt: »Dort, umrauscht von Waldesfrieden, mag der kranke Sinn gesunden« (Scheffel II, 360, ebenso II, 62); Zuflucht des alternd Erschöpften soll auch Meyers Gedicht ausdrücken, es verrät im Zusammenhang seiner Dichtung aber mehr, nämlich die Kapitulation des Intellekts vor der Wirklichkeit der Natur. Eine realistische Walddichtung ist das Gedicht nicht, es ist eine Vorstufe dazu, es weist auf sie; dahin gelangt ist Meyer nicht. Einen realistischen Einschlag wenigstens in der Schilderung hat dagegen Scheffel aufzuweisen (z. B. »Waldeinsamkeit«, I, 171 ff.). Die stärkere Reaktion der Kulturübersättigung bei Scheffel bringt ein Gefühl mit sich, das uns aus der Spätzeit der romantischen Epoche bekannt ist und hier wieder seine Fortsetzung findet, das der zeitfeindlichen Abkehr von der gegenwärtigen Welt zum Walde hin. Scheffel führt die Linie weiter, und einen Gipfel erreicht die Antithese Wald-Zeitwelt mit der Abwertung der Welt noch einmal bei Raabe. Hier ist die Gegenüberstellung aber im pessimistischen Sinne umgekehrt. Die tröstliche Hinwendung zum Walde aus der verhaßten Welt ist nicht mehr möglich; im Walde liegt das vergangene Glück. Es bleibt nur der tränenschwere Verzicht auf das Unwiederbringliche. Das Waldleben, das Schöne, Liebe, Gute ist wie die Jugend dahin nach dem Gange der Welt und dem Willen des Schicksals (Chronik der Sper-

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lingsgasse, Leute aus dem Walde, Alte Nester usw.). In der Schilderung des Waldes steht Raabe auf dem Boden des Realismus (ein Beispiel: Schüdd. I, 171 ff.—185). Den Sinn, die Bedeutung des Waldes bei Raabe gibt wie ein Motto das Wort aus den »Leuten aus dem Walde«: »Weh uns . . . ., daß wir den dunkeln Heimathswald verließen — verlassen mußten.« (I, 204.) Zu der spätromantischen Form der Wald-Welt-Gegenüberstellung, die Raabe so ganz zum Kerne seine Waldauffassung gemacht hat, steht auch die Walddichtung Theodor Storms mancherorten in Beziehung. Der Wald zeigt sich auch bei ihm in dieser Gegenüberstellung unter dem romantischen (Eichendorff!) Gedanken von Jugend und Erinnerung (Immensee, Ein grünes Blatt), aber der Unterschied gegen Raabe ist doch groß. An Stelle der Schwarz-Weiß-Schroffheit bei Raabe steht bei Storm eine mildere, ausgeglichenere Verteilung der Wertakzente auf Wald und Gegenwartswelt, der Wald ist ideal-, aber nicht idolhaft gesehen; auch ist dieser Gedanke nicht der einzige und herrschende seiner Walddeutung. Dazu geht die Darstellung Storms ganz andere, eigene Wege. Von Waldinhalten romantischer Abkunft haben Storm zunächst solche der Gruppe, die die Walddichtung Eichendorffs umfaßt, beeinflußt, innerhalb der Gesamtwirkung, die Eichendorff auf Storm geübt hat (Brief an Kuh: ». . . wo ich auf Eichendorffs Waldhorn blies«, S. 265), bezeichnend dafür sind etwa das siebente und achte der Neuen Fiedellieder (I, 84f.). Vor allem aber wirkte der Gedanke des Märchenhaften, den die Romantik vom Volksmärchen her aufgenommen hatte, auf Storm und findet sich so auch häufig bei ihm (I, 128, 138, i5of., 198 u. ö.). Die Bedeutung des Märchengedankens bei Storm ist jedoch noch viel größer, als diese Beispiele zeigen. Die Verquickung von Realistischem und Romantischem, die so bezeichnend für die Epoche realistischer Walddichtung ist, geht so weit, daß nicht nur romantische Waldgedanken in realistischer Gewandung auftreten, sondern auch das rein realistisch Konzipierte romantischen Nimbus erhält, so die verwahrloste Waldkneipe (Auf der Universität), die lange Trine (Zur Wald- und Wasserfreude); am besten erhellt das ein Blick auf ein realistisches Waldmotiv (eines der wenigen!) bei einer Vergleichung seiner Verwendung: der Wanderer im Walde sieht eine Eidechse und begegnet ihrem Blick. Keller (I, 137) wendet das ganze Meistertum seiner Beschreibung daran, ohne romantische Eindeutung, Scheffel (II, 270) erwähnt es flüchtig und innerlich unbeteiligt, Storm (»Im Schloß«, II, 116, und Briefe an Mörike 44) legt Märchensinn hinein und macht es zum Mittelpunkte einer ganzen Szene voller Märchendämmer. Ganz ebenso ist es mit dem Blick der Schlange (I, 315, im selben Sinne mit Keller I, 775/6 zu vergleichen). Obwohl also bei Storm noch einmal zu-

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sammentrifft, was von den beiden Grundpfeilern des Waldes im Märchen aus zu wirken begonnen hatte, vom Wunderbaren her das MärchenhaftRomantische der Sinnauffassung, von der »Welt«-Form her die Antithese Wald-Gegenwartswelt, so ist doch die tiefreichende Bedeutung des Waldes für die Dichtungsstruktur nicht wiederholt. Auf dem Gebiete der Darstellung des Waldes offenbart sich Storms Eigenstes in der Stimmung. Aus den Anfangen dieser Kunst bei den Romantikern, besonders Tieck, hat Storm in der Verschmelzung mit realistischen Schilderungsformen ein Neues geschaffen, das ein ganz persönliches Grundelement seiner Erzählungskunst geworden ist. Das schwer faßbare Wesen der Stormschen Stimmung kann hier nicht näher untersucht werden, es gilt auch nicht nur für den Wald, sondern beherrscht das ganze Werk. Für die Waldstimmung sind die schönsten Zeugnisse in der eben erwähnten Stelle (»Im Schloß«), im Anfang von »Immensee«, in »Schweigen«, in »Waldwinkel« zu finden. Mit dieser Stimmung, die als Waldstimmung auf den Impressionismus und auf die norddeutsche Heimatdichtung (z. B. Timm Kröger) weiterwirkte, hat auch die deutsche Walddichtung fast am Ende ihrer Entwicklung noch eine Bereicherung erfahren. Fehlt schon der hohen Dichtung der realistischen Epoche eine Walddichtung eigener Art, so ist von den tieferen Stufen kaum Beträchtliches zu erwarten. Unter den psychologischen und soziologischen Problemen aktueller Art, die die Romandichter der Zeit, auch die bedeutenderen, beschäftigen, erscheint selten der Stoff »Wald«. Wo er erscheint, ist er mit noch größerer Abhängigkeit von der Überlieferung verwendet als in der großen Dichtung. Spielhagen erwähnten wir schon hie und da. Bei ihm ist der Stoff überall ganz äußerlich nach dem traditionellen Schema verarbeitet. Ein Gefühl fiir die Natur des Waldes geht ihm völlig ab; wo es vorhanden scheint, muß man es für gemacht und erzwungen halten. Heyse, um ein weiteres Beispiel heranzufuhren, steht nicht höher. Auch er benutzt den Stoff nach dem bequemen überlieferten Muster, ohne eigenes Verhältnis; auch wenn er einmal Eigenes einzuflechten sucht (z. B. Wald als moralfreie, pflichtlose Urnatur, in den »Kindern der Welt«, II, 186, eine genaue Umkehrung der Eichendorffischen Waldauffassung, bemerkenswert bei seiner sonstigen Beziehung zu Eichendorff!), bleibt sein Wald belanglos. Ein Abstieg zu noch niedrigeren Literaturschichten verlohnt nicht mehr, es läßt sich dabei nur die dauernde Abnahme des künstlerischen Wertes feststellen, aber nichts Weiteres über den Wald. Die realistische Epoche der Walddichtung läuft in zwei Richtungen aus: die eine setzt den bisherigen Realismus fort und sucht ihn nur in den Mitteln zu verfeinern, die andere führt den realistischen Kern-

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gedanken konsequent weiter durch. Beide Wege führen zur Auflösung des Stoffes. Die erste Linie, in Liliencron und Johannes Schlaf (»In Dingsda«), ist die des Impressionismus. Hier ist das Ziel, die Wirklichkeit des Waldbildes noch wirklicher, d. h. täuschender und echter in seiner Eindruckskraft zu gestalten. Storms Stimmungskunst zeigt hier ihren Einfluß. Mit dem Prinzip des Eindrucks aber, das entscheidend ist, gelangt diese Richtung zur reinen Subjektivität, in denen die Naturstoffe, unter ihnen auch der Wald, nur Handhaben und Mittel einer Stimmungserzeugung sind, und in der trotz der stilistischen Virtuosität und der oft bezwingenden Sprachgewalt der Stoff als Ganzes sich verdünnt und verflüchtigt. Wichtiger ist die andere Linie, die den Wald in die Heimatdichtung einbezieht. Der Wald löst sich hier nicht in seiner stofflichen Gesamtheit auf, sondern — wie wir in der Einleitung erörterten und am Anfange dieses Kapitels wieder erwähnten — er zerfallt in Einzelnes, nach Maßgabe seiner Lokalindividualität. Die heimatliche Walddichtung ist die direkte Weiterführung der realistischen in der konsequenten Verfolgung ihres Grundgedankens, der Wendung zur Wirklichkeit des Stoffes. Dadurch, daß man die einzelne Musterwirklichkeit nicht nur zum Vorbilde für Wald im allgemeinen Sinne wählt, sondern sie selbst auch wieder zum Ziele nimmt, vollzieht sich die Sprengung der Stoffidentität: Wald ist nicht mehr Wald überhaupt, sondern steirischer oder märkischer oder schleswigscher Wald. Die Grenze zwischen Realismus und Heimatdichtung läßt sich deutlich bei Theodor Fontane erkennen. Fontane, auch sonst als realistischer Waldschilderer beachtenswert (Vor dem Sturm, Quitt), führt uns in der zwiefachen Verwendung desselben Waldvorbildes den Unterschied zwischen der allgemeingerichteten und der lokalgebundenen Form klar vor Augen: der Wald am Stechlinsee erscheint im Roman »Der Stechlin« im Sinne des Realismus, in den »Wanderungen« im Sinne der Heimatdichtung. (Als Zeugnisse dafiir mögen dienen: für den Roman ein Entwurfzettel, deutlicher als die Stellen im fertigen Werke, der nach einer Reihe Ortsnamen fortfährt: ».. . Dazu Theerofen, Forsthäuser, sonst Wald, Wald! Und Wilddiebe und romantische Geschichten« (zit. bei Petersen S. 20); für die »Wanderungen« der Abschnitt »Die Menzer Forst und der Große Stechlin«, I, 34off., bes. 344fr.). Mit den »Wanderungen« ist Fontane — nach Ansätzen bei Alexis — zugleich der Vertreter heimatlicher Walddarstellung für den Lokalkreis des märkischen Waldes. Unter den ausschließlich im Sinne der Heimatdichtung schaffenden Walddichtern nimmt nach Umfang wie Tiefe seiner Waldformung Rosegger den ersten Platz ein. Das verdankt er nicht nur seiner eigenen dichterischen Bedeu-

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tung, sondern auch seinem Vorbilde Stifter, der für Rosegger in gleicher Weise wie Storm für Timm Kröger oder Otto Ludwig fiir Trinius literarischer Ahn gewesen ist, — nur Löns steht für sich oder läßt sich höchstens weitläufiger von der Droste ableiten. Die Vorgängerschaft dieser ausgewählten bezeichnenden Vertreter gibt schon die Bahnen an, in denen sich der Wald in der Heimatdichtung bewegt. Das ist das Charakteristische am Wald der Heimatdichtung: Trotz der Spaltung des Stoffes in die lokalen Individualitäten, der radikalsten Hinwendung zur Wirklichkeit also, bleibt der Wald in seiner Erscheinung auf der Stufe der rein realistischen Walddichtung stehen, und zwar sowohl nach Schilderung wie Sinndeutung, d. h. also, auch hier ist die Verquickung von realistischem und romantischem Gut geblieben (z. B. Timm Kröger II, 162f.). Ja, es ist sogar eher eine gesteigerte Vorliebe für die romantischen Elemente zu spüren als eine Abschwächung ihrer Wirkung. Roseggers Wald ist um der Abhängigkeit von Stifter willen (die ihm selbst bewußt war, vgl. I, S. X X I ) noch (vergleichsweise!) am wenigsten von der Vielfalt der Traditionsformen beirrt. Der Einfluß von Stifters Blickweise, von Stifters Ethos herrscht vor, trotz mancher romantischen Formen (ein Beispiel: I, 56ff.). Bei Timm Kröger steht eine oft rührselige Stimmungsmalerei von Storm herkommend im Mittelpunkt (ein Beispiel: I V , 63fr.). Für Löns ist naturwissenschaftlich genaue Schau bei romantisch überschwänglicher Einkleidung bezeichnend (ein Beispiel: Mein grünes Buch 50). Trinius endlich verbindet am wenigsten glücklich orientierende Lokalbeschreibung mit romantisierender Hineindeutung (ein Beispiel: Thüringer Wanderbuch I, 147); er zeigt bereits die genormte Mischung, die dann nur nach der stilistischen Geschicklichkeit der Schreiber unterschieden die literarischen Unterschichten beherrscht, bis hinab zur Gebrauchsliteratur wie Wald anpreisenden Reiseprospekten (so läßt sich von hier aus die Nachwirkung romantischer Formen bis in abgelegene Winkel des Schrifttums hinein verfolgen). Auch in der Heimatdichtung bleiben also die Erbteile des Realismus und der Romantik für die Stellung des Waldes bestimmend. Durch diese Traditionseinordnung aber wird die Sprengung der Stoffeinheit wieder ausgeglichen, j a zu einer Erweiterung des Stoffgebietes umgebogen, die in der Hinzufügung einer neuen, wenn auch nur teilhaften Blickrichtung liegt. Mit der Heimatdichtung als letztem Ausläufer geht die realistische Epoche der Walddichtung zu Ende. Ihr Vermächtnis, ein Waldbild aus realistischen und romantischen Elementen, wird, wo der Wald in der Dichtung vorkommt, auch in den folgenden Jahren und bis heute weiter gepflegt. Eine wiederum neue, entscheidend andere Prägung des Waldbildes aber ist seither noch nicht erschienen.

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REALISTISCHE WALDDICHTUNG

Wir sind am Ende der gesamten Entwicklung angelangt. Fragen wir nun rückwärts blickend noch einmal nach der Herkunft der Kräfte, die die Geschichte des Stoffes entscheidend beeinflußt haben, so bleibt bei aller Anerkennung der Bemühungen des achtzehnten Jahrhunderts oder der Leistung des Realismus doch der Vorrang der Schöpfung der Romantik vorbehalten. Die Gestaltung des Volksmärchens, die sich in dieser Zeit durchsetzt, die Erweiterung, die sie bei Tieck fand, vor allem aber die dichterische Erfüllung in Eichendorff haben dem Walde seinen festen Platz in der Dichtung verschafft, durch den er eingegangen ist in den unverlierbaren geistigen Besitz der Nation.

Verzeichnis der Texte. (Hier sind nur die Werke aufgeführt, die nach Band- und Seiten-Ziffern bestimmter Ausgaben zitiert wurden, und zwar in der Reihenfolge der Zitierung. Wissenschaftliche Literatur ist nur in Fällen direkter Bezugnahme angegeben und zwar gleich an der betreffenden Stelle im Texte der Arbeit.) Martin O p i t z , Teutsche Poemata, . . . hrg. v. G. Witkowski, Halle 1902. Theobald H o c k , Schoenes Blumenfeld, hrg. v. M. Koch, Halle i8gg. Heinrich M ü h l p f o r t , Dt. Nat.-Lit. 36. Jacob S c h w i e g e r , Geharnschte Venus, hrg. v. Th. Raehse, Halle 1888. Friedrich S p e , Trutz-Nachtigall, hrg. v. G. Balke, Leipzig 1879. (Dt. Dicht, des 17. Jahrh., hrg. v. Goedeke-Tittmann, 13. Band) V e n u s g ä r t l e i n , ein Liederbuch des X V I I . Jahrh., hrg. v. M. Frhr. v. Waldberg, Halle 1890. D e u t s c h e B a r o c k l y r i k , nach Motiven ausgewählt und geordnet v. M. Sommerfeld, Berlin 1929. Julius Wilhelm Z i n k g r e f , Auserlesene Gedichte deutscher Poeten, Halle 1879. Paul F l e m i n g , Deutsche Lieder, hrg. v. J . M. Lappenberg, Stuttgart 1865. (Bibl. Lit.-Ver. 82/83) H. J . Chr. v. G r i m m e l s h a u s e n , Simplizissimus, hrg. v. R . Kögel, Halle 1880. J . A. C o m e n i u s , Orbis sensualium pictus . . . , aufs neue aufgelegt . . ., Noribergae 1698. — Ianva Lingvarvm reserata avrea . . . Editio Postrema . . . , Amste'lodami. . . 1642. A b r a h a m a S. C l a r a , Huy und Pfuy der W e l t . . . , Würzburg 1707. Des M i n n e s a n g s F r ü h l i n g , 5. Aufl., neu bearb. v. F. Vogt, Leipzig 1930. (MF) W a l t h e r , Die Ged. W. v. d. Vogelweide, 9. Ausg. v. K . Lachmann, bes. v. C. v. Kraus, Berlin und Leipzig 1930. N e i d h a r t s Lieder, hrg. v. M. Haupt, 2. Aufl. v. E. Wiessner, Leipzig 1923. Gedichte des K ö n i g s b e r g e r D i c h t e r k r e i s e s , . . h r g . v. L . Fischer, Halle 1883. David S c h i r m e r , Dt. Nat.-Lit. 27. L . C. H. H ö l t y , Sämtl. Werke, krit. u. chron. hrg. v. W. Michael, 2 Bde. Weimar 1914 und 1918. B. H. B r o c k e s , Irdisches Vergnügen in Gott, 9 Bde., Hamburg 1721—48. (Bd. I in 4. Aufl. 1728 zit.) A. v. H a l l e r , Dt. Nat.-Lit. 41, II. Salomon G e ß n e r , Schriften, 3 Bdchen., Zürich 1801. F. G. K l o p s t o c k , Oden und Epigramme, Leipzig o. J . (Reclamausg.) J . H. V o ß , Dt. Nat.-Lit. 49. F. M a t t h i s s o n , Gedichte, hrg. v. G. Bölsing, Bd. I, Tübingen 1912. (Bibl. Lit.-Ver. 257.) M. C l a u d i u s , Dt. Nat.-Lit. 50, I I . Maler M ü l l e r , Sturm und Drang, hrg. v. K . Freye. (Bongs Gold. Klass. Bibl.) W. H e i n s e , Sämtl. Werke, hrg. v. C . Schüddekopf, Leipzig igogff. F. H. J a c o b i , Werke, Leipzig i 8 i 2 f f . (Woldemar: Bd. V , 1820) J . M. M i l l e r , Siegwart, eine Klosteigeschichte, 3 Bde., 2. Aufl., Leipzig 1777. F. H ö l d e r l i n , Sämtl. Werke und Briefe, hrg. v. F. Zinkernagel, Leipzig 1914fr. Volksmärchen: Bloße Ziffern bezeichnen die Nummern der K H M Grimm.

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VERZEICHNIS DER T E X T E

Märchen der Brüder Grimm, Urfassg. nach der Orighandschr. der Abtei Oelenberg 1. Eis., hrg. v. J . L e f f t z , Heidelberg 1927. Deutsche Märchen seit Grimm, hrg. v. P. Z a u n e r t , 2 Bde., Jena 1917 und 1923. Plattdeutsche Volksmärchen, Neue Folge, ges. u. bearb. v. W. Wisser, Jena 1920. Die deutschen Sagen der Brüder Grimm, hrg. v. H . S c h n e i d e r . (Bong) Schlesische Sagen, ges. u. hrg. v. W. E. P e u c k e r t , Jena 1924. Thüringer Sagen, ges. u. hrg. v. P. Q u e n s e l , Jena 1926. Indianermärchen aus Südamerika, hrg. v. Th. K o c h - G r ü n b e r g , Jena 1920. Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm in ihrer Urgestalt, hrg. v. F. P a n z e r , 2 Bde., München 1913. (Neudr. d. ersten Ausg. von 1812—15) B o l t e - P o l i v k a , Anmerkungen zu den K H M , 5 Bde., Leipzig 1914—32. (BP) Kurt S c h m i d t , Die Entwicklung der Grimmschen K H M seit der Urhandschrift nebst einem krit. Texte . . . , Halle 1932. T i e c k : Ludwig Tiecks Schriften, Berlin 1828fr. — Nachgelassene Schriften, hrg. v. R . Köpke, Leipzig 1855. (N. S.) — Gedichte, neue Ausgabe, Berlin 1841. (Ged.) E i c h e n d o r f f : Gesammelte Werke, hrg. v. P. Emst (u. H. Amelung), München und Leipzig 1909 fr. — Hist.-krit. Ausgabe, hrg. v. W. Kosch, Regensburg o. J . (K) Des K n a b e n W u n d e r h o r n , . . . (Photomech. Neudr. der Erstausg.) 3 Bde., Tübingen 1926. Friedrich S c h l e g e l , Sämtl. Werke, 9. Bd., Wien 1823. Clemens B r e n t a n o , Sämtl. Werke, hrg. v. C. S c h ü d d e k o p f . . V . Bd., München und Leipzig 1909. — Brentanos Werke, hrg. v. M. Preitz, i . B d . (Bibl. Inst.) — Gustav Wasa, hrg. v. J . Minor, Heilbronn 1883. (Dt. Lit.-Denkm. 15) — Märchen, hrg. v. G. Görres, 2 Bde., Stuttgart und Tübingen 1846/47. D i e S ä n g e r f a h r t , eine Neujahrsgabe für Freunde der Dichtkunst und Mahlerey . . . , gesamm. v. Friedrich Förster, Berlin 1818. R o m a n t i s c h e L y r i k , nach Motiven ausgewählt und geordnet v. M. Sommerfeld, Berlin 1932. Ludwig U h l a n d , Gedichte, vollst, krit. Ausg. v. E. Schmidt u. J . Hartmann, 1. Bd., Stuttgart 1898. — Alte hoch- u. niederdt. Volkslieder, hrg. v. L . U., 3. Aufl. v. H. Fischer, Stuttgart o. J . Wilhelm M ü l l e r , Gedichte, vollst, krit. Ausg. v. J . T . Hatfield, Berlin 1906. (Dt. Lit.Denkm. 137) Nikolaus L e n a u , Sämtl. Werke, vollst, krit. Ausg. v. E. Castle, i . B d . , Leipzig 1910. Emanuel G e i b e l , Werke, hrg. v. W. Stammler. (Bibl. Inst.) H o f f m a n n v o n F a l l e r s l e b e n , Gesammelte Werke, hrg. v. H. Gerstenberg, 1. u. 2. Bd., Berlin 1890/91. Ferdinand F r ^ i l i g r a t h , Werke, hrg. v. J . Schwering. (Bong) Moritz Graf von S t r a c h w i t z , Sämtl. Lieder u. Balladen, hrg. v. H. M. Elster, Berlin 1912. Otto R o q u e t t e , Waldmeisters Brautfahrt..., 97.—100. Ts., Stuttgart und Berlin 1924. Musenalmanach für das Jahr 1799, hrg. v. Schiller, Tübingen. Justinus K e r n e r , Werke, hrg. v. R . Pissin. (Bong) Gottfried K i n k e l , Rheinische Erzählungen, hrg. v. H. Kliche, Berlin o. J . (Domschatz 8) Anastasius G r ü n , Werke, hrg. v. E. Castle. (Bong) Friedrich de la M o t t e - F o u q u i , Dt. Nat.-Lit. 146, II, 1. — Gedichte, i . B d . , Stuttgart und Tübingen 1816. Max von S c h e n k e n d o r f , Gedichte, hrg. v. E. Groß. (Bong) Georg H e r w e g h , Gedichte eines Lebendigen, Zürich und Winterthur 1841. Aloys S c h r e i b e r , Poet. Werke, Tübingen 1817/18. D i e H a r f e , hrg. v. F. Kind, 6. Bdchen., Leipzig 1817.

VERZEICHNIS DER T E X T E

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Jos. Chr. v. Z e d l i t z , Waldfräulein, Stuttgart 1859. Eduard M ö r i k e , Werke, hrg. v. H. Maync. (Bibl. Inst.) Karl von H o l t e i , Stimmen des Waldes, 2. Aufl., Breslau 1854. Gustav zu P u t l i t z , Was sich der Wald erzählt. . . , Berlin 1850. Karl M a y e r , Lieder, Stuttgart und Tübingen 1833. Friedrich K i n d , Gedichte, 3. Bdchen., Wien und Prag 1820. Achim von A r n i m , Die Kronenwächter, 2 Bde., Leipzig o. J . (Wunderhorn 3/4 und 5/6.) N o v a l i s , Heinrich von Ofterdingen, hrg. v. G. Mehlis, Leipzig o. J . (Wunderhorn 37/38) Adalbert S t i f t e r , Werke, Leipzig o. J . (Inselausgabe) — Erzählungen, hrg. v. J . Aprent, I. Bd., Pest 1869. — Sämtl. Werke, krit. Ausg. v. A. Sauer u. a., Prag 1901 ff. (Pr.A.) — A. R . Hein, Adalbert Stifter, sein Leben und seine Werke, Prag 1904. Gottfried K e l l e r , Gesammelte Werke in 4 Bdn., Leipzig 1922. (7.—10. Ts.) (Inselausgabe) W. H. R i e h l , Culturstudien aus drei Jahrhunderten, Stuttgart 1862. Friedrich S p i e l h a g e n , Problematische Naturen, Erste Abth., 22. Aufl., Leipzig 1900. Georg F o r s t e r , Sämtl. Schriften, hrg. v. G. Gervinus, III. Bd., Leipzig 1843. (Hermann Fürst von Pückler-Muskau,) Briefe eines Verstorbenen..., 4 Bde., Stuttgart 1830/31. Karl I m m e r m a n n , Werke, hrg. v. R . Boxberger, Leipzig o. J . (Hempel) Otto L u d w i g , Sämtl. Werke, hrg. v. P. Merker u.a., München und Leipzig 1912fr. Jos. Viktor von S c h e f f e l , Werke, hrg. v. F. Panzer. (Bibl. Inst.) Wilhelm R a a b e , Der Schüdderump, 3 Tie., Braunschweig 1870. — Die Leute aus dem Walde, 3 Bde., Braunschweig 1863. Theodor S t o r m , Briefwechsel mit Emil Kuh, hrg. v. P. R. Kuh, Westermanns Monatshefte 67, 1890. — Sämtl. Werke in 8 Bdn., hrg. v. A. Köster, Leipzig o. J . (Inselausgabe) — Briefwechsel mit Mörike, hrg. v. J . Bächtold, Stuttgart 1891. Paul H e y s e , Kinder der Welt, 2 Bde., 31.—35. Ts., Stuttgart und Berlin 1921. Theodor F o n t a n e , J . Petersen, Fontanes Altersroman, Euph. 29, 1928. — Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 7. Aufl., I. Bd., Berlin 1899. Timm K r ö g e r , Novellen, Gesamtausgabe, 6 Bde., Hamburg 1914. Peter R o s e g g e r , Gesammelte Werke, Bd. I, Leipzig 1918. Hermann L ö n s , Mein grünes Buch, 101.—110. Ts., Bad Pyrmont u. Hannover 1925. August T r i n i u s , Thüringer Wanderbuch, Neue Ausg., I. Bd., Minden i. Westf. o. J . («9>4)Der erste Teil der Arbeit, bis zum Eichendorff-Kapitel, wurde im Sommer 1934 von der Heidelberger Philosophischen Fakultät als Dissertation angenommen.

Namenverzeichnis. Abraham a Santa Clara 10 Alexis 105, 120 Arndt 84 Arnim 86, 95 f. Bodmer 61 Brentano 33, 61, 66, 80 f., 85 f., 88 ff., 95. 97 Brockes 2, 5, 6, 8, 15 ff., 20, 28, 30, 32, 45» 89> 94. I 0 5 Carus 106 Chamisso 106 Chézy, H. v. 99 Claudius 13, 25 f. Comenius 10 Contessa 95 Dach 13 Devrient, E. 99 Dietmar von Eist 11 Droste, A. v. 106, 121 Eichendorff 47, 56, 65 ff., 79, 81 f., 85, 87 ff-, 93 f., 108, i i o f . , 118 f. Fleming 9, 12, 14 f., 64 Fontane 104, 120 Forster, G. 105 Fouqué 83, 86, 90, 93, 95, 116 Freiligrath 81 ff., 87, g2 Geibel 81 ff., 86, 88, 93 Geßner 18, 105 Goethe 28 ff., 98, 106 Gottfried von Straßburg 1 1 Greif, M. 89 Gries, J . D. 82 Grimmelshausen 10 Grün, Anastasius 83 Hagedorn 20 Haller 17, 105 Hanke, M. 13

Harsdörfier 10 Hartmann von Aue 12 Hauff 94 Hebbel 108 Heinse 26 Herder 25, 45, 64 Herwegh 85 Heyse 1 1 9 Hock 7 f., 13 Hoffmann, E. T . A. 93, 95 ff. Hoffmann von Fallersleben 81, 87 f., 93, 99. 1 1 0 Holtei 88, 94, 98 f. Hölderlin 2, 31 f. Hölty 14 f., 24, 93, 98 Humboldt, A. v. 106 Humperdinck 99 Immermann 105 f. Jacobi, F. H. 27 Jean Paul 89, 107 Keller 101, 104, 114, 116 ff. Kerner 64, 83, 86 ff., 91, 96 f. Kind, F. 80, 93, 99 Kinkel, G. 83, 98 Kleist, E. v. 14, 18 Klopstock 2, 7, 14 f., i g f f . , 26ff., 30 f., 52, 56, 61 Körner 84 Kröger, Timm 119, 121 Lamprecht, Pfaffe 12 Lenau 2, 81 ff., 85 f., 91 Liliencron 120 Loeben 66, 80 Löns 121 Ludwig, O. 99, 101 f., 104, 1 1 4 f., 121 Marschner, H. 99 Matthisson 25, 93, 98 Mayer, K . 2, 91 f., 97 | Meyer, C. F. 1 1 7

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NAMENVERZEICHNIS Miller 29 f. Mörike 33, 88, 91 f., 1 1 7 f. Mühlpfort 8, 14 Müller, Maler 26 ff. Müller, W. 71, 81, 85 f., 90 Neidhart von Reuenthal 1 1 Novalis 89, 93, 96 Opitz 7 ff., 12 ff. Ossian (Macpherson) 20, 22, 24, 26, 49, 98 Pückler, Fürst 105 Putlitz 79, 88, 94, 98 f. Raabe 104, 117 f. Redwitz 81, 93, 98 Riehl, W. H. 103 Rist 9 Roquette 79, 81, 94 Rosegger 120 f. Scheffel 1 1 7 f. Schenkendorf 84 f. Schiller 27 f., 31, 82 Schirmer 13 Schlaf, J . 120 Schlegel, F. 61, 64, 80, 83 ff., 88 ff. Schreiber, Aloys 85, 87 Schubert, F. 98 Schütze, St. 80, 87, 93

Seegemund, J . G. 80 Shakespeare 48 f., 54 Spe 8, 64 Spielhagen 102, 104, 1 1 9 Stael, Mad. de 103 Stifter 101 ff., 121 Storm gg, 102, 104, n 8 f f . Strachwitz 8 1 , 83, 88, 1 1 0 Suppius 14 Tieck 20, 3 1 , 4 7 ff., 65 ff., 78 ff., 87 ff, 93 f., 96, 99 f., 108, 1 1 9 Trinius 121 Uhland 71, 81 ff., 85, 90 ff., 116 Uz 14 Vogl, J . N. 80, 82 VoB 24 Wackenroder 56 Wagner, R . 99 f. Walther von der Vogelweide 1 1 Weber, C. M. v. 98 f. Wieland 32, 45 f. Wolfram von Eschenbach 11 f. Zedlitz 81, 87, 93 Zesen 13 Zinkgref9

Stoff- und Motivgeschichte der deutschen Literatur Herausgegeben von Paul Merker und Gerhard Lüdtke Bisher erschienen: 1. Die Jungfrau von Orleans in der Dichtung. Groß-Oktav. V I I I , 74 Seiten. 1929

Von Wilhelm Grenzmann. RM 4.—

2. Tristan und Isolde in der französischen und deutschen Dichtung des Mittelalters und der Neuzeit. Von Wolfgang Golther, o. ö. Professor a n der Universität Rostock. Groß-Oktav. VI, 72 Seiten. 1929. . . . RM 4.— 3. Julianus Apostata in der deutschen Literatur. O k t a v . IV, 78 Seiten. 1929

Von K ä t e Philip. GroßRM 5.—

4. Parzival in der deutschen Dichtung. Von Wolfgang Golther. VI, 66 Seiten. 1929 RM 5.— 5. Heidelberg als Stoff und Motiv der deutschen Dichtung. Von Rudolf K. Goldschmidt. Groß-Oktav. VI, 47 Seiten. 1929 RM 4.— 6. Ahasverus, der ewige Jude.

Von Werner Zirus. IV, 73 S. 1930 RM 5. •

7. Judith in der deutschen Dichtung. 193° 8. Napoleon in der deutschen Literatur. V I I I , 87 Seiten. 1930 9. Dido in der deutschen Dichtung. V, 95 Seiten. 1930

Von O t t o Baltzer.

IV, 62 Seiten. RM 5.— Von Milian Schümann. Groß-Oktav. RM 5.— Von Eberhard Semrau.

Groß-Oktav. RM 5.—

10./11. Das Vater-Sohn-Motiv in der Dichtung. Von K u r t T. Wais. GroßO k t a v . Teil I : Bis 1880. XIV, 69 Seiten. 1931 RM 5.— Teil I I : Von 1880—1930. V I I I , 89 Seiten. 1931 RM 5.— 12. Die Gestalt des bildenden Künstlers in der Dichtung. Von K ä t e Laserstein. IV, 80 Seiten. 1931 RM 5.— 13. Paulus im Drama. Von Wilhelm Emrich. Groß-Oktav. V I I I , 145 Seiten. 1934 RH 5 . 14. Kain und Abel in der deutschen Dichtung. Von Auguste Brieger. GroßR Oktav. V I I I , 76 Seiten. 1934 M 4- — Bibliographie der Stoff- und Motivgeschichte der deutschen Literatur. Von K u r t Bauerhorst. XV, 100 Seiten. 1931 RM 8.55 In den einzelnen Untersuchungen dieses Sammelwerkes werden vielbehandelte Stoffe auf ihrem Schicksalsgang innerhalb der deutschen Literatur verfolgt. Die behandelten und ausgewerteten Dichtungsinhalte sollen als Exponenten der jeweiligen Kulturstimmung und Stilrichtung erscheinen und somit Bausteine zur Geschichte des geistigen Lebens und der seelischen Entwicklung des deutschen Volkes bilden.

Walter de Gruyter & Co., B e r l i n W 35, W o y r s c h s t r a ß e

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