Dido in der deutschen Dichtung [Reprint 2019 ed.] 9783111556727, 9783111186337


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Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Die Quellen
I. Dido im Mittelalter
II. Dido im 16. Jahrhundert
III. Dido im Barock
IV. Dido im 18. Jahrhundert
V. Dido seit Beginn des 19. Jahrhunderts
Schluß
Literaturverzeichnis
Außerdeutsche Behandlungen des Didostoffes
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Dido in der deutschen Dichtung [Reprint 2019 ed.]
 9783111556727, 9783111186337

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STOFF- UND MOTIVGESCHICHTE DER DEUTSCHEN LITERATUR 9

STOFF- UND MOTIVGESCHICHTE DER DEUTSCHEN LITERATUR HERAUSGEGEBEN VON

PAUL MERKERUND GERHARD LÜDTKE

9 EBERHARD SEMRAU

DIDO IN DER DEUTSCHEN DICHTUNG

»930

WALTER D E GRUYTER & CO. VORMALS G. J. GÖSCHENSCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER — VEIT & COMP.

BERLIN UND LEIPZIG

DIDO IN DER DEUTSCHEN DICHTUNG

VON

EBERHARD SEMRAU

1930

WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G. J. GÖSCHENSCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG, VERLAGSBÜCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER — VEIT & COMP.

BERLIN UND LEIPZIG

Aldus Druck Berlin SW 68

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Die Quellen I. Dido im Mittelalter 1. Heinrich von Veldeke 2. Anklänge IL Dido im 16. Jahrhundert 1. Behandlungen des Stoffes in der Volkssprache a. Hans Sachs b. Wüst-Fischer c. Damian Türckis 2. Die neulateinischen Didodramen a. Petrus Ligneus b. Aulus Gerardus Dalanthus c. Knaust d. Frischlin e. Hospeinius f. Anonymus Leidensis und Fürer III. Dido im Barock 1. Anklänge 2. Oper IV. Dido im 18. Jahrhundert ). Haupt- und Staatsaktion 2. Schlegel 3. Weidmann 4. Goue 5. Die Rolle der Dido in der Virgilparodie des 18. Jahrhunderts 6. Frau von Stein V. Dido seit Beginn des ig. Jahrhunderts 1. Ballade 2. Tragödie a. Gehe und Weichselbaumer b. Schöll c. Die ältere Fassung bei Nissel d. Das Didodrama nach 1870 3- ° p e r Schluß Literaturverzeichnis Außerdeutsche Behandlungen des Didostoffes

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EINLEITUNG. Die

Quellen.

Die Antike kannte zwei Fassungen der Didogeschichte 1 ). Die ä l t e r e F a s s u n g , die ihrer Herkunft nach eine Lokalsage ist, gibt am ausführlichsten, freilich in einer schon stark aufgeschwellten Form, der Geschichtsschreiber Justinus 2 ). Die tyrische Königstochter Elissa (Dido) flieht vor ihrem Bruder Pygmalion, der aus Habgier ihren Gatten Acerbas ermordet hat. Nach längeren Irrfahrten landet sie an der Nordküste Afrikas, gewinnt durch eine List ein Stück Land — und zwar zerschneidet sie, da ihr so viel Land versprochen ist, wie sie mit einer Kuhhaut bedecken kann, diese in kleine Streifen 3 ) — und gründet Carthago. Hiarbas, der König von Libyen, will sich mit ihr vermählen, doch aus Treue zu ihrem toten Gatten weist sie ihn ab. Erst als ihr keine Rettung vor seinen Drohungen bleibt, willigt sie scheinbar ein, tötet sich aber auf einem angeblich zu Opfern errichteten Scheiterhaufen. Die j ü n g e r e F a s s u n g hat dichterische Phantasie, wahrscheinlich die des Naevius 4 ), geschaffen. Mit ihr verschwindet das alte Kernmotiv, die Witwentreue. Dido stirbt jetzt aus unglücklicher Liebe zu Aeneas, der auf seinen Irrfahrten nach Carthago kommt. In dieser Gestalt nahm der größte römische Epiker, P. Vergilius Maro, den Stoff auf und fügte ihn seiner „Aeneis" ein. Dort füllt nun Didos Vorgeschichte und die Einleitung zur Dido-Aeneas-Handlung den größten Teil des ersten Buches 5 ), die eigentliche Handlung das gesamte vierte Buch. Die Dido-Geschichte wurde damit zwar zum Teil eines größeren Werkes, durch die große Kunst des Dichters aber zu einer x

) Vgl. im einzelnen Roßbach in Pauly-Wissowas Realencyklopädie V (igo3), Ix26. 2 ) Justini Epitoma historiarum Philippicarum Pompei Trogi ex rec. Franz. Ruehl, Lips. 1907, XVIII Äff. 3 ) Das ist kein ursprüngliches Glied der Sage, sondern Namenmythos (Byrsa), vgl. Roßbach, a. a. 0 . 4 ) Vgl. Heinze, Virgils epische Technik, Leipzig 1903, 113, Anm. 1. 5 ) Vorgeschichte: I 3^o—68, Einleitung: etwa £ i 8 f f .

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QUELLEN DER DIDOGESCHICHTE

äußerlich und innerlich in sich abgeschlossenen, dramatisch bewegten Erzählung. Ein Glanzstück epischer Gestaltung, im Mittelpunkt die Frau, die von ihrem Geliebten verlassen wird, ihr Kampf, ihre Verzweiflung, ihr Wahnsinn und ihr Tod. „Ideal der heroischen Königin" . . . . „vollkommen, erläge sie nicht der Versuchung, die alles überwältigend an sie herantritt" 6 ): das hat Virgil aus Dido gemacht. Eine Frau nicht ohne Schuld, aber ohne alles Kleine, Häßliche, Herabziehende; stolz, in allem Königin, doch im Grunde immer Weib, das seine Bestimmung in der Liebe zum Mann findet, eine der wahrhaft großen Liebenden der Antike. Und auch in dem Gesamtgefüge der „Aeneis" bedeutet die DidoHandlung mehr als eine retardierende Liebesgeschichte, mehr als bloße Station auf Aeneens Irrwege. Sie läßt vielmehr die Tragik ahnen, die auf dem großen Menschen ruht, der seinen Weg gehen muß, über andere Menschen hinweg und mit Überwindung seiner eigenen Gefühle, die Tragik des Helden, dem eine große Zukunft verheißen ist. Sie bringt in Aeneens Leben den Augenblick, zu dem er sagen möchte: „.Verweile doch, du bist so schön", und über den er weiterstrebend hinaus muß. Im Konflikt zwischen Neigung und Pflicht hat die Liebe zugunsten der großen Aufgabe, das römische Reich zu begründen, zurückzutreten. So ordnet sich die Didogeschichte als innerlich berechtigtes Glied dem römischen Nationalepos ein. Wenn Virgil auch nicht der Erfinder der Didogestalt gewesen ist, so steht er doch am Anfang der Geschichte des Didostoffes in der Weltliteratur. Seine Didoerzählung wurde Quelle und Anregung und blieb schließlich nie erreichtes Vorbild f ü r unzählige Dichter aller Kulturvölker. Ohne ihn wäre Dido wohl noch heute, was sie vor ihm war: Heldin einer antiken Lokalsage; durch ihn wurde sie zu einer immer und immer wieder geformten Gestalt der abendländischen Dichtung, zum Prototyp des heroischen Weibes. Darum ist sie eigentlich Virgils Geschöpf, zugleich die einzige Figur eines römischen Dichters, die in die Weltliteratur eingegangen ist 7 ). — Und wenn einzelne Dichter sich zuweilen der alten Didosage erinnert und sie poetisch erneuert haben, dann ist auch das mittelbar Virgil zu danken. Denn nur der Ruhm, den er der Dido gegeben hat, hat in den meisten Fällen das Interesse f ü r ihr Urbild geweckt.

*) Heinze, a.a.O., 278; vgl. überhaupt 113 ff. ') Vgl. Heinze, a.a.O., 229.

I. DIDO IM

MITTELALTER.

Virgil wurde im Deutschland des früheren Mittelalters genau wie in den anderen christlichen Ländern der am meisten gelesene und am meisten nachgeahmte antike Dichter, was er vor allem seiner angeblichen Christusprophetie zu verdanken hat 1 ). Sein Einfluß auf die Dichtung der deutschen Geistlichen begann deshalb schon sehr früh. Als Vorbild f ü r Form und Stil war er bereits im 8. und 9. Jahrhundert von so großer Wichtigkeit, zumal f ü r die Epik in lateinischer Sprache, daß man diese Zeit eine aetas vergiliana genannt hat2). Was andererseits seine Stoffe anbetrifft, so kam hier aus naheliegenden Gründen eine Beeinflussung nicht in Betracht, solange die Träger der Dichtung ausnahmslos Kleriker waren und ihre Stoffe aus christlicher Überlieferung oder heimischer Sage stammten. Das wurde anders, als im 12. Jahrhundert das internationale Rittertum emporstieg, ein ganz neues Lebensgefühl sich geltend machte, ganz neue Ideale in den Vordergrund traten. Die beiden Faktoren, die jetzt in den Mittelpunkt des Lebens und der Dichtung rückten: Helden und Minne, herrschten beide als Ideale auch in den bekannten Werken der Antike, insbesondere bei Virgil und Ovid. Und da nun jede neue Kultur- und Literaturströmung zunächst der Stützen bedarf, so war es nur natürlich, daß sich die junge Rittcrdichtung auf der Suche nach geeigneten Vorwürfen an die mit diesen ihren eigenen Idealen durchsetzten antiken Stoffe anlehnte und sie der neuen Kultur dienstbar zu machen strebte. So wurden die „Eneide" Heinrich von Veldekes, das „liet von Troye" Herbort von Fritzlars und die „Metamorphosen" Albrecht von Haiberstadts die ersten Romandichtungen des aufblühenden Rittertums in Deutschland.

') Vgl. Th. Creizenach, Die Aeneis, die 4. Ekloge und die Pharsalia im Mittelalter, Progr. Frankfurt a. M. i8642 ) L. Traube, Vorlesungen und Abhandlungen II, München 1 9 1 1 , 1 1 3 .

4

HEINRICH VELDEKE UND DER ROMAN D'ENEAS 1.

Heinrich

von

Veldeke.

Mit Heinrich von Veldekes „ E n e i d e " 3 ) (etwa 1 1 7 0 — 1 1 9 0 entstanden) 4 ), dem frühesten unter diesen g r o ß e n Romanen mit antiken S t o f f e n , beginnt auch die Geschichte des D i d o s t o f f e s in Deutschland. Eigentlich ist dieses W e r k nichts weiter als die Übersetzung eines höfischen französischen „ R o m a n d'Eneas" 5 ) von etwa 1 1 6 0 , der seinerseits nur eine Übertragung Virgils sein will. D o c h diese mittelalterlichen „ Ü b e r s e t z u n g e n " suchen j a nie objektiv den alten Geist zu bewahren, sondern sind i m m e r bewußte Umsetzungen des gegebenen W e r k e s in ihre W e l t . „ S o ganz unhistorisch" wird alles „ g l e i c h auf den ersten W u r f den mittelalterlichen Anschauungen und Verhältnissen angeglichen" 6 ). D e r französische Dichter hat aus der „ A e n e i s " also einen völlig mittelalterlichen R o m a n gemacht, den Heinrich von Veldeke nun aber auch nicht W o r t f ü r W o r t übertragen hat, — sonst würde man ihn j a nicht zu den deutschen Behandlern des D i d o s t o f f e s rechnen können. A u c h er hat seiner Übersetzung ein starkes Eigengepräge gegeben, wenngleich die Basis dieselbe geblieben ist, denn die Ritterund Minneideale waren international und dazu galt das französische Rittertum als vorbildlich. E i n Vergleich zwischen dem französischen und dem deutschen R o m a n verdeutlicht die verschiedene Wesensart der beiden D i c h t e r : der Franzose ist von g r ö ß e r e r Lebendigkeit, seine Schilderungen sind dramatisch bewegt, realistisch und dichterischer gesehen als die des schwerfälligeren Deutschen mit seiner epischen A u s f ü h r l i c h k e i t und den ethischen Grundsätzen 7 ). ( D a das gerade in der A u f f a s s u n g der Didogeschichte klar zum A u s d r u c k k o m m t , ist es hier zu erwähnen.) W i e sieht schließlich in dem deutschen R o m a n die Didogeschichte aus? Sie nimmt zunächst innerhalb des Romanganzen eine etwas andere Stellung ein wie bei Virgil. D a d u r c h , d a ß der Held eines Ritterromans gleichzeitig Held im K a m p f und Held in der Minne zu sein, auf dem Feld der Liebe genau wie in der Schlacht zu bestehen hat, gewinnt sie von einer anderen Seite her Bedeutung. W ä h r e n d sie bei dem R ö m e r trotz aller tiefen technischen und künstlerischen Verankerung doch eben 3)

Herausg. von Otto Behaghel, Heilbronn 1882. Vgl. F. Vogt, Geschichte der mhd. Literatur I, Berlin 1922, 182. 6 ) Herausg. von Jacques Salverda de Graves, Halle 1 8 9 1 . 6) J. Schwietering, Einwirkung der A n t i k e . . . Z . f . d . A . 61 (1924), 7 ) Vgl. G. Ehrismann, Gesch. d. dtsch. Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, 2. Teil, II, 1, München 1927, 8 7 f r . 4)

MILIEU BEI HEINRICH VON VELDEKE

5

nur ein Zwischenstück ist, wird sie bei dem Dichter des höfischen Mittelalters zu einem unerläßlichen, dem Übrigen gleichberechtigten Romanstück, überhaupt zum Inhalt des ganzen ersten Teiles8). Bei Virgil ist sie der Haupthandlung untergeordnet, bei Heinrich von Veldeke nebengeordnet. Die dadurch bedingte Dehnung des Inhalts wird durch Beschreibung und Ausmalung von Einzelheiten leicht erreicht, was in der Didogeschichte den mittelalterlichen Hintergrund besonders vertieft. Die Dichtung sollte ja damals Vorbild f ü r das Leben sein, darum mußte ein höfischer Roman die ganze höfische Kultur lebendig werden lassen. Was äußerlich und innerlich mit ihr nicht zusammenklingt, ist konsequent beseitigt. Carthago als Schauplatz der Didogeschichte ist mittelalterlichen Anlagen entsprechend eine große „borch" mit sieben Pforten und 700 Türmen. An jeder Pforte sitzt ein Graf, der im Kriegsfall die Burg mit 3oo Rittern verteidigen muß. Breite Straßen mit schönen Häusern und marmornen Palästen führen zu der am Ende der Stadt gelegenen Wohnung Didos. „da stont ein rike palas end skone kemenäden herlike beräden."3)

Didos Wohnraum ist die Kemenate. In ihr ist es schön warm, ein Feuer brennt, Kerzen geben dem Raum am Abend die Helle des Mittags. Und noch weiter geht der mittelalterliche Dichter; er hat seine Freude daran, uns aufs genaueste das Bett zu beschreiben, das in dieser Kemenate steht, und das Dido als Ruhelager f ü r Aeneas bestimmt. Vom Decklaken aus Purpur und Marderfell bis herunter zum Stroh, auf dem die Matratze liegt: hier offenbart sich ein Stück mittelalterlicher Denkweise, nach der eine solche Schilderung von Ordnung im Haushalt als ein Muster f ü r die höfischen Damen in einen Roman gehört 10 ). Ebenso wird an anderen Stellen höfische Ausstattung bis in Einzelheiten betrachtet. Als Dido auf die Jagd reitet, beschreibt Veldeke ihre modische Kleidung, die Ausstattung ihres Pferdes; und die Geschenke, die Aeneas Dido überreicht, sind dementsprechend ganz nach mittelalterlichem Geschmack gewählt. Die Personen der Didohandlung gehören mittelalterlichen Ständen an11). Aeneas ist in Troja Herzog, seine Genossen sind alle turnier8

) Vgl. Ehrismann, a. a. 0., 92 f. ») Vers 4o4—4o6. 10 ) Vgl. Woerner, Virgil und Heinrich von Veldeke, Z. f. d. Ph. 3, x3g. ") Vgl. ebenda.

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HÖFISCHES BEI HEINRICH VON VELDEKE

fähige Ritter. Dido in ihrer eigenartigen Stellung, wie sie durch ihre Vorgeschichte gegeben wird, und wie sie der mittelalterliche Dichter nicht fallen lassen konnte, obgleich sie ihm innerlich gar nicht lag, wird zu einer Art Stadtherrin von königlicher Abkunft, zur Lebensherrin der Grafen, die zu ihr „flehen" 12 ) müssen. Um sie herum gruppiert sich ihr Personal: die Frauen, der Jägermeister, der Kämmerer. Natürlich wahren alle peinlich die höfische Etikette. Die Romanfiguren sollten ja gerade durch ihr Benehmen vorbildlich wirken. Heinrich von Veldeke ist hierin besonders genau und verbessert darum noch seine Vorgänger 13 ). Nach seiner Landung sendet Aeneas 20 Ritter aus, die zu Dido gelangen und „empfangen" werden. Sie lädt Aeneas ein. und gibt den Rittern Urlaub, damit sie ihm die Einladung überbringen können. Aeneas wählt daraufhin 5oo Ritter von besonders vornehmem „gebären" 11 ) aus, kleidet sich herrlich und reitet mit ihnen zu Dido, durch die geschmückten Straßen hindurch, auf denen sich schön geputzte Frauen und Mädchen drängen. Mit dem Empfangskuß wird er von Dido, die ihm entgegengeht, willkommen geheißen. Aus der einfachen Erzählung Virgils von der Aufnahme der Heimatlosen ist also eine lange höfische Prozedur geworden. Und entsprechend auch weiter: Dido geleitet am Abend ihren Gast in sein Schlafgemach; beim Aufbruch auf die Jagd hilft Aeneas ihr aufs Pferd; als dann der Sturm ausbricht, ist er ihr beim Absteigen behilflich, und nach der Liebesszene hilft er ihr wieder hinauf. Darin, daß das immer besonders erwähnt wird, liegt das Charakteristische. Die antiken Götter sind innerhalb dieses Milieus unmöglich. Sie sind fast ganz verschwunden und mit ihnen die zahlreichen Szenen im Olymp und die Opfer 15 ). An einer Stelle wird ein „Münster" zu Ehren Junos erwähnt, und als Dido zur Jagd reitet, vergleicht sie Veldeke mit der „godinne von dem wilde"16). Den Befehl zur Abreise geben Aeneas „die gote"17)( die Götter also als Ganzes, ohne daß das weiter erklärt wird. Das sind die Reste der regen Göttertätigkeit bei Virgil. Nur eine einzige Göttin ist geblieben: Venus mit ihrem Anhängsel Cupido. Ist doch die antike Venus als die Minnegöttin „frouwe 12

) ") ") 15 ) Poesie 16 ) ")

Vers 370. Vgl. Ehrismann, a.a.O., 89f. Vers 681. Vgl. Woerner, a.a.O., 129 ff.; Cholevius, Geschichte der deutschen nach ihren antiken Elementen I, Leipzig i854, 102 f. Vers 1795. Vers ig58.

HEINRICH VON VELDEKE: GESTALT

DER DIDO

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minne" eine stehende Figur der höfischen Dichtung, die in jeder Liebesgeschichte auftritt. So wird sie auch bei Veldeke reichlich beschworen. Sie läßt Dido durch den Kuß des Askan in Liebe zu Aeneas entbrennen und treibt diese Liebe dann immer von neuem an. Zu ihr fleht Dido um Hilfe, ihr will sie opfern, und ihr gibt sie schließlich alle Schuld am Unglück. Freilich alles, was bei Virgil über Venus' Funktion als bloße Liebesgöttin hinausgeht: ihre Streiterei mit Juno, ihre Rolle als Beraterin ihres Sohnes, dem sie den Weg zur Königin weist, ist folgerichtig dem Schicksal der übrigen Götterszenen anheimgefallen und weggelassen. Auch die berühmte Schilderung der Fama, die als Halbgöttin und ihrer ganzen Erscheinung nach ausgesprochen antik ist, ist verschwunden. Mit diesen tiefgreifenden Veränderungen geht die Umgestaltung der Liebesgeschichte selbst und ihrer tragenden Charaktere zusammen. Die mittelalterliche Umgebung mit ihrem strengen Achten auf höfischen Ton, mit ihrer Forderung von zuht und mäze — und dazu die antike Dido, Idealbild des heroischen Weibes mit all ihrem Übermaß: das sind zwei Welten, die sich nicht vereinen lassen. Das romantischere Mittelalter hatte f ü r Heroentum bei einer Frau kein Verständnis18). Freilich mußte Didos Stellung in ihrer Eigenart beibehalten werden, da in der Vorgeschichte ja gerade ein Reiz des Abenteuerlichen liegt, der der Zeit zusagte. Aber innerlich war ihr die Verknüpfung von Stadtherrin und Liebender ganz fremd. Und so ist es dem höfischen Dichter nicht gelungen, beides gleichzeitig glaubhaft zu machen. Dido ist Herrin über eine Stadt, das gibt ihm erwünschten Anlaß, Pracht und Vornehmheit zu betonen; aber in dem Moment, wo Dido zu lieben anfängt, vergißt er ihre Stellung, und sie ist ihm nur noch Weib (im Gegensatz zu Virgil, wo sie immer auch Königin bleibt). Sobald die Liebe in ihr erwacht, wird sie das Ideal der mittelalterlichen Herzensdame, der vornehmen liebenden Frau des 12. Jahrhunderts, die der Sehnsucht nach dem Geliebten lebt und darin ganz aufgeht, natürlich ohne den höfischen Anstand zu verletzen. Eben das, was ihr bei Virgil fehlt, das Mädchenhaft-Kindliche, hat die Dido Veldekes als beherrschenden Wesenszug. Sie ist recht eigentlich eine schwache Frau. Hinter solcher Auffassung steht die weichere und sentimentalere Liebesdoktrin eines anderen antiken Dichters, Ovids19). In seinem Geiste wird die Didogestalt gesehen: durchaus sentimental und ohne die frauenhafte Reife, die sie bei Virgil hat. Sie wird liebeskrank, fieber18

) Vgl. Cholevius, a.a.O., 102. ) Vgl. Schwietering, a.a.O., 65.

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HEINRICH VON VELDEKE: GESTALT DER DIDO

haft bald blaß, bald rot, ihr ist heiß und gleich darauf friert sie. In zärtlicher Verliebtheit verzehrt sie sich f ü r Aeneas: sie führt ihn an der Hand ins Schlafgemach20), verläßt ihn ungern, und als sie dann selbst, nicht ohne seine Geschenke geküßt zu haben, ihr Bett aufsucht, kann sie lange Zeit nicht einschlafen. Schließlich träumt sie von Aeneas und küßt das Deckbett in dem Glauben, er sei es. Am Morgen gesteht sie der Schwester ihre Verliebtheit, und von ihr nach dem Geliebten befragt, kann sie den Namen Aeneas nur in einzelnen Silben aussprechen. So voll Scham ist sie. Bei der Vereinigung der Liebenden auf der Jagd, die unter einem Baum und nicht in der Höhle Virgils vor sich geht, übernimmt der höfische Dichter den Gedankenstrich des Römers nicht, sondern führt die Situation in sehr zarter, ein wenig an Walthers „Unter der linden" erinnernder Weise weiter. Hier spürt man den Frühling des Minnesangs, und wie der Dichter sich bemühte, das Wesen der Minne mit all ihren Reizen darzustellen. Dido läßt alles mit sich geschehen, doch danach mischt sich in die Freude ein Reuegefühl darüber, daß sie sich dem Geliebten so widerstandslos gegeben hat. Überhaupt wird häufig ihre weibliche Ehre betont, die mit der Liebe kämpft; man merkt das höfische Ideal der zuht 21 ). Die völlige Passivität dieser Dido, ihre Weichheit und Schwäche tritt ganz klar zutage, als sie Aeneens Abfahrt ahnt und erfährt. Natürlich mußte Veldeke die heftigen Affekte, die furchtbare Leidenschaftlichkeit der im tiefsten verletzten antiken Dido mildern. Das Resultat ist eine ewig weinende Frau, jammernd und klagend, die den untreuen Mann wohl schilt, ihm im Grunde aber nicht böse sein kann. ,,Si viel decke in onmacht"22): das zeigt diese Dido mit ganzer Deutlichkeit. Bei Virgil steht das stolze, mächtige Weib auf dem Scheiterhaufen, Verwünschungen schleudernd, bei Heinrich von Veldeke eine trauernde Frau, die sich selbst alle Schuld gibt und Aeneas sterbend verzeiht, und deren Selbstmord von dem Dichter mit geistiger Umnachtung entschuldigt wird 23 ). Zu dieser Dido paßt es, wenn ihre Asche in einem grasgrünen Sarge aus Chrysopras beigesetzt wird, der in goldener Schrift Namen und Ursache des Todes nennt"). (Dieses Grabmal geht übrigens wohl auf das Vorbild von Ovids „Heroides" zurück, bloß das es dort aus Marmor ist25). 20 ) Vgl. Cholevius, a. a. 0., 106. 21 ) Vgl. Ehrismann, a. a. 0., 90. 22 ) Vers 22^8. 23 ) Vgl. Woerner, a.a.O., 157; Cholevius, a.a.O., io5. 21 ) Vgl. Cholevius, a.a.O., 108. «) VII, 195 ff. (Herausg. v. Sedlmayer, 1886).

HEINRICH VON VELDEKE: AENEENS

CHARAKTER

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Aeneas erscheint uns innerhalb der Didogeschichte durchaus nicht als Ideal des vollkommenen Ritters. Äußerlich befolgt er pedantisch die höfische Etikette mit allen ihren Finessen, und es ist undenkbar, daß er irgendein Gebot des Anstandes verletzen könnte. Aber seine innere Haltung D i d o gegenüber ist höchst unglücklich, um nicht (mit Ehrismann) 26 ) zu sagen, jämmerlich. F ü r das G e f ü h l eines Römers war Aeneens Trennung von Dido schicksalsnotwendig; Aeneas m u ß weiter, um seine Mission zu erfüllen und das römische Weltreich zu begründen, und dieser großen A u f g a b e fällt D i d o zum Opfer. Das konnte der mittelalterliche Mensch nicht empfinden, und so lag die Gefahr nahe, daß die Flucht als Schwäche wirkt. Der französische Dichter versuchte, Seelenkämpfe zu geben 27 ), Veldeke aber übernahm das nicht. Vielleicht hatte er nicht das poetische Einfühlungsvermögen 28 ). So folgt Aeneas bei ihm ohne Widerrede, ohne Überlegung, ohne K a m p f dem Spruch der Götter. Traurig ist er, das Scheiden tut ihm weh, er ist betrübt, es tut seinem Herzen leid; aber die Not zwingt ihn, und darum bleibt ihm nichts übrig, als Dido zu trösten, ihr zu versichern, d a ß er nie so geliebt habe, sie zu bitten, ihm zu vergeben. Mit leeren Phrasen setzt er sich über seine Untreue hinweg und überläßt die Unglückliche ihrem Schicksal. An dieser Stelle, wo es darauf ankam, eigenmächtig zu vertiefen, merkt man allzu deutlich die begrenzte Fähigkeit des höfischen Dichters, der übermäßigen W e r t auf äußere Form legt. Die Personen um Dido und Aeneas, die bei Virgil doch alle eine gewisse Eigennote haben, sind bei Veldeke zur völligen S t a f f a g e verurteilt. Hiarbas ist gänzlich verschwunden, nur die „Herren achter lande"23) werden erwähnt. Im höfischen Gewand hat die Didogeschichte ihre Eigenart, diese ganz einmalige Gültigkeit unter besonderen Bedingungen, die sie in der antiken Fassung Virgils hat, verloren. Sie ist einer Norm angenähert, zu einer mustergültigen Liebesgeschichte geworden, wie sie damals in das Leben jedes Romanhelden gehörte, und wie man sie sich f ü r die Wirklichkeit ersehnte. D i d o selbst wird die ideale Geliebte, die ganz ihrer Liebe lebt und von dem geliebten Mann verlassen zugrunde geht. Doch hat Heinrich von Veldekes Fassung des Didothemas eine durchaus originelle Stellung in der Geschichte dieses S t o f f e s in Deutschland: Sie ist die einzige, in der die klassische W e l t ganz in eine moderne umgesetzt ist, in der nicht der geringste Versuch gemacht wird, ein 2«)

a.a.O., 93. Vgl. Ehrismann, a.a.O., 91. 28) Wie Ehrismann ebendort meint. 29) Vers 1921. 27)

10

DIDO IN DER HÖFISCHEN DICHTUNG

antikes Moment, nur weil es antik ist, beizubehalten. Das liegt an der Zeit, die sich antiken Stoffen zuwandte, weil sie ihr inhaltlich zusagten, die indessen klassizistischem Streben irgendwelcher Art gänzlich fernstand. 2.

Anklänge.

Der Didostoff hat im Mittelalter keine Bearbeitung mehr gefunden. Doch die Didogestalt, so wie sie Heinrich von Veldekc zuerst gesehen hat, hat weitergewirkt. Durch ihn ist sie aus dem Prototyp des heroischen Weibes f ü r das spätere Mittelalter ein Prototyp der sentimentalen Verliebten geworden. Als solcher hat sie viele Frauenfiguren der höfischen Dichtung beeinflußt 3 0 ). Aeneas und Dido wurden f ü r die ritterliche Kultur eines der großen, vorbildlichen Liebespaare, und zwar das neben Tristan und Isolde am meisten genannte und am glühendsten bewunderte. So lassen sich in den höfischen Romanen wie in den Liedern des Minnesangs zahlreiche Erwähnungen Didos finden. Tristan singt den „leich von Didöne"31) und erzählt seiner Isolde in der Minnegrotte davon, „daz ez der küniginne von Tire und von Sidöne, der seneden Didöne durch sene so jaemerliche ergie."3-) So wird bei W o l f r a m die Burg erwähnt, „da froun Didön tot was minnen

pfant"33),

und bei den Minnesängern werden Aeneas und Dido gern zu Vergleichen herangezogen 34 ). II.

DIDO

IM

16.

JAHRHUNDERT.

Zugleich mit dem Sinken der höfischen Kultur ist auch die Didogestalt aus dem Bewußtsein der deutschen Literatur geschwunden. Andere Interessen, andere Stoffe beherrschten das ausgehende Mittelalter des i 4 . Jahrhunderts, neben der Mystik stand eine realistische, mehr und mehr verbürgerlichte Epigonendichtung. Erst als dann 30

) «) 32 ) 33 ) 34 )

Vgl. Schwietering, a.a.O., 7 3 f . Gottfried von Straßburg, Vers i 3 3 5 i . Ebenda, Vers 17 198 f f . Parzival 399, ilx. Vgl. Lachmann-Haupt-Vogt, Minnesangs Frühling, 42, 1.

11

DER DIDOSTOFF IM 16. JAHRHUNDERT

Renaissance und Humanismus in Deutschland eindrangen und sich die ganze Aufmerksamkeit der antiken Dichtung zuwandte, als massenhafte Übersetzungen die antiken Literaturwerke in weite Kreise trugen, da waren wieder die Bedingungen erfüllt, unter denen ein Stoff wie der von der Königin Dido zu neuer Behandlung gelangen konnte. Neben der Virgilschen Fassung wurde nun auch die alte Sage bekannt, durch die Übersetzung Justins und des von ihm abhängigen Boccaccio. Trotzdem hat es noch ziemlich lange gedauert, bis man sich an Bearbeitungen des Didostoffes heranwagte, wohl weil die aufkeimenden und ausbrechenden Reformationsstreitigkeiten zunächst andere Themen verlangten. Jedoch sobald man sich erst einmal auf ihn besonnen hatte, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, ließ man ihn nicht wieder los, so daß sich in einem Zeitraum von fünfzig Jahren eine außerordentlich große Zahl von Didowerken zusammendrängt. Und das ist eigenartigerweise nicht nur in Deutschland so; auch in Frankreich, England, Spanien, Italien und den Niederlanden blühte das Didodrama von i55o bis 1G10. (Etienne Jodelle I5Ö2, de la Grange I582, de Hardy i6o3; Cambridger Dido Gager i583, Marlowe-Nash Giraldi Cinthio i543, Dolce 1 5 4 7 ' Virues 1 6 0 9 ; de Mol I 5 5 I ) . I11 Deutschland haben sich in dieser Zeit beide damals nebeneinander hergehenden Literaturströmungen, die volkstümlich-deutschsprachige und die humanistisch-gelehrte lateinische, des Didostoffes bemächtigt. Obgleich sie aus ganz verschiedenen Motiven heraus zu ihm hinkamen und ihn dementsprechend auffaßten, konnten sich indessen beide nicht von den antiken Quellen freimachen. 1. Behandlungen

des Stoffes a) H a n s

in der

Volkssprache.

Sachs.

Unter den Werken des Hans Sachs, der ja fast alle damals erreichbaren Stoffe einmal in eine seiner Lieblingsformen gegossen hat, befindet sich die erste deutschsprachige Behandlung des Didostoffes im 16. Jahrhundert. Hans Sachs verfaßte seine „Historia. Die königin Didonis"1) am 22. Dezember 1557. E r nennt selbst als seine Quelle „Johann Bocatius"; er hat die Didogeschichte also aus der Stainhöwelschen Übersetzung der „clarae mulieres" 2 ) geschöpft. Es ist die vorvirgilische Fassung Bibl. des Lit. Vereins in Stuttgart, Bd. 121: Hans Sachs 8, herausg. v. Adolb. v. Keller, Tübingen 187/j, 668 ff. 2 ) Bibl. d. Stuttg. Lit. Vereins, Bd. 2o5, herausg. v. K. Drescher, Tüb. 1895, i/|3 ff.

12

HANS SACHS UND JUSTIN

der Didogeschichte, die bei Boccaccio steht, und zwar im engen Anschluß an Justin erzählt. Hans Sachs kannte nun Justin auch unmittelbar aus Boners Übersetzung 3 ), so d a ß m a n mit der Möglichkeit rechnen m u ß , d a ß er diese f ü r die Didohistorie heranzog, obgleich er selbst nichts davon erwähnt, wie er es in einer anderen Historie ausdrücklich tut 4 ). W e n n m a n von der langen Betrachtung über Keuschheit u n d Treue von Witwen am Ende absieht, so kommt Boccaccios Didokapitel 5 ) einer Abschrift von Justin, XVIII, 4—6 6 ), sehr nahe. Nur in Einzelheiten hat er Justin gekürzt oder anders a u f g e f a ß t , ohne dadurch die Verständlichkeit zu erhöhen. So fehlt bei ihm Didos erheuchelter Versöhnungsvorschlag vor ihrer Flucht, und dadurch bekommt die ganze Flucht eine veränderte Note. Es fehlt der Hauptgrund, der die cyprischen J u n g f r a u e n ans Meer treibt. Bei Justin wird bei der Grundsteinlegung zur neuen Stadt zuerst ein Stierkopf u n d dann, nachdem d a r a u f hin dieser Platz aufgegeben ist, ein Roßkopf g e f u n d e n ; Boccaccio läßt diesen sofort finden. Einige Umstellungen und Namensänderungen kommen hinzu. Aber auch Zusätze hat Boccaccio gemacht. In dem Bestreben zu verbreitern erzählt er, wie Dido im Schlaf zur Flucht vor ihrem Bruder gemahnt wird, gibt er eine Reiseroute an und schwellt vor allem im zweiten Teil die Geschichte durch E i n f ü g u n g mehrerer Reden stark a u f . Schließlich will er als Humanist doch seine Kenntnis Virgils anbringen und f ü g t darum neben eine E r k l ä r u n g , warum Elissa später D i d o genannt wird (bei Justin heißt sie ja nur Elissa), vor Didos Tod einen Hinweis darauf ein, d a ß Aeneas von T r o j a gekommen u n d von ihr aufgenommen worden sei. So macht Boccaccios Fassung einen etwas breiten Eindruck, und sein Übersetzer Stainhöwel hat den eher verstärkt als gemildert. Keinerlei künstlerisches oder historisches Interesse an dem Didothema hat Hans Sachs zu diesem S t o f f e g e f ü h r t , sondern lediglich naive Freude an der Handlung mit ihren verschiedenartigen und abenteuerlichen Motiven und die didaktische Nutzanwendung, die sich so bequem ziehen ließ. Hans Sachs las ungeheuer viel, u n d wo er einen 3

) Des Hochberühmptesten Geschichtschreybers Justini warhafftige Hystorien... die Hieronimus B o n e r . . . vertolmetscht h a t . . . , Augspurg i 5 3 2 , 4 ) a. a. 0., 146: „Der geschichtsschreiber Justinus, Auch Johannes Bocacius Beschreibt...". J ) Joannis Bocatii, De certaldo insigne opus de Claris Mulieribus, Bernae Helvet 153g, Cap. XL. 6 ) Vgl. Schück, Boccaccios lateinische Schriften historischen S t o f f e s . . . , Fleckeisens Jahrbücher f. Philol. u. Pädagogik, n o (1874), 471.

HANS SACHS UND BOCCACCIO

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Stoff fand, der ihn anzog, da formte er ihn neu in einer der von ihm bevorzugten Gattungen. Ob das nun ein antiker, ein orientalischer oder deutscher Stoff war, aus der Mythologie, der Sage oder Geschichte, das galt ihm völlig gleich; er mußte nur auch Gelegenheit zu einer „Moral" geben. Denn Sachs wollte Pädagoge sein, am Ende jedes Werkes etwas lehren. Die standhafte Witwe Dido, die lieber stirbt, als daß sie ihrem toten Gatten untreu wird, eignete sich zu diesem Zweck sehr gut. In ihr konnte er den Frauen seiner Zeit das Vorbild hinstellen: „Da seht ihr, was Zucht und Keuschheit ist!" Zudem hatte das bereits sein Gewährsmann Boccaccio breit ausgeführt. Die von Sachs häufig gewählte Form der „Historie" — es sind paarweis gereimte Vierheber — verlangt ziemlich knappe Erzählung und eignet sich nicht zu breiten Schilderungen. Und da Sachs ja auch nur in kindlicher Lust die abenteuerlichen Ereignisse erzählen wollte, während Boccaccio überall sein Wissen zu zeigen strebte, so geht er gleich in medias res, indem er die Einleitung über Didos Vorfahren wegläßt, und setzt mit dem Tode von Didos Vater Belus ein. Er streicht das überflüssige Beiwerk, das Boccaccio eingefügt hat: die Erwähnung der Aeneas, die Entstehung des Namens Dido (bei Sachs heißt sie von Anfang an so), die Nebennamen des Sichaeus, den Reiseweg. Es fehlen bei ihm weiterhin die Züge, daß Sichaeus das Geld verborgen hat, daß Dido auch noch von den Schätzen ihres Bruders mitnimmt. Er kürzt die Darstellung von der Aufnahme bei der Landung, läßt die f ü r den Verlauf der Handlung völlig belanglose Rüstung des Bruders und die Einzelheiten vom Bau der Stadt fort. Im zweiten Teil beseitigt er vor allem überflüssige Breiten und Wiederholungen. Dadurch kommt größere Klarheit in das Ganze, die Erzählung kann in kurzen Sätzen, Punkt f ü r Punkt, hintereinander gegeben werden. Der Eindringlichkeit zuliebe nimmt Sachs auch Änderungen vor, fügt hinzu und stellt um. Dido flieht „bey eytler nacht" vor Pygmalion, sie sagt den Gefährten, sie wolle gen Tyrus fahren. Den scheinbar versenkten Schatz zeigt sie ihnen gleich nach der Landgewinnung, nicht erst mit Boccaccio nach den Vorzeichen. Der Deutlichkeit halber setzt Sachs an einigen Stellen Zahlen ein: 70 Jungfrauen läßt Dido auf Cypern rauben, 12 Bürger sollen zu dem Musicaner-König kommen, 3 Monate Bedenkzeit bittet sie sich aus. Zu diesen Zahlen f ü h r t e ihn seine Kenntnis des Justin, den er wirklich herangezogen hat 7 ) (allerdings sind es da 80 Jungfrauen). Denn auch sonst ist im Anschluß an ihn geändert. Auf der Flucht wird zuerst der Priester mitge') S. o. S. 12.

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HANS SACHS UND STAINHÖWEL

nommen, danach erst die Jungfrauen; und die Begründung Justins, daß diese Mädchen am Gestade des Meeres sitzen, um sich einen Brautschat/ zu gewinnen, wird wieder aufgenommen. Das sind zwar Kleinigkeiten, aber sie beweisen, daß Hans Sachs Justin benutzt hat und bestrebt war, recht deutlich zu sein. Trotzdem ist ihm dies nicht überall gelungen. Die Rolle der Fürsten auf der Flucht ist nicht ganz durchsichtig, und die Bemerkung, daß die Stadt wegen des Roßkopfes Carthago genannt wird, zeigt, daß er seine Quelle nicht immer verstanden hat. Dort wird nämlich die Burg nach der Ochsenhaut Byrsa genannt, der in demselben Satz erwähnte Name Carthago aber nicht erklärt. Im einzelnen läßt sich eine oft wörtliche Abhängigkeit von der Boccaccioübersetzung Stainhöwels feststellen. Dafür einige Beispiele: i. Stainhöwel: „zehand ward ain grosser zuloff von dem nach gelegnen volle umb begird die fremden gest zesenhen." Hans Sachs: „Ein grosser zulauff war zuhand Von den lantsessen in der nehen Die frembden geste zu besehen." 2.

Stainhöwel: „Lieben darumb kainem,

burger, üwer begeren ist, daz ich wider in die ee komme, O Sichee, Sichee, Sichee! so beger ich und wil zu wann zu dir."

Hans Sachs: „Hört zu, ir lieben burger meinI Es ist ewer aller beger, Das ich wider vermehelt wer — (Si antworten ir alle: Ja Mit hoher stim schrier sie alda:) 0 Sychee, Syche, Syche Heins andern manns beger ich me Denn, hertzen-lieber gmahel, dein."

HANS SACHS: CHARAKTERE

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3. Stainhöwel: „. vergosz

sie so vil raines

bludts ieres küschen

herczen."

Hans Sachs: „. vergoss

ir keusches

blut."

(Bei 2 hat Sachs einmal Boccaccios kurze Rede ein wenig gedehnt, aber nur, um Unklares zu beseitigen. 3 dagegen gibt einen Begriff davon, wie Sachs kürzte.) Die Charaktere sind bei Sachs völlig auf Schwarzweißzeichnung gestellt. Das ergibt sich zwar schon aus der Struktur dieser älteren Fassung, wird aber erst bei ihm ganz durchgeführt, während Boccaccio noch eine gewisse Milderung des Nur-Gut und des Nur-Böse, so vor allem bei Jarbas und Dido selbst, versucht hat. Sachs streicht diese einschränkenden Stellen und zeichnet die Charaktere als Superlative mit stereotypen Eigenschaften. Sychaeus ist der „edel jängling", Dido die Witwe „in schäm und zucht" und Königin, „die regieret weysslich", Um der Musicaner-König „grob, rüdisch sambt seins volches schar". so leichter läßt sich dann als „beschluss" die Lehre aussprechen: „On zucht so scy ein schöne fraw Eben gleich, als wenn ein saw Hab auff der nasen ein gülden spangen." Mit diesem Salomozitat stellt Sachs den „sittenlosen" Frauen seiner Zeit die heidnische Witfrau als Vorbild hin. Hans Sachs' Historie ist die knappgefaßte, aber durchaus naiv geschaute Behandlung der älteren Didogeschichte durch den Bürger der deutschen Reformationszeit, der die von den Humanisten zurückgewonnenen Stoffe der Antike bildungshungrig aufgriff und mit pädagogischen Absichten neu formte. b)

Wüst-Fischer.

i5go wurde in Augsburg eine „Tragödie von Aenea, den Trojanern und Dido zu Carthago" aufgeführt, deren Verfasser Hans Wüst und Georg Fischer (seit i 5 8 3 deutscher Schulmeister, gestorben i 6 3 3 ) waren 8 ). Doch sind alle Nachforschungen nach diesem Werk ergebnislos geblieben. 8 ) Vgl. L. Greiff, Beiträge zur Geschichte d. dtsch. Schulen Augsburgs, Augsburg i858, i 5 2 f . Danach bei: E. Weller, Annalen der poetischen Nat. Lit. d. Deutschen II, Freiburg i864, 287.

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DAMIAN TÜRCKIS

c) D a m i a n

Türckis.

Zu Hans Sachs' Historie und dem verschollenen Werk der beiden Augsburger Schulmeister gesellt sich als drittes des Damian Türckis „Schoene Newe Tragedy aus dem Ersten und Vierten Buch Virgily Von Aenaea und von der Koenigin Dido zue Agieren Miett Sieben unnd Viertzig Personen Hat 5 Aktus"3). In der Entstehungsgeschichte macht sich bereits die neue Auffassung vom Drama als Hoffestlichkeit geltend: Das Werk wurde für den sächsischen Fürstenhof anläßlich einer Feierlichkeit verfaßt, allem Anschein nach zur Vermählung des Kurprinzen Johann Georg 1 6 0 7 1 0 ) , dessen Name mit allen fürstlichen Würden und Ehrenämtern die Widmungsseite trägt. Die Fülle der 7 Personen, dieser Räte, Marschalke, Küchenmeister, Jägermeister und Frauenzimmer an Didos Hofe, wie einzelne szenische Bemerkungen11) lassen schon etwas von barockalem Hofprunk ahnen, den Türckis' zweites Drama, die in demselben Manuskript enthaltene Pyramus-ThisbeTragödie, in der Einlage von Turnieren, Hofzeremonien und welschen Tänzen dann ganz deutlich zeigt. Gewisse Wendungen deuten auch auf den Einfluß des neuen Regnartschen Liedstiles hin („Wie ein hleinn Turtelltäubelein ...", „Mit Ewern Roszinnfarben mundt . . „ M i t Ihren zarten Eugelein ..."). Indessen trotz solcher leisen barockalen Vorklänge wandelt Türckis' „ D i d o " vollkommen in alten Bahnen, bleibt inhaltlich wie formal noch ganz der derben, naiven Volkstümlichkeit des 1 6 . Jahrhunderts verhaftet und kann deshalb unmöglich bereits als Ausdruck barockaler Kunstauffassung gewertet werden. Denn Damian Türckis war alles andere als ein Bahnbrecher für neue künstlerische Anschauungen, kein Anreger, sondern ein Gelegcnheitsdichter nach bewährtem Muster. Das Versmaß ist durchgehends der Vierheber. Der Prolog erzählt nach umständlicher Begrüßung den Inhalt des ganzen Werkes, und außerdem tritt vor jedem Akt noch ein besonderer Argumentator auf, zu dem sich vor dem ersten ein Adhortator populi gesellt, der das Publikum ermahnt, sich anständig zu benehmen. Am Ende fehlt nicht der moralisierende Epilog, der aus dem Verlauf der Tragödie sechs Lehren ableitet, insbesondere die Witwen und Jungfrauen vor zu großer Liebesbereitschaft warnt, zur Überlegung mahnt und auf die Wolfenbüttel, Mscr. Nova 992. 4°. " ) Vgl. J. Bolte, A. D. B. 3g, 9. ll) „Die Räthe legen die Königinn auff den zubereilten Holtzhauffen oder Alltar. Deckhen Sie mit dem Bett und einem Teppig zue. Nachdem gehet ein fewer auff, alsz ob sie verbrennet." V, 7. 9)

HANDLUNG

BEI TÜRCKIS

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Belohnung der Frommen durch Gott hinweist. Man sieht, wenn auch f ü r einen Fürsten verfaßt, ist das Drama doch noch zur A u f f ü h r u n g vor einem großen Zuhörerkreis breiter Volksschichten bestimmt. So geht es auch nicht ohne das f ü r die Zeit charakteristische Bauernzwischenspiel, das dem Fastnachtsspiel verwandt die faulen, dummen und habgierigen Bauern verspottet, und ohne den Narren 1 2 ). Das Zwischenspiel steht mit der Haupthandlung in loser Verbindung: Die Hunde, die f ü r Didos Jagd gebraucht werden, sollen von den Bauern gestellt werden, die die Tiere indessen haben vollkommen verwahrlosen lassen; darum schilt der Jägermeister die Bauern aus (III, Zwei von ihnen unterhalten sich dann über Didos Verhältnis zu Aeneas ( I I I , 7). Der eine, Trullus, möchte gern sein schwangeres W e i b dem Teufel verkaufen, und Mephistophilus 13 ) k a u f t sie ihm wirklich f ü r 3oo Gulden ab 1 1 ); aber als er sie holen will (IV, 2), weigert sich Trullus, sie herzugeben, und m u ß darum selbst in die Hölle. Diese drei Bauernszenen zeichnen sich natürlich durch besondere Derbheit aus, um dem bürgerlichen Publikum so recht die bäuerische Roheit und Flegelei zu demonstrieren. Der Narr Gangekel befindet sich im Gefolge des Aeneas, tritt aber kaum hervor. Der dominierende Z u g des Werkes ist geschwätzige Breite. Alles, was nur irgend angeht, wird auf der Bühne vorgeführt; einzig das große Gastmahl, das Türckis mit seinen Mitteln nicht darstellen konnte, wird nur durch eine Vorszene charakterisiert, und über den weiteren Verlauf berichten die Knechte des Aeneas. Aber mit dieser einen Ausnahme wird alles vor den Zuschauern verlegt: Nicht bloß Aeneens Ankunft in A f r i k a , die j a der Exposition dienen muß, sondern auch die ihr völlig entsprechende Landung der verlorenen Genossen (I, 5). Didos Besprechungen mit dem Küchenmeister wegen des Mahles (II, 2), die Anordnungen f ü r die Jagd (III, 5) usw. bilden breit ausgeführte Szenen, in denen alle Einzelheiten bis ins kleinste erörtert werden. Zwei Räte Didos prophezeien schon anfangs der überklugen Königin Unglück (II, 1 ) : ,,Wiy selten geschieht eine freudt, Die nicht vermischt ist mit leidt", und dürfen am Ende Recht behalten (V, 6). W a s die Szenen anbetrifft, 12 ) Vgl. Fr. Hammes, Das Zwischenspiel im dtsch. Drama, 1 9 1 1 (Diss., Berlin 1 9 1 0 ) ; auch: W. Creizenach, Geschichte d. neueren Dramas III, Hallo 1903, 386 f f . 13 ) Aus dem Faustbuch von 1587 bekannt. u ) Bolte, a. a. O., weist auf das Volkslied hin (vgl. Erk-Böhme, Liederhort Nr. 58).

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BÜRGERLICHES BEI

TÜRCKIS

die bereits bei Virgil vorhanden sind, so sind sie bis ins Unerträgliche aufgeschwellt, erweitert und zerdehnt. An keiner einzigen Stelle wird etwa nur angedeutet, sondern alles, ob es nun wichtig oder nebensächlich ist, wird umständlich ausgesprochen und zerredet, so daß die Vorgänge selbst dem Einfältigsten aus dem schwerfälligen Bürgerpublikum ganz klar sein mußten. Aus der Didogeschichte wurde auf diese Weise eine 3/jo Manuskriptseiten lange formlose Tragödie mit Personen. Die Arbeit des Türckis bestand aus Dehnung und Verdeutlichung, nicht aus Gestaltung. Er hält sich stofflich ganz fest an Virgil und gibt dem Handlungsgang keinerlei neuen oder abweichenden Gesichtspunkt. Die einzige Veränderung hat anscheinend technische Gründe: Die Liebenden verloben sich in der Höhle bloß, ihre Vereinigung hat man sich später zu denken, da sie in der zweiten Hälfte des W e r k e s vorausgesetzt wird. Trotzdem hat die Didogeschichte ein ganz verändertes Gesicht. Während das römische Epos nur innerhalb einer heroischen Schicht von Fürsten und Helden spielt, unterscheidet das bürgerliche Zeitalter hier klar eine höhere und eine niedere soziale Stufe, die königliche, deren Vertreter Aeneas und D i d o sind, und auf der anderen Seite die der Bedienten und Bauern. Doch auch die Sphäre, in der Aeneas und D i d o leben, ist eine andere wie bei Virgil. Türckis konnte sie nur mit den Augen seiner naiven und realistischen Zeit sehen, und so haben sie in der Umgebung der Bauern, „Gesellen" und Knechte und bei seiner breiten Darstellungsweise jeden heroischen Z u g verloren. Ihre Charaktere sind durch die volkstümliche Anschauung des 16. Jahrhunderts gänzlich verflacht. Trotz aller Götter und O p f e r sind Aeneas und Dido Menschen der bürgerlichen Kultur, Könige und Helden, wie sie sich der Handwerker und K a u f m a n n vorstellte, so daß ihre Gedanken wie beim Volke im wesentlichen um Essen und Trinken kreisen. Die antike Größe geht ihnen ganz ab, und selbst wenn D i d o stirbt, ist es nur der grausige und etwas absonderliche, von Jammern und Klagen begleitete Tod einer reichen Hausfrau, die vorher noch von allem ihrem Gesinde Abschied nimmt. Diese Tragödie hat demnach noch weit mehr als Sachs* Historie der bürgerliche Horizont entscheidend bestimmt. 2. Die

neulateinischen

Didodramen.

Diesen drei volkstümlichen W e r k e n steht die stattliche Reihe von Didodramen des 16. und 17. Jahrhunderts gegenüber, deren gelehrter Charakter schon durch die lateinische Sprache dokumentiert wird.

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DIE NEULATEINISCHEN DIDODRAMEN

E s sind Werke von Humanisten, die von dem Ideal der Antike erfüllt den Didostoff nur darum aufnahmen, weil er von einem der größten antiken Dichter geformt ist, und die sich alle bewußt ganz eng an Virgil hielten. Die Verfasser wollten sämtlich keine eigenen A u f fassungen des Didostoffes geben, sondern lediglich die vorhandene Episode der „ A e n e i s " dramatisieren, um sie a u f f ü h r b a r und dadurch einprägsamer zu machen. Um das zu erreichen, durchsetzte der selbständigste unter diesen Humanisten die Virgilsche Handlung mit mythologischem Pathos und klangvollen Phrasen nach dem Vorbild Senecascher Dramen, während der schülerhafteste sich damit begnügte, die Reden aus Virgil herauszunehmen und unter gelegentlicher Ausfüllung der Verse dialogisch aneinanderzureihen. Der Zweck aller dieser Werke war ein pädagogischer. Die Kenntnis Virgils sollte vornehmlich bei der J u g e n d gefördert, die Antike ihr als hohes Ideal vorgestellt werden. Und gleichzeitig ergab sich die von den meisten benutzte bequeme Gelegenheit, im Anschluß an diesen S t o f f den Zuhörern eine Morallehre mitzugeben. Durch solche didaktischen Tendenzen stellen sich diese Didodramen trotz aller Gegensätzlichkeit deutlich in dieselbe Epoche wie Hans Sachs und Damian Türckis. Einen Sinn hatten solche Werke natürlich nur, wenn sie a u f g e f ü h r t wurden. Und das sind wohl auch alle einmal. Und zwar waren sie dazu bestimmt, zumeist bei feierlichen Gelegenheiten von Studenten und Schülern gespielt zu werden. Dabei wurden diese gleichzeitig mit der lateinischen Sprache und der Art der antiken Dichter vertraut. Unter solchen Voraussetzungen ist es nicht zu verwundern, daß diese Schuldramen „Redestücke" sind und „keine Schauspiele" 1 5 ), daß sie durchaus undramatisch wirken. Man darf sie nur aus humanistischen Bestrebungen heraus werten und nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten. Das, was wir heute von einem Drama verlangen, fehlt ihnen vollständig. In den meisten scheint uns das einzig Dramatische, daß sie auf verschiedene Sprecher verteilt sind und nach antikem Vorbild in f ü n f Akte zerfallen, zwischen denen meist ein Chor steht. In der Geschichte des neulateinischen Dramas nehmen die Didodramen eine durchaus originelle Stellung ein. Das neulateinische Drama hat nämlich im allgemeinen die S t o f f e nur nach dem Vorbild der Antike gestaltet, seltsamerweise aber sehr selten auch S t o f f e aus antiker Sage oder Geschichte gewählt. In seiner ersten Periode fehlten sie f a s t ganz 1 6 ), und in der zweiten waren eben die Didodramen die ersten, die ls 16

) W. Stammler, Von der Mystik zum Barock, Stuttg. 1 9 2 7 , ) Vgl. Creizenach, a.a.O., I I ( 1 9 0 1 ) , 162 f f .

161.

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PETRUS LIGNEUS

einen solchen Stoff aufgriffen. Und zugleich wurde der Didostoff der bei weitem am häufigsten behandelte Vorwurf antiker Herkunft, den kein anderer auch nur annähernd an Beliebtheit erreicht hat. Die Verfasser der beiden ersten neulateinischen Didodramen, die zwei Jahre nach Sachs' Historie im Druck erschienen, waren Holländer; doch gehörte ja damals die Niederlande noch zu Deutschland und der besonders hochstehende holländische Humanismus ging aufs engste mit dem deutschen zusammen, so daß diese Dramen nicht von der Geschichte des Didostoffes in Deutschland zu trennen sind. a) P e t r u s

Ligneus.

Der Titel des ersten Werkes ist 17 ): „Dido, Tragoedia nova ex quatuor prioribus (potissimum primo et quarto) libris Aeneidos Vergilii desumpta et Lovanii olim publice exhibita Authore Petro Ligneo Gravelingano. Antverpiae anno 1559."18) Von dem Verfasser wissen wir 19 ), daß er eigentlich Peter van den Houte hieß, um i 5 2 0 in Grevelingen in Flandern geboren wurde, in Löwen Jura studierte und dann in seiner Vaterstadt lebte, bis er durch Krieg vertrieben wurde. Er kehrte nach Löwen zurück, wurde i 5 4 6 Licentiat der Rechte und siedelte mehrere Jahre später nach Antwerpen über, wo er bis zu seinem Tode die Rechtspraxis ausübte. Die „Dido" ist mit den ihr angefügten Anmerkungen zu den ersten vier Büchern der „Aeneis" sein einziges Werk. Sie ist als akademisches Feststück verfaßt, anläßlich der Promotion eines Freundes am 6. Mai i 5 5 o öffentlich und unter großem Beifall in Löwen aufgeführt worden20). Die Gründe, die den Verfasser neun Jahre später zu ihrem Druck bestimmten, sind in der Widmungsepistel dargelegt. Genau so wie die Medizinstudenten durch die Anatomie die Geheimnisse der Natur begreifen lernen, sollte die Jugend durch das Studium dieses Werkes die Geheimnisse der Dichtkunst erkennen; sie sollte — ademptis fabulis et mendaeiis — das Wesen des Dichters durchdringen und zugleich den Unterschied zwischen epischer und tragischer Kunst verstehen. Man sieht, die humanistisch-didaktische Tendenz stand voran. Die allgemein-moralisierende wird im letzten Chorlied und in der Peroratio deutlich: Am Beispiel des Aeneas, der keine Mühe scheut, seine Be») Goedeke2 II, i3g. 18) Vorhanden: Staatsbibl. Berlin. 19) Vgl. v. d. Aa, Biographisch Woordenboek der Nederlanden XI, Haarlem i858, 44a. 20) Bemerkung am Schluß: „Acta publice Lovanii pridie nonas Maij 1550 . .

PETRUS LIGNEUS' ARBEITSWEISE

21

Stimmung zu erfüllen, sollte man lernen, während Didos unglücklicher Ausgang dazu mahnte, fleischliche Begierden fernzuhalten und den Weg der Tugend zu gehen. Die typischen Tendenzen der humanistischen Didodramen werden damit bereits im ersten klar formuliert. Die „Dido" des Ligneus beschränkt sich auf das erste und vierte Buch der „Aeneis", auf die eigentliche Didogeschichte also, und verzichtet darauf, das zweite und dritte Buch irgendwie hineinzuziehen. Die Handlung, wie sie von Virgil gegeben wird, war f ü r Ligneus die feststehende „res", an der Veränderungen vorzunehmen nicht in Frage kam. Seine Aufgabe galt nur der Form. „Rei enirn copiam universam, at verborum non nisi partem saffecit Vergilius"21). Das Problem, ein Stück von einem Epos in ein Drama zu verwandeln, war f ü r Ligneus nur ein Problem der „verba", ein Problem der Zusammenziehung und Verteilung. Daß er dabei auch von den „verba" Virgils so viel beibehielt, als ihm nur irgend möglich schien, war bei dem akademischen Zweck seines Werkes selbstverständlich. Nur wo das nicht ging, setzte er mit eigener Arbeit ein, zugleich im vollen Bewußtsein seiner bedeutend geringeren poetischen „eloquentia". „Phrasim Moronis Semper amplexi auream Nisi ipsa quando visa res est poscere Poetico in verso ordine inter oloricos Serere anserinos dante sie musa sonos"22). Trotzdem glaubte er, etwas Eigenes geschaffen zu haben, auf das er das „ius proprietatis" beanspruchen konnte 23 ). Seine einzige selbständige Schöpfung ist die Gestalt der Furie. Natürlich stammt sie aus dem lateinischen Drama, vor allem Senecas „Thyest"; doch Ligneus hat sie in die Didogeschichte übernommen und in ihr eine ganze Reihe Virgilscher Motive vereint. Wie er im Prolog betont, soll sie als böser Genius des Aeneas seinem guten, der Venus, gegenüberstehen. Sie hat daher zunächst die Rolle der Juno Virgils bekommen, und dadurch, daß ihr die alleinige Initiative übertragen wird, hat sie den ganzen Göttinnenstreit in sich aufgesogen, so daß auch Venus großenteils hinfällig geworden ist, die jetzt nur noch anfangs den Schiffbrüchigen den Weg zu Dido weist (daher eigentlich nicht als Gegenpart der Furie bezeichnet werden kann). Die F u r i e stachelt jetzt Didos Sinne zu wahnsinniger Liebe auf, sie heckt den 21

) Epistola dedicatoria. «) Prolog. 23 ) Epistola dedicatoria.

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PETRUS LIGNEUS: DIE FURIE

Jagdplan aus, sie treibt die zögernde Dido immer weiter ins Unglück. Sie ist also eine Art böser Stimme in Didos Innern. Dazu kommt die Funktion, in hämischer Freude den Fortgang des Unheils zu berichten. Durch alle diese Aufgaben ist sie zur großen Gegenspielerin überhaupt geworden, zur planvollen Feindin und Verderberin der Menschen, zur eigentlich treibenden Kraft der Tragödie. Aus den tartarischen Höhlen heraufgekommen, um Aeneas zu schaden und Dido in ihre kunstvoll ausgelegten Netze zu locken, kehrt sie als frohlockende Siegerin schließlich in die Unterwelt zurück. Durch die Einführung dieser Furie hat Ligneus wirklich eine gewisse Konzentration erreicht. Aber eine solche Zusammenziehung macht aus einem Virgilbuch noch kein Drama, und weiter hat sich Ligneus um dramatischen Gehalt nicht bemüht. Die einzelnen Szenen bleiben nach dem epischen Vorbild entweder monologisch oder auf zwei Personen verteilt. Am Ende jedes Aktes steht ein Chorus, im Unterschied zu den strengen Seneca-Nachahmern auch nach dem fünften. Die Chöre sind nach Senecaschem Muster in Horazischen Rhythmen gehalten und haben die Aufgabe, die Handlung weiterzuerzählen (II, 2. Teil; III, k), die Hauptpersonen zu betrachten (I, 4; II, i . Teil) und allgemeine Reflexionen nach Senecascher Art an die Vorgänge anzuknüpfen (IV, 7 ; V, 8). Außer in den Chören und in einem Monolog der Furie (III, 1 ) hat Ligneus den Virgilschen Hexameter beibehalten. Das unterscheidet ihn von den anderen Didodramatikern des 16. Jahrhunderts. Um die Arbeitsweise des Ligneus zu kennzeichnen, mag hier eine Übersicht über das Drama folgen: Nach dem allgemein gehaltenen Prolog, der sich auch über die Furie äußert, und dem für das Drama des 16. Jahrhunderts charakdes teristischen ,.argumentum"21), das eine gedrängte Zusammenfassung Inhalts gibt, setzt der erste Akt mit dem Auftreten der Furie ein ( I , 1), die sich vorstellt und ein Bild von Aeneens Unglück entwirft (darin „Aeneis" I 9U, 2. Hälfte, 95, 96, 1. Hälfte, 97, 2. Hälfte), I, 2 ist ein Gespräch zwischen Aeneas und Achates, bei dem die Worte des nach endlicher Ruhe verlangenden Achates von Ligneus stammen, während Aeneas „Aeneis" I 199—207 spricht. I, 3 übernimmt das Erscheinen der Venus (,,Aeneis" I 321—2U, 326—3U, 335—W und 369—70, 1. Hälfte, 372—85, 387—91, U07—9), an das sich der Gang zur Stadt anschließt mit Aeneens neuer Hoffnung („Aeneis" I U20—21 frei erweitert, U37, Anklänge an U51, U52 und Anklänge an 21

) Vgl. Stammler, a.a.O., 160; Creizenach, a.a.O., II, 98.

PETRUS LIGNEUS:

INHALTSÜBERSICHT

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U53). In / , U singt ein trium mulierum chorus ein Carmen Phaleucium auf Carthagos Ruhm und seine Königin. Der zweite Akt übernimmt nach kurzen, die Ankunft der Fremden meldenden Worten des besorgten Bitias ( I I , 1) wörtlich aus der „Aeneis" das Aufnahmesuchen und -finden des Ilioneus und seiner 5 6 2 — 7 8 ) und des Aeneas Gefährten ( I I , 2 = ,,Aeneis" I 522—58, selbst mit der Sendung nach den Geschenken (II, 3 = „Aeneis" I 582—85, 595—610 und gering verändert 610—12, 615—30, 2 eigene Zeilen, I 6U7—55 in Anrede), um mit einem Chor zu schließen ( I , U), der im carmen Asclepiadeum zunächst Aeneas preist, dann seinen Gang durch die Stadt in Didos Begleitung schildert (unter Benutzung von: „Aeneis" I U56—57, U66—67, U6U, IV 75) und mit der Erzählung des Festmahls schließt („Aeneis" I 632 erweitert, 637—42, 697—706, 731—33): Der dritte Akt bringt zunächst ( I I I , 1) ein carmen Adonicum der Furie, die über das Aufkeimen von Didos Liebe triumphiert und weitere Anschläge vorhat. Darauf folgt ( I I , 2) das Gespräch zwischen Anna und Dido („Aeneis" IV 9—29, 1 eigene Zeile, IV 32—53, 56—59 in Anrede) und ( I I I , 3) der Jagdplan der Furie („Aeneis" IV 95, 101, U eigene Zeilen unter Benutzung von „Aeneis" IV 103, dann U17, 118 und 19 verkürzt, IV 120—25, 1. Hälfte). III, U ist ein carmen Heroicum des Chores, das die Jagd selbst schildert (h eigene Verse über die Veränderlichkeit des Wetters, „Aeneis" IV 130—6h, 6 eigene Verse, die das Schicksal der Königin andeuten). Der vierte Akt gibt des Jarbas Bittgebet zu Jupiter (IV, 1 = Anklänge an „Aeneis" IV 173, dann IV 191—92, ein Anruf des Herkules, „Aeneis" IV 206—18), Jupiters Befehl an Merkur (IV, 2 = „Aeneis" IV 223—37), dessen Überbringung an Aeneas (IV, 3 = „Aeneis" IV 265—76, 1. Hälfte), Aeneens Auftrag für die Gefährten (IV, U = 2 eigene Verse, „Aeneis" IV 280—8U in erster Person, 286 verändert, 288—90 verändert und als Anrede, „Aeneis" IV 296—97, 1. Hälfte, 298—300, 1. Hälfte und iy 2 eigene Verse). Darauf folgen (IV, 5) das Gespräch zwischen Aeneas und Dido („Aeneis" IV 305—30, 333—61, 365—87), 6 Zeilen der frohlockenden Furie, die in Plutos Reich schon alles für Didos Empfang vorbereitet (IV, 6), und schließlich ein carmen Sapphicum des Chores, das in 8 Strophen Didos Wahnsinn beschreibt und Betrachtungen allgemeiner Art über den raschen Wechsel von Freude und Trauer anstellt. Im f ü n f t e n Akt steht (V, 1) Didos Auftrag für Anna („Aeneis" IV U16—36 und 2 antwortende Zeilen), der Bericht der Furie (V, 2) über den unglückkündenden Ausgang der Opfer (2 Zeilen, „Aeneis" IV

24

DALANTHUS

453—55, 457—58 etwas verändert, 460—73), Annas Zuräckkunft nach dem erfolglosen Flehen zusammen mit Didos Bitte um Errichtung des Scheiterhaufens (V, 3 = „Aeneis" IV 438—40 erweitert, 449, 478—98); danach die Einflüsterungen der Furie (V, 4 = „Aeneis" IV 500—503 als Anrede an Anna, 504—21 als Anrede an Dido), Didos Monolog (V, 5 = „Aeneis" IV 534—52), Merkurs Mahnung zur Eile (V, 6 = „Aeneis" IV 560, 573—79 halb), und Didos letzter Monolog und Tod (V, 7 = „Aeneis" IV 590—94, 595—606 als Rede der Furie zu Dido, „Aeneis" IV 607—29 halb, 634—40, 651—57, 659/60 zusammengezogen —62, IV 675—85 halb, 705 erweitert). Mit Klagen des Chores in jambischen Trimetern und moralisierenden Betrachtungen über Dido, die Allmacht der Liebe und das Verlassen des Tugendpfades, die in der Peroratio noch weitergeführt werden25), schließt das Stück. So hat Ligneus wohl „einen Teil der Schönheiten Virgils in seine Tragödie hinübergerettet"26), aber sie ist eben nur ein Gelehrtenwerk geworden und keine Dramatisierung des Didostoffes, die den Unterschied zwischen Epos und Drama klar macht, wie der Verfasser es glaubte. b) A u l u s

Gerardus

Dalanthus.

Ein eigenartigeres, sich mehr von Virgil entfernendes, aber im Grunde ebenso undramatisches und künstliches Gebilde ist das Didodrama des anderen holländischen Humanisten27): „Dido, Tragoedia nova Authore Aulo Gerardo Dalantho Heusdano .. Antverpiae 1559"-*). Der Verfasser 29 ) war Arzt in Heusden und starb wahrscheinlich im Jahre 1677. Auch er hat nur dieses eine Werk hinterlassen. Ihre Abhängigkeit von Virgil merkt man der „Dido" Dalanths zunächst kaum an. Aber so fremd das Werk auch anmuten mag, unter einer aufdringlichen, jedoch verhältnismäßig dünnen Schicht anderer Herkunft verbirgt sich wiederum die Fassung des römischen Epikers. Dalanth hatte das gleiche Ziel wie sein Landsmann Ligneus, nur daß er sich den Weg dahin schwerer machte. Denn auch Dalanth wollte wohl nur die Didogeschichte Virgils dramatisieren, wollte wie Ligneus die „res" beibehalten und an den „verba" ändern; bloß war er der Meinung, um eine epische Erzählung in ein Drama umzusetzen, müsse man mehr tun, als einige Personen zu vereinigen und das übrige Gefüge ») ) «) S8 ) *») 2e

s. o. S. 2 0 f . Creizenach, a.a.O., II, Goedeke2 II, 139. Vorhanden: Staatsbibl. München. Vgl. v. d. Aa, a.a.O., IV, 24.

DALANTHUS UND SENECA

25

dialogisch aneinanderzureihen. Um einen antiken Epiker in antikem Geiste zu dramatisieren, schloß er, müsse man sich an das Muster antiker Dramatiker halten; so gelangte er zu Seneca, dem großen Vorbild so vieler Tragödiendichter seiner Zeit 30 ). Hier liegt seine Eigenart innerhalb der Gruppe der neulateinischen Didodramatiker. Dalanths „Dido" steht völlig im Schatten Senecas. Ihr Metrum ist nicht mehr der Hexameter des Epikers, sondern der jambische Trimeter (Senar), in den an einigen Stellen Dimeter oder Anapaeste eingestreut sind. Der Schlußchor ist auf die ersten vier Akte beschränkt; allerdings sind die vier Chorlieder Dalanths sämtlich nach dem Muster von Senecas „Medea" V, 579 f f . in sapphische Strophen gefaßt, während bei Seneca selbst die auch fast immer horazischen Versformen folgenden Chorrhythmen innerhalb der Dramen wechseln. Indessen Dalanths Chor hat wie der Senecas nirgends die Aufgabe, die Handlung weiterzuführen, sondern stellt lediglich allgemeine Betrachtungen an, die an die vorangegangenen Geschehnisse anknüpfen und gewöhnlich Parallelfälle aus der griechischen Sage anführen. So singt der Chor des ersten Aktes von der Allmacht der Liebe 31 ), der des zweiten ist ein Klagelied der Nymphen, auf Grund von Aeneis IV 169 gebildet; im dritten Akt ist es ein Hymnus auf die Gewalt göttlichen Befehls; im vierten handelt er von der Rache der verletzten Liebe 3 *). Außer an den Aktschlüssen tritt in der letzten Szene des fünften Aktes ein Chorus Punicarum auf, um in Annas Klagen über Didos Tod einzustimmen. Für ein solches Eingreifen eines Chores in den letzten Akt lassen sich ebenfalls Parallelen bei Seneca finden („Oedipus", „Phacdra"). Freilich erhebt sich die letzte Bemerkung dieses Chores bei Dalanth (es sind jedoch nicht etwa die letzten Worte des Dramas überhaupt) wieder ins allgemeine: Alles, was wir erleiden, kommt von den Göttern. — Auch Dalanths „Dido" geht in ihren einzelnen Szenen über Monologe und Zwiegespräche nicht hinaus; wenn einmal drei Personen auf der Bühne sind, unterhalten sich immer nur zwei von ihnen, woran in diesem Falle Seneca nicht alleinige Schuld trägt. Diese Vorbildlichkeit Senecas für Versmaß und Chöre allein würde Dalanths „Dido" noch keine Eigenart gegenüber ihren neulateinischen 30 ) Vgl. Stachel, Seneca und das deutsche Renaissancedrama, Berlin 1907, der indessen Dalanth nicht kennt, wie überhaupt seine „Dido" bisher noch niemandem zugänglich gewesen zu sein scheint. (Vgl. v. d. Aa., a. a. O., und Michel, Heinrich Knaust, Berlin igo3, 318.) 31 ) Vgl. Seneca „Phaedra" V, 2^7 ff. 32 ) Genau nach Sen. „Medea" 579 ff. Vgl. den Wortlaut: Dalanth IV:

„— ruit in profundos enses."

obvius enses."

Medea I I I : „ — cupit in ipsos obvius

26

DALANTHUS UND SENECA

Schwestern geben; denn hierin sind auch andere Didodramen stark von dem römischen Tragödiendichter abhängig. Erst die enge Anlehnung an Seneca bei der Ausgestaltung der eigentlichen Handlung verleiht Dalanths Werk seine eigene Note. Das Didothema hat einige Verwandtschaft mit Senecaschen Lieblingsvorwürfen. Die verliebte Frau, die den glühend verliebten Mann an sich zu ketten sucht, die verlassene Geliebte, die in Wahnsinn verfällt und sich rächen will: zu diesen Situationen lassen sich in Senecas „Phaedra" und „Medea" leicht Muster finden, an die sich der Senecanachahmer bei der Dramatisierung der Didogeschichte halten kann. Anna ist ganz Vertraute im Sinne Scnecascher Ammen; Götterbeschwörungen und Opfer, wie sie Dido vornimmt, bevorzugt Seneca besonders. Es konnte Dalanth also nicht schwer fallen, dieses alles nun auch in dessen Schauerpathos einzuhüllen. Getreulich bildete er den Bombast Senecascher Reden nach; wie bei dem römischen Tragödiendichter wird der ganze umfangreiche mythologische Apparat der Griechen herbeigezogen mit der Unmasse seiner Namen, örtlichkeitcn und Bilder 33 ). Besonders typisch sind die zahlreichen Götteranrufungen (I, 3; I, II, 2 ; IV, 3; V,2) wie die umständlichen Selbstvorstellungen (Cupido I, /i; Merkur III, 4; auch Fama III, i ) , von denen jede einzelne die ganze Liste der Funktionen und Taten der betreffenden Gottheit aufrollt. Und ebenso sind die anderen Szenen (ganz zu schweigen von den Chorliedern) von einem Wust von Anspielungen auf Götter und Helden durchsetzt, durch die man sich nur bei genauer Kenntnis der antiken Sagenwelt durchfinden kann, zumal poetische Umschreibungen sehr häufig sind. Vergleiche und Umschreibungen: das sind die Hauptmerkmale dieser Sprache. Dido glüht in Liebe wie der Ätna und Vesuv, und ihre Klagen hören sich an, „als ob ein Tiger am Berge Gengeticus unter Vögeln wütet" (IV, 2). Beinahe nichts wird klar und einfach gesagt, sondern alles durch kunstvoll gefügte, unnatürliche Redewendungen auf pathetische Weise ausgedrückt. Die Monologe sind daran besonders reich; in ihnen stehen auch die langen Schilderungen, die mit ungeheurem Wortschwall durchgeführt sind. So schildert Venus den Gegensatz des blumenreichen Idalus zu der verlassenen Wüste, in die sie hinabsteigt, um ihrem Sohne zu helfen (I, 1). Die geschwätzige Fama malt Ort und Durchführung der Liebesvereinigung zwischen Aeneas und Dido bis in Einzelheiten aus (III, 1). Dazu kommen noch die Darstellungen der Opferhandlungen (etwa I, 3; V, 1), die ja auch Virgil hat. 33

) Vgl. für das Folgende Stachel, a. a. 0., 8 ff.

27

DALANTHUS UND VIRGIL

Entlehnungen Senecascher Wortverbindungen sind verständlicherweise bei so engem Anschluß an seinen Stil recht häufig. Darüber hinaus sind ganze Szenen Auftritten in Senecas Dramen nachgebildet. Dem Preis der Jagd durch Aeneas (II, 4) steht seine Abstammung von dem Jagdlied Hippolyts („Phaedra" i f f . ) auf der Stirn geschrieben; beginnen doch beide Szenen fast mit denselben Worten: Dalanth II, 4: „Ite umbrosos indagine saltus circuite Densaque; montis iuga Gaetuli lustrate

vagi."

Seneca „Phaedra" i f . : „Ite umbrosae cingite silvas summaque montis iuga."

Oder wenn Dido Venus bittet, Aeneas mit Liebesfeuer zu entzünden (Dal. I, 4), spürt man deutlich die entsprechende Bitte der Phaedra (Sen. „Phaedra" 4 o 6 f f . ) , zumal sich beide Male die gleiche Wendung findet: Dalanth I, 4: ,,Amore

flagret,

mutuos

ignes

ferat."

Sencca „Phaedra" 4 i 5 : ,,amarc

discat, mutuos

ignes

ferat."

Unter dieser Senecaschicht (in V, i, kommen Anklänge an die VII. Heroide Ovids hinzu), unter diesen Anlehnungen und Entlehnungen verbirgt sich nun die Didoepisodc Virgils. Dalanth berücksichtigt nur die Handlung des vierten Buches, die ganze Vorgeschichte von Ankunft und Aufnahme Aeneens fehlt (auch dies wieder Senecascher Einfluß), bei Anfang des Dramas ist Dido bereits verliebt. Dadurch wird der Stoff verkürzt und der Raum f ü r all den Bombast frei. Sodann hat Dalanth die Katastrophe stark zusammengestrichen; auf die große, allerdings um ein erhebliches Stück verlängerte Auseinandersetzung zwischen Aeneas und Dido folgt nach der Sendung Annas gleich die Todesszene, in die alle die vielen Monologe zusammengezogen sind; die Streichung der Erzählung von der magischen Priesterin freilich verwundert angesichts Dalanths sonstiger Tendenzen. Es sind nur verhältnismäßig wenige Szenen, in denen Dalanth längere Partien aus der „Aencis" übernimmt: das Gespräch zwischen Anna und Dido (Aeneis IV n — 5 3 ) am Anfang (I, 3); der Plan der beiden Göttinnen (Aeneis IV g 3 — 1 2 8 = I, 5); der Verlauf der Jagd (Aeneis IV I5I—64), von der Fama erzählt (II, 1); Jupiters Botschaft an Merkur (III, 3 = Aeneis IV 223—37); die Wirkung dieser Botschaft auf

28

KNAUST

Aeneas, wieder von der Fama berichtet (in IV, i : Aeneis IV 2 6 5 — 9 4 ) ; die große Szene zwischen Aeneas und Dido (in IV, 3 : Aeneis IV 3 o 5 — 8 7 ) ; Didos Bitte an Anna (in IV, l\\ Aeneis IV 4 i 6 — 3 4 ) ; einzelne Teile von Didos Selbstmord (in V, 1: Aeneis IV 5 0 7 — 2 1 ; in V, 2 : Aeneis IV 6 5 1 — 6 0 ) und Annas Klagen (in V, 3 : Aeneis IV 6 7 5 — 8 5 ) . Aber auch diese Verse sind nicht wie bei Ligneus Wort für Wort beibehalten, sondern, von Kürzungen abgesehen, durch Beiwörter und Synonyma weiter ausgeführt und aufgeschwellt, oft bis zum doppelten Umfang. Zudem sind in den meisten Fällen Fragen und Einwürfe der anderen Person dazwischen geschoben, um den Dialog zu beleben. Obgleich es daher nur ganz wenige Szenen gibt, in denen die Einfügungen so gering sind, daß die Virgilschen Reden allein herrschen (I, 5 Juno und Venus, III, 3 Jupiter und Merkur), obgleich es den ganzen zweiten Akt, der den Jagdaufbruch schildert, völlig ohne Virgil abgeht, bleibt doch immer dessen Situation bestehen, hat alles immer irgendeine Unterlage bei Virgil, und wenn es zwei Worte sind. Trotz allen Schwulstes der Einfügungen und Ausschmückungen an dem Verlauf der Handlung hat sich am Didostoff und seinem Gehalt nichts geändert. Die einzelnen Personen reden freilich viel mehr und viel pathetischer als bei Virgil, sie machen mehr von sich her, vielleicht könnte man sie als hysterischer bezeichnen, aber sie sind doch in allen ihren Zügen und Motiven die gleichen geblieben. Dalanths „Dido" ist also auch nichts anderes als eine mit Senecas Mitteln durchgeführte Dramatisierung der Didogeschichte Virgils. Dalanth selbst hat über Ansprüche und Ziele seines Werkes weder in dem endlosen Widmungsgedicht noch im Prolog etwas gesagt; trotzdem darf man vermuten, daß auch diese Didotragödie denselben didaktischen Zwecken dienen sollte wie die anderen. c) K n a u s t. Bei dem ersten der im engeren Sinne deutschen Didodramen, die sieben Jahre nach dem Erscheinen der beiden holländischen herauskam, werden die typischen Tendenzen ganz besonders stark betont. „Dido, Tragoedia, de fuga et hospitio Aeneae Trojani, apud Didonem Regiam Carthaginis: qua exlraordinarii et errantes motus in vagis illicitisque amoribus, qui vix unquam bonos exitus sortiuntur, descripti sunt: In usum studiosae pubis ex Vergilii secundo, primo et quarto Aeneid. libro, Paraphrastice tractata Historia, et in Tragicae actionis formam, in Dania, Prussia et Saxonia, ubi Autor certis

KNAUST UND VIRGIL

29

negociis praefuit, animi gratia conscripta, Per H e nr i cum Iinaustium3i) ... Franc. 1566"35). Schon dieser umständliche Titel formuliert eindeutig den Schulzweck: „in usum studiosae pubis", und verrät den stark moralisierenden Zug dadurch, daß er von den „errantes motus in vagis illicitisque amoribus, qui vix unquam bonos exitus sortiuntur" spricht. In der „epistula dedicatoria" gibt Knaust dann eine ausführliche Darstellung der Wirkung, die sein Werk auf die Jugend ausüben soll. Der rein schulmäßigen: genaues Kennenlernen der antiken Dichter, Übung der Sprache und des Gedächtnisses, Ausbildung der Fähigkeit, vor vielen Menschen zu reden usw.; und der moralischen: bescheidenes und mäßiges Leben, Unterdrückung untergeordneter Gefühle, Zügelung der Begierde angesichts der jammervollen Geschichte von Aeneas und Dido. Schließlich wird im Epilog noch einmal zur Tugend gemahnt und vor der freien Liebe gewarnt. Der Titel sagt auch schon viel über die Ausführung des Werkes. Das zweite, erste und vierte Buch der „Aeneis" sind zu einer Tragödie umgeformt; das heißt: auch der Untergang Trojas ist in das Didodrama miteinbezogen, darauf folgt Aeneens Landung in Afrika und Aufnahme bei Dido und dann erst die Liebestragödie des vierten Buches. Und das „paraphrastice tractata" besagt, daß das Werk sich ganz an Virgil anschließt, ihn nur dramatisch anordnen will. Knausts Versmaß ist durchgehends der Senar, nur in der Opferszene des dritten Aktes findet sich ein Carmen sapphicum. Die fünf Akte des Dramas übernehmen die Ereignisse der drei Aeneisbücher folgendermaßen: Der erste Akt beginnt mit der Erscheinung von Hehtors Schatten (Aeneis II 269—96), führt Priams Tod vor (Aeneis II 518—22, 535—42, 543, 546—48), den Befehl der Venus (Aeneis II 553—88, 594—620), die Rede des Panthus (Aeneis II 324—35), die Flucht des Aeneas und seiner Angehörigen (Aeneis II 638—70, 675—739), den Tod des Chorebus (Aeneis II 403 f f . ) und den Verlust der Creusa (Aeneis II 741—44, 767—94). Der zweite Akt schließt sich an das dritte Buch an, schildert Aeneens Ankunft in Afrika (Aeneis III 710—13; I 306—20), das Gespräch mit Venus (Aeneis I 321—409), den Gang zur Stadt (Aeneis I 418—519 unter größeren Auslassungen), die Aufnahme bei 3i ) Ueber Knaust das Buch v. H. Michel, Berlin 1908; die „Dido" wird S. 2 2 ^ ff. behandelt. 3S ) Vorhanden: u. a. Univ. Bibl. Breslau; s. Michel, a. a. 0., 317, Anm. 3 zu S. 2 2

30

KNAUSTS PERSONEN

Dido (Aeneis I 522—85, 595—610, 615—30), die Herbeiholung der Geschenke (Aeneis I 643—56), den Auftrag der Venus an Cupido (Aeneis I 664—90) und das Gastmahl (Aeneis I 637—42, 696—719, 732—47). Die drei letzten Akte folgen dem vierten Virgilbuch, indem sie die Reden beibehalten, die Erzählung teils in Dialog umsetzen, teils in gekürzt, Monologen berichten lassen, manchmal erweitert, manchmal oft etwas anders angeordnet. Im wesentlichen geht der dritte Akt bis Vers 128, der vierte von 129—295, der fünfte von 296—705™). Zur bequemeren Dialogisierung der Geschehnisse hat Knaust mehrere Nebenpersonen eingefügt, die jedoch jede nur einmal auftreten 37 ). Außerdem hat er einen Lar familiaris und einen Morio dazugestellt. Da beide zumeist monologisieren, sind die drei letzten Akte an Monologszenen außerordentlich reich38) (16 gegenüber 2 im ersten und zweiten Akt). Der Lar familiaris ist der „Aulularia" des Plautus entnommen — er beginnt mit genau denselben Worten 39 ) —, er hat den Prolog zu sprechen, in dem er die Handlung einleitet und zugleich auf Grund allgemeiner Sentenzen moralisierend glossiert, er erscheint am Schluß des zweiten Aktes als Berichterstatter über das Gastmahl, am Ende des dritten, wo er chorartig die Lage beleuchtet, und in der vierten Szene des vierten Aktes, um seinem Amt als Schutzgott gemäß Dido beizustehen. So ähnelt der Lar dem Chor bei Ligneus, der ja auch die Handlung weiterzuerzählen und — wenn auch in horazischen Rhythmen — gleichzeitig über die Vorgänge zu reflektieren hat. Eine im ganzen ähnliche Stellung hat Morio40), Didos Spaßmacher, obgleich er auch f ü r den Dialog verwandt wird. Morio ist die stehende Narrenfigur zahlreicher Humanistendramen 41 ), bei Knaust freilich mit etwas anderen Funktionen ausgestattet. Auch er muß nämlich erzählende Zwischenteile geben (III, 2; III, 5; V, 3; V, 5), wird also als technisches Hilfsmittel gebraucht, doch fügt er meist noch allgemeine Betrachtungen an (III, 5; V, 3; V, 5), und zwar ist es immer wieder dieselbe: daß auf Liebe stets Leid folgt; in III, 5, gibt er sie sogar in deutscher Sprache: 36

) Vgl. Michel, a.a.O., 229. ') Ebenda. 3S ) Vgl. Michel, a.a.O., 2 48. 39 ) Vgl. Michel, a.a.O., 229. 4 °) Vgl. Michel, a.a.O., 252 f. 41 ) Nach Exped. Schmidt, Die Bühnenverhältnisse des dtsch. Schuldramas, Berlin 1903, 112, geht er auf Macropedius zurück; vgl. auch Creizenach, a.a.O., II, io3. 3

FRISCHLIN

31

„Nach so grosser liebe / darnach so kom.pt grosz leidt Liebe ist leides anfang / Es stehe kurtz oder lang," — eine im neulateinischen Drama einzig dastehende Stelle 42 ), nur dadurch zu erklären, daß Knaust den Zuschauern diese Warnung ganz besonders einhämmern wollte. Ein eigentlicher Spaßmacher ist also Knausts Morio nicht. Anscheinend wollte Knaust durch die Einführung des Morio die Handlung volkstümlicher gestalten und beleben. Das ist anzuerkennen in Anbetracht der akademischen Starrheit der übrigen Didodramen. Jedoch ist dadurch kein dramatischeren Geist schaffendes Moment hineingekommen, im Gegenteil: die Zahl der Monologe und kleinen „Pufferszenen", bei Knaust besonders reichlich vorhanden, wird durch Morio noch vergrößert; und darum bleibt auch dieses Didodrama ein Deklamationsstück. d)

Frischlin.

Machte Knaust sich wenigstens die Mühe, neue Personen in die Didohandlung einzuführen und dadurch das Ganze abwechslungsreicher zu gestalten; so sah der große Humanist Nicodemus Frischlin, wie er mit möglichst wenig Personen auskam, und behielt nur die allerwichtigsten bei. Bei ihm geht es auch ohne alle moralisierenden Lehren ab; das Buch der „Aeneis" wird so, wie es ist, ohne jede Beifügung dialogisiert. Frischlin schrieb seine beiden dramatischen Übungsstücke „ D i d o " und „Venus" 4 3 ) während seine Tübinger Zeit f ü r seine Schüler; in der Vorrede zur „ D i d o " hat er die praktisch-pädagogischen Ziele, die ihn zu dieser Arbeit führten, dargelegt. Er hatte die Absicht, nacheinander alle Aeneisbücher zu dramatisieren, die nach seiner Meinung sämtlich ein vorzüglicher Tragödienvorwurf sind, da doch in allen — mit Ausnahme des ersten — eine wichtige Person stirbt. E r glaubte, damit eine Arbeit zu vollbringen, die der eines Sophokles und Euripides entspräche, die ja auch die Stoffe ihrer Tragödien aus Homer genommen hätten. Diese naive Anmaßung zeigt uns einmal ganz kraß, wie gering das Verständnis dieser humanistischen Dramatiker f ü r wahrhaft dramatischen Geist gewesen ist; ein Werk mit verteilten Rollen 42

) Vgl. Michel, a.a.O., 2 58. ) Vgl. David Friedr. Strauß, Leben u. Schriften d. . . . N. Frischlin, Frankf. i856, i o o f . ; R. Fink, Studien z. d. Dramen d. Nie. Frischlin, Leipz. Diss. (Masch.) 1 9 2 1 , 1 x 8 f f . ; E. Neumeyer, Frischlin als Dramatiker, Rost. Diss. (Masch.) 1 9 2 1 6 8 f f . ; N. Frischlin, Julius Redivivus, hrsg. v. W. Janell, Rln. 1 9 1 2 (Lat. Lit. Denkm. d. i5. u. 16. Jahrh. 19), darin: Roethe, S. XXVIII, Janell, S. LXIX. 43

32

FRISCHLIN UND VIRGIL

war nach ihrer Anschauung eben ein Drama, wenn es traurig ausging, eine Tragödie. Die „Venus" ( i 5 8 4 ) dramatisiert das erste Buch der Aeneis; die „ D i d o " ( I 5 8 I ) nennt sich „Tragoedia nova ex quarto libro virgilianae Aeneidos". Nach Fink 14 ) wurde sie in Tübingen und Schulpforta a u f g e f ü h r t . „Ut Phrasin Virgilii retineremus et quoad eius fieri posset, nullum aliunde verbum quaereremus"iS): das war Frischlins Grundsatz bei seiner Arbeit. Zeile f ü r Zeile werden die Hexameter in Jamben oder Anapaeste umgesetzt, wobei das, was bei Virgil nicht als Rede gegeben ist, einfach von irgendeiner handelnden Person erzählt wird. Die längeren Reden werden durch belanglose Zwischenbemerkungen der anderen Person unterbrochen, wodurch Frischlin wohl den Anschein von lebhafter Rede und Gegenrede erwecken will. Nur sehr wenige Virgilverse hat er weggelassen. Eingesetzt hat er einen Chor, der in der „ D i d o " am Ende der Akte auftritt, in der „Venus" auch am Dialog teilnimmt, f ü r den er aber nun nicht etwa eigene Verse geschaffen hat, sondern den er nur die Virgilverse sprechen läßt, die sich schlecht in Dialog umsetzen ließen. Bloß am Ende des zweiten Aktes der „ D i d o " schließt dieser Chor an den Bericht über Didos Vorahnungen noch Betrachtungen über die Allmacht der Liebe, die im Thema wie in einzelnen Wendungen an den Chor in Senecas „ P h a e d r a " 274—357, anklingen 4 6 ); und ebenso ist in der „Venus" ein Chorlied an Horaz angelehnt. Diese beiden Chorlieder sind aber auch das einzige, was f ü r eine selbständige Leistung Frischlins gehalten werden kann. Die Verteilung der Virgilverse auf die einzelnen Akte ist in der „Dido" folgendermaßen durchgeführt 4 7 ): Akt I = IV 1—2o5; II = IV 2 0 6 — 3 o 3 ; III = IV 3 o 5 — 4 7 7 ; IV = IV 4 7 8 — 5 9 0 ; V = IV 5go—703. Frischlins „ D i d o " ist zweimal ins Deutsche übersetzt worden, und beide Übersetzungen sind nicht ohne weiteres als solche kenntlich; denn beide nennen Frischlins Namen nicht. Die erste Übersetzung gehört der Barockzeit an u n d ist von dem Zesen-Schüler Daniel Simonis (Salemyndonis) aus Köslin 48 ), der sie zusammen mit einer Virgilübersetzung in Prosa unter dem Titel ver41

) a.a.O., 209. ) Vorrede. «) Vgl. Janeil, a.a.O., LXIX. " ) Im Einzelnen: Fink, a.a.O., 123. " ) Vgl. über ihn A.D.B. 37, 288f.; bei Goedeke* III, 2x4, fälschlich Dionys Lesman genannt. 45

FRISCHLIN-ÜBERSETZUNGEN — HOSPEINIUS

33

öffentlichte: „Teutsch Eingekleideier Virgilius. Von D. S. Stargart 165919). „Der Frygier Aeneas / Wi Er Nach Smärzentfändlichen Abläben seiner ädlen Kreusen / entslagung der träbsäligen Dido / mit der huldreichen Lavinia besäliget / izzo bey der Libsäligsten Deutschinne / in beruheter annämligkeit befridet worden. Stargard In Verlegung Jacob Hennings / Buchhändlers"5°/51). Die andere Übersetzung nennt sich „Dido, Königin in Karthago. Ein Trauerspiel. Nach dem Lateinischen. Hersfeld an der Fuld bei Johann Adolph Hermstädt 1771"52). Sie ist in Prosa abgefaßt und scheint von Hermstädt selbst herzurühren. Die Chöre fehlen, so daß in der Handlung einige Lücken sind. Manches ist kürzer gefaßt, so die Szene zwischen Anna und Dido am Anfang des vierten Aktes. Am Schluß wird eine Mahnung angefügt. e)

Hospeinius.

Zu der engeren Gruppe Knaust-Frischlin gehört als dritter der Straßburger Michael Hospeinius 53 ), Verfasser der i 5 g o und i 5 g i aufgeführten Stücke „Equus Trojanus" (aus dem zweiten Buch der „Aeneis") und ,,Dido". Auch diese „Dido Tragoedia nova ex libris IV prioribus Vergilianae Aeneidos Argentorati ... ao. 1591"51) war f ü r die Schulbühne bestimmt und sollte zugleich eine Mahnung geben, und zwar denen, die aus Torheit der sicheren Wahrheit des göttlichen Wortes zuwiderhandeln, blutige Kriege führen, um ihre Begierde zu stillen, und kurze Jugendfreude ewigem Ruhme vorziehen. Die „Dido" des Hospeinius steht ihrem Wesen nach zwischen Knaust und Frischlin; sie ist einheitlicher als Knausts Werk, hat aber vor allem in den Chören eigene Einschübe und schaltet freier mit Virgils Worten als Frischlin. Auch darin nimmt sie eine Mittelstellung ein, daß Hospeinius sich nicht wie Frischlin auf das eine (vierte) 19

) In dem Exemplar der Staatsbibl. Bln.; doch fehlt dieser Vortitel anscheinend in anderen Exemplaren. 60 ) Vorhanden: Staatsbibl. Berlin u. (nach A.D.B.) Bibl. d. Ges. f. pommersche Gesch. u. Altert.-Kunde. Näheres u. S. 38 f. 51 ) Erwähnt wird d. Werk in Gottscheds Nötigem Vorrat u. Gottscheds Vorrede zu: Aeneis... übers, v. J. Chr. Schwarz, Regensbg. 17^2, 21 ff. Doch wurde d. Werk bisher noch nie als Frischlinübersetzung erkannt. 52 ) Vorhanden: Staatsbibl. München. H ) Vgl. über ihn Bossert, Archiv f. Lit. Gesch. XI, Leipzig 1882, 318, Lorenz-Scherer, Gesch. d. Elsasses2, Berlin 1872, 296. M ) Vorhanden: Stadtbibl. Breslau, Univ.-Bibl. Leipz., Staatsbibl. München.

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HOSPEINIUS UND VIRGIL

Buch beschränkt, andererseits nicht so weit ausholt wie Knaust; und so hält sich auch die Zahl der Personen mit 1 7 zwischen Knausts 39 und Frischlins 9 Spielern. Hospeins Drama hat Argumentum und Prolog, was beides bei Frischlin fehlt, allerdings ist Hospeinius' Prolog nichts anderes als ein zweites, besonders die Vorgeschichte berücksichtigendes Argumentum. Die beiden ersten Akte dramatisieren das erste Buch der „Aeneis", am Schluß des zweiten steht als Erzählung Aeneens ein Auszug aus dem zweiten und dritten Buch; dritter bis fünfter Akt schließen sich dem vierten Buch an. Der Chor tritt nicht bloß am Ende jedes Aktes auf, sondern nimmt auch an mehreren Stellen am Dialog teil und beherrscht sogar inmitten des dritten Aktes eine ganze Szene. E r hat zumeist die Aufgabe, die Handlung weiterzuerzählen (wie bei Frischlin), freilich wirken seine Reden dadurch etwas liedmäßiger — abgesehen von dem sich von den Senaren des eigentlichen Dramas unterscheidenden Versmaß —, daß sie durch Götteranrufungen erweitert sind (II, III, V). Im übrigen ist die Arbeitsweise Hospeins der Frischlins recht ähnlich; auch er setzt die Virgilverse in Jamben um, möglichst Zeile f ü r Zeile, nur daß Hospeinius durch größere Dehnung aus Virgils Hexametern mehr Senare macht als Frischlin, und daß die großen Reden noch häufiger mit kleinen, fragenden oder zustimmenden Äußerungen der anderen Person durchsetzt werden. Diese Einschübe sind sehr oft wörtlich oder wenigstens mit geringen Veränderungen aus Frischlins „ D i d o " übernommen, wie überhaupt Hospeinius — der Stoffverteilung entsprechend natürlich nur in den letzten drei Akten — Frischlins Wortstellung und Versfüllung häufig folgt. Schon der Anfang des dritten Aktes bringt ganz einwandfreie Entlehnungen aus Frischlins erstem Akt. Frischlin I : „Regina coeli Juno domatrix Quod vulnus alo venis ... Sed en adest soror."

poli

Hospeinius I I I : „Regina coeli Juno coniugii Quod vulnus alo ... Sed en adest soror."

dea

Dieselbe Abhängigkeit zeigt die zweite Szene, Junos Gespräch mit Venus, dann vor allem das Gespräch zwischen Merkur und Aeneas (Hospeinius IV), und im fünften Akte die erste Szene zwischen Anna und Dido sowie die letzte Szene des Dramas; vgl. z. B. etwa noch

NEULATEINISCHE DIDODRAMEN DES 17.

JAHRHUNDERTS

35

Frischlin I I I : „Annosa quercus non cadit non pluribus percussa plagis." Hospeinius V: „Annosa quercus plaga unica."

haud

cadit

f) A n o n y m u s L e i d e n s i s u n d

Fürer.

Diesen humanistischen Didodramen schließen sich im 17. Jahrhundert zwei weitere an 55 ), die aber nun auf jegliche Eigenart verzichten. Sie setzen weder Virgils Hexameter in andere Verse um, noch haben sie Chöre. Sic versuchen nicht einmal, die nicht als Gespräch gegebenen Stellen des Virgilbuches in den Dialog zu bringen oder wenigstens von irgendeiner Person erzählen zu lassen, wie Frischlin das gemacht hat. Sie ziehen nur die Gespräche aus Virgil heraus und reihen sie unter Einteilung in Szenen und Hinzufügung geringer Füllsel aneinander. Das erste dieser Werke, dessen Verfasser unbekannt ist, wurde nach einem in der Leydener Bibliothek befindlichen Manuskript von W . H. D. Suringar (Lugduni Batavorum 1880) 56 ) herausgegeben und scheint aus der Mitte des 17. Jahrhunderts zu stammen. Es setzt ein mit dem Gespräch zwischen Jupiter und Venus („Aeneis" I 229 f f . ) , gibt die Gespräche bis „Aeneis" I 63o; daran f ü g t es die Szene zwischen Anna und Dido („Aeneis" IV 9 f f . ) und als Erzählung des Aeneas eine Aneinanderreihung der wichtigsten Verse des dritten, um darauf die Gespräche des vierten Buches in der Virgilschen Reihenfolge hintereinander zu setzen („Aeneis" IV 93 f f . ) , lediglich unter Einschiebung eines Cupidomonologes, der aus Versen des ersten und vierten Buches zusammengestückelt und an der ihm zugewiesenen Stelle ziemlich sinnlos ist. Auch die Verse, die zur Füllung der Reden hinzugefügt werden, sind zum größten Teil aus Versen Virgils zusammengeleimt; im einzelnen hat Suringar das im Anhang genau verzeichnet. Den Schluß des Werkes macht der Grex mit einer Bitte um Zustimmung. 55

) Ein drittes ruht als Manuskript auf der Leydener Bibliothek: „P. Cu-

naei autographa rum in Quarto, 56

Tragoedia Dido... E Legato Cunaeorum Volumen gerens numerum 7." Vgl. S u r i n g a r , a. a. O., X.

22

folio-

) Vorhanden: Univ.-Bibl. Göttingen. Genauer Titel: „Dido. Tragoedia

ex segmenlis autographum

priorum possidet

librorum Biblioth.

Aeneidos Leidensis

composita, ab auclore incerto, edidit W. H-. D. Suringar, litt,

cuius doct."

36

DIE NEULATEINISCHEN DIDODRAMEN

Noch unselbständiger ist der „Aeneas Trojanus" des Gustavus Philippus Fürer von Haimendorff und Wolkersdorff, dessen Vorrede Norib. 16. Oktober i685 datiert ist57). Bei diesem Stücke handelt es sich um eine Schüleraufführung, in der, wie das Personenverzeichnis angibt, Jünglinge aus Nürnberger Patrizierfamilien mitgewirkt haben. Der Verfasser, der selbst den Aeneas spielte, ist der junge Sohn Christophs VI. Fürer von Haimendorff 58 ) und Bruder des bekannten Christophs VII. F. v. H., der später Vorsitzender des Pegnitzordens wurde 59 ). Wie der Titel sagt, steht Aeneas im Mittelpunkt des Werkes, und so sind die ersten anderthalb Akte des dreiaktigen Stückes Auszüge aus dem zweiten und dritten Aeneisbuch, erst dann folgt mit dem ersten Buch die Einleitung der Didogeschichte. Das vierte Buch wird in nur fünf Szenen des dritten Aktes in der Weise verwertet, daß die Schlußmonologe Didos ohne Pause hintereinandergesetzt werden. Eigener Zusatz des Verfassers sind im dritten Akt kaum sechs Verse. Das Ganze ist also eine Zusammenstellung der Reden aus Virgil f ü r eine Aufführung mit verteilten Rollen. — Überblickt man von hier aus noch einmal die Reihe der neulateinischen Didodramen, so ergibt sich die bemerkenswerte Tatsache, daß ihre Selbständigkeit Virgil gegenüber im Laufe dieses reichlichen Jahrhunderts mehr und mehr abnimmt. Allen zwar war die Fassung Virgils unantastbares Vorbild, alle wollten dem Didostoff keine eigene Auffassung geben, sondern nur den alten Inhalt in ein neues Gefäß füllen, um ihn dadurch ihren Zwecken dienstbar zu machen. Aber die beiden ersten Humanisten, die sich an diese Aufgabe machten, hatten doch wenigstens noch eine trübe Vorstellung von den tiefen Unterschieden zwischen Epos und Drama und wichen daher von dem Wege Virgils ab; und der nächste versuchte die Handlung zu beleben, dadurch, daß er sie mit Hilfe komödienhafter Elemente dehnte. Erst Frischlin degradierte das Didodrama zur bloßen Paraphrase Virgils, wurde indessen durch die exzerptähnlichen Zusammenstellungen des 17. Jahrhunderts an Unoriginalität noch überboten. Durch die andauernde Steigerung der pädagogischen Ziele, denen es entsprungen war, lief das neulateinische Didodrama in Deutschland sich also schließlich tot. 67

) ) 1755, M) 58

Vorhanden: Stadlbibl. Nürnberg; Titelblatt verloren. Vgl. G. A. Will, Nürnberger Gelehrtenlexikon I, Nürnberg u. Altdorf 498. Vgl. ebenda und A.D.B. 8, 207; s. a. Goedeke2 III, 275.

37

DIDO IM BAROCK

III.

DIDO IM

BAROCK.

Ein großer Dichter, der einem Stoff eine klassische Prägung gegeben hat, wirkt auf die, die sich nach ihm durch denselben Stoff anziehen lassen, sehr leicht mehr hemmend als fördernd ein. So ging es denen, die nach Virgil die Didogeschichte aufgriffen: Das Mittelalter stellte sie wohl in ein von Grund aus verändertes Milieu, und das 16. Jahrhundert preßte sie in eine neue Form hinein, die ihr nicht ohne weiteres gemäß war; aber beide Epochen waren nicht stark genug, die von Virgil gefügte Fabel ihren Bedürfnissen entsprechend umzubilden, da der große Römer ihnen mehr oder weniger unantastbar schien. Und so kam es, daß die Didohandlung bis zum 17. Jahrhundert hin so belassen wurde, wie Virgil sie gesehen hatte; sie blieb die unberührte Konstante. Das Barockzeitalter mußte seiner ganzen Einstellung nach dem Didostoff sehr günstig sein; denn er erfüllt alle Bedingungen, die das 17. Jahrhundert stellte. Der Heroismus griechisch-römischer Mythenund Geschichtsgestalten übte auf diese im Banne der Antike stehende Epoche einen unwiderstehlichen Reiz aus. Die gesamte Erscheinungswelt wurde zu Göttern und Helden des Altertums in Beziehung gesetzt und durch die Brille der Antike gesehen 1 ). Dazu kam der Kultus, den das Barock allem Weiblichen entgegenbrachte. So haben es ihm die großen heroischen Frauengestalten der Griechen und Römer besonders angetan: eine Agrippina (Lohenstein 166/i), eine Klcopatra (Neumark I 6 5 I , Lohensteiii 1 6 6 1 ) , eine Sophonisbe (Zesen 16^7, Dedekind i654, Lohenstein 1680) u. a. Seneca war das glänzende Vorbild f ü r diese pathetische und der Welt der Haupt- und Staatsaktionen zugewandte Zeit2). Es lag nahe, daß in der Reihe dieser großen Frauen der Antike auch die Didogestalt auftauchte; ist in der Didohandlung doch alles enthalten, was man sich damals wünschte: Pathos, Affekte, Sinnlichkeit, Wahnsinn und Selbstmord. Der Didostoff war f ü r das Barock wie geschaffen und reizte es notwendigerweise zur Bearbeitung. Trotzdem hat Deutschland keine eigene vollgültige Behandlung des Didostoffes aus der eigentlichen Barockzeit aufzuweisen. (Ob des F. Cogelius „Reisender Fürst Aeneas" von 1672 eine war, läßt sich nicht mehr feststellen, ist aber nicht sehr wahrscheinlich.) Die Vermutung, daß auch hier noch das zu große Vorbild im Wege war, liegt nahe. ») Vgl. Cholevius, a.a.O., I, 3g8. *) Vgl. Stachel, a.a.O., 180ff.

38

DANIEL SIMONIS

i.

Anklänge.

Freilich bewiesen hat das Barock sein starkes Interesse am Didostoff, es hat sich mehrmals um ihn bemüht. Nur das Jesuitendrama konnte ihn wegen der fehlenden Möglichkeit zur religiösen Tendenz nicht gebrauchen 3 ). Voran steht jene schon genannte Frischlin-Übersetzung des ZesenSchülers D a n i e l S i m o n i s aus Köslin 4 ), die sich ja als selbständiges Produkt ausgibt und bisher auch immer dafür galt. Hier ist das Schuldrama des Humanisten in die Sprache des Hochbarock übertragen. Aus den Senaren und sonstigen Jamben Frischlins sind, der Poetik des 17. Jahrhunderts entsprechend, Alexandriner geworden, in der Hauptsache mit klingenden Reimen, zuweilen auch mit zweifüßigen Senkungen (II, 2; II, 3). Die Chorlieder an den Aktenden sind deutlicher als bei Frischlin vom Vorhergehenden abgehoben, zumal durch anderes Versmaß; sie werden ziemlich frei übertragen, durch strophische Einteilung und inhaltlich abgerundet, in ihrer neuen Form nun etwa an Oden Flemings erinnernd. Es mögen hier die ersten sieben Zeilen aus Frischlins erstem Chorlied den ersten zwei Strophen desselben Chorlieds bei Simonis gegenübergestellt werden: Simonis: i. Tod und Tag ist angebronnen Alles übel brächt herein / O das nicht das Lücht der Sonnen Izzo mus stokfänster seyn; Ere / zugt / und Rädligkciten / Läget Dido bei di Seiten. 2. Ach! di tolle hat den Sännen Gänzlich gute Nacht gesagt / Leuchnet izzo kein begännen, Das sie so verzweifelt plagt. Mit dem Namen Ehgemalen Kan si alle Schuld bezalen. 3

Frischlin : 1. Hic dies lethi venit et 2. Causa cunctorum

malorum

neque enim 3. Debita fama specieve

movetur Dido.

h. Impotens

mentis

neque nunc amorem 5. Ipsa furtivum meditatur etiam 6. Coniugem Aeneam vocat, hac pudica 7. Voce praetexit male sana culpam.

) Vgl. die Jesuitendramenlisten bei F. Weller, Die Leistungen der Jesuiten auf d. Gebiete der dram. Kunst, Serapeum XXV (i864) u. XXVII (1866), u. P. Bahlmann, Das Jesuitendrama d. niederrhein. Ordensprovinz, Lpzg. 1896. s. o. S. 3a f.

DANIEL SIMONIS' FRISCHLINÜBERSETZUNG

39

Insbesondere werden die Chorschlußworte im fünften Aufzug, bei Frischlin elf lediglich berichtende Verse, um eine (nun nicht mehr moralisierende, sondern bloß feststellende) Betrachtung zu fünf achtzeiligen Strophen erweitert. (Letzte Strophe:) „Wer solches liben wälet Der dulde was si bringt Wan glut und pein ihn kwälet / Und zum verdürben drängt Wer liben unbekeuschet Wi wunder da sie wand'? Und geilen vorsaz teuschet Und hat ein traurig End." Die Veränderungen im eigentlichen Handlungsteil sind geringer, sie gehen nur so weit, wie es zur Erzielung einer allgemein-barockalen, speziell-zesenschen Sprachgebung und Satzkonstruktion erforderlich ist. Im allgemeinen kann man etwa sagen: Koordinierte Satzglieder werden gern zu einem zusammengezogen, zugleich wird aber dieses eine neue durch Epitheta und die für das Barock typischen Wortzusammensetzungen meist metaphorischer Art erweitert und durch Interjektionen, wenn möglich, bekräftigt. Gleich die ersten Zeilen des Dramas geben ein klares Beispiel: Simonis: 0 Juno Königin der blauen II immelszinnen Wi / achl wi mus mein Blut an stäter Wunde rünnen!

Frischlin: Regina coeli, Juno dematrix poli Quod vulnus alo? quo saevo amore saucior?

(Hier ist also aus „Regina coeli" und „domatrix poli" „Königin der blauen Himmelszinnen" geworden usw. In jeder Zeile ein Ausruf!) Aber das Barockale an diesem Drama mußte bei seinem Charakter als Übersetzung im Sprachlichen stecken bleiben. — Man ist sich durch das ganze 17. Jahrhundert hindurch der Didogestalt bewußt gewesen, wenn man sie auch nicht zur Heldin eines eigenen Werkes gemacht hat. Den K o m ö d i a n t e n war sie zumindest als eine Figur gegenwärtig, die sich für ein Stück eignet. Rist 5 ) erzählt nämlich in seiner „Alleredelsten Belustigung Kunst- und Tugend-Lic5

) Vgl. Fritz Burg, lieber die Entwicklung des Peter-Squenzstoffes bis Gryphius, Z. f. d. A. XXV, i 3 o f f .

40

DIE KOMÖDIANTEN — LOHENSTEIN

bender Gemüther" (1666) von einem Stück „von einem Könige, der seinen eintzigen Printzen eines andern Königs Tochter ehelich wollte beylegen lassen", das er ungefähr 1626 in Hamburg gesehen habe. Innerhalb dieses Stückes tritt als Zwischenspiel eine Komödiantengruppe auf, geführt von dem Schulmeister Ambrosius Caprimulgius, der in seinem Repertoire auch ein Spiel „von Didonis und Aenatias" hat, unter vielen anderen Stücken, von denen er dann „Pyramus und Thisbe" zur Aufführung bringt. Freilich ist mit diesem Didospiel vielleicht eine deutsche Bearbeitung von Marlowes Werk gemeint 0 ). — Ein weiterer Beweis f ü r Didos Beliebtheit ist L o h e n s t e i n : Er läßt in der in Carthago spielenden Tragödie „Sophonisbe" (1666 verfaßt, 1680 gedruckt) bei Beginn des fünften Aktes Didos Geist beschwören 7 ). Im Tempel der Sonne und des Mondes ist Dido auch nach ihrem Tode Priester in geblieben. „Der Dido Schatten irrt noch emsiger ums Grab Als weyland in der Welt / eh sie den Leib legt ab." (V, 83 u. 84.) Sie, die sich „das öl des Lebens selbst aus ihren Adern" (V, 91) gesogen hat, „als Hiarbens tolle Brunst ihrer Keuschheit Netze stellte" (V, 92), sie wird nun als Göttin angebetet und kann deshalb die Zukunft voraussagen. Nach Erledigung ganz bestimmter Zeremonien erstrahlt im Heiligtum mit Sonnenaufgang Didos Bild: „mit Purpur angezogen Die Haare deckt Smaragd, / ein Carchedonisch Bogen Hängt von dem Rücken ab; die Pfeile sind aus Gold, Ihr Antlitz heget noch ihr Ansehn / ihre Hold." (V, 45—48.) (Nach „Aeneis" IV i 3 7 f f . gebildet.) Sie verkündet der schlafenden Sophonisbe durch „Bauch und Mund" ihren und Carthagos Untergang, zählt die Völker auf, die danach Afrika beherrschen werden, um mit einer Huldigung f ü r das Haus Österreich und Kaiser Leopold zu enden. Die Szene, die insbesondere die ältere Fassung der Didogeschichte im Auge zu haben scheint, ist also eine „Geistererscheinung zu panegyrischen Zwecken" 8 ), ganz aus 6

) Vgl. über Marlowes Didodrama C. Knutowski, Das Didodrama von Marlowe und Nash, Diss. Breslau igo5. ') Die Dido in Lohensteins „Arminius" hat mit der antiken nur den Namen gemein. 8 ) Kurt Kolitz, Johann Christian Hallmanns Dramen, Berlin 1911, 36 f.

HALLMANNS „ADONIS UND ROSIBELLA'

41

den Hofhuldigungsbestrebungcn der Barockdichter hervorgewachsen. Als bloße Geistererscheinung bringt sie ein beliebtes Motiv der zum Schaurigen neigenden Zeit, ihre spezielle Parallele hat sie in dem Auftreten von Augustus' Geist in Hallmanns „Theodoricus". — Das Drama des F r i d e r i c u s C o g e l i u s , eines Konrektors zu Eutin 9 ), „Der reisende Fürst Aeneas" (Ratzeburg 1672. In Versen) 10 ) ist leider verloren; wir wissen nicht, wie es zur Didogestalt stand. — Ein anderes Drama des Spätbarock läßt den Didostoff in einem jener musikalischen „Schluß-Reyen" anklingen, die man als exemplarische Chöre bezeichnen kann 11 ), weil sie zum Exempel am Ende eines Aktes einen dessen Geschehnissen irgendwie analogen Vorgang aus der Antike zu einem kurzen selbständigen Zwischenspiel erheben. Es ist in H a l l m a n n s „Adonis und Rosibella" (1673) 1 2 ) am Ende des vierten Aufzuges, in dem die verliebte Rosibella den kalten Adonis vergeblich zur Liebe zu bewegen versucht hat. Der Schauplatz verwandelt sich in den „Seehafen an der königlichen Burg zu Carihago / in welchem etliche Schiffe seegelfertig stehen". Aeneas ist im Begriff abzufahren, dem „diamantnen" Schluß des Himmels entsprechend. Da stürzt, von einem großen Gefolge von Hofleuten, Pagen, Hofdamen und Mohren begleitet, Dido heraus und sucht Aeneas unter Aufbietung aller ihr zur Verfügung stehenden Beteuerungen zurückzuhalten. Aber alles ist vergeblich, vor Jupiters Willen muß die größte Liebe „zu Asch und Dunst" werden: Aeneas segelt ab. Dido wird „vor Zorn ganz rasend", ruft die Furien herbei, verflucht den Ungetreuen und stößt sich, den Namen ihres ersten Gatten auf den Lippen, den Dolch in die Brust. Damit wäre ja nun eigentlich der Zweck, ein Beispiel zu zeigen, erfüllt; allein der Dichter des Spätbarock hat noch nicht genug, er braucht einen wirksamen Abschluß fürs Auge, und so läßt er Sichaeus mit sechs anderen Geistern aus seiner Gruft erscheinen (wieder die Geistererscheinung 1) und die Buhlerin Dido und ihre Geilheit verfluchen, um so den Akt mit einem „Todten-Ballett" beenden zu können. — Aus dem Streben der Zeit nach Überladenheit, ihrer Liebe zu Schauer und Pomp heraus ist diese spätbarockale Übertreibung entstanden; sie gestaltet nur die letzte Szene der Didogeschichte, beweist aber eben dadurch, wie geläufig der Stoff dem Deutschland von damals war. 9

) Vgl. über ihn: Jöcher, Gelehrten-Lexikon I, Leipz. 1760, 1997. ) Goedeke2 III, 224; Gottscheds Nöt. Vorrat. n ) Kolitz, a.a.O., i 5 u. 1 1 9 f . 12 ) Abgedruckt in: Trauer-Freuden u. Schäffer-Spiele, Breslau o. J . Vorhanden: Stadtbibl. Breslau. 10

12

DIE OPER

2.

Oper.

Hallmanns „musicalischer Reyen" ist ein regelrechtes Opernintermezzo in der Tragödie: er wird von Musikinstrumenten begleitet, die Personen singen, und schließlich gipfelt alles in einem Ballet. Er verkörpert als opernhaftes Element im Barockdrama eine Übergangserscheinung auf dem Wege vom Schauspiel zur reinen Oper. Der Stoff ist bereits der typische O p e r n v o r w u r f ; denn die W a h l des Didostoffes f ü r dieses Zwischenspiel hängt schon eng mit der Vorliebe der Oper f ü r solche heroischen Themen und im einzelnen gerade f ü r den Didostoff zusammen. E r hat es nämlich als Operntext zu einer großen Blüte gebracht. Die Oper 13 ) ist ein Erzeugnis der Barockzeit; in ihren Texten haben barockale Momente fortgelebt, lange noch, nachdem das eigentliche Barock versunken war. Heroismus, Pathos, Rhetorik, p o m p h a f t e A u f züge und alles, was damit zusammenhängt: das hat die Oper als Vermächtnis des 17. Jahrhunderts weitergepflegt. D a r u m hat sie als Themen auch die Schicksale der antiken Helden- und Göttergestalten bevorzugt, und bis ans Ende des 18. Jahrhunderts waren die meisten Opern Griechen- und Römeropern 1 1 ). Man braucht nur einmal die Liste der Hamburger Opern bis 17A0 durchzugehen 1 5 ), u m zu ermessen, wie sehr der antike Stoffkreis dominierte. Der Didostoff stand dabei in vorderster Reihe; in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde in Deutschland eine beträchtliche Zahl von Didoopern a u f g e f ü h r t . Freilich waren die Texte h ä u f i g Übersetzungen der vorbildlichen italienischen Opcrndichtungen; andere sind verlorengegangen und lassen sich darum heute nicht mehr einordnen. Bis zum Erscheinen von Metastasios „Didone abandonnata" ( 1 7 2 4 ) , die in der folgenden Zeit dann einen Triumphzug als Operntext antrat, lassen sich folgende Didoopern in Deutschland feststellen 1 6 ): 1. „II triumfo del Fato oder das mächtige Geschick bei Lavinia and Dido", Hamburg 1699 17 ). Verfasser: Hortensio Mauro, Übersetzer: Gottlieb Fiedeler, Komponist: Agostino Steffani 1 8 ). Das W e r k wurde schon vorher in italienischer Sprache in Hannover gegeben. Kein tragisches Ende! Dido heiratet Jarbas, Aeneas die Lavinia. 13

) ) 15 ) H. M. 16 ) ") lä ) 14

Vgl. H. Kretzschmar, Geschichte der Oper, Leipz. 1919. Vgl. Kretzschmar, a.a.O., 133 ff. E. 0 . Lindner, Die erste stehende dtsch. Oper, Berlin i855, 1 6 8 f f . ; Schletterer, D. dtsch. Singspiel, Augsburg i863, 208 f f . Vgl. H. Riemann, Opernhandbuch, Leipz. 1886, i o ^ f . Vgl. Schletterer, a.a.O., 209; Lindner, a.a.O., 180. Vgl. Kretzschmar, a.a.O., i / i i ; Lindner, a.a.O., 36 ff.

DIE OPER VON HINSCH

43

2. „Diclo", Hamburg 1707. Verfasser: Lic. Hinsch. Komponist: Christoph Graupner. 3. „Aeneas", Leipzig 1705 u. 1710 19 ). Ist nicht mehr vorhanden. Es läßt sich nicht feststellen, ob der Didostoff behandelt wird. 4- „Die getreue Dido", Naumburg 1712 20 ). Ist nicht mehr vorhanden. Näheres nicht bekannt. 5. „Dido", Breslau 1726. Verfasser: Arsino Corasio. Komponist: Tom. Albinoni 21 ). Von diesen Opern bleibt allein Nr. 2 zu betrachten. „Dido. Königin von Carthago. In einem Singe-Spiel auf dem Hamburgischen Theatro vorgestellt. Gedruckt im Jahre 1707"22). Der Text stammt von dem L i c e n c i a t e n H i n s c h (Hintze), einem wahrscheinlich aus Stade gebürtigen Hamburger Advokaten, der am 5. Mai 1712 starb 23 ); die Musik war von Graupner, einem bekannten Hamburger Komponisten 24 ). Es ist das Bedeutsame an diesem Operntext, daß er das erste Werk in Deutschland vorstellt, das sich von Virgil freimacht, den von diesem geprägten und bisher von allen Nachfolgern sklavisch beibehaltenen Handlungsgang fallen läßt, ihn auflöst, um aus einzelnen Hauptbestandteilen der Virgilschen Fassung, Resten Justins und vor allem den durch die Eigenart der damaligen Operntexte gegebenen Momenten ein ganz Neues zusammenzusetzen. Darin liegt die Bedeutung dieses Opernlibrettos f ü r die Geschichte des Didothemas in Deutschland, obgleich es als Kunstwerk keinerlei Wert hat und nichts anderes als eine typische Operndichtung seiner Zeit vorstellt. Gerade weil es das ist, m u ß es aber von dem überlieferten Wege abweichen; denn die Oper hat ganz andere Bedürfnisse, braucht eine ganz andere Verteilung und Anwendung des Stoffes. Freilich ist von dem Gehalt des Didostoffcs nicht mehr viel übrig geblieben. Thema des Werkes ist: die Liebe. Wie Gundolf von einem ähnlichen Operntext der Zeit sagt 25 ): „Es wird im Kreis herum geliebt". Man wäre fast geneigt, ein Schema der Liebespaare und ihrer Beziehungen untereinander aufzustellen. Vier Paare sind vorhanden: Dido liebt Aeneas, sie wird indessen von Hiarbas ge13

) Vgl. Schletterer, a.a.O., 2 1 9 ; Gottscheds Nöt. Vorr. ) Vgl. Schletterer, a.a.O., 223; Gottscheds Nöt. Vorr. 21 ) Vgl. 0 . G. T. Sonneck, Catalogue of Opera-Librettos, 1914, H. H. Borcherdt, Z. f. Gesch. Schlesiens 44 ( 1 9 1 o), 28 u. 48. 22 ) Vgl. Schletterer, a.a.O., 208, 2 i 4 ; Lindner, a.a.O., i 8 4 ; vorhanden: Staatsbibl. Berlin. 23 ) Ueber ihn: Hans Schröder, Lexik, d. Hambg. Schriftsteller III (Hambg. 1857), 2 7 1 . 2i ) Ueber ihn vor allem: A. D. B. 9, 609. 2ä ) Caesar in der dtsch. Lit. (Pal. XXXIV), Berlin und Leipzig 1904, 79. 20

HANDLUNGSGANG BEI HINSCH

44

liebt, in den die ägyptische Prinzessin Menalippe verliebt ist. Didos Liebe zu Aeneas entspricht genau auf der Stufe der Untergebenen die unglückliche Liebe von Didos Vertrauter Iras zu Achat, Aeneens Genossen. Schließlich ist noch ein Prinz von Tyrus vorhanden, Juba mit Namen, der in Didos Schwester Anna verliebt ist. Den Hauptteil der Oper nimmt nun allgemeines Schmachten der Verliebten ein, ein Sichnach-dem-Geliebten-Sehnen, Stöhnen über die unerwiderte Leidenschaft, Flehen und Drohen, ein Hoffen und Zweifeln, und das alles findet dem Charakter des Werkes entsprechend seinen pathetischsten Ausdruck in den großen, in italienischer Sprache gesungenen Arien. Bis sich der Knoten löst auf eine bei den verwickelten Liebesbeziehungen beinahe verblüffende Weise: Aeneens Abreise bringt nämlich alles zum unglücklichen oder zum glücklichen Ende. Dido und Iras, die beiden im Stiche Gelassenen, stürzen sich in den brennenden Scheiterhaufen. Dadurch verliert Hiarbas das angebetete Objekt seiner Liebe und kann nun die treue Menalippe heiraten. Und Anna, die Didos Nachfolgerin in Carthago wird, teilt das Zepter, um nicht einsam zu sein, mit Juba, gegen dessen Liebe sie sich bisher immer gewehrt hat. So bringt der Schluß nach der Abreise zweier Männer und dem Selbstmord der beiden in sie verliebten Frauen zwei glückliche Paare, die sich in die Arme fallen und die Lust der Liebe preisen können. Dieser Handlungsstamm wird verdickt durch eine stattliche Reihe von charakteristisch spätbarockal-opernhaften Nebenmomenten. Zu Beginn der Handlung erscheint Juno auf einer Wolke und sagt der schlafenden Dido Tod voraus (I, i ) . Als Dido im Sacrarium des Sichaeus opfert, um ihn zu versöhnen, winkt ihr — das wird aus Ovids Hcroide26) übernommen — sein Bild zu und ruft dreimal, so daß Dido schließlich in Ohnmacht fällt (II, 2). Menalippe folgt ihrem Geliebten Hiarbas in Männerkleidung und unter der Maske eines Flüchtlings überall hin (II, 4 usw.). Als Aeneas zögert, Jupiters Wunsche zu willfahren, erscheint Venus „in einer Maschine" und mahnt ihn (II, 9). Der unerkannt an Didos Hofe weilende Hiarbas wird als Opfer f ü r den Gott Mithra ausgelost, und er will gern sterben, von Didos schönem Munde beklagt; aber der Gott nimmt das Opfer nicht an, weil das Herz Hiarbens ja schon Dido gehört (II, i 4 — 1 8 ) . Um Dido zu verlassen, bedient sich Aeneas einer List: er heuchelt ein Flottenmanöver zur Feier der Hochzeit (III, 1). Es gab in dieser Oper — und das war eine Hauptsache — viel zu sehen: die Göttererscheinungen, ein Ballett am Ende des ersten AufVII, i o 3 f.

METAST ASIO

45

zuges, eine große Audienz, das Mithra-Opfer, den Flotten-Luststreit, zu dem Dido auf Elefanten reitet; überhaupt die ganze Szenerie: das Schlafgemach der Dido am Anfang, „unten mit Zimmern und NebenGemächern, darinnen ihre Staats-Damen ruhen, und oben einen großen Saal, dahin auf man auf einer Treppe steiget", den Vorhof des Schlosses mit vielen Statuen, den Tempel des Sichaeus, den Audienzsaal, den Wald mit dem Mithrabild usw. Das alles wirkte aufs Auge und die Sinne; es gab Gelegenheit zur Entfaltung großer Mittel, von Pomp und Prunk, und hatte den fehlenden inneren Gehalt zu ersetzen. — Die Sprache ist dementsprechend noch ganz barockal, pathetisch, voll mythologischer Anspielungen, bilderreich (Himmel-Brodt, Wollusts-Wespen), freilich bereits frei von den allzu geschraubten Übertreibungen und dem schwül-erotischen Bombast der späten Schlesier. In diesem Operntext kommt also zum ersten Male nur die letzte Phase der Didohandlurtg zur Ausführung: die Abfahrt. Alles Vorangehende ist bedeutungslos und wird übergangen: Ankunft und Aufnahme Aeneens ebenso wie Jagd und Liebesvereinigung. Auch die langen Unterredungen zwischen Dido und Anna und Dido und Aeneas werden als völlig ungeeignet für eine Oper ausgelassen. Die Didogeschichte wird zusammengestrichen zu einer prunkhaften, pathetischen, aber gehaltlosen und ins Typische gezogenen Liebesgeschichte mit unglücklichcm Ausgang, hineingesetzt in verwickelte Liebesgeschichten fürstlicher Personen und ihrer Vertrauten. — Um 1730 war es mit der deutschen Oper zu Ende; von da ab beherrschten die italienischen Texte und die italienischen Komponisten ganz Deutschland27). Der Didostoff spielte auch in dieser Periode der Oper noch eine große Rolle, und zwar war es die Dichtung des Italieners Pietro Metastasio ,,Didone abandonnata" (1724) 2 8 ), die ungezählte Male vertont wurde, von den verschiedensten Komponisten29), und die bald alle anderen Opernlibrettos desselben Stoffes in den Hintergrund drängte. Metastasios Werk wurde mehrmals ins Deutsche übersetzt, häufig ohne Nennung des Verfassers; und darum seien diese deutschen Drucke des 18. Jahrhunderts hier angeführt, weil sie sonst für Originalwerke gehalten werden könnten: 1. „Der Streit der Kindlichen Pflicht und der Liebe oder die Flucht des Aeneas nach Latien. In einer Opera auf dem Hamburgischen Schau" ) Vgl. Kretzschmar, a.a.O., i56 u. ff. 28) Vgl. Kretzschmar, a.a.O., i 5 g f . ; M. Landau, Die italienische Literatur am österreichischen Hofe, Wien 1879, 62 ff. 29) Vgl. Riemann, a.a.O., ioftf.

46

HAUPT- UND STAATSAKTION

Platz aufgeführt." 1781. Komponist: Porpora. Rezitation: Telemann. Übersetzung: J o h a n n Georg Hamann 3 0 ). 2. „Die verlassene Dido und Hypsipyle. Zwey Schauspiele. Aus dem Italiänischen des Herrn Abtes Metastasio übersetzt." Frankfurt und Leipzig 17Ä731)3. „Die verlassene Dido, ein Trauerspiel, welches auf dem Berlinischen Schauplatze aufgeführt werden soll." Berlin o. J . ( 1 7 6 9 ) . Komponist: Hasse 34 ). Um Metastasios W e r k handelt es sich zweifellos auch bei folgenden O p e r n : Braunschweig 1733 (34) und 3g 33 ) u n d Berlin 1753 34 ). Deutsche Drucke lagen indessen diesen O p e r n a u f f ü h r u n g e n nicht zugrunde. IV. DIDO

IM 18.

1. Haupt-

und

JAHRHUNDERT. Staatsaktion.

Als Schwester der Oper u n d als zweites, wenn auch ungleich weniger lebensfähiges Vermächtnis des Barock beherrschte die sogenannte „Haupt- und Staatsaktion" in den ersten Jahrzehnten des 18. J a h r hunderts die deutsche Bühne. Der Name sagt das Wesentliche über sie aus: Staatliche und kriegerische Ereignisse stehen im Mittelpunkt, Helden sind wie in der Oper Könige, Prinzen und Fürsten, großer P r u n k und luxuriöse Ausstattung erscheinen auch hier nicht als Mittel, sondern als Selbstzweck 1 ). Der Didostoff mag in größerem Zusammenhange zuweilen aufgetaucht sein, — Texte fehlen uns, und der Beweis läßt sich darum nicht f ü h r e n . Nur eine Erwähnung des Überwinders der Haupt- und Staatsaktion, Gottsched, in der „Critischen Dichtkunst" 2 ) deutet darauf hin. Er hat anläßlich der Reformationsfeier 1717 (anscheinend in Königsberg) eine Schulkomödie gesehen, in der „der Inhalt der Eneis Virgilii" — schon vom Urteil des Paris an und 30 ) Vorhanden: Staatsbibl. Berlin; Goedeke2 III, 338; vgl. Schlettcrer, a. a. O., 215. 31 ) Vorhanden: Univ.-Bibl. Marburg. 3! ) Vorhanden: Univ.-Bibl. Breslau. Hasse komponierte die „Dido" übrigens zum ersten Male schon Dresden 17^2 („La Didone abandonnata — die verlassene Dido, ein musikalisches Drama, welches auf dem königl. Schlosse zu Hubertusburg aufgeführt, Dresden 17 U2", nach: Sonneck, Cat. of Op. 191k) 33 ) Vgl. Schletterer, a. a. 0., 219; Gottscheds Not. Vorr. 31 ) Vgl. Gottscheds Nöt. Vorr. >) Vgl. W. Flemming, Artikel: Haupt- u. Staatsaktion, Merker-Stammler, R. L. I. s ) „Versuch einer Critischen Dichtkunst", Leipz. 1780, 573.

DIE

47

ALEXANDRINERTRAGÖDIE

bis zur Ankunft Aeneens in Italien3) — „und die Reformation

Lutheri

zugleich vorgestellet wurde. In einer Szene war ein Trojaner, in der anderen der Ablaß-Krämer Tetzel zu sehen, bald handelte Aeneas von der Stiftung des Römischen Reichs, bald kam Lutherus und reinigte die Kirche. Bald war Dido, bald die babylonische Hure zu sehen. Und diese beide so verschiedenen Handlungen hiengen nicht anders zusammen als durch eine lustige Person, die zwischen solchen Szenen auftrat, und z. E. den auf der See befindlichen Aeneas mit dem in Gefahr schwebenden Kirchen-Schiffe verglich." Man sieht, wie Schuldrama und Haupt- und Staatsaktion sich hier zu einem formlosen Handlungsungetüm vereinigt haben, in dem D i d o nur geringfügiges Moment war und f ü r das Ganze ziemlich belanglos bleiben mußte. Sie war auch hier, wie so o f t im deutschen Barock, nicht viel mehr als berühmtes Beispiel.

2. J. E.

Schlegel.

Die nächste, sehr wichtige Stufe f ü r den Didostoff in Deutschland bildet die klassizistische Tragödie Gottscheds und seiner Anhänger. Sie kam mit ihrer strengen Gebundenheit, ihrer Formenstarre und Steifheit aus dem damals allgemein vorbildlichen Frankreich. Es lag in dem Wesen dieser f ü r Deutschland neuen Gattung, d a ß sie von vornherein sehr zu einer neuen Behandlung des Didostoffes neigen mußte. Die S t o f f e , die f ü r die Alexandrinertragödie in Frage kamen, waren nämlich nach dem Muster der Franzosen von Gottsched genau bezeichnet; auch weiterhin sollten nur Schicksale von Königen, Fürsten, großen Helden und sonst hervorragenden Persönlichkeiten, nun allerdings ohne jeden Prunk und Schwulst, dargestellt werden. Man mußte also Geschichte und sagenhafte Überlieferung ausbeuten, und daß man dabei ganz besonders gern zu antiken Stoffen g r i f f , lag bei deren Vorherrschen in dem mustergültigen französischem Drama nahe, wie j a überhaupt die antike Tragödie letztes Vorbild war. So entnahmen von 39 deutschen Alexandrinertragödien allein 21 ihre Themen dem griechisch-römischen Stoff kreis 4 ). Mit Johann Elias Schlegels „Dido"5) wurde der Didostoff, ein begünstigter Vorwurf auch der französischen klassizistischen Tragödie 6 ), 3)

Ebenda 575. A. Schum, Studien z. dtsch. Alexandrinertragödie, Diss., Würzburg 1919, i 5 . 4) Johann Elias Schlegels Werke, Bd. I, 1 7 6 1 , 69 ff.; vorher gedruckt in Gottscheds Deutscher Schaubühne V, Lpzg. 174^» 191 ff. 6) Vgl. Konrad Meier, Ueber die Didodramen der Jodelle, Hardy und Scudery, Diss. Lpzg., Zwickau 1891. 4)

48

J. E. SCHLEGEL: ENTSTEHUNGSGESCHICHTE

in Deutschland wieder lebendig. Wie sehr er damals zu einer Behandlung herausforderte, geht daraus hervor, daß selbst Schüler ihre dichterische Fähigkeit an ihm versuchten. Ein Pfortenser, Baron Schell, schrieb eine „Dido" und übergab sie seinem Mitschüler Johann Elias Schlegel zur Beurteilung 7 ). Der fand das Werk nicht besonders gelungen, es war „unregelmäßig", und so ging er selbst daran, „die Fabel, wie sie von Virgil erfunden worden," durchzudenken, „in wie fern sie fähig sey, den Stoff zu einem Trauerspiel abzugeben, und wie sie zu diesem Ende bearbeitet werden müsse. Unvermutet f ü h r t e ihn diese Bemühung weiter, und er entschloß sich, selbst ein Trauerspiel zu verfertigen" 8 ). Das war 1789. Letzter Anstoß zur Abfassung des Schlegelschen Werkes war demnach ein Zufall. Die damalige Fassung ist uns nicht erhalten. Wir wissen nur durch den Bruder und späteren Herausgeber Schlegels, Johann Heinrich, daß sie einen ganz anderen f ü n f t e n Akt hatte wie die uns erhaltene. Auch an anderen Stellen wird das Werk damals etwas anders ausgesehen haben, denn die Umarbeitung des f ü n f t e n Aktes bedingte doch noch „kleine Verbesserungen" 9 ) vorher, wenngleich der Dichter in der späteren Fassung nicht alles in Einklang gebracht hat und ein Rudiment des ersten Entwurfs noch am Ende des vierten Aktes dazusein scheint 10 ). Klarer läßt sich darüber leider nicht sehen, wir haben eben erst die Fassung, die i ^ k k im f ü n f t e n Bande von Gottscheds Schaubühne gedruckt wurde. In den folgenden Jahren hat der gewissenhafte Dichter noch an einzelnen Ausdrücken und Satzfügungen gefeilt, ohne aber am Ganzen zu ändern, und so verbessert fand die „Dido" 1761 in die „Gesammelten W e r k e " Eingang 11 ). F ü r Deutschland ist das Neue an dieser Didotragödie zunächst die „Regelmäßigkeit". Die fünf Akte sind zwar verschieden lang, doch so, daß erster und f ü n f t e r Akt am kürzesten sind ( 1 0 u. 8 S.), der dritte am längsten (14V2 S.) und der zweite und vierte ungefähr gleich 7

) Vgl. Einleitung zur „Dido", Ges. Werke I, 71 f f . ) Ebenda. 9 ) Ebenda S. 75 oben; s. a. Eugen Wolff, Johann Elias Schlegel, Berlin 1889, 36 Anm. 10 ) Das Berufen des Rates am Ende des k- Aktes, der in der ersten Fassung bei Beginn des 5. wirklich zusammentrat. Vielleicht ist auch die Gesandtschaft an Hiarbas im 5. Akt ein Rudiment. u ) Es ist nicht so, daß das Werk schon 17^4 so vorgelegen hat, wie es in die Gesammelten Werke kam, und die Abweichungen der Schaubühnenfassung von Gottsched stammen (wie Wolff a.a.O. 19 annimmt), sondern Schlegel hat noch gefeilt. Vgl. Ges. Werke V, S. XIV u. I, 76, auch die Anm. I, 90. S. a. J. Rentsch, A. f. d. A. i5, 3^7 ff. (Bespr. v. Wolfis Buch.) 8

DIE DREI EINHEITEN BEI SCHLEGEL

49

( i 3 u. i3y* S.). Symmetrisch sind auch die Personen gruppiert: 10 treten auf, 5 Carthager (Spieler) und 5 Fremde (Gegenspieler). An der Spitze der einen Gruppe steht Dido, an der der anderen Aeneas. Neben Dido tritt ihre Schwester Anna, neben Aeneas sein Sohn Askan, zu Dido eine Hofmeisterin (Amme) und ein Feldherr, also eine mehr persönlich nahestehende und eine untergebene Person, zu Aeneas analog ein Vertrauter, Achat, und ein Bedienter, Cloanth. Dazu kommt auf carthagischer Seite ein Hauptmann, auf der der Gegenspieler Hiarbas, der durch seine Sonderrolle nun allerdings aus dem Schema herausfällt. Doch ist es zu bezeichnend, um auffällig zu sein, und geht deutlich auf französische Parallelen zurück. Einheit des Ortes und der Zeit wird natürlich streng gewahrt: „Die Handlung währt einen halben Tag", und so wird die Didogeschichte nur in ihren Schlußszenen vorgeführt: „Schauplatz ist ein Saal in dem Schlosse zu Carthago", und damit eine Lieblingsszenerie der Alexandrinertragödie 12 ), bei der es ohne Willkürlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten indessen nicht abgeht 13 ). — Dem Gesetz von den drei Einheiten entspricht schließlich die Einheit der Handlung, deren Trägerin (im Gegensatz zur Oper) nun Dido ganz allein ist, so daß sie durchaus im Vordergrund steht und das Gefüge allein zusammenhält. Ihr Gegenspieler ist Aeneas, zu dem Hiarbas tritt. Die Hiarbas-Handlung ist eigentlich eine zweite Handlung, aber im Gegensatz zu der ersten Fassung so mit der Dido-Aeneas-Handlung verwoben, daß sie nur noch einen Faktor in ihr bildet; jede eigene Entwicklung ist ihr abgeschnitten, vielleicht wird bloß etwas zuviel über Hiarbens Anrücken geredet. Der Deutlichkeit halber sei der Gang der Handlung kurz angegeben: I. Aeneas ist entschlossen, dem Willen der Götter zu gehorchen, und läßt alles zur Abfahrt bereit machen. Am Abend will er nach der Jagd, die Dido ihm zuliebe veranstaltet, in See stechen. Er weiß wohl, daß Dido ihn hindern wird, aber der Wille der Götter geht vor (= Exposition). — Dido selbst ahnt bereits Schlimmes, da kommt die Meldung vom Herannahen Hiarbens, der Didos Hand gewinnen will. (= Erregendes Moment.) II. (Steigende Handlung:) Dido gesteht ihrer Schwester ihre Ahnungen; Rachepläne steigen in ihr auf, obgleich sie erkennt, daß sie nicht ohne Schuld ist. Als Aeneas ihr seinen Entschluß kundgibt, n

) Vgl. Schum, a.a.O., 5of. ) Monologe müssen vermieden werden, vgl. Gottsched, Critische Dichtkunst, a. a. 0., 585, 598. Der Feind Hiarbas gelangt ohne weiteres in den Saal des Palastes, vgl. dazu Schum, a.a.O., 47. u. J. Rentsch, J. E. Schlegel als Trauerspieldichter, Diss. Erlangen, Lpzg. 1890, 46. 13

50

HANDLUNGSGANG BEI SCHLEGEL

bricht Zorn und Haß leidenschaftlich hervor, so daß Aeneas schließlich wortlos zurückbleibt. Da hört er von dem Angriff des Lybierkönigs, und das läßt in ihm den Gedanken aufkommen, Hiarbas zu besiegen und damit einen Teil seiner Dankesschuld abzutragen. III. Didos Rachepläne sind zur Reife gekommen, sie läßt Aeneas noch einmal in den Palast holen, um ihn gefangen zu setzen und mittlerweile die Flotte zu verbrennen. Den Hiarbas weist sie zurück, so daß er endgültigen Kampf ansagt. Aeneas gerät in einen Wortwechsel mit Hiarbas, der ihn Verdacht gegen Dido schöpfen läßt, hat sie ihm doch Aussöhnung mit Hiarbas vorgetäuscht (Höhepunkt). Trotzdem will er sie noch einmal sprechen, schickt aber die Genossen aus, die Schiffe zu sichern. IV. (Fallende Handlung:) Dido empfängt Aeneas scheinbar ruhig, doch bald gesteht sie ihm den Verrat, sie glaubt ihn in ihrer Gewalt zu haben, auch als er fest bleibt und wieder zu den Schiffen eilt. Da kommt die Nachricht vom Mißglücken des Anschlags auf die Schiffe und Aeneens Flucht. Dido, durch die Erscheinung des toten Gatten noch mehr beunruhigt, beschließt, sich zu töten, zumal auch Hiarbas näher und näher rückt. V. Barce versucht vergebens, Dido die Waffe zu entreißen. Eine Gesandtschaft an Hiarbas ist erfolglos; Dido hofft, durch ihren Tod die Stadt von ihm zu befreien. Anna, die die Nachricht bringt, daß Aeneas vor seiner Abreise das Lybierheer besiegt hat, kommt zu spät: mit dem Schwert des Geliebten hat sich Dido erstochen. Im ersten Entwurf des Werkes war die Hiarbas-Handlung nicht so geschickt in das Drama eingebaut. Nach der Inhaltsangabe des Bruders 11 ) haben wir uns den fünften Akt dort so vorzustellen: Dido sendet, vom Rat unterstützt, nach Hiarbas, um mit ihm Frieden zu schließen. Hiarbas erscheint, versichert Anna seine Liebe zu Dido und beklagt, daß diese ihn verachtet. Unterdessen tötet sich Dido, und unter allgemeinem Wehklagen schließt das Stück. Wie Johann Heinrich schon feststellt, hatte diese Fassung des fünften Aktes Unwahrscheinlichkeiten; zudem war die Hiarbashandlung überflüssige Nebenhandlung, die neben der Haupthandlung herlief, ohne sich mit ihr zu verknoten, und darum bloß kriegerisches Beiwerk. Erst dadurch, daß in der zweiten Fassung Aeneas Hiarbas besiegt und so seinen guten Willen zeigt, Dido zu helfen, ist die Hiarbasfigur gerechtfertigt und wird Mittel, während sie vorher Selbstzweck sein mußte. u

) Einleitung zur „Dido", a.a.O., I, 72 f.

ROLLE DES HIARBAS BEI SCHLEGEL

51

Die Rolle des Hiarbas und seine Verknüpfung mit der Dido-AeneasGeschichte ist das große neue Moment, das Schlegel in den Didostoff einführt. Bei Virgil ist Hiarbas nur dadurch an der Handlung beteiligt, daß er seinen Vater Jupiter auf das Liebesverhältnis aufmerksam macht und ihn zu dem Befehl veranlaßt. Die Oper des Licentiaten Hinsch zieht ihn bereits in die verwickelten Liebesbeziehungen ihrer Personen als willkommenen Teilnehmer hinein. Jetzt bei Schlegel aber wird Hiarbas zur wirklich tätigen Person, mit der Aeneas und Dido dauernd rechnen müssen. Dido tötet sich nicht nur aus unglücklicher Liebe, sondern zugleich um ihre Stadt von dem Lybier zu befreien. Damit mündet ein Hauptzug der älteren Sagenfassung Justins in die jüngere Virgilsche Prägung ein. Freilich ist diese Übertragung nicht Schlegels Eigen, sondern geht auf ausländische Didodramatiker zurück. Bei Metastasio ist sie ganz deutlich durchgeführt; indessen noch ohne den abschließenden und ganz neu erfundenen Zug der Besiegung Hiarbens durch Aeneas, den erst die von Metastasio stark beeinflußte „Didon" des le Franc de Pompignan ( 1 7 3 4 ) 1 5 ) erdichtete. In diesem Drama spielt Hiarbas teilweise bis in Einzelheiten hinein die gleiche Rolle wie bei Schlegel, es war — das steht jetzt einwandfrei fest 16 ) — Schlegels Vorbild. Bei Lefranc geht Iarbe unter der Maske eines Gesandten nach Carthago, um Dido seine Liebe zu gestehen und um sie zu werben, gibt sich jedoch, als er abgewiesen wird, zu erkennen. Als auch das nichts nützt, sagt er Didon Krieg an, der durch Enee entschieden wird, welcher kurz vor seiner Abfahrt das Heer des Iarbe besiegt und diesen tötet. Genau so ist es bei Schlegel: auch hier dringt Hiarbas in Didos Palast als Gesandter ein und gibt sich erst im L a u f e des Gespräches zu erkennen. Nur daß Lefranc den offensichtlichen Fehler beging, den Schlegel nun korrigiert, der Iarbe-Handlung einen zu großen Raum zu geben und sie stellenweise die Haupthandlung überwuchern zu lassen. — Lefrancs Didodrama muß sehr schnell nach Deutschland gedrungen sein, denn Schlegel hat es bereits bei seinem ersten Entwurf gekannt ( 1 7 3 9 ) . Damals übernahm er zwar noch nicht den Zug der Vernichtung Hiarbens durch Aeneas, aber doch die Szene zwischen Dido und dem Lybierkönig; nichts nämlich läßt auf eine Benutzung Metastasios schließen 17 ), der wohl eine ähnliche Szene, " ) Ausgabe: Amsterdam 1 7 8 0 ; abgeändert in den Gesammelten Werken 1784. 16 ) Vgl. H. Bünemann, Elias Schlegel und VVieland als Bearbeiter antiker Tragödien, Leipzig 1928, 54 f., 1 0 7 ; vgl. auch schon Greizenach, Z. f. d. Ph. 22, 2 3 o f f . , im Gegensatz zu Rentsch, a.a.O., 43. 17 ) Wie Creizenach, Z. f. d. Ph. 22, 2 3 o f f . , in Erwägung zieht (Bespr. v. Wolffs Buch).

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SCHLEGELS HINAUSGEHEN ÜBER VIRGIL

doch ohne das Sicherkennengeben hat. Es finden sich zudem mehr oder weniger wörtliche Anklänge an Lefranc im ganzen Drama 18 ), und die können doch nicht alle erst in die zweite Fassung gekommen sein. Ein weiteres Hinausgehen über Virgil in der Handlungsführung bedeutet die Einfügung der Geistererscheinung des Sichäus, die die erregte Dido beunruhigt. Dieses Motiv, das schon viel Kopfzerbrechen verursacht hat, stammt nicht, wie man neuerdings glaubt 19 ), von Lefranc, bei dem es sich erst in der umgearbeiteten Fassung der „Didon" von 1784 findet (V, 1), nicht aber in der, die Schlegel vorgelegen haben muß. Natürlich geht es auch nicht auf Shakespeares „Hamlet" zurück 20 ), den Schlegel kaum kannte, sondern wurde als allgemein beliebtes Motiv der französischen Tragödie21) (vielleicht aus Hardys „Didon" [i5g5]) 2 2 ), vielleicht auch in Reminiszenz an das deutsche Barockdrama von Schlegel übernommen, um Didos Erregung noch zu steigern, obwohl er damit die Regeln Gottscheds, die alles Übernatürliche verboten23), durchbrach. Der Schürzung des Handlungsknotens dient neben der Hiarbashandlung Didos Racheplan, ihr Versuch, Aeneas gefangenzusetzen und seine Schiffe zu verbrennen. Freilich wird dadurch eine äußerliche Intrige in die Liebestragödie gebracht, wie überhaupt so vieles veräußerlicht wird 21 ). Auch der Tod der Dido wird hiervon betroffen, die sich anstatt auf dem unheimlichen Scheiterhaufen mit dem Schwert des Aeneas im Palast entleibt. Es ist das Empfinden des nüchternen Aufklärers, das die magischen Vorbereitungen verdrängt und den Tod seines zu großen Überschwanges entkleidet. Diesen Veränderungen steht andererseits das Festhalten an Einzelheiten Virgils gegenüber. Da kommt das Bestreben Gottscheds und seiner Schüler, auf die Antike zurückzugehen, zum klaren Ausdruck. 1S

) Beispiele: 1. Szene zwischen Dido und Hiarbas: Als Iarbe erscheint,

sagt Didon bei Lefranc: „Que vient-il m'annoncer? Que pourrai-je lui dire?" (S. 22); bei Schlegel: „— — TVas will der Lybier allhier? Du weißt ja meinen Schluß. Was suchst Du noch bey mir?" (S. 107). Zu erkennen gibt

sich Iarbe bei Lefranc mit den Worten: „C'est moi" (S. 2 4); bei Schlegel: „Ich bin Hiarbas selbst" (S. 108). 2. Im übrigen Drama: Dido sagt zu Aeneas bei Lefranc: „Je ne viens plus ici par de nouveaux soupirs,

éloigner..."

„Nicht daß ich noch sein Ohr mit Klagen quälen will" (S. 102). 19

) °) «) 22 ) 23 ) 21 )

2

Vous

(S. A4); bei Schlegel sagt sie zuAskan mit Bezug auf Aeneas:

Creizenach, a.a.O., 232, Bünemann, a.fi.0., 200, in d. Anm. z. 107. Wolff, a.a.O., 17 ff. Vgl. K. Meier, a.a.O., 28. Vgl. Bünemann, a.a.O., i o 5 f . Vgl. Critische Dichtkunst, 141 ff. Vgl. Bünemann, a. a. 0., 53.

53

GESTALT DER DIDO BEI SCHLEGEL

Im Gegensatz zu den französischen Didodramen mit ihren bei Virgil nirgends erwähnten Personen, die irgendwelche französisch-antikisierenden Namen tragen (Madherbai, Palinure; bei Metastasio: Anna = Selene, Araspes, Osmidas), stimmen Schlegels Personen und ihre äußere Stellung genau mit Virgil überein. Auch in der Szenenfolge läßt sich häufig das Anlehnen an die Hauptquelle verfolgen (z. B. Didos Begegnung mit Barce kurz vor ihrem Tode, V, i ) . Sogar wörtliche Anklänge an Virgil sind vorhanden, von denen zwei herausgegriffen seien. Mit Schlegel IV, 6: „Ihr Kinder, geht dereinst, verlöscht der Väter wird Virgil IV

Schande"

625:

„Exoriare

aliquis nostris ex ossibus

ultor"

aufgenommen. Und wenn Dido Aeneas beschimpft: „Unbänd'ge

Tigerzucht"

(II, Ii),

so liegt eine Erinnerung an Virgil IV 367, vor, wo Dido zu Aeneas sagt: „... Hyrcanaeque admorunt ubera tigres." Doch wichtiger noch und bezeichnender als die Ausgestaltung des äußeren Handlungsganges wird die Auffassung und Behandlung des inneren Spiels der Charaktere. Sie haben bei den äußerlichen Verwicklungen des Dramas viel von ihrer ursprünglichen Tiefe eingebüßt. Natürlich bleibt bei der ganzen Anlage des Stückes Didos Charakter der betonteste, doch wird er im wesentlichen anders als von Virgil gesehen25). Der Römer gibt uns die Frau, die von ihrem Geliebten im Stiche gelassen wird, schildert Neigung, heldenhaften Kampf, Niederlage und Untergang, alle Stadien, die eine starke und dabei durch und durch gefühlsbestimmte Frau durchläuft, ehe sie zusammenbricht. D a ß sie zugleich Fürstin ist, stolze Herrscherin, spielt wohl eine Rolle, es erhöht die Tragik ihres Geschickes; aber Frau und Fürstin sind eines, in der Liebesgeschichte ist Dido ganz Weib, eine große Frau, die kämpft und zugrunde geht. Es kam Virgil auf die psychologische Vertiefung an. Ein empirisch-rationalistisch eingestelltes Zeitalter hat für einen derartigen Seelenmenschen wenig übrig, es würde ihn als „abgeschmackt" verwerfen. So stellt der Aufklärer die Leidenschaftlichkeit in den Vordergrund. Indessen führt er nun nicht etwa die ganze Ausdrucksskala des leidenschaftlichen Menschen vor, sondern er be25)

Vgl. Bünemann, a. a. 0., 90 f.

54

DIDOS UND AENEENS CHARAKTERE BEI SCHLEGEL

schränkt sich auf Zorn und Wutausbrüche und andererseits Jammern. Schlegels Dido kennt nur dann weichere Stimmungen, wenn sie etwas erreichen will, sie sind bei ihr also Verstellung. Vor allem ist sie Fürstin, die durch die Treulosigkeit in ihrer Ehre gekränkt ist, und der großer Stolz eine gewisse Unnahbarkeit gibt. Etwas jenseits von Gut und Böse Stehendes ist an ihr, sie scheint ohne ethische Bindung, eine Medea ohne deren Dämonie und darum alles andere als eine „Tugendheldin". Sie stellt damit das Gegenteil zu der Dido Veldekes dar, der weichen, sentimentalen mittelalterlichen Liebenden, die keine Leidenschaft hat. Bei Veldeke kann Dido nichts als lieben, ihr Tod bleibt selbst dem Dichter unklar, während man der Dido Schlegels gerade die heftige Liebe nicht recht glaubt, obwohl sie Triebfeder ihres Handelns wird, der maßlose Haß und die Rachsucht aber, mit der sie Aeneas verfolgt, ganz zu ihr gehören, — ja sie schließlich sogar aus Rachsucht stirbt: „Aeneas, fürchte Dich! erzittre, falsche Seele! Ich flieh in meine Gruft, doch nur, daß ich Dich Verräther!"

quäle,

(S. i36.)

Dieser Aufklärungsgestalt fehlt das, was die mittelalterliche Dido zu viel hat: das Herz; und wenn Gottsched von Schlegels Drama gesagt hat: „Hier redet das Herz" 20 ), so ist das eine f ü r den Rationalismus mit seiner Unkenntnis dessen, was wirkliches Gefühl ist, bezeichnende Äußerung, die indessen nicht zutrifft. Es bleibt der Schlegelschen Dido ein Drahtpuppenhaftes, Heroisch-Steifes, Blutloses, wenn sie auch eine der interessantesten Figuren der deutschen Alexandrinertragödie vorstellen mag, die sonst noch viel mehr schematisiert. Und nun Aeneas, bei Virgil der große Held, f ü r den das Liebeserlebnis nur eine Stufe seines Lebens ist, der weiter muß und der auch weiter will, ein Mann, der sich seiner Zukunft bewußt ist, und der darum die Liebe überwindet und Dido dem höheren Ziele opfert. Nicht daß er gefühllos wäre, aber er kann den andringenden Schmerz in seiner Brust niederringen, selbst hierin stark. Von alledem ist bei Schlegel nichts mehr zu spüren. Es mag ihm bei der Zeichnung des Aeneas der Typ des vernünftigen Menschen vorgeschwebt haben, der sich in die höhere Ordnung einfügt, der seine Triebe bändigt und nach einem geordneten Leben hinstrebt 27 ). Aber die Durchführung mißglückte ihm. Sein Aeneas bändigt seine Triebe nicht, er hat gar keine, 2S

) Einleitung zu „Dido" in „Deutsche Schaubühne" V, 191 ff. ) Vgl. M. Sommerfeld, Artikel: Aufklärung, Merker-Stammler, R. L. I.

27

NEBENPERSONEN BEI SCHLEGEL

55

hat nie welche gehabt. Er kämpft keinen Kampf zwischen Liebe und Pflicht, um sich schließlich f ü r die Pflicht zu entscheiden; sondern er ist bloßes Werkzeug in der Hand der Götter, ein unselbständiges, blind gehorchendes Wesen, daß zudem seine Ohnmacht wohl fühlt und darum eine Anklage gegen die harten Götter spricht. Didos Vorwürfen steht er sprachlos gegenüber; sie tut ihm leid, er bedauert sie, er möchte ja gern treu sein, aber es geht nun eben nicht. Er ist nicht undankbar gegen Dido, aber viel zu schwach, um seinen Dank anders zu beweisen als durch eine mühelose kriegerische Tat, zu der sein „Edelmut" gerade noch ausreicht. Es ist hier ganz ähnlich wie bei Veldeke: trotz aller betonten Heldenhaftigkeit ist Aeneas im Grunde eine recht jämmerliche Gestalt. Einen Stoiker will Schlegel darstellen, indessen zeichnet er einen Schwächling, ewig reflektierend, nie handelnd, doch in seiner Nüchternheit ganz farblosen Aufklärungsmenschen. Neben Dido und Aeneas sind die übrigen Personen nach französischem Vorbilde ganz blaß gelassen. Anna bleibt liebende Schwester, die zu beruhigen und zur Vernunft zu bringen sucht, sie vertritt das mildernde Element; häufig ist sie auch nur dazu da, damit Dido jemandem ihr Inneres, ihre Wutausbrüche und Rachepläne, offenbaren kann und so der von Gottsched verbotene Monolog vermieden wird. Die anderen „Vertrauten" dienen noch deutlicher technischen Gesichtspunkten, sie weisen einen eigenen Charakterzug darum nur da auf, wo das einem Zweck zugute kommt. Von Aeneens Genossen ist Cloanth gemäßigter, edler als Achat, aber nur, damit die zwei in der Verschiedenheit ihrer Meinungen die beiden möglichen Wege vor Augen führen, die Aeneas gehen könnte. Das wird I, 5 und II, 2 deutlich; da haben sie also etwas den Funktionen des antiken Chores Verwandtes. In den anderen Szenen bleiben sie Staffage, Gegenstände, zu denen sich reden läßt. — Etwas mehr wird der Charakter des Hiarbas umrissen, es scheint wirkliche Liebe zu sein, die ihn zu seinem Vorgehen treibt, nicht bloße Habgier und kriegerische Wildheit, wie Johann Heinrich sie aus der Änderung des letzten Aktes herauslas 28 ). Erst als er abgewiesen wird, empört sich sein Stolz. Damit wird die Gestalt dieses afrikanischen Königs stark vermenschlicht. Der Alexandriner ist das der ganzen Haltung des Dramas angemessene Versmaß. Die Sprache ist Verständigungsmittel 29 ) f ü r die Menschen untereinander, nicht Mittel zum Ausdruck innerster Gefühle. Man reflektiert über sich zu anderen, man zergliedert seine Gedanken. Und selbst wenn man sich bis zu leidenschaftlichen Ausbrüchen ver28

) Einleitung zur „Dido", a. a. 0., I, 74. ) Vgl. Sommerfeld, Artikel: Aufklärung, a.a.O.

29

56

WEIDMANN

steigt, hält man sich innerhalb einer rationalistischen Grenze. „In diesem Versmaß konnte man nie nach freiem Bedarf verstummen, sondern . . . mußte vernünfteln und das Für und Wider jeder Sache gegeneinanderstellen"50). Es wird alles gesagt, und nicht bloß einmal, immer gleich mehrmals. Die Zweiteiligkeit des einzelnen Verses fordert ja dazu heraus, im zweiten Teil den Gedanken des ersten zu wiederholen. Das kann man entweder in einem Relativsatz machen oder unter Umkehrung ins Negative. Ähnlich ist es mit dem Verspaar; der zweite sich auf den ersten reimende Vers gibt Gelegenheit, den Gedanken des ersten mehr oder weniger variiert zu wiederholen. Sehr stark wird mit Interjektionen gearbeitet, die meist am Anfang stehen und die Senkungen füllen. In der Sprache, soweit sie vom Vers unabhängig ist, fallen vor allem die vielen Metaphern auf; die wenigen Sinnsprüche sind recht trivial. So hat Schlegel dem Didostoff neuen Gehalt in neuer Form gegeben, teils aus eigenem Antrieb, teils nach dem Muster ausländischer Vorbilder. Sein Werk ist für die Geschichte des Stoffes so wichtig, weil es das erste deutsche Didodrama ist mit wirklich eigener Auffassung des Themas, und weil mit ihm die Didotradition der romanischen Völker, zumal der Franzosen, in Deutschland einmündet. Es ist im ganzen als mißlungen zu bezeichnen, aber dieses Mißlingen war durch die Struktur der Zeit bedingt. Denn das Werk, das die Aufklärung aus einem derartigen Stoff zu formen imstande war, konnte dessen innersten Vorzügen nicht gerecht werden, mußte gerade seine besten Teile unwirksam machen. Indessen auch so noch stellt Schlegels „Dido" einen Höhepunkt innerhalb der deutschen Didodramen dar. 3.

Weidmann.

Das wird sofort bei Betrachtung des nächsten klar: der „Dido" Paul Weidmanns ( 1 7 7 1 ) 3 1 ) , die nach Schlegel einen empfindlichen Rückschritt bedeutet. Nicht nur, daß diesem „Originaltrauerspiel in Versen" die äußere Form fehlt, da die angeblichen Verse (jambische Trimeter) nichts als hölzerne Prosa sind; das Werk nähert sich wieder bedenklich dem, was mit Schlegel endgültig überwunden schien: bloßer Übernahme Virgilscher Situationen und Reden. Und das, obgleich der Ver30

) A. Köster, Die deutsche Literatur der Aufklärungszeit, Heidelberg 1925, 80. Vgl. zum Folgenden Rentsch, a.a.O., i o 4 f f . M ) Paul Weidmann, Sämtliche theatralische Werke, Bd. 3: „Dido. Ein deutsches Originaltrauerspiel in Versen. Von fünf Aufzügen." Wien 1 7 7 1 . Vorhanden: Staatsbibl. München.

57

DER GESANDTE UND AENEAS BEI WEIDMANN

fasser in der Vorrede versichert, es handle sich um „durchaus eine freye Nachahmung Virgilius", denn „änderst schreibt sich eine Epopee, änderst ein Trauerspiel". Aber der Vielschreiber Weidmann32) war zu bequem, um viel zu verändern. Weidmann zieht wie Schlegel nur das vierte Buch der „Aeneis" heran und verlegt die Handlung auf den Tag, an dem die Hochzeit Aeneens und Didos stattfinden soll. Er stellt die Tragödie auf sechs Personen, d. h. drei Spieler, zu denen je ein Vertrauter hinzukommt. Neben Dido und Anna, Aeneas und Achat tritt als Intrigant der Gesandte des Königs Jarbas, unterstützt von einem Mauretanien Alle anderen Personen bleiben stumm. Seine Eigenart empfängt das Drama von der Figur des mauretanischen Gesandten und der ihm zugeteilten Rolle, die in der Rache für die Kränkung besteht, die er durch die Abweisung von Hiarbens Werbung erlitten hat. Er sucht nun auf jede Weise Aeneens Abfahrt zu beschleunigen: er höhnt Aeneas und nennt ihn einen Schürzenjäger, er sät bei Dido Mißtrauen gegen den Geliebten, und bei Aeneas weckt er Angst vor Didos Racheplänen. Insbesondere steckt er sich hinter Achat und treibt ihn, Aeneas auf seine Pflichten aufmerksam zu machen. „Ich regier Achat, dieser den Freund" (IV, 3). Dieser Gesandte ist nur dadurch möglich, daß Aeneas zum willenlosen Werkzeug wird, zum völligen Schwächling, der nicht weiß, was er tun soll. Bei Veldeke und Schlegel folgt Aeneas trotz seiner Liebe sofort dem Willen der Götter. Weidmann will anscheinend seine Seelenkämpfe zeigen, und da er dazu unfähig ist, läßt er Aeneas unentschlossen zwischen Rom und Dido hin und her schwanken und macht ihn zur Jammerfigur. Achat stellt ihm die Rache der Götter in Aussicht, und Aeneas entscheidet sich für die Abfahrt. „Komm! ich habe gewählt! — Du! und die Götter! siegen!" (I, 5.) Wie Dido aber Schmähungen auf ihn häuft und ohnmächtig wird, macht er sich Vorwürfe, stürzt ihr zu Füßen, und nur der Umstand, daß in diesem Augenblick Achat erscheint und ihn ernst ansieht, hält ihn vom völligen Umfall ab (III, 3). Wenn dann Anna in Didos Auftrag um eine letzte Frist bittet, ist er bis zu Tränen gerührt, kann nicht widerstehen und läßt sich in diesem letzten Gespräch mit Dido wiederum beinahe umstimmen; nur die Furcht vor den Göttern hält ihn ab. „Aber was thu ich! erstarrt nicht mein Blut über Den Gedanken schon! ich sollte die Götter trotzen?" 32

) Ueber ihn vgl. A. D. B. 44, 458.

(IV,

7.)

GOUES DUODRAMA

58

So folgt dieser Aeneas den Göttern nicht, weil sie ihm ein großes Ziel bestimmt haben, nicht einmal aus Gehorsam wie bei Veldeke und Schlegel, sondern aus reiner Angst. Sein Seufzer: „Soll ich denn immer groß und niemals glücklich seyn? (II, 0 Götter, schenkt mir mehr Ruhe, minder Ruhml"

U)

ist nicht der innerste Wunsch eines Helden, sondern die Klage einer Puppe und entbehrt darum jeder Tragik. Alles übrige bleibt dem Muster Virgils treu. Bei Dido werden die weicheren Stimmungen etwas zugunsten der Haßausbrüche beschnitten, freilich nicht annähernd so stark wie in Schlegels Drama. Für die Szenenfolge und die Ausgestaltung der Situationen, soweit nicht der Gesandte des Hiarbas hineinspielt, ist Virgil durchaus maßgebend. Das Drama beginnt mit dem Gespräche zwischen Dido und Anna (IV, 9 ff.), das hier f ü r den Hochzeitstag umgedeutet ist, und endet mit Annas Klagen an Didos Leiche. Dazwischen stehen alle Virgilschen Gespräche zwischen Dido und Anna, das Gespräch zwischen Dido und Aeneas und Didos Selbstgespräche, teilweise etwas gekürzt, andernteils mit Erweiterungen, die Aeneens Unentschlossenheit aufzuzeigen haben.

U. Goue. Wohl unter dem Einfluß des Schlegelschen Dramas wurde der Didostoff einige Jahrzehnte später f ü r eines jener kleinen Trauerspiele benutzt, in denen nur zwei Personen auftreten, und die mit Instrumentalmusik verbunden, als Duodramen, Monodramen oder lyrische Dramen bezeichnet, eine Sondererscheinung speziell der siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts bilden 33 ). Die „Dido" des August Siegfried von Goue (Wetzlar 1771) 34 ), der in Wetzlar zu Goethes Freunden gehörte 35 ), ist zugleich der zeitlich erste Text dieser Gattung, als deren Vorbild Rousseaus „Pygmalion" gilt. Wenn sie auch erst acht Jahre später von Ignaz Holzbauer vertont wurde (unter dem Titel „Tod der Dido") 36 ), so 33

) Vgl. A. Köster, Das lyrische Drama des 18. Jahrhunderts, Preuß. Jahrb. 68 (1891), i 8 8 f f . ; H. Schauer, Artikel: Duodrama, Lyrisches Drama, Monodrama, Merker-Stammler R. L.; Schletterer, a. a. 0., 12 4; Kretzschmar, a.a.O., 2^5 f. 31 ) Vorhanden: Landesbibl. Schwerin. 35 ) Ueber den Dichter vgl. A. Benkert, A. S. v. Goue Burgsteinfurt i g i 3 , u. A.D.B. 9, 52 1. 36 ) Vgl. Schletterer, a.a.O., 225; R. Eitner, Bibliogr. Quellen-Lexikon der Musiker u. Musikgelehrten, V, Lpzg. 1901, 194.

HANDLUNGSGANG BEI GOUE

59

weisen doch die eingelegten Lieder darauf hin, daß sie von vornherein dazu bestimmt war. Die Vermutung Kösters37), dem das Werkchen nicht zugänglich gewesen ist, es gehöre nicht in die Reihe der lyrischen Dramen, wird damit hinfällig; zusammen mit der nachträglichen Musik stellt die „Dido" Goues das typische lyrische Drama dar, wie Köster es charakterisiert hat. Im Mittelpunkt fast aller dieser Werke steht nämlich eine der berühmten Frauen der Antike, und zwar in ihrer Todesstunde, um in Monologen oder Dialogen ihr Leben noch einmal zu überdenken. Genau so ist es in Goues Dido-Melodram, das sich zwischen Dido und ihrer Schwester Anna abspielt. Die letzten Szenen der Tragödie werden gestaltet, die Hauptvorgänge nach Aeneens Abschied in einer Folge von acht Szenen zusammengedrängt. Am Anfang das unheilkündende Opfer, Annas Bericht über ihre erfolglosen Bitten, Didos Auftrag, die Erinnerungsstücke zu verbrennen, und schließlich ihr Tod: das sind die äußeren Handlungsmomente, soweit sie aus der „Aeneis" stammen. Bei Didos Selbstmord spielt außer Aeneens Verrat auch das Drohen des Jarbas und das schlechte Gewissen gegenüber ihrem toten Gatten mit, der sich ihr zürnend in einem Traumgesicht gezeigt hat. Die Betonung dieser beiden Momente macht eine Beeinflussung durch J. E. Schlegel sehr wahrscheinlich 38 ). Auch bei Goue ist der durch Didos Weigerung gereizte Jarbas mit einem Heer im Anrücken, und nur Didos Tod wird ihn von seinem Vorhaben abhalten. Und ebenso wie Dido bei Schlegel Aeneas eine baldige Heirat mit Iliarbas vortäuscht, gibt sie das hier anfangs ihrer Schwester vor. Aber nun ist das Neue, das von Goue in die Didohandlung gebracht wird, daß Anna in Hiarbas verliebt ist; und während der Lybierkönig Schlegels von Aeneas besiegt wird, ergibt sich hier die Aussicht, daß Anna, nach dem Tode der Schwester deren Nachfolgerin, sich mit Jarbas Didos Wunsche gemäß vermählt und damit dem carthagischen Volke einen Schutzherrn zuführt. Freilich endet das Stück mit Didos Tod, doch dieser Ausklang ist nach den vorangegangenen Dialogen wahrscheinlich. Er entspricht auf einer höheren Stufe und ungleich feiner mit dem Handlungsgefüge verknüpft, dem glücklichen Paare Anna-Juba am Ende der so viel schablonenhafteren und pathetischeren Oper des Licentiaten Hinsch. Das Wesen der im Zeitalter der Empfindsamkeit verwurzelten Gattung: l y r i s c h e s Drama hat den Stimmungsgehalt der Dido37 ) a.a.O., 189, von Schauer, a.a.O., übernommen. (Beim „Einsiedler" scheint Köster recht zu haben.) 38 ) Vgl. H. Gloel in der Einführung zu Schüddekopfs Goue - Auswahl, Weimar 1917, 2 33.

60

GESTALT DER DIDO BEI GOUE

geschichte entscheidend verändert. Rein äußerlich steht dem Auf und Ab der Schauplätze bei Virgil hier dämpfend die „Kapelle" mit dem Bildnis des Sichäus gegenüber. Die Handlung erfährt keine Steigerung, sie verläuft in einer geraden, kurzen Linie bis zum Ende, das von Anfang an deutlich ist. In Didos Innerem fehlt das Hin und Her der Gefühle, die bewegte Stimmungskurve von Rachsucht, Liebe, leidenschaftlichem Haß und Raserei. Keine Wahnsinnige, blaß, mit zitternden Wangen, wild, mit funkelnden Blitzen in den Augen, wirft sich auf das Liebespolster und entleibt sich mit dem Schwert des Geliebten, wie bei Virgil; sondern eine fein empfindende, weiche, nachdenkliche Frau tötet sich, ohne alle W u t , ohne jeden Zug von Heroismus. „Und was ist überhaupt Des Menschen Leben? Oft, ein säßer Traum, Doch man erwacht. Und wenn nun dieser Traum Gar schrecklich wird, soll man sich ihm dann Entreissen?" (Sz. 7.)

nicht

Ruhig wird sie sich über die Gründe klar, die sie in den Tod treiben, und besonnen zeigt sie ihrer Schwester den Weg, den diese zu ihrem eigenen und das Volkes Wohl gehen soll. Ein Zug von Resignation liegt in ihr, als Rachsucht aufsteigen will, schlägt sie sie sofort nieder: ,,.. . was hilft mein Zorn? Des Schicksals Kann ich nicht ändern" (Sz. 5).

Schluß

Die völlige Gegensätzlichkeit zu dem Didobilde Schlegels trotz äußerer Abhängigkeit sichert Goue einen eigenen Platz unter den Didodramatikern. — Auch eine Parodie auf die Gattung des Duodramas hatte den Didostoff zum Inhalt 39 ). Der Verfasser blieb anonym. Es war nicht möglich, das im Jahre 1780 erschienene Werk aufzufinden 4 0 ). Des weiteren schrieb Haydn 1778 f ü r die Vorstellungen eines Marionettentheaterdirektors, B. Pauersbach, in Esterhaz und Eisenstadt die Musik zu einer parodierten Marionettenoper „Dido" 1 1 ). 39

) Vgl. Köster, a.a.O., 197. ) Wahrscheinlich ist diese Parodie identisch mit dem bei Jakob Friedrich, Die Didodramen der Dolce, Jodelle und Marlowe..., Diss. Erlangen, Kempten 1888, 5, erwähnten „Fragment eines Melodramas von unbekanntem Verfasser", das angeblich in den Annalen der bair. Literatur B. 2 abgedruckt ist, wo es aber nicht zu finden war. " ) Vgl. Schletterer, a.a.O., iÖ2, u. Kretzschmar, a.a.O., 222. 10

61

DIDO IN DER PARODIE

5. Die Rolle der Dido in der Virgilparodie

des 18.

Jahrhunderts.

Auch innerhalb des Rahmens der „Aeneis" wurde die Didogestalt zur selben Zeit Gegenstand travestierenden Witzes. Der rein verstandesmäßigen Geisteshaltung der Aufklärung entsprach ein satirisch-sarkastischer Zug und aufs engste damit verbunden die starke Neigung zu Parodie u n d Travestie 42 ). Man verschloß sich allem Gefühlsmäßigen bewußt, man stürzte vieles Ewig-Gültige, man bespöttelte bislang Unantastbares, und so kam man auch dahin, die größten Namen der Dichtung in den Bereich der Kritik zu ziehen, ihre Schwächen zu erkennen u n d übertreibend zu verspotten. Das einflußreiche Vorbild war natürlich wieder Frankreich 4 3 ), wo bereits im 17. J a h r h u n d e r t eine größere Anzahl von Travestien entstanden war. Zumal Virgil war besonders h ä u f i g Zielscheibe des Witzes gewesen (vor allem: Scarron), u n d das Didobuch hatte dort bereits in Furetiere einen eigenen P a r o disten gefunden 4 4 ). Als nun im 18. J a h r h u n d e r t die neue Gattung auf Deutschland ü b e r g r i f f , stand auch hier die Virgiltravestie in vorderster Linie. Schon im Anfange des 18. Jahrhunderts soll der Straßburger J o h . G. Schmidt eine Travestie der „Aeneis" verfaßt haben, die indessen verlorenging 1 5 ). 1771 begann dann J o h a n n Benjamin M i c h a e l i s , das Virgilsche Epos zu travestieren, vollendete aber nur 3o das erste Buch behandelnde Strophen 4 0 ), die unter dem Titel ,.Leben undThaten des theuren Helden Aeneas" und mit der Überschrift „Wie der theure Held Aeneas nach Lybien verschlagen wird und wie er daselbst von der Königin Dido aufgenommen tvird""), erschienen. Sie sind in Knittelversen abgefaßt, durch die schon eine starke komische W i r k u n g erreicht wird. Noch gesteigert wird diese durch die Anachronismen: Dido ist eine lebenslustige Königin, die ein bequemes Dasein hat („Man stand in Gold bis überm Schuh Und saß in Milch und Honig" [Str. 2 3 ] ) , 42

) Vgl. Grellmann, Artikel: Parodie, Merker-Stammler, R. L. I. ) Vgl. Eduard Grisebach in der Einleitung zu Blumauers „Aeneis", Leipz. 1872, XIII; P. Hof mann-Wellenhof, Alois Blumauer, Wien i 8 5 5 , 5 i ff. 44 ) Vgl. Hofmann-Wellenhof, a.a.O., 52. 45 ) Vgl. Hofmann-Wellenhof, a.a.O., 57. 46 ) Vgl. ebenda; Grisebach, a. a. 0., XV; J. Jarislowsky, Schillers Uebertragungen aus Virgil, Jena 1928, 20 f. 47 ) Johann Benj. Michaelis, Sämtliche Poetische Werke, Wien 1 7 9 1 , 2. Teil, 2 i 3 f f . 43

62

BLUMAUERS PARODIE

sich mit großem Gefolge in die Messe tragen läßt, den Freuden der Tafel nicht abgeneigt ist und bei Aeneens Ankunft ihren ersten Gatten sofort vergißt. Mit ihrer Bitte, von Troja zu erzählen, schließt das Fragment. Was Michaelis angefangen hatte, führte der Wiener Alois B l u m a u e r 4 8 ) weiter, indem er hintereinander neun Aeneisbücher travestierte („Virgils Aeneis travestiert", Buch i — 4 , 1784, 5 u. 6, 1785, 7—9, 1788) und damit die klassische deutsche Parodie schuf49). Er behält die Knittelversstrophen seines Vorgängers Michaelis bei, und auch er erreicht seine besten Wirkungen durch Anachronismen. Speziell ist sein Werk aus den Wiener Aufklärungsbestrebungen Josephs II. erwachsen und darum außerordentlich reich an Angriffen gegen die katholische Kirche, an Verspottungen des Papstes, des Mönchstums, vor allem der Jesuiten und der Geistlichkeit überhaupt. Dazu kommt eine Neigung zum Zweideutigen, zu pikanten Situationen, die jedoch nur ganz selten zum Groben führt. Gerade in der Didogeschichte ließ sich ja das Frivole leicht betonen, und so zeigen sich in ihr Blumauers Eigenarten besonders gut. Dido ist eine hübsche, kokette Frau, „ein Weib zum Fressen", putz- und liebesüchtig, die sich gleich nach dem üppigen, nach Michaelis' Vorbild geschilderten Festmahl und nach der Aufführung des „Othello" Aeneas auf den Schoß setzt und ihn mit hundert Fragen quält. Mit Amors Hilfe verliebt sie sich „ganz jämmerlich" in den ruhmredigen Helden. Als „Gewissensrat" steht ihr an Stelle der Virgilschen Anna ein Jesuit zur Seite, der in sophistischer Weise all ihre sittlichen Bedenken zerstreut. Und nun sucht sie Aeneas mit allen Mitteln zu gewinnen. Auf der Jagd ergibt sich die Situation, daß Aeneas beim Gewitter in die Höhle kommt, „Wo eben bis aufs Hemdchen Die so verliebte Dido saß, Ihr Unterröckchen trocknend,"

naß —

hinter die aber gleich der wirksam übernommene Virgilsche Gedankenstrich gesetzt wird, gleichzeitig zu einem Seitenhieb auf die Jesuiten ausgenutzt. Aeneas bekommt den Befehl zur Abfahrt, Dido beschimpft ihn mit den größten Ausdrücken „im Tone eines Wiener Hökerweibes"50), der Jesuit sucht Aeneas klein zu reden, aber selbst die •ib) Vgl. über ihn das Buch von Hofmann-Wellenhof; Grisebach, a.a.O., XVII; Jarislowsky, a.a.O., 22 ff.; Grellmann, a.a.O., § 10. 49) Neue Ausgaben von Eduard Grisebach, Lpzg. 1872, u. Reclam Nr. 173/74. Vgl. Hofmann-Wellenhof, a.a.O., 49ff. 60) Hofmann-Wellenhof, a.a.O., 65.

63

FRAU VON STEIN

größte Hexe des Reiches kann nicht helfen: Aeneas reißt aus. Nach der Regel der Scribenten, die mit ihren Federn schon so viele ermordet haben, muß auch Dido sterben. „Herr Maro schlachtete sie

hin."

So sitzt sie denn liebeskrank auf ihrem Ruhebett und liest im „Werther", sieht Gespenster, bis sie sich schließlich an einem Zopfband Aeneens aufhängt. Mit einem Wortwitz schließt das vierte Ruch der außerordentlich erfolgreichen Parodie 51 ), die sogar dramatisiert wurde. („Der travestierte Aeneas. Eine Farce mit Gesängen in 3 Aufzügen, in deutschen Knittelversen von K. L. Giseke" )52). In Rlumauers Gefolge sind eine Menge Travestien der verschiedensten Arten entstanden, zu denen auch Friedrich Christian W e i s s e r s „Aeneas der Fromme" (1798) 53 ) gehört, der sich noch einmal das erste Aeneisbuch vornahm, an Witz Rlumauer jedoch nicht entfernt erreicht hat, zumal bei der geringen Verwendung von Anachronismen. So wurde das antike Heldenweib in der modernisierenden Karikatur zur mondänen Rokokodame, während gleichzeitig die Übersetzungen Bürgers und Schillers das große Interesse der Zeit gerade f ü r das vierte Buch der „Aeneis" bekunden 54 ). 6. Frau von

Stein.

Das Didodrama von Goethes Freundin Charlotte von Stein gehört in die Geschichte des Didostoffes wegen seiner Beziehungen zum Leben des größten deutschen Dichters, ohne die es nie eines Druckes gewürdigt worden wäre. Es stellt keine Stufe in der Entwicklungsgeschichte eines Stoffes dar, sondern ist ein interessantes Beispiel dafür, wozu alles man einen solchen Stoff verwerten kann. Hier nämlich wird die Didogeschichte zu einem Schlüsselstück ausgestaltet. Charlotte von Stein-Kochberg hat ihre „Dido" 1794 nach Goethes Trennung von ihr geschrieben; erst 1867 indessen erschien das Werk im Druck, von Heinrich Düntzer herausgegeben55), der damit dieses f ü r 51

) Ueber Blumauers Nachwirkung vgl. Hofmann-Wellenhof, a. a. 0., 86 ff. ) Gedruckt: Wien 1800; Vorhanden: Nationalbibl. Wien; vgl. Hofmann-Wellenhof, a.a.O., 67. M ) Abgedruckt in Matthissons lyrischer Anthologie, B. i 5 (1806), 176; vgl. Hofmann-Wellenhof, a. a. 0., 88. M ) Genaueres darüber J. Jarislowsky, a. a. O. 5i ) „Dido, Ein Trauerspiel in 5 Aufzügen von Charlotte Albertine Ernestine von Stein-Kochberg" (179/i), Frankfurt a. M. 1867. Vorhanden: Staatsbibliothek Berlin. 52

64

TENDENZ BEI FRAU VON STEIN

die Kenntnis Weimarer Verhältnisse nicht unwichtige Didodrama der Vergessenheit entriß, in der es im Interesse der Frau von Stein besser geblieben wäre. Denn diese „Dido" zeugt von starkem Mangel an dichterischem Empfinden und ist stellenweise wenig taktvoll. Wenn auch „die gehässigen Äußerungen die Tiefe ihrer Liebe bezeugen" und man „von der beraubten Frau nicht die bequeme Objektivität" 56 ) derer verlangen darf, die später über sie gerichtet haben, so bleibt zu verwundern, daß Goethes große und edle Freundin so etwas hat schreiben können; und das günstige Urteil Schillers, der von „ d e m schönen, stillen, sanften Geist" spricht, „der darin aihmet", und hinzusetzt: „Ich habe weniges, ja vielleicht noch nie etwas in meinem Leben gelesen, was mir die Seele, aus der es floß, so rein und klar und so wahr und prunklos überliefert hätte"61), ist uns heute völlig unverständlich. Maßgebend war bei der Abfassung f ü r Charlotte von Stein Goethes dichterisches Prinzip, sich von dem, was auf der Seele lastet, zu befreien dadurch, daß man es zu einer Dichtung formt, alles Drückende sich vom Herzen zu schreiben 58 ). So wäre die „Dido" ein Gegenstück zu Goethes „Tasso", wenn wie dort die Idee tragend wäre und alle Einzelheiten dem großen Gedanken untergeordnet würden. Doch davon ist dieses Drama weit entfernt, es bleibt im Kleinen stecken, in haßsüchtigen, kleinlichen Anspielungen auf menschliche Schwächen, in gehässiger und sehr einseitiger Zeichnung der Charaktere. Darum erhebt es sich fast gar nicht über ein tendenziöses Schlüsselstück. Zugrunde liegt die ältere Fassung der Didogeschichte, die Sage, wie sie von Justin erzählt wird 59 ), die in der Schwarzweiß-Charakteristik der Hauptpersonen Frau von Steins Tendenz sehr entgegenkam. Davon abgesehen lassen sich Vorbilder nicht greifen 60 ), obwohl eine Kenntnis Schlegels oder Metastasios nicht unmöglich ist. Virgil war Frau von Stein natürlich bekannt, Einflüsse freilich sind nirgends vorhanden. Mit dem gegebenen Stoff wird sehr f r e i geschaltet, kam es doch der Dichterin in erster Linie darauf an, das auszudrücken, um dessentwillen sie den Stoff nur a u f g r i f f : Persönliches. So wird eine ganze Reihe 56

) F. Gundolf, Goethe, Berlin 192211, 422. ) Brief an Charl. v. Stein, 2. Jan. 1797, Schillers Briefe, hrsg. von Jonas, V, i 4 o ; abgedruckt bei W. Bode, Frau von Stein6, Berlin 1920, 456. 5S ) Vgl. Bode, a.a.O., 451. 59 ) Vgl. Düntzer in der Ausgabe der „Dido", LVII. 60 ) In Weimar wurde 1777 ein Carnevalsstück „Leben und Thaten, Tod und Elysium der weiland berühmten Königin Dido von Karthago" in 3 i Aufzügen aufgeführt (vgl. Düntzer, a.a.O., LVI), das möglicherweise als Quelle Frau von Steins in Frage kommt. Anfragen nach diesem Stück in Weimar blieben erfolglos. 57

HANDLUNGSGANG BEI FRAU VON STEIN

65

von neuen Gestalten eingeführt, unter deren Maske sich bestimmte Persönlichkeiten des W e i m a r e r Hofes verbergen. Sie gliedern sich schematisch in treue Anhänger D i d o s : die Freundin Elissa und den Priester Albicerio, und in verräterische, mit J a r b a s sympathisierende: das schöngeistige Triumvirat Dodus, Ogon und Aratus, Philosoph, Dichter und Geschichtsschreiber. D e m g e m ä ß sind die einen edel, standhaft-treu, die anderen herzlos, genußsüchtig, sophistisch, revolutionär-unbeständig. — Alle sonstigen Veränderungen, Kürzungen und Einfügungen, von denen der überlieferte Handlungsgang betroffen wird, aufzuzählen erübrigt sich 6 1 ). W i c h t i g ist als ganz neues Moment zwischen J a r b e n s Drohungen und Didos T o d die Flucht Didos in die Einsamkeit. J a r b a s weilt mit einem alten Feldherrn verkleidet an Didos H o f e (an dieser Stelle liegt eine Beeinflussung durch Metastasio oder Schlegel nahe), und um ihr L a n d vor dem Krieg zu bewahren, entschließt sich Dido, die Regierung abzugeben, um sich an einem unbekannten Ort den Göttern zu widmen ( I I I , 3 ) . Nur von einem Sklaven begleitet, hält sie sich eine Zeitlang in einer Einöde verborgen, und eine R e i h e von Szenen f ü h r t nun vor Augen, wie Dido dort mit einem alten, todesbereiten Einsiedler zusammentrifft. Doch J a r b a s dringt unterdessen mit seinem Heer in Carthago ein, von den drei Schöngeistern unterstützt, und l ä ß t Didos treue Freunde gefangensetzen, weil sie Didos Aufenthalt nicht verraten wollen. Um ihr Gefängnis wütet Aufruhr und Revolution. Als die Königin von diesen Zuständen Nachricht bekommt, kehrt sie nach Carthago zurück, wo sie nun — wie in der alten Sage — in den freiwilligen T o d geht. I h r Charakter als edle, f r o m m e , f ü r ihr Land und ihre Getreuen besorgte, opferbereite Herrscherin, als tugendsame und standhafte W i t w e kommt durch dieses Zwischenstück noch klarer heraus, und um so schwärzer hebt sich ihr Gegenspieler von diesem einschränkungslosen W e i ß ab, der habgierige, barbarische, skrupellose J a r b a s . Ein s c h r o f f e r , gewollt betonter Gegensatz, der sich in der erwähnten Hofgesellschaft fortsetzt. Diese ungerechte Verteilung von Licht und Schatten begreift sich eben durch den Schlüsselstück-Charakter der Tragödie. In allen G e stalten verkörpern sich persönliche Antipathien und Sympathien der Dichterin f ü r W e i m a r e r Persönlichkeiten 6 2 ). Zu der ruhigen, verklärten, so hochstehenden Dido hat die Herzogin Luise Modell gestanden, freilich 61 ) Vgl. die Inhaltsangabe aus der Besprechung d. Augsburger Allg. Zeitg., abgedruckt bei Düntzer, a. a. 0 . , X X V I I . 62 ) Vgl. im einzelnen F. C. M., Goethe, Charlotte von Stein und Dido, [Protestantische] Monatsbl. f. innere Zeitgesch. 32 ( 1 8 6 8 ) , i 6 o f f . ; Düntzer, a.a.O., L I X f f .

66

CHARAKTERE BEI FRAU VON STEIN

hat ihr Frau von Stein auch Züge von sich selbst gegeben; doch in der Hauptsache wollte sie sich in der treuen, ebenso edlen Idealgestalt der Elissa verkörpern, als bedingungslose Anhängerin der Herzogin. In Albicerio, der das Dreigestirn von Adel, Treue und Entsagung vervollständigt, wird unschwer Herder erkannt, freilich weniger scharf umrissen als Elissa. Auf der Gegenseite ist Jarbas Abbild des Herzogs Carl August, sind die drei Gelehrten keine geringeren als Goethe, Knebel und Bertuch. Gegen Ogon (Goethe) 63 ) vor allem entlädt sich der Haß der Verfasserin. Hier ist alles das aufgehäuft, was die verlassene Frau Herabsetzendes von ihm wußte, und was sie sich in einsamer Grübelei gegen ihn zurechtlegte. Aber gerade diese Gehässigkeit überzeugt sehr wenig, und uns kann dieser sinnliche, gewissenlose, materialistische Dichterling und eitle Reimschmierer nicht einmal eine sehr schlechte Karikatur Goethes sein. Stellen wie diese: „Ich war einmal ganz im Ernst nach der Tugend in die Höhe geklettert, . .. aber es bekam meiner Natur nicht; ich wurde so mager dabei. Jetzt seht mein Unterkinn, meinen wohlgerundeten Bauch, meine Waden! .. . Erhabene Empfindungen kommen von einem zusammengeschrumpften Magen" (I, 8). „Mich brachte nie in der stürmischsten Leidenschaft das Andenken einer Geliebten um eine Stunde Schlaf..." (III, 3), „... um unsern Dichter hatten sich Weiber, am meisten die lustigen Nymphen gesammelt" (IV, i 3 ) , sind schlechterdings unmöglich. Zwischen diesen beiden innerlich voneinander schroff geschiedenen Parteien spielt das Drama hin und her, getragen durch Dialoge und Monologe in einer sehr papiernen Prosa, die zudem oft nicht durchgearbeitet sind, sondern in vielem nur andeuten; recht wahllos folgen Szenen auf verschiedensten Schauplätzen aufeinander, aufgeschwellt mit tatsächlichen Aussprüchen und quellenmäßig belegten Briefstellen Goethes und seiner Umgebung 64 ), die f ü r den Handlungsverlauf völlig überflüssig und nur hemmend sind. Das Ganze hat keine innere Linie, es fehlt ihm die Konzentration; um persönlicher Anspielungen willen wird gern Stoff und Form vernachlässigt. Das Antike tritt völlig in den Hintergrund, es ist auf ein paar Requisiten wie Tempel, Priester, Opfer beschränkt; doch fehlt allen Personen der heidnische Zug durchaus. Dido und ihre Freunde haben sogar etwas ganz Christliches in ihrer Ethik, aber auch die Gegner sind Hofleute des 18. Jahrhunderts, keine antiken Menschen. Vgl. F. C. M„ a.a.O., i63. ) In den Anmerkungen der Düntzerschen Ausgabe sind sie einzeln verzeichnet. u

67

DIDO IM 19. JAHRHUNDERT — BALLADE

V. DIDO

SEIT

BEGINN

DES

19.

JAHRHUNDERTS.

Das 18. J a h r h u n d e r t hat den Didostoff aus der allzu festen Abhängigkeit der ihm durch Virgil gegebenen H a n d l u n g s f ü h r u n g gelöst und ihm neue, freilich noch nicht sehr tief einschneidende Motive zugeführt. Das gleiche Streben nach Erschütterung der Autorität Virgils f a n d andererseits in der Neigung, ihn zu parodieren oder zu travestieren, Ausdruck. Das 19. J a h r h u n d e r t nun nützte diesen Gewinn aus, indem es f r e i und entsprechend der Einstellung, die es gerade hatte, mit dem Stoff schaltete und ihn als G e f ä ß f ü r seine Ideen und Bestrebungen verwandte. So wurde das traditionelle Gesicht der Didogestalt weitgehend umgebildet u n d blieb auch nicht von Verzerrungen verschont. Als Tragödie, als Opernlibretto und als Ballade tritt die Didogeschichte in der deutschen Dichtung des 19. Jahrhunderts auf 1 ), in den drei Gattungen also, die um ihrer Eigenart willen die gegebenen Formen f ü r historische Stoffe sind. 1.

Ballade.

Vom 18. J a h r h u n d e r t erweckt, bemächtigte sich die historischerzählende Ballade des Stoffes von der Königin Dido, blieb aber konservativ und gewann dem Stoff keine neue Seite ab. Die beiden Balladen, die sich feststellen ließen, bleiben vollständig von den Quellen abhängig, u n d so ist eigentlich nur die Tatsache wichtig, die indessen bei der Vorliebe der Gattung f ü r Sage und Geschichte nicht weiter wundernimmt, d a ß die Ballade überhaupt den Stoff e r g r i f f . Sie hat dabei übrigens in Hans Sachs' „Historia" schon so etwas wie einen Vorläufer. Beide antiken Fassungen des Didothemas finden in die Ballade Eingang. T h e o d o r K ö r n e r setzt in seiner „Dido"2) den Virgilschen Verlauf voraus, u m pathetisch und gymnasiastenhaft ganz im Tone Schillers Aeneens Abfahrt u n d Didos Tod zu berichten. Ein in Frage und Antwort gehaltenes Gespräch zweier Zuschauer f ü h r t in die Situation ein, u n d daran wird die übliche Todesszene gefügt, in der wie bei Schlegel Didos Gedanke, durch ihren Tod das Land vor J a r b a s zu retten, mitspielt. Ferdinand Giojas heroisch-tragisch-pantomimisches Ballett in 5 Akten, Wien 1811, f ü r die Musik von Umlauf (vorhanden: Staatsbibl. München) steht außerhalb der Geschichte der Dichtung. 2 ) Werke, hrsg. v. Adolf Stern I, 187 ff.

68

TRAGÖDIE DES 19. JAHRHUNDERTS

Wirkungsvoller ist A u g u s t v o n P l a t e n s ,,Gründung Karthagos" ( I 8 3 2 ) 3 ) , die in engem Anschluß an Justin das Schicksal der schönen Königin v o r f ü h r t , von ihrer Flucht vor dem Bruder bis zu ihrem Tod. I m Unterschied zu Hans Sachs werden hier alle Nebenmomente gestrichen, so daß das Gerüst um so eindrucksvoller bleibt: eine knappe Verlebendigung der treuen Gattin und aufopferungsfähigen Königin, der Gründerin eines „seegewaltigen Freistaats" in f r ü h e r geschichtlicher Zeit. 2. Tragödie. Die Domäne des Didostoffes blieb auch weiterhin die Tragödie. Und zwar ist es jetzt ein ganz bestimmter Typ, der sich seiner ann i m m t : die große f ü n f a k t i g e Jambentragödie der Epigonen, welcher der „mächtige" S t o f f , die starken Gegensätze, die Gelegenheit zu pathetischen Monologen, die große Sterbeszene am Schluß gerade recht sind. Die H a u p t f i g u r wurde typische Prunkrolle f ü r große Schauspielerinnen des Heroinenfachs, in der sie ihre ganze Charakterisierungskunst spielen lassen konnten. So kamen die zahlreichen D r a m e n mit „großangelegten" Charakteren zustande, von denen kein einziges einen bleibenden W e r t beanspruchen darf. Die schlimmsten Dilettanten sind über den Didostoff hergefallen: gelehrte Damen und m ü ß i g e Oberlehrer. Als Ernst Wiehert sich über dichtende Kritiker lustig machen wollte, die sich von gastierenden Schauspielern durch das Versprechen, ihr Stück zur U r a u f f ü h r u n g zu bringen, fangen lassen, da wählte er bezeichnenderweise als Sujet eines solchen Dilettantendramas den Didostoff 4 ). Von den zwanziger J a h r e n des 19. Jahrhunderts bis zum Weltkrieg hin brachte fast jedes Jahrzehnt eins oder mehrere solcher J a m b e n Dido-Tragödien hervor. In alle Strömungen, durch die die antikisierende und die historische Tragödie im Verlauf dieses Jahrhunderts hindurchgegangen ist, sind sie hineingezogen worden. Geschmacks- u n d Ideenwandlungen von der Romantik bis zum Naturalismus spiegeln sich in ihnen wider. — Bei Beginn des 19. Jahrhunderts setzte eine Hochflut von Tragödien mit Stoffen aus der antiken Sage u n d Geschichte ein 5 ). Natürlich war 3

) Gedichte von August von Platen 2 , Stuttgart u. Tübingen 1834, 26 ff. ) Dido, Schauspiel in einem Aufzug von Ernst Wiehert, Leipzig, Reclam Nr. 2 143. Das Werk gehört also trotz seines Titels nicht in die Geschichte des Didostoffes, da es nicht den Stoff behandelt, sondern den Dichter eines Didodramas zum Mittelpunkt hat. 5 ) Vgl. die Liste bei Cholevius, a.a.O., II, 494, Cysarz, Artikel: Epigonendichtung, Merker-Stammler, R. L. I. 4

69

UMGESTALTUNG DER DIDOGESCHICHTE

f ü r sie die Tragödie der deutschen Klassik, deren Ideen, Technik und Sprache maßgebend. Einmal stehen im Mittelpunkt dieser Dramen die antiken Heroen, auf der anderen Seite die großen Frauengestalten: eine Niobe, eine Sappho, eine Dido 6 ). Bei dieser Gruppe waren die „Iphigenie" und die „ J u n g f r a u von Orleans" wohl die einflußreichsten Vorbilder. Der Hauptakzent muß der Zeiteinstellung nach auf das Ethische fallen. Die Didogeschichte als die Erzählung von einer nur durch leidenschaftliche Liebe beherrschten und damit im Sinne dieser Zeit „unmoralischen" Frau wird deshalb umgedeutet. Der Stoff ist f ü r die meisten Dichter nun nicht mehr die Tragödie der vom Geliebten verlassenen Frau, die ohne ihn nicht weiterleben kann, sondern wird unter die Idee von Schuld und Sühne gestellt und ganz von dieser Seite her beleuchtet. Bei Virgil klingt dieses Gefühl einer Schuld dem ersten Gatten gegenüber in dem Vers: „non

errata

fides

cineri

promissa

Sichaei"

(IV

552)

leise an 7 ), bei Schlegel wird es durch die Geistererscheinung des Sichaeus bereits stärker ausgelöst, ohne freilich mehr als Angst wachzurufen; jetzt wird es, weit tiefer empfunden, Anstoß f ü r Didos Selbstmord. Um diese Schuld noch deutlicher zu machen, lasson die meisten Didotragödiendichter Dido an der Leiche ihres Gatten ein förmliches Treuegelöbnis leisten, das damit zum Ausgangspunkt des ganzen Didoschicksales wird. Denn der Bruch dieses Schwures verlangt nach der Auffassung der Zeit unbedingt Sühne durch den Tod. Das Grundmotiv der alten, vorvirgilischen Didosage, Witwentreue, tritt also, wenngleich mit negativem Vorzeichen, wieder in den Brennpunkt der Fabel, und zwar auf der Grundlage der Virgilschen Umprägung. Auch Didos Königinnentum, das im 1 8 . Jahrhundert so oft rein äußerlich gesehen wurde, hat in der tieferen Ethik der klassischromantischen Zeit f ü r diesen Zusammenhang große Bedeutung. Zu Didos rein menschlicher Schuld, deren Gedanke seine Wurzeln in der Forderung nach Reinheit der Frau hat, tritt nämlich erschwerend die Verletzung des Herrschertums, dessen Hoheit und Heiligkeit nach den Ideen der Zeit mit Schuld unvereinbar ist. Die Herrschaft wird als göttliche Einrichtung betrachtet; eine Königin hat darum eine hohe sittliche Sendung, als Reinste in ihrem Volke ist sie die Richterin über alle. Durch ihre Schuld verwirkt nun Dido auch diese hohe Stellung, 6

) Vgl. Cholevius, a.a.O., II, 5 1 2 . ') Vgl. Heinze, a.a.O., i36.

70

GEHE

und so muß sie auch aus diesem Grunde sterben, um sich im Tode dem Volk als hehre, reine Königin zu erhalten. Die Tragödien Gehes und Weichselbaumers, aus dem gleichen Jahr 1821, weisen beide die Zentralstellung des Schuldproblems mit diesen Folgerungen auf, wenn auch die Rahmen, in die es gespannt ist, voneinander abstechen, da sie zwei verschiedenen Richtungen des antikisierenden Dramas angehören. a) G e h e u n d

Weichselbaumer.

Eduard Heinrich G e h e 8 ) neigte als Mitglied des Dresdener pseudoromantischen Kreises um Friedrich Kind stark zur Romantik hin und suchte klassische und romantische Elemente zu vereinigen 9 ). Einesteils steht seine „Dido" 1 0 ) ganz im Banne Schillers, andererseits gibt sie einer romantizistischen Neigung zum Süßlich-Stimmungshaften, WeichSentimentalen Raum, das schon in den szenischen Bemerkungen zutage tritt, und wie es etwa in Aeneens Erzählung vom Venustempel besonders deutlich wird: „Von weißen Säulen schön und still getragen" ... „. .. und eine Schaar von Mädchen Mit Rosen und mit Thränen auf den Wangen, Auch Rosen in der Hand, lag am Altar." „ scheu und stumm Gleich weißen Rehen flohen sie von dannen, Fast dauerten die armen Kleinen mich" (S. 5 i ) . Stark von romantischen Bildern beeinflußt erscheint auch das Verhältnis Aeneas-Dido, dessen völlige Umgestaltung dem ganzen Handlungsgefüge ein anderes Aussehen gibt. Man darf wohl vermuten, daß Gehe sich der Schwierigkeiten bewußt wurde, die sich dem Ineinklangbringen der Flucht mit Aeneens Charakter entgegenstellten, und so gibt er Aeneas eine ganz veränderte Stellung. Seine Weiterreise erscheint bei Gehe von vornherein als selbstverständlich. „Mein Kommen selbst, es ist ein halbes Scheiden" (S. 2 5) sagt Aeneas gleich bei seiner Ankunft. Der Umschwung durch den Götterspruch fällt also. Ein Orakel, der Geist des toten Vaters und 8 ) Ueber ihn vgl. A.D.B. 8, 497; H. A. Krüger, Pseudoromantik, Leipzig 1904, i 3 g f . ; Kehrein, Dramatische Poesie der Deutschen, II, 190/191; auch: L. Tieck, Dramaturgische Blätter, I, Breslau 1826, 25 ff. 9 ) Vgl. H. Heckel, Artikel: Pseudoromantik, Merker-Stammler, R. L. II. 10) Dido, Trauerspiel in 5 Aufzügen, Leipzig 1821. Vorhanden: Staatsbibl. Göttingen.

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HANDLUNGSGANG UND SCHULDGEDANKE BEI GEHE

die Zukunft des Sohnes rufen ihn nach Latium, nur f ü r kurze Zeit weilt er bei Dido als Gast, und niemals will er ihr mehr sein. Von Liebe zu Dido ist nicht mehr die Rede, geschweige denn daß er sich ihr durch körperliche Inbesitznahme bindet: das hätte klassisch-romantischem Empfinden vollends widersprochen. Seine erste Liebe zu Creusa ist ihm heilig:

Geliebt,

„... mit dieser

lieben, wie ich einst Gluth, das kann ich nicht mehr"

(S. 52).

Dieser Aeneas verpflichtet sich der Dido zu nichts, nicht einmal Dankbarkeit f ü r die Aufnahme ist er ihr schuldig; im Gegenteil verdankt ihm Dido die Errettung vor Jarbas. Damit taucht das JarbasMotiv hier in einer neuen und einmaligen Fassung auf, in der Weise, daß am Anfang des Dramas das steht, was Schlegel als Beweis der Dankbarkeit ans Ende setzt: die Befreiung Carthagos von den Angriffen des Dido begehrenden Königs, die nun der soeben gelandete Trojanerfürst durchführt. Und hier liegen doch wohl romantische Vorstellungen verborgen: Dido verliebt sich in ihren Lebensretter, ohne Gegenliebe zu finden. Die Dankbarkeit gegen den Retter verwandelt sich in die Glut einer heftigen Liebe, die von vornherein unglücklich sein muß. Von dieser Liebe erfährt Aeneas erst, als er sich von Dido verabschiedet. So fällt der geringste Hauch von Schuld, Wankelmut oder Undankbarkeit von Aeneas ab; er bleibt auch in allen seinen Beziehungen zu Dido ein sentimentales, romantizistisch gefärbtes Heldenideal voll „Hoheit, Mild' und Anmuth" (S. 26). Der Schuldgedanke, der der eigentliche Kern des Dramas ist, führt den Konflikt herbei. Anstoß ist eine uralte, geheiligte Satzung der Tyrier, nach der die erste Liebe die einzige zu sein hat. Dido bekräftigt sie durch einen ausdrücklichen Schwur, bevor sie im ersten Akt gegen den darum abgewiesenen Jarbas zieht:

„Fluch treffe mich und Schmach, In eines zweiten Gatten Arm ich

wenn sinke"

je (S.

1U).

Damit also, daß Dido Aeneas liebt und begehrt, ja sich soweit vergißt, ihn einen Verräter zu schmähen, Rache zu wünschen, ihm vor Leidenschaft nachzustürzen und in wildem Taumel die ganze Stadt mit sich zu reißen, bis sie sich beim Anblick von Sichaeus' Grabmal ihres Fehls bewußt wird und zusammensinkt, lädt sie eine schwere Schuld auf sich, bricht sie des Landes Sitte und ihren Eid. Ihrem Amt als Königin entzieht das die ethische Grundlage:

72

PROBLEMSTELLUNG BEI GEHE

„In ihrem makellosen Wandel lag Der ganze Zauber. Wehl wie will sie nun Die selbst Gesetze brach, Gesetze geben? Bei jeder Buße neu verhängt von ihr Erheben würde sich des Volkes Stimme: Du Schuldige bestrafe nicht die Schuldl" (S.

79).

Aus allem ergibt sich zwingend die Forderung nach ihrem Tode. Mit ihm sühnt sie ihre Schuld, und durch ihn bleibt sie f ü r die Untertanen die Makellose. So kann sie sterbend sagen: „Ich fehlt' als Weib und sterb' als Königin!" (S. 9 1 ) . C u m grano salis ist diese Dido das O p f e r ihrer Stellung, denn bei ihr als der Herrscherin wiegt die Verletzung des Sittengesetzes doppelt schwer, und während bei einer anderen der Tod vielleicht zu umgehen wäre, erfüllt sich an ihr das „..

. traurig

Los

der Großen

auf der Erde"

(S. 80).

Man spürt in einer derartigen Problemstellung deutlich den E i n f l u ß der „ J u n g f r a u von Orleans", die sich auch durch Liebesgefühle in schwere Schuld verstrickt, weil sie als goltgesandte Jungfrau allem Weiblichen entsagen m u ß . Mit der heroischen Frau Virgils aber hat Gehes Dido nichts mehr gemein. Die antike Dido überläßt sich ihren Gefühlen ganz, und ihr Tod bedeutet ja gerade nichts anderes als restlose Hingabe an die Leidenschaft, ohne den Geliebten kann ihr die Welt nichts mehr bieten; während sie hier in stiller Größe das Irdische überwindet trotz der Sehnsucht, auch ohne Aeneas weiterzuleben. In Deinen Schmerzen In Deiner Herrlichkeit Und — entsage Dir!"

„Erde, Leben, selbst noch schön, bet' ich Dich an (S. 87).

noch

einmal

Gerade in dieser Entsagung liegt j a die Sühne, die hier eine jener großen Seelen auf sich nimmt, „Die aller Erdenblumen üpp'ge Gaben Verschmähen um des Lorbeers reinen Zweig"

(S. 6 1 ) .

Naturgemäß findet sich von äußerlichen Anklängen an Virgil fast nirgends eine Spur. Anna ist bei Gehe Amme der Königin, doch entspricht der Szene „ A e n e i s " IV 1 f f . , bei Gehe die am A n f a n g des dritten Aktes. Auch von der Jagd ist die Rede, sie entspringt einem plötzlichen Gedanken der verliebten Dido, besitzt aber weiter keinerlei Bedeutung. Der Scheiterhaufentod ist geblieben. Das ist alles.

WEICHSELBAUM ER

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In der Sprachc ist Schiller unverkennbares Vorbild: in der Satzfügung, in den zahlreichen, freilich sentimentaleren Vergleichen, in Bildern und Metaphern, im Streben nach Sentenzen, die häufig Schillerstellen nur variieren; z. B.: „Das eben ist die wunderbare Macht Brust, Der Schmerzen, daß sie, stählend unsre Uns zwingt einher zu gehn in unsrer Stärke. Die Hand, die hier das Liebste trug ins Grab, Pflanzt dort der Hoffnung junge Reiser auf" (S. 29) 11 ). Dagegen vertritt Karl W e i c h s e l b a u m e r 1 2 ) eine ungleich stärker klassizistische Richtung. Seiner „Dido"13) haftet ein ausgesprochen antikisierender Zug an, und so stellt sie sich in mancher Hinsicht mehr die Nähe J. E. Schlegels als zu Gehe. Klar tritt das Bestreben hervor, sich soweit wie möglich an Virgil zu halten. Im Gegensatz zu den lyrisch-weichen Namen griechischen Charakters bei Gehe: Meron, Pheron, Mira, Lyris sind die der Nebenpersonen bei Weichselbaumer fast alle wieder virgilisch, und selbst die beiden, die es nicht sind, sind weit nüchterner, klassizistischer: Agenor und der lateinische Gorgus. Noch mehr ins Gewicht fällt der Anschluß an den römischen Dichter in der Szenenfolge. Die meisten der bei Virgil bestehenden Situationen werden ebenso aufgenommen: die Ankunft zuerst der abgetriebenen Genossen, dann des Aeneas selbst vor Didos Thron; das Gespräch zwischen Dido und Anna, in dem diese die Verliebte bestärkt; das Bittgebet des Lybierkönigs, das den Götterbefehl zur Folge hat; die Abschiedsszene mit der leidenschaftlichen Auseinandersetzung und schließlich Didos Tod auf dem Scheiterhaufen. Breit wird das alles vom Dichter vorgeführt. Freilich fordert das Zeitempfinden auch von Weichselbaumer die ethische Vertiefung. So resultiert wie bei Gehe Didos Tod aus Schuldgefühl und Sühnenotwendigkeit. Nur die Durchführung ist hier anders. Wieder steht in der Eingangsszene der ausdrückliche Hinweis auf den an Sichaeus' Leiche geschworenen Eid, der hier freiwillig ist, nicht wie bei dem romantischeren Gehe durch uralte Sitte bedingt. Seine naheliegenden tragischen Folgen werden von Jarbas bereits geahnt: ») Vgl. dazu Schiller, „Piccolomini" V, 1 (V. 2^54), u. das Gedicht „Hoffnung", V. 12. v) Ueber ihn vgl. A.D. B. 41, 789; VV. Menzel, Dtsch. Dichtung, Bd. 3 (1859), 418; Kehrein, a.a.O., II, 169 f. 13 ) Dido, Königin von Karthago, Trauerspiel in 5 Akten, Bamberg u. Würzburg 1821. Vorhanden: Staatsbibl. Berlin. Eine Besprechung des Dramas in Becks Repertorium, 1822, I, 33.

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HANDLUNGSGANG UND SCHULDGEDANKE BEI WEICHSELBAUMER

„Groß, unermeßlich groß ist Didos Herz, In solchen Seelen stirbt die Liebe nicht" (S. i4). Damit ist der weitere Weg vorgedeutet. Schnell keimt die Liebe zu Aeneas in Didos Herz auf. Doch wie sie auf der Jagd mit dem Geliebten in der Höhle zusammentrifft, da gibt sie sich nicht sofort willig hin, sondern als Kind einer Geistesströmung, der in Iphigenie das Ideal moralischer Größe und weiblicher Reinheit vor Augen schwebt, sträubt sie sich trotz aller Verliebtheit, Aeneens Liebesglut zu stillen, da sie sich ihres Eides bewußt bleibt und von ihrem toten Gatten ausdrücklich gemahnt. Und wenn sie sich schließlich, zu verliebt, um ganz zu widerstehen, in Aeneens Arme stürzt, — zum Abschied, nur um „einen kecken schwelgerischen Blick" (S. 53) ins süße Land der Liebe zu werfen — und Aeneas Dido nicht wieder losläßt, deren sittliche Widerstandskraft nun zu erschöpft ist, um ihn zu hindern, den nahenden Genossen die Verlobung mitzuteilen, so zeigt sich darin die ganze Passivität, die der Dichter ihr gibt, um die Schuld dieser zur Liebe geschaffenen Frau, die geschlechtslos sein will, ohne dazu fähig zu sein, möglichst gering erscheinen zu lassen. Doch der Eid ist gebrochen. Und nun folgt als Höhepunkt im dritten Akt die feierliche Übergabe der Regierung an Aeneas und damit die völlige Hingabe dieser Frau an ihr Weibtum. „Erkennen sollst Du nur, .. . Daß Deine Liebe mir nun Alles ist, Mein Himmel, meine Ehre, Thron und Volk, Nicht als ein trennbar äuß'res Gut kann ich Es von mir sondern, dieses Zauberglück, Es ist mein Leben, sein Verlust mein Tod" (S. 71). Dieser Gedanke wird nicht ganz folgerichtig weitergedacht. Als Aeneas sie verläßt, macht Dido wohl einen Selbstmordversuch, weil ihr das Leben ohne ihn nichts sein kann, doch der mißglückt; und da wird plötzlich die Erinnerung an den gebrochenen Eid in ihr wach. Von diesem Augenblick an tritt das Gefühl der Schuld und das Verlangen nach Wiederherstellung ihrer Tugend in das Zentrum ihres Bewußtseins. Wie bei Gehe wird ihr deutlich, daß „Im Weibe ging die Königin verloren" (S. 111), und demgemäß findet ihr Tod die gleiche Motivierung: „Die schwache Dido stirbt, die Schuldbelad'ne, Damit die große ewig leben kann" (S. i35).

SCHULD-SÜHNE-GEDANKE BEI WEICHSELBAUMER

75

Freilich dort ist Didos Tod wirkliche Sühne, wo die Liebe nur in einem Moment und ohne Hoffnung auf Erfüllung zum Ausbruch kommt, wo der Lebenswille trotzdem weiterbesteht. Aber Weichselbaumers Dido hat ja gar keine Lust am Leben mehr, da ihr die Liebe alles war und sie nun betrogen ist. Das hat auch Weichselbaumer gefühlt, und darum läßt er Dido betonen, die Flammen sollten die „Last der Schuld" u n d „der Liebe heiße Pein" auslöschen, und merkt dabei nicht, daß das Prinzip der Sühne ja gerade die Überwindung der Liebe, der Schuld also, verlangt und diese Begründungen einander ausschließen. In dem Konflikt zwischen naturhaftem Trieb und sittlichem Zwang kann der Sieg des Sittengesetzes nur durch Überwindung der Natur zustande kommen, und die liegt hier nicht vor, denn auch die Liebe will ja den Tod. Weichselbaumer ist es also nicht geglückt, die Schuld-Sühne-Idee seiner Zeit mit dem klassizistischen Streben nach möglichst geringer Veränderung der Virgilschen Fassung innerlich glaubhaft zu vereinen. So haftet seiner Dido ein Zwiespältiges an: sie ist ganz Weib, eine Frau, die nach ihren eigenen Worten der Liebe rasch erliegt, und gleichzeitig ein Mensch von edler Seelengröße, sühnende Königin und Bezwingerin der Leidenschaft. Auch Aeneas hat in diesem Gefüge wieder miteinander unvereinbare Wesenszüge; trotz aller Versicherungen: „Mein Glück nur kann des Schicksals Beute werden, Doch meine Liebe wird der Lethe trotzen" (S. 8) ist seine Abfahrt mit dem Verhalten in der Höhle nicht in Einklang zu bringen. In dem stellenweise sehr breiten, an langen, ausführlichen Gesprächen reichen Werk steht neben den tragenden Personen eine Reihe von Nebengestalten. Da ist wieder Jarbas, nun ganz zum aufrichtigen, liebenden Fürsten geworden, ohne alles Barbarenhafte, der aber energisch seinen Willen durchsetzen will und am Anfang nur schwer von Aeneas beruhigt werden kann, sich zufriedengebend schließlich mit der Versicherung, Dido werde allem Liebesglück entsagen. Sein Schwur: „Wenn je die Königin Carthagos sich Mich ächtend, einem anderen Mann verknüpft, Dann halte mich kein Gott, kein Held vom Streit Der Rache ab." (S. 26) vergrößert als weiterer drohender Faktor die Tragweite von Didos Entsagungseid; und als Jarbas seine Drohungen wahrmacht, da bildet sein Heranrücken ein Moment, das Didos Tod noch beschleunigt. Freilich

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SCHÖLL

wird Jarbas, kurz bevor sie stirbt, von ihrem jugendlichen Beschützer Agenor besiegt. Damit greift in die Jarbashandlung einer aus der Reihe der Unzufriedenen ein, die sich von vornherein gegen Didos Bund mit Aeneas wenden, und zu denen auf carthagischer Seite neben Agenor insbesondere der greise Gorgus, auf trojanischer Aeneens Genossen gehören. b) Schöll. Das dritte Didodrama 14 ) der zwanziger Jahre, von dem Gräzisten und Kunsthistoriker Adolf Schöll (1827) 15 ), ist nach Aufbau und Auffassung des Stoffes wesentlich anders. Hier wird alles HeroischKlassizistische entfernt und die Dido-Aeneas-Geschichte ganz ins Weiche, Lyrische getaucht. Es ist kaum mehr ein Drama, dieses dreiaktige Stück, dessen Jamben sehr oft durch Lieder und lyrische Monologe durchbrochen werden. Zwischen frühem Morgen und Mitternacht vollziehen sich nur die letzten Phasen der Handlung: Aeneens Entschluß, der Abschied und Didos Tod, jede Stufe auf einen Akt gestellt und durch die Tageszeit untermalt. Die Exposition, soweit sie Aeneas angeht, wird im ersten Akt durch das Gespräch seiner beiden Genossen, des greisen, ruheverlangenden Alct und des jungen, abenteuerlustigen Achat, gegeben; Didos Vorgeschichte gibt sie selbst am Grabmal des Gatten bei Beginn des zweiten Aufzugs; das Sichfinden der beiden taucht als verklärte Erinnerung in der Abschiedsszene vor ihnen auf. Alles Episodenwerk wird beiseite gelassen, in der Exposition wie in der eigentlichen Handlung. Neben Dido und Aeneas spielt nur Askan eine Rolle; seine Bewaffnung, die von Harfenliedern der ihn liebenden Sklavin Issa begleitet wird (II, Ix), nimmt einen viel zu großen Raum ein. Allerdings ist Askan wichtig insofern, als er den Ausschlag f ü r Aeneens Aufbruch gibt, bei dem aber auch ein ethischer Antrieb mitspielt: ein Eid, den hier Aeneas bei der Flucht aus Troja geleistet hat, und der ihn verpflichtet, unermüdlich nach dem verheißenen Lande Italien zu suchen. Doch nicht der Eid allein gibt Anlaß zum Aufbruch und nicht der mahnende Götterbefehl, bestimmend wird schließlich die Tatenlust des jungen Askan, der sich Hektor als Ideal gesetzt hat und von den Liebkosungen der Königin fort nach dem Lande der Taten und des Ruhmes strebt. u

) Ueber ein viertes von einem gewissen Ed. Sommer von 1823 ließ sich nichts weiter feststellen. 15 ) Dido, Drama von Adolf Schöll, Stuttgart und Tübingen 1827. Vorhanden: Staatsbibl. Berlin. Vgl. über den Dichter A.D.B. 39, 218, und den Nekrolog von Fritz Schöll, Bursians Biogr. Jahrbuch f. Altertumskunde, i883.

GESTALT DER DIDO BEI SCHÖLL

77

Aeneens Charakter ist bei Schöll also ganz frei von jenem blinden Göttergehorsam, der so leicht als Schwäche wirken kann. Aeneas lebt f ü r seinen Sohn und seine Gefährten; wie er es selbst ausdrückt, als ein „seelenloser Streithcld", der seine eigenen Gefühle zurückdrängen m u ß : „Was ich gewollt, ich maß es willenlos Zu Ende führen, meiner Arbeit Knecht, Nicht wie zuvor des Kampfes freier Held" (S. Ü8). So ruht auf ihm wieder die Virgilsche Tragik des Helden, der seine Aufgabe noch erfüllen muß. Für Didos Bild wird bei Schöll nun ganz das Frauenideal der ,.Iphigenie" Muster. Weibliche Erhabenheit und Seelengröße 16 ) bilden ihren Grundzug, und daraus entspringen alle ihre Eigenschaften: Milde, Einsicht und völlige Reinheit. Demgemäß ist Didos Verhalten beim Abschied des Geliebten. Das ist kein Weib mehr, das mit furchtbarer Leidenschaftlichkeit Schmähungen auf Aeneas häuft, sich selbst und alle Würde vergißt, das in Liebesraserei sich schließlich auf einem lodernden Scheiterhaufen tötet. Ganz anders: ein edles Frauenherz sieht die Notwendigkeit der Trennung ein, bittet den Mann zuerst sogar um Verzeihung, um zu verzichten, der gegenseitigen Liebe gewiß, in der Erinnerung an die unvergeßlichen gemeinsamen Tage und voll Stolzes, die Einzige zu sein, die in ein Heldenherz tief hineinschauen durfte. Aeneas hat ein Ziel vor Augen, darum muß er weiter leben; f ü r Dido aber hat das Leben nacli der Trennung keinen Wert mehr. Weil sie „nach innen" leben durfte, will sie nun nicht wieder nur „nach außen" leben, will nicht wieder bloß „Das Weib mit unnatürlich fremder Last" (S. 71) „Und ohne Trieb, dem Herrscheramie dienend" (S. 71) sein, und deshalb trinkt sie lebensmüde, nach Ruhe verlangend den Giftbecher, um so zu sterben, wie sie gelebt hat: in Erhabenheit und Reinheit, ganz ohne Aufsehen zu machen. Zwei Menschen trennen sich hier, weil es das Schicksal so will, und da der eine das ohne den anderen leere Leben nicht f ü r lebenswert hält, so tötet er sich mit vollem Bewußtsein. Kein Umschwung, kein hemmendes Moment, keine Höhe- oder Tiefpunkte hat dieses Drama, das eigentlich nur ein Charaktergemälde ist; es ist eine einzige Linie, die vom Anfang konsequent und ruhig zum Ende führt. So tritt es als verwandt, wenn auch vor allem durch größere seelische Vertiefung 16

) Vgl. Cholevius, a.a.O., II, 5 n f . , auch 487.

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DIDO UND JARBAS BEI NISSEL

und das Zurückstellen äußerlicher Momente zeitlich deutlich geschieden, neben Goues kleines Duodrama, an das es am ehesten erinnert. c) Die ältere Fassung bei Nissel. Die ursprüngliche Form der Didogeschichte ohne Aeneas wurde von Franz Nissel17) aufgenommen und damit zum ersten Mal in Deutschland psychologisch vertieft. Sein ,,Dido"u), i 8 5 6 begonnen, wurde im Januar 1867 beendet und im Dezember i 8 6 3 in Dresden aufgeführt 1 9 ). In der älteren Fassung des Didothemas ist mit dem Thema Witwentreue im Gegensatz zu der Virgilschen Version eine ethische Grundstimmung bereits gegeben; sie brauchte also vom i g . Jahrhundert nicht erst hineingelegt, sondern nur aufgezeigt zu werden. Wenn das naive 16. Jahrhundert die bloßen Ereignisse erzählte, um erst am Schluß die moralische Quintessenz anzuhängen, so macht man jetzt Dido einfach zur bewußten Trägerin einer moralischen Maxime, die damit in den Mittelpunkt der Reflexionen der Hauptperson tritt. Auch diese ältere Fassung wird also zum Charakterdrama gestaltet. Träger sind Dido und Jarbas, beides stolze, königliche Gestalten, die große, edle Frau ebenso wie der machtgewohnte, leidenschaftliche Gaetulierfürst. Ihr Gegeneinander macht die Handlung aus. Erregendes Moment wird auch hier zwar nicht direkt ein Eid, so doch, ihm durchaus ebenbürtig, der feste Vorsatz Didos, der als moralische Pflicht empfunden wird: dem ersten Gatten treu zu bleiben. „Eins ist die Tugend und die Königspflicht" (III, 5). Es ist also auch in diesem Fall der Gedanke von der sittlichen Höhe des Königstums bestimmend. Dem setzt Jarbas den Eid entgegen, nicht zu ruhen, ehe Dido seine Gattin ist: ,,Eh' löscht die Sonne aus, eh' grünt und blüht I). Die Wüste, eh' ich weiche und entsage" (III, Und mehr noch als das: er will Dido nicht gewaltsam wie eine Magd in Besitz nehmen, sie soll um seine Liebe „als ein Geschenk der Gnade" flehen. Dadurch wird die Bedeutung dieses Kampfes noch erweitert; 17

) Ueber den Dichter vgl. Moritz Necker, Jahrb. d. Grillparzer-Gesellsch., t\, Wien 1896, 307 ff. 18 ) Dido, Trauerspiel in 5 Aufzügen von Franz Nissel, 186^. Vorhanden: Staatsbibl. Berlin. Abgedr.: Dramatische Werke, Bd. 2, Stuttgart 189A. 1 g3 ff. 19 ) Vgl. Franz Nissel, Mein Leben, hrgg. v. Caroline Nissel, Stuttgart 189/i, 1/18 u. 2 i 3 ; s. a. 228f.

HANDLUNGSGANG UND SCHULDGEDANKE BEI NISSEL

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bei dieser Formulierung muß am Ausgang einer der beiden Spieler auch moralisch vernichtet sein (was nicht der Fall zu sein braucht, wenn Dido bloß gezwungen würde). So stehen sich scharf zwei Vorsätze gegenüber. Der Kampf indessen scheint schnell zugunsten Didos entschieden: der edle Ithobal hilft ihr, und Jarbas wird gefangengenommen. Die großmütige Königin läßt den Gegner frei. Aber Jarbas zieht mit einem neuen Heer heran, Ithobal fällt im Kampfe, die Carthager werden besiegt. Jarbas glaubt nun Sieger zu sein, e r will jetzt Dido Leben und Freiheit schenken und so die furchtbare Schmach, die ihm durch die Freilassung angetan ist, abwerfen. Doch zum zweiten Male muß er unterliegen; Dido hat bereits G i f t genommen, um ihr Volk zu retten. S o bleibt die Schmach an ihm haften. Dido stirbt, aber auf ihrer Seite ist der moralische Sieg, während Jarbas als der Narr seiner eigenen Begierde zurückbleibt. Bedeutsam ist nun, daß selbst in diese ältere Fassung eine Schuld Didos hineinkonstruiert wird. Die Forderung nach einer Schuld der Hauptperson ist auch f ü r die Tragödie der fünfziger Jahre noch so unbedingt, daß sogar diese Dido, bisher das Idealbild der Witwentreue, nicht als bloßes Opfer sterben darf, sondern gleichzeitig genau wie bei Gehe und Weichselbaumcr eine Schuld sühnen muß. Der Bruch des Schwures liegt darin, daß in Didos Herzen Liebe zu Ithobal keimt, ihrem Retter, der sie liebt und f ü r sie kämpfend fällt. Mit dieser Wendung wird vom 1 9 . Jahrhundert die ältere Didogeschichte ihrer jüngeren Virgilschen Form auffallend genähert. Im Mittelpunkt des Gefüges steht f ü r dieses Jahrhundert beide Male ein Schwur, dessen Bruch Sühne durch den Tod finden muß. Und wenn man Nisseis Problemstellung mit der Gehes vergleicht, so ist es fast dasselbe: es sind nur Gefühle, durch die der Eid verletzt wird, doch das genügt schon. W a s bei Schlegel mit stärkerem Hineinziehen des Lybierkönigs in die Virgilsche Sagenversion einsetzte: die wechselseitige Beeinflussung der beiden seit Virgil einander entgegengesetzten Didogestalten, das findet hier seine äußerste Möglichkeit durch den Ausgleich in der Mitte zwischen beiden: sie werden durch einen von der Zeit geforderten Gedanken auf den gleichen Generalnenner gebracht. Mit dem Augenblick natürlich, in dem sich aus einem anders eingestellten Zeitempfinden das Interesse von der Schuld-Sühne-Idee fort nach einem anderen Blickfeld wandte, mußte dieser Ausgleich wieder fallen. Und bereits die folgenden Jahrzehnte gaben der Virgilschen Version neue Prägungen.

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DIDODRAMEN NACH 1870 d) Das Didodrama nach 1870.

In den D i d o d r a m e n der siebziger und achtziger Jahre kündigt sich das Streben an, die ethische Grundstimmung in Didos Charakter langsam a u f z u g e b e n ; ein sinnenfroheres Wesen läßt D i d o sich allmählich wieder von moralischen Hemmungen freimachen und ihrem weiblichen Verlangen ungestörter hingeben. Eine Abnahme des Seelischen und Hinwendung zum Ä u ß e r l i c h e n dringt mehr und mehr d u r c h ; so wird auch Didos Herrschertum jetzt weniger als moralisch verpflichtende Höhenstellung denn als glänzende Machtquelle empfunden. D e r ausgesprochene Historismus der Zeit, der schon bei Nissel hervortritt, neigt mehr zu einem historisch bemalten als ethisch vertieften Charakterbild. Doch völlig verschwindet der Schuld-Sühne-Komplex nicht m e h r ; eine hier schwächere, dort stärkere Betonung der ethischen Bindung an den toten Gatten findet sich auch am Ende des Jahrhunderts noch h ä u f i g , freilich meist ohne d a ß dann der Bruch die Sühne verlangt und der Selbstmord dieser inneren Einsicht entspringt. Allen diesen Didodramen gemeinsam ist das Bestreben, den Götterspruch durch einen anderen Aeneens A b f a h r t bestimmenden F a k t o r zu ersetzen, und im Zusammenhang damit erfährt Aeneens Charakter zumeist eine starke Umbildung, wie auch sein Verhältnis zu D i d o in anderem Lichte erscheint. Die verschiedenartigsten Lösungen werden gef u n d e n , doch kaum eine künstlerisch voll befriedigende ist darunter. Die Sprache der Dramen hat die Tendenz, farbiger und zugleich realistischer oder andererseits gelehrter zu werden. Eine klare Entwicklungslinie ergibt sich bei den Behandlungen des D i d o s t o f f e s von 1870 an überhaupt nicht mehr. Sie sind so ephemer, d a ß plötzlich irgendwo wieder recht alte Vorstellungen auftauchen können; denn Dichter vierten Ranges sind in ihren Ideen j a zumeist Jahrzehnte zurück, und in einer Zeit, in der bereits der Naturalismus blühte, g a b es noch immer zahlreiche Goethe- und Schiller-Epigonen. W i e der Schuld-Sühne-Gedanke langsam durch andere Gesichtspunkte verdrängt wird, d a f ü r sind die Dramen Jensens und der Le Grave bezeichnend. W i l h e l m J e n s e n s „Dido" (1870) 2 0 ) hat als K o m p r o m i ß zwischen der älteren und einer neueren A u f f a s s u n g einen uneinheitlichen C h a r a k ter. Der Dichter kann sich von dem Schuldgedanken noch nicht losmachen, denkt ihn aber nicht folgerichtig durch. Seine D i d o hat w o h l an ihres Gatten Leiche „mit fürchterlichem Eidschwur" einer zweiten :o ) Dido, Tragödie in fünf Aufzügen von Wilhelm Jensen, Berlin 1870. Vorhanden: Staatsbibl. Berlin.

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W. JENSEN

Liebe entsagt, doch ihr Benehmen Aeneas gegenüber scheint gar nichts von einem solchen Eid zu wissen. Jensens Dido ist schon eine ganz andere Frau wie die Dido der zwanziger J a h r e : sie ist ein ausgesprochener Sinnenmensch, ein schönes, bestrickendes Weib voll mächtiger Leidenschaft, ohne moralische Bedenken, der aktive Teil in der Liebeshandlung. Ihr einziger Wunsch geht nach Aeneens Besitz. „Ich bin nicht Königin, nur Weib"

(S. 5o):

damit betont sie, daß auch ihre Herrscherwürde sie nicht hindert. So ist sie es, die sich auf der Jagd Aeneas geradezu an den Hals wirft, die ihn zuerst küßt, ohne jede Schamhaftigkeit, wie sie es selbst ausspricht. Aeneas kann ihr deshalb beim Abschied vorwerfen: „Das ist kein Weib mehr, das der Scham entsagt, Und wo es weigern sollte, selber drängt. Wohl nanntest Du mit Recht Mänade Dich, Denn unersättlich ist Dein Leib wie sie" (S. 81). Wenn sie den treulosen Aeneas in Raserei durchbohren will, so stimmt das durchaus zu ihrem Wesen; doch psychologisch unglaubhaft muß es nach alledem bleiben, wenn sie im 5. Akt plötzlich zur hehren, großen Frau wird, die ihre Schuld sühnen will und allem entsagt: „Und unter mir in trübem Dunst versinkt Der Wahn, der mich umzog, und das Gemeine"

(S. g3).

Hier besteht ein Zwiespalt zwischen zwei Auffassungen der Didogestalt, zumal der Sühnegedanke auch nicht zu der sehr starken Betonung des Schicksalhaften paßt, nach dem sich an Dido der Wille der Götter und das ihr zuteil gewordene Orakel erfüllt (S. 19). Didos Charakter als Verführerin gibt die Rechtfertigung f ü r Aeneens Verhalten. Er wird von dem begehrlichen Weib umstrickt. Ein Spruch seiner Mutter hat ihm im fernen Westen ein Weib verheißen, und einen Augenblick glaubt er, in Dido diese Frau gefunden zu haben. Von einer wirklichen Liebe zu ihr kann nicht die Rede sein. Wie ihn die Stimmen seines Vaters, Hektors und seiner Gattin nach Italien rufen, zögert er daher keine Sekunde, Dido zu verlassen. Nicht nur der Götter Wort, auch sein Herz treibt ihn nach dem verheißenen Lande. So braucht es keine Entschuldigungen, um seine Handlungsweise zu erklären. Aeneens Charakter weist keine Bruchstelle a u f : Dido spielt in dem Leben dieses Mannes nur die Rolle einer Verführerin. Es ist kein grausames Geschick, das ihn zum Aufbruch zwingt, sondern sein eigener Wille, der dem Wunsch der Götter dankbar ist, weil er ihm

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JENSEN UND LE GRAVE

eine hoffnungsreiche Zukunft bahnt. Didos Tod, den er noch miterleben muß, treibt ihn nur um so schneller vom Platz des Unheils fort. Jarbas hat in diesem Drama eine Rolle ohne innere Berechtigung. Er tritt zwar selbst nicht auf, doch wird am Anfang seine Werbung um Dido von Aeneas energisch abgewiesen, nach der Jagdszene wird irrtümlich sein Tod gemeldet, und am Schluß wird sein Gesandter, der aufs neue um Dido wirbt, Zeuge von ihrem Tode. — Bei Agnes L e G r a v e ist die Schuld-Idee zwar noch konsequent durchgeführt, wird aber von dem D r u m und Dran bereits aus dem Zentrum des Interesses herausgerückt. Den Manen des Philologen August Böckh gewidmet und in langatmigen Trimetern abgefaßt, stellt nämlich die „Dido" (187^) der Jeanette Holthausen 21 ) (Agnes le Grave ist ein Pseudonym 22 )) den Typ des gelehrten Didodramas dar, das unter philologischen Kenntnissen und wissenschaftlichem Ballast völligen Mangel an dichterischer Kraft verbirgt. Zum ersten Male wird hier die gesamte Vorgeschichte der Dido dramatisch gestaltet, indem in zwei ganzen Akten der Tod des Sichaeus und Didos Flucht vorgeführt wird. Erst der dritte Akt leitet zur DidoAeneas-Handlung hinüber, die nun allerdings noch stark unter dem Gedanken der Schuld Didos steht. Der bindende Eid ist hier bereits vor die Abreise aus Tyrus gestellt und bleibt Didos Gewissen stets gegenwärtig; denn in diesem Werke einer Frau ist Dido nicht als leidenschaftlicher Sinnenmensch, sondern als „ W e s e n voll edler Einfachheit" 23 gedacht, deren Ideal das »xaXöv x' äyuftuv« ) ist. Der Unterschied zwischen ihr und der Dido Jensens wird in einem Augenblick der Liebesszene besonders klar. Es findet sich nämlich in beiden Dramen dieselbe Situation: gerade in dem Moment, in dem Dido sich Aeneas überlassen will, blitzt es — eine Mahnung f ü r die beiden: Jensen Aeneas: „Was thaten wir? Die Götter zürnen, Dido!" Dido: „Und zuckte Blitz auf Blitz, ich trotze ihnen!" (S. 5 i ) . L e Grave Dido: „Weh, das war Mahnung! Laß mich! Ich an Deiner Brust?" 21

) Dido, Tragödie in 5 Akten von Agnes le Grave, Berlin 187^. Vorhanden: Staatsbibl. Berlin. 22 ) Ueber die Dichterin vgl. F. Brümmer, Lexikon d. dtsch. Dichter u. Prosaisten d. 19. Jahrh. 6 , Lpzg. (1913), III, 276. 23 ) Widmung.

LE GRAVE UND KELLNER

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Aeneas: „Was scheust Du sie? Wo könnte sich Dein theures Haupt Wohl sichrer bergen? Laß es ruh'n hier..." (S. ^ö). Dort reißt die leidenschaftliche Dido, ihrem Eide und den Göttern trotzend, den zögernden Aeneas mit, hier muß umgekehrt Aeneas Didos Bedenken beschwichtigen. Die Dido der le Grave erinnert in dieser Szene wieder an Weichselbaumer. Sie ist sich des Frevels, den sie begeht, voll bewußt, kann aber nicht widerstehen. Wie Aeneas sie nun verlassen will, da fühlt sie sofort die Bestrafung durch die Götter und ist bereit, ihre Schuld zu sühnen. Nachdem sie Aeneas verziehen hat, stürzt sie sich ins Meer. Dieser Tod bedeutet aber nicht bloß Sühne, zugleich zeigt sich in ihm die Milde der Götter, die sie dadurch vor weiterem drohenden Ungemach bewahren. „Sie that nach der Mören (!) Rath, Und aus der Trübniß nahm versöhnend sie ein Gott." Das ist der Schlußgedanke, auf den die Dichterin anscheinend besonders stolz war, der indessen mit seinem hohlen Pathos den in seinem Durcheinander von Strafe und Sühne ohnehin schon unklaren Schluß noch mehr verwirrt. Außerdem fehlt diesem Drama die Konzentration. Die Haupthandlung wird dauernd von einer überflüssigen Nebenhandlung beeinträchtigt, in deren Mittelpunkt Ethbaal steht, ein Theaterintrigant schwärzester Art, der als abgewiesener Freier Didos zuerst den bösen Geist des Pygmalion abgibt und Didos Gatten ermordet und dann in Carthago den Jarbas gegen sie hetzt, um am Ende natürlich den verdienten Tod zu finden. So gehört dieses langweilige, durch und durch dilettantische Machwerk zu den unerfreulichsten unter den Didotragödien. — Zehn Jahre später führt Albert K e 11 n e r21) bereits den Typ der Verführerin bis zur äußersten Grenze. Er läßt der Dido keinerlei sittlichen Antrieb und macht sie zur mächtigen, berauschenden Sirene voll verzehrender Sinnlichkeit, die unter Aufbietung aller Mittel Aeneas umgarnt. Anfangs ist sie Braut des Jarbas, doch wie sie Aeneas sieht, verliebt sie sich sofort in ihn. „Schmücken will ich mich, Daß er sein trunknes Auge ganz geblendet 24

) Dido, Trauerspiel in fünf Aufzügen von Albert Kellner, Berlin 1 8 8 / 4 . Vorhanden: Staatsbibl. Berlin. Ueber den Dichter vgl. Brummer, a. a. 0., III, 438.

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HANDLUNGSGANG UND PROBLEMSTELLUNG BEI KELLNER

Von meinen Reizen auf mich heften soll; Der Stimme will ich allen Schmelz verleihn, Mit der Natur sie reich genug begabt; Und wenn ich merke, daß er taumelnd wankt, Soll ihn mein Blick zu meinen Füßen zwingen"

(S. 28).

Nicht einmal vor einem Betrug scheut sie zurück, um ihn zu besitzen. Sie zwingt den Kalchys, der die Nachricht von Kreusas Rettung bringt, zu lügen. So zeigt sie sich in der Höhle, dem ersehnten Ziele nahe, in höchster Erregung, bis ihr schließlich die Überwältigung des Zögernden gelingt: sinnlich berauscht erstickt sie ihn mit ihren Küssen. Was Aeneas angeht, so hat Kellner ihn wieder vor einen inneren Zwiespalt gestellt. Nur ist die Fragestellung verschoben. Nicht f ü r Dido oder Italien hat er sich zu entscheiden, sondern f ü r Dido oder Kreusa, denn trotz Didos Täuschungsversuch erfährt Aeneas, daß seine Gattin noch am Leben ist und sich auf einer unbewohnten Insel befindet. Nun schwankt er zwischen sinnlicher Liebe und Pflicht, doch er ist zu schwach, sich von der Verführerin zu lösen, ein willenloses Werkzeug in der Hand der Circe. Er muß sich die Schmähungen seiner Gefährten gefallen, sich von ihnen fesseln und von Dido wieder befreien lassen. Erst der Schmerz und die Verachtung seines verwundeten Sohnes machen ihn stark genug, Dido zu verlassen. Freilich als er Kreusa tot findet, durch seine eigene Schuld, da kehrt er zu Dido zurück, ein liebeverlangender Weichling, kein Held. Doch so ist natürlich nicht das Ende. Auch in diesem Drama stirbt Dido auf dem Scheiterhaufen, ohne Reue, im Tode Aeneas die Treue bewahrend. Motive des Selbstmordes sind der Spruch einer Seherin, der ihr nur im Sterben Liebesvergcssen verheißt, und die Drohungen des Jarbas, der in der Höhle die Liebenden belauscht hat und sich nun als betrogener Bräutigam rächen will. Als Aeneas zurückkommt, findet er sie tot, und das erst veranlaßt ihn, nach Italien aufzubrechen. Kellners Historismus kommt in dem Bestreben zum Ausdruck, das Handlungsgefüge kulturgeschichtlich zu untermalen. So läßt er die Carthager nicht den römischen Göttern anhängen, wie es in Anlehnung an Virgil bisher in allen Didodramen üblich war, sondern Baal und dementsprechend Menschenopfer darbringen. Der Baalspriester, von Aeneas an der Ausübung seines grausamen Dienstes gehindert, wird gleichzeitig Intrigant, da ein solcher in diesem zur dozierenden Sentenz neigenden Drama, das ohne jede psychologische Vertiefung ist, nicht fehlen darf. —

E. SAMHABER

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Künstlerisch höher steht das Didodrama Edward S a m h a b e r s ( 1 8 8 6 ) 2 5 ) . Nach Agnes le Graves und Kellners Veräußerlichungen ist es ein beachtlicher Versuch, die Didogeschichte wieder zu vertiefen, mehr das Innere der beteiligten Personen aufzuzeigen als Intrigen und Staatsaktionen vorzuführen. Aeneas und Dido sind hier wirkliche Menschen mit Vorzügen und Fehlern, die sich beide menschlich benehmen, und deren Verhalten deswegen psychologisch klar wird. Aeneas ist weder Schwächling noch hartherziger Egoist, Dido weder Verführerin noch getäuschte Unschuld, sondern ein Weib von Fleisch und Blut. Und beide sind tief empfindende und edle Menschen. Samhaber hat allerdings die Didogeschichte stellenweise sehr stark verändert. Ein Hauptelement der Handlung bildet wieder Didos Schwur. Sie leistet ihn an der Leiche ihres (hier übrigens nicht ermordeten) Gatten, gewissermaßen in der A u f w a l l u n g ihres furchtbaren Schmerzes und ohne die Folgen zu bedenken. Als dann Aeneas kommt und die Herzen bald sich zueinander finden, erkennt Dido die Voreiligkeit ihres Eides und seinen Nachteil f ü r ihr Volk, das einen König braucht. Aeneas besiegt den feindlichen J a r b a s und wird vom Volke als Herrscher begrüßt. Der Priester warnt Dido, wird aber von ihr in Fesseln gelegt. Doch zu einer Vereinigung der beiden Liebenden kommt es gar nicht; in dem Augenblick, wo sie sich ihre Liebe gestehen, wird Aeneas zum Sterbebett seines Vaters gerufen. Der Sterbende sieht im Geiste das einst von Kassandra verheißene Hesperien vor sich und nimmt dem Sohn den Schwur ab, seine Asche dorthin zu bringen. S o muß sich Aeneas von der Geliebten trennen; auf ihm liegt hier die Tragik des ruhelosen Mannes, der seine G e f ü h l e zurückdrängen muß. — In dem eigenartigen Ausgang des Dramas zeigt sich, wie weit man in den achtziger Jahren schon von den strengen ethischen Forderungen der vorhergehenden Jahrzehnte entfernt war. Erforderte damals eine Schuld unbedingt ihre Sühne, so ist jetzt davon überhaupt nicht mehr die Rede. Dido tötet sich gar nicht mehr, sondern bricht nur seelisch erschüttert zusammen, und das Werk klingt aus mit den Worten des Oberpriesters:

„Sie wird den Tod besiegen, So krank sie war... In deinem Volk wirst du dich wiederfinden, Und was du tust, wird eine Tat des Segens Für dich und uns . .. Sichaeus ist versöhnt." " ) Edward Samhaber, Gesammelte Werke, Bd. III, München und Lpzg. 1909. Ueber den Dichter vgl. Brümmer, a.a.O., VI, 1 1 2 .

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HISTORISMUS BEI WICHMANN

Mit diesem Schluß umgeht Samhaber die Klippe, an der Weichselbaumer, dessen Handlungsgestaltung sonst manches mit der Samhabers gemein hat, in den 20er Jahren scheitern mußte: Didos Gestalt bleibt einheitlich. Die Lösung ist zwar neu, aber bei dieser Sehweise durchaus künstlerisch möglich. Samhabers Gestalten fehlt nämlich alles Große, alles Übermaß und jeder Heroismus. Sie denken gern an Vergangenes und ergehen sich in Erinnerungen an Kindheit und G l ü c k ; sie haben etwas Weiches, Gefühlsbetontes, vielleicht zu Modernes, wie auch die flüssige, von Vergleichen durchsetzte Sprache zum Lyrischen neigt. So steht dieses D r a m a außerhalb von allen historischen Tendenzen seiner Entstehungszeit. — Im Gegensatz dazu zeigt sich in Franz W i c h m a n n s ,.Königin von Carthago" (1891) 2 6 ) der Historismus von seiner schlimmsten und hohlsten Seite. Mächtige Säulenhallen mit Girlanden, Gärten mit Rasenplätzen und Bänken, Schlafgemächer mit Purpurlagern und durch schwere Vorhänge verhängten Fenstern geben die Szenerie f ü r Feste mit großem Aufgebot ab, f ü r Massenaufzüge mit lautem Trara, f ü r ein buntes Gewimmel von allen nur möglichen Gestalten. Dahinter steckt nichts als leeres Pathos, man glaubt Gemälde von Makart zu sehen und fühlt sich an die Schaugepränge spätbarockaler Schwulstopern erinnert. Ganz dementsprechend wird der S t o f f angegriffen. Nicht auf Vertiefung kommt es dem Verfasser an, sondern darauf, den Augen und Ohren etwas zu bieten. So wird die Didogeschichte hier zu einem großen Hofdrama. Es wird alles hervorgeholt, um Dido in ihrem Glänze als Königin zu zeigen, ihr Leben von ihrer Vermählung bis zu ihrem Tode wird vorgeführt. W i e bei der le Grave beginnt das Drama in T y r u s und stellt ausführlich Didos Vermählung und die Ermordung ihres Gatten dar. Die eigentliche Dido-Aeneas-Handlung wird dann von einer Menge Nebenmomenten umrankt. Da ist natürlich Jarbas, der um D i d o wirbt und abgewiesen sie ermorden will, aber gefesselt und von der edelmütigen D i d o freigelassen ihre Größe erkennt und sich bescheidet. A l s er dann von Didos Liebe zu Aeneas hört, rückt er wiederum empört mit einem Heere gegen Carthago vor und erobert die Stadt, um Dido tot zu finden und nun seinerseits den Edelmütigen zu spielen. D a greift Pygmalion noch einmal in den zweiten Teil über, 2G) Die Königin von Carthago, Drama in fünf Aufzügen von Franz Wichmann, Leipzig 1891. Vorhanden: Stadtbibl. Breslau. Ueber den Dichter vgl. Brümmer, a.a.O., VII, 421.

WICHMANN UND FRERICHS

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indem er gegen Diclo zu Felde zieht, aber von Jarbas getötet wird. Da ist ein alter Sklave, der Dido vor der Verbindung mit Aeneas warnt, und den sie deshalb ermordet. Da ist schließlich neben Anna und der treuen Barce ein Bruder Didos, der nach ihrem Tode ihr Nachfolger wird. Die Haupthandlung wird von Didos Treuschwur an der Leiche ihres Gatten eingeleitet. Der Eid ist nun mehr dazu da, um immer wieder pathetisch vorgehalten zu werden und so effektvolle Szenen zu schaffen, als Didos Schicksal innerlich zu bestimmen. Der Auftritt in der Höhle und Aeneens Abschied werden durch ihn um viele Phrasen vermehrt. In Dido tritt die Frau natürlich hinter der leidenschaftlichen Königin zurück, sie rast, als Aeneas sie verlassen will, und macht sogar einen Versuch, Askan zu ermorden; erst im Tode findet sie verzeihende Worte. Etwas unklar erscheint ihr ihr Tod als eine Reinigung, als Vernichtung des schuldigen Leibes und neue Verbindung mit ihrem ersten Gatten. So wirken auch hier noch die ethischen Forderungen nach, doch herabgesunken zu bloßen Requisiten einer Theatermache. Wichmanns Dido ist psychologisch schlechterdings unmöglich. Sie fällt noch dazu gewissermaßen einem Mißverständnis zum Opfer, da der Dichter, um Aeneens Abfahrt zu rechtfertigen, ihn in dem Glauben um Didos Liebe werben läßt, sie werde mit ihm nach Italien kommen. Man kann nicht gerade behaupten, daß das einleuchtend klingt und Aeneens Verhalten dadurch besonders klar wird. Aber es kommt dem Dichter ja gar nicht auf innere Wahrscheinlichkeit an; der Wust der Nebenpersonen und Ereignisse um sie herum läßt die Charaktere sowieso zur Nebensache werden. — Noch einmal wird dann in den neunziger Jahren Goethes „Iphigenie" Vorbild für ein Didodrama: die „Dido" des Hermann F r e r i c h s (i8g3) 2 7 ). Sie beschränkt sich auf sechs handelnde Personen, spielt durchgehends in einem Haine der Juno und zeichnet sich durch eine feierlich-gehobene Sprache aus, die unrealistisch von Tatsachen meist nur umschreibend berichtet und mit zahllosen weit ausgeführten Vergleichen und Bildern geschmückt ist. Auf Vorgeschichte und Nebenhandlungen ist bewußt verzichtet. Aber der innere Abstand von Goethe liegt auf der Hand. Was dort aus Seelengröße und edler Haltung kommt, wird hier zur Sentimentalität und Weichheit. Aeneas und Dido ergehen sich, als sie in Liebe zueinander finden, in Gefühlsschwelgereien. Aeneas würde für immer bei Dido bleiben, wenn nicht Achat 27

) Dido. Ein Trauerspiel von Hermann Frerichs, Norden und Leipzig (i8g3). Vorhanden: Staatsbibl. Berlin.

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DIDODRAMEN DES 20. JAHRHUNDERTS

dauernd mahnte und ihn an die tote Gattin und den Sohn erinnerte. Dido ist so verliebt, so hingegeben an Aeneas, daß sie alles im Stiche lassen und dem Geliebten nach Italien folgen will. So sind beide in ihrer Weichheit zur äußersten Konsequenz bereit, und aus den Charakteren ergibt sich kein tragisches Geschehen. Deshalb müssen Aeneas und Dido durch eine äußere Gewalt auseinandergebracht werden. Aeneas wird von Didos Ratgebern, die von vornherein gegen ihn sind, gefesselt und aufs Schiff gebracht, das sofort mit ihm in See sticht. Um Dido zu dem üblichen Tode zu bringen, biegt der Dichter, der nicht stark genug ist, die Tragödie aus den Charakteren zu entwickeln, den Handlungsverlauf durch Einführung einer Gewalttat um. Dieser deus ex machina, der hier einmal nicht das glückliche, sondern das tragische Ende herbeiführen muß, bedeutet f ü r diese Tragödie, die den Anspruch erhebt, ein Seelendrama zu sein, das künstlerische Versagen. — Mit Dr. H e i n z es „Dido" (igoi) 2 8 ) sinkt der Didostoff in eine Sphäre hinab, die außerhalb dessen steht, womit es die Literaturgeschichte zu tun hat. Diese „dramatische Dichtung" ist in Wirklichkeit keine Dichtung, sondern die Reimerei eines Gymnasialdirektors, dessen „Lieblingsbeschäftigung" „auf einsamen Spaziergängen und in der Sommerfrische"29) es ist, alte Sagen in Verse zu bringen, etwa wie andere Leute Karten spielen. Beängstigender Dilettantismus hat hier ein Ding geschaffen, das, mit Jupiters Geburtstagsfeier im Olymp beginnend und mit Didos Tod endend, an einigen Stellen bestenfalls als Parodie wirkt. Da der Schuld-Sühne-Gedanke bei dem Verfasser herumspukt, macht er Jarbas zu Didos Bräutigam, dem sie nach der Ankunft Aeneens die Treue bricht. — Für die zwei Didodramen des 20. Jahrhunderts ist ein naturalistischer Einschlag charakteristisch. Der gehobene Jambenstil weicht stellenweise einem derb-realistischen Verkehrston. In Gustav H i l d e b r a n d s „Dido" (190g) 30 ) ist es geradezu eine eigene Komödienschicht, die die Tragödie durchsetzt. Zweifellos nach dem Vorbilde Shakespeares, aber ohne wie dort ein wirklich welthaftes szenisches Widerspiel zu sein, schieben sich zwischen die Haupthandlung derbe Auftritte, deren Personen sich einer nicht eben gewählten Umgangssprache bedienen. Die Bürger Carthagos beklatschen Didos 28

) Dido. Dramatische Dichtung von Dr. Heinze, Kgl. Gymnasial-Direktor, Schulprogramm, Minden i. W., 1901. M ) Vorwort. 30 ) Dido, Tragödie von Gustav Hildebrand, Leipzig u. Berlin 1909. Vorhanden: Staatsbibl. Berlin. Ueber den Dichter vgl. Kürschners Literaturkalender i g i 3 , 1 1 6 5 (Richard Moritz).

HILDEBRAND UND

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ÄUSSERER

Verhältnis zu Aeneas, das enfant terrible Askan uzt Didos alte, geschwätzige Amme, der „alte Bär" Ilioneus sagt Aeneas gutgemeinte Grobheiten. Das ist alles sehr plump gemacht und greift zudem auch auf die Haupthandlung über; daher ist das Resultat nichts anderes als Stillosigkeit: unerträgliches Gemisch von deklamatorischem Pathos und realistischem Straßendeutsch. Der Tragödie selbst fehlt jede innere Linie, es herrscht ein unklares Durcheinander von Ereignissen. Didos Halbbruder Pygmalion, aus Leidenschaft zu Dido Mörder ihres Gatten, im Kerker schmachtend, wird von Aeneas freigelassen, und Dido fühlt sich infolge ihrer Liebe zu Aeneas nicht mehr sittlich berechtigt, ihn zu töten; doch als Pygmalion die Liebenden in der Höhle überrascht, ermordet sie ihn. Um Aeneas zurückzuhalten, verlobt sich Dido mit Jarbas. Psychologisch bleibt fast alles unverständlich. Die meisten Charaktere empfangen nur von einer Seite her Licht, und auch sie sind in der Hauptsache realistisch gesehen. Anna ist ein naives Mädchen, Askan ein kleiner Wildfang, und Aeneens Genossen sind derbe, aber treue Gesellen. Der König Jarbas als abgewiesener Freier ist im Grunde edel, und so darf er sich nach Didos Tode mit Anna vermählen, Pygmalion dagegen ist ein hinterlistiges Scheusal. Didos Haupteigenschaft ist Stolz, unter ihm sucht sie auch ihre Liebe zu verbergen. Aeneas ist ein zutiefst feiger, sinnlicher Mensch, dem Didos Liebe innerlich nicht nahegeht, und der sie darum ohne viel Bedenken verläßt. „Dido ist ein neues an langen im neuen

ihm nur ein Erlebnis mehr, Abenteuer seiner Fahrt, Winterabenden daheim, Land den Enkeln zu erzählen"

(S. io/l). —

Alois Ä u ß e r e r gibt dem realistisch-modernen Umgangston nur in einer einzigen Szene seiner „Dido" (1912) 3 1 ) Raum, in der ersten Szene des Dramas, und umgeht damit die Gefahr der Stillosigkeit. Zudem hat hier die Volksszene, die das Blühen Carthagos veranschaulicht und das freundschaftliche Verhältnis zwischen Carthagern und Trojanern zeigt, wirkliche innere Berechtigung. Denn f ü r Didos Schicksal wird der Wunsch dieses Volkes ausschlaggebend. Steht es mit seinem gesunden Empfinden anfangs ganz auf seiten Aeneens, so wird es später von einem abgewiesenen Freier Didos aufgehetzt, der es glauben macht, Dido wäre ihm verloren, wenn sie Aeneens Gattin wird. 31) Dido, die Gründerin von Karthago, Tragödie in 3 Akten von Alois Äußerer, Innsbruck 1912. Vorhanden: Nationalbibl. Wien. Ueber den Dichter vgl. Kürschners Literaturkalender 1928, 27.

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OPER DES 19. JAHRHUNDERTS

Aus der Sympathie wird eine unüberbrückbare Feindschaft gegen Aeneas und seine Anhänger. In der Erkenntnis dieser Abneigung entschließt sich Aeneas, nach kurzem Liebesglück von Dido zu scheiden. „Der Völker Heil trennt unsres Lebens Pfade" (S. 70). Dido erkennt, daß sie nur eine Fürstenpuppe in Flitterstaat vorstellt, daß es ihr verwehrt ist, Mensch zu sein, und zieht vor zu sterben. An ihrer Leiche erfährt der Rat, daß ein Eifersüchtiger ihn und das Volk verhetzt hat. Dido fällt also einer Intrige zum Opfer und keiner inneren Notwendigkeit, und ihr Schicksal ist nur insoweit tragisch, als es das Schicksal einer Königin ist, f ü r die der Wille ihres Volkes bestimmend wird. Aeneas gewinnt keine plastische Deutlichkeit, er resigniert sofort: „Ich sah ein Troja auf in Flammen gehen, Doch schwerer wird der Abschied mir von Dido!"

— —

Mit diesen beiden Schöpfungen verläuft das Didodrama der Epigonen im Sande. 3.

Oper.

Die Blüte der Griechen- und Römeroper war bei Beginn des ig. Jahrhunderts vorbei 32 ). Doch gehörten zu den Nachzüglern bezeichnenderweise gerade einige Didoopern, was f ü r die außerordentliche Beliebtheit dieses Themas bei den Opernkomponisten Zeugnis ablegt. Noch einmal vertonte Reißiger Mctastasios „Didone abandonnata" (Dresden I823) 33 ). Gleichzeitig schrieb Ludwig R e l l s t a b 3 4 ) f ü r den Komponisten Bernhard Klein 35 ) ein neues Didolibretto 36 ). Anscheinend hat Klein Metastasios Text gekannt, da nach seinen Angaben die Virgilsche Anna wie bei dem Italiener Selene heißt. Rellstab dagegen benutzt Schlegels Drama. Er läßt wiederum Jarbas unter der Maske eines Gesandten in Carthago eindringen und sich erst zu erkennen geben, als er abgewiesen wird, und stellt schließlich an den Schluß Jarbens Besiegung durch Aeneas. Im Mittelpunkt steht der Götterspruch, der Aeneas mehrmals an die Abfahrt mahnt. So geht das Werk ganz in alten Bahnen. 32

) Vgl. Kretzschmar, a.a.O., 2^7. ) Vgl. ebenda, u. Riemann, Opernhandbuch, Lpzg. (1886), io5. Ueber ihn vgl. A.D. B. 28, 781. " ) Vgl. Rellstab, Bernhard Klein, Neue Zeitschrift für Musik, B. III, Lpzg. i835, ig5 ff. 36 ) Dido. Dramatisches Gedicht in 3 Abtheilungen von Ludwig Rellstab, Berlin 1823. Vorhanden: Staatsbibl. Berlin. 33

SCHLUSS

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Otto N e i t z e l s „Dido" (1889) 37 ) lehnt sich in der Sprache an R. Wagner an und wirkt darum maniriert und schwülstig. Die Gestaltung der Handlung bringt ganz neue Momente, die die Didogeschichte völlig umdrehen. Aeneas hat den Mörder des Sichaeus getötet, glaubt aber, es sei Didos Gatte gewesen, und h o f f t darum nicht, Didos Liebe gewinnen zu können. Als sich das Mißverständnis dann klärt, will Aeneas Dido mit sich nach Italien nehmen. Doch die Schwester Elisa im Bunde mit Aeneens Genossen schiebt eine Sklavin unter, und Dido tötet sich in dem Glauben, Aeneas habe sie treulos verlassen. Als Aeneas den Betrug merkt, kehrt er schleunigst um, findet aber Dido sterbend. Das ist natürlich eine künstlerisch unmögliche Lösung 33 ). So haben diese beiden Opern f ü r die Geschichte des Stoffes keine Bedeutung. SCHLUSS.

Der Entwicklung, die der Didostoff auf seinem Wege vom Mittelalter bis in unser 20. Jahrhundert durchgemacht hat, fehlt die große weltanschauliche Linie, die bei der Geschichte anderer Stoffe, etwa des Griseldis-Themas, heraustritt. Nur an einzelnen Stellen wird er in seinem Gehalt wirklich entscheidend von den Grundideen einer Zeit bestimmt; in anderen Epochen wird ihm lediglich eine zeitlich verwurzelte Form gegeben, in die er mehr oder weniger verändert hineingepreßt wird. Wirklich große, auf hohem künstlerischen Niveau stehende Bearbeitungen hat er innerhalb Deutschlands überhaupt nicht gefunden. Er blieb das Feld zweit- oder drittrangiger Dichter, und zuweilen sank er in noch tiefere künstlerische Schichten hinab. Infolge seiner antiken Herkunft erfreute er sich zumal bei dilettierenden Gelehrten großer Beliebtheit. Trotzdem bietet auch die Geschichte eines solchen Stoffes dem Geistes- und Literaturhistoriker noch genug lohnende Ausblicke. 37

) Dido. Oper in 3 Akten von Otto Neitzel, Köln u. Leipzig (1889). Vorhanden: Staatsbibl. Berlin. 3S ) Nichts Genaueres ließ sich über eine Oper von Lampert (i845), (vgl. Kiemann, a.a.O., 104) feststellen. Nicht zugänglich war: „Aeneas bei Dido." Operette in 4 Aufzügen von Heinrich Toball, Mühlheim (1895).

LITERATURVERZEICHNIS. i. Bibliographien

und

Lexika.

Allgemeine Deutsche Biographie (A. D. B.). Betz, Louis P.: La Littérature Comparée, Strassbourg 190^. BrUmmer, Franz: Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten des 19. Jahrhundërts 6 , 8 Bde., Leipzig (1913). Goedeke, Karl: Grundriß der Geschichte der deutschen Dichtung (2. Aufl., Dresden 1884 ff.). Gottsched, Joh. Chr.: Nöthiger Vorrath zur Geschichte d. dtsch. dramatischen Dichtkunst, Leipzig 1767—65. Grethleini Allgemeiner deutscher Theaterkatalog I (bis 1894), 1904. Jellinek, Artur L.: Bibliographie der vergleichenden Literaturgeschichte, i g o 3 . Kosch, Wilhelm: Deutsches Literaturlexikon, Halle 1927 fr. Krüger, Hermann Anders: Deutsches Literaturlexikon, München 191 [\. Riemann, Hugo: Opernhandbuch, Leipzig (1886). Schneider, Max: Deutsches Titelbuch 2 , Berlin 1927. Sonneck, 0. G. T.: Catalogue of Opera-Librettos printed before 1800, Washington

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benutzte

allgemeine

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zur Geschichte

des

Didostoffes.

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BEHANDLUNGEN

DES

DIDOSTOFFES

(Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.) /. Frankreich. Etienne Jodelle: Didon se sacrifiant, Paris 1552. Jean de la Taille: Didon, Trag., i 5 6 o . Guillaume de la Grange: Didon, Trag., Lyon i 5 8 2 , Paris 1 Le Breton: Didon, Trag., 1587. Alexandre Hardy: Didon se sacrifiant, Trag., Paris i 6 o 3 . Georges de Scudéry: Didon, Trag., Paris i 6 3 6 . Paul Scarron: Virgile travesti, Paris 1 6 4 8 — 5 2 . François de Boisrobert: La vraye Didon ou la Didon chaste, Trag., Paris Jean-Antoinc Jacob Montfleury: Lambigu Comique, ou les Amours de Didon et d Enée. Trag., en 3 actes, . . . Représentée en i 6 4 3 , 1 7 6 8 ? Madame de Saintonge: Didon, Trag.-opéra. Musique de Desmarets, i 6 g 3 . Le Franc de Pompignan: Didon, Trag., 1734. (L. Jos. Saint-Amans: La mort de Didon, Ballet, Paris 1776.) Marmontel: Didon, op. 17S3 (Musik von Piccini), übers, v. C. Iîerklots, Berlin 1 7 9 9 . Didon, op. (Musik v. Franc. Ant. de Blasis), 1800. Les Troyens à Carthage, op. (Musik v. Hector Berlioz) i 8 6 4 . Grillet: Didon, i 8 6 5 . Alph. Belot: Didon reine de Cartilage, Operette (Musik von Th. Blanzini), 186 G. / / . Italien. Alessandro de Pazzi: Dido in Cartilagine, Trag., i 5 i o . Giovambattista Giraldi Cinthio: Didone, Trag., Venezia 1543. Ludovico Dolce: Didone, Trag., Venetia 1547Pier Angelico Bar geo: latein. Didotrag., Handschrift in Dresden. Francesco Busenello: La Didone di Gio, op. (Musik v. Cavalli), Venetia i 6 4 i della Rena: Didone, Dramma music., i 6 5 2 ? Paolo Moscardini: Didone, Dramma (Musik v. Mattioli), Bologna i 6 5 6 . Antonio Franceschi: Didone delirante, Dr. in musica (Musik v. Pallavicino), Venetia 1686. (Didone costante, Serenata v. Giov. Batt. Pederzuoli, Wien i 6 8 5 . ) Hortensio Mauro: Il trionfo del fato, op, (Musik v. A. Steffani), 1699.

Mannara: Didone, Dr. music.? Cavazzoni Zanotti: Didone, Trag., 1721. Pietro Metastasio: Didone abandonnata, 1721\ (sehr oft vertonte Oper, vgl. H. Riemann, Opernhandbuch, Leipzig 1886, 10^ f.). Giuseppe Orengo: Enea in Cartagine, Dramma per musica, Torino, 1770. Didone, opera seria (Musik v. Valent. Fioravanti), Roma 1810. (Vigano: Diddone abandonnata, Ballett v. P. Lichtenthai, 1821.) III. Spanien. Gabriel Lobo Lasso de la Vega: in Romancero y Tragedias, Alcala 1587. Christobal de Virues: Elisa Dido, Trag., 1609. Guillen de Castro:? Luis Ferronde Cardona: Dido y Eneas, 17. Jh. Dido, Oper (Musik v. Carvallo) 18. Jh. IV. England. Dido, Trag, aus dem Virgil aufgeführt von Rightwise 1527 in Greenwich. Dido, Trag, aufgeführt vor Elisabeth in Cambridge 1564. Edward Haliwell: Dido, Trag., i56/i. William Gager: Dido, i 5 8 3 (Fragment in der Marloweausgabe v. Dycc App. II.). Christopher Marlowe and Thomas Nash: The Tragedy of Dido Queene of Carthage, London 15gg. The interlude of Dido and Eneas, 17. Jh. Nahum Tate: Dido and Aeneas, Oper (Musik v. Henry Purcell), London i 6 g 5 (bereits 1675 in London aufgeführt). The death of Dido, Oper (Musik v. J. Chr. Pepusch), London 1716. Dido and Aeneas, masque with harlequinade v. Th. A. Arne, London 173/». Jos. Reed: Dido, Trag., 1767. Thomas Bridges: Dido, a comic opera, London 1771. James Hook: Dido, queen of Carthago, Oper, London 1771. Hoare: Dido, Drama, 1772. Dido, Oper v. Storace, London 1792. Thomson: Aeneas and Dido, Oper, 1870. V. Niederlande. De Mol: Van Eneas en Dido, twee amorosen Speien ghemaekt en ghespeelt, Tantwerpen ao I 5 5 I . (Petrus Ligneus=neulateinisch.) (Aulus Gerardus Dalanthus=neulateinisch.) Joann. Bapt. Houwaert: Aeneas et Dido, i5gg. J. Bodecher Benningh: Dido, oft'heylloose minne tocht, Treurspel, Leyden i634. J. van der Does: Tragedie oft ongelukkige lief de van de koniginne Dido, Amsterdam 1662. A Pels: Didoos doot, Treurspel, Amsterdam 1668. C. Boon: Dido, Treurspel, Leyden 1780.

P. F. Lijnslager: de Vlugt van Eneas of de doot van Dido, Treurspel in straatliedjes, Amsterdam 1 7 8 5 . VI. Fr.

Uitini: 1790.

Schweden.

Aeneas in Carthago, Oper (Musik v. Kraus? 1 7 9 2 ) , Stockholm VII.

Dänemark.

Wolffius: Tragediae duae quorum prima Didonis . . . transcriptae Hafniae i 5 g i .

Knjaznin:

Dido,

1791.

VIII.

Rußland.

ex Virgilii Aencide

STOFF- UND MOTIVGESCHICHTE DER DEUTSCHEN LITERATUR herausgegeben von PAUL MERKER und GERHARD LÜDTKE.

Es handelt sich um ein groß angelegtes Sammelwerk, bestehend aus Reihen von Einzelheften darstellender Art, die je einen vielbehandelten Stoff oder ein häufiger wiederkehrendes Motiv auf ihrem Schicksalsgang innerhalb der deutschen Literaturgeschichte verfolgen. Die behandelten und ausgewerteten Dichtungsinhalte sollen als Exponenten der jeweiligen Kulturstimmung und Stilrichtung erscheinen und somit Bausteine zur Geschichte des geistigen Lebens und der seelischen Entwicklung des deutschen Volkes bilden. Das Gesamtwerk wird in Einzelheften von je etwa drei Bogen Lexikonformat ausgegeben. Jedes Heft, das im Rahmen des Gesamtunternehmens selbständig unter dem Namen des Verfassers erscheint, ist einzelkäuflich zu erwerben. Bisher sind erschienen: 1. Die Jungfrau von Orleans in der Dichtang. Von WILHELM GRENZMANN. Groß-Oktav. IX, 74 Seiten. 1929. 4.— 2. Tristan und Isolde in der französischen und deutschen Dichtung des Mittelalters und der Neuzeit. Von WOLFGANG GOLTHER. GroßOktav. VI, 72 Seiten. 1929 4.— 3. Julianus Apostata in der deutschen Literatur. Von KÄTE PHILIP. Groß-Oktav. IV, 78 Seiten. 1929. 5.— 4. Parzival in der deutschen Literatur. Von WOLFGANG GOLTHER. Groß-Oktav. VI, 64 Seiten. 1929. 5.— 5. Heidelberg als Stoff und Motiv der deutschen Dichtung. Von RUDOLF K. GOLDSCHMIT. Groß-Oktav. VI, 74 Seiten. 1930. 4.— 6. Ahasvérus, der ewige Jude. Von WERNER ZIRUS. Groß-Oktav. IV, 73 Seiten. 1930. 5.— 7. Das Judith-Motiv in der deutschen Literatur. Von OTTO BALTZER. Groß-Oktav. IV, 62 Seiten. 1930. 5.— 8. Napoleon in der deutschen Literatur. Von MILIAN SCHÜMANN. Groß-Oktav. VIII, 87 Seiten. 1930. 7.— 9. Dido in der deutschen Dichtung. Von EBERHARD SEMRAU. GroßOktav. V, 95 Seiten. 1930. ca. 7.— 10,11. Das Vater-Sohn-Motiv in der Dichtung. Von KURT K. T. W A I S 1930. Im Druck Die Behandlung folgender Stoffgruppen ist vorgesehen: Antike, Mittelalter, Neuzeitliche Welt geschichte, Kirchengeschichte, Bibel, Legenden, Neuzeitliche Volkssagen und Märchenstoffe Fabelstoffe, Kulturträger in dichterischer Darstellung, Stände und Berufsgruppen in der dichterischen Darstellung, Das menschliche Privatleben, Natur, Die Zivilisation im dichterischen Werk, Das literarische Nachleben weltliterarischer Werke.

Einen ausführlichen Prospekt liefern wir kostenlos.

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