Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik: Eine Untersuchung anhand des Beispiels der 'Gefahren, erhebliche Nachteile oder Belästigungen' im Anlagengenehmigungsverfahren [1 ed.] 9783428475049, 9783428075041


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German Pages 302 Year 1993

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Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik: Eine Untersuchung anhand des Beispiels der 'Gefahren, erhebliche Nachteile oder Belästigungen' im Anlagengenehmigungsverfahren [1 ed.]
 9783428475049, 9783428075041

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BARBARA EBINGER

Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M ich a e I Klo e p fe r, Trier

Band 28

Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik Eine Untersuchung anhand des Beispiels der ,Gefahren, erhebliche Nachteile oder Belästigungen' im Anlagengenehmigungsverfahren

Von

Barbara Ebinger

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Ebinger, Barbara:

Der unbestimmte Rechtsbegriff im Recht der Technik : eine Untersuchung anhand des Beispiels der ..Gefahren, erhebliche Nachteile oder Belästigungen" im Anlagengenehmigungsverfahren / von Barbara Ebinger. Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 28) Zug\.: Bayreuth, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07504-8 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-07504-8

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 1991/92 von der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum wurden bis Juli 1991 berücksichtigt. Mein besonderer und aufrichtiger Dank gilt Herrn Prof. Dr. Dr. Wilhelm Mößle, der die Arbeit wissenschaftlich betreut hat. Ohne seine wertvollen fachlichen und persönlichen Anregungen wäre sie nicht in dieser Form entstanden. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Wilfried Berg, der die Zweitbegutachtung übernommen hat. Allen Mitarbeitern und Kollegen des Lehrstuhls danke ich für ihre Hilfsbereitschaft und das stets angenehme Arbeitsklima während meiner zweijährigen Tätigkeit als wissenschaftliche Assistentin.

Stuttgart, im September 1992 Barbara Ebinger

Inhaltsverzeichnis

Einleitung A. Problemstellung ............................................................................................................................ 13

B. Gang der Untersuchung .............................................................................................................. 14 C. Rechtshistorische Vorgehensweise ............................................................................................ 16 D. Begründung der Begriffsauswahl ............................................................................................... 17

Erster Teil Theoretische Grundlagen der Untersuchung

19

Erstes Kapitel

Theoretische Grundlagen des unbestimmten RechtsbegritTes

19

A. Die Struktur des unbestimmten Rechtsbegriffes ..................................................................... 19 B. Der Standort des Problems ......................................................................................................... 24

C. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte bei unbestimmten Rechtsbegriffen ............... 26 I.

Beurteilungsspielraum bei der Auslegung ......................................................................... 26

11. Beurteilungsspielraum bei der Feststellung des Sachverhaltes ...................................... 27 111. Beurteilungsspielraum bei der Subsumtion (Beurteilung) des Sachverhaltes ............. 28 IV. Überprüfung der genannten Kriterien an den bisher durch die Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen eines Beurteilungsspielraumes .............................................. 32

1. Höchstpersönliche oder unvertretbare Entscheidungen ............................................ 32 2. Entscheidungen durch Organe gesellschaftlich-pluralistischer Repräsentanz ........ 32 3. Administrative Planentscheidungen ............................................................................... 33 4. Prognoseentscheidungen ................................................................................................. 34 D. Verfassungsrechtliche Probleme unbestimmter Rechtsbegriffe ........................................... 34

8

Inhaltsverzeichnis I.

Der Parlamentsvorbehalt ..................................................................................................... 35

II. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ................................................................................ 37 III. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ................................................................ 38 IV. Weitere Aspekte der verfassungs rechtlichen Problematik ............................................... 38 E. Der Begriff der (erheblichen) Gefahren, Nachteile oder Belästigungen als unbestimmter Rechtsbegriff ................................................................................................................................. 39 I.

Der Begriff der (erheblichen) Gefahren ........................................................................... 39

II. Der Begriff der (erheblichen) Nachteile oder Belästigungen ........................................ 41

Zweites Kapitel

Der rechtstatsächliche Ansatz

43

A. Die Begriffe der Rechtstatsachenlehre und Rechtssoziologie ............................................... 43

B. Juristisch ausgerichtete rechtstatsächliche und rechtssoziologische Fragestellungen (Untersuchungsgegenstand) ........................................................................................................ 46 I.

Allgemein mögliche Untersuchungsgegenstände ............................................................. 46

II. Vorliegend verwirklichte Untersuchungsgegenstände ..................................................... 48 C. Praktische Durchführung eines rechtstatsächlichen oder rechtssoziologischen Ansatzes ......................................................................................................................................... 50 I.

Methodische Ansätze ............................................................................................................ 50

II. Empirische Untersuchungstechniken ................................................................................. 51 D. Dogmatischer Ansatz und rechtstatsächlicher Ansatz ............................................................ 53 I.

Der Begriff des dogmatiSChen Ansatzes ............................................................................ 53

II. Integrierung eines rechtstatsächlichen (rechtssoziologischen) in einen dogmatischen Ansatz ...................................................................................................................................... 54

Zweiter Teil Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

58

Erstes Kapitel

Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

58

A. Der Ausgangspunkt: Die Gewerbeordnung von 1869 ............................................................. 58

I.

Die untersuchten Begriffe und ihr Regelungszusammenhang ....................................... 58

II. Vorläufer der Gewerbeordnung von 1869 ......................................................................... 60

Inhaltsverzeichnis

9

III. Zielsetzungen und Hintergründe der Normierung .......................................................... 62 1. Zusammenfassende Beurteilung durch die Motive ..................................................... 62

2. Die Diskussionen in den Stenographischen Berichten als Untersuchungsgegenstand .......................................................................................................................... 63 3. Untersuchung möglicher restriktiver Tendenzen ........................................................ 64 4. Untersuchung möglicher erweiternder Tendenzen ..................................................... 67 5. Zusammenfassung ............................................................................................................ 72 IV. Zusammenhänge zwischen der Normierung und dem zeitgeschichtlichen Hintergrund ........................................................................................................................................ 73 B. Die Hinzufügungen zum Verzeichnis des § 16 GewO 1869 bis 1899 .................................... 77

I.

Zielsetzungen und Hintergründe der Normierung .......................................................... 77 1. Die Änderungen im einzelnen ........................................................................................ 77

2. Zusammenfassung ............................................................................................................ 82 11. Zusammenhänge zwischen der Normierung und dem zeitgeschichtlichen Hintergrund ....................................................................................................................................... 83 C. Die Änderungen der §§ 16 ff GewO 1937 und 1939 ................................................................ 87

D. Die Änderungen der §§ 16 ff GewO 1959 ................................................................................. 89 I.

Die Änderung der §§ 16 ff GewO durch Einführung des Wasserhaushaltsgesetzes ................................................................................................................................... 89

11. Die Änderungen der §§ 16 ff GewO durch Abspaltung des Verzeichnisses des § 16 GewO u.a. .. ..................................................................................................................... 90 1. Die Änderungen des Gesetzestextes .............................................................................. 90

2. Zielsetzungen und Hintergründe der Normierung ...................................................... 91 3. Zusammenhänge zwischen der Normierung und dem zeitgeschichtlichen Hintergrund ................................................................................................................................... 95 E. Die Einführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 1974 ................................................ 98 I.

Die untersuchten Begriffe und ihr Regelungszusammenhang ....................................... 98

11. Zielsetzungen und Hintergründe der Normierung ........................................................ 100 1. Die allgemeine juristische Diskussion ......................................................................... 100

2. Die Diskussion innerhalb des Legislativorgans .......................................................... 102 3. Rechtssystematische Änderungen ................................................................................ 106 4. Zusammenfassung .......................................................................................................... 108 III. Zusammenhänge zwischen der Normierung und dem zeitgeschichtlichen Hintergrund ..................................................................................................................................... 109

Inhaltsveneichnis

10

F. Die 1979 geplante Änderung ..................................................................................................... 110 I.

Zielsetzungen und Hintergründe der geplanten Änderungen im Gesetzestext ........ 110

H. Zusammenhänge zwischen der Normierung und dem zeitgeschichtlichen Hintergrund ..................................................................................................................................... 113 G. Die Änderung 1985 ..................................................................................................................... 115 I.

Die Änderungen im Gesetzestext ..................................................................................... 115

11. Zielsetzungen und Hintergründe der Normierung ........................................................ 116 III. Zusammenhänge zwischen der Normierung und dem zeitgeschichtlichen Hintergrund ..................................................................................................................................... 119 H. Die Änderungen 1990 ................................................................................................................ 121 I.

Die Änderungen im Gesetzestext ..................................................................................... 121

11. Zielsetzungen und Hintergründe der Normierung ........................................................ 122 III. Zusammenhänge zwischen der Normierung und dem zeitgeschichtlichen Hintergrund ..................................................................................................................................... 123 K. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ......................................................................................... 124

Zweites Kapitel

Die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegrift'es durch die Exekutive und Judikative

127

A. (Erhebliche) Gefahren, Nachteile oder Belästigungen (schädliche Umwelteinwirkungen) im Rahmen der §§ 16 Abs. 1 GewO, 4 Abs. 1 BImSchG ...................................... 127

I.

Die Anlagenarten ................................................................................................................ 128 1. Entscheidungen der Verwaltungsbehörden ................................................................ 129

2. Entscheidungen der Gerichte ....................................................................................... 142

11. Gewerbliche und nichtgewerbliche Anlagen ................................................................... 148 111. "Niederlagen" ....................................................................................................................... 154 B. (Erhebliche) Gefahren, Nachteile oder Belästigungen (schädliche Umwelteinwirkungen) im Rahmen der § 18 Abs. 1 GewO, §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 2; 6 Nr. 1 BImSchG ............. 157 I.

Abstrakt-generelle konkretisierende Vorschriften der Exekutive zum Bedeutungsgehalt der (erheblichen) Gefahren, Nachteile oder Belästigungen (schädliche Umwelteinwirkungen) ........................................................................................................ 158 1. Die Technischen Anleitungen ....................................................................................... 159

a) Die preußische Technische Anleitung ..................................................................... 159 aa) Der allgemeine Teil der Technischen Anleitung ........................................... 160 bb) Erfaßte Anlagenarten - nichterfaßte Anlagenarten ....................................... 163

Inhaltsverzeichnis

11

cc) Die Art der Erläuterungen zu den einzelnen Anlagenarten ........................ 165 dd) Zusammenfassung und Entwicklungstendenzen ............................................ 167 b) Andere konkretisierende Vorschriften auf gleicher Normstufe ......................... 174 c) Die TA-Luft ................................................................................................................ 176

d) Die TA-Lärm .............................................................................................................. 182 e) Zusammenfassende Würdigung ............................................................................... 183 2. Konkretisierende Rechtsverordnungen ....................................................................... 186 a) Konkretisierende Rechtsverordnungen unter der Geltung der Gewerbeordnung ........................................................................................................................ 186 b) Konkretisierende Rechtsverordnungen unter der Geltung des BundesImmissionsschutzgesetzes .......................................................................................... 190 aa) Die Störfall-Verordnung .................................................................................... 193 bb) Die Verordnung über Großfeuerungsanlagen ............................................... 198 c) Zusammenfassung zu den Zusammenhängen zwischen konkretisierenden

Bestimmungen und dem zeitgeschichtlichen Hintergrund .................................. 201

3. VDI-, DIN-Normen ........................................................................................................ 202

a) Die Entwicklung von VDI und DIN ........................................................................ 202 b) Die Integration von VDI- und DIN-Normen in Vorschriften ............................. 205 c) Zustandekommen technischer Standards ............................................................... 206 aa) Normsetzung durch den VDI und das DIN .................................................... 206 bb) Bedeutung und Auswirkungen der Art des Zustandekommens technischer Standards ................................................................................................ 208

11. Die Einzelfallentscheidungen der Exekutive zum Bedeutungsgehalt der (erheb-

lichen) Gefahren, Nachteile oder Belästigungen (schädliche Umwelteinwirkungen) ...................................................................................................................... 211 1. Das "freie Ermessen" bei der Genehmigungserteilung ............................................. 211 a) Die Annahme eines "freien Ermessens" in der Zeit nach dem Erlaß der GewO 1869 .................................................................................................................. 211 b) Vom "freien Ermessen" zum überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff ...... 218 2. Einzelfallentscheidungen ............................................................................................... 221

III. Die Entscheidungen der Gerichte zum Bedeutungsgehalt der (erheblichen) Gefahren, Nachteile oder Belästigungen (schädliche Umwelteinwirkungen) ................. 227 1. Entscheidungen unter der Geltung der Gewerbeordnung ....................................... 227 a) Entscheidungen vor der generellen gerichtlichen Überprüfbarkeit der unbestimmten Rechtsbegriffe ........................................................................................... 227 b) Zusammenfassung ...................................................................................................... 238 c) Entscheidungen nach der generellen gerichtlichen Überprüfbarkeit der unbestimmten Rechtsbegriffe ........................................................................................... 241

12

Inhaltsverzeichnis 2. Entscheidungen unter der Geltung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes .......... 244 a) Die gerichtliche Überprütbarkeit der unbestimmten Rechtsbegriffe ................ 244 b) Die Bindungswirkung allgemeiner Verwaltungsvorschriften (Technischer Anleitungen) ............................................................................................................... 246 c) Einzelne Gerichtsentscheidungen ............................................................................ 252 d) Zusammenhänge zwischen der Konkretisierung und dem zeitgeschichtlichen Hintergrund ................................................................................................................. 256 IV. Vorschriften und Urteile zu Fragen, die mit dem Bedeutungshalt der (erheblichen) Gefahren, Nachteile oder Belästigungen (schädliche Umwelteinwirkungen) in Zusammenhang stehen ............................................................................................................ 257 1. Die Rechtslage unter der Geltung der Gewerbeordnung ........................................ 257

a) Abstrakt-generelle Vorschriften der Exekutive ..................................................... 257 b) Gerichtsentscheidungen ............................................................................................ 262 2. Die Rechtslage unter der Geltung des' Bundes-Immissionsschutzgesetzes ........... 266 a) Abstrakt -generelle Vorschriften (der Exekutive) ...................................................... 266 b) Gerichtsentscheidungen ................................................................................................. 267

Dritter Teil Zusammenfassung und allgemeine Rückschlüsse auf die Handhabung unbestimmter RechtsbegrifTe

270

A. Gleichbleibendes Normprogramm mit Entscheidungen der Exekutive und fehlenden Entscheidungen der Judikative ................................................................................................. 270

B. Nachholende Veränderungen des Normprogrammes mit Entscheidungen der Exekutive und fehlenden Entscheidungen der Judikative ...................................................................... 276 C. Überholende Veränderungen des Normprogrammes mit Entscheidungen der Exekutive und Entscheidungen der Judikative ......................................................................................... 279

Literaturverzeichnis ......................................................................................................................... 286

Einleitung A.

Problemstellung

Unbestimmte Rechtsbegriffe finden sich als Regelungsform in vielen zentralen Normen wichtiger Gesetze, insbesondere auch in solchen Bestimmungen, in denen Recht und Technik zusammentreffen. Der unbestimmte Rechtsbegriff ist zuerst und grundlegend Gesetzesbegriff, das heißt, er ist Teil des Normbefehls. Er steht daher in dem grundsätzlichen Spannungsverhältnis, in dem jede Norm und die sie formenden Begriffe stehen: einerseits ist er Abstrahierung und Generalisierung von Einzelfällen, die der Gesetzgeber bei seiner Regelung zum Vorbild nahm 1 oder die ihm zumindest in diesem Problem bereich vorstellbar erschienen, für die Lösung einer unbestimmten Anzahl weiterer, zukünftiger Einzelfälle. Andererseits ist jeder Gesetzesbegriff - also auch der unbestimmte Rechtsbegriff - als Teil eines Konditionalprogrammes Handlungsanweisung an den Rechts-anwender und muß die für diese Funktion erforderliche Operabilität und Realisierbarkeit aufweisen2. Dies ergibt sich bereits aus funktionalen Gesichtspunkten, eines Rückgriffes auf verfassungsrechtliche Erwägungen bedarf es insoweit nicht. Dieses grundsätzlich bestehende Spannungsverhältnis kann in vielen zu normierenden Rechtsbereichen und Rechtsfragen unter Verwendung "bestimmter" Rechtsbegriffe soweit aufgelöst werden, daß daraus keine weiteren Probleme entstehen. Für viele Fragen des Umwelttechnikrechts trifft dies aber nicht zu, insbesondere auch nicht für das hier im Mittelpunkt stehende Anlagengenehmigungsverfahren. Diese Rechtsgebiete beinhalten unausweichlich den Widerstreit zwischen der per se statischen Form des Gesetzes und dem durch dynamische Entwicklungen gekennzeichneten, in weitem Umfang technischen Regelungsgegenstand3. Diesem strukturell bel

v. Mutius, Jura 87, S. 92 f.

2 Für gesetzliche Eingriffsennächtigungen BVerfGE 8, S. 274 (325); 9, S. 137 (147), ähnlich Meyn, JA 80, S. 327. 3

Z.B. Ossenbühl, VR 79, S. 5, Berg, JZ 85 S. 401, Backlu!rms, JuS 83, S. 9.

14

Einleitung

dingten Widerstreit, der Ausdruck des intensivierten grundsätzlich bestehenden Spannungsverhältnisses ist, scheint durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe am besten Rechnung getragen werden zu können. Dadurch ist scheinbar nicht nur die ständige Anpassung an tatsächliche Entwicklungen des Regelungsgegenstandes erreicht, sondern es werden auch Handlungsalternativen offengehalten und die Möglichkeit geschaffen, Erfahrungen anhand praktischer Fälle zu sammeln und die Grundsatzentscheidung später zu fällen4 . In einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft sind Einigungen außerdem nur noch auf steigendem Abstraktionsniveau erreichbar, so daß der Gesetzgeber sich gezwungen meint, den Komprorniß der "Leerformeln" zu suchen5 . Über diese vermeintlichen Vorteile im Hinblick auf die vom Gesetzgeber zu lösende Normierungsaufgabe darf die spiegelbildliche Rechtsanwendungsseite nicht in Vergessenheit geraten. Vorteile für den Gesetzgeber werden zu Nachteilen für den Gesetzesanwender, da er sich mit inhaltlich verdünntem Recht 6 konfrontiert sieht. Letziich ist "gutes Recht" nur solches, das vom Rechtsanwender erwartungsgemäß angewandt werden kann und auch angewandt wird. Das ist dann der Fall, wenn der Normbefehl deutlich ist, wenn also der Sinngehalt eines unbestimmten Rechtsbegriffes für die praktische Anwendung ermittelbar ist. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich aufgrund des dargelegten Spannungsverhältnisses sowohl mit der Theorie und Struktur des unbestimmten Rechtsbegriffes als auch hauptsächlich (aus dem Blickwinkel der Rechtsanwendung) mit der Ermittlung von dessen Sinngehalt. Sie verwendet dazu theoretische und praktische Fragestellungen anhand eines Beispieles aus dem Anlagengenehmigungsverfahren, um letztlich eine Aussage zur Eignung des unbestimmten Rechtsbegriffes als Regelungsinstrument machen zu können. B. Gang der Untersuchung

Die Beiträge zu diesem Themenkreis legen der Problemdiskussion - traditionsgemäß - fast ausschließlich einen dogmatisch-theoretischen Ansatz 4 Brohm, NJW 84, S. 1l. 5 .. Papia, DOV 86, S. 622, Brohm, NJW 84, S. 11, Nol/, Gesetzgebungslehre, S. 158 C, vgl. auch Luhmann, Ökologische Kommunikation, S. 134 f. 6 Papia, DÖV 86, S. 622, Rhinow, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 664, Ossenbühl, VR 79, S.5 f, Backherms, JuS 80, S. 9, Blankenburg, Rechtssoziologie, S. 114.

Einleitung

15

zugrunde. Es wird also versucht, die bei der Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes auftretenden Schwierigkeiten der genauen Determinierung seines Inhalts über seine Struktur, über Auslegung, Heranziehung konkretisierender Bestimmungen usw. in den Griff zu bekommen, wie dies in Teil! ausführlich erläutert wird. In diesem Problemfeld sind auch die vieldiskutierte Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung und die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines unbestimmten Rechtsbegriffes angesiedelt. Daß es mit diesen erkenntnistheoretischen Mitteln noch nicht oder zumindest noch nicht in ausreichendem Maße gelungen ist, den genauen Sinngehalt des jeweiligen unbestimmten Rechtsbegriffes zu ermitteln, zeigen schon die anhaltenden juristischen Kontroversen in diesem Themenkreis7. Ohne die systematische Notwendigkeit und wohlbemerkt auch den praktischen, durch die Übertragung auf den Einzelfall erzielbaren Nutzen solcher Ansätze bezweifeln zu wollen, fragt es sich, ob dem Problemphänomen unbestimmter Rechtsbegriff mit anderen Ansätzen nicht noch nähergerückt werden kann. Dabei scheidet ein abstrakt-systematisches Näherungsverfahren aus, da dies von den erwähnten dogmatischen Ansätzen bereits angewandt wurde und daher auf diesem Wege keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Ein anderer Ansatz kann somit nur ein Ansatz im Tatsächlichen sein. Die aufwendige Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse bedingt im Zusammenhang mit dem beschränkten Kapazitätsrahmen der vorliegenden Untersuchung die Beschränkung auf einen, gegebenenfalls auch auf mehrere ausgewählte unbestimmte Rechtsbegriffe. Die möglichen (rechts-)tatsächlichen Fragestellungen sind vielfältiger Natur und haben sich nach dem für den jeweiligen Begriff vorherrschenden Erkenntnisinteresse zu richten. Im ideal vorzustellenden Fall lassen solchen Fragestellungen und die darauf zu fmdenden Antworten Rückschlüsse auf den Problemkreis unbestimmter Rechtsbegriff oder einzelner Facetten davon zu8. Mit diesen Überlegungen ist der Gang der Untersuchung 10 seinen Grundzügen schon festgelegt. In einem ersten Teil wird die Theorie des unbestimmten Rechtsbegriffes mit den dazu herrschenden Ansichten behandelt. Dieser Teil dient auch der Definition des unbestimmten Rechtsbegrif7 Ähnlich von Welck, DÖV 73, S. 732 f. 8 Nach Mayntz, Problemverarbeitung, S. 78, fehlt es an generellen Aussagen über die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Typen staatlicher Handlungsprogramme und ihr Fördern bzw. Verhindern der Verwirklichung bestimmter staatlicher Ziele.

16

Einleitung

fes, wie er 10 der vorliegenden Untersuchung verwendet wird sowie der Festlegung der Fälle, in denen eine Einschätzungsprärogative der Verwaltung besteht. Der erste Teil beschäftigt sich außerdem mit der Theorie eines rechtstatsächlichen Ansatzes sowie mit der Frage, wie ein solcher Ansatz zur Dogmatik des unbestimmten Rechtsbegriffes steht, d.h. wo er sich nutzbringend einfügt. Die folgenden Teile beschäftigen sich sowohl mit der Entwicklung des Sinngehaltes dieses unbestimmten Rechtsbegriffes als auch mit den rechtsinstrumentellen Änderungen, wie sie sich aus den konkretisierenden abstrakt-generellen Bestimm ungen und Einzefentscheidungen ergeben9 . Diese Entwicklungen werden vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund gesehen; in einem letzten Schritt wird versucht, zwischen diesem Hintergrund und den festzustellenden Entwicklungen Zusammenhänge aufzuzeigen, die Rückschlüsse auf Struktur und Problematik des untersuchten unbestimmten Rechtsbegriffes zulassen.

c. Recbtsbistoriscbe Vorgebeosweise Die Verwirklichung der Zielsetzung der Ermittlung des Sinngehaltes unbestimmter Rechtsbegriffe durch normtheoretische und tatsächliche Betrachtungen ist prinzipiell auf zwei verschiedene Arten denkbar. Möglich wäre einmal die Auswahl und der Vergleich mehrerer Begriffe aus bestehenden und gültigen Normwerken. Hier wurde der zweiten denkbaren Möglichkeit der Verfolgung eines Begriffes über eine längere Zeitspanne der Vorzug gegeben 10. Wenn es nämlich aufzeigbare Zusammenhänge zwischen der Fassung und Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe und den jeweils vorherrschenden Rahmenbedingungen - gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher usw. Art - gibt, so ist deren Erkennen eher bei einer historischen Verlaufsuntersuchung zu erwarten, da dann mehrere verschiedene Konstellationen erfaßt werden. Bei einer Beschränkung auf den heuti-

9 Sofern es sich nicht um bundesgesetzliche Regelungen handelt, beziehen sich die meisten dieser abstrakt-generellen Regelungen und auch der Einzelentscheidungen auf die Rechtslage in Preußen und Bayern. Das ist weniger auf eine bewußte Auswahl zurückzuführen als auf die Tatsache, daß das meiste aufzufindende Material aus diesen Ländern stammt. Es ist daher nur folgerichtig, daß eine gewisse Konzentrierung der Betrachtung der Rechtslage in Richtung dieser Länder stattfindet. 10 Die von Noll, Gesetzgebungslehre, S. 88 f (vgl. zur Bedeutung dieses Werkes Häberle, Rezension in JZ 81, S. 853 - 855) gegen eine rechtsgeschichtliche UntersUChung vorgebrachten Bedenken werden hier durch die Kombination mit anderen Ansätzen vermieden.

Einleitung

17

gen Rechtszustand mit lediglich einer einzigen gegebenen Konstellation von Faktoren ist die Gefahr von Fehlinterpretationen notwendigerweise größer. D. Begründung der BegritTsauswahl

Wie bereits erläutert, konnten die praktischen Untersuchungen nur exemplarisch für einen oder mehrere ausgewählte unbestimmte Rechtsbegriffe erfolgen. Hier stellte sich die Beschränkung auf einen einzigen Begriff als notwendig heraus. Am geeignetsten erschien der Begriff der "erheblichen Gefahren, Nachteile oder Belästigungen" des Anlagengenehmigungsverfahrens. Der beschriebene Ansatz hätte natürlich in einer ganzen Anzahl von Rechtsgebieten umgesetzt werden können, nicht nur in dem hier gewählten. Eine ThemensteIlung innerhalb des sehr weiten Rahmens des Umweltrechtes bot sich deshalb an, weil dieses Rechtsgebiet zum einen in beachtlichem Ausmaß von unbestimmten Rechtsbegriffen beherrscht wird und zum anderen immer größere Bedeutung gewinnt 11 . Die meisten umweltrechtlichen Gesetze entstanden erst nach 1960. Wegen der hier gewählten zeitlichen Achse, also der Verfolgung eines Begriffes über eine längere Zeitspanne, (vgl. zur Begründung oben C.), mußte ein Begriff gefunden werden, der trotz der Neuheit der Materie "Umwelt recht" schon relativ lange existiert. Das Anlagengenehmigungsverfahren erfüllt diese Anforderungen in besonders hohem Maße. Sein zentraler unbestimmter Rechtsbegriff "erhebliche Gefahren, Nachtheile oder Belästigungen" war bereits in der Gewerbeordnung von 1869 enthalten (§§ 16 Abs. 1, 18 Abs. 1 GewO). Die Wahl dieses Einsatzzeitpunktes für die Untersuchung ist allerdings auf den Begriff bezogen nicht zwingend, da er sich bereits in der preußischen Allgemeinen Gewerbeordnung von 1845 findet. Ähnliche Formulierungen gab es auch noch früher in mehreren gewerberechtlichen Vorschriften12. Die Gewerbeordnung von 1869 bot sich deshalb als Untersuchungsbeginn an, weil sie die erste für das Deutsche Reich einheitliche

11 Über die ständig zunehmende Bedeutung umweltrechtlicher Normen herrscht heute Einigkeit, vgl. z.B. Huber, AöR 114, S. 254, Erichsen, DVBI. 85, S. 22. 12 Ein guter Überblick über die Normierungen vor der Gewerbeordnung von 1869 findet sich bei Mieck, Luftverunreinigung, S. 39 ff, vgl. dazu auch unten 2. Teil, 1. Kap., A. 11. 2 Ebinger

18

Einleitung

Regelung enthielt13. Auch zukünftig blieb das Gewerberecht der Gesetzgebungskompetenz des Reiches/Bundes vorbehalten l4 ; das die Gewerbeordnung in diesem Bereich ablösende Immissionsschutzgesetz ist ebenfalls Bundesgesetz. Die Formulierung im heutigen Bundes-Immissionsschutzgesetz ist in ihren wesentlichen Merkmalen noch fast gleich: "Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen,,15. Die Thematik des Anlagengenehmigungsverfahrens eignet sich zudem deshalb besonders für die vorliegende Untersuchung, weil sich in dem Problem der durch die industrielle Produktion verursachten Umweltbelastung das Verhältnis von Staat und Wirtschaft besonders deutlich manifestiert und der gewählte unbestimmte Rechtsbegriff daher in einem nach wie vor aktuellen Spannungsverhältnis steht.

13 Auch Mieck, Luftverunreinigung, S. 38, bezeichnet die Gewerbeordnung von 1869 als "Markstein in der Geschichte der deutschen Immissionsschutzgesetzgebung" .

14 Unter dem Grundgesetz ist es Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung, Art. 74 Nr. 24 GG.

15 So § 3 Abs. 1 BImSchG zur Legaldefinition schädlicher Umwelteinwirkungen. Die sprachlichen Fassungen des Begriffes in § 4 Abs.l BImSchG, §§ 6 Nr.l iVm 5 Abs.l Nr. 1, (2) unterscheiden sich nur in ihrer Formulierung, nicht in ihrem Begriffskem.

Erster Teil

Theoretische Grundlagen der Untersuchung Erstes Kapitel Theoretische Grundlagen des unbestimmten RechtsbegritTes A. Die Struktur des unbestimmten Rechtsbegriffes

Die zahlreichen theoretischen Probleme dogmatischer Art, mit denen sich die Rechtswissenschaft im Bereich von Ermessen und unbestimmten Rechtsbegriffen auseinandersetzt, bestehen bereits darin, daß die Figur des unbestimmten Rechtsbegriffes zugunsten eines einheitlichen Tatbestandsund Rechtsfolgeermessens nicht unbestritten geblieben ist. Für die vorliegende Untersuchung wird an der traditionellen und wohl auch noch herrschenden Einteilung1 festgehalten, die davon ausgeht, daß der unbestimmte Rechtsbegriff auf der Tatbestandsseite, das Ermessen auf der Rechtsfolgeseite einer Norm angesiedelt ist. Die Lossagung vom unbestimmten Rechtsbegriff und die Einführung eines einheitlichen Tatbestandsermessens2 bringt nach der hier vertretenen Meinung keine Unterschiede in den sachlichen Ergebnissen, sondern nur eine Vereinheitlichung der Terminologie. Da sich die vorliegende Untersuchung aber nur mit unbestimmten Rechtsbegriffen, nicht aber mit dem Ermessen insgesamt beschäftigt, ist eine Differenzierung der Begriffe der Verdeutlichung der Problemdiskussion nur zuträglich. Ein weiteres grundlegendes Problem dieses Rechtsgebietes ist die Frage, was den unbestimmten Rechtsbegriff3 zu einem solchen macht, das heißt, 1 Vgl z.B. Achterberg, Allg. Verwaltungsrecht, § 18 RN 37. Maurer. Allg. Verwaltungsrecht, § 7 RN 17, BVerwG, DVBI. 74, S. 849 und die Nachweise bei Ehmke, Ermessen. S. 23. 2 So z.B. Meyer/Borgs (Meyer), § 40 RN 17 ff, Bullinger, JZ 84, S. 1009, SChmidt-Aßmann. VVDStRL 34, S. 221 (251 ff).

3 Zur Kritik an der Terminologie (besser: Gesetzesbegriff) vgl. Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, § 7 RN 18, S. 100, Wolff/Bachof I, § 31 I c, S. 188. Da die Bezeichnung 'unbestimmter Rechtsbegriff" gemeinhin Verwendung findet, wird sie auch hier beibehalten.

20

1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

welche Rechtsbegriffe noch "bestimmt" sind, welche bereits "unbestimmt" sind. Diese Unsicherheit rührt zum einen daher, daß sprachliche Begriffe immer - so natürlich auch bei ihrer Verwendung in der juristischen Fachterminologie - ein gewisses Maß an "Unschärfe" enthalten4 . Selbst wenn man nur auf die juristische Terminologie abstellt, zeigt sich bei näherem Hinsehen, daß gerade auch die selbstverständlichsten Begriffe "Unschärfen" enthalten. So ist z.B. im Strafrecht klärungsbedürftig, was ein "Mensch" im Sinne der einzelnen Vorschriften ist , obwohl dieser Begriff doch gesetzestechnisch gesehen als "bestimmt" zu gelten hatS . Demgemäß steht fest, daß diese Unschärfe allein den unbestimmten Rechtsbegriff noch nicht ausmachen kann, da ansonsten keine "bestimmten" Rechtsbegriffe mehr existierten. Insgesamt erscheint es eher wahrscheinlich, daß die Bestimmtheit rechtlicher Begriffe fließend zu- und die Unbestimmtheit gegenläufig abnimmt6. Eine Kategorienbildung allein nach dem Maßstab der sprachlichen Schärfe eines Begriffes scheidet somit aus. Möglich - und für die Begriffsklarheit in der juristischen Diskussion auch notwendig - bleibt aber weiterhin eine Einteilung in z.B.: bis auf sprachliche Unschärfen bestimmte Begriffe, durch Wirklichkeitsbezug beschreibende Begriffe und den unbestimmten Rechtsbegriff im hier verstandenen Sinne7. Innerhalb der beschriebenen "Artklassen" bestehen Verdichtungsräume der Bestimmtheit von rechtlichen,Begriffen, die eine Kategorienbildung zulassen. Unbestimmte Rechtsbegriffe werden durch eine "qualifizierte Unschärfe" charakterisiert. W. Jellinek hat diese bereits 1913 wie folgt beschrieben: "Der unbestimmte Begriff hat also ganz gewiß zwei Grenzen, aber auch die Lage dieser Grenzen ist wieder unbestimmt. ... (Noch bevor der Jurist) die Quelle der genaueren Begriffsbestimmung kennt, weiß er, daß es Erscheinungen gibt, die ganz sicher unter den Begriff fallen, und solche, die ganz sicher nicht darunter fallen. Dadurch entstehen die Sphären der positiven und der negativen Gewißheit und diejenige des möglichen Zweijels.,,8. Zeitlich 4 Jesch, AöR 82, S. 168, Steinmann, Unbestimmtheit, S. 31 ff, vgl. auch Engisch, Einführung, S. 109.

S Engisch, Einführung, S. 109, sieht den Begriff "Mensch" als unbestimmt an. 6 In diese Richtung geht u.a. auch die Ansicht von Erichsen/Martens, Allg. VeJWaltungsrecht, § 12 II 1 b), S. 202 f und Papier, növ 86, S.625, "gleitende Skala der Normbestimmtheit". 7

Siehe unten Ergebnis zu A.

8 Jellinek, Gesetz, S. 37 f.

1. Kapitel: Theoretische Grundlagen des unbestimmten Rechtsbegriffes

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nachfolgende Betrachtungen gehen oft, auch wenn sie in einzelnen Bezeichnungen und in Teilaussagen differieren, ebenfalls von dieser Betrachtungsweise aus, so Z.B. die bekannte Unterscheidung zwischen Begriffskern und Begriffshof. Damit ist aber noch keine Definition des unbestimmten Rechtsbegriffs geleistet: aufgrund der oben erwähnten Unschärfe der natürlichen - und juristischen - Sprache ist diese Problembeschreibung auch auf eine ganze Reihe von Begriffen anwendbar, die gemeinhin nicht als unbestimmte Rechtsbegriffe angesehen werden, so z.B. zoologische und physikalische TerminilO . Erforderlich sind daher Kriterien, die eine weitere Differenzierung ermöglichen. Zum Ausscheiden lediglich "unscharfer" Begriffe bieten sich objektive Maßstäbe, insbesondere die Grundsätze der Auslegung an 11 ,12. Soweit diese den Begriff eindeutig festlegen, kann nicht mehr von einem unbestimmten Rechtsbegriff gesprochen werden. Für eine weitere Einengung wäre eine Quantifizierung denkbar 13• Um so mehr Zweifelsfälle demnach bei der Anwendung eines Begriffes auftauchten, (die sich nicht mit den üblichen Auslegungsmethoden bestimmen lassen), desto mehr würde dafür sprechen, daß es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt. Bei dieser Problemlösung würde natürlich gleichzeitig ein neues Problem kreiert; nämlich das der FestIegung entsprechender Grenzen. Was wären "viele" oder "wenige" Zweifelsfälle? Entscheidend gegen diese Lösung spricht jedoch der Einwand, daß die Anzahl von Zweifelsfällen eine im Tatsächlichen angesiedelte Frage ist, die Schwankungen unterworfen sein 9 10

Vertreten z.B. von fesch, AöR 82, S. 177.

fesch, AöR 82, S. 181 f, Engisch, Einführung, S. 108 f.

11 HieIVon zu unterscheiden ist die Frage, ob es sich bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe um ein Problem der Subsumtion oder der Auslegung handelt, vgl. unten B. Vgl. zu den einzelnen Auslegungsmethoden das Münchner Rechtslexikon Stichwort "Auslegung" .

12 Larenz, Methodenlehre, S. 119, macht darauf aufmerksam, daß bereits bei der Auslegung "subjektive" Kriterien des Rechtsanwenders einfließen können, z.B. in der Präferenzwahl der Auslegungsmethoden o.ä .. Hierbei handelt es sich aber um objektive Maßstäbe; auch ist der Rechtsanwender gezwungen, seine Entscheidung zu begründen und dabei die von ihm angewandten Kriterien zu enthüllen. Die Entscheidung bleibt in diesem Bereich daher insgesamt objektiver Nachprüfung und Nachvollziehbarkeit zugänglich. 13 Dafür z.B. SChmidt-Salzer, Beurteilungsspielraum, S. 16, Erichsen/Martens, Allg. Verwaltungsrecht, § 12 11 1, S.203. Diese Autoren äußern sich allerdings nicht zu konkreten Einteilungen nach dem Grad der Bestimmtheit/Unbestimmtheit, sondern nur dazu, daß es sich prinzipiell lediglich um ein quantitatives Problem handeln könne.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

kann. Angenommen, der "Stand der Technik" wäre in einem Teilgebiet seit Jahren unverändert, weil sich keinerlei relevante Neuerungen ergaben, so wäre die Zahl der Zweifelsfälle notwendig klein. Eine bahnbrechende Erfindung in diesem Gebiet würde die Zahl der Zweifelsfälle aber schlagartig ansteigen lassen. Der vorher "bestimmte Rechtsbegriff' würde zum unbestimmten. Damit ist evident, daß die Quantifizierung zur Definition ausscheidet. Als eigentliches Wesensmerkmal unbestimmter Rechtsbegriffe erweist sich die Tatsache, daß diesen Begriffen eine vom Gesetzgeber kalkulierte Unbestimmtheit immanent ist, die vom Rechtsanwender eine Wertung erfordert 14, (dies darf nicht mit der Frage, wie viele richtige Wertungen es gibt, verwechselt werden, dazu unten C. III.). Mit diesem im Verlauf der Untersuchung als gesetzgeberisch "einkalkuliertes" Wertungsmoment beschriebenen Begriff soll aber nicht gemeint sein, daß der Gesetzgeber mit seiner Regelung gerade auf die Wertung abzielt. Vielmehr handelt es sich um ein "billigendes Inkaufnehmen", das dem Gesetzgeber als das kleinere Übel erscheint. Das Merkmal der gesetzgeberischen Intention soll lediglich verdeutlichen, daß auch der Gesetzgeber nicht davon ausgegangen ist, mit seiner Norm einen bis in alle Details festgelegten Befehl gegeben zu haben15 . Das erwähnte normative Moment mag bei manchen unbestimmten Rechtsbegriffen verschwindend klein sein, kann bei anderen jedoch einen großen Raum im Rahmen der Entscheidungsfindung einnehmen. Wie groß es ist, bestimmt sich im einzelnen danach, inwieweit objektive Entscheidungsdeterminanten zur Verfügung stehen, z.B. die Verkehrsauffassung, die Anschauungen der Allgemeinheit oder bestimmter kompetenter Gruppen 16. Eine wichtige Rolle spielen hier auch die gerichtlichen Entscheidungen. Wenn sich zu einer Rechtsfrage, vorliegend also zum Inhalt eines unbestimmten Rechtsbegriffes, eine gefestigte Rechtsprechung entwickelt hat, ist diese eine nicht zu unterschätzende Entscheidungsdeterminante17. Bezüg14 So wohl die h.M., soweit man hier von dieser überhaupt sprechen kann, vgl. z.B.

Bachof, JZ 55, S. 99, Erichsen, DVBI. 85, S. 25 f. 15 Vgl. dazu oben A.

16 Die auf den juristischen Sprachgebrauch übertragene sprachphilosophische Terminologie der Vagheit eines Begriffes (es existieren positive, negative und neutrale Kandidaten), z.B. vertreten durch Koch, UBR, S. 34 ff, Steinmann, Unbestimmtheit, S. 25 ff, enthält m.E. keinen eigenständigen Definitionswert. 17 Vg1. z.B. Gawron, Implementation, S. 265, 267, Penski, Implementation, S. 345 f, Brohm,

NJW 84, S. 10.

1. Kapitel: Theoretische Grundlagen des unbestimmten Rechtsbegriffes

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lich der Art und Weise der Ausfüllung des Wertungsmomentes ist zudem zu beachten, daß die subjektive Komponente nicht eliminierbar ist, vom Gesetzgeber aber dennoch als Negativum angesehen werden dürfte. Die Idealvorstellung einer Wertung geht dahin, diese auch im Bereich ungesicherter Erkenntnisse möglichst zu objektivieren, indem einzelne bestehende Einflußmomente aufgenommen und verarbeitet werden. Vor diesem Hintergrund gesehen wird allerdings die Rolle der sogenannten deskriptiven oder empirischen unbestimmten Rechtsbegriffe 18 fraglich. Denn offenbar handelt es sich dabei um wirklichkeitsbezügliche Begriffe, bei denen auch der Gesetzgeber davon ausgeht, daß deren Bedeutungsgehalt ohne Wertungsmoment zu ermitteln ist l9 . Es spricht daher viel dafür, im Rahmen der ansteigenden (oder abfallenden) Begriffsschärfe von Gesetzesbegriffen diese Begriffe eher den bestimmten als den unbestimmten zuzuordnen. Im vorliegenden Zusammenhang interessieren jedenfalls nur die unbestimmten Rechtsbegriffe, die auf ein Wertungsmoment angelegt sind. Das gefundene Kriterium der Wertausfüllungsbedürftigkeit ist, der üblichen juristischen Vorgehensweise nach, auf den einzelnen Begriff anzuwenden. Die Frage, ob beim einzelnen Begriff eine Wertung vorzunehmen ist, entscheidet sich danach, ob nach Anwendung von Auslegungsregeln und anderen zur Verfügung stehenden Determinanten noch Zweifelsfälle verbleiben oder nicht. Für eine weitergehende semantische Analyse der unbestimmten Rechtsbegriffe besteht demnach weder ein Bedürfnis, noch sind davon zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten20. Zusammenfassend läßt sich somit feststellen, daß unbestimmte Rechtsbegriffe solche sind, deren Bedeutungsgehalt durch objektive Maßstäbe nicht erschöpfend festgelegt werden kann und denen erkennbar ein vom Gesetzgeber einkalkuliertes, durch den Rechtsanwender auszufüllendes normatives Element innewohnt.

18 Vgl. zur Terminologie z.B. Engisch, Einführung, S. 109 f, Erichsen/Martens, Allg. Verwaltungsrecht, § 12 II 1, S. 203, v. Mutius, Jura 87, S. 94, Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 85 f. 19 So auch WOlff/Bachofl, § 31 I c, S. 191. 20 So auch Rupp, Ermessen, S. 465 f, aA. Koch, UBR, S. 9 ff, insbes. S. 24, 26, der insgesamt einen rein norm theoretischen Ansatz verfolgt.

24

1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

B. Der Standort des Problems

Eine Untersuchung, die sich mit unbestimmten Rechtsbegriffen beschäftigt, muß notwendig auch zu der Frage Stellung nehmen, an welcher Stelle des juristischen Argumentationsganges das Problem der Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe angesiedelt ist. Im Schrifttum besteht Uneinigkeit darüber, ob es sich um ein Problem der Auslegung oder der Subsumtion handelt21 . Die Klärung dieser Frage hat von den allgemeingültigen Definitionen dieser Begriffe auszugehen22 .

Auslegung ist die Ermittlung und Klarlegung des Bedeutungsgehalts eines Begriffes oder eines sonstigen Umstandes. Subsumtion ist in der Rechtsanwendung die Unterordnung eines konkreten Sachverhaltes unter eine(n Tatbestand einer) abstrakte(n) Rechtsnorm 23 • Die Sicht auf das Problem wird bei den unbestimmten Rechtsbegriffen meist dadurch verstellt, daß der Rechtsanwender Auslegung und Subsumtion nicht deutlich voneinander trennt, sondern nur insgesamt beurteilt, ob der ihm vorliegende Sachverhalt vom unbestimmten Rechtsbegriff erfaßt wird oder nicht. Das logische Schema der Gesetzesanwendung sieht, idealtypisch und unter Auslassung auftretender Schwierigkeiten betrachtet, folgendermaßen aus24 : 1. Schritt (Obersatz): Wenn der gesetzlich normierte Tatbestand (T) in einem Sachverhalt (S) verwirklicht ist, gilt für S die Rechtsfolge (R). 2. Schritt (Untersatz): Der Sachverhalt S verwirklicht T, ist also ein "Fall" vonT. 3. Schritt (Schlußfolgerung): Für S gilt R.

21 Eine Vermengung mit der Frage nach der verwahungsgerichtlichen Kontrolldichte führt zu Unklarheiten und Unstimmigkeiten bei der Problemlösung. Diese Vermengung kommt öfters vor, vgl. z.B. Bachof, JZ 55, S. 98, z. Teil auch Redeker, DVBI. 72, S. 896. 22 Ein Teil der Unsicherheit entsteht u.U. auch durch die sehr unterschiedliche Terminologie im Bereich von Auslegung/Subsumtion, vgl. z.B. Engisch, Logische Studien, S. 22 ff, fesch, AöR 82, S. 186. 23

24

Münchner Rechtslexikon, Stichworte "Auslegung" und "Subsumtion". Nach Larenz, Methodenlehre, S. 260 f.

1. Kapitel: Theoretische Grundlagen des unbestimmten Rechtsbegriffes

25

Auf den ersten Blick mag der "Schwerpunkt" bei der Anwendung dieses Schemas in der Feststellung liegen, S sei ein Fall von T (Subsumtion). Dies gilt jedoch in abnehmendem Maße oder überhaupt nicht mehr, wenn unter T wegen der Art seiner inhaltlichen Aussage - z.B. Komplexität oder Unbestimmtheit - nicht subsumiert werden kann. Die dem System innewohnende logische Schwierigkeit, daß ein Lebenssachverhalt unter einen Begriff subsumiert werden muß, wird dann so verstärkt, daß ein Subsumtionsschluß ohne Zwischenschritte nicht möglich ist. T muß daher in die Merkmale MI, M2, M3 usw., die ebenfalls generell-abstrakte Regelungen darstellen, zerlegt werden, um subsumierbar zu sein25 . Dies trifft in besonderen Maße auf die Situation des unbestimmten Rechtsbegriffes zu: dem Lebenssachverhalt steht kein subsumierbarer Rechtsbegriff gegenüber. Der entscheidende Zwischenschritt ist daher die Auflösung des Tatbestandes T (unbestimmter Rechtsbegrift) in die ihn formenden Merkmale. Dies geschieht durch Auslegung, Vergleich, Einbeziehung bestehender Rechtsprechung o.ä. Das gewonnene Ergebnis ist dann grundsätzlich fähig, nach Generalisierung und Abstrahierung einen weiteren Untersatz zu bilden26, der zur Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffes herangezogen werden kann27. Diese rechtsmethodische Aufgliederung eines an und für sich komplexen Entscheidungsvorganges28 zeigt, daß es sich bei der "Bestimmung" unbestimmter Rechtsbegriffe um ein Problem der Auslegung handelt 29 . Die Gewinnung von Untersätzen, die den unbestimmten Rechtsbegriff beschreiben, das heißt der zu erreichende Grad an Auflösung, entscheidet über die verbleibende Unbestimmtheit und somit auch über das Bestehen eines unumgänglichen Wertungsmoments. Wenn eine vollständige Beschreibung mög25 Larenz, Methodenlehre, S. 262 f.

26

27 S.I85.

WOlff/Bachofl, § 311 c, S. 188, Schwerdtfeger, Arbeitslosenversicherung, S. 81. Larenz, Methodenlehre, S. 220 f, SChmidt, Gesetzesvollziehung, S. 126 f. Jesch. AöR 82.

28 Die Wechselwirkung zwischen Auslegung und Subsumtion, vgl. zum Vorgang Engisch. Logische Studien, S. 14 f, ist m.E. nur eine der Auswahl, nicht aber des vOlWeggenommenen Ergebnisses. Natürlich müssen sich relevante Definitionen und Fakten gegenüberstehen; auf den Inhalt des zu findenden Ergebnisses hat dies aber keinen Einfluß. Die Entscheidung kann immer noch positiv oder negativ ausfallen. 29 So auch SChmidt, Gesetzesvollziehung, S. 127, Schwerdtfeger, Arbeitslosenversicherung, S. 81 f, Bachot. JZ 55, S. 98 f, fesch, AöR 82 S. 194, wohl auch Larenz, Methodenlehre, S. 220. aA Wolff/Bachofl, § 311 c, S. 188.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

lieh ist, liegt kein unbestimmter Rechtsbegriff im definierten Sinne mehr vor. Der Subsumtionsvorgang selbst unterscheidet sich nicht von anderen auch nicht von denen, die bei "bestimmten Rechtsbegriffen" vorzunehmen sind30 . C. Die velWoltungsgerichtliche Kontrolldichte bei unbestimmten RechtsbegrifTen

Die wohl am heftigsten diskutierte Frage der unbestimmten Rechtsbegriffe ist die der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte. Diese Frage ist von den vorher behandelten genau zu unterscheiden. Bei Durchsicht der umfangreichen Literatur zur Thematik der unbestimmten Rechtsbegriffe entsteht der Eindruck, daß mitunter die Fixierung der Autoren auf diesen Streitpunkt eine klare Trennung der Fragestellungen verhindert und so zu unnötigen Verwirrungen führt. Ein Beurteilungsspielraum der Exekutive liegt dann vor, wenn die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes nur einer beschränkten richterlichen Überprüfung unterliegt31. Diese Situation wird teilweise auch als Einschätzungsprärogative der Verwaltung32, als Vertretbarkeitslehre33 oder mit ähnlichen Begriffen34 beschrieben. Umstritten ist nicht nur das "Ob" des Bestehens eines Beurteilungsspielraumes, sondern auch das "Wo" innerhalb des Gesetzesanwendungsvorganges. Entsprechend den oben bereits beschriebenen Schritten wäre ein Beurteilungsspielraum denktheoretisch bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes, bei der Feststellung des zu subsumierenden Sachverhaltes oder bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffes auf den festgestellten Sachverhalt - der Subsumtion "im engeren Sinne" - möglich. I. Beurteilungsspielraum bei der Auslegung

Die Auslegung der anzuwendenden Normen ist eine von jeder Rechtsprechung gleichermaßen wahrgenommene Funktion, die dieser auch verfas30 Vgl. auch fesch, AöR 82, S. 195.

31

Münchner Rechts-Lexikon Stichwort "Beurteilungsspielraum".

32 WOlff/BachofI, § 31 I c, S.

33

Ule, VeIWArch 76, S. 16 f.

192.

34 Vgl. zu weiteren Beispielen SChwab, DVBI. 86, S. In.

1. Kapitel: Theoretische Grundlagen des unbestimmten Rechtsbegriffes

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sungsrechtlich zugewiesen ist35 . Warum diese Funktion bei den unbestimmten Rechtsbegriffen außer Kraft treten sollte, ist nicht ersichtlich. Wie bereits festgestellt, haben Rechtsbegriffe unterschiedliche Bestimmtheitsgrade und können teilweise gerade durch Auslegung in bestimmte oder bestimmtere übergeführt werden. Daß die Überprüfung dieses Vorganges vordringliche Aufgabe der Rechtsprechung ist, wird für "bestimmte" Rechtsbegriffe nicht bezweifelt und muß - da es sich methodisch um die identische Vorgehensweise handelt - auch für die unbestimmten Rechtsbegriffe gelten. Hierin liegt allenfalls ein scheinbarer Widerspruch zu dem oben gefundenen Ergebnis, daß das Problem des unbestimmten Rechtsbegriffes eines der Auslegung und nicht der Subsumtion sei. Die Schwierigkeiten beginnen nämlich gerade dort, wo eine weitere Auslegung nicht möglich ist, der Begriff aber noch nicht insgesamt beschrieben werden konnte. Überspitzt formuliert ist das Problem das der Subsumtion unter einen nichtexistenten Obersatz. Soweit die Auslegung und somit der (aufgelöste) Obersatz reichen, sind sie auch von den Gerichten überprüfbar. Gegen die Annahme eines Beurteilungsspielraumes bei der Auslegung spricht auch, daß sich dadurch jede Behörde innerhalb gewisser Grenzen ihre eigene Rechtsauslegung und somit im Endeffekt eigenes Recht schaffen könnte, ohne dabei der gerichtlichen Kontrolle zu unterliegen 36 • Dies würde zu einer nicht unerheblichen Gefährdung der verfassungsrechtlich verankerten Grundsätze der Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit führen. Letztlich wäre auch eine Verkürzung des Rechtsschutzes für den einzelnen die Folge, so daß an ein Entgegenstehen des Art. 19 Abs. 4 GG zu denken wäre37 . Aus alledem ergibt sich, daß ein Beurteilungsspielraum bei der Auslegung nicht besteht38 • /1. Beurteilungsspielraum bei der Feststellung des Sachverhaltes

Ein Beurteilungsspielraum auf dieser Stufe würde bedeuten, daß es den Verwaltungsgerichten verwehrt wäre zu überprüfen, ob die Behörde den 35 Vgl. MDHS (Herzog), Art. 92 GG, RN 26 und 64, Stern 11, § 43 I 4, S. 895. 36 Papier, OÖV 86, S. 624, Ossenbühl, OVBI. 74, S. 310.

37 S. dazu unten III.

1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

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relevanten Sachverhalt methodisch richtig und vollständig ermittelt hat. Dann aber könnte die Verwaltung jedes Ergebnis begründen, solange sie sich den entsprechenden Sachverhalt unter mehr oder minder ausgedehnter Umgehung der Regeln zur Beweiserhebung zusammenstellte. Damit würde praktisch auch die Nachprüfungsmöglichkeit von Auslegung und Subsumtion überflüssig, das "Willkürelement" könnte nicht mehr eliminiert werden. Die Anerkennung einer solchen Möglichkeit wäre verfassungswidrig39 .

III. Beurteilungsspielraum bei der Subsumtion (Beurteilung) des Sachverhaltes Nach alledem ist ein Beurteilungsspielraum nur noch bei der Subsumtion im engeren Sinne denkbar, und zwar bezüglich des verbleibenden Momentes, in dem die Auslegung nicht mehr weiterführt und der Rechtsanwender statt dessen zur eigenen Wertung greifen muß. Der Streit um die Existenz eines Beurteilungsspielraumes wäre überflüssig, wenn aus dem Wertungserfordernis nach den Gesetzen der Logik schon zwangsweise folgte, daß ein Beurteilungsspielraum besteht. Eine Wertung kann jedoch aufgrund der gegebenen Entscheidungsdaten jederzeit neu vorgenommen werden. Daß dabei durch Austausch des Wertenden ein anderes subjektives Element eingeführt wird, ist für sich allein noch kein zwingendes Argument für den Beurteilungsspielraum, sondern der Situation der Überprüfung immanent. Mehrere denkbare Lösungen bedeuten nicht unbedingt, daß ein Beurteilungspielraum im oben defInierten Sinne besteht. In diesem Zusammenhang wird zumeist die Frage aufgeworfen, wieviele richtige Entscheidungen es bei dem Beurteilungsvorgang gibt: nur eine oder mehrere40 • Wenn man zu ihrer Beantwortung von der Intention des Gesetzgebers ausgeht, ist unter anderem zu beachten, daß es sich aus Sicht des Gesetzgebers bei unbestimmten Rechtsbegriffen immer um mehr oder weniger glückliche Kompromisse zwischen den Anforderungen der Bestimmtheit und der Flexibilität an eine Rechtsnorm handelt. Das bedeutet, daß der Ge38

So auch die h.M., z.B. Bachof, JZ 55, S. 98 f, aA. Jesch, AöR 82, S. 163 ff.

39 So schon Bachof, JZ 55, S. 102. 40

Diese Fragestellung ist mit der nach der Existenz eines Beurteilungsspielraumes allerdings nur indirekt gekoppelt: auch bei lediglich einer denkbaren Lösung könnte theoretisch eine Überprüfung durch das Gericht ausgeschlossen werden.

1. Kapitel: Theoretische Grundlagen des unbestimmten Rechtsbegriffes

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setzgeber gerne eine bestimmte Norm erlassen würde, sich daran aber seiner Ansicht nach wegen der Variabilität und Entwicklungsfähigkeit der zugrunde liegenden Lebenssachverhalte gehindert sieht. Der Gesetzgeber möchte also für jeden Fall eine einzige richtige Lösung, nimmt aber durch die Art der Regelung in Kauf, daß mehrere Lösungen möglich und logisch richtig sind und räumt dem Rechtsanwender bewußt eine Wertungsmöglichkeit ein41. An diesem Punkt setzen die neueren Lehren42 (normative Ermächtigungslehren43 ) zur Existenz des Beurteilungsspielraumes an: es geht darum, unter den logisch richtigen die rechtlich relevante Lösung herauszufinden. Wäre die rechtlich relevante Lösung immer die der Gerichtsbarkeit, so wäre damit der Beurteilungsspielraum aus der Welt geschaffen, wäre sie immer die der Verwaltung, so bestünde zumindest bei allen unbestimmten Rechtsbegriffen ein Beurteilungsspielraum. Als Kernproblem entpuppt sich somit das Auswahlkriterium bezüglich der Letztentscheidungskompetenz, der rechtlich relevanten Lösung. Grundsätzlich liegt die Letztentscheidungskompetenz auch im Verwaltungsrecht nach der verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilung beim Richter, (vgl. auch Art. 92 GG, eine andere Auffassung verstieße gegen Art. 19 Abs. 4 GG). Eine Abänderung dieser Aufgabenverteilung bedarf daher eines besonderen Umstandes44 • Das Vorliegen eines unbestimmten Rechtsbegriffes ist an sich kein solcher Grund; wie festgestellt, ist auch in diesem Fall eine Überprüfung durch Neuvornahme der erforderlichen Wertung möglich. Notwendig sind folglich qualifizierende Bedingungen. Es ist bisher nicht gelungen, deren Beschaffenheit durch eine allgemeingültige Definition zu beschreiben. Wegen der Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe in den verschiedensten Gesetzen und Funktionen ist damit aus methodischen Gründen auch gar 41 So auch das Bundesverwaltungsgericht mit der vielzitierten "Bandbreite der Entscheidungsmöglichkeiten", BVetwGE 35, S.197 (203), v. Mutius, Jura 87, S. %, ähnlich Bachof, JZ 55, S. 99. Erichsen, DVBI. 85, S. 25 f meint, daß subjektive Wertungen durch den Gesetzgeber nicht intendiert sind, sich jedoch nicht immer vermeiden lassen, vgl. dazu auch die Einleitung unter A. und oben A. 42 Grundlegend Schmidt, Gesetzesvollziehung, S. 142, später vor allem Ossenbühl, DVBI. 74, S. 309 ff. 43 So genannt von MDHS (Schmidt-Aßmann), Art. 19 Abs. 4 GG, RN 185, in Anlehnung an BVerGE 61, S. 82 (111).

44 MDHS (Schmidt-Aßmann), Art. 19 Abs. 4 GG, RN 187.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

nicht zu rechnen. Zur Annahme eines Beurteilungsspielraumes haben sich aber bestimmte Kriterien als konstitutiv herausgestellt. Diese Kriterien bewegen sich auf zwei verschiedenen Ebenen. Sie normieren einmal bestimmte Voraussetzungen, unter denen die Zuweisung einer exekutivischen Letztentscheidungskompetenz durch den Gesetzgeber ausschließlich zulässig ist. Liegen sie nicht vor, so ist eine dennoch im Gesetz erfolgte Zuweisung einer solchen Letztentscheidungskompetenz als rechtswidrig anzusehen. Die zweite Ebene besteht darin, daß für den Rechtsanwender die gesetzgeberische Zuweisung der Letztentscheidungskompetenz - unter Zuhilfenahme interpretierender Faktoren - ersichtlich sein muß. Ist sie das nicht, kann trotz Vorliegens der anderen Voraussetzungen kein Beurteilungsspielraum angenommen werden. Dabei ist allerdings zu beachten, daß sich die einzelnen Kriterien je nach dem Fall, auf den sie angewandt werden, teilweise gegenseitig bedingen oder überschneiden. Das führt jedoch nicht zu ihrer Abqualifizierung, sondern resultiert vielmehr aus dem Erfordernis der Allgemeingültigkeit für alle denkbaren Fälle. Im einzelnen lauten die kumulativ anzuwendenden Kriterien wie folgt: 1. Den Gerichten ist es aus (verfassungs)rechtlichen oder tatsächlichen

Gründen unmöglich, eine Überprüfung der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffes vorzunehmen, und 2. für die Regelung durch den zugrunde liegenden unbestimmten Rechtsbegriff bestehen mindestens vernünftige sachliche Gründe, und 3. der Gesetzgeber hat durch die Normierung - etwa Wortlaut, Stellung im Gesetz, Organisation und Arbeitsweise der betroffenen Verwaltungsstelle45 - erkennen lassen, daß die Letztentscheidungskompetenz bei der Verwaltung liegt. Schmidt-Aßmann kommt zu dem zutreffenden Schluß, daß "nicht die Unbestimmtheit des Gesetzes, wohl aber die besondere Ermessens-, Beurteilungs-, Abwägungs- oder Rezeptionsermächtigung die gerichtliche Kontrolle (begrenzt),,46.

45 MDHS (Schmidt-Aßmann), Art. 19 Abs. 4 GG, RN 187, vgi. auch Erichsen, DYBI. 85, S. 25. Der rein nonntheoretische Ansatz scheidet m.E. aus, da er keine genügende Differenzierung enthält, s. auch oben A. 46 SChmidt-Aßmann, Funktionen, S. 114.

1. Kapitel: Theoretische Grundlagen des unbestimmten Rechtsbegriffes

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Dieses Ergebnis zieht allerdings die Schwierigkeit nach sich, daß in vielen Fällen aus dem einzelnen unbestimmten Rechtsbegriff nach seiner Normstruktur und Regelung nicht evident ist, ob er eine solche gesetzgeberische Ermächtigung enthält. Erforderlich ist daher eine Auslegung des Gesetzes nach dem materiellen Gehalt und inhaltlichen Zusammenhang der Norm47, wofür die in der Literatur entwickelten Typologien der von der Rechtsprechung anerkannten Fälle eines Beurteilungsspielraumes hilfreich sind48 . Damit ist eirie höhere Übersichtlichkeit gewährleistet und für die Anerkennung weiterer Beurteilungsspielräume bei unbestimmten Rechtsbegriffen zumindest ein Rahmen abgesteckt. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß der unbestimmte Rechtsbegriff prinzipiell gerichtlich voll nachprüfbar ist49 . Ausnahmen stellen die Fälle dar, in denen es den Gerichten unmöglich ist, eine Überprüfung vorzunehmen und die deshalb durch die Legislative der Exekutive zur Letztentscheidung gesetzlich zugewiesen sind. Es gibt demnach immer nur eine richtige Entscheidung, entweder die der letztentscheidenden Rechtsprechung oder die der letztentscheidenden Verwaltung. Die Auswahl der allein richtigen Entscheidung wird nach der Kompetenzzuweisung getroffen. Dabei darf allerdings nicht verkannt werden, daß es sich bei der "einen richtigen Entscheidung" um eine rechtliche Fiktion handelt50 . Sowohl die Entscheidung A als auch die entgegengesetzte B werden nur dadurch alleine zutreffend, daß sie vom kompetenzrechtlich zuständigen Organ getroffen wurden. Im übrigen bleibt es dabei, daß der unbestimmte Rechtsbegriff nach seiner Normstruktur mehrere richtige Entscheidungen sanktioniert. 47 Tettinger, DYBI. 82, S. 427, vgl. dazu auch Erichsen, DYBI. 85, S. 25.

48 Vgl. z.B. Ossenbühl, DYBI. 74, S. 311 ff, Meyn, JA 80, S. 330 f. MDRS (Schmidt·Aßmann), Art. 19 Abs. 4 GG, RN 183, Paefgen, BayYBI. 86, S. 516 f. 49 Meinungen im Schrifttum, (vgl. dazu die in Fußnote 2 genannten, insbesondere die klaren Darlegungen bei Meyer/Borgs (Meyer), § 40 RN 17 ff), die die Existenz des unbestimmten Rechtsbegriffes zugunsten eines einheitlichen, Tatbestands- und Rechtsfolgeseite umfassenden Ermessen ablehnen, nehmen an, daß bei manchen unbestimmten Normbegriffen der Verwaltung ein Tatbestandsermessen eingeräumt ist. Auch dann besteht die Schwierigkeit (verursacht durch die natürliche Unschärfe der Sprache, die fließend zu- und abnimmt) jedoch darin, festzulegen, wann eine solche Beurteilungsermächtigung gegeben ist. Es werden daher auch hier Fallgruppen gebildet, so daß sachliche Unterschiede in den Ergebnissen nicht bestehen. 50 Vgl. zum Terminus der rechtlichen "Fiktion" Franßen, (Un)bestimmtes, S. 432, insbes. f Fußnote 11.

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W. Überprüfung der genannten Kriterien an den bisher durch die Recht-

sprechung anerkannten Fal/gruppen eines Beurteilungsspielraumes51 1. Höchstpersönliche oder unvertretbare Entscheidungen

Die Gruppe der sogenannten höchstpersönlichen oder unvertretbaren Entscheidungen (z.B. Prüfungsentscheidungen oder dienstliche Beurteilungen) weist eine tatsächliche Unmöglichkeit der Überprüfung nur insoweit auf, als die Entscheidung auf Wahrnehmungen beruht, die nicht mitteilbar und nachvollziehbar sind. In Teilen sind solche Entscheidungen daher durchaus der Überprüfung zugänglich. So behandelt die Rechtsprechung diese Entscheidungen auch nicht als gänzlich unüberprüfbar, sondern prüft vielmehr eine ganze Reihe von Kriterien nach52 . Ausschlaggebend ist somit nicht die Sachkunde der Beurteilenden53 diese wird in jedem gerichtlichen Verfahren durch Sachverständige im Bedarfsfall bereitgestellt - sondern die Unwiederbringlichkeit des beurteilten Lebenssachverhaltes. Der vernünftige Grund für die Regelungen durch unbestimmte Rechtsbegriffe ist hier evident situationsbedingt. Für die Zuweisung einer Letztentscheidungskompetenz ist auf den jeweiligen Gesetzestext abzustellen. Wenn diesem im Wege der Auslegung zu entnehmen ist, daß der Gesetzgeber wegen der auf nicht nachvollziehbarer, persönlicher Wahrnehmung beruhenden Grundlage für die zu fällende Entscheidung die Gerichte von einer vollen Überprüfbarkeit ausschließen wollte, liegt die Letztentscheidungskompetenz bei der Verwaltung. 2. Entscheidungen durch Organe gesellschaftlich-pluralistischer Repräsentanz Entscheidungen durch Organe gesellschaftlich-pluralistischer Repräsentanz (z.B. die Indizierung jugendgefährdender Schriften) können vom Richter nicht nachgeprüft werden. Das Hindernis ist auch hier ein tatsächliches: die Entscheidung soll durch eine Abstimmung in einem besonders zu51 Typologie nach OssenbühJ, DVBI. 74, S. 311 ff und Meyn, JA SO, S. 330 f. 52 Für beamtenrechtliche Beurteilungen vgl. BVetwGE 21, S. 127 (130 f); 61, S. 176 (185 f) jeweils mit weiteren Nachweisen, für Prüfungs- und ähnliche Entscheidungen siehe z.B. BVetwG, DÖV 84, S. 804. 53 Genausowenig kann es auf die Unabhängigkeit des Entscheidungsträgers ankommen, vgl. hierzu Meyn, JA 80, S. 330 f unter c).

1. Kapitel: Theoretische Grundlagen des unbestimmten Rechtsbegriffes

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sammengesetzten Gremium zustandekommen. Selbst wenn über den Rechtsfall eine Kammer entscheidet, so daß eine Meinungspluralität gewährleistet ist, fehlt es jedenfalls an den verschiedenen gewollten und kalkulierten "Parteilichkeiten" der mit der Materie vertrauten Entscheidenden. Der sachliche Grund, der hinter der rechtlichen Regelung steht, ist das Erfordernis einer wertenden Entscheidung, an deren Inhalt bestimmte Gruppen der Gesellschaft in besonderem Maße interessiert sind54 . Die Akzeptanz der Entscheidung durch die einzelnen Interessengruppen wird durch die Art ihres Zustandekommens zumindest erhöht55 . Auch hier ist der jeweiligen zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschrift die Einräumung einer Letztentscheidungskompetenz der Verwaltung durch die Überweisung der Entscheidung an ein Gremium der beschriebenen Art, also der "Organisation der Verwaltungsstelle", zu entnehmen. 3. Administrative Planentscheidungen Bei den gestaltenden Entscheidungen im Sinne von administrativen Planentscheidungen liegt eine rechtliche Unmöglichkeit der vollen Überprüfung durch den Richter vor. Unter Hinzuziehung des notwendigen Sachverstandes könnte der Richter nämlich tatsächlich selbst planend tätig werden. Rechtlich sind diese planenden Entscheidungen aber der Verwaltung als typische Funktion der Exekutive zugewiesen, sozusagen kraft "Natur der Sache". Das Planungsrecht erfordert mehr oder weniger imperativ die Regelung durch unbestimmte Rechtsbegriffe (oder Ermessen), da es sich nicht um Konditional-, sondern um Ziel- oder Zweckprogramme handelt. Daraus, sowie aus der teilweise verfassungs-, teilweise einfachrechtlich ausgestalteten Zuweisung der Planung an die Exekutive als originäre Kompetenz, läßt sich das Letztentscheidungsrecht der jeweiligen Norm unschwer entnehmen. 54 Ähnlich Schmitt Glaeser, Der Landkreis 76, S. 451. 55 Diese Analyse trifft allerdings noch auf eine ganze Reihe anderer Entscheidungssituationen zu, ohne daß die Entscheidung einem Gremium aus repräsentativen Interessenvertretern zugewiesen wäre. Insoweit besteht jedoch ein Ermessen des Gesetzgebers. Er ist zu einer Zuweisung an ein solches Gremium nicht verpflichtet, sondern kann die Entscheidung auch in den Händen der nach dem allgemeinen System zuständigen Exekutivorgane belassen. Es gilt nur der umgekehrte Schluß, daß bei einer Überweisung der Entscheidung an ein Gremium die beschriebene Situation vorliegen muß. 3 Ebinger

1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untel'liuchung

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4. Prognoseentscheidungen Umstrittenste Gruppe sind die sogenannten Prognoseentscheidungen; diese sollen nach Meinungen in der Literatur bereits aus ihrer Rechtsnatur heraus (ähnlich wie die Planentscheidungen) nicht überprüfbar sein56 . Ein wichtiger normstruktureller Unterschied zu den Planungsentscheidungen ist aber bereits in der Fassung der meisten Prognoseentscheidungen als Konditionalprogramme zu sehen. Die oben für die sogenannten Ziel- oder Zweckprogramme angeführte Argumentation ist daher gerade nicht einschlägig. Bei Anwendung der gefundenen Kriterien ergibt sich jedoch keine tatsächliche Unmöglichkeit der Überprüfung der getroffenen Prognose durch den Richter. Ihm ist die Tatsachengrundlage genauso zugänglich wie der Verwaltung, der rechtliche Schluß daraus ist sogar seine "eigentliche Domäne,,57. Die von manchen angeführte alleinige Folgenverantwortlichkeit der Verwaltung58 stellt weder eine rechtliche Unmöglichkeit der Überprüfung, noch ein ansonsten zur Unterstützung der These geeignetes Argument dar. Abgesehen davon, daß in der Praxis Sanktionen des Parlamentes gegen eine im Einzelfall falsch entscheidende Administration schwer vorstellbar sind59, trägt die Verwaltung auch bei nicht prognostischen Entscheidungen die alleinige Verantwortung, ohne daß deshalb eine verwaltungsgerichtliche Kontrollbeschränkung in der Diskussion wäre. Da es sich bei Prognoseentscheidungen nicht um eine originäre Kompetenz der Verwaltung handelt, liegt auch keine rechtliche Unmöglichkeit der Überprüfung vor. Auf das Vorliegen der weiteren Kriterien kommt es somit nicht an. D. Verfassungsrechtliche Probleme unbestimmter RechtsbegritTe

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar bereits mehrmals festgestellt, daß die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Eine Regelung, die so speziell ist, daß die rechtliche Lösung des Einzelfalles nahezu mit Sicherheit vorausgesehen werden könnte, 56 Z.B. Ossenbühl, DVBI. 74, S. 313, ausführliche Ablehnung dieses Standpunktes bei Tettinger, DVBI. 82, S. 424 f. 57 58 59

Ähnlich Backherms, JuS SO, S. 13. Ossenbühl, DVBI. 74, S. 313, Bachot. JZ 55, S. 100. Dazu zutreffend Meyn, JA SO, S. 331.

1. Kapitel: Theoretische Grundlagen des unbestimmten Rechtsbegriffes

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sieht es - durch geschichtliche Beispiele belegt - als nicht immer möglich an. Unbestimmte Rechtsbegriffe finden nach dem Bundesverfassungsgericht daher zu Recht Anwendung, wenn es gilt, der Vielfalt der Lebensverhältnisse Herr zu werden und zugleich einen Weg zu der rechtlichen Differenzierung zu eröffnen, die im Einzelfall eine gerechte Entscheidung ermöglicht6O• Allerdings fordert auch das Bundesverfassungsgericht, daß die Norm den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität zu entsprechen hat; der Betroffene soll die Rechtslage erkennen und sein Verhalten danach einrichten können61 . Das Bundesverfassungsgericht geht also ebenfalls davon aus, daß unbestimmte Rechtsbegriffe potentiell verfassungsrechtliche Probleme beinhalten. Eine Erörterung der rechtstheoretischen Grundlagen unbestimmter Rechtsbegriffe kann auf eine Spezifizierung dieser Probleme nicht verzichten62 . Die folgenden Ausführungen sollen allerdings nicht dazu dienen, eine verfassungsrechtliche Lösung des Problemes vorzubereiten, da dies nicht Inhalt der vorliegenden Untersuchung ist. Sie sollen vielmehr bewirken, daß die verfassungsrechtliche Problematik als eine Art "Zulässigkeitsrahmen" für die Regelung durch unbestimmte Rechtsbegriffe nicht aus den Augen verloren wird.

/. Der Parlamentsvorbehalt Bei der praktischen Anwendung führen unbestimmte Rechtsbegriffe systembedingt wegen ihrer geringen Regelungsdichte zu einer Verdünnung der inhaltlichen Aussage des Normbefehls63 . Die Folge davon ist, daß die Exekutive die eigentliche Tätigkeit der Rechtssetzung übernimmt, indem sie die unbestimmten Rechtsbegriffe im Einzelfall konkretisiert und anwendet. Je unbestimmter die gesetzliche Norm jedoch ist, um so größer sind die Schwierigkeiten der Verwaltung, die getroffene Entscheidung rechtlich zu legitimieren und ihr Akzeptanz zu verschaffen. Ihre Entscheidungen werden daher oft angefochten. Die Gerichte, die nun über die Rechtmäßigkeit der 60

61 62

BVerfGE 3, S. 225 (243); 21, S. 73 (79); 31, S. 255 (264). BVerfGE 21, S. 73 (79); 31, S. 255 (264).

Rupp, Ermessen, S. 456 sieht in den verfassungsrechtlichen Fragestellungen sogar die eigentliche Problematik. 63 Papier, DÖV 86, S. 622, Rhinow, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 664, Ossenbühl, VR 79, S.5.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

getroffenen Entscheidung zu befinden haben, werden wiederum "rechtsschöpferisch" tätig, zumindest dann, wenn die getroffene Entscheidung zur Gänze ihrer Kontrolle unterliegt. Die Rechtssetzungskompetenz wandert so vom eigentlich zuständigen Parlament zur Exekutive und gegebenenfalls zur Judikative weiter64 . Dieser Prozeß - aus welchen Gründen er auch immer ablaufen mag65 - ist unter anderem im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes problematisch. Das klassische Vorbehaltsprinzip besagt, daß Eingriffe in die Individualsphäre des Bürgers nur durch Gesetz oder aufgrund einer formellgesetzlichen Ermächtigung erfolgen dürfen66 . Dieser Grundsatz wurde später mit der Entwicklung des "Sozialleistungsstaates" teilweise auch auf begünstigendes Verwaltungshandeln ausgedehnt. Eine Übertragung von Rechtssetzungkompetenzen von der Legislative auf die Verwaltung ist nach dieser Konzeption nicht ausgeschlossen, auch eine Rechtsverordnung ist Gesetz im Sinne des allgemeinen Gesetzesvorbehalts (vgl. auch Art. 80 Abs. 1 S.2 GG). Diese Übertragung kann aber nicht schrankenlos zulässig sein, da ansonsten die in Art. 20 .Abs. 2 GG verankerte Gewaltenteilung gegenstandslos wäre. Zwar blieben die originären Rechtssetzungskompetenzen nach wie vor beim Parlament; diese theoretische Rechtslage wäre aber durch Übertragungen in der Praxis widerlegt. Die Gewaltenteilung im eigentlichen Sinne wäre unterlaufen. Es muß daher ein Bereich existieren, in dem der Gesetzgeber keine Delegationen vornehmen darf und die gesamte Materie selbst regeln muß67 . Dieser Bereich wird gemeinhin als Parlamentsvorbehalt bezeichnet68 . Die eigentliche Problematik dieses Bereiches liegt darin, seine Grenzen festzulegen. Das Ziehen fester Grenzen ist aus tatsächlichen Gründen unmöglich, bereits die Vielgestaltigkeit rechtlicher Regelungen in den unterschiedlichsten Lebensbereichen steht dem entgegen. Allgemeiner Konsens besteht 64 vgl. zu dieser Entwicklung Ossenbühl, VR 79, S.5 f. Franßen, (Un)bestimmtes, S. 435 ff, sieht den Schwerpunkt des Problems bei den "Übergriffen" der Judikative auf die Gesetzesvollzugsbefugnisse der Exekutive. 65 Vgl. zu den Gründen Huber, Niedergang, S. 79 ff. 66 Stern I, S. 802, Krebs, Jura 79, S. 304.

67 Abzulehnen ist die Lehre vom Totalvorbehalt (v.a. fesch, Gesetz), da sie die Anforderungen an den Gesetzgeber überspannt, Mößle, Regierungsfunktionen, S. 134 f, Stern I, S. 808 m.w.N. 68 Vgl. Stern I S. 811, Krebs, Jura 79, S. 310.

1. Kapitel: Theoretische Grundlagen des unbestimmten Rechtsbegriffes

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dahingehend, daß mit ansteigendem Gewicht der rechtlichen Regelung das Bestehen eines Parlamentsvorbehaltes wahrscheinlicher wird. Bezüglich der Terminologie und einzelner Nuancen dieser Erkenntnis besteht jedoch Uneinigkeit. Das Bundesverfassungsgericht stellt darauf ab, daß der Gesetzgeber grundlegende (= wesentliche) Entscheidungen selbst zu treffen und zu verantworten hat69 , (sogenannte Wesentlichkeitstheorie). Dieser Ansatz wird in der Literatur wegen seiner Inhaltsarmut kritisiert. Die vorgeschlagenen Abgrenzungen nach der "Intensität des Eingriffes,,70, nach dem "Betroffensein der involvierten Grundrechtsgüter in quantitativ oder qualitativ besonderem Maße,,71 oder nach den "Bereichen des Lebens der Gemeinschaft, die die wirklich grundlegenden und dauerhaften Bedingungen der Ordnung, Sicherheit und Wirksamkeit des Staates sowie des Daseins und der Entfaltungsmöglichkeiten seiner Bürger betreffen,,72, u.a., bieten aber allenfalls in Teilbereichen genauere Abgrenzungsmöglichkeiten. Der unbestimmte Rechtsbegriff kann somit im Bereich des Parlamentsvorbehaltes verfassungsrechtlich nur sehr eingeschränkt oder gar nicht zulässig sein, da sich das Parlament dort nicht über den Umweg des unbestimmten Rechtsbegriffes seiner Regelungsmacht begeben darf. Im Kernbereich des Parlamentsvorbehaltes ist er als unzulässig, im Randbereich als beschränkt zulässig anzusehen. Il. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

Der Vorrang und der Vorbehalt des Gesetzes machen das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung aus73. Die Problematik des unbestimmten Rechtsbegriffes im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes wurde bereits unter I. erörtert. Der Vorrang des Gesetzes, der beinhaltet, daß staatliche Akte, die in den Formen der Gesetzgebung erlassen werden, allen übrigen staatlichen Akten vorgehen74 , wirft demgegenüber beim unbestimmten 69 BVerfGE 33, S. 125 (158); 33, S. 303 (346). 70 Eriehsen, VerwArch 69, S. 337 ff und DVBI. 85, S. 28. 71 Krebs, Jura 79, S. 312.

72 73

Stern 11, S. 575. Stern I, S. 802.

74 Hesse, Grundzüge, RN 200.

1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

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Rechtsbegriff keine speziellen Probleme auf. Zwar erweist es sich für die Verwaltung als problematisch, den Normbefehl genau zu ermitteln und so das Gesetz einzuhalten, das trifft bei anderen Regelungsformen aus anderen Gründen jedoch ebenfalls zu. III. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG

In der Literatur sind mehrfach Bedenken geäußert worden, die Anerkennung eines Beurteilungsspielraumes könne gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen75. Diese Überlegungen sind nicht von der Hand zu weisen, da die Rechtsweggarantie den Grundsatz beinhaltet, daß staatliches Handeln voll überprüfbar ist76 . Davon sind aber im Einzelfall Ausnahmen zulässig. Rechtsschutzziel ist eine "wirksame" oder "effektive" Kontrolle77, keine Totalkontrolle. Justitiabilitätslücken im Sinne einer beschränkten Überprüfbarkeit sind daher nicht notwendig verfassungswidrig. Der Gesetzgeber ist befugt, die Letztentscheidungskompetenz im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit teilweise der Verwaltung zuzuweisen; dies allerdings nicht schrankenlos, sondern nur in sachlich begründeten Fällen78 . Für das Vorliegen solcher Fälle wurden oben Kriterien aufgestellt, (siehe oben C. III.). Da diese beinhalten, daß sich die Rechtsprechung an einer Überprüfung gehindert sieht, ist die Zuweisung in diesen Fällen nicht nur zulässig, sondern oft sogar geboten79 . W. Weitere Aspekte der verjassungsrechtlichen Problematik

In der einschlägigen Literatur fallen in diesem Zusammenhang vor allem die Stichworte des Gleichheitsgrundsatzes sowie der Bestimmtheit und Rechtssicherheit als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips. Das rechtliche Dilemma ist den oben Einleitung A. aufgezeigten gleich. Der unbestimmte Rechtsbegriff kann auch im Hinblick auf diese Verfas75

Tettinger, DVBI. 82, S. 424.

76 MDHS (Schmidt-Aßmann), Art. 19 Abs. 4 GG, RN 183, Tettinger, DVBI. 82, S. 422. 77 Für die erste und gegen die zweite Bezeichnung MDHS (Schmidt-Aßmann) , Art. 19 Abs. 4 GG, RN 5. 78 Papier, VelWaltungsgerichtsbarkeit, S.34, Bettermann, AöR 96, S.559, Tettinger, DVBI. 82, S. 424. 79 Zum selben Ergebnis kommt auch Lingemann, Gefahrenprognose, S. 53 - 56.

1. Kapitel: Theoretische Grundlagen des unbestimmten Rechtsbegriffes

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sungsprinzipien nicht als generell unzulässig angesehen werden, da er zur Verwirklichung anderer Maximen der Verfassung zweckdienlich sein kann. So trifft es zwar zu, daß eine gleichartige Handhabung des Rechtssatzes in der Praxis um so eher gewährleistet ist, je genauer er die Fälle beschreibt, auf die er zutrifft. Auf der anderen Seite sind staatliche Organe auch verpflichtet, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln 80 . Der Rechtssatz muß daher auch Ausnahmen normieren, und dieses Ziel wiederum läßt sich am einfachsten durch die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes erreichen. Bestimmte Normen sind per se "starr" und "kurzlebig", veränderten Lebenssachverhalten müßte durch eine Änderung der Normierung Rechnung getragen werden. Unbestimmte Rechtsbegriffe dagegen beinhalten die normstrukturelle Möglichkeit, sich "automatisch" an veränderte Sachverhalte anzupassen und dienen damit der Rechtssicherheit. Auch daher ist eine Verbannung des unbestimmten Rechtsbegriffes wegen verfassungsrechtlicher Unzulässigkeit nicht angezeigt. Das verfassungsrechtliche Resümee dieser Betrachtungen geht dahin, daß ein Rechtssatz nur das unumgängliche Maß an Unbestimmtheit enthalten und so bestimmt wie möglich sein sollte. Für die Praxis ist damit natürlich nicht viel gewonnen, da die rechtssetzende Stelle so allenfalls "unbestimmte" Verhaltensdirektiven erhält. E. Der Begriff der (erheblichen) Gefahren, Nachteile oder Belästigungen als unbestimmter Rechtsbegriff

Nach der hier vorgenommenen Definition liegt ein unbestimmter Rechtsbegriff vor, wenn der Bedeutungsgehalt eines Gesetzesbegriffes durch objektive Maßstäbe nicht erschöpfend festgelegt werden kann und ihm deshalb ein vom Gesetzgeber einkalkuliertes, durch den Rechtsanwender auszufüllendes normatives Element innewohnt. I. Der Begriff der (erheblichen) Gefahren

Ein allgemeiner Konsens bei der Defmition des Gefahrenbegriffes besteht - auch historisch gesehen - dahingehend, daß damit ein Zustand gemeint ist, 80

BVerfGE 3, S. 58 (135 f); 18, S. 38 (46).

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1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

der bei ungehinderter Fortentwicklung mit einiger Sicherheit zu einem Schaden für ein geschütztes Rechtsgut führt 8I . Auf den ersten Blick erscheint so der Normbegriff vollständig erfaßt. Eine weitere Auslegung wäre nicht erforderlich, so daß letztlich ein Problem der Subsumtion vorläge. Dies wird in der Literatur für den Gefahrenbegriff auch so vertreten. Er wird daher teilweise zu den sogenannten empirischen oder auch deskriptiven unbestimmten Rechtsbegriffen gezählt82 . Das Unsicherheitsmoment für den Rechtsanwender wäre demnach bei der Subsumtion angesiedelt83 . Dann könnte der Gefahrenbegriff allerdings nicht als unbestimmter Rechtsbegriff im hier verwendeten Sinne gelten, da ein Wertungsmoment auf der Ebene des Normbefehls vorausgesetzt wurde. Bei genauerer Analyse der Begriffsdefinition zeigt sich aber, daß das Wertungsmoment nicht ausgeschlossen wird. Die Definition von Gefahr verlagert das Anwendungsproblem in die Sicherheits- oder auch Wahrscheinlichkeitsbeurteilung84 hinsichtlich des Schadenseintritts85 . Der Großteil denkbarer Zustände des täglichen Lebens wäre an sich, mit der notwendigen Phantasie und weitläufigen Kausalketten gepaart, gefahrenträchtig. Der springende Punkt ist damit die Frage, wie wahrscheinlich oder sicher der Schadenseintritt sein muß. Diese Frage gehört aber nicht auf die Ebene der Subsumtion, sondern auf die des Normbefehls. Die Festlegung der Wahrscheinlichkeitsoder Sicherheitsanforderungen ist daher eine Frage der Auslegung, und gerade sie läßt sich nicht für alle Fälle beantworten. Es besteht damit das bereits diagnostizierte Wertungsproblem bezüglich des Inhalts des Normbegriffes86 . Daß dieses hier aus der notwendigen Zukunftsprognose folgt, ist für die vorliegende Einordnung unerheblich.

81 Vgl. Manens, DVBI. 81, S. 597, Damstädt, Gefahrenabwehr, S. 22 - 27, Lingemann, Gefahrenprognose S. 23, Gallwas/Mößle, Polizei recht, RN 59 ff, ausführlich Davy, Gefahrenabwehr, S. 301 ff, 336 ff; außerdem z.B. die Entscheidung des Preußischen OVG vom 27.4.1882, E 9, S. 344 (352). 82 Z.B. Erichsen/Manens, Allg. Verwaltungsrecht, § 12 11 1, S. 203. 83 So Erichsen/Manens, Allg. Verwaltungsrecht, § 12 11 1, S. 203. 84 Wie sicher der Schluß sein muß, wird in der Literatur durch eine ganze Reihe unterschiedlicher Begriffe auszudrücken versucht, s. dazu Damstädt, Gefahrenabwehr, S. 25 - 27 (mit zahlreichen Nachweisen). 85 Ähnlich auch Franßen, (Un)bestimmtes, S. 213 f, für den der Gefahrenbegriff eine empirische und eine normative Komponente aufweist. 86 Im Ergebnis so wohl auch Lingemann, Gefahrenprognose, S. 43 - 46.

1. Kapitel: Theoretische Grundlagen des unbestimmten Rechtsbegriffes

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Anders als bei den "Nachteilen und Belästigungen", (vgl. unten E.II.), kommt es somit auf die "Erheblichkeit" der Gefahren zur Qualifikation als unbestimmten Rechtsbegriff nicht mehr an87. II. Der Begriff der (erheblichen) Nachteile oder Belästigungen

Unter einem Nachteil ist ein Vermögensschaden und/oder eine objektive Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens zu verstehen88 . Eine Belästigung ist eine negative Einwirkung auf das physische und/oder psychische Wohlbefinden des Menschen bis zur Grenze des Gesundheitsschadens89 . Diese Begriffsdefinitionen zeigen, daß hier ein vollständiges Erfassen der Normaussage möglich ist und keine Zweifelsfälle verbleiben; jedenfalls nicht solche, die vom Gesetzgeber einkalkuliert sind und durch eine Wertung des Rechtsanwenders ausgefüllt werden sollen. Nachteile und Belästigungen stellen daher, anders als der Begriff der Gefahr, für sich allein keine unbestimmten Rechtsbegriffe dar. Sie sind aber zusammen mit dem Begriff der "Erheblichkeit" zu beurteilen. Bei den verschiedenen Fassungen des Begriffes unter der Geltung des BlmSchG ergibt sich dies bereits aus der sprachlichen Formulierung. Als zweifelhaft könnte es nur für die Formulierung unter der Geltung der Gewerbeordnung, "erhebliche Gefahren, Nachtheile oder Belästigungen", angesehen werden. Es bestand aber Einigkeit darüber, daß die Erheblichkeit sich auf alle nachfolgenden Begriffe bezog90 . Was noch erheblich ist und was nicht mehr, läßt sich zwar mit weiteren Begriffen wie "das übliche oder zumutbare Maß überschreitend'.91, "dasjenige Maß überschreiten( d), dessen Duldung sowohl den Nachbarn als 87 Unter der Geltung des BlmSchG bezieht sich die Erheblichkeit nicht mehr auf den Gefahrenbegriff, "Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen", § 3 Abs. 1 BImSchG. 88 Definition zusammengestellt nach Sellner, Immissionsschutzrecht, S. 42 und Ule, BImSchG, § 3 RN 5. Deren Definitionen fallen allerdings in weiten Teilen auseinander. 89 Nach Seltner, Immissionsschutzrecht, S. 42, vgl. dazu historisch die Entscheidung des Preußischen OVG vom 27.4.1882, E 9, S. 344 (350 ff). 90 VgI. Landmann, GewO, 4. Aufl., § 18, 3., das geht auch aus den Technischen Anleitungen hervor, Fassung vorn 14.4.1875, PrMinBI. 1875, S. 106 oben, Fassung vom 15.5.1895, PrMinBI. 1895, S. 196. 91 Ule, BlrnSchG, § 3 RN 4 mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

dem Publikum ... angesonnen werden kann,m, beschreiben; dadurch wird der Sinngehalt aber nicht eindeutiger gefaßt. Hier ist vom Rechtsanwender offensichtlich eine Wertung gefordert. Es ist auch davon auszugehen, daß der Gesetzgeber dem Rechtsanwender diese Wertung bewußt einräumt, da ein Begriff wie "erheblich" auf eine Wertung ausgelegt ist.

92 So schon die preußischen Technischen Anleitungen, Fassung vom 14.4.1875, PrMinBI. 1875, S. 106 oben, Fassung vom 15.5.1895, PrMinBI. 1895, S. 196.

Zweites Kapitel Der rechts tatsächliche Ansatz A. Die BegritTe der Rechtstatsachenlehre und Rechtssoziologie

Für die theoretische Einordnung der folgenden Ausführungen ist es erforderlich zu klären, in welchem Sinne die jeweiligen Begriffe verwandt werden. Dabei geht es hauptsächlich um die "Rechtstatsachenforschung" und die "Rechtssoziologie" nach dem heutigen Stand der Wissenschaft 1. Eine begriffliche Unterscheidung zwischen den beiden Disziplinen hat sich an Erkenntnisgegenstand (Erkenntnismethoden) und Erkenntnisziel auszurichten. Erkenntnisziel der Rechtssoziologie als desjenigen Spezialzweiges der Soziologie, der das Recht als eine der zahlreichen, den Ablauf des Soziallebens beeinflussenden Ordnungen zum Gegenstand hat, sind die wechselseitigen Abhängigkeiten und Einwirkungen zwischen dieser Ordnung, (dem Recht), und dem Sozialleben, (der Gesellschaft Dieses Ziel sucht die empirische Rechtssoziologie3 durch die Erforschung rechtlich relevanter tatsächlicher Sachverhalte zu erreichen. Auch die Rechtstatsachenforschung hat rechtlich relevante soziale Sachverhalte zum Gegenstand und bedient sich der Methode der Empirie. Deshalb wird teilweise der Begriff der Rechtstatsachenforschung synonym mit dem der empirischen Rechtssoziologie verwandt4 . Diese Einordnung hat dann ihre Berechtigung, wenn das Erkenntnisziel der Rechtstatsachenforschung dem der Rechtssoziologie gleichgesetzt wird und somit eine Identität bezüglich Erkenntnisgegenstand und Er-

l

1 Der Begriff der Rechtstatsachenforschung hat im Laufe des Bestehens des dazugehörenden relativ jungen Forschungszweiges mehrere Wandlungen erfahren. die jedoch nicht Gegenstand der Untersuchung sind, vgl. dazu im einzelnen Hanwieg. Rechtstatsachenforschung. S. 21 ff. 2 Nach Röhl, Rechtstatsachenforschung, S. 16. 3 Demgegenüber arbeitet die theoretische Rechtssoziologie mit Hypothesen, die zu einem Modell aufgebaut werden, von dem dann neue Hypothesen abgeleitet werden können. oder Hypothesen werden im Wege der begrifflichen Analyse gewonnen. vgl. Rehbinder. Rechtssoziologie, S. 6. 4 Z.B. Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 6.

1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

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kenntnisziel der beiden Disziplinen hergestellt ist. Anders allerdings, wenn das Erkenntnisziel der Rechtstatsachenforschung insoweit beschränkt wird, als dieser lediglich die Funktion einer Hilfswissenschaft der Rechtswissenschaft zuerkannt wird. Ihre Zielsetzung erschöpft sich dann5 in der Erfassung und Analyse rechtlich relevanter Tatsachen, d.h. aller Tatsachen, die auf das Recht "genetisch" einwirken oder dadurch "operational" hervorgerufen werden6. Eine solche reduzierte Zielsetzung hatte die Rechtstatsachenforschung zwar unter anderem 7 nach der grundlegenden Abhandlung A. Nußbaums8, der allgemein als Begründer dieses Wissenschaftszweiges in der neueren Zeit angesehen wird9. In späteren Arbeiten plädierte Nußbaum jedoch selbst für eine Einbeziehung des soziologischen Aspektes in die Zielsetzung der Rechtstatsachenforschung, indem er diese definierte als "die systematische Untersuchung der sozialen, politischen und anderen tatsächlichen Bedingungen, auf Grund derer einzelne rechtliche Regeln entstehen, und die Prüfung der sozialen, politischen und sonstigen Wirkungen jener Normen.,,10 Das Bestehen einer engen und einer erweiterten Zielsetzung der Rechtstatsachenforschung findet seine Rechtfertigung darin, daß die Erforschung von wirklichen Gegebenheiten in ihrer Bedeutung für das Recht sowohl von den Juristen unter juristischer Zielsetzung als auch von Soziologen unter (rechts-)soziologischer Zielsetzung vonnöten ist. Ob eine Fragestellung mit einem rein juristischen Ansatz auskommt, oder aber ihrer Natur nach eine Einbeziehung soziologischer Aspekte erfordert, ist logischerweise für den Einzelfall zu entscheiden. Um Begriffsverwirrungen zu vermeiden, erscheint es daher sinnvoll, den Begriff der Rechtstatsachenforschung auf den engeren instrumentellen Sinngehalt zu beschränken und die Rechtstatsachenforschung im weiteren Sinne als (empirische) Rechtssoziologie zu bezeichnen. Nach dieser Definition hat die empirische Rechtssoziologie die empirische Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Recht und Gesellschaft zum 5 6

So z.B. Röhl, Rechtstatsachenforschung, S. 19.

Def. der Rechtstatsachen nach Pieger, Rechtstatsachenforschung, S. 133. 7 Vgl. auch Röhl, Rechtstatsachenforschung, S. 18 ff.

8

Rechtstatsachenforschung, S. 21 f (1914).

9 Vgl. z.B. Hartwieg, Rechtstatsachenforschung, S. 21 ff, Horn, Gesetzgebung, S. 142 ff.

10 Nußbaum, Rechtstatsachenforschung, S. 67 (1955).

2. Kapitel: Der rechtstatsächliche Ansatz

45

Gegenstand, also die Überprüfung, ob bestimmte Feststellungen über das tatsächliche Bestehen sowie die Entstehung und Wirkung von Recht in der Gesellschaft der Wirklichkeit entsprechen oder nicht ll . Demgegenüber ist eine Beschränkung auf das Gebiet des Zivilrechts weder dem Begriff der Rechtstatsachenforschung im engeren noch im weiteren Sinne immanent 12 • Es mag zwar zutreffen, daß für das Gebiet des Strafrechts die Kriminologie und für das öffentliche Recht die Verwaltungslehre oder -wissenschaft 13 die Funktion der Rechtstatsachenforschung übernimmt l4 . Das ändert jedoch nichts daran, daß Untersuchungen in diesen Rechtsgebieten begrifflich ebenfalls Rechtstatsachenforschungen im engeren oder weiteren hier definierten Sinne sind und deshalb auch als solche behandelt werden l5 . Den bisherigen Ausführungen ist zu entnehmen, daß es bei einer so definierten Rechtstatsachenforschung und empirischen Rechtssoziologie immer nur um Seinsgesetzlichkeiten geht, d.h. um die Feststellung der Rechtswirklichkeit und der sie kreierenden Faktoren. Wenn man diese Forschung um den Ansatz der Bewertung, also um die Soll-Komponente erweitert, gelangt man zu der sogenannten soziologischen Jurisprudenz l6 . Diese Disziplin nimmt aufgrund umfassender soziologischer Erkenntnisse Wertungen bezüglich eines erwünschten Rechtszustandes vor, insbesondere im Bereich der Rechtspolitik 17.

II Nach Röhl, Rechtstatsachenforschung, S. 16, Hanwieg, Rechtstatsachenforsrhung, S. 34, Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 6 f, v. Falckenstein, Rechtstatsachenforschung, S. 81. 12 So auch v. Falckenstein, Rechtstatsachenforsrhung, S. 80, Hartwieg, Rechtstatsachenforschung, S. 62 f, a.A. Röhl, Rechtstatsachenforschung, S. 20. 13 Vgl. zum Verhältnis von Verwaltungslehre und Rechtstatsachenforschung Maurer, Rechtstatsachenforschung, S. 126. 14 So z.B. Röhl, Rechtstatsachenforschung, S.20, v. Falckenstein, Rechtstatsachenforschung, S. 80. 15 Vgl. dazu, daß sich Rechtstatsachenforschung und Rechtssoziologie in letzter Zeit zunehmend öffentlich-rechtlichen Regelungsfeldem zuwenden Wollmann, Gesetzgebung, S. 75. 16 Rehbinder, JbRs 70, S. 340. 17 Vgl. zum Begriff der Rechtspolitik im folgenden unter I.

46

1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

B. Juristisch ausgerichtete rechtstatsächliche und rechtssoziologische Fragestellungen (Untersuchungsgegenstand)

/. Allgemein mögliche Untersuchungsgegenstände Die so definierte Rechtstatsachenforschung und empirische Rechtssoziologie können zur Klärung verschiedener - juristisch ausgerichteter 18 - Fragestellungen herangezogen werden. Das erste, anderen Fragestellungen vorgelagerte Untersuchungsziel geht dahin festzustellen, ob die Norm, so wie sie besteht, überhaupt angewandt wird oder vielmehr wirklicher und normierter Rechtszustand auseinanderfallen 19. Ein Auseinanderfallen kann dann vorliegen, wenn eine Rechtsfortbildung außerhalb des geschriebenen Rechts stattgefunden hat. In diesem Fall wäre zuerst der bestehende Rechtszustand systematisch zu ermitteln. Als praktische Fälle einer solchen Rechtsfortbildung, der "dogmatischen Überwindung von Rechtslücken,,20, werden vor allem das richterliche und andere "Gewohnheitsrecht" sowie Rechtsschöpfungen aufgrund legislatorischer Autorisation (Satzungen, Verträge etc.) genannt 21 . Diese ergänzen die Gesetze da, wo sie einen Freiheitsbereich eröffnen. Demzufolge handelt es sich um einen Sonderfall, wenn das neue "freie" Recht dem normierten widerspricht und dieses damit faktisch außer Kraft setzt22 . Wenn der geltende Rechtszustand ermittelt ist, kann bezüglich formeller und materieller Gesetze oder "Gesetzmäßigkeiten" festgestellt werden, inwieweit das ermittelte Recht tatsächlich Anwendung findet. Ein Unterschied zwischen den einzelnen Normarten braucht dabei nur insoweit gemacht werden, als dieser Prüfungsschritt bei Rechtsgebilden entfällt, die ihr Beste18 Da die Rechtssoziologie im Schnittpunkt zwischen Soziologie und Rechtswissenschaften steht, sind Fragestellungen in dieser Disziplin sowohl unter soziologischen als auch juristischen Vorzeichen denkbar. Dabei stehen im Mittelpunkt der Forschung immer die Wechselwirkungen zwischen Recht und Gesellschaft. Bei soziologischen Fragestellungen richtet sich der Blick aber in erster Linie auf die Gesellschaft. Die Wirkungen des Rechts sind sozialer Faktor unter vielen möglichen Ordnungsfaktoren der Gesellschaft. Juristische Fragestellungen beschränken sich dagegen auf die für die Rechtspraxis bezogene Rechtswissenschaft erheblichen Aspekte, also auf Auswirkungen rechtlicher Normen auf die Gesellschaft und die Enstehung von Normen aufgrund gesellSChaftlicher Einflüsse, vgl. Hirsch, Rechtssoziologie, S. 27 f. 19 Z.B. Röh/, Rechtstatsachenforschung, S. 224 ff.

20 21

Rehbinder, JbRs 70, S. 351, ähnlich v. Falckenstein, Rechtstatsachenforschung, S. 78. Nußbaum. Rechtstatsachenforschung, S. 49, ihm folgend Rehbinder, JbRs 70, S. 348 f.

22 Rehbinder, JbRs 70, S. 348.

2. Kapitel: Der rechts tatsächliche Ansatz

47

hen sowieso nur der Faktizität, also der tatsächlichen Anwendung verdanken, (z.B. ein gebräuchlicher, im BGB nicht vorgesehener Vertragstyp). Nach Rehbindei3 erfolgt die Prüfung der tatsächlichen Geltung des Rechts, also seiner Wirksamkeit, in drei Stufen: zuerst ist die Norm funktional im Hinblick auf das sie umgebende System zu betrachten, dann fragt sich, inwieweit sie vom "Rechtsstab" (den Personen, die berufsmäßig Recht anwenden und durchsetzen24 ) angewandt wird und schließlich, wie sich die Rechtsunterworfenen dazu stellen. Am Ende der Durchführung dieses weiteren Prüfungsschrittes ist das Recht ermittelt, das tatsächlich Anwendung und Beachtung findet. Dieses Recht läßt sich nunmehr auf seine Wechselwirkungen mit der Gesellschaft untersuchen, wobei wiederum verschiedene Ansätze denkbar sind. Zum besseren Verständnis einer bestehenden Norm tragen nach Nußbaum25 Untersuchungen bei, die die Entstehung dogmatischer Theoreme auf ihren Zusammenhang mit allgemeinen Zeitströmungen untersuchen und sie so als Ausfluß umfassender zeitgeschichtlicher Entwicklungen des Geistes- und insbesondere auch des Wirtschaftslebens begreifen können. Auch Hirsch stellt explizit fest, daß jede rechtliche Regelung auch eine Regelung eines sozialen Sachverhalts ist, die durch die Lebensbedingungen einer bestimmten Gesellschaft, Z.B. durch die für sie maßgebenden geistigen Strömungen, politischen Herrschaftsverhältnisse und materiellen Lebensbedingungen determiniert wird26 . Letztlich dient die Erkenntnis der Ursachen der Entstehung einer Norm dem Verständnis ihres Zweckes27 . Die tatsächliche Anwendung und Beachtung einer Norm besagt jedoch noch nicht, daß damit auch der intendierte Zweck erreicht wird. Das kann vielmehr erst durch eine Untersuchung der von der Rechtsnorm durch die Anwendung seitens des Rechtsstabes erzielten tatsächlichen Ergebnisse erreicht werden 28 • 23 JbRs 70, S. 352. 24 V. Falckenstein, Rechtstatsachenforschung, S. SO, zitiert nach Llewe/lyn, ähnlich Rehbinder, ("das Verhalten derjenigen, die sich speziell mit der Aufstellung, Anwendung und Durchsetzung von Rechtsnormen beschäftigen"), Rechtssoziologie, S. 3, zitiert nach M. Weber.

25 Rechtstatsachenforschung, S. 94.

26

Rechtssoziologie, S. 11 f.

27 Rehbinder, JbRs 70, S. 337.

28 Die sog. Implementationsforschung untersucht den Prozeß des Programmvollzuges auf Bedingungen oder Störungen, die zu Vollzugsdefiziten führen können, vgl. Röhl, Rechtssoziologie, S. 301, Penski, Implementation, S. 343 f.

48

1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

In einem letzten Schritt ließe sich in dem Fall, in dem ein Abweichen des intendierten vom tatsächlich erreichten Zweck konstatiert würde, die Frage stellen, wie eine Norm aufgrund der ganzen vorhergehenden Untersuchungen anders und besser aussehen müßte, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Damit würde allerdings das Feld der Rechtstatsachenforschung und der empirischen Rechtssoziologie zugunsten eines rechtspolitischen Ansatzes verlassen. Gegenstand der Rechtspolitik sind Entscheidungen zu der Frage, welche sozialen Ziele mit welchen Mitteln und auf welchen rechtlichen Wegen erreicht werden soUen, wobei das Mögliche oder Machbare eine stets präsente Schranke darstellt29 . Als Hilfsdisziplin für die Rechtspolitik auf dem Gebiet der Gesetzgebung erreicht die Rechtstatsachenforschung allerdings bald die Grenzen ihrer Nützlichkeit. Gesetzgebung erfolgt unter so hoher Komplexität, daß rechtstatsächliche Informationen über Voraussetzungen und Folgen gesetzgeberischer Entscheidungen schon auf der Ebene der Mittel-Zweck-Relationen kaum nutzbar gemacht werden können; in verstärktem Maße gilt dies für die Einbeziehung rechtspolitischer Zielsetzungen30 . Il. Vorliegend verwirklichte Untersuchungsgegenstände

Die Einhaltung der obengenannten Untersuchungsgegenstände und -abschnitte erweist sich für die vorliegenden Zielsetzungen nicht immer als sinnvoll, daher werden sowohl bezüglich einzelner Inhalte als auch bezüglich der Reihenfolge Abweichungen vorgenommen. Dies rührt zum einen daher, daß versucht wird, die von der Legislative erlassenen gesetzlichen Regelungen und die daraufhin von Exekutive und Judikative ergangenen Entscheidungen auch im Hinblick auf die sie hervorrufenden Faktoren separat zu betrachten. Die gesetzlichen Vorschriften - das sind vorliegend vor allem die bundes( reichs )gesetzlichen Vorschriften31 - werden in ihrem jeweiligen Rege29 Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 32, Pieger, Rechtstatsachenforschung, S. 136, vgl. im einzelnen zum Gegenstand der Rechtspolitik und deren Abgrenzung gegenüber anderen Disziplinen GörlitzjVoigt, Rechtspolitologie, S. 18 ff. 30 Luhmann, Positivität, S. 190, Röhl, Rechtstatsachenforschung, S. 258, teilweise a.A. Bender, Grundsatzfragen, S. 12 f.

31 Eine umfassende Einbeziehung landesrechtlicher Vorschriften hätte den Rahmen der vorliegenden Arbeit zu weit gezogen. Sie finden daher nur insoweit Berücksichtigung, als sie

2. Kapitel: Der rechtstatsächliche Ansatz

49

lungszusammenhang dargestellt. Die Betrachtungen richten sich dabei auf mehrere Schwerpunkte, da der untersuchte unbestimmte Rechtsbegriff in mehreren gesetzlichen Vorschriften des Anlagengenehmigungsverfahrens enthalten war und noch ist. Unter der Geltung der Gewerbeordnung waren dies im wesentlichen die §§ 16 Abs. 1 und 18 Abs. 1, unter der Geltung des BImSchG sind es die §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1,2 iVm 6 Nr. 132 . Die Gegenüberstellung mit dem wirklichen Rechtszustand, d.h. mit den weiteren, für die Rechtsfrage geltenden abstrakt -generellen Regelungen, erfolgt dann nicht sofort, sondern erst im übernächsten Schritt. Diese Reihenfolge bietet sich deshalb an, weil dadurch der Zusammenhang der Entscheidungen von Verwaltungen und Gerichten gewahrt wird, zumal es sich bei den zusätzlichen Regelungen in weiten Teilen um eine Ergänzung, "Konkretisierung", der bestehenden gesetzlichen Regelungen handelt und weniger um die Situation der Konfrontation, die eine strenge Gegenüberstellung erforderlich machen würde. Statt dessen wird im Wege des "Sachzusammenhanges" zunächst dargestellt, welche Zielsetzungen und Hintergründe beim Erlaß der jeweiligen gesetzlichen Regelung vorlagen. Dabei kann sich der Blick nicht nur auf die unbestimmten Rechtsbegriffe selbst richten, sondern muß schon wegen des systematischen Zusammenhangs, in dem diese Begriffe stehen, immer wieder auch die Gesamtregelung betrachten. Die Aufarbeitung des wirklichen Rechtszustandes erfolgt im Rahmen der Untersuchungen der Verwaltungsentscheidungen, und zwar derjenigen abstrakt-genereller Art. Im vorliegenden Zusammenhang kristallisieren sich darunter vor allem Rechtsverordnungen, Erlasse, Verwaltungsvorschriften und zunehmend auch technische Standards als wichtig heraus. Die Erörterungen teilen sich auch hier wieder auf die einzelnen Verwendungszusammenhänge des untersuchten unbestimmten Rechtsbegriffes auf. Bestimmte inhaltliche Fragen erweisen sich als für den Begriffsumfang in besonderem

im Rahmen der Konkretisierung der untersuchten unbestimmten Rechtsbegriffe oder sonstiger Problempunkte von Bedeutung sind. 32 Damit ist allerdings nicht die Behauptung verbunden, die Untersuchung erfasse die konfliktträchtigsten Fragen im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen im Anlagengenehmigungsverfahren. Diese dürften nämlich nicht in der Neugenehmigung von Anlagen liegen, sondern in der Änderung und Sanierung von Altanlagen, vgl. z.B. Mayntz, Vollzugsprobleme, S. 135 f. Daß diese Fragen nicht im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen, rechtfertigt sich daraus, daß es sich vorliegend um eine in der Schwerpunktsetzung rechtsmethodische Untersuchung handelt. 4 Ebinger

50

1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

Maße signifikant, so daß diesem Umstand auch durch die Gliederung Unterpunkte - Rechnung getragen wird. Die solchermaßen als geltendes Recht ermittelten gesetzlichen und untergesetzlichen Normen werden jeweils auf ihre Anwendung durch den Rechtsstab untersucht. Aus praktischen Gründen33 beschränkt sich die Prüfung allerdings meist auf gerichtliche Einzelentscheidungen, die den jeweiligen Einzelfragen zugeordnet werden. Das Verhalten der Rechtsunterworfenen kann nur insoweit Berücksichtigung finden, als es sich quasi spiegelbildlich aus den genannten Untersuchungen ergibt. In Verwirklichung eines rechtssoziologischen Ansatzes wird dann versucht, Wechselwirkungen zwischen dem tatsächlich angewandten Recht und einzelnen Faktoren des zeitgeschichtlichen Hintergrundes aufzudecken. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollen dazu dienen, Aussagen zu Inhalt und Struktur des untersuchten unbestimmten Rechtsbegriffes zu machen. Die Untersuchung erhebt allerdings keinen Anspruch auf ein Schließen des Kreises in rechtspolitischer Hinsicht, etwa dergestalt, einen Vorschlag für eine bessere Normierungsart zu unterbreiten.

c. Praktische Durchflihrung eines rechtstatsächlichen oder rechtssoziologischen Ansatzes

l. Methodische Ansätze

Im Bereich der Rechtstatsachenforschung bzw. der empirischen Rechtssoziologie bestehen wie in anderen Wissenschaftszweigen bei der Erforschung kausaler Beziehungen34 die beiden grundsätzlichen Möglichkeiten, eine zuvor ausgedachte Theorie empirisch zu überprüfen oder aber anhand empirisch ermittelter Daten eine Hypothese zu entwickeln35 . Dabei ist allerdings zu beachten, daß bei bestimmten empirischen Untersuchungsmethoden die Fragestellungen genau auf die erwünschten Informationen abgestellt sein müssen, so daß deshalb zumindest im Ungefähren die zu gewinnenden Hy-

33 Vgl. unten 2. Teil, 2. Kap., B. 11. 2. 34 Denkbar sind auch rein deskriptive Fragestellungen, die lediglich den Charakter einer Bestandsaufnahme haben, vgl. dazu v. Falckenstein, Rechtstatsachenforschung, S. 83.

35 Rehbinder, JbRs 70, S. 356.

2. Kapitel: Der rechtstatsächliche Ansatz

51

pothesen vorgedacht sein müssen36 . Rehbinder geht davon aus, daß in der Praxis die beiden Vorgehensweisen kombiniert werden, indem "der Blick zwischen Theorie und Empirie mehrfach hin und her (wandert)"; die Hypothese werde aufgrund eines vorläufigen Befundes aufgestellt oder modifiziert und dann (erneut) der systematischen Überprüfung zugeführt37. Diese Vorgehensweise erweist sich auch vorliegend als die fruchtbarste. Il. Empirische Untersuchungstechniken

Als empirische Methoden der Ermittlung tatsächlicher Sachverhalte kommen hauptsächlich Beobachtungen38, Befragungen39 und Inhaltsanalysen in Betracht. Da sich im vorliegenden Rahmen die Möglichkeiten zur Erhebung eigener "Daten" auf die Inhaltsanalyse von Dokumenten beschränken40, soll auch nur dazu theoretisch Stellung genommen werden. Gemeinsames Problem aller empirischen Forschungen ist das Auffinden von Daten, die die jeweiligen Größen in meßbarer Weise näher umschreiben41 . Dokumentenanalysen, also vor allem die Auswertung von Entscheidungssammlungen, weisen in mehrfacher Weise Probleme bezüglich möglicher Verzerrungen auf. Es kann schon nicht davon ausgegangen werden, daß in Entscheidungssammlungen ein repräsentatives Bild der tatsächlichen Verhältnisse zu einer Rechtsnorm wiedergegeben wird. Das liegt zum einen daran, daß die Auswahl für solche Sammlungen nach juristisch-dogmatischen Gesichtspunkten erfolgt und nicht dazu gedacht ist, einen repräsenta36 vgl. z.B. BenderjWax, Einführung, S. 19 f. Wach, Rechtstatsachenforschung, S. 103, vertritt die Ansicht, daß nur dasjenige verifiziert oder falsifiziert werden kann, was zuvor als Modellvorstellung von der Wirklichkeit bestand. Das ist nur in dem Fall als voll gültig anzusehen, in dem eine bestehende Theorie überprüft werden soll. 37 Rehbinder, JbRs 70, S. 356, ähnlich Wach, Rechtstatsachenforschung, S. 91. 38 Vgl. Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 86 ff. 39 Vgl. generell zur Befragung Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 83 ff, Wach, Rechtstatsachenforschung, S. 98. Die dort angesprochenen Probleme (mangelndes Verständnis von Fragen wegen mangelnder Bildung des Befragten, Beeinflussung der Antwort durch die Art der Fragestellung (Suggestivfragen, Altemativantworten), unbewußte oder bewußte mangelnde Aufrichtigkeit des Befragten usw) erscheinen für die vorliegenden Fragestellungen allerdings weniger akut. Im Verlaufe der Untersuchung werden zwei solcher, von anderer Seite durchgeführten Befragungen Verwendung finden. Auf vorherrschende Zweifel oder Unsicherheitsfaktoren ist an den entsprechenden Stellen im Untersuchungsverlauf einzugehen. 40 Vgl. zur Relevanz der Dokumentenanalyse für die Verwaltungsforschung auch Derlien, Empirische Verwaltungsforschung, S. 128.

41 Wach, Rechtstatsachenforschung, S. 103.

1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

52

tiven Querschnitt darzustellen. Die Veröffentlichung von Entscheidungen und Rechtsliteratur ist außerdem von vielen Zufälligkeiten. abhängig und von Einzelinteressen beeinflußt42 . Über dieses Selektionsproblem hinaus hat schon potentiell gar nicht jedes Rechtsverhältnis die Chance, in einer Entscheidungssammlung zu enden, da nicht jedes Rechtsverhältnis einen Rechtsstreit und nicht jeder Rechtsstreit eine Gerichtsentscheidung zur Folge hat43 • Es spricht daher einiges für die Aussage Wachs, daß sich Rechtsprechungsanalysen vor allem für die Untersuchungen der Rechtspathologie, weniger aber für die der gelebten Rechtsordnung eignen44 . Wenn man trotzdem Dokumentensammlungen - vor allem in Form von Entscheidungssammlungen - zur rechtstatsächlichen Auswertung heranziehen möchte gilt jedenfalls verstärkt, was Maxime aller ernsthaften Rechtstatsachenforschung sein muß: die Untersuchung hat den methodischen Weg, auf dem ihre Resultate gewonnen wurden, anzugeben und aufzuführen, was zum Ausschluß erkannter Unsicherheitsfaktoren unternommen wurde45 • Sofern sich Unsicherheitsfaktoren nicht ausschließen lassen, sind sie zumindest bei der Ergebnisanalyse zu berücksichtigen. Es ist jedenfalls darauf zu achten, daß die bloße Illustration einer Hypothese durch "mehr oder weniger zufällig gefundene Daten, gewöhnlich ... Lesefrüchte aus der Rechtsgeschichte,,46 keinen Beweis darstellt. Trotz dieser Unwägbarkeiten ist die gewählte Untersuchungsart als zulässig anzusehen. Röhl stellt im Rahmen des "mittelbaren Effekts der Rechtstatsachenforschung" fest, daß es vor allem auf die Änderung der Blickrichtung ankommt: "Wenn die Frage nach den Rechtstatsachen einen festen Platz im Katalog der Topoi erhält, dann mag die Antwort für den Regelfall ruhig aus der Lebens- und Berufserfahrung oder mit Hilfsmitteln gegeben

42 V. Falckenstein, Rechtstatsachenforschung, S. 85, Wach, Rechtstatsachenforschung, S.98, außerdem ausführlich zur selektiven Veröffentlichungspraxis der Gerichte Kramer, ZRP 76, S. 84 ff. Kramer sieht als mögliche Ursachen dafür, daß Urteile zu ausgefallenen Fragen veröffentlicht werden und dafür sog. Grundsatzurteile unveröffentlicht bleiben unter anderem das Nichterkennen des Grundsatzcharakters einer Entscheidung, das Zurückschrecken vor den Konsequenzen einer Entscheidung und das damit verbundene erhöhte Kritikrisiko an.

43 Vgl. dazu Rehbinder, Rechtssoziologie, S. 81 f, ders., Soziologie der Justiz, S. 29, Wach, Rechtstatsachenforschung, S. 98. 44 Rechtstatsachenforschung, S. 98. 45 Wach, Rechtstatsachenforschung, S. 96.

46

Rehbinder, JbRs 70, S. 355.

2. Kapitel: Der rechtstatsächliche Ansatz

53

werden, die, gemessen am Standard der empirischen Sozialforschung, vergleichsweise primitiv anmuten.,,47 Die folgenden Teile haben diese Zielsetzung zum Hintergrund und versuchen darüber hinaus, der wissenschaftlichen Empirie dadurch Rechnung zu tragen, daß die Unsicherheitsfaktoren ins Kalkül gezogen werden und im Rahmen der Fakteninterpretation jeweils auch dazu, bzw. zum Aussagewert der Ergebnisse, Stellung genommen wird. D. Dogmatischer Ansatz und rechtstatsächlicher Ansatz

1. Der Begriff des dogmatischen Ansatzes

In den bisherigen Ausführungen wurde der "dogmatische Ansatz" ohne weitere Begriffsdiskussion eingeführt und verwendet. Um eine Aussage dazu treffen zu können, ob ein solcher "dogmatischer Ansatz" die Problematik des unbestimmten Rechtsbegriffes insgesamt zu erfassen und aufzulösen vermag, bedarf es jedoch der Klarheit darüber, was mit einem "dogmatischen Ansatz", also mit "Dogmatik" im hier verstandenen Sinne gemeint ist. Dogmatik könnte einmal als em 1m weiten Umfang geschlossenes Begriffssystem verstanden werden, dessen erarbeitete innersystematische Beurteilungskriterien es ermöglichen, auch neu auftauchende Rechtsfragen im Wege logischer Deduktionsschlüsse (ohne normatives Element) zu lösen. In diesem Sinne wurde die Dogmatik Ende des letzten und auch noch in den anfänglichen Jahrzehnten dieses Jahrhunderts verstanden48 ; auch heute noch vertritt z.B. Esser einen solchen Dogmatikbegri1f9. Wertungen, die vor allem auch durch kritisches Denken aus historischer oder rechtspolitischer Sicht gewonnen werden, stehen bei dieser Sichtweise außerhalb des Begriffes der Dogmatik, sie existieren vielmehr nur bei der eigentlichen Rechtsfmdung im vor- oder außerdogmatischen Bereich50 . 47 Rechtstatsachenforschung, S. 296, ähnlich Noll, Gesetzgebungslehre, S. 67. Ossenbühl, DVBI. 74, S. 313, plädiert zwar nicht für einen rechtstatsächlichen Ansatz, aber - insoweit in dieselbe Richtung deutend - für die Wende vom Begriffsdenken zum Entscheidungsdenken. 48 Vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, S. 215 f.

49 Esser, Vorverständnis, S. 90 ff, insbes. S. 91 und 95. 50 Das geht aus den Ausführungen von Esser, Vorverständnis, S. 90 ff hervor und wird auch von Larenz, Methodenlehre, S. 216, so eingeschätzt.

54

1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

Es dürfte allgemeiner Konsens darüber bestehen, daß diese Auffassung nicht nur die klassisch-überkommene und damit auch begriffsreinste iSl51 , sondern auch nicht mehr dem entspricht, was der heutigen Jurisprudenz zugrunde liegt. Larenz konstatiert den sich auf breiter Front abspielenden Einbruch "wertorientierten Denkens" in die heutige Rechtsdogmalik52 . Ausprägungen dafür sind für ihn unter anderem die Bildung von Typologien anstelle subsumtionsfähiger Begriffe, insbesondere "im Wege der 'Aufarbeitung' einer Rechtsprechung, die sich um die Konkretisierung eines ausfüllungsbedürftigen Maßstabes bemüht,,53. An anderer Stelle wird die weitgehende Hinwendung der Rechtslehre zur Pragmatik aufgezeigt und daher für die Verwendung unterschiedlicher Begriffe für die klassische, philosophisch-theologisch geprägte Dogmatik und die heute in der Jurisprudenz herrschende Methodenlehre plädiert54 • Die Verwendung des "dogmatischen Ansatzes" im vorliegenden Zusammenhang meint im Begriffskern ebenfalls das logische Deduzieren von Lösungen auftauchender Rechtsprobleme aus einem Begriffssystem. Darüber hinaus sollen damit aber - in Abgrenzung zu empirischen oder tatsächlichen Ansätzen - auch aus Wertungen mit den allgemeinen juristischen Methoden abstrahierte Rechtserkenntnisse und -inhalte gemeint sein. lI. Integrienmg eines rechtstatsächlichen (rechtssoziologischen)

in einen dogmatischen Ansatz

Arthur Nußbaum spricht in der Einleitung zu seiner 1914 erschienenen, für die Rechtstatsachenforschung grundlegenden Schrift von der "leeren Dogmatik". Er stellt fest, daß sich der Großteil wissenschaftlicher Arbeiten auf rein formalmethodologische Erörterungen beschränkt55 und damit an den praxisrelevanten Problemen der einzelnen Rechtsgebiete vorbeigeht56 . 51 52 53

Meyer-Cording, Dogmatiker, S. 9 f. Methodenlehre, S.

216 ff, vgl. dazu auch Brohm, VVDStRL 30, S. 248 ff.

Methodenlehre, S. 217, vgl. zu einem praktischen Beispiel die Typologie der von der Rechtsprechung anerkannten Fälle eines Beurteilungsspielraumes, oben 1. Kap. C. IV.

54 Meyer-Cording, Dogmatiker, S. 20 f.

55 Nußbaum, Rechtstatsachenforschung, S. 18.

56

Nußbaum, Rechtstatsachenforschung,

~'. Welck, DÖV

73, S. 732.

S.24,

für das Verwaltungsermessen ähnlich

2. Kapitel: Der rechtstatsächliche Ansatz

55

Sollte Nußbaum damit beabsichtigt haben, die Tatsachenforschung an-

stelle einer dogmatischen Betrachtung zu propagieren, kann dem nicht zu-

gestimmt werden. Soweit die dogmatische Klärung einer anstehenden Rechtsfrage möglich ist, ist diesem Vorgehen aufgrund seines abstrakt-deduktiven Charakters der Vorzug zu geben. Auf diese Weise kann letztlich auch eine Weiterentwicklung dogmatischer Begriffssysteme erreicht werden, da die Antwort auf eine neue Rechtsfrage zur Weiterentwicklung des Begriffssystems beiträgt. Nach der hier vertretenen Auffassung kann die Deduktion auch durch Wertungen, also z.B. durch die Heranziehung historischer oder teleologischer Gesichtspunkte, wie auch durch Typenbildungen erfolgen. Für die Anwendung der Rechtstatsachenforschung bleibt daher nur der Bereich, in dem eine Klärung mit den genannten Mitteln nicht erreicht werden kann57,58. Generell werden dafür die Rechtsgebiete als geeignet angesehen, in denen die Faktenstruktur (einschließlich der Überzeugungen) ständigen Änderungen unterworfen ist, also auch Z.B. das Umweltrecht59 • Als dafür - rechtsinstrumentell gesehen - typischer Anwendungsfall gilt der unbestimmte RechtsbegrirfO. Diese Ansicht fügt sich unschwer in die theoretischen Prämissen der vorliegenden Untersuchung ein. Als unbestimmter Rechtsbegriff wurde ein Begriff angesehen, dessen Sinngehalt mit objektiven Entscheidungsdeterminanten nicht vollständig festgelegt werden kann, sondern vom Gesetzesanwender in letzter Konsequenz eine gesetzgeberisch einkalkulierte Wertung erfordert, (vgl. oben Ergebnis zum 1. Kap., A.). Der unbestimmte Rechtsbegriff weist somit eine intendierte dogmatische Lücke auf, in die quasi auf einer Seite die Fakten und die dogmatisch aufbereitete Normstruktur eingegeben werden und aus der auf der anderen Seite eine Entscheidung erscheint. Das dazwischenliegende Wertungsmoment verhindert eine lückenlose dogmatische Erfassung. Dieses 57 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Röhl. Rechtstatsachenforschung, S. 289. der Aussicht und Notwendigkeit feststellt, daß Rechtsprobleme von der Dogmatik so aufgeschlüsselt werden, daß zumindest Teilfragen von der empirischen Rechtsforschung mit Gewinn behandelt werden können.

58 Pieger, Rechtstatsachenforschung, S. 135 stellt zu Recht fest, daß das Ausmaß der Einbeziehung der Rechtstatsachenforschung in die Dogmatik von der jeweils bevorzugten dogmatischen Methode abhängt. 59 Vgl. z.B. Hartwieg, Rechtstatsachenforschung, S. 63. 60 So z.B. Pieger, Rechtstatsachenforschung, S. 135, Trappe. Rechtssoziologie. ähnlich Hartwieg, Rechtstatsachenforschung, S.65, für den Fall des Ermessens Ehmke, Ermessen. S. 49; auch Ossenbühl, DVBI. 74, S. 309 geht davon aus, daß neue dogmatische Erkenntnisse bezüglich des unbestimmten Rechtsbegriffes nicht zu erwarten sind.

1. Teil: Theoretische Grundlagen der Untersuchung

56

Wertungsmoment ist es, dessen nähere Erkenntnis durch rechtstatsächliche Untersuchungen versucht werden kann. Der für die vorliegende Untersuchung theoretisch genau zu determinierende Zusammenhang zwischen dogmatischem und rechtstatsächlichem oder rechtssoziologischem Ansatz erfährt in seiner praktischen Anwendung allerdings eine gewisse Aufweichung. Das liegt zum einen dar an, daß auch die herkömmliche Rechtsdogmatik nicht so unrealistisch ist, die wirklichen Verhältnissen und die dadurch gegebenen Möglichkeiten einer Beeinflussung von Inhalt und Anwendung des Rechts zu ignorieren. So kann auch ein dogmatischer Ansatz mit der hier vorgegebenen Zielsetzung der Ermittlung des Sinngehaltes eines unbestimmten Rechtsbegriffes nicht darauf verzichten, die geltenden konkretisierenden Bestimmungen unterhalb der Ebene des Gesetzes und Enscheidungen in die Betrachtung mit einzubeziehen. Es geschieht daher teilweise nichts anderes, als das, was die Rechtstatsachenforschung mit der "Ermittlung des wirklichen Rechtszustandes" meint. Die Juristen lösen Fragen nach den wirklichen Verhältnissen und den dadurch hervorgerufenen Einflüssen allerdings meist durch eigene Anschauungen und Beobachtungen der Wirklichkeit61 quasi "dogmatikintern", ohne die Möglichkeiten der Empirie in Anspruch zu nehmen. Das ersetzt die Empirie Im Rahmen rechtstatsächlicher oder rechtssoziologischer Fragestellungen schon deshalb nicht, weil der einzelne die Grenzen seiner Erkenntnismöglichkeiten oft nicht richtig einzuschätzen weiß62 , was eine Verfälschung der Ergebnisse zur Folge haben kann. Zum anderen erleidet der rechtstatsächliche oder rechtssoziologische Ansatz vorliegend dadurch Abstriche, daß die empirischen Hilfsmittel, die in der Untersuchung zur Anwendung kommen, größtenteils eher behelfsmäßig sind, (s. oben C. 11.), so daß sie sich dem Vorwurf aussetzen könnten, empirisch verkappte Allgemeinerwägungen zu sein. Dieser Gefahr muß dadurch begegnet werden, daß der Aussagewert nicht höher eingeschätzt werden darf, als es die Genauigkeit der einzelnen Untersuchung legitimiert. Die propagierte Integration eines rechtstatsächlichen oder rechtssoziologischen in einen dogmatischen Ansatz verliert dadurch allerdings nicht die Vorzüge, die ihr gegenüber anderen Ansätzen zukommen. üb sich diese 61 62

Röhl, Rechtstatsachenforschung, S. 284 f.

Vgl. dazu näher Röhl, Rechtstatsachenforschung, S. 285.

2. Kapitel: Der rechtstatsächliche Ansatz

57

Vorzüge bei der praktischen Umsetzung durch die vorliegende Untersuchung bewahrheiten, werden die folgenden Ausführungen zu zeigen haben.

Zweiter Teil

Die Entwicklung des unbestimmten RechtsbegritTes Erstes Kapitel

Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes A. Der Ausgangspunkt: Die Gewerbeordnung von 1869

l. Die untersuchten Begriffe und ihr Regelungszusammenhang

In der in Kraft gesetzten Fassung der Gewerbeordnung waren die zu untersuchenden Begriffe in Titel 11 (Stehender Gewerbebetrieb) unter "11. Erforderniß besonderer Genehmigung" zu finden, es handelte sich folglich bei der Anlagengenehmigung um ein generelles Verbot mit Erlaubnisvorbehalti. Zur Veranschaulichung des Regelungszusammenhangs soll im folgenden die Systematik kurz aufgezeigt werden. Es waren verschiedene Anlagentypen mit unterschiedlichen Anforderungen zu unterscheiden: - Geräuschvolle Anlagen nach § 27 GewO konnten - sofern sie nicht von § 16 GewO erfaßt wurden - an gewissen Orten verboten oder nur unter Bedingungen zugelassen werden. - Bei durch Wind bewegten Triebwerken, § 28 GewO, konnte die Entfernung zu benachbarten fremden Grundstücken oder öffentlichen Wegen durch Polizeiverordnung geregelt werden. - Nach § 24 GewO war die Anlegung von Dampfkesseln genehmigungspflichtig. Die Erteilung der Genehmigung war von der Einhaltung der bestehenden bau-, feuer-, und gesundheitspolizeilichen Vorschriften, sowie

1 Vgl. dazu z.B. Fischer, Umweltschutz, S. 20 f, m.w.N.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

59

von allgemeinen, durch den Bundesrat dafür eigens erlassenen polizeilichen Bestimmungen abhängig. - Die Errichtung von in § 16 GewO aufgeführten gefährlichen Anlagen, also solchen, die "erhebliche Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen" für die Nachbarn oder die Allgemeinheit herbeiführen konnten, waren nach § 16 GewO genehmigungspflichtig. Für den vorliegenden Zusammenhang sind nur die in § 16 GewO durch Aufzählung genannten Anlagen sowie deren Genehmigungsvoraussetzungen relevant. Die Aufnahme in das Verzeichnis erfolgte durch Gesetzesänderung, allerdings genügte in Abweichung vom ansonsten einzuhaltenden Verfahren ein entsprechender Beschluß des Bundesrates, der vom Reichstag genehmigt werden mußte. Der untersuchte Begriff der "erheblichen Gefahren, Nachteile oder Belästigungen" war sowohl in § 16 GewO als allgemeine Beschreibung, aufgrund derer Anlagen in das bestehende Verzeichnis aufgenommen wurden, als auch in § 18 GewO enthalten. § 18 GewO gehörte zu dem vorgesehenen besonderen Genehmigungsverfahren. Gemäß den Vorschriften dieses Verfahrens wurde das Vorhaben veröffentlicht, damit innerhalb einer bestimmten Frist dagegen Einwendungen erhoben werden konnten, § 17 GewO. Sofern es sich dabei um solche aufgrund privatrechtlicher Titel handelte, wurden diese gemäß § 19 Abs. 1 GewO auf den privatrechtlichen Rechtsweg verwiesen und hatten damit für das Genehmigungsverfahren keine Bedeutung mehr. Andere Einwendungen wurden mit den Parteien erörtert. Im Anschluß an diese Erörterung oder bei Nichtbestehen von Einwendungen traf die Behörde die Entscheidung gemäß § 18 GewO. Entscheidendes Kriterium war dabei, ob von der Anlage erhebliche Gefahren, Nachteile oder Belästigungen für das Publikum ausgehen konnten, wobei auch die bestehenden bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften in die Prüfung mit einbezogen wurden. Die Genehmigung der Anlage konnte, soweit erforderlich, unter Beifügung von Bedingungen erteilt werden. Hatte der Unternehmer diese Genehmigung erlangt, so verfügte er über eine gesicherte Rechtsposition. Eine nachträgliche Änderung oder Ergänzung der Bedingungen oder der Genehmigung selbst sah die Gewerbeordnung nicht vor. Nur im Falle einer Änderung der Lage oder Beschaffenheit

60

2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

der Betriebsstätte oder einer wesentlichen Veränderung im Betrieb der Anlage war eine neue Genehmigung nach den §§ 17 - 23 GewO erforderlich, § 25 GewO. Privatrechtliche Klagen gegen eine genehmigte Anlage konnten nur auf Schadensersatz oder auf emissionsbegrenzende Anlagen, nicht aber auf Einstellung des Gewerbebetriebes gerichtet sein, § 26 Gew0 2. Da mit einer nach den §§ 16 ff GewO genehmigten Anlage somit eine öffentlich-rechtlich nicht mehr beschränkbare Rechtsposition des Unternehmers gegeben war3, sich deren Betrieb aber andererseits als überwiegender Nachteil oder Gefahr für die Allgemeinheit erweisen konnte, sah das Gesetz unter diesen Voraussetzungen als Korrektiv eine völlige Untersagung der Benutzung gegen Entschädigung vor, § 51 GewO. II. Vorläufer der Gewerbeordnung von 1869

Die genannten Vorschriften waren keine "Neunormierungen" sondern in weiten Teilen bereits in der preußischen Gewerbeordnung von 1845 enthalten. Sowohl bezüglich der untersuchten zentralen unbestimmten Rechtsbegriffe (§§ 26 und 32 der GewO 1845), als auch bezüglich des bei der Genehmigung einzuhaltenden Verfahrens (§§ 28 ff GewO 1845), waren die beiden Regelungen nahezu identisch. Bis auf einige Ergänzungen stimmte sogar die Liste der genehmigungsbedürftigen Anlagen des § 16 GewO 1869 mit der der früheren preußischen Gewerbeordnung überein. Die zusammenfassende Feststellung Miecks: "Die preußische Immissionsschutzgesetzgebung von 1845 mit den Ergänzungen von 1848, 1856 und 1861 wurde in ihrer Gesamtkonzeption und in ihren Einzelregelungen 1869 für das Gebiet des Norddeutschen Bundes und wenig später für das Deutsche Reich übernommen,,4 zeigt die Entwicklung zutreffend auf.

2 Allerdings lag in der Stattgabe einer Klage auf nachträgliche Einrichtungen wohl gleichsam eine eigentlich nicht vorgesehene Änderung der Genehmigung selbst, so daß inSfern mindestens die Zustimmung der Genehmigungsbehörde vorliegen mußte, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, IV. Band, "Gewerbliche Anlagen" (Rommel/Loening). 3 Die Frage, ob es sich hierbei um ein subjektiv-äffentliches Recht handelte, war umstritten und wurde sowohl bei Erlaß der Gewerbeordnung, als auch im Verlaufe der Zeit unterschiedlich beantwortet, vgl. unten 2. Kap., B. 11., insbes. 1. a).

4 Mieck, Luftverunreinigung, S. 77 f.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

61

Es ist daher erforderlich, im Rückblick auch die Entstehung der preußischen Gewerbeordnung von 1845 in die Betrachtungen einzubeziehen. Vor 1845 hatte die Anlagengenehmigung noch keine gesetzliche Regelung erfahren. Das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 sah nur vor, daß die Erlaubnis zur Anlage einer Fabrik ausschließlich vom Staat zu erteilen war. Materielle Anforderungen an die Erteilung einer solchen Genehmigung stellte das ALR in diesem Zusammenhang nichts. Auf dieser Basis waren zwar die oberen preußischen Behörden nicht bereit, die frühindustriellen Tätigkeiten einzuschränken, dafür nahmen aber die örtlichen Polizeibehörden gegenüber "lästigen Anlagen" teilweise ausgesprochen restriktive Haltungen ein. Diese Situation änderte sich, als durch das Gesetz von 1845 die Anlagengenehmigung und die damit verbundenen Einschränkungen zulasten der Betreiber auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wurden. Mit dieser Legitimation als Rückendeckung war auch die Ministerialbürokratie zu restriktivem Vorgehen bereit6. Das legt die Schlußfolgerung nahe, daß ohne gesetzliche Vorgaben zumindest obere und oberste Behörden (Ministerialbürokratie), die einem Staat unmittelbar politisch verpflichtet waren oder sich aus Überzeugung verpflichtet fühlten, dazu neigten, eher die generell vorgegebene politische Direktive der Förderung der Industrie zu befolgen, als in Einzelfällen der Staatsleitung unliebsame, aber aus sozial- oder gewerbehygienischen Gesichtspunkten erforderliche abweichende Entscheidungen zu treffen. Das Bild änderte sich, als durch gesetzliche Vorgaben die Verhaltensanforderungen konkretisiert und legitimiert wurden. In diesem Fall wurden die einzelgesetzlichen Anforderungen - richtigerweise vor die generellen Leitlinien der Politik gestellt7. Dieser Schluß darf allerdings nicht im Sinne eines vorwerfbaren Verhaltens gegenüber den erwähnten höheren Behörden gewertet werden. In einem hierarchischen Staatsgefüge ist ein solches Verhalten vielmehr als systemgerecht anzusehen. Als erstaunlich hat vielmehr die Tatsache zu gelten, daß untere Behörden (Polizeibehörden) wesentlich weniger zurückhaltend 5 Einschränkungen konnten sich nur aus in anderem Zusammenhang aufgestellten GeneralklauseIn ergeben, z.B. § 78 I 8 ALR über die Reinhaltung öffentlicher Straßen und Plätze. Außerdem ergingen in den Jahren danach sehr vereinzelt Vorschriften für einzelne Anlagenarten oder Materialien, vgI. auch Mieck, Luftverunreinigung, S. 39 ff. 6 VgI. zu dieser Entwicklung und zu instruktiven Beispielen insgesamt Mieck, Luftverunreinigung, S. 39 ff. 7 VgI. dazu Mieck, Luftverunreinigung, S. 40 f, 45, 48, 52, 66, 72 f.

62

2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

waren, was restriktive Anordnungen gegenüber Anlagen betraf. Das kann zum einen darauf zurückzuführen sein, daß die von den Anlagen ausgehenden Gefahren oder Belästigungen von solchen Behörden unmittelbar wahrgenommen werden konnten und die Amtswalter vielleicht sogar teilweise selbst betrafen. Zum anderen ist zu vermuten, daß die fehlenden rechtlichen Grundlagen für einzelne Anordnungen und Erlasse unteren Polizeibehörden weniger bewußt waren und diese sich im Endeffekt auch weniger darum kümmerten. IIl. Zielsetzungen und Hintergründe der Nonniernng

1. Zusammenfassende Beurteilung durch die Motive

Einen Überblick über die - zumindest offiziell verlautbarten - Gründe für die Normierung der §§ 16 ff GewO erhält man durch die entsprechende Stelle in den Motiven zur Gewerbeordnung8 . Als Basis der Normierung wurde der allgemeine Konsens dargestellt, der sich auf die Sicherung der Allgemeinheit gegen "Belästigungen und nachtheilige Einflüsse" (nicht ausdrücklich auf Gefahren) und die zu erhaltende "Möglichkeit städtischen Zusammenlebens" beziehen sollte. Auf dieser Basis wurden zwei Rechtfertigungsgründe für die §§ 16 ff GewO genannt: zum einen die Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften der Anlagengenehmigung9, zum anderen die Schaffung einer gesicherten Rechtsstellung für die Betreiber genehmigter Anlagen. Die einzelnen Vorschriften des Anlagengenehmigungsverfahrens sollten vor allem dem dafür notwendigen Interessenausgleich (Behandlung von Einwendungen) dienen. Als Einschränkung des Grundsatzes, daß auf die mit der polizeilichen Genehmigung geschaffene gesicherte Rechtsposition des Betreibers behördlicherseits nicht mehr zugegriffen werden konnte, wurde nur der Fall des § 50 Gew0 10 genannt, also die Untersagung der weiteren Benutzung einer ge8

BT-Drucksache I/Nr. 13 (1869), S. 115.

9 In manchen Ländern war die Berechtigung für Konzessionen für gewerbliche Anlagen noch mit dem Besitz gewisser Grundstücke verbunden. Dieses Recht wurde durch § 7 des Entwurfes aufgehoben und durch die neuen Bestimmungen ersetzt. Auch die sehr unterschiedlichen polizeilichen Bestimmungen der einzelnen Länder auf diesem Rechtsgebiet bedurften einer Vereinheitlichung. 10 Beim Studium der Stenographischen Berichte/Drucksachen ist zu beachten, daß die Paragraphenzählung nicht immer mit der der verabschiedeten Fassung übereinstimmt. Soweit

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

63

werblichen Anlage wegen "überwiegende(r) Nachtheile und Gefahren für das Gemeinwohl" gegen die Leistung von Schadensersatz. Diese Bestimmung war hauptsächlich für den Fall konzipiert, daß die Städte durch Wachstum in die Umgebung von ursprünglich außerhalb gelegenen Anlagen rückten. 2. Die Diskussionen in den Stenographischen Berichten als Untersuchungsgegenstand Bei Zugrundelegung der Verhandlungen des Reichstages 11 in Bezug auf die §§ 16 ff der GewO ist der in den Motiven angeführte allgemeine Konsens bezüglich der Voraussetzung einer Genehmigung für gefährliche Anlagen wirklich festzustellen 12• Gegenstand der Verhandlungen im Reichstag waren nicht die in Frage stehenden unbestimmten Rechtsbegriffe selbst. Dies war auch nicht zu erwarten, da deren weiter Begriffsrahmen eine ganze Reihe verschiedener Meinungen aufzunehmen imstande war (und ist). Die Diskussion im Bereich der genehmigungsbedürftigen Anlagen bezog sich hauptsächlich auf das Umfeld der unbestimmten Rechtsbegriffe, so insbesondere auf das Verzeichnis des § 16 GewO, seinen Umfang und damit zusammenhängende Fragen. Da nach § 16 Abs.2 GewO Hinzufügungen zum Verzeichnis nur vorzunehmen waren, wenn (in Verbindung mit Abs.1) die Anlage "erhebliche Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen" hervorzurufen geeignet war, lassen sich aus diesen Diskussionen und den Erörterungen zu erforderlich, wird in den Fußnoten auf Unterschiede hingewiesen. Hier ist der angeführte § 50 der spätere § 51 GewO. 11 Die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16.4.1867 (abgedruckt bei Huber, Dokumente 2, S. 272 ff) forderte für den Erlaß eines Gesetzes die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse des Reichstags und des Bundesrats, Art. 3 der Verfassung. Der Bundesrat bestand aus Vertretern der Mitglieder des Bundes, die eine jeweils festbestimmte Anzahl von Bevollmächtigten entsenden konnten, Art. 6 der Verfassung. Hier interessieren nur die Verhandlungen des Reichstages, da der Bundesrat der vom Reichstag beschlossenen Gewerbeordnung ohne weitere Änderungen zustimmte, vgl. Protokolle über die Verhandlungen des Bundesrathes des Norddeutschen Bundes, Session 1869, Nr. XXI § 206, Bericht und Beschluß über die vom Reichstag beschlossenen Abänderungen, Nr. XXIII § 224, Mittheilung über die Beschlüsse des Reichstags in dritter Lesung und Beschluß über die vom Reichstag beschlossenen Resolutionen, Nr. XXV § 252, Annahme des Gesetzesentwurfs in der vom Reichstag beschlossenen Fassung. 12 Vgl. z.B. Sten.Ber. 1/10 18.3.1869, S. 123 (Michaelis), Sten.Ber. 1/10 18.3.1869, S. 144 (Delbrück).

2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

64

anderen Punkten Rückschlüsse auf die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe ziehen. So kann versucht werden festzustellen, welche Vorstellungen der Abgeordneten hinter der relativ weiten Fassung der Gesetzestatbestände lagen, z.B., ob sie eher für eine Einschränkung der durch die Motive vorgegebenen Ziele waren, oder sogar für eine erweiternde Handhabung. Zwar enthalten die Protokolle nur die Äußerungen derjenigen - im Vergleich zur Gesamtzahl wenigen - Abgeordneten, die bei den Diskussionen Redner waren sowie die Angabe von Zustimmung oder Ablehnung durch das Plenum oder Teile davon. Damit kann aber wenigstens auf Meinungsgesamttendenzen geschlossen werden, auch wenn man in Rechnung stellt, daß die Parteibindung der Abgeordneten damals noch längst nicht so ausgeprägt war, wie sie es heute ist. Nicht vernachlässigt werden darf dabei die Tatsache, daß bereits gesetzliche Normierungen mit ähnlicher Zielsetzung und ähnlichen unbestimmten Rechtsbegriffen in den einzelnen Ländern existierten. Man konnte also auf diese Normierungen und die mit ihnen gemachten Erfahrungen bei der Diskussion des Gesetzentwurfes zur Gewerbeordnung zurückgreifen 13. 3. Untersuchung möglicher restriktiver Tendenzen Als Tendenz, die die Zwecksetzung gegenüber den Motiven einschränkte, könnte die Tatsache verbucht werden, daß vereinzelt die Erforderlichkeit einer Gewerbeordnung überhaupt angezweifelt wurde. So fragte der Abgeordnete Stumm "ob es noch nothwendig und nützlich ist, das Gewerbe, diese eine Seite der produktiven menschlichen Thätigkeit herauszureißen und gesetzlich zu reguliren, von anderen abzutrennen, besondere Bedingungen dafür hinzustellen, oder ob man das Gewerbe nicht eben so behandeln könnte wie beispielsweise die Landwirthschaft .... Wer fordert für die landwirthschaftliche Thätigkeit Koncession?,,14 Daraus könnte man nun schließen, daß Stumm für eine Gewerbefreiheit auch in Bezug auf die Anlagen eintrat. Dies stellt der Abgeordnete aber wenig später in seiner Rede klar. "Der Entwurf giebt aber auch da, wo wirklich öffentliche Interessen zu schützen sind, da, wo es sich handelt um die 13

Vgl. zur Entwicklung insgesamt Mieck, Luftverunreinigung, S. 38 ff.

14 Sten.Ber. 1/10 18.3.1869, S. 142.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des fonnellen Gesetzes

65

Getlehmigung des Betriebes feuergefährlicher oder für die Gesundheit schädlicher Gewerbe - denn da ist unzweifelhaft zu aller und jeder Zeit das öffentliche Interessse zu schützen - da giebt der Entwurf keine genügende Garantie gegen Mißbrauch.,,15 Bezeichnenderweise ging Stumm die Regelung in den hier interessierenden Punkten nicht weit genug und zwar deshalb, weil seiner Meinung nach in Deutschland der Verwaltung kein Vertrauen entgegengebracht wurde und aufgrund ihres Verhaltens auch nicht entgegengebracht werden konnte. Die Verwaltung stelle die Nützlichkeitsfrage stets vor die Rechtsfrage und nicht umgekehrt, wie es sein sollte. Stumm übte damit im Prinzip an der Regelung durch unbestimmte Rechtsbegriffe Kritik. Dies nicht etwa deshalb, weil er diese Gesetzestechnik generell für verfehlt hielt - ganz im Gegenteil waren für ihn "vernünftige Gesetze auf vielen Gebieten nicht möglich, ohne der Verwaltung erhebliche diskretionäre Befugniß einzuräumen,,16 - sondern weil er den Mißbrauch bzw. den Nichtgebrauch der Vorschriften durch die Behörden fürchtete. Stumm wollte die vollständige Überprüfbarkeit durch die Gerichte gewährleistet sehen und trat daher für Einzelfallregelungen ein, obwohl diese seiner Meinung nach als Regelungsform an sich weniger geeignet waren. Ein Weniger an Regelung erschien einigen Abgeordneten nur in Bezug auf die Liste der genehmigungspflichtigen Anlagen wünschenswert 17. In erster Linie ging es hier wohl darum, daß ein handwerksmäßig betriebenes Gewerbe nicht denselben strengen Anforderungen unterliegen sollte wie ein Groß(Industrie)betrieb 18; das Kleingewerbe sollte damit - möglicherweise im Hinblick auf die für diese Betriebe schwerer werdenden Zeiten - privilegiert werden. Insgesamt stellte das Gesetz aber nicht ohne Grund auf die Anlagenart ab, da bestimmte Betriebe, auch wenn sie nur eine geringe Pro15 Sten.Ber. 1/10 18.3.1869, S. 142. 16 Vgl. dazu auch Mieck, Luftverunreinigung, S. 41. 17 Vgl. z.B. Sten.Ber. 1/15 9.4.1869, S.271 (Runge), Sten.Ber. 1/15 9.4.1869, S.272 (von Hoverbeck). Leopold Freiherr von Hoverbeck wurde 1822 geboren und starb 1875. Nach seinem ersten juristischen Staatsexamen widmete er sich dem Studium der Landwirtschaft, bewirtschaftete seine Güter und war nebenher schriftstellerisch tätig, ab 1849 auch über politische ThemensteIlungen. Im Norddeutschen Reichstag vertrat er Berlin; er gehörte inzwischen der Fortschrittspartei an, in der er eine Führerrolle einnahm. Vgl. dazu und zu weiteren Einzelheiten der Person von Hoverbecks Klein-Hattingen I, S. 332 ff. 18 .. S. die Außerung Runges Sten.Ber. 1/15 9.4.1869, S. 271. S Ebinger

66

2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

duktion aufwiesen, auch in diesem Umfang für die Nachbarschaft schon gefährlich waren, während die Erfassung "harmloser" Großbetriebe aus dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr zu Recht unterblieb. Streichungen einzelner Betriebe aus dem Verzeichnis wurden letztendlich auch nicht verlangt. Das Unbehagen, das einige Abgeordnete trotz des vereinfachten Verfahrens zur Neuaufnahme von Anlagenarten bei der langen Liste und noch ins Auge gefaßten Ergänzungen empfanden, ist wohl zumindest teilweise auf die Einzelfalltechnik an sich zurückzuführen 19, deren Notwendigkeit wurde aber im Grunde genommen nicht in Frage gestellt. Das Verzeichnis der genehmigungsbedürftigen Anlagen bestand in Preußen immerhin schon seit 1845 und hatte im Vergleich zu seiner ersten Fassung mehrere Hinzufügungen erhalten, so daß diese Technik bereits als "bekannt und bewährt" gelten konnte. Seine letzte Fassung von 1861 war mit dem Verzeichnis des § 16 Abs. 1 GewO weitgehend identisch, was die Akzeptanz der Abgeordneten bezüglich der einzelnen Anlagenarten erhöht haben dürfte 20 . Gelegentlich findet sich in den Diskussionen auch eine Betonung des zweiten Hauptmotives für das Genehmigungserfordernis, nämlich der Verschaffung einer gesicherten Rechtsstellung für den U nternehmer 21 . Ein Grund dafür ist darin zu sehen, daß dieses Motiv nicht schon explizit aus dem Gesetzestext hervorging, wie es bei dem des Nachbarschutzes der Fall war. Gleichzeitig bildete die gesicherte Rechtsstellung ein Gegengewicht und somit eine Rechtfertigung für die die Unternehmerfreiheit beschränkende Genehmigungspflicht. In den praktischen Auswirkungen und in der daraus resultierenden rechtlichen Problematik war diese gesicherte RechtssteIlung von überragender Bedeutuni2. Die Einräumung dieser Position und das Gewicht, das die Industrie dadurch erlangte, zeigte sich unter an19 Auch die Gewerbeordnung an sich wurde bereits als unmäßig umfangreich empfunden: "Von vom herein muß der Entwurf schon Jedem etwas verdächtig werden durch sein äußeres Ansehen. Eine Gewerbe-Ordnung von 174 §§ ist an und für sich schon durch ihre bloße Existenz verdächtig, und der Umfang des Gesetzes bewirkt von vorn herein, daß man mit einem gewissen Mißtrauen an die Kritik des Gesetzes herantritt." Sten.Ber. 1/10 18.3.1869, S. 142 (Stumm). 20 VgI. zur preußischen Gewerbeordnung von 1845 oben 11 und außerdem die Angaben des Abgeordneten Runge, Sten.Ber. 1/159.4.1869, S. 271, der als Legitimation für die aufgezählten Anlagenarten ansieht, daß damit aUe in den einzelnen Staaten des Norddeutschen Bundes polizeilich genehmigungspflichtigen Anlagen aufgenommen wurden. 21 Z.B. Sten.Ber. 1/15 9.4.1869, S. 273 (Weigel). 22 VgI. unten 2. Kap., B. IV.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

67

derem im Vergleich zu anderen genehmigungspflichtigen Betrieben, wie z.B. den bergwerksrechtlichen oder auch den Eisenbahnen, bei denen nachträgliche Anordnungen jederzeit möglich waren. Den nach der Gewerbeordnung genehmigungsbedürftigen Anlagen war somit eine einmalige Sonderstellung eingeräumt23 . Ebenfalls legitimierende Wirkung bezüglich des Genehmigungserfordernisses hatte der Regelungszweck der Schaffung einheitlicher Rechtsverhält nisse. Diese wurden für die Chancengleichheit der Unternehmer 1m Wirtschaftsgebiet des Norddeutschen Bundes als notwendig angesehen. 4. Untersuchung möglicher erweiternder Tendenzen Nachdem nun die Teile der Diskussion untersucht wurden, die auf eine gegenüber den Motiven restriktivere Handhabung der vorgeschlagenen staatlichen Befugnisse hinweisen könnten, ist jetzt darauf einzugehen, inwiefern Hinweise auf eine Ausdehnung dieser Befugnisse, also auf eine Betonung des Umweltschutzes gegenüber der Freiheit der Wirtschaft vorlagen. Den Verhandlungen des Reichstages läßt sich entnehmen, daß den Abgeordneten teilweise schon so etwas wie ein "immissionsschutzrechtliches Gesamtkonzept" vorschwebte, zumindest soweit dies der Nachbarschutz forderte. Das Bedürfnis eines Schutzes der Umwelt an sich, also die absolute Verhinderung von Schadstoffeinträgen in Luft, Boden und Wasser auch da, wo keine akute Belästigung oder Gefahr für die Bevölkerung hervorgerufen wurde, sahen die Abgeordneten damals noch nicht. Weitergehende Vorstellungen ließen sich aber nicht verwirklichen, weil sie keine Mehrheit fanden. Ihr Auftauchen läßt sich an mehreren Punkten nachweisen, allerdings wiederum nicht direkt in Verbindung mit der Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe, sondern in deren "Peripherie". Ein Amendement des Abgeordneten Bähr24 hatte zum Inhalt, das Verzeichnis des § 16 GewO under anderem um "Niederlagen" von Zünd-

23 Vgl. dazuAmdt, VerwAreh 10, S. 187 Cf. 24 Otto Bähr wurde 1817 in Fulda geboren und starb 1895 in Kassel. Er war Jurist, von 1867 - 1880 gehörte er als Mitglied der Nationalliberalen Partei dem Reichstag und dem preußischen Abgeordnetenhaus an. Bähr trat besonders für die Einführung einer selbständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit ein, vgl. Brockhaus-Enzyklopädie, Stichwort "Bähr, Dito", 5·

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

stoffen aller Art, Pech- und Terpentinsiedereien und Lackfabriken zu erweitern25 . Eine Einbeziehung der Niederlagen von Zündstoffen aller Art wurde offensichtlich angestrebt, weil diese für besonders gefährlich gehalten wurden. Der Präsident des Bundeskanzleramtes Delbrück26 hielt diesem Vorschlag aber - genauso wie dem der Hinzufügung von Pech- und Terpentinsiedereien sowie Lackfabriken - entgegen, daß es sich nicht um eine gewerbliche Anlage handle und der Gegenstand der Regelung durch die Gewerbeordnung damit entzogen sei27. Seine Ansicht vom Regelungsbereich der Gewerbeordnung war eine erkennbar restriktive. Sie wurde von den meisten anderen Abgeordneten als zutreffend akzeptiert. Eine ausführlichere Diskussion initüerte der Änderungsvorschlag des Grafen Kleist. Er wollte dem späteren § 51 GewO ein weiteres Alinea hinzufügen: "ohne Entschädigung kann der Besitzer einer gewerblichen Anlage zu jeder Zeit angehalten werden, die nöthigen Vorkehrungen zu treffen, daß das Wasser der umliegenden Quellen und Brunnen, sowie stehenden oder fließenden Gewässer durch Vermengung mit Abgängen aus der gewerblichen Anlage (Abfällen, Spülwassern) keine den Genuß oder Gebrauch beeinträchtigende Verschlechterung erleide.,,28 Dieses Problem war bereits einmal im Rahmen des späteren § 16 GewO zur Sprache gekommen, und zwar in Verbindung mit einer Erweiterung des Verzeichnisses der genehmigungsbedürftigen Anlagen um Walkereien, Beizereien, Farbefabriken und Papierfabriken, die durch den Abgeordneten von Dörnberg vorgeschlagen wurde29 . Auch hier hatte - wie bei den 25 Vgl. den genauen Wortlaut des Amendements in BT-Drucksache I/Nr. 75/8 (1869), S.264. 26 Rudolf Delbrück wurde 1817 in Berlin geboren und starb dort 1903. Nach dem Studium der Rechte in Halle, Bonn und Berlin trat er 1837 als Auskultator in den Staatsdienst. Über eine Eingangsstelle im Finanzministerium wurde er 1866 Stellvertreter des Kanzlers in allen Angelegenheiten der deutschen Politik, 1868 wurde er zudem preußischer Minister. Wenig später bekleidete er außerdem das Amt des Präsidenten des Reichskanzleramtes, dessen Geschäftskreis unter anderem das Ministerium für Handel umfaßte. Delbrück wurde allgemein wegen seiner weitgreifenden Sachkunde geschätzt. Er hatte gute Freunde unter den Liberalen, ohne jedoch selbst Liberaler zu sein; nur in wirtschaftlichen Fragen vertrat er liberale Positionen. Vgl. dazu und zu weiteren Einzelheiten der Person Delbrücks KJein-Hattingen 11, S. 203 ff. 27 Sten.Ber. 1/15 9.4.1869, S. 272.

28 29

Vgl. zum gesamten Amendement BT-Drucksache I/Nr. 85/7 (1869), S. 320. Sten.Ber. 1/15 9.4.1869, S. 271.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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Zündstoffniederlagen - der Präsident des Bundeskanzleramtes Delbrück darauf hingewiesen, daß die Gewässerreinhaltung nicht dem Regelungsbereich der Gewerbeordnung unterfalle3O • Der Abgeordnete zog daraufhin sein Amendement zurück31 . Bezeichnenderweise waren die Meinungen zu eben diesem Problem, als es im Zusammenhang mit einer Entschädigungpflicht auftauchte, wesentlich kontroverser. Die Gegner des Amendements waren der Auffassung, daß die Gewässerreinhaltung eine Sache der Sanitätspolizei sei, wie es auch vorher schon Delbrück vertreten hatte32 . Kleist jedoch sah die Abwasserentsorgung, die sicherstellen sollte, daß es nicht zu Gewässerverschmutzungen kam, als zu prüfende Voraussetzung einer Anlagengenehmig an 33 • Eine Anlage hätte demnach nicht genehmigt werden können, solange die Entsorgung nicht sichergestellt war. In dieser Ansicht deutete sich im Grunde genommen der Vorsorgegrundsatz in seiner Ausprägung als Gefahrenverhinderung im Vorfeld ihrer Entstehung an. Die Alternative, nämlich sicherheitsrechtliche Maßnahmen, sah der Abgeordnete nicht als ausreichend an, da die dafür notwendigen gesetzlichen Befugnisse nicht bestünden. Der Abgeordnete von Dörnberg ging noch einen Schritt weiter, indem er die durch die Gewerbeordnung getroffene Unterscheidung zwischen luftverschmutzenden und gewässerverschmutzenden Anlagen als völlig willkürlich bezeichnete. Zu Recht führte er außerdem an, daß auch die nach § 16 GewO genehmigungsbedürftigen Anlagen teilweise von sanitätspolizeilichen Regelungen erfaßt wurden34 . Der Präsident des Bundeskanzleramtes Delbrück differenzierte schließlich danach, ob das Wasser für den Produktionsprozeß benötigt wurde, dann sollte die Benutzung im Rahmen der "bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften" (§ 18 GewO) Berücksichtigung finden, oder ob das Gewässer als Abwasserkanal benutzt wurde, dieses sollte nur sanitätspolizeilich bzw. gewässerrechtlich erfaßt werden. Diese Differenzierung rechtfertigte er damit, daß nur die erstgenannte Gewässerbenutzung gewerbespezifisch sei, die zweite hingegen auf weitere Lebenssachver30

31 32 33

34

Sten.Ber. 1/15 9.4.1869, S. 271 f. Sten.Ber. 1/15 9.4.1869, S. 272. Sten.Ber. 1/2117.4.1869, S. 439 (von Hennig und Michaelis). Sten.Ber. 1/2117.4.1869, S. 439 f. Vgl. insgesamt Sten.Ber. 1/2117.4.1869, S. 440 f.

2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

70

halte, wie z.B. die Landwirtschaft zuträfe35 . Dieser Ansicht schloß sich dann die Mehrheit der Abgeordneten an. Der Antrag des Grafen Kleist war insoweit unglücklich formuliert und plaziert, als er nicht nur für den Gewässerschutz eintrat, sondern dies auch noch mit einer eventuellen Nachbesserungspflicht bei bestehender Genehmigung der Anlage verband36• Dadurch wäre die Rechtsposition des Unternehmers gefährdet gewesen, was bei einmal erteilter Genehmigung nach dem Zweck der Gewerbeordnung gerade ausgeschlossen sein sollte. Das Amendement war daher in der vorliegenden Fassung für die Abgeordneten unannehmbar. Damit soll allerdings nicht behauptet werden, daß der Gewässerschutzaspekt alleine, an anderer Stelle angebracht, eine Mehrheit gefunden hätte, wie die frühere Behandlung des Themas zeigt. Insgesamt läßt sich also feststellen, daß Ansätzen, den Schutzbereich der Gewerbeordnung auszudehnen, mit deren (nach Mehrheitsansicht) auf rein gewerbliche Fragen begrenzten Zielsetzung entgegengetreten wurde. Als weiterer signifikanter Punkt der Diskussion über die Gewässerverunreinigung ist festzuhalten, daß dem Privateigentum gegenüber dem Schutz der Allgemeinheit vor industriellen Emissionen in den meisten Fällen das höhere Gewicht beigemessen wurde. Der Abgeordnete Miquel37 35

Sten.Ber. 1/21 17.4.1869, S. 442.

36 Insoweit klarstellend auch Lasker, Sten.Ber. 1/2117.4.1869, S. 441. Eduard Lasker wurde 1829 in Posen als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren und starb 1884. Er studierte die Rechte in Breslau und Berlin und schlug die Laufbahn als Richter ein, in der er 1858 schließlich Assessor beim Berliner Stadtgericht wurde und es bis 1970 blieb. 1865 begann er seine politische Laufbahn als der Fortschrittspartei angehörender Abgeordneter. 1866 verließ Lasker die Fortschrittspartei und beteiligte sich an der Gründung der Natio-

nalliberalen Partei. Als Angehöriger dieser Partei vertrat er im Norddeutschen Reichstag zunächst einen Berliner Wahlkreis. Lasker hatte an der Gesetzgebung seiner Zeit einen großen, oft sogar bestimmenden Anteil. Vgl. dazu und zu weiteren Einzelheiten der Person Laskers Klein-Hattingen 11, S. 411 ff.

37 Johannes von Miquel wurde 1829 geboren und starb 1901. Er studierte in Heidelberg und Göttingen die Rechte und wurde in Göttingen auch Anwalt. In den folgenden Jahren bekleidete er verschiedene öffentliche Ämter, unter anderem wurde er 1865 Oberbürgermeister von Osnabrück, 1882 von Frankfurt. 1890 wurde er preußischer Finanzminister. Von 1867 bis 1882 war er Mitglied des Reichstags. Seine politischen Einstellungen unterlagen mehreren Wandlungen. Während er in seiner Studentenzeit und noch danach eine radikal fortschrittliche, linke Haltung einnahm, war er später erst Mitglied der Fortschrittspartei, dann der Nationalliberalen Partei, wobei er immer konservativere, sich vom liberalen Standpunkt entfernende Positionen einnahm. Vgl. dazu und zu weiteren Einzelheiten der Person Miquels KleinHattingen 11, S. 429 ff.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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führt in der Diskussion um die nachträglichen Vorkehrungen gegen Gewässerverunreinigung aus: "Es kann ja wohl sein, daß es sich hier handelt in einem Falle um Quellen, die nach dem Landrecht zu dem ausschließlichen Eigenthum des betreffenden Gewerbetreibenden gehören; solche Fälle kommen ja viele vor, wo derartige Brunnen und Quellen in dem ausschließlichen Eigenthum desjenigen stehen, der den Gewerbebetrieb hat; soll derselbe nun trotzdem verpflichtet sein, ohne Entschädigung Vorkehrungen zu treffen, daß das Wasser in diesen Quellen, welches sein ausschließliches Eigenthum ist, nicht verunreinigt wird? Das würde meines Erachtens zu weit gehen.,,38 Es fällt auf, daß ein umweltschutzrechtliches, nachbarorientiertes Gesamtkonzept den Abgeordneten beim Wasser wesentlich eher vorstellbar war als bei der Luft. So war eigentlich die Frage bei der Anlagengenehmigung nicht die, ob eine Anlage wegen ihrer schädlichen, an die Luft abgegebenen Immissionen überhaupt genehmigt werden konnte, sondern ob sie an einer bestimmten Stelle genehmigt werden konnte. Problematisch waren Anlagen daher eigentlich nur in (dicht) besiedelten Gebieten39 . Sobald sich niemand mehr von den Immissionen belästigt fühlte, waren sie nicht mehr Gegenstand des öffentlichen Interesses etwa derart, daß bestimmte Stoffe wegen ihrer Gefährlichkeit überhaupt nicht in die Luft gelangen sollten. Anders dagegen beim Wasser, hier war man sich durchaus der weitreichenden Folgen einer Gewässerverschmutzung bewußt4o . Dies lag wahrscheinlich unter anderem daran, daß die immensen Auswirkungen, die eine Gewässerverschmutzung haben konnte, wesentlich deutlicher zutage traten als die der Luftverschmutzung. Die Belästigungen waren unter Umständen sehr weit entfernt noch spürbar. Im Unterschied zu luftverschmutzenden Emissionen konnten sie vor allem ohne langwierige Nachforschungen zu ihrem Ursprung zurückverfolgt werden. 38

Sten.Ber. 1/21 17.4.1869, S. 440.

39 Vgl. z.B. Sten.Ber. 1/15 9.4.1869, S. 272 (Delbrück), auch die Angaben bei Mieck, Luftverunreinigung, S. 43 f, S. 52. 40 Vgl. z.B. Sten.Ber. 1/21 17.4.1869, S.441 (von Dörnberg), S.442 (Delbrück). Wolf, Stand der Technik, S. 36 ff, sieht den Ansatz des Gewässerschutzes dagegen als nicht ressourcen-ökologisch, sondern durch urbane Nachbarschaftskonflikte bedingt an. Zumindest teilweise trifft dies, wie nachgewiesen, nicht zu. Zuzustimmen ist aber der These, daß der Gewässerschutz deshalb dem öffentlich-rechtlichen Sicherheitsrecht fern lag, weil das Gewässerrecht bis ins 19. Jahrhundert Privatrecht war.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

Im Grunde genommen war die Schutzrichtung sowohl bei der Luft- wie der Wasserreinhaltung eine nachbarorientierte, und zwar nicht im Sinne von "Publikum" gleich Allgemeinheit, sondern nur im Sinne von "Anliegern" gleich direkt Betroffenen. Da es sich nach der Konzeption der Mehrheit des Gesetzgebungsorgans beim Anlagengenehmigungsverfahren um Sicherheitsrecht handelte, ist dies auch folgerichtig. Der Unterschied zwischen Luftund Wasserreinhaltung lag lediglich darin, daß bei Gewässern unter Umständen mehr, jedenfalls aber weiter entfernt noch "Nachbarn" im Sinne von direkt Betroffenen existierten. Als weiterer Grund für die vermehrte Empfindlichkeit gegenüber der Gewässerverschmutzung und den diesbezüglich verstärkt empfundenen Regelungsbedarf kann vermutet werden, daß den Menschen damals der Gedanke der Knappheit einer Umweltressource beim Wasser wesentlich näher lag als bei der Luft. Wasser gab es erkennbar nur in begrenzter Menge, die Menschen waren noch fast ausschließlich auf bestimmte Gewässer, wie naheliegende Bäche und Flüsse angewiesen. Wenn dieses Wasser unbrauchbar war, stellte das eine fühlbare Einbuße dar. Luft war scheinbar unbegrenzt vorhanden, auch beschränkten sich die fühlbaren Belästigungen meist auf die Umgegend.

5. Zusammenfassung Der Normierung lag eine dem Sicherheitsrecht entspringende, gefahrenabwehrende Konzeption zugrunde; in Teilbereichen darüber hinausgehende Ansätze einzelner Abgeordneter ließen sich gegen die Mehrheit nicht verwirklichen. Überdies waren nachträgliche Auflagen und Bedingungen bei einer einmal erteilten Genehmigung so gut wie nicht durchsetzbar, so daß die Gefahrenabwehr auf den Zeitpunkt der Genehmigung zugeschnitten blieb. Eine weitere Beschränkung der Schutzvorschriften zugunsten der Bevölkerung ergab sich aus der Regelung im Rahmen der Gewerbeordnung: der Anwendungsbereich der Schutzvorschriften wurde auf gewerbliche Anlagen beschränkt, erweiternden Auslegungen des Anwendungsbereiches wurde entgegengetreten. Systematisch gesehen handelte es sich bei den Anlagegenehmigungsvorschriften um Einschränkungen der Gewerbefreiheit (Eigentumsrecht und Berufsausübungsfreiheit), die als Eingriff in

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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Rechte des Bürgers nach der Formel vom Vorbehalt des Gesetzes emer Rechtfertigung bedurften41 . Dieses Anliegen sollte regelungstechnisch durch zentrale unbestimmte Rechtsbegriffe mit geringer Konkretisierungsbeigabe verwirklicht werden. Das Verzeichnis der genehmigungsbedürftigen Anlagen war Bestandteil des Gesetzes (§ 16 GewO). Vorschriften, die die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen näher bestimmten, beispielsweise in Form von Rechtsverordnungen, waren in der Gewerbeordnung von 1869 nicht vorgesehen. W. Zusammenhänge zwischen der Normiernng und

dem zeitgeschichtlichen Hintergrund

Das Vorliegen eines Zusammenhangs zwischen der gesetzlichen Normierung und dem zeitgeschichtlichen Hintergrund ist schon aufgrund des Erlasses eines Gesetzes durch ein zumindest teilweise repräsentatives Organ als logisch und überdies durchaus intendiert zu vermuten. Das Organ, das die endgültige Fassung der Gewerbeordnung erarbeitete, war der Reichstag des Norddeutschen Bundes. Nach den Wahlen vom 12.2.1867 wies dieser eine Mehrheit der rechten Mitte aur4 2• Dazu zählten hauptsächlich die Freikonservative43, die Nationalliberale44 und die Fortschrittspartei. Im Reichstag von 1867 bestand somit eine Mehrheit von liberalen Vorstellungen, soweit die Wirtschaft betroffen war. Dieser Grundkonsens reichte von den Freikonservativen45 bis zur Fortschrittspartei46 . Die eigentlichen Differenzen la41 Die Begründung zum Gesetzesentwurf, BT-Drucksache I/Nr. 13 (1869), S. 115, stellt dies im Grunde dar. 42 Ergebniszusammenstellung bei Huber III, S. 649. Durch die Wahl vom 31.8.67 entstanden zwar leicht veränderte Zahlenverhältnisse, die Größenordnungen blieben aber in etwa dieselben, vgl. die Zahlen bei Pollmann, Parlamentarismus, S. 545. Eine direkte Vergleichbarkeit mit den o.g. Zahlen nach Huber ist aber nicht gewährleistet, da Huber nach Parteien, Pol/mann nach Parteien/Fraktionen gliedert. 43 Die Freikonservativen hatten sich 1866 von der Konservativen Partei abgespalten, vgl. zur Spaltung und zu den einzelnen Strömungen Pol/mann, Parlamentarismus, S. 58 - 61. 44 Die Nationalliberale Partei war 1867 ebenfalls durch eine Sezession entstanden, vgl. dazu Brandenburg 2, S. 212 - 215. 45 Im Gegensatz zu den Konservativen, die überwiegend agrarische Interessen und solche des Großgrundbesitzes vertraten und der Industrialisierung ablehnend gegenüberstanden (vgl. Stegmann, Konservatismus, S. 200 ff) waren die Freikonservativen um den Ausgleich zwischen Agrar- und Industriepolitik bemüht (Huber IV, S. 31) und in diesem Rahmen liberal. 46 Die Fortschrittspartei vertrat den sog. Manchesterliberalismus als konsequenteste Ausformung des Liberalismus (Huber IV, S. 76).

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

gen in anderen Bereichen, so insbesondere in der Einstellung zum parlamentarischen System und zur Frage der deutschen Einheit. Um beurteilen zu können, inwieweit die wirtschaftstheoretischen und -politischen Grundhaltungen die Normierung des Anlagengenehmigungsverfahrens beeinflußten, soll der Inhalt dieser Vorstellungen zusammenfassend aufgezeigt werden. In der Wirtschaftstheorie war eingangs und auch noch während des 18. Jahrhunderts die herrschende Strömung die des wirtschaftlichen Liberalismus (der im allgemeinen vom "politischen" oder "weltanschaulichen" Liberalismus getrennt wird, aber auf den gleichen Grundideen basiert47 ). Obwohl Adam Smith nicht eigentlicher Vorreiter der liberalen Wirtschaftskonzeption war48, verhalf doch erst sein 1776 erschienenes Werk 'An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations' der wirtschaftsliberalen Idee zum Durchbruch. Mittelpunkt der neuen Konzeption war die freie Marktwirtschaft - anstelle merkantilistischer oder physiokratischer staatlicher Eingriffe und Restriktionen - in der der Markt über Angebot und Nachfrage die Preise und die Produktion reguliert. Dazu ist allerdings die völlige wirtschaftliche Freiheit eines jeden Individuums erforderlich. Smith ging davon aus, daß sich die Freiheiten der einzelnen Individuen dabei nicht im Wege stehen, sondern das individuelle Streben, auch wenn es sich zunächst als Egoismus darstellt, letztendlich doch dem Gemeinwohl dient. Dem Staat war demgemäß die Rolle zugewiesen, die Rechtssicherheit im Innern zu gewährleisten, etwa durch Verhinderung der Gefährdung von Gesundheit, Leben, Freiheit und Eigentum einzelner, sowie von außen kommende Eingriffe abzuwehren. Die "Steigerungsform" (in Wirklichkeit nur die konsequente Umsetzung) dieser Denkweise war der sogenannte Manchester-Liberalismus49 . Dessen Anhänger vertraten das "laissez-faire" in einer Absolutheit, die den Egoismus und den Willen, andere zum eigenen Vorteil auszubeuten, deutlich hervortreten ließso. Der Staat hatte nach dieser Vorstellung nur noch die Aufgabe der Produktion von Sicherheit51 . 47 Handwörterbuch

der

Staatswissenschaften,

"11,

Wirtschaftlicher

(v. Mises) unter 1., Staatslexikon "Liberalismus" (Bauer) unter 1. und 3. 48

Liberalismus"

Evangelisches Staatslexikon, "Liberalismus" (Heuß) unter B.

49 Evangelisches Staatslexikon, "Liberalismus" (Heuß) unter B. 50 Vgl. Bechtel, Wirtschaftsgeschichte, S. 361 f, S. 365, Brockhaus-Enzyklopädie, Stichwort "Manchestertum".

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Die Normierung des Anlagengenehmigungsverfahrens zeigt deutliche Einflüsse der wirtschaftspolitischen Einstellungen der Mehrheit des Legislativorgans. Der sowohl in den Motiven als auch den Diskussionen zu den §§ 16 ff GewO festgestellte Grundkonsens bezüglich des Erfordernisses einer Anlagengenehmigung erklärt sich daraus, daß die untersuchte Materie als Ausschnitt aus dem Sicherheitsrecht nicht gänzlich politisch dispositiv war. Ein Mindestschutz der Bevölkerung vor gefährlichen Anlagen war auch nach der liberalen Auffassung zu gewährleisten, wollte der Staat in diesem Punkt nicht seine Glaubwürdigkeit oder Existenzberechtigung verlieren. Darüber hinaus ist zu beachten, daß die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes noch in der Frühphase52 der Industrialisierung53 entstand. Für den Übergang von der handarbeitsorientierten zur maschinenorientierten Tätigkeit war vor allem die Erfmdung der Dampfmaschine durch James Watt im Jahre 1769 entscheidend gewesen. Ein sprunghafter Anstieg der Anzahl der in der gewerblichen Wirtschaft eingesetzten Dampfmaschinen war allerdings erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu verzeichnen54 . Die erste Stufe der Industrialisierung wird im allgemeinen als mit der Reichsgründung 1871 abgeschlossen angenommen55 . Das ergibt sich unter anderem aus den folgenden Indikatoren: Der Anteil des sekundären Sektors56 an der deutschen Volkswirtschaft, gemessen an seinem Anteil am Nettoinlandsprodukt und an den Beschäftigtenzahlen, hatte erst ab ca. 1870

51 Vgl. Geschichtliche Grundbegriffe, "Exkurs: Wirtschaftlicher Liberalismus" (Walther) unter 6. 52 Wie der Beginn der Industrialisierung zeitlich anzusetzen ist, wird unterschiedlich beurteilt, vgl. zur Diskussion Henning, Industrialisierung, S. 111 f. Für die vorliegende Untersuchung stehen die wirklichen Entwicklungen im Vordergrund. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Gewerbeordnung 1869 war der Industrialisierungsprozeß jedenfalls bereits im Gange. 53 Zum Begriff s. Henning, Industrialisierung, S. 115 f. 54 In Preußen z.B. betrug die Anzahl der eingesetzten Dampfmaschinen 1850 noch ca. 2.000, 1860 bereits ca. 8.000 und 1870 knapp 20.000, Kaujhold, HBdWG, S. 356, Henning, Industrialisierung, S. 115 f. 55 Z.B. Lütge, Wirtschaftsgeschichte, S. 430, Henning, Industrialisierung, S. 15 - 17. 56 Vereinfachend gesprochen umfaßt der primäre Sektor die Landwirtschaft (Land- und Forstwirtschaft, Fischerei), der sekundäre die Industrie (Bergbau, Industrie, Handwerk), der tertiäre die Dienstleistungen (Handel, Verkehr, Kreditwirtschaft, Versicherungswirtschaft, Gastronomie, Gesundheitsdienst, Bildungswesen, Staat, Organisationen ohne Erwerbscharakter, private Haushalte, sonstige Dienstleistungen), vgl. Lexikon der Volkswinschaft, S.759, Vahlens Kompendium, S. 367 ff.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

höhere Steigerungsraten zu verzeichnen57, auch Roheisenerzeugung und Metallproduktion nahmen erst in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts sprunghaft zu58 . Die chemische Industrie war in absoluten Zahlen gesehen vor 1914 nie von herausragender Bedeutung. Sie wies jedoch mit 4 % im Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1913 eine der höchsten Wachstumsraten auf. Die Gründungsdaten der großen chemischen Werke (z.B. Hoechst, .Bayer, BASF) lagen in den 60er Jahren59 . Die Betriebsgrößen in Industrie und Handwerk lagen selbst um die Jahrhundertwende noch für ca. 90 % aller Betriebe bei 1 bis 5 Arbeitern6O . Dies zeigt, daß in den 60er Jahren Großbetriebe und damit auch große technische Anlagen im modernen Sinne noch die Ausnahme waren. Es ist daher zu vermuten, daß die gesetzlichen Regelungen dazu dienen sollten, eine industrielle Entwicklung zu fördern, die insbesondere in England schon ein wesentlich fortgeschritteneres Stadium erreicht hatte und durch den in Gesellschaft und Wirtschaftspolitik vorherrschenden Liberalismus propagiert wurde. Der neugegründete Norddeutsche Bund war überdies an einer unter die Bundeskompetenzen fallenden, einheitlichen Gewerbegesetzgebung interessiert, um sich im Inoern zu konsolidieren und über die Wirtschaftskraft an Attraktivität für die süddeutschen Staaten zu gewinnen61 . Diese zeitgeschichtlichen Einflüsse, die untereinander wiederum zwangsweise interdependent sind, kommen sowohl in der Normierung selbst, als auch in den Diskussionen und Motiven zur Gewerbeordnung zum Ausdruck, wenn auch selten explizit. Ausdruck des Förderungsgedankens und der herrschenden liberalen Auffassung war einmal die gesicherte Rechtsstellung, die dem Betreiber einer Anlage mit der Genehmigung eingeräumt wurde. Die rechtliche Bedeutung dieser Stellung war immens und, wie sich schon sehr bald zeigte, nicht auf die praktischen Erfordernisse zugeschnitten. In dieselbe Richtung zielte die protektionistische Haltung gegenüber mittleren und kleineren Be57

Vgl. die Angaben in Borchardt, HBdWG, S. 210 ff und Fischer, HBdWG, S. 527 - 529.

58 Zu Zahlen siehe Fischer, HBdWG, S. 548 ff. 59 Vgl. dazu insgesamt Fischer, HBdWG, S. 552 f, Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte

S.26O. 60

V gl. zu den Zahlen und der Bewertung ihrer Aussagekraft Fischer, HBdWG, S. 532 f.

61 Vgl. dazu Schieder, Deutscher Bund, S. 176 ff, insbes. S. In f, 180 f, 188.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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trieben, die ohne sachliche Rechtfertigung vom Genehmigungserfordernis ausgenommen werden sollten und teilweise auch ausgenommen wurden. Auch die Betonung der Bedeutung des Eigentums gegenüber "umweltschutzrechtlichen Ansätzen" ist letztlich Ausdruck dieser Zeitströmungen. Eine typisch liberale Position wurde zudem in der Durchsetzung der engen Sichtweise der gewerberechtlichen Regelungen verwirklicht, die "progressivere" Haltungen auf die Plätze verwies. Insgesamt gesehen konnten sich die vor der sich anbahnenden Entwicklung warnenden Stimmen nicht durchsetzen. Die Bedenken und Proteste der Teile der Bevölkerung, die sich von den Emissionen der Anlagen gefährdet oder belästigt fühlten, waren jedenfalls nicht gewichtig genug, um in die Normierung selbst oder die Diskussionen dazu Eingang zu finden, sieht man einmal von der Möglichkeit des § 51 GewO ab. Das dürfte auch damit zusammenhängen, daß bis 1869 das Problem des Bevölkerungswachstums zusammen mit der steigenden Verstädterung zwar gesehen wurde, aber noch nicht als "Die soziale Frage" wie nachfolgend im 19. Jahrhundert eingestuft wurde. B. Die Hinzuftigungen zum Verzeichnis des § 16 GewO von 1869 bis 1899

Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 war eine Gewerbeordnung für diesen neuen Regelungsbereich erforderlich geworden. Sie wurde durch eine Erweiterung des bisherigen Geltungsbereiches der Gewerbeordnung bereitgestellt. Mit Änderungen in den Normgehalten war dies nicht verbunden62 .

I. Zielsetzungen und Hintergründe der Nonnierung 1. Die Änderungen im einzelnen Bis 1913 änderte sich in den untersuchten Teilen des Anlagengenehmigungsverfahrens nur das Verzeichnis nach § 16 GewO, das heißt, daß mehr Betriebe als solche eingestuft wurden, die wegen der möglichen Herbeiführung von "erheblichen Nachtheilen, Gefahren oder Belästigungen" für die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke oder für das Publikum überhaupt einer Konzession bedurften (§ 16 GewO). Bei seinem Erlaß 62

Vgi. RGBl. 1872 S. 170.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

hatte das Verzeichnis des § 16 GewO noch ungefähr 30 Anlagen oder Anlagengruppen beinhaltet63, zur Jahrhundertwende waren es bereits ca. 50. Die Ergänzungen erstreckten sich auf den Zeitraum zwischen 1869 und 1899, danach wurden keine Veränderungen mehr vorgenommen64 . Überwiegend handelte es sich bei den Hinzufügungen um chemische Fabriken im weiteren Sinne, an zweiter Stelle standen die Metallgewinnung und -verarbeitung. Demgegenüber war die Zahl der neu aufgenommenen Anlagen, soweit sie die Nahrungsmittel- oder Textilindustrie betrafen, gering. Einige Anlagenarten hatten die Erzeugung tierischer Produkte zu anderen Zwekken als der Nahrungsmittelgewinnung zum Gegenstand. Die Mehrzahl dieser Änderungen wurde vom Bundesrat beschlossen und anschließend vom Reichstag genehmigt. Die Begründungen des Bundesrates für die hinzufügenden Beschlüsse, die sogenannten "Denkschriften", beschränkten sich zumeist auf eine Spezifizierung der Gefahren, die zur Aufnahme der jeweiligen Anlagenart führten 65 • In einigen Fällen waren in der Praxis Zweifel bezüglich der Genehmigungspflicht und eine daraus resultierende, unterschiedliche Verwaltungspraxis der Grund für die klarstellende Aufnahme im Wege des formellen Gesetzes66 . Manche der Denkschriften begründeten die Aufnahme darüber hinaus mit der Gleichartigkeit der neu aufgenommenen mit im Verzeichnis bereits enthaltenen Anlagenarten67 und mit den Vorteilen, die durch die klare gesetzliche Regelung auch für die Unternehmer selbst bestanden68 . 63 Eine genaue Anzahl ist deshalb schwer festzulegen, weil es darauf ankommt, wie die Anlagen zusammengefaßt werden. Die ungefähre Zahl von 30 orientiert sich an den Kommentierungen zur GewO und an den Technischen Anleitungen. 64 Vgl. zu der nicht durchsetzbaren Änderung der "Kalk-, Ziegel- und Gipsöfen" unten zu 1. am Ende. 65 Sten.Ber/II Anlagen, Drucksache Nr. 26 (13.2.1874), Sten.Ber/V Anlagen, Drucksache Nr. 118 (12.1.1883) (Kunstwollefabriken), Sten.BerjVI Anlagen, Drucksache Nr. 16 (27.11.1886), Sten.Ber/VII Anlagen, Drucksache Nr.21 (22.11.1888), Sten.Ber/IX Anlagen, Drucksache Nr. 409 (10.11.1899). 66 Sten.Ber/VI Anlagen, Drucksache Nr. 251 (10.3.1885), Sten.BerjVI Anlagen, Drucksache Nr. 169 (23.2.1886), Sten.Ber/X Anlagen, Drucksache Nr. 105 (29.12.1900). 67 Sten.Ber/IV Anlagen, Drucksache Nr.55 (15.12.1881), Sten.BerfV Anlagen, Drucksache Nr. 118 (12.1.1883) (Celluloid), Sten.Ber/VI Anlagen, Drucksache Nr.24 (22.11.1884), Sten.BerfVI Anlagen, Drucksache Nr. 251 (10.3.1885), Sten.Ber/II Anlagen, Drucksache Nr. 169 (23.2.1886). 68 Sten.Ber/IV Anlagen, Drucksache Nr.55 (15.12.1881), Sten.Ber/IX Anlagen, Drucksache Nr. 135 (21.2.1898).

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Oesetzes

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Der Reichstag genehmigte die meisten Hinzufügungen ohne weitere Diskussion69 . Bei manchen bestand die Erörterung nur in einer technischen Anfrage70 . Lediglich bei einer kleinen Zahl von Hinzufügungen wurden im Reichstag Auseinandersetzungen geführt. Anläßlich der Aufnahme von "Hopfenschwefeldörren, Asphaltkochereien, soweit sie außerhalb des Gewinnungsortes des Materials errichtet werden, Strohpapierstoffabriken, Darmzubereitungsanstalten, Fabriken, in denen Dampfkessel oder andere Blechgefäße zum Vernieten hergestellt werden" übte der Abgeordnete Reichensperger71 grundsätzliche Kritik an der Gesetzgebungstechnik. Er war der Meinung, daß sich die Materie des Anlagenverzeichnisses nicht für die Regelung in Gesetzesform eigne. Das einzuhaltende Verfahren beim Gesetzeserlaß sei zu umständlich und zu langsam, um mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten. Auf diese Art und Weise sei weder der Industrie, noch der Bevölkerung gedient. Eine Ungleichbehandlung sah der Abgeordnete überdies darin, daß die die Definition des § 16 Abs. 1 GewO erfüllenden, aber noch nicht in das Verzeichnis 69 So z.B. die Aufnahme von Kalifabriken und Anstalten zum Imprägnieren von Holz mit erhitzten Teerölen, Bek. v. 31.1.1882, ROBI. S. 10 (das Bekanntmachungsdatum bezieht sich jeweils auf den Beschluß des Reichstages, vorgenommen wurden die Bekanntmachungen vom Reichskanzler), Anlagen zur Destillation oder zur Verarbeitung von Teer und von Teerwasser, Bek. v. 24.4.1885, ROBI. S. 92, Anlagen, in welchen Albuminpapier hergestellt wird, Bek. v.5.1.1887, ROBI. S.4, Anlagen zur Herstellung von Oußstahlkugeln mittels Kugelschrotmühlen (Kugelfräsmaschinen), Bek. v.5.4.1898, ROBI. S. 161, Anlagen zur Herstellung von Zündschnüren und von elektrischen Zündern, Bek, v. 28.12.1899, ROBI. S. 727. Der Präsident des Reichskanzleramtes und Staatsminister Delbrück sah einen einfachen Beschluß ohne Diskussion als den von der Oewerbeordnung intendierten Zustand an, vgl. Sten.Ber. 11/9 20.2.1874, S. 148. 70 So bei der Hinzufügung der Kunstwollefabriken und der Anlagen zur Herstellung von Celluloid sowie der Degrasfabriken Bek. v. 12.7. und 23.12.1882, ROBI. S. 123 und 141, Fabriken, in welchen Röhren aus Blech durch Vernieten hergestellt werden, sowie der Anlagen zur Erbauung eiserner Schiffe, zur Herstellung eiserner Brücken oder sonstiger eiserner Baukonstruktionen, Bek. v. 4.1.1885, ROBI. S. 2, Anstalten zum Trocknen und Einsalzen ungegerbter Tierfelle sowie der Verbleiungs-, Verzinnungs-, und Verzinkungsanstalten, Bek. v. 2.1.1889, ROBI. S. 1. Bei den Anlagen, in welchen aus Holz oder ähnlichem Fasermaterial auf chemischem Wege Papierstoff hergestellt wird (Zellulosefabriken), Bek. v. 1.4.1886, ROBI. S. 68, bezog sich die Anfrage eines einzelnen Abgeordneten lediglich auf einen zu regelnden Einzelfall in Preußen, vgl. Sten.Ber. VI/57 3.3.1886, S. 1278 (Rickert). 71 August Reichensperger wurde 1808 geboren und starb 1895. Nach dem Studium der Rechte begann der kunsthistorisch interessierte Reichensperger zuerst eine Karriere als Jurist im Staatsdienst, erst ab 1848 war er als Abgeordneter des Landkreises Bernkastel in der preußischen Nationalversammlung politisch aktiv. AIs inzwischen überzeugter Katholik hatte er 1870 maßgeblichen Anteil an der Oründung der Zentrumspartei und setzte sich vor allem für die Belange der Kirche ein, so z.B. auch im folgenden "Kulturkampf". Vgl. zum Leben und Wirken August Reichenspergers Schmidt, A. Reichensperger, S. 24 ff.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

aufgenommenen Betriebsarten ihre Anlieger noch belästigen dürften, die bereits aufgenommenen aber nicht mehr. Zur Abhilfe schlug Reichensperger die Bildung mehrerer, z.B. auf der Ebene der Regierungsbezirke angesiedelten Kommissionen vor, die mit den verschiedenen Interessengruppen zu besetzen wären und denen im Einzelfall die Entscheidung obläge, ob eine Genehmigungspflicht nach § 16 GewO bestünde72 . Dem trat Delbrück mit der Erwiderung entgegen, daß eine solche Regelung zu interlokalen Ungleichbehandlungen führe und damit die Konkurrenzverhältnisse in der Industrie verschiebe 73 . Daß der vorgeschlagene Ausweg der lokalen Kommissionen kein gangbarer war, ist aufgrund der Argumente des Abgeordneten Delbrück nachvollziehbar. Interessanterweise sprach Delbrück auch schon das Problem der Entscheidung durch Organe gesellschaftlich-pluralistischer Repräsentanz an. Er hielt es für unmöglich, daß diese Organe auch bei noch so sorgfältiger Auswahl gleich gelagerte Fälle immer gleich entscheiden würden74. Die Ungleichbehandlung wäre so wohl lokal krasser ausgefallen, als sie es durch die Zeitverschiebung wegen der erforderlichen formellgesetzlichen Regelung tat. Ebenfalls kritisch zur Regelung der genehmigungspflichtigen Anlagen durch ein detailliertes Verzeichnis äußerte sich 1901 der Abgeordnete Hoffmeister anläßlich einer Änderung des Verzeichnisses auf dem Gebiet der Kalk-, Ziegel- und Gipsöfen. Er war der Ansicht, daß zumindest ein juristischer Laie sich durch die Aufzählung nicht mehr durchfinden könne und plädierte daher für eine "einfachere Bezeichnung ... welche die Begriffe, was genehmigungspflichtig ist, in kurze Worte faßt, ohne diese unendliche Reihe von Einzelbetrieben aufzuführen,,75. Eine Übereinstimmung der verschiedenen Kritiker war folglich zumindest insoweit gegeben, als sie alle der Meinung waren, ein ausführliches Verzeichnis im Gesetz selbst eigne sich nicht als Regelungsform. 72 Sten.Ber. 11/920.2.1874, S. 147 f. 73 Sten.Ber. 11/920.2.1874, S. 148. 74 Sten.Ber. 11/920.2.1874, S. 148. 75 Sten.Ber. X/64 8.3.1901, S. Inl, zum vorher Angeführten S. 1772. Ähnliche Ansichten waren bereits bei der Diskussion der Gewerbeordnung 1869 geäußert worden, vgl. oben A. III. 3.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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Der am heftigsten umstrittene Änderungsvorschlag, der sich im Endeffekt auch nicht durchsetzen ließ, war das Ersetzen der Worte "Kalk-, Ziegel- und Gipsöfen" durch "Anlagen zur Herstellung von Zement, gebranntem Kalk, entwässertem Gips, von Ziegelsteinen und anderen gebrannten Tonwaren,,76. Hier sahen eine ganze Reihe von Abgeordneten die Interessen von klein- und mittelständischen Handwerkern gefährdet77, obwohl sich die Änderung nur auf neu zu errichtende Betriebe beziehen sollte78 . Sie forderten daher - was bei den anderen Betrieben nicht der Fall gewesen war - eine Differenzierung zwischen großen Industriebetrieben und handwerklichen Kleinbetrieben79 . Es wurde versucht, die Unterscheidung dadurch zu rechtfertigen, daß die von den handwerklichen Betrieben ausgehenden Emissionen wesentlich weniger belästigend seien, als die der Großunternehmen80 . Diese Argumentation war aber wohl nur die Antwort auf die Behauptung des Gegenteils durch den Kommissar des Bundesraths Werner. ("Der Grund für die Einbeziehung liegt darin, daß diese kleinen Betriebe in der Regel wegen ihrer mangelhaften Einrichtungen und ihres unentwickelten Verfahrens viel erheblichere Belästigungen verursachen als ordnungsmäßige größere Fabriken.,,)81 Dem Bundesrat wurden in diesem Zusammenhang mangelnde Sachkenntnis und Informationsdefizite vorgeworfen82 . Die vordergründigen Gefechte dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Argumente der Mitglieder des Reichstags im Grunde genommen rein protektionistischer Art waren. Ein Großteil der Redner äußerte sich dahingehend, daß dem Handwerk ein solcher Schlag nicht zugefügt werden könne. In der Äußerung des Abgeordneten Hoffmeister dürfte zumindest eines der Motive für diesen Protektionismus deutlich werden: "(diese allgemeinen Bestimmungen) ... erschweren dem Kleinbetrieb, dem Mittelstande, das Leben, und wenn der Mittelstand in Noth kommt, ruft er nach Staatshilfe und will unterstützt sein.,,83 Der Reichstag nahm folglich lieber Abstri76 Aufgehoben durch Beschluß des Bundesrathes, Bek. v. 15.7.1901, RGB\. S. 267. 77 Sten.Ber. X/51 19.2.1901, S. 1429 f, S. 1431 (Gamp), S. 1430, Sten.Ber X/64 8.3.1901, S. 1771 f (Hoffmeister), S. 1772 (Cahensly). 78 Sten.Ber. X/5119.2.1901, S. 1430 f, (Kommissar des Bundesraths Wemer). 79 Vgl. z.B. Sten.Ber. X/5119.2.1901, S. 1430 (Hoffmeister). S. 1431 (Gamp). 80 Sten.Ber. X/5119.2.1901, S. 1771 (Hoffmeister). 81 Sten.Ber. X/51 19.2.1901, S. 1430. 82 Sten.Ber. X/64 8.3.1901, S. 1771 (Hoffmeister). 83 Sten.Ber. X/64 8.3.1901, S. 1771. 6 EbingCT

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

che am Schutz der Nachbarschaft in Kauf, als sich den gegen ihn gerichteten Ansprüchen der Handwerker auszusetzen, zumal die Nachbarschaft diese Anlagen offenbar im Vergleich zu anderen als nicht in gleichem Maße belästigend empfand. "Ich will zugeben, daß durch die Gase und den Rauch, die sich in diesen Oefen entwickeln, eine gewisse Belästigung für die Nachbarschaft entsteht. Aber das ist schon Jahrzehnte oder vielleicht seit einem Jahrhundert der Fall gewesen, ohne daß besondere Klagen zu Tage getreten wären ... ,,84. Der Aufnahmebeschluß des Bundesrates wurde vom Reichstag nicht genehmigt und daher durch den Bundesrat wieder aufgehoben85 . 2. Zusammenfassung Die sicherheitsrechtliche (gefahrenabwehrende) Auffassung vom Genehmigungserfordernis in der Gewerbeordnung hatte bis 1913 noch keinerlei Änderungen erfahren. Die Vorschriften beschränkten sich immer noch auf die Abwehr akut auftretender Mißstände86 . Der Anwendungsbereich wurde zwar einerseits durch die Aufnahme weiterer Anlagearten in das Verzeichnis ausgedehnt, andererseits waren aber gewisse Einschränkungsbestrebungen zu verzeichnen. Hätten sich diese, was nicht der Fall war, insgesamt durchgesetzt, wäre eine ganze Reihe kleinerer Betriebe nicht mehr unter die §§ 16 ff GewO gefallen, obwohl sie vom Wortlaut der Vorschriften klar erfaßt wurden. Es wäre eine teleologische Reduktion auf "Anlagen im Sinne der §§ 16 ff GewO sind nur Großanlagen" vorgenommen worden. Statt dessen äußerten sich die Ein-schränkungsbestrebungen in der Nichtaufnahme zusätzlicher Betriebsarten in das Verzeichnis. Die Regelungstechnik war noch genau dieselbe wie 1869 bei Erlaß der Gewerbeordnung. Sie sah sich allerdings verstärkten Angriffen ausgesetzt, die deutlich machen, daß die Probleme des unbestimmten Rechtsbegriffes über einer langen Zeitspanne hinweg dieselben geblieben sind. Der unbestimmte Rechtsbegriff selbst ist nicht operationalisierbar, aber einfach und übersichtlich in der sprachlichen Fassung; eine Auflösung in Einzelbegriffe 84 Sten.Ber. X/64 8.3.1901, S. 1772 (Cahensly). 85 Bek. v. 15.7.1901, RGBI. S. 267. 86 Vgl. Karl, Deutsches Immissionsschutzrecht, S. 22.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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ist zwar anwenderfreundlich87, aber als Norm vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Industrialisierung nicht in ausreichendem Maße anpassungsfähig. Dieses Spannungsverhältnis, das in den Diskussionen beim Erlaß der Gewerbeordnung 1869 bereits von einigen Abgeordneten, wenn auch ohne es auf den Punkt zu bringen, erwähnt wurde88, trat offenbar mit dem Fortschreiten der Industrialisierung deutlicher zutage. Eine Übereinstimmung bestand bei den Kritikern dahingehend, daß sich ein ausführliches Verzeichnis im Gesetz selbst als Regelungsform nicht eigne. II. Zusammenhänge zwischen der Nonnienmg und dem

zeitgeschichtlichen Hintergrund

Anfangs des 20. Jahrhunderts war die Industrialisierung wesentlich vorangeschritten und hatte eine neue Ausbauphase erreicht. Dies zeigt sich unter anderem daran, daß der Anteil des sekundären Sektors am Nettoinlandsprodukt den des primären Sektors bereits vor der Jahrhundertwende überstieg, (bezogen auf die Beschäftigungsstruktur war dies allerdings erst um 1905 der Fall), der des tertiären Sektors wuchs langsamer, aber stetig. Die metallverarbeitende Industrie und mit ihr die Eisenerzförderung und die Roheisenerzeugung hatten besonders hohe Wachstumsraten zu verzeichnen und waren 1913 der größte Industriezweig geworden. Die chemische Industrie wuchs zwar in Deutschland nach 1870 nicht verstärkt an, nahm jedoch im internationalen Vergleich weltweit Platz eins vor den USA ein89 . Angesichts dieser Entwicklung könnte man ebenso wesentliche Veränderungen der Normierung des Anlagengenehmigungsverfahrens erwarten. Die §§ 16 ff der GewO spiegelten die rasante industrielle Entwicklung aber nur durch die Zunahme der Anzahl der genehmigungspflichtigen Anlagen wider. Allerdings ist hierbei zu beachten, daß die Aufnahme einer Anlagenart in das Verzeichnis des § 16 GewO immer bedeutete, daß durch den Gesetzgeber angenommen wurde, die Anlagenart könne "erhebliche

87 Die teilweise gegensätzliche Meinung des Abgeordneten Hoffmeister wurde nicht allgemein geteilt und erscheint auch nicht logisch, vgl. z.B. Sten.Ber. X/64 8.3.1901, S.1773 (Gamp). 88 S. oben A. 111. 3. 89 Die Quellen für diese Aussagen sind dieselben wie oben A. IV., Fußnoten 57 ff, auf die deshalb verwiesen werden kann. 6·

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen" für die Nachbarn oder das Publikum hervorrufen. Im entscheidenden Gesetzgebungsorgan, dem Reichstag, hatten nach der Reichsgründung die (wirtschafts-) liberalen Kräfte zunächst noch die Oberhand90 . Erst nach den Wahlen im Jahre 1878 waren die Protektionisten in der Überzahl91 , wobei sich die wirtschaftspolitischen Einstellungen nicht immer an der Partei- oder Fraktionsgrenze trennten. Auch durch spätere Wahlen kam es nicht zu einem Wiedererstarken der Liberalen; insbesondere konnte die Nationalliberale Partei ihren Verlust an Einfluß nicht mehr wettmachen92 • Den Verlusten der Liberalen standen in den Jahren bis ca. 1890 Gewinne der Konservativen und des Zentrums, weniger der Sozialdemokraten gegenüber. Parallel zur Änderung der Mehrheitsverhältnisse hatte sich auch die Einstellung der Gesellschaft zum Wirtschaftsliberalismus geändert. Daß der Wirtschaftsliberalismus nicht das hielt, was er in der Theorie zu versprechen schien, hatte sich bereits in den Jahren vor 1871 herausgestellt. Mitte des 19. Jahrhunderts entstand daher als Gegenbewegung einmal der Sozialismus (Marxismus)93. Die Sozialisten forderten die Verwirklichung von Gleichheit, Gerechtigkeit (Emanzipation) und Solidarität, und zwar auf der Grundlage von gemeinem Eigentum und gemeinwirtschaftlichen Strukturen. Der repressive Staat existierte nach diesem Konzept nicht mehr94 . Auf der anderen Seite verstärkten sich - von denselben Faktoren hervorgerufen, aber als Kritik am Liberalismus in eine gänzlich andere Richtung gehend - die konservativen Strömungen, die sich vor allem gegen die Gewerbefreiheit95 und politische Liberalisierung richteten, aber auch als allgemeine Weltanschauung wirksam wurden96 • Auch Schichten, die vorher 90

91

Vgl. zu den Wahlergebnissen im einzelnen Milatz, Wahlrecht, S. 38 - 42.

Vgl. Huber IV, S. 1047. 92 Vgl. zur Entwicklung der Nationalliberalen Partei Huber IV, S. 65 ff.

93 Vgl. Schnabel, Neueste Zeit, S. 113 ff. 94 Vgl. Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte, S. 176 ff, Schremmer, HBdWG, S. 140 f und ins-

gesamt Evangelisches Staatslexikon "Sozialismus" (Glotz) unter I, zu den verschiedenen Staatsauffassungen innerhalb der Sozialisten/Sozialdemokraten s. Conze, DVG 11, S. 49 ff.

95 Vgl. z.B. Bechtel, Wirtschaftsgeschichte, S. 338 f, Landmann/Rohmer (Kahl), GewO, Einl. RN 15. 96 Vgl. Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte, S. 174.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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Träger des Liberalismus gewesen waren, wandten sich in den 70er Jahren von ihm ab97 . Die neue Wirtschaftstheorie ging bei der grundsätzlich anerkannten Wirtschaftsfreiheit von der Kompetenz des Staates aus, durch administrative und gesetzgeberische Maßnahmen ordnend, fördernd und lenkend in die wirtschaftliche Entwicklung einzugreifen98,99. Die am Wirtschaftsleben beteiligten Interessengruppen verzichteten überdies von sich aus auf völlige Wettbewerbsfreiheit, ohne durch staatliche Vorgaben dazu gezwungen zu sein 1OO • Da die Aufnahme weiterer Anlagenarten im Reichstag in keinem Fall kontrovers behandelt wurde, kann aus dem Zusammenhang mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund zum einen gefolgert werden, daß die Abgeordneten die Notwendigkeit der Aufnahme dieser Anlagenarten unter den Vorzeichen der stetigen technischen Entwicklung und der zunehmenden Belästigung der Bevölkerung durch Emissionen einsahen. Ein direkter Nachweis dafür ist der. Diskussionen zwar nicht zu entnehmen 101, dafür gingen der Bundesrat in den Begründungen für die Erweiterungsbeschlüsse 102 und die Verwaltung in abstrakt-generellen Regelungen mehrfach auf das Belästigungen hervorrufende Zusammenspiel zwischen vermehrter industrieller Tätigkeit und Bevölkerungszunahme in den Städten ein 103. Zum anderen läßt 97

Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte, S. 172 f, Huber IV, S. 982.

98 Huber IV, S. 986. 99 Eine erste praktische Manifestation erlebte die neue Auffassung in der Einführung von Schutzzöllen im Jahre 1879; daher wurde diese Strömung auch "Neo-Merkantilismus" genannt (vgl. z.B. Lütge, Wirtschaftsgeschichte, S. 507, Pohl, DVG 111, S. 25, Stolper, Deutsche Wirtschaft, S. 41 - 43, zur Kritik am Begriff Henning, Industrialisierung, S. 217).

100 Vgl. zu Kartellen und Preisabsprachen Bechlel, Wirtschaftsgeschichte, S.379, Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte, S. 214, Tilly, HBdWG, S. 585 f; zu Interessenverbänden in Industrie und Gewerbe Huber IV, S. 995 ff, zur Entwicklung der Gewerkschaften im Überblick Henning, Industrialisierung, S. 200 - 202, insgesamt zusammenfassend Pohl, DVG 111, S. 61 -

65.

101 Nach Noll, Gesetzgebungslehre, S. SO, wird bei der Problemdefinition ein allgemein als solcher empfundener Mißstand typischerweise nicht mehr näher beschrieben, weil es einer solchen Beschreibung nicht bedarf. 102 Vgl. z.B. die sog. "Denkschriften" Sten.Ber/IV Anlagen, Drucksache Nr. 55 (15.12.1881), Sten.BerfVI Anlagen, Drucksache Nr. 16 (27.11.1886). 103 Die Entwicklungsphase von 1871 - 1913 wurde durch ein starkes Bevölkerungswachstum von 63 % charakterisiert; 1913 gab es 67,1 Mill. Deutsche, Kellenbenz, WirtSChaftsgeschichte, S. 201, Pohl, DVG 111, S. 18. Im gleichen Zeitraum war auch der Prozeß der Urbanisierung weit fortgeschritten. 1871 hatten noch 63,9 % der Bevölkerung in ländlichen Gemeinden unter 20.000 Einwohnern gelebt und nur 4,8 % in Großstädten über 100.000 Einwohnern, 1910 lebten bereits 21,3 % in Großstädten und nur noch 40 % in ländlichen Gemeinden,

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

sich vermuten, daß die Abgeordneten mit der technischen Beurteilung und daher letztlich auch mit der Subsumtion der "erheblichen Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen" technisch überfordert waren und insoweit auf die unterbreiteten Vorschläge vertrauen mußten. Dafür sprechen die relativ häufigen technischen Anfragen der Abgeordneten. Einen deutlichen Niederschlag im Normierungsverfahren und auch in dessen Ergebnis fanden die aufgezeigten protektionistischen Tendenzen. Die Verhinderung der Neufassung der "KaIk-, Ziegel- und Gipsöfen" war, wie nachgewiesen, auf den Protektionismus gegenüber dem von Existenzsorgen bedrohten Handwerk zurückzuführen104. Die tatsächlichen Entwicklungen der untersuchten Periode waren zudem maßgeblich durch konjunkturelle Schwankungen geprägt. Während in den Jahren bis 1870 das Wirtschaftswachstum mehr oder weniger konstant zugenommen hatte 105 , waren in den Jahren bis 1913 Schwankungen zu verzeichnen. Nach der sogenannten "Gründerkrise" (Ende 1873 - 1880) war die Zeit bis 1895 von sich abwechselnden leichten Aufschwung- und Stagnationsphasen gekennzeichnet 106, erst danach war wieder ein konstantes Wirtschaftswachstum festzustellen 107. Diese konjunkturellen Schwankungen hatten auf die Normierung und ihr Verfahren offensichtlich selbst bei Ider Aufnahme neuer Anlagenarten keinerlei Einfluß. Sie konnten sich somit allenfalls auf untergesetzlicher Ebene auswirken. Für die formellgesetzliche Ebene steht zu vermuten, daß zwar die wirtschaftspolitischen, nicht aber die konjunkturellen Hintergründe Einfluß hatten.

Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte, S. 203, Lütge, Wirtschaftsgeschichte, S. 506, Pohl, DVG III, S. 20. vgl. auch unten 2. Kap., B. I. 1. a) dd) am Ende.

104 Das im Zusammenhang mit der industriellen Revolution öfters geäußerte Pauschalurteil. die Industrialisierung habe das Handwerk verdrängt, trifft zwar auf einige Zweige (z.B. die Spinner und Weber, Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte, S. 272, Pohl, DVG III, S. 35), nicht aber auf das Handwerk als ganzes betrachtet zu, vgl. zu Entwicklungszahlen bzgl. der selbständigen Handwerker Fischer, HBdWG, S. 558 f, zu Betriebsgrößeneinheiten Pohl, DVG III, S. 35. Fischer. HBdWG, S. 558 - 561. Die Stimmen, die den Untergang des Handwerks ankündigten (vgl. z.B. Becluel, S. 386 f), irrten zwar inhaltlich, wurden aber trotzdem gehört. 105 Vgl. Pohl, DVG 111, S. 23. 106 Vgl. zu dieser Zeitspanne auch Henning, Industrialisierung, S. 209 - 213. 107 Die Einteilung in einzelne Phasen folgt den Angaben von Bechtel, Wirtschaftsgeschichte, S. 379 und Pohl, DVG 111, S. 22 f.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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Während die inhaltliche Ausgestaltung des Anlagengenehmigungsverfahrens mit der Neuaufnahme zahlreicher Anlagenarten immerhin noch eine Auswirkung der tatsächlichen Entwicklung enthielt, ergaben sich keinerlei Änderungen in der Rechtssystematik der Vorschriften der §§ 16 ff Gew0 108 . Das muß aber nicht bedeuten, daß die Art der Regelung durch unbestimmten Rechtsbegriff keinen Anfechtungen unterworfen war. Äußerungen darüber gab es sowohl bei Erlaß der Gewerbeordnung, als auch im vorliegenden Zeitraum. Als ein neu auftauchender Vorschlag zur Lösung der mit der Anwendung des Rechtsbegriffes im Einzelfall verbundenen Schwierigkeiten kamen hier die gesellschaftlich-pluralistischen Entscheidungsorgane hinzu109. Dieser Vorschlag kann insofern als Ausfluß der vorherrschenden Strömungen gewertet werden, als damit sowohl den zunehmenden Belangen der Industrie aufgrund der raschen technischen Entwicklung, als auch dem Schutz emer zunehmend belästigten Bevölkerung Rechnung getragen werden sollte. Die Ablehnung des Vorschlags basierte zum einen wohl darauf, daß das noch relativ "frisch vereinte" Deutsche Reich es nicht riskieren konnte, durch wirtschaftlich unterschiedliche Bedingungen Auseinanderentwicklungstendenzen Vorschub zu leisten. Zum anderen war die Vereinheitlichung des Rechtszustandes explizites Motiv bei der Schaffung der Gewerbeordnung gewesen und konnte von der Mehrheit nicht einfach aufgegeben werden.

c. Die Änderungen der §§ 16 ff GewO 1937 und 1939 Angesichts des erhöhten Rüstungsbedarfes in den Kriegs- und Vorkriegszeiten, dessen Deckung die Produktion von Rüstungsgütern und damit zwangsweise Anlagen im Sinne der §§ 16 ff GewO voraussetzte, hätte man an sich annehmen können, daß dies einen Niederschlag in Normierungen der gesetzgebenden Organe oder zumindest der Verwaltung hatte. Dies ist aber nicht nachweisbar. Nur die Verordnung zur Vereinfachung des Genehmigungsverfahrens weist in diese Richtung. Sie erging allerdings erst 108 Noll, Gesetzgebungslehre, S. 83 postuliert, daß "nach dem Prinzip der Gesetzgebungsökonomie ... der bestehenden Ordnung von vornherein ein gewisser Wertungsvorsprung eingeräumt werden (muß)." 109 Aus heutiger Sicht ist außerdem festzustellen, daß bei der Entscheidung durch ein solches Organ eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung der Entscheidung ausgeschlossen ist, vgl. oben 1. Teil, 1. Kap. C. IV. 2. Für die damalige Argumentation spielte dies mit Sicherheit jedoch keine Rolle.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

1944, also erst "in letzter Stunde" und betraf ihrem Wortlaut nach auch nur das Verfahren. Da es unwahrscheinlich ist, daß während der Kriege die Genehmigungen für Anlagen unter Einhaltung derselben Voraussetzungen wie in Friedenszeiten erteilt wurden, steht zu vermuten, daß entweder Genehmigungen für Rüstungsbetriebe ohne viel Federlesens auch bezüglich der materiellen Voraussetzungen erteilt wurden, oder ohne Genehmigung errichtet oder die Betriebe in solche umgeändert wurden. Die wenigen Änderungen, die in der Zeitspanne von 1900 bis 1945 vorgenommen wurden, betrafen weniger die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen, als vielmehr Formalia und Verfahren l1O . Die Verordnung zur Abänderung der §§ 24, 25 und 147 GewO vom 30.8.37111 hatte nur in geringem Umfang Auswirkungen auf materielle Genehmigungsvoraussetzungen. Da sich die Verordnung jedoch auf die Teilfrage der Erfassung nichtgewerblichen Zwecken dienender Anlagen beschränkte, wird sie in Zusammenhang mit diesem Fragenkomplex, vgl. unten Kap. 2, A. 11. behandelt. Auch die Ersetzung der "Abdeckereien" durch die "Tierkörperbeseitigungsanstalten" mit dem dazu gehörenden Gesetz112 beschränkte sich auf einen Teilaspekt. Die Tierkörperbeseitigungsanstalten wurden dadurch vom Geltungsbereich der §§ 16 ff GewO nicht ausgenommen, es bestanden jedoch eigene Vorschriften über die Bedingungen der Genehmigungserteilung. Da diese zu den abstrakt-generellen konkretisierenden Bestimmungen zählten, wird die Änderung im einzelnen bei diesem Punkt behandelt, vgl. unten Kap. 2, B. I. 2. a).

110 So auch die ·Verordnung zur Vereinfachung des Gewerbepolizeilichen Genehmigungsverfahrens· vom 27.11.1944 die bestimmte, daß kein Verfahren nach den §§ 17 Abs. 2 bis 21 GewO erforderlich war. Da es sich zudem hierbei um eine kriegsbedingte Vorschrift handelte (aufgehoben durch das Gesetz über die Aufhebung kriegsbedingter gewerberechtlicher Vorschriften vom 9.2.1953, BGB!. I S. 19), die einer Sondersituation entsprang, kann sie für die vorliegende Untersuchung außer Betracht bleiben. 111 RGB!. I S. 918. 112 Tierkörperbeseitigungsgesetz vom 1.2.1939, RGB!. I S. 187 ff.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes -

D. Die Anderungen der §§ 16 ft' GeM> 1959

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l. Die Ändenmg der §§ 16 ff GewO durch Einfühnmg

des Wasserhaushaltsgesetzes

Durch Gesetz vom 22.12.1959 wurden aus dem Verzeichnis des § 16 GewO die "Stauanlagen für Wassertriebwerke" mitsamt dem korrespondierenden § 23 Abs. 1 GewO gestrichen. Der Grund dafür lag jedoch nicht darin, daß eine solche Anlage jetzt nicht mehr für potentiell gefährlich gehalten wurde. Vielmehr wurde in der Erkenntnis, daß steigender Wasserverbrauch und steigende Wassernutzung die natürliche Ressource Wasser immer knapper werden ließen, (verstärkt wurde dieser Eindruck offenbar durch mehrere Trockenjahre), der Erlaß eines Gesetzes zur "wirtschaftlichen Ordnung der ober- und unterirdischen Gewässer des gesamten Bundesgebietes nach Menge und Beschaffenheit" als notwendig angesehen. Es sollten gleichzeitig die in den einzelnen Ländern bestehenden, sehr unterschiedlichen Rechtszustände vereinheitlicht werden 114. Diese umfassende Zielsetzung, die durch das Wasserhaushaltsgesetz verwirklicht wurde, erforderte eine Angleichung anderer Vorschriften, die bisherige Teilregelungen des nunmehr bestehenden, neuen Gesetzes enthielten. Daher war auch für Stauanlagen von Wassertriebwerken eine Erlaubnis oder Bewilligung nach dem neuen Gesetz vonnöten; dafür entfiel die gewerberechtliche Genehmigung. Der korrespondierende § 23 Abs. 1 GewO mußte in Folge gestrichen werden, da er nur zusammen mit dem Genehmigungserfordernis des § 16 GewO für Stauanlagen eine sinnvolle Regelung bildete 1l5 . Damit wurde die alte Streitfrage der Regelung der Gewässerverschmutzung in Zusammenhang mit einem Gewerbebetrieb im "liberalen" (s. oben A. III. 4.) Sinne gelöst. Die Zulässigkeit eines vorliegenden Benutzungstat113 Die vom Gesetz über die Aufhebung kriegsbedingter gewerberechtlicher Vorschriften vorgenommene Änderung bleibt aus den obengenannten Gründen (s. oben c.) außer Betracht. Auch die Änderung des § 25 GewO durch Gesetz vom 29.9.1953 (BGBI. I S. 1459) brachte keine inhaltlichen Differenzen zum bisherigen Rechtszustand nach den §§ 16 ff GewO und wird daher nicht erörtert. 114 So insgesamt der dafür eingesetzte Sonderausschuß in seinem Bericht BT-Drucksache 2/Nr.3536 (1957), S.4, ebenso die Begründung zum Gesetzentwurf BT-Drucksache 2/Nr. 2072, (1956) S. 16. 115 Vgl. den Bericht des Sonderausschusses BT-Drucksache 2/Nr. 3536 (1957). S. 17.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

bestandes war nach einem gesonderten Gesetz zu beurteilen, und nicht nach der Gewerbeordnung. Über die "Richtigkeit" der damaligen Auffassungen ist dadurch aber nicht derart entschieden worden, daß sich die "liberale" Auffassung letztlich als die "richtige" erwiesen hätte. Zum damaligen Zeitpunkt waren die gesetzlichen Grundlagen außerhalb der Gewerbeordnung spärlich und undeutlich 116 gewesen - so daß der Einbeziehungswunsch einiger Abgeordneter verständlich war - während nun durch das neue Gesetz effektive Prüfungsverfahren geschaffen wurden. Grundlegende Bedeutung hatte aber nur die zweite, Im folgenden zu behandelnde Änderung des Jahres 1959, die von der ersten unabhängig erfolgte. Il. Die Ändenmgen der §§ 16 ff GewO durch Abspaltung des Verzeichnisses des § 16 GewO u.a.

1. Die Änderungen des Gesetzestextes Durch das Gesetz vom 22.12.1959 (BGBL I 1959 S. 781) wurde das Verzeichnis der genehmigungsbedürftigen Anlagen aus dem Gesetz selbst entfernt. Der neue § 16 Abs. 3 GewO legte fest, daß die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die unter § 16 fallenden Anlagen bestimmte. Durch dieselbe Bestimmung wurden der Erlaß von allgemeinen Verwaltungsvorschriften (Technischen Anleitungen) und das Verfahren (ständiger Ausschuß zur Beratung für die Rechtsverordnung und die Technischen Anleitungen) dazu normiert. Der neue § 25 GewO enthielt in seinem 2. Absatz umfangreiche Prüfungsrechte für die Behörden sowie vom Unternehmer durchzuführende Überwachungsmaßnahmen und die jeweilige Kostentragungsregelung. § 25 Abs.3 Gew0 117 der neuen Fassung hob eines der ehemaligen tragenden Prinzipien des Anlagengenehmigungsverfahrens auf: es waren nunmehr auch nachträgliche Anordnungen für ge116 Vgl. die Diskussion in den Sten.Ber. 1/2117.4.1869, S. 439 f,442. 117 "Ergibt sich nach der Genehmigung einer unter § 16 Abs. 1 bis 3 fallenden Anlage, daß die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke oder das Publikum überhaupt vor Gefahren, Nachteilen oder Belästigungen nicht ausreichend geschützt sind, so sollen von der zuständigen Behörde nachträgliche Anordnungen über Anforderungen an die technische Einrichtung und den Betrieb der Anlage getroffen werden. Das gilt auch für die unter § 16 Abs. 4 fallenden Anlagen. Die Anordnungen müssen nach dem jeweiligen Stand der Technik erfüllbar und für Anlagen dieser Art wirtschaftlich vertretbar sein. Sie sollen sich im Rahmen der Grundsätze halten, die in der Technischen Anleitung (§ 16 Abs. 3) niedergelegt sind."

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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nehmigte Anlagen möglich; der Unternehmer hatte folglich mit der Genehmigung keine geschützte Rechtsposition mehr inne. 2. Zielsetzungen und Hintergründe der Normierung Die Novellierung von 1959 brachte eine Reihe wichtiger Änderungen, wenn auch noch im Rahmen der Gewerbeordnung; vom Erlaß eines neuen Spezialgesetzes scheute die Mehrheit offenbar noch zurück 118. Neben dem neuen Rechtsinstitut der allgemeinen Verwaltungsvorschriften (TAs) war die Ermöglichung nachträglicher Anordnungen durch § 25 Abs. 3 GewO neue Fassung von besonderer Bedeutung. Diese Bestimmung war nicht nur auf neu zu genehmigende Anlagen anwendbar, sondern auch auf bereits bestehende. Damit war ein großer Schritt in Richtung auf die Sanierung der Altanlagen getan, und zwar auf Kosten bisher geschützter Rechtspositionen. Das Erfordernis der wirtschaftlichen Vertretbarkeit, gemessen an einem objektiven Maßstab, sollte dabei verhindern, daß zahlreiche Betriebe ruiniert und Arbeitsplätze vernichtet würden, andererseits sollten sogenannte "Grenzkostenbetriebe" nicht generell geschützt werden 119 . Hintergründe und Motive für die Neuregelung lassen sich unter anderem einem Bericht der Bundesregierung zur Verunreinigung der Luft durch Industriebetriebe entnehmen, um den sie der Bundestag (auf Antrag der SPD) ersucht hatte 120. Der Bericht enthielt neben einer Analyse der Ursachen und des Umfanges der Luftverunreinigung auch eine Aufzählung der Folgen. Schäden an Leben und Gesundheit von Mensch und Tier sowie an land- und forstwirtschaft lichen Kulturen und am Gartenanbau wurden im einzelnen erläutert 121 . Auch weitere Schadensfolgen wurden gesehen: 118 Die Begründung zum Gesetzentwurf sagt zu dieser Frage: "Auch die öffentliche Meinung drängt auf eine schnelle Lösung. Nicht nur aus diesem Grunde, sondern auch unter rechtlichen und verwaltungsvereinfachenden Gesichtspunkten soll von einem neuen Spezialgesetz Abstand genommen und der Weg der Anpassung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen an die veränderten Verhältnisse beschritten werden." BT-Drucksache 3/Nr. 301 (1958), S. 3. 119 Vgi. dazu Sten.Ber. 3/89 11.11.1959, S. 4854 f (Dr. Even, CDU/CSU) und zur Problemlage insgesamt auch Westennann, Gesetzliche Maßnahmen, S. 38 ff. 120 BT-Drucksache 2/Nr. 2598 (1953). 121 In diesem Zusammenhang enthält bereits der damalige Bericht die aus heutiger Sicht besonders interessante Feststellung, daß •... schon relativ schwache fortgesetzte Immissionen schädliche Folgen (auf Pflanzen) haben können ... besonders (auf) immergrüne Nadelhölzer .. .". Im Endeffekt könne dies zu wirtschaftlichen Verlusten beim Holzertrag oder sogar zur Vernichtung örtlicher Waldbestände führen, so der Bericht S. 10.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

"Sonstige Schadens- und Belästigungsmöglichkeiten sind in großer Zahl vorhanden.',122 Zur Entstehung dieses Zustandes wies der Bericht "auf die Erschütterungen der letzten 20 Jahre mit dem völligen Zusammenbruch unseres Staatswesens und unserer Wirtschaft" hin. "Dazu kommt die stürmische Aufwärtsentwicklung, die unsere Wirtschaft und Technik in den letzten Jahren erfreulicherweise erfahren haben, mit der aber die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Reinhaltung der Luft nicht Schritt halten konnten. Es mag auch dazu beigetragen haben, daß die Wirtschaft immer mehr gezwungen wird, Rohstoffe zu verarbeiten, die die spezifischen Emissionen erhöhen. Unzweifelhaft haben die bestehenden Gesetze aber auch mit der technischen Entwicklung nicht schrittgehalten, und die Mängel dieser Gesetze werden im Laufe der Zeit immer stärker empfunden.,,123 Die Gesetzgebungsdefizite in der Gewerbeordnung, die der Bericht nannte 124, wurden durch das Änderungsgesetz insgesamt behoben. Der Gesetzesentwurf nahm (folgerichtig) in seiner allgemeinen Begründung auf den festgestellten Zustand Bezug: "Die wirtschaftliche, technische und soziale Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat Beeinträchtigungen, Nachteile, Gefahren oder Belästigungen durch Rauch, Ruß, Staub, Dämpfe, Gerüche, Erschütterungen und Geräusche nicht nur für die Nachbarschaft, sondern überhaupt für die Öffentlichkeit in großem Ausmaße mit sich gebracht. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen reichen nicht aus, um diesen wirksam zu begegnen .. .',125. Demgegenüber geben die Debatten im Bundestag über Hintergründe und Motive der Neuregelung nur bedingt Aufschluß. In der Debatte im Plenum ergriffen nur wenige Redner das Wort. Sie gingen zumeist auf den Inhalt des Gesetzes und die es hervorbringende Situation ein l26, ohne daß sich Kontroversen gezeigt hätten. 122 S. 10 des Berichtes. 123 S. 12 des Berichtes. 124 S. 12 des Berichtes (keine Aktualität des Verzeichnisses des § 16 GewO, keine Möglichkeit nachträglicher Auflagen für genehmigte Anlagen, keine technischen Anleitungen für das Genehmigungsverfahren, keine gesetzliche Grundlage für die notwendigen Kontrollmaßnahmen). 125 BT-Drucksache 3/Nr. 301 (1958), S. 3. 126 In den Beratungen zur Änderung der Gewerbeordnung werden in weiten Teilen die Feststellungen des Berichtes (s. vorhergehende Fußnote) wiederholt, vgl. Sten.Ber. 3/89 11.11.1959, S. 4852 - 4858.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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Bemerkenswerterweise geht der Entwurf des mit der Ausarbeitung beauftragten Ausschusses in einigen Punkten wesentlich weiter als der Regierungsentwurfl27. Nach Angaben des Berichterstatters Dr. Even (CDU j CSU) wurden die Beschlüsse zudem fast alle einstimmig gefaßt 128, so daß ein durch die Parteien reichender Konsens festzustellen ist. Dieser wurde auch bei den Beratungen im Bundestag betont l29 . So stellt Z.B. der Abgeordnete Dr. Schmidt (CDUjCSU) fest: "... das heutige Ergebnis ist durch die Gemeinschaftsarbeit aller zustande gekommen. Dabei handelt es sich um ein sehr heißes Eisen. Daß es trotz erheblicher Spannungen und Interessengegensätze gelungen ist, sich auf eine wirkliche Kompromißlösung zu einigen, das ist in der Geschichte dieses Parlaments eine bemerkenswerte Tatsache.,,13O Die Änderung ging allerdings nicht allen Parteien weit genug. Tendenziell waren die Abgeordneten um so eher zu immissionsbeschränkenden Normen bereit, je weniger die Partei, der sie angehörten, wirtschaftsliberalen oder wirtschaftsfreundlichen Programmsätzen verschrieben war. Dem wirtschaftskritischeren Teil der Abgeordneten stand fast ein immissionsschutzrechtliches Gesamtkonzept vor Augen, ähnlich wie bereits 1869, (s. oben A. III. 4. am Ende). So forderte der Abgeordnete Junghans (SPD), daß weitere Maßnahmen in kürzester Frist zu folgen hätten l3l , er nannte hierbei aber als vordringlich solche der Emissionsbeschränkung im Verkehrswesen und der Wohnhausfeuerung. Diesen Erweiterungsbestrebungen wurde - wie schon bei Erlaß der Gewerbeordnung - entgegengehalten, daß die Vorschriften der Gewerbeordnung keine "Magna Charta auf 127 So wurde z.B. der neue § 2S Abs. 3 S. 1 GewO, der nachträgliche Anordnungen für genehmigte Anlagen ermöglichte, von einer Kann- in eine Soll-Bestimmung umgewandelt. In Satz 4 der genannten Vorschrift wurde die Einhaltung des Rahmens der Technischen Anleitungen von einer Muß- in eine Soll-Vorschrift umgewandelt, um im Einzelfall Anordnungen zu ermöglichen, die über den Rahmen der TA hinausgingen, Sten.Ber. 3/89 11.11.1959, S. 4854 f (Dr. Even, CDU/CSU). Vgl. zu den Änderungen insgesamt BT-Drucksache 3/Nr. 1343 (1959), und zur Begründung der Abänderungen Sten.Ber. 3/89 11.11.1959, S. 4853 - 4856 (Dr. Even, CDUjCSU). 128 Sten.Ber. 3/89 11.11.1959, S. 4856. 129 Eine kontroverse Diskussion fand bei den Beratungen nicht statt. Die einzelnen Sprecher gaben sich damit zufrieden, die geleistete Arbeit aus ihrer Sicht zu kommentieren. Ob es sich hierbei um eine Manifestation des festzustellenden Trends der Arbeitsverlagerung vom Plenum in die Ausschüsse handelte, oder nur um einen Ausnahmefall wegen der Übereinstimmung der Parteien in der Sache, kann allerdings nicht mit Sicherheit in der einen oder anderen Richtung entschieden werden. 130 Sten.Ber. 3/8911.11.1959, S. 4858.

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Sten.Ber. 3/89 11.11.1959, S. 4857.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

dem Gebiet der Reinhaltung der Luft" seien132 . Da die Änderungen vor allem nichtgewerbliche Emissionsquellen erfassen sollten, wären sie nach Ansicht der Mehrheit systematisch nicht im Rahmen der Gewerbeordnung zu verwirklichen gewesen, ohne deren Regelungsbereich zu sprengen und die Konzeption der Vorschriften völlig zu verändern; das dafür erforderliche neue Spezialgesetz fand offenbar keine Mehrheit. Zu den Änderungen in der Normierungstechnik finden sich in den Materialien nur wenige Hinweise, obwohl es sich um grundlegende "Umwälzungen" noch dazu auf Kritik "von Alters her" handelte 133. Für die Herausnahme des Verzeichnisses der genehmigungsbedürftigen Anlagen aus § 16 GewO wurden Zweckmäßigkeits- und gesetzestechnische Gründe ohne nähere Spezifikation angeführt. Außerdem sollte eine schnellere Anpassung an die technische Entwicklung gewährleistet werden l34 . Die vorgesehenen Technischen Anleitungen sollten die Gefahr einer ungleichen Behandlung der Betriebe ausschließen 135 und die Anpassung an den neuesten Stand der Technik ohne zeitraubendes Gesetzgebungsverfahren ermöglichen l36 . Die verabschiedete Fassung des § 16 GewO sah im Vergleich zur ursprünglichen Gesetzesvorlage137 vor, daß Rechtsverordnung und TAs nur durch die gesamte Bundesregierung nach Anhörung eines unabhängigen Ausschusses von potentiell Betroffenen erlassen werden konnten. Diese Änderungen sollten der weitreichenden Bedeutung der Entscheidungen Rechnung tragen l38 . Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Änderung der Vorschriften über die genehmigungsbedürftigen Anlagen von 1959 die seit Bestehen der Gewerbeordnung durchgreifendste war. In der Entwicklung von 1869 bis zur Einführung des BImSchG 1974 standen die Vorschriften von 1959 dem BlmSchG schon bedeutend näher als den Ausgangsvorschriften der GewO 1869. Die grundlegenden Änderungen, denen die Normen über die Anla132 133

Sten.Ber. 3/89 11.11.1959, S. 4859 (Dr. Stammberger, FDP). Vgl. oben A III. 3. am Anfang.

134 Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drucksache 3/301 (1958), S. 3. 135 Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drucksache 3/301 (1958), S. 3. 136 Sten.Ber. 3/89 11.11.1959, S. 4854 (Dr. Even, CDU/CSU). 137 BT-Drucksache 3/301 (1958), S. l. 138 Sten.Ber. 3/89 11.11.1959, S. 4854 (Dr. Even, CDU/CSU).

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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gengenehmigung durch die Einführung des BImSchG unterworfen waren, wurden in weiten Teilen durch die Novellierung der GewO von 1959 vorgezeichnet. Von ihrer Konzeption her waren die Vorschriften zwar auch jetzt noch der Gefahrenabwehr verpflichtet. Die Anlagengenehmigung wurde weiterhin als staatlicher Eingriff in die individuelle Handlungsfreiheit gewertet, der der Rechtfertigung bedurfte139. Die Verstärkung der Überwachungsmöglichkeiten durch die Behörden und die Ermöglichung nachträglicher Auflagen für genehmigte Anlagen bedeuteten jedoch eine Teilaufgabe des "liberalen" Prinzips. Bei Erlaß der Gewerbeordnung 1869 war die gesicherte Rechtsstellung des Unternehmers noch als eines der Hauptmotive für die Regelung genannt worden 14O. Jetzt konnte die Rechtsstellung nachträglich entstehenden Situationsänderungen angepaßt werden, sie war nicht mehr absolut geschützt. Darin lag gleichzeitig eine Umgewichtung der Belange der Ökonomie und der Ökologie. Ebenso bedeutend waren die regelungstechnischen Änderungen. Den seit langem laut werdenden Kritiken am Anlagenverzeichnis in Gesetzesform wurde durch die Einführung der Form einer Rechtsverordnung Rechnung getragen. Auch die Einführung der Technischen Anleitungen und die Regelung des Verfahrens zu ihrem Erlaß sollten gewährleisten, daß die gesetzlichen Vorschriften auf der Höhe der tatsächlichen Entwicklung blieben. Die Technischen Anleitungen dienten gleichzeitig zur Herstellung eines höheren Grades von Normkonkretisierung. 3. Zusammenhänge zwischen der Normierung und dem zeitgeschichtlichen Hintergrund Im Gegensatz zu vorhergehenden Novellierungen der Gewerbeordnung wurden bei den Änderungen von 1959 die Zusammenhänge mit dem Zeitgeschehen durch das zum Gesetzgebungsverfahren vorliegende Material bereits an mehreren Stellen explizit angesprochen 141 . Der Neuaufbau nach 139

Vgl. dazu Berg, JZ 85, S. 403.

140 Vgl. dazu die amtliche Begründung zum Entwurf der Gewerbeordnung, BT-Drucksache I/Nr. 13 (1869), S. 115. 141 Dies liegt unter Umständen auch an der repräsentativen Demokratie, die das Grundgesetz festschreibt. Die demokratische Verfassung hält den Gesetzgeber eher dazu an, seine

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

dem Krieg brachte ein enormes industrielles Wachstum mit sich. 1946 lag die industrielle Produktion bei ca. einem Drittel des Standes von 1936142. Das dann einsetzende Wachstum ("zweite industrielle Revolution") wurde vom sekundären Sektor getragen, darunter an erster Stelle vom Metallgewerbe, dann von Elektro- und Feinmechanik, von Steine, Erden und Chemie und vom Baugewerbe143. Das wirtschaftliche Wachstum betrug in den Jahren bis 1950 durchschnittlich ca. 16 %, 1951 - 1960 noch fast 8 %, danach pendelte es sich auf Zahlen unter 5 % einl44 . Dazu kam eine rasche technische Entwicklung. Diese Faktoren führten in Kombination zu erheblichen Belästigungen und Gefahren für Nachbarn und Umwelt (hauptsächlich für Luft, Wasser und Boden). Wie bereits zwischen 1869 und 1914 wurde die Situation durch die erhebliche Zunahme der Bevölkerung145 und die Ausbildung von Ballungszentren (wenn jetzt auch hauptsächlich im Wege des Wiederaufbaus) verschärft. Durch diese Entwicklung wurde offenbar ein solcher Druck auf das Parlament ausgeübt, daß allseits Handlungsbedarf empfunden wurde, der sich in der Verabschiedung der Änderungen niederschlug. Zum ersten Mal seit dem Erlaß der Gewerbeordnung 1869 handelte es sich um durchgreifende Änderungen der Normierung selbst, die in diesen Punkten schon oft angegriffen worden war. Wichtigster Grund für die Änderungen in der Rechtssystematik, wie die Überführung des Verzeichnisses des § 16 GewO in eine Rechtsverordnung und die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für den Erlaß der Technischen Anleitungen, war nach der amtlichen Begründung die Anpassung der Normierungen an den sich entwickelnden Stand der Technik. Zu diesem Zweck hatte das Gesetz schon immer als wenig geeignet gegolten. In ihrer Gründe für den Erlaß oder die Abänderung einer Norm offenzulegen, als es im Kaiserreich der Fall gewesen war.

142 Fischer, HBdWG, S. 833. 143 So z.B. Winkel, Wirtschaftsgeschichte, S. 112. Vgi. zu Zahlen Henning, Industrialisiertes Deutschland, S. 211 und Stolper, Deutsche Wirtschaft, S. 296 mit etwas anderer Aufteilung. 144 Vgi. Henning, Industrialisiertes Deutschland, S. 194 f und zur gleichen Entwicklung aufgrund anderen Zahlenmaterials Stolper, Deutsche Wirtschaft, S. 254. 145 Die Zunahme war durch steigende Geburtenraten und Zuwanderung von Flüchtlingen und Vertriebenen, später auch von Gastarbeitern bedingt. So betrug die Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik 1965 bereits 59 Mill. im Vergleich zu 44,6 Mill. 1946 (Winkel, Wirtschaftsgeschichte, S. 110). Bis 1973 nahm die Bevölkerungszahl ständig noch mäßig zu, danach war sie leicht rückläufig. In absoluten Zahlen betrug die Bevölkerungszahl in den letzten Jahrzehnten immer ca. 60 Millionen (Henning, Industrialisiertes Deutschland, S. 14, ders. HBdEWG, S. 450).

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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Gesamtheit ließen die Änderungen darüber hinaus keinen Zweifel daran, daß sich die Prioritätensetzung im Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaft und Umweltschutz im weiteren Sinne in Richtung des Umweltschutzes verschob. In dem Parlament, das diese Gesetzesänderung trug, bestand eine Mehrheit der CDU /CSU und der mit ihr koalierenden Parteien, wobei die CDU /CSU stärkste Fraktion war. Die wirtschaftspolitische und -theoretische Vorstellung, die dieser Mehrheit zugrunde lag, war die sogenannte "Soziale Marktwirtschaft", auf die zum Zeitpunkt des Erlasses auch die SPD eingeschwenkt war 146. Diese Ordnungsvorstellung stellte einen Mittelweg zwischen liberalen und sozialistischen Lösungen dar, wobei das Schwergewicht eindeutig bei der Wirtschaftsfreiheit lag147. Die Einmütigkeit, mit der das Parlament die beschlossene Gesetzesänderung trotz der freiheitlichen wirtschaftspolitischen Konzeption trug, zeigt, wie dringlich die tatsächlichen Entwicklungen eine solche Änderung hatten erscheinen lassen. Dies geht aus den oben angeführten Materialien auch immer wieder hervor. Ein weiterer Faktor, der dazu führte, daß diese Änderungen zum damaligen Zeitpunkt und nicht schon früher erfolgten, dürfte der der uneingeschränkt demokratischen Verfassung sein, in der die Regierung auf eine Wiederwahl angewiesen ist. Die Meinung der - belästigten - Bevölkerung wurde dadurch wichtiger, als sie es noch im konstitutionellen, nicht uneingeschränkt repräsentativen System war. Gleichzeitig führte die demokratische Verfassung in Verbindung mit der Organisationsform der Parteien offenbar dazu, daß sich die Meinungen bezüglich der Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Ökonomie und Ökologie im Anlagengenehmigungsverfahren jenseits des erreichbaren Kompromisses an den Parteigrenzen trennten, was in dieser Form früher nicht der Fall gewesen war. 146 In den Jahren nach 1945 waren die wirtschaftspolitischen Vorstellungen nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der einzelnen Parteien unterschiedlich. So traten nicht nur die SPD, sondern auch Teile der CDU (z.B. Ahlener Programm von 1947) für staatliche Wirtschaftslenkung und eine sozialistische Wirtschaftsordnung ein. Nach dem enormen Wirtschaftsaufschwung Ende der vierziger Jahre, der auch auf die wirtschaftspolitische Konzeption zurückzuführen war, erfolgte ein allgemeines Einschwenken auf den Kurs der sozialen Marktwirtschaft (bei der SPD durch das Godesberger Programm von 1959, vgl. zur Programmänderung im einzelnen J(Jatzbach, Staatspartei, S. 239 ff, 375 ff, 433 ff; zu den noch bestehenden einzelnen Strömungen innerhalb der SPD Henning, Industrialisiertes Deutschland, S. 243 f). 147 Zur Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft (mit weiterführenden Nachweisen) vgl.

Lampen, Wirtschafts- und Sozialordnung S. 86 - 93, Blum, Marktwirtschaft, S. 153 ff, Ambrasius, Wirtschaftssystem, S. 268 - 270, Bechtel, Wirtschaftsgeschichte, S. 473, Winkel, Deutsche Wirtschaft, S. 53 ff, Henning, DVG V, S. 784 f. 7 Ebingu

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

E.Die Einfiihrung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 1974

I. Die untersuchten Begriffe und ihr Regelungszusammenhang Mit der Integrierung der Vorschriften über die genehmigungsbedürftigen Anlagen in das neue Bundes-Immissionsschutzgesetz wurden diese Vorschriften Teil der umfassenden Umweltschutzkonzeption, die in § 1 BImSchG Ausdruck fand 148: "Zweck dieses Gesetzes ist es, Menschen sowie Tiere, Pflanzen und andere Sachen vor schädlichen Umwelteinwirkungen und soweit es sich um genehmigungsbedürftige Anlagen handelt, auch vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen, die auf andere Weise herbeigeführt werden, zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen." Der Rechtsbegriff der "Gefahren, erheblichen Nachteile und erheblichen Belästigungen" wurde so Bestandteil der umfassenden Zielsetzung des Gesetzes. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, daß schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG Immissionen (§ 3 Abs. 2 BImSehG) sind, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen, (§ 3 Abs. 1 BlmSchG). Der untersuchte unbestimmte Rechtsbegriff ist daher auch immer, soweit Immissionen betroffen sind, im Begriff der "schädlichen Umwelteinwirkungen" enthalten. Im Rahmen der Paragraphen über die genehmigungsbedürftigen Anlagen selbst findet der Begriff eine weitere Erwähnung in § 4 Abs. 1 S. 1 BImSchG 149 und zwar zur Charakterisierung der genehmigungsbedürftigen Anlagen (entsprechend § 16 Abs. 1 GewO), die allerdings bereits seit der Gesetzesänderung im Jahre 1959 in einem gesonderten Verzeichnis in Form einer Rechtsverordnung aufgeführt werden. Bei den Genehmigungsvoraussetzungen sind die "Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen" kein so zentraler Begriff mehr, wie sie es in § 18 GewO waren. Nach § 6 BImSchG ist der zuständigen Behörde 148 Diese fand auch in einem erweiterten .Anwendungsbereich Ausdruck, vgl. § 2 BImSchG. Demnach werden nicht nur wirtschaftlichen Zwecken dienende Anlagen, sondern auch z.B. das Herstellen, Inverkehrbringen und Einführen von 'Brennstoffen und Treibstoffen erfaßt (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG). 149 Die sprachliche Fonnulierung wurde leicht verändert: "zu gefahrden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen".

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des fonnellen Gesetzes

99

über die bereits in der GewO genannten zu berücksichtigenden Vorschriften hinaus 150 zum einen der Gesamtkatalog des § 5 BImSchG an die Hand gegeben. Dieser enthält den untersuchten Begriff als "schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen" in dem in Nr. 1 normierten "Schutzgrundsatz" und im "Vorsorgegrundsatz" der Nr. 2 als "schädliche Umwelteinwirkungen". Zum anderen stehen der entscheidenden Behörde die aufgrund § 7 BImSchG ergangenen Rechtsverordnungen bei der Genehmigungserteilung zur Verfügung. Das Genehmigungsverfahren ist grundsätzlich dasselbe geblieben wie in der GewO, § 10 BImSchG trifft aber in manchen Punkten detailliertere Regelungen. Die Rechtsposition, die der Inhaber einer Genehmigung für sich beanspruchen konnte, war durch die Änderung des Jahres 1959 bereits erheblich beschnitten worden, vgl. oben D. 11.1. Durch das BImSchG wurde sie noch weiter eingeschränkt. Nach § 17 BImSchG waren in weitem Umfang nachträgliche Anordnungen möglich, bei deren Nichtbefolgung eine Betriebsuntersagung drohte, (§ 20 BImSchG). Voraussetzung dafür war die Nichteinhaltung von sich aus dem BImSchG ergebenden oder aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen, wobei bei Feststellung eines mangelhaften Schutzes der Allgemeinheit oder der Nachbarschaft vor "schädlichen Umwelteinwirkungen oder sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen" die Behörde die Anordnungen treffen "sollte". Auch die Möglichkeiten des Widerrufes einer erteilten Genehmigung wurden erweitert. Die in § 51 GewO als alleiniges Beurteilungskriterium dienenden "überwiegende Nachtheile und Gefahren für das Gemeinwohl" waren als "schwere Nachteile für das Gemeinwohl" in § 21 Abs. 1 Nr. 5 BImSchG nur noch als Auffangtatbestand enthalten. Eine Rechtsposition, die der nach der Gewerbeordnung von 1869 entsprach, hatte der Anlagenbetreiber nach dem BImSchG nur noch in Bezug auf privatrecht liehe Einwendungen (§ 26 GewO). Sofern diese nicht auf privatrechtlichen Titeln beruhten, konnte die Nachbarklage nicht die Einstellung des Betriebes zum Ziel haben, vgl. im einzelnen § 14 BImSehG.

150 Andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und die Belange des Arbeitsschutzes (jetzt

§ 6 Nr. 2 BIrnSchG) waren bereits nach § 18 GewO zu beachten. 7'

100

2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

/l. Zielsetzungen und Hintergründe der Nonnierung

1. Die allgemeine juristische Diskussion

In der allgemeinen juristischen Diskussion waren die effektivste Verwirklichung des Umweltschutzes und damit auch die Einführung des BImSchG sehr umstritten. Bereits über die Rolle der Gesetzgebung auf dem Gebiet des Umweltrechts gingen die Meinungen auseinander. So wurde die bisherige gesetzgeberische Zurückhaltung in umweltrechtlichen Fragen gerügt, weil die rechtliche Regelung - mangels öffentlicher oder wirtschaftlicher Überredungsmechanismen - als einzige die bestehenden Wertungsprobleme und Spannungsverhältnisse auflösen könne 151 . Dem stand die Meinung gegenüber, daß neue Gesetze eigentlich gar nicht erforderlich wären, wenn die bestehenden nur richtig angewandt würden152. Das Vorliegen eines Vollzugsdefizites war - unabhängig von der jeweiligen Einstellung zum Erfordernis neuer gesetzlicher Regelung - allgemeine Meinung l53 . Für die Rolle des Gegners eines effektiven Vollzuges waren schon aus Interessensgesichtspunkten die Vertreter der Wirtschaft prädestiniert. Eine "allgemeine Verteufelung" der Industrie und ihrer Vertreter wurde und wird der Komplexität des Problemes aber nicht gerecht, auch wenn man davon ausgeht, daß die Industrie eine wirkungsvolle Bremse für die umweltschutzrechtliche Fahrt war und ist 154. Allgemein wurde ein verschärftes öffentliches Bewußtsein in puncto Umweltschutz festgestelIt i55 , das von einem teilweisen Wertewandel und wohl auch von einer erhöhten Problemlösungserwartung der Bevölkerung gegenüber dem staatlichen System156 begleitet war157.

151 Rehbinder, ZRP 70, S. 251. 152 Külz, BB 71, S. 1018. 153 Vgl. I.B. Külz, BB 71, S. 1018, Rehbinder, ZRP 70, S. 254, und Umwelt 71, S. 24, Steiger, ZRP 71, S. 139. 154 Dahingehend kann man I.B. die Äußerungen von Rehbinder, ZRP 70, S. 251, 254 verstehen, vgl. aber andererseits Picht, ZRP 71, S. 153. 155 S. I.B. Rupp JZ 71, S. 401, Rehbinder, ZRP 70, S. 255, Külz BB 71 S. 1018. 156 Vgl. Mayntz, Problemverarbeitung, S. 80. 157 Vgl. lum Umweltbewußtsein in der Form des generellen Widerstands gegen den technischen Fortschritt Isensee, DÖV 83, S.565 ff. Dieses Umweltbewußtsein ist sicherlich nicht das der Mehrheit der Bevölkerung.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

101

Welches Vorgehen seitens Regierung und Parlament zur Unterstützung einer positiven Entwicklung am ehesten geeignet war, wurde unterschiedlich beurteilt. Einigkeit bestand dahingehend, daß umweltschützende Gesetze und Maßnahmen, die unweigerlich hohe Kosten für die Wirtschaft und die öffentliche Hand mit sich bringen, nicht in einem großen Rundumschlag, sondern nur im Schritt-für-Schritt-Verfahren verwirklicht werden konnten 158. Der Umweltschutz soUte nicht auf Kosten einer ruinierten Wirtschaft durchgesetzt werden. Die Einsicht, daß es sich beim Widerstreit der Interessen von Ökonomie und Ökologie nicht um die Konkurrenz eines öffentlichen mit einem privaten Interesse handelt, sondern um ein Spannungsverhältnis zwischen zwei öffentlichen Interessen, war nicht neu und allgemein verbreitet 159. Bei der Einschätzung der Fähigkeit von Regierung und Parlament, die Situation in den Griff zu bekommen, herrschte eher Skepsis vor l60 . Diese bezog sich weniger auf die Parteien und Personen, die die Ämter innehatten, als vielmehr auf die politischen Strukturen und Entscheidungsabläufe, In denen sie sich bewegten 161 . Betrachtet man den Stand der wissenschaftlichen Diskussion vor dem Entstehen der eigentlichen Umweltrechtsgesetzgebung Anfang der 70er Jahre in Retrospektive, so fällt auf, daß viele der damaligen Analysen und Äußerungen bis heute Gültigkeit haben. Die grundlegenden Ansichten zur Situation und zum weiteren procedere im Umweltschutzrecht spiegelten sich naturgemäß auch in der juristischen Diskussion über die Einführung des BImSchG wider. Mit zahlreichen rechtlichen Erwägungen wurde insbesondere die Herausnahme der Vorschriften über die genehmigungsbedürftigen Anlagen, §§ 16 ff, aus der Gewerbeordnung und deren Integrierung in das BImSchG

158 So Rupp, JZ 71, S. 401, Külz, BB 71 S. 1017.

159 Steiger, ZRP 71, S. 135, aA. allerdings Westennann, Gesetzliche Maßnahmen, S. 12.

160 Teilweise scheint auch die Meinung zu bestehen, daß die Politiker die Probleme lieber verdrängen: "Die Politiker haben die Tendenz, alle Probleme, über die uns die Wissenschaft noch keine auf harte Zahlen und Fakten gestützte Auskunft geben kann, auf die lange Bank zu schieben", Picht, ZRP 71, S. 154, vgl. auch Rupp, JZ 71, S. 404. 161 So z.B. Picht, ZRP 71, S. 153, 156, Rehbinder, ZRP 70, S. 252.

102

2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

angegriffen l62 . Teilweise wurde darin sogar ein "doppelter Systembruch,,163 gesehen. Diese Argumentation setzte sich natürlich der Vermutung aus, von eindeutigen Interessengesichtspunkten getragen zu sein. Obwohl sich mancher Verfasser gegen diese Vermutung ausdrücklich wehrte l64 , ist in den Äußerungen doch fast durchweg zu lesen, daß in der Einbeziehung der Vorschriften über die genehmigungsbedürftigen Anlagen in das BlmSchG eine ungerechtfertigte und systemwidrige Betonung des immissionsschutzrechtIichen Gedankens gegenüber dem ökonomischen liege l65 . Eine solche Auffassung ließ sich nur vertreten, wenn die Anlagengenehmigung nach wie vor als eine Einschränkung der Gewerbefreiheit - und nicht als Teil eines immissionsschutzrechtlichen Gesamtkonzeptes - angesehen und allenfalls als solche für gerechtfertigt gehalten wurde. Bezeichnend dafür ist eine Äußerung wie "Man wird dem Staat eine Kontrollfunktion hinsichtlich dieser teilweise gefährlichen Anlagen im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung grundsätzlich nicht absprechen können"I66, die man wohl eher bei den Diskussionen zur Einführung der Gewerbeordnung 1869 in der Hochzeit des Wirtschaftsliberalismus vermuten würde, als in der wissenschaftlichen Diskussion über die Einführung des BImSchG. Die Meinungsübereinstimmung, die innerhalb der gesetzgebenden Organe bestand, darf daher nicht als allgemeiner gesellschaftlicher Konsens gesehen werden. 2. Die Diskussion innerhalb des Legislativorgans

Die Materialien zum Gesetzgebungsverfahren des BImSchG zeugen weniger von Auseinandersetzungen über den Inhalt des Gesetzes als vielmehr von allgemeiner Übereinstimmung in den Ansichten. Für den Abgeordneten 162 Vgl. dazu insgesamt Säcker, OB 72, S. 221 - 228, Kube, BB 72, S. 384 - 387, Zuck. NJW 72, S. 279 - 281. Einem Teil der Kritik wurde später durch Änderungen Rechnung getragen, so z.B. durch Vorschriften bzgl. des Verkehrs, vgl. §§ 38 ff BlmSchG. Manche als "rechtssystematisch" ausgewiesenen Argumente laufen bei Lichte besehen aber auch einfach darauf hinaus, daß die neuen Wertmaßstäbe des Gesetzgebers nicht akzeptiert und die alten verteidigt werden, vgl. z.B. Kube, BB 72, S. 386 f u.a.: "Widersinnige Zweckbestimmung", "Künftig ungleichgewichtiges Genehmigungsverfahren", "Novellierung der §§ 16 ff GewO hätte sich angeboten". 163 Säcker, OB 72, S.227, ihm folgend Kube, BB 72, S. 387, dagegen Feldhaus, OÖV 74. S. 613,615. 164 Z.B. Säcker, OB 72, S. 222. 165 Kube, BB 72, S. 387, Säcker, DB 72, S. 223. 166 Kube, BB 72, S. 387.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des fonnellen Gesetzes

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Dr. Hirsch (FDP) hatte die Übereinstimmung bereits "lyrische Elemente,,167. Ausdruck dieses Konsenses ist, daß das Gesetz mit den vom federführenden Innenausschuß beschlossenen Änderungen l68 einstimmig ver-

abschiedet wurde l69 . Insoweit zeigte sich ein der Novellierung der Gewer-

beordnung 1959 sehr ähnliches Bild. Den Plenardiskussionen und Drucksachen läßt sich immerhin entnehmen, daß von staatlicher Seite und auch von großen Teilen der Gesellschaft ein verstärktes Handlungsbedürfnis in Richtung einer Umweltschutzgesetzgebung gesehen wurde 17o . Zum einen resultierte dies daraus, daß für die Vergangenheit hier Versäumnisse angenommen wurden l71 . Dabei konnte sich die SPD eine wesentlich kritischere Einstellung zum bisher Erreichten leisten. Der Änderung der Gewerbeordnung 1959 wurde von ihrer Seite bescheinigt, "fast" ein Ergebnis von "Mangel an gesetzgeberischem Weitblick, Konzept und MUt',172 zu sein. Bereits bei deren Verabschiedung war ein Entschließungsantrag eingebracht worden, der die Bundesregierung zu weitergehenden gesetzlichen Regelungen auf dem Gebiet des Immissionsschutzes, insbesondere auch für nichtgewerbliche Anlagen, aufforderte 173 . 167

Sten.Ber. 7/74 18.1.1974, S. 4684.

168 Vgl. zur ursprünglichen Gesetzesvorlage, sowie den Änderungsvorschlägen der Ausschüsse und deren Begründung BT-Drucksache 7/Nr. 1508 (1974). Die für den vorliegenden Zusammenhang wichtigsten Änderungsvorschläge waren: die explizite Aufnahme des Vorsorgegrundsatzes in § 1 BImSchG, die Ergänzungen der Begriffsbestimmungen in § 3 BlmSchG um den Stand der Technik, die Aufstellung des Pflichtenkataloges des § 5 BImSchG, die Möglichkeit zur Schaffung zusätzlicher Anforderungen an genehmigungsbedürftige Anlagen, § 7 BImSchG, die Soll-Vorschrift bezüglich des Widerrufes der Genehmigung nach § 16 Abs. 2 S. 3 BImSchG und die Einführung eines Untersagungsgrundes wegen "umweltrechtlicher Unzuverlässigkeit", § 20 Abs. 3 BImSchG. Da sich die Ausschüsse insoweit, wie auch später der Bundestag bei der Abstimmung über das Gesetz einig waren, braucht in den anschließenden Erörterungen nicht mehr darauf eingegangen zu werden, ob die Bestimmung schon im Gesetzesentwurf enthalten war oder erst durch Änderungsvorschlag des Ausschusses aufgenommen wurde. 169 Vgl. Sten.Ber. 7/74 18.1.1974, S. 4691. 170 Das Bestehen dieses Bedürfnisses räumt z.B. auch Säcker, DB 72, S. 222 ein. 171 Auch der Erlaß des BImSchG selbst verzögerte sich nicht unerheblich. Nachdem die Bundesregierung den Entwurf des Gesetzes am 30.11.1971 bereits in den Bundestag eingebracht hatte, es aber in dieser Legislaturperiode nicht mehr zur Verabschiedung kam, wurde der Gesetzentwurf erst am 14.2.1973 erneut (in unveränderter Fonn) in den Bundestag eingebracht. Ob sich einige der von den Ausschüssen vorgenommenen Änderungen auf das Verstreichen dieser Zeitspanne zurückführen lassen, ist den Materialien allerdings nicht mit Sicherheit zu entnehmen.

172

Sten.Ber. 7/74 18.1.1974, S. 4681 (Konrad, SPD).

173 Vgl. dazu die Begründung zum Gesetzentwurf des BlmSchG, BT-Drucksache 7/Nr. 179 (1973), S. 23.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

Aber auch die CDU /CSU ging davon aus, daß die gesetzlichen Regelungen mit der tatsächlichen Entwicklung nicht Schritt gehalten hatten 174. Das Auseinanderklaffen von Regelungsbedürfnis und Regelungszustand wurde außerdem durch die rasante industrielle Entwicklung verstärkt: durch den technischen Fortschritt, die Ausbildung von Verdichtungsräumen 175 und die damit verbundenen erhöhten Umweltbelastungen, insbesondere in den Ballungsgebieten, wurde eine Umweltschutzgesetzgebung als dringlich empfunden 176. Die Begründung für das Genehmigungsbedürfnis selbst177 unterschied sich allerdings nicht wesentlich von der bereits für die Gewerbeordnung 1869 gegebenen. Bemerkenswert ist immerhin die explizite Feststellung, daß nach der Konzeption des BlmSchG Anlagen im allgemeinen keiner behördlichen Vor kontrolle bedürften, sondern die gesetzlich festgelegten Anforderungen an Errichtung und Betrieb ausreichten. Nur bei potentiell "besonders gefährlichen" Anlagen wurde von einem Genehmigungsbedürfnis ausgegangen. Die Begründung stellte selbst fest, daß sich gegenüber den §§ 16 ff GewO keine Änderungen ergeben hätten l78 ,179. So blieb ja auch der zentrale Begriff der "Gefahren, erheblichen Nachteile und erheblichen Belästigungen" fast derselbe wie in der Gewerbeordnungl80 . Die Einschränkung durch die "Erheblichkeit" wurde durch die amtliche Begründung dabei als "Ergebnis einer Güterabwägung, auf die in einem hochindustrialisierten und dichtbesiedelten Lande nicht verzichtet werden kann,,181, bezeichnet. Der den Vorschriften über die genehmigungs-bedürftigen Anlagen zugrunde liegende und bereits mehrfach erwähnte Interessenkonflikt wurde 174 Sten.Ber. 7/74 18.1.1974, S. 4685 (Dr. Gruhl, CDU /CSU).

175 Begründung zum Gesetzesentwurf, BT-Drucksache 7/Nr.179 (1973), S.32, vgl. auch DÖV 74, S. 614, Picht, ZRP 71, S. 154. 176 Vgl. die Begründung zum Gesetzesentwurf, BT-Drucksache 7/Nr. 179 (1973), S.21. Der Abgeordnete Dr. Hirsch (FDP) sprach von einer beginnenden ernsthaften Gefährdung der menschlichen Existenz in den industrialisierten Ländern, Sten.Ber. 7/7418.1.1974, S. 4684. 177 BT-Drucksache 7/Nr. 179 (1973), S. 30. 178 BT-Drucksache 7/Nr. 179 (1973), S. 30. 179 Das gilt auch für die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit bezüglich des Ausschlusses des Eintritts eines Schadensereignisses, vgl. dazu Sel/ner, Immissionsschutzrecht, S. 22, BVerwGE 55, S. 250, 254 f, Feldhaus, BImSchG, § 5 RN 3. 180 Vgl. dazu oben A. I. 181 BT-Drucksache 7/Nr. 179 (1973), S. 29.

Feldhaus,

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des fonnellen Gesetzes

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hier erneut aufgegriffen. Bezüglich der Gefahrenabwehr ist folglich nicht nur der zentrale unbestimmte Rechtsbegriff derselbe geblieben, sondern es steht hinter ihm immer noch dieselbe Konzeption, die unter der Geltung der Gewerbeordnung aktuell war l82 . Derselbe unbestimmte Rechtsbegriff findet im Rahmen des BlmSchG allerdings auch noch in anderen Zusammenhängen Anwendung (s. oben 1.) und wird dadurch teilweise mit einem anderen Bedeutungsgehalt ausgefüllt. So soll er im Zeichen des vielbetonten Vorsorgegrundsatzes 183 dessen Anforderungen genauso erfüllen, wie er bisher für die sicherheitsrechtliche Gefahrenabwehr "zuständig" war. Der unbestimmte Rechtsbegriff umfaßt sowohl gewerbliche, als auch nichtgewerbliche Anlagen, wobei der Anlagenbegriff z.B. um Maschinen, Geräte, sonstige ortsveränderliche Einrichtungen und Grundstücke (unter bestimmten Voraussetzungen), erweitert wurde l84 , (vgl. im einzelnen § 3 Abs. 5 BlmSchG). Die Neunormierung sollte offenbar auch dazu dienen, den Belangen des Umweltschutzes gegenüber denen der Wirtschaft ein größeres Durchsetzungsvermögen zu verschaffen l85 . Für die Wirtschaft stellte der Umweltschutz eine Einschränkung ihrer Betätigungsfreiheit und einen lästigen Kostenfaktor dar l86 . Gesetzgeberische Fortschritte in dieser Richtung waren, wie zu erwarten, von dieser Seite offenbar nicht erwünscht 187. Die bisherige Regelung sah man als eher dem Primat der Wirtschaft verhaftet an. Manchen Stellen der Materialien ist auch eine Änderung der Wertmaßstäbe zu entnehmen. So stellt etwa ein Abgeordneter der CDU jCSU fest, daß "die Quantität der Gütererzeugung über die Qualität unserer natürlichen Umwelt gestellt (wurde). Das ist ein Irrsinn"I88. Dieser Äußerung entspricht die 182 So im Ergebnis auch Manens, DVBI. 81, S. 599, DrewsjWacke/Vogef/Manens, Gefahrenabwehr, S. 159. 183 Vgl. insbesondere § 1 , letzter Satzteil BlmSchG. Die Worte "und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen" wurden auf Vorschlag des Innenausschusses aufgenommen, BT-Drucksache 8/Nr. 1508 (1974), S. 3 und BT-Drucksache 8/Nr. 1513 (1974), S. 2 und 4. 184 Vgl. dazu unten ausführlich 2. Kap., A.

m.

185 Vgl. BT-Drucksache 8/Nr. 1513 (1974), (Begründung des Innenausschusses für die Änderungen). 186 Feldhaus, DÖV 74, S. 616 beschreibt die Situation folgendennaßen: "Kostengründe, Bequemlicheit, Scheu vor Risiken und Wettbewerbsgesichtspunkte verhinderten es, daß sich fortschrittliche Verfahren aus der Betriebspraxis heraus entwickelten." 187 Vgl. Sten.Ber. 7/7418.1.1974, S. 4684 (Dr. Hirsch, FDP).

188 Slen.Ber. 7/74 18.1.1974, S.4684 (Dr. Gruhl, CDU/CSU), vgl. auch Feldhaus,

S.615.

..

DOV 74,

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

veränderte Blickrichtung des Gesetzes. Während man bisher von der einzelnen (gewerblichen) Anlage ausgegangen war und von ihren Einwirkungen auf die Umwelt (Emissionen), stand jetzt im Mittelpunkt die Umwelt selbst, d.h. hauptsächlich die Luft, und man betrachtete die auf sie einwirkenden Stoffe (Immissionen). Umweltverschmutzung wurde aber nicht nur als erheblicher Verlust an Lebensqualität und somit als Minusfaktor des Wirtschaftsprozesses angesehen, sondern es wird auch betont, daß sie Kosten verursacht und demgemäß in sich selbst bereits unwirtschaftlich sei 189, so daß ihre Vermeidung im wohlverstandenen Interesse der Wirtschaft selbst liegen müßte 190. Hierin kann allerdings auch ein Legitimierungsversuch für eine mißliebige Verschärfung der Bestimmungen des Anlagengenehmigungsverfahrens gesehen werden. 3. Rechtssystematische Änderungen Bei Durchsicht des neuen BImSchG fällt auf, daß der Unterschied zu den ehemaligen Vorschriften der Gewerbeordnung, (abgesehen von den materiellen Änderungen), hauptsächlich in einer wesentlich höheren Normkonkretheit bestand. Diese wurde erreicht durch: - Legaldefinitionen, wie z.B. in § 3 BImSehG, - gesetzlich normierte Voraussetzungen, wie etwa den Pflichtenkatalog des § 5 BImSehG, - Verordnungen, die für bestimmte, im Gesetz vorgesehene Fragestellungen erlassen werden konnten, so Z.B. nach § 4 Abs. 1 S. 3 BImSchG für die genehmigungsbedürftigen Anlagen oder nach § 7 Abs. 1 S. 1 BImSchG für an diese zu stellende Anforderungen, - sogenannte Technische Anleitungen, die ihre Rechtsgrundlage in § 48 BImSchG haben und deren Rechtsnatur im einzelnen streitig ist 191 . 189 So z.B. Bundesminister Genscher, BR-Protokoll401/1974 Anlage 5, S. 39. 190 Auch beim Vorsorgegrundsatz werden dessen Vorteile für die Industrie betont, vgl. BT-Drucksache 7/Nr. 179 (1973), S. 32. 191 Vgl. dazu unten 2. Kap., B. III. 2. b). Die TAs waren allerdings, genauso wie die Rechtsverordnung der genehmigungsbedürftigen Anlagen, keine "Errungenschaft" des BImSchG, sondern bereits in der letzten Fassung der §§ 16 ff GewO vorgesehen.

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Auffällig ist, daß zwischen der Durchsetzbarkeit der neuen Bestimmungen und dieser höheren Normauflösung ein Zusammenhang gesehen wurde. Legaldefinitionen wurden nach der Begründung des Gesetzesentwurfes "für die wichtigsten im Gesetz verwendeten Begriffe ... eingeführt.,,192 Auch für die Einführung des Pflichtenkataloges des § 5 BlmSchG wurde als Grund die Bedeutung der darin normierten Anforderungen genannt 193. Die Regelung durch Rechtsverordnung fand ihre gesetzestechnische Rechtfertigung in den durch sie gewährten Möglichkeiten. Die Begründung, die für die Rechtsverordnung, die den Kreis der genehmigungsbedürftigen Anlagen bestimmt, angeführt wird, erscheint verallgemeinerungsfähig: "Das Genehmigungserfordernis kann durch Gesetz nicht abschließend begründet werden. Die betrieblichen Besonderheiten der jeweiligen Anlage sind so vielfältig, daß es nicht möglich ist, den Kreis der genehmigungsbedürftigen Anlagen im Gesetz selbst durch generelle Kriterien zu umschreiben. Eine enumerative Aufzählung der genehmigungsbedürftigen Anlagen im Gesetz wäre zwar nach dem derzeitigen Erfahrungsstand möglich, eine starre gesetzliche Regelung würde jedoch die Anpassung an die technische und wirtschaftliche Entwicklung erschweren. Aus diesen Gründen wurde ... der Weg gewählt, die genehmigungsbedürftigen Anlagen abschließend durch Rechtsverordnung zu bestimmen ... ,,194. Als eine Begründung für das Regelungsinstrument der Technischen Anleitungen wird genannt: "Die Erfahrung lehrt, daß eine scharfe begriffliche Fixierung in Form einer Legaldefinition nicht zu befriedigenden Ergebnissen führt,,195. Faßt man diese Aussagen zusammen, so zeigt sich, daß im Falle von Begriffen oder Regelungen, denen nach Ansicht des Normgebers eine besondere Bedeutung zukommt, eine möglichst konkrete Normierung gewählt wird. Dafür spricht auch ein Teil der Begründung zum Entwurf des BImSehG: "Nicht zuletzt wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen müssen Ziel, Umfang und Art der technischen Maßnahmen unter Berücksichtigung des allgemeinen Wohles ... weitgehend durch Gesetz bestimmt sein" 196. Wenn die Norm als Grundsatz einen unbestimmten Rechtsbegriff beinhaltet 192 BT-Drucksache 7/Nr. 179 (1973), S. 29. 193 BT-Drucksache 7/Nr. 1513 (1974), S. 4. 194 BT-Drucksache 7/Nr. 179 (1973), S. 31. 195 BT-Drucksache 7/Nr. 179 (1973), S. 32. 196 .. BT-Drucksache 7/Nr. 179 (1973), S. 21, so auch Feldhaus, DOV 74, S. 615.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

(Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen), wird dieser durch eines oder mehrere der genannten Regelungsinstrumente weiter konkretisiert 197. Bei § 4 Abs. 1 BImSchG war eine Rechtsverordnung vorgesehen und § 5 Abs. 1 BImSchG stellte den Begriff inmitten anderer Kriterien. Einzig in § 1 BImSchG waren ihm keine näheren Umschreibungen beigefügt. Da es sich hierbei aber nicht um eine Regelung handelt, die im Einzelfall praktisch angewendet werden muß, sondern vielmehr um eine über den verschiedenen Paragraphen stehende Zweckfestlegung des Gesetzes, steht dies nicht im Widerspruch zur vorhergehenden Aussage, sondern bestätigt sie sogar. 4. Zusammenfassung Mit der Einführung des BImSchG lag dem Anlagengenehmigungsverfahren eine der Art nach ganz andere Konzeption zugrunde als noch unter der Gewerbeordnung. Da man erkannt hatte, daß eine "Löcherstopftechnik", d.h. die Abwehr bereits entstandener Gefahren oder sogar die Behebung bereits entstandener Schäden, auf die Dauer im Umweltrecht nicht ausreichte, stand jetzt an erster Stelle die Vorsorge. Diese sollte nach Möglichkeit bereits die Belastung der Umwelt durch Immissionen und das Auftreten von Gefahren in deren Vorfeld ausschließen. Für Fälle, in denen Gefahren nicht auszuschließen waren - so z.B. gefährliche Anlagen - stand dahinter, sozusagen an zweiter Stelle, die Gefahrenabwehr. Diese hatte gegenüber dem unter der Gewerbeordnung geltenden Zustand keine wesentliche Änderung erfahren. Nicht nur der Begriff der (erheblichen) Gefahren, der erheblichen Nachteile und der erheblichen Belästigungen war gleich geblieben, sondern es stand hinter diesen Begriffen auch noch die althergebrachte Konzeption. Die Blickrichtung des Gesetzes war jedoch eine andere. Während man bisher von der einzelnen (gewerblichen) Anlage und ihren Einwirkungen auf die Umwelt (Emissionen) ausgegangen war, stand jetzt" im Zentrum als wichtiges Schutzgut die Umwelt selbst, hauptsächlich die Luft, und man betrachtete die auf sie getätigten Einwirkungen (Immissionen). Dieser Sichtweise entsprach der wesentlich erweiterte Regelungsbereich des BImSchG, 197 Auch beim Begriff der "schweren Nachteile für das Gemeinwohl" ist dies der Fall, im neuen § 21 BImSchG normiert dieser nur noch den Auffangtatbestand.

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der nicht mehr nur gewerbliche Anlagen, sondern emittierende Anlagen jeder Art umfaßte. Der bei der Änderung der Gewerbeordnung 1959 festgestellte Wandel der Wertungen zwischen Ökonomie und Ökologie verlagerte sich damit weiter in Richtung der Ökologie. Rechtssystematisch gesehen zeichnete sich die Neunormierung durch einen wesentlich erhöhten Konkretisierungsgrad aus. Neu waren insbesondere zahlreiche Legaldefinitionen und die explizite Beschreibung von Genehmigungsvoraussetzungen. Die Instrumente der Rechtsverordnung und der Technischen Anleitung waren bereits durch die Gewerbeordnung von 1959 in das Anlagengenehmigungsverfahren eingeführt worden; sie wurden im BlmSchG allerdings in erhöhtem Maße eingesetzt.

III. Zusammenhänge zwischen der Nonniernng und dem zeitgeschichtlichen Hintergrund Wie für die Änderung von 1959 gilt auch für die Einführung des BImSchG 1974, daß die Zusammenhänge mit dem Zeitgeschehen sich bereits relativ deutlich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergeben. Ausschlaggebend war wiederum eine Kombination von Faktoren der tatsächlichen Entwicklungen: die technischen und industriellen Fortschritte trafen immer noch mit einem Bevölkerungswachstum und der zunehmenden Ausbildung von Ballungszentren zusammen198 . Überdies hatte der steigende Verbrauch natürlicher Ressourcen wohl den Gedanken von deren Erschöpfbarkeit mehr in das staatliche und öffentliche Bewußtsein gerückt. Daß es 1974 zu dieser Änderung kam und nicht früher oder später, hatte mehrere Gründe. 1%9 war die Regierungsrnacht auf eine sozialliberale Koalition übergegangen. In der Opposition hatte die SPD größtenteils auf schärfere Bestimmungen zur Verbesserung des Immissionsschutzes gedrängt, vgl. oben D. 11. 2. Den Materialien ist überdies zu entnehmen, daß der Neuregelung ein dringend empfundenes Nachholbedürfnis zugrunde lag. Man war - inzwischen durch alle politischen Parteien hindurch - der Meinung, mit der Novellierung der Gewerbeordnung nicht genügend getan zu haben und Versäumtes nachholen zu müssen. Es handelte sich wohl insgesamt um ein "erst jetzt Zustandekommen". Es ist daher realistisch und durch die tatsächlichen Zahlen auch nachweisbar, daß die zur Novellierung der Gewerbeordnung 1959 führenden 198 Vgl. dazu die Angaben oben D. 11. 3.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

Faktoren noch weiterwirkten, zumindest bis zum Erlaß des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 1974199. Somit ist nicht auszuschließen, daß der bezüglich der Regelung empfundene "time lag" dazu führte, daß das Bundes-Immissionsschutzgesetz in vielen Punkten gegenüber der ursprünglichen Gesetzesvorlage wesentlich strikter ausfiel. Dazu kam, als nicht zu unterschätzender Faktor, das gestiegene öffentliche Bewußtsein in puncto Umweltbelästigungen und Umweltverschmutzung. Dieses läßt sich zwar kaum in Zahlen messen und ausdrücken, kommt jedoch in fast allen zitierten Äußerungen zum Erlaß des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zum Ausdruck. Daß dieses öffentliche Bewußtsein unter den neuen Verhältnissen zudem einen erhöhten Stellenwert einnahm, wurde schon bei den Ausführungen zur letzten Änderung begründet. Es führte zusammen mit den anderen Faktoren zu einer weiteren Verschiebung des Schwergewichtes im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie in Richtung Ökologie. Auch diese Verschiebung wurde vom allgemeinen Parteien konsens getragen, nicht jedoch von einem entsprechenden gesellschaftlichen Konsens. Wie der allgemeinen juristischen Diskussion zu entnehmen ist, waren die Industrie und ihre Lobby größtenteils entschiedene Gegner der neuen Regelung. Ihre Interessen wurden aber im Parlament selbst durch die Parteien, die sie grundsätzlich vertraten, nicht durchgesetzt, wobei die mangelnde Durchsetzung nicht an zu starken Widerständen scheiterte, sondern offenbar der Überzeugung der Mehrheit der Abgeordneten entsprach. Das wirft für die vorliegende Sachfrage ein positives Licht auf die Regierungsform der repräsentativen Demokratie, unter der es gelang, einen Ausgleich der Interessen nach den Überzeugungen der Abgeordneten und politischen Parteien von den Erfordernissen des allgemeinen Wohls herbeizuführen und nicht (nur) nach wirtschaftlichen Machtpositionen entschieden wurde. F. Die 1979 geplante Änderung

I. Zielsetzungen und Hintergründe der geplanten Anderungen im Gesetzestext Die 1979 geplante Änderung des BImSchG stand vor dem Hintergrund der anhaltenden Diskussion um die Bedeutung der Immissionsgrenzwerte

199 Vgl. dazu die Zahlen oben D. 11. 3.

1.

Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

111

und wurde durch das Voerde-Urteil des OVG Münster von 1976200 ausgelöst. Das Gericht hatte den Immissionswerten der TA-Luft lediglich eine Indikatorwirkung im Rahmen der "gewisse(n) Bandbreite oder Schwankungsbreite" des Überganges von unschädlichen zu schädlichen Umwelteinwirkungen zugewiesen. Eine erste, prompte und einstimmige Reaktion des Gesetzgebers 201 darauf erfolgte durch die Einführung des § 67 Abs. 5 BlmSchG 1976202 . § 67 Abs. 5 stellte für eine Übergangszeit die gesetzliche Geltung der Nr. 4 TA-Luft und damit auch deren rechtliche Bedeutung klar. Da die Vorschrift aber nie praktische Bedeutung erlangte203, ist ein weiteres Eingehen darauf nicht erforderlich. Zwar rettete das Urteil des BVerwG vom 17.2.1978 die praktische Bedeutung auch der übrigen Werte der TA-Luft, indem es ihnen die Bindungswirkung sogenannter "antezipierter Sachverständigengutachten" zuerkannte. Die politische Diskussion war damit aber erneut in Gang gesetzt und hatte 1979 einen Gesetzentwurf des Bundestages zur Folge204 . Dieser hatte sich zum Ziel gesetzt, die Rechtssicherheit zu verstärken und eine Güterabwägung zwischen den Erfordernissen des Umweltschutzes, der Beschäftigung und dem wirtschaftlichem Wachstum vorzunehmen 205 . Der Entwurf sah unter anderem folgende Gesetzesänderungen - in Verbindung mit einer Änderung der TA-Luft - vor: eine Vermutungsklausel, die den Beweiswert der Immissionswerte der TA-Luft für die Gerichte verbindlich festlegen sollte (§ 6 a Abs. 1 Nr. 1 des Entwurfes)206, ein Verschlechterungsverbot, das in bisher weniger belasteten Gebieten den Schutz besonders empfindlicher Pflanzen und Tiere und anderer Sachgüter vor schädlichen Luftverunreinigungen sicherstellen sollte (§ 6 a Abs. 1 Nr. 2 des 200 Urteil vom 7.7.1976, DVBI. 76, S. 790 ff. 201 Das Gesetzgebungsverfahren wurde in kurzer Zeit ohne Diskussionen durchlaufen und durch eine einstimmige Annahme des Entwurfes, Sten.Ber 7/227 11.3.1976, S. 15839. abgeschlossen. 202 BGBL I S. 184, das Gesetz wird oft als "Lex Voerde" bezeichnet, vgl. z.B. Hansmann, BImSchG, Anm. 212, Rebentisch, NVwZ 91, S. 310. 203 Rebentisch, NVwZ 91, S. 310. 204 Der Entwurf stellte diese "Entstehungsgeschichte" in seiner Begründung selbst ausführlich dar, vgl. BT-Drucksache 8/Nr. 2751, S. 6. 205 BT-Drucksache 8/Nr. 2751, S. 1. 206 BT-Drucksache 8/Nr. 2751, S. 4.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

Entwurfes) und spezielle Abwägungsklauseln, die es den Ländern bei Einhaltung bestimmter Voraussetzungen ermöglichen sollten, Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot zuzulassen (§ 6 a Abs.2 i.V.m. § 44 Abs.2 S.3 des Entwurfes). Ferner sah der Entwurf eine Sanierungsklausel und eine Luftreinhalteplanklausel vor, die beide dazu dienen sollten, bei Einhaltung bestimmter Voraussetzungen auch in belasteten Gebieten eine Genehmigungserteilung zu ermöglichen (§§ 6 bund 6 c des Entwurfes)207. Der Entwurf wurde während der 8. Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet. Die folgende Bundesregierung griff ihn nicht wieder auf, sondern beschränkte sich auf die Änderung der TA-Luft, die 1983 in Kraft trat208 . Der Entwurf von 1979 stieß vielfach auf Kritik und nur auf wenig Zustimmung209, da auch Befürworter seiner Zielsetzung deren Realisierung durch die vorgesehenen Normänderungen nicht für möglich oder wahrscheinlich hielten. Zwar enthielten die Änderungen grundsätzliche Akzentverschiebungen zugunsten des Umweltschutzes. Diese wurden jedoch von zahlreichen Ausnahmebestimmungen wieder "aufgeweicht", so z.B. durch die von den Ländern festlegbaren Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot. Darüber hinaus enthielten die vorgeschlagenen Normen eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, die dem erklärten Ziel des Entwurfes bezüglich der Schaffung von mehr Rechtssicherheit entgegenliefen. So konnte z.B. das "überwiegende öffentliche Interesse" der Geltung des Verschlechterungsverbots entgegengesetzt werden. Mangels anderer Konkretisierung wäre hier nur eine Determinierung durch gerichtliche Urteile in Frage gekommen. Die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe wurden allgemein als Nachteil empfunden21O . Außerdem waren sowohl der Bund als auch die Länder wegen des im Interessenausgleich zwischen Umweltschutz und Industrie liegenden Konfliktspotentials211 daran interessiert, Entscheidungen, die die 207 Vgl. dazu auch die Lösungsdarstellung der Bundesregierung, BT-Drucksache 8/Nr. 2751, S. 1 f. 208 Vgl. dazu unten 2. Kap., B. I. 1. c). 209 Vgl. die verschiedenen Äußerungen in der Diskussion um den Gesetzesentwurf im Bundestag, Sten.Ber 8/162 22.6.1979, S. 12899 ff. Die Äußerungen der Mitglieder der Koalitionsregierung fielen naturgemäß weniger kritisch aus, auch hier sind jedoch Zweifel zu entnehmen, vgl. z.B. Konrad (SPD), S. 12909, Wolfgramm (FDP), S. 12911. 210 Z.B. Volmer (CDU/CSU) nach einem Schreiben des DIHT, Sten.Ber. 8/162 22.6.1979, S. 12903, Laufs (CDU/CSU), S. 12917. 211 Auf diesen Konflikt wiesen fast alle Redner der Debatte hin, z.B. Baum (FDP), Sten.Ber. 8/16222.6.1979, S. 12901, Konrad (SPD), S. 12908 f, Wolfgramm (FDP), S. 12909 f.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des fonnellen Gesetzes

113

Wirtschaft einengten, auf den jeweils anderen abzuwälzen, was in den Diskussionen auch klar ausgesprochen wurde 212 . Den vielen unbestimmten Rechtsbegriffen war allerdings der Versuch einer Festschreibung der Immissionswerte zur Gewinnung von Rechtssicherheit für die Praxis rechtstechnisch diametral entgegengesetzt. An einer solchen Festschreibung hatte auch die Industrie ein nicht zu unterschätzendes Interesse, da "gerichtsfeste" Werte für sie ein Maßstab gewesen wären, mit dem sie besser hätte kalkulieren können213 . Die beabsichtigte Festschreibung stieß jedoch auf zahlreiche rechtliche und praktische Probleme214 , worauf in den Diskussionen auch hingewiesen wurde215 . lI. Zusammenhänge zwischen der Nonnienmg und

dem zeitgeschichtlichen Hintergrund

Von den die zeitgeschichtliche Situation bestimmenden Faktoren her gesehen bestanden zwischen dem Zeitpunkt des Erlasses des BundesImmissionsschutzgesetzes und dem seiner gescheiterten Novellierung keine signifikanten Unterschiede. So hatte Z.B. kein politischer Machtwechsel stattgefunden, der erklärt hätte, warum der Gesetzentwurf in der neuen Legislaturperiode nicht mehr aufgenommen wurde216 . Daraus folgt, daß sich die Gründe für das Nichtzustandekommen der Neuregelung (wie auch die Initiierung der Neuregelung) aus anderen hinzutretenden Faktoren ergeben müssen. Wie bereits für vorhergehende Gesetzesänderungen mehrfach angeführt, gehen die Materialien auf die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge explizit 212 Vgl. z.B. Lambsdorff (FDP) , Sten.Ber. 8/16222.6.1979, S. 12913, Laufs (CDU/CSU), S. 12916 f. 213 Auf die Bedeutung eines Genehmigungsverfahrens mit hoher Rechtssicherheit insbesondere für Investitionen wurde mehrfach hingewiesen, vgl. Volmer (CDUjCSU), Sten.Ber. 8/162 22.6.1979, S. 12904, Konrad (SPD), S. 12907, Lambsdorff (FDP), S. 12914, Laufs (CDUjCSU), S. 12917. 214 Vgl. dazu z.B. Soell, ZRP 80, S. 108 f. 215 Gruhl (fraktionslos), Sten.Ber. 8/162 22.6.1979, S. 12918 f. 216 Nach den Bundestagswahlen von 1969 entstand auf Bundesebene zum ersten Mal eine sozialliberale Regierungskoalition, die bis 1982 dauerte. Vgl. für die Jahre bis 1987 die Zusammenfassung bei Eschenburg, DVG V, S. 1 ff. Eine übersichtliche und aktuelle Darstellung zu den Wahlergebnissen und der geschichtlichen Entwicklung findet sich in der Brockhaus-Enzyklopädie, Stichwort "Bundesrepublik Deutschland, Geschichte". 8 Ebinger

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

und relativ ausführlich ein. Demgemäß wurde der offensichtliche und maßgebliche Zusammenhang mit dem Voerde-Urteil in der Begründung dargestellt. Dieser Geschehensablauf ist schon deshalb aussagekräftig, weil er demonstriert, daß sich die gesetzgebende Gewalt grundsätzlich auf die althergebrachten Konkretisierungsmechanismen verläßt und sich erst bei deren Versagen auf den Plan gerufen fühlt, dann allerdings vergleichsweise dringlich. Wenn also untergesetzlich der Gehalt der "Gefahren, erheblichen Nachteile oder erheblichen Belästigungen" nicht mehr (rechtssicher) determiniert ist, ist der Gesetzgeber zu einer eigenen Regelung auf höherer Ebene bereit. In vorhergehenden Zeiträumen ließ sich dieser Mechanismus in Bezug auf Gerichtsurteile nicht nachweisen. Im Wege der Spekulation ist zu vermuten, daß, wäre das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes weniger "beruhigend" ausgefallen, die Novellierung zumindest bezüglich der Vermutungsklausel nicht gescheitert wäre. Auch bezüglich der Gründe für ihr Nichtzustandekommen weist die Gesetzesvorlage von 1979 interessante Züge auf. Sie scheiterte letztlich an den Interessengegensätzen zwischen Bund und Ländern217 . Da der mit der Novellierung angestrebte Interessenausgleich zwischen Umweltschutz und Industrie ein immenses Konfliktpotential beinhaltete, traf man Regelungen, die in sich so unbestimmt waren, daß sie den Konflikt in weiten Teilen doch nicht lösten und damit die Möglichkeit einer günstigen Auslegung für die Industrie beinhalteten. Auf diese Weise versuchte man, die Ausweichs- und Ausgleichsfunktion, die dem unbestimmten Rechtsbegriff immanent ist und diesen deshalb zu einem beliebten Regelungsinstrument macht, zu bemühen. Die Möglichkeit einer dehnbaren Auslegung sollte der Regelung eine größere Akzeptanz seitens wirtschaftlicher Kreise verschaffen und weder Bund noch Länder zu wirtschaftsrestriktiven Maßnahmen verpflichten. Selbst die Möglichkeiten der Regelungsform des unbestimmten Rechtsbegriffes reichten zur Befriedung des Konfliktes zwischen Bund und Ländern immer noch nicht aus, da die Konkretisierung zu Lasten der Industrie je nachdem entweder vom Bund oder von den Ländern hätte vorgenommen werden müssen, und bereits darüber war eine Einigung nicht zu erzielen.

217 Nach Feldlulus, UPR 85, S. 385 scheiterte die Änderung an den "unüberbrückbaren Auffassungen von Bundesregierung und Bundesrat"; die verschiedenen Auffassungen ergeben sich aus der BT-Drucksache 8/Nr. 2751, S. 10 ff, 16 ff.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formeHen Gesetzes

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G. Die Änderung 1985

J. Die Änderungen im Gesetzestext

Das BlmSchG hat seit seiner Einführung 1974 eine ganze Reihe von Änderungen erfahren. Die meisten dienten aber nur zu seiner Anpassung an anderweitige Gesetzesänderungen und berührten die Normierungen im übrigen nicht 218 ; anders das Zweite Gesetz zur Änderung des BundesImmissionsschutzgesetzes vom 4. Oktober 1985, BGBI. I S. 1950. Dieses beinhaltete erhebliche Änderungen. Unter anderem wurde in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG eine Reststoffvermeidungs pflicht normiert. Eine Reststoffverwertungspflicht entfiel außerdem nur noch (die technische Möglichkeit dazu war natürlich in allen Regelungen vorher und nachher Voraussetzung), wenn sie unzumutbar und nicht schon, wenn sie wirtschaftlich nicht vertretbar war. Die Pflichten des Betreibers wurden um ein Gebot der Abwärmenutzung erweitert, (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 BImSehG), das wiederum seine Grenze an der Zumutbarkeit fand. Die Schaffung zusätzlicher Tatbestände zum Erlaß von Rechtsverordnungen über Anforderungen an genehmigungspflichtige Anlagen zur Sanierung bestehender Anlagen, (§ 7 Abs.2 und 3 BImSehG), zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften zum gleichen Zweck, (§ 48 Nr. 4 BImSehG) sowie die Erweiterung der Möglichkeiten zu nachträglichen Anordnungen, (§ 17 Abs. 2 und 3 BImSehG), die jetzt nur noch am Verhältnismäßigkeitsprinzip zu messen waren und nicht mehr an der wirtschaftlichen Vertretbarkeit, stellten zusammen eine deutliche Verschiebung der Schwerpunktsetzung in Richtung auf eine verstärkte Vorsorge und weg vom bisherigen Umfang des Bestandsschutzes dar219 . Schließlich wurden die Untersagungsmöglichkeiten für einen Betrieb nach § 20 Abs. 1 BlmSchG um einen Tatbestand ergänzt: es genügte, wenn die

Anlage einer abschließend bestimmten Pflicht nach § 7 BlmSchG nicht nachkam.

218 Vgl. Sellner, Immissionsschutz, S. 2 f, Huber, AöR 89, S. 257. 219 So auch Feldhaus, UPR 85, S. 386. 8'

116

2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

Il. Zielsetzungen und Hintergründe der Nonnierung

Das Gesetz entstand aus mehreren, vom Bundesrat und den Grünen eingebrachten Gesetzesvorlagen, die zusammengefaßt und zusammen behandelt wurden22o . Es ergab sich daher schon verfahrensmäßig ein weniger einheitliches Bild als bei vorhergehenden Änderungen. Dieser Uneinheitlichkeit im Verfahren entsprach eine noch größere bezüglich des Inhaltes der vorzunehmenden Änderungen. Sie waren zwischen den Parteien heftig umstritten. Die vor Erlaß des BlmSchG bereits bestehenden juristischen Meinungsverschiedenheiten (s. oben E. 11. 1.) schlugen jetzt im ganzen auf das Gesetzgebungsverfahren durch und wurden in den Plenar-Diskussionen ausgetragen, was zuvor nicht der Fall gewesen war. Der Normierungsvorschlag des Innenausschusses war eine Mehrheitsentscheidung, nicht wie bisher ein einvernehmlicher Vorschlag221 . Er blieb in wesentlichen Punkten hinter den Gesetzesvorlagen - auch des Bundesrates - zurück222, wohingegen die seit 1945 verabschiedeten Regelungen immer über die Vorstellungen der Vorlagen hinausgegangen waren. Ein Konsens der einzelnen Parteien bestand nur insoweit, als ein weiteres Handlungsbedürfnis zur Verbesserung der Luftreinhaltung gesehen wurde, (anders allerdings der Ausschuß für Wirtschaft, der in seiner Stellungnahme von einem Ausreichen der gesetzlichen Regelungen ausgini23), und zwar vor allem im Hinblick auf eine Sanierung der Altanlagen. Ebenso war auch für alle Parteien offensichtlich, daß das Umweltbewußtsein in der Bevölkerung erheblich zugenommen hatte224 . Im übrigen waren die Diskussionen von harten (parteipolitischen) Auseinandersetzungen mit einiger Polemik geprägt. Dabei zog die Regierung eine 220 Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, (Fraktion DIE GRÜNEN), BT-Drucksache 10/Nr. 1022 (1984), Entwurf eines Gesetzes zur Anderung des Bundes-Immissionschutzgesetzes (Abwärmeverwertung), (Bundesrat), BTDrucksache lO/Nr. 1861 (1984), Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des BundesImmissionsschutzgesetzes (Anlagensanierung), (Bundesrat), BT-Drucksache 10/Nr. 1862 (neu), (1984), vgl. zu den Änderungsvorschlägen der einzelnen Gruppierungen Feldhaus, UPR 85, S. 385 f. 221 Vgl. BT-Drucksache lO/Nr. 3556 (1985), insbesondere Seite 2. 222 Vgl. dazu BT-Drucksache 10/Nr. 3556 (1985), S. 17 ff. 223 Siehe BT-Drucksache 10/Nr. 3556 (1985), S. 11 f. 224 So auch Bundesminister Dr. Zimmermann, Sten.Ber. 10/75 8.6.1984, S.5462, BR-Protokolle 535/1984, S. 179, (Dr. Rüdiger, Hessen).

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des fonnellen Gesetzes

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wesentlich positivere Bilanz des bisher Erreichten und schätzte die tatsächliche Situation als nicht ganz so bedrohlich ein225 , wie die Opposition. Vertreter der Regierungsparteien hoben mehrfach hervor, daß die Verringerung der Emissionen primär über den Markt durch die wirtschaftlichen Eigeninteressen der Anlagenbetreiber erreicht werden müsse, nicht durch ordnungspolitisches Eingreifen seitens des Gesetzgebers226 . Den existierenden, von den Grünen, teilweise von der SPD und auch den Ländern getragenen weitergehenden Vorschlägen227, wie z.B. einem (befristeten) Widerrufsvorbehalt228, der eine erhebliche Schwächung der Betreiberposition zur Folge gehabt hätte, setzten sie entgegen, daß dies der Rechtssicherheit widerspräche und umweltrechtlich nicht erforderlich sei229 . Eine strengere Regelung in Bezug auf die Abwärmenutzung wurde als vom Regelungsbereich des BlmSchG nicht umfaßt zurückgewiesen230, wie es auch unter der alten Gewerbeordnung teilweise der Fall gewesen war (vgl. oben A. III. 4.). Von der Opposition wurde den Regierungsparteien daher vorgeworfen, an den Prinzipien der Gewerbeordnung festzuhalten 231 und als "Industrielobby" keine Normen schaffen zu wollen, die Vertretern industrieller Interessen allzu mißliebig seien232 . Die Industrie stand naturgemäß einer Verschärfung der Vorschriften des BImSchG ablehnend gegenüber, was aber nicht das Fehlen jeglicher Kompromißbereitschaft bedeutete233 . Bei nachträglichen Eingriffen in bestehende Anlagen war wohl in der Tat mit härteren Widerständen zu rechnen, als bei der Genehmigung von Neuanlagen nach verschärften Bestimmungen. 225 Z.B. Bundesminister Dr. Zimmennann. Sten.Ber. 10/75 8.6.1984, S. 5459 ff, Sten.Ber. 10/14826.6.1985, S. 11004 f, (Baum, FDP). 226 Z.B. Sten.Ber. 10/148 26.6.1985, S.11001 (Schmidbauer, CDU/CSU), S. 11007 (ParI. Staatssekretär Spranger), Sten.Ber. 10/75 8.6.1984, S.546O, (Bundesminister Dr. Zimmermann), auch Begründung zum Gesetzentwurf durch den Bundesrat, BT-Drucksache 10/Nr. 1862 (neu) (1984), S. 7. 227 Vgl. dazu im einzelnen Feldhaus, UPR 85, S. 385 f. 228 Vgl. dazu die Aufstellung in BT-Drucksache 10/Nr. 3556 (1985), S. 2 f. 229 Vgl. dazu insgesamt die Begründung des Innenausschusses für seine Vorschläge, BTDrucksache 10/Nr. 3556 (1985), S. 11 ff. 230 Sten.Ber. 10/14826.6.1985, S. 11002, (Schmidbauer, CDU/CSU). 231 Sten.Ber. 10/148 26.6.1985, S. 11003, (Schäfer, SPD). 232 .. Sten.Ber. 10/148 26.6.1985, S. 11005 f, (Schulte, GRUNE). 233 Vgl. z.B. BR-Protokoll 535/1984, S. 178 f, (Weiser, Baden-Württemberg), Sten.Ber. 10/758.6.1984, S. 5459, (Fellner, CDU/CSU).

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

Auch unter Einbeziehung der Verschärfungen waren die Befugnisse der Behörden im Immissionsschutz wesentlich schwächer ausgestaltet als z.B. die des Wasserrechts234 . Dies dürfte auf die feststellbare Rangfolge der Schutzgüter im Umweltrecht zurückzuführen sein, in der das Wasser vor der Luft rangierte235 . Der Schutz der Gewässer war gegenüber dem der Luft schon immer als vordringlich angesehen worden, (vgl. oben A. III. 4.). Als objektives Faktum ist jedoch fest zuhalten, daß auch die Regierungsparteien die Prioritäten in Richtung Umweltschutz verschoben hatten 236 . Sie gingen dabei nur nicht so weit wie die Oppositionsparteien, insbesondere die Grünen. Diese unterschiedliche Prioritätensetzung war auch der Grund für die entstehenden harten Auseinandersetzungen. Rechtstechnisch gesehen war eine weitere Konkretisierung der Regelungen festzustellen, verbunden mit einer Verschiebung der Konkretisierungsrolle in Richtung auf den Normgeber. Dazu gehörte z.B. die Einführung weiterer Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen, (§ 7 Abs. 2 und 3 BImSchG) und Verwaltungsvorschriften, (§ 48 Nr. 4 BImSchG), aber im Prinzip genau die Ersetzung des Prinzips der wirtschaftlichen Vertretbarkeit durch das der Verhältnismäßigkeit und die der Behörde dazu an die Hand gegebenen Beurteilungskriterien, (§ 17 Abs.2 BImSchG)237: "Insgesamt ist die Beurteilung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit mit so großen Unsicherheiten verbunden, daß notwendige Verbesserungsmaßnahmen oft entweder ganz unterbleiben oder daß die Behörde sich mit geringfügigen vom Anlagenbetreiber angebotenen Verbesserungen zufriedengibt. Aus diesem Grund soll nur noch auf den verfassungsrechtIich verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgestellt werden. Dieser Grundsatz gilt allgemein für belastende Verwaltungsakte 238 ". Durch diese Änderungen wurden die Grundlagen für ein umfassendes, vor allem auch AItanlagen betreffendes Vorsorgekonzept durch den Erlaß abstrakt -genereller Normen ge-

234 Dies konstatiert die Begründung zum Gesetzesentwurf des Bundesrates, BT-Drucksache lO/Nr. 1862 (neu) (1984), S. 6 f. 235 Für das Bestehen einer solchen Gewichtung z.B. auch Külz, BB 71, S. 1017. 236 Vgl. z.B. Sten.Ber. 10/14826.6.1985, S. 11004 f, (Baum, FDP).

237 So der Ausschußbericht, BT-Drucksache lO/Nr. 3556 (1985), S. 16. 238 Vgl. die Begründung zum Gesetzesentwurf (Anlagensanierung) des Bundesrates, BTDrucksache lO/Nr. 1862 (neu) (1984), S. 6.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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schaffen239 . Allgemein wurde davon ausgegangen, daß bei geringem Normspielraum die Anwendungseffektivität der Behörden hoch, bei großem hingegen unsicher und gering war240 . Es wurde überdies als Aufgabe des Gesetzgebers angesehen, die für die Rechtsanwender durch wenig konkrete Rechtsbegriffe entstehenden Zielkonflikte zu lösen. "Der Gesetzgeber darf die Beteiligten bei der Problemlösung nicht allein lassen. Er muß für bestehende Zielkonflikte eindeutige Entscheidungsvorgaben und Entscheidungshilfen geben.,,241 Rechtssystematisch gesehen ist es auch von Interesse, daß Regelungen mit technischen Einzelheiten offenbar als Domäne von Rechtsverordnungen, nicht aber von Gesetzen angesehen wurden 242 , genauso wie ermessensdeterminierende Vorschriften den Technischen Anleitungen zugeschrieben wurden243 . Insgesamt stellte die Novellierung keine grundlegende Änderung der Konzeption dar; sie brachte allerdings eine deutliche Verschärfung vorsorgeorientierter Bestimmungen mit sich. Anstelle der individuellen (behördlichen) Bestimmung angemessener Vorsorgemaßnahmen trat ein normgeleitetes allgemeines Vorsorge-Sanierungskonzept. Im übrigen handelte es sich nur um Verschärfungen bereits bestehender behördlicher Regelungsinstrumente. Weitergehende Ansätze, die teilweise vertreten wurden, konnten sich nicht durchsetzen.

III. Zusammenhänge zwischen der Normierung und dem zeitgeschichtlichen Hintergrund Die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 1985 war von harten partei- und interessenpolitischen Auseinandersetzungen geprägt. Als Grund dafür kann einmal die verschlechterte wirtschaftliche Lage in den

239 Vgi. dazu auch Feldhaus, UPR 85, S. 387. 240 Vgi. z.B. Sten.Ber. 10/14826.6.1985, S. 11005, (Baum, FDP), S. 11002, (Schäfer, SPD), BR-ProtokoIl535/1984, S. 176, (Einert, Nordrhein-Westfalen). 241 BR-Protokolle 535/1984, S. 180, (Dr. Vomdran, Bayern). 242 Vgi. den Ausschußbericht BT-Drucksache 1O/Nr. 3556 (1985), S. 15. 243 Begründung des Bundesrates zu seinem Gesetzentwurf BT-Drucksache lO/Nr. 1862 (neu) (1984), S. 12.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

80er Jahren vermutet werden244 . Es erscheint schlüssig, daß in Zeiten eines stetigen und scheinbar ungebremsten wirtschaftlichen Wachstums die Einsicht vorherrscht, daß die negativen Auswirkungen eines solchen Wachstums gering gehalten werden müssen, während in kritischen Zeiten der Trend dahin gehen kann, einer ohnehin angeschlagenen Wirtschaft nicht noch zusätzliche Belastungen aufzubürden. Dabei reichen allerdings, wie für vorhergehende Änderungen festgestellt, bloße konjunkturelle Schwankungen für eine Verschiebung der Prioritätensetzungen nicht aus. In den Jahren nach 1980 sah es jedoch so aus, als ob größere Zuwachsraten in Zukunft aus strukturellen Gründen nicht mehr zu erzielen wären, so daß nicht nur eine konjunkturelle Schwankung anzunehmen war. Dazu kam als weiterer Faktor das unzweifelhaft gestiegene allgemeine Umweltbewußtsein, das von den politischen Kräften ins Kalkül gezogen werden mußte. Es stellte eine Art "Untergrenze" für umweltpolitische Maßnahmen dar. Das bedeutet, daß selbst bei einer wirtschaftlich enger werdenden Situation und drängenden, spürbaren Umweltbelästigungen der Gesetzgeber gehalten war und ist, Neunormierungen unter maßgeblicher Einbeziehung des umweltschützenden Aspektes vorzunehmen. In einer solchen Situation müssen sich die Fronten bei Maßnahmen, die die Industrie belasten, zwangsweise verhärten. Dies gilt besonders dann, wenn der Hauptgegenstand der Novellierung die Altanlagen sind, bei denen im Vergleich zu den Neugenehmigungen sowieso mit entschiedenerem Widerstand zu rechnen war und ist245 • Als weiterer Grund für die Auseinandersetzungen ist zu vermuten, daß mit dem Einzug der Grünen ins Parlament ein extremeres Spektrum an Vorstellungen vertreten wurde, wodurch ein alle Parteien umfassender Komprorniß naturgemäß schwerer oder gar nicht zu erzielen war. Schließlich dürfte nicht zuletzt eine Rolle gespielt haben, daß mit der Novellierung eine Verschiebung der Konkretisierungsfunktion in Richtung des Normgebers, also teilweise des Parlaments selbst (Bestimmungen im Gesetz) oder der Regierung bzw. des Bundesrates stattgefunden hatte. Damit fiel die weiterdelegierende und somit "befriedende" Funktion eines unbe244 Das wirtschaftliche Wachstum betrug in den Jahren bis 1950 durchschnittlich ca. 16 %, 1951 - 1960 noch fast 8 %. Danach pendelte es sich auf Zahlen unter 5 % ein, in den Jahren von 1981 - 1986 waren es nur noch ca. 2 % im Durchschnitt, vgl. Henning, Industrialisiertes Deutschland, S. 194 f und zur gleichen Entwicklung aufgrund anderen Zahlenmaterials Stolper, Deutsche Wirtschaft, S. 254. 245 Vgl. dazu auch unten 2. Kap., B. 11. 2).

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

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stimmten Rechtsbegriffes weg, und die Zielkonflikte mußten in erhöhtem Maße vom Normgeber selbst bewältigt werden. Wie bei der nicht verabschiedeten Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 1979, war auch bei der Novellierung 1985 ein maßgeblicher Einfluß der Rechtsprechung festzustellen. Die Novellierung berücksichtigte bei der Aufstellung des Vorsorgekonzeptes, vor allem bezüglich der Altanlagen, die Direktiven, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17.2.1984 aufgestellt hatte 246 . ..

247

H. Die Anderungen 1990

I. Die Änderungen im Gesetzestext

Das Dritte Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes248 beinhaltete einige Änderungen der dieser Untersuchung zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen. Der Schutzzweck des Gesetzes nach § 1 BImSchG umfaßte nun zusätzlich Boden, Wasser und die Atmosphäre. Dem wurde die Definition der Immissionen nach § 3 Abs. 2 BlmSchG angepaßt und damit indirekt auch der Begriff der schädlichen Umwelt einwirkungen, (§ 3 Abs. 1 BImSchG), und die diesen Begriff enthaltenden Normen, (§§ 5 Abs.l Nr.l, 2, 17 Abs.l BImSchG). Der neue § 5 Abs.3 BImSchG dehnte durch seine Nr.l die Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG auch auf die Zeit nach der Betriebseinstellung aus. Korrespondierend mit dieser Neuerung wurde durch die Novellierung des § 7 Abs. 1 BImSchG die Möglichkeit geschaffen, Rechtsverordnungen für den Zustand einer Anlage nach Betriebseinstellung zu erlassen. Mit der Neufassung der Ermächtigungsgrundlage nach § 7

246 NVwZ 84, S. 371 ff. 247 Außer Betracht bleiben die durch die Wiedervereinigung ausgelösten gesetzlichen Änderungen und Sonderbestimmungen für die neuen Bundesländer (vg!. dazu Hansmann, NVwZ 91, S. 316 ff), da sie keinen Kontinuitätszusammenhang für die vorliegende Untersuchung besitzen und einer Sondersituation Rechnung tragen. 248

BGB!. I S.870, Bekanntmachung des Wortlautes der Neufassung vom 14.5.1990, BGB!. I S. 880.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

Abs. 3 BImSchG wurden die Möglichkeiten für Kompensationsregelungen erweitert249 . I/. Zielsetzungen und Hintergründe der Nonnierung

Die Materialien zeugen insgesamt davon, daß mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes keine durchgreifenden Änderungen durchgeführt werden sollten - es wurde mehrfach darauf hingewiesen, daß das Bundes-Immissionsschutzgesetz mit den dazugehörenden Bestimmungen ein bewährtes und modernes Regelungswerk darstelle250 und auch nicht durchgeführt wurden251 . Im Bereich der Anlagensicherheit sollte vielmehr das bisherige Überwachungssystem ergänzt und konkretisiert werden252 ; der neue § 5 Abs. 3 BImSchG betonte mit der Ausdehnung der Schutzpflicht auf die Zeit nach der Betriebseinstellung ebenfalls den sicherheitsrechtlichen Aspekt des Anlagengenehmigungsverfahrens. Hierbei ist allerdings zu beachten, daß die Bestimmung ohne eine konkretisierende Rechtsverordnung nach § 7 Abs. 1 BImSchG kaum vollziehbar war253 . Die diesbezüglichen Mechanismen wurden bereits mehrfach erörtert. In den Bereich des Vorsorgegrundsatzes gehörte die Neufassung des § 7 Abs. 3 BImSchG, die der offenbar impraktikablen Kompensationsregelung als marktwirtschaftlichem Instrument zu praktischer Relevanz verhelfen sollte254 . Die Änderung des Schutzbereiches und damit zusammenhängender Vorschriften ging auf einen Beschluß des 21. Ausschusses zurück, der in keiner Gesetzesvorlage enthalten gewesen war. Der Ausschuß selbst sprach in seiner Begründung von einer "klarstellenden Änderung,,255. Verursacht wurde 249 Vgl. auch die Zusammenfassung in BR-Protokoll (Stevenhagen) zu Punkt 9 der Tagesordnung.

600/1989 Anlage 6, S. 215 f

250 Vgl. z.B. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache lI/Nr. 4909, S. 13. 251 So auch die Einschätzung in der Literatur, vgl. z.B. Sellner, NVwZ tisch, NVwZ 91, S. 310.

91, S. 305, Reben-

252 Vgl. dazu die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache lI/Nr. 4909, S. 13 und die Zusammenfassung im Bericht des 21. Ausschusses (Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit), BT-Drucksache l1/Nr. 6633, S. 29 f.

253 So auch Sel/ner, NVwZ 91, S. 307. 254 Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache lI/Nr. 4909, S. 16 f, Sellner, NVwZ 91, S. 308. 255 BT-Drucksache lI/Nr. 6633, S. 43.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

123

sie durch den Anpassungsdruck an das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (vgl. unten K.). Eine darüber hinausgehende Erweiterung des Anwendungsbereiches des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wurde wohl nicht intendiert und auch nicht normiert. Die beschränkte Zielsetzung der Änderung war für die Haltung der einzelnen Parteien bestimmend. Den Oppositionsparteien256 und dem Bundesrat257 ging sie nicht weit genug, die Regierungsparteien sahen sie als ausreichend an. Dem entsprachen auch die Äußerungen der Redner bei den Beratungen. Weder die Art, noch die inhaltlichen Tendenzen der einzelnen Reden unterschieden sich dabei wesentlich von denen bei der Änderung des Gesetzes 1985. Während die Vertreter der Regierungskoalition das Erreichte als durchaus postitiv und die geplanten Änderungen als weitere Verbesserung darstellten258, hielten die Oppositionsvertreter die ökologische Gesamtsituation in unterschiedlichem Maße für bedrohlich und grundlegende Änderungen des Gesetzes für erforderlich259 .

IIf. Zusammenhänge zwischen der Nonniernng und dem zeitgeschichtlichen Hintergrnnd Die Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 1990 fand unter ähnlichen allgemeinen Bedingungen statt wie die 1985. Da die Regelung 1990 die Interessen der Wirtschaft jedoch weniger tiefgreifend berührte, waren auch die partei politischen Auseinandersetzungen nicht so scharf. Die Motivation für die Änderung des sicherheitsrechtlichen Teiles des Anlagengenehmigungsverfahrens stand in einem Zusammenhang, der auch bei anderen sicherheitsrechtlichen Regelungen feststellbar war 260 : ein Un-

256 VgI. die berichtende Darstellung des 21. Ausschusses, BT-Drucksache 11/Nr. 6633. S. 35 ff. 257 VgJ. die Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucksache lI/Nr. 4909, S. 27 ff und die Äußerung des Abgeordneten Schütz Sten.Ber. 11/159 15.9.1989. S. 12125: "Der Bundesrat will beißen, die Bundesregierung velWeigert den Biß." 258 Z.B. Sten.Ber. 11/159 15.9.1989, S. 12122 f (GrÖbl. CDU/CSU), S.12125 (Harries, CDU/CSU), S. 12127 (Baum, FDP). 259 Z.B. Sten.Ber. 11/159 15.9.1989, S. 12123 f (Schütz, SPD), S. 12126 f (Brauer, DIE GRÜNEN). 260 VgI. unten 2. Kap., B.I. 2. b) aa).

124

2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

glücks- oder Katastrophenfall in einer bestehenden Anlage gab den Anstoß für eine Gesetzesänderuni61 . In gleicher Weise bemerkenswert ist die - auch anderweitig festzustellende - Tatsache, daß der Bundesrat striktere gesetzliche Normierungen befürwortete als die Bundesregierung, obwohl dieselbe Fraktion in beiden Organen die Mehrheit besaß262 . Maßgeblich waren insofern also offenbar weniger die Unterschiede zwischen den Parteizugehörigkeiten, als vielmehr die Divergenz zwischen Länder- und Bundesinteressen. Bei der gescheiterten Novellierung des BImSchG 1979 wurde bereits dargelegt, daß Bund und Länder restriktive Entscheidungen lieber durch den jeweils anderen getroffen sehen wollten263 . Darin ist ein Grund zu sehen, der den Ländern restriktive bundesrechtliche Normen angenehm machte. Es erscheint aber nicht ausgeschlossen, daß darüber hinaus auf Länderebene ein effektiver Umweltschutz vielfach als wichtiger angesehen wurde als auf Bundesebene. Unter Umständen hängt dies damit zusammen, daß - ähnlich der Lage in Preußen im 19. Jahrhundert - kleinere Einheiten den Umweltgefahren "näher" waren, sei es durch erhöhte tatsächliche Wahrnehmung oder größeren politischen Druck. K. Die Umweltverträglicbkeitsprüfung

Das 1990 aufgrund einer EG-Richtlinie264 erlassene Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG)265 wird seinen Hauptanwendungsbereich im Immissionsschutzrecht haben. Trotzdem kann es in der vorliegenden Untersuchung nur am Rande berücksichtigt werden. Wie dargestellt, bezieht sich das Untersuchungsziel auf die Handhabung eines unbestimm261 Baseler Brandkatastrophe Ende 1986, vgl. BR-Protokoll 600/1989 Anlage 6, S.215 (Stevenhagen) zu Punkt 9 der Tagesordnung. 262 Nach wechselnden Mehrheiten hatte die CDU /CSU durch die von ihr regierten Länder ab 1958 die Mehrheit im Bundesrat inne. Sie behielt sie bis zum Juni 1990, in dem die Landtagswahl in Niedersachsen eine Änderung zugunsten einer Mehrheit der SPD herbeiführte. Mit der Erweiterung der Stimmenzahl des Bundesrates im November 1990 durch die fünf neuen Bundesländer lag die Mehrheit dann wieder bei CDU/CSU. Im Mai 1991 entstand durch die Wahl in Rheinland-Pfalz dann nochmals eine Mehrheit der SPD (DOkumentation Bundesrat 1991). 263 Vgl. oben F. 11. 264 85/337/EWG, ABI. Nr. L 175/40 C, abgedruckt in DVBI. 87, S. 829 Cf. 265 Vom 12.2.1990, BGBI. I S. 205.

1. Kapitel: Die Änderungen auf der Ebene des formellen Gesetzes

125

ten Rechtsbegriffes durch den nationalen Gesetzgeber und die nationalen rechtsanwendenden Instanzen im geschichtlichen Zeitverlauf. Als Rechtssetzungsakt wurde das UVPG an den nationalen Gesetzgeber von außen herangetragen, also weder durch ihn initiiert noch in seinen Grundzügen bestimmt, so daß es insoweit keine Aussagekraft besitzt. Zur Handhabung der Bestimmungen des UVPG durch die vollziehenden Behörden und die Gerichte können wegen der kurzen Zeitspanne, die seit Erlaß des Gesetzes verstrichen ist, ohnehin noch keine Erkenntnisse vorliegen. Die Erörterung des UVPG beschränkt sich deshalb auf wenige Einzelfragen, die im vorliegenden Zusammenhang signifikant erscheinen. Trotzdem sollte nicht verkannt werden, daß umweltrechtliche Bestimmungen in Zukunft in steigendem Maße vom Gemeinschaftsrecht geprägt sein werden und - in anderem Rahmen - erhöhte Aufmerksamkeit verdienen. Das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung entspricht weitgehend der ihm zugrunde liegenden EG-Richtlinie266 , trotz der ausgedehnten Zeitspanne, die es zur Umsetzung der Richtlinie bedurfte. Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat sich aber nicht nur insoweit einer deutlichen Richtungsvorgabe enthalten, sondern er hat bis jetzt auch weder materielle noch verfahrensmäßige Maßstäbe und Standards erlassen, nach denen die Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen wäre. Nach Meinung nahezu aller in der Literatur mit der Umweltverträglichkeitsprüfung befaßten Stimmen sind solche Standards für einen effektiven Vollzug des Gesetzes so dieser überhaupt erreichbar sein sollte267 - unabdingbar268 . Ohne konkretisierende Vorschriften bleibt das Gesetz "in seinem wesentlichen Gehalt nur schwer nachvollziehbar,,269. Soweit nach der Begründung des Regierungsentwurfes die Bewertungsmaßstäbe den unbestimmten Rechtsbegriffen der formellen (Fach-)Gesetze entnommen werden sollen, wird damit im wesentlichen nur eine Leerformel durch eine weitere aufgefüllt.

266 So auch Soell/Dimberger, NVwZ 90, S. 707 f. 267 Skeptisch z.B. Soell/Dimberger, NVwZ 90, S. 712. 268 Schink/Erbguth, DVBI. 91, S. 417, Stein berg, DVBI. 90, S. 1371, Dohle,

NVwZ

89, S. 70,

Hoppe/Püchel, DVBI. 88, S. 2. Ein weiteres Problem wäre dann das Verfahren und der Inhalt der zu gewinnenden Standards, vgl. dazu z.B. Steinberg, DVBI. 90, S. 1372 f, Hoppe/Püchel, DVBI. 88, S. 2 f.

269 Steinberg, DVBI. 90, S. 1370.

126

2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

Für die Anwendung der Umweltverträglichkeitsprüfung bei einer Anlagengenehmigung nach dem BlmSchG stellt sich das weitere Problem, daß das BlmSchG nicht auf die integrative Prüfung sämtlicher möglicher Umweltauswirkungen ausgelegt war, die Richtlinie und UVPG fordern. Durch die Anpassung des § 1 BlmSchG und die damit verbundenen "Folgeänderungen" (vgl. oben H. 1.)270 wurde versucht, diesem Mangel abzuhelfen. Ob dies durch die vorgenommene Änderung vollständig erreicht werden konnte271 , sei dahingestellt. Untersuchungsrelevanter ist die Tatsache, daß die integrative Prüfung anhand unbestimmter Rechtsbegriffe geleistet werden sollte, also z.B. der Termini "Gefahren", "schädliche Umwelteinwirkungen", "Vorsorge" etc.272 . Die Flexibilität und der weite Rahmen dieser Begriffe sollen die übergreifende Umweltverträglichkeitsprüfung und die Einbeziehung ihrer Ergebnisse in die Entscheidung ermöglichen273 . Damit ist eine ähnliche Situation gegeben, wie sie beim Erlaß der Gewerbeordnung 1869 bestand: die formellgesetzlichen Vorgaben enthalten lediglich unbestimmte Rechtsbegriffe; Vorschriften, die diese konkretisieren, bestehen nicht. Ob auf diese Art und Weise eine wirksame Anwendung des Gesetzes zur Umweltverträglichkeitsprüfung erreicht werden kann, erscheint aufgrund der Erfahrungen mit den Normen des Anlagengenehmigungsverfahrens274 mehr als zweifelhaft275 . Es wird daher allgemein davon ausgegangen, daß das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung nur ein "erster Versuch" ist, der nach den jeweiligen praktischen Erkenntnissen und Erfahrungen mit diesem Gesetz angepaßt werden muß 276 .

270 Vgl. dazu auch Steinberg, DVBI. 90, S. 1372. 271 Problematisch ist dies auch nach der Neufassung des BImSchG insbesondere für die Wechselwirkungen, vgl. dazu z.B. Schink/Erbguth, DVBI. 91, S. 418. 272 Hoppe/Püchel, DVBI. 88, S. 8, 12, Soell/Dimberger, NVwZ 90, S. 709. 273 Hoppe/Püchel, DVBI. 88, S. 12, Soell/Dimberger, NVwZ 90, S. 709. 274 Vgl. dazu im folgenden 2. Kapitel. 275 Vgl. z.B. Dohle, NVwZ 89, S.704, Steinberg, DVBI. 90, S. 1371, Jarass. Umweltverträglichkeitsprüfung, S. 78 f. 276 Vgl. Soell/Dimberger, NVwZ 90, S. 712 f, mit weiteren Nachweisen.

Zweites Kapitel Die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffes durch die Exekutive und die Judikative A. (Erhebliche) Gefahren, Nachteile oder Belästigungen (schädliche Umwelteinwirkungen) im Rahmen der §§ 16 Abs. 1 GewO, 4 Abs. 1 BImSchG

Die Frage, welche Anlagen genehmigungspflichtig waren, wurde seit Inkrafttreten der Gewerbeordnung immer durch Normen bestimmt. Bis 1959 erfolgte die Festlegung durch die formellgesetzliche Regelung selbst, danach durch eine Rechtsverordnung. Trotzdem kristallisierten sich schon bald verschiedene Problemstellungen heraus, deren Bedeutung im Laufe der Geltungsdauer der Gewerbeordnung immer deutlicher zutage trat. Für die vorliegende Untersuchung wurden diese Problemstellungen außerdem deshalb ausgewählt, weil sich zu ihrer Lösung unter anderem ein Rückgriff auf den Maßstab der "erheblichen Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen" oder "schädlichen Umwelteinwirkungen" anbot, mit anderen Worten auf Sinn und Zweck des Genehmigungserfordernisses. Daraus, ob und inwieweit dieser Schritt von den Behörden und Gerichten vollzogen wurde, könnten sich Aussagen über die praktische Handhabung der genannten unbestimmten Rechtsbegriffe ableiten lassen. Der erste dieser Problemkreise waren die erfaßten Anlagenarten selbst. Zwar legte zuerst § 16 Abs. 1 GewO, später die entsprechende Rechtsverordnung fest, welche Anlagen einer besonderen Genehmigung bedurften. Diese Normierung wurde immer als enumerativ und abschließend aufgefaßt, (was verdeutlicht, daß die im Gesetz genannten unbestimmten Rechtsbegriffe, die über die Aufnahme einer Anlage in den Kreis der genehmigungspflichtigen entscheiden sollten, unmittelbar nur an die norm setzende Stelle gerichtet waren). Die Bezeichnung der einzelnen Anlagen war jedoch zumindest anfangs mehr plakativ als wissenschaftlich genau, so daß sich

2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

128

zahlreiche Fragestellungen im Hinblick auf die Art der erfaßten Anlagen ergaben. Ein ähnliches Problem entstand dadurch, daß Anlagen eXistIerten, die zwar nach ihrer Art von § 16 GewO erfaßt wurden, aber nicht der gewerblichen Produktion dienten. Schließlich erwies sich auch der Anlagenbegriff selbst in der praktischen Handhabung nicht als völlig problemlos. Fraglich war hier insbesondere, ob sogenannte Niederlagen, also Z.B. die Lagerung von Fellen oder Knochen, als Anlagen i.S.d. § 16 GewO zu werten waren. l. Die Anlagenarten

In dem Zeitraum, der auf den Erlaß der Gewerbeordnung 1869 folgte, wurde die Tatsache, daß durch die Aufzählung des § 16 Abs. 2 GewO letztlich doch noch keine Determinierung des Geltungsbereiches erfolgt war, durch die Gerichte zunehmend explizitg festgestellt und aufgearbeitet. Die Einleitung der diesbezüglichen Ausführungen in einem Urteil bildete meist die Feststellung, daß das Verzeichnis kein exemplifikatives, sondern ein erschöpfendes seil. Allerdings enthalte das Verzeichnis Gattungsbegriffe, so daß die Bezeichnung noch nicht allein maßgeblich sei für die Beurteilung der Frage, ob die Anlage unter die Bestimmungen der §§ 16 ff GewO falle, sondern daß sie auch dann, wenn sie in § 16 GewO nicht namentlich aufgeführt sei, immerhin ihrer Natur nach unter die bezeichneten Kategorien zu subsumieren sein könne2. Die Frage nach dem Geltungsbereich des § 16 Abs. 2 GewO wurde allgemein als Rechtsfrage angesehen, nicht als Ermessensfrage3 . Sie war deshalb von den Gerichten nachprüfbar und entscheidbar4. Diese Urteile zeigen gleichzeitig, daß die Frage nach dem Geltungsbereich der §§ 16 ff GewO durch die Verwaltung nicht letztgültig geklärt wurde.

1

So z.B. OLG Hamm v. 10.10.1911, Reger 32, S. 5 f.

2 BayVGH v. 26.1.1898, Reger 18, S. 409, BayVGH v. 5.7.1905, Reger 26, S. 2, für den darauffolgenden Zeitraum vgl. z.B. RG v. 26.6.1914, Reger 35, S. 246. 3 4

Vgl. zum "freiem Ennessen" unten B. 11. 1. Vgl. z.B. BayVGH v. 23.12.1903, Reger 24, S. 429, Landmann, GewO, 6. Aufl., § 16, 5.,

SChellong, VerwArch 18, S. 46 f.

2. Kapitel: Die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffes

129

1. Entscheidungen der Verwaltungsbehörden

Die mangelnde Klärung der erfaßten Anlagengattungen durch die Verwaltung hatte im Zeitraum nach 1869 zum einen kompetenzrechtliche Gründe, indem der Judikative durch die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung das "letzte Wort" überlassen blieb. Zum anderen lag dies aber auch daran, daß von der Verwaltung keine befriedigenden Begriffsklärungen geliefert wurden. Allerdings gab es durchaus Konkretisierungsbestrebungen. Rechtliche Mittel dazu waren ministerielle Erlasse5 (Entscheidungen)6 und Verordnungen7, Gutachten Technischer Deputationen oder ähnlicher Stellen8, sowie vor allem die preußische "Technische Anleitung zur Wahrnehmung der den Kreisausschüssen ... hinsichtlich der Genehmigung gewerblicher Anlagen übertragenen Zuständigkeiten,,9 (TA). Die inhaltlichen Aussagen dieser konkretisierenden Bestimmungen bezogen sich zumeist darauf (anders die preußische TA, vgl. dazu unten B. I. 1. a» festzustellen, ob eine Anlagenart unter einen der Gattungsbegriffe des § 16 GewO zu subsumieren war, oder nicht. Den dafür geeigneten methodischen Ansatzpunkt für die Rechtsanwendung stellte die Auslegung anhand der bereits herkömmlichen Kriterien lO der grammatikalischen (Wortlaut), der systematischen, der historischen (genetischen) und der teleologischen Auslegung dar l1 . Wie im ersten Teil schon festgestellt, setzt die Unbestimmtheit eines Begriffes erst da ein, wo 5 Vgl. z.B. Erl. d. preuß. Min. f. H. u. Gew. u. d. Min. d. Inn. vom 2.11.1897. Reger 18, S. 144 f. 6

Z.B. Entsch. d. württ. Min. d. Inn. vom 5.12.1882, Reger 3, S. 251 f.

7 So z.B. Verordnung des kgJ. sächsischen Min. d. Inn. vom 4. 10. 1897, Reger 18, S. 14, Verordnung des kgJ. sächsischen Min. d. Inn. vom 26.3.1902., Reger 22, S. 301, Oberpolizeiliche Vorschriften über Zelluloidbetriebe und Zelluloidlager, Staatsmin. d. K. H. u. d. Äußeren, sowie d. Inn. vom 9.3.1912, BayGVBI. 1912, S. 77 ff. 8

Vgl. z.B. Gutachten der kgl. sächs. Techn. Deputation vom 3.4. 1897, Reger 18. S. 12 ff.

9 Fassung vom 14.4.1875, PrMinBI. 1875. S. 105 ff. außerdem z.B. Rüdiger. 1. Aufl .• S. 67 ff, Fassung vom 15.5.1895, PrMinBI. 1895, S. 196 ff, außerdem z.B. Landmann, GewO. 6. Aufl., Anhang zu Band I, S.688 ff, Reger=Stöhsel II (Anhang), 4. Aufl .• S. 341 ff. 6. Aufl., S. 578 ff, Grate/end, Gesetzgebungs-Material, Jahrgang 1895, S. 681 ff. Rüdiger. 2. Aufl .• S. 42 ff. 10 VgJ. zur Entwicklung der Auslegung Manigk, Auslegung, S. 428 ff. 11 VgJ. z.B. Engisch, Einführung, S. 70 ff, Larenz, Methodenlehre, S. 305 ff, Münchener Rechtslexikon, Stichwort "Auslegung". 9 Ebinger

130

2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

er sich durch die Auslegung nicht insgesamt auflösen läßt. Bei den Gattungsbegriffen des Verzeichnisses handelte es sich nicht um Begriffe, die nach der vorgenommenen Definition als "unbestimmt" einzuordnen sind; ein Wertungsmoment wurde durch den Gesetzgeber nicht einkalkuliert, (vgl. oben Ergebnis zum 1. Teil, 1. Kap., A.). Der unbestimmte Rechtsbegriff der "erheblichen Nachteile, Gefahren oder Belästigungen" wurde daher nur relevant, soweit er im Rahmen der Auslegung der Gattungsbegriffe herangezogen wurde. Nur in diesem Zusammenhang lassen sich Aussagen über seine Handhabung gewinnen. Im Hinblick auf das Untersuchungsziel ist daher zu beachten, daß hier nicht die eventuell von zeitgeschichtlichen Faktoren beeinflußte Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffes zur Gewinnung von Schlüssen dienen kann, sondern daß der unbestimmte Rechtsbegriff hier zur Auslegung eines bestimmten Rechtsbegriffes herangezogen wurde und über diesen Umweg auch Aussagen über den Inhalt und die Handhabung des unbestimmten Rechtsbegriffes möglich erscheinen. Nicht vorstellbar ist dies für das Kriterium der grammatikalischen Auslegung, die zum einen auf den allgemeinen, zum anderen auf den juristischen Sprachgebrauch abstellt 12 • Für die hierbei zu ermittelnde Grenze des möglichen Wortsinnes spielt der genannte unbestimmte Rechtsbegriff keine Rolle. Etwas anderes gilt aber teilweise für die systematische Auslegung. Da hier die Frage nach der formellen und inhaltlichen Stellung des Begriffes in der Vorschrift, und wiederum deren Stellung im Gesetz (gegebenenfalls auch die der Rechtsordnung im Gesetz) ausschlaggebend ist 13 , kann der genannte, in § 16 GewO enthaltene Rechtsbegriff durchaus Bedeutung gewinnen. Ein nahezu kompulsives Heranziehen bringt die historische (genetische) Auslegung mit sich, die auf die Entstehungsgeschichte der Rechtsnorm abzielt, wobei sowohl auf die konkrete Situation der Entstehung, als auch auf Motive, Protokolle u.ä. zurückgegriffen werden kann 14 • 12 Vgl. dazu z.B. LaTenz, Methodenlehre, S. 305 f, Engisch, Einführung, S. 74. 13 S. z.B. LaTenz, Methodenlehre, S. 310. 14

Vgl. dazu z.B. Engisch, Einführung, S.74. Im letzten Teil (1. Kapitel) wurde auf diese Methode bereits zurückgegriffen.

2. Kapitel: Die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffes

131

Die teleologische Auslegung schließlich, die nach Sinn und Zweck der Norm fragt, (subjektiv nach dem damaligen Willen des Gesetzgebers oder objektiv nach den heutigen, im Zeitpunkt der Entscheidung mit dem Gesetz zu verbindenden Vorstellungen)15, wird ohne den Begriff der "erheblichen Nachteile, Gefahren oder Belästigungen", der der gesamten Regelung der Genehmigungsbedürftigkeit gewerblicher Anlagen zugrunde liegt, nicht auskommen. Es ist zu beachten, daß damit aber noch nichts über die jeweiligen Ergebnisse der Auslegung ausgesagt ist. Insbesondere soll mit diesen Ausführungen nicht postuliert werden, daß die Heranziehung der gefahrenabwehrenden Grundkonzeption der §§ 16 ff GewO und später des darauf bezüglichen Teiles des BImSchG zwangsweise zu einer den Geltungsbereich erweiternden Auslegung führen müßte l6 . Ein systematisches Vorgehen der Behörden nach diesen Kriterien ist den veröffentlichten schriftlichen Entscheidungen aber nicht zu entnehmen. Bei den insgesamt eher knapp ausfallenden Begründungen ist nur ein gelegentliches - nicht immer explizites - Aufgreifen eines der angeführten Auslegungskriterien festzustellen. So führte Z.B. das Gutachten der kgl. sächs. Techn. Deputation vom

3.4.189717, auf das sich die Verordnung des kgl. sächs. Ministeriums des Innern vom 4.12.1897 stützte l8, zur Begründung der Ansicht, daß Anlagen zur Zurichtung eiserner Träger nicht unter § 16 GewO fallen, die Entstehungs-

geschichte dieser Bestimmung an.

15 Z.B. Engisch, Einführung, S. 74, Larenz, Methodenlehre, S. 318. Eine zusammenfassende Darstellung zur subjektiven und objektiven Theorie im Rahmen der teleologischen Auslegung findet sich z.B. bei Pauly, Preuß. OVG, S. 74 ff. 16 Herzberg, NJW 90, S. 2525 ff, insbes. S. 2530, kritisiert den bereits im Ansatz verkürzend und verzerrend wirkenden Bezug auf Sinn und Zweck einer Norm, da nach seiner Meinung dadurch notwendigerweise die Überbetonung einer erfaBten Interessenlage zulasten anderer, ebenfalls erfaßter Interessenlagen stattfindet. Diese Kritik dürfte zumindest in Teilbereichen gerechtfertigt sein. Sie steht dem hier verfolgten Ansatz allerdings nicht entgegen, sondern unterstützt ihn geradezu, da die einseitige Betonung einer Interessenlage signifikante Schlüsse auf die Haltung des Beurteilenden zuläßt. 17 Reger 18, S. 12 f.

18 Reger 18, S. 14.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

Hauptsächlich systematische Argumente gebrauchte die kgl. sächs. Techn. Deputation in ihrem Gutachten vom 10.9.1891 19, um zu begründen, warum Tintenfabriken keine chemischen Fabriken i.S.d. § 16 GewO sind. Eine unter anderem grammatikalische Auslegung nahm die Rekursinstanz bezüglich der Entscheidung, ob bestimmte Gasanlagen zu den "Gasbereitungs- und Gasbewahrungsanstalten" gehören, vor20. Diese Begründungen kamen alle ohne einen Rückgriff auf die "Gefahren, erheblichen Nachtheile und Belästigungen" aus. Die teleologische Auslegung blieb von untergeordneter Bedeutung. Auf Sinn und Zweck der Genehmigungspflicht für einzelne Gattungen von Anlagen wurde nur vereinzelt, und dann meist im Zusammenhang mit der historischen Betrachtungsweise eingegangen. "Anlagen dieser Art (Gasbereitungs- und Gasbewahrungsanstalten) der Genehmigungspflicht zu unterwerfen, erschien deshalb geboten, weil diese meist umfangreichen und in unmittelbarer Nähe bewohnter Ortschaften belegenen Betriebe durch Rauch, Gase und übelriechende Dämpfe erhebliche Belästigungen und Schädigungen der Nachbarschaft, ferner Feuers- und Explosionsgefahr und überdies durch ihre Abwässer schädliche Verunreinigungen des Erdreiches und der Gewässer herbeizuführen geeignet sind." Nach diesem Verständnis sei es nicht gerechtfertigt, "jene Gesetzesvorschrift auch auf die mannigfaltigen, von jenen Betrieben völlig verschiedenen Anlagen auszudehnen, mit welchen die heutige Technik Gase zur Krafterzeugung und zu Beleuchtungszwecken herstellt und ansammelt ..... 21. Die Anlagen zur Zurichtung eiserner Träger wurden von der kgl. sächs. Techn. Deputation mit ähnlicher Argumentation nicht zu den "Fabriken, in welchen Röhren aus Blech durch Vernieten hergestellt werden" gezählt: "Hierbei hat man sich darauf gestützt, daß die in solchen Anlagen erfolgende Bearbeitung eiserner Platten, Stangen und dgl. ein Geräusch erzeugt, welches für die Nachbarschaft und das in der Nähe verkehrende Publikum mit erheblicher Belästigung verbunden ist. Besonderes Gewicht ist aber darauf gelegt worden, daß diese Belästigung bei jenen Anlagen um so empfmdlicher sei, als hier die Arbeiten meist im Freien ausgeführt werden und somit das Geräusch, welches damit verbunden ist, durch keinerlei Bedeckung der 19

Reger 12, S. 233 f.

20 Bescheid vom 28.2.1907, Reger 27, S. 512 f. 21 Rekursbescheid vom 28.2.1907, Reger 27, S. 511 f.

2. Kapitel: Die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffes

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Arbeitsräume gedämpft wird,,22. In diesen Entscheidungen führte die Frage nach dem Sinn und Zweck der Bestimmungen zur Ablehnung der Anwendbarkeit des § 16 GewO. Anders in einer Verordnung des kgl. sächs. Min. d. Inn. 23, durch die unter anderem auch deshalb kleinere Preßlufthämmer zu den Hammerwerken gezählt werden, weil sie die Möglichkeit der Belästigung für die Bewohner benachbarter Grundstücke mit sich bringen und in einem Erlaß des bayerischen Min. d. Inn., in dem sämtliche Schlachtstellen als "Schlächtereien" i.S.d. § 16 GewO bezeichnet werden, weil "vom sanitätspolizeilichen Standpunkte aus gerade die kleinen (Haus-) Schlächtereien gefährlicher als die großen Schlachthäuser sind,,24. Während die genannten Stellungnahmen immerhin eine, wenn auch zum Teil sehr knappe Begründung enthielten, kam die Mehrzahl der Konkretisierungen ohne Begründung zurecht. Es wurde nur festgestellt, welche Anlagenarten von einem Gattungsbegriff erfaßt wurden25 . Dies geschah teilweise im Rahmen von Normen, deren primärer Regelungsgegenstand ein anderer war, so z.B. Arbeiterschutzvorschriften aufgrund der §§ 120 e, 139 a Gew026 oder auch "polizeiliche" (sicherheitsrechtliche) Verordnungen27 . Wichtigstes Beispiel normkonkretisierender Vorschriften dieser Periode war die preußische Technische Anleitung bezüglich der Genehmigung gewerblicher Anlagen. Sie enthielt unter anderem "Definitionen" sowie eine Beschreibung der wichtigsten mit der jeweiligen Anlage verbundenen Gefahren und der bei ihrer Genehmigung zu beachtende Gesichtspunkte, die den Verwaltungsbehörden die Entscheidung über die Genehmigung erleichtern sollten. Der Technischen Anleitung kam schon deshalb eine solche Bedeutung zu, weil sie das einzige Referenzwerk dieser Art war. In zahlrei22

Gutachten vom 3.4.1897, Reger, 18 S. 13. 23 Vom 26.3.1902, Reger 22, S. 301. 24 Erlaß vom 25.8.1873, BayMABI. 1873, S. 495. 25 S. z.B. den Erlaß d. preuß. Min. f. H. u. Gew. u. d. Min. d. Inn. vom 2.11.1897, Reger 18, S. 145 f. Es existieren auch Negativabgrenzungen, Bsp.: Erlaß des bay. Min. d. König. Hauses, des Äußern u. des Innern vom 5.3.1909, BayMABI. 1909, S. 245, in dem festgestellt wird, daß "die Sauggas-Kraftanlagen nicht zu den nach § 16 der Gewerbeordnung genehmigungspflichtigen Anlagen gehören".

26 U.a. für die Zubereitungsanstalten für Tierhaare Bundesraths-Bek. vom 28.1.1899, RGBI. 1899, S.5, Oberpolizeiliche Vorschrift über Zelluloidbetriebe und Zelluloidlager vom 14.4.1912, BayGVBI. 1912, S. 21. 27 Vgi. z.B. die bayer. AV vom 22.6.1901, BayGVBI. 1901, S. 211.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

chen Entscheidungen von Verwaltung28 und Rechtsprechung29 wurde auf sie Bezug genommen. Die Technische Anleitung erfaßte nicht alle der in § 16 GewO verzeichneten Anlagenarten, (vgl. dazu unten B. I. 1. a) bb)). Von denen, über die sie Ausführungen enthielt, waren wiederum nicht alle mit einer "Definition" versehen. Definition ist hierbei im Sinne einer Konkretisierung zu verstehen. Die Technische Anleitung leistete sie entweder in Form direkter Begriffsbestimmungen, so Z.B. bezüglich der Gasbereitungs- und Gasbewahrungsanstalten: "Es handelt sich hierbei um solche Anlagen, in denen durch trokkene Destillation organischer Stoffe, insbesondere von Steinkohlen, Braunkohlen, Holz etc. Leuchtgas dargestellt, gereinigt und zur Verwendung angesammelt wird,,30, oder durch Beschreiben des Produktionsprozesses, so Z.B. bei den Seifensiedereien: "Die Seifensiederei besteht darin, daß Fette mit kaustischer Lauge gekocht werden. Hierbei erfolgt die Bildung der Seifen (Verbindung der Fettsäuren mit den Alkalien) unter Abscheidung von Glycerin,,31. Keinerlei Definition enthielten die Ziffern der TA bezüglich: "Glasund Rußhütten", "Kalk- (Cement-)öfen,,32, "Gypsöfen", "Stärkefabriken", "Schlächtereien", "Abdeckereien", "Fabriken, in welchen Dampfkessel oder andere Blechgefäße durch Vernietung hergestellt werden", "Fabriken, in welchen Röhren aus Blech durch Vernieten hergestellt werden, sowie die Anlagen zur Erbauung eiserner Schiffe, zur Herstellung eiserner Brücken oder sonstiger eiserner Baukonstruktion". Bei den beiden letzteren erklärt sich dies wohl zwanglos dadurch, daß die Bezeichnung im Verzeichnis selbst schon so ausführlich geworden war, daß sich eine weitere Erklärung zu erübrigen schien. Die anderen Anlagengattungen sind solche, die dem alltäglichen Sprachgebrauch und Verständnis 28

vgl. z.B. Rekursbescheid vom

29

28.2.1907, Reger 27, S. 512.

Siehe z.B. die Entscheidungen des BayVGH v. 26.1.1898, Reger 18, S. 409 (411), RG v. 4.3.1910, Reger Erg.Bd. IV, S. 10 (11), PreußOVG v. 19.1.1898, OVGE 33, S. 345 (346), 23.6.1900. OVGE 37, S. 309 (313, 315), OLG Hamm v. 10.11.1911, Reger 32, S. 5 (6).

30

31 32

TA vom TA vom

15.5.1895, Ziffer 1., TA vom 14.4.1975, Ziffer 1, Nachweise s. FN 9. 15.5.1895, Ziffer 20., TA vom 14.4.1975, Ziffer 20, Nachweise s. FN 9. nur für die neue Fassung der TA vom 15.5.1895. Die vom 14.4.1875

Das gilt enthielt noch die Erläuterung "In diesen Oefen werden Kalksteine oder Cementmaterialien Behufs der Bereitung von Mörtel gebrannt" (Ziffer 5.), Nachweise s. FN 9.

2. Kapitel: Die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffes

135

ohne weiteres zugänglich waren. Das gilt auch für den bei ihrem Betrieb ablaufenden Produktionsprozeß, für den kein tieferes technisches Verständnis erforderlich war. Eine nähere Bestimmung im Rahmen der TA erschien daher wohl entbehrlich. Im Gegensatz dazu wurde bei einigen Anlagengattungen explizit bestimmt, welche (umstrittenen) Arten noch dazugehörten und welche nicht33 . Bei diesem Stand der konkretisierenden Bestimmungen verblieb es im wesentlichen34 bis zum Erlaß der "Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen nach § 16 der Gewerbeordnung,,35, die auf der geänderten Gewerbeordnung von 1959 beruhte36, obwohl sich die Kompetenzen zum Erlaß konkretisierender Bestimmungen nicht änderten37. Als Grundtendenz im bisherigen formellen Vorgehen der Verwaltung läßt sich festhalten, daß zwar konkretisierende Bestimmungen erlassen wurden, dies aber größtenteils ohne ausführlichere Begründung. Vorhandene Begründungen nutzten die Möglichkeit einer eher ausdehnenden, an Sinn und Zweck orientierten Auslegung nur selten. Eine eindeutige Tendenz bezüglich einer Erweiterung oder Verengung des Anwendungsbereiches des § 16 33 Beispielsweise wurde im Wege der Negativabgrenzung festgestellt, daß "Fabriken, in denen Seife, wie man sagt, auf kaltem Wege, d.h. durch Erwärmung unter dem Siedepunkte hergestellt wird", der Genehmigung als "Seifensiederei" nicht bedürften, ebenso: "zu den Hammerwerken sind solche Anlagen nicht zu zählen, in denen Fallgewichte unmittelbar durch die Armkraft eines Arbeiters gehoben werden", TA vom 15.5.1895, Ziffern 20, 10; eine positive Einbeziehung findet sich bei den "fabrikartigen Betriebsstätten, in denen eiserne Bauträger durch Abhauen auf Maß gebracht werden" bzgl. der Ziffer 35 der TA. Nachweise s. FN 9. 34 Ein Beispiel für eine der wenigen konkretisierenden Bestimmungen des dazwischenliegenden Zeitraumes stellt der Erlaß des Preußischen Ministers für Handel und Gewerbe vom 7.5.1929, HMBI. S. 108 dar. Er beschäftigte sich mit den "Patronenabfüllbetrieben" und nahm davon diejenigen Handwerksbetriebe aus, die leere Patronen für Jagd- und Sportzwecke nachfüllten.

35 Vom 4.8.1960, BGBI. I S. 690. 36

Vgl. dazu oben 1. Kap., D. 11. 1.

37 Die gesetzlichen Grundlagen für das Genehmigungserfordernis, also das Verzeichnis

des § 16 GewO, waren immer auf Bundesebene erlassen worden und nur die Durchführung der Gewerbeordnung war Aufgabe der Länder gewesen. (Dies ergab sich aus § 21 GewO; ab 1953 räumte das Gesetz zur Änderung der GewO von 1953 in seinem Art. 11 den Ländern außerdem die weitergehende Befugnis ein, das Rekursverfahren abweichend von den §§ 20, 21 GewO zu regeln, BGBI. I S. 1462.) Das Verzeichnis wurde früher durch Beschluß des Bundesrates, vorbehaltlich der Genehmigung des Reichstages abgeändert. und diese Befugnis ging gemäß Art. 129 Abs. 1 GG auf die Bundesregierung über, vorbehaltlich der Zustimmung durch den Bundesrat, Art. 80 Abs. 2 GG (Landmann/Rohmer, GewO, 11. Aufl., § 16. 55). Die Landesbehörden waren daher während des gesamten Zeitraumes in gleichem Maße zum Erlaß konkretisierender Bestimmungen "befugt" oder "unbefugt".

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

GewO läßt sich daraus nicht ableiten. Festzustellen ist aber, daß die Argumentation, eine eventuell von § 16 GewO erfaßte Anlagenart verursache dieselben Gefahren usw., wie sie von der in § 16 GewO genannten Anlagengattung verursacht werde, nur in geringem Maße verwendet wurde. In vielen Fällen hätte Gelegenheit zu einer solchen Argumentation bestanden. Statt dessen wurde oft die durch die Art der Regelung eröffnete Argumentationsmöglichkeit genutzt, die dahin ging, daß der Gesetzgeber, wenn er die in Frage stehende Anlagenart der Genehmigungspflicht nach § 16 GewO hätte unterwerfen wollen, er diese explizit in das Verzeichnis hätte aufnehmen müssen. Nun waren allerdings Anlagen, die nicht unter § 16 GewO fielen, dem allgemeinen Polizeirecht unterworfen. Dies ließ in weiten Teilen wesentlich restriktivere und strengere (nachträgliche) Betriebsbedingungen zu, als die §§ 16 ff Gew0 38 . Es könnte daher vermutet werden, daß Verwaltung (und Gerichte, vgl. unten 2.) den Anwendungsbereich des § 16 GewO deshalb klein hielten, um den der polizeilichen Vorschriften zu vergrößern. Eine solche Vermutung findet in den Quellen jedoch keine Stütze. Zum einen ging nur ein kleiner Teil der Entscheidungen darauf ein, daß polizeiliche Vorschriften anwendbar waren. Einem Rekursbescheid ist zu entnehmen: "Sollten kleine Betriebe, wie der hier zur Erörterung stehende, Gefahren oder Nachteile für die Nachbarschaft oder weitere Kreise der Bevölkerung herbeiführen, so kann lediglich in Frage kommen, ob im Wege polizeilicher Anordnung Abhilfe zu schaffen ist,,39, und ein Urteil des BayVGH stellt fest, daß Belästigungen der Nachbarschaft allenfalls für eine Aufnahme in das Verzeichnis des § 16 GewO durch den Bundesrat, oder "für die einzelnen Staatsregierungen von Bedeutung sein (können), wenn sie der Frage nähertreten, ob nicht durch oberpolizeiliche Vorschriften Schutzmaßregeln bei der Einrichtung und den Betrieb von Sauggasanlagen getroffen werden sollen.',40 Zum anderen war durch die Nichtanwendung der §§ 16 ff GewO nur 38 Bühler, Subjektive öffentliche Rechte, stellt sogar fest: •... und so ist es allmählich dahin gekommen, dass es für eine Anlage vorteilhafter ist, wenn sie eine lästige Anlage ist, als wenn sie nicht unter diese fällt, weil ihr dann Beschränkungen wenigstens im allgemeinen nur bei Errichtung der Anlage auferlegt werden können ... Man ist so dahin gelangt, von einem Schutz zu sprechen, den die GewO den lästigen Anlagen im Gegensatz zu den nichtlästigen angedeihen lässt, und das beweist, wie weit man in Verkehrung des Gesetzes gegangen ist." (S. 239). 39 Rekursbescheid vom 28.2.1907, Reger 27, S. 511 (513). 40 BayVGH v. 5.7.1905, Reger 26, S. 2 (5).

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die Möglichkeit des Eingreifens polizeilicher Vorschriften eröffnet. Ob diese in dem jeweiligen Fall auch bestanden oder erlassen wurden, war keineswegs sicher oder vorhersehbar. Die nach der Jahrhundertwende bis 1960 dauernde Pause bezüglich Verwaltungsentscheidungen zu der Art der erfaßten Anlagen ist wohl zum einen darauf zurückzuführen, daß im vorhergehenden Zeitraum in diesem Bereich zahlreiche strittige Fälle entschieden worden waren und neue, in Bezug auf die Konzessionierungspflicht zweifelhafte Anlagenarten sich nicht so schnell nachentwickelten. Nach 1899 waren in das Verzeichnis des § 16 GewO auch keine neuen Anlagenarten mehr aufgenommen worden. Überdies galten die früher erlassenen, konkretisierenden Vorschriften - vor allem die TA - weiter, so daß die Verwaltung zu Recht von einer bestehenden "Konkretisierungsbasis" ausgehen konnte. Einige Begriffsklärungen erfolgten in den Jahren 1914 bis 1945 zudem im Zusammenhang mit Vorschriften im Sinne des § 18 GewO, (vgl. dazu unten B. I. 2. a)). In den Nachkriegsjahren waren die gesellschaftlichen und politischen Kräfte mit dem Wiederaufbau beschäftigt. Da sich die Frage nach dem Erfordernis einer Anlagengenehmigung aus dem dazu vorliegenden Material beantworten ließ, widmeten sich die Behörden drängenderen Fragen41 . Die analysierte Situation bestätigt den Schluß, daß einer Rechtslage, die sich über einen relativ langen Zeitraum durch Entscheidungen herausgebildet hat, eine gewisse "Trägheit" und Konstanz innewohnen. Es kann zwar insoweit nicht von einer rechtsnormähnlichen Lage ausgegangen werden, dennoch bedarf es zu einer Änderung der herrschenden Meinung offenbar anderer Ereignisse oder Hintergründe, als sie im Zeitraum zwischen der J ahrhundertwende bis 1960 gegeben waren. Ab 1960 war das Verzeichnis in einer Rechtsverordnung enthalten. Obwohl die Rechtsverordnung der genehmigungsbedürftigen Anlagen vom 4.8.1960 wie jede andere Rechtsverordnung einen "Schnittpunkt zwischen Gesetzgebung und Exekutive,,42 darstellt, ist sie doch durch ihren Normgeber nach den Unterscheidungen des Gewaltenteilungsprinzips der Verwaltung zuzuordnen. Die Festlegung der genehmigungsbedürftigen Anlagen 41 42

Ähnlich Karl, Deutsches Immissionsschutzrecht, S. 26 f. So Maurer, Verwaltungsrecht, S. 47, § 4 RN 13.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

ging folglich von der Kompetenz des Legislativorgans in das bestimmter Exekutivorgane über. In ihrer inhaltlichen Gliederung wich die neue Verordnung zwar vom alten § 16 Abs. 1 GewO erheblich ab, was die Reihenfolge der Anlagen betraf, beschränkte sich aber gleichfalls auf eine bloße Aufzählung der genehm igungspflichtigen Anlagen. Allerdings wurden inhaltlich ähnliche Anlagen in aufeinanderfolgenden Nummern genannt, vgl. z.B. Nummern 23 - 30, die alle die Verwertung von Tieren in einer bestimmten Form zum Gegenstand hatten. Gegenüber dem in § 16 GewO enthaltenen Verzeichnis, dessen Funktion die neue Verordnung übernahm, fällt vor allem ihr erheblich angestiegener Umfang auf. Dieser rührte nicht nur von der Aufnahme weiterer Anlagen her - die auch vorkam, vgl. z.B. Nummern 2, 14,25 des Artikel I der Verordnung - sondern vor allem von der wesentlich genaueren Bezeichnung erfaßter und nichterfaßter Anlagenarten. Als Beispiele seien die früheren "Hammerwerke" genannt, die in Nummer 9 als "mechanisch angetriebene Hämmer aller Art einschließlich der Fallwerke, wenn die Schlagenergie des einzelnen Hammers oder Fallwerks 100 Meterkilogramm überschreitet" erfaßt wurden und die "Darmzubereitungsanstalten", jetzt "Anlagen zur Zubereitung oder Verarbeitung von tierischen Därmen, Darmentschleimereien, ausgenommen Darmsortierungsanlagen, in denen bereits gereinigte, entschleimte und gesalzene Därme auf Dichtigkeit geprüft, nach Länge und Weite sortiert und verpackt werden" (Nummer 26). Die chemischen Fabriken wurden zwar immer noch als Sammelbegriff erfaßt, in den Unterpunkten a) bis q) wurden aber die wichtigsten dazugehörenden Anlagen spezifiziert. Die Verordnung übernahm so teilweise die nähere Bestimmung der Anlagenarten, die früher fraglich gewesen war und der Verwaltung daher Anlaß zu entsprechenden "Klarstellungen" gegeben hatte. Die Novellierung der Verordnung im Jahre 197143 setzte diese Tendenz fort. Neben einigen Neuaufnahmen (z.B. Nummern 14 a, b, 53, 54) wurden vor allem die bestehenden Nummern genauer gefaßt und teilweise auch erweitert44 .

43 Vom 5.7.1971, BGB!. I S. 885.

44

Vg!. z.B. schon die jeweiligen Fassungen der Nummern 2, 3 und 6.

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Durch die Einführung des BlmSchG 1974 änderte sich zwar die der Anlagengenehmigung zugrunde liegende Gesamtkonzeption; die seit 1960 für das Verzeichnis der genehmigungspflichtigen Anlagen geltenden Regelungen wurden jedoch in weiten Teilen beibehalten. Nach § 4 Abs. 11 S. 3 BlmSchG legt die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates die genehmigungspflichtigen Anlagen in einer Rechtsverordnung fest. Die auch nach der alten Rechtslage bereits erforderliche Anhörung von potentiell Betroffenen wurde Bestandteil des § 4 Abs. 1 S. 3 BlmSchG, wobei § 51 BlmSchG für die beteiligten Kreise eine etwas andere Zusammensetzung vorsieht, als § 16 Abs. 3 S. 3 GewO dies tat. Darüber hinaus wurde durch das BlmSchG die Möglichkeit eröffnet, auf gleichem Wege Anlagen zu bestimmen, die einem vereinfachten Genehmigungsverfahren unterliegen, soweit "dies nach Art, Ausmaß und Dauer der von diesen Anlagen hervorgerufenen schädlichen UmweIteinwirkungen und sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen mit dem Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vereinbar ist", (§ 19 Abs. 1 BlmSchG). Die aufgrund dieser Ermächtigungen ergangene "Vierte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BlmSchV),,45 bedeutete eine "Minimalverwirklichung" der dargestellten gesetzlichen Änderungen. Das heißt, daß sich die va der inhaltlichen Einteilung nach an das unter der GewO existierende Verzeichnis hielt und Ergänzungen oder Neufassungen einzelner Ziffern in dieses System einfügte46 . Die grundlegendste Änderung war die durch das neugeschaffene, vereinfachte Genehmigungsverfahren verursachte Aufteilung der Anlagenarten. Beurteilungskriterium für die Anwendbarkeit des vereinfachten Verfahrens war dabei gemäß § 19 Abs. 1 BlmSchG, wie oben angeführt, die Nichtverursachung der genannten Nachteile. Die Begründung der Bundesregierung bezeichnet als möglicherweise ausschlaggebend für die Einordnung das Produktionsverfahren, den Produktionsumfang und den Einwirkungsbereich der Anlage47 .

45 46 47

Vom

14.2.1975, BGBI. I S. 499.

Vgl. zu den Begründungen im einzelnen BR-Drucksache 650/74, S. BR-Drucksache 650/74, S. 3.

5 ff.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

Erst die Neufassung der 4. BlmSchV vom 24.7.198stB brachte eine inhaltlich tiefgehende Umstellung der Verordnung mit sich. Die Anlagenarten wurden nicht mehr lediglich aufgezählt, sondern nach inhaltlichen Kriterien in 10 Gruppen zusammengefaßt. Diese Umstellung wurde auch dazu genutzt, weitere inhaltliche Differenzierungen und Präzisierungen vorzunehmen49 ; einige Anlagenarten wurden neu hinzugefügt50 . Nach der amtlichen Begründung zu der Verordnung wurden die Anlagen nach ihrer Emissionsrelevanz und ihrem Gefährdungspotential anhand der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse neu bewertet und dementsprechend den Verfahrensarten zugeordnet, gleichzeitig wurden Zweifelsfragen bezüglich der Anwendung klargestellt und auch einige Anlagenarten gestrichen. Die Streichungen wurden entweder deshalb vorgenommen, weil die Anlagenarten keine potentiellen Gefahren mehr verursachten oder weil die Produktionsverfahren nicht mehr gebräuchlich waren51 . In § 1 der va wurden zudem genaue Direktiven aufgestellt, wann eine Anlage als genehmigungsbedürftig zu betrachten war, z.B. bezüglich Anlagengrößen (Leistungsgrenzen), Anlagenteilen, gemeinsamen Anlagen etc. In diesem Zusammenhang wurde im Rahmen des Verzeichnisses bzw. der Verordnung das erste Mal darauf abgestellt, ob die erfaßten Anlagenteile - in diesem Fall Nebeneinrichtungen für das Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen, Gefahren, erheblicher Nachteile oder Belästigungen von Bedeutung sein konnten (§ 1 Abs.2 Nummer 2, 4. BImSchV). Ansonsten wurde seit Erlaß der Gewerbeordnung die Ansicht vertreten, daß es auf die tatsächliche Gefährlichkeit der konkreten Anlage nicht ankäme52 . Auf dieser Basis wurden die letzten Änderungen der Verordnung vom 19.5.19gg53 und vom 15.7.19gg54 vorgenommen. Ähnlich wie die Novellie-

48 BGBI.I S. 1586. 49 Vgl. z.B. die vorige Nr. 6 des § 2 und jetzige Nr.3.3 bis 3.6 des Anhangs der 4. BlmSchV. 50 Z.B. 4.2 des Anhangs der 4. BlmSchV. 51 Die angeführten Teile der amtlichen Begründung sind abgedruckt bei Feldhaus, BlmSchR 1 B, 2.4, S. 8 f. 52 Vgl. z.B. v. Schicker, 4. Aufl. 1901, § 16, 6, Landmann/Rohmer, GewO, 11. Aufl., 3. am Anfang, Sellner, Immissionsschutzrecht, S. 12 f mit weiteren Nachweisen. 53 BGBI. I S. 622. 54 BGBI. I S. 1065.

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rung der 4. BImSchV vor 1985 begnügten sie sich mit der genaueren Fassung einzelner genehmigungspflichtiger Anlagen und beinhalteten gleichzeitig einige Ergänzungen des Verzeichnisses. Durch die abstrakt-generellen Regelungen zu den §§ 4 ff BImSchG ist ein stetig wachsender Anwendungsbereich der Vorschriften über die genehm igungsbedürftigen Anlagen festzustellen. Die wenigen Streichungen aus dem Verzeichnis der 4. BImSch V fallen gegenüber den zahlreichen Hinzufügungen nicht ins Gewicht. Sie sind letztlich ebenfalls Ausdruck der technischen Entwicklung, die manche Produktionsprozesse gänzlich obsolet macht oder deren Umweltschädlichkeit beseitigte. Über den ganzen Zeitraum gesehen kann daher festgestellt werden, daß die Entwicklung - von Anfang an - kontinuierlich in Richtung einer Erweiterung des Kreises der genehmigungsbedürftigen Anlagen ging. Darüber hinaus wurde die Art der bereits im Verzeichnis enthaltenen Anlagen durch die Normierungen immer genauer beschrieben und erfaßt. Dabei darf nicht verkannt werden, daß die Verbreiterung des Anwendungsbereiches der §§ 4 ff BImSchG eine zwingende Folge der sich ändernden gesetzlichen Regelungen war und nicht primär auf einer erweiternden Anwendung seitens der Exekutive und Judikative beruhte. Obwohl vermutet werden kann, daß die einengenden Tendenzen mancher Verwaltungsentscheidungen bezüglich des Anwendungsbereiches der §§ 16 ff GewO bzw. §§ 4 ff BImSchG auf die wirtschaftsfördernde Grundhaltung der jeweiligen Regierungen zurückzuführen sind, waren solche Tendenzen nicht in ausreichendem Maße ausgeprägt, um einen sicheren Nachweis zu erlauben. Eine Bestätigung erfährt dafür der bereits für die Rechtslage unter der Gewerbeordnung gezogene Schluß, daß einer Rechtslage, die sich über einen relativ langen Zeitraum durch Entscheidungen herausgebildet hat, eine gewisse "Trägheit" und Konstanz innewohnen. Impulse zu tiefgreifenden Änderungen werden in erster Linie von der Ebene des formellen Gesetzes her ausgelöst. Eine "eigenständige" Entwicklung der Verwaltungsentscheidungen wurde zu keinem Zeitpunkt festgestellt. Es ist daher fraglich, ob es in diesem Bereich überhaupt Hintergrundsituationen gibt, die eine solche Änderung herbeiführen könnten.

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2. Entscheidungen der Gerichte Die Entscheidungen der Obergerichte in dem auf den Erlaß der Gewerbeordnung folgenden Zeitraum gingen - naturgemäß - in einem wesentlich größeren Umfang auf die Auslegungskriterien ein, als dies bei den Entscheidungen der Verwaltung der Fall war. Es gibt wenige Urteile, die zu ihrer Entscheidungsfindung nicht entweder die historische Auslegung55 , oder die nach dem Wortlaut56, (weniger allerdings die systematische Auslegung57), heranzogen. Auch die teleologische Auslegung fand ein breites Anwendungsfeld. Allerdings war hier die Tendenz unverkennbar, die Frage nach dem Sinn und Zweck der Regelung, wie er in § 16 GewO zum Ausdruck kam, also den Schutz des Publikums vor "erheblichen Nachtheilen, Gefahren oder Belästigungen" hinter anderen Auslegungskriterien zurückzustellen, wenn diese zu einem anderen Ergebnis kamen58 . Nachweisen läßt sich dies anhand einer ganzen Reihe von Entscheidungen: Der BayVGH stellte darauf ab, daß die Gleichartigkeit der verursachten Gefahren einer in § 16 GewO enthaltenen Anlage und einer ähnlichen, zu beurteilenden Anlage allein nicht ausreiche, um die Genehmigungspflicht zu begründen, sondern allenfalls ein Anhaltspunkt für den Gesetzgeber sein könne, auch diese Anlagen zu erfassen. So wird zu der Frage, ob Faßpichereien "Pechsiedereien" im Sinne des § 16 GewO seien u.a. ausgeführt: "... weil in denselben, wie durch Gutachten von Sachverständigen dargelegt wird, das zur Verwendung gelangende Pech den gleichen Erhitzungsgraden, wie in Pechsiedereien, unterworfen und durch die dem geschmolzenen 55 Vgl. z.B. ObLG Posen v. 4.7.1896, Regf!r 17, S. 241 (242), BayVGH v. 26.5.1897, Regf!r 18. S. 10 (11); 26.1.1898, Regf!r 18, S.409 (411 f); 5.7.1905, Reger 26, S.2 (3 f), OLG Celle v. 21.1.1910, Reger 31, S.2 (3), PrOVG v. 23.6.1900, OVGE 37, S.309 (315 ff), SächsOVG v. 2.2.1923, Regf!r 44, S. 1 (4 f). 56 Vgl. z.B. Kammergericht v. 21.9.1896, Regf!r 17, S. 369, PrOVG v. 23.6.1900, OVGE 37, S. 309 (313), 20.11.1902, Regf!r 23, S. 361 (362), OLG Darmstadt v. 5.2.1909, Regf!r 29, S.493 (494 f), RG v. 4.3.1910, Regf!r, Erg.Bd. IV, S. 10 f, PrOVG v. 17.12.1914, OVGE 68, S.387 (388), SächsOVG v. 30.5.1916, Regf!r 37, S. 316 (319), BayObLG v. 8.6.1916, Regf!r 37, S. 313 ff, SächsOVG v. 2.2.1923, Regf!r 44, S. 1 (3). 57 Vgl. zu einem dieser seltenen Fälle BayVGH v. 26.5.1897, Regf!r 18, S. 10 (11). 58 Sofern die einzelnen Auslegungen zum selben Ergebnis führten, war eine Präferenzenbildung nicht veranlaßt und wurde auch nicht durchgeführt, vgl. z.B. OLG Celle v. 21.1.1910, Regf!r 31, S. 2 (5 f).

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Peche entweichenden und auch durch die besten Ventilationseinrichtungen nicht vollständig zu paralysierenden Dämpfe die Nachbarschaft und das allgemeine Publikum den gleichen Gefahren, Belästigungen und Nachteilen ausgesetzt werden, wie durch den Betrieb einer Pechsiederei. Allein die Gleichartigkeit der auftretenden Belästigungen oder die Gemeinsamkeit einzelner Betriebsprozesse mag vielleicht den Gesetzgeber, der nach Abs. 3 des § 161.c. die Ergänzung des Verzeichnisses im Bedürfnisfalle und beim Vorhandensein der gesetzlichen Voraussetzungen seiner eigenen Prüfung und Anordnung vorhalten hat, Veranlassung zur Aufnahme der Faßpichereien unter die genehmigungspflichtigen Anlagen geben; aber sie berechtigt al/ein noch nicht dazu, die ''Pechsiedereien'' zu einem Gattungsbegriffe in dem Umfange zu gestalten, daß mit denselben die Faßpichereien und damit folgeweise auch alle jene Betriebe, in denen überhaupt die Pechprodukte durch Erhitzung zur gewerblichen Verwendung gebracht werden, zu identifizieren sind. ,,59 Das PreußOVG lehnte die Erfassung bestimmter Anlagen aus dem Gesichtspunkt der Gefahrensimilarität mit einer hauptsächlich auf dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschrift des § 16 GewO basierenden Argumentation ab6O • Der BadVGH stellte fest, daß die Möglichkeit der Verursachung der in § 16 GewO beschriebenen Gefahren usw. für die Anwendung dieser Bestimmung nicht ausreiche 61 . Ähnlich verfuhr das Kammergericht, indem es die von der Vorinstanz nach Sinn und Zweck der Vorschrift vorgenommene Beurteilung, daß das Auslassen von Schweinefett ebenfalls als "Talgschmelzerei" im Sinne des § 16 GewO anzusehen sei, durch eine Auslegung nach dem Wortlaut korrigierte: "Der Vorderrichter sieht auch den inneren Grund des Erfordernisses der behördlichen Genehmigung, nämlich daß die Allgemeinheit gegen die durch Talgschmelzen verursachten Belästigungen, namentlich gegen den üblen Geruch geschützt werden solle, bei beiden Arten von Talgschmelzen für vorliegend an. .., wird man dem Sprachgebrauche nach und auch im Sinne des § 16 GewO das Fett von

59 BayVGH v. 26.1.1898, Reger 18, S.409 (410) (Hervorhebungen des Urteils). dieselbe Argumentation verwendet das Gericht bei der Beantwortung der Frage. ob Sauggasanlagen "Gasbewahrungsanstalten" i.S.d. § 16 GewO waren. 5.7.1905. Reger 26. S. 2 (5 f). ähnlich BayVGH v. 14.5.1915, VGHE 36, S. 143, (144 f) für die Emaillierwerke. die nicht unter die in § 16 GewO aufgeführten Glashütten oder chemischen Fabriken fallen sollen. 60 PrOVG v. 23.6.1900, OVGE 37,309 (313). 61 BadVGH v. 1.12.14. Reger 35, S. 430 ff.

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Schweinen nicht als "Talg" und daher das Aussschmelzen dieses Fettes nicht als Schmelzen von Talg anzusehen haben. ,,62 Ausgesprochen selten sind Urteile, die die Auslegung nach Sinn und Zweck dazu benutzten, den Anwendungsbereich des § 16 GewO auszuweiten. Das Reichsgericht ging einmal bezüglich der Frage, ob eine gewerbliche Anlage zum Aussieden von Speisetalg als "Talgschmelze" im Sinne des § 16 Abs. 2 GewO zu verstehen sei, wie folgt vor: "Diese Übelstände, die hiernach auch bei dem nur auf Gewinnung von Speisetalg ("Kunstbutter") gerichteten Betrieb leicht eintreten können, und die sich hieraus ergebende Gefahr, daß auch durch einen solchen Betrieb das Publikum erheblich belästigt werde, lassen aber darauf schließen, daß der Gesetzgeber, indem er in § 16 eil. den Ausdruck "Talgschmelze" ohne jede Einschränkung gebrauchte, darunter auch die zur Gewinnung von Speisetalg bestimmten Talgschmelzen verstanden hat.,,63 Allerdings kam das Reichsgericht mit den anderen von ihm angewandten Auslegungsmöglichkeiten zum selben Ergebnis. Nach der Jahrhundertwende gelangten zwei weitere Begründungsmethoden zur Anwendung. Eine davon war die Ermittlung des Geltungsbereiches des § 16 GewO nach praktischen Gesichtspunkten. So schloß beispielsweise das Sächsische Oberverwaltungsgericht aus der Tatsache, daß Feilenhauereien im größten Teile Deutschlands nicht als "Hammerwerke" im Sinne des § 16 GewO angesehen würden, daß dafür auch kein praktisches Bedürfnis vorliege. Andererseits sei es wünschenswert, die Frage der Genehmigungspflicht von Anlagen im Reichsgebiet einheitlich zu handhaben64 . Eine weitere, vielen Entscheidungen gemeinsame Begründungsmethode war der Verweis auf andernorts für dieselbe Streitfrage gegebene Begründungen, z.B. auf andere Gerichtsurteile und Literaturstellen65 . Für den Zeitraum nach Erlaß der Gewerbeordnung 1869 läßt sich folglich das Resümee ziehen, daß die Gerichte relativ deutlich nicht geneigt waren, 62 Kammergericht v. 21.9.1896, Reger 17, 369 f, Hervorhebungen des Urteils. Andererseits stellte das SächsOVG v. 30.5.1916, Reger 37, S. 317 (319) fest, daß Anlagen, die nach dem Wortlaut klar von § 16 GewO erfaßt wurden, nicht deshalb aus dessen Anwendungsbereich ausschieden, weil sie in geringerem Umfang Gefahren und Belästigungen verursachen, als andere Anlagen derselben Gattung (für galvanische Verzinnungsanstaltung/Feuerverzinnung). 63 Reichsgericht v. 4.3.1910, Reger Erg.Bd. IV, S. 10 (11). 64 SächsOVG v. 2.2.1923, Reger 44, S. 1 (7). 65 SächsOVG v. 30.5.1916, Reger 37, S. 316 (318), BayObLG v. 8.6.1916, Reger 37, S.313 (314), RG v. 26.6.1914, Reger 35, S. 246, SächsOVG v. 2.2.1923, Reger 44, S. 1 (4 f).

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aufgrund von Gefahrensimilaritäten Anlagen unter die in § 16 GewO genannten Gattungen zu subsumieren. Sie sprachen dies in den Urteilen teilweise auch explizit aus. Es läßt sich daraus eine allgemeine Tendenz der Judikative ablesen, den Anwendungsbereich der §§ 16 ff GewO nicht auszudehnen66 . In der darauffolgenden Zeit griff die Rechtsprechung in weiten Teilen auf den mittlerweile vorhandenen Vorrat an Urteilen, technischen Gutachten und KommentarsteIlen zurück. Inhaltlich war dabei die Tendenz festzustellen, den Anwendungsbereich des § 16 GewO mit der ausschlaggebenden Hilfe der Auslegung nach dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte genau festzulegen und Korrekturen wegen Sinn und Zweck der Norm, also der eventuell verursachten "erheblichen Gefahren, Nachtheile oder Belästigungen" weder in der ausgrenzenden, noch in der erweiternden Art vorzunehmen. Als Motivation dürfte nach der Art der in den Urteilen gegebenen Begründungen anzunehmen sein, daß sich die Gerichte um eine gewissenhafte und genaue Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen bemühten, ohne Weiterentwicklungsarbeit zu leisten oder eine Anpassung an tatsächliche Verhältnisse vornehmen zu wollen. Bis zur Änderung der Gewerbeordnung 1959 und der nachfolgenden Rechtsverordnung von 1960 sind keine weiteren erwähnenswerten Entscheidungen dazu, ob eine Anlage unter § 16 Abs. 1, Abs. 3 GewO fiel, auffindbar. Diese Lücke in den Entscheidungen dürfte auf ähnliche Faktoren rückführbar sein, wie bei den Verwaltungsentscheidungen67 . In zwei entschiedenen Fällen wurde eine Genehmigungspflicht nach der Verordnung von 1960 ohne weiteres angenommen68 . Subsumiert wurde jeweils nur noch, ob die Anlage auch vorher schon genehmigungspflichtig war. Für diese Be-

66 Dieses Ergebnis erfährt auch keine Relativierung durch die Tatsache, daß einige der Entscheidungen im Rahmen eines Strafverfahrens getroffen wurden, vgl. § 147 Abs. 1 Zifr. 2 GewO. Man könnte zwar vermuten, daß die Strafgerichte teilweise den Grundsatz "nullum crimen sine lege" im Sinn hatten, als sie bei der Bestimmung des Anwendungsbereiches des § 16 GewO sehr restriktiv vorgingen. Die aufgeführten restriktiven Entscheidungen stammen aber zumeist von Verwaltungsgerichten, nicht von Strafgerichten. Verwaltungsentscheidungen waren l.B. BayVGH v. 26.1.1898, Reger 18, S. 409 (410); 5.7.1905, Reger 26, S. 2 (5 f), PrOVG v. 23.6.1900, OVGE 37, S. 309 (313), eine Strafsache war nur die Entscheidung des KammergeriChts v. 21.9.1896, Reger 17, S. 369 f. 67 Vgl. oben 1. 68 BVerwG v. 7.12.1961, GewArch 1962, S. 34; 19.10.1971, GewArch 1972, S. 94. 10 Ebinger

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urteilung genügte dem BVerwG der Rückgriff auf frühere Rechtsprechung und ministerielle Erlasse69, weitergehender Auslegungen bedurfte es nicht. Auch unter der Geltung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes waren obergerichtliehe Entscheidungen zu der Frage, ob eine Anlage unter die Genehmigungspflicht fiel oder nicht, relativ selten. Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes prüfte die Frage, ob auch Container unter die "Behälter" des § 2 Nummer 12 der 4. BImSch V 1975 fielen, obwohl sie keine zylindrische Form aufwiesen. Es bejahte diese Frage, weil Sinn und Zweck der Regelung keine einschränkende Auslegung nahelegten70. Zwei weitere Entscheidungen bezogen sich auf chemische Fabriken71. Das ist deshalb bezeichnend, weil die chemischen Fabriken nicht wie die meisten anderen genehmigungsbedürftigen Anlagen dezidiert im Verzeichnis - und zwar in der geltenden und in allen früheren Fassungen - aufgeführt wurden, sondern generell als "Anlagen, zur fabrikmäßigen Herstellung von Stoffen durch chemische Umwandlung" umschrieben wurden. Die in der Untergliederung speziell aufgeführten waren nur ein Teil der erfaßten Anlagen ("insbesondere") 72. Die dadurch teilweise entstehenden Zweifelsfälle73 versuchten die Gerichte durch Auslegung zu beseitigen. Nach dem OVG Bremen sollte dafür vor allem die Verkehrsauffassung als Abgrenzungskriterium dienen. Im weiteren Argumentationsgang stellte das Gericht allerdings auch auf Wortlaut und Systematik, sowie auf Sinn und Zweck, also auf die verursachten Gefahren ab 74 . Mit allen angewandten Kriterien kam das OVG zu dem Ergebnis, daß keine chemische Anlage vorlag. Das Urteil des OVG Münster beschäftigt sich mit der Frage, ob eine Hundefutterproduktion unter die damalige Nummer 47 des § 2 der 4. BImSchV 1975 (Tierkörperbeseitigungsanstalten usw.) fiel. Bei seinem Urteil kam das Gericht aufgrund des Wortlautes, des Zusammenhangs der Regelung und der Entstehungsgeschichte zu einer ablehnenden Entscheidung, 69 70 71

BVerwG v. 7.12.1961, GewArch 1962, S. 34 f; 19.10.1971, GewArch 1972, S. 94 f. BVerwG v. 5.10.1990, GewArch 1991 , S. 191.

OVG Bremen v. 14.7.1981, Ule, BImSchG-Rspr. § 4 Nr. 13, HessVGH v. 3.6.1985, Ule, BImSchG-Rspr. § 4 Nr. 19. 72 Vgl. zur heutigen Fassung Anhang zur 4. BImSchV, Ziffer 4.1. 73 Für den HessVGH war das Vorliegen eines chemischen Umwandlungsprozesses eindeutig, Ule, BImSchG-Rspr. § 4 Nr. 19, S. 2. 74 OVG Bremen v. 14.7.1981, Ule, BImSchG-Rspr. § 4 Nr. 13, S. 4.

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ohne auf Sinn und Zweck des Genehmigungserfordernisses einzugehen75 . Die letzte anzuführende Entscheidung hatte die Grenzziehung zu einem lediglich "handwerksmäßigen" Betreiben einer Schlachtanlage und damit durch die Verordnung nicht letztlich determinierten Begriff zum Gegenstand. Der vom Gericht dazu aufgestellte Kriterienkatalog kam gleichfalls ohne ein Eingehen auf Gefahrengesichtspunkte aus76. Eine Befassung mit der von den Anlagen ausgehenden Gefahren war unter der Geltung des Grundgesetzes77 für die Gerichte aus einem anderen Gesichtspunkt möglich: nach § 4 Abs. 1 BImSchG durfte die Rechtsverordnung nur solche Anlagen für genehmigungspflichtig erklären, die "überhaupt erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen herbeiführen" konnten 78 . Da eine Rechtsverordnung uneingeschränkt dem Normprüfungsrecht der Gerichte unterliegt 79, konnte immer gefragt werden, ob die Anlagengattung dazu generell geeignet war. Diese Feststellung wurde von den Gerichten zwar teilweise explizit getroffen80, jedoch immer in kursorischer Art. An einer vertieften Beschäftigung mit dem Fragenkomplex hatten die Gerichte offenbar kein Interesse. Die genannten Urteile lassen weniger Aussagen materiellen Gehaltes, als solche rechtssystematischer Art zu. Der durch Verwaltungsnormen und -entscheidungen zunehmend genaue Bestimmtheitsgrad der einzelnen Anlagenarten führte dazu, daß die strittigen Punkte und somit die Erforderlichkeit von Gerichtsurteilen abnahmen. Wo die Verordnung die Entscheidung nicht durch genaue Beschreibung der Anlagen mehr oder weniger eindeutig festlegte, sondern nur generelle Begriffe lieferte, war die Situation ähnlich wie in den vorhergehenden Zeiträumen. Die Gerichte mußten ihr Ergebnis 75 OVG Münster v. 28.4.1975, U/e, BImSchG-Rspr. § 4 Nr. 10, S. 1 f. 76 VGH Mannheim v. 26.10.1982, U/e, BImSchG-Rspr. § 4 Nr. 15, S. 2. 77 Auch schon in früheren Zeiträumen, insbesondere unter der Geltung der Weimarer Verfassung, war ein richterliches Prüfungsrecht zumindest für untergesetzliche Normen anerkannt, vgl. z.B. Schack, AöR 41, S. 163 ff, insbes. S. 165. In den entsprechenden Urteilen tauchen jedoch keine Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Aufnahme einzelner Anlagengattungen in das Verzeichnis auf. Dasselbe gilt für § 16 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. I S. I GewO. 78 War dies nicht der Fall, war die Verordnung insoweit nichtig, vgl. Ule/Laubinger, BImSchG, § 4 RN 5. 79 Vgl. z.B. Wo/ff/Bachof 111, § 165 RN 4, S.456, Maurer, Verwaltungsrecht, § 4 RN 45, S. 62 f, MDHS (Maunz), Art. 100 RN 2 f, von Münch (Meyer), Art. 100 RN 2. 80 OVG Bremen v. 14.7.1981, U/e, BImSchG-Rspr. § 4 Nr. 13, S. 2, HessVGH v. 3.6.1985, U/e, BImSchG-Rspr. § 4 Nr. 19, S. 2. 10·

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mit Hilfe auslegender Kriterien gewinnen. Die Gesamtanzahl solcher Entscheidungen ist allerdings zu gering, um daraus Tendenzen für eine Erweiterung oder Einengung des Anwendungsbereiches feststellen zu können. Immerhin kann behauptet werden, daß der Rückgriff auf Sinn und Zweck des Genehmigungserfordernisses den Ausnahmefall darstellte. Durch die Festlegungen der Verordnung und die in früheren Zeiträumen gefällten Entscheidungen war er weithin überflüssig und wurde gegenüber "einfacheren und eindeutigeren" Begründungsmöglichkeiten wie dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte oder auch dem Normzusammenhang zurückgestellt. Daher ist es auch nicht verwunderlich, daß die Gerichte von ihrem Normprüfungsrecht bezüglich der von der 4. BImSchVerfaßten Anlagenarten keinen extensiven Gebrauch machten. Eine generelle Gefahreignung war bei den erfaßten Anlagenarten nicht auszuschließen und die Gerichte hatten an korrigierenden, "einmischenden" Entscheidungen kein Interesse. Für die Nichteinmischung ist eine inhaltlich einheitliche Tendenz für den ganzen Untersuchungszeitraum festzustellen.

II. Gewerbliche und nichtgewerbliche Anlagen Das bereits oben angerissene Problem der Geltung der §§ 16 ff GewO auch für solche Anlagen, die keinem gewerblichen Zweck dienten, aber dem Verzeichnis des § 16 GewO unterfielen, findet eine gelungene Darstellung im Kommentar von Landmann (1911): "... Andererseits aber sollen jene Bestimmungen das Publikum vor den Gefahren und Nachteilen, welche aus der unkontrollierten Errichtung gewisser Anlagen erwachsen können, und solche Personen, welche eine Anlage errichten, vor nachträglichen polizeilichen Beanstandungen schützen. Es wird daher auch die Ansicht vertreten, daß die §§ 16 ff. auf alle Anlagen anzuwenden seien, welche nach ihrer technischen Einrichtung zu gewerblichen Zwecken verwendet werden können und in der Regel zu solchen Zwecken verwendet werden, daß also jede Anlage, welche ihrer technischen Art nach unter die §§ 16 ff. fällt, ohne Rücksicht auf die Zweckbestimmung nach den Bestimmungen der GO. zu behandeln sei.,,81 Relevant wurde die Frage vor allem bei Anlagen für waldund forstwirtschaft liehe Zwecke, bzw. bei Produktion für den Eigenbedarf, sowie bei vom Staat (Bund, Ländern und Gemeinden) betriebenen Anlagen. 81 Landmann, GewO, 6. Aufl., § 16, 1 e, HelVorhebung des Textes.

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Verwaltung und Rechtsprechung zu dieser Frage waren zuerst gespalten, insbesondere, was den Betrieb von Anlagen durch den Staat und andere Gebietskörperschaften anlangte82 . In Preußen existierte eine Ministerialverfügung, die anläßlich einer anderen Sachfrage feststellte, daß "aus dem bloßen Fehlen der Absicht zu erwerben noch nicht die Nichtanwendbarkeit der Gewerbeordnung auf solche Betriebe gefolgert werden kann.,,83 Die preußische Verwaltung unterstellte die von staatlichen Stellen ohne Gewinnabsicht betriebenen, an sich genehmigungspflichtigen Anlagen im allgemeinen den §§ 16 ff Gew084 ; abweichende Urteile des OVG liegen nicht vor85 . In Bayern gingen dagegen sowohl die Verwaltung, als auch die Rechtsprechung davon aus, daß nur die wirklich gewerblich genutzten Anlagen einer Genehmigung nach § 16 GewO bedurften. Eine nähere Begründung wurde dafür nicht gegeben. Offenbar wurde der Gesetzeswortlaut als ausreichendes Argument betrachtet86 . Im Gegensatz zu der bei den Anlagenarten festgestellten Tendenz wurde hier durch die preußische Praxis der Anwendungsbereich des § 16 GewO ausgedehnt. Es handelte sich hierbei zudem um einen "mutigen" Schritt, da der Gesetzeswortlaut der erweiternden Auslegung wesentlich deutlicher 82 Ebenso kontrovers waren die Äußerungen der Kommentarliteratur zu dieser Frage. vgl. Landmann, GewO, 6. Aufl., § 16, 1 e mit zahlreichen Nachweisen. 83 Erl. d. preuß. Min. d. Inn., f. H. u. Gew. u. d. geistl. Angelegenheiten vom 11.3.1893.

Regu 13, S. 250.

84 Vgl. die Nachweise bei Landmann, GewO, 6. Aufl .• § 16, 1 e. 85 Die Entscheidung des PrOVG v. 17.4.1916. Regu 37, S. 121 ff. setzte die ständige Rechtsprechung des OVG fort, die von einer Anwendung der §§ 16 ff GewO in solchen Fällen ausging. Das Urteil enthält eine sehr sorgfältige Begründung, die sich auf systematische Argumente, auf die Entstehungsgeschichte sowie auf Sinn und Zweck des Genehmigungserfordernisses stützt. Das OVG sah sich zu dieser Begründung wohl durch den entgegenstehenden Wortlaut der Gewerbeordnung in Verbindung mit der Tragweite der Entscheidung veranlaßt. 86 VgI; dazu die bayer. Allerh. VO vom 22.6.1901 betr. die Acetylenanlagen. BayGVBI. 1901, S. 463 (468), die in § 28 Ziff. 4 nur beiläufig feststellte, daß durch sie Anlagen. in denen Acetylen für fremden Bedarf gewerbsmäßig hergestellt wurde, nicht erfaßt wurden. da diese (und im Gegenschluß dazu: nicht solche, die zwar Acetylenanlagen sind, aber nicht gewerbsmäßig betrieben werden) von § 16 GewO erfaßt würden. Die Entscheidung des OLG München v. 1.6.1889, Regu 10, S. 302 (303), begnügte sich mit der knappen Äußerung. daß "da (der Feldziegelofen) vom Angeklagten nicht zu gewerblichen Zwecken, sondern zur Herstellung von Ziegeln für den eigenen Bedarf errichtet wurde, (er) unter § 16 der GewOrdn. nicht fallen kann."

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entgegenstand87, als dies z.B. bei den Anlagenarten der Fall gewesen war. Diese Praxis könnte damit in Zusammenhang gestanden haben, daß die Probleme der Anlagenemissionen im industriell in Vorsprung liegenden Preußen um so vieles deutlicher waren als andernorts, daß man sich zu Gegensteuerungen jedenfalls auf unteren Ebenen bereits veranlaßt sah. Der Streit um die Frage, ob die §§ 16 ff GewO auch auf Anlagen anwendbar waren, die der Art nach erfaßt wurden, aber nichtgewerblichen Zwecken dienten, erfuhr 1937 eine gesetzliche Klärung durch die Verordnung zur Abänderung der §§ 24, 25 und 147 GewO vom 30.8.3788 . Die Verordnung bestimmte unter B: "Im § 25 Abs. 2 und im § 147 Abs. 1 Ziffer 2 der Reichsgewerbeordnung wird das Wort "gewerbliche" gestrichen". Die Vertreter der Meinung, daß nicht gewerblichen Zwecken dienende Anlagen vom Anwendungsbereich der §§ 16 ff GewO ausgeschlossen waren, hatten zur Begründung ihrer Ansicht maßgeblich auf den Wortlaut der §§ 25 und 147 GewO abgestellt89 . Die Streitfrage wurde daher gesetzlich im Sinne der Gegenmeinung entschieden. Regelungstechnisch wurde dieses Ergebnis durch eine Gesetzesänderung erzielt, die durch eine Rechtsverordnung herbeigeführt wurde. Dies läßt sich allerdings nicht bewerten, ohne die damalige Rechtslage ins. Kalkül zu ziehen. Die Rechtsverordnung des Reichswirtschaftsministers vom 30.8.1937, die die genannte Änderung der Gewerbeordnung durchführte, erging aufgrund einer weiteren Ermächtigungsgrundlage90 : der Vierten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens vom 8.12.193191 , (Grundlage dafür war Art. 48 Abs.2 der Weimarer Reichsverfassung). Die Möglichkeit, durch eine Verordnung ein Gesetz abzuändern, wurde durch ein neues Regelungsinstrument eröffnet, durch die sogenannte gesetzesvertretende Verordnung. Sie 87 Argumentiert wurde hier insbesondere (teilweise systematisch) mit den §§ 25 Abs. 2, 147 Abs. 1 Ziff. 2, 49 und 51 GewO, wobei die letzteren von "Gewerbebetrieb", respektive von "gewerblichen Anlagen" sprachen, vgl. dazu Landmann, GewO, 6. Aufl., § 16, 1 e). 88 RGBI. I S. 918. 89 Vgl. dazu oben FN 87. 90 Dieses Erfordernis galt grundsätzlich schon damals, vgl. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 120, Mayer I, S. 83 und wurde auch unter dem nationalsozialistischen Regime der äußeren Form nach größtenteils beibehalten, vgl. dazu Mößle, Inhalt Zweck und Ausmaß, S. 28 f. 91 RGBI. I S. 699, (716).

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enthielt selbst keine materiellen Regelungen, sondern beschränkte sich darauf, den zuständigen Minister (die Regierung) zu ermächtigen, eine nach seinem Ermessen erforderliche Regelung in der Form einer Rechtsverordnung zu erlassen. Eine solche Rechtsverordnung hatte die materielle Funktion eines Gesetzes92 , was bedeutete, daß sie ein formelles Gesetz wirksam abändern konnte. Die Abänderung der Gewerbeordnung erfolgte also durch die Hintereinanderschaltung zweier solcher Verordnungsermächtigungen. Die Erörterung dieser Rechtslage zeigt, daß der Art und Weise der Regelung der Streitfrage keine Signifikanz zukam, sondern es sich vielmehr um eine zwangsweise Folge aus den vorher geschaffenen gesetzlichen Gegebenheiten handelte. Um so bedeutender waren aber die inhaltlichen Veränderungen, die durch die Verordnung herbeigeführt wurden. Sie stellten eine wichtige Erweiterung des Anwendungsbereiches der §§ 16 ff GewO gegenüber dem früheren Rechtszustand dar, bei dem deren Geltung von der Verwaltungspraxis und Rechtsprechung in den einzelnen Ländern abhängig gewesen war93 . Sinn und Zweck des Genehmigungserfordernisses, nämlich die Verhinderung der Entstehung von "erheblichen Nachtheilen, Gefahren oder Belästigungen", die von den technischen Eigenschaften einer Anlage abhingen und nicht davon, ob die Anlage der Gewinnerzeugung diente, gewannen damit die Oberhand über die mehr formale Betrachtungsweise nach dem Wortlaut des Gesetzes. Gleichzeitig ist zum ersten Mal eine Erweiterung des Anwendungsbereiches der Gewerbeordnung über die eigentliche gewerbliche Betätigung hinaus festzustellen. Die "Reinheit" des Anwendungsbereiches war bisher gegen Ausweitungsbestrebungen immer entschieden verteidigt worden, vgl. oben 1. Kap., A. III. 4. Die Gesetzesänderung stellte daher ein erstes Abgehen von diesem Prinzip dar.

92 Vgl. Huber, Verfassungsrecht, S. 254 fund Mößle, Inhalt Zweck und Ausmaß, S. 28 ff. 93 Kurz vor Erlaß der neuen gesetzliChen Bestimmung änderte allerdings der BayVGH seine Rechtsprechung, was den Betrieb von nichtgewerblichen, aber an sich unter § 16 GewO fallende Anlagen anging. Er schloß sich damit der Meinung des Preußischen OVG an, BayVGH v. 3.5.1935, VGHE 56, S. 116 ff (118). Als Begründung für diesen Umschwung wurde maßgeblich auf den Gefahrengesichtspunkt abgestellt: "Die Gefahren, Nachteile oder Belästigungen, welche von den Anlagen des § 16 GewO. ausgehen, sind ... die gleichen, mögen sie von gewerblichen oder nichtgewerblichen Anlagen herrühren." (S. 117). Ergänzt wurde diese Argumentation von der Feststellung, die Grenzen des sachlichen Geltungsbereiches der Gewerbeordnung seien nicht scharf und nicht nach einem deutlich erkennbaren System gezogen, (S. 117).

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Die zeitgeschichtlichen Faktoren, die den Hintergrund der Gesetzesänderung von 1937 bildeten, waren vor allem eine immer schwieriger werdende wirtschaftliche Situation mit hohen Arbeitslosenquoten94, eine zunehmende Verstädterung95 und nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ein verstärktes Eingreifen des Staates in die Wirtschaftsabläufe zum Zwecke einer konsequenten Aufrüstung, die mit staatlichem Autarkiestreben im Rohstoff- und Nahrungsbereich verbunden war96 • Insgesamt handelt es sich also um Faktoren, von denen eine Verschärfung der Bestimmungen der §§ 16 ff GewO an sich nicht zu erwarten war, selbst wenn man die eher industriekritische Haltung der Nationalsozialisten in Rechnung stellt. Es ist daher davon auszugehen, daß das primäre Motiv die gesetzliche Klärung einer seit langem bestehenden Zweifelslage war. Daß der Anwendungsbereich erweitert und nicht eingeschränkt wurde, mag sowohl an der industriekritischen Haltung der Machthaber97, als auch an der Vorreiterrolle der preußischen Verwaltung und Gerichte gelegen haben. Nach dieser gesetzlichen Klärung traten bezüglich der gewerblichen und nichtgewerblichen Anlagen unter der Geltung der Gewerbeordnung keine Probleme mehr aufS. Das BImSchG von 1974 traf zu der Frage der gewerblichen und nichtgewerblichen Anlagen, der Entwicklung folgend, ebenfalls eine gesetzliche Regelung99, allerdings mit differenzierendem Inhalt: "Anlagen, die nicht gewerblichen Zwecken dienen und nicht im Rahmen wirtschaftlicher Unter94 Vgl. Borchardt, HBdWG, S. 685 ff, Fischer, Wirtschaftspolitik, S. 43, Petzina, DVG IV, S. 45, Henning, Industrialisiertes Deutschland, S. 96. 95 Henning, Industrialisiertes Deutschland, S. 24 ff.

96 Vgl. dazu Fischer, Wirtschaftspolitik, S. 60 f. Demnach war Wirtschaftspolitik für Hitler nur Mittel zum Zweck und beinhaltete keine konsequente Förderung der Industrie, sondern eher eine gegenläufige Haltung, S. 54 f. S. auch Henning, HBdEWG, S. 438 f. 97 Dem steht auch nicht entgegen, daß es vor allem staatliche Anlagen waren, die jetzt einer Genehmigung bedurften. Die nationalsozialistischen Machthaber konnten die Genehmigung einer gewünschten Anlage jederzeit herbeiführen. Soweit die neue Bestimmung die Betätigung der Gebietskörperschaften einschränkte, lag dies durchaus im Sinne des neuen Regimes. 98 Vgl. Landmann/Rohmer, GewO, Stand 1969, § 16 RN 21, der die Entwicklung insoweit aufzeigt. 99 Nach der in dieser Arbeit vorgenommenen Aufteilung wäre eine Erörterung der Frage der nichtgewerblichen Anlagen daher eigentlich bei der Normierung selbst vorzunehmen. Wegen des Zusammenhangs und des besseren Überblicks wird jedoch die bisherige Einteilung beibehalten.

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nehmungen Verwendung finden, bedürfen der Genehmigung nur, wenn sie in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen oder Geräusche hervorzurufen", (§ 4 Abs.l S.2 BImSehG). Gegenüber der unter der Gewerbeordnung zuletzt geltenden Regelung stellte dies ein Minus an Regelungsumfang dar. Nach der amtlichen Begründung ging der Gesetzgeber davon aus, daß "in der Regel nur gewerblich genutzte Anlagen geeignet (sind), Umweltgefahren im weiteren Sinne zu verursachen"l00. Die Anlagen, die durch dieses relativ komplizierte Regel-Ausnahmeverhältnis von den §§ 4 ff BlmSchG ausgenommen wurden, sind hauptsächlich solche, die der öffentlichen Verwaltung zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben, (nicht aber im Rahmen der Daseinsvorsorge), dienen lOl . Der Behauptung der gesetzlichen Begründung widerspricht indessen der vorausgegangene Entwicklungsprozeß der Entscheidungen von Verwaltung und Rechtsprechung, die eigentlich unter § 16 GewO fallende, aber nicht gewerblich genutzte Aniagen 102 im Laufe der Zeit in steigendem Maße in den Anwendungsbereich der §§ 16 ff GewO einbezogen, was in der gesetzlichen Normierung von 1937 mündete. Es ist daher davon auszugehen, daß mit der durch das BlmSchG getroffenen Regelung eine Privilegierung der hoheitlichen Aufgabenerfüllung des Staates bezweckt war, die dem festgestellten Sinn und Zweck des Genehmigungserfordernisses teilweise zuwiderläuft. Weitere Ausnahmen vom Genehmigungserfordernis nicht gewerblichen Zwecken dienender Anlagen regelt § 1 Abs. 1 S. 1 der 4. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz. Dies ist teilweise auf die für nichtgewerbliche Anlagen fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Genehmigungserfordernis, teilweise auf die geringen, von diesen Anlagen verursachten Emissionen zurückzuführen 103. Zur Rechtslage der nichtgewerblichen Anlagen unter dem BlmSchG sind bisher noch keine obergerichtlichen Entscheidungen ergangen, obwohl sich 100 BT-Drucksache 7/Nr.

179 (1973), S. 30.

101 Vgl. zur Begründung dieser Abgrenzung im einzelnen Henkel, Anlagenbegriff, S. 169 ff. UlejLaubinger, BImSchG, § 4 RN 4, 5. 102 Es handelte sich bei den strittigen Fällen vor allem um staatlich betriebene Anlagen, teilweise allerdings um solche der Daseinsvorsorge, die ja auch nach dem BImSchG unter die genehmigungspflichtigen fallen. 103 Vgl. Feldhaus, BImSchR 1 B, 2.4, S. 20.

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die Rechtslage gegenüber der unter der Gewerbeordnung geändert hat und keineswegs weniger kompliziert geworden ist. IIf. "Niederlagen" Das Problem der Niederlagen als gewerbliche Anlagen stellte sich überwiegend bei der Ablagerung von Bestandteilen getöteter Tiere, also z.B. von Häuten, Fellen oder Haaren 104 . § 16 GewO sah in diesem Bereich eine Genehmigungspflicht für "Zubereitungsanstalten für Tierhaare" und für "Anstalten zum Trocknen und Einsalzen ungegerbter Tierfelle" vor. Als typische Gefahren solcher Betriebe nannte die preußische TA für die ersteren "... Belästigungen durch Staub und durch übelriechende Dünste, außerdem Gefährdungen der Arbeiter durch giftige Beizmittel", "... außer den Belästigungen durch Staub und übelriechende Dünste ... bei den aus dem Auslande bezogenen Haaren die Gefahr der Ansteckung ... ,,105, bei letzteren: "Häutetrockenanstalten wirken belästigend durch üble Gerüche, können aber auch schädlich wirken durch die Stiche von Insekten, die von den Häuten Giftstoffe aufgenommen haben. ... (beim Salzen der Tierhäute) läuft eine bluthaltige Salzlake ab ... ,,106. Diese Belästigungen und Gefahren traten auch bei der bloßen Lagerung, die nicht Bestandteil einer Anlage nach § 16 GewO war, auf. Die Verwaltungsbehörden bezogen nach dem Erlaß der Gewerbeordnung 1869 zu diesem Problem fast keine "allgemeinverbindliche" Stellung in einer der obengenannten Formen. Einer Entschließung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern ist zu entnehmen, daß man die Nichterfassung von Niederlagen als selbstverständlich ansah107. Der Grund für diese einmütige Meinung dürfte darin gelegen haben, daß die Niederlagen bereits bei den Diskussionen zum Erlaß der Gewerbeordnung 1869 durch den Präsidenten des Bundeskanzleramtes vom Geltungsbereich der §§ 16 ff GewO ausdrücklich ausgenommen wurden 108. Hierdurch war den Behörden für die Entscheidung eine klare Linie an die Hand gegeben. 104 Vgl. zu weiteren Fällen Landmann, GewO, 6. Aufl., § 16, 1 c) unter alpha. 105 Fassung vom 15.5.1895, Ziffer 23, vgl. die Nachweise in FN 9. 106 Fassung vom 15.5.1895, Ziffer 37, vgl. die Nachweise in FN 9. 107 Bayerisches Staatsministerium des Innern, vom 25.8.1873, AmtsBI. 1872/73, S. 494. 108 Sten.Ber. 1/15 9.4.1869, S. 272 (Delbrück).

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Um so häufiger waren die Gerichtsurteile, die in diesem Problembereich gefällt wurden. Überwiegend begnügten sie sich ebenfalls mit einer knappen Aussage dahingehend, daß Niederlagen nicht in den Regelungsbereich des § 16 GewO fielen 109, teilweise unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte l1O • Bayerische höchstinstanzliehe Gerichte vertraten zudem die Ansicht, daß Anlagen im Sinne des § 16 GewO nur "Vorrichtungen, die zur gewerblichen Erzeugung dienen"l11 seien. Dem widersprach das Urteil, das das Preußische OVG über das Trocknen von frischen Schweineborsten auf einem Geländestück fällte, nicht. Das Gericht begründete sehr sorgfältig, warum es sich hierbei nicht um eine bloße Lagerung, sondern um einen Teil des Produktionsprozesses handle und kam daher zu dem Ergebnis, daß eine "Zubereitungsanstalt für Tierhaare" vorliege 112 . Immerhin sprach es dabei aber aus, daß auch ein bloßer Platz für den Fall, "daß eine dauernde Benutzung zu dem bestimmten gewerblichen Zwecke in Aussicht genommen ist,,113, eine Anlage sein könne. In mehreren Entscheidungen wurde angeführt, daß im Falle einer Genehmigungspflicht für das (Trocknen und) Einsalzen sich die Genehmigung auch auf die Lagerräume beziehen müsse. Dies ergab sich nach Ansicht der Gerichte 114 aus den Begründungen zur Gesetzesänderung von 1888, die ausdrücklich darauf hinwiesen, daß die Lagerung mit denselben Gefahren verbunden war wie die Einsalzung selbst 115 . Den daher zumindest möglichen Schluß, auch die (isolierte) Lagerung selbst für genehmigungspflichtig zu erklären, vollzogen die Gerichte nicht. Allerdings ist dies im Zusammenhang damit zu sehen, daß die Nichtanwendung der §§ 16 ff GewO nicht etwa das Ausgenommensein der Niederlagen von Beschränkungen und Kontrollen bedeutete. Vielmehr war auf solche Lagerplätze das allgemeine Polizei-

109 Vgl. z.B. OLG München v. 6.2.1897, MinBlatt 1897, S. 59 (61), BayObLG v. 29.9.1913, MinBlatt 1913, S. 855, PrOVG v. 17.11.1892, Reger 13, S. 119 (120). 110 Z.B. PrOVG v. 17.11.1892, Reger 13, S. 119 (120). 111 BayObLG v. 29.9.1913, MinBlatt 1913, S.855, OLG München v. 6.2.1897, MinBlatt 1897, S. 59 (61) unter Berufung auf das Staatsrecht von Seydels. 112 PrOVG v. 12.12.1912, OVGE 63, S. 399 ff. 113 PrOVG v. 12.12.1912, OVGE 63, S. 399 (405). 114 Vgl. dazu PrOVG v. 5.11.1894, Reger 15, S. 117 (119), v. 20.11.1902. Reger 23, S. 361. 115 Sten.BerfVII Anlagen, Drucksache Nr. 21 (22.11.1888), S. 166 f.

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recht mit den ihm zur Verfügung stehenden Instrumenten der EinzeIverfügung und der Verordnung anwendbar 116. Diese Rechtslage blieb bis zum Erlaß des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 1974 dieselbe. Auch in der Rechtsanwendung ergaben sich bis zu diesem Zeitpunkt keine Entwicklungen 117. Das BImSchG bezog durch § 3 Abs.5 Nr. 3 auch "Grundstücke, auf denen Stoffe gelagert oder abgelagert oder Arbeiten durchgeführt werden, die Emissionen verursachen können" in seinen Geltungsbereich ein. Ähnlich wie bei der Frage der "gewerblichen" Anlagen, erfuhr das Problem damit letztendlich eine gesetzlich normierte Lösung, wenn in diesem Falle auch erst erheblich später. Im Rahmen der gegenüber der Gewerbeordnung wesentlich erweiterten Zielsetzung des BImSchG bereitete diese Einbeziehung nicht mehr die dogmatischen Schwierigkeiten, die sich ihr früher entgegengestellt hatten 118 . Die Begründung des Gesetzesentwurfes ging auf Sinn und Zweck der Erfassung der Grundstücke nicht ein. Es kann daher nur auf die für den Erlaß des Gesetzes allgemein angeführten Gründe zurückgegriffen werden l19 . Diese lassen den Schluß zu, daß die Erkenntnis der von "Niederlagen" in gleichem Maße verursachten Gefahren, Nachteile oder Belästigungen für die Einbeziehung ausschlaggebend war. Relevante Gerichtsentscheidungen zum Vorliegen einer "Niederlage", d.h. eines Grundstückes, von dem Emissionen ausgehen können, gibt es für die Rechtslage unter dem BImSchG nicht 120. Dies kann einmal daran liegen, 116 Vgl. dazu Landmann, GewO, 6. Aufl., § 16, 1 c) unter alpha, mit weiteren Nachweisen, auch bezüglich der Rechtsprechung. 117 Vgl. die Zusammenfassung bei Landmann/Rohmer, GewO, Stand 1969, § 16 RN 11. Sämtliche dort aufgeführten Entscheidungen sind vor 1932 ergangen. 118 Vgl. oben 1. Kap., A. 1II. 4. 119 Vgl. oben 1. Kap., E. 11. 2. 120 Die einzige Entscheidung zu § 4 BlmSchG ist ein Beschluß des OVG Hamburg v. 22.10.1986, Ule, BlmSchG-Rspr. § 4 Nr. 24. Dieser erweist sich jedoch als wenig instruktiv. da er § 4 Abs. 1 S. 3 BImSchG i.V.m. der entsprechenden Rechtsverordnung außer acht läßt und statt dessen darauf eingeht, ob Grundwasserverunreinigungen Gefahren i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 1 BlmSchG darstellen. Da das Wasserrecht als öffentlich-rechtliche Vorschrift über § 6 Nr. 2 BlmSchG im Genehmigungsverfahren geprüft werden muß (vgl. z.B. Ule/Laubinger. BlmSchG § 6 RN 6), ist diese Frage bereits aus systematischen Gründen unschwer zu bejahen. Die Entscheidung des BayObLG v. 30.3.1978 nimmt zu der Frage Stellung, wann eine Lagerung von Stoffen vorliegt, die als Anlage i.S.d. § 3 Abs. 5 Nr. 3 BlmSchG gilt und fordert

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daß solche Grundstücke meist im Rahmen einer genehmigungsbedürftigen Anlage genutzt werden und in der dafür erforderlichen Genehmigung enthalten sind. Im übrigen sind "isolierte" Grundstücke, sofern sie die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 1 BImSchG erfüllen, wie die anderen genehm igungsbedürftigen Anlagen in die Rechtsverordnung nach § 4 Abs. 1 S. 3 BImSchG aufzunehmen. Insofern gelten für sie die gleichen Gesichtspunkte, wie die oben unter I. 1. angeführten. Zusammenfassend ist festzustellen, daß sich die Spezialprobleme der "nichtgewerblichen" Anlagen und der "Niederlagen" bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt stellten, teilweise schon bei den Diskussionen vor dem Erlaß der Gewerbeordnung 1869. Ihre Entwicklung läßt sich daher über einen langen Zeitraum verfolgen. Beide Fragen wurden letztlich dadurch geklärt, daß sie eine gesetzliche Normierung erfuhren. Im Vergleich der beiden Fragestellungen ist bemerkenswert, daß die Einbeziehung "nichtgewerblich" genutzter Anlagen, die dem Regelungsbereich der Gewerbeordnung doch wohl ferner lag als die Anerkennung von "Niederlagen" als genehmigungspflichtige Anlagen im Sinne der §§ 16 ff GewO, wesentlich früher und vor allem noch unter der Geltung der Gewerbeordnung selbst erfolgte. Dies läßt sich - abgesehen von den bereits angeführten Zusammenhängen - wohl damit erklären, daß die Gleichartigkeit der Regelungsgegenstände und somit auch der potentiell verursachten Gefahren, Belästigungen oder Nachteile nichtgewerblich genutzter Anlagen deutlicher zutage trat als die der Niederlagen. Im Endeffekt dürfte jedoch bei beiden Fragen die Erkenntnis ausschlaggebend gewesen sein, daß die in gleichem Maße vorliegende Eignung zur Verursachung von Gefahren usw. die Einbeziehung vordem nicht erfaßter Regelungsgegenstände erforderlich machte. B. (Erhebliche) Gefahren, Nachteile oder Belästigungen (schädliche Umwelteinwirkungen) im Rahmen der § 18 Abs. 1 GewO, §§ 5 Abs. 1 Nr. 1,2,6 Nr. 1 BImSchG

Mit Erlaß der Gewerbeordnung von 1869 machte § 18 GewO die Genehmigung davon abhängig, daß die Anlage keine "erheblichen Gefahren, Nachdafür das "Merkmal einer gewissen Stetigkeit", GewArch 1978, S. 237 ff. Nach dem Sachverhalt konnte es sich hierbei aber allenfalls um eine nichtgenehmigungspflichtige Anlage handeln.

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theile oder Belästigungen für das Publikum herbeiführen" konnte 1, wobei auch die bestehenden "bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften" zu prüfen waren. § 18 GewO war direkt nur auf die Fälle anwendbar, in denen die vorhandenen Nachbarn keine Einwendungen gegen die Anlage erhoben. Da aber § 19 Abs. 2 S. 2 GewO, der das Verfahren bei Erhebung von Einwendungen behandelte, auf die "im § 18 enthaltenen Vorschriften" verwies2, war der Maßstab, nach dem die Genehmigung erteilt oder versagt wurde, letztlich immer derselbe. Den Behörden und Gerichten war somit, wenn das Vorhaben nicht schon gegen eine "bau-, feuer- oder gesundheitspolizeiliche Vorschrift" verstieß3, für ihre Entscheidungsfindung vorerst nichts anderes an die Hand gegeben, als die genannten unbestimmten Rechtsbegriffe. Im folgenden soll dargestellt werden, wie sie im Laufe der Entwicklung operationalisiert und angewendet wurden.

I. Abstrakt-generelle konkretisierende Vorschriften der Exekutive zum Bedeutungsgehalt der (erheblichen) Gefahren, Nachteile oder Belästigungen (schädliche Umwelteinwirkungen)

Um die Ausführungen zu den abstrakt-generellen Regelungen in einen gesetzestechnischen Zusammenhang zu stellen, soll zuerst auf die den Regelungen zugrunde liegende (Verwaltungs-)Gesetzestheorie eingegangen werden. Man unterschied Ende des 19. Jahrhunderts als Verwaltungsrechtsquellen gemeinhin das (formelle) Gesetz, die Verordnung, die autonome

1 In der damaligen Literatur und Rechtsprechung findet sich keine Problematisierung eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabes dafür, daß die genannten Wirkungen von einer Anlage nicht herbeigeführt werden ''können''. Da ein absoluter Ausschluß eines Schadensereignisses schon denkgesetzlich nicht möglich ist, vgl. dazu Seltner, Immissionsschutzrecht, S. 22, Manens, DVBI. 1981, S. 598, Fischer, Umweltschutz, S. 23 f, ist wohl damals wie heute von einem allgemeinen - stillschweigenden - Konsens auszugehen, daß solche Schadensereignisse nach dem Kenntnisstand der Behörde bei Erteilung der Genehmigung mit möglichst großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen waren. 2 Nach Landmann, GewO, 6. Aufl., § 19, 5, wäre die Formulierung "in entsprechender Anwendung der in § 18 enthaltenen Vorschriften" zutreffender gewesen. 3 Die polizeilichen Vorschriften waren nur beispielhaft aufgezählt, zu berücksichtigen waren daher auch nicht explizit angeführte, vgl. Landmann, GewO, 6. Aufl., § 18,4, v. Schicker I, 4. Aufl., § 18, 3.

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Satzung und das Gewohnheitsrecht (oder sonstige Quellen mit abgeleiteter Rechtssatzwirkung)4. Hier interessiert hauptsächlich der Bereich der Verordnung, da das formelle Gesetz bereits untersucht wurde (s. oben 1. Kapitel) und die beiden anderen Rechtsformen für das Anlagengenehmigungsverfahren keine 1m vorliegenden Zusammenhang erwähnenswerte Bedeutung aufwiesen. Die Verordnungen wiederum spalteten sich in "Verwaltungsverordnungen,,5 und "Rechtsverordnungen,,6, wobei man unter ersteren Anordnungen innerhalb der Verwaltung selbst verstand, denen keine Rechtssatzqualität im Außenverhältnis zukam, wogegen letztere Anordnungen für die Allgemeinheit mit Außenwirkung, also Rechtssätze waren. Die Terminologie war allerdings damals wie heute uneinheitlich 7. Feststellbar ist immerhin, daß "Verwaltungsvorschriften", (so die heute gängige Bezeichnung8), der Ministerien im allgemeinen als Erlasse ergingen, die der Behörden als Verfügungen, Richtlinien, Anordnungen, Anleitungen usw9 . 1. Die Technischen Anleitungen

a) Die preußische Technische Anleitung Die Verwaltungsbehörden konnten zwar der Gewerbeordnung selbst keine konkreten Maßstäbe entnehmen, dafür aber auf die preußische Tech4 Vgl. dazu Mayer, VeIWaltungsrecht I, S. 81 ff, Jellinek, VeIWaltungsrecht, S. 112 ff, Fleiner, Verwaltungsrecht, S. 68 ff, Hatschek, VeIWaltungsrecht, S. 49 ff. Die Streitfrage, ob die "VeIWaltungsvorschriften" oder "Verwaltungsverordnungen" den Rechtsquellen zuzurechnen sind oder nicht, vgl. z.o. Maurer, Allg. VeIWaltungsrecht, § 24, 2., RN 2 f, Wolff/Bacho[l, § 24 11 d) 2., Erichsen/Martens, Allg. VeIWaltungsrecht, § 7 IV 1.. S. 93 f. soll hier unerörtert bleiben, da diese Frage für den vorliegenden Zusammenhang keine Relevanz aufweist. 5 Jellinek, VeIWaltungsrecht, S. 119, Fleiner, VeIWaltungsrecht, S. 62 ff, Hatschek, VeIWaltungsrecht, S.50, Mayer, Verwaltungsrecht I, S.83 mit abweichender Temlinologie (Verwaltungsverordnung). 6 Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 119, Fleiner, VeIWaltungsrecht, S. 69 ff, Hatschek, VeIWaltungsrecht, S.50, Mayer, VeIWaltungsrecht I, S.84 mit abweichender Terminologie (VeIWaltungsvorschriften ).

7 Vgl. dazu für die damalige Zeit Anschütz(Jhoma (Jacobi) , S. 257 ff, für die heutige Rechtslage ausführlich Ossenbühl, VeIWaltungsvorschriften, S. 29 ff, Maurer, Allg. VeIWaltungsrecht, § 24, 1., RN 1. 8 So z.B. Wolff/BachofI, § 24 11 d) 2., auch Ossenbühl, VeIWaltungsvorschriften. S. 32 f, Maurer, A1lg. VeIWaltungsrecht, § 24, 1., RN 1. 9 Vgl. dazu die Belege im folgenden und Erichsen/Martens, Allg. VeIWaltungsrecht,

§ 7 IV 1., S. 90.

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nische Anleitung zurückgreifen, (auf deren umfassende Bedeutung wurde bereits oben A. I. 1. hingewiesen). Rechtstechnisch gesehen handelte es sich bei der TA um eine abstrakt-generelle Regelung, und zwar um eine "Verwaltungsverordnung" und nicht um eine "Rechtsverordnung". Dies folgt schon aus der Bezeichnung, aus dem Fehlen einer Ermächtigungsgrundlage in der Gewerbeordnung oder einem anderen Gesetz1O, sowie aus der Tatsache, daß Vorschriften über die technischen Grundsätze zum Vollzug einzelner Gesetzesbestimmungen die Domäne solcher Verwaltungsverordnungen waren 11. Die Einordnung allein besagt noch nichts über die Rechtswirkungen der Verwaltungsvorschriften. Ihre Rechtsverbindlichkeit für die nachgeordneten Stellen eines Behördenapparates ergab sich bereits aus dem hierarchischen Aufbau staatlicher Verwaltungsstellen. Darüber bestand damals wie heute Einigkeit 12. Die demgegenüber problematische Außenwirkung der Verwaltungsvorschriften wird im Zusammenhang mit den gerichtlichen Entscheidungen erörtert. Die Technischen Anleitungen enthielten in beiden Fassungen einen Allgemeinen Teil, der in der ersten und zweiten Fassung fast wortgleich war und Bestimmungen zu den einzelnen, in § 16 Abs. 1 GewO verzeichneten AnlagengaUungen. aa) Der allgemeine Teil der Technischen Anleitung Die sogenannten "Allgemeinen Gesichtspunkte" der T As enthielten als ersten Bestandteil eine Negativausgrenzung der nicht berücksichtigungsfähigen "Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen". Diejenigen, die nicht in der physischen Einwirkung von Anlagen auf die Umgebung bestanden, wie Z.B. "schädliche Konkurrenz, Vertheuerung der Arbeitskräfte" sollten keine Einwendung begründen dürfen13• Dies erscheint aus heutiger Sicht selbstverständlich. Durch die damalige Integrierung des Anlagengenehmigungs10 Die durch § 21 GewO den Landesgesetzen vorbehaltenen näheren Bestimmungen bezogen sich nur auf das formelle Verfahren, nicht auf materielle Genehmigungsvoraussetzungen. 11 Vgl. F/einer, VeIWaltungsrecht, S. 62. 12 Z.B. Erichsen/Martens, A1lg. VeIWaltungsrecht, § 7 IV 4., S. 94 C, Maurer, A1lg. VeIWaltungsrecht, § 24,111. 1., RN 16, Wo/ff/BachofI, § 24 11 d) 2. 13 TA vom 14.4.1875, unter 1., TA vom 15.5.1895, unter 1., Nachweise s. oben A. FN 9.

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verfahrens in die Gewerbeordnung war jedoch der Gedanke, auch "gewerbliche" Belästigungen mit Hilfe des Anlagengenehmigungsverfahrens auszuschließen, nicht völlig abwegig. Die einschränkende Auslegung, die die TA hier vornahm, reduzierte die Zielsetzung des Anlagengenehmigungsverfahrens auf die "technischen" Nachteile, was sicherlich dem Willen des historischen Gesetzgebers entsprach (vgl. oben 1. Kap., A. III. 5.). Die Einhelligkeit über die Ausgrenzung der erwähnten Nachteile zeigt sich auch darin, daß Literatur und Rechtsprechung diese Ansicht der TA unisono vertraten 14. Die berücksichtigungsfähigen Einwendungen waren nach der TA dann daraufhin zu prüfen, ob sie von den Nachbarn und dem allgemeinen Publikum "im Interesse der für die allgemeine Wohlfahrt unentbehrlichen Industrie" noch zu dulden waren. Wenn dies nicht zutraf, war zu erwägen, ob ein ausreichender Schutz der Umgebung durch "Vorschriften über die Einrichtung der Anlage oder die Art und Weise des Betriebes,,15, also durch Bedingungen, zu erreichen war. Erst wenn auch dies ausschied, war die Genehmigung zu versagen l6 . Das Bemerkenswerte an diesen Bestimmungen sind weniger die einzelnen Prüfungsschritte I7, als vielmehr ihr Ausgangspunkt. Die Art der Formulierung legte nahe, daß zugunsten der allgemeinnützigen Industrie die Schwelle des nicht mehr zu Duldenden relativ hoch anzusetzen war l8 . Als zweiten Bestandteil der "Allgemeinen Gesichtspunkte" enthielten die TAs Ausführungen zur "Behandlung der festen und flüssigen Fabrikabgänge". Als Begründung für die diesem Punkt beigemessene besondere Bedeutung führte die TA bezüglich der Abwässer an: "Die Ableitung der Abgänge in öffentliche oder Privatgewässer ist häufig mit so schweren, die lebhaftesten und begründetsten Klagen der Anlieger hervorrufenden Uebel14

Vgl. z.B. Landmann, GewO, 6. Aufl., §

18, 3.

15 Die heutige Unterscheidung zwischen "Bedingungen", "Auflagen" oder "Widerrufsvorbehalt", wie sie sich z.B. aus § 12 BlmSchG oder § 36 VwVfG ergibt, war im damaligen Verwaltungsrecht noch nicht gebräuchlich. Es wurden alle Nebenbestimmungen unter dem Terminus "Bedingungen" zusammengefaßt. 16

TA vom

14.4.1875, unter 1., TA vom 15.5.1895, unter I., Nachweise s. oben A.

FN 9.

I7 Diese unterscheiden sich kaum von der heute geltenden Rechtslage, vgl. §§ 6, 12 BImSchG.

18 Dazu stehen allerdings die Bestimmungen zu den einzelnen Anlagenarten in einem gewissen Gegensatz, vgl. unten cc). 11 Ebinger

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ständen verknüpft, daß gerade dieser Punkt die volle Aufmerksamkeit der Genehmigungsbehörde erheischt.,,19 Zwar wäre es nach der Gesetzeslage in Preußen auch möglich gewesen, die Regelung der Abwasserfrage in einem gesonderten Verfahren vorzunehmen. Die erste Fassung der TA erklärte diese Vorgehensweise für "nicht angemessen", die zweite sah die Notwendigkeit "vorzubeugen", und zwar sowohl "im Interesse des Unternehmers wie der Anlieger solcher Gewässer und des Publikums überhaupt,,20. Damit war praktisch erreicht, was bei den Diskussionen zur Normierung theoretisch noch erfolgreich abgelehnt worden war21 : die Frage der Abwasserentsorgung war neben anderen Fragen gleichwertiger Bestandteil des Anlagengenehmigungsverfahrens und konnte daher unter Zuhilfenahme von Bedingungen geregelt werden oder auch die Versagung der Genehmigung zur Folge haben 22 . Überdies empfahlen die TAs der Verwaltung einen allgemeinen Widerrufs- und Bedingungsvorbehalt bezüglich der Einleitung von Abwässern. Die Genehmigung war somit in hohem Maße von der Abwasserfrage abhängig. Einem ähnlichen Muster folgten die "Allgemeinen Gesichtspunkte" bezüglich der (größeren) Feuerungsanlagen. Demnach war als Bedingung bei der Genehmigung in der Regel vorzuschreiben, daß der Betrieb auf eine möglichst vollständige Verbrennung des Rauches hin anzulegen sei und bei auftretenden Mißständen auf Anordnung der Polizeibehörden die notwendigen Veränderungen durchzuführen waren. Wie in den Motiven zum Genehmigungserfordernis selbst, wurde auch hier zur Rechtfertigung angeführt, daß der Unternehmer von dieser Genehmigungsbedingung profitiere: "... im Interesse ... des Unternehmers, dem in der Einrichtung der Feuerungsanlage und der Wahl des Brennmaterials freier Spielraum gewährt und in Folge dessen die rasche Benutzung technischer Fortschritte und günstiger Konjunkturen ermöglicht wird.,,23 Der letzte Teil der "Allgemeinen Gesichtspunkte" beschäftigte sich mit dem Schutz der Arbeiter der Betriebe. Die TA hatte bei all ihren Bestim19 20 21

TA vom TA vom

14.4.1875, unter 1., TA vom 15.5.1895, unter 1., Nachweise s. oben A. FN 9. 14.4.1875, unter 1., TA vom 15.5.1895, unter 1., Nachweise s. oben A. FN 9.

Vgl. oben 1. Kap., A. 111. 4.

22 So ausdrücklich beide Fassungen der TA, TA vom 14.4.1875, unter 1., TA vom 15.5.1895, unter 1., Nachweise s. oben A. FN 9. 23 TA vom 14.4.1875, unter 1., TA vom 15.5.1895, unter I., Nachweise s. oben A. FN 9.

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mungen im wesentlichen zwei Schutzrichtungen. Einmal waren dies Leben und Gesundheit der Arbeiter des jeweiligen Betriebes, zum anderen die Nachbarschaft der Anlagen. Im hier vorliegenden Zusammenhang wird nur der "umweltschutzrechtliche" Aspekt bedeutsam, nicht jedoch der "arbeitsrechtliche". Der letztere wird daher bei den Erörterungen außer acht gelassen. bb) Erfaßte Anlagenarten - nichterfaßte Anlagenarten Die Technischen Anleitungen hatten nur einen beschränkten Anwendungsbereich; dies ergab sich bereits aus ihren Überschriften: "Technische Anleitung zur Wahrnehmung der den Kreisausschüssen durch § 135., V. Nr. 1 der Kreis-Ordnung vom 13. Dezember 187224 hinsichtlich der Genehmigung gewerblicher Anlagen übertragenen Zuständigkeiten." (Fassung 1875) und "Technische Anleitung zur Wahrnehmung der den Kreis-(Stadt)ausschüssen (Magistraten) durch § 109 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 188325 hinsichtlich der Genehmigung gewerblicher Anlagen übertragenen Zuständigkeiten." (Fassung 1895)26. Erfaßt waren also nur die Anlagenarten, die diesen Behörden zur Entscheidung zugewiesen waren 27 . Ein einheitliches Prinzip, nach dem die Anlagenarten auf die Behörden aufgeteilt waren, ist nicht erkennbar. Die Mehrzahl entfiel auf die in der Behördenhierarchie untergeordneten Kreisausschüsse, die Minderheit auf die Bezirksausschüsse28 . Es steht daher zu vermuten, daß die Genehmigungen im allgemeinen von der untergeordneten Behörde erteilt werden sollten und die

24 Preuß. GVBI. 1872, S. 661 ff. 25 Preuß. GVBI. 1883, S. 237 ff.

26

27

Vg1. die Nachweise für die Technischen Anleitungen oben A. FN 9.

Folgende Anlagenarten wurden daher in keiner der Fassungen der TA erfaßt: "Schießpulverfabriken, Anlagen zur Feuerwerkerei und zur Bereitung von Zündstoffen aller Art", "Röstöfen", "chemische Fabriken aller Art" und "Stauanlagen für Wassertriebwerke (§ 23)". Wegen des Zuständigkeitswechsels der Behörden fielen die "Anlagen zur Gewinnung roher Metalle" und die "Poudretten- und Düngepulverfabriken" in der 2. Fassung der TA weg. "Kalifabriken", "Anlagen zur Herstellung von Zelluloid", "Anlagen, in welchen aus Holz oder ähnlichem Fasermaterial auf chemischem Wege Papierstoff hergestellt wird (Zellulosefabriken)", "Anlagen, in welchen Albuminpapier hergestellt wird" und "Verbleiungs-, Verzinnungs- und Verzinkungsanstalten", waren als nachträglich aufgenommene Anlagen wegen anderweitiger Zuständigkeit ebenfalls nicht im Verzeichnis enthalten. 28 Vgl. zu den Zuständigkeiten auch Landmann, GewO, 6. Aufl., § 16,4. 11·

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Zuweisung an den Bezirksausschuß (die Bezirksregierung)29 nur aus besonderen Gründen vorgenommen wurde. Als solcher "besonderer Grund" läßt sich einmal die "Gefährlichkeit" der Anlage feststellen. So unterfielen Z.B. die "Schießpulverfabriken, Anlagen zur Feuerwerkerei usw." der Kompetenz der Bezirksausschüsse30, genauso wie die "chemischen Fabriken aller Art". Bei letzteren läßt sich außerdem die Vermutung aufstellen, daß ihr ungenauer Normbefehl und somit die Unwägbarkeiten in der Anwendung zur Zuweisung an die höheren Behörden führte. Ein weiterer Grund für die Zuständigkeit der Bezirksbehörden war das Bestehen von Normierungen außerhalb der Gewerbeordnung für bestimmte Anlagenarten (z.B. Stauanlagen, Röstöfen). Die spezielle Normierung deutet auf die besondere Bedeutung dieser Anlagen, sei es aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen, hin31 und erklärt so die Zuständigkeit der höheren Behörden. Das Bestehen landesrechtlicher Vorschriften erklärt zugleich, warum für diese Anlagen in Preußen keine der TA vergleichbaren, konkretisierenden Bestimmungen erlassen wurden. Dies gilt jedoch nicht für alle Anlagen, die den Bezirksbehörden zugewiesen waren. Konkretisierende Bestimmungen auf ministerieller Ebene (Erlasse), die während des Untersuchungszeitraumes herausgegeben wurden, gab es für die mit Sprengstoffen im Zusammenhang stehenden Anlagen, sowie für einige wenige chemische Anlagen 32 . Für die anderen, den Bezirksbehörden unterfallenden Anlagenarten, insbesondere für diejenigen, die erst nach 1880 in das Verzeichnis des § 16 GewO aufgenommen wurden, existierten fast keine konkretisierenden Bestimmungen. In der erläuternden Literatur wird für diese Anlagen daher auch meist auf die 29 Nach § 135 V. Nr. 1 der Kreis-Ordnung, war die Bezirksregierung zuständig, nach § 110 I des Zuständigkeitsgesetzes der Bezirksausschuß. 30 Für einige dieser Anlagen bestanden anderweitige konkretisierende (technische) Vorschriften, vgl. die Zusammenstellung in Ziffer 25 der preußischen Ausführungsanweisung zur Gewerbeordnung für das Deutsche Reich vom 1.5.1904, Grotefend 1904, S. 210 f und unten b). 31 Für die Stauanlagen z.B. verwies § 23 GewO auf die Vorschriften der Länder. "Röstöfen" und "Anlagen zur Gewinnung roher Metalle" unterfielen als Aufbereitungsanlagen für Bergwerksprodukte den bestehenden bergrechtlichen Landesvorschriften, vgl. Landmann, GewO, 6. Aufl., § 16, 1 unter gamma. Teilweise überschnitten sich diese Gesichtspunkte auch. So waren z.B. die "Schießpulverfabriken, Anlagen zur Feuerwerkerei und zur Bereitung von Zündstoffen aller Art" größtenteils landesrechtlich geregelt, vgl. die Nachweise bei Landmann, GewO, 6. Aufl., § 16, 6.

32 Vgl. die Zusammenstellung in Ziffer 25 der Preuß. Ausführungsanweisungen vom 1.5.1904, Grotefend 1904, S. 211. Dabei ist allerdings zu beachten, daß nicht alle der dort genannten Vorschriften solche im Charakter der TA waren, sondern viele sich ausschließlich auf den Arbeiterschutz bezogen oder andere, nicht "umweltschützende" Ziele verfolgten.

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Denkschriften des Bundesrats bei Aufnahme in das Verzeichnis verwiesen33 . Aus diesem Umstand sollte jedoch keinesfalls geschlossen werden, daß konkretisierende Bestimmungen jetzt als überflüssig galten. Dies würde den ansonsten festzustellenden Entwicklungen diametral entgegenlaufen. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß die zahlreichen, für andere Anlagen bestehenden Bestimmungen zusammen mit der hohen kompetenzrechtlichen Stellung der Bezirksbehörden als Gewährleistung für sachgerechte Entscheidungen angesehen wurden. cc)

Die Art der Erläuterungen zu den einzelnen Anlagenarten

Am Anfang der Erläuterungen zu den einzelnen Anlagenarten, (jede Gattung wurde unter einer Ziffer erläutert), stand zumeist eine Art Definition, entweder in Form einer Begriffsbestimmung oder als Beschreibung des Produktionsprozesses, (vgl. dazu im einzelnen bereits oben A. I. 1.). Darauf folgte dann bei fast allen Anlagenarten die Aufzählung der typischerweise mit dem Betrieb einer solchen Anlage verbundenen Gefahren. Aufgrund der erwähnten doppelten Zwecksetzung der Technischen Anleitungen zielten die Bestimmungen in erheblichen Teilen auf den Schutz der Arbeiter34 und nicht auf den der "Umwelt". Als Beispiele für die Minderheit der sich auf Gefahren für die "Umwelt", das heißt insbesondere für die Nachbarschaft (Gerüche, Rauch, bei anderen Anlagen auch Lärm) und für die Wasserläufe beziehenden Teile sollen zum einen die Ausführungen zu den "Gasbereitungs- und Gasbewahrungs-Anstalten" dienen: "Die Belästigungen und Nachtheile, welche den Anwohnern durch den Betrieb dieser Anlagen erwachsen können, sind hauptsächlich folgende: 1) Belästigungen durch den Rauch der Retortenfeuerungen ... 2) Uebelstände, verursacht durch Reinigung der das Gas aus den Retorten abführenden Steigeröhren vermittelst Ausbrennens... 3) Belästigungen durch übelriechende Dünste, welche sich beim Ablöschen der aus den Retorten gezogenen glühenden Koks mehr oder weniger entwickeln ... 4) Verunreinigungen des Erdreichs und der Gewässer durch das bei der Destillation der Kohlen und bei dem Gasreinigungsprozesse erzeugte Gaswasser ... 5) Feuer- und Explosionsge33 Vgl. l.B. Landmann, GewO, 6. Aufl., § 16, Ziffern 42, 49. 34 Diesbezügliche Bestimmungen bleiben für die Untersuchung jedoch außer Betracht (vgl. oben aa)).

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fahr ... ,,35, zum anderen die zu den "Knochendarren, Knochenkochereicn und Knochenbleichen": "Die aus diesem Betriebe erwachsenden Uebelstände werden hauptsächlich durch die beim Kochen sowie beim Darren der Knochen entwickelten Dünste verursacht. Auch der aus den Mühlwerken hervordringende Knochenstaub, desgleichen die beim Kochen der Knochen entstehenden Brühen haben einen höchst unangenehmen Geruch und können, sowie auch die Läger der rohen Knochen und der fertigen Erzeugnisse, zu Belästigungen Anlaß geben,,36. Die TAs gaben den Verwaltungsbehörden darauf aufbauend weiterhin konkrete Leitlinien für die Entscheidung an die Hand. Eine zusammenfassende Darstellung dieser Leitlinien ist mit Schwierigkeiten verbunden, da sie naturgemäß auf die einzelne Anlagenart zugeschnitten waren. Möglich erscheint aber immerhin eine typisierende Darstellung der Leitlinien nach ihrem Inhalt. Die Bestimmungen der TAs bezogen sich einmal auf die Bauart der Anlagen, also der Gebäude selbst (z.B. auch die Höhe der Schornsteine), wie auch der Anlagen im engeren Sinne, also der maschinellen Einrichtung und Ausstattung. Weiterhin wurde die Verwendung von Rohstoffen (Brennmaterial), zum Teil von fertigen Produkten (Lagerung) nach Art und Umfang geregelt. Wichtiger Gegenstand der Bestimmungen war auch der Produktionsprozeß selbst, sowie die Entsorgung der festen und flüssigen Betriebsabgänge. Viele Ziffern enthielten zudem Angaben zur örtlichen Situation der Anlage. Bezüglich der "Strohpapierstofffabriken" wird beispielsweise ausgeführt: "In der unmittelbaren Nähe der Schneide- und der etwa vorhandenen Siebmaschinen sowie ungeschlossener Fortschaffungsvorrichtungen für das zerschnittene Stroh ist das Rauchen und die Verwendung von offenem Licht wegen Feuersgefahr zu untersagen. Die natronhaitigen Laugen sind in der Regel durch Eindampfen unschädlich zu machen. Nur in besonders günstigen Fällen wird das Einleiten in große Flußläufe oder das Versenken gestattet werden können. Alle übrigen Abwässer sind, wenn sie in öffentliche Gewässer geleitet werden sollen, vorher zu neutralisieren und vollständig zu klären. Enthalten solche Abwässer so bedeutende Mengen organischer Stoffe gelöst, daß ihre Ableitung in öffentliche Gewässer oder ihre Versenkung Bedenken erregt, so ist die thunlichste Ausfällung der gelösten organischen Stoffe durch chemische Mittel und eine nachfolgende 35 TA vom 14.4.1875, Ziffer 1, TA vom 15.5.1895, Ziffer 1, Nachweise s. oben A. FN 9.

36

TA vom 14.4.1875, Ziffer 21 b, TA vom 15.5.1895, Ziffer 22, Nachweise s. oben A. FN 9.

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Klärung anzuorden, oder es sind diese Abwässer durch Eindampfen oder Berieselung zu beseitigen. Die Anlegung von Strohpapierstofffabriken in dicht bebauten Orten giebt zu erheblichen Bedenken Anlaß und ist in der Regel zu versagen,,37. Aus diesem Beispiel wie aus den obigen Ausführungen ergibt sich, daß die Bestimmungen der TA in erster Linie darauf zielten, die Bedingungen, unter denen eine Anlage genehmigt werden konnte, festzulegen. Eindeutige Negativtatbestände, also ein Verbot der Genehmigung für bestimmte Situationen, enthielt sie allenfalls bezüglich der Genehmigung von Anlagen in der Nähe von Ortschaften, bewohnten Gebäuden oder ähnlichem. Darin lag gleichzeitig eine Art "Technischer Kapitulation", da dies in den Fällen vorgeschrieben wurde, in denen die Gefahren oder Belästigungen nicht auf andere Art und Weise beseitigt werden konnten. Ein darüber hinausgehendes Verbot konnte sich nur indirekt daraus ergeben, daß Bedingungen nach Ansicht der Behörden nicht ausreichten, um die von der Anlage ausgehenden Gefahren - wie in der TA beschrieben - zu beseitigen, und eine Genehmigung aus diesem Grunde ausschied. Nicht alle Ausführungen zu den einzelnen Anlagen folgten genau dem angegebenen Muster. Mitunter wurden z.B. mögliche, typische Gefahren und Maßnahmen zu deren Verhinderung ineinandergreifend erörtert. Die genannten einzelnen Elemente der "Kommentierung" waren jedoch Gegenstand aller erörterten Anlagenarten. dd) Zusammenfassung und Entwicklungstendenzen Daß den Verwaltungsbeamten die Genehmigungserteilung aufgrund des GesetzeswortIautes allein nicht gut möglich war, liegt an sich bereits darin begründet, daß das Genehmigungsverfahren in seinen ZentralstelIen nichts als unbestimmte Rechtsbegriffe aufzuweisen hatte. Die damit verbundenen Probleme waren bereits den Stenographischen Berichten zum Erlaß der Gewerbeordnung 1869 zu entnehmen38 und sind aus praktischen Gründen auch ohne weiteres nachvollziehbar. Die TA gab zumindest zahlreiche Anhaltspunkte zur Handhabung der unbestimmten Rechtsbegriffe. Dadurch war eine gleichmäßigere, weniger von den subjektiven Einstellungen einzel37 38

TA vom 15.5.1895, Ziffer 30, Nachweise s. oben A. FN 9. Vgl. oben 1. Kap., A. 111. 3.

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ner Organwalter abhängige Auslegung und Anwendung der Vorschriften zur Genehmigungserteilung zu erreichen. Letztlich war durch die Gewährleistung von Rechtssicherheit und -gleichheit essentiellen Anforderungen des Rechtsstaates Genüge getan39 . Ein weiterer Vorteil der normkonkretisierenden Vorschriften bestand in der Bereitstellung von Sachverstand, über den nicht jeder einzelne Amtswalter verfügen konnte und in dem dadurch gleichzeitig hervorgerufenen arbeitstechnischen Rationalisierungseffekt40. Im folgenden soll versucht werden, durch einen Vergleich der beiden Fassungen der Technischen Anleitungen, die 20 Jahre auseinanderlagen4 t, Entwicklungstendenzen bezüglich formellem und materiellem Gehalt der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe zu erkennen, die über die pauschale Grundtendenz hinausgehen. Die zweite Fassung der TA von 1895 war wesentlich umfangreicher als die erste, und zwar auch in den Teilen, die von beiden Fassungen behandelt wurden. Hauptsächlich waren es detailliertere und zusätzliche Ausführungen, die die Erweiterung ausmachten. So wurden z.B. die "Anlagen zur Bereitung von Braunkohlen- und Steinkohlen-Theer, sofern sie außerhalb der Gewinnungsorte des Materials errichtet werden" in der ersten Fassung noch zusammen und sehr kurz abgehandelt42, in der zweiten dagegen getrennt und mit weiterer Aufspaltung in "Untertypen" aufgeführt43 . Ähnlich tiefgreifend waren die Änderungen bei den "Kalk- (Cement-) öfen" und den "Ziegelöfen,,44. Die letzteren wurden sogar in mehreren Verzweigungen abgehandelt45. 39 Vg!. dazu schon oben 1. Teil, 1. Kap., D. IV. 40 Vg!. zu diesen Wirkungen normkonkretisierender Vorschriften insgesamt Ossenbühl, VelWaltungsvorschriften, S. 284 f, zu der Gewährleistung einheitlicher Gesetzesanwendung Maurer, Allg. VelWaltungsrecht, § 24 11 1., RN 9, so indirekt auch Wolff/BachofI, § 24 11 d 2., S.119. 41 - Die Fassung von 1895 erfuhr keine wesentlichen Anderungen mehr. Die Anderung vom 9.1.1896 (HMBI. S. 9) bezog sich auf die inhaltliche KlarsteIlung eines Einzelpunktes, die vom 5.4.1898 (HMB!. S. 98) auf eine Zuständigkeitsfrage. Zu der Änderung vom 1.7.1898 (HMB!. S. 187) vgl. unten FN 49 außerdem Änderung vom 13.3.1907 (HMB!. S. 67).

42 TA vom 14.4.1875, Ziffer 3 a, b, Nachweise s. oben A. FN 9.

43 TA vom 15.5.1895, Ziffer 3 a, b, Nachweise s. oben A. FN 9.

44 Vgl. zur ersten Fassung die TA vom 14.4.1875, Ziffern 5 und 7, zur zweiten die TA vom 15.5.1895, Ziffern 6 und 7, Nachweise s. oben A. FN 9. 45 Unterteilt wurde in "I. Unterbrochen betriebene Öfen: A. Meiler oder Feldöfen, B. Flammöfen: 1. Öfen mit horizontalem Flammenzug, 2. Öfen mit vertikalem Flammenzug,

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Zusätzliche Ausführungen bestanden meist in der Aufzählung weiterer Bedingungen für eine Genehmigungserteilung, wie sie bereits oben beschrieben und charakterisiert wurden. Teilweise wurden Bedingungen zudem deutlich verschärft. In der ersten Fassung der TA von 1875 lautete ein Auszug der Ziffer 24, "Schlächtereien": "Bezüglich der Einrichtung des Schlachthauses empfiehlt es sich, die Bedingungen zu stellen: daß der Fußboden des Schlachthauses wasserdicht hergestellt, gepflastert, cementirt oder asphaltirt wird, nicht gedielt sein darf, daß die Wände des Schlachthauses mindestens auf 2 Meter Höhe entweder mit Oelfarbe gestrichen oder anderweit so hergerichtet werden, daß sie durch Abwaschen vollständig gereinigt werden können .. .'.46. In der zweiten Fassung der TA lautete dieselbe Passage bereits wie folgt: "Die Höhe des Schlachtraumes soll wenigstens 3 m betragen und muß durch genügend große, womöglich an zwei gegenüberstehenden Wänden befindliche Fenster Licht und Luft erhalten. Wenn nur von einer Seite Licht und Luft in den Raum gelangen, so ist, sofern nicht die freie Lage des Raumes einen genügenden Luftwechsel sichert, durch Einrichtung eines oder mehrerer Luftschachte für Luftzug Sorge zu tragen. Die Wände des Schlachtraumes sind in Cement zu verputzen und mindestens auf 2 m Höhe mit heller, nicht rother, Oelfarbe zu streichen. Der Fußboden ist wasserdicht herzustellen und darf nicht gedielt werden .. .',47. Die zweite Fassung der TA enthielt, und dies ist im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung besonders herauszustellen, für Einzelfragen bestimmter Anlagentypen zum ersten Mal feste Grenzwerte. So wurde z.B. zu den "Glashütten" ausgeführt: "Die bei der Verarbeitung von Natriumsulfat (Glaubersalz) auftretende schweflige Säure ist in hohe Essen zu leiten und so zu verdünnen, daß der Gehalt der Essengase an schwefliger Säure bei Anlagen in der Nähe menschlicher Wohnungen 0,01, im Uebrigen 0,02 Volumenprozent nicht überschreitet,,48. In einer Änderung der TA im Jahre

a) offene Öfen, b) geschlossene Öfen, 3. Öfen mit rückschlagender Flamme, 4. Öfen mit aufund abwärtssteigender Flamme, C. Muffelöfen" und "11. Beständig betriebene Öfen". TA vom 15.5.1895, Ziffer 7, Nachweise s. oben A. FN 9. 46 Nachweise s. oben A. FN 9. 47 TA vom 15.5.1895, Ziffer 25, Hervorhebung der TA, Nachweise s. oben A. FN 9. 48 TA vom 15.5.1895, Ziffer 5 a, Nachweise s. oben A. FN 9, vgl. auch z.B. Ziffer 10 "Hammerwerke" bzgl. der Fundamente und Ziffer 28, "Hopfen-Schwefeldörren" bzgl. der Konzentration an schwefliger Säure.

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1898 wurde überdies festgelegt, wie dieser Grenzwert chemisch zu ermitteln war49 .

In dieselbe Richtung deutet auch die erstmalige Angabe fester Entfernungen, die Anlagen von bewohnten Gebäuden, Straßen etc. einzuhalten hatten. "Rußhütten dürfen in der Nähe von Ortschaften nicht angelegt werden. Ihre Entfernung von solchen muß mindestens 600 m betragen." ist ein Beispiel für solche Bestimmungen, die besonders bei solchen Anlagen auftauchten, die erst nach der ersten Fassung der TA 1875 in das Verzeichnis des § 16 GewO aufgenommen worden waren50 . War keine feste Metergrenze angegeben, so wurde teilweise die Begründung beigefügt "Ueber die einzuhaltenden Entfernungen lassen sich allgemeine Bestimmungen deshalb nicht vorschreiben, weil hierbei vorwiegend die örtlichen Verhältnisse, die Bodengestaltung, die vorherrschenden Windrichtungen u.s.w. in Betracht kommen"51. In der ersten Fassung beschränkten sich die Erörterungen zu den einzelnen Ziffern der Anleitung noch darauf, auf die Bedenklichkeit oder die Untunlichkeit der Genehmigung von Anlagentypen in der Nähe bewohnter Gebäude u.ä. hinzuweisen52 . Ebenfalls interessant, aber nicht überzubewerten ist die Tatsache, daß in der ersten Fassung an einer Stelle noch die Rede davon war, daß kein Mittel existiere, bestimmte Gefahren und Belästigungen zu vermeiden und eine "Wachstuch-Fabrik" daher nur in sicherer Entfernung von Wohnorten genehmigt werden dürfe53 . Die zweite Fassung stellte in diesem sowie einem weiteren Fall ("Abdeckereien") fest, daß gefahrverhindernde Mittel nicht 49 "Die Ermittelung sämmtlicher Säuren des Schwefels ist durch Absorption in Aetznatronlauge und Titriren zu machen. Nachher ist Alles auf S03 zu berechnen." Änderung der TA vom 1.7.1898, Preuß. HMBI. 1898, S. 187 f, Grotefend 1898, S. 473 f. 50 Vgl. die Ziffern 5 b "Rußhütten", 28 "Hopfen-Schwefeldörren", 32 "Anstalten zum Imprägnieren von Holz mit erhitzten Teerölen", 34 "Degrasfabriken", 36 "Anlagen zur Destillation oder zur Verarbeitung von Theer und Theerwasser" der TA vom 15.5.1895, Nachweise s. oben A. FN 9. Damit wurde allerdings nur ein wirksamer Schutz der Nachbarn gewährleistet, nicht der Umwelt an sich, da sich an der Freisetzung der Luftschadstoffe nichts änderte. Etwas anderes galt für Anlagen, die nur durch Lärm belästigten. In diesem Fall war die Entfernung von Wohngebieten als ausreichend anzusehen. Den angeführten Anlagenarten ist jedoch zu entnehmen, daß sie alle beim Betrieb Luftschadstoffe freisetzten. 51 52

TA vom

15.5.1895, Ziffer 27 "Abdeckereien", Nachweise s. oben A. FN 9. u.a. Ziffer 3 c "Anlagen zur Bereitung von Koks", 10 "Hammerwerke", 12

53

TA vom

Vgl. "Firnißsiedereien". Nachweise s. oben A. FN 9.

14.4.1875, Ziffer 15, Nachweise s. oben A. FN 9.

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bekannt seien54 und die Anlagen daher - gleiche Schlußfolgerung wie zuvor -

nicht in der Nähe von Ortschaften u.ä. errichtet werden dürften. Diese Änderung spricht für eine fortschrittsgläubigere Einstellung der Verwaltung. Es wurde jetzt offenbar angenommen, daß die technische Entwicklung in der Zukunft bis dato noch unbekannte Betriebseinrichtungen, Produktionsprozesse u.ä. zur Verhinderung von Gefahren und Belästigungen hervorbringen könne.

Aus diesen Unterschieden zwischen der ersten und der zweiten Fassung ergab sich in materiell-rechtlicher Hinsicht eine deutliche Verschärfung der Genehmigungsvoraussetzungen. Es waren mehr Bedingungen vorgegeben, diese sahen überdies in weiten Teilen detailliertere und strengere Anordnungen vor. Aufgrund der Technischen Anleitungen läßt sich daher vermuten, daß den erteilten Genehmigungen im Laufe der Zeit Bedingungen in ansteigender Zahl und Regelungsdichte beigefügt waren. Dieses Ergebnis steht in einem gewissen Widerspruch zu den in den "Allgemeinen Gesichtspunkten" der TAs enthaltenen Grundvorgaben. Die "Allgemeinen Gesichtspunkte" sahen zwar auch Einschränkungen vor55 , waren aber sehr darauf bedacht, diese als dem Wohl der Unternehmer und der Industrie dienlich zu erklären. Dieser Eindruck wird durch die Betonung der Tatsache, daß die Industrie "für die allgemeine Wohlfahrt unentbehrlich" sei, noch verstärkt. Da die zweite Fassung in diesem Teil fast wortgleich mit der ersten war, hatte insoweit keine Entwicklung stattgefunden. Eine weitere Relativierung erfährt die festgestellte Verschärfung der Genehmigungsvoraussetzungen dadurch, daß es sich wegen der gesicherten Rechtsstellung, die dem einzelnen Betreiber mit der Erteilung eingeräumt war, und die im Untersuchungszeitraum noch kaum angetastet wurde, nur um eine zeitlich punktuelle Verschärfung handelte. Die Genehmigungsbehörden wurden durch die fehlende Nachbesserungsmöglichkeit für einschränkende Anordnungen praktisch gezwungen, ihre Genehmigungen auch für zukünftige Entwicklungen und dabei zu erwartende "erhebliche Gefahren, Nachtheile oder Belästigungen" auszulegen, sofern dies möglich war. Da sich solche Entwicklungen natürlich nicht immer absehen ließen, und sich überdies nach Inbetriebnahme der 54 TA vom 15.5.1895, Ziffern 15 und 27, Nachweise s. oben A. FN 9. 55 Vgl. oben aa).

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Anlage zum Teil Nachteile ergaben, die vorher nicht bedacht worden waren, blieb die Verschärfung der Voraussetzungen im Genehmigungszeitpunkt ein beschränkt wirkungsvolles Instrument. Normtechnisch gesehen war mit der Neufassung der TA 1895 eine zunehmende Konkretisierung der bei den einzelnen Anlagen durch die Verwaltung in Betracht zu ziehenden Anordnungen verbunden; damit war letztendlich auch die Ausfüllung der unbestimmten Rechtsbegriffe "erheblichen Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen" durch allgemeingültige Bestimmungen weiter vorangetrieben worden. Diese Entwicklung führt hier erstmals (unter der Gültigkeit der GewO) zur Festsetzung von zahlenmäßig bestimmten Grenzwerten für einige, an die Umwelt abgegebene chemische Stoffe. Mit der Festschreibung von Zahlenwerten war dem unbestimmten Rechtsbegriff für die betreffende Einzelfrage alles Unbestimmte genommen. Der Normbefehl wird dadurch sogar deutlicher, als er dies bei Verwendung von juristisch bestimmten, aber mit der natürlichen Unschärfe der Sprache (vgl. oben 1. Teil, 1. Kap., A.) behafteten Begriffen wäre. Wie schon die Ausführungen zum materiell-rechtlichen Gehalt der Bestimmungen der TA zeigten, ging hier die höhere Konkretisierung mit der Verschärfung der Genehmigungsbedingungen einher und dies sogar entgegen der allgemeinen Grundtendenz der Rücksichtnahme auf die Belange der Industrie, wie sie sich aus den "Allgemeinen Gesichtspunkten" der TAs ergab. Als das Endergebnis primär beeinflussender Faktor wären somit nicht allgemeine "Absichtserklärungen", sondern die konkreten Einzelbestimmungen anzusehen. Die Entwicklung in Richtung restriktiverer Bestimmungen steht in einem gewissen Gegensatz zu wirtschaftsliberalen und wirtschaftsfördernden Positionen. Wie festgestellt, waren diese Doktrinen jedoch vor der lahrhundertwende nicht mehr unbestritten, sondern wurden teilweise protektionistisch abgeschwächt, indem der Staat für befugt gehalten wurde, ordnend, fördernd und lenkend in die wirtschaftliche Entwicklung einzugreifen56 . Es ginge aber sicherlich zu weit, einen Zusammenhang dergestalt festzustellen, daß die Haltung der Verwaltung Ausdruck der neuen protektionistischen Tendenzen in der Wirtschaftstheorie und -politik waren. Diese Tendenzen änderten an der prinzipiell wirtschaftsfreundlichen Einstellung der Regie56

V gl. oben 1. Kap., B. 11.

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rung nichts; es sollte nur den Ausuferungen des Wirtschaftsliberalismus Einhalt geboten werden57 . Es ist allerdings nicht auszuschließen, daß die in anderen Bereichen kritischere Einstellung zu den Segnungen des Wirtschaftsliberalismus auch im Bereich des Anlagengenehmigungsverfahrens den Boden für eine restriktivere Einstellung gegenüber den Industrieanlagen bereitete. Einen nicht zu unterschätzenden Faktor für die strenger werdenden Anforderungen bildete mit Sicherheit auch die technische Entwicklung an sich. Diese brachte durch neue Anlagen, Produktionsweisen etc. gleichzeitig größere Gefahren und mehr Möglichkeiten, entstehenden oder bestehenden Gefahren zu begegnen. Die Aufgeschlossenheit der Verwaltung gegenüber der technischen Entwicklung zeigt sich insbesondere in den preußischen Technischen Anleitungen, die selbst bereits sehr technisch abgefaßt waren. Überdies trafen vor der Jahrhundertwende die industrielle Entwicklung mit der Verstädterung (als korrelierende Faktoren) zusammen, wodurch sich die Belastungen der Bevölkerung durch die Anlagenemissionen potenzierten und offenbar auch in steigendem Maße als störend oder sogar gesundheitsschädlich empfunden wurden. Die Verwaltung erkannte diese Entwicklung und versuchte, ihr Rechnung zu tragen. Ein Indiz dafür bilden Z.B. die Bestimmungen der TAs, nach denen Anlagen nur in einem bestimmten Abstand zu Ortschaften angesiedelt werden durften oder auch die Versuche der Verwaltung, als störend empfundene Anlagen entgegen dem Grundsatz der Gewerbeordnung nach der Genehmigung zu Änderungen des Betriebes zu bewegen58 . Die letzte Fassung der preußischen Technischen Anleitung vom 15.5.1895 erfuhr während ihrer gesamten Geltungsdauer keine nennenswerten Änderungen mehr. Eine Neubearbeitung wurde zwar im Jahre 1944 in Angriff genommen, aber nicht beendet59 . Damit waren die technischen Vorgaben 57 Die hohe Beamtenschaft des Reiches wurde allerdings auf Betreiben Bismarcks jetzt nicht mehr mit "Freihändlern", sondern mit "Schutzzöllnern" besetzt. Vor der Ernennung der Beamten fand eine Gesinnungsprüfung statt, die sich vor allem auf die wirtSChaftspolitische Einstellung der Kandidaten bezog, vgI. dazu und zu nicht nachweisbaren Verknüpfungen zwischen den obersten Beamten und der Großindustrie Morsey, Oberste Reichsverwaltung. S. 262 ff. 58 VgI. dazu unten IV. 59

Vgl. dazu Landmann/Rohmer, GewO, 11. Aufl., § 16,5. am Ende.

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der TA bei der Änderung der Gewerbeordnung 1959 bereits seit über 60 Jahren dieselben. Die erste Fassung der TA von 1875 galt nur 20 Jahre, dann wurde bereits die zweite erlassen. Es muß daher schon aufgrund der technischen Entwicklung davon ausgegangen werden, daß die Technische Anleitung ihrem eigentlichen Sinn und Zweck höchstens noch teilweise gerecht wurde. Um so erstaunlicher ist es, daß die Kommentarliteratur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Technische Anleitung nach wie vor als "sehr dienlich zur Auslegung des Verzeichnisses,,60 oder "wertvoll für die Auslegung,,61 bezeichnet. Es ist wohl davon auszugehen, daß dies nicht so sehr auf die Genehmigungsbedingungen gemünzt war, die die TA bezüglich der einzelnen Anlagenarten enthielt, (vgl. oben cc))62, sondern auf die Beschreibungen der einzelnen Gattungen (vgl. oben A. I. 1.). Diese Funktion war zwar teilweise von der neu erlassenen Verordnung übernommen worden. Es bedurfte jedoch einer ganzen Reihe von die Anlagenarten immer genauer beschreibenden Neufassungen, bis ein Konkretisierungsstand erreicht war, der die Funktion der preußischen TA in dieser Beziehung voll ersetzte. Für die Genehmigungsbedingungen ist aufgrund der veralteten Bestimmungen der preußischen Technischen Anleitung die Vermutung naheliegend, daß diese durch andere Regelwerke festgelegt wurden. Ob dies der Fall war, bleibt zu untersuchen.

b) Andere konkretisierende Vorschriften auf gleicher Normstufe Die preußische Technische Anleitung konnte rechtssystematisch nur für die preußischen Genehmigungsbehörden gelten, so daß andere Länder eigene "Auslegungskriterien" hätten aufstellen können. Von der Kompetenzverteilung her gesehen oblag den Ländern die Ausführung der Gewerbeordnung, wozu diese an verschiedenen Stellen den Erlaß von landesrechtlichen Verordnungen vorsah.

60 Landmann/Rohmer, GewO, 11. Aufl., § 16,5. am Ende. 61 Landmann/RohmeT, GewO, Stand 1969, § 16, RN 2. 62 Deren Funktion wurde zumindest teilweise durch die 1964

und 1968 neu ergangenen Technischen Anleitungen übernommen, vgl. im folgenden c). Wegen der zeitlichen Überholung der preußischen TA kann auch nicht angenommen werden, daß mit ihren Bestimmungen insofern noch viel anzufangen war.

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Dies blieb im großen und ganzen jedoch aus. Die bayerische "Anleitung für Sicherheitsmaßregeln, die bei Errichtung und beim Betrieb von Luftgasanlagen, bei Herstellung, Aufbewahrung und Verwendung von Luftgas und bei Lagerung der hierzu nötigen Vorräte von leicht entzündlichen flüssigen Stoffen zu beachten sind,,63, blieb eine seltene Ausnahme, die zudem nur zum Teil die Genehmigung und den Betrieb von Anlagen zum Gegenstand hatte. Zahlreiche Bezugnahmen in Urteilen, Kommentarliteratur u.ä. zeigen aber64, daß die preußische TA im gewerberechtlichen Genehmigungsverfahren allgemeine Beachtung fand und ihr Anwendungsbereich nicht auf Preußen beschränkt blieb. Die im Vorhergehenden zu ihrer Bedeutung getroffenen Aussagen sind daher für den gesamten Geltungsbereich der Gewerbeordnung verallgemeinerungsfähig. Nachdem bei der Untersuchung der TA festgestellt wurde, daß bestimmte, im Verzeichnis des § 16 GewO erfaßte Anlagenarten von der TA nicht behandelt wurden 65 , ließe sich vermuten, daß für diese anderweitige konkretisierende Vorschriften bestanden, wenn auch im Rahmen von polizeilichen oder allgemeinen Verordnungen. Das war jedoch nur im obengenannten Umfang der Fall, also nur dann, wenn diese Anlagenarten anderen Regelungskomplexen unterfielen, so z.B. den wasserrechtlichen oder bergrechtlichen Vorschriften der Länder. Darüber hinaus gab es zusätzliche konkretisierende Vorschriften eigentlich nur für die chemischen Fabriken und zwar für einzelne Arten, z.B. für Azetylenfabriken66 . Da die preußische Technische Anleitung nach der lahrhundertwende wegen fehlender Anpassung an die technische Entwicklung ein Aktualitätsmanko aufwies, ließe sich vermuten, daß die Exekutive, bzw. die Legislative die konkretisierenden Funktionen mit Hilfe anderer, neu erlassener Vorschriften durchführten. Dies traf aber nur bedingt zu. Die Anzahl solcher neu erlassener Vorschriften blieb gering. Seltene Beispiele für der TA ähnliche Bestimmungen, also "Verwaltungsverordnungen" oder "Verwaltungsvorschriften", waren die 63 BayMABI. 1909, S. 797 ff. 64

Vgl. oben FN 27, außerdem z.B. Landmann, GewO,

6. Aufl., § 16,5.

65 Vgl. oben bb). 66

Vgl. die Zusammenstellungen bei Landmann, GewO, 6. Aull., § 16, 17., Rüdige,., Anlagen, S. 211 ff.

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in Preußen erlassenen Bestimmungen über Geflügelmästereien und -schlächtereien67, sowie über die Errichtung und den Betrieb von Fabriken zur Herstellung von gelöstem Azetylen68 . c) Die TA-Luft

Die wichtige Rolle, die die allgemeinen Verwaltungsvorschriften für die Beurteilung der Frage, ob eine Anlage Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen hervorruft, spielen, ging bereits aus den Erörterungen zur Änderung der Gewerbeordnung 1959 und der Begründung des Gesetzesentwurfs zum BlmSchG hervor. Für den Schutzgrundsatz wurde in letzterer neben den TA, die als Verwaltungsvorschriften im Sinne des § 48 BlmSchG ergingen (bzw. weitergelten), nur auf eine einzige zu prüfende Einzelfrage verwiesen69, für den Vorsorgegrundsatz wurde sogar ausschließlich auf die Technischen Anleitungen abgestellt 70 . Diesen Regelwerken kommt eine so überragende Bedeutung zu, daß sie praktisch die des Bundes-Immissionsschutzgesetzes übersteigt71. Im folgenden soll beispielhaft72 auf die beiden wichtigsten Verwaltungsvorschriften (Technischen Anleitungen) eingegangen werden, wobei die praktische Bedeutung der TA-Luft noch wesentlich höher einzuschätzen ist als die der TA-Lärm. Die erste Fassung der TA-Luft wurde 1964 aufgrund des neugeschaffenen

§ 16 Abs. 3 Gewü 73 erlassen74 . Sie diente dazu, die im Gesetz nur in Form

unbestimmter Rechtsbegriffe enthaltenen Genehmigungsvoraussetzungen

67 Erl. vom 28.10.1927, HMBI. 1927 S. 414 ff. 68 Erl. vom 10.4.1931, HMBI. 1931, S. 103 ff. 69 Es ging darum, ob durch die zu genehmigende Anlage Einwirkungen auf eine Atomanlage nach § 7 des Atomgesetzes möglich waren, BT-Drucksache 7/Nr. 179 (1973), S. 31. 70 BT-Drucksache 7/Nr. 179 (1973), S. 32. 71 So z.B. Kutscheidt, NVwZ 83, S. 581, Jarass, NVwZ 86, S. 607, 609. 72 Vgl. zur Zusammenstellung übergeleiteter Verwaltungsvorschriften § 66 Abs.2 BImSchG und zur Zusammenstellung der Vorschriften nach §§ 45, 48 BImSchG z.B. Sellner, Immissionsschutzrecht, S. 4 f. 73 Vgl. dazu oben 1. Kap., D. 11. 1. 74 Allgemeine Verwaltungsvorschriften über genehmigungsbedürftige Anlagen nach § 16 der Gewerbeordnung (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft) vom 8.9.1964, GMBI. S.433.

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und andere gesetzliche Tatbestände mit ähnlichen Begriffen inhaltlich zu definieren75 . Zu diesem Zweck enthielt die TA-Luft neben Begriffsbestimmungen und Maßeinheiten (2.1) Immissionsgrenzwerte, die grundsätzlich einzuhalten waren (2.4), sowie Emissionsgrenzwerte (2.3), die zu beachten waren. Bei Einhaltung der Werte bestand ein Genehmigungsanspruch (2.2.1). Für die Emissionen richteten sich die Anforderungen allerdings nach einer Beurteilung im Einzelfall anhand des Standes der Technik (2.31). Für die einzelnen Anlagenarten waren zudem Mindestanforderungen an Emissionsbegrenzungen normiert (2.3.1 iVm 3.). Die Prüfung der Einhaltung der Immissionsgrenzwerte fand anhand eines Meßstellennetzes auf einem festgelegten Gebiet unabhängig von der Schornsteinhöhe statt (2.4.1 iVm 2.5). Die Schornsteinhöhe konnte nur zur Verteilung von Emissionen als geforderte Mindestschornsteinhöhe Bedeutung gewinnen (2.6). Ein weiterer Teil der TA beschäftigte sich mit der Überwachung von Immissionen und Emissionen bestehender Anlagen (2.7). Der letzte Teil sah Mindestanforderungen für die einzelnen Anlagenarten vor (3.). Die mit den Technischen Anleitungen verbundene rechtliche Problematik zeigte sich in ihrer ganzen Schärfe erst unter der Geltung des BImSchG. Um diese Rechtslage, die gleichzeitig die heute gültige ist, möglichst vollständig darstellen zu können, wird auf die Bedeutung und eventuelle Bindungswirkung allgemeiner Verwaltungsvorschriften in Form von Technischen Anleitungen erst unten, III. 2. b), eingegangen. Da die TA-Luft keine direkte Vorgängerin hatte, ist die Beurteilung, ob es sich um eine Verschärfung von Anforderungen an genehmigungsbedürftige Anlagen handelt, schwierig zu treffen. Feststellbar ist immerhin, daß die Vorschriften grundsätzlich für alle genehmigungsbedürftigen Anlagen galten und somit gegenüber früheren Einzelregelungen ein erweiterter Anwendungsbereich vorlag. Durch die nachfolgenden Fassungen der TA ist auch erwiesen, daß die Grenzwerte bei weitem nicht ausreichten, um einen wirksamen Umweltschutz zu gewährleisten. Die Bestimmungen der TA standen erkennbar im Zeichen der "Hochschornsteinpolitik,,76. Das läßt sich einmal an den einheitlichen, von den Schornsteinhöhen unabhängigen Meßgebieten ablesen, zum anderen daran, daß zur Verteilung der Emissionen ein 75 Vgl. zum sachlichen Geltungsbereich Gliederungspunkt 1 der TA. 76 Vgl. dazu auch Uebersohn, Effektive Umweltpolitik, S. 42 f. 12 Ebinger

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Schornstein bestimmter Höhe gefordert werden konnte77. Damit wird aber nur eine Verdünnung der Schadstoffe erreicht, nicht die für die Umweltqualität wesentlich wirksamere Vermeidung. Es ist somit davon auszugehen, daß die TA einen möglichen gemeinsamen Nenner der Interessengegensätze darstellte und nicht ein Optimum an - technisch möglichem - Umweltschutz verwirklichte. Konzeptionell war die TA von 1%4 noch insgesamt - auch bezüglich der Emissionswerte78 - der Gefahrenabwehr verhaftet; im Hinblick auf die Regelung in der Gewerbeordnung war dies allerdings konsequent. Rechtstechnisch verwirklichte die TA ihre Konkretisierungsaufgabe hauptsächlich durch das Vorschreiben zahlenmäßig festgelegter Grenzwerte, und zwar sowohl generell, als auch nochmals in Einzelregelungen auf bestimmte Anlagenarten bezogen. In zahlreichen Vorschriften behalf sich die TA mit dem Verweis auf technische Standards, insbesondere auf Richtlinien des VDI 79. Die erste Neufassung der TA-Luft unter der Geltung des BImSchG wurde 1974 erlassen80 . Wie die noch unter § 16 Abs. 3 GewO ergangene Technische Anleitung nahm die neue TA-Luft die Konkretisierung des in § 5 Abs.l Nr. 1 BImSchG enthaltenen Schutzgrundsatzes im wesentlichen dadurch vor, daß sie Immissionswerte aufstellte, die beim Betrieb einer Anlage in deren Einwirkungsgebiet einzuhalten waren. Die Immissionswerte waren dabei bereits deutlich schärfer, als die noch 1%4 gültigen81 . Einzuhalten waren jetzt sowohl ein Wert für Langzeiteinwirkungen, als auch einer für Kurzzeiteinwirkungen (2.4.1), die Werte der Fassung von 1%4

77 2.6 der TA. 78 Dies zeigte sich z.B. daran, daß eine nachträgliche Anordnung, die nach § 25 Abs. 3 GewO dann ergehen konnte, wenn sich herausstellte, "daß das Publikum vor Gefahren, Nachteilen oder Belästigungen nicht ausreichend geschützt ist", nach 2.231 d) der TA z.B. erlassen werden sollte (2.232), wenn eine Überschreitung bestimmter Konzentrationswerte staubförmiger Emissionen um das Doppelte vorlag. 79 Vgl. z.B. die Anforderungen an einzelne Anlagenarten unter 3. der TA. 80 Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA-Luft) vom 28.8.1974, GMBI. S.426, veröffentlicht am 4.9.1974. 81 Vgl. z.B. die Immissionswerte für Gase, wie sie sich aus 2.4.3 der alten und 2.4.3 der neuen Fassung ergaben.

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beruhten noch größtenteils auf der Basis von Kurzzeiteinwirkungen82 . Das Meßgebiet war jetzt immerhin stufenweise der Schornsteinhöhe angeglichen, wenn die Einteilung (Höhe 100 m, 200 m oder darüber, 2.5.2.1) auch sehr grob war. Die Emissionsregelung blieb strukturell dieselbe wie unter der TA von 1964. Einrichtungen zur Begrenzung von Emissionen waren immer noch einer Einzelfallentscheidung überlassen, wenn auch eine wesentlich erhöhte Anzahl von Werten festgesetzt war (2.3.3.3 ff) und der für die Anforderungen an eine Anlage maßgebliche Stand der Technik weiter gefaßt wurde83 . Die Anforderungen an bestimmte Anlagenarten (3.) lassen sich sowohl durch eine Diversifikation der einzelnen Anlagen als auch einen zunehmenden Umfang der Anforderungen charakterisieren. Die Einhaltung der verschiedenen, in der TA enthaltenen Werte war entweder durch die Genehmigung selbst sicherzustellen, oder bei bereits genehmigten (Alt -) Anlagen im Wege nachträglicher Anordnungen84 . Beim Vorliegen der Voraussetzungen war ein Genehmigungsanspruch gegeben (2.2.1.1). Diese immer noch relativ einfach strukturierte Beurteilungsmethode erwies sich im Laufe der Zeit als in mehreren Punkten unzulänglich. Die durch die TA-Luft 198385 vorgenommenen Änderungen erfaßten hauptsächlich die Teile 1 und 2, also die Immissionsregelung. Die Festlegungen zu den Emissionen blieben bis auf eine Neuregelung der karzinogenen Stoffe86 unverändert. Der von der TA-Luft 1974 vorgesehene einheitliche Immissionswert für alle schädlichen Umwelteinwirkungen wurde in Immissionswerte zum Schutz vor Gesundheitsgefahren und Immissionswerte zum Schutz vor erheblichen Nachteilen und Belästigungen aufgelöst. Den Immissionswerten zum Schutz vor Gesundheitsgefahren kam dabei Grenzwertcharakter zu, während die Werte für Belästigungen und Nachteile nur Richtwertcharakter 82 Halbstundenmittelwerte, teilweise auch Monatsmittelwerte, daraus lahresmittelwerte, vgl. die 2.4.2 ff. 83 Vgl. zum Stand der Technik 2.3.1 der alten und neuen Fassung. 84 Wie bereits im letzten Untersuchungszeitraum erwähnt, bleibt die (verfassungsrechtliche) Problematik des Bestandsschutzes für die vorliegende Untersuchung außer Betracht. 85 Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA-Luft) vom 23.2.1983, GMBI. S. 94. 86 Vgl. dazu im einzelnen Feldhaus/Ludwig, DVBI. 83, S. 573. 12"

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besaßen. Für die Schadstoffe, für die die TA-Luft 1974 und 1983 keine Immissionswerte enthielten, die aber für die Prüfung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG trotzdem erheblich waren, führte die TA-Luft 1983 eine Sonderprüfung ein. Ein eigenständiges Prüfverfahren wurde zudem für die Fälle vorgeschrieben, in denen zwar ein Immissionswert existierte, eine abschließende Prüfung anhand dieses Immissionswertes aber nicht möglich war. Allerdings enthielt auch die TA-Luft 1986 keine diese Beurteilung konkretisierenden Prüfkriterien, so daß insoweit das altbekannte Problem der Steuerung der Entscheidung, verbunden mit einer gewissen Rechtsunsicherheit, blieb87 . Schließlich wurde die Ermittlung der Immissionsbelastung, die für die Feststellung der Einhaltung oder Überschreitung von Immissionswerten unabdingbare Voraussetzung ist, den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen angepaßt. Um der inzwischen festgestellten inhomogenen Verteilung von Schadstoffen Rechnung zu tragen, wurde das Beurteilungsgebiet nicht mehr ausschließlich anhand der Schornsteinhöhe bestimmt; vielmehr waren im Rahmen eines äußeren Beurteilungsgebietskreises nur dann Beurteilungsflächen als für den Werteeinhaltungsvergleich maßgeblich heranzuziehen, wenn eine besondere zusätzliche Belastung mit Hilfe einer definierten Ausbreitungsrechnung festgestellt wurde88 . Die Beurteilungsflächen wurden von regelmäßig 4 x 4 km auf 1 x 1 km herabgesetzt; durch diese Verfeinerung des Rasters erhöhte sich die Beurteilungsgenauigkeit. Neben den wichtigen Änderungen im Bereich des Beurteilungsgebietes und der Beurteilungsflächen wurde das Ermittlungsverfahren auch durch neue Bestimmungen, z.B. über die Anordnung von Meßstellen, Zahl von Messungen je Meßstelle und Dauer der Messung novelliert89 . Die Fälle, in denen nachträgliche Anordnungen ergehen sollten, wurden erweitert90 • Die TA-Luft 198691 übernahm die durch die TA-Luft 1983 novellierten Teile mehr oder minder unverändert92 und beschäftigte sich fast aus87 Vgl. Seltner, Immissionsschutzrecht, S. 35. 88 2.6.2.2 der TA-Luft 1986, vgl. zu den relativ komplizierten Zusammenhängen zwischen Beurteilungsgebiet und Beurteilungsflächen auch Feldhaus/Ludwig, DVBI. 83, S. 571. 89 V g1. dazu im einzelnen Feldhaus/Ludwig, DVBI. 83, S. 571 ff. 90

Vgl. dazu 2.2.4.1 der TA-Luft 1983 (4.1.1 TA-Luft 1986).

91 Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA-Luft) vom 27.2.1986, GMBI. S. 95, ber. am 4.4.1986, GMBI. S. 202. 92 Vgl. dazu im einzelnen Feldhaus/Ludwig/Davids, DVBI. 86, S. 641.

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schließlich mit der Erneuerung des Vorsorgebereiches, also der Emissionsregelung, sowie mit der Sanierung von Altanlagen93 . Wie bereits erörtert, war die Frage nach den zu ergreifenden Maßnahmen der Emissionsminderung gemäß der TA-Luft von 1974 im Einzelfall anhand des Standes der Technik zu beurteilen (2.3.1), wobei die TA schon Grenzwerte vorgab, deren Überschreitung nach dem damaligen Stand der Technik als vermeidbar angesehen wurde (2.3.2 ff). Demgegenüber stellte die TALuft 1986 die erweiterte Frage, welche Vorsorgemaßnahmen nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu ergreifen waren. Für die Beantwortung dieser Frage bot die TA-Luft 1986 ein Gesamtkonzept, das unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeitskriterien für aUe Anlagen einschließlich der Altanlagen - unter Einräumung gewisser Anpassungsfristen - galt. Auf dieser Basis legte die TA-Luft 1986 stoff- und verfahrensbezogene Emissionsgrenzwerte, die grundsätzlich für alle Anlagen galten, sowie Anforderungen für bestimmte Anlagenarten fest. Gleichzeitig wurde das Verfahren zur Ermittlung und Überwachung der Einhaltung der Werte normiert94 . Die Grenzwerte selbst wurden im Vergleich zur TA-Luft 1974 teilweise neu aufgenommen, teilweise erheblich verschärft, in wenigen Fällen auch gestrichen95 . Die Sanierung der Altanlagen, die von der TA-Luft 1986 in einem eigenen Abschnitt behandelt wurde, hatte sowohl den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSehG, als auch die Vorsorge gegen schädliche Umwelt einwirkungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zum Gegenstand, wobei die Immissionsregelung gegenüber der TA-Luft 1983 wenige Abänderungen erfuhr%. Den Hauptteil der Neuerungen bildete die Regelung der Vorsorgemaßnahmen. Ziel der Sanierung war, daß die Altanlagen nach Ablauf gestufter Fristen denselben Anforderungen entsprachen wie Neuanlagen, (4.2.1 a) TA-Luft 1986). Instrument dazu waren 93 Dabei wurden die Erfahrungen mit der 13. BImSchV (Großfeuerungsanlagen) verwertet und die Ausführungen des BVerwG in seinem Urteil vom 17.2.1984, NVwZ 84, S. 371 ff, beachtet. 94 Vgl. Sellner, Immissionsschutzrecht, S. 65 f. Das Bundesministerium des Innern erließ eine Reihe von Richtlinien zu Meßgeräten, Meßeinrichtungen u.ä. zur Gewährleistung einer bundeseinheitlichen Praxis, sowohl auf dem Gebiet des Immissions- als auch des Emissionsschutzes, abgedruckt bei Feldhaus, BImSchR 1 B, 3.1.1 - 3.1.6. 95 Vgl. dazu im einzelnen Feldhaus/Ludwig/Davids, DYBI. 86, S. 645 ff. 96 Vgl. dazu im einzelnen Feldhaus/LudwigfDavids, DYBI. 86, S. 647.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

neben den bisher schon bestehenden nachträglichen Anordnungen vor allem die Sanierungspläne (vgl. im einzelnen 4.2 TA-Luft 1986). Das neue Instrument der Sanierungspläne mit der Möglichkeit der Kompensation97 war vor allem deshalb interessant, weil es einen marktwirtschaftlichen Ansatz im Rahmen des BImSchG bot: unter bestimmten Voraussetzungen können mehrere Betreiber Vorsorgeanforderungen dadurch erfüllen, daß ein Teil die Emissionen über das geforderte Maß hinaus senkt und dieses dem anderen Teil angerechnet wird, vgl. 4.2.10 TA-Luft 1986. d) Die TA-Lärm

Die TA-Lärm vom 16.7.1%898 wurde seit der Einführung des BImSchG nicht neu erlassen und gilt deshalb gemäß § 66 Abs. 2 BImSchG fort. Auch die TA-Lärm erfüllte ihre Konkretisierungsfunktion durch Aufstellung fester Immissionswerte, die nach Gebietsarten, sowie nach Tages- und Nachtzeit gestaffelt waren. Allerdings handelte es sich bei diesen Werten nach dem Wortlaut der TA nur um Richtwerte, nicht um Grenzwerte, vgl. 2.32 der TA-Lärm. Unter der Geltung des BlmSchG und seines § 48 wurden diese Werte aber wie Grenzwerte behandelt99 , da nur so die konkretisierende Funktion in vollem Umfang erreicht werden konnte. Die Berechnung der Grenzwerte sollte zwar nach Nr. 2.211 b) der TA-Lärm Fremdgeräusche außer acht lassen, auch hier handelte die Praxis jedoch im entgegengesetzten Sinne lOO • Wie die TA-Luft, schrieb auch die TA-Lärm die Verfahren zur Messung und Auswertung der Geräuschimmissionen vor, vgl. 2.4 der TALärm. Ein Novellierungsbedarf der TA-Lärm wurde bereits Mitte der 70er Jahre festgestellt 101 und besteht bis heute 102, ohne daß ihm nachgekommen worden wäre.

97 Dazu kritisch Rebentisch, Technische Kontrolle, S. 44 f. 98 Erlassen aufgrund § 16 Abs. 3 S. 2 GewO, Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 137 vom 26.7.1968. 99 So z.B. Feldhaus, BImSchR 1 B, 3.0.1 TA-Lärm 2.321 "Erfahrungswerte", Sellner, Immissionsschutzrecht, S. 36, a.A. aber noch Wittig, BB 74, S. 1047. 100 Vgl. z.B. Sellner, Immissionsschutzrecht, S. 36, Feldhaus, BImSchR 1 B, 3.0.1 TA-Lärm 2.211 "Immissionswerte". 101 Z.B. Wittig, BB 74, S. 1050.

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e) Zusammenfassende Würdigung

Da die Änderungen der TA-Luft 1983 und 1986 sich jeweils auf einen anderen Regelungsgegenstand der TA bezogen, stellen sie eigentlich nur in der Ergänzung die vollständige Neuregelung der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft dar. Es ist somit festzustellen, daß ein relativ langer Zeitraum verstrich, bevor die TA-Luft 1974 geändert wurde, obwohl Zweifel an deren Aktualität bereits in den Jahren 1975 und 1976 laut wurden 103. Noch größer ist der zeitliche Verzug bei der TA-Lärm: sie wurde bis jetzt noch überhaupt nicht novelliert, obwohl sie bereits aus dem Jahre 1968 stammt. Für den Schutzgrundsatz erfüllten die verschiedenen Fassungen der TALuft ihre konkretisierende Funktion durch die Angabe von Werten, die als Grenzwerte einzuhalten sind oder als Richtwerte bestimmte Maßstäbe aufstellen. Die Änderungen der TA-Luft lassen sich insoweit durch eine ständig steigende Diversifizierung, eine erhöhte Anzahl und inhaltliche Verschärfungen solcher Werte charakterisieren. Im Rahmen des Vorsorgegrundsatzes waren gleichfalls verschiedene einzuhaltende Werte vorgesehen. Die entscheidende Änderung bestand hier allerdings nicht in der Verschärfung etc. einzelner Werte, sondern im Übergang von Einzelfallanordnungen zu einem Gesamtkonzept, das sich an den Eckpunkten der optimalen Vorsorge und des VerhältnismäßigkeitsgrundsatzeslO4 orientierte. Rechtstechnisch gesehen wurde die Konkretisierung mit denselben Instrumenten durchgeführt, die schon in den bisherigen Zeiträumen auftauchten. Die Festlegung von bestimmten Zahlenwerten als Grenzwerten war schon ebenso üblich, wie eine Regelung des Verfahrens zu ihrer Ermittlung. Allerdings waren in der neuen TA-Luft insbesondere bei der Meßund Verfahrenstechnik wesentlich detailliertere und komplexere Regelungen enthalten, als zuvor in vergleichbaren Regelwerken. Dies verdeutlicht schon der Umfang der Regelungen. 102 Vgl. Sellncr, Immissionsschutzrecht, S. 38, Feldhaus, BImSehR 1 B, in der Vorbemerkung zu 3.0.1 TA-Lärm, in der er darauf hinweist, daß jeweils zu prüfen ist, inwieweit die TALärm noch mit der neuen Rechtslage übereinstimmt. 103 Feldhaus/Ludwig/Davids, DVBI. 86, S. 641 mit Hinweisen auf die entsprechenden Urteile, vgl. zu praktischen Beispielen für die technische Überholung von Festlegungen der Technischen Anleitungen VDI, Probleme (Pütz), S. 13 ff.

104 So auch Feldhaus, UPR 85, S. 388.

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Die beiden letzten, tiefgreifenden Änderungen der TA-Luft von 1983 und 1986 fanden vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund einer rasch fortschreitenden technischen Entwicklung und der Vermehrung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse statt. Ein Teil der Änderungen war auf die notwendig gewordene Anpassung an diese Entwicklungen zurückzuführen; sie war explizites Ziel der Bundesregierung bei den Novellierungen105 . Die Änderung ist gleichzeitig in Zusammenhang mit dem konstatierten Engerwerden des Lebensraumes in der industrialisierten Bundesrepublik zu sehen, das Maßnahmen zur Luftreinhaltung und Lärmverminderung immer dringlicher erscheinen ließ. Dementsprechend fand durch beide Novellierungen eine - ebenfalls der expliziten Zielsetzung folgende - Verschiebung der Konkretisierungen zugunsten des Umweltschutzes statt106, und zwar über die bloße Anpassung an technische und naturwissenschaftliche Entwicklungen hinaus. Diese Verschiebung kommt z.B. in der Verschärfung vieler Immissionswerte und der Stufungsregelung zur Sanierung der Altanlagen zum Ausdruck. Wegen der Unsicherheitsfaktoren naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ist die Höhe der Immissionswerte letzendlich weniger eine wissenschaftlich zwingende Erkenntnis l07, als eine politische Entscheidung im Spannungsfeld zwischen Umweltschutz und ökonomischen Interessen108 . Allerdings ist für die einzelne Änderung schwierig zu entscheiden, ob es sich nur um eine Anpassung an die technische Entwicklung handelt, oder um darüber hinausgehende umweltschutzrechtliche Anpassungen. So dienten die meisten Änderungen,

105 Vgl. die Begründungen der Bundesregierung BR-Drucksache Nr.528/82, S. 1 und Nr. 349/85, S. 1. Dies war zum Beispiel der Fall bei den Neufestlegungen von Meßmethoden, sowie der Ausbreitungsrechnung, die auf neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und technischen Möglichkeiten basierte, Feldlulus/Ludwig, DVBI. 83, S. 566. 106 Vgl. die Begründungen der Bundesregierung BR-Drucksache Nr.528/82, S.1 und Nr. 349/85, S. 1. 107 Vgl. z.B. Gerlach, Privatrecht, S. 51 f, ausführlich Wolf, Stand der Technik, S. 312 ff mit weiteren Nachweisen. 108 Es ist zu beachten, daß auch mit naturwissenschaftlichen Methoden keine sichere Abgrenzung zwischen noch unbedenklichen und bereits schädlichen Werten möglich ist. Die Festlegung eines Grenzwertes stellt daher immer eine politisch-normative Entscheidung im Verhältnis von Umwelt(Nachbar-)schutz und wirtschaftlichen Interessen dar. Auch für den Juristen instruktiv zu diesem Problemfeld: Biek, NuR 85, S. 258 ff, außerdem z.B. Soel/, ZRP 80, S. 108 f, Sel/ner, Immissionsschutzrecht, S. 48 RN 47, Sendler, UPR 81, S. 13, Feldhaus, UPR 82, S. 143, 144 f, Brohm, NJW 84, S. 11, KJoepfer, Umweltrecht, S.57, Murswiek, VVDStRL 48, S. 219, Luhmann, Ökologische Kommunikation, S. 133 ff.

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(auch die in den Fußnoten beispielhaft angeführten), mehreren der genannten Ziele109. Als weitere ausdrückliche Zielsetzung fmdet sich in den Begründungen das Motiv der Rechtssicherheit llO. Es herrschte nämlich trotz der dogmatischen Unwägbarkeiten im Bereich von allgemeinen Verwaltungsvorschriften "praktische Einigkeit" darüber, daß diese für die Einzelentscheidungen zumindest dann, wenn sie eine abschließende Regelung enthielten, den alleinigen Maßstab bildeten, da die gesetzlichen Normen nicht operationalisierbar waren (und sind)lll. "Genehmigungs- und Überwachungsbehörden der Länder erhalten damit klare Vorgaben für ihre Entscheidungen. Zugleich wird eine bundeseinheitliche Genehmigungspraxis sichergestellt.,,1l2 Daß mit konkretisierenden Bestimmungen eine Verstärkung der Rechtssicherheit verbunden ist, wurde bereits mehrfach angesprochen und stellt einen rechtssystematisch notwendigen Zusammenhang dar. Als neu an den Zielsetzungen der TA-Luft erscheint aber die Betonung der Unabdingbarkeit dieser Konkretisierung113. Nur so war nach Ansicht des Normgebers die erforderliche Rechtsanwendungsklarheit für Behörden und Bürger erreichbar, die zur Rechtssicherheit führte und damit letztlich auch den Interessen der Anlagenbetreiber diente. Diese Erkenntnis des Normgebers ist wegen der in vielen anderen Fällen ähnlich gelagerten Situation durchaus

109 Auf den engen Zusammenhang zwischen Immissionswerten und Meßmethoden weist die TA-Luft selbst hin. indem sie in 2.5 feststellt: "Die hnmissionswerte gelten nur in Verbindung mit den in 2.6 festgelegten Verfahren zur Ermittlung der Immissionskenngrößen." Die Festlegung neuer Meßverfahren diente z.B. also letztlich auch der Rechtssicherheit und indirekt teilweise einem verstärkten Umweltschutz. Die Verringerung der Größe der Beurteilungsgebiete führte nicht nur zu mehr Rechtssicherheit. sondern kann in einigen Fällen auch eine Verschärfung von Genehmigungsanforderungen mit sich bringen. vgl. Kutscheidt. NVWZ 83. S. 583. IlO "Gegenwärtig ist die Voraussehbarkeit der Entscheidung. mit der ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren ... endet•... erschwert ... Die Änderung orientiert sich an folgenden Zielen: Verstärkung der Rechtssicherheit ...... BR-Drucksache Nr.528/82. S.I. III Z.B. Feldhaus/Ludwig. DVBI. 83, S.565. Feldhaus/Ludwig/Davids. DVBI. 86. S.652 für die TA-Luft. Il2 BR-Drucksache Nr. 349/85. S. 1. Dieser Zielsetzung dienten z.B. die Aufnahme weiterer Grenzwerte in die TA-Luft, die Einführung einer Sonderprüfung für bestimmte Fälle sowie die wesentliche Verkleinerung der Beurteilungsflächen. Feldhaus/Ludwig. DVBI. 83. S. 571, Kutscheidt. NVwZ 83, S. 583. Il3 Dafür. daß die Konkretisierung nur mit Hilfe fester Werte erreicht werden kann auch Marburger. Regeln, S. 96.

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verallgemeinerungsfähig. Ob der Normgeber die so gewonnenen Erkenntnisse an anderer Stelle verwertete, bleibt festzustellen. 2. Konkretisierende Rechtsverordnungen

a) Konkretisierende Rechtsverordnungen unter der Geltung der Gewerbeordnung114 Die in Preußen und anderen Ländern nach 1869 bestehenden konkretisierenden Rechtsvorschriften waren nicht zahlreich und zumeist in die Form von Rechtsverordnungen gekleidet. Sie stellten somit "polizeiliche Vorschriften,,115 i.S.d. § 18 GewO oder sogenannte "allgemeine Vorschriften" dar, die nach h.M. von jedermann, bzw. jedem Gewerbetreibenden zu beachten waren. Sie galten daher auch dann für die Betreiber konzessionierter Anlagen, wenn sie nicht im Rahmen der Genehmigung als Bedingungen verankert waren 116. Es handelte sich bei diesen Vorschriften - im Unterschied zu den preußischen Technischen Anleitungen - nicht um solche, die zur Bestimmung der unbestimmten Rechtsbegriffe der "erheblichen Gefahren, Nachtheile oder Belästigungen", die das Genehmigungsverfahren beherrschten, im Rahmen des § 18 Abs. 1 GewO erlassen wurden. Sie hatten auch nicht in erster Linie Voraussetzungen für die Anlagengenehmigung zum Gegenstand, sondern bezogen sich auf ein umfassenderes Regelungsfeld. Als Beispiele lassen sich die bayerischen "Oberpolizeiliche(n) Vorschriften über Zelluloidbetriebe und Zelluloidlager,,117, die hauptsächlich auf den Schutz der Arbeitnehmer abzielten, die bayerische "Königlich Allerhöchste Verordnung, betreffend leicht entzündliche flüssige Stoffe,,118, sowie die preußische "Polizei-Verordnung für die Kreise ... betreffend die Unschädlichmachung der bei dem Betriebe von Theerschweelereien und Mine114 Im Prinzip handelt es sich bei den im folgenden behandelten Rechtsvorschriften um gegenüber den Technischen Anleitungen, die keine Rechtsvorschriften sind, höherrangige Vorschriften. Diese werden deshalb nicht zuerst behandelt, weil zum einen die Technischen Anleitungen eine erheblich größere praktische Relevanz aufwiesen und zum anderen die im folgenden behandelten Rechtsvorschriften sich nur am Rande mit der Konkretisierung der "erheblichen Gefahren, Nachtheile oder Belästigungen" beschäftigten. 115 Mit den "bau- feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften" i.S.d. § 18 GewO waren nicht nur diese, sondern auch die anderen polizeilichen Vorschriften gemeint, da die Aufzählung nur beispielhaft erfolgte, vgl. Landmann, GewO, 6. Aufl., § 18, 4.

116 Z.B. Erl. d. württemb. Min. d. Inn. vorn 10.7.1884, RegeT 5, S. 276, vgl. zu Bedeutung und Regelungsbereich der "allgemeinen Vorschriften" Landmann, GewO, 6. Aufl., § 18,5. 117 BayGVBI. 1912, S. 77 ff.

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ralölfabriken fallenden Schmutzwässer, Coakse und Aschen n119 anführen 120. Inhaltlich unterschieden sich diese Normierungen nicht wesentlich von der Technischen Anleitung. Um den jeweils verfolgten Schutzzweck zu erreichen, wurden auch hier Anlagenbeschaffenheit, Produktionsmittel u.ä. detailliert geregelt, (vgl. dazu oben 1. a) ce». Die häufigste Art konkretisierender Vorschriften waren Rechtsverordnungen mit der Rechtsgrundlage der §§ 120 e, 147 der Gewerbeordnung, sowie in Bayern Art. 2 Ziffern 9 und 14 des Polizeistrafgesetzbuches l2l . Der Ermächtigungsgrundlage des § 120 e GewO ist zu entnehmen, daß solche Rechtsverordnungen nur zum Zweck des Arbeiterschutzes erlassen werden konnten. Zum gleichen Zweck konnten auch Polizeiverordnungen durch die zuständigen Polizeibehörden erlassen werden. Die im Bayerischen PStGB enthaltenen Bestimmungen ermächtigten dagegen zum Erlaß von sicherheitsrechtlichen (königlichen) Verordnungen, ober- oder ortspolizeilichen Vorschriften 122. Es handelte sich der Rechtsform nach bei den genannten konkretisierenden Vorschriften also hauptsächlich um Rechtsverordnungen, weniger um Gesetze oder ministerielle Erlasse 123. Inhaltlich dienten sie jedoch insgesamt dem Arbeiterschutz, eventuelle umweltschützende Auswirkungen waren nur indirekter Art. Das Fehlen der Regelungsform des Gesetzes ist nicht weiter verwunderlich, sondern folgt bereits aus der Kompetenzverteilung im Bereich der Gewerbegesetzgebung. Den Ländern oblag immer nur die Ausführung der

118

BayGVBI. 1902, S. 211 ff.

119 Rüdiger, Anlagen, S. 178 f. 120 Einzelne weitere Beispiele finden sich in der Kommentierung zu den einzelnen Anlagenarten bei Landmann, GewO, 6. Aufl., § 16, 6. ff. 121 Die oftmals angeführten §§ 368 Nr. 8 und 367 Nr. 5, 6 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich beinhalteten selbst keine Verordnungsermächtigung, sondern stellten nur Verstöße gegen bestimmte, auf anderen Rechtsgrundlagen basierenden Verordnungen unter Strafe, (vgl. z.B. Frank, Strafgesetzbuch, § 367 V. und Vi., § 368 VIII., wo jeweils festgestellt wird, daß sich die maßgeblichen Verordnungen an anderer Stelle (Landesrecht) befinden). 122 Darüber, welche Rechtsform jeweils die zutreffende war, machte Art. 1 des PStGB Aussagen, vgl. zu der Aufteilung auch Riedel, Polizeistrafgesetzbuch, S. 14 f. 123 Die preußischen Ministerialerlasse vom 2.7.1914, HMBI. 1914, S. 401 ff (Verkehr mit verflüssigten und verdichteten Gasen), vom 10.11.1923, HMBI. 1923, S. 377 ff (Azetylenverordnung) und vom 15.9.1925, HMBI. 1925 S. 233 ff (Mineralöle) z.B. bezweckten den Erlaß gleichlautender Polizeiverordnungen für das gesamte Preußen.

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Gewerbeordnung, wozu diese verschiedentlich den Erlaß von landesrechtlichen Verordnungen vorsah. Gesetzesänderungen hätten jedoch zwangsweise auf Reichsebene erfolgen müssen. An solchen reichsrechtlichen Regelungen fällt in den Zeitraum zwischen der lahrhundertwende und 1945 z.B. das Gesetz über gesundheitsschädliche oder feuergefährliche Arbeitsstoffe vom 25.3.1939124 . Es beinhaltete eine Befugnis des Reichsarbeitsministers, im Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsminister durch Verordnung vorzuschreiben, "daß Arbeitsstoffe, die gesundheitsschädliche oder feuergefährliche Bestandteile enthalten, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen in den Verkehr gebracht, zum Verbrauch abgegeben oder verwendet werden dürfen". Damit wurde die Gewerbeordnung selbst allerdings nicht geändert. Der Reichsgesetzgeber zog vielmehr eine Materie an sich, die vorher durch allgemeine (polizeiliche) Vorschriften der Länder geregelt werden konnte 125. Von der Schutzrichtung her dienten diese Vorschriften im wesentlichen dem Arbeiter-, nicht dem Umweltschutz. Das zeigt sich einmal daran, daß Initiator solcher Bestimmungen der Reichsarbeitsminister sein sollte. Außerdem wurde eine aufgrund dieser gesetzlichen Ermächtigung ergangene Vorschrift gleichzeitig auf § 120 e der Gewerbeordnung gestützt 126. Das Erfordernis des Einvernehmens durch den Reichswirtschaftsminister läßt sich so erklären, daß eine Kontrollinstanz darüber wachen sollte, daß den Interessen der Wirtschaft durch den Arbeiterschutz keine entscheidenden Nachteile zugefügt wurden. Eine Gesetzesänderung beinhaltete die Einführung von Tierkörperbeseitigungsanstalten anstelle der früheren "Abdeckereien,,127. Bereits 1911 war ein Reichsgesetz über die Beseitigung von Tierkadavern erlassen worden, das auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu von Kadavern verursachten Seuchengefahren basierte l28 . Das Abdeckereigewerbe konnte da124 RGBI. I S. 581. 125 Vgl. dazu § 8 des Gesetzes, der bestimmt, daß eventuelle landesrechtliehe Vorschriften über denselben Gegenstand mit seinem Inkrafttreten außer Kraft treten. 126 VO über die Verwendung von Methanol in Lacken und Anstrichmitteln, vom 6.8.42, RGBI. I S. 498.

127 Tierkörperbeseitigungsgesetz vom 1.2.1939, RGBI. I S. 187 ff. 128 Gesetz vom 17.6.1911, RGBI. S. 248, vgl. zum Hintergrund des Gesetzes Reger = Stöhsel

11,6. Aufl., S. 2, Vorbemerkung.

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nach abweichend von der Gewerbeordnung geregelt werden, insbesondere konnte eine Zuverlässigkeitsprüfung für die Abdecker vorgeschrieben werden129. Das Tierkörperbeseitigungsgesetz ging noch einen Schritt weiter: die Aufgabe der Tierkörperbeseitigung130 wurde nicht mehr wie früher durch Private wahrgenommen, sondern war öffentlichen Trägern zugewiesenBI. Man ging offenbar davon aus, daß besonders wichtige Aufgaben, die einen potentiell sehr hohen Grad an Allgemeinschädlichkeit aufwiesen, durch öffentliche Träger zuverlässiger erfüllt werden würden als durch Private. Diese Ansicht kann eigentlich nur auf der Erkenntnis basieren, daß privatwirtschaftliches Gewinnstreben einen Gegensatz zur Wahrung der Interessen von Arbeitern und Umwelt darstellt132. Im übrigen zeigt das Tierkörperbeseitigungsgesetz ähnliche Charakteristika, wie die erlassenen landesrechtlichen, in den Untersuchungszeitraum fallenden Vorschriften, z.B. die Acetylenverordnung oder die Verordnung über den Verkehr mit brennbaren Flüssigkeiten (beide Bayern). Zusätzlich zu der Norm ergingen ausführende (konkretisierende) Bestimmungen, teilweise in der Form von Verordnungen133, wenn die Norm selbst ein Gesetz im formellen Sinne war, teilweise als "Anlagen, (Technische Grundsätze)"l34, also als "Verwaltungsvorschriften", wenn die Norm eine Verordnung war. Diese ausführenden Bestimmungen enthielten eine Vielzahl von Bedingungen mit in weiten Teilen sehr konkreten Festlegungen in Form von Zahlenwerten135. Dabei wiesen insbesondere die Verordnungen in ihrer

129 Vgl. dazu und zur Rechtslage in Bayern Reger = Stöhsel 11, 6. Aufl., S. 3, Anm. 1 zu § 3 des Gesetzes, sowie die folgenden Seiten. 130 Für die Wirtschaft verwertbare Erzeugnisse waren zu gewinnen, die Produktion von Erzeugnissen zum Genuß für den Menschen war aber unzulässig (§ 3 Abs. 2 des Gesetzes). 131 § 5 des Gesetzes: (1) Die unschädliche Beseitigung der Tierkörper und Tierkörperteile in Tierkörperbeseitigungsanstalten ist Aufgabe der Stadt- und Landkreise. 132 So auch Reger=Stöhsel 11, 6. Aufl., S.2, Vorbemerkung: "Die erörterten privatwirtschaftlichen Rücksichten müssen daher hinter dem höheren Gesichtspunkt des Schutzes der menschlichen und tierischen Gesundheit zurücktreten." 133 Vgl. z.B. die Erste und Zweite Durchführungsverordnung zum Tierkörperbeseitigungsgesetz vorn 23.2.1939, RGBI. I S. 332 ff, und vorn 17.4.1939, RGBI. I S. 807 f.

134 Z.B. Acetylenverordnung (Bayern), vorn 21.12.23, BayGVBI. S. 393 ff, Verordnung über den Verkehr mit brennbaren Flüssigkeiten (Bayern), vorn 6.12.1930, GVBI. S. 371 ff. 135 Vgl. z.B. Anlage 1 zur Verordnung über den Verkehr mit brennbaren Flüssigkeiten (Bayern), vorn 6.12.1930, GVBI. S. 378 ff, Anlage Azur Acetylenverordnung (Bayern), vorn 21.12.23, GVBI. S. 398 ff.

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Normierung selbst schon einen hohen Konkretisierungsgrad auf, sehr vereinzelt auch schon durch Verweisung auf technische Standardsl36 . Daß sich diese Tendenz fortsetzte, zeigen die weiteren Untersuchungen. Die letztgenannten abstrakt-generellen Konkretisierungen fielen in die Zeit des Nationalsozialismus und waren inhaltlich von einer kritischen und restriktiven Einstellung gegenüber der Wirtschaft geprägt. Da sich die Lehre des Nationalsozialismus zum einen von der Industrialisierung distanzierte und zum anderen diese Lehre durch die im Staatsapparat vorgenommenen Änderungen unmittelbar durchsetzbar war, bietet es sich an, insofern einen direkten Zusammenhang anzunehmen. Dabei darf allerdings nicht außer acht gelassen werden, daß es sich einmal auch um die Entscheidung einer alten Streitfrage handelte (nichtgewerbliche Anlagen), einmal um die Novellierung einer bereits 1911 getroffenen Regelung (Tierkörperbeseitigungsgesetz). Trotzdem sprechen die vermehrte Anzahl von Entscheidungen wirtschaftskritischer Art innerhalb eines im Vergleich gesehen sehr kurzen Zeitraumes für ein direkteres Durchschlagen der staatlichen Doktrinen.

b) Konkretisierende Rechtsverordnungen unter der Geltung des BundesImmissionsschutzgesetzes § 7 Abs. 1 BImSchG ermächtigt zum Erlaß von Rechtsverordnungen über "die Errichtung, die Beschaffenheit und den Betrieb (den Zustand nach Betriebseinstellung und die betreibereigene Überwachung) genehmigungsbedürftiger Anlagen zur Erfüllung der sich aus § 5 BImSchG ergebenden Pflichten" (Absatz 1). Er ermächtigt also zur Aufstellung materieller Anforderungen an genehmigungsbedürftige Anlagen und damit auch zur Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 5 BImSchG in der Form von Rechtsverordnungen.

136 Vgl. z.B. die Verordnung über den Verkehr mit verflüssigten oder verdichteten Gasen vom 1.9.1926, GVBI. S. 483 ff, der das folgende Beispiel entnommen ist: (§ 3 unter b) Nahtlose eiserne Behälter): "Für "Flaschen" (nahtlose eiserne Behälter von höchstens 21 cm innerem Durchmesser und höchstens 2 m Länge) darf Baustoff von höherer Festigkeit als 41 kg/qmm verwendet sein. Baustoff, dessen Streckgrenze höher als 45 kg/qmm oder dessen Dehnung in einer der Faserrichtungen geringer als 12 mm bei 100 mm Meßlänge liegt, ist jedoch nicht zulässig. Als Streckgrenze gilt die Spannung, die an der Maschine durch Beobachtung klar erkannt wird, im Zweifelsfalle die Spannung, die eine bleibende Längenänderung des Probestreifens über 0,002 der ursprünglichen Meßlänge hervorruft. Die Probestände sind als Langstäbe nach DIN 1605 auszubilden (Stabform 3) ... ".

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Die konkretisierenden Vorschriften unterscheiden meist nicht oder nicht explizit zwischen § 5 Abs.1 Nr.1 BlmSchG (Schutzgrundsatz) und § 5 Abs.1 Nr.2 BlmSchG (Vorsorgegrundsatz). Da das Verhältnis dieser beiden Alternativen, die beide den unbestimmten Rechtsbegriff der Gefahren, erheblichen Nachteile oder Belästigungen enthalten, umstritten ist, soll vorab darauf eingegangen werden, um die folgenden Erörterungen vor diesem Hintergrund sehen zu können. Teilweise wird darauf hingewiesen, daß es rechtspolitisch sinnvoller gewesen wäre, einen einheitlichen Regelungstatbestand zu schaffen. Es spricht einiges dafür, daß die Zweiteilung noch ein Relikt der vorhergehenden Regelung des Anlagengenehmigungsverfahrens in der Gewerbeordnung ist 137, die konzeptionell nur der Gefahrenabwehr verpflichtet war und nicht der Vorsorge. Für die Konkretisierung durch abstrakt-generelle Vorschriften ist aber allein die bestehende gesetzliche Regelung maßgebend, so daß es auf andere oder sogar bessere rechtspolitische Möglichkeiten nicht ankommt. Allgemeiner Konsens besteht darüber, daß nur bei der Annahme eines unterschiedlichen Regelungsgehaltes die Differenzierung zwischen den beiden Alternativen des § 5 Abs. 1 BlmSchG einen Sinn ergibt l38 . Daraus folgert das BVerwG 139, daß dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG - und somit auch dem Begriff der Eignung zur Herbeiführung von Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen - eine jeweils nach dem Kontext unterschiedliche Bedeutung zukommt. Dies erscheint zwingend, denn hätte der Begriff in § 5 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG keine andere Bedeutung als in Nr. 1, wäre eine Unterscheidung der Regelungsbereiche nicht möglich. Der Regelungsbereich des Schutzgrundsatzes bereitet dabei die geringeren Schwierigkeiten, da er mit der Gefahrenabwehr den Bereich umfaßt, der bereits seit 1869 Gegenstand des Anlagengenehmigungsverfahrens war und zu seiner Konturierung auf die inzwischen gewonnenen Erkenntnisse zurückgegriffen werden kann l40 . Problematischer ist die Festlegung des darüber hinausgehenden Regelungs137 So Sellner, Immissionsschutzrecht, S. 56, wohl auch Send/er, UPR 83, S. 38. 138 Z.B. Ossenbühl, NVwZ 86, S. 163, Ipsen, AöR 107" S. 261 f. 139 BVetwG v. 17.2.1984, NVwZ 84, S. 371 (373). 140 Z.B. Send/er, UPR 81, S. 10, vgl. zu Unwägbarkeiten wegen der Unschärfe des Gefahrenbegriffes jedoch Ossenbühl, NVwZ 86, S. 163.

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2. Teil: Die Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffes

bereiches des Vorsorgegrundsatzes. Die allgemein getroffene Feststellung, daß sich dieser nicht aus dem Gesetz selbst entnehmen läßt 141, überrascht schon wegen der Verwendung mehrerer unbestimmter Rechtsbegriffe kaum. Der Fassung des Gesetzes ist nur zu entnehmen, daß sich die Vorsorge überwiegend im Bereich der Emissionsbegrenzung abspielt. Interpretationsansätze sind daher gezwungen, auf andere Auslegungskriterien zurückzugreifen. Es lassen sich hauptsächlich142 zwei verschiedene Ansätze unterscheiden: einmal wird davon ausgegangen, daß die "Vorsorge" eine Planungs- und Verteilungsfunktion für Lebensfreiräume und Räume für Industrieansiedlungen besitzt l43, diese Ansicht stützt sich vor allem auf die Begründung zum Gesetzesentwurfl44 . Die andere Ansicht geht davon aus, daß die Vorsorge Schutzmaßnahmen unterhalb der Grenze des Bereiches der Gefahr zum Gegenstand hat l45 • Diese beiden Hauptargumentationsstränge werden als "vermittelnde Meinungen" auch kumulativ vertreten l46 . Es ist systematisch nicht ausgeschlossen, daß mit einer gesetzlichen Bestimmung mehrere Zwecke verfolgt werden, solange diese sich nicht entgegenstehen. So ist es mit den hier ins Feld geführten Gesichtspunkten: Schutzmaßnahmen unterhalb des Bereiches der Gefahrenabwehr führen zumindest mittelbar auch zur Erhaltung von Lebensräumen sowie zur Er.. I'IChung weiterer . Industneansle . . dl ungen147. mog Wichtiger als die Festlegung eines ausgrenzbaren Gesetzeszwecks ist im vorliegenden Zusammenhang einmal die Feststellung, daß derselbe unbe141 Z.B. Sendler, UPR 83, s. 43, Ossenbühl, NVwZ 86, S. 163. 142 Das BVerwG trifft in seinem Urteil vom 18.5.1982, NVwZ 83, S. 32 ff (34) noch etwas detailliertere Unterscheidungen. 143 Vgl. Feldhaus, DVBI. 80, S. 134 f m.w.N. 144 BT-Drucksache 7/Nr. 179 (1973), S.32: "Die Forderung nach ausreichender Vorsorge ist angesichts der zunehmenden Verdichtung unserer Lebensräume unabdingbar. Sie ist aber ebenso im Interesse der Industrie selbst notwendig, um rechtzeitig zu verhindern, daß später die Errichtung neuer Industrieunternehmen wegen vorhandener bedenklicher Immissionsbelastung untersagt werden muß." 145 Vgl. z.B. Rengeling, DVBI. 82, S.625, Ossenbühl, NVwZ 86, S.163, lpsen, AöR 107, S. 261 ff. 146 Z.B. Kutscheidt, Grundzüge, S. 251 f. Daneben existieren auch noch in einzelnen Punkten von den Hauptargumenten abweichende Meinungen, vgl. z.B. die Zusammenstellung bei Rengeling, DVBI. 82, S. 623 f. Zu den einzelnen in der Rechtsprechung vertretenen Ansätzen vgl. Horn, UPR 83, S. 221 ff. 147 So auch Sendler, UPR 83, S. 43.

2. Kapitel: Die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffes

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stimmte Rechtsbegriff je nach Kontext eine unterschiedliche Bedeutung haben kann, zum anderen, daß sich die normative Steuerung durch die Fassung des Vorsorgeprinzips auf eine grobe Zielrichtung beschränkt und daß das für ein Rechtsprinzip notwendige Maß an Konkretisierung148 durch Entscheidungen der Exekutive und Judikative gewonnen werden muß 149. Von der Ermächtigung des § 7 Abs. 1 BlmSchG wurde nur spärlich 150 und erst einige Zeit nach dem Inkrafttreten des BlmSchG durch die Störfall-Verordnung (12. BlmSchV)151 und die Verordnung über Großfeuerungsanlagen (13. BlmSchV) Gebrauch gemacht I52,153. aa) Die Störfall-Verordnung Die konkretisierende Wirkung der dem Schutzgrundsatz verschriebenen 12. BImSchV, der Störfall-VerordnungI54, setzte am Begriff der "sonstigen Gefahr" im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG an. Erfaßt wurden nach § 2 Abs. 1 der va nämlich nicht die beim ordnungsgemäßen Betrieb entstehenden Gefahren, sondern Störungen "des bestimmungsgemäßen Betriebes, 148 Ossenbühl, NVwZ 86, S. 164: "Als Rechtsprinzip andererseits kann Vorsorge nur dann verbindlich gemacht werden, wenn sie ein Mindestmaß an Rationalität aufweist, inhaltlich hinreichend klar erfaßt werden kann, deutliche Aussagen enthält, nach denen sich die Normadressaten richten können und an denen sie ihre wirtschaftlichen und persönlichen Dispositionen orientieren können."

149 So z.B. Rengeling, DVB!. 82, S. 629. 150 Vgl. zur mangelnden Ausnutzung der Befugnis zu konkretisierenden Rechtsverordnungen Streinz, BayVB!. 89, S. 552, Czaijka, DÖV 82, S. 104, Breuer, NVwZ 88, S. 110. 151 Außer der Störfall-Verordnung gibt es noch weitere - auch frühere - Rechtsnormen,

die ebenfalls die Entstehung sonstiger Gefahren durch (genehmigungsbedürftige) Anlagen ausschließen sollten. Diese hatten aber nicht den umfassenden Geltungsbereich der StörfallVO, sondern bezogen sich nur auf bestimmte Anlagen oder auch nur Anlagenteile, vgl. die Zusammenstellung bei Schäfer, StörfallVO, Vorb. RN 7 ff.

152 Diese Verordnungen stützen sich jeweils auch noch auf weitere Ermächtigungsgrundlagen (vgl. dazu die Angaben vor § 1 der Verordnungen), jedoch bildet § 7 Abs. 1 BImSchG das Schwergewicht. 153 Am 23.11.1990 erging die siebzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Verbrennungsanlagen für Abfälle und ähnliche brennbare Stoffe - 17. BlmSchV), BGB!. I S. 2545, die ebenfalls u.a. auf § 7 Abs. 1 BlmSchG beruht. Da diese VO weder nach Inhalt noch Struktur gegenüber den beiden behandelten Verordnungen wesentliche neue Erkenntnisse erbringt, beschränkt sich die Untersuchung auf die StörfallVO und die GroßfeuerungsanlagenVO. 154 Zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung) vom 1.9.1980, BGB!. I S. m, geändert durch Verordnung vom 24.7.1985, BGB!. I S. 1586 und vom 19.5.1988, BGB!. I S. 608, 625. 13 Ebing