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German Pages [127] Year 2013
Eric W. Steinhauer
Der Tod liest mit ••• Seuchengeschichtliche Aspekte im Buch- und Bibliothekswesen
1ISI NI lli r VERLAG
Der Tod liest mit ...
Eric W. Steinhauer
Der Tod liest mit ... Seuchengeschichtliche Aspekte im Buch- und Bibliothekswesen
EISENHII Tv ERLAG
Bibliotope. Band 12 Herausgegeben von Tobias Wimbauer
Der Tod liest mit ... wurde am 6. November 2012 als Halloiveen-Ljecture am Institut jur Bibliotheks- und Informationsivissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten.
1. Auflage 2013 © 2013 Eisenhut Verlag Silvia Stolz-Wimbauer, HagenBerchum, www.eisenhutverlag.de Einbandgestaltung: Susanne Schattmann, Nürnberg, www.wohlgestalt.de, nach einem Konzept von Michaela von Aichberger, Erlangen, www.michaela-von-aichberger.de Alle Rechte vorbehalten Druck und Bindung: Druckhaus AJSp, Vilnius/Litauen Printed in Lithuania ISBN 978-3-942090-27-8
»Nicht nur im Innern des Buches droht dieser Tod. ... Nach allem bleibt nur zu raten, es möge Vorsicht nach jeder Richtung geübt werden.« l^adewig, Politik der Bücherei, Leipzig 1912, S. 326 f., 330.
»Car il savait ce que cette foule en joie ignorait, et qu’on peut lire dans les livres, que le bacille de la peste ne meurt ni ne disparaît jamais, qu’il peut rester pendant des dizaines d’années dans ... les paperasses, et que, peut-être, le jour viendrait où, pour le malheur et l’enseignement des hommes, la peste réveillerait ses rats et les enverrait mourir dans une cité heureuse.« Camus, La Peste, Paris 1974, S. 332.
»Es wird dringend ersucht, die Bücher sauber zu halten und besonders beim Umblättern die Finger nicht anzufeuchten!« Nutzungshinweis aus der Stadtbibliothek in Elberfeld (um 1907)
»Pergament- und Papierbücher sind manchmal im eigentlichen Sinne krank und müssen wie kranke Menschen von den Krankheitsstoffen befreit werden.« Gardthausen, Handbuch der wissenschaftlichen Bibliothekskunde, Bd.l, Leipzig 1920, S. 48.
»0,2 — 0,4 g töten einen erwachsenen Menschen.« Ullmann, Enzyklopädie der technischen Chemie, Bd. 8, S. 623.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Hinführung
2. Seuchen — ein Buch- und Medienereignis
2.1 Drei beispielhafte Seuchen
schilderungen 2.2 Humoralpathologische Erklärungen 3. Seuchenschriften als literarische Gattung
3.1 Pestconsilia 3.2 Gedruckte Seuchenpublizistik 3.3 Pest und Buchdruck 4. Contagiöses Papier
5. Bestandshygiene 5.1 Seuchenpost 5.2 Die Bibliothek als Desinfektionsanstalt
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6. Seuchenrechtliche Fragen 7. Die Mikrobiologie des Buches 8. Leseseuchen 8.1 Seuchensemantik 8.2 »Bibliothekspolicey«
8.3 Sanitätspolicey und Schunddebatte 8.4 Pastoralhygienische Aspekte
9. Seuchensemantik der Gegenwart 10. Immunologie und Bibliothek
Epilog Liste wichtiger Buchpilze
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
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Vorwort
Bibliotheken als »gefährliche Brutstätten des Geistes« zu bezeichnen, ist eine beliebte und gängige Redewen
dung.1 Sie spielt an auf gewisse subversive, ja verbotene Buchinhalte, die den Leser auf die berühmten »komi
schen Ideen« bringen können. Da ist es nicht verwun derlich, wenn zu allen Zeiten versucht wurde, den Zu gang zu Büchern aus Furcht vor ihrer intellektuellen
Ansteckungsgefahr in irgendeiner Form zu reglemen tieren. Übersehen wird bei dieser, von medizinisch-bio
logischen Metaphern merkwürdig geprägten Redeweise freilich das reale Infektionsrisiko, das von Büchern und ihrer Lektüre ausgehen kann. In dieser Hinsicht nämlich
darf man Bibliotheken wirklich als gefährliche Brut stätten bezeichnen, gefährlich vielleicht nicht für den
Geist, wohl aber für den Leser und seine Gesundheit. Hier setzt die vorliegende kleine Abhandlung an und stellt die unterschätzte und weithin in Vergessenheit ge
ratene Pathologie der Bibliotheksnutzung als eine Seu
chengeschichte dar, die selbst wiederum Teil einer bib
liotheksbezogenen Kulturwissenschaft des Morbiden ist. Dabei führt der ungewohnte Blickwinkel der an Ver
fall, Tod und Vergänglichkeit orientierten Fragestellun1 Der Ausspruch soll auf einen Jahresbericht des Generalinspekteurs für das Bibliothekswesen des Preußischen Kultusministeriums aus dem Jahre 1857 zurückgehen.
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gen zu interessanten, manchmal auch überraschenden
kulturanthropologischen Einsichten und Erkenntnis sen.2
Eine Seuchengeschichte der Bücher und Bibliotheken zu schreiben, ist faszinierend, aber auch anspruchsvoll,
nehmen doch die Naturwissenschaften einen nicht ge ringen Raum ein. Für den Nichtfachmann auf diesem
Gebiet, als der der Autor sich hier bekennt, ist das kein unriskantes, dafür aber ein umso spannenderes Unter
fangen. Obwohl die vorliegende Themenstellung sehr abgelegen
ist und meines Wissens in dieser Form noch nicht bear
beitet wurde, lässt sich doch erstaunlich viel Material freilegen, das im Detail und in der Tiefe zu untersuchen, den Rahmen einer kompakten essayistischen Darstel
lung sprengt.
Das, was hier geboten wird, ist daher als bloßer Pros
pekt und als Einladung zu lesen, das überaus spannende Thema eingehender zu behandeln, es vielleicht sogar zu
einer umfassenden Medienanthropologie der Seuchen
2 Siehe hierzu Steinhauer, Theorie und Praxis der Bibliotheksmumie, 2012; ders., Vampyrologie für Bibliothekare, 2011. Den theoretischen Ertrag dieses Blickwinkels hat Kreuter, Rez. »Steinhauer, Vampyrologie für Bibliothekare«, in: ZfB 47 (2011), S. 285-287 ausdrücklich gewür digt, vgl. auch das von Urs Wi/imann mit mir geführte Interview »Friedhof der Datenträger« in der ZEIT vom 25. Oktober 2012, S. 43.
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auszubauen.3 Das gilt auch für die in dieser Untersu chung unverhofft entdeckten frühen Ursprünge des heutigen Bibliotheksrechts. Wie kommt man bloß dazu, sich mit seuchenbezogenen
Aspekten im Buch- und Bibliothekswesen zu beschäf tigen? Das wird sich macher Leser fragen. Ich jedenfalls
wurde auf dieses Thema bei meinen Arbeiten zu dem Phänomen der Bibliotheksmumie aufmerksam.4 Mumi
en nämlich werden nicht nur bemerkenswert oft in Bib
liotheken gesammelt, auch ihre Erhaltung weist in der
gemeinsamen Bedrohung durch zerstörerische Mikroor ganismen viele Parallelen zur Welt der Bücher auf. Unheimlich in beiden Fällen ist zudem, wie lebendig in
biologischer Hinsicht, aber auch gefährlich die ver meintlich toten Objekte sind, sieht man nur genauer hin.5
3 Wirkungsästhetische Ansätze unter der Leitmetapher der An steckung, die als Elemente einer Medienanthropologie der Seuchen gelten können, finden sich etwa bei Schaub/Suthor/Fischer-Uchte, An steckung : zur Körperlichkeit eines ästhetischen Prinzips, 2005. 4 Vgl. Steinhauer, Theorie und Praxis der Bibliotheksmumie, 2012. 5 Den entscheidenden Anstoß, nach seuchenbezogenen Aspekten im Bibliothekswesen Ausschau zu halten, verdanke ich dem Aufsatz von Michaelsen et al.. Molecular and Microscopical Investigation of the Microflora Inhabiting a Deteriorated Italian Manuscript Dated from the Thirteenth Century, in: Microb. Ecol. 60 (2010), S. 69-80.
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Für die kritische Lektüre des ersten Manuskripts und ihre Anmerkungen danke ich herzlich Anja Landsmann
aus Leipzig.
Das Institut für ßibliotheks- und lnformationsivissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin hat im Berliner Biblio
thekswissenschaftlichen Kolloquium auch dieses Mal wieder einen wunderbaren Rahmen bereit gestellt, um
meine Überlegungen vor ihrer Veröffentlichung einem größeren PubEkum zu präsentieren.
Rüthen, im Februar 2013
Eric IF. Steinhauer
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1. Hinführung
Seuchen gehören zu den großen Gestaltungskräften der
Geschichte.6 Allein der modernen Medizin und einem hohen hygienischen Standard ist es zu verdanken, dass diese Tatsache den meisten Menschen kaum noch be
wusst ist. Die vielfältigen Spuren, die Seuchen in unse
rer Kultur hinterlassen haben,7 sind mittlerweile daher fast so unscheinbar wie die unheimlichen Seuchen
erreger selbst. Schaut man aber lange genug hin, werden diese Spuren plötzlich sichtbar.8 Das gilt auch für das Buch- und Bibliothekswesen und wird nach einer klei nen grundlegenden Einführung in die historische Seu
chenkunde das Thema der vorliegenden Abhandlung sein.
Geboten wird dabei eine kurze Seuchengeschichte der
Bücher und Bibliotheken. Geschichte meint hier nicht
nur die Schilderung historischer Ereignisse. Vielmehr soll der Begriff der Geschichte in einem weiteren, mehr traditionellen Sinn verwendet werden, wie wir ihn von 6 Vgl. Bergdoh, Die Pest, S. 8; Raulff, Die Schule der Ratten gegen die Schule der Flöhe, S. 17-19; Ulbricht, Die Allgegenwärtigkeit der Pest in der Frühen Neuzeit und ihre Vernachlässigung in der Geschichtswis senschaft, S. 1-15; Vasold, Die Pest, S. 11. 7 Vgl. Duqne, Art. »Plague Memorials«, in: Encyclopedia of Pestilence, Pandemics, and Plagues, Bd. 2, S. 530 f.; RuffielSoumia, Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit, S. 63 f. 8 Ein Beispiel bietet aus dem Erbrecht § 2250 BGB (Nottestament vor drei Zeugen), das auf das gemeinrechtliche »testamentum tempore pestis« zurückgeht, vgl. von Lübtow, Erbrecht, Bd. 1, S. 219. Wenig bekannt ist auch, dass das Eau de Cologne 1742 ursprünglich als Pestpräservativ entwickelt wurde, vgl. Leven, Von Ratten und Men schen, S. 19; Rath, Die Pest, in: Ciba-Zeitschrift 73 (1955), S. 2422.
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der Bezeichnung »Naturgeschichte« her kennen. Dort bedeutet er eine die Natur und ihre Erscheinungen
weniger analysierende, sie vielmehr ausführlich be schreibende, also phänomenologisch arbeitende Wis senschaftsdisziplin.9 In dieser Weise wollen auch wir im Folgenden unter der Seuchengeschichte der Bücher und
Bibliotheken die umfassende Darstellung aller einschlä
gigen loimologischen Sachverhalte in Vergangenheit und Gegenwart verstehen.10 2. Seuchen — ein Buch und Medienereignis
Die großen Epidemien der Geschichte, die Pest zumal, kennen wir meist nur durch schriftliche Berichte, letzt
lich also aus Büchern. In jüngter Zeit wird dieses Wis sen mehr und mehr ergänzt durch paläopathologische
Forschungen auf alten Friedhöfen.11 Doch auch dort liefern vor allem schriftliche Überlieferungen erst die relevanten Fragestellungen, etwa für den Versuch einer
retrospektiven Diagnostik historischer Seuchen.12 9 Vgl. Miilkr-W'iUe, Art. »Naturgeschichte«, in: EnzN Bd. 8, Sp. 1177 f.; Wuketits, Eine kurze Kulturgeschichte der Biologie, S. 29-32, 144. 10 Der Begriff »Loimologie« leitet sich vom griechischen Wort »Ä.ot|AÖ(j« (Pest, Seuche) ab und ist ein mittlerweile veralteter Ausdruck für Seuchenkunde bzw. Infektionsepidemiologie, vgl. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, S. 980. 11 Vgl. Callaway, Plague genome, in: Nature 478 (2011), S. 444-446; Haensch et al., Dinstinct Clones of Yersinia pestis caused the Black Death, in: PLoS Pathog. 6 (2010) el()01134; Jakob, Art. »Paleo pathology«, in: Encyclopedia of Pestilence, Pandemics, and Plagues, Bd. 2, S. 451-454. 12 Eine spannende Frage ist hier, ob der »Schwarze Tod« des Mittel alters tatsächlich die durch den Erreger Yersinia pestis verursachte Pest war oder nicht. Vasold, Grippe, Pest und Cholera, S. 56-68 bestreitet dies. Angesichts neuer paläogenetischer Forschungen scheint die
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2.1 Drei beispielhafte Seuchenschilderungen
Eine der frühesten und zugleich auch prominentesten
Seuchenschilderungen des Abendlandes finden wir bei dem griechischen Autor Thukydides (ca. 460 bis ca. 400
v.Chr.) im zweiten Buch seiner »Geschichte des Pelo-
ponnesischen Krieges« (Thuk. 2, 47-54). Dort be schreibt er die so genannte »Attische Pest«, die um das
Jahr 430 v. Chr. in Athen wütete.13 Sein Bericht ist nicht
nur wegen seiner literarischen Qualitäten interessant, er ist auch in hohem Maße authentisch, da der Autor selbst an der Seuche erkrankte, sie aber im Gegensatz
zu den meisten seiner Leidensgenossen überlebte (Thuk. 2, 48). Thukydides beschreibt aber nicht nur die
Symptome der Krankheit (Thuk. 2, 49). Er schildert vor allem den durch sie bewirkten Zusammenbruch aller
staatlichen, rechtlichen, gesellschaftlichen und religiösen Ordnung (Thuk. 2, 53). Die Art und Weise, wie er das menschliche Leid und die Trostlosigkeit der Situation
These Vasolds wiederlegt zu sein, vgl. Haenseh et al, Distinct Clones of Yersinia pestis Caused the Black Death, in: PLoS Pathog. 6 (2010), el0001134. I^even, Von Ratten und Menschen, S. 32 freilich ist grundsätzlich skeptisch, ob medizinhistorische Sachverhalte mit natur wissenschaftlichen Methoden überhaupt abschließend zu klären sind. 13 Dazu I^even, Art. »Pest, >Attische l\ st, Pestseelsorge«, in: LThK3 Bd. 8, Sp. 79; Parello, Art. »Schutzmantelmadonna«, in: MarLex. Bd. 6, S. 85; Schawe, Art. »Pestbild«, in: MarLex. Bd. 5, S. 164-167.
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die des Tages fliegen, vor der Pest, die im Finstern schleicht.«28 Göttliche Macht konnte also nicht nur töten, sie konnte und sollte auch heilen und beschützen. So war es in
Griechenland üblich, im Krankheitsfall ein Asklepieion aufzusuchen und sich dort neben dem Rat von Ärzten
göttlicher Hilfe anzuvertrauen. Man glaubte, Äskulap, der Gott der Heilkunst und Sohn Apollons, besuche die
im Heiligtum nächtigenden Kranken im Schlaf und
heile sie.29 Auch Thukydides hat ja erwähnt, dass die ster benskranken Menschen in Heiligtümern ihre Zuflucht
genommen hatten. Neben einer religiösen Sicht, boten sich aber auch
naturphilosophische Überlegungen als Erklärungsmo delle für Krankheiten an. Ausgehend von der bereits bei den griechischen Vorsokratikern zu findenden Annah
me, die Welt bestehe aus vier Elementen, suchte man im menschlichen Organismus nach einer Entsprechung dieses Aufbauschemas und entwickelte die so genannte
Vier-Säfte-Lehre, die auch als Humoralpathologie be-
28 Vgl. Feuerstein-Her^, Gotts verhengnis und seine straffe, S. 209; Ulbricht, Die Allgegenwärtigkeit der Pest in der Frühen Neuzeit und ihre Vernachlässigung in der Geschichtswissenschaft, S. 38. 29 Vgl. Bynum, Geschichte der Medizin, S. 16; Leven, Geschichte der Medizin, S. 17; Porter, Geschröpft und zur Ader gelassen, S. 41; Siefert, Art. »Tempelschlaf«, in: Enzyklopädie Medizingeschichte, S. 1381 f.
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zeichnet wird.30 Danach war das Zusammenspiel von vier Körperflüssigkeiten, nämlich der gelben und der
schwarzen Galle sowie von Blut und Schleim für die Gesundheit des Menschen verantwortlich.31 War das
Gleichgewicht dieser vier Säfte gestört, wurde man krank. Die Sorge der Medizin galt daher dem Gleich
gewicht dieser vier Säfte. Dazu dienten nicht nur Prak
tiken wie der Aderlass, sondern auch Ernährungsrat schläge.
Speziell das Aufkommen von Seuchen erklärte man sich mit ungünstigen klimatischen Verhältnissen und faulig
warmen Ausdünstungen, den Miasmen,32 die das
Gleichgewicht der Säfte in Unordnung brachten.33 Eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Miasmen wurde astrologischen Ereignissen wie besonderen Planeten
konstellationen und dergleichen zugeschrieben.34 Entwickelt wurde die Vier-Säfte-Lehre in der griechi
schen Medizin, die traditionell auf Hippokrates von Kos (ca. 460 - ca. 375 v. Chr.), einem Zeitgenossen des Thukydides, und dessen Schüler zurückgeführt wird. 30 Vgl. Leven, Geschichte der Medizin, S. 21; Toepfer, Historisches Wörterbuch der Biologie, Bd. 2, S. 290 (Art. »Krankheit«); Weisser, Hippokrates/Galen, S. 13. 31 Vgl. Gundert, Art. »Humoralpathologie«, in: Leven, Antike Medizin, S. 436-441; Weisser, Hippokrates/Galen, S. 13 f. 32 Dazu Gudermann, Art. »Miasmen«, in: EnzN Bd. 8, Sp. 474-481; Potter, Art. »Miasma«, in: Leven, Antike Medizin, S. 615. 33 Vgl. Dinges, Seuchen im Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 20 f. 34 Vgl. Gudermann, Art. »Miasmen«, in: EnzN Bd. 8, Sp. 475; Keil, Art. »Seuchen«, in: RGA Bd. 28, S. 233.
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In der Schnabel-Maske des Pest-Arztes befinden sich wohlriechende Substanzen, um ihn vor krankmachenden Miasmen zu schützen. Stich aus dem Jahre 1656.
Vervollkommnet und für die weitere Rezeption zu
sammengefasst hat sie der römische Arzt Galen (129 — ca. 200). Die akademische Medizin hielt — mit Modi
fikationen freilich — an dieser Theorie bis in das 19. Jahrhundert fest,35 auch wenn mit dem Aufkommen des empirisch-naturwissenschaftlichen
Arbeitens in der
35 Vgl. Jankrift, Krankheit und Heilkunde im Mittelalter, S. 81; Wegner, Art. »Miasma«, in: Enzyklopädie Medizingeschichte, S. 986.
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Frühen Neuzeit, vor allem aber im Zeitalter der Auf
klärung, eine im Wesentlichen durch antike Autoritäten gestützte Medizin immer fragwürdiger wurde.36 An die ser Stelle sei betont, dass bei allen letztlich unhaltbaren
spekulativen Elementen der Humoralpathologie ihr An satz ein zutiefst rationaler war, denn man suchte Krank heiten ohne religiöse Voraussetzungen zu verstehen und
zu heilen.37 3. Seuchenschriften als titerarische Gattung
Es liegt auf der Hand, dass ärztliches Handeln, das auf
der Grundlage einer letztlich philosophischen Theorie agiert, nicht im Labor oder am Krankenbett, sondern in
der gelehrten Spekulation und der Lektüre medizini scher Klassiker seinen Schwerpunkt hatte.38 Der briti
sche Medizinhistoriker William Rynum hat diese Form der Medizin sehr treffend als »Bibliotheksmedizin« be zeichnet.39
Aus ihr heraus entwickelte sich als direkte Folge der großen Pestepidemien des späten Mittelalters die neue
36 Vgl. Leven, Geschichte der Medizin, S. 47; Weisser, Hippokrates/Galen, S. 28. 37 Vgl. Weisser, Hippokrates/Galen, S. 14. 38 Vgl. Leven, Geschichte der Medizin, S. 28; Weisser, Hippokra tes/Galen, S. 27. Ein schönes Beispiel bietet Cassiodor (ca. 485-ca. 580) in seinen »Institutiones divinarum et saeculariutn litterarum«, wo er im 31. Kapitel »de medicis« zu Ausbildungszwecken insbesondere die Lektüre der medizinischen Klassiker empfiehlt: »legite Hippocratem atque Galienum ... et anonymum quendam, qui ex diversis auctoribus probatur esse collectus.« 39 Vgl. Bjnam, Geschichte der Medizin, S. 34.
27
Literaturgattung der Seuchenschriften. Man kann hier —
ganz grob — drei verschiedene Typen von Publikationen unterscheiden, wenn die rein theologisch-erbaulichen
Werke außer Betracht bleiben. 3.1 Pestconsilia
Zunächst sind die gelehrten, meist lateinisch geschrie
benen Abhandlungen der akademischen Medizin zu nennen, in denen auf Grundlage der humoralpathologi
schen Tradition Erklärungen für das Auftreten von Seu chen gegeben werden, verbunden mit Ratschlägen, sie zu vermeiden und zu bekämpfen. Diese Schriften wer den in Analogie zu den Rechtsgutachten der juristischen
Fakultäten, den Rechtsconsilia, in der seuchengeschicht lichen Literatur als Pestconsilia bezeichnet.40 Sie wandten
sich, vor allem im Handschriftenzeitalter, an ein akade misch ausgebildetes Fachpublikum sowie im Sinne einer
frühen Form der wissenschaftlichen Politikberatung an
die jeweilige Obrigkeit einer von der Pest heimgesuch ten Region.
Das wohl bekannteste und wichtigste Gutachten dieser Art ist das Pariser Pestgutachten der Medizinischen Fa
kultät von 1348 bzw. 1349.41 Es wurde in der Folgezeit 40 Vgl. Bergdo/t, Der Schwarze Tod in Europa, S. 27. 41 Vgl. Corsten, Art. »Pestbücher«, in: LGB2 Bd. 5, S. 604; Keil, Art. »Pariser Pestgutachten (Visis effectibus / Veus et consideres les effecs)«, in: VerfLex. Bd. 7, Sp. 309-312; Schipperges, Die Kranken im Mittelalter, S. 107-110. Das Gutachten sieht astrologische bzw. siderische Konstellationen und den dadurch entstandenen Pesthauch als Ursache für die Krankheit an.
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in viele andere Werke aufgenommen, etwa in den »Sinn
der höchsten Meister von Paris«, einer 1349 im Umkreis der Universität Prag entstandenen Schrift.42
Mit dem Aufkommen des Buchdrucks in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden neue Formen der
Seuchenpublizistik populär,43 nämlich die Pesttraktate oder Pestregimina sowie die Seucbenordnungen. 3.2 Gedruckte Seuchenpublizistik
Pesttraktate oder Pestregimina, die sich vor allem nach 1470 vermehrt nachweisen lassen, sind im Gegensatz zu
den Pestconsilia der Handschriftenzeit zumeist in der
Volkssprache verfasst und zielen damit auf ein breiteres Publikum.44 Sie enthalten praktische Diätvorschriften
zur Seuchenprophylaxe sowie diagnostische und volks medizinische Hinweise.
Als Ratgeber im Falle des Falles versprachen die Pest traktate Hilfe zur Selbsthilfe, gerade im ländlichen Be
reich, wo es keine medizinische Versorgung durch Ärzte gab.45 Das machte sie attraktiv. Außerdem konnte durch 42 Vgl. Keil, Art. »Sinn der höchsten Meister von Paris«, in: VerfLex. Bd. 8, Sp. 1281-1283. 43 Vgl. Kuffie/ Sournia, Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit, S. 42. 44 Vgl. Marshall, Art. »Plague Literature and Art, Early Modern European«, in Encyclopedia of Pestilence, Pandemics, and Plagues, Bd. 2, S. 523 f. 45 Ein schönes Beispiel ist Philipp Imsser, Pestilentz-Büchlein / für die armen Handwercks- und Baurs-Leuthe, 1680, dazu Feuerstein-Her^ Gotts verhengnis und seine straffe, S. 241.
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Druckschriften medizinische Expertise schnell und relativ gefahrlos in akute Seuchengebiete gelangen.
Zwar gab es auch schon im Handschriftenzeitalter mehrere volkssprachliche Pestschriften, die jedermann
medizinisches Wissen zugänglich machen wollten, etwa
die Schrift »Also das ein Mensch Zeichen gewun« des aus Ulm stammenden Arztes Jakob Engelin (ca. 1365 -
vor 1427)46 oder ein Pesttraktat des württembergischen
Arztes Nikolaus vom Schwert (um 1419).47 Allerdings wa
ren die Verbreitungsmöglichkeiten dieser Werke noch sehr begrenzt. Erst der Buchdruck konnte diesen Tex
ten eine angemessene Öffentlichkeit erschließen. Als
erste eigenständige Seuchenschrift, die auf diese Weise verbreitet wurde, gilt das 1473 erstmals gedruckte Werk
»Die Ordnung der Pestilenz« des Ulmer Arztes und Humanisten Heinrich Steinhöwel (ca. 1420 — 1482).48
Inhaltlich greifen die Pesttrakte vielfach und in kompilatorischer Weise auf Vorlagen der Handschriftenzeit zu 46 Vgl. Bergmann, Art. »Engelin, Jakob«, in: VerfLex. Bd. 2, Sp. 562. Dabei greift Engetin auch auf ältere Pestautoren zurück, etwa auf Gallus von Prag (gest. nach 1378) und dessen »Prager Sendbrief« von 1371, vgl. Keil, Art. »Gallus von Prag«, in: VerfLex. Bd. 2, Sp. 1069. 47 Vgl. Keil, Art. »Nikolaus vorn Schwert (Meister N.)«, in: VerfLex. Bd. 6, Sp. 1151-1153. 48 Vgl. Ametung, Art. »Steinhöwel, Heinrich«, in: LGB2 Bd. 7, S. 234; Dicke, Art. »Steinhöwel, Heinrich«, in: VerfLex. Bd. 9, Sp. 261 f.; Feuerstein-Her^ Gotts verhengnis und seine straffe, S. 174; dies., Im Druck der Seuchen - Seuchen und Buchdruck in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Bestände der Herzog August Bibliothek, S. 29. Die durch den Buchdruck erweiterte Öffentlichkeit und die damit gegebe nen neuen Kommunikations- und Rezeptionssituationen untersucht Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 366-376 exem plarisch am Beispiel von Steinhöwels Pestschrift.
30
rück. Beispielhaft sei hier die Schrift »Regiment vnd lere
wider die swaren kranckheit der pestilenz« des Berliner Arztes Konrad Schwestermüller (ca. 1450-1522) genannt,49 der für sein insoweit repräsentatives Werk mehrere be kannte loimologische Kleinschriften des 14. Jahrhun
derts benutzt hat, etwa den im Anschluss an das Pariser
Pestgutachten verfassten »Sinn der höchsten Meister von Paris«, das »Pesdaßmännlein«,50 den »Brief an die
Frau von Plauen«51, den für die mittelalterliche Pest
therapie sehr wichtigen »Sendbrief-Aderlaßanhang« von
134952 sowie die schon erwähnte Pestschrift von Jakob Engelin.
Im Gegensatz zu den Pesttraktaten waren die Seuchenord nungen, auch wenn sie sich in ihrer konkreten Form
nicht immer scharf abgrenzen lassen, keine medizini schen Abhandlungen oder Ratgeber, sondern obrigkeit
liche Anordnungen und Verhaltensregeln im Seuchen fall.53 Sie stellen damit ein frühes Beispiel polizeilichen
49 Vgl. Keil/Reiningtr, Art. »Schwestermüller (Schwestermiller), Kon rad«, in: VerfLex. Bd. 8, Sp. 950-953. 50 Vgl. Keil, Art. »Pesdaßmännlein«, in: VerfLex. Bd. 7, Sp. 416-418. 51 Vgl. Keil, Art. »Brief an die Frau von Plauen«, in: VerfLex. Bd. 2, Sp. 1035 f. 52 Vgl. Keil, Art. »Sendbrief-Aderlaßanhang«, in: VerfLex. Bd. 8, Sp. 1077 f. 53 Vgl. die Beispiele bei Feuerstein-Her^, Gotts verhengnis und seine straffe, S. 199-204, sowie Knispel, Art. »Pestordnungen«, in: Lexikon der Letzten Dinge, S. 333 f.; Kümmel, Art. »Seuchenordnungen«, in: HRG Bd. 4, Sp. 1650-1654; Vasold, Die Pest, S. 130,134 f. Geschicht liche Hinweise finden sich bei Hess, Seuchengesetzgebung in den deut schen Staaten und im Kaiserreich vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Reichsseuchengesetz 1900, S. 83 f. et passim.
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Handelns öffentlicher Stellen dar. Mit ihren Vorschrif ten freilich stehen die Seuchenordnungen nicht selten in
einer gewissen Spannung zu den humoralpathologi
schen Theorien der akademischen Medizin. Zwar ließen die politischen Autoritäten sich durchaus von Medizi nern beraten, bei der konkreten Bekämpfung eines Pest
ausbruchs aber waren weniger Lehrmeinungen als viel
mehr pragmatische Entscheidungen gefragt.54 Auch wenn man die Möglichkeit von Krankheitsübertragung durch Ansteckung bzw. einen Ansteckungsstoff (»Kon-
tagium«) nur schwer in das System der klassischen Medizin integrieren konnte,55 handelten die Verwal
tungsstellen etwa durch die Anordnung von Quaran tänen, was ja stillschweigend die Existenz von Krank
heitserregern voraussetzt, gerade nicht expertengläubig, sondern erfahrungsgeleitet.56 Die Effektivität solcher Maßnahmen hat übrigens nicht wenig zur Festigung und Akzeptanz obrigkeitlicher Verwaltungsstrukturen und damit zur Herausbildung des neuzeitlichen Staates
beigetragen.57 54 Vgl. Dinges, Pest und Politik in der europäischen Neuzeit, S. 291; ders., Seuchen im Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 23-26. 55 Vgl. zum Konflikt zwischen Miasma und Kontagium als Seuchen konzepte Gudermann, Art. »Miasma«, in: EnzN Bd. 8, Sp. 477 f.; Leven, Geschichte der Medizin, S. 78 f.; Schön, Bakterien, S. 101-103. 56 Zur Entwicklung der Ansteckungstheorie vgl. Varlik, Art. »Contagion Theory of Disease, Premodem«, in: Encyclopedia of Pestilence, Pandemics, and Plagues, Bd. 1, S. 134 f. 57 So sieht etwa Foucault, Überwachen und Strafen, S. 254 f. in Seu chen wie der Pest eine wichtige Ursache für den Aufbau staatlicher Kontrollstrukturen; vgl. auch Dinges, Pest und Staat, S. 71-103; Reichert, Der Diskurs der Seuche, S. 9-17; Rölli, Ansteckungsgefahr! Diszipli nierung im Zeichen des Schwarzen Todes, S. 353-366; Vasold, Die
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Publicirt ANNO 1713.
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Beispiel für eine gedruckte Seuchenordnung.
3.3 Pest und Buchdruck
Dass die Seuchenschriften vor allem mit dem Aufkom men des Buchdrucks einen bedeutenden Aufschwung
erfahren haben, ist kein Zufall. Da sie, anders als etwa klassische Texte der antiken Literatur oder spekulative
theologische Abhandlungen, auf ein reges, ja vitales
Pest, S 129. Ulbricht, Die Allgegenwärtigkeit der Pest in der Frühen Neuzeit und ihre Vernachlässigung in der Geschichtswissenschaft, S. 43-46 freilich weist darauf hin, dass man bei gesetzlichen Vorschriften gerade in der Frühen Neuzeit mit mehr oder weniger großen Voll zugsdefiziten zu rechnen habe.
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Interesse einer großen Leserschaft rechnen konnten,58
war der Buchdruck für sie ein idealer Verbreitungsweg, der nicht nur ausgiebig genutzt, sondern mancherorts
zur Herstellung von Seuchenschriften überhaupt erst
eingeführt wurde.59 Pesttraktate gehören regelmäßig zu den frühen Produktionen eines neuen Druckstand
ortes.60 Doch damit nicht genug. Seuchenschriften sind nicht nur wegen ihrer hohen Auflage und der Vielfalt der
Drucke eine buchgeschichtlich wichtige Literaturgat tung der Inkunabelzeit und darüber hinaus.61 Seuchen
wie die Pest werden sogar als mitursächlich für die Er
findung des Buchdrucks angesehen.
Diese vor allem von dem amerikanischen Historiker David Herlihy (1930-1991) vertretene These besagt, dass durch den massiven Rückgang der Bevölkerung als Fol 58 Nach Corsten, Art. »Pestbücher«, in: LGB2 Bd. 5, S. 604 gehörten loimologische Kleinschriften zu den meistgelesenen Texten der dama ligen deutschen Literatur. 59 Vgl. Feuerstein-Her& Im Druck der Seuchen - Seuchen und Buch druck in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Bestände der Herzog August Bibliothek, S. 30-32. 60 Vgl. beispielsweise für Köln V'oullieme, Der Buchdruck Kölns bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, Nr. 1194 und 1195. 61 Für die Inkunabelzeit lassen sich allein im deutschen Sprachraum 150 verschiedene Werke nachweisen, vgl. Feuerstein-Her^ Im Druck der Seuchen - Seuchen und Buchdruck in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Bestände der Herzog August Bibliothek, S. 35. Zur Bibliographie siehe KJebs, Die Pestinkunabeln, S. 16-84. Unver ständlich ist es, wenn angesichts dieser Zahlen bei Geldner, Inkunabel kunde, S. 229 nur das Pestbuch des Hieronymus Brunschwig beiläufig erwähnt, die Seuchenschriften als eigene Gattung aber übergangen werden.
34
ge der verheerenden Pestepidemien technische Innova
tionen begünstigt wurden, um die knapp gewordene
menschliche Arbeitskraft zu ersetzen.62 Eine dieser In novationen war eben der Buchdruck, der die Arbeit vie ler Schreiber entbehrlich machte.
Herlibys These wurde mit Blick auf die Zahlenent
wicklung der Buchproduktion angezweifelt63 Merkwür dig ist auch, dass Bücher und Handschriften in der
Frühzeit des Buchdrucks zum gleichen Preis gehandelt
wurden; das spricht nicht unbedingt für einen Rationali sierungserfolg.64 Diskussionswürdig aber ist diese These allemal.
Das gilt auch für eine weitere Verbindung von Seuche und Buchdruck, die der Kölner Buchwissenschafder
Uwe Neddermeyer herausgearbeitet hat. Seiner Ansicht
nach hat der pestbedingte Bevölkerungsverlust zu einer Bevölkerungsverschiebung zugunsten der Städte ge
führt, was eine Ausweitung der Schriftlichkeit zur Folge hatte, die sich wiederum positiv auf die Buchproduktion
auswirkte.65 62 Vgl. Herlihy, Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas, S. 56 f. 63 Vgl. Samuel K. Cobn jr. im Nachwort zu Herlihy, Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas, S. 115. 64 Vgl. Wolf, Von geschriebenen Drucken und gedruckten Hand schriften, S. 5 sowie S. 14, der darauf hinweist, dass Drucke erst nach 1480/90 im Vergleich zu Handschriften deutlich günstiger gehandelt wurden. 65 Neddermeyer, Von der Handschrift zum gedruckten Buch, S. 268 sowie Wolf, Von geschriebenen Drucken und gedruckten Handschrif-
35
Die vielfältigen Bezüge von Pest und Buchgeschichte können hier nur angedeutet werden. Für die historische
Buchforschung aber ist eine nähere Beschäftigung mit
diesem Thema durchaus lohnend.66 Am Rande sei vermerkt, dass die älteste bekannte bild liche Darstellung eines Schriftsetzers bzw. einer Buch
druckerei auf einem Holzschnitt des Jahres 1499 zu fin
den ist, einem in Lyon von Matthias Huß (um 1455nach 1507)67 gedruckten Totentanzbild.68
Die literarische und künstlerische Gattung des Toten tanzes, die in eindrücklichen, ja drastischen Bildern die
Todesverfallenheit aller Menschen — ob reich, ob arm —
thematisiert, hat gerade durch die Erfahrungen des gro ßen Sterbens in Pestzeiten eine besondere Popularität erhalten.69 Am Beginn seiner eigenen Ikonographie ist
ten, S. 20, der der These einer zunehmenden Literarisierung im Grun de zustimmt. 66 Vgl. beispielhaft Totano, The Plague in Print, Pittsburgh 2010. Dies gilt nicht nur für den Buchdruck im engeren Sinn. So betont An^elewsky, Art. »Pestblätter«, in: LMA Bd. 6, Sp. 1921, dass Einblattdrucke mit pestbezogenem Inhalt zu den frühesten Zeugnissen des Holz schnitts gehören; vgl. auch Schilling, Pest und Flugblatt, S. 93-99. 67 Vgl. Geldner, Art. »Huß, Matthias«, in: NDB 10 (1974), S. 84 f. 68 Vgl. Corsten, Die Erfindung der Buchkunst im 15. Jahrhundert, S. 145; Hegerlofy Die Frühzeit des Buchdrucks als Zeugnis eines Medien wandels, S. 39-41. 69 Bergdolt, Die Pest, S. 97 f.; den., Der Schwarze Tod in Europa, S. 214 f.; Feuerstein-Her^, Gotts verhengnis und seine straffe, S. 181; Gallery, Art. »Dance of Death«, in: Encyclopedia of Death and Dying, S. 134. Kritisch zum Verhältnis von Pest und Totentanz Kiening, Art. »Toten tanz - B. Literatur - I. Deutsche Literatur«, in: LMA Bd. 8, Sp. 899.
36
der Buchdruck also von einem gewissen Pesthauch um weht,70 wahrnehmbar freilich nur für die kundige Nase.
Der Lyoner Totentanz von Matthias Huß.
4. Contagiöses Papier
Bücher und Druckschriften hatten in Gestalt der Pest traktate eine durchaus medizinische Funktion. Sie soll
ten ihren Lesern den aus verschiedenen Gründen nicht erreichbaren Arzt ersetzen und waren daher, wie es der
Straßburger Wundarzt Hieronymus Brunschivig (14501512) für seine populären medizinischen Schriften ein
mal treffend formuliert hat »Buch und schütz, der ar men Artzney«.71 70 Vgl. Ligerlofy Die Frühzeit des Buchdrucks als Zeugnis eines Medi enwandels, S.40. 71 Zitiert nach Feuerstein-Her^ Im Druck der Seuchen - Seuchen und Buchdruck in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Bestände der
37
Die Herstellungsbedingungen von Büchern freilich waren alles andere als gesund. Vor allem die Papierpro
duktion stellte eine nicht unerhebliche Gefahr dar, sich mit einer tödlichen Krankheit anzustecken, und hat zu dem die Ausbreitung von Seuchen begünstigt.72 In der
Literatur finden sich auffallend häufig Berichte von
Pest- und Seuchenausbrüchen im Umkreis von Papier
mühlen, etwa in Arnstadt oder Leipzig.73 Auch der
Gründer der ersten deutschen Papiermühle, die 1390 in Nürnberg ihren Betrieb aufnahm,74 Ulman Stromer
(1329-1407), starb, wie etliche seiner Familienmitglieder
und Mitarbeiter, an der Pest.75 Obwohl Stromer die Mühle ab 1394 verpachtet hatte und als Investor mit dem Betrieb selbst wohl kaum noch in Berührung kam,
so war er doch weiter mit der Beschaffung der Roh
stoffe befasst, denn Stromer handelte mit alten Kleidern
Herzog August Bibliothek, S. 36. Zu Bmnschwig vgl. Frederiksen, Art. »Brunschwig, Hieronymus«, in: VerfLex. Bd. 1, Sp. 1073-1075; Keil, Art. »Brunschwig, Hieronymus«, in: LGB2 Bd. 1, S. 565. 72 Vgl. Bayer!, Die Papiermühle, S. 356-365. 73 Vgl. Bayerl, Die Papiermühle, S. 359; Hatham, Arnstadt, S. 40: »allein sie [die Pest, Anm. d. Verf.] soll vielmehr aus der Papiermühle von Lumpen, die sie aus fremden Landen erhalten, hergerührt haben«; Sahm, Geschichte der Pest in Ostpreussen, S. 72 (Papiermühle zu Trutenau im Samland); Sticker, Abhandlungen aus der Seuchenge schichte und Seuchenlehre, Bd. 1, S. 206: »In Thüringen war man all gemein der Ansicht, daß das Übel an den Lumpen hafte, die in den Papiermühlen gesammelt wurden.« 74 Vgl. Sondermann, Kulturgeschichte des Papiers, S. 80-82. 75 Vgl. Kurras, Art. »Stromer, Ulman«, in: VerfLex. Bd. 9, Sp. 457 f.; Sporhan-Krempellvon Stromer, Das Handelshaus der Stromer in Nürn berg und die Geschichte der ersten deutschen Papiermühle, in: VSWG 47 (1960), S. 82.
38
und Lumpen,76 aus denen die für die Papierherstellung
unentbehrlichen Hadern gewonnen wurden. Alte Kleider waren daher ein sehr begehrter und oft auch knapper Rohstoff, der von Lumpensammlern zu
sammengetragen und sogar überregional gehandelt wur
de. Um aus ihnen die Hadern zu gewinnen, wurden sie in der Papiermühle zerkleinert und mit Hilfe eines
Stampfwerkes und Wasser zu einer breiigen Masse ver
arbeitet, aus der dann das Papier mit Sieben geschöpft und nach dem Trocken zu einem beschreibbaren glatten Material weiterverarbeitet wurde.77 Hadern waren bis
etwa 1840 praktisch der einzige, danach für lange Zeit immer noch ein wichtiger Rohstoff für die Herstellung von Papier.78
Loimologisch, also seuchenkundlich interessant sind
hier vor allem die Beschaffung der Lumpen sowie deren
mechanische Zerkleinerung in der Papiermühle. Gerade die zuletzt genannte Tätigkeit war nicht nur mit einer
starken Staubentwicklung verbunden, bei der krankma chende Erreger leicht eingeatmet werden konnten, in der alten Kleidung saßen oft auch Flöhe, für die die Ar
76 Vgl. Piecard, Über die Anfänge des Gebrauchs des Papiers in deut schen Kanzleien, in: FS-Fanfani, Bd. 3, S. 363. 77 Zum Herstellungsprozess vgl. Reriker, Geschichte des Papiers, S. 1054-1058. 78 Vgl. Sandermann, Kulturgeschichte des Papiers, S. 95-103; Sommerfeld, Art. »Papier«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 2, S. 178.
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beiter der Papiermühle willkommene Wirte waren.79 Flöhe freilich können Krankheiten übertragen. Gerade
bei der Pest spielen sie eine bedeutende Rolle.80
Eine typische Pestbeule.
Der Pesterreger Yersinia pestis nämlich hat seinen natür lichen Lebensraum vor allem bei Ratten und wird dort
über Flohstiche weitergegeben.81 Der Floh nimmt dabei über das Blut die Pestbakterien in sich auf und gibt sie bei der nächsten Blutmahlzeit an seinen neuen Wirt wei ter. Stirbt nun eine verpestete Ratte und ist kein ver gleichbarer Wirt zu finden, geht der Rattenfloh auch auf
79 Vgl. Bayerl, Die Papiermühle, S. 358. 80 Vgl. Lexikon der Biologie, Bd. 6, S. 337 (Art. »Pestfloh«); Vasold, Die Pest, S. 74-76. 81 Vgl. K«7, Art. »Pest«, in: RGA Bd. 22, S. 618 £; Lexikon der Biologie, Bd. 8, S. 476 (Art. »Yersinia«); Mims et al, Medizinische Mikrobiologie — Infektiologie, S. 433-435.
40
Menschen über.82 Die typischen Pestbeulen etwa sind eine unmittelbare Folge des infektiösen Flohstichs.
Die Einzelheiten dieses Infektionsvorganges sind recht kompliziert, zumal bestimmte Floharten auf spezielle Wirte beschränkt sind. Beim Menschen jedenfalls über
nimmt, sofern nicht die Lunge von der Pest befallen wurde und die Krankheit dann sehr ansteckend und ge fährlich durch Tröpfcheninfektion weitergegeben wird, Pulex irritans, der Menschenfloh, die weitere Verbreitung
des Erregers. Daneben werden auch Kopf- und
Kleiderläuse als mögliche Pestüberträger diskutiert.83 Flöhe und Läuse nun finden sich in großer Zahl in ge brauchter Kleidung. Durch Lumpensammler, die gerade
bei großen Epidemien reichlich herrenloses und damit
sehr lukratives Material vorfanden, und den anschlie
ßenden Handel mit den gesammelten Lumpen ge
langten die Pesterreger leicht in bisher unverseuchte
Gebiete; infizierte Flöhe können bis zu 30 Tage in den Lumpen überleben.84 Die Papiermühle als Ziel des
82 Vgl. Porter, Geschröpft und zur Ader gelassen, S. 25. 83 Vgl. Paoult et al., Body lice, yersinia pestis orientals, and black death, in: Emerg. Infect. Dis. 16 (2010), S. 892 f.; dies., Experimental model to evaluate the human body louse as a vector of plague, in: J Infect. Dis. 194 (2006), S. 1589-1596. Nach Vasold, Pest, Not und schwere Plagen, S. 72 und 85 können Pesterreger auch in Staub und Textilien einige Zeit infektiös bleiben. 84 Vgl. Bergdolt, Der Schwarze Tod in Europa, S. 18. Kohn, Ency clopedia of Plague and Pestilence, S. 159 (Art. »Italian Plagues of 1629-31«) gibt sogar einen Zeitraum von 6 Wochen bis zu einem Jahr (!) an.
41
Lumpenhandels war also ein idealer Ausgangspunkt für
die weitere Verbreitung der Pest. Auch wenn aus Sicht
der damaligen Medizin und ihrer humoralpathologi schen Thesen der tatsächliche Infektionsweg der Pest
nicht bekannt war, so wurde die Kleidung von Seuchen opfern dennoch als ungesund angesehen, zumal sie ja ungute Ausdünstungen enthalten konnte. Konsequen terweise verbot man in den Pestordnungen den Handel mit Lumpen oder reglementierte ihn doch sehr stark.85
Ob die Erkrankungen im Umkreis der Papiermühlen tatsächlich in jedem Fall als Pest zu diagnostizieren sind,
ist allerdings fraglich. Denn auch nach dem Verschwin den der eigentlichen Pest in Europa blieben Papiermüh
len bzw. -fabriken ein gefährlicher Ort. Mit den Lum
pen wurden nämlich nicht nur infizierte Flöhe und Läu
se transportiert. Der Stoff selbst enthielt oft Erreger, die dann bei der Reinigung und der mechanischen Zerklei
nerung der Lumpen eingeatmet wurden. Für das 19. 85 Vgl. Kümmel, Art. »Seuchenordnungen«, in: HRG Bd. 4, Sp. 1651; Vasold, Die Pest, S. 126. Beispielhaft sei die Churpfältqische Neuburgische Pest-Ordnung von 1713, S. 12 angeführt: »Solle weder in noch nach der Pest denen Dandern / Juden / oder anderen gestattet werden / einige alte Kleyder / Lumpen / Bether / Leingewand / und dergleichen / heimblich / oder öffentlich zuverkaufen / wann nicht vor der Obrig keit / oder dem Gesundheits-Directore genugsamb erwisen werden kan / daß selbige an keinem inficirten Orth gewesen.« Vgl. auch das Kurpfal^-Baierische Mandat vom 29. Dezember 1747 »Von Sammlung der Hader«: »... doch daß das Haderlumpensammeln bey Pest- und Kontagions-Zeiten (so Gott gnädiglich abwenden wolle) gänzlich eingestellet seyn, und unterbleiben solle.« Vgl. aus Sicht der älteren Medi zin auch Krügelstein, Von dem Trödelhandel und dessen großen Nach teilen für die Gesundheit, in: Zeitschrift für die Staatsarzneikunde 38 (1839), S. 241-268, insbes. 244.
42
Jahrhundert etwa sind die Erkrankungen der vor allem weiblichen Beschäftigen in den vorindustriellen Papier fabriken gut dokumentiert: Von 1.000 Arbeiterinnen
starben damals innerhalb von 10 Jahren im Schnitt rund 50 an einer tödlichen Lungenkrankheit.86
Die Ursache hierfür ist der bis heute auch als »Hadern krankheit« bezeichnete Lungenmilzbrand,87 Milzbrand
übrigens war wohl auch die Ursache vermehrt auftre tender tödlicher Erkrankungen in amerikanischen Papierfabriken des 19. Jahrhunderts, in denen aus Ägyp
ten importierte Mumienbinden als Rohstoff verwendet
wurden,88 auch wenn die damalige Presse natürlich
pharaonische Flüche oder andere raffinierte Gemeinhei ten der alten Ägypter zum Schutz gegen Grabräuber als
Ursache für die Todesfälle in Betracht zog.89
Der kurze Blick auf die Seuchengeschichte der Papier herstellung soll an dieser Stelle enden. Es ist sicher nicht 86 Vgl. Bayerly Die Papiermühle, S. 363 m.w.N. 87 Vgl. Bayerl, Die Papiermühle, S. 359-365 m.w.N.; Eppinger, Die Ha dernkrankheit, Jena 1894; Nowaky Lehrbuch der Hygiene, S. 772; Rotb, Art. »Gewerbehygiene«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 1, S. 378, 381; Sommerfeld, Art. »Hadernkrankheit«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 1, S. 426 f.Vasold, Die Pest, S. 51 merkt an, dass Pest und Milzbranz im Krankheitsbild oft schwer zu unterscheiden sind; Winkle, Geisseln der Menschheit, S. 48, 59 f. Sommerfeld, Art. »Papier«, in: Pfeiffer/Proskauer, Ency klopädie der Hygiene, Bd. 2, S. 178 nennt neben Milzbrand übrigens noch Scharlach, Masern, Flecktyphus, Gelbfieber, Diphtherie und Cholera als durch Lumpen übertragbare Krankheiten. 88 Vgl. Sandermann, Kulturgeschichte des Papiers, S. 101-103. 89 Vgl. Steinbauer, Theorie und Praxis der Bibliotheksmumie, S. 57; Wolfe, Mummies in Nineteenth Century America, S. 197-200.
43
übertrieben, wenn man annimmt, dass die Produktion
von Papier im Laufe der Jahrhunderte tausenden von Menschen durch Infektionskrankheiten das Leben
gekostet hat.
Bacillus anthracis (Milzbranderreger)
Davon ahnt der Leser eines schönen alten Buches heute
freilich nichts mehr, denn der Zusammenhang zwischen Seuchengeschichte und Papierproduktion ist weitge hend unbekannt und wird, wenn überhaupt, nicht in der bibliotheks-, sondern in der seuchengeschichtlichen Li
teratur erwähnt — und auch dort nur am Rande, wenn es
um das Lumpensammeln geht.90 Dabei ist es schon ein 90 Vgl. Winkle, Geisseln der Menschheit, S. 48, 59 f.
44
merkwürdiges Gefühl, zu wissen, dass alte Bücher, die
wir heute in die Hand nehmen, vielleicht einmal Klei dungsstücke todkranker Menschen auf ihrem Sterbe
lager oder tödliche Seuchenherde waren.91 5. Bestandshygiene
Überlegungen, durch wie viele Hände ein Buch schon
gegangen sein mag, sind aber nicht nur ein schöner
Stoff für melancholische Spekulationen beim abendli
chen Rotwein nach 22 Uhr. Hier geht es auch um hygie nische Fragen. Wer fasst schon mit Behagen ein stark
fingergriffiges Buch aus der Lehrbuchsammlung einer Hochschulbibliothek und dessen leicht klebrige, ins
Gelbliche verschossene Foliierung an, zieht ein solches
Buch gar als Betdektüre in Erwägung? Niemand. Ir gendwie hat man Sorge, das Buch sei nicht bloß
schmutzig, sondern auch ungesund.92 Ganz abwegig sind solche Gedanken nicht. Historisch freilich sind sie
aus zwei Gründen eher jüngeren Datums.
Zum einen waren Bücher lange Zeit ein luxuriöser Ge genstand, der allenfalls in privaten Zirkeln, relativ ge schlossenen akademischen Milieus oder Klostergemein
91 Winkle, Geisseln der Menschheit, S. 60 weist darauf hin, dass auch Buchbinder durch den Kontakt mit infiziertem Leder oft an Haut milzbrand erkrankten. 92 Diese Sorge illustriert anschaulich der hypochondrisch formulierte Buchtitel von Stratmann/ Grillparzer, Ist dieses Buch ansteckend?, Mün chen 2008.
45
schäften kursierte.93 Hier sei angemerkt, dass die ersten genuin bibliotheksrechtlichen Abhandlungen immer
auch einen erbrechtlichen Schwerpunkt hatten, denn
Bücher galten als wertvoller Familienbesitz und wurden
daher teilweise zum unverkäuflichen Bestand des Fami
lienvermögens gezählt.94 Zum anderen zogen Leser vor dem Hintergrund der bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts von der Medi
zin vertretenen humoralpathologischen Krankheitskon
zepte eine Ansteckungsgefahr durch Bücher kaum in Betracht, es sei denn, die Bände stammten aus dem un mittelbaren Gebrauch siecher Personen. Dann hielt man auch damals eine ansteckende Wirkung jedenfalls
für denkbar. Von solchen Überlegungen etwa war die zur Zeit der großen Cholera-Epidemien um 1830 ange ordnete Desinfektion von Postsendungen, Briefen zu
mal, mit heißem Dampf und dergleichen getragen.95 93 Einen guten Eindruck vom elitären Charakter des privaten Buchbe sitzes vermittelt die Darstellung von Bu^as, Deutsche Bibliotheksge schichte der Neuzeit, S. 85-106, siehe auch Chartier, Der Lesezirkel, S. 184-192. ' 94 Vgl. den beiläufigen Hinweis bei Bogeng, Umriss einer Fachkunde für Büchersammler, Nr. 421, sowie die Ausführungen »De iure bibliothecarum ratione actuum ultimae voluntatis« bei Berckelman, De jure bibliothecarum, Caput III und Struve, De iure bibliothecarum, S. 27-42. 95 Vgl. beispielhaft § 26 der Anweisung vom 13. Juni 1831 der Preußischen Verwaltung zu Königsberg an die örtlichen Postgrenzsta tionen: »Alle Briefe und andere Papiere, welche nicht sichern Bewei sen zufolge aus einer von der Cholera völlig freien, sondern aus einer verdächtigen oder anerkannt inficirten Gegend kommen, müssen Behufs ihrer Reinigung geräuchert werden.«, zitiert nach: Lauer, Rez. K. F. Meyer, Disinfected Mail, Holton 1962, in: Sudhoffs Archiv 47 (1963), S. 501.
46
5.1 Seuchenpost
Die Seuchen- oder Desinfektionspost, ein Sammel- und
Forschungsgebiet der so genannten Vorphilatelie,96 ei ner etwas randständigen medienhistorischen Hilfswis
senschaft,97 ist eines der frühen Beispiele für die Annah me einer Übertragung von Krankheiten durch kursie
rende papierene Informationsträger. Vom medizini
schen Standpunkt aus betrachtet, waren die damaligen Maßnahmen übrigens sinnlos, denn die Cholera wird
nicht durch Papier, sondern durch unsauberes Trink wasser übertragen.98 Die Praxis der Seuchenpost war
gleichwohl ein Vorgeschmack auf eine unter Bibliothe
96 Vgl. Häger, Großes Lexikon der Philatelie, Bd. 1, S. 191 (Art. »Des infizierte Post«); K. F. Meyer, Disinfected Mail, Holton 1962 sowie Klaus Meyer, Desinfizierte Post, in: Postgeschichte und Altbriefkunde 89 (1987), S. 1-15, sowie Grüntcffg/Mehlhom, Robert Koch, S. 55-65. 97 Krqys, Art. »Library Historiography«, in: Encyclopedia of Library and Information Sciences, Bd. 15, S. 300 etwa zählt die Philatelie zu den Hilfswissenschaften der Bibliotheksgeschichte, allerdings nur, so weit es um ihre Motivik geht. Allgemein zum wissenschaftlichen Sta tus der Briefmarkenkunde Bender, Gedanken zum wissenschaftlichen Charakter der Philatelie, in: Jahrbuch der Deutschen Bundespost 29 (1978), S. 295-375. Zur kommunikativen und literarischen Funktion des Briefs in Zeiten der Cholera vgl. Briese, Angst in den Zeiten der Cholera, Bd. 3, S. 7-21. 98 Vgl. Hacker, Menschen, Seuchen und Mikroben, S. 34; Vasold, Pest, Not und schwere Plagen, S. 15. In der Folgezeit wurden flächige Desinfektionsmaßnahmen im Postverkehr aufgegeben, vgl. die Mel dung über den Verzicht auf eine periodische Desinfektion von Post säcken in Belgien, in: Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes 26 (1902), S. 877, sowie Mitten^weig, Die Bakterien-Aetiologie der Infections-Krankheiten, S. 119: »Desinfection von ... Postbeuteln ist überflüssig.« Als hygienische Maßnahmen wurden in der Folgezeit aber regelmäßige Entstaubungen der Postsäcke durchgeführt, vgl. Handwörterbuch des Postwesens, S. 136 (Art. »Beutelschüttelwerk«) sowie im Publikumsverkehr die Femsprecheinrichtungen gereinigt, eben dort, S. 623 (Art. »Tuberkulosefürsorge«).
47
karen in der Zeit zwischen 1885 und dem Ersten Welt
krieg recht intensiv geführte Diskussion." 5.2 Die Bibliothek als Desinfektionsanstalt
Was war geschehen? Als Folge einer breit angelegten Alphabetisierung konnten weite Teile der Bevölkerung,
Angehörige der Unterschicht zumal, plötzhch lesen.
Wohlfeilen Lesestoff stellten Leihbüchereien unter schiedlichster Träger bereit. Die Nutzerschaft war
gesellschaftlich durchaus gemischt,99 100 denn in diesen Leihbüchereien zirkulierte die für viele Leser, auch der
besseren Kreise, attraktive Trivialliteratur.101 Hygienisch sah man hier zunächst kein Problem.
Das änderte sich schlagartig, als Robert Koch (18431910) in seinem berühmten, am 24. März 1882 in Berlin über die »Aetiologie der Tuberculose« gehaltenen Vor
trag nachweisen konnte, dass Krankheiten durch Bak
terien verursacht und übertragen werden.102
99 Vgl. Jaeschke, Volksbibliotheken, S. 157-160; Rosé, Die I Leihbib liotheken bei Epidemien und ansteckenden Krankheiten, 1890. 100 Vgl. Schneider, Art. »Leser/in«, in: EnzN Bd. 7, Sp. 853. 101 Vgl. Bu^as, Deutsche Bibliotheksgeschichte der Neuzeit, S. 110. 102 Vgl. DeKnrif, Mikrobenjäger, S. 122 f.; Mochmann/Köhler, Meilenstei ne der Bakteriologie, S. 115-126. Die Infektiosität des Milzbranderre gers hatte Koch schon 1876 entdeckt, vgl. Schön, Bakterien, S. 103-105.
48
liEHIJXEK
«SSiä«
KLIMX(’HE WK’HENSCHÜIFT. OriM f«r jrartWir A2° Vgl. ¿ie ausführlich dokumentierte Untersuchung von Mitulescu, Beiträge zur Aetiologie der Tuberculose, in: Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten 44 (1903), S. 401-406 an Büchern aus Ber liner Volksbibliotheken. 121 Vgl. Greve, Das Problem der Bücher- und Lesehallen, S. 254 f.; Uon, Untersuchungen über den Keimgehalt und die Desinfection be nutzter Bücher, S. 24 f: »Obgleich nun der Keimgehalt gebrauchter Bücher ... ziemlich gering ist, so wäre das Zustandekommen einer In fektion durch Bücher theoretisch nicht in Abrede zu stellen.« Uon rät dennoch, wohl aus der bakteriologischen Euphorie der Zeit heraus, zu einer umfassenden Desinfektion zurückgegebener Bücher in Leihbib liotheken. 122 So geht etwa Bansa, Art. »Desinfektion«, in: LGB2 Bd. 2, S. 254 f. nur noch auf buchkonservatorische Fragen der Schimmelbekämpfung ein. 123 Vgl. Gelderblom, Die Krankenhausbücherei, S. 624; Rjtemer, Mikroor ganismen in abgegriffenen Bibliotheksbüchern und auf Geldscheinen, in: Das Papier 8 (1954), S. 279 f.; Schmidt, Einrichtung und Organisa tion einer Krankenhausbücherei, S. 106 f. 124 Vgl Daschner, Bibliotheksbücher als Krankheitsherd, in: Die neue Bücherei 1992, S. 475 f.; Richtlinien für Öffentliche Krankenhausbibliotheken, S. 16 f.
55
Medien, die auf Quarantänestationen zum Einsatz kom men.125 6. Seuchenrechtliche Fragen
Auch wenn seuchenhygienische Fragestellungen aus dem Alltag der Bibliotheksbenutzung mittlerweile weit
gehend verschwunden sind,126 die dahinter stehende
Problematik hat sich damit nicht erledigt. In den Me
dien etwa erfährt man immer wieder von Briefen, die
mit Milzbranderregern kontaminiert wurden,127 mit töd
licher Wirkung für ihre Empfänger. Papier kann also durchaus gefährliche Erreger transportieren. Von daher ist es nicht völlig abwegig, wenn auch noch nach dem
Zweiten Weltkrieg einige Bibliotheken ansteckende
Krankheiten in ihren Benutzungsordnungen thema tisieren.128 Ein Beispiel hierfür bietet § 23 Abs. 10 Allge
meine Benützungsordnung [sic!] der Bayerischen Staat lichen Bibliotheken (ABOB) vom 30. November 1966:
125 vgl. Richtlinien für Öffentliche Krankenhaushibliotheken, S. 14: »... in den Infektionsabteilungen ... ist ein eigener ... Buchbestand ... zu schaffen, der auf diesen Stationen verbleibt und dauernd erneuert werden muss.« 126 Eine neuere Untersuchung hat Hermann, Zur Frage der Desin fektion bzw. Sterilisation von Büchern : Untersuchung alter Bücher in öffentlichen Büchereien auf Pilze, 1969 vorgelegt. Siehe auch Daschner, Bibliotheksbücher als Krankheitsherd, in: Die neue Bücherei 1992, S. 475 f. 127 Vg| Hacker, Menschen, Seuchen und Mikroben, S. 8,108. 128 Hiller, Ueber die Infektionsgefahr durch Bücher und die Desin fektion von Büchern, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 26 (1909), S. 199 hat die Berücksichtigung ansteckender Krankheiten in den Be nutzungsordnungen ausdrücklich gefordert.
56
»Der Entleiher hat, wenn in seiner Wohnung eine übertragbare
Krankheit im Sinne des § 3 Bundes-Seuchengesetzes vom 18. Juli 1961 (BGBl. IS. 1012) in derjeweils geltenden Fassung ausge
brochen ist, hiervon der Bibliothek Mitteilung zu machen und die entliehenen Werke ^urück^ugeben. Die Bibliothek kann nach
ihrer Wahl Desinfizierung der Bücher auf Kosten des Benützers verlangen oder die Bücher auf dessen Kosten desinfizieren las sen.«™ Eine vergleichbare Regelung findet sich für die evan
gelisch-kirchlichen Bibliotheken in § 7 Nr. 3 der Ord nung für die Benutzung kirchlicher Bibhotheken vom
15. April 1965, die vom Nutzer verlangt, »entliehene Bü
cher auf seine Kosten zff desinfizieren, wenn in seiner Wohnung eine desinfektionspflichtige Krankheit ausgebrochen ist.«™
Die genannten Vorschriften sind freilich schon älteren
Datums und heute in dieser Form nicht mehr in Kraft. Die Allgemeine Benützungsordnung [sic!] der Bayeri
schen Staatlichen Bibliotheken (ABOB) etwa hat in der aktuellen Fassung vom 18. August 1993 auf ihre seu chenrechtlichen Bestimmungen verzichtet.
Umso mehr wundert man sich, in der Benutzungsord nung der Bibliothek der Pädagogischen Hochschule* 129Jahrbuch der Deutschen Bibliotheken 42 (1967), S. 440-455. 130 Richtlinien der Evangelischen Kirche in Deutschland gern. Art. 9 Buchstahe f der Grundordnung betreffend die Ordnung für die Benutzung kirchlicher Biblio theken (Benutzungsordnung) vom 15. April 1965, in: Lansky, Bibliotheks rechtliche Vorschriften, 2. Aufl., Nr. 590.
57
Freiburg vom 25. Januar 2012 in § 7 Abs. 11 diesen
Passus zu finden:
»Die Ausleihenden haben, wenn in derjeweiligen Wohnung eine
übertragbare Krankheit im Sinne von § 6 Infektionsschutz; gesetff' in derjeweils geltenden Fassung auftritt, hiervon der Bib
liothek umgehend Mitteilung Z“ machen. Die Bibliothek kann nach ihrer Wahl vor der Rückgabe von Bibliotheksmedien aus ei ner infizierten Wohnung eine Desinfizierung auf Kosten der Aus leibenden verlangen oder die Bücher auf deren Kosten desinfizieren
lassen«
Aber nicht nur in einer wissenschaftlichen Bibliothek,
vor allem in den Öffentlichen Bibliotheken finden sich — vor dem Hintergrund der früheren Kritik an der un
hygienischen Leihbücherei verständlich — auch heute noch vielfach seuchenbezogene Vorschriften.131 132
So hat kurz vor dem Erlass der neuen Freiburger Benut zungsordnung auch die Stadtbibliothek in Fürstenwalde/Spree neue Benutzungsbestimmungen erhalten.
In § 7 ihrer Benutzungsordnung vom 14. April 2011 wird wie in Freiburg eine Desinfektionspflicht für ver
seuchte Bücher angeordnet, ohne jedoch die Frage der
131 Das Infektionsschutzgesetz hat im Jahr 2000 das Bundes-Seuchen gesetz abgelöst. 132 Ein Grund dafür mag in dem von Busch, Büchereiverwaltung, S. 91 f. zusammengestellten Musterschema für eine Bibliotheksbenutzungs ordnung zu suchen sein, wo auch eine »Meldepflicht bei Wohnungs wechsel und ansteckenden Krankheiten« vorgesehen ist.
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Kosten explizit zu regeln. Zudem wird bestimmt, dass
Personen, die an einer meldepflichtigen Krankheit nach dem Infektionsschutzgesetz leiden, von der Benutzung
ausgeschlossen werden, wobei in begründeten Einzel fällen Ausnahmen möglich sind. Offenbar gesteht man dem Bibliothekspersonal in Fürstenwalde eine gewisse
seuchenhygienische Kompetenz zu. Auch in anderen Öffentlichen Bibliotheken finden sich
vergleichbare Regelungen, etwa in den Benutzungsvor schriften der Stadtbücherei Hameln133 oder der Stadt
bibliothek Duisburg134. Diese Beispiele ließen sich leicht
vermehren. Angesichts der immer noch recht häufig zu findenden
»Seuchenklauseln« in den Benutzungsordnungen insbe 133 Vgl. Punkt 6.4 der Benutzungsordnung für die Stadtbücherei Hameln'. »Büchereikunden, in deren Wohnung eine meldepflichtige übertrag bare Krankheit auftritt, dürfen die Stadtbücherei während der Zeit der Ansteckungsgefahr nicht benutzen. Bereits entliehene Medien dürfen erst nach der Desinfektion, für die der Büchereikunde verantwortlich ist und die er nachzuweisen hat, zurückgebracht werden. Die Stadtbü cherei ist zu verständigen.» 134 Vgl. § 6 Abs. 6 der Benutzungsordnung der Stadtbibliothek Duisburg vom 2. Oktober 1989: »Benutzer, die an einer übertragbaren Krankheit i. S. des Bundesseuchengesetzes in der jeweils gültigen Fassung, zuletzt be kanntgemacht durch Gesetz vom 18.12.79 (BGBl. I S. 2262, ber. BGBl. I 1980 S. 151), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.06.85 (BGBl. I S. 1254), leiden oder mit Personen Zusammenleben, die an einer solchen Krankheit leiden, dürfen die Stadtbibliothek während der Zeit der Ansteckungsgefahr nicht benutzen. Die bereits entliehe nen bzw. gemieteten Medieneinheiten dürfen erst nach der Desinfek tion, für die der Benutzer verantwortlich ist, zurückgebracht werden. Für die dadurch verursachten Leih- und Mietfristüberschreitungen stellt die Stadtbibliothek den Benutzer von Entgelten frei, sofern er unverzüglich die Desinfektion anzeigt. «
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sondere der Öffentlichen Bibliotheken stellt man mit
einer gewissen Verwunderung fest, dass die Benut zungsordnung der Bibliothek des Berliner RobertKoch-Instituts, deren Bücher sich wie bei keiner an
deren Bibliothek in Deutschland in räumlicher Nähe zu hochgradig infektiösen Krankheitserregern befinden,
spezifisch seuchenbezogene Regelungen nicht kennt.
Das ist kein Ausdruck professioneller Coolness abge brühter Epidemiologen, sondern schlicht sachgerecht, denn auf seuchenrechtliche Vorschriften kann man im
Benutzungsrecht von Bibliotheken getrost verzichten.135
Richtigerweise wird auch in der in jeder Hinsicht sehr gründlichen Arbeit von Hildebert Kirchner (1920-2012)
und Rosa Maria Wendt über Bibliotheksbenutzungsord nungen dieses Problem als nicht mehr relevant bezeich
net.136 Soweit nämlich ein Bedürfnis besteht, Gefahren durch
ansteckende Krankheiten vom Bibliotheksbetrieb abzu wehren, kommt das Infektionsschutzgesetz (IfSG) zur Anwendung. Zuständig sind dabei nicht die Bibliothe
ken, sondern die jeweiligen Gesundheitsbehörden. Sie können die notwendigen bibliotheksrelevanten Maß nahmen ergreifen. Wenn beispielsweise Bibliotheksbü
cher mit Krankheitserregern verseucht sind, was ja bei hoch ansteckenden Krankheiten nicht resdos ausge 135 So zutreffend auch Deyhle, Benutzungsordnungen für Öffentliche Bibliotheken, S. 42 f. 136 Vgl. Kirchner/ Wendt, Bibliotheksbenutzungsordnungen, S. 31.
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schlossen werden kann, so wird nach § 17 IfSG die Desinfektion oder auch die Vernichtung dieser Bücher angeordnet.137 Erkrankte Bibliothekare können mit
einem Berufsverbot belegt, infizierte Personen isoliert
werden, was natürlich zu einem faktischen Ausschluss von der weiteren Bibliotheksbenutzung führt. In ganz
besonders gelagerten Fällen schließlich werden Biblio theken wie andere öffentliche Einrichtungen auch ge
schlossen.138
Bibliotheksrechtlich interessant sind im Seuchenfall frei lich die Fälle, in denen durch Maßnahmen nach § 17
IfSG Schäden an ausgeliehenen Büchern und Medien
entstehen. Hier stellt sich die Frage der Haftung.
Grundsätzlich gilt nach § 69 IfSG, dass die öffentliche Hand für die Kosten einer Desinfektion aufkommt, so
137 § 17 IfSG lautet: »Wenn Gegenstände mit meldepflichtigen Krank heitserregern behaftet sind oder wenn das anzunehmen ist und da durch eine Verbreitung der Krankheit zu befurchten ist, hat die zu ständige Behörde die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der hierdurch drohenden Gefahren zu treffen. Wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen, kann die Vernichtung von Gegenständen angeord net werden. Sie kann auch angeordnet werden, wenn andere Maßnah men im Verhältnis zum Wert der Gegenstände zu kostspielig sind, es sei denn, dass derjenige, der ein Recht an diesem Gegenstand oder die tatsächliche Gewalt darüber hat, widerspricht und auch die höheren Kosten übernimmt. Müssen Gegenstände entseucht, von Gesund heitsschädlingen befreit oder vernichtet werden, so kann ihre Benut zung und die Benutzung der Räume und Grundstücke, in denen oder auf denen sie sich befinden, untersagt werden, bis die Maßnahme durchgeführt ist.« 138 G'zwe, Das Problem der Bücher- und Lesehallen, S. 256 berichtet von der Schließung der Bibliothek in Zittau wegen Masern und Röteln in den Jahren 1903 und 1904.
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weit nichts anderes gesetzlich bestimmt ist.139 An dieser Stelle könnte sich tatsächlich durch eine Kostentra
gungspflicht in der Benutzungsordnung einer Bibliothek etwas anderes ergeben.140 Allerdings fragt es sich schon,
warum etwa die Pädagogische Hochschule Freiburg ein
Interesse an der Schonung fremder öffentlicher Kassen zu Lasten ihrer Nutzer haben sollte? Zudem kann zweifelhaft sein, ob eine pauschale Abwälzung der Kosten auf den Nutzer seuchenrechdich überhaupt zu
lässig ist, da durchaus die Gefahr besteht, dass mit Blick
auf die drohenden Kosten eine ansteckende Krankheit nicht angezeigt wird, ein Ergebnis, dass durch die
grundsätzliche Kostentragungspflicht der öffentlichen Hand, wie sie in § 69 IfSG vorgesehen ist, ja gerade ver
hindert werden soll.141
Ein anderes bibliotheksrechtliches Problem stellt der Schadensersatz bei Vernichtung eines verseuchten Buches dar. Normalerweise wird hierfür nach § 65 IfSG
139 § 69 IfSG lautet: »Die Kosten für die Maßnahmen nach § 17 Abs. 1, auch in Verbindung mit Absatz 3, soweit sie von der zuständigen Behörde angeordnet worden sind und die Notwendigkeit der Maß nahmen nicht vorsätzlich herbeigeführt wurde, sind aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten, soweit nicht auf Grund anderweitiger gesetz licher Vorschriften oder auf Grund Vertrages Dritte zur Kostentra gung verpflichtet sind.« Dazu üales/Baumann/Schnitzler, Infektions schutzgesetz, § 69, Rn. 4: Es soll verhindert werden, dass aus falsch verstandener »Sparsamkeit« erforderliche Desinfektionen unterblei ben. 140 Nach Schumacher/Meyn, Bundes-Seuchengesetz, S. 164 ist hier wohl eher an die Kostentragung durch eine Versicherung zu denken. 141 Vgl. lbales/ Baumann/Schnitzler, Infektionsschutzgesetz, § 69, Rn. 1.
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kein Ersatz geleistet,142 da nach allgemeinen polizeirech tlichen Grundsätzen die erkrankte Person als Störer Eingriffe in ihr Eigentum dulden muss.143 Ein Biblio theksbuch aber gehört dem erkrankten Entleiher nicht. Die Lösung dieser interessanten haftungsrechtlichen Frage, die es natürlich gibt, soll uns in dieser Abhand
lung aber nicht mehr weiter beschäftigen. Wir können an dieser Stelle festhalten, dass unabhängig davon, ob die Bibliotheken es in ihrem Benutzungsrecht
regeln oder nicht, ausgeliehene Bücher seuchenrecht
lichen Maßnahmen unterfallen können, wenn der Leser
an einer meldepflichtigen Erkrankung im Sinne des In fektionsschutzgesetzes leidet. Damit bleiben Seuchen und andere ansteckende Krankheiten auch heute noch
ein Thema für den Benutzungsbetrieb von Bibliothe ken, wenn auch glücklicherweise ein nicht mehr beson
ders relevantes.
142 § 65 IfSG lautet: »Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur un wesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird, ist eine Entschädi gung in Geld zu leisten; eine Entschädigung erhält jedoch nicht der jenige, dessen Gegenstände mit Krankheitserregern oder mit Gesund heitsschädlingen als vermutlichen Überträgern solcher Krankheitser reger behaftet oder dessen verdächtig sind.« 143 Vgl. Rates/Raumann/Schnitzler, Infektionsschutzgesetz, § 65, Rn. 1.
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7. Die Mikrobiologie des Buches
Der Umstand, dass Seuchen und ansteckende Krank heiten im Alltag von Bibliotheken praktisch bedeu
tungslos sind, ist allerdings nur die halbe, für die unein geweihte Öffentlichkeit bestimmte Wahrheit. In Wirk
lichkeit nämlich sind Bibliotheken, vor allem große wissenschaftliche Bibliotheken mit Altbeständen, in
mikrobiologischer Hinsicht überaus aktive Orte.144
Dabei werden weniger die Leserinnen und Leser, als vielmehr die Bücher selbst von Mikroorganismen besiedelt, infiziert und in letzter Konsequenz sogar zer
stört.145 Mittelbar sind davon natürlich auch die Men schen betroffen, die mit diesen Büchern in Berührung kommen. Da der Altbestand als Folge der zunehmen den Digitalisierung nur noch selten im Original konsul
tiert wird, sind die gesundheitlichen Risiken für Biblio
theksnutzer jedenfalls gering.146 Für Bibliotheksmitar
beiter gilt das freilich nicht.
144 Sehr plastisch Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Biblio theken und Archiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 41: »... mag sich manchmal der Gedanke aufdrängen, Bibliotheken und Archive seien riesige Anhäufungen potentieller Nahrungsmittel für Mikroorganismen. Das ist etwas kraß ausgedrückt, aber es entspricht den Tatsachen.«, sowie ebendort, S. 44: »Es darf als sicher ange nommen werden, daß die Luft fast aller Bibliotheken und Archive rei cher an Keimen buchbewohnender Mikroorganismen ist als die Luft in anderen Gebäuden.« 145 Vgl. Kowalik., Some Aspects of Microbiology of Paper and Parchment, S. 61-83. 146 Siehe aber Schwär^ Mörderische Lektüre lauert im Archiv, in: Schwäbisches Tagblatt vom 8. August 1995.
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Wenn von der Mikrobiologie des Buches die Rede ist, sind vor allem zwei Arten von Mikroorganismen ange
sprochen, nämlich die umgangssprachlich so genannten
Schimmelpilze sowie Bakterien.147 Beide mögen Bücher wegen der organischen Materialien,
aus denen sie bestehen und die ihnen als willkommene Nahrungsquelle dienen. Nicht nur die Cellulose des Pa piers, auch aus Knochen hergestellter Leim, Buchein
bände aus Leder oder das als Beschreib- und Einband stoff gleichermaßen Verwendung findende Pergament sind ganz nach ihrem Geschmack.148 Vor allem die Pilze
erfüllen hier eine ökologisch eigentlich wichtige, bei Bü chern jedoch höchst unerwünschte Funktion: Sie bauen totes organisches Material ab, um es dem Stoffkreislauf
wieder zurückzugeben.149 Pilze oder ihre Sporen sind
daher als Bioaerosole allgegenwärtig.150 Stimmen die Umweltbedingungen, grob gesagt also eine Temperatur
ab 18 bis 20 Grad Celsius und eine relative Luft
147 Vgl. Krempl-Lamprecht, Pergament und Papier als Träger verschie dener Mikroorganismengesellschaften, in: Archivalische Zeitschrift 62 (196(»,S. 131-137. 148 Vgl. Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Bibliotheken und Archiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 33-41. 149 Vgl. Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Bibliotheken und Archiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 32 f.; Klot^ lehrendes, Schimmelpilzbefall in Bibliotheken, in: Bibliotheksdienst 34 (2(KIO), S. 47 f. 150 Vgl. Neuheuser, Gesundheitsvorsorge gegen Schimmelpilz-Kontami nation in Archiv, Bibliothek, Museum und Verwaltung, in: Bibliothek: Forschung und Praxis 20 (1996), S. 198.
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feuchtigkeit von über 65%,151 dann erwachen die Spo
ren der meisten papierbesiedelnden Arten zu neuem Le ben, und der Pilz blüht auf. Er beginnt das Papier anzugreifen und dessen Cellulose
ketten zu verstoffwechseln.
Cellulose
Unter optimalen Bedingungen werden so jährlich 20 % des befallenen Materials zerstört.152 Das Buch verwest regelrecht. Die auf Büchern und Papier siedelnden Pilze
gehören gut 15 verschiedenen Arten an.153 Bakterien 151 In der Literatur finden sich sehr unterschiedliche Werte, so wollen Bansa, Art. »Schimmel«, in: LGB2 Bd. 6, S. 543 und Ewald, Mikroorga nismen als Schädlinge in Bibliotheken und Archiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 75 f. noch 70% bzw. 65% relative Luft feuchtigkeit akzeptieren, während allgemein bereits 55% als Ober grenze angenommen werden, vgl. Klot^-Behrendes, Schimmelpilzbefall in Bibliotheken, in: Bibliotheksdienst 34 (2000), S. 51. Entscheidend ist hier freilich immer noch die Raumtemperatur, die Bansa, a.a.O. mit 25° C und höher angibt. 152 Vgl. Neuheuser, Gesundheitsvorsorge gegen Schimmelpilz-Kontami nation in Archiv, Bibliothek, Museum und Verwaltung, in: Bibliothek: Forschung und Praxis 20 (1996), S. 196. 153 Vgl. die Liste auf S. 103, sowie Walther, Bibliotheken und Archive: (K)ein Platz für Schimmelpilze, S. 11. Allerdings ist das Spektrum der möglichen Arten noch erheblich größer, siehe nur die umfangreiche, aber nicht abschließende Aufstellung bei Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Bibliotheken und Archiven, in: Bibliothek und Wissen schaft 5 (1966), S. 104-112. Klot^-Behrendes, Schimmelpilzbefall in Bib-
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sind demgegenüber, sieht man von einigen wenigen
Cytophaga-Arten einmal ab,154155 auf Büchern eher selten
zu finden. Ihr Schlaraffenland ist das Pergament. Hier ist vor allem Serratia marcescens,xii auch Racterium prodigi-
osum genannt, bemerkenswert, das Prodigiosin ausschei det, einen roten Farbstoff, der den Eindruck erzeugt, das Buch blute.156 Auf Hostien ist Prodigiosin die natür
liche Ursache vieler mittelalterlicher Wunderberichte.157 Vom infektiösen Standpunkt aus betrachtet, ist dieses
Bakterium übrigens weitgehend harmlos.
Serratia marcescens
liotheken, in: Bibliotheksdienst 34 (2000), S. 48 spricht von rund 200 bibliotheksrelevanten Arten. im Vgl. Lexikon der Biologe, Bd. 2, S. 352 (Art. »Cytophagales«). 155 Vgl. Lexikon der Biologe, Bd. 7, S. 411 (Art. »Serratia«). 156 Vgl. Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Bibliotheken und Archiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 23. 157 Vgl. Carolin Walker Byniim, Wonderful Blood, S. 287, Anm. 17; Köhler, Blutwunder und Wunderblutbakterien, S. 49-74; Schwegler, Klei nes Lexikon der Vorzeichen und Wunder, S. 71 (Art. »Hostien wunder«); Winkle, Geisseln der Menschheit, S. 1067-1080.
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Das lässt sich leider nicht von allen Mikroorganismen
behaupten, die Bücher und Papier befallen. Nachfol gend wollen wir uns, obwohl diese Lebensform nicht mehr zum klassischen Seuchenthema im engeren Sinn
gehört, auf Pilze und die von ihnen ausgelösten Krank heiten beschränken. Für den Menschen lassen sich hier drei Gefährdungsszenarien unterscheiden, nämlich die
Mykose, die Infektion mit dem Pilz selbst, der dann den
menschlichen Organismus besiedelt,158 die Mykoallergose, also eine allergische Reaktion auf Sporen oder
Pilzteile,159 sowie die Mykotoxikose, die Vergiftung durch Stoffwechselprodukte des Pilzes.160
Glaubt man Teilen der Literatur, sollen Mykotoxine in
Büchern im Gegensatz etwa zu verschimmelten Lebens mitteln nicht vorkommen,161 für das nierenschädigende
Ochratoxin wird dies aber bestritten.162
158 Vgl. Lexikon der Biologie, Bd. 6, S. 84 (Art. »Mykose«). 159 Vgl. Lexikon der Biologie, Bd. 1, S. 113 (Art. »Allergosen«). 160 Vgl. Klot^-Behrendes, Schimmelpilzbefall in Bibliotheken, in: Biblio theksdienst 34 (2000), S. 51-53; Lexikon der Biologie, Bd. 6, S. 84 (Art. »Mykotoxikosen«); Schön, Pilze, S. 76-80. 161 Vgl. Klot^-Behrendes, Schimmelpilzbefall in Bibliotheken, in: Biblio theksdienst 34 (2000), S. 52, anders aber Walther, Bibliotheken und Ar chive: (K)ein Platz für Schimmelpilze, S. 16. 162 Explizit Bezug nehmend auf alte Gräber und alte Bücher gleicher maßen Keller/ Geberth, Praxis der Nephrologie, S. 177.
c
Aspergillus fumigatus (Kann Aspergillose verursachen.)
Pilzinfektionen, also Mykosen durch verschimmelte Bü cher sind da schon wahrscheinlicher. Nutzer mit einem
angegriffenen Immunsystem können hier an so genann ten systemischen Mykosen erkranken, etwa an einer Aspergillose,163 die schwer therapierbar ist; ein tödlicher
Verlauf ist oft die Regel.164 Glücklicherweise kommen solche Mykosen nur sehr selten vor. Das gilt leider nicht
für unangenehme Entzündungen, die entstehen, wenn man sich bei der Lektüre mit pilzverseuchten Fingern
seine müden Augen reibt.165 Vor allem Archivare ken 163 Befallen wird meist die Lunge, vgl. Lexikon der Biologie, Art. »Asper gillose«, Bd. 1, S. 265; Walther, Bibliotheken und Archive: (K)ein Platz für Schimmelpilze, S. 15, aber auch die Nasennebenhöhle, vgl. Frössel, Schimmelpilze in Wohnungen : das Lexikon, S. 39 (Art. »Aspergillom«). Nach Lrössel, a.a.O., S. 40 (Art. »Aspergillus spp.«) kann es bei Befall der Lunge zu Bluthusten kommen. 164 Vgl. Mims et al., Medizinische Mikrobiologie - Infektiologie, S. 45, 654 f.; Schön, Pilze, S. 63. 165 Vgl. Kowalik, Paper and Parchment deteriorating fungi pathogenic to man, S. 85.
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nen das Problem aus — im wahrsten Sinne des Wortes —
eigener »Anschauung«.166
Das häufigste gesundheitliche Problem, das verpilzte Bücher verursachen, stellen aber allergische Reaktionen dar. Betroffen davon sind, wie gesagt, weniger Nutzer
innen und Nutzer der Bibliothek, als vielmehr die Bib
liothekare.167 Arbeitsschutzrechtliche Vorschriften sol len hier gesundheitliche Beeinträchtigungen verhin dern.168 So sind Dauerarbeitsplätze im Magazinbereich
nicht zulässig, und bei der Reinigung offenkundig von Schimmel befallener Bücher müssen besondere Schutz maßnahmen beachtet werden. War die Ansteckungs
gefahr durch bakteriell verseuchte Bücher für die Biblio
theksnutzer in der Rückschau eher ein Scheinproblem, ist das Gesundheitsrisiko, das von verschimmelten Bü
chern ausgeht, durchaus ernst zu nehmen. Dass Biblio theken in den Benutzungsordnungen regelmäßig ihre Haftung aus dem Benutzungsverhältnis auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränken, kann in Erkran
kungen durch mikrobiologisch geschädigte Bücher übri
166 Vgl. Walther, Bibliotheken und Archive: (K)ein Platz für Schimmel pilze, S. 15. 167 Vgl. Neuheuser et al., Gesundheitsvorsorge in Archiven, in: Der Archivar 47 (1994), S. 124 f. 168 Vgi Glauert, Empfehlungen zum Umgang mit schimmelbefallenem Archivgut, S. 73-89; Walther, Bibliotheken und Archive: (K)ein Platz für Schimmelpilze, S. 2-5.
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gens einen wenig beachteten, gleichwohl aber nicht un
wichtigen Anwendungsfall haben.169
Wenn man nicht aufpasst, hat die Lektüre in alten Texten also unangenehme Nebenwirkungen. Schon
beim bloßen Umwenden der Seiten kann allergenes Ma terial in die Luft abgegeben werden.170 Der an sich reiz
vollen Überlegung, dass dabei auch psychoaktive Sub
stanzen eine euphorisierende Wirkung auf den Leser ha ben könnten,171 wollen wir an dieser Stelle nicht weiter
nachgehen. Die besondere Begeisterung speziell für alte Bücher dürfte wohl eher in der betörenden leichten
Vanillenote ihren Ursprung haben,172 die bei der che mischen Zersetzung von Papier durch Oxidation und Hydrolyse entsteht.173 Von drei Gefährdungen durch Buchpilze war die Rede. Hinzu tritt, eher indirekt, eine vierte. Um Pilze in
169 Vgl. Neuheuser, Gesundheitsvorsorge gegen Schimmelpilz-Kontami nation in Archiv, Bibliothek, Museum und Verwaltung, in: Bibliothek: Forschung und Praxis 20 (1996), S. 210. 170 Vgl. Neuheuser, Gesundheitsvorsorge gegen Schimmelpilz-Kontami nation in Archiv, Bibliothek, Museum und Verwaltung, in: Bibliothek: Forschung und Praxis 20 (1996), S. 202. 171 Allgemein zu psychoaktiven Pilzen Köhler, Rauschdrogen, S. 83, 114-116. 172 Vgl. Stritt et al, Material Degradomics: On the Smell of Old Books, in: Anal. Chem. 81 (2009), S. 8617: »The aroma of an old book is familar to every user of a traditional library. A combination of grassy notes with a tang of acids and a hint of vanilla over an underlying mustiness, this unmistakable smell is as much part of the book as its contents.« 173 Vgl. hierzu üansa, Papierchemie - einige unentbehrliche Grundbe griffe, S. 1-11.
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Büchern wirksam zu bekämpfen, werden unterschied
liche Methoden eingesetzt. Eine zeitlang gehörte dazu auch die Behandlung von Büchern mit Sublimat, einer pilztötenden,174 aber hochgiftigen Chemikalie,175 mit der früher etwa anatomische Präparate dauerhaft kon
serviert wurden,176 bevor man wegen der Gesundheits
gefahren davon abkam.177 Speziell bei Büchern hat Sub limat die unangenehme Eigenschaft, im Papier zu ver
bleiben. Wenn nun ein Nutzer eine entsprechend be
handelte Seite umblättert, dabei seine Finger befeuchtet und diese wieder zum Mund führt, besteht die ernst
hafte Gefahr einer Vergiftung.178 Wer in der neueren
Belletristik wohlbeschlagen ist, wird hier sogleich an Umberto Ecos Roman »Der Name der Rose« denken — und damit gar nicht falsch liegen.179
174 Vgl. Ullmanns Enzyklopädie der technischen Chemie, Bd. 10, S. 46 (Art. »Desinfektionsmittel«). 175 Vgl. Jaeger, Art. »Sublimat«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 2, S. 400; Ullmann, Enzyklopädie der technischen Chemie, Bd. 8, S. 623 (Art. »Quecksilberverbindungen - Quecksilber chloride«): »0,2-0,4 g töten einen erwachsenen Menschen«. 176 Vgl. Römpp-Chemie-Eexikon, Bd. 9, S. 3740 (Art. »Quecksilberchlori de«). 177 Vgl. Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Bibliotheken und Archiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 60. 178 Ewald, Mikroorganismen als Schädlinge in Bibliotheken und Ar chiven, in: Bibliothek und Wissenschaft 5 (1966), S. 60 fragt daher zu recht: »Darf man ahnungslosen Benutzern solche vergifteten Bücher aushändigen, zumal ja bekannt ist, daß viele Menschen die Ange wohnheit haben, die Finger vor dem Umdrehen der Seiten anzulecken oder sich nicht die Hände waschen, bevor sie essen?« 179 Vgl. Eco, Der Name der Rose, S. 595-601; Kahr, Der Rote Faden, in: Pharmazeutische Zeitung 139 (1994), S. 2608.
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Nur der Vollständigkeit halber sei noch auf tierische
Bücherschädlinge eingegangen. Die Entomologie der Buchinsekten, ein dankbarer Gegenstand für den detail
verliebten Spezialisten,180 lassen wir gleich am Rande lie gen.181 Für unsere Fragestellung allein interessant ist ein Säugetier, die Ratte nämlich.182 Wir hatten bei der tradi tionellen Papierherstellung aus Hadern bereits ihre Be
deutung für die Übertragung der Pest thematisiert. Da ist es beunruhigend, zu wissen, dass Ratten gerne an Bü
chern nagen und auch Bibliotheken bevölkern. Kultur
geschichtlich soll übrigens die Katzenhaltung des Men schen als Maßnahme gegen Ratten und andere schädi
gende Nagetiere ihren Ursprung haben.183 Doch wäre es
vielleicht eine zu weit gehende Behauptung, die innige
Beziehung insbesondere von Bibliothekarinnen zu diesen Tieren sei als seuchengeschichtliches Relikt zu
verstehen.
iso Vgl. den guten Überblick bei Cymonk, Schadinsekten in Büchern, S. 33-59. 181 Hier mag der Hinweis genügen, dass die sog. Bücherlaus (Liposcelis divinatorius, vgl. Lexikon der Biologie, Bd. 7, S. 47 (Art. [»Psocoptera«]) zwar die Bücher selbst nicht schädigt, sondern sich von Schim melpilzen ernährt. Insoweit ist die Bücherlaus ein wichtiger Indikator für mikrobiellen Befall von Bibliotheksgut, vgl. Bansa, Art. »Bücher laus«, in: LGB2 Bd. 2, S. 6 Frössel, Schimmelpilze in Wohnungen : das Lexikon, S. 204 (Art. »Lästlinge - Staubläuse«). Die Bücherlaus selbst wiederum dient dem Bücherskorpion (Chelifer cancroides) als Nahrungsquelle, vgl. Lexikon der Biologie, Bd. 2, S. 153 f. (Art. »Bücherskor pion«). 182 Zu Bibliotheksratten Blades, Die Bücherfeinde, S. 96 f. 183 Vgl. Reichstein, Art. »Ratte - § 2 Zoologisch-Archäologisches«, in: RGA Bd. 24, S. 159.
73
8. Leseseuchen
Lesen und die intensive Beschäftigung mit Büchern gel ten gemeinhin als positiv besetzte Tätigkeiten. Das war
nicht immer so. Im 18. Jahrhundert etwa wurde das im Zuge der Alphabetisierung wachsende Interesse für Bü
cher insbesondere bei Frauen und einfachen Leuten, aber auch bei Heranwachsenden nicht selten scharf kri
tisiert.'84 8.1 Seuchensemantik
Anstoß erregte nicht nur die mit der Lektüre angeblich vergeudete Zeit, sondern auch die Wahl der Lektüre stoffe, die entweder als zu gebildet für die konkrete so
ziale Stellung und damit als Ausgangspunkt für unan ständiges Räsonieren angesehen wurden — man witterte ein offenbar unanständiges Bedürfnis nach Aufstieg durch Lesen und Bildung — oder die man speziell bei den Leserinnen als Flucht in romanhafte Scheinwelten ansah: Die Vernachlässigung familiärer Pflichten, ja un
sittliche Ausschweifungen waren die Folge.'85 Selbst der
große Aufklärungsphilosoph Immanuel Kant (1724-
1804) hat sich solche Lesekritik nicht versagt:*
im Vgi prass, Art. »Lesekultur«, in: EnzN Bd. 7, Sp. 848 f.; Schön, Der Verlust der Sinnlichkeit oder die Verwandlungen des Lesers, S. 46-49; Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 171-199. 185 Vgl. Sailer, Glückseligkeitslehre, Bd. 1, S. 207: »Das Lesen kann be sonders Mädchen gefährlich werden, daß sie besser in ein Musäum als in eine Haushaltung taugen. Was würde aus der Welt werden, wenn das Bürgersweib ... einen gelehrten Aufsatz macht, wo sie ihr Kind waschen und kämmen sollte?«; Tiet^el, Literaturökonomik, S. 132 f.
74
»Das Romanlesen bat außer manchen anderen Verstimmungen des Gemüths auch dieses %ur Folge, daß es die Zerstreuung habi tuell macht. ... und ein sonst guter Kopf kann doch nicht von sieb ablehnen, ein confuser %u beißen.
Dabei ging es gar nicht um das Lesen an sich, gegen Bil dung durch Lektüre hätte Kant sicher nichts einzuwen den gehabt; der seichte, unterhaltsame Lektürestoff war
das Ziel seiner Kritik.186 187
Das Lesepublikum indes blieb davon unbeeindruckt und frönte in wachsendem Maße seinem schönen Zeit
vertreib. Der geradezu unheimliche Aufschwung der
Lesebegeisterung wurde von seinen Gegnern mit star ken Metaphern belegt. Man sprach von einer »Leseseu che«188 und von »Lesepest«189 und nahm damit Bezug
auf kollektive Ängste vor Ansteckungen und Epide mien, die damals ja noch zur lebendigen Erfahrung der
Menschen gehörten. Erinnert sei nur an die verheerende
186 Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. [208]. Kiesgen, Art. »Privatlektüre der Jugend«, in: LexP, Bd. 4, Sp. 55 bezieht sich in seiner Lesekritik ebenfalls auf Kant. 187 Vgl. auch Sailer, Glückseligkeitslehre, Bd. 1, S. 206: »Das Lesen der Romane ... richtet besonders unter jungen Lesern einen Gräuel der Verwüstung an. Sie verbreiten die Seuche der Empfindeiei und Über spannen die Gefühle.« 188 Vgl. von Kotff-Schmising, Literatur und Leser - Leseverbot, Leseer fahrungen und Leseförderung, in: Politische Studien 50 (1999), S. 101; Münch, Universal-Lexikon der Erziehungs- und Unterrichtslehre, Bd. 2, Art. »Lesesucht (Leseuche)«, S. 144-146; Tiet^el, Literaturökonomik, S. 132. 189 Vgl. Wolgast, Das Elend unserer Jugendliteratur, S. 4: »... die Lese wut bricht wie eine Pest über das arme Kind herein.«
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Choleraepidemie um 1830, zu deren prominenten
Opfern auch der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich
Hegel (1770-1831) in BerEn gehört haben soll.190 Aber nicht nur das Lesen wurde als ansteckende und schädHche Krankheit bezeichnet, auch die Bücher selbst wur
den, soweit sie als Schundliteratur galten, wie eine
Krankheit empfunden und eine »Bücherpest« ge nannt.191 Zugegeben sei, dass der bedeutende Auf schwung der Buchproduktion damit durchaus treffend
charakterisiert wurde, sofern man auf die mit einer Epi
demie vergleichbare rein quantitative Zunahme des
Buchangebotes abstellt.192
190 Vgl. die zeitgenössischen Quellen bei Briese, Angst in den Zeiten der Cholera, Bd. 2, S. 298-325. 191 Etwa Winter, P. Nikolaus Joseph Albert von Diessbach S.J., in: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte = Revue d’histoire ecclésiastique suisse 18 (1924), S. 32, einen französischen Text von 1771 in deutscher Übersetzung zitierend: »Dießbach sucht darin nach Mitteln gegen die >Bücherpestbösartige Ausdünstung< [ein Hinweis auf die Miasma-Theorie, Anm. d. Verf.] der schlechten Literatur.« Siehe auch die Polemik von Heinemann, Über die Pest der deutschen IJteratur, 1795, der auf S. 445 zudem eine »Wissenschaftsseuche« kritisiert, die gewissen Praktiken der gegenwärtigen Wissensgesellschaft nicht unähnlich ist. 192 Mit Blick auf die anschwellende Zeitungs-Literatur spricht von Igar, Zeitungsromane, in: Das Magazin für die Litteratur des In- und Aus landes 55 (1886), S. 60 von einer »Epidemie«.
76
8.2 »Bibliothekspolicey«193
Leseseuche und Bücherpest sind mehr als bloße Meta phern. Sie beinhalten einen moralischen Vorwurf und dieser lautet: Lockerung der Sitten durch ausschwei
fende Lektüre schlechter Bücher. Dass die bei diesem
Vorwurf verwendete Seuchensemantik moralisch ver standen wurde und auch so gemeint war, liegt an sehr
alten
Interpretationsmustem
zur
Erklärung
an
steckender Krankheiten, die bis weit in die Frühe Neu
zeit hinein als gerechte Strafe Gottes für sündhaftes Verhalten angesehen wurden.194 Seuche und Sünde wa
ren gewissermaßen zwei Seiten einer Medaille. Da war es konsequent, dass zur Vermeidung von Seuchen auch
explizit moralische Vorschriften erlassen wurden.195
Markant sind hier die so genannten »Aufwandsord nungen«, die wir vor allem in der Frühen Neuzeit fin
den.196 Das sind obrigkeitliche Verhaltensregeln, die ins
besondere den Frauen das Tragen auffälliger Kleidung verboten und allgemein zu Bescheidenheit und Mäßi
gung im öffentlichen Auftreten mahnten.197 193 Der Begriff »Bibliothekspolicey« im Sinne einer alle Aspekte der Bibliotheksnutzung umfassenden Sorge und Einrichtung findet sich etwa bei Dney, Ueber Lesevereine der Geistlichen; deren Zweck, Ein richtung und Leitung, in: ThQ 1840, S. 100, sowie bei Christian Gottlob Voigt (1743-1819) in einem Brief an Goethe vom 25. Novem ber 1798, vgl. Goethes Briefwechsel mit Christian Gottlob Voigt, Bd. 2, S. 106: »Wegen der Bibliothekspolizei will ich die erforderlichen Kon zepte entwerfen«. 194 Vgl. Iseli, Gute Policey, S. 51. 195 Vgl. Iseli, Gute Policey, S. 33 f. 196 Vgl. Klippel, Art. »Aufwandsordnungen«, in: EnzN Bd. 1, Sp. 840844. 197 Vgl. Iseli, Gute Policey, S. 39-43.
77
Einem sich in dieser Weise demütig und gottesfürchtig
zeigenden Gemeinwesen würde, so war die Überlegung,
keine Gefahr durch ansteckende Krankheiten drohen. Moral gehörte in dieser Perspektive gewissermaßen zur
öffentlichen Hygiene.198
Aufwandsordnungen verfolgten freilich noch andere Ziele, denn sie waren Ausdruck einer alle Lebensberei
che umfassenden Staatlichkeit, die nicht nur Sicherheit und Ordnung, sondern auch allgemeine Wohlfahrt und
Glückseligkeit zu erreichen suchte. Wir hatten in Gestalt
der Pestordnungen ein frühes Beispiel obrigkeitlicher Regelungsmacht bereits kennengelernt. Aus Gründen der »guten Policey«, so umschrieb man
die staatlicherseits angestrebte umfassend gute Ordnung des Gemeinwesens begrifflich,199 wurde die Obrigkeit
nicht mehr nur bei Gefahr für Leib und Leben tätig, sondern griff vor allem im 17. und 18. Jahrhundert mit unter sehr detailliert in den Alltag und die persönliche
Lebensführung ihrer Untertanen ein. Theoretisch re
flektiert wurde diese Entwicklung in der »Policeywissenschaft«, einer bunten Mischung aus Verwaltungslehre,
Politik und manch’ anderem.200
198 Vgl. Bulst, Die Pest verstehen, S. 149,157. 199 Vgl. Härter, Art. »Polizei«, in: EnzN Bd. 10, Sp. 170 f. 200 Vgi lieber, Art. »Polizeiwissenschaft«, in: EnzN Bd. 10, Sp. 183 f.
78
Als besonders produktiver Leitbegriff für die verschie
denen policeylichen Bemühungen des Staates hat sich
dabei die Gesundheit erwiesen.201 Sympathisch gerade für den Geist der Aufklärung mag hier die Vernünftig keit des Zieles und die Rationalität der Mittel, es zu er
reichen, gewesen sein. Im Sinne einer Sanitäts- oder Medizinalpolicey wurde die körperliche und seelische Ge sundheit gewissermaßen zur Staatsräson erklärt. Ent
sprechende Überlegungen waren durch ihre Empfeh lungen für eine maßvolle Lebensführung zudem gut an schlussfähig an die überkommene humoralpathologi
sche medizinische Theorie, die ja im Gleichgewicht der
Körpersäfte die Ursache der Gesundheit erblickte. Das Konzept war dabei im weitesten Sinne ganzheitlich, so dass nicht nur physische Faktoren, sondern auch Umweltbedingungen und psychische Zustände mit ein
bezogen wurden.
201 Vgl. Leivn, Geschichte der Medizin, S. 48-50.
79
Von dort aus war es nur ein kleiner Schritt, auch das Le sen und die Wahl der Lektürestoffe zum Gegenstand policeylicher Überlegungen zu machen.202 Gerade der
Konsum schlechter Literatur wurde kritisiert, da er
nicht nur zu einer Lockerung der Sitten, sondern auch zu melancholischer Verstimmung, ja zu einer gesund
heitlichen Beeinträchtigung führen konnte.203 202 Vgl. Frank, System einer vollständigen medicinischen Polizey, Bd. 1, S. 70 f.: : »Nicht die Natur des Weibes, sondern dessen Lebensart hat sich verändert: Das viele Thee und Coffee-Trinken ... und das Blut erhitzende Lesen besonderer Bücher ... Wo man hinsieht, trifft man in allen städtischen Gesellschaften, kleine blasse Gesichter mit breiten blauen Ringen um beide Augen, und entweder aufgedunsene oder ausgemergelte Körper an; welche die Fortpflanzung ihres glei chen gewiß nichts weniger, als erwünschlich machen können.« 203 Vgl. An^ Literatur und Lust, S. 11-16; Sailer, Glückseligkeitslehre, Bd. 1, S. 205: »Schon die Leseseuche ist als Seuche so schädlich als ir
80
Hier muss man wissen, dass man starke Gefühle wie Furcht und Schrecken wegen der durch sie hervorgeru
fenen Imaginationen204 als direkt gesundheitsschädlich ansah.205 Es war daher nicht abwegig, in einem auf wühlenden Buch eine tödliche Gefahr und in unmäßiger
Lektüre eine Krankheitsursache zu vermuten.206 In Zedlers Universallexikon findet sich beispielsweise die
Ansicht, maßloses Lesen verursache Schwindsucht, also Tuberkulose.207 Ähnliche Bedenken, wie sie gegen wähl gendeine; schädlich der Gesundheit, trocknet die Säfte auf [sic!], und spannet die Nerven ab ... schädlich dem Verstände ... dem Herzen ... der frohen Laune ...« 204 Vgl. Schott, Der sympathetische Arzt, S. 28 f., der auf die so ge nannte Imaginationslehre der Medizin des 18. Jahrhunderts hinweist, sowie Baader, Frühneuzeitliche Magie als Theorie der Ansteckung und die Kraft der Imagination, S. 133-151. 205 Vgl. Pulst, Die Pest verstehen, S. 159; Buffie/Sournia, Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit, S. 108: »Angst wurde ... bis ins 19. Jahrhundert hinein noch für eine mögliche Krankheits- und Todesur sache gehalten.« Speziell für die Pest nahm Paracelsus (ca. 1493-1541) an, dass allein die Nachricht ihres Ausbruchs zu einer Ansteckung führe und sich die Seuche auf diesem Wege besonders tückisch aus breite, vgl. Paracelsus, Liber de occulta philosophia, S. 41-43: «... dem andern Bruder ... komme die Bottschafft, wie sein Bruder waere an Peste gestorben, deßwegen entsetzt sich derselbige ... hebt an zu imaginieren ... also kommt die pestis weiter von einem Menschen in den anderen ... nicht wegen der Lufft oder Gestanck ... sondern deß wegen daß man solche Dinge weder sehen noch hoeren moegen auff dass mans nicht ins gemueth fasse.« 206 Noch um 1900 wurde aus hygienischen Gründen vor der aufwüh lenden, den gesunden Schlaf störenden Wirkung gerade des lauten Le sens gewarnt, vgl. Sarasin, Reizbare Maschinen, S. 167. 207 Vgl. Zedier, Großes vollständiges Universal-Lexikon aller Wissen schafften und Künste, Bd. 7, Sp. 207 (Art. »Darrsucht, Darr, Schwind sucht, Schwindung«): »Auch leiden die Lebens-Geister grossen Ab gang bey der Unruhe des Gemüths. Und darff man sich nicht verwun dern, daß diese vermögend ist die Schwindsucht zu verursachen. Denn diejenigen ... allzuviel studieren ... haben schlechten Appetit, können wenig schlaffen, und schlaffen sie noch etwas so träumet ih nen doch lauter wunderliches Zeug, oder wenn auch dieses nicht ist, empfinden sie dennoch wenig Kräffte davon, sie stehen mätter auf, als
81
loses Lesen vorgebracht wurden, galten auch für Thea terstücke, bei denen eine Ansteckung, eine Infektion des
Publikums mit starken Emotionen ja handgreiflich war.208
Dass kleine Vampir-Flügel am Ende des Zeigestocks, den der PestArzt in der Hand hält, zu sehen sind, ist sicher reiner Zufall ...209
Hinzu kamen in allen diesen Fällen aus staatlicher Sicht
natürlich noch politische Vorbehalte gegen manche In
sie sich niederlegten, wenn also alle Instrumental-Theile geschwächet sind, und mehr gute Säffte Weggehen, als wieder dazu kommen, so muß nothwendig die Schwindsucht entstehen.« Siehe auch Boan, Art. »Tuberculosis and Romanticism«, in Encyclopedia of Pestilence, Pandemics, and Plagues, Bd. 2, S. 706. 208 Vgl. Fischer-Lichte, Zuschauen als Ansteckung, S. 35-50. 209 Nur kurz sei darauf hingewiesen, dass bestimmte Phänomene des Vampirismus ebenfalls durch Imagination und Lektüre hervorgerufen werden sollen, vgl. Sailer, Glückseligkeitslehre, Bd. 1, S. 205: »... die Leseseuche ... macht ... Gespenster glaubwürdig.«; Steinhauer, Vampyrologie für Bibliothekare, S. 47. Bulst, Die Pest verstehen, S. 154 macht auf einen interessanten Zusammenhang zwischen Pestaus bruch und Wiedergängerglauben aufmerksam; Walter, Der »Schwarze Tod« und seine Sippe, S. 366 f. weist auf das Pestmptiv in Walter Mumaus Vampirfilm »Nosferatu« hin. Vgl. auch Heiduck, Wieder gänger im Seuchendiskurs, S. 11-33; Lauper, Die »phantastische Seu che«, 2011.
82
halte.210 Dies hat zusammen mit den genannten sanitätspoliceylichen Erwägungen zu ersten speziellen Rechts
vorschriften
für
(gewerbliche)
Leihbüchereien ge
führt.211 Die Anfänge unseres heutigen Bibliotheks rechts liegen nicht, wie man vielleicht denken könnte, in kulturpolitischen Initiativen, sondern in (bibliotheks)po-
liceylichen Regelungen,212 die wiederum als Ausdruck 2,0 Vgl. von Mohl, Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, Bd. 1, S. 597, der aber eine ästhetische Gängelung der Leser strikt ablehnt: »... nur hat der Staat kein Recht, seinen Bürgern blos ernsthafte Bücher aufzunöthigen ...« 2.1 Vgl. Medicus, Art. »Kulturpolizei«, in: Bluntschli/Brater, Deutsches Staats-Wörterbuch, Bd. 6, S. 157. Als Beispiel sei genannt »Verordnung der Ministerien des Innern und der Justiz und der obersten Polizeibehörde vom 5. Mai 1858 ... womit das unbefugte Halten einer 1 Leihbibliothek als eine Vebertretung der Preßordnung erklärt wird«, in: Landes-Regierungsblatt für das Erzherzogthum Oesterreich unter der Enns, Jahrgang 1858 - Erste Abtheilung, S. 172 f. Siehe auch die bei Zeller, Die Gewerbepolizei in den Preußischen Staaten, Erster Theil, S. 82-86 aufgeführten buchund bibliotheksrechtlichen Bestimmungen. 2.2 Die Motive für solche Regelungen stellt ein Preußisches Ministerial-Rescript vom 17. Februar 1826 gut heraus: »Es liegt in den besonderen Verhältnissen des Gegenstandes, daß bei der Ertheilung der polizeilichen Erlaubniß zur Anlegung einer Leihbibliothek nicht allein auf die Qualifikation des Nachsuchenden, sondern auch auf die übrigen Umstände Rücksicht zu nehmen ist, wohin vornämlich auch eine für schädlich zu haltende Vermehrung der vorhandenen Leihbib liotheken und müßiger Ixserei durch dieselben gehört, wie denn auch die so nöthige Aufsicht auf dieselben, durch unnütze Vermehrung derselben erschwert wird und die Concurrenz die Versuchung der Un ternehmer vermehrt, sich durch unsittliche Bücher Zulauf zu ver schaffen.«, abgedruckt bei Zeller, Die Gewerbepolizei in den Preußi schen Staaten, Erster Theil, S. 83 f. Siehe auch Hopfner, Etwas über Lesebibliotheken, I^esegesellschaften politische Schwärmereyen, und Polizeypflicht (1794), abgedruckt bei: Vodosek, Vorformen der Öffentlichen Bibliothek, S. 103, wo auch noch medizinische Aspekte angesprochen werden: »... die ... Ixsegeseilschäften einer Policeyaufsicht zu unterwerfen und dadurch den Umlauf solcher Schriften die, nach der altmodigen Art der Dinge in der Welt angesehen, ... Krankheiten, und wohl gar Gemüthsverwirrungen beförderten, ... zu beschränken oder zu hemmen.« Vgl. demgegenüber aber die schon sehr modern anmutenden Ausführungen bei von Mohl, Die Polizei
83
obrigkeitlicher Sorge um die Wohlfahrt des Gemeinwe
sens zu nicht geringen Teilen auch auf die Pest- und
Seuchenordnungen des Mittelalters zurückgeführt wer den können. 8.3 Sanitätspolizei und Schunddebatte
Die Geburt des Bibliotheksrechts aus dem Geist der
Pestabwehr und Seuchenprophylaxe erlebte mit dem
Aufschwung der Bakteriologie Ende des 19. Jahrhun derts eine neue Plausibilität, als Maßnahmen zur Be
kämpfung von Infektionskrankheiten jetzt explizit Ein
gang in die Benutzungsbestimmungen von Bibliotheken fanden.*213 Anders aber als in der metaphorischen Rede
von »Leseseuche« und »Bücherpest« waren die War
nungen vor dem Büchereibuch nicht allein von der Sor ge um den guten Geschmack oder die Gesundheit der
Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, Bd. 1, S. 596602. 213 Wie in einem Brennglas bündeln zwei Berliner Ereignisse des ersten Halbjahres 1882 diesen Umschwung von der Kulturpolizei zur Medizinalpolizei im engeren Sinn, auf den allgemein auch Jochum, Die Idole der Bibliothekare, S. 119 f. (von der »geistigen Polizei« zur »Ge sundheitspolizei«) hinweist. Mit Urteil vom 14. Juni 1882 (»Kreuzbergurteil)« hat das Preußische Oberverwaltungsgericht (Fundstelle: PrOVG 9, 353) die polizeilichen Befugnisse auf Fragen der Sicherheit und Ordnung begrenzt und damit rein wohlfahrtsstaat lichen Gründen für ein polizeiliches Einschreiten einen Riegel vorge schoben, vgl. Pieroth/Scblinkj Kniesei, Polizei- und Ordnungsrecht, § 1, Rn. 10 f. Wenige Wochen zuvor hatte Robert Koch in einem berühm ten Vortrag am 24. März 1882 bei der Berliner Physiologischen Ge sellschaft über die »Aetiologie der Tuberculose« die Ansteckung durch Bakterien öffentlich bewiesen. Damit war die Grundlage gelegt, öffentlich zugängliche Bibliotheken nun aus naturwissenschaftlich-hy gienischen und nicht mehr aus bloß sittlich-moralischen Gründen zu beaufsichtigen und zu kritisieren.
84
Leser bestimmt,214 es gab auch handfeste ökonomische
Interessen, denen das bakteriologische Zwielicht der
Büchereien durchaus willkommen war. Die Rede ist
vom Buchhandel und den Verlagen. Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig etwa und ihm
nahestehende Kreise nahmen die Sorge um die mögli cherweise krankmachende Wirkung der Lektüre in ge liehenen Büchern zum Ausgangspunkt, um massiv für den Kauf eigener Bücher und gerade bei den wohlha
benden Kreisen für den Aufbau einer eigenen Privatbib liothek zu werben.215 Etwas böswillig könnte man hier
von der medizinischen Variante von Kampagnen wie
»Nur das Original ist legal« und »Raubkopierer sind Verbrecher« sprechen.
Aber auch die Erfüllung der Forderung, Leihbüchereien zu meiden, hat nicht dazu geführt, dass die Lese- und 214 Vgl. Kiesgen, Art. »Privatlektüre der Jugend«, in: LexP, Bd. 4, Sp. 56, der noch 1915 die überkommene Lesekritik des 19. Jahrhunderts wie derholt: »Dazu gesellen sich nicht selten gesundheitliche Schädi gungen, nervöse Störungen, Kurzsichtigkeit u. Rückenverkrümmung. Die Begriffe Verwirrung des Weltbildes, Verwilderung des Gemütes u. endlich gar völlige geistige u. sittliche Verwahrlosung kennzeichnen die Steigerung im Verlaufe der ungeregelten Vielleserei.« 215 Vgl. Jäger, Die deutsche Leihbibliothek im 19. Jahrhundert, in: IASL 2 (1977), S. 126: »Größere Erfolge hatte die Polemik, als sie die Hygiene in den Vordergrund rückte und Ekel vor dem geliehenen Buch erzeugte«; Hartmann, Die Entwicklung der Literatur und der Buchhandel, S. 157 fordert eine Beschränkung der Leihbüchereien »zugunsten des Buchhandels und des Schutzes vor Verschleppung von ansteckenden Krankheiten ... durch gesundheitspolizeiliche Maß regeln«; Martino, Die deutsche Leihbibliothek, S. 571 m.w.N.; ders., Die »Leihbibliotheksfrage«, S. 102; Vodosek, Auf dem Weg zur öffent lichen Literaturversorgung, S. 98, 153-155; Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 253.
85
Lektürekritik nun keinen hygienischen Ansatzpunkt
mehr hätte. War es in der überkommenen humoral pathologischen Lehre die durch aufreizende Lektüre krankmachende Unordnung der Körpersäfte, auf die
lesekritische Stimmen sich beziehen konnten, so war es jetzt um die Jahrhundertwende die »Augenhygiene«, die
eine maßvolle Lektüre rechtfertigen sollte.216
Heute ist das genauso Geschichte wie die bildhafte Rede von Lesepest und Leseseuche, die gegen Schundli
teratur gerichtet war, und nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend verstummt ist. Ob hier aber tatsächlich eine
liberalere Haltung Platz gegriffen oder ob sich die Schunddebatte nur weg von den Büchern auf relevante re, die große Masse der Bevölkerung stärker anspre
chende Medien wie Kino und Fernsehen verlagert hat, mag dahinstehen; in Bezug auf das Internet ist sie jeden
falls noch deutlich vernehmbar.
216 Vgl. Hamburger, Art. »Kurzsichtigkeit«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 1, S. 577-582; ]anke, Art. »Lesen«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 2, S. 40. Inter essant ist in diesem Zusammenhang, dass auch im Rahmen einer ophthalmologischen und damit sachlich-medizinischen Behandlung des Themas gleichwohl noch Raum für die klassische Schmutz- und Schunddebatte geblieben ist. So wird die Lektüre erotisch gefärbter Literatur, wozu sogar die »unverkürzte Bibel« gehören soll, abgelehnt, weil sie zu vermehrter autoerotischer Betätigung und diese wiederum zu Augenleiden führe, vgl. den Abschnitt »Augenleiden bei Ona nisten« bei Cohn, Art. »Augenhygiene«, in: Pfeiffer/Proskauer, Ency klopädie der Hygiene, Bd. 1, S. 61 f.
86
8.4 Pastoralhygienische Aspekte
Im katholischen Biotop waren die Sorge um »das gute Buch« und der aktive Kampf gegen schlechte Literatur
bis weit in die 1970er Jahre hinein noch recht aktuell. So
wurde etwa der Index librorum prohibitorum, der Index der
verbotenen Bücher, erst 1966 aufgehoben.217 Damit
fand eine lange, bis in die Frühzeit des Buchdrucks, ja noch in das Handschriftenzeitalter reichende Zensurge
schichte ihren Abschluss.218 Disziplinär freilich inter essant ist, dass nicht allein in der Moraltheologie als der Wissenschaft von den Sünden oder — wegen der dro henden Exkommunikation bei abseitiger Lektüre — im
Kirchenrecht über die Bekämpfung von Schundliteratur nachgedacht wurde, sondern auch in einer etwas merk
würdigen, heute in dieser Form verschwundenen theo
logischen Disziplin, nämlich in der Pastoralhygiene.219
Der assoziative Zusammenhang mit Seuchen und Krankheiten stellt sich bei dieser Wissenschaft, die ihre
hygienischen Bemühungen auf Körper und Geist zu gleich ausrichtete, sofort ein. Und in der Tat wurden in der einschlägigen Literatur auch schlechte Geisteswerke
217 Vgl. AAS 58 (1966), S. 445 und 1186, wobei die moralische Pflicht, glaubensfeindliche Bücher zu meiden, fortbesteht, dazu Peschke, Christliche Ethik - Spezielle Moraltheologie, S. 40 f. 218 Siehe Steinhauer, Das kanonische Bücherrecht in Vergangenheit und Gegenwart, in: Kirchliches Buch- und Bibliothekswesen 5 (2004), S. 149-164. 219 Zum Begriff vgl. Niederweyer, Philosophische Propädeutik der Me dizin, S. 30; Roth, Art. »Pastoralhygiene«, in: Praktisches Wörterbuch der Pastoralanthropologie, S. 811.
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behandelt und »hygienisch« betrachtet und mit echten
Krankheitserregern verglichen.220 Auch die ältere Pre digtliteratur verzichtet bei ihrer Kritik des schlechten
Buches nicht auf die traditionelle Seuchensemantik.221 Ob es da wohl ein Zufall ist, wenn mit dem heiligen
Karl Borromäus (1538-1584) der wichtigste Pestheilige
der Neuzeit222 als Patron der katholischen Büchereien und der kirchlichen Bibliotheksarbeit verehrt wird? Die Dachorganisation der katholischen öffentlichen Bü
chereien außerhalb Bayerns, der 1844 gegründete 220 Vgl. Niederweyer, Compendium der Pastoralhygiene, S. 325: »Was in den Auslagen der Buchhandlungen die Blicke der Massen anzieht, ver dient keine andere Bezeichnung als die von geistigen Exkrementen. Dies gilt besonders von jenem Teil der Literatur, der ausschließlich auf die erotische Sensationsgier der Massen spekuliert ... vom Stand punkt der Kultur-Hygiene bedenklich ... wird zur Gefahr für die geistige Gesundheit der Menschen.«, vgl. auch Niederweyer, Philosophi sche Propädeutik der Medizin, S. 137; ders., Compendium der Pasto ralmedizin, S. 6. Leitender Begriff dabei sind so genannte »Zivilisa tionsschäden«, die eben auch durch die Lektüre abseitiger und mora lisch bedenklicher Schriften hervorgerufen werden können. 221 Gegen schlechte Literatur werden von Koch, Homiletisches Hand buch, Bd. 14, Abschnitt 773, Nr. 7 dem Prediger folgende Vergleiche für seine Ansprachen empfohlen: »Zum Verständnis der Sicherungs maßnahmen der Kirche gegen schlechte Bücher vgl. die Vorschriften zum Schutz vor Ansteckung und Gefährdung in öffentlichen Betrie ben, auf Bahnen usw. (Bakterien als geistige Giftkeime) ...«, siehe auch ders., Homiletisches Handbuch, Bd. 4, Abschnitt 773: »Das Buch als Gefahr. Büchergesetze der Kirche«, dort Nr. 9/2. Vgl. überdies Müssener, Die kirchlichen Büchergesetze, S. 46: »Erfahrene Männer schätzen die Zahl der Schundschriften auf drei Milliarden, also rund 50 Hefte für den Kopf der Bevölkerung. Man glaube nicht, daß ge schlossene katholische Gegenden von dieser Pest frei seien. In einer katholischen Stadt wurden bei einer einzigen Nachsuche 50.000 Schundhefte aufgegriffen ... Die Seuche bedroht also alle Volkskreise ohne Ausnahme.« 222 Vgl. Bach, Karl Borromäus, S. 109 f.
88
Borromäusverein, jedenfalls ist nach diesem Heiligen benannt.223
Hl. Karl Borromäus mit gelehrten Attributen.
9. Seuchensemantik der Gegenwart
Heute ist ein solches Denken, auch im kirchlichen
Bereich, grundsätzlich überwunden. Bibliotheken ver stehen sich in keinster Weise als Kontrolleinrichtungen
für geistige Arbeit. Sie sind vielmehr, wie alle bislang verabschiedeten Bibliotheksgesetze prominent heraus streichen, Institutionen zur Verwirklichung von Infor
223 Vgl. Hodick, Art. »Borromäusverein«, in: LThK3 Bd. 2, Sp. 600 f. Nach Bach, Karl Borromäus, S. 162 ist der Grund für dieses Patronat merkwürdig unbestimmt.
89
mationsfreiheit.224 Dass jetzt in Hessen das Pflicht
exemplarrecht aus dem Presserecht und damit aus einem historischen Zusammenhang von Publikations kontrolle und Zensur herausgelöst und in das Hessische
Bibliotheksgesetz überführt worden ist, unterstreicht
dies nachdrücklich.225 Gleichwohl ist die Seuchensemantik im Zusammenhang
mit Medien nicht verschwunden. Sicher hat jeder schon einmal seine eigenen Erfahrungen mit »virenwerseuch-
ten Dateien oder elektronischen Dokumenten gemacht.
Und in der Kommunikationswissenschaft wird eine be
sonders erfolgreiche Strategie, Inhalte schnell und um fassend zu verbreiten, als »viral« bezeichnet.226 Die Kul
turwissenschaft schließlich hat historische und gegen wärtige Seuchendiskurse als eigenes Forschungsfeld ent
deckt und untersucht die mediale Präsenz von Epidemi en als Kommunikationsphänomen227 ebenso wie die Be 224 Beispielsweise § 1 Thüringer Bibliotheksgesetz. Vgl. aber schon von Mohl, Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechts staates, Bd, 1, S. 600: »Endlich ist nöthig eine große allgemeine [vom Staat unterhaltene, Anm. d. Verf.) Bibliothek, oder ... eine Mehrzahl solcher Sammlungen, welche aus allen Fächern des menschlichen Wis sens die schriftlichen Denkmale wohl geordnet und Jedem zugänglich enthalten. Je vollständiger sie sind, desto besser.« 225 Vgl. Landtags-Drucksache (Hessen) 18/6067, S. 27. 226 Vgl. beispielhaft die Beiträge im Themenheft »Virus«, Zeitschrift Ästhetik & Kommunikation 41 (2010), H. 149; Schult^ McLuhan, Pasteur des Medienzeitalters : Kausalität als Ansteckung - zur Diag nose der (elektrischen) Medienkultur, S. 331-350 sowie aus kultur soziologischer Sicht Baudril/ard, Viralität und Virulenz, S. 81-92. 227 Beispielsweise Käser, Wie und zu welchem Ende werden Seuchen erzählt?, in: IASL 29 (2004) S. 200-227; Pulver, Tribut der Seuche oder: Seuchenmythen als Quelle sozialer Kalibrierung, 1999; Padeiski, Seu chen, Ängste und Diskure, Berlin [u.a.[ 2011; W'eingart, »Rumoritis«:
90
deutung
medialer Ausdrucksmöglichkeiten
in
der
epidemiologischen Forschung.228
Im Buch- und Bibliothekswesen der Gegenwart hinge gen kommt ein entsprechender metaphorischer Ge
brauch der Rede von Seuchen fast nicht mehr vor.
Offenbar sind bibliothekarische Diensdeistungen zu wenig spektakulär, um sie wenigstens als »viral« bezeich
nen zu können.229 Vor dem Hintergrund aber der, wie
wir jetzt wissen, nicht ganz unbedeutenden seuchenge schichtlichen und mikrobiellen Implikationen im Buchund Bibliothekswesen ist es vielleicht doch lohnend,
auch heute Aufgaben und Funktionen von Bibliotheken im Metaphernfeld von Seuchen zu beschreiben, zu ver
stehen und über sie nachzudenken.230 Zur Modellierung von Massenkommunikation als Epidemie, S. 278299; 7.i~ek, Die Pest der Phantasmen, 1999. 228 Vgl. Schlich, »Wichtiger als der Gegenstand selbst« - Die Bedeutung des fotographischen Bildes in der Begründung der bakteriologischen Krankheitsauffassung durch Robert Koch, S. 143-174, passend dazu Neubaues, Art. »Mikrophotographie«, in: Pfeiffer/Proskauer, Encyklopädie der Hygiene, Bd. 2, S. 105-107, sowie Sarasin, Die Visualisierung des Feindes, S. 427-461. 229 Vgl. aber Müller, Von Leseviren und I^esetrojanem, in: Mbmagazin, Ausgabe 150/151, 10/2012, S. 6: »Der Lesevirus ist kein Krankheits erreger, sondern ein sich schnell verbreitendes Lesefieber, das sich an Vorbildern nährt.« Auffallend ist hier die durchgehend positive Kon notation der Krankheitsmetaphern. 230 Umgekehrt werden viele Vorgänge in der Biologie durch Begriffe aus dem Buch- und Bibliothekswesen umschrieben, vgl. Kay, Das Buch des Lebens, 2005 sowie Keller, Das Leben neu denken, S. 106147, die vor allem auf Computer-Vergleiche eingeht, die freilich als in formationsverarbeitende Systeme letztlich nichts weiter als »elektri sche Bibliotheken« sind. Die genannten Metaphern haben in der Naturwissenschaft in nicht geringem Maße auch eine heuristische Funktion für die weitere Forschung. Für Bibliotheken und ihre Arbeit könnte das bei der Seuchensemantik auch gelten.
91
Als Ausgangspunkt hierfür bietet sich weniger die Gefährlichkeit von Bibliotheken in ästhetischer oder gar
hygienischer Hinsicht, als vielmehr ihre Rolle als bewah
rende Gedächtnisinstitutionen an: Bibliotheken sind Orte gegen das Vergessen; sie ermöglichen Erinnerung.
Damit sie diese Funktion erfüllen können, besteht ein
nicht unbedeutender Teil der bibliothekarischen Arbeit in der sachgerechten Aufbewahrung von Büchern. Und
dies wiederum meint, so haben wir eindrucksvoll gesehen, zu einem nicht geringen Teil die aktive oder passive Abwehr von Mikroorganismen, die Bücher an
greifen und zerstören können. Aus Sicht des Buches ist
die Bibliothek mit einem Immunsystem vergleichbar. 10. Immunologie und Bibliothek
Ein Immunsystem dient der Abwehr von schädlichen Mikroorganismen. Wenn man Bibliotheken als ein
Immunsystem auffasst, so kann man das zunächst ganz konkret auf die Erhaltung von Büchern beziehen und
bibliothekarische Tätigkeiten, die Pilze und Bakterien sowie andere, etwa tierische Schädlinge von Büchern
abhalten, als immunologische Tätigkeiten verstehen.
Im Sinne einer Bewahrung menschlichen Wissens
können Bibliotheken darüber hinaus in Zeiten grassie render Seuchen die kulturelle Überlieferung sicher stellen. Hält man sich den immensen Bevölkerungsrück
gang während der Pestepidemien des Mittelalters und der Frühen Neuzeit vor Augen, ist es Gedächtnisinsti
92
tutionen wie den Bibliotheken zu verdanken, dass die
demographische Katastrophe nicht zu einem Abriss der kulturellen Überlieferung führte. An dieser Stelle ist vielleicht interessant, dass auch das
biologische Immunsystem über eine Art Gedächtnis
verfügt, das Informationen über schädliche Mikroorga
nismen speichert und so eine effektivere und schnelle Abwehrreaktion des Körpers ermöglicht.231 Die Immu
nisierung gegen Krankheiten durch Impfungen basiert
auf diesem Prinzip.
Wenn wir nun Bibliotheken als Immunsystem zum Schutz von Büchern und Kultur bezeichnen, so ist das eine ausgesprochen positive metaphorische Zuschrei
bung, ganz im Gegensatz zu der Rede von »Leseseu
chen« und »Bücherpest«. Doch man kann die Sache mit dem Immunsystem auch anders sehen.
Im Kampf gegen Schund und Schmutz, eines der be sonderen Kennzeichen gerade der katholischen Bücher eiarbeit unter dem Patronat des Pestheiligen Karl
Borromäus,232 gehörte es zu Aufgabe des Bibliothekars,
231 Vgl. Lexikon der Biologie, Bd. 4, S. 339 (Art. »Immunzellen«); Mar tin/Resch, Immunologie, S. 177-180; Zänker, Das Immunsystem des Menschen, S. 15. 232 Passend hier die bei Bach, Karl Borromäus, S. 72 abgedruckte Ord nung für die Bibliotheken der Priesterseminare, die Karl Borromäus 1580 erlassen hat: »Auch das eine oder andere Exemplar des Index der verbotenen Bücher soll in den Händen des Bibliothekars sein und
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schlechte Bücher aus dem Bestand zu verbannen.233 Die so gepflegte Bibliothek wurde dabei zu einem Refugium der Ordnung und einem Ort der Reinheit. In einer
immunologischen Perspektive könnte man den Biblio thekar einer solchen Bibliothek als »Fresszelle der
Hochkultur« begreifen, genitivus subjectivus versteht sich.
Tatsächlich ließe sich die unter den Begriffen »Lese seuche« und »Lesepest« geführte Schunddebatte auch in
einer Immunsemantik führen.234 Dass dies nicht passiert
ist, hat einen sehr einfachen Grund. Wir wissen erst seit den 60er Jahren, wie unser Immunsystem in Grund
zügen tatsächlich arbeitet.235 Die Schunddebatte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts konnte ihre bildhafte
Sprache daher nur der Seuchenkunde entnehmen. Wir hatten gesagt, dass Bibliotheken in ihrer Funktion,
Bücher vor schädlichen Mikroorganismen zu bewahren, wie ein Immunsystem wirken. Das mag für den Alt
bestand, an dessen physischem Erhalt ein gewisses kul
turelles Interesse besteht, sicher auch in Zukunft so gelten. Die große Masse der intrinsisch nicht besonders
wertvollen Bücher der Gegenwart und jüngsten Ver
gangenheit ebenfalls alle im Original erhalten zu wollen,
dieser sorge, daß kein derartiges Buch in der Bibliothek aufbewahrt werde.« 233 Vgl. Lexikon des katholischen Lebens, S. 719 (Art. »Lektüre«). 234 Vgl. beispielhaft Esposito, Immunitas, Berlin 2004, der medizinische Immunität als politisch-philosophische Metapher verwendet. 235 Vgl. Rheinberger!Hagner, Experimentalsysteme, S. 17.
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erscheint demgegenüber als unpraktisch und wenig sinnvoll.236 Hier könnte die Digitalisierung der Bestände
ein möglicher Weg sein, um die in den Büchern aufge zeichnete Information verfügbar zu halten. In dem Maße, in dem eine immer größere Zahl von Publika
tionen ohnehin nur noch in elektronischer Form ver öffentlicht wird, könnte eine gemeinsame digitale Archi
vierungsstrategie ursprünglich gedruckt und originär elektronisch publizierter Inhalte sogar Medienbrüche
zwischen den unterschiedlichen Formaten überwinden und zugleich praktische Synergieeffekte ergeben. Inwieweit diese digitalen Inhalte durch Computerw'n?» (!) in ihrer Authentizität und Lesbarkeit bedroht sind, ist
zwar eine interessante, im Vergleich zu den technischen
Herausforderungen der digitalen Langzeitarchivierung jedoch nachrangige Frage. Technisch nämlich sind nicht nur die Interpretierbarkeit der Formate oder die Integri
tät der Daten kritisch, es ist vor allem die geringe phy
sische Haltbarkeit der Datenträger, die eine zuverlässige
Langzeitverfügbarkeit bedroht und zu einer dauernden
Herausforderung macht. Der einzige Ausweg scheint ein ständiges Umkopieren auf neue Datenträger zu sein. Dabei können sich Fehler im Datenbestand ergeben.
Viel problematischer aber ist die Zeit, die für den
236 Auch die Allianz ^ur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts hält es in ihrer 2009 erschienenen Denkschrift »Zukunft bewahren«, S. 9 für ausreichend, wenn von Druckwerken, die nach 1850 erschienen sind, lediglich ein dauerhaft gesichertes Papierexemplar erhalten bleibt.
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Umkopiervorgang benötigt wird. Je größer die zu
sichernde Datenmenge ist, desto zeitintensiver werden
entsprechende Prozesse. Schon jetzt kann es Monate dauern, nur ein einziges Rechenzentrum zu sichern. Ideal wäre daher ein Datenträger, der so dauerhaft ist, dass ein Umkopieren entfallt. Hier taucht am Horizont
des technisch Machbaren prototypisch die Möglichkeit
einer Datenspeicherung in Form genetischer Informa tion auf. Erste, viel versprechende Versuche der Codierung und des Auslesens von Information in Form
von DNA wurden bereits unternommen.237 Decoding soil-referential DNA thaï encodes these noies
f
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