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German Pages 194 Year 2019
Schriften zum Steuerrecht Band 146
Der Steuererlass aus Verfassungsgründen Über den Gehalt einer dogmatischen Kategorie in der Rechtsprechung in Steuersachen
Von
Sarah Peter
Duncker & Humblot · Berlin
SARAH PETER
Der Steuererlass aus Verfassungsgründen
S c h r i f t e n z u m St e u e r r e c ht Band 146
Der Steuererlass aus Verfassungsgründen Über den Gehalt einer dogmatischen Kategorie in der Rechtsprechung in Steuersachen
Von
Sarah Peter
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2019 als Dissertation angenommen.
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2018/2019 von dem Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen. Die Disputation dieser Arbeit fand im April 2019 statt. Literatur und Rechtsentwicklungen konnten bis zu diesem Zeitpunkt eingearbeitet werden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Sebastian Müller-Franken, der die Entstehung meiner Arbeit stets mit großem Interesse begleitet und mit seinem Rat in vielfältiger Weise gefördert hat. Er hat mich zu dieser Arbeit ermutigt und mir während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seiner Professur die nötigen Freiräume gegeben, um diese Arbeit innerhalb von zwei Jahren fertigzustellen. Ebenso danke ich Herrn Professor Dr. Steffen Detterbeck für das zügige Erstellen des Zweitgutachtens. Mein größter Dank gilt meinem Mann Christian Peter, der die Geduld mit mir nie verloren und mich in der gesamten Zeit bedingungslos unterstützt hat. Seinem Zuspruch und Rückhalt, vor allem aber seiner Liebe kann ich mir stets gewiss sein. Ihm widme ich diese Arbeit. Weimar, im Juni 2019
Sarah Peter
Inhaltsübersicht 1. Kapitel Einleitung
19
A. Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Kapitel Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
24
A. Der Billigkeitserlass bei steuerlichen Nebenleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsnatur des Säumniszuschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erlass bei Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung des Steuerpflichtigen . III. Erlass bei fehlendem Verschulden des Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kein Erlass bei Ausnutzung der Schonfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24 24 25 26 26
B. Der Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Keine entgegenstehende Fristbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgangspunkt: „Besondere Umstände“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 27 28 39
C. Der Billigkeitserlass im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. Stand der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Stand der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Kapitel Grundlagen der Dispensation
58
A. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 B. Die Bedeutung des Dispenses im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Steuervereinfachungen und die Praktikabilität von Steuergesetzen . . . . . . . . . . . II. Steuergerechtigkeit als Typengerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Billigkeit als Einzelfallgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Praktikabilität der Steuergesetze und Besonderheiten des Einzelfalles . . . . . . . . V. Gesetzliche Legitimation des Erlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62 63 66 68 70 72
8
Inhaltsübersicht 4. Kapitel Die Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
73
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das besondere Steuerrechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Grundrechte als Werteordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eine Konstitutionalisierung des Steuerrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73 73 74 76
B. Verfassungsrechtliche Bindungen des Steuergesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Prinzip der Steuergerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79 79 79 91
C. Die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts durch die Verwaltung . . . . . . . I. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Auslegung von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Besonderheiten des Steuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94 94 95 101
5. Kapitel Der Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung A. Die Anwendung der Steuertatbestände durch die Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Entwicklung der Auslegungsmaßstäbe von Steuergesetzen . . . . . . . . . . . . . II. Heutige methodische Grenzen der Normauslegung im Steuerrecht . . . . . . . . . . III. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Grundlage restriktiver Auslegung – Bagatellgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105 105 106 107 109 112
B. Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers . . . . . 113 C. Dispensation aufgrund Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bedeutung des Verfassungsrechts für den Billigkeitserlass . . . . . . . . . . . . . II. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip der Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Insbesondere: Die absolute und relative Besteuerungsgrenze aus Verfassungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Billigkeitserwägungen bei abwälzbaren Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses aus Verfassungsgründen und des Erlasses wegen Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Einordnung der von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle . . . . . . . . . . . III. Ergebnis und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115 115 115 118 119 127 132
141 141 144 161
6. Kapitel Zusammenfassung und Thesen
167
Inhaltsübersicht
9
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Einleitung
19
A. Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2. Kapitel Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
24
A. Der Billigkeitserlass bei steuerlichen Nebenleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Rechtsnatur des Säumniszuschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Erlass bei Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung des Steuerpflichtigen
25
III. Erlass bei fehlendem Verschulden des Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 IV. Kein Erlass bei Ausnutzung der Schonfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 B. Der Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Keine entgegenstehende Fristbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Ausgangspunkt: „Besondere Umstände“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. Offensichtliche und eindeutige Fehlerhaftigkeit des bestandskräftigen Steuerbescheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Offensichtliche und eindeutige Fehlerhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Der Grundsatz von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3. Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Änderungen zugunsten des Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Änderungen zum Nachteil des Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 c) Verbindliche Auskünfte der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 d) Gutgläubigkeit des Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 C. Der Billigkeitserlass im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. Stand der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Einteilung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
12
Inhaltsverzeichnis 2. Billigkeitserlass bei Fiskalzweck- und Lenkungssteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Fiskalzwecksteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 aa) Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 (1) Höhere Gewalt, BFHE 124, 94 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 (2) Guter Glaube, FG Münster, EFG 1994, 813 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 bb) Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (1) Bewertung einer Kommanditgesellschaft, FG Köln, EFG 2009, 1523 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 (2) Ausfall von Rentenzahlungen, BFHE 247, 170 ff. . . . . . . . . . . . . . . 44 cc) Kirchensteuer, FG Köln, EFG 2000, 1092 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 dd) Einkommensteuer, BFHE 166, 272 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Lenkungssteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 aa) Werkfernverkehr, BVerfGE 16, 147 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 bb) Energiesteuer, BVerfG (K), NVwZ 1995, 989 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (1) Die Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (2) Qualifizierung der Energiesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (3) Mineralölsteuer, BVerfG (K), NVwZ 1995, 989 f. . . . . . . . . . . . . . . 49 (4) Weitere Entscheidungen zur Energiesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (aa) FG Hamburg, Urteil v. 26. 11. 2010 – 4 K 287/09 –, juris . . . . . 49 (bb) BFH/NV 2014, 7 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 c) Weitere Kriterien und Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Billigkeitserlass bei abwälzbaren Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Grundsteuer, Hessischer VGH, Urteil vom 13. Februar 1980 – V OE 23/78 –, juris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Umsatzsteuer (Vorsteuer), BFHE 250, 34 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Stand der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
3. Kapitel Grundlagen der Dispensation
58
A. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 B. Die Bedeutung des Dispenses im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 I. Steuervereinfachungen und die Praktikabilität von Steuergesetzen . . . . . . . . . . . . 63 II. Steuergerechtigkeit als Typengerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 III. Die Billigkeit als Einzelfallgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 IV. Praktikabilität der Steuergesetze und Besonderheiten des Einzelfalles . . . . . . . . . 70 V. Gesetzliche Legitimation des Erlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Inhaltsverzeichnis
13
4. Kapitel Die Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
73
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Das besondere Steuerrechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 II. Die Grundrechte als Werteordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 III. Eine Konstitutionalisierung des Steuerrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 B. Verfassungsrechtliche Bindungen des Steuergesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 I. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 II. Das Prinzip der Steuergerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Die Gleichheit der Lastenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3. Das Leistungsfähigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Rechtsdogmatische Bedeutung des Leistungsfähigkeitsprinzips für eine gerechte Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Der Inhalt des Leistungsfähigkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 c) Die Konkretisierung der Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 d) Anwendbarkeit und Restriktion des Prinzips der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4. Das Gebot der Folgerichtigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 III. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Fiskalzwecksteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Lenkungssteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 C. Die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts durch die Verwaltung . . . . . . . 94 I. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 II. Die Auslegung von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Ziel der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Grammatische Auslegung (Wortlautauslegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4. Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 5. Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 III. Besonderheiten des Steuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Die Anwendung der Auslegungsmethoden im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Unterscheidung nach dem Zweck des Steuergesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4. Typisierende Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
14
Inhaltsverzeichnis 5. Kapitel Der Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
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A. Die Anwendung der Steuertatbestände durch die Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Die Entwicklung der Auslegungsmaßstäbe von Steuergesetzen . . . . . . . . . . . . . . . 106 II. Heutige methodische Grenzen der Normauslegung im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . 107 III. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Grundlage restriktiver Auslegung – Bagatellgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 IV. Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 B. Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers . . . . . 113 C. Dispensation aufgrund Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 I. Die Bedeutung des Verfassungsrechts für den Billigkeitserlass . . . . . . . . . . . . . . . 115 II. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip der Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 IV. Insbesondere: Die absolute und relative Besteuerungsgrenze aus Verfassungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Die Steuer als Eingriff in die Eigentumsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Die Steuerfreiheit des Existenzminimums als absolute Besteuerungsgrenze . . . 120 3. Insbesondere: Die Erdrosselungssteuer als relative Besteuerungsgrenze . . . . . . 123 V. Billigkeitserwägungen bei abwälzbaren Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Sachliche und persönliche Billigkeitsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Allgemeine Voraussetzungen des Billigkeitserlasses bei abwälzbaren Steuern 129 3. Besondere Erstattungsregelungen im Energiesteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 VI. Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Die Bestandskraft von Verwaltungsakten, insbesondere Steuerbescheiden . . . . 132 2. Nichtigkeit des Steuerbescheids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Korrektur vor Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4. Korrektur nach Bestandskraft durch Billigkeitserlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Auswirkungen eines Erlasses auf die Bestandskraft der Steuerbescheide . . . 136 c) Verfassungsrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 aa) Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 cc) Anwendungsvorrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 dd) Grundrechte und andere rechtsstaatliche Gesichtspunkte, insbesondere die Gleichmäßigkeit der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
Inhaltsverzeichnis
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D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses aus Verfassungsgründen und des Erlasses wegen Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 I. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Die Bedeutung des Verfassungsrechts für den Steuererlass . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Die Bedeutung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 II. Die Einordnung der von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle . . . . . . . . . . . . 144 1. Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Billigkeitserlass von Säumniszuschlägen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Billigkeitserlass im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Entscheidungen zur Fallgruppe des Steuererlasses wegen Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers . . . . . . . . . 147 aa) Einkommensteuer, BFHE 166, 272 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Erbschaftsteuer, BFHE 247, 170 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 cc) Energiesteuer, BVerfG (K), NVwZ 1995, 989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Entscheidungen zur Fallgruppe des Steuererlasses aus Verfassungsgründen 152 aa) Werkfernverkehr, BVerfGE 16, 147 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 bb) Einkommensteuer, BVerfGE 50, 57 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 cc) Erbschaftsteuer, FG Köln, EFG 2009, 1523 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 dd) Umsatzsteuer, BFHE 124, 94 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 ee) Grundsteuer, Hessischer VGH, Urteil vom 13. Februar 1980 – V OE 23/78 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 ff) Kirchensteuer, FG Köln, EFG 2000, 1092 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Ergebnis und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Die Grenze zwischen der Auslegung einer Steuernorm und der Anwendung eines Steuererlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Die Fallgruppe des Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Die Fallgruppe des Steuererlasses aus Verfassungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . 165
6. Kapitel Zusammenfassung und Thesen
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Abkürzungsverzeichnis Die im Text verwendeten Abkürzungen sind die üblichen. Bis auf die folgenden Ausnahmen sind sie dem Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache von Hildebert Kirchner, 8. Auflage, Berlin 2015, entnommen. a.a.O. AfA-Tabelle AllgVerwR BeckOK Begr. BK BT-Drs. BVerfGG BVerfG (K) bzgl. bzw. ders./dies. DM DStJG DStZ/A etc. evtl. ff. gem. ggfs. GrS Habil. HbdVerfR HGR HStR i.d.S. i.H.v. i.S.d i.S.v. KG KiStG KritV Mio. RAO Rdnr. sog.
am angegebenen Ort „Abschreibung für Abnutzung“, Abschreibungstabelle Allgemeines Verwaltungsrecht Beck’scherOnline-Kommentar Begründer Bonner Kommentar zum Grundgesetz Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgerichtsgesetz Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezüglich beziehungsweise derselbe/dieselbe Deutsche Mark Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft Deutsche Steuerzeitung/Ausgabe A et cetera eventuell fortfolgend gemäß gegebenenfalls Großer Senat Habilitations-Schrift Handbuch des Verfassungsrechts Handbuch der Grundrechte Handbuch des Staatsrechts in diesem Sinne in Höhe von im Sinne des/der im Sinne von Kommanditgesellschaft Kirchensteuergesetz Kritische Vierteljahreszeitschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Zeitschrift) Millionen Reichsabgabenordnung Randnummer so genannt/-e
Abkürzungsverzeichnis StRO st. Rspr. StUmgBG StuR u. a. u.v.m. UntStRFoG UR v. v.H. VJSchStFR VO Vorb. zit.
Steuerrechtsordnung Ständige Rechtsprechung Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz Steuer und Recht (Zeitschrift) und andere und viele mehr Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform Umsatzsteuer-Rundschau (Zeitschrift) von/vom von Hundert Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht (Zeitschrift) Verordnung Vorbemerkung zitiert
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1. Kapitel
Einleitung A. Problemdarstellung Für den Fall, dass die Festsetzung (Erhebung) von Steuern nach Lage des einzelnen Falles „unbillig“ wäre, hat die Abgabenordnung in ihren §§ 163, 227 die Möglichkeit eines Erlasses von Steuern geschaffen: wenn die Festsetzung oder Erhebung der Steuer im Einzelfall unbillig ist, soll die Verwaltung berechtigt sein, durch den ganzen oder teilweisen Erlass der Steuer von ihrer Festsetzung wie auch ihrer Durchsetzung absehen zu dürfen. Tatbestandsvoraussetzung der Härtefallparagraphen der §§ 163, 227 AO1 ist, dass die Festsetzung und/oder die Einziehung der Steuer im Einzelfall unbillig ist. Der Begriff der Unbilligkeit ist neben der Betonung des Einzelfalls die Hauptvoraussetzung für einen Steuererlass, der einen unbestimmten Rechtsbegriff darstellt.2 Zur Konkretisierung dieses alles entscheidenden Begriffs der „Unbilligkeit“ hat die Rechtsprechung in Steuersachen neben der Fallgruppe der persönlichen Unbilligkeit eine Fallgruppe der sachlichen Unbilligkeit ausgebildet.3 Bei der Suche nach Argumenten, die für eine sachliche Billigkeit in Frage kommen, haben die Gerichte neben dem Grund der Verfehlung des Gesetzeszwecks im konkreten Fall im Sinne eines „Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers“4 einen Steuererlass auch aus – vereinfacht – Verfassungsgründen5 für 1 Der Begriff der Unbilligkeit ist in beiden Normen identisch, vgl. BFHE 255, 482, 499; BFH/NV 2012, 161, 162; FG München, EFG 2008, 615; Niedersächsisches FG, EFG 2017, 970; D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 3, Rdnr. 274. 2 So die h.M. GemSOBG v. 19. 10. 1971, BStBl. II 1972, 603, 606. Wohl auch A. Galleiske, StuW 1957, 635, 642, 644, der die Billigkeit als ein Recht definiert, wenn auch von besonderer Art, dann aber wieder von einem unbestimmten Rechtsbegriff spricht. Ferner A. Elsen, StuW 1959, 499, 503; F. Oswald, StuW 1962, 49; K. W. Kruse, Steuerrecht, Bd. I, S. 196; H.-G. Fritsche, DStR 2000, 2171, 2173; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rn. 20. A.A. noch OVG Münster, OVGE 8, 127. 3 R. Seer, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 21, Rdnr. 333; R. Rüsken, in: Klein [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 1a; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rn. 40. 4 BVerfGE 99, 273, 279; BVerfG (K), NVwZ 1995, 989, 990; BVerwG, BStBl. II 1984, 236, 242; BFHE 106, 486, 488; 108, 571, 572; 115, 82, 83; BFH/NV 2002, 1549, 1550. 5 Genauer müsste man sagen: wegen der Verletzung von Grundrechten, vgl. BVerfGE 48, 102, 114; BFHE 241, 402, 412. Die Gerichte verwenden dabei verschiedene Formulierungen: (1) Bei nicht mehr vertretbaren Härten für ein Grundrecht, vgl. BFHE 122, 141, 147; 177, 246,
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1. Kap.: Einleitung
möglich gehalten. Ebenso sollen bei der persönlichen Unbilligkeit verfassungsrechtliche Gesichtspunkte zum Tragen kommen.6 Bei der Suche nach Antworten auf die Frage, welches die Voraussetzungen sind, unter denen allein aus verfassungsrechtlicher Sicht ein Billigkeitserlass auszusprechen und wie dieser Fall von einem „Überhang“ abzugrenzen ist, werden die Ausführungen regelmäßig dünner, sofern es überhaupt solche hierzu gibt.7 Die Wissenschaft hat diese Figur akzeptiert,8 jedoch ebenso nie gefragt, was diese Fallgruppe charakterisiert, wie sie dogmatisch zu fassen und von anderen Fällen zu unterscheiden ist – eine Aufgabe, die ihr allerdings oblegen hätte. Denn die Wissenschaft hat auch die Aufgabe, Fragen der Rechtsanwendung in einer Weise zu klären, dass mit einer stimmigen Dogmatik die Verstehbarkeit und Handhabbarkeit des Rechts erleichtert werden.9 Dogmatische Fragen sind Ordnungsfragen, wozu die begriffliche Durchdringung des Rechtsstoffs, die Entwicklung von Rechtsinstituten sowie schließlich die Systematisierung der erarbeiteten Begriffe, Figuren, Prinzipien und Institute gehört.10 Das Zentrum rechtsdogmatischer Bemühungen liegt heutzutage vor allem in der Rechtsanwendung und demgemäß darin, schwierige
248; BFH, HFR 2014, 440, 441. (2) Bei empfindlichen steuerlichen Eingriffen in die Freiheit der beruflichen Betätigung, BVerfGE 16, 147, 188. (3)Wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, vgl. BFHE 163, 478, 481; FG Düsseldorf, EFG 2001, 403. (4) Wegen Verstoßes gegen das Prinzip des Vertrauensschutzes, vgl. BFH GrS, BFHE 161, 290, 317; BFH/NV 2003, 777, 778. (5) Wegen Verletzung des grundrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit oder des Übermaßverbots, vgl. FG München, EFG 1984, 555; BFHE 238, 518 LS 1. In diesem Sinne wird oft von der „Wirkkraft der Grundrechte“ gesprochen. Zu dieser Formulierung: BVerfGE 43, 291, 376; 48, 102, 114; BVerfG, NVwZ 2010, 902, 904; NJW 1976, 101; BFHE 118, 151, 154; BFH/NV 2004, 940, 942 f. Danach besteht im Einzelfall eine Pflicht zum Steuererlass kraft Verfassungsrechts, vgl. BVerwG, BStBl. 1984, 236, 242; BFHE 177, 246, 248 f.; 238, 518, 524. 6 Insbesondere wird überwiegend das Existenzminimum, das aus der Verfassung abgeleitet wird, als Argument hervorgebracht, vgl. BFHE 87, 600, 601; 160, 61, 69; VG Düsseldorf, Urteil vom 23. März 2009 – 25 K 8240/08 –, juris, Rdnr. 21; A. Schmidt-Liebig, BB 1992, 108, 115; C. Farr, BB 2002, 1989, 1991; R. Seer, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 21, Rdnr. 339; R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 29. 7 Vor allem die Rechtsprechung weist regelmäßig nur pauschal auf die Voraussetzungen hin, ohne diese näher zu erläutern, vgl. BVerfGE 48, 102, 116; 99, 273, 279; BFHE 177, 246, 248 f. 8 B. Janssen, DStZ 1990, 406; D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 3, Rdnr. 274; R. Seer, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 21, Rdnr. 336. 9 D. Murswiek, Der Staat 45 (2006), S. 473; Chr. Bumke, Rechtsdogmatik, 2017, S. 45. Ähnlich: W. Hassemer, Rechtstheorie 39 (2008), S. 1, 15; ders., in: Was heißt Dogmatik?, 2012, S. 3, 7; Chr. Waldhoff, in: Was heißt Dogmatik?, 2012, S. 17, 27; M. Eifert, in: Was heißt Dogmatik?, 2012, S. 79, 85. 10 R. Dreier, in: ders./Schwegmann [Hrsg.], Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 21 f.; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 6; W. Hassemer, Rechtstheorie 39 (2008), S. 1, 16; M. Eifert, in: Was heißt Dogmatik?, 2012, S. 79, 80 ff.; Chr. Bumke, Rechtsdogmatik, 2017, S. 46.
1. Kap.: Einleitung
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Rechtsfragen zu beantworten.11 Wenn die Rechtsprechung den für den Erlass wichtigen Begriff des „Überhangs“ nicht weiter mit Leben gefüllt, dann ist es die Aufgabe der Rechtsdogmatik, das in der Praxis bestehende Argumentations- und Lösungsfeld unter Berücksichtigung der literarischen Beiträge sorgfältig und systematisch aufzuarbeiten.12 Die Reflexion, Kritik und Rekonstruktion der Praxis kann in einem neuen Lösungsvorschlag münden, der wiederum zu einer verlässlichgleichförmigen und möglichst einfachen Handhabung in der Praxis beiträgt.13 Die vorliegende Untersuchung soll ferner dazu beitragen, den Vorwurf zu entkräften, das Steuerrecht würde durch den Erlass aus Verfassungsgründen weiter „konstitutionalisiert“ – ein Vorwurf, der heute oft in kritischer Absicht erhoben wird –,14 indem sich nachweisen lässt, dass diese Kategorie einen schmalen und bestimmten Anwendungsbereich hat, der aber gut erklärt und so gerechtfertigt werden kann. Bei der Betrachtung der Fallgruppe des Überhangs und der Frage, aus welchen Gründen hiernach Steuern zu erlassen sind, werden hier wiederum regelmäßig Wendungen benutzt, die bereits verfassungsrechtlich verankert sind.15 Dies wirft die Frage auf, wie sich diese beiden Fallgruppen – Erlass wegen Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers und Erlass aus Verfassungsgründen – zueinander verhalten. Insbesondere ist zu klären, ob und wann es überhaupt „originär“ auf die Verfassung gestützte Fälle der Unbilligkeit geben und – umgekehrt – ob die Fallgruppe des Überhangs isoliert vom Verfassungsrecht beurteilt werden kann. Mit Blick auf die Fallgruppe des „Überhangs“ des Gesetzes wird zudem immer wieder betont, dass vorrangig an eine teleologische Auslegung zu denken ist, bevor ein Billigkeitserlass ausgesprochen wird.16 Nur solche Folgen, die weder durch Auslegung des Tatbestandes nach dem objektiven Willen des Gesetzgebers be-
11 J. Harenburg, Rechtsdogmatik, 1986, S. 5 ff., 60 f., 154 f.; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 8 ff.; D. Murswiek, Der Staat 45 (2006), S. 473; W. Hassemer, in: Was heißt Dogmatik?, 2012, S. 3, 6; Chr. Waldhoff, in: Was heißt Dogmatik?, 2012, S. 17, 26; Chr. Bumke, Rechtsdogmatik, 2017, S. 48 f. 12 Allgemein dazu Chr. Bumke, Rechtsdogmatik, 2017, S. 51. 13 H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 6 f.; W. Hassemer, Rechtstheorie 39 (2008), S. 1, 15; Chr. Bumke, Rechtsdogmatik, 2017, S. 52. 14 Siehe dazu im 4. Kapitel unter A. III. 15 So beispielsweise BVerfGE 48, 102, 116; BFHE 241, 402, 412; BFH/NV 2006, 943, 945; P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 783; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 41 f.; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 286; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rn. 41 f.; R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 123. 16 BFHE 94, 156, 159; 119, 443, 446; R. Rüsken, in: Klein [Hrsg.], AO, § 163, Rdnr. 33.
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1. Kap.: Einleitung
rücksichtigt werden können, noch zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung führen, rechtfertigen einen Steuererlass.17 Aber auch hier ist die Abgrenzung zwischen einer vorrangigen Auslegung des Steuertatbestands und einem Billigkeitserlasses verschwommen: Ein „Überhang“ des Gesetzes besteht dann, wenn angenommen werden kann, dass die Besteuerung den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft.18 Allerdings sind die dem Gesetz zugrundeliegenden Wertungen bereits im Rahmen einer teleologischen Auslegung des Gesetzes zu berücksichtigen.19 Wichtig ist allerdings die Erkenntnis, dass Normdispens und Normauslegung zu unterscheiden sind.20 Der Dispens soll den Ausnahmefall darstellen. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, wie sich die vorrangige teleologische Auslegung des Gesetzes von der Heranziehung der Wertungen des Gesetzgebers innerhalb des Billigkeitserlasses unterscheidet und wo zwischen diesen beiden Arbeitsschritten die Grenze zu ziehen ist.
B. Gang der Untersuchung Um ein Bild von der dogmatischen Kategorie „Steuererlasses aus Verfassungsgründen“ und ihrer Verwendung im Alltag der finanzgerichtlichen Rechtsprechung zu erhalten, ist zunächst der Stand der Rechtsprechung und der Literatur festzuhalten. Im zweiten Kapitel werden daher die relevanten Entscheidungen zum Billigkeitserlass dargestellt. Das Kapitel beginnt mit den Voraussetzungen eines Erlasses von Säumniszuschlägen und eines Erlasses bestandskräftiger Steuerbescheide, welche vor allem auf verfassungsrechtlichen Gründen basieren. Die Rechtsprechung und auch die Literatur haben hierzu bereits hinreichend Kriterien entwickelt, die diese Fallgruppen näher konkretisieren. Diese Kriterien sollen daher systematisch dargestellt werden. Des Weiteren werden die Entscheidungen dargestellt, in denen die Gerichte einen Billigkeitserlass aus Verfassungsgründen ausgesprochen haben. Dies sind zum einen Entscheidungen, in denen ein Erlass aus Verfassungsgründen von der Rechtsprechung gefordert worden ist, zum anderen sind es Entscheidungen, in denen die Gerichte einen Erlass zwar verneint haben, wohl aber darauf hinge17 BFHE 133, 60, 62 f.; 238, 518, 524; C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, 1999, S. 54; R. Rüsken, in: Klein [Hrsg.], AO, § 163, Rdnr. 33. 18 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. z. B. BVerfGE 24, 112, 119; 27, 375, 385; 32, 78, 86; BFH/NV 2011, 401 m.w.N. Zur Härtemilderung im Lastenausgleichsrecht, vgl. z. B. BVerfGE 41, 126, 181, 203 ff. Ferner BFHE 151, 221, 224; 244, 184, 187 f.; 258, 151, 154; BFH/NV 2005, 825, 826; FG München EFG 2003, 1512, 1513; FG Niedersachsen EFG 2004, 164; J. Isensee, in: FS Flume, 1978, Bd. II, S. 129, 136; D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6204; P. Selmer, JuS 2016, 93; J. Buschendorf/M. Vogel, DB 2016, 676, 677; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 13. 19 BFHE 108, 146, 149; 119, 443, 446; J. Isensee, in: FS Flume, 1978, Bd. II, S. 129, 136; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 266. 20 So bereits J. Isensee, in: FS Flume, 1978, Bd. II, S. 129, 136.
1. Kap.: Einleitung
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wiesen haben, dass ein Erlass bei kleinen Änderungen des Sachverhaltes zu gewähren gewesen wäre. An dieser Stelle wird bereits sichtbar, dass die Rechtsprechung auf die Abgrenzung der verschiedenen Fälle keinen Wert legt und nicht genau bestimmt, wann ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes vorliegt und wann nicht. Sodann soll gezeigt werden, dass das Schrifttum die Fallgruppe des Steuererlasses wegen einer Grundrechtsverletzung kanonisiert und dabei selbst nicht hinterfragt, welche Voraussetzungen hierfür erfüllt sein müssen. Im dritten Kapitel werden die Grundlagen der Dispensation dargestellt. Zunächst wird auf die generelle Bedeutung des Dispenses eingegangen. Es stellt sich dabei zuerst die Frage, warum es im Recht generell Dispensationsregelungen bedarf, um im Folgenden die Besonderheiten der Dispensation im Steuerrecht zu behandeln. Insbesondere wird das Verhältnis zwischen Praktikabilitätserwägungen bei der Gesetzgebung und Einzelfallgerechtigkeit erläutert, und es wird geklärt, ab wann die Grenze der Praktikabilität überschritten ist, sodass man von einer „Ungerechtigkeit“ sprechen kann, die gegebenenfalls mit einem Erlass ausgeglichen werden kann/ muss. Das vierte Kapitel wird die Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht näher beleuchten. Es ist zunächst zu klären, welche Bedeutung vor allem die Grundrechte im Steuerrecht haben, um dann das Problem einer Konstitutionalisierung des Steuerrechts durch einen Billigkeitserlass zu erfassen und zu lösen. Im Folgenden werden die verfassungsrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers näher erläutert, um daraus verfassungsrechtliche Grenzen der Besteuerung abzuleiten. Insbesondere soll dabei das Verhältnis zwischen dem Prinzip der Steuergerechtigkeit und dem Gebot der Praktikabilität der Steuergesetze geklärt werden. Das fünfte Kapitel stellt den Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung dar. Da sich die Frage eines Steuererlasses erst dann stellt, wenn der Härtefall nicht durch Auslegung gelöst werden kann, ist zunächst zu untersuchen, welche Möglichkeiten im Rahmen der Auslegung und Anwendung steuerrechtlicher Normen bestehen, um den Zielen eines Erlasses Rechnung zu tragen. Eine entscheidende Rolle fällt hierbei der Frage des Anwendungsbereiches der teleologischen Reduktion zu. Danach erfolgt eine Abgrenzung zum Steuererlass. Es wird untersucht, ab wann die Auslegung des einfachen Rechts nicht mehr ausreicht und somit ein Steuererlass in Betracht kommt. Sodann sollen die Fallgruppen des „Überhangs“ des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers und der Dispensation aufgrund Verfassungsrechts näher erläutert und konkretisiert werden. Einen Schwerpunkt bildet sodann die Frage, wie sich diese Fallgruppen zueinander verhalten und wie man diese dogmatisch richtig voneinander unterscheiden kann. An dieser Stelle wird noch einmal auf die eingangs genannten Fälle Bezug genommen, um diese einer konkreten Fallgruppe des Steuererlasses zuzuordnen. Im sechsten Kapitel werden die Ergebnisse der Untersuchung in Thesen festgehalten
2. Kapitel
Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur Um eine Antwort auf die Fragen dieser Untersuchung geben zu können, bedarf es zunächst einer Bestandsaufnahme des Diskussionsstandes in Rechtsprechung und Literatur. Es ist zu fragen, in welchen Fällen die Rechtsprechung einen Billigkeitserlass angenommen hat, welche Kriterien entscheidend waren und wie die Sicht der Rechtsprechung rechtswissenschaftlich zu würdigen ist. Bei der Systematisierung der Kriterien für einen Steuererlass ergeben sich insbesondere drei große Problemkreise, die unterschiedliche Anforderungen an den Billigkeitserlass stellen und daher im Folgenden getrennt behandelt werden. Es handelt sich dabei um den Billigkeitserlass bei steuerlichen Nebenleistungen, bei bestandskräftigen Steuerbescheiden und den Billigkeitserlass im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren.
A. Der Billigkeitserlass bei steuerlichen Nebenleistungen Klare Kriterien für einen Billigkeitserlass geben die Gerichte bei steuerlichen Nebenleistungen, wobei vor allem Säumniszuschläge billigkeitsrelevant sind.21 In diesen Fällen haben Rechtsprechung und Literatur die Erlassvoraussetzungen soweit konkretisiert, dass sie beinahe standardmäßig auch auf andere Fälle angewandt werden können.
I. Rechtsnatur des Säumniszuschlags Nach § 240 Abs. 1 AO sind Säumniszuschläge dann zu leisten, wenn „eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet (wird).“ Für jeden angefangenen Monat der Säumnis ist dann ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten.
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27.
Säumniszuschläge sind steuerliche Nebenleistungen i.S.d. § 3 IVAO, vgl. BFHE 212, 23,
A. Der Billigkeitserlass bei steuerlichen Nebenleistungen
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II. Erlass bei Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung des Steuerpflichtigen Der Bundesfinanzhof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass ein Billigkeitserlass bei der Einziehung von Säumniszuschlägen gem. § 240 AO geboten ist, wenn der Steuerpflichtige infolge Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit seine Steuerschuld nicht rechtzeitig begleichen konnte.22 Zur Begründung des Erlasses von Säumniszuschlägen bei einer Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Steuerpflichtigen argumentieren die Gerichte teilweise mit der Verfassung. So stelle es einen Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Übermaßverbot dar, wenn Säumniszuschläge trotz Zahlungsunfähigkeit des Steuerpflichtigen erhoben werden.23 Überwiegend wird hingegen mit dem Gesetzeszweck argumentiert. So sei ein Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft.24 Unbillig ist die Erhebung von Säumniszuschlägen mithin dann, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zu ihrer Zahlung ihren Sinn verliert.25 Wenn zusätzliche persönliche oder auch sachliche Billigkeitsgründe vorliegen, ist es hingegen auch nach der herrschenden Meinung gerechtfertigt, die gesamten Säumniszuschläge zu erlassen.26 Ferner ist die Einziehung von Säumniszuschlägen unbillig, wenn die Voraussetzungen eines Erlasses oder einer Stundung bereits bei Fälligkeit der verspätet gezahlten Steuern erfüllt waren27 oder aber der Steuerpflichtige aus Rechtsgründen daran gehindert war, die Aussetzung der Vollziehung eines rechtswidrigen Bescheids zu beantragen.28
22 Ständige Rechtsprechung seit BFHE 116, 87, 88 f. Siehe auch BFHE 140, 421, 423; BFH/ NV 1988, 695, 697. 23 BFHE 184, 193, 196; FG Hamburg, Urteil v. 14. Januar 2005 – II 259/03 –, juris, Rdnr. 19. 24 BFHE 165, 178, 181; 229, 83, 86. 25 BFHE 203, 8, 11; 212, 23, 27 f.; BFH/NV 2000, 161, 162. Zum Umstand, dass Säumniszuschläge ein Druckmittel eigener Art darstellen, vgl. BT-Drs. 3/2573, S. 34; BFHE 196, 400, 405; 203, 8, 10; 212, 23, 27; BFH GrS, BFHE 117, 352, 356; 184, 193, 196. 26 So z. B. wenn die Voraussetzungen für den Erlass von Stundungszinsen gegeben sind, vgl. BFHE 196, 400, 405 f.; 212, 23, 29; BFH/NV 2000, 161, 163; FG Hessen, EFG 2001, 668. 27 BFH/NV 2000, 161, 163; BVerwG NJW 1991, 1073, 1075 f.; FG Niedersachsen, EFG 1991, 450; FG Hessen, EFG 2001, 668. 28 BFH/NV 2010, 1675, 1677.
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Kap. 2: Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
III. Erlass bei fehlendem Verschulden des Steuerpflichtigen Des Weiteren kommt ein Erlass der Säumniszuschläge aufgrund eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot in Betracht, wenn der Steuerpflichtige die Säumnis nicht zu vertreten hat. Ein solcher Fall liegt beispielsweise dann vor, wenn die Finanzbehörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung rechtswidrig abgelehnt hat29 oder aber die Behörde dem Steuerpflichtigen seinen zu tragenden Anteil an einer Einkommensteuerschuld nicht mitteilt und der Steuerpflichtige somit keine Grundlage zur Zahlung hat.30 Weiterhin liegt ein sachlicher Billigkeitsgrund vor, wenn die Säumnis zwar auf einem Verhalten des Steuerpflichtigen beruht, dieses aber entschuldigt werden kann. Dazu zählen unter anderem die Säumnis aufgrund von Krankheit31 oder aber von ihm nicht zu vertretende Verzögerungen im Zahlungsverkehr32.33 Die bloße Erteilung einer Lastschrift reicht hingegen nicht aus, um bei Fälligkeit eine pünktliche Zahlung sicherzustellen. Voraussetzung ist vielmehr, dass das entsprechende Konto bei Einzug eine entsprechende Deckung aufweist.34 Schließlich hat der Steuerpflichtige auch keinen Einfluss auf Naturkatastrophen. Daher kommt ein Erlass der Säumniszuschläge auch in Betracht, wenn der Steuerpflichtige aufgrund von Hochwasser,35 Umweltschäden,36 oder Dürreschäden in der Landwirtschaft37 nicht in der Lage war, seine Steuerschuld rechtzeitig zu begleichen.
IV. Kein Erlass bei Ausnutzung der Schonfrist Nach § 240 Abs. 3 AO wird ein Säumniszuschlag bei einer Säumnis bis zu drei Tagen nicht erhoben. Damit statuiert das Gesetz eine Schonfrist, die bereits selbst eine Billigkeitsregelung darstellt.38 Unter einer der bereits zuvor genannten Vor29
BFHE 245, 105, 106 f. FG Baden-Württemberg, EFG 1986, 433. 31 FG Düsseldorf, EFG 1964, 190, 192. 32 Z. B. überdurchschnittlich lange Zeit einer Überweisung, FG München, EFG 1988, 59, 60; FG Niedersachsen, EFG 1998, 170. A.A. FG München, Urteil vom 19. Oktober 2005 – 4 K 3404/03 –, juris, Rdnr. 19 bei verspäteter Zahlung aufgrund eines Bankverschuldens. 33 Eine Auflistung der Einzelfälle bietet M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 240 AO, Rdnr. 59. 34 BFH/NV 2014, 697, 699. 35 LdF Baden-Württemberg, DStR 1988, 358 ff.; LdF Nordrhein-Westfalen, FR 1988, 280 ff. 36 LdF NRW, DStR 1990, 214 ff. 37 FinMin. Sachsen-Anhalt, BB 1992, 1543 ff. 38 FG Hamburg, EFG 1985, 591; FG München, EFG 1988, 59, 60. 30
B. Der Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden
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aussetzungen kann nach dieser Schonfrist eine individuelle Billigkeitsmaßnahme erfolgen. Ein Erlass kann jedoch dann ausgeschlossen sein, wenn der Steuerpflichtige die Schonfrist ständig ausnutzt und diese dann doch überschreitet.39 In diesem Fall ist eine genaue Interessenabwägung nötig, wobei zu beachten ist, dass das Überschreiten des Fälligkeitszeitpunktes eine Pflichtwidrigkeit bedeutet,40 die unter Umständen Zweifel an der Erlasswürdigkeit wecken.41
B. Der Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden Eine andere Argumentation zum Billigkeitserlass ergibt sich bei bestandskräftigen Steuerbescheiden. In den ersten Entscheidungen zum Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden waren die Gerichte noch zurückhaltend. Zu beachten ist auch in dieser Konstellation, dass der Steuererlass aus Billigkeitsgründen als ultima ratio nur geltend gemacht werden kann, wenn sonst keine andere Möglichkeit mehr besteht, dem Steuerpflichtigen zu helfen.42 Die Finanzgerichte haben die Fallgruppe des Billigkeitserlasses bei bestandskräftigen Steuerbescheiden durch zahlreiche Einzelfallentscheidungen zunehmend konkretisiert.43 Dadurch sind die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden in der Rechtsprechung und auch in der Literatur nahezu geklärt, wodurch für Rechtssicherheit gesorgt wird. Im Folgenden sollen daher die Kriterien der Rechtsprechung dargestellt werden.
I. Keine entgegenstehende Fristbestimmung Aus dem Zweck des § 227 AO44, einen Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzes auszugleichen, und der Tatsache, dass das Gesetz eine Frist für die Stellung eines Antrages auf Erstattung aus Billigkeitsgründen nicht vorsieht, ergibt sich, dass für sachliche Billigkeitserwägungen auch nach Unan-
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FG Hamburg, EFG 2000, 475, 476; EFG 2008, 90, 92; FG Köln, EFG 2002, 238, 240. BFHE 161, 395, 398; 163, 119, 122. 41 M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 240 AO, Rdnr. 60. 42 FG Niedersachen EFG 1990, 213, 214; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 15. 43 Nach Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 13 kann man somit von konkreten Tatbestandsmerkmalen sprechen. 44 BVerfGE 48, 102, 111; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, § 227, Rdnr. 46. 40
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Kap. 2: Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
fechtbarkeit der Steuerfestsetzung Raum ist.45 Es ist allerdings anerkannt, dass der Antrag auf Steuererlass aus Billigkeitsgründen nicht „unverhältnismäßig spät“ gestellt werden darf.46 Wann dies wiederum der Fall ist, ist anhand der gesetzlichen Fristen zu bestimmen. Es geht vor allem um den Grundsatz, dass die schuldhafte Säumnis des Schuldners nicht durch einen Rechtsbehelf wieder ausgeglichen werden darf.47 Demnach kann die Finanzbehörde einen Antrag auf Erlass ermessensfehlerfrei ablehnen, wenn dieser erst nach Ablauf der für den zugrundeliegenden Bescheid geltenden Festsetzungsfrist nach den §§ 169 ff. AO gestellt wird, obwohl der Steuerpflichtige bereits vor Ablauf der Festsetzungsfrist von den die Billigkeitsmaßnahmen rechtfertigenden Kriterien Kenntnis erlangt hat.48 Das Steuerrecht geht davon aus, dass der Steuerpflichtige seine Rechte und Interessen durch fristgerechte Einlegung von Rechtsbehelfen selbst wahrt. Wenn er nun aber selbst eine nicht rechtzeitige Rechtsmitteleinlegung verschuldet hat, kann er die unrichtige Veranlagung auch nicht über einen Erlass einklagen. Diese Beurteilung ist allerdings nur dann richtig, wenn den Steuerpflichtigen auch ein Verschulden trifft, was widerlegbar vermutet wird.49
II. Ausgangspunkt: „Besondere Umstände“ Der Bundesfinanzhof fordert in ständiger Rechtsprechung, dass der Erlass bestandskräftiger Steuerfestsetzungen nur bei Vorliegen „besonderer Umstände“ in Betracht kommt.50 Ausgangspunkt ist demnach die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „besonderen Umstände“.51 Zu diesem hat der Bundesfinanzhof in seiner Rechtsprechung einige Kriterien aufgestellt, die sich aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen, vor allem aus dem Rechtsstaatsprinzip, ergeben.
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BFHE 131, 446, 447. BFHE 131, 446, 447; FG Niedersachsen EFG 2012, 2086, 2087; B. Janssen, DStZ 1990, 406, 408; D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6205; M. Brühl, DStZ 2017, 751, 753 ff.; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 15; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 46. 47 BFH/NV 2014, 361, 364; D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6205; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 15. Ähnlich M. Brühl, DStZ 2017, 751, 754. 48 FG Niedersachsen, EFG 2012, 2086, 2087 f.; G. Bodden, DStR 2016, 1714, 1718. 49 A. Hensel, VJSchrStFR 1 (1927), 39, 77 spricht fälschlicherweise von einer Fiktion des Verschuldens. 50 BFHE 62, 510, 513; 73, 53, 57. 51 Zu diesem Ausgangspunkt mit weiteren Erläuterungen siehe T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 46 ff. 46
B. Der Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden
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1. Offensichtliche und eindeutige Fehlerhaftigkeit des bestandskräftigen Steuerbescheids Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kommt ein Steuererlass bei einem bestandskräftigen Steuerbescheid nur in Betracht, wenn die Fehlerhaftigkeit offensichtlich und eindeutig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und zumutbar war, sich hiergegen rechtzeitig zu wehren.52 Diese Formulierung findet sich nahezu in allen Urteilen, welche sich mit bestandskräftigen Steuerbescheiden und einer Billigkeitsmaßnahme beschäftigen. Sie bildet damit den zentralen Maßstab des Bundesfinanzhofs bei der Beurteilung des besonderen Härtefalles in derartigen Konstellationen.53 Die Voraussetzungen der offensichtlich und eindeutig falschen Steuerfestsetzung sowie der Unmöglichkeit beziehungsweise der Unzumutbarkeit des rechtzeitigen Vorgehens gegen diese Festsetzung müssen kumulativ vorliegen.54 a) Offensichtliche und eindeutige Fehlerhaftigkeit Eindeutig und offensichtlich fehlerhaft ist die Steuerfestsetzung dann, wenn ausschließlich eine einzige rechtliche Würdigung möglich ist, die Rechtsfolge somit klar und ohne Auslegungsspielraum festgestellt werden kann.55 Bloße rechtliche Zweifel führen nicht zu einer eindeutigen und offensichtlichen Fehlerhaftigkeit der auf einer gegenteiligen Rechtsansicht beruhenden Steuerfestsetzung.56 Ferner liegt ein offenkundiger Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze vor, wenn die Finanzbehörde willkürlich handelt und ohne jede Rechtsgrundlage von Amts wegen anstelle des bisherigen Steuerschuldners eine andere Person als nunmehrigen Steuerschuldner bestimmt.57 Strittig ist die Frage, ob die Unrichtigkeit im Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheids58 oder im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag eines Steuererlasses59 vorliegen muss. Da es sich aber bei einem Erlass um die
52 BFHE 86, 282, 286; 194, 552, 554; 238, 518, 525; BFH/NV 2008, 1889, 1892 f.; 2009, 1784, 1785 f. Dieser Rechtsprechung zustimmend T. v. Bodungen, Rechtskraftdurchbrechung im Steuerrecht, 1968, S. 294; B. Janssen, DStZ 1990, 406; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 15. Kritisch D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6205; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 48 f.; M. Brühl, DStZ 2017, 751, 755. 53 So auch T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 52. 54 BFH/NV 1998, 935, 936; G. Frotscher, in: Schwarz/Pahlke [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 15. 55 BFHE 168, 500, 503; G. Frotscher, in: Schwarz/Pahlke [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 16. 56 FG Köln, EFG 2009, 1168, 1169. 57 So lag der Fall bei BFHE 86, 282, 286. 58 So BFHE 99, 8, 10. 59 So BFHE 120, 200, 202.
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Kap. 2: Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
Korrektur des Steuerbescheides handelt, wird man auf den Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheids abstellen müssen.60 b) Unzumutbarkeit Zunächst verlangte die Rechtsprechung, dass es dem Steuerpflichtigen kumulativ unmöglich und unzumutbar gewesen sein musste, sich gegen die Festsetzung zu wehren.61 Mittlerweile verzichtet der Bundesfinanzhof aber zunehmend auf das Erfordernis der Unmöglichkeit, sodass es nur noch auf die offensichtliche und eindeutige Fehlerhaftigkeit und die Unzumutbarkeit der rechtzeitigen Rechtsbehelfseinlegung ankommt.62 Dem Steuerpflichtigen darf es somit nicht zumutbar gewesen sein, gegen die Fehlerhaftigkeit der Festsetzung mit dem hierfür vorgesehenen Rechtsbehelf vorzugehen.63 Bei einer näheren Konkretisierung dieser Voraussetzung ist zu beachten, dass die Kriterien der „Zumutbarkeit“ und der „Unmöglichkeit“ keine Aspekte des Verschuldens sind, sondern vielmehr eigene Kategorien darstellen.64 Es bedarf dabei besonderer Umstände im konkreten Verhältnis zur Behörde. Dieses Ergebnis könnte zwar implizieren, dass die Möglichkeit einer Berichtigung eines unanfechtbaren Bescheids damit ausgeweitet wurde. Allerdings versucht der Bundesfinanzhof das Begehren des Antragstellers aus anderen Gründen zu versagen, damit der Anwendungsbereich dieser Korrekturmöglichkeit nicht unverhältnismäßig ausgedehnt wird.65 Dieser Grundsatz gilt dann nicht, wenn sich der Steuerpflichtige darauf beruft, von einer von ihm grundsätzlich als rechtmäßig angesehenen typisierenden Norm unverhältnismäßig nachteilig betroffen zu sein. In einem solchen Fall ist ihm eine vorherige Anfechtung nicht zuzumuten, da er grundsätzlich davon ausgehen durfte, dass dafür kein Anlass besteht. In dieser Konstellation kann der Steuerpflichtige
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BFH/NV 2009, 1593, 1594; B. Janssen, DStZ 1990, 406, 407. Dies zeigt die umfassende Rechtsprechung, vgl. BFHE 133, 255, 257; 168, 500, 502; BFH/NV 1994, 606, 608; 1995, 705, 706; 1995, 1036, 1037; 1998, 935, 936; 1998, 1191, 1192; 1998, 1454; 2000, 610, 611; 2004, 1620; BFH, HFR 1965, 322, 323. 62 Bereits 1986 verzichtete der BFH das erste Mal auf das Erfordernis der Unmöglichkeit und konstatierte, dass eine Bestandskraftdurchbrechung bereits dann zulässig ist, wenn neben der eindeutigen und offensichtlichen Fehlerhaftigkeit des Bescheides es dem Steuerpflichtigen lediglich nicht zumutbar war, sich gegen diesen Fehler rechtzeitig zu wehren, vgl. BFH/NV 1988, 217, 219. Ähnlich BFH/NV 1987, 691, 692, wonach Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit alternativ vorliegen müssen. Ebenso FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. August 2014 – 8 K 8322/11 –, juris, Rdnr. 33. Ferner R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 15. 63 BVerwG, NJW 1991, 1073, 1074; BVH/NV 1988, 217, 219; 2002, 889, 891; BFHE 133, 255, 257; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 15. 64 BFH/NV 2018, 221, 225 auch zum folgenden. 65 T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 53. 61
B. Der Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden
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direkt eine Billigkeitsmaßnahme geltend machen.66 Vor diesem Hintergrund hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass es dem Steuerpflichtigen unzumutbar ist, gegen Umsatzsteuerbescheide vorzugehen, wenn die Steuerfestsetzung dem Wortlaut des Gesetzes entspricht.67 Mangelnde Rechtskenntnisse hingegen begründen keine Unzumutbarkeit, auch dann nicht, wenn sie unverschuldet sind.68 Denn es ist zumutbar, sich fachlich beraten zu lassen. 2. Der Grundsatz von Treu und Glauben Neben den Fallgruppen der qualifizierten Fehlerhaftigkeit und der Unzumutbarkeit kann ein Billigkeitserlass auch dann bei bestandskräftigen Steuerbescheiden zugesprochen werden, wenn ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben vorliegt.69 Der Grundsatz von Treu und Glauben ergibt sich unmittelbar aus der Gerechtigkeitsidee70 und der Rechtssicherheit als Teil des Rechtsstaatsprinzips,71 welche auch beim Steuererlass berücksichtigt werden müssen.72 Nach diesem Grundsatz muss jeder am Rechtsverkehr Beteiligte auf die Interessen des anderen Rücksicht nehmen.73 Der Grundsatz von Treu und Glauben steht zudem mit dem Prinzip des Vertrauensschutzes in einer engen Verbindung.74 Steht die Behörde als öffentliche Hand und der Steuerpflichtige als ein der Gesellschaft zugehöriges Rechtssubjekt in einem konkreten Rechtsverhältnis und hat der Bürger im Vertrauen darauf Dispositionen getroffen, kann sich dieser auf sein Vertrauen berufen.75
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BFHE 86, 282, 286; 238, 518, 525; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 15. BFHE 194, 552, 554 f. 68 BFHE 150, 502, 504; BFH/NV 2018, 221, 225. A.A. noch BFHE 86, 282, 286. 69 Zur Entwicklung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Steuerrecht: R. Kreibich, Treu und Glauben im Steuerrecht, 1991, S. 8 m.w.N.; R. v. Groll, FR 1995, 814 ff. 70 M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 58; H. J. Wolff/O. Bachof/ R. Stober/W. Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. I, § 25, Rdnr. 3. 71 W. Spindler, DStR 2001, 725; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 75. 72 BFH/NV 2005, 3, 5; FG Hamburg, EFG 2011, 116, 119; FG Baden-Württemberg, EFG 2011, 1402, 1405; M. Bormann, Billigkeitsgründe im Erlassverfahren, 1982, S. 21; D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6207; C. Stein, Billigkeit im Steuererhebungsverfahren, 2000, S. 44; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 74 ff.; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 58. 73 BFHE 158, 31, 34; C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, Rdnr. 86; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 74. 74 M. Bormann, Billigkeitsgründe im Erlassverfahren, 1982, S. 21; K.-D. Drüen, in: Tipke/ Kruse, AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 126 ff.; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 74 75 Entscheidend ist vor allem, dass der Steuerpflichtige bereits Dispositionen getroffen hat, welche nicht mehr rückgängig zu machen sind, vgl. FG Baden-Württemberg, EFG 2011, 1402, 1405. Ferner M. Bormann, Billigkeitsgründe im Erlassverfahren, 1982, S. 21; R. v. Groll, FR 1995, 814, 815 f.; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 74 f.; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 15; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 138 ff. 67
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Kap. 2: Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
Bei der Überprüfung der Erlassvoraussetzungen von bestandskräftigen Steuerbescheiden muss das Gebot von Treu und Glauben im Zusammenhang mit der Fehlerhaftigkeit und der Unzumutbarkeit am Festhalten des bestandskräftigen Steuerbescheids gesehen werden. Das treuwidrige Verhalten der Behörde wirkt dann als Indikator für die Unzumutbarkeit der Rechtsbehelfseinlegung.76 Ein sachlicher Billigkeitsgrund kann beispielsweise vorliegen, wenn der Anspruch aus dem Steuerrechtsverhältnis aufgrund eines Verschuldens der Finanzbehörde unanfechtbar zu hoch angesetzt wurde.77 Ein Billigkeitserlass aus dem Grundsatz von Treu und Glauben kommt ferner in Betracht, wenn die Behörde eine falsche Auskunft gibt oder aber ihre Ermittlungspflicht grob verletzt.78 Dann trifft den Steuerpflichtigen gerade kein Verschulden, weil er davon ausgehen durfte, dass die Behörde richtig handelt. Das Vorstehende soll nach Ansicht des Bundesfinanzhofs auch dann gelten, wenn das Gericht fehlerhaft handelt. Wenn der Steuerpflichtige aufgrund einer Annahme des Gerichts, die sich im späteren Verlauf als unzutreffend erweist, seine Klage zurücknimmt, so kommt ebenfalls ein Erlass in Betracht.79 Ist der Steuerpflichtige hingegen zwar gutgläubig, hat er die Klagerücknahme aber dennoch selbst verschuldet, so ist hingegen ein Erlass aus Billigkeitsgründen eindeutig ausgeschlossen.80 Auch scheidet ein Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden aus, sofern mit diesem die Rechtsfolgen einer für verfassungswidrig erklärten Vorschrift korrigiert werden sollen.81 Eine Ausnahme besteht aber dann wieder, wenn der Steuerpflichtige unverschuldet keinen Rechtsbehelf eingelegt hat.82 Sobald ein Verstoß der Finanzverwaltung gegen Treu und Glauben festgestellt wurde, führt dies bei einer Abwägung der verfassungsrechtlich geschützten Interessen dazu, dass die Rechtssicherheit als verfassungsrechtlicher Grundgedanke der 76 BFH/NV 1988, 217, 218 f.; 1987, 691, 692 f.; FG Hamburg, EFG 2011, 116, 119; M. Brühl, DStZ 2017, 751, 757; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 54 f. 77 BFHE 163, 478, 481; FG Düsseldorf, EFG 2001, 403; A. Hensel, VJSchrStFR 1 (1927), 39, 77; P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 794; D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6207; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 59. 78 D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6205; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 15. 79 BFHE 182, 520, 524 f. 80 BFH/NV 2017, 760, 762; „Das in der Rücknahme liegende Verschulden geht sogar noch über das in der Versäumung einer Rechtsbehelfsfrist liegende Verschulden hinaus, denn es ist ein aktives Tun, die Versäumung des Rechtsbehelfs nur ein Unterlassen“. 81 FG Münster EFG 2005, 1828; Hamburg EFG 2007, 1217, 1218; G. Frotscher, in: Schwarz/Pahlke [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 20; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/ FGO, § 227 AO, Rdnr. 48. 82 FG Düsseldorf EFG 1968, 227, 228; FG Münster EFG 1968, 361, 362; G. Frotscher, in: Schwarz/Pahlke [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 20.
B. Der Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden
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Bestandskraft den Interessen des Steuerpflichtigen hintangestellt werden muss.83 Der Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen, welcher ebenso aus dem Gedanken der Rechtssicherheit hervorgeht, überwiegt bei einer solchen Abwägung.84 3. Vertrauensschutz Bei einer Änderung der Rechtsprechung wie auch von Gesetzen kommt bei bereits bestandskräftigen Steuerbescheiden ebenfalls ein Steuererlass aus Vertrauensschutzgründen in Betracht.85 Dieser Grundsatz ergibt sich unmittelbar aus der Gerechtigkeitsidee und steht in enger Verbindung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben. Eine spezielle Regelung des Vertrauensschutzes des Steuerpflichtigen mit Blick in dessen Vertrauen in eine für ihn günstige Rechtsprechung, Gesetzgebung oder Verwaltungsvorschrift enthält § 176 AO. Allerdings handelt es sich beim Vertrauensschutz um ein aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitetes allgemeines Rechtsprinzip,86 sodass dieses Prinzip auch bei den §§ 163, 227 AO beachtet werden muss.87 Dieser Grundsatz begründet zwar keinen selbstständigen Rechtsanspruch, begrenzt aber die Rechtsfolgen, die sich aus dem jeweiligen Steuertatbestand ergeben.88 Bei bestandskräftigen Steuerbescheiden streiten die Rechtssicherheit und der Vertrauensschutz des Betroffenen miteinander. a) Änderungen zugunsten des Steuerpflichtigen Zum einen geht es um den Fall, in dem die Auslegung einer bestimmten Norm durch die Judikative nach Bestandskraft des Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen geändert wird. Dieser möchte dann geltend machen, dass die günstigere Rechtsprechung nachträglich auch für ihn gilt und einen Erlass begründet. Auch bei diesen Fällen ist mit den Kriterien der eindeutigen Fehlerhaftigkeit und der Unzumutbarkeit zu arbeiten.89 Entscheidend ist bei einer Gesamtbetrachtung vor allem der Zeitpunkt der Entscheidung über einen eindeutigen Fehler.90 Stellt man auf den Zeitpunkt der früheren 83
T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 76. C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, 1995, Rdnr. 86; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 76; R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 174. 85 W. Spindler, DStR 2001, 725, 728; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 20 f. 86 Vgl. BVerfGE 43, 242, 257; D. Birk, DStJG 27 (2004), S. 9, 13. 87 Ausführlich dazu S. Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, 2004, S. 467 ff. Zur Anwendung beim Steuererlass, vgl. D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6206. 88 C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, 1999, S. 66. 89 T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 56 f. 90 Teilweise urteile der BFH allerdings, dass eine Entscheidung über die Frage des Zeitpunktes unerheblich sei, da es zumindest an der kumulativ erforderlichen Unzumutbarkeit fehle, vgl. BFHE 150, 502, 504; 168, 310, 315. 84
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Kap. 2: Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
Verwaltungsentscheidung ab, so wird man die Voraussetzung der offensichtlichen Fehlerhaftigkeit ablehnen müssen, da zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung der Verwaltung der Rechtsprechung entsprochen hat. Stellt man hingegen auf die spätere Entscheidung über den Billigkeitsantrag ab, so wäre eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit zu bejahen, da die frühere Verwaltungsentscheidung der Auffassung der Rechtsprechung widerspricht.91 Würde man auf den zweiten Zeitpunkt abstellen, so würde ein Steuererlass als Ausnahmeregelung ihren Sinn verlieren. Sobald sich die Rechtsprechung geändert hat, würde ein auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung ergangener Steuerbescheid stets einen offensichtlichen Fehler aufweisen und man müsste „nur“ noch prüfen, ob auch kumulativ eine Unzumutbarkeit vorliegt. Aus diesem Grund neigt auch die Rechtsprechung dazu, auf den Zeitpunkt der Steuerfestsetzung abzustellen.92 Anhand der ergangenen Entscheidungen lässt sich aber zumindest eine Grundhaltung erkennen. Teilweise wurde ein Erlass abgelehnt, da zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung die Streitfrage umstritten gewesen sei, sodass keine eindeutige Fehlerhaftigkeit festgestellt werden konnte.93 Wenn es in diesem Zeitpunkt keine einheitliche Ansicht über die Streitfrage gab, kann auch nicht von einer eindeutigen Fehlerhaftigkeit gesprochen werden. Teilweise versucht der Bundesfinanzhof auch der Frage zu entgehen, wann eine eindeutige Fehlerhaftigkeit vorgelegen haben muss mit dem Argument, dass es dem Antragsteller zumindest nicht unmöglich war, sich gegen den Bescheid zu wehren.94 b) Änderungen zum Nachteil des Steuerpflichtigen Ferner kann ein Erlass aus Verfassungsgründen in Betracht kommen, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die Weitergeltung eines Gesetzes oder einer Rechtsprechung Aufwendungen getätigt hat und diese nicht mehr rückgängig gemacht werden können.95 Aufgrund der schnellen Veränderungen im Steuerrecht ist es schwer, Zukunftsentscheidungen zu treffen.96 Sobald der Bundesfinanzhof beispielsweise seine bisherige Rechtsprechung aufgibt, welche bisher günstiger für den Steuerpflichtigen war, kann der Steuerpflichtige daher im Einzelfall bei der zu-
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Vgl. dazu auch T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 56 ff. Vgl. bereits Fn. 60. 93 So BFH/NV 1988, 217, 219. Ähnlich BFHE 163, 313, 317. 94 So BFHE 150, 502, 504; 168, 310, 315 f.; BFH/NV 1993, 400, 402. 95 GmSOGB, BStBl. II 1972, 603, 609; BFH/NV 2003, 777, 778; BVerfGE 38, 61, 83: aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes ergeben sich „verfassungsrechtliche Grenzen nur für belastende Gesetze, die sich Rückwirkung beilegen. Hingegen schützt die Verfassung nicht die bloße Erwartung, das geltende Steuerrecht werde fortbestehen“. Ebenso BVerfGE 27, 375, 385. Ferner D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6206; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 22; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 53. 96 Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 41 (2008), S. 259, 283. 92
B. Der Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden
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ständigen Finanzbehörde einen Steuererlass aus Vertrauensschutzgründen bewirken.97 Allerdings rechtfertigt allein der Umstand, dass eine bestandskräftig festgesetzte Steuer im Widerspruch zu einer später fortentwickelten oder geänderten Rechtsprechung steht, noch keinen Steuererlass.98 Sofern ein Gesetz rückwirkend geändert wird und bereits abgeschlossene rechtskräftige Fälle nicht von dieser Änderung mitumfasst sind, kann zwar eine unbillige Härte vorliegen. Diese unbillige Härte ist allerdings dann oft vom Gesetzgeber gewollt, sodass diese nicht zum Erlass führen darf.99 Der Steuerpflichtige hat dann grundsätzlich keinen Anspruch auf erlassweise Erstattung der von ihm im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtsprechung gezahlten Steuern.100 Schließlich liegt auch dann keine sachliche Unbilligkeit vor, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Steuernorm, welche auf einer bestandskräftigen Steuerfestsetzung basiert, nachträglich für verfassungswidrig erklärt.101 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedürfen die belastenden Wirkungen einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens stets einer hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit. Vertrauensschutz bedeutet nicht, dass der Steuerpflichtige vor jeder Enttäuschung bewahrt werden muss. Er muss „eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage … hinnehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Wäre dies anders, so fehle den Normen des Einkommensteuerrechts als Rahmenbedingung wirtschaftlichen Handelns ein Mindestmaßstab an grundrechtlich und rechtsstaatlich gebotener Verlässlichkeit.“102 Bei einer solchen Änderung der Rechtsprechung und einer damit einhergehenden Änderung der Verwaltungspraxis ist es üblicherweise so, dass bereits anhängige Fälle nach der bisherigen günstigeren Verwaltungspraxis und neue Fälle nach der neuen Verwaltungspraxis, welche den Steuerpflichtigen schlechter stellt, entschieden werden. Es hängt demnach vom Zufall ab, wann die Veranlagungen durchgeführt werden. Die Abgabenordnung beinhaltete seinerzeit in § 131 Abs. 2 RAO für solche Fälle eine Ermächtigung, Richtlinien zu erlassen, die für bestimmte Gruppen in
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BFH GrS, BFHE 161, 290, 317; H. Söhn, FR 1971, 222, 224; C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, 1999, S. 67; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 22. 98 BFHE 208, 398, 403 f.; FG Köln, EFG 2009, 1168, 1169. 99 Zur Neuregelung der Kinderfreibeträge 1983 – 1985: BFHE 175, 395, 398; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 23; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 48. 100 BFHE 83, 555, 557 f.; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 24; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 57. 101 BFHE 120, 200, 202; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 24; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 57. 102 BVerfGE 127, 31, 48 f.
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Kap. 2: Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
gleichgelagerten Fällen einheitliche Regelungen vorsahen.103 Die heutigen §§ 163, 227 AO enthalten eine solche Regelung nicht mehr, was aber nicht impliziert, dass der Gesetzgeber von solchen Anpassungs- und Übergangsregelungen Abstand nehmen wollte. Vielmehr kommt damit zum Ausdruck, dass auch bei bestehenden Regelungen in erster Linie die Verhältnisse des Einzelfalles berücksichtigt werden müssen,104 sodass eine gesonderte Regelung obsolet erscheint. Eine solche Übergangsregelung kann jedoch dann geboten sein, wenn beispielsweise eine Änderung eines Gesetzes oder einer ständigen Rechtsprechung vorliegt.105 In diesem Fall wird der Vertrauensschutz besonders hoch bewertet werden. Durch die Änderung eines Gesetzes oder der Rechtsprechung wird typischerweise ein großer Personenkreis betroffen sein, sodass allgemeine Regelungen erforderlich sein können. Diese Übergangsregelungen haben ihre Rechtsgrundlage selbst in den §§ 163, 227 AO.106 Das Verabschieden einer solchen Übergangsregelung steht zwar nach Ansicht des Bundesfinanzhofs im Ermessen der Finanzbehörde,107 allerdings scheint diese Regelung zweckmäßig und geboten zu sein, um vor allem Billigkeitsverfahren vorzubeugen und Rechtsklarheit zu schaffen. Rechtsgrundlage für solche Übergangsregelungen bleiben allerdings weiterhin § 163 und § 227 AO.108 c) Verbindliche Auskünfte der Verwaltung Eine Besonderheit innerhalb des Vertrauensschutzes stellen zudem verbindliche Auskünfte der Verwaltung in Verbindung mit späteren Gesetzesänderungen dar, welche das Hauptproblem einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2015109 gewesen war. Von der Verwaltung erhielt die Beschwerdeführerin eine verbindliche Auskunft zu einer konkreten Rechtslage, um vor der Durchführung einer Umstrukturierung ihres Betriebes Gewissheit über die hierdurch ausgelösten steuerlichen Folgen zu erlangen. Kurze Zeit später änderte sich die Rechtslage durch 103
Gesetz zur Änderung einzelner Vorschriften der RAO und anderer Gesetze v. 11. 7. 1953, BGBl. I 1953, S. 501: „Für bestimmte Gruppen von gleichgelagerten Fällen können für die entsprechende Anwendung des Absatzes 1 Richtlinien erlassen werden.“ Dazu BFHE 131, 356, 359; 132, 159, 162. 104 C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, 1999, S. 69; S. Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, 2004, S. 466. 105 BFHE 219, 245, 249; FG Baden-Württemberg, EFG 2018, 194, 195; P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 793; W. Spindler, DStR 2001, 725, 728; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 22. 106 BFHE 227, 200, 206; 141, 405, 417; FG Baden-Württemberg, EFG 2018, 194, 195; P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 793; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 54a. 107 BFHE 127, 476, 479. A.A. R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 22. 108 M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 54 f. Zudem R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 22, der, im Gegensatz zu M. Loose, für den Erlass ebenso Art. 108 VII GG als Rechtsgrundlage heranzieht. 109 BVerfG, HFR 2015, 882 ff.
B. Der Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden
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eine Gesetzesänderung und die Beschwerdeführerin machte einen Billigkeitserlass geltend. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Beschwerdeführerin nur bezüglich des geltenden Rechts, nicht aber auch im Hinblick auf zukünftige Gesetzesänderungen durch die verbindliche Auskunft eine gesicherte Rechtsposition erhielt.110 Die Wirkung der verbindlichen Auskunft entfällt mit dem Inkrafttreten einer relevanten Neuregelung vollständig und der Vertrauensschutz kann nicht mehr greifen. Durch den Bezug der verbindlichen Auskunft auf die bei ihrer Erteilung geltende Rechtslage ist zugleich eine Grenze der Reichweite des Vertrauensschutzes gezogen.111 Diese logische Folge wurde auch gesetzlich fixiert, indem § 2 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung von § 89 Abs. 2 AO (Steuer-Auskunftsverordnung – StAuskV) vorschreibt, dass die Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft ab dem Zeitpunkt entfällt, ab dem sich die zugrunde legende Rechtsvorschrift ändert. Eine ähnliche Rechtslage stellte sich beim Sanierungserlass für Altfälle. Der Bundesfinanzhof sah diesen Erlassfall des Bundesministeriums der Finanzen als verfassungswidrig an, indem dieser zum einen gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit verstoße112 und zum anderen, weil kein Vertrauenstatbestand bestehe, der für eine Regelung für Altfälle notwendig wäre. In den Fällen des Sanierungserlasses muss man allerdings nach dem Zeitpunkt unterscheiden. § 2 Abs. 3 StAuskV ist eine Ermessensvorschrift.113 Es kommt in diesem Zusammenhang vor, dass eine verbindliche Auskunft erteilt wurde und der Steuerpflichtige daraufhin bereits Dispositionen getroffen hat. Ist der zu Grunde liegende Sachverhalt bereits vollständig umgesetzt, muss die Finanzverwaltung an ihre Aussage auch gebunden sein, da in diesen Fällen der Vertrauensschutz einer Aufhebung der Billigkeitsentscheidung entgegenstehen darf.114 Mithin ist trotz § 2 Abs. 3 StAuskV aufgrund von § 89 AO eine Vertrauensschutzabwägung notwendig, um zu gerechten Ergebnissen zu kommen. Insbesondere ist im Einzelfall zu prüfen, inwiefern sich der Sachverhalt bereits verwirklicht hat und wie weit bereits schutzwürdige Dispositionen des Steuerpflichtigen getroffen wurden.115 Dies ergibt sich bereits aus der Gesetzesbegründung116 zur zeitlichen Anwendung des § 3a EStG n.F. in § 52 Abs. 4a EStG n.F., wonach „für Steuerfälle, in denen der Schuldenerlass bis zum 8. 2. 2017 ausgesprochen wurde oder in denen bis zum Stichtag eine verbindliche Auskunft erteilt wurde, … nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen v. 27. 4. 2017 der Sanierungserlass aus Vertrauensschutzgründen 110
BVerfG, HFR 2015, 882, 883. BVerfG, HFR 2015, 882, 883. 112 BFHE 255, 482, 505 f. 113 A. Commandeur/K. Brocker, NZG 2017, 333, 335; A. Dannecker/A. Werder, BB 2017, 284, 288 114 So auch A. Commandeur/K. Brocker, NZG 2017, 333, 335; Chr. Uhländer, DB 2017, 923, 929 ff.; ders., DB 2017, 1224. 115 Zum Ganzen A. Commandeur/K. Brocker, NZG 2017, 333, 335. 116 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses in BT-Drs. 18/12128, S. 33. 111
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Kap. 2: Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
weiterhin anwendbar“ bleibt. Der Sanierungserlass des Bundesministeriums der Finanzen hat über dreizehn Jahre als Planungsgrundlage für die Sanierung von Unternehmen gedient. Auch wenn es unstreitig lange Zeit Diskussionen darüber gab, ob der Sanierungserlass verfassungsgemäß ist, so wirkt seine lange Anwendung in hohem Maße vertrauensbildend. Aufgrund der langjährigen Beachtung des Sanierungserlasses war die Finanzverwaltung faktisch an diesen gebunden. Es gab zwar kein Gesetz, wohl aber faktisch eine gesetzesähnliche Regelung, die einen Vertrauenstatbestand zur Folge hatte.117 d) Gutgläubigkeit des Steuerpflichtigen Grundvoraussetzung, um den Vertrauensschutz überhaupt im Erlassverfahren geltend zu machen, ist die Gutgläubigkeit des Steuerpflichtigen. Sofern es sich um eine Gesetzesänderung handelt, prüft das Gericht zunächst, ob das geänderte Gesetz zu einer unbilligen Härte führt und die jeweilige Übergangsregelung diese Härte hinreichend behoben hat.118 Eine unbillige Härte liegt allerdings nicht schon dann vor, wenn der Steuerpflichtige in den Fortbestand der begünstigenden Norm vertraut hat. Das Vertrauen in den Fortbestand der begünstigenden Regelung ist grundsätzlich nicht schutzwürdig,119 was sich vor allem aus der Bedeutung der §§ 163, 227 AO als Ausnahmeregelung ergibt. Aus diesem Grund wurde auch die im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen angeordnete Anwendbarkeit des Sanierungserlasses auf Altfälle für unwirksam erklärt: Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhof bestehe für Altfälle kein schutzwürdiges Vertrauen, da die Rechtslage bereits in der Vergangenheit zweifelhaft war und der Steuerpflichtige nicht auf diese Rechtslage vertrauen dürfe.120
117 Zur Ermessensreduzierung auf Null, vgl. Chr. Uhländer, DB 2017, 1224, 1225. Ebenso P. Kirchhof, in: Kirchhof [Hrsg.], EStG, § 3a, Rdnr. 1, wonach die momentane Rechtslage die Planbarkeit für Sanierungen gefährdet, das Vertrauen in das Recht schwächt und die Steuergleichheit in der Zeit zerstört. 118 BFHE 127, 476, 478 ff.; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 23. 119 BVerfGE 14, 76, 104; 50, 386, 395; BFHE 219, 245, 249; E. Benda/K. Kreuzer, DStZ/A 1983, 49, 54; Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 41 (2008), S. 259, 285; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 23. 120 Der BFH verkennt jedoch, dass es zwar immer wieder Diskussionen um die Verfassungsmäßigkeit der BMF-Schreiben gab, der Sanierungserlass jedoch über Jahre praktiziert wurde, sodass der Vertrauensschutz überwiegt. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann sich jedoch trotzdem eine Billigkeitsregelung ergeben, wenn die Belastung des Steuerpflichtigen besonders intensiv ist, vgl. BMF-Schreiben v. 27. 3. 2003, BStBl. I 2003, S. 240, 241: „Die Erhebung der Steuer auf einen nach Ausschöpfen der ertragsteuerrechtlichen Verlustverrrechnungsmöglichkeiten verbleibenden Sanierungsgewinn stellt für den Steuerpflichtigen aus sachlichen Billigkeitsgründen eine erhebliche Härte dar“; ergänzend dazu BMF v. 22. 12. 2009, BStBl. I 2010, S. 18; allerdings sind diese Erlasse obsolet durch den Beschluss des BFH vom 28. 11. 2016, BFHE 255, 482 ff.
B. Der Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden
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Ein schützenswertes Interesse des Steuerpflichtigen ist nur solange gegeben, wie dieser nicht mit der Änderung rechnen musste oder zumindest Zweifel hätte bekommen können.121 Der Steuerpflichtige muss folglich gutgläubig und in Anwendung aller Sorgfalt auf die Richtigkeit einer behördlichen Erklärung vertraut haben, sodass er daraus resultierend bereits Dispositionen getroffen hat.122 Sobald der Steuerpflichtige beispielsweise mit einer Gesetzesänderung hätte rechnen oder diesem zumindest Zweifel hätten kommen müssen, liegt kein Billigkeitsgrund vor.
III. Zusammenfassung Zunächst lässt sich festhalten, dass der Bundesfinanzhof einen Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerfestsetzungen nur dann zulässt, wenn der Steuerbescheid „krass“ rechtswidrig ist. Das ist der Fall, wenn der Steuerbescheid offensichtlich und eindeutig unter einem Fehler leidet. Ferner muss es dem Steuerpflichtigen kumulativ unzumutbar gewesen sein, vorher durch einen geeigneten Rechtsbehelf gegen den Steuerbescheid vorzugehen. Die Rechtsprechung ist in diesem Zusammenhang sehr restriktiv: Sofern die Behörde die Steuer richtig festgesetzt und erhoben hat, besteht kein sachlicher Billigkeitsgrund. Und auch wenn die bestandskräftige Veranlagung im Widerspruch zu einer späteren höchstrichterlichen Entscheidung steht, rechtfertigt dies noch keinen Steuererlass.123 Im Einzelfall legt die Rechtsprechung einen besonderen Schwerpunkt auf die subjektive Kenntnismöglichkeit beziehungsweise das Kriterium des Verschuldens. Hat der Steuerpflichte aus Bequemlichkeit, Nachlässigkeit oder Böswilligkeit keinen vorherigen Rechtsbehelf gegen die unrichtige Festsetzung oder Erhebung der Steuern eingelegt, so ist diesem auch ein Erlass aus Billigkeitsgründen verwehrt.124 Den Schuldner trifft dann ein eigenes Verschulden an seiner Lage, sodass er nicht mehr erlasswürdig ist. Sofern aber die Finanzbehörde selbst dazu beigetragen hat, dass der Steuerpflichtige die Festsetzung oder Erhebung nicht mehr rechtzeitig angefochten hat, so kann ein Erlass aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben dennoch möglich sein.125 Die offensichtliche Fehlerhaftigkeit und die Unzumutbarkeit der vorherigen Rechtsbehelfseinlegung müssen dabei im engen Zusammenhang gesehen werden. Aus verfassungsrechtlicher Sicht darf einem nicht grob 121 BFHE 219, 245, 249; BFH/NV 2004, 44, 45; FG Baden-Württemberg, EFG 2018, 194, 197; H. Söhn, FR 1971, 222, 224; E. Benda/K. Kreuzer, DStZ/A 1983, 49, 54; D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6207; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 21; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 53. 122 BVerwGE 48, 166, 172 f.; BFHE 238, 518, 524. 123 BFH/NV 1988, 217, 219. 124 Vgl. BFH/NV 2004, 1505, 1507; 2005, 747, 749. 125 BFH/NV 1988, 217, 219; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 15.
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Kap. 2: Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
fahrlässigen oder nicht vorsätzlichen Fehler des Steuerpflichtigen keine Bedeutung zukommen, wenn dies mit Gerechtigkeitsvorstellungen nicht vereinbar wäre.126 Ein solcher Verstoß muss rückgängig gemacht werden, um die Verfassung zu wahren. In der Abwägung zwischen Rechtssicherheit auf der einen und der materiellen Gerechtigkeit auf der anderen Seite ist stets darauf zu achten, wie schwerwiegend der Fehler der Steuererhebung ist. Auch wenn die Rechtssicherheit ein hohes Verfassungsgut und ihr daher oft der Vorrang zu gewähren ist, so muss im Einzelfall dennoch eine Interessenabwägung durchgeführt und geprüft werden, ob weitere verfassungsrechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, die der Rechtssicherheit eventuell vorgehen. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass zumindest in krassen Fällen fehlerhafter Steuerfestsetzungen durch einen Billigkeitserlass der materiellen Gesetzmäßigkeit der Vorrang einzuräumen ist. Wenn der fehlerhafte Steuerbescheid nicht mehr korrigiert werden kann, so muss § 227 AO verfassungskonform ausgelegt werden, damit im Steuererhebungsverfahren nachträglich verfassungsmäßige Zustände hergestellt werden können. Nach Christoph Gröpl127 liegt eine sachliche Unbilligkeit dann vor, wenn „der Regelungsgehalt des Steuerbescheids und die materielle Steuergerechtigkeit weit auseinander klaffen.“ Dabei ist auch dem Gedanken Rechnung getragen, dass ein Billigkeitserlass nur als ultima ratio zulässig sein und den Gedanken der Rechtssicherheit nicht aushöhlen darf. Dieser Gedanke wird bei den sogenannten Schätzungsfällen nochmals deutlich. Die Ausgangslage ist in diesen Fällen wie folgt: Trotz wiederholter Aufforderung gibt ein Steuerpflichtiger seine Steuererklärung nicht ab. Da sich die Steuern nun nicht genau ermitteln lassen, werden diese von der Finanzbehörde im Wege der Schätzung festsetzt, vgl. § 162 Abs. 1 und 2 AO. Nachdem dieser Bescheid über die Steuerfestsetzung unanfechtbar und damit bestandskräftig geworden ist, verlangt der Steuerpflichtige einen Erlass, da er der Meinung ist, dass die geschätzte Steuersumme deutlich höher sei als der Betrag, der tatsächlich hätte festgesetzt werden dürfen. In diesen Fällen lehnt der Bundesfinanzhof eine Rechtskraftdurchbrechung und damit einen Erlass ab und bestärkt dieses Ergebnis mit zwei Argumentationsmustern: Zum einen begründen die Gerichte ihre Entscheidung mit einem Verschulden des Steuerpflichtigen. Wer die fehlerhafte Steuerfestsetzung durch sein nachlässiges Verhalten selbst verursacht habe, sei nicht schützenswert und kann damit keinen Erlass verlangen.128 Zum anderen wird die Ablehnung eines Erlassantrages damit begründet, dass bei einer Schätzung keine eindeutige Fehlerhaftigkeit vorliegt und der Steuerbescheid 126
Chr. Gröpl, DStZ 2002, 706, 712 auch zum Folgenden. Chr. Gröpl, DStZ 2002, 706, 712. 128 BFH, HFR 1961, 62, 63; BFH/NV 1998, 935, 936; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 60 ff. 127
C. Der Billigkeitserlass im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren
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somit auch nicht krass rechtswidrig ist. Eine Schätzung beinhaltet notwendigerweise eine gewisse Ungewissheit und beruht auf Wahrscheinlichkeitsüberlegungen,129 was der Gesetzgeber gesehen und akzeptiert hat, sodass solche Schätzungen rechtmäßig sind130 und sich aus dem Steuerbescheid kein eindeutiger Fehler ableiten lässt.131 Ansonsten wären alle Schätzungsfälle erlasswürdig. Bei einer bestandskräftigen Steuerfestsetzung, bei der die Festsetzung auf einer Schätzung beruht, ist demnach eine restriktive Handhabung geboten.132
C. Der Billigkeitserlass im Festsetzungsund Erhebungsverfahren Durchaus schwieriger zu beurteilen und undurchsichtiger als die bislang behandelten Fälle des Steuererlasses bei steuerlichen Nebenleistungen und bei bestandskräftigen Steuerbescheiden, sind die Erlassentscheidungen im Festsetzungsund Erhebungsverfahren. In diesen Fällen wird ein möglicher Steuererlass unsystematisch entweder mit dem Argument der Verfehlung des Gesetzeszweckes oder mit der Verfassung begründet oder aber es werden beide Fallgruppen ohne Begründung zusammen genannt.
I. Stand der Rechtsprechung Für das Festsetzungs- und Erhebungsverfahren gibt es nur wenige Entscheidungen, in denen ein Steuererlass aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zugelassen wurde. Diesen Fällen sind die Fälle der teleologischen Auslegung und der Dispensation wegen Überhangs gegenüberzustellen. 1. Einteilung der Rechtsprechung Im Folgenden sollen einige der wenigen positiv entschiedenen Fälle dargestellt und systematisiert werden. Einzugehen ist ferner auf die Entscheidungen, in denen die Gerichte einen Steuererlass aus Verfassungsgründen zwar verneint, aber allgemeine Ausführungen zum Billigkeitserlass unter diesen Gesichtspunkten gemacht haben. Aufgrund der unterschiedlichen Argumentationsmuster und Kriterien bietet sich zunächst eine Aufteilung nach der Steuerart an. Da dem Billigkeitserlass mit 129
BFHE 156, 376, 378; Chr. Trzaskalik, in: HHSp. [Hrsg.], AO/FGO, § 162 AO, Rdnr. 15. BFHE 169, 503, 506; Chr. Trzaskalik, in: HHSp. [Hrsg.], AO/FGO, § 162 AO, Rdnr. 39. 131 BFH, HFR 1965, 127, 128; BFH/NV 1998, 935, 936. Ähnlich, BFH/NV 1993, 80, 81; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 60 f. 132 So auch T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 62. 130
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dem Merkmal des „Einzelfalls“ ein Bezug zu den konkreten Umständen des zu entscheidenden Streits eigen ist, und dieser zunächst von der Art der Steuer geprägt wird, ist immer zuerst die Frage zu klären, welcher Kategorie die jeweilige Steuer zuzuordnen ist. Es muss der Zweck der Norm festgestellt werden, um dann die Voraussetzungen eines Billigkeitserlasses weiter zu konkretisieren und mögliche Fallgruppen zu bilden. Zu unterscheiden sind auf der einen Seite Fiskalzweck- und Lenkungssteuern und auf der anderen Seite abwälzbare Steuern. 2. Billigkeitserlass bei Fiskalzweck- und Lenkungssteuern Zunächst ist zwischen Fiskalzweck- und Lenkungssteuern zu unterscheiden. a) Fiskalzwecksteuern Fiskalzwecksteuern werden erhoben, um den Staatshaushalt finanzieren zu können.133 Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ihnen das Leistungsfähigkeitsprinzip zugrunde liegt;134 sie sollen einen Teil der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen abschöpfen, um diesen dem Staat zur Verfügung zu stellen.135 In den Entscheidungen zum Steuererlass, bei denen es um Fiskalzwecksteuern ging, war die Leistungsfähigkeit daher auch das entscheidende Kriterium. Im Folgenden sollen die Entscheidungen dargestellt werden, die Aussagen zur Fallgruppe des Billigkeitserlasses machen, um Prinzipien und Leitfäden zur Anwendbarkeit der einzelnen Fallgruppen zu entwickeln. aa) Umsatzsteuer (1) Höhere Gewalt, BFHE 124, 94 ff. Der Kläger betrieb einen Schrottgroßhandel. An einem benannten Wochenende wurde das auf dem Gelände seines Lagerplatzes stehende Bürohäuschen, das vergitterte Fenster und eine vergitterte Tür hatte, mit einem Nachschlüssel geöffnet; die Innentüren wurden aufgebrochen. Dabei wurden Wareneingangsbücher, Journale, Einkaufsbelege, Kassenbücher und Kassenbelege entwendet.136 Der Kläger beantragte daraufhin den Erlass der geforderten Steuerbeträge nach § 131 RAO. 133
J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 20; D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 192. 134 J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 20 und 43; D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 192. 135 Aus diesem Grund werden Fiskalzwecknormen auch Lastenausgleichungsnormen bezeichnet, weil der Gesetzgeber die Belastungswirkungen nach einem bestimmten Gerechtigkeitsmaßstab verteilt, J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 20; D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 192. 136 BFHE 124, 94, 95.
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Der 5. Senat führte zunächst an, dass ein Steuererlass nach den Grundsätzen der Steuergerechtigkeit und Steuergleichheit in solchen Fällen geboten sei, in denen Unterlagen für den Buchnachweis infolge höherer Gewalt verlorengehen und keine Anhaltspunkte gegen die ordnungsgemäße Aufbewahrung dieser Unterlagen gegeben sind.137 Wenn der Kläger nun dennoch Steuern zahlen müsste, würde es diesen „in seinen Rechten verletzen“.138 Insofern sei von höherer Gewalt auszugehen, die zu einer Bejahung des (Teil-)Billigkeitserlasses der Einkommensteuer führe.139 Welcher Fallgruppe dieser Erlass zuzuordnen ist, erklärte das Gericht nicht explizit. Allerdings konstatierte das Gericht, dass vorliegend eine Steuerzahlung den Steuerpflichtigen in seinen Rechten verletzten und dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit nicht genügen würde.140 (2) Guter Glaube, FG Münster, EFG 1994, 813 ff. Die Klägerin erhielt von dem Unternehmen H eine Rechnung zuzüglich Umsatzsteuer über die Lieferung von zehn Pkw. In gleicher Höhe und unter demselben Datum erteilte die Klägerin dem Unternehmen X zehn Rechnungen, in denen sie jeweils die Lieferung eines Pkw inklusive Umsatzsteuer abrechnete. Zwischen der Klägerin und H sowie X flossen keine Zahlungen. Die ausgewiesene Vorsteuer ließ sich der Rechnungsempfänger X von der Finanzbehörde vergüten, ohne dass es tatsächlich jemals zu einer Lieferung der abgerechneten Pkw kam. Mit bestandskräftigem Umsatzsteuerbescheid setzte die Finanzbehörde eine Umsatzsteuer gegenüber der Klägerin fest. In dem Umsatzsteuerbescheid war eine in Rechnungen unberechtigt ausgewiesene Steuer enthalten. Die Klägerin stellte einen Antrag gemäß § 227 AO auf Erlass der Umsatzsteuer. Nach Ansicht des Gerichts habe die Klägerin gewusst, dass sie nicht in der Lage war, die abgerechneten Pkw zu liefern. Deshalb könne sie sich nicht auf den Gesichtspunkt des guten Glaubens berufen. Ein Härtefall liege aber vor, weil die Höhe der von der Klägerin nach § 14 Abs. 3 UStG a.F. (1991) geschuldeten Umsatzsteuer für sie und ihre Familie existenzbedrohend sei.141 Angesichts dessen erfordere der Zweck der Generalprävention unter Berücksichtigung des in Art. 20 Abs. 3 GG wurzelnden Verhältnismäßigkeitsprinzips kein Festhalten an dem geschuldeten Betrag in voller Höhe. Demnach komme zumindest ein Teilerlass der Steuer in Betracht.142
137 138 139 140 141 142
BFHE 124, 94, 97. BFHE 124, 94, 98. BFHE 124, 94, 97 f. FG Münster, EFG 1994, 813, 815. A.a.O. A.a.O.
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In diesem Fall argumentierte das Gericht mit dem Gesetzeszweck von § 14 Abs. 3 UStG a.F. (1991) und nahm das Verhältnismäßigkeitsprinzip zur Hand, um diesen Zweck näher zu erschließen. bb) Erbschaftsteuer (1) Bewertung einer Kommanditgesellschaft, FG Köln, EFG 2009, 1523 ff. Bei der Berechnung der Erbschaftsteuer wurde unter anderem ein vom Erblasser gehaltene Kommanditanteil in Ansatz gebracht. Die Kommanditgesellschaft war jedoch zum Todestag bereits völlig überschuldet und rein tatsächlich mit 0 DM/E zu bewerten.143 Die Gesellschaft war lediglich durch ständige Einlagen des Erblassers am Leben gehalten worden, was sich auch in den Bilanzen widerspiegelt. Die Erben begehrten den Erlass der festgesetzten Erbschaftsteuer gem. § 227 AO. Nach Ansicht des Gerichts stellt die Besteuerung des rein buchmäßig vorhandenen Vermögenswerts, dem kein realer Wert entspricht, einen Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers und somit einen Eingriff in die Eigentums- und Vermögenssphäre der Rechtsnachfolger, der Erben, dar, der als übermäßig anzusehen sei.144 Deshalb sei nach Ansicht des Gerichts ein Billigkeitserlass nach § 227 AO geboten, da die gesetzliche Regelung einer verfassungsmäßigen Prüfung nur standhalte, wenn man den im Einzelfall auftretenden Härten mit einem Billigkeitserlass begegnet und den Wert der Beteiligung im Wege des Billigkeitserweises mit 0 DM in Ansatz bringt.145 Damit sollen die Grundrechte der Klägerinnen im Einzelfall gewahrt werden.146 Das Gericht argumentierte vorliegend mit der Fallgruppe des Überhangs des § 12 Abs. 5 Satz 2 ErbStG i.V.m. § 97 Abs. 1 Nr. 5 BewG über die gesetzlichen Wertungen und begründete dann wiederum den Erlass mit der Wahrung der Grundrechte des Steuerpflichtigen. Aus Sicht des Finanzgerichts Köln scheint es somit keinen Unterschied zwischen den beiden Fallgruppen zu geben. Das Gericht macht lediglich deutlich, dass ein Billigkeitserlass im vorliegenden Fall zur Wahrung der Grundrechte geboten ist. (2) Ausfall von Rentenzahlungen, BFHE 247, 170 ff. Die Klägerin erwarb von Todes wegen eine wertgesicherte Leibrente als Vermächtnis, hiermit beschwert war die Tochter des Erblassers als Erbin. Aufgrund der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der Tochter erhielt die Klägerin keine Rentenzahlungen. Die Klägerin beantragte daraufhin bei der Finanzbehörde, die Jahressteuer nach § 23 Abs. 2 ErbStG a.F. abzulösen und wegen des Vermögens143 144 145 146
Zum Klagevorbringen siehe FG Köln, EFG 2009, 1523, 1524 f. auch zum Folgenden. A.a.O. FG Köln, EFG 2009, 1523, 1527. FG Köln, EFG 2009, 1523, 1526.
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verfalls der Tochter die Erbschaftsteuer für die Ablösung des Jahresbetrags mit 0 Euro anzusetzen. Der Senat entschied, dass eine sachliche Unbilligkeit vorliege, wenn die Besteuerung an die lebenslängliche Leistung der Rente anknüpfe und die Rentenzahlungen tatsächlich aufgrund von Umständen entfallen, die der Rentenberechtigte nicht zu vertreten hat. Insoweit komme es zu einem ungewollten Überhang des Steuertatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers, weil der Rentenberechtigte zwar keine Zahlungen mehr erhält, aber weiterhin bis zu seinem Ableben nach § 23 Abs. 1 ErbStG die Jahressteuer für eine lebenslängliche Rente zu entrichten habe.147 Die Festsetzung der Steuer würde zwar dem Gesetz entsprechen, den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Einzelfall jedoch zuwiderlaufen.148 Dieser Fall wurde vom Bundesfinanzhof lediglich mit der Fallgruppe des Überhangs des Gesetzes über die gesetzlichen Wertungen gelöst. Einen Bezug zum Verfassungsrecht sah das Gericht nicht. Weiterhin wurde in dieser Entscheidung auch wieder nicht deutlich, warum eine vorrangige Auslegung nicht ausreichend ist. cc) Kirchensteuer, FG Köln, EFG 2000, 1092 ff. In der nach dem Kirchensteuergesetz Nordrhein-Westfalens (KiStG NW)149 erlassenen eigenen Kirchensteuerordnung der evangelischen Kirche Westfalen und Rheinland (KiStO)150 ist in § 23 Abs. 1 geregelt, dass die Kirchengemeinden selbst über Stundung und Erlass der Kirchensteuer entscheiden können. In einem darauf basierenden Schreiben (Richtlinie) wurde den Kirchensteuerpflichtigen im Rahmen der Kappung die Möglichkeit eingeräumt „zu wählen zwischen einer Versteuerung mit 9 v. H. der – ggf. um Kürzungsbeiträge für Kinder geminderten – Einkommensteuer oder 4 v. H. des steuerpflichtigen Einkommens“. Darauf bezugnehmend beantragte der Kläger, der kurz zuvor aus der Kirche ausgetreten war, eine Kappung beziehungsweise einen teilweisen Erlass der festgesetzten Kirchensteuer. Das Finanzgericht kam zu dem Ergebnis, dass es gegen den Gleichheitssatz verstoße, wenn die Ausübung des Kappungswahlrechts demjenigen verweigert wird, 147 BFHE 247, 170, 174. Dieser Auffassung schließt sich die Literatur an, vgl. J. Eisele, in: Kapp/Ebeling [Hrsg.], ErbStG, § 23, Rdnr. 16; J. P. Meincke, ErbStG, § 23, Rdnr. 8 f.; St. Schuck, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz [Hrsg.], ErbStG/BewG, § 23 ErbStG, Rdnr. 7; N. Weinmann, in: Moench/Weinmann [Hrsg.], ErbStG, § 23, Rdnr. 26. 148 BFHE 247, 170, 174. 149 Gesetz über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nordrhein-Westfalen v. 22. 4. 1975 (GV. NW. 1975 S. 438); zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung des Kirchensteuergesetzes und des Kirchenaustrittsgesetzes v. 1. 4. 2014, GVBl. 2014, S. 251. 150 Notverordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland gesetzesvertretende Verordnung der Evangelischen Kirche von Westfalen Kirchengesetz der Lippischen Landeskirche über die Erhebung von Kirchensteuern, v. 22. 9. 2000, 14. 9. 2000 und 28. 11. 2000, ABl. Rheinl. 2000 S. 297, geändert durch 6. Gesetzesvertretende VO v. 4./5./16. 12. 2014, GVBl. Lippe 2014, S. 359.
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der zwar zwischenzeitlich aus der Kirche ausgetreten ist, aber gleichwohl für die Zeit der Kirchenmitgliedschaft zur Kirchensteuer herangezogen wurde.151 Vorliegend lägen die Billigkeitserwägungen und die kirchenpolitischen Zweckmäßigkeitsgründe auf verschiedenen Ebenen.152 Mit der Handhabung des Billigkeitserlasses der Kirche würden im Ergebnis die Kirchenmitglieder besser gestellt werden, als die zwischenzeitlich aus der Kirche ausgetretenen Steuerpflichtigen, was zudem gegen die in Art. 4 GG garantierte Religionsfreiheit verstoßen würde. Vorliegend argumentierte das Gericht vor allem mit dem Gleichheitssatz und der Religionsfreiheit und somit der Verfassung. Zwar nahm das Gericht auch Zweckmäßigkeitserwägungen in seine Beurteilung mit auf, von einem Überhang wird in dieser Entscheidung aber nicht gesprochen. Ferner ergibt sich aus dieser Zweckmäßigkeitsbegründung nicht, warum nicht auch eine Auslegung zum gleichen Ergebnis kommen würde. dd) Einkommensteuer, BFHE 166, 272 ff. Der Kläger war Beamter und zu 100 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Da eine Aufnahme des Klägers in eine private Krankenversicherung wegen seiner Krankheit nicht möglich war, entstanden ihm für die notwendige Versicherung bei der gesetzlichen Krankenkasse deutlich höhere Beiträge. Die Finanzbehörde lehnte es ab, diese erhöhten Krankenversicherungsbeiträge, die sich als Sonderausgaben nicht ausgewirkt hätten, als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Das Gericht führte aus, dass der Kläger aufgrund seiner besonderen Krankheit gezwungen war, ein versicherungsrechtliches Sonderopfer zu erbringen.153 Der Kläger musste nicht nur auf die Beihilfeleistungen verzichten, sondern hatte auch keinen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber den halben Anteil an den Versicherungskosten trug. Er sei deshalb in „äußerst ungewöhnlicher Weise“ betroffen. Das Gericht ging davon aus, dass der Gesetzgeber Fälle dieser Art, hätte er sie gesehen, dahin geregelt hätte, dass er der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit durch Berücksichtigung der Mehraufwendungen wie bei einer außergewöhnlichen Belastung Rechnung getragen hätte.154 Die steuerliche Belastung entspräche somit nicht den Wertungen des Gesetzgebers. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit den Wertungen des Gesetzgebers und nahm damit einen Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers an. Diesen Überhang verband das Gericht mit der fehlenden Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen und nahm damit ebenso verfassungsrechtliche Argumente in seine Entscheidung mit auf. 151
FG Köln, EFG 2000, 1092, 1093. FG Köln, EFG 2000, 1092, 1094. Ähnlich BFHE 94, 246, 249, wonach Billigkeitserwägungen und volkswirtschaftliche Förderungswürdigkeit nicht auf einer Ebene stehen. 153 BFHE 166, 272, 275 zum Folgenden. 154 A.a.O. 152
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b) Lenkungssteuern Neben den Fiskalzwecksteuern stehen die Lenkungssteuern. Diese Steuern werden erhoben, um Lenkungszwecke zu verfolgen. Mit der Steuererhebung soll ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen der Steuerpflichtigen herbeigeführt werden.155 Im Einzelfall kann es jedoch dazu kommen, dass ein Lenkungszweck verfehlt wird, indem dieser im konkreten Fall unerreichbar ist. Die Steuererhebung steht dann im Widerspruch zum Steuererhebungszweck, sodass in diesen Fällen ein Billigkeitserlass in Betracht kommt.156 aa) Werkfernverkehr, BVerfGE 16, 147 ff. Der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte sich im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde mit der Vereinbarkeit einer beförderungssteuerlichen Sonderbelastung des Werkfernverkehrs mit der grundrechtlichen Garantie der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG zu beschäftigen und führte in diesem Verfahren den Steuererlass erstmals in die Grundrechtsdogmatik ein. Mit der Besteuerung des Werkfernverkehrs verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die Unternehmer zu einer Nutzung der Bundesbahn zu veranlassen. Aufgrund dieser Beförderungssteuer kam es jedoch dazu, dass einzelne Unternehmer, die den Werkfernverkehr aufgrund ihrer geografischen Lage oder Eigenart nicht entbehren konnten, durch die erhöhte Steuer ernstlich in ihrer Existenzgrundlage gefährdet wurden. Für das Bundesverfassungsgericht war entscheidend, dass die Werkfernverkehrsteuer die betroffenen Unternehmer im Normalfall nicht zur Aufgabe ihres eigentlichen Berufes gezwungen, sondern nur zu einer Änderung ihrer beruflichen Arbeitsweise genötigt habe.157 Und genau das lasse Art. 12 GG zu, wenn wichtige öffentliche Interessen dies erfordern. Diesem Ergebnis widerspreche auch nicht die Tatsache, dass es entgegen dieser Zielsetzung einzelne Unternehmer gab, die aufgrund der Eigenart der zu transportierenden Güter oder der ungünstigen Lage ihres Betriebes gar nicht imstande waren, auf die Bundesbahn auszuweichen. Denn in solchen Fällen war der generelle Eingriff in die Berufsfreiheit durch Interessen des Gemeinwohls gerechtfertigt.158 Das Ausbleiben der Verlagerung eines erheblichen Teils der vom Werkfernverkehr unterlassenen Beförderungen auf die Eisenbahn und damit des wesentlichen für das Gemeinwohl erstrebten Vorteils könne den empfindlichen Eingriff in die Berufsfreiheit zur Zeit noch nicht unzumutbar machen.159 „Dass die in der Steuernorm enthaltene Lenkungsmaßnahme als generalisierende Regelung von dem je verschiedenen Grad der wirtschaftlichen Entbehrlichkeit des 155
D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 193. P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 792; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 133. 157 BVerfGE 16, 147, 163 f. 158 BVerfGE 16, 147, 166 ff. 159 BVerfGE 16, 147, 181. 156
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Werkfernverkehrs für den einzelnen Betrieb absehen muss, widerstreitet nicht grundsätzlich der Bedeutung der Berufsfreiheit für die Freiheit jeder einzelnen Persönlichkeit. Dies jedenfalls dann nicht, wenn eine Härteklausel wie § 131 AO, deren Anwendung in solchen Fällen geboten sein wird, Billigkeitsmaßnahmen zulässt.“160 Das Gericht nahm vorliegend mithin eine Billigkeitsmaßnahme bei einer Grundrechtsverletzung im Einzelfall an. bb) Energiesteuer, BVerfG (K), NVwZ 1995, 989 f. Besonders im Energiesteuerrecht sind zahlreiche Entscheidungen über Billigkeitsmaßnahmen ergangen. (1) Die Ausgangssituation Die Grundkonstellation in diesen Fällen ist zunächst gleich: Für zwei Mineralöle werden Steuern gezahlt, welche dann entweder schuldhaft oder unverschuldet miteinander vermischt werden, woraufhin auf dieses Mineralölgemisch nochmals Energiesteuer entfällt. Die Steuerpflichtigen klagen in diesen Fällen über die hierdurch eintretende Doppelbesteuerung und verlangen einen Erlass. Im Detail unterscheiden sich die Fälle aber bedeutend, sodass ein Billigkeitserlass nur in Ausnahmesituationen zugelassen wurde. (2) Qualifizierung der Energiesteuer Das Bundesverfassungsgericht qualifiziert die Energiesteuer als Verbrauchsteuer,161 die unabhängig von der Abwälzung auf den End- oder Zwischenverbraucher zu entrichten ist. Somit kommt der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in einer geringeren Intensität zum Tragen. Allerdings darf die wirtschaftlich ungleiche Wirkung ein gewisses Maß nicht übersteigen.162 Das Ziel der Energiesteuer ist es, umweltschädliches Verhalten finanziell zu sanktionieren und mit den Steuereinnahmen die Lohn(neben)kosten zu senken und zu stabilisieren.163
160
BVerfGE 16, 147, 176. BVerfGE 110, 274, 295. Darauf bezugnehmend auch M. Bongartz, NJW 2004, 2281; R. Wernsmann, NVwZ 2004, 819 f. Ferner BGH, NVWZ 2004, 376, 377; U. Büdenbender, NVwZ 2004, 823. 162 BVerfGE 110, 274, 292; 21, 12, 27. Kritisch Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 41 (2008), S. 259, 276, da sich die gleichheitsrechtliche Ausgestaltung praktisch nur als Begrenzung durch das „zahnlose gleichheitsrechtliche Willkürverbot“ erweist. 163 R. Wernsmann, NVwZ 2004, 819: Die „doppelte Dividende“ lenkungspolitisch motivierter Steuern. 161
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(3) Mineralölsteuer, BVerfG (K), NVwZ 1995, 989 f. Die Beschwerdeführerin füllte Kerosin (mittelschweres Mineralöl) in einen Steuerlagertank, das dort mit Gasöl vermischt wurde. Das Gemisch wurde als Dieselkraftstoff entnommen und zur Versteuerung angemeldet. Die auf die Entnahme des Gemisches entfallende Mineralölsteuer wurde von der E-GmbH gezahlt. Mit zwei Steuerbescheiden machte das Zollamt gegenüber der Beklagten nun einen Mineralölsteueranspruch geltend. Die Beklagte begehrte daraufhin den Erlass der Mineralölsteuer. Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts urteilte, dass die doppelte Steuerfestsetzung gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit im Steuerrecht verstößt und nicht mit der Sicherung des Steueraufkommens gerechtfertigt werden könne.164 Das Steueraufkommen wäre nicht gefährdet, da die E-GmbH die Steuer tatsächlich gezahlt hat. Das Gericht argumentierte, dass „dem Gesetz … nicht entnommen werden (kann), der Gesetzgeber habe für den Fall der Aufnahme versteuerten Mineralöls auch eine Mehrfachbelastung gewollt, wenn diese im Einzelfall eindeutig feststeht.“165 Aus § 10 MinöStG a.F.166 sei genau das Gegenteil zu entnehmen. Es liege damit ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über den gesetzlichen Belastungsgrund vor, der aus Gründen der Besteuerungsgleichheit zu vermeiden sei.167 Das Gericht begründete den Steuererlass vor allem mit den Wertungen des § 10 MinöStG a.F. Der Gesetzgeber hat im vorliegenden Fall keine Doppelbesteuerung gewollt, und es gibt auch keinen Grund, der eine Doppelbesteuerung vorliegend rechtfertigen würde. Das Gericht macht allerdings nicht deutlich, warum nicht auch eine vorrangige Auslegung des gesetzlichen Tatbestandes zu sachgerechten Ergebnissen geführt hätte. (4) Weitere Entscheidungen zur Energiesteuer In anderen Fällen einer Doppelbesteuerung wurde ein Steuererlass hingegen überwiegend verneint. Im Folgenden sollen beispielshaft zwei Entscheidungen dargestellt werden, die den Unterschied zur vorherstehenden Entscheidung besonders deutlich zeigen. (aa) FG Hamburg, Urteil v. 26. 11. 2010 – 4 K 287/09 –, juris Aufgrund der Unachtsamkeit eines Fahrers wurde an einer Tankstelle Dieselkraftstoff in einen Tank für Superkraftstoff gefüllt, wodurch es zu einer Vermischung der Kraftstoffe kam. Auch hier beantragte die Klägerin die Entlastung von der Energiesteuer für jeweils den Diesel- und Superkraftstoff. 164 165 166 167
BVerfG (K), NVwZ 1995, 989, 990, auch zum Folgenden. A.a.O., bezugnehmend auf BFHE 93, 114, 116 f. I. d. F. des Verbrauchsteueränderungsgesetzes, BGBl. I 1988, S. 2280. BVerfG (K), NVwZ 1995, 989, 990.
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Kap. 2: Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
Das Gericht stellte fest, dass der Gesetzgeber den Fall der versehentlichen Vermischung von versteuerten Energieerzeugnissen gesehen und für eine besondere Fallkonstellation, nämlich für die Vermischung von ordnungsgemäß gekennzeichnetem Gasöl, also Heizöl und anderen Gasölen, in § 48 EnergieStG168 die Möglichkeit einer anteiligen Steuerentlastung vorgesehen habe.169 Grund für die gesetzliche Ausnahme sei die Tatsache, dass das dort geregelte Gemisch noch nachträglich verheizt werden kann und somit nicht vollkommen unbrauchbar ist.170 Vorliegend war das Gemisch jedoch unbrauchbar, sodass die Ausnahme nicht greift. Der Gesetzgeber habe damit das Risiko der Unbrauchbarkeit der versteuerten Energiestoffe demjenigen auferlegt, der damit handelt oder diese als Endverbraucher nutzt.171 Ähnlich hatte auch das Finanzgericht München geurteilt für die insoweit vergleichbare Rechtslage, die sich für Fälle ergeben hat, die noch nach den Vorgängervorschriften aus dem Mineralölsteuergesetz und der Mineralölsteuer-Durchführungsverordnung zu beurteilen waren.172 Hinweise, die einen persönlichen Steuererlass rechtfertigen, waren vorliegend nicht ersichtlich und mussten daher auch nicht berücksichtigt werden. (bb) BFH/NV 2014, 7 ff. Die Klägerin handelte mit Dieselkraftstoff und Heizöl. Es kam zu einer Vermischung der beiden Mineralöle, woraufhin die Klägerin beim damaligen Hauptzollamt eine Überschreitung der Werte aus § 9 Abs. 1 Satz 1 HeizölkennzV a. F.173 anzeigte. Das Hauptzollamt setze daraufhin Mineralölsteuer fest. Das Gericht konstatierte, dass § 26 Abs. 6 Satz 6 MinöStG a.F. eine generalisierende Regelung sei mit dem Ziel, die jeweilige Gesamtmenge an Gemischen unabhängig von einem Verschulden zu besteuern.174 Dabei sei bewusst von einer Anrechnung einer bereits entstandenen Steuer auf die infolge der Vermischung entstandenen Steuer abgesehen worden.175 Das Mischungsverbot solle Manipulationen vorbeugen.176 168 Energiesteuergesetz v. 15. 7. 2006, BGBl. I, S. 1534; zuletzt geändert durch Art. 1 und 2 Zweites Gesetz zur Änderung des Energiesteuer- und des StromsteuerG vom 27. 8. 2017, BGBl. I, S. 3299 i.V.m. Bekanntgabe v. 9. 1. 2018, BGBl. I, S. 126. 169 FG Hamburg, Urteil v. 26. 11. 2010 – 4 K 287/09, juris, Rdnr. 26. 170 A.a.O. 171 A.a.O. 172 FG München, Urteil vom 13. Dezember 2000 – 3 K 2875/97, juris, Rdnr. 15 auf der Grundlage von § 31 Abs. 2 Nr. 9d MinöStG a.F. i.V.m. § 51 Abs. 1 S. 1 MinöStDV a.F. 173 Heizölkennzeichnungsverordnung v. 27. 7. 1993, BGBl. 1993 I, S. 1384. Geändert durch VO v. 23. 7. 1996, BGBl. 1996 I S. 1101, 1107. 174 A.a.O. 175 BFH/NV 2014, 7, 9 mit Bezug zur Gesetzesbegründung zu § 12 Abs. 9 MinöStG a.F. (Vorgängernorm von § 26 Abs. 6 MinöStG), vgl. BT-Drs. 7/1944, S. 11. 176 BFH/NV 2014, 7, 9.
C. Der Billigkeitserlass im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren
51
Zur Ablehnung des Steuererlasses argumentierte das Gericht vor allem mit den Wertungen des Gesetzes. Aufgrund von Praktikabilitätserwägungen seien gewisse Ungleichheiten bei der Anwendung des Gesetzes zu akzeptieren. (5) Zusammenfassung In den genannten Entscheidungen zur Energiesteuer wird deutlich, dass die Frage, ob ein Steuererlass gewährt wird, immer von den Wertungen des Gesetzgebers getragen wird. In allen Entscheidungen wurde immer mit der Fallgruppe des Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers argumentiert. Der Gesetzgeber möchte mit den Vermischungstatbeständen auf der einen Seite und den dazugehörigen Ausnahmen auf der anderen Seite verhindern, dass Mineralöle vermischt werden und das daraus resultierende Gemisch unbrauchbar wird. Er möchte solche Vermischungen somit sanktionieren. Ein Steuererlass kommt bei der Doppelbesteuerung der Energiesteuer somit nur in Betracht, wenn das Mineralölgemisch weiterhin brauchbar ist. c) Weitere Kriterien und Fallkonstellationen In den meisten Fällen, in denen über einen Billigkeitserlass gestritten wurde, wurde dieser abgelehnt. Allerdings machen die Gerichte regelmäßig Ausführungen zu Kriterien und Fallkonstellationen, die wiederum einen Billigkeitserlass hätten rechtfertigen können. In sogenannten „Wenn-Dann“-Ausführungen beschreiben die Gerichte den Sachverhalt mit kleinen Veränderungen, die dann zu einem Erlass berechtigen würden. Im Jahr 1978 kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass die volle Besteuerung der Zinsen trotz Geldentwertung des verzinslich angelegten Kapitals verfassungsgemäß und auch kein Steuererlass notwendig ist.177 Insbesondere liege kein Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit vor.178 Die Geldentwertung mindere zwar den Wert der Zinserträge. Gleichzeitig mindere sie aber auch den Wert der darauf entfallenden Steuern, sodass die wirtschaftliche Belastung im Verhältnis zu dem Wert der Erträge unverändert bleibe.179 Das Gericht urteilte daher, dass die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen mit ihrem Nennwert mit dem Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG) vereinbar sei.180 Ein Steuererlass komme jedoch dann in Betracht, wenn ein Steuerpflichtiger in Jahren der Erwerbstätigkeit Geldvermögen gespart und verzinslich angelegt hat, um durch Kapitalzinsen seine Altersvorsorge zu sichern, eine inflationsbedingte Geldentwertung und eine zusätzliche Besteuerung seiner Zinsen jetzt aber nicht nur die zum Lebensunterhalt benötigten Zinserträge, sondern zusätzlich 177 178 179 180
BVerfGE 50, 57, 59 f., 77. BVerfGE 50, 57, 78 f., 81, 84. BVerfGE 50, 57, 81 mit Verweis auf G. Bopp, DStR 1978, 183, 186. BVerfGE 50, 57, 59.
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Kap. 2: Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
auch die Einkommensquelle mindern.181 In diesem Fall verstoße die Zinsbesteuerung gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip. Geht man davon aus, dass sich das Leistungsfähigkeitsprinzip aus einer Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes ergibt und damit Verfassungsrang besitzt,182 stützt das Gericht den Erlass der Kapitalertragssteuer in diesem besonderen Fall auf die Verfassung. Eine Steuererhebung kann ferner dann sachlich unbillig sein, wenn das Zusammenwirken verschiedener Regelungen zu einer Steuerschuld von einer Höhe führt, der kein entsprechender Zuwachs an Leistungsfähigkeit zugrunde liegt. Zu diesem Ergebnis kam der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung aus dem Jahr 1994:183 Die Rechtslage war dadurch gekennzeichnet, dass verschiedene materiell- und verfahrensrechtliche Nebenfolgen der Rechtsanwendung zusammen ein Ausmaß an steuerlicher Belastung bewirkten, die grundlegenden Wertungen des EStG widersprachen und somit ausnahmsweise eine Korrektur durch Billigkeitsmaßnahmen erforderlich war.184 Im vorliegenden Fall führte der Gewinn aus dem Wegfall eines negativen Kapitalkontos des Kommanditisten einer KG zwar zur Erhöhung der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, dieser läge jedoch keine Betriebsvermögensmehrung zugrunde.185 Das Gericht stellte im Ergebnis fest, dass die gesamte Steuerbelastung gegen den Grundsatz der Besteuerung nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit und somit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.186 Vorliegend hat es den Anschein, als würde das Gericht beide Fallgruppen zum Steuererlass zusammen verwenden: Zum einen würde die Besteuerung den grundlegenden Wertungen des EStG widersprechen und zum anderen käme es zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Ob es tatsächlich beide Fallgruppen zusammen anwenden möchte, sagte das Gericht allerdings nicht. Des Weiteren entschied der 6. Senat des Bundesfinanzhofs, dass ein Billigkeitserlass in Betracht kommt, soweit „ein Professor nach seiner Entpflichtung oder Versetzung in den Ruhestand tatsächlich auf Ersuchen der Hochschule dort Vorlesungen hält oder eine sonstige Lehrtätigkeit ausübt und ein Werbungskostenabzug der damit zusammenhängenden Aufwendungen nach den vorstehenden Ausführungen nicht in Betracht kommt.“187 Dies sei allerdings nur der Fall, wenn die 181 BVerfGE 50, 57, 86 (Zinsbesteuerung nach dem Nominalwertprinzip). Zustimmend P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 780, wonach die Diskrepanz zwischen generellem Gesetz (Nominalwertprinzip) und individueller Eigenart des Belastungsgrundes (laufende Zinsen als Existenzgrundlage) mit einem Billigkeitserlass ausgeräumt werden muss. 182 BVerfGE 122, 210, 234; 43, 108, 120; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 40; K. Vogel, in: Steuerrecht und Verfassungsrecht, 1989, S. 123, 141. 183 BFHE 176, 3, 7 ff. 184 BFHE 176, 3, 7 f. 185 BFHE 176, 3, 8. 186 BFHE 176, 3, 9. 187 BFHE 172, 478, 482.
C. Der Billigkeitserlass im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren
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Aufwendungen unmittelbar mit der Lehrtätigkeit im Zusammenhang stünden und ihre Höhe nicht in einem evidenten Missverhältnis zu dem Umfang der Lehrtätigkeit stehe.188 Welcher Fallgruppe des Billigkeitserlasses dieser Fall zuzuordnen ist, sagte das Gericht wiederum nicht. 3. Billigkeitserlass bei abwälzbaren Steuern Im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren sind bei der Frage des Billigkeitserlasses ferner die abwälzbaren Steuern von besonderer Bedeutung. Hervorzuheben sind die Erlassentscheidungen zur Grundsteuer und Vorsteuer, in denen sich wichtige Aussagen zur Fallgruppe des Billigkeitserlasses aus Verfassungsgründen finden. Diese sollen im Folgenden dargestellt werden. a) Grundsteuer, Hessischer VGH, Urteil vom 13. Februar 1980 – V OE 23/78 –, juris Die Finanzbehörde zog den Wohnungseigentümer mit Bescheid rückwirkend zu einer erhöhten Grundsteuerzahlung heran. Aufgrund von Art. 3 § 4 Abs. 3 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetz (WKSchG) vom 18. 12. 1974189 war es dem Eigentümer allerdings nicht mehr möglich, die rückwirkend erhöhte Grundsteuer auf den Mieter abzuwälzen. Die Wohnungseigentümer hätten die erhöhte Grundsteuer allerdings dann noch abwälzen können, wenn sie den entsprechenden Bescheid frühzeitig erhalten hätten. Der Eigentümer beantragte bei der zuständigen Finanzbehörde deshalb den Erlass des Mehrbetrags der Grundsteuer für das Jahr 1974. Der Verwaltungsgerichtshof konstatierte, dass sich die Unbilligkeit aus einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ergibt. Eine Ungleichbehandlung folgt nach Auffassung des Gerichts hier daraus, dass für den größten Teil der grundsteuerpflichtigen Wohnraumvermieter die Abwälzbarkeit erhalten blieb, wohingegen diese Möglichkeit aufgrund einer Verzögerung der Bearbeitung auf Seiten der Finanzbehörde für den Kläger nicht mehr bestand. Diese Ungleichbehandlung müsse dann mit § 227 AO korrigiert werden.190 In dieser Entscheidung nahm das Gericht Argumente aus beiden Fallgruppen des Steuererlasses in seine Argumentation auf. Es argumentierte zunächst mit dem Umstand einer Ungleichbehandlung, aus dem sich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ergibt. Diese Erwägungen ergänzte es mit einem Hinweis auf die Wertungen und
188
A.a.O. BGBl. I, S. 3603, 3606. 190 Hessischer VGH, Urteil v. 13. Februar 1980 – V OE 23/78 –, juris, Rdnr. 37. Ebenso vorgehend VG Frankfurt, NJW 1978, 1020, 1021. 189
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Kap. 2: Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
den Zweck des Gesetzes, die die Möglichkeit der fehlenden Grundsteuerabwälzung gesehen und bewusst in Kauf genommen haben. b) Umsatzsteuer (Vorsteuer), BFHE 250, 34 ff. Die Klägerin bediente sich für die Durchführung von Messen des Unternehmers E. Die E führte die Umsatzsteuer an die Finanzbehörde ab und die Klägerin machte die Vorsteuer bei der für sie zuständigen Finanzbehörde geltend. Im Zuge einer Umsatzsteuerprüfung bei der Klägerin wurde festgestellt, dass die Leistungen der E im Inland nicht umsatzsteuerpflichtig waren. Daraufhin erstattete die Klägerin große Teile der Vorsteuerbeiträge der Finanzbehörde. Zeitgleich wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der E eröffnet. Nachdem eine Umsatzsteuerprüfung der Behörde ergeben hatte, dass E die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer zu Unrecht gezahlt hatte, erstattete die Finanzbehörde den Betrag der Insolvenzmasse. Bei der Finanzbehörde beantragte die Klägerin sodann die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer gem. § 37 Abs. 2 AO i.V.m. § 14c Abs. 1, § 17 UStG. Das Gericht entschied, dass die Klägerin ihren Erstattungsanspruch nicht auf § 37 Abs. 1 AO stützen könne, weil danach nur derjenige einen Erstattungsanspruch aus Überzahlungen habe, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist.191 Das seien aufgrund der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer allein die Rechnungsaussteller, die ihre Rechnungen nach § 17 UStG berichtigt haben. Das Gericht gab jedoch den Hinweis, dass in diesem Fall ein Steuererlass der zu viel gezahlten Umsatzsteuer gem. §§ 163, 227 AO in Betracht kommt. Unter welche Fallgruppe ein solcher Erlass fallen würde, sagte das Gericht nicht. 4. Zwischenergebnis In einer Rückschau der Entscheidungen wird sichtbar, dass die Rechtsprechung auf die Abgrenzung der verschiedenen Fallgruppen keinen Wert legt. Die Gerichte legen nicht fest, ab wann eine Auslegung der Steuernorm nicht mehr ausreicht und wann es zu einem Billigkeitserlass kommt. Ferner differenziert die Rechtsprechung nicht zwischen der Fallgruppe des Erlasses wegen Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers und der Fallgruppe des Erlasses aus Verfassungsgründen. Teilweise nennen sie lediglich verfassungsrechtliche Aspekte192 oder aber nehmen in ihre Argumentation nur den „Überhang“ mit auf.193 In den meisten Fällen benutzten die Gerichte auf den ersten Blick beide Fallgruppen 191
BFHE 250, 34, 37. So beispielsweise BVerfGE 16, 147, 188; 50, 57, 86. 193 BFHE 124, 94, 98 mit dem Zusatz, dass der Steuerpflichtige in seinen Rechten verletzt sei, wenn er dennoch zur Steuerzahlung herangezogen werden würde. Ferner BFHE 247, 170, 174. 192
C. Der Billigkeitserlass im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren
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gleichzeitig, ohne einen Hinweis darauf zu geben, wie sich die Fallgruppen zueinander verhalten.194 Sie argumentieren mithin mit den gesetzlichen Wertungen der Vorschrift und mit Verfassungsrecht gleichzeitig. Teilweise geht aus der Argumentation der Gerichte auch gar nicht hervor, welcher Fallgruppe sie den zu entscheidenden Fall zuordnen möchten.195 In der Rechtsprechung in Steuersachen wird somit nicht deutlich, wann ein Billigkeitserlass aus Verfassungsgründen akzeptiert wird, wie sich diese Fallgruppe von einem Erlass wegen Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzes unterscheidet und warum die vorgenannten Fälle nicht bereits durch eine teleologische Auslegung gelöst werden können.
II. Stand der Literatur Das Schrifttum hat den Steuererlass wegen Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers und den Erlass aus Verfassungsgründen wiedergegeben, ohne sich mit der Frage auseinander zu setzen, welche Voraussetzungen hierfür erfüllt sein müssen und wie man die Fallgruppen voreinander unterscheidet. Vielfach werden die Entscheidungen der Gerichte unkommentiert wiedergegeben. Teilweise gehen die Verweise sogar fehl, da es in den zitierten Entscheidungen gar nicht zu einem Erlass der Steuer gekommen war. Roman Seer unterscheidet drei Fallgruppen der sachlichen Unbilligkeit: die Zweckverfehlung, den Grundrechtseingriff und den Verstoß gegen das Vertrauensschutzprinzip.196 Innerhalb der Fallgruppen zitiert Seer allerdings nur die Rechtsprechung, ohne diese weiter zu analysieren. Innerhalb der Fallgruppe des Grundrechtseingriffs wurden Entscheidungen angeführt, in denen von der Rechtsprechung zwar Kriterien für einen Erlass genannt werden, ein Erlass aber gar nicht gewährt worden war. So zitiert er beispielsweise das Zinsurteil vom 19. 12. 1978197.198 In dieser Entscheidung ging es jedoch vor allem um die Verfassungsmäßigkeit einer Steuernorm. Das Gericht machte lediglich beiläufig kurze Bemerkungen zu den 194 BFHE 166, 272, 275; FG Köln, EFG 2009, 1523, 1526: „Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ist insoweit gegeben, wenn die Einziehung der Steuer zwar dem Gesetz entspräche, aber infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderliefe, dass sie unbillig erscheint.“ „Zur Wahrung der Grundrechte kann jedoch bei generalisierenden und typisierenden Steuertatbeständen ein Billigkeitserlass wegen sachlicher Härte geboten sein, wenn die Regelungen nur deshalb einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten, weil im Einzelfall oder in Gruppen von Einzelfällen die Möglichkeit besteht, auftretende Härten durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen.“ Ferner FG Köln, EFG 2000, 1092, 1093 f.; FG München, EFG 1994, 813, 814. 195 So BFHE 172, 478, wo von einem Billigkeitserlass gesprochen, aber keine Fallgruppe genannt wird, auf welche die Erwägungen beruhen. 196 R. Seer, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 21, Rdnr. 334 ff. 197 BVerfGE 50, 57 ff. Siehe dazu bereits in diesem Kapitel unter I. 1. c). 198 R. Seer, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 21, Rdnr. 336 Fn. 4.
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Kap. 2: Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur
Voraussetzungen, unter denen es hier zu einem Erlass kommen kann.199 Aufgrund der Ausführungen von Seer wird dies allerdings nicht klar. Auch wird nicht deutlich, wie diese Fallgruppen voneinander abzugrenzen sind. So zitiert Seer innerhalb der Fallgruppe der Grundrechtsverletzung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 26. 10. 1994.200 Das Gericht konstatierte dort, dass die Erhebung einer Steuer vor allem dann sachlich unbillig ist, „wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrundeliegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft.“201 Im Folgenden argumentierte das Gericht vor allem mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip,202 allerdings wird durch die Ausführungen von Seer nicht deutlich, warum er diesen Fall nicht schon zur Fallgruppe der Zweckverfehlung zählt. Auch Dieter Birk, Marc Desens und Henning Tappe fassen in ihrem Steuerrechtslehrbuch die Gründe für einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen in den drei genannten Fallgruppen zusammen.203 Ihre Ausführungen sind zwar kurz, aber konkreter. So nennen sie nur Fälle, in denen tatsächlich ein Erlass bejaht wurde. Bei der Fallgruppe des Überhangs nennen sie richtigerweise die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 22. 10. 2014 zur abweichenden Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen wegen des Ausfalls von Rentenzahlungen.204 In dieser Entscheidung werden keine verfassungsrechtlichen Kriterien benutzt, sodass die Fallgruppeneinordnung sinnvoll erscheint. Bei der Fallgruppe des Erlasses aufgrund eines Grundrechtsverstoßes nennen die Autoren die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 23. 11. 1994 zum Erlass aus Billigkeitsgründen bei der „kleinen Übergangsregelung“ des § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG a.F.205 In dieser Entscheidung nutzt der Senat überwiegend Billigkeitserwägungen zur Grundrechtswahrung, sodass auch diese Einordnung der Entscheidung nachvollziehbar ist. Allerdings fehlt auch bei diesen Ausführungen eine klarere Grenzziehung zwischen den einzelnen Fallgruppen. Insbesondere wird nicht klar, ab wann überhaupt ein Erlass in Betracht kommt. Deutlich detaillierter sind die Aufführungen von Matthias Loose in der AOKommentierung von Tipke/Kruse. Er unterteilt die sachlichen Billigkeitsgründe in neun Fallgruppen, was die Abgrenzungen der einzelnen Fallgruppen zunächst noch schwieriger gestaltet. Er nennt zum einen die Fallgruppe der Zweckverfehlung206 und
199
BVerfGE 50, 57, 86. Siehe dazu bereits S. 51 f. BFHE 176, 3 ff. 201 BFHE 176, 3, 6. 202 BFHE 176, 3, 8 f. 203 D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 3, Rdnr. 276 ff. 204 D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 3, Rdnr. 276. Zur Entscheidung siehe dazu bereits in diesem Kapitel unter C. I. 2. a) bb) (2). 205 BFHE 177, 246 ff. 206 M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 71 ff. 200
C. Der Billigkeitserlass im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren
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zum anderen die Auswirkungen der Grundrechte auf den Einzelnen.207 Auch hier wird wieder nicht deutlich, ob die beiden Fallgruppen zusammengehören oder wie sich diese gegenseitig ergänzen. Im Folgenden gibt Loose die Rechtsprechung wieder, ohne zu ihr Stellung zu nehmen.208 Allerdings werden auch hier teilweise wieder Entscheidungen genannt, in denen kein Erlass bejaht wurde, sondern nur Kriterien für den Erlass dargestellt wurden.209 Teilweise geht die Wiedergabe auch fehl, da Entscheidungen aufgeführt werden, in denen der Erlass gar nicht angesprochen wird.210 Bereits diese kurze Aufzählung zeigt, dass die Literatur die Rechtsprechung zum Steuererlass regelmäßig unkritisch und unreflektiert wiedergibt. Die Literatur ist nicht der Frage nachgegangen, wie die Fallgruppen zu charakterisieren, dogmatisch zu fassen und von anderen Fällen zu unterscheiden sind. Anhand der genannten Entscheidungen zum Steuererlass wird jedoch deutlich, wie ungleichmäßig und undurchsichtig die Rechtsprechung die einzelnen Fallgruppen zum Steuererlass anwendet und es nur wenige Ausführungen dazu gibt, ab wann eine Gesetzesauslegung an ihre Grenzen stößt und nur noch ein Erlass in Betracht kommt. Aus diesem Grund wäre es, wie bereits erwähnt,211 die dogmatische Aufgabe der Literatur gewesen, die bisherige Praxis zu reflektieren und neue Lösungsansätze zu formulieren, die zu einer gleichmäßigen und verlässlichen Handhabung in der Praxis beitragen.212
207
M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 77 ff. M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 84 ff. 209 So zitiert M. Loose die Entscheidung des BFH v. 6. 9. 2000-XI R 19/00, BFH/NV 2001, 431, in der das Gericht lediglich ausführt: „In besonders gelagerte Ausnahmen (wie z. B. Fälle finanzieller Existenznot) können allenfalls im Wege der Billigkeit berücksichtigt werden.“ 210 So beispielsweise die Entscheidung des BFH v. 2. 9. 1992-XI R 63/89, BFHE 171, 416 ff. in der der Senat lediglich von einer Steuerermäßigung in nur eng begrenzten Ausnahmefällen spricht. 211 Siehe bereits die Einleitung, S. 20 f. 212 Allgemein zur Aufgabe der Rechtsdogmatik: H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, S. 6 f.; W. Hassemer, Rechtstheorie 39 (2008), S. 1, 15; Chr. Bumke, Rechtsdogmatik, 2017, S. 52. 208
3. Kapitel
Grundlagen der Dispensation Um klären zu können, welches Anwendungsfeld dem Dispens aus Verfassungsgründen neben der teleologischen Auslegung und dem Dispens wegen sachlicher Unbilligkeit unter dem Aspekt des „Überhangs“ zukommen kann, ist der Frage nachzugehen, aus welchen Gründen das Institut des Dispenses überhaupt existiert.
A. Grundlegung Bei der Frage nach der Bedeutung der Dispensation geht es letztlich um den Begriff und die Funktion des Rechts. Bei dem Versuch, das Recht zu beschreiben, sind vor allem die Rechtsauffassungen der „Reinen Rechtslehre“ von Hans Kelsen und der Rechtsphilosophie von Gustav Radbruch gegenüberzustellen. Ausgangspunkt ist das Verhältnis zwischen Recht und Gerechtigkeit.213 Zu unterscheiden ist zwischen einem positivistischen und einem materiellen Rechtsbegriff. Nach dem positivistischen Rechtsbegriff können auch Inhalte, die evident gegen fundamentale Prinzipien der Gerechtigkeit verstoßen, positives Recht sein.214 Der positivistische Rechtsbegriff beschränkt sich auf das Recht, wie es ist und klammert die materielle Richtigkeit einer Norm aus.215 Die Auslegung der Gesetze habe sich somit lediglich auf die grammatische Auslegung zu beschränken; teleologische Erwägungen seien ausgeschlossen.216 Der Grundsatz „Gesetz ist Gesetz“ war der Ausdruck des positivistischen Rechtsdenkens und beherrschte vor allem in der Weimarer Zeit fast unwidersprochen die deutschen Juristen.217 Allerdings verkennt auch dessen Verfechter Kelsen nicht, dass es Fälle geben kann, bei denen die Anwendung einer einzelnen Norm ausgeschlossen ist. Die Anwendung der Rechtsordnung sei aber trotzdem möglich. Es gelte dann die „ne213
Vgl. M. Schramm, in: Staatslexikon der Görresgesellschaft, Bd. II, 2018, Sp. 1149. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 117; H. Dreier, Hans Kelsen, 1990, S. 174; W. Ott, Der Rechtspositivismus, S. 50. 215 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 16. Berichtend R. Dreier, NJW 1986, 890; Ph. H. Schlüter, Ein Vergleich, 2009, S. 211. 216 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 349 ff. Berichtend H. Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 77 f. 217 G. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 339. 214
A. Grundlegung
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gative Norm“; wenn die Rechtsordnung keine Pflicht eines Individuums zu einem bestimmten Verhalten statuiert, ist dieses Verhalten grundsätzlich erlaubt.218 Im Ergebnis war diese von Kelsen entwickelte Methode zu Beginn des 20. Jahrhunderts um die feste Bindung an die Gesetze bemüht, nicht hingegen um die „Schaffung von Freiräumen.“219 Die Billigkeit und insbesondere Dispense wurden kaum bis gar nicht thematisiert. Insbesondere Billigkeitsklauseln ohne gesetzliche Grundlage waren nicht vorstellbar.220 Eine Gegenposition hat vor allem Gustav Radbruch vorgelegt.221 Er hat im Grundsatz als Recht nur solche Normen angesehen, die darauf abzielen, gerecht zu sein.222 Der Konflikt zwischen positivem Recht und Gerechtigkeit sei seiner Ansicht nach so zu lösen, „dass das positive Recht auch dann Vorrang habe, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als ungerechtes Recht der Gerechtigkeit zu weichen hat.“223 Diese sogenannte „Unverträglichkeitsklausel“224 erkennt der Rechtssicherheit im Sinne positiven Rechts einen grundsätzlichen Vorrang vor der Gerechtigkeit zu. Dieses Verhältnis kehrt sich um, wenn das positive Recht der Gerechtigkeit in unerträglichem Maße widerspricht. Aus der Gerechtigkeit entwickelt Radbruch mithin den Begriff des Rechts.225 Recht sei die Wirklichkeit, die den Sinn hat, der Gerechtigkeit zu dienen.226 Kriterien der Gerechtigkeit, welche er als Maßstab für die Grenzziehung dieses Konflikts anwendet, seien vor allem die Tradition der Menschen- und Bürgerrechte und der Gleichheitssatz.227 Der Standpunkt Radbruchs war vor allem von der Zeit des Nationalsozialismus geprägt. So heißt es in der ersten Minute seiner Fünf Minuten Rechtsphilosophie:228 „Das Gesetz gilt, weil es Gesetz ist, und es ist Gesetz, wenn es in der Regel der Fälle die Macht hat, sich durchzusetzen. Diese Auffassung vom Gesetz und seiner Geltung (wir nennen sie die positivistische Lehre) hat die Juristen wie das Volk wehrlos gemacht gegen 218
W. Ott, Der Rechtspositivismus, S. 52. I. Pernice, Billigkeit und Härtefallklauseln, 1991, S. 146, auch zum Folgenden. 220 C. F. v. Gerber, Gesammelte juristische Abhandlungen, 1878, S. 470 ff., 489; P. Laband, AöR 7 (1892), S. 169, 195; I. Pernice, Billigkeit und Härtefallklauseln, 1991, S. 146. 221 G. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 339 ff. 222 G. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 119 ff. 223 G. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 345. Ebenso ders., SJZ 1946, 105, 107. 224 Erstmals B. Schumacher, Rezeption und Kritik, 1985, S. 24. Ferner C. Bäcker, Gerechtigkeit im Rechtsstaat, 2015, S. 28. 225 G. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 70. 226 G. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 29 ff., 50 ff., 70 ff.; Ph. H. Schlüter, Ein Vergleich, 2009, S. 226. 227 G. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 346 f.; C. Bäcker, Gerechtigkeit im Rechtsstaat, 2015, S. 70. 228 G. Radbruch, Fünf Minuten Rechtsphilosophie, in: Rhein-Neckar-Zeitung v. 12. 9. 1945, zitiert nach dem Neuabdruck in: ders., Rechtsphilosophie, S. 327, 327. 219
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3. Kap.: Grundlagen der Dispensation noch so willkürliche, noch so grausame, noch so verbrecherische Gesetze. Sie setzt letzten Endes das Recht der Macht gleich: nur wo die Macht ist, ist das Recht.“
Und in der dritten Minute heißt es sodann:229 „Wenn Gesetze den Willen zur Gerechtigkeit bewusst verleugnen, z. B. Menschenrechte Menschen nach Willkür gewähren und versagen, dann fehlt diesen Gesetzen die Geltung, dann schuldet das Volk ihnen keinen Gehorsam, dann müssen auch die Juristen den Mut finden, ihnen den Rechtscharakter abzusprechen.“
Das Bundesverfassungsgericht hat die „Radbruchsche Formel“ in mehreren Grundsatzentscheidungen rezipiert.230 Hervorzuheben ist der Staatsangehörigkeitsbeschluss vom 14. 2. 1968,231 in dem es über die Rechtsgültigkeit der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. 11. 1941 zu entscheiden hatte, durch die emigrierten Juden aus rassistischen Gründen die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen wurde. Die Leitsätze 1 – 3 lauten: „1. Nationalsozialistischen Rechtsvorschriften kann die Geltung als Recht abgesprochen werden, wenn sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen, dass der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde. 2. In der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 1941-11-25 (RGBl 1 1941, 772) hat der Widerspruch zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass sie von Anfang an als nichtig erachtet werden muss. 3. Einmal gesetztes Unrecht, das offenbar gegen konstituierende Grundsätze des Rechtes verstößt, wird nicht dadurch zu Recht, dass es angewendet und befolgt wird.“
Gesetztes Unrecht sei damit kein Recht und somit nichtig. Insbesondere zeigt die Rechtsprechung nach 1945, dass es zu unerträglichen Konsequenzen führt, wenn der Richter in diesen Fällen beim positivistischen Rechtsbegriff verharrt.232 Bedeutsam für die heutige Definition des Rechts sind vor allem die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die nicht nur die Radbruchsche Formel zitieren, sondern vor allem diejenigen, in denen das Gericht die Gerechtigkeit mit der Rechtssicherheit in Bezug setzt.233 Diese beiden höchsten Güter werden zum Rechtsstaatsprinzip zusammengefasst.234 Als Rechtsstaat gilt der Staat, „der sowohl allgemein verbindliches Recht schafft als auch seine eigenen Organe an das Recht 229
G. Radbruch, Fünf Minuten Rechtsphilosophie, in: Rhein-Neckar-Zeitung v. 12. 9. 1945, zitiert nach dem Neuabdruck in: ders., Rechtsphilosophie, S. 327, 328. 230 Einen Überblick bietet B. Schumacher, Rezeption und Kritik, 1985, S. 69 ff.; C. Bäcker, Gerechtigkeit im Rechtsstaat, 2015, S. 86 ff. 231 BVerfGE 23, 98 ff. 232 R. Dreier, NJW 1986, 890, 891. 233 So zuletzt die Entscheidung zu den Mauerschützen, BVerfGE 95, 96 ff.; J. Isensee, in: FS Merten, 2007, S. 3, 9. 234 K. Tipke, Steuergerechtigkeit, 1981, S. 122 f.; C. Bäcker, Gerechtigkeit im Rechtsstaat, 2015, S. 112; M. Morlok/L. Michael, Staatsorganisationsrecht, § 7, Rdnr. 336; M. Sachs, in: Sachs [Hrsg.], GG, Art. 20, Rdnr. 103, 122.
A. Grundlegung
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bindet.“235 Der Rechtsstaat setzt die Existenz einer Verfassung voraus, dessen Grundgedanke die Institutionalisierung und Begrenzung staatlicher Macht durch die Verfassung ist.236 Nach Art. 20 Abs. 3 GG sind die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden. Mit dieser Formulierung wird eine Grundaussage über die Rechtsstaatlichkeit getroffen, die auf die Idee der Gerechtigkeit hinführt.237 Die Aufgabe von Dispensationen ist es, das Recht im Einzelfall gerecht zu machen.238 Wenn das Gesetz im Allgemeinen gerecht ist, aber in besonderen Härtefällen eine Ungerechtigkeit eintritt, kann die Dispensation vom Gesetz im Einzelfall wieder für Gerechtigkeit sorgen. Zu einer ähnlichen Argumentation tendierte sogar der Rechtspositivist Kelsen in seinem Spätwerk. Im Jahr 1979 erschien aus seinem Nachlass das große unvollendete Werk „Allgemeine Theorie des Rechts“. Dieses enthält den letzten Stand Kelsens normtheoretischen Denkens, dass an einigen Stellen von seiner klassischen reinen Rechtslehre abweicht und sich mehr mit Gerechtigkeitsgedanken innerhalb der Gesetze beschäftigt. So könne ein Richter die Geltung einer Norm für einen Fall nicht anerkennen und eine andere individuelle Norm setzen, wenn er die Anwendung der generellen Norm im Einzelfall für ungerecht ansieht.239 Nach Kelsen gibt es eine generelle und eine individuelle Norm. Wenn nur im Einzelfall eine Ungerechtigkeit auftritt, muss der Richter die der generellen Norm entsprechende individuelle Norm setzen.240 Allerdings entspräche die individuelle Norm in der Regel der generellen Norm, wenn sich der individuelle Fall unter den Tatbestand des verallgemeinernden Gesetzes subsumieren lässt.241 Diese spätere Auffassung von Kelsen und die Ausführungen von Radbruch zeigen, dass die Bedeutung der Gerechtigkeit einer starken Entwicklung unterlag und noch immer unterliegt. 235
M. Morlok/L. Michael, Staatsorganisationsrecht, § 7, Rdnr. 326. E. Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 26, Rdnr. 28 f.; B. Grzeszick, in: Maunz/Dürig [Hrsg.], GG, Art. 20 Abschnitt VI, Rdnr. 2; C. Bäcker, Gerechtigkeit im Rechtsstaat, 2015, S. 113. 237 E. Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 26, Rdnr. 41; C. Bäcker, Gerechtigkeit im Rechtsstaat, 2015, S. 123 f.; M. Morlok/L. Michael, Staatsorganisationsrecht, § 7, Rdnr. 326; M. Sachs, in: Sachs [Hrsg.], GG, Art. 20, Rdnr. 103. Ähnlich H. D. Jarass, in: ders./Pieroth [Hrsg.], GG, Art. 20, Rdnr. 52. Vgl. allg. etwa G. Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, 1980. 238 Vgl. Aristoteles, Nikomanische Ethik, S. 225. Ferner G. Felix, in: FS Spitaler, 1958, S. 135, 154; H. W. Kruse, StuW 1960, 477, 481; J. Isensee, in: FS Flume, Bd. II, 1978, S. 129, 134; S. Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, 2004, S. 435; M. Krumm, DB 2014, 2714, 2715; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 3, 18 und 24. 239 H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 191 f. Ferner W. Ott, Der Rechtspositivismus, S. 58 f. 240 H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 191 f. 241 H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 213. Er bezeichnet die Subsumtion in diesem Fall als ein „logisches Denkverfahren“. 236
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3. Kap.: Grundlagen der Dispensation
Die Billigkeit ist ein Grundgedanke, welcher in allen Rechtsgebieten nach Beachtung verlangt. Billigkeitsregelungen erhalten neben dem Steuerrecht das Baurecht242 sowie das Familienrecht243 und das Arbeitsrecht.244 Beispielsweise enthält § 315 Abs. 1 BGB die Aussage, dass die Leistungsbestimmung im Zweifel nach billigem Ermessen zu treffen ist. In beiden Normen, obwohl sie zu je anderen Rechtsgebieten gehören, ersetzt der Maßstab der Billigkeit eine „Gerechtigkeitskorrektur durch Aushandeln“.245 Unter diesem Gesichtspunkt wird die Billigkeit zum Exempel für die Bindung der öffentlichen Gewalt gegenüber dem Einzelnen, wobei vor allem das Grundgesetz Inhalte und Grenzen setzt.246
B. Die Bedeutung des Dispenses im Steuerrecht Heute ist es kaum vorstellbar, dass eine Rechtsordnung ihre Gesetze strikt durchsetzt und keine Ausnahmen zulässt.247 Insbesondere ist die Verwaltung bei der Ausführung der Gesetze an die geschriebenen Rechtsnormen gebunden und zugleich auch der Gerechtigkeit verpflichtet.248 Ferner stellt die Möglichkeit der Dispensation die Flexibilität planerischer Festsetzungen her, die ohne einen solchen Abweichungsvorbehalt einem ständigen Änderungsdruck ausgesetzt wären. Insbesondere dienen Billigkeitsregelungen der Anpassung bei starken gesellschaftlichen Veränderungen.249 „Unübersichtlich, widersprüchlich, chaotisch, pathologisch, unsystematisch, unverständlich und kaum noch nachvollziehbar“, so bezeichnet der Präsident des Bundesfinanzhofs R. Mellinghoff zutreffend den Zustand des geltenden Steuerrechts,250 und es wird wohl nur wenige Stimmen geben, die das Gegenteil behaupten. Das deutsche Steuerrecht ist durch eine extreme Komplexität und fehlende Planungssicherheit geprägt. Ausschlaggebend sind nicht nur die vielen Steuergesetze, sondern vor allem deren Anwendungsregeln, die zunehmend an Umfang gewinnen, 242 In Bezug auf § 31 BauGB: O. Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr [Hrsg.], BauGB, § 31, Rdnr. 1, auch zum Folgenden. 243 H. Borth, FPR 2005, 313 ff. 244 Grundlegend G. v. Hoyningen-Huene, Billigkeit im Arbeitsrecht, 1978. 245 I. Pernice, Billigkeit und Härtefallklauseln, 1991, S. 207 f. Zu § 315 BGB siehe G. v. Hoyningen-Huene, Die Billigkeit im Arbeitsrecht, 1978, S. 54: „Die §§ 315 ff BGB sind ein deutliches Beispiel für die Verwendung der Billigkeit zur Erreichung der Austauschgerechtigkeit im Einzelfall“. 246 I. Pernice, Billigkeit und Härtefallklauseln, 1991, S. 208. 247 R. Mußgnug, Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, 1964, S. 34. 248 M. Sachs, in: Sachs [Hrsg.], GG, Art. 20, Rdnr. 104. 249 H. Borth, FPR 2005, 313. 250 R. Mellinghoff, Stbg. 2005, 1; ebenso ders., FAZ Nr. 47 v. 27. 11. 2016, S. 25.
B. Die Bedeutung des Dispenses im Steuerrecht
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auf die aber bei der Komplexität des Steuerrechts kaum verzichtet werden kann.251 Darunter leidet jedoch die Systematik, was wiederum zu vermehrten Wertungswidersprüchen steuerlicher Regeln führt. Als Folgeproblem erweist sich im Weiteren die verfassungsrechtliche Tragweite dieses Chaos, vor allem in Bezug auf die gleichmäßige Steuerverteilung. Reformen zur Steuervereinfachung sind zwar zielführend und begrüßenswert, jedoch in der Praxis schwer durchsetzbar und langwierig. Die Leidtragenden sind im Ergebnis die Steuerpflichtigen, vor allem Unternehmer, die sich in ihrer Planungssicherheit betroffen fühlen und das Vertrauen in den deutschen Steuergesetzgeber verlieren. Der Dispens im Steuerrecht ermöglicht es, auf die besonders gelagerten Härtefälle einzugehen, um ein gerechtes Ergebnis im Einzelfall zu erhalten.
I. Steuervereinfachungen und die Praktikabilität von Steuergesetzen Die Bedeutung der Dispensklauseln im Steuerrecht wird vor allem bei der Befassung mit den leitenden Prinzipien des Steuerrechts deutlich. Auch eine von Prinzipien geprägte Rechtsordnung muss praktikabel sein.252 Steuernormen sind daher wie alle Gesetze auf Verallgemeinerung ausgerichtet,253 um eine Vielzahl von Sachverhalten damit erfassen zu können.254 Der Gesetzgeber darf vor allem bei der Ordnung von Massengeschäften generalisierende, typisierende und pauschalisierende Regelungen verwenden.255 Er darf verallgemeinern und dabei von dem Gesamtbild ausgehen, das sich aus den Erfahrungen ergibt.256 Es werden dabei all diejenigen Sachverhaltskriterien außer Acht gelassen, die angesichts des Regelungszwecks keine Relevanz besitzen.257 Das allgemeine Gesetz schematisiert und beschränkt sich auf das Wesentliche. Es ist von seiner Form her die wirksamste Gewähr, Rechtsgleichheit zu schaffen.258 Die gesetzlichen Verallgemeinerungen
251 W. Blumers, Gesetzesflut und Steuerchaos – Standort Deutschland in Gefahr, lto online v. 23. 4. 2012, auch zum Folgenden. Abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ge setzesflut-und-steuerchaos-standort-deutschland-in-gefahr/, zuletzt abgerufen am 23. 10. 2018. 252 Zur generellen Notwendigkeit gesetzgeberischer Verallgemeinerungen: BVerfGE 82, 126, 151; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 145. 253 Dazu ausführlich G. Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009, S. 1 ff., 35 f. Ferner G. Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung, 1983, S. 209. 254 G. Britz, Einzelfallgerechtigkeit versus Generalisierung, 2008, S. 38. 255 BVerfGE 11, 245; 17, 1, 23; 21, 12, 27; 63, 119, 121; 71, 146, 157; 82, 126, 151; 84, 248, 359 f. 256 BVerfGE 78, 214, 226 f.; 82, 126, 151. 257 G. Britz, Einzelfallgerechtigkeit versus Generalisierung, 2008, S. 38. 258 J. Isensee, StuW 1994, 3, 7; P. Kirchhof, in: FS Meyding, 1994, S. 3, 5; ders., in: FS RFH/ BFH, 1993, S. 285; W. Schön, StuW 2002, 23, 26.
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3. Kap.: Grundlagen der Dispensation
müssen allerdings auf eine möglichst weite, alle betroffenen Gruppen und Regelungstatbestände einschließende Beobachtung aufbauen.259 Der Gesetzgeber ist zwar stets bemüht, die verschiedenen Fallkonstellationen bei Erlass des Gesetzes zu berücksichtigen, er wird aber nie in der Lage sein, „die Lebenswirklichkeit vorwegzunehmen“.260 Der Grund für die Nichtberücksichtigung relevanter Sachverhaltsmerkmale liegt vor allem darin, dass diese Merkmale nur im Einzelfall auftreten und deren Beachtung im Gesetz die Wahrung der Rechtsetzungs- und Rechtsanwendungsgleichheit verkomplizieren würde.261 Ferner dienen vereinfachte Steuernormen dazu, das Recht für den Steuerpflichtigen verständlicher zu machen und somit für Rechtssicherheit zu sorgen.262 Das allgemeine Gesetz hält Abstand zu den Besonderheiten des Einzelfalls, es erspart aber auch dem Steuerpflichtigen damit, Angaben zu beruflichen und persönlichen Inhalten zu machen. Damit leistet die Verallgemeinerung einen wichtigen Beitrag zum effektiven Grundrechtsschutz.263 Insbesondere sind die verschiedenen Formen der Verallgemeinerung durch den Gleichheitssatz gerechtfertigt, wenn der Gewinn an Praktikabilität des Vollzugs gegenüber dem Verlust an Einzelfallgerechtigkeit überwiegt.264 Das allgemeine Gesetz muss in Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz265 lediglich bestimmbar sein, der Gesetzgeber muss lediglich die wesentlichen Bestimmungen der Steuer mit hinreichender Genauigkeit treffen.266 Dies stellt nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar.267 So gebietet es vielmehr der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, dass nur das
259 BVerfGE 96, 1, 6; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, § 118, Rdnr. 99. 260 D. Birk, StuW 1990, 300, 302. 261 J. Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 99; G. Britz, Einzelfallgerechtigkeit versus Generalisierung, 2008, S. 38. 262 W. Schön, StuW 2002, 23, 25. 263 J. Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 145, wonach die Typisierung dem Steuerpflichtigen eine „goldene Brücke“ zur Schonung seiner Privatsphäre baut; ders., StuW 1994, 3, 8 und 10; P. Kirchhof, in: FS Meyding, 1994, S. 3, 5. 264 J. Isensee, StuW 1994, 3, 10; R. Wernsmann, Beihefter zu DStR 2011, 72. Grundlegend BVerfGE 111, 115, 137. 265 Die Auslegungsbedürftigkeit nimmt einer gesetzlichen Regelung allerdings nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit, vgl. BVerfGE 21, 209, 215; 31, 255, 264. 266 K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 138; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 131. Nach dem BVerfG kann die Lösung des Einzelfalls bei verallgemeinernden Gesetzen nicht mit Sicherheit vorausgesehen werden, vgl. BVerfGE 3, 225, 242 f.; 19, 166, 177; 21, 209, 215. 267 BVerfGE 11, 245, 254; 63, 119, 128; 71, 148, 157; 84, 348, 360; 116, 164, 182 f.; 127, 224, 257. Ferner R. Mußgnug, Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, 1964, S. 115; K. J. v.
B. Die Bedeutung des Dispenses im Steuerrecht
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Steuererhebliche in das jeweilige Steuergesetz aufgenommen wird und das Steuerunerhebliche gänzlich unberücksichtigt bleibt.268 Die Steuerrechtsnormen müssen verallgemeinern, um überhaupt verfassungsgemäß zu sein.269 Der Gesetzgeber könnte bei der Ausgestaltung der Gesetze durch Verwendung zusätzlicher Tatbestandsmerkmale zwar versuchen, die Norm immer weiter den denkbaren Fällen anzunähern. Diese vermeintlich einfachste Lösung würde allerdings dazu führen, dass Steuernormen förmlich „aufgebläht“ werden und aufgrund der vielen Merkmale und Voraussetzungen die Rechtsklarheit darunter leidet.270 Bereits vor knapp zwanzig Jahren machte Rupert Scholz auf das Abgleiten in die „überzogene Einzelfallgerechtigkeit“ aufmerksam.271 Seiner Ansicht nach verflüchtigt sich das Wesen der Steuergerechtigkeit mit zunehmender Ausnahmegerechtigkeit immer stärker, sodass der Begriff der Gerechtigkeit zunehmend politisch instrumentalisiert und das Rechtsstaatsprinzip immer weniger beachtet werde.272 Im Ergebnis plädierte Rupert Scholz dafür, das Steuerrecht wieder transparenter zu machen und sich wieder auf die normativen Grundsätze des Steuerrechts zu konzentrieren, um den Bürgern das Steuerrecht wieder besser zugänglich zu machen und so das Vertrauen und die Solidarisierung der Besteuerung zurückzugewinnen.273 Auch Hans-Jürgen Papier274 forderte eine stärkere Entdifferenzierung, um dem Bornhaupt, NWB 28 (1998), S. 2235, 2238; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 114; P. Selmer, in: FS Bull, 2011, S. 389, 393. 268 BVerfGE 101, 297, 309 f.; 116, 164, 182 f.; J. Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 136 f.; R. Mußgnug, Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, 1964, S. 115; P. Kirchhof, in: FS Meyding, 1994, S. 3, 5; K.-D. Drüen, StuW 1997, 261, 270; W. Schön, StuW 2002, 23, 26; R. Wernsmann, Beihefter zu DStR 2011, 72; G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/ Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 200, 266. Im Ergebnis ebenso I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 244. 269 BVerfGE 21, 12, 27; 13, 331, 341; 14, 34, 40; 43, 1, 11; 65, 325, 354; E. Benda/K. Kreuzer, DStZ/A 1983, 49, 51; I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 246; H. Schneider, Gesetzgebung, 2002, S. 25; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 118, Rdnr. 97 f.; ders., StuW 2017, 3, 10; K. Tipke, JZ 2009, 533, 535; P. Selmer, in: FS Bull, 2011, S. 389, 390 f. 270 H.-W. Bayer, StuW 1972, 149, 151; H. Weber, Steuererlass und Steuerstundung, 1980, S. 25 f.; I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 245. Die Typisierung dient ferner zu Beweiserleichterung, vgl. K. J. v. Bornhaupt, NWB 28 (1998), S. 2225, 2228; A. Pahlke, Beihefter zu DStR 2011, 66, 68; H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober/W. Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. I, § 31, Rdnr. 13. Im Ergebnis ebenso Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 113. Bzgl. des Asylrechts BVerfGE 60, 253, 300 f. 271 R. Scholz, in: FS Leisner, 1999, S. 797, 798 ff., 806, der dazu plädiert rasch von den überbetonten Einzelfallgerechtigkeiten Abstand zu nehmen. So bereits H.-W. Bayer, StuW 1972, 149. 272 Ähnlich bereits W. Flume, StbJb. 1953/1954, 81, 99 f.; J. Isensee, in: FS Flume, II, 1978, S. 129, 133; R. Wernsmann, Beihefter zu DStR 2011, 72. 273 R. Scholz, in: FS Leisner, 1999, S. 797, 806 f., wonach er auch die Abschaffung von Lenkungssteuern fordert. Ebenso fordert D. Ondracek, DStR 2011, 1, 3 eine Steuervereinfachung durch weniger Einzelfallbetrachtungen. 274 H.-J. Papier, in: FS Vogel, 2000, S. 117, 121; ders., DStJG 12 (1989), S. 61, 70.
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3. Kap.: Grundlagen der Dispensation
Steuerrecht wieder mehr Klarheit zu verschaffen. Dieser Ansicht schlossen sich viele Stimmen im Schrifttum an.275 Der Gesetzgeber hat gerade im Steuerrecht einen Gestaltungsraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen.276
II. Steuergerechtigkeit als Typengerechtigkeit Um Steuernormen praktikabel zu machen, bedient sich der Gesetzgeber häufig der Typisierung. Der Gesetzgeber orientiert sich bei der Gesetzgebung am „Normalfall“, an den typischen Konstellationen, an den Fällen, die regelmäßig auftreten, um die Rechtsanwendung und den Gesetzesvollzug zu vereinfachen.277 Der Steuergesetzgeber geht von bestimmten Sachverhalten aus und unterwirft diese jeweils der Steuer, da eine individuelle Behandlung zusätzlich durch die hohe Zahl der Veranlagungen erschwert wird.278 Der Gesetzgeber typisiert beispielsweise in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG die Abzugsvoraussetzungen für ein häusliches Arbeitszimmer, indem er die Abzugsmöglichkeit auf die zwei im Gesetz genannten Fallgruppen (kein anderer Arbeitsplatz, Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung) begrenzt.279 Der Steuerpflichtige ist in den vom Gesetz genannten Fallgruppen auf einen häuslichen Arbeitsplatz angewiesen, weshalb das Gesetz typisierend davon ausgeht, dass die Aufwendungen hierfür nahezu ausschließlich beruflich veranlasst sind, obwohl auch in diesen Fällen eine private Nutzung des Raumes nicht überprüft und damit nicht ausgeschlossen werden kann. Typisierungen müssen jedoch so bemessen sein, dass eine ganz überwiegende Zahl von Fällen hiervon erfasst wird.280 Ein atypischer Fall darf nicht als Leitbild 275 Ebenso kritisch zu weiteren Differenzierungen F. Osswald, DStZ/A 1977, 265, 269; S. Tiemann, Stbg 1993, 435, 438; D. Meyding, in: FS Oettinger, 1995, S. 103 ff.; R. Mellinghoff, Stbg. 2005, 1, 8; K.-D. Drüen, DStJG 37 (2014), S. 9, 53. Ebenso kritisch im Bereich des Arbeitsrechts G. v. Hoyningen-Huene, Billigkeit im Arbeitsrecht, 1978, S. 8. 276 BVerfGE 112, 268, 280 f.; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, § 118, Rdnr. 99. 277 BVerfGE 82, 159, 185 f.; R. Mußgnug, Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, 1964, S. 114; J. Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 16; P. Kirchhof, in: FS Meyding, 1994, S. 3, 9; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 114; F. Jarzyk-Dehne, Pauschalisierungen, 2003, S. 154; A. Pahlke, Beihefter zu DStR 2011, 66; R. Wernsmann, Beihefter zu DStR 2011, 72; G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 200. 278 Dazu ausführlich J. Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 166 ff.; J. Hoffmann, Der maßvolle Gesetzesvollzug, 1999, S. 15; F. Jarzyk-Dehne, Pauschalisierungen, 2003, S. 35, 38 f.; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 261. 279 BFHE 251, 408, 418 ff.; BFH/NV 2017, 1017 auch zum Folgenden. 280 BVerfGE 87, 153, 172; 122, 210, 231; J. Lang, StuW 2007, 3, 11 f.; H. Schaumburg, in: FS Reiss, 2008, S. 25, 30; G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 200.
B. Die Bedeutung des Dispenses im Steuerrecht
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gewählt werden.281 In der Rechtsprechung und Literatur wird die Steuergerechtigkeit daher regelmäßig als Typengerechtigkeit bezeichnet.282 Orientiert sich der Gesetzgeber am typischen Fall, so ist die Norm verfassungsgemäß, wenn das Ausmaß der Ungleichbehandlung im angemessenen Verhältnis zum Typisierungszweck steht.283 Ab wann eine Typisierung nicht mehr verhältnismäßig und damit verfassungswidrig ist, hat das Bundesverfassungsgericht zusammenfassend in seiner Entscheidung zur Angestelltenversicherung deutlich gemacht. Danach setzt eine noch hinzunehmende Typisierung voraus, „dass die durch sie eintretenden Härten oder Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen treffen und dass der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. … Wesentlich für die Zulässigkeit einer typisierenden Regelung ist ebenfalls, ob eine durch sie entsprechende Ungerechtigkeit nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wäre.“284 Damit lassen sich drei Kriterien isolieren, auf welche das Bundesverfassungsgericht bei der Beurteilung einer Typisierung immer wieder zurückgreift: Die Zahl der Betroffenen,285 die Intensität der Beeinträchtigung im Einzelfall286 und die Vermeidbarkeit von Härten287.288 Allerdings sind auch diese Kriterien wieder sehr vage und es wird nicht deutlich, wann die kritische Zahl von Betroffenen überschritten wird oder welche Anforderungen an die Intensität der Beeinträchtigung zu stellen sind.289 Zu beachten ist jedoch, dass eine Typisierung 281
BVerfGE 27, 142, 150; 66, 214, 223; 112, 268, 280 f.; 117, 1, 31; 122, 210, 233; 127, 224, 257; W. Schön, StuW 1995, 366, 370; J. Hey, StbJb. 2007/2008, 19, 42; M. Droege, StuW 2011, 105, 109; A. Pahlke, Beihefter zu DStR 2011, 66, 68; P. Kirchhof, StuW 2017, 3, 10; G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 266. 282 BVerfGE 31, 119, 131; 65, 325, 354; J. Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 96 f.; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, § 118, Rdnr. 98. 283 BVerfGE 111, 115, 139; R. Wernsmann, Beihefter zu DStR 2011, 72 f.; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 262. 284 BVerfGE 63, 119, 128. 285 BVerfGE 27, 220, 230, wonach das Maß einer zulässigen Typisierung dann erreicht ist, wenn ganze Gruppen von Betroffenen stärker belastet werden. Ferner auch BVerfGE 58, 68, 79 f.: „geringe Anzahl“. So auch BVerfGE 41, 126, 188: „…gewählte Typisierung eine ganze Gruppe von Unternehmen unter wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten zu Unrecht benachteiligt hätte“. 286 Vgl. BVerfGE 61, 358, 381: „Eine typisierende Regelung ist nur dann zulässig, wenn die mit ihr verbundene Grundrechtsbeeinträchtigung nicht sehr intensiv ist“. Ferner BVerfGE 26, 256, 275 f.: „Das Bundesverfassungsgericht hat zwar wiederholt entschieden, dass bei notwendig typisierenden Regelungen gewisse Härten oder Ungerechtigkeiten hingenommen werden müssen… Jedoch setzt dies jedenfalls voraus, dass… der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist“. 287 Vgl. BVerfGE 45, 376, 390: „Indessen setzt eine zulässige Typisierung voraus, dass eine in ihrer Folge entstehende Ungerechtigkeit nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wäre und der in ihr liegende Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist“. 288 Zum Ganzen I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 252. Ebenso K. J. v. Bornhaupt, NWB 28 (1998), S. 2225, 2229. 289 Richter Katzenstein bringt dieses Problem in seinem Sondervotum zum Hinterbliebenenrenten-Beschluss (BVerfGE 66, 66) auf den Punkt: „Bei notwendigen Typisierungen
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3. Kap.: Grundlagen der Dispensation
auch eine Prognose und somit einen gesetzlichen Vorgriff auf die Zukunft beinhaltet. Daher ist der Gesetzgeber zu gröberen Differenzierungen berechtigt, muss diese allerdings wieder eingrenzen, wenn er fundierte Erfahrungen gemacht hat.290 Unter diesem Gesichtspunkt ist eine gröbere Typisierung vor allem dann zulässig, wenn das Gesetz eine Billigkeitsregelung enthält, durch die unbillige Härten im Einzelfall ausgeglichen werden können.291
III. Die Billigkeit als Einzelfallgerechtigkeit Je einfacher und pauschaler ein Steuergesetz ausfällt, umso mehr entfernt es sich von der konkreten Erscheinung des Einzelfalls.292 Praktische Schwierigkeiten ergeben sich somit bei der einzelfallgerechten Realisierung der Steuergesetze.293 Es kommt immer wieder vor, dass Einzelfälle auftreten, die nicht zu der Situation passen, welche der Gesetzgeber bei Erlass eines Steuergesetzes berücksichtigt hat. Bei der Vielzahl der möglichen Fälle ist dies auch gar nicht möglich, wenn man weiterhin Rechtssicherheit erzeugen will. Es entsteht dadurch eine Diskrepanz zwischen dem Sachverhalt, an den der Gesetzgeber bei seiner pauschalisierenden Gesetzgebung gedacht hat und dem konkreten Einzelfall, der zwar unter den Tatbestand eines Steuergesetzes fällt, aber zu einer besonderen Härte führt. Die Billigkeit soll für den besonderen Einzelfall eine gerechte Rechtsfolge erzeugen.294 Aus dem Wesen der Billigkeit und der daraus resultierenden Gerechtigkeit des Einzelfalles ergibt sich naturgemäß, dass jeder Fall anders gelagert ist, sodass für jeden Einzelfall die Billigkeit neu definiert werden muss.295 Da es auf den Einzelfall ankommt, ist es auch unbeachtlich, wie in anderen Fällen entschieden wurde.296
müssen gewisse Härten oder Ungerechtigkeiten hingenommen werden… Dies ist die unvermeidbare Folge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die typisierende Regelungen überhaupt zulässt. Indessen ist es für den einzelnen Grundrechtsträger schwer einsichtig, dass er die Verletzung eines ihm individuell zustehenden Grundrechts unter dem Gesichtspunkt einer zulässigen Typisierung hinnehmen muss.“ (BVerfGE 66, 66, 79, 82). 290 BVerfGE 87, 348, 361; P. Kirchhof, StbJb. 1994/1995, 5, 21. 291 BVerfGE 16, 147, 177; 17, 38, 57; 41, 126, 188; 67, 329, 347. 292 J. Isensee, StuW 1994, 3, 8. 293 J. Isensee, StuW 1994, 3, 9. 294 Bereits Aristoteles bezeichnete die Billigkeit als Berichtigung der Gesetzesgerechtigkeit, vgl. Aristoteles, Nikomanische Ethik, S. 118. 295 A. Galleiske, StuW 1957, 635, 642, 644; A. Elsen, StuW 1959, 499, 503; H. W. Kruse, StuW 1960, 477, 482; H.-U. Waiblinger, Gesetzmäßigkeit und Ermessensfreiheit, 1966, S. 62; G. b. Hoyningen-Huene, Die Billigkeit im Arbeitsrecht, 1978, S. 25; C. Stein, Billigkeit im Steuererhebungsverfahren, 2000, S. 91; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 20. 296 BFHE 80, 321, 324; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 20.
B. Die Bedeutung des Dispenses im Steuerrecht
69
Die §§ 163, 227 AO sehen einen Dispens vor, der die Unbilligkeit beseitigen soll. Bereits nach Aristoteles war die Billigkeit die auf den Einzelfall projizierte Gerechtigkeit, welche zum normativen Fundament einer jeden Rechtsordnung gehört.297 Die Billigkeit hilft dabei, das Ergebnis, welches bei der Anwendung eines nach Verallgemeinerung strebenden Gesetzes zustande gekommen ist, in besonders gelagerten Fällen so anzupassen, dass im Einzelfall dennoch das verwirklicht wird, was sich der Gesetzgeber bei der Anwendung der Norm gedacht hat.298 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Grundsatz der Gerechtigkeit des Einzelfalls Verfassungsrang.299 Mit Paul Kirchhofs Worten ausgedrückt: das billige Recht schlägt die Brücke zwischen Gesetzestext und Gerechtigkeit.300 Billigkeitsmaßnahmen nach den §§ 163, 227 AO sind auf den Einzelfall beschränkt.301 Ein Erlass ist atypischen Ausnahmefällen vorbehalten302 und kommt daher nicht in Betracht, wenn eine Steuernorm typischerweise Grundrechte verletzt.303 Aus diesem Grund musste das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung BVerfGE 48, 102 eine Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurückweisen, bei der die zugrundeliegende Steuernorm selbst verfassungswidrig war. Insofern hätte sich der Beschwerdeführer direkt gegen die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes selbst wehren müssen. Die Erlassvorschriften dienen nicht dazu, die generelle Wertung des Besteuerungstatbestands zu durchbrechen.304 Vor allem die Grundrechte bieten einen Individualrechtsschutz, sodass eine Billigkeitsprüfung je nach Einzelfall stattfinden
297
Aristoteles, Nikomanische Ethik, S. 225. Ferner G. Felix, in: FS Spitaler, 1958, S. 135, 154; H. W. Kruse, StuW 1960, 477, 481; J. Isensee, in: FS Flume, Bd. II, 1978, S. 129, 134; S. Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, 2004, S. 435; M. Krumm, DB 2014, 2714, 2715; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 3, 18 und 24. 298 So bereits Aristoteles, Nikomanische Ethik, S. 225; FG Thüringen, EFG 1998, 840, 841; J. Isensee, in: FS Flume, II, 1978, S. 129, 131; G. v. Hoyningen-Huene, Billigkeit im Arbeitsrecht, 1978, S. 18; P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 776; K. W. Kruse, Steuerrecht, Bd. I, S. 195; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 262; M. Loose, in: Tipke/ Kruse[Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 18. Kritisch: P. Selmer, DÖV 1972, 551, 553. 299 BVerfGE 7, 194, 196. 300 P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775. 301 Vgl. § 163 Abs. 1 Satz 1, § 227 Abs. 1 AO: „Nach der Lage des einzelnen Falles“. So ausdrücklich BFHE 255, 482, 502. Siehe auch Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 36 f. 302 K. H. Friauf, StuW 1977, 59, 65; T. Töben, FR 2010, 249, 255. 303 W.-R. Schenke, in: FS Armbruster, 1976, S. 177, 205; J. Isensee, in: FS Flume, II, 1978, S. 129, 139; G. Bopp, DStZ 1979, 215, 216; B. Schmidt-Bleibtreu/H.-J. Schäfer, DÖV 1980, 489, 495 f.; D. Steinhauff, NVwZ 2015, 1471, 1472; P. Selmer, JuS 2016, 93, 94. 304 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. Februar 2017-1 BvR 1103/15, juris, Rdnr. 11; FG München, EFG 1993, 697; BFH/NV 2018, 1299, 1302; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 44.
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3. Kap.: Grundlagen der Dispensation
muss.305 Es reicht nicht nur ein irgendwie anders gearteter Einzelfall aus, sondern dieser muss eine besondere Härte und einen nicht mehr gerechtfertigten Fall darstellen.306 Die Bedeutung der Einzelfallbeurteilung wird in einem aktuellen Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs zum Steuererlass aus Billigkeitsgründen in dem sogenannten Sanierungserlass des Bundesministeriums der Finanzen nochmals verdeutlicht. Der Große Senat entschied, dass die Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums der Finanzen, nach der Sanierungsgewinne mit Verlustvorträgen zu verrechnen sind und die verbleibende Steuer erlassen wird, gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung verstößt, indem diese zu viele Typisierungen aufweist und nicht bestimmt genug auf den Einzelfall eingeht.307 Damit wurde nochmals verdeutlicht, dass es bei der Beurteilung eines Steuererlasses aus Billigkeitsgründen nach den §§ 163, 227 AO nur auf den Einzelfall ankommt.
IV. Praktikabilität der Steuergesetze und Besonderheiten des Einzelfalles Beim Billigkeitserlass geht es mithin um eine Anpassung der Auswirkungen von auf Verallgemeinerung gerichteten Gesetzen auf den atypischen Einzelfall und nicht um eine Nichtanwendung des derartiger Gesetze.308 Die Billigkeit verlangt lediglich nach einer Korrektur der Tatbestandsauswirkungen, um im Einzelfall wieder für Gerechtigkeit zu sorgen.309 Es wird nicht das Gesetz als solches korrigiert, sondern es werden nur seine Auswirkungen auf einen besonders gelagerten Ausnahmefall angepasst.310 Die §§ 163, 227 AO sind zwar nicht dafür bestimmt, verfassungswidrige Gesetze zu heilen.311 Der Erlass einer Steuer aus Billigkeitsgründen kann aber dabei helfen, dass das allgemeine Steuergesetz von vornherein verfassungsgemäß ist.312 305
P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 789. BVerfGE 32, 78, 86; 38, 61, 102; G. Bopp, DStZ 1979, 215, 216; B. Schmidt-Bleibtreu/ H.-J. Schäfer, DÖV 1980, 489, 496. 307 BFHE 255, 482, 505 f. 308 M. Loose, in: Tipke/Kruse[Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 18. 309 Die Billigkeit wird auch als Gerechtigkeit des Einzelfalles bezeichnet, vgl. P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 782; H. Henkel, Rechtsphilosophie, § 33 III 2; G. Radbruch, Gesamtausgabe, Bd. II, Rechtsphilosophie II, S. 260; K. F. Röhl/H. Chr. Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 302, 665 f.; D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6201; M. Loose, in: Tipke/ Kruse[Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 18; M. Krumm, DB 2014, 2714, 2715; R. Seer, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 21, Rdnr. 329; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 10. 310 D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6205. 311 Siehe dazu bereits die Nachweise in Fn. 81. 312 So entging beispielsweise das Vermögensteuergesetz deshalb der Feststellung der Verfassungswidrigkeit, BVerfGE 32, 78, 86. Ebenso ist die KfZ-Steuer aufgrund ihrer sehr groben Differenzierung aufgrund der Möglichkeit des Billigkeitserlasses verfassungsgemäß, BVerfGE 32, 297, 286. Ferner BVerfGE 41, 126, 188; 48, 102, 114; BVerwGE 151, 255, 258 f.; 306
B. Die Bedeutung des Dispenses im Steuerrecht
71
Durch die Billigkeitsklausel wird dem Steuerpflichtigen trotz Praktikabilitätserwägungen bei der Steuergesetzgebung die Möglichkeit gegeben, seine Besonderheiten im Einzelfall geltend zu machen.313 Aufgrund der Forderung nach Vereinfachung und Praktikabilität stößt das Gebot der steuerrechtlichen Gleichbehandlung zunehmend an verfassungsrechtliche Grenzen,314 die mit dem Billigkeitserlass gelöst werden können. Auch der Einwand, dass der Dispens gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, indem Steuerpflichtige teilweise besser behandelt werden, da diesen ein Steuererlass gewährt wird, ist kaum greifbar. Art. 3 Abs. 1 GG geht in seiner Bedeutung nicht so weit, dass jeder gleichbehandelt werden muss. Vielmehr hat Art. 3 Abs. 1 GG im Steuerrecht die Bedeutung, dass jeder die gleiche Möglichkeit haben muss, sich auf einen Dispens zu berufen. Diese Forderung ist bei einem Steuererlass nach den §§ 163, 227 AO unproblematisch gegeben, indem die Finanzbehörde im Einzelfall prüft, ob die Voraussetzungen für einen Dispens vorliegen. Ein Steuererlass gleicht eine bestehende Ungleichheit wieder aus und führt somit im Ergebnis dazu, dass Art. 3 GG wieder gewahrt ist.315 Im Ergebnis verlagert sich die Kompetenz zur Steuerrechtsfindung in Härtefällen vom Gesetzgeber auf die Verwaltung.316 Die Verwaltung muss in Härtefällen durch Billigkeitsregelungen die Ungerechtigkeit, die durch das allgemeine Gesetz im Einzelfall entstanden ist, wieder ausgleichen.317 Aufgrund des Gebotes der Praktikabilität und der damit einhergehenden verallgemeinernden, typisierenden Rechtsetzung im Steuerrecht sind allerdings Besonderheiten zu beachten. Wenn sich der Gesetzgeber bereits für eine bestimmte Regelung entschieden hat, dann ist diese Entscheidung grundsätzlich zu akzeptieren. Bei stark verallgemeinernden Gesetzen hingegen ist der Spielraum für eine Dispensation größer. Die Perspektive muss auf das Recht gerichtet sein. Dies bedeutet, dass im Steuerrecht nur in besonderen Ausnahmefällen von dem Instrument des Dispenses Gebrauch gemacht werden darf. Die Billigkeit ist Bestandteil der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, ist also in den Steuergesetzen selbst angelegt.318 BFHE 185, 270, 273; J. Isensee, in: FS Flume, II, 1978, S. 129, 144, wonach der Dispens das verfassungsrechtliche Entlastungsinstrument der Legislative ist; B. Schmidt-Bleibtreu, BB 1978, 1060; I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 268; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 262 f., 268; P. Selmer, JuS 2016, 93, 94; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 3. A.A. wohl G. Bodden, DStR 2016, 1714, 1720, wonach § 163 AO nicht in Betracht kommt, um verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Rechtsnorm auszugleichen. 313 Ähnlich J. Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 170 f. 314 K.-D. Drüen, DStJG 37 (2014), S. 9, 54. 315 Für den Zwang zum Einbau von Härtefallklauseln, vgl. P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 193. Diesem zustimmend I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 469. Ferner auch J. Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 170; ders., in: FS Flume, Bd. II, 1978, S. 147. 316 P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 781. 317 P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 780 f. 318 P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 795.
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3. Kap.: Grundlagen der Dispensation
V. Gesetzliche Legitimation des Erlasses Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurde noch die Ansicht vertreten, dass ein Steuererlass keiner Ermächtigung in Gesetzesform bedarf. Nach Ansicht von Josef von Held319 stand es dem Monarchen zu, im Wege der Gnade bestehende Gesetze nicht anzuwenden.320 Diese Auffassung ist allerdings seit der Weimarer Republik und vor allem mit der Schaffung des Grundgesetzes obsolet, wonach Rechtsprechung und Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG an das Gesetz gebunden sind. Bei einem Steuererlass werden die Auswirkungen allgemeiner Gesetze auf den atypischen Einzelfall angepasst, obwohl alle Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen,321 sodass jede Nichteinziehung der Steuer einer gesetzlichen Grundlage bedarf,322 welche unter anderem in den Generalklauseln der §§ 163, 227 AO verankert wurde. Einen im Belieben der Finanzverwaltung stehenden, freien Verzicht auf Steuerforderungen gibt es nicht.323 Es gilt der Vorbehalt des Gesetzes, wonach weder eine Behörde noch das Gericht eigenmächtig ohne rechtliche Grundlage vom Gesetz abweichen darf. Dispense kommen somit nur noch in Betracht, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen.324 Bis zum Jahre 1919 fehlte es jedoch an einer allgemeinen Ermächtigung zum Billigkeitserlass. Erst mit der Einführung des § 108 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (RAO) wurde eine solche Ermächtigung geschaffen. Mit dem Erlass des § 108 Abs. 1 RAO war die Kernforderung des rechtsstaatlichen Prinzips des Vorbehaltes des Gesetzes erfüllt worden. Die Verwaltung war nun auch gesetzlich dazu ermächtigt einen Billigkeitserlass in besonderen Härtefällen auszusprechen.
319
J. v. Held, AöR 7 (1892), S. 98, 108 ff. Auch W. Flume, StbJb. 1953/1954, 81, 98 bezeichnete die Maßnahme nach § 131 Abs. 1 RAO als „Akt der Gnade“. 321 H. W. Kruse, StuW 1960, 477, 481; R. Mußgnug, Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, 1964, S. 60; T. v. Bodungen, Rechtskraftdurchbrechung im Steuerrecht, 1968, S. 79 ff.; P. Selmer, DÖV 1972, 551, 558. 322 BVerfGE 30, 292, 332; 48, 102, 116; BVerwGE 8, 329, 330; 48, 166, 168 f.; 118, 201, 206; R. Mußgnug, Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, 1964, S. 51; H.-J. Papier, Gesetzesvorbehalte, 1973, S. 165 ff.; J. Isensee, in: FS Flume, Bd. II, 1978, S. 129 ff.; P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775 ff.; R. Bartone, AO-StB 2004, 356; S. Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, 2004, S. 476; R. Seer, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 21, Rdnr. 329; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 2; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 130. A.A. A. Hensel, VJSchrStFR 1 (1927), 39, 65. 323 BFHE 255, 483, 498. 324 R. Mußgnug, Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, 1964, S. 51; P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 782. 320
4. Kapitel
Die Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht Um der Fallgruppe des Steuererlasses aus Verfassungsgründen nachzugehen, sind zunächst die Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht zu verdeutlichen.
A. Allgemeines I. Das besondere Steuerrechtsverhältnis Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Steuerstaat,325 dessen Strukturelemente in der Finanzverfassung (insbesondere Art. 105 bis 108 und 109 Abs. 2 GG) des Grundgesetzes festgeschrieben sind.326 Der Steuerstaat zeichnet sich dadurch aus, dass den Bürgern eine individuelle Wirtschaftsbetätigung gewährleistet wird und der Staat darauf angewiesen ist, einen Teil der Ergebnisse dieser privaten Wirtschaftstätigkeit abzuschöpfen, um seine Aufgabe als Sozial- und Rechtsstaat erfüllen zu können. Die Bundesrepublik muss Steuerstaat sein, um Rechts- und Sozialstaat zu sein.327 Zwischen dem Staat und seinen Bürgern besteht ein besonderes Steuerrechtsverhältnis, welches vor allem durch einseitige Ansprüche des Staates gegen seine Bürger gekennzeichnet ist.328 Damit wird auch das besondere Spannungsver325 Unbestritten, vgl. bereits J. Isensee, in: FS Ipsen, 1977, S. 409. Ferner K. H. Friauf, DStZ/A 1975, 359, 360; ders., StbJb. 1977/78, S. 39, 43; ders., DStJG 12 (1989), S. 3; ders., DÖV 1980, 480; H.-J. Papier, KritV 1987, 140; K. Vogel, in: GS Martens, 1987, S. 265, 267; D. Birk, StuW 1989, 212; K. Oechsle, Die steuerlichen Grundrechte in der jüngeren deutschen Verfassungsgeschichte, 1993, S. 20; K. Vogel/C. Waldhoff, in: BK, GG, Vorb. Art. 104a-115 GG, Rdnr. 402; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 105; R. Mellinghoff, Stbg. 2005, 1; S. Müller-Franken, in: GS für Trzaskalik, 2005, S. 195, 202; U. Di Fabio, JZ 2007, 749. 326 H. Paulick, ZgS 1953, 483, 485; K. H. Friauf, VVDStRL 27 (1969), 1, 10; H.-W. Bayer, StuW 1972, 149, 152; J. Isensee, in: FS Ipsen, 1977, S. 409 ff.; G. F. Schuppert, in: FS Zeidler, Bd. I, 1987, S. 691; K. Oechsle, Die steuerlichen Grundrechte in der jüngeren deutschen Verfassungsgeschichte, 1993, S. 20; S. Müller-Franken, in: GS für Trzaskalik, 2005, S. 195, 197 mit Fn. 11. 327 Zu dieser unbestrittenen Interpretation: K. H. Friauf, StbJb. 1977/1978, S. 39, 42 ff.; ders., DÖV 1980, 480. Diesem zustimmend: J. Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 130; J. Isensee, StuW 1994, 3, 7; D. Birk, in: DStJG 22 (1999), S. 7, 8; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 230; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig [Hrsg.], GG, Art. 14, Rdnr. 167. 328 BFHE 91, 351, 359; G. Felix, in: FS Spitaler, 1958, S. 135, 145 ff.
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
hältnis deutlich: Die Bürger sind Ansprüchen des Staates ausgesetzt, ohne aber einen direkten Anspruch auf eine Gegenleistung zu erhalten.329 Die Steuererhebung beruht daher nicht auf einem individuell rechtfertigenden Anlass, was vor allem die Rechtfertigung von Steuern zum Problem macht.330 Umso wichtiger ist es deshalb, dass der Besteuerung Grenzen gesetzt werden, vor allem verfassungsrechtliche Grenzen.331 Die Grundrechte binden nach Art. 1 Abs. 3 GG die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Somit hat auch der Steuergesetzgeber im Verfassungsstaat die Grundrechte zu achten.332 Die Grundrechte begrenzen dabei vor allem die inhaltliche Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers.
II. Die Grundrechte als Werteordnung Wenn feststeht, dass die Gesetzgebung und die Gesetzesanwendung verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen müssen, stellt sich des Weiteren die Frage nach dem Umfang. Im Grundsatz weisen die Grundrechte drei klassische Funktionen auf: eine Abwehr-, eine Leistungs- und eine Gleichbehandlungsfunktion.333 Einhergehend mit einer vertieften Betrachtung der Grundrechte in den 50er-Jahren wurde die Grundrechtsdogmatik jedoch von der Rechtsprechung und der Literatur erheblich ausgeweitet. Es erschienen die ersten grundlegenden Grundrechtsurteile
329
H. Paulick, ZgS 1953, 483; K. Vogel, in: GS Martens, 1987, S. 265, 267; K. Oechsle, Die steuerlichen Grundrechte in der jüngeren deutschen Verfassungsgeschichte, 1993, S. 19; P. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 1, 3. 330 K. Vogel, in: GS Martens, 1987, S. 265, 267. 331 Unbestritten, vgl. z. B. H. Paulick, ZgS 1953, 483, 485 f.; K. H. Friauf, DStZ/A 1975, 359, 360 f.; ders., DÖV 1980, 480, 482; K. Vogel, in: GS Martens, 1987, S. 265 ff.; K. Oechsle, Die steuerlichen Grundrechte in der jüngeren deutschen Verfassungsgeschichte, 1993, S. 20 f.; P. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 1, 2. Beachte aber S. Müller-Franken, in: GS für Trzaskalik, 2005, S. 195, 198: Danach soll sich aus der Verfassung kein komplettes Steuersystem ableiten lassen. Die Verfassung setze zwar die Grundbedingungen für die Steuerordnung, allerdings sei die Steuergesetzgebung kein „Vollzug von Verfassungsrecht, sondern konstitutive Begründung steuerlicher Pflichten in eigener Kompetenz“. Vgl. auch zum „Vollzug zum Verfassungsrecht“ P. Badura, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. VII, § 159, Rdnr. 12. 332 W. Schön, StuW 1995, 366, 369, wonach vor allem die Grundrechte die materielle Ausformulierung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage prägen. Ferner K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 450; P. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 1, 12; R. Mellinghoff, Stbg. 2005, 1, 2. A.A. bzgl. der Freiheitsrechte: J. Wieland, DStJG 24 (2001), S. 29, 42, der nur den Gleichheitssatz aus Art. 3 GG anwenden möchte. 333 H. Dreier, Jura 1994, 505 ff.; A. Voßkuhle/A.-B. Kaiser, JuS 2011, 411 ff.; K. Stern, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. IX, § 185, Rdnr. 56 ff.; Th. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte, Rdnr. 95 ff.; H. D. Jarass, in: Merten/Papier [Hrsg.], HGR, Bd. II, § 38, Rdnr. 1 ff.; ders., in: ders./Pieroth [Hrsg.], GG, Vorb. vor Art. 1, Rdnr. 2 ff.
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des Bundesverfassungsgerichts334, und auch in der Staatsrechtslehre beschäftigte man sich zunehmend mit der Multifunktionalität der Grundrechte.335 Im Zuge dieser Entwicklung setzte sich die Ansicht durch, dass die Grundrechte neben ihrer abwehrrechtlichen Funktion zugleich eine Wertentscheidung336 der Verfassung darstellen, die für alle Bereiche der Rechtsordnung gelten und für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung Richtlinien enthalten.337 Den Grundrechten wird damit eine Doppelfunktion zugewiesen: Sie beinhalten subjektive, den einzelnen begünstigende Rechte, als auch objektive, den Staat allgemein bindende und durch den Gesetzgeber zu konkretisierende Gewährleistungen.338 Der Staat ist damit nicht nur verpflichtet, nicht in die Grundrechte einzugreifen, sondern er muss auch dafür Sorge tragen, dass sich die Grundrechte real entfalten können.339 Der Staat soll sich „schützend und fördernd vor die Grundrechte“ stellen.340 Die Grundrechte strahlen dadurch in alle Rechtsgebiete aus341 und können durch die in ihnen enthaltenen Wertmaßstäbe bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe herangezogen werden.342 Somit vervollständigen die Grundrechte den unbestimmten Rechtsbegriff der „Billigkeit“.343 334
BVerfGE 6, 32 ff.; 6, 55 ff.; 7, 198 ff. Beispielhaft aus der Anfangszeit: H. Krüger, DVBl. 1950, 625 ff.; W. Apelt, JZ 1951, 353 ff.; G. Dürig, JZ 1952, 259 ff.; ders., AöR 81 (1956), S. 117 ff. 336 Teilweise wird auch von den „objektiv-rechtlichen Gehalten“ gesprochen, vgl. BVerfGE 53, 30, 57; K. Stern, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. IX, § 185, Rdnr. 71; A. Voßkuhle/ A.-B. Kaiser, JuS 2011, 411, 412; P. Kirchhof, StuW 2018, 1, 2. Kritisch U. Di Fabio, JZ 2004, 1, 2 ff. und H. D. Jarass, in: ders./Pieroth [Hrsg.], GG, Vorb. vor Art. 1, Rdnr. 6. Wie hier bereits G. Dürig, JR 1952, 259 ff.; ders., AöR 81 (1956), S. 117 ff., 122, der diese objektive Wertentscheidung aus Art. 1 Abs. 2 GG ableitet. 337 Seit der Lüth-Entscheidung des BVerfG st. Rspr., BVerfGE 7, 198, 205. Ferner BVerfGE 49, 89, 141 f.; 56, 54, 73; 117, 202, 227; 127, 87, 114; G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117, 119 ff.; T. Gostomzyk, JuS 2004, 949; F. Hufen, Staatsrecht II, § 5, Rdnr. 3; Th. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte, Rdnr. 113; M. Herdegen, in: Maunz/Dürig [Hrsg.], GG, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 21; H. D. Jarass, in: Merten/Papier [Hrsg.], HGR, Bd. II, § 38, Rdnr. 7; ders., in: ders./Pieroth [Hrsg.], GG, Vorb. vor Art. 1, Rdnr. 6; R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 35. 338 G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117, 132 f.; M. Rodi, Die Rechtfertigung von Steuern als Verfassungsproblem, 1994, S. 112 f.; H. D. Jarass, in: Merten/Papier [Hrsg.], HGR, Bd. II, § 38, Rdnr. 5; F. Hufen, Staatsrecht II, § 5, Rdnr. 3; Th. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte, Rdnr. 110. 339 F. Hufen, Staatsrecht II, § 5, Rdnr. 3. 340 BVerfGE 39, 1, 41 ff.; F. Hufen, Staatsrecht II, § 5, Rdnr. 3. Im Ergebnis ebenso T. Gostomzyk, JuS 2004, 949, 952. 341 Seit der Lüth-Entscheidung des BVerfG st. Rspr., BVerfGE 7, 198, 207. Zur Ausstrahlungswirkung der Grundrechte in alle Rechtsgebiete BVerfGE 76, 143, 161; H. Dreier, Jura 1994, 505, 510; H. D. Jarass, in: Merten/Papier [Hrsg.], HGR, Bd. II, § 38, Rdnr. 60 f.; M. Sachs, in: ders. [Hrsg.], GG, Vor Art. 1, Rdnr. 32. 342 BVerfGE 48, 102, 112 f.; 73, 261, 269; H. Dreier, Jura 1994, 505, 510 f.; A. Voßkuhle/A.B. Kaiser, JuS 2011, 411, 412; J. Ipsen, Staatsrecht II, § 2, Rdnr. 70; Th. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte, Rdnr. 113. Ähnlich bereits G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117, 124. 335
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
III. Eine Konstitutionalisierung des Steuerrechts? Eine solch umfangreiche Verfassungsprägung des Steuerrechts, wie sie in Rechtsprechung und Literatur postuliert wird, bleibt allerdings nicht ohne Kritik. Es gibt daher Stimmen, die die unter dem Stichwort der „Konstitutionalisierung“ vorangetriebene verfassungsrechtliche Einengung des Steuerrechts durchaus kritisch sehen.344 Unter dem Begriff der Konstitutionalisierung der Rechtsordnung im innerstaatlichen Bereich versteht man die Beeinflussung des einfachen Rechts durch Verfassungsrecht.345 Durch den Bedeutungszuwachs des Verfassungsrechts, vor allem seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, sind steuerrechtliche Probleme vermehrt aus einer verfassungsrechtlichen Perspektive begriffen worden, was auch unschwer an den unzähligen steuerrechtlichen Publikationen mit Verfassungsbezug erkennbar wird.346 Dies ist indes nicht nur ein Problem des Steuerrechts, sondern ein generelles Problem in der heutigen rechtswissenschaftlichen Dogmatik.347 Dadurch entsteht die Vorstellung kontinuierlicher Verengung, die zu einem fehlenden Selbststand des einfachen Rechts oder dem Verlust eigenständiger Konkretisierungsspielräume der Fachgerichtsbarkeit wie der Gesetzgebung führt.348 Der Vorgang der Konstitutionalisierung ist ein Phänomen, das in immer mehr Gebieten des Gesetzesrechts Einzug hält. Die Konstitutionalisierung ist somit keine neue Erscheinung; sie stellt vielmehr ein weiteres Synonym für den grundlegenden Vorgang dar, dass die Grundrechte in das einfache Recht ausstrahlen, wodurch das einfache Recht als konkretisiertes Verfassungsrechts hervortritt.349 Es geht um die Ausstrahlungskraft der Verfassung auf die einzelnen Rechtsgebiete. Peter Lerche sprach in seiner Zeit bereits davon, dass das Verfassungsrecht zunehmend zum „Konzentrat“ des gesamten Unterverfassungsrechts wird.350 Vor allem die Grundrechte erweisen sich als „Konstitutio-
343 BVerfGE 48, 102, 112 f.; G. Bopp, DStR 1979, 215, 217; P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 785; I. Pernice, Billigkeit und Härtefallklauseln, 1991, S. 208. 344 Siehe dazu beispielsweise Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 48 (2015), S. 85, 90 ff. Ähnlich: R. Wernsmann, DVBl. 2015, 1085 ff. Ebenso zur Konstitutionalisierung der Rechtsordnung allgemein O. Lepsius, in: Kolloquium Lerche, 2008, S. 103, 115 f. 345 R. Wahl, in: FS Brohm, 2002, S. 191, 192; H. P. Prümm, JA 2005, 310, 311; M. Knauff, ZaöRV 68 (2008), S. 453, 454 ff.; Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 48 (2015), S. 85, 88. 346 Siehe beispielsweise H.-W. Arndt, in: FS Mühl, 1981, S. 17 ff.; E. Benda, DStZ 1984, 159 ff.; K.-G. Loritz, NJW 1986, 1 ff.; D. Birk, DStJG 22 (1999), S. 7 ff.; F. Kirchhof, StuW 2002, 185 ff.; P. Kirchhof, Besteuerungsgewalt und Grundgesetz, 1979; ders., in: FS Offerhaus, 1999, S. 83 ff.; ders., AöR 128 (2003), S. 1 ff.; ders., StuW 2011, 365 ff.; ders., JöR 64 (2016), S. 553 ff.; ders., StuW 2018, 1 ff. 347 M. Knauff, ZaöRV 68 (2008), S. 453 ff. 348 O. Lepsius, in: Kolloquium Lerche, 2008, S. 103, 115. 349 Erstmals mit Bezug zum Verwaltungsrecht bei F. Werner, DVBl. 1959, 527 ff. Ferner R. Wahl, in: FS Brohm, 2002, S. 191, 192 f.; M. Knauff, ZaöRV 68 (2008), S. 453, 456, 476. 350 P. Lerche, in: FS Maunz, 1971, S. 286.
A. Allgemeines
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nalisierungsmotor“351 und prägen besonders stark das einfache Recht.352 Nach der Ansicht von Ernst-Wolfgang Böckenförde verliere die Verfassung durch die Umformung der Grundrechte „von Prinzipien und Gewährleistungen im Verhältnis Bürger-Staat zu obersten Prinzipien der Rechtsordnung insgesamt“353 den Charakter einer Rahmenordnung und werde zur „rechtlichen Grundordnung des Gemeinwesens.“354 Die Konstitutionalisierung der Steuerrechtsordnung wird zunehmend vor allem durch den Gleichheitssatz geprägt.355 Mit der Heranziehung des Verfassungsrechts scheint jedes Problem zwar gelöst werden zu können; diese Herangehensweise erschwert jedoch die Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit einer Rechtsfolge aus einer Steuernorm für den Steuerpflichtigen.356 Allerdings zeigen die Verfassung und insbesondere die Grundrechte nur Rahmenbedingungen auf, die bei der Anwendung im einfachen materiellen Recht zu unterschiedlichen Ausgestaltungen führen können.357 Bei der Erörterung des Problems unter diesem Blickwinkel darf allerdings nicht die Unterschiedlichkeit der Rechtsgebiete vergessen werden: Steuerrecht ist staatliches Eingriffsrecht und damit dem öffentlichen Recht zugeordnet. Die Konstitutionalisierung des Öffentlichen Rechts und damit auch des Steuerrechts ist verfassungsrechtlich eine Notwendigkeit, um der Grundrechtsbindung der Staatsgewalt aus Art. 20 Abs. 3 GG nachzukommen.358 Im Steuerrecht entstehen für den Betroffenen Steuerpflichten, wodurch eine verstärkte verfassungsrechtliche Bindung besteht.359 Um einen „Gleichklang von Steuerpflicht und Steuergleichheit“ zu erlangen, können bei den intensiven Eingriffen in die Rechtspositionen des Einzelnen keine großzügigen Differenzierungsmaßstäbe hingenommen werden.360 Gerade im Steuerrecht, welches besonders auf eine „gleichheitsrechtliche Legitimität“361 an-
351
So M. Knauff, ZaöRV 68 (2008), S. 453, 477. Die besondere Ausstrahlungswirkung der Grundrechte heben weiter insbesondere hervor: R. Wahl, in: FS Brohm, 2002, S. 191, 193; M. Ruffert, EuGRZ 2007, 245, 246 f. 353 E.-W. Böckenförde, Staat, Verfassung und Demokratie, 1991, S. 188. 354 E.-W. Böckenförde, Staat, Verfassung und Demokratie, 1991, S. 189. 355 M. Droege, StuW 2011, 105. 356 R. Schenke, StuW 2008, 206, 212. 357 R. Wahl, in: FS Brohm, 2002, S. 191, 193; R. P. Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, 2007, S. 497 Nr. 47; M. Knauff, ZaöRV 68 (2008), S. 453, 481 f. Zur Unterscheidung zwischen Rahmen- und Grundordnung der Verfassung: R. Alexy, VVDStRL 61 (2002), S. 7, 14 ff. 358 S. Müller-Franken, in: GS für Trzaskalik, 2005, S. 195, 198; Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 48 (2015), S. 85, 89. 359 S. Müller-Franken, in: GS für Trzaskalik, 2005, S. 195, 198. 360 Chr. Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben, 1997, S. 219 f.; M. Lehner/Chr. Waldhoff, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff [Hrsg.], EStG, § 1 Rdnr. A 156. 361 Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 48 (2015), S. 85, 89. 352
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
gewiesen ist, muss die Verfassungsbindung umso stärker ausgeprägt sein.362 Aufgrund der Tatsache, dass sich ein komplettes Steuersystem gerade nicht aus der Verfassung ableiten lässt, darf das Verfassungsrecht das Steuerrecht allerdings auch nicht vollkommen überlagern. Insofern ist an die Aufgabe der Verfassung zu denken: Diese soll die „rechtliche Grundordnung für ein Staatswesen festlegen, die für lange Dauer die künftige politische Entwicklung in einen festen Rahmen einfügen soll.“363 In Bezug auf die Härtefallparagraphen der §§ 163, 227 AO hat die Bestandsaufnahme zudem gezeigt, dass es nur wenige Fälle gibt, in denen ein Erlass positiv entschieden wurde und es noch weniger Entscheidungen gibt, bei denen originär mit Verfassungsrecht argumentiert wurde. Somit ist das Gebot, dass das Verfassungsrecht das Steuerrecht nicht vollkommen überlagern darf, bei der Figur des Steuererlasses aus Verfassungsgründen eingehalten. Im Zuge der Konstitutionalisierung wurde die Verfassung als dogmatische Leitidee eingesetzt.364 Aus diesem Grund stehen die zentralen dogmatischen Kategorien des Verwaltungsrechts und somit auch des Steuerrechts in enger Wechselwirkung mit verfassungsrechtlichen Vorgaben.365 Wenn es die Dogmatik schafft, den Billigkeitserlass aus Verfassungsgründen mehr Kontur zu verleihen und die Fallgruppen näher zu spezifizieren, besteht auch nicht mehr die von Ralf Peter Schenke366 beschriebene Gefahr der Unberechenbarkeit und Unvorhersehbarkeit einer Rechtsfolge aus einer Steuernorm für den Steuerpflichtigen. Das Ziel der Dogmatik ist gerade die Sicherung der Berechenbarkeit der Auswirkungen von Normen,367 sodass im Falle des Gelingens der zu diesen Fragen geleisteten Arbeit das Problem der Konstitutionalisierung im Falle des Billigkeitserlasses aus Verfassungsgründen entschärft werden kann.
362 So auch K. H. Friauf, DStZ 1975, 359, 360 f.; P. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 1, 5 f.; S. Müller-Franken, in: GS für Trzaskalik, 2005, S. 195, 198; M. Lehner/Chr. Waldhoff, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff [Hrsg.], EStG, § 1 Rdnr. A 156; Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 48 (2015), S. 85, 88, die für eine strenge Gleichheitsprüfung im Steuerrecht plädieren. 363 U. Scheuner, in: Staatslexikon der Görresgesellschaft, Bd. VIII, 1963, Sp. 117 f. 364 M. Eifert, in: Was heißt Dogmatik?, 2012, S. 79, 86. Zu dieser Entwicklung G. F. Schuppert/Chr. Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2001, S. 57 f. 365 M. Eifert, in: Was heißt Dogmatik?, 2012, S. 79, 86. 366 R. P. Schenke, StuW 2008, 206, 212. 367 Siehe dazu bereits im 1. Kapitel unter A.
B. Verfassungsrechtliche Bindungen des Steuergesetzgebers
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B. Verfassungsrechtliche Bindungen des Steuergesetzgebers I. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung Im Steuerrecht gilt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung. Die Steuerauferlegung ist nur zulässig, wenn sie in einem Gesetz angeordnet wird (Vorbehalt des Gesetzes).368 Aus der steuerrechtlichen Dogmatik ergibt sich jedoch eine Besonderheit, die das Steuerrecht noch stärker als anderes Eingriffsrecht vom Gesetz abhängig macht. Die Steuer dient in erster Linie dazu den öffentlichen Finanzbedarf zu decken, wodurch der Belastungsgrad nicht begrenzt wird.369 Die Steuerauferlegung muss daher gesetzlich angeordnet werden, um den Belastungsgrad deutlich zu machen.
II. Das Prinzip der Steuergerechtigkeit 1. Grundlegung Die Steuergerechtigkeit wird heute hauptsächlich aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitet.370 Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG fordert die Gleichheit vor dem Gesetz, was auch nach Rechtsanwendungsgleichheit371 verlangt. Die Fi368 BVerfGE 19, 253, 267; 49, 343, 362; 73, 388, 400; K. Tipke, StRO, Bd. II, S. 120; zum Ursprung und Entwicklung des Gesetzmäßigkeitsprinzips siehe K. Vogel/Chr. Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts, 1999, Rdnr. 472 ff.; H. Vogel, Ungleichheiten beim Vollzug von Steuergesetzen, 2000, S. 62 f.; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 64. 369 BVerfGE 13, 318, 328; K. Vogel, in: GS Martens, 1987, S. 265, 268; P. Kirchhof, StbJb. 1994/1995, S. 5, 6. Ähnlich J. Isensee, StuW 1994, 3, 7. 370 Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber zur Steuergerechtigkeit. So vor allem die Rechtsprechung mit Bezug zu Art. 134 WRV: BVerfGE 6, 55, 70; 8, 51, 68 f.; 66, 214, 223; außerdem BVerfGE 13, 202, 298, 338; 23, 253; 26, 310; 29, 335; 47, 1, 19; 65, 354; 68, 287, 310; 74, 182, 199 f.; 84, 268; 105, 73, 125; 117, 1, 30; 120, 1, 44. Ferner aus der Literatur W. Leisner, Der Gleichheitsstaat, 1980, S. 158 ff.; K. Tipke, Steuergerechtigkeit, 1981, S. 24; E. Benda/K. Kreuzer, DStZ/A 1983, 49, 55; E. Benda, DStZ 1984, 159, 160; D. Birk, StuW 1989, 212, 213; K. Vogel/Chr. Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts, 1999, Rdnr. 500; S. Müller-Franken, in: GS Trzaskalik, 2005, S. 195, 203; F. Kirchhof, in: Merten/Papier [Hrsg.], HGR, Bd. III, § 59, Rdnr. 79; M. Payandeh, AöR 136 (2011), S. 578, 594; J. Hey, in: Tipke/ Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 110; St. Huster, in: Friauf/Höfling [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 150; W. Heun, in: Dreier [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 75. Ebenso A. Nußberger, in: Sachs [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 134, wonach aber aus dem Gleichheitssatz keine unmittelbare Rechtsfolge zu entnehmen ist. 371 Grundlegend BVerfGE 84, 239, 270; 66, 331, 335. Ferner BFHE 188, 65, 68; H.-J. Papier, KritV 1987, 140, 148; H.-W. Arndt, NVwZ 1988, 787; J. Isensee, StuW 1994, 3, 8; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, § 118, Rdnr. 101; J. Hey, StbJb. 2007/ 2008, 19, 34; D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 172; Chr. Starck, in:
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
nanzbehörden müssen die Steuern nach Maßgabe der jeweiligen Gesetze gleichmäßig festsetzen und erheben.372 Für das Steuerrecht fordert die Rechtanwendungsgleichheit vor allem auch eine einheitliche Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen und somit zumindest verallgemeinerungsfähige Maßstäbe.373 Zugleich enthält der allgemeine Gleichheitssatz auch das Gebot der Rechtsetzungsgleichheit für den Gesetzgeber.374 Der Gesetzgeber muss danach die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen ausrichten.375 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts376 verstand den Gleichheitssatz lange Zeit nur als Willkürverbot, sodass nach dem Gerechtigkeitsgedanken wesentlich Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend ungleich zu behandeln ist.377 Im Anwendungsbereich der „Neuen Formel“ des Bundesverfassungsgerichts ist der Gleichheitssatz dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine solchen wesentlichen Unterschiede bestehen, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen.378 Im Grundsatz geht es mithin um das Vorhandensein von Unterschieden, die im Steuerrecht die Ungleichbehandlung rechtfertigen und welche von den Finanzbehörden und den Gerichten herausgearbeitet und bewertet werden müssen. Mit diesem Ansatz verdeutlicht das Bundesverfassungsgericht zugleich die aus der Gerechtigkeitsidee entstammende Verbürgung der Menschenwürde.379 Mit Mangoldt/Klein/Starck [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 2; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 110. 372 Eine einfachgesetzliche Ausformulierung dieses Grundsatzes enthält § 85 AO: „Die Finanzbehörden haben die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Insbesondere haben sie sicherzustellen, dass Steuern nicht verkürzt, zu Unrecht erhoben oder Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt werden“. 373 P. Kirchhof, StbJb. 1994/1995, S. 5, 14. 374 H.-W. Arndt, NVwZ 1988, 787; D. Birk, StuW 1989, 212, 213; P. Kirchhof, StbJb. 1994/ 1995, S. 5, 14; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 68 f.; Chr. Starck, in: Mangoldt/ Klein/Starck [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 2; G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 260. 375 Dieser Grundsatz wurde bereits im Gesetzgebungsverfahren festgehalten, vgl. BTDrs. 7/1470, S. 211 f. Ferner BVerfGE 145, 106, 138; 127, 224, 248; 66, 214, 233; 43, 108, 120; 9, 237, 243; 6, 55, 67; 47, 1, 29. 376 Grundlegend BVerfGE 1, 14, 52; 3, 58, 135; 4, 144, 155. Ferner BVerfGE 18, 38, 46; 42, 64, 72; 49, 280, 283. 377 BVerfGE 15, 167, 201; 22, 387, 415; 50, 177, 186; 52, 277, 280; 78, 104, 121. So auch P. Kirchhof, StuW 1984, 297, 303; R. Wernsmann, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 438; Th. Kingreen/R. Poscher, Grundrechte, Rdnr. 525 ff.; D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 171. Kritisch K. Vogel, DStJG 12 (1989), S. 123, 138. 378 BVerfGE 55, 72, 88 ff.; 60, 123, 133 f.; 62, 256, 274; 65, 104, 112 f.; 65, 377, 384; 68, 287, 301; 70, 230, 239 f.; 73, 301, 321; 74, 9, 24; 89, 15, 22 f.; BFHE 189, 479, 492; E.-W. Böckenförde, VVDStRL 47 (1989), S. 95, 96 f.; K. Vogel, DStJG 12 (1989), S. 123, 138 f.; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 123. 379 Ähnlich Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 41 (2008), S. 259, 263 f.; P. Kirchhof, in: Maunz/ Dürig [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 3.
B. Verfassungsrechtliche Bindungen des Steuergesetzgebers
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Bezug zum Billigkeitserlass wies das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich darauf hin, dass ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht nur dann vorliege, wenn der Gesetzgeber mehrere Personengruppen ohne sachlichen Grund verschieden behandelt, sondern auch dann, wenn die Gerichte bei ihrer Auslegung gesetzlicher Vorschriften zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen.380 Je stärker die Ungleichbehandlung ist, desto größer sind die Anforderungen an ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung.381 Das Willkürverbot kommt allerdings dann noch zum Tragen, wenn es um die Verfolgung von Förder- und Lenkungszielen geht. Aus Gründen des Gemeinwohls kann der Steuergesetzgeber Ausnahmen vom Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung anordnen.382 So unterliegen Steuervergünstigungen einer bloßen Willkürprüfung,383 wie auch bei der Verschonung von Unternehmen von der Besteuerung der Gesetzgeber lediglich durch das Willkürgebot gebunden wird.384 Lenkungstatbestände zeichnen sich gerade dadurch aus, dass der Einzelne zwischen verschiedenen Alternativen wählen und sein Verhalten nach diesen ausrichten kann. Es geht also nicht um personenbezogene, sondern um verhaltensbezogene Differenzierungen, die regelmäßig nur dann einer strengen Kontrolle am Maßstab des Gleichheitssatzes unterliegen, wenn sie in die Nähe personenbezogener Kriterien geraten oder wenn sie sich auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken können.385 Das Bundesverfassungsgericht setzt dafür allerdings hohe Maßstäbe und sieht den Gleichheitssatz beispielsweise nur dann als verletzt an, wenn eine „der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der ökonomischen Ausgangslage“ durch den Gesetzgeber vorliegt.386 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber einen weitreichenden Entscheidungsspielraum bei der Auswahl des Steuergegen-
380
BVerfGE 58, 369, 373 f.; 79, 106, 121 f.; P. Selmer, JuS 1996, 273. G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 263. 382 BVerfGE 93, 121, 147; 99, 280, 296; 105, 73, 112; 110, 274, 299; 116, 164, 182, 192 ff.; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 46. Ferner A. Nußberger, in: Sachs [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 136. 383 Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit besitzt der Gesetzgeber eine größere Gestaltungsfreiheit als im Bereich der Eingriffsverwaltung, vgl. BVerfGE 6, 55, 77; 11, 50, 60; 12, 151, 166; 17, 210, 216; J. Hey, StbJb. 2007/2008, 19, 40. 384 BVerfGE 17, 210, 216; 110, 274, 293. 385 Differenzierend R. Wernsmann, Verhaltenslenkung, 2005, S. 219: In die Nähe personenbezogener Kriterien könnten solche Lenkungstatbestände geraten, die die Betroffenen zu einer nicht zumutbaren Verhaltensänderung bewegen wollen. 386 BVerfGE 110, 274, 299, 301. Kritisch R. Wernsmann, Verhaltenslenkung, 2005, S. 222: Würde man sich bei der Überprüfung solcher Ungleichbehandlungen auf eine Willkürprüfung beschränken, so wäre eine Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips unbeschränkt möglich. 381
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
standes und bei der Bestimmung des Steuersatzes.387 Der Gleichheitssatz wirkt allerdings umso strikter, je mehr eine Regelung den Einzelnen betrifft.388 Je allgemeiner die Formulierung ist, desto offener ist der Gleichheitssatz für gesetzgeberische Gestaltungen.389 Um diesem weiten Spielraum aber der Gerechtigkeit, insbesondere um der Gleichheit willen dennoch Grenzen zu setzen, muss der Gesetzgeber bereits anerkannte Prinzipien beachten,390 welche abzuleiten sind aus der Verfassung, das heißt: die Gleichheit der Lastenverteilung und das Leistungsfähigkeitsprinzip sowie das Gebot der Folgerichtigkeit.391 2. Die Gleichheit der Lastenverteilung Die Steuer ist eine Geldzahlungspflicht, welche mit der Verwirklichung des Tatbestands entsteht, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft.392 Sie ist keine Gegenleistung für eine besondere Leistung des Steuergläubigers, sondern ist der finanzielle Beitrag des Einzelnen zur staatlichen Gemeinschaft.393 Die Steuerlast zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine Gemeinlast ist. Um den allgemeinen Gleichheitssatz zu beachten, ist das Steuerrecht daher von der „Gleichheit der Lastenzuteilung“394 geprägt, welche wiederum die materielle Steuergerechtigkeit konstituiert395 und den Gleichheitssatz konkretisiert. Die Steuer ist eine Abgabe, die 387 BVerfGE 93, 121, 136; 93, 165, 172; 107, 27, 47; 123, 111, 120; 135, 126, 144; W. Schön, StuW 1995, 366, 370; P. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 1, 37; U. Kischel, in: Gleichheit im Verfassungsstaat, 2009, S. 175, 184; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 102; R. Mellinghoff, Stbg. 2005, 1, 4. 388 BVerfGE 82, 60, 89 f.; 87, 153, 170; W. Schön, StuW 1995, 366, 370. 389 BVerfGE 96, 1, 6; P. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 1, 40. 390 BVerfGE 93, 121, 134; H.-W. Arndt, NVwZ 1988, 787, 789; D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 173; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, § 118, Rdnr. 168; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 4, Rdnr. 75. 391 So u. a. BVerfGE 123, 111, 120; 132, 179, 189. Die Entscheidungen sprechen von der Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit. Die Lastengleichheit wiederum ist in der Leistungsfähigkeit begründet, vgl. BVerfGE 105, 73, 125. 392 W. Jakob, AO, § 2, Rdnr. 15 f.; D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, Einleitung, Rdnr. 1 f. 393 D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 13. 394 BVerfGE 84, 239, 268 f.; 105, 73, 126; J. Isensee, in: FS Flume, II, S. 129, 132; F. Kirchhof, StuW 2002, 185, 187; P. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 1, 36 f.; M. Payandeh, AöR 136 (2011), S. 578, 594. 395 So J. Isensee, in: FS Flume, II, 1978, S. 129, 132, der mit der Gleichheit der Lastenzuteilung das Fehlen einer materiellen Gegenleistung des Steuerstaates an die Bürger rechtfertigt. In der Weimarer Zeit befasste sich die Steuerwissenschaft hauptsächlich mit der formalen Rechtsstaatlichkeit (Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, Lehre von Steuertatbestand, etc.); erst in der Nachkriegszeit bekam mit dem Grundgesetz auch die materielle Rechtsstaatlichkeit mehr Bedeutung und es entwickelte sich eine „Steuergerechtigkeitswissenschaft“. Zum Ganzen siehe noch J. Lang, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, 21. Aufl. 2013, § 4, Rdnr. 52 m.w.N. Dieser Doppelcharakter entspricht der Tipke‘schen Gerechtigkeitslehre.
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alle Inländer zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben heranzieht.396 Für eine gesetzgeberische Unterscheidung bedarf es eines sachlichen Grundes. Allerdings ist nicht jeder sachliche Grund ausreichend für eine Rechtfertigung; der Gleichheitssatz bedarf vielmehr einer „sachbezogenen Konkretisierung“.397 Der Maßstab der Beurteilung der Ungleichheit liegt daher vor allem in der Eigenart des zu regelnden Sachbereichs.398 Als Gemeinlast kommt die Steuer nicht dem Einzelnen zugute, sondern der staatlichen Gemeinschaft als Ganzes. Als einziger sachlicher Grund für eine Differenzierung innerhalb der Lastenzuteilung ist daher die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anzuerkennen.399 3. Das Leistungsfähigkeitsprinzip Der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist aus dem Prinzip der Steuergerechtigkeit herzuleiten und konkretisiert den Gleichheitssatz.400 Er besagt, dass die Verteilung der steuerlichen Lasten die unterschiedlichen Einkommensund Vermögensverhältnisse berücksichtigen soll.401 Das Bundesverfassungsgericht erkennt das Prinzip der Leistungsfähigkeit als Maßstab für den steuerverfassungsrechtlichen Gleichheitssatz an.402 a) Rechtsdogmatische Bedeutung des Leistungsfähigkeitsprinzips für eine gerechte Besteuerung Das Prinzip der Leistungsfähigkeit ist der zentrale Maßstab des Steuerrechts und muss dauerhaft beachtet werden.403 Vor allem gilt dieser Grundsatz für das Ein396
J. Isensee, in: FS Ipsen, 1977, S. 409, 430; S. Müller-Franken, in: GS für Trzaskalik, 2005, S. 195, 203. 397 S. Müller-Franken, in: GS für Trzaskalik, 2005, S. 195, 203. 398 St. Rspr., vgl. BVerfGE 17, 122, 130; 75, 108, 157. Ferner S. Müller-Franken, in: GS für Trzaskalik, 2005, S. 195, 203; P. Selmer, AöR 101 (1976), S. 399, 444. 399 So auch BVerfGE 105, 73, 125; D. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, 1983, S. 21 ff.; S. Müller-Franken, in: GS für Trzaskalik, 2005, S. 195, 204; W. Rüfner, in: BK, GG, Art. 3, Rdnr. 199 m.w.N. 400 Ganz h.M., vgl. BVerfGE 50, 386, 391; 122, 210, 231; J. Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 99; K. Tipke, StuW 1988, 262, 269 f.; ders., StRO, Bd. I, S. 500; H.-J. Papier, DStR 2007, 973, 975; Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 41 (2008), S. 259, 262; M. Payandeh, AöR 136 (2011), S. 578, 594; S. Zerbe, DB 2015, 2893; J. Hey, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 42; G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 230. A.A. nur H.-W. Arndt, in: FS Mühl, 1981, S. 28; ders., NVwZ 1988, 787, 791. 401 D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 1, Rdnr. 35, § 2, Rdnr. 174. 402 Ausdrücklich erwähnt z. B. in: BVerfGE 6, 55, 67; 8, 51, 68 f.; 9, 237, 371; 47, 1, 24; 61, 319, 344; 105, 73, 125; 135, 126, 144. Ferner H. Schaumburg, in: FS Reiss, 2008, S. 25, 26; J. Hey, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 42. 403 K. Tipke, Steuergerechtigkeit, 1981, S. 57; J. Lang, in: FS Kruse, 2001, S. 313, 315; J. Hey, StbJb. 2007/2008, 19, 35; K.-D. Drüen, DStJG 37 (2014), S. 9, 47.
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
kommensteuerrecht, welches gerade auf die Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen hin angelegt ist.404 Paul Kirchhof machte deutlich, dass „die Verfassung ein Besteuerungsprinzip fordert, das jedes Steuergesetz prägt, jeden Tatbestandstext bestimmt und damit die Anliegen der Rechtstreue und des Textgehorsams zur Deckung bringt.“405 In der Rechtsprechung und in Teilen der Literatur wird das Leistungsfähigkeitsprinzip sogar als Fundamentalprinzip bzw. Primär- und Verfassungsgrundsatz des Steuerrechts bezeichnet.406 Das Leistungsfähigkeitsprinzip unterliegt einem stetigen Wandel;407 es kommen weitere rechtliche sowie ökonomische Erkenntnisse hinzu, sodass das Prinzip auch auf die Besonderheiten des Einzelfalls reagieren kann. Dies ist die Eigenart eines jeden Rechtsprinzips: die Wandelbarkeit und die Anpassungsfähigkeit an aktuelle Gegebenheiten.408 Das Leistungsfähigkeitsprinzip hat sich heute zu einem System entwickelt, das vor allem den Schutz vor Grundrechtseingriffen des Steuerpflichtigen gegenüber dem Staat konkretisiert und von der Rechtsprechung kontinuierlich ausgebaut wird.409 404 BVerfGE 61, 319, 343 f.; 82, 60, 86; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 77 ff.; J. Lang, in: FS Kruse, 2001, S. 313, 320 f.; H. Schaumburg, in: FS Reiss, 2008, S. 25, 28; K.-D. Drüen, DStJG 37 (2014), S. 9, 47. 405 P. Kirchhof, Besteuerung im Verfassungsstaat, 2000, S. 21. 406 BVerfGE 43, 108, 120; 47, 1, 29; 61, 319, 343 f.; 66, 214, 222 ff.; 67, 290, 296 ff.; 68, 143, 152; 68, 287, 310; 122, 210, 230 f.; 127, 224, 247; K. H. Friauf, DStJG 12 (1989), S. 3, 27 f. Im Ergebnis ebenso: K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 494; ders., StuW 2007, 201, 206; J. Wieland, DStJG 24 (2001), S. 29, 42, wonach einzig und allein das Leistungsfähigkeitsprinzip einen angemessenen und ausreichenden Rahmen für den Steuergesetzgeber darstellt. Freiheitsrechte seien danach nur dann beachtlich, wenn der Steuergesetzgeber missbräuchlich bzw. mit „erdrosselnder Wirkung“ darin eingreift. J. Lang, DStJG 24 (2001), S. 48, 55 ff.; ders., in: FS Kruse, 2001, S. 313, 318; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 41. Ähnlich K. Vogel, DStZ 1975, 409, 410 f., der das Leistungsfähigkeitsprinzip als eine notwendige Konkretisierungsstufe ansah; ders., in: Steuerrecht und Verfassungsrecht, 1989, S. 123, 141; J. Buschendorf/M. Vogel, DB 2016, 676, 680. Ähnlich auch J. Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 124 f., der dem Leistungsfähigkeitsprinzip zwar keinen Verfassungsrang zusprach, dieses aber als verfassungsrechtlich verankertes Rechtsprinzip bezeichnet und damit eine verfassungsrechtliche Wirkkraft besitzt. Ebenso D. Birk, StuW 2011, 354, 357 wonach sich das Leistungsfähigkeitsprinzip als Rechtsprinzip etabliert hat. Ferner M. Droege, StuW 2011, 105; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 40; G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/ Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 230. A.A. H. W. Kruse, StuW 1990, 322, 327; ders., in: FS Friauf, 1996, S. 793, 794; U. Kischel, in: Gleichheit im Verfassungsstaat, 2009, S. 175, 179 f. 407 So auch J. Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 100 f.: Die Vieldeutigkeit des Leistungsfähigkeitsprinzips resultiere lediglich aus einem Theoriendefizit, was dem Prinzip jedoch nicht seine herausragende Bedeutung nimmt. 408 J. Lang, in: FS Kruse, 2001, S. 313, 319. A.A. J. Martens, KritV 1987, 39, 48 f. 409 Vgl. vor allem die familiensteuerrechtliche Rechtsprechung: BVerfGE 61, 319 (Ehegattensplitting); 66, 214 (Unterhaltsverpflichtungen); 82, 60 (Familienexistenzminimum). Ferner P. Kirchhof, Besteuerung im Verfassungsstaat, 2000, S. 62 ff.
B. Verfassungsrechtliche Bindungen des Steuergesetzgebers
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b) Der Inhalt des Leistungsfähigkeitsprinzips Leistungsfähigkeit meint die tatsächliche Ist-Zahlungsfähigkeit.410 Im Einkommensteuerrecht wird das Leistungsfähigkeitsprinzip durch das Nettoprinzip konkretisiert.411 Die Einkommensteuerpflicht knüpft dabei an die Ist-Leistungsfähigkeit an,412 welche wiederum dadurch bestimmt wird, dass dem erzielten Einkommen existenz- und erwerbssichernde Aufwendungen abgezogen werden.413 Die IstLeistungsfähigkeit ist also erst dann bestimmt, wenn alle existenznotwendigen Daseinsvoraussetzungen des Betroffenen finanziell abgesichert sind.414 Durchbrechungen dieses Prinzips bedürfen der Rechtfertigung.415 Sofern die Steuernorm ihre Begründung in der Leistungsfähigkeit hat, kann eine fehlende Leistungsfähigkeit des Steuerschuldners somit zu einem Erlass führen.416 Bereits in der Entscheidung zur Abzugsfähigkeit der Spenden für politische Parteien hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass die Gerechtigkeit verlangt, dass der wirtschaftlich Leistungsstärkere einen höheren Prozentsatz seines Einkommens als Steuer zu zahlen hat als der wirtschaftlich Schwächere.417 Dieser Grundgedanke des Prinzips der Steuergerechtigkeit wurde bereits in der französischen Menschenrechtserklärung im Jahre 1789, welche heute noch in Frankreich geltendes Verfassungsrecht ist,418 410 P. Kirchhof, StuW 1984, 297, 298; Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 41 (2008), S. 259, 261; S. Zerbe, DB 2015, 2893: „disponibles Einkommen“; R. Wernsmann, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 486. 411 Das Bundesverfassungsgericht hat sich bisher noch nicht dazu bekannt, woher das Nettoprinzip abzuleiten ist. Im Schrifttum ist dies hingegen h.M., vgl. M. Jachmann, Steuergesetzgebung, 2000, S. 11; W. Schön, FR 2001, 381, 382 f.; J. Lang, StuW 2007, 3 ff.; H. Schaumburg, in: FS Reiss, 2008, S. 25, 28; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 132; dies., in: Herrmann/Heuer/Raupach [Hrsg.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 44. 412 M. Lehner, Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht, 1993, S. 361; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 497 f.; Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 41 (2008), S. 259, 267; J. Hey, in: Herrmann/ Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 44. 413 Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 41 (2008), S. 259, 267; M. Droege, StuW 2011, 105, 106. 414 St. Rspr. Vgl. BVerfGE 99, 280, 290 f.; 101, 297, 310; 123, 111, 120; BFHE 195, 314, 318 f. Grundlegend M. Lehner, Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht, 1993, S. 304 f. Ferner J. Isensee, in: FS Klein, 1994, S. 611, 620 f.; F. Kirchhof, StuW 2002, 185, 188; Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 41 (2008), S. 259, 266; D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 184. 415 BVerfGE 27, 58, 64 f.; 81, 228, 237; Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 41 (2008), S. 259, 267. 416 BFHE 116, 87, 89; 176, 3, 9; D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6202; C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, 1999, S. 80; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 32. 417 BVerfGE 8, 51, 68 f.: „Hier verlangt die Gerechtigkeit, dass im Sinne der verhältnismäßigen Gleichheit der wirtschaftlich Leistungsfähigere einen höheren Prozentsatz seines Einkommens als Steuer zu zahlen hat als der wirtschaftlich Schwächere (vgl. schon Art. 134 WRV)“. Ebenso BVerfGE 82, 60, 87 f. Zustimmend D. Birk, StuW 1989, 212, 217; M. Jachmann, Steuergesetzgebung, 2000, S. 11. 418 Vgl. dazu die Präambel der Verfassung der Französischen Republik v. 4. 10. 1958: „Das französische Volk verkündet feierlich seine Verbundenheit mit den Menschenrechten und mit
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
festgehalten, in dessen Art. 13 es heißt: „Für den Unterhalt der Streitmacht und für die Kosten der Verwaltung ist eine allgemeine Abgabe unumgänglich. Sie muss gleichmäßig auf alle Bürger unter Berücksichtigung ihrer Vermögensumstände verteilt werden.“ Und auch der steuerspezifische Gleichheitssatz des Art. 134 WRV brachte dies zum Ausdruck, wonach „alle Staatsbürger ohne Unterschied im Verhältnis ihrer Mittel zu allen öffentlichen Lasten nach Maßgabe der Gesetze beitragen.“ Die steuerliche Gleichheit beurteilt sich somit nach der wirtschaftlichen Fähigkeit des Einzelnen, Steuern zu zahlen, sodass eine Differenzierung dann gerechtfertigt ist, wenn das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit eingehalten wird.419 Wer über ein hohes Einkommen beziehungsweise hohes Vermögen verfügt, dem kommt auch eine entsprechend höhere Leistungsfähigkeit zu mit der Folge, dass er am Gesamtsteueraufkommen auch einen größeren Anteil trägt.420 Der Bürger bekommt eine Geldzahlungspflicht auferlegt, um den Staat mit finanziellen Mitteln auszustatten, damit dieser seine öffentlichen Aufgaben erfüllen kann.421 c) Die Konkretisierung der Leistungsfähigkeit Dieses abstrakte Prinzip muss im Einzelfall konkretisiert werden.422 In der Rechtsprechung und der Wissenschaft besteht ein weitgehender Konsens über die Anerkennung von Konkretisierungen, die zumindest als Eckpfeiler für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit angesehen werden können: Danach besteht ein Besteuerungsverbot, sofern es an der Leistungsfähigkeit fehlt.423 Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch auch, dass ein grundsätzliches Besteuerungsgebot besteht, wenn wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vorliegt.424
den Grundsätzen der nationalen Souveränität, so wie sie in der Erklärung von 1789 niedergelegt und in der Präambel der Verfassung von 1946 bestätigt und ergänzt wurden.“ 419 H. Söhn, in: FS Friauf, 1996, S. 809, 819 f; ders., in: FS Tipke, 1995, S. 343, 346 ff.; S. Müller-Franken, in: GS für Trzaskalik, 2005, S. 195, 204. 420 BVerfGE 82, 60, 89; 99, 246, 260; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 481; H. Schaumburg, in: FS Reiss, 2008, S. 25. 421 D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 13 ff.; Mit Bezug zu Art. 14 Abs. 1 GG: P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, § 118, Rdnr. 168; J. Hey, in: Tipke/ Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 190. 422 D. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, 1983, S. 155 ff.; ders., StuW 2011, 354, 362; H.-W. Arndt, NVwZ 1988, 791 ff.; ders., in: FS Mühl, 1981, S. 17 ff.; J. Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 99 f.; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 492 ff.; ders., in: FS Kruse, 2001, S. 313, 315, 326; S. Müller-Franken, in: GS für Trzaskalik, 2005, S. 195, 204; K.-D. Drüen, DStJG 37 (2014), S. 9, 47; D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 183. 423 Aus der Rechtsprechung BVerfGE 82, 60, 86 f., 90. Aus der Wissenschaft: D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 176. 424 Aus der Rechtsprechung: BVerfGE 82, 60, 89. Ferner aus der Wissenschaft: W. Jakob, Einkommensteuerrecht, Rdnr. 9 ff.; S. Müller-Franken, in: GS für Trzaskalik, 2005, S. 195, 204.
B. Verfassungsrechtliche Bindungen des Steuergesetzgebers
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Vor allem die Wertentscheidungen des Grundgesetzes verleihen dem Leistungsfähigkeitsprinzip zunehmend Kontur:425 Die Rechtsprechung argumentiert hierbei vor allem mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sowie der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG.426 Der Staat ist nach dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet, dem Bürger die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu sichern. Es wäre systemfremd, wenn dem Bürger zunächst durch Besteuerung das genommen wird, was er letztlich als Sozialleistung wiederbekommt. Sofern das vorhandene Einkommen oder Vermögen benötigt wird, um den existenznotwendigen Lebensbedarf zu sichern, stehen diese für die Steuerzahlung nicht zur Verfügung.427 Somit stellt das Existenzminimum die Grenze der Besteuerung dar. Die Konkretisierung selbst wird wesentlich durch die Auswahl und Gestaltung der Steuerbemessungsgrundlagen bestimmt.428 Steuerliche Leistungsfähigkeit manifestiert sich in drei Formen: Dem Einkommen, dem Vermögen und dem Konsum.429 Die Höhe des Einkommens ist der aussagekräftigste Indikator für die steuerliche Leistungsfähigkeit einer Person.430 Die Konsumleistungsfähigkeit drückt sich wiederum in der Einkommensverwendung aus,431 und stellt einen zweiten Messfaktor zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit dar.432 Der Vermögensbesitz hingegen hat nicht die gleiche Leistungsfähigkeit wie der Erwerb;433 Vermögensgegenstände sind nicht immer disponibel und liquide und die Vermögenssubstanz ist bereits regelmäßig steuerrechtlich vorbelastet. Leistungsfähigkeit ist damit idealerweise die „faktisch vorhandene monetäre Zahlungsfähigkeit“ des Steuerschuldners,434 sodass Erwerbspotentiale ausgeklammert werden müssen.435 Bei der näheren Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips darf ferner nicht missachtet werden, dass sich dieses Prinzip aus der Verfassung herleitet und das
425 426
144.
J. Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 128. BVerfGE 13, 290, 298; 21, 160, 169; 82, 60, 85; 99, 216, 233; 99, 246, 256 f.; 135, 126,
427 BVerfGE 66, 214, 223; 87, 153, 172; 99, 216, 293; 112, 268, 281; 124, 282, 295; P. Kirchhof, StuW 1984, 297, 305; D. Birk, StuW 1989, 212, 217; R. Mellinghoff, Stbg. 2005, 1, 3; R. Wernsmann, DVBl. 2015, 1085, 1087 f. 428 J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 52. 429 D. Birk, in: DStJG 22 (1999), S. 7, 22. 430 H. W. Kruse, in: FS Friauf, 1996, S. 793, 798 ff. 431 J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 71. 432 J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 73. 433 D. Birk, in: DStJG 22 (1999), S. 7, 22 auch zum Folgenden; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 66. 434 J. Buschendorf/M. Vogel, DB 2016, 676, 680. Ähnlich J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 64. 435 D. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, 1983, S. 167; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, § 118, Rdnr. 183 f.; J. Buschendorf/M. Vogel, DB 2016, 676, 680.
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
Wertesystem der Verfassung in besonderem Maße „offen“ ist, da es bewusst offen formuliert und auf weitere Ergänzungen und Auslegungen angelegt ist.436 d) Anwendbarkeit und Restriktion des Prinzips der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist abstrakt und daher im Grundsatz auf alle Steuerarten anwendbar. Es gilt somit nicht nur für die Einkommensteuer, sondern auch für die indirekten Steuern (Konsum-/Verbrauchsteuern),437 wobei die Unterscheide zwischen den Steuerarten zu beachten sind. Verankert ist das Leistungsfähigkeitsprinzip vor allem im Einkommensteuerrecht.438 Verbrauch- und Verkehrsteuern werden hingegen nicht direkt anhand der Leistungsfähigkeit, sondern unabhängig von den persönlichen Verhältnissen erhoben; besteuert wird beispielsweise die wirtschaftliche Kaufkraft bei der Umsatzsteuer, die sich im Konsum von Waren zeigt.439 Verbrauch- und Verkehrsteuern sind indirekte Steuern, auf die das Leistungsfähigkeitsprinzip daher nur modifiziert angewendet werden kann.440 Dies ist auch die logische Konsequenz, wenn man bedenkt, dass es sich regelmäßig um „umgehbare“ Verbrauchsgüter handelt: wer Alkohol oder Tabak verbraucht, zeigt damit, dass er sich solche Aufwendungen leisten kann.441 436
K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 83; J. Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 128. K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 494; M. Jachmann, DStZ 2001, 225, 226; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 55; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 32. A.A. F. Neumark, Theorie und Praxis der modernen Einkommensbesteuerung, 1947, S. 63; H. Paulick, ZgS 1953, 483, 492 f.; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, § 118, Rdnr. 193; ders., StuW 1985, 319, 324. Danach sei zwischen Verbrauch- und Ertragsteuern zu unterschieden. Verbrauchsteuern seien vor allem dadurch kennzeichnend, dass sie alle Verbraucher, unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit treffen. Damit sei das Leistungsfähigkeitsprinzip auf Verbrauchsteuern nicht anwendbar. 438 Siehe dazu bereits S. 87. Ferner BVerfGE 16, 64, 74; 49, 343, 354; 61, 319, 351; 65, 325, 346; 66, 214, 223; 105, 73, 125; 114, 316, 334, im Anschluss an G. Schmölders, Das Verbrauchs- und Aufwandsteuersystem, in: HFW, Bd. II, 1956, S. 635: Die Verbrauchsteuer ziele auf „die in der Einkommensverwendung zutage tretende steuerliche Leistungsfähigkeit“ ab. Ferner K. Tipke, Steuergerechtigkeit, 1981, S. 65; D. Birk, StuW 1989, 212, 214; P. Kirchhof, DStR 2008, 1, 3; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 43; H. Schaumburg, in: FS Reiss, 2008, S. 25, 28; D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 174. Ebenso E. Benda, DStZ 1959, 160, wonach die Einkommensteuer nach der Zahlungsfähigkeit bemessen wird. 439 J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 71. So bereits schon T. v. Bodungen, Rechtskraftdurchbrechung im Steuerrecht, 1968, S. 175 440 J. Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 586; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 495; P. Kirchhof, JöR 64 (2016), 553, 556; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 87. 441 Im Ergebnis ebenso BVerfGE 65, 325, 347 f.; 114, 316, 334; J. Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 586. 437
B. Verfassungsrechtliche Bindungen des Steuergesetzgebers
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Diese Steuern können jedoch unter gewissen Umständen das Existenzminimum betreffen, welches bei der Anwendung des Leistungsfähigkeitsprinzips zu beachten ist.442 So kann die Umsatzsteuer vor allem bei Großfamilien, die in der Regel einen starken Konsum aufweisen, den existenznotwendigen Lebensbedarf belasten.443 Problematisch ist in diesem Zusammenhang somit vor allem die Behandlung der Umsatzsteuer, welche als allgemeine Verbrauchsteuer fungiert.444 Zwar kann der Steuerpflichtige selbst entscheiden, was er konsumiert und sich so der Steuerbelastung entziehen. Allerdings kann der Konsument nicht verhindern, dass die Steuer auch auf indisponible Ausgaben zugreift und so das Existenzminimum gefährdet.445 Zu berücksichtigen ist ferner, dass gerade sozial schwache Familien einen großen Teil ihres Einkommens für Konsumzwecke ausgeben müssen, sodass diese Konsumenten besonders stark belastet sind.446 Gerade in diesen Fällen verlangt das Leistungsfähigkeitsprinzip, dass für einen Ausgleich gesorgt wird. Die indirekten Steuern nehmen im Vielsteuersystem immer mehr zu und belasten den Bürger immer intensiver. Im Ergebnis muss das Leistungsfähigkeitsprinzip als der dominierende Maßstab für die Steuergerechtigkeit angewandt und bei der Rechtfertigung der Steuererhebung berücksichtigt werden.447
442 BVerfGE 16, 64, 74; 49, 434; 254; 98, 106, 124 f.; 110, 274, 281; A. Hensel, VJSchrStFR 1 (1927), S. 39, 67 f.; F. Neumark, Theorie und Praxis der modernen Einkommensbesteuerung, 1947, S. 60; H. Paulick, ZgS 1953, 483, 493; H. Söhn, in: FS Stern, 1997, S. 587, 593 ff.; M. Jachmann, StuW 2000, 239, 241 f.; J. Englisch, Wettbewerbsgleichheit, 2008, S. 594; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 70; P. Kirchhof, JöR 64 (2016), S. 553, 556. Siehe auch die Kritik von H. Schaumburg, in: FS Reiss, 2008, S. 25, 28 ff., wonach das Leistungsfähigkeitsprinzip bei indirekten Steuern nicht hinreichend vom geltenden Recht beachtet wird. Dazu BVerfG, DVBl. 2008, 105 ff., wonach eine Verfassungsbeschwerde gegen die Erhöhung der Umsatzsteuer zum 1. 1. 2007 vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen wurde, weil die damit verbundene stärkere Belastung der Familien im System der indirekten Steuern notwendig angelegt und über den Familienlastenausgleich kompensiert werden kann. A.A. A. Beermann, DStJG 11 (1988), S. 282, 284 f. 443 K. Tipke, StRO, Bd. II, S. 1003 f.; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 43, 70. 444 J. Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 107; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 163 ff. 445 K. Tipke, Steuergerechtigkeit, 1981, S. 101; ders., StRO, Bd. I, S. 507. 446 So auch U. Seetzen, NJW 1974, 1222, 1225, wonach die Erhebung von Lenkungssteuern dort ihre Grenze findet, wo eine weitere Verschärfung des Drucks den Steuerzahler vernünftigerweise nicht mehr dazu bewegen kann, sein Verhalten zu ändern. Eine Grenze ist somit dann erreicht, wenn dem Steuerpflichtigen keine Wahlmöglichkeit mehr verbleibt; D. Birk, StuW 1989, 212, 214; P. Kirchhof, JöR 64 (2016), 553, 556. 447 So auch J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 55.
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
4. Das Gebot der Folgerichtigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht benutzt ferner zunehmend das Gebot der Folgerichtigkeit, um Gleichheitsverstöße im Steuerrecht zu konkretisieren.448 Danach hat der Gesetzgeber zwar einen weitreichenden Gestaltungsspielraum bei der Auswahl des Steuergegenstandes und auch bei der Bestimmung des Steuersatzes449, allerdings ist er dann auch verpflichtet, „die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen“.450 Wenn der Gesetzgeber sich einmal für ein Prinzip entschieden hat, so sind die damit getroffenen Wertungen auch konsequent umzusetzen und aufrechtzuerhalten.451 Der Gesetzgeber trifft zunächst eine sachgerechte und willkürfreie grundsätzliche Belastungsentscheidung.452 Diese Belastungsentscheidung muss wiederum bei der Konzipierung und Umsetzung in ein einzelnes Steuergesetz beachtet werden. Der Gleichheitssatz fordert, dass eine einmal getroffene Belastungsentscheidung auch in den einzelnen Bemessungsgrundlagen weiter umgesetzt wird.453 Ausnahmen von diesem Prinzip bedürfen danach eines besonderen sachlichen Grundes.454 Solche Rechtfertigungsgründe können steuerliche Lenkungsziele oder Typisierungs- und 448 Vgl. u. a. BVerfGE 84, 239, 271; 93, 121, 136; 105, 73, 125; 123, 111, 120; W. Schön, StuW 1995, 366, 371; J. Hey, DStR 2009, 2561, 2563. Abweichend hingegen M. Payandeh, AöR 136 (2011), S. 578, 593, 596, wonach die Untersuchung der Bedeutung des Folgerichtigkeitsgebots nicht nur auf den Gleichheitssatz beschränkt werden kann; K. Tipke, JZ 2009, 533, 537. Ferner P. Kirchhof, StuW 2006, 2, 14; U. Kischel, in: BeckOK, GG, Art. 3, Rdnr. 95. 449 Siehe bereits die Nachweise in Fn. 276. 450 BVerfGE 99, 88, 95; 116, 164, 180; 117, 1, 31; 122, 210, 231; 123, 111, 120 f.; 126, 400, 416 f.; 127, 224, 245; 132, 179, 189. Vgl. ebenso J. Isensee, die typisierende Verwaltung, 1974, S. 97. Kritisch E. Benda, DStZ 1984, 159, 161, wonach das Prinzip der Folgerichtigkeit zwar grundsätzlich anwendbar ist, allerdings diesem kein Verfassungsrang zugesprochen werden darf, da ansonsten die „Gefahr der Verkrustung der Gesellschaftsordnung“ bestehe. Ebenso U. Kischel, in: Gleichheit im Verfassungsstaat, 2009, S. 175, 185, wonach das Folgerichtigkeitsgebot lediglich ein Indiz darstellt. Ferner P. Kirchhof, StuW 1984, 297, 301 ff.; ders., StuW 2017, 3, 9; Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 41 (2008), S. 259, 268; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 327; D. Birk, DStR 2009, 877, 881; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 118; G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 187, 267; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 48a. 451 P. Kirchhof, StbJb. 1994/1995, 5, 12; ders., AöR 128 (2003), S. 1, 44; ders., StuW 2017, 3, 8; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 118; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 327 ff. 452 BVerfGE 105, 17, 46; J. Hey, StbJb. 2007/2008, 19, 36. 453 P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, § 118, Rdnr. 178; K. Tipke, StuW 2007, 201, 205. 454 BVerfGE 99, 88, 95; 107, 27, 47; 122, 210, 231; 132, 179, 189; R. Wernsmann, DVBl. 2015, 1085, 1087; G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 187. Kritisch hingegen U. Kischel, in: Gleichheit im Verfassungsstaat, 2009, S. 175, 184 f. Danach sei die Durchbrechung durch einen sachlichen Grund keine ausreichende Rechtfertigungsanforderung, sodass nach seiner Ansicht das Folgerichtigkeitsgebot „seltsam substanzlos“ bleibt.
B. Verfassungsrechtliche Bindungen des Steuergesetzgebers
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Vereinfachungserfordernisse sein; fiskalische Erwägungen hingegen können für sich allein keinen sachlichen Grund darstellen.455
III. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip Problematisch ist die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Besteuerungsmaßstab. Das Übermaßverbot (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) ist in der Verfassung aus dem Rechtsstaatsprinzip456 und den Grundrechten457 abzuleiten. Es ist ferner auch ausdrücklich in der Finanzverfassung niedergelegt. In Art. 106 Abs. 3 S. 4 GG heißt es, dass eine „Überbelastung des Steuerpflichtigen“ vermieden werden soll. Inhaltlich fordert das Übermaßverbot, dass die hoheitlich eingreifende Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Zweck stehen muss.458 1. Voraussetzungen Erste Voraussetzung ist die Verfolgung eines Zwecks. Der angestrebte Zweck muss sodann als legitim anzusehen sein. Der Gesetzgeber kann sich im Rahmen der Verfassung die Zwecke seines Handelns selbst wählen.459 Zweck der Steuer ist die staatliche Einnahmeerzielung.460 Dies entspricht auch einfachrechtlich der in § 3 Abs. 1 AO zum Ausdruck kommenden Zweckbestimmung der Steuer. Die Steuer dient auch dann der staatlichen Einnahmeerzielung, wenn der Gesetzgeber gezielt Anreize bietet, auf ein bestimmtes Verhalten zu verzichten oder ein gefördertes Verhalten zu wählen (Lenkungszweck, vgl. § 3 Abs. 1 Hs. 2 AO).461 Ferner darf der Gesetzgeber nur solche Maßnahmen ergreifen, die auch geeignet sind, das angestrebte Ziel zu erreichen. Die Ermittlung von Tatsachen, die für die konkrete Steuerberechnung nicht relevant sind, ist damit unzulässig.462 455
BVerfGE 122, 210, 231. BVerfGE 23, 127, 133, 137, danach sind der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Übermaßverbot übergreifende Leitregeln, die sich zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben und daher Verfassungsrang haben. Ferner J. Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 144 f.; I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 476; K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 861 ff.; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 180. 457 Zum Verhältnis des Übermaßverbots zu den Grundrechten, vgl. R. Wendt, AöR 1979, 414 ff. 458 Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 111. 459 S. Müller-Franken, in: BeckOK, HSOG, § 4, Rdnr. 30. 460 E.-M. Gersch, in: Klein [Hrsg.], AO, § 3, Rdnr. 9; R. Wernsmann, in: HHSp. [Hrsg.], AO/FGO, § 4, Rdnr. 566. 461 R. Hendler/J. Heimlich, ZRP 2000, 325; E.-M. Gersch, in: Klein [Hrsg.], AO, § 3, Rdnr. 9; R. Wernsmann, in: HHSp. [Hrsg.], AO/FGO, § 4, Rdnr. 566. 462 J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 181. 456
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
Ferner muss die Maßnahme erforderlich sein. Der Gesetzgeber muss die Maßnahme ergreifen, die den Steuerpflichtigen am geringsten belastet. Dieser Grundsatz wurde durch die §§ 93 Abs. 1 Satz 3 und 200 Abs. 1 Satz 3 in der Abgabenordung fixiert. Der letzte und wichtigste Grundsatz, der noch beachtet werden muss, ist die Angemessenheit der steuerlichen Maßnahme. Die steuerliche Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.463 Der Gesetzgeber muss, bevor er eine mögliche, geeignete und erforderliche Maßnahme zur Einnahmeerzielung trifft, zwischen der Maßnahme, dem Eingriff in die Belange des Betroffenen auf der einen Seite und dem verfolgten Zweck, der Finanzierung des Staatshaushaltes auf der anderen Seite eine Güterabwägung vornehmen.464 Nach Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG soll eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden werden. Die Grenze der Angemessenheit der Steuerlast beschreibt das Bundesverfassungsgericht wie folgt: „Trotz mangelnder konkreter Verwaltungszwecke, die in ein Verhältnis zur Steuerbelastung gesetzt und bewertet werden könnten, bleibt die Möglichkeit, in Situationen zunehmender Steuerbelastung der Gesamtheit oder doch einer Mehrheit der Steuerpflichtigen, insbesondere etwa dann, wenn eine solche Belastung auch im internationalen Vergleich als bedrohliche Sonderentwicklung gekennzeichnet werden kann, vom Gesetzgeber die Darlegung besonderer rechtfertigender Gründe zu fordern, nach denen die Steuerlast trotz ungewöhnlicher Höhe noch als zumutbar gelten dürfe.“465 Diese Grundsätze gelten im Allgemeinen. Wenn nun aber der Versuch unternommen wird, das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Maßstabsregel der Besteuerung anzuwenden, ergeben sich Probleme innerhalb der Steuerarten. 2. Fiskalzwecksteuern Zu Recht wird überwiegend die Ansicht vertreten, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Fiskalsteuern im Steuerrecht gar nicht greife.466 Denn Fiskalnormen zeichnen sich dadurch aus, dass diese zur Staatsfinanzierung erhoben werden.467 Eine größere steuerliche Belastung des Steuerpflichtigen bringt dem Staat 463
S. Müller-Franken, in: BeckOK, HSOG, § 4, Rdnr. 60. Vgl. S. Müller-Franken, in: BeckOK, HSOG, § 4, Rdnr. 61. 465 BVerfGE 115, 97, 115. 466 BVerfGE 63, 343, 367; H.-J. Papier, Finanzrechtliche Gesetzesvorbehalte, 1973, S. 74 ff.; P. Selmer, AöR 101 (1976), S. 399, 410; H. Draschka, Steuergesetzgebende Staatsgewalt und Grundrechtsschutz des Eigentums, 1982, S. 131, wonach das Übermaßverbot im Rahmen der fiskalischen Steuerauflage kein taugliches Abgrenzungskriterium ist, um ein Überschreiten der Steuerbelastung als unrechtmäßig zu definieren. Ferner P. Badura, in: Benda/ Maihofer/Vogel [Hrsg.], HbdVerfR, Bd. I, § 10, S. 31 f.; H. H. v. Arnim, VVDStRL 39 (1981), S. 286, 312; D. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, 1983, S. 187 ff. 467 K. Vogel, DStZ/A, 5, 8 f.; ders., in: GS Martens, 1987, S. 265, 267; S. Müller-Franken, in: GS Trzaskalik, 2005, S. 195, 202. 464
B. Verfassungsrechtliche Bindungen des Steuergesetzgebers
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mehr Geld ein, sodass das Übermaßverbot bei Finanzzwecksteuern untauglich erscheint, da die Voraussetzungen der Geeignetheit und der Erforderlichkeit nicht mehr greifen.468 Denn die Besteuerung ist immer geeignet und erforderlich, um den staatlichen Finanzhaushalt zu decken.469 Außerdem ist es vor diesem Hintergrund auch schwierig, ein weniger einschneidendes Mittel zu finden, um weiterhin den Finanzhaushalt des Staates zu sichern.470 Regelmäßig ist der Eingriff auch verhältnismäßig, wenn der Staat eine gleichmäßige und gemäßigte Teilhabe statuiert und diese Belastung auch zumutbar ist. Eine bloße Berufung auf den legitimen Zweck würde dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sonst zuwiderlaufen. 3. Lenkungssteuern Eine eindeutigere Aussage ergibt sich allerdings dann, wenn die Steuernorm eine nichtfiskalische, wirtschaftslenkende Zwecksetzung verfolgt. Lenkungssteuern zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Zweck nicht in der Erzielung von Steuereinnahmen liegt, sondern sie ihre Bedeutung in der Verhaltenslenkung der Steuerpflichtigen haben. Mit Lenkungssteuern möchte der Staat ein bestimmtes wirtschaftliches Verhalten hervorrufen oder ganz oder teilweise unterbinden.471 Bei der Beurteilung, ob es sich bei der Norm um einen Lenkungs- oder Fiskaleingriff handelt, ist die Wirkung der Norm und nicht der Wille des Gesetzgebers entscheidend.472 Eine Besteuerung mit Lenkungswirkung ist zwar verfassungsrechtlich anerkannt, allerdings muss das Übermaßverbot gerade bei solchen Steuern beachtet werden, bei 468 Dies machte bereits vor über vierzig Jahren der spätere Präsident des Bundesverfassungsgerichts deutlich, wonach „der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Steuereingriffen…keine effektive Beschränkung des Normsetzers bietet“. Außerdem sei fast ausgeschlossen, „dass jemals die Höhe der Steuerbelastung zu den damit erzielten und der Belastung doch genau entsprechenden Einnahmen des Staates außer Verhältnis steht“, so H.-J. Papier, Finanzrechtliche Gesetzesvorbehalte, 1973, S. 73. Ferner U. Seetzen, NJW 1974, 1222, 1223; D. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, 1983, S. 189; G. F. Schuppert, in: FS Zeidler, Bd. I, 1987, S. 691, 701 f.; R. Seer, FR 1999, 1280, 1284; J. Wieland, DStJG 24 (2001), S. 29, 43; K. Vogel, in: FS Maurer, 2001, S. 297, 305 f.; F. Kirchhof, StuW 2002, 185, 198; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 111 f.; R. Wernsmann, NJW 2006, 1169, 1173; U. Di Fabio, JZ 2007, 749, 752; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 418 f.; Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 41 (2008), S. 259, 263. Differenzierter bereits BVerfGE 31, 8, 23, wonach das Übermaßverbot dennoch bei erdrosselnden Steuern anzuwenden ist. 469 J. Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 146. 470 H.-J. Papier, Finanzrechtliche Gesetzesvorbehalte, 1973, S. 76 ff.; D. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, 1983, S. 189. Ferner G. F. Schuppert, in: FS Zeidler, Bd. I, 1987, S. 691, 701: „Ohne spezifische Verwaltungszwecke als Anknüpfungspunkt wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip zum zahnlosen Papiertiger“; M. Rodi, Die Rechtfertigung von Steuern als Verfassungsproblem, 1994, S. 52. 471 D. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, 1983, S. 89; M. Rodi, Die Rechtfertigung von Steuern als Verfassungsproblem, 1994, S. 52 f.; R. Wernsmann, Verhaltenslenkung, 2005, S. 63. 472 F. Kirchhof, DVBl. 2000, 1166, 1167; G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 311.
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
denen der Lenkungszweck mit der Besteuerung nicht mehr erreicht werden kann.473 Steuergesetze mit Lenkungszweck unterliegen demnach der vollen Überprüfung der Verfassung.474 Das Bundesverfassungsgericht versucht immer wieder, das Übermaßverbot anzuwenden, um Steuernormen verfassungsrechtliche Konturen zu verschaffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist allerdings immer der Einzelfall zu betrachten, sodass es keine pauschale Aussage darüber gibt, wann das Übermaßverbot verletzt ist.475 Danach ist die tatsächliche Wirkung der Steuerbelastung ausschlaggebend.
C. Die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts durch die Verwaltung Nachdem nun herausgearbeitet wurde, wie der Steuergesetzgeber an die Verfassung gebunden ist, kann nun die Frage in den Fokus der weiteren Überlegungen gestellt werden, wie sich die genannten Grundsätze auf die praktische Anwendung der Steuergesetze durch die Verwaltung auswirken.
I. Grundlegung Die Exekutive ist nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Sie hat bei ihren Tätigkeiten wie der Steuergesetzgeber die Verfassungsgrundsätze und hier insbesondere die Grundrechte zu wahren.476 Das Steuerrecht lebt dabei aus dem „Diktum des Gesetzgebers“.477 Dieser Grundsatz wurde in § 85 AO einfachgesetzlich festgehalten, wonach die Finanzbehörden die Steuern nach Maßgabe der Gesetze festzusetzen und zu erheben haben.478 Die Finanzbehörden sind nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die entstandenen Steueransprüche festzusetzen und zu
473
G. F. Schuppert, in: FS Zeidler, Bd. I, 1987, S. 691, 705 f.; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 51, 112. Im Ergebnis ebenso R. Wernsmann, Verhaltenslenkung, 2005, S. 16; ders., NJW 2006, 1169, 1173 f. Aus der Rechtsprechung, vgl. BVerfGE 84, 239, 269; 96, 1, 6. 474 U. Seetzen, NJW 1974, 1222, 1223; D. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, 1983, S. 195 f. 475 BVerfGE 31, 8, 23 auch zum Folgenden. Ferner BVerfGE 115, 97, 117. 476 H. Vogel, Ungleichheiten beim Vollzug von Steuergesetzen, 2000, S. 63. 477 Vgl. BVerfGE 13, 318, 328; 137, 350, 364; BFHE 249, 299, 308; K. Vogel, in: GS Martens, 1987, S. 265, 268; J. Isensee, StuW 1994, 3, 7. 478 BFHE 255, 483, 498; F. Schmitz, in: Schwarz/Pahlke [Hrsg.], AO/FGO, § 85 AO, Rdnr. 8; B. Rätke, in: Klein [Hrsg.], AO, § 85, Rdnr. 1.
C. Anwendung und Auslegung durch die Verwaltung
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erheben.479 Aufgrund der Allgemeinheit der Gesetze und der Gesetzesvielfalt erschöpft sich die Gesetzesanwendung allerdings nicht in einem „simplen mathematisch-logischen Schlussverfahren“.480 Die Finanzbehörde ist ein vollverantwortliches Vollzugsorgan für die Herstellung allgemeiner steuerrechtlicher Gleichheit.481
II. Die Auslegung von Rechtsnormen Um Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, Rechtssicherheit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung entfalten zu können, muss der Gehalt der zu vollziehenden Normen zutreffend erschlossen werden. Dazu hat sich der Rechtsanwender zur Ermittlung der Wertungen des Gesetzes verschiedener Auslegungsmethoden zu bedienen.482 1. Ziel der Auslegung Viele Begriffe sind zwar im Kern einem bestimmten Sachverhalt zuzuordnen, allerdings lassen diese regelmäßig mehrere Bedeutungsvarianten zu und sind interpretationsbedürftig.483 Die Gesetzessprache ist in der Regel nicht eindeutig.484 Worte sind oft symbolisch, bildhaft, dem Wandel der Zeit unterworfen und haben regelmäßig einen gewissen Bedeutungsspielraum mit mehreren Bedeutungsvarianten.485 Bei „älteren“ Gesetzen ist zu beachten, dass bei Auslegungsspielräumen diejenige Auslegung zu wählen ist, die den Wertungen des heutigen Gesetzgebers entspricht.486 Und auch auf den ersten Blick eindeutige Tatbestände können über einen sprachlich missglückten Wortlaut verfügen und müssen im Einzelfall korrigiert werden.487 Gleichlautende Begriffe eines Gesetzes können eine unterschiedliche Bedeutung aufweisen.488 Es ist daher die „Relativität der Rechtsbegriffe“489 zu be479
BVerfGE 84, 239, 271 f.; J. Isensee, in: FS Flume, Bd. II, 1978, S. 129, 133; D. Birk, StuW 1989, 212, 213; R. Seer, FR 1997, 553, 554; F. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, § 101, Rdnr. 4; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 67; H. Söhn, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 85 AO, Rdnr. 31. 480 H. Weber-Grellet, DStR 1991, 438. 481 P. Kirchhof, in: FS RFH/BFH, 1993, S. 285, 302. 482 J. Englisch, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 55. 483 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 118 f.; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 31; J. Englisch, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 48. 484 K. Larenz, Methodenlehre, S. 312; St. Geserich, Beihefter zu DStR 2011, 59; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 42. 485 K. Tipke, StRO, Bd. III, S. 1239; St. Geserich, Beihefter zu DStR 2011, 59; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 32. 486 R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 32. 487 BFHE 237, 106, 116; H. Paulick, in: FS Spitaler, 1965, S. 165, 167; K. Tipke, in: FS von Wallis, 1985, S. 133, 134; J. Englisch, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 48, 57. 488 BFHE 100, 545, 547; 163, 486, 489; K. Larenz, Methodenlehre, S. 312; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 264.
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
achten. Ein Ausdruck im Zivilrecht kann eine andere Bedeutung haben als im öffentlichen Recht.490 Durch Gesetzesauslegung soll der Sinngehalt von Rechtsnormen ermittelt werden, um aus dem Gesetz die richtige Rechtsfolge gewinnen zu können.491 Es sind dabei die Wertungen des Gesetzgebers zu klären.492 Diese Interpretationsmethode, welche vor allem von Karl Larenz493 entwickelt wurde, beinhaltet damit den Grundsatz der teleologischen Auslegung.494 2. Grammatische Auslegung (Wortlautauslegung) Die Auslegung eines Rechtssatzes beginnt zunächst mit der grammatischen Auslegung (Wortlautauslegung).495 Lange Zeit wurde die Ansicht vertreten, dass der Wortlaut die Grenze der Auslegung festlegt.496 Unbestritten findet die Wortlautgrenze im Normtext zumindest eine stabile Grundlage.497 Die Auslegung darf aber nicht zu einem starren Haften am Buchstaben führen.498 Eine reine Wortinterpretation schreibt das Grundgesetz nicht vor.499 Es geht bei der Auslegung um die Bewahrung des Geltungsanspruchs einer 489 Dazu R. Müller-Erzbach, JhJ 61 (1912), S. 343 ff.; K. Engisch, Einführung in das Juristische Denken, S. 140; ders., in: Deutsche Landesreferate, S. 59 ff. Ferner K. Larenz/C.-W. Canaris, Methodenlehre, S. 141 ff.; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 438 ff.; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 47 ff. 490 R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 47. 491 D. Birk, StuW 1990, 300, 303; K. Larenz, Methodenlehre, S. 313; J. Lennartz, Dogmatik als Methode, S. 41 f.; J. Englisch, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 48; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 219. 492 J. Englisch, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 49. 493 K. Larenz, Methodenlehre, S. 312 ff. 494 Die Rechtsfindung ist wertungsgebunden. Ganz anders noch die positivistische und wertneutrale Lehre von Hans Kelsen, wonach „jeder beliebige Inhalt Recht sein“ könne, vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 1934, S. 201. Zum Ganzen R. Dreier, NJW 1986, 890 ff. 495 So K. Larenz, Methodenlehre, S. 320; J. Englisch, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 56; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 221, 340; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 41; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth [Hrsg.], GG, Art. 20, Rdnr. 61. 496 K. Larenz, Methodenlehre, S. 320; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 441; M. Hochhuth, Rechtstheorie 32 (2001), S. 227, 232 f., der sogar von einer strengen Fiktion der Wortlautbindung ausgeht. 497 K. Larenz, Methodenlehre, S. 322: „Er ist Ausgangspunkt der richterlichen Sinnermittlung und steckt zugleich die Grenzen seiner Auslegungstätigkeit ab“; BVerfGE 6, 131, 133; 85, 69, 73; 75, 329, 341; 82, 6, 12; 92, 1, 12; 105, 135, 157; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 469 f. Diesem zustimmend R. P. Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, 2007, S. 311. 498 BFHE 94, 156, 159; 237, 106, 116; 212, 236, 240; 184, 198, 201; W. Hartz, Die Auslegung von Steuergesetzen, 1956, S. 14. 499 BVerfG, NJW 1997, 2230 f.
C. Anwendung und Auslegung durch die Verwaltung
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Norm, die bei der bloßen Wortlautgrenze nicht immer zutreffend umgesetzt werden kann.500 Bei der Wortlautauslegung von Gesetzen ist mithin zu beachten, dass die Wortlautauslegung nur eine von mehreren anerkannten Auslegungsmethoden ist.501 Es ist in besonderen Fällen auch eine Auslegung gegen den Wortlaut möglich.502 So kann eine Norm gegen den Wortlaut auszulegen sein, wenn die Auslegung sonst dem Willen des Gesetzgebers offensichtlich widersprechen und – kumulativ – zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde.503 Bei einer Abweichung von dem Wortlaut eines Gesetzes ist aber dann besondere Zurückhaltung geboten, wenn andernfalls eine Verschärfung der Besteuerung eintreten würde.504 Es stellt aber keinen Verstoß gegen den in Art. 20 Abs. 3 GG normierten Grundsatz der Gesetzesbindung dar, wenn sich die abweichende Auslegung für den Steuerpflichtigen positiv auswirkt.505 Vielmehr lässt das Grundgesetz auch Raum für einen Gesetzesbegriff, der vom Zweck der Norm her bestimmt werden kann.506 Insbesondere kann auch ein eindeutiger Wortlaut den intendierten Gesetzeszweck verfehlen, sodass auch scheinbar eindeutige Gesetzestexte auslegungsbedürftig sind.507
3. Systematische Auslegung Es ist sodann danach zu fragen, in welchem Zusammenhang die auszulegende Rechtsnorm oder der auszulegende Rechtsbegriff steht.508 Bei der systematischen Auslegung geht es vor allem darum, einen widerspruchsfreien Sinnzusammenhang zwischen den einzelnen Rechtsnormen und Rechtsbegriffen zu ermitteln.509 Wichtige Kriterien sind die Stellung einer Vorschrift in einem bestimmten Gesetz, die Paragraphenfolge und ihre Fassung als selbstständiger Absatz oder Satz.510 500 D. Birk, StuW 1990, 300, 303; St. Geserich, Beihefter zu DStR 2011, 59; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth [Hrsg.], GG, Art. 20, Rdnr. 62. 501 BVerfGE 11, 126, 130; BFHE 187, 177, 180; 231, 544, 552; 243, 69, 75; J. Lennartz, Dogmatik als Methode, S. 43. 502 BFHE 55, 250, 251 f.; 56, 305, 309; 95, 570, 386; 105, 470, 473 f. 503 BFHE 66, 539, 541; 95, 570, 386; 105, 470, 473 f.; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 262; B. Rüthers/Chr. Fischer/A. Birk, Rechtstheorie, Rdnr. 938. 504 BFHE 65, 403, 405; 66, 539, 541; 95, 570, 386; 105, 470, 473 f. 505 K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 262; A.A. G. Crezelius, BB 1984, 1377, 1381. 506 R. P. Schenke, Beihefter zu DStR 2011, S. 54, 56; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 262. 507 A.A. die Rechtsprechung, vgl. BFHE 190, 100, 103; 195, 119, 120; BVerfGE 23, 229, 236; 49, 304, 318. Wie hier K. Larenz, Methodenlehre, S. 343; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 222. 508 BFHE 157, 382, 389; 229, 524, 532 f.; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 268; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 57. 509 K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 270. 510 K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 272; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 57.
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
4. Historische Auslegung Bei der historischen Auslegung ist zunächst die Entstehungsgeschichte und somit die Gesetzesmaterialien eines Gesetzes heranzuziehen, um Aufschluss über den möglichen Wortsinn zu geben.511 Aus der Entstehungsgeschichte ergeben sich Erkenntnisse darüber, wie es zu dem Gesetz gekommen ist, wie und warum eine Vorschrift so konzipiert wurde und gegebenenfalls, was unter einem bestimmten Rechtsbegriff zu verstehen ist. Zur Ermittlung der Entstehungsgeschichte können vor allem die amtlichen Begründungen der Gesetzesentwürfe, Parlamentsprotokolle und Ausschussberichte herangezogen werden.512 Die Gesetzesmaterialien als solche sind zwar nicht verbindlich, aber zumindest Indizien für die Regelungsabsicht des Normgebers.513 Ebenso kann ein Vergleich der heutigen Norm mit einer Vorgängernorm dabei helfen, über den Gehalt einer Vorschrift Erkenntnisse zu gewinnen.514 Zu beachten ist, dass die historische Auslegung einen variablen Standort innerhalb der Auslegung einnimmt. Bei neuen Gesetzen ist es sachdienlich und nach den Grundsätzen der allgemeinen Rechtslehre unbedenklich, die Gesetzesmaterialien direkt bei der Normauslegung zu berücksichtigen.515 In diesen Fällen liegen die Gesetzesmaterialien noch nicht lange zurück, der Zeitraum zwischen Normentstehung und Normanwendung ist nicht groß, sodass es sich anbietet, die historische Auslegung vorzuziehen, um den vom Autor mit dem Normtext verbundenen Sinn und Zweck zu rekonstruieren.516 Für die Auslegung haben sich bei neuen Gesetzen noch keine festen Grundsätze bilden können.517 Bei älteren Gesetzen kann zwischen dem Zeitpunkt der Normentstehung und dem Zeitpunkt der Normanwendung ein langer Zeitraum bestehen. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob der ermittelte historische Normzweck auch im Zeitpunkt der Anwendung noch verbindlich ist.518 Veränderte Rahmenbedingungen, wie gesellschaftliche und politische Wertvorstellungen, können eine Abweichung des Rechtsanwenders erforderlich machen,519 sodass die historische Auslegung in diesen Fällen innerhalb der verschiedenen Auslegungsmethoden nachrangig ist. Insofern dient die historische Auslegung dann nur noch zur 511 BFHE 158, 45, 47; 163, 486, 490; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 292. 512 R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 68. 513 F. Reimer, Juristische Methodenlehre, S. 172. 514 R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 67. 515 BVerfGE 1, 117, 127; 62, 1, 45. 516 B. Rüthers/Chr. Fischer/A. Birk, Rechtstheorie, Rdnr. 788. 517 BVerfGE 1, 117, 127. 518 Für die Nachrangigkeit der historischen Auslegung insgesamt etwa K. Larenz, Methodenlehre, S. 328. 519 B. Rüthers/Chr. Fischer/A. Birk, Rechtstheorie, Rdnr. 788. Diese Abweichung darf jedoch nur im Wege der Rechtsfortbildung nach den gültigen methodischen Regeln erfolgen. Ferner R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 32; K. F. Röhl/H. Chr. Röhl, Allg. Rechtslehre, S. 117 f.
C. Anwendung und Auslegung durch die Verwaltung
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Normbestätigung.520 Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt ausgesprochen, dass die Gesetzesmaterialien mit Vorsicht, nur unterstützend und insgesamt nur insofern herangezogen werden sollen, als sie auf einen „objektiven Gesetzesinhalt schließen lassen“.521 5. Teleologische Auslegung Insbesondere bei einer Divergenz zwischen Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck sind vor allem teleologische Erwägungen heranzuziehen.522 Das Gesetz soll so ausgelegt werden, dass es in seinem Wortlaut und in seinem Sinnzusammenhang dem Gesetzeszweck entspricht.523 Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektive Wille des Gesetzgebers.524 Nach der subjektiven Theorie ist von dem hypothetischen Willen des Gesetzgebers auszugehen.525 Sie fragt nach dem historischen Willen des Gesetzgebers bei Erlass der Norm.526 Die objektive Theorie fragt hingegen nach den abstrakten Wertungen des Gesetzes, der ratio legis.527 Diese Theorie stellt bei der Frage nach den Wertungen des Gesetzes somit ab auf die Zeit der Rechtsanwendung und nicht auf die Zeit der Normentstehung.528 Bei der Frage, welche Theorie vorzugswürdig ist, ist zu beachten, dass der Gesetzgeber seinen Willen zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit gebildet hat und es sich bei den Normen um abstraktes Recht handelt. Der Sinn und Zweck einer Norm unterliegt jedoch einem Bedeutungswandel, das Gesetz wird immer wieder neu in die Lebenslage angepasst, sodass es verfehlt wäre, auf den
520
BVerfGE 62, 1, 45. Vgl. BVerfGE 1, 299, 312; 6, 55, 75; 6, 389, 431; 10, 234, 244; 36, 342, 367; 41, 291 309; 62, 1, 45. 522 J. Englisch, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 49. 523 BVerfGE 80, 48, 53; BFH, DStR 2011, 963, 967; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 274. 524 BVerfGE 79, 106, 121; BFHE 243, 69, 75. 525 T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2006, S. 266; R. Zippelius, Methodenlehre, S. 21 ff.; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 32. 526 K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 231; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 32. 527 T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2006, S. 266; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 32. 528 Grundlegend dazu K. Larenz/C.-W. Canaris, Methodenlehre, S. 139 f.; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 22 f.; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 266 f. 521
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
historischen Willen abzustellen.529 Auch das Bundesverfassungsgericht und der Bundesfinanzhof stellen auf den objektiven Willen des Gesetzgebers ab und untersuchen den Sinnzusammenhang, in den die Gesetzesbestimmung hineingestellt wurde.530 Der Feststellung dieses objektivierten Willens dienen nicht nur die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm, sondern auch die Auslegung aus dem Zusammenhang,531 aus dem die Vorschrift prägenden Regelungszweck532 sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte533.534 Diese Auslegungsmethoden sind nebeneinander anzuwenden.535 Die teleologische Auslegung kann beispielsweise dabei helfen, den zu engen Wortlaut eines Gesetzes auf dessen weitergehenden Zweck auszudehnen.536 Die Verwaltung muss den Zweck der Ermächtigung durch Auslegung ermitteln.537 Der Regelungszweck des Gesetzes muss jedoch auch erkennbar sein.538 Der Rechtsanwender muss diesen anhand objektiver Kriterien belegen und darf nicht sein subjektives Verständnis zur Grundlage erheben.539 Ferner darf der vom Rechtsanwender durch Auslegung ermittelte objektive Zweck nicht den Zielen des Gesetzgebers widersprechen.540 Das Ziel des Gesetzgebers ist wiederum vor allem aus der Entstehungsgeschichte zu entnehmen.541
529 D. Birk, StuW 1990, 300, 303; C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, 1999, S. 54; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2006, S. 266; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 41; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 232, 293; G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 157; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 33. 530 Grundlegend BVerfGE 1, 299, 312. Ferner BVerfGE 11, 126, 129 f.; 33, 265, 294; 48, 246, 256; 79, 106, 121. In der neueren Rspr. des BVerfG taucht dieser Begriff allerdings nur noch selten auf, worin aber keine andere Meinung des BVerfG gesehen werden kann. Vielmehr folgt auch der BFH dieser Rechtsprechung seit Jahrzehnten, vgl. BFHE 117, 307, 311; 134, 245, 253; 164, 516, 525; 187, 177, 181; 231, 544, 552. Ebenso die Finanzgerichte, vgl. FG Hamburg, EFG 1997, 17, 19; FG Hessen, EFG 2003, 747; FG Niedersachsen, EFG 2011, 870, 873. 531 Systematische Auslegung, vgl. dazu BFH/NV 2008, 1529, 1530 f. 532 Teleologische Auslegung, vgl. dazu BFH/NV 2003, 1356, 1358; BFHE 94, 156, 159. 533 Historische Auslegung, vgl. dazu BFHE 237, 106, 116 ff. 534 K. Tipke, in: FS von Wallis, 1985, S. 133, 135. 535 BFHE 243, 69, 75. 536 BFHE 237, 106, 116. 537 K. Vogel, in: GS Martens, 1987, S. 265, 269; M. Jachmann, StuW 1994, 347, 348. 538 BFHE 140, 393, 395 f.; 143, 554, 557 f. 539 F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik, Rn. 96, 364; K.-D. Drüen, in: Tipke/ Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 285. 540 BVerfGE 8, 28, 34; 9, 83, 87; 34, 165, 200; 112, 164, 183; BVerfG, NJW 1997, 2230; K. Larenz, Methodenlehre, S. 333; R. Wernsmann, NVwZ 2000, 1360, 1362 f. 541 BGHZ 46, 74, 80; R. Wernsmann, NVwZ 2000, 1360, 136; J. Englisch, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 62.
C. Anwendung und Auslegung durch die Verwaltung
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III. Besonderheiten des Steuerrechts 1. Die Anwendung der Auslegungsmethoden im Steuerrecht Die aufgeführten Auslegungsmaßstäbe gelten uneingeschränkt auch für die Auslegung steuerrechtlicher Normen.542 Die Auslegungsmethoden sind jedoch vornehmlich im Zivilrecht entwickelt worden. Zwischen dem Zivilrecht und dem Steuerrecht besteht ein wesentlicher Unterschied: Das Zivilrecht ist geprägt von der ausgleichenden Gerechtigkeit, das Steuerrecht hingegen von der austeilenden Gerechtigkeit.543 Das Zivilrecht ist geprägt durch ein Gleichordnungsverhältnis der beteiligten Personen, das Steuerrecht hingegen durch ein Über- und Unterordnungsverhältnis.544 Steuerrechtlichen Normen ist eine eigentümliche Struktur inhärent, wodurch bei deren Auslegung Besonderheiten zu beachten sind. Im Steuerrecht handelt es sich um Fragen, die für eine Vielzahl praktischer Fälle relevant sind.545 2. Unterscheidung nach dem Zweck des Steuergesetzes Diese Problematik wird vor allem bei der Frage nach dem Sinn und Zweck der Steuererhebung deutlich. Entweder dient die Steuererhebung zur Deckung des Finanzbedarfs (Lastenausteilungsnormen) oder aber sie dient als Gestaltungsinstrument der Erreichung bestimmter wirtschaftlicher, sozialer oder ökologischer Ziele (Lenkungsnormen).546 Bei der Auslegung ist zunächst zu untersuchen, um welche Art von Steuernorm es sich handelt. Es ist also zwischen Lastenausteilungs- und Lenkungsnormen zu unterscheiden. Die unterschiedlichen Normengruppen verfolgen verschiedene Zielsetzungen und Zwecke, die bei ihrer Auslegung berücksichtigt werden müssen.547 Besonderheiten ergeben sich dabei vor allem bei der Auslegung von Fiskalzwecknormen. Der Finanzzweck als solcher, nämlich der Zweck, den Finanzbedarf des Staates zu decken, ist für eine Auslegung ungeeignet.548 Denn Fiskalzwecknormen enthalten kein Regelungsziel, welches auf den Einzelfall bezogen ist, son542 BFH/NV 2011, 774, 776; FG Köln, EFG 2000, 1006, 1008; FG Hamburg, EFG 2011, 1460, 1462; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 237. Im Ergebnis ebenso: G. Felix, in: FS Spitaler, 1958, S. 135, 151. 543 K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 277. 544 Dazu G. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 121 f.; H. Henkel, Rechtsphilosophie, S. 403; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 277. 545 BFHE 65, 251, 254. 546 Zu den Unterschieden zwischen Fiskalzweck- und Lenkungsnormen siehe bereits im 4. Kapitel unter B. III. 547 J. Englisch, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 68. 548 K. Vogel, DStZ/A 1977, 5, 9; K. Tipke, in: FS von Wallis, 1985, S. 133, 135; D. Birk, StuW 1990, 300, 305; K.-D. Drüen, FR 2000, 177, 182 f.; ders., in: FS Kruse, 2001, S. 191, 207; ders., in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 278.
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4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
dern sie dienen zur Verwirklichung der „Erfordernisse austeilender Gerechtigkeit.“549 Der Finanzzweck selbst gibt beispielsweise keinen Anhaltspunkt für die Frage, wie die Abgrenzung zwischen privaten und beruflichen Aufwendungen (§ 9 EStG) vorzunehmen ist.550 Aber auch wenn der Fiskalzweck selbst als Auslegungskriterium ausscheidet, bleibt dennoch Raum für eine teleologische Auslegung. Auszurichten ist diese jedoch nicht am allgemeinen Gesetzeszweck, also der Finanzierung der Staatsaufgaben, sondern am konkreten Normzweck.551 Ein „prägender Regelungszweck“ ist „Maßstab“ der teleologischen Auslegung, welcher aufgrund objektiver Umstände zu ermitteln ist552 Die Suche nach dem Zweck führt unmittelbar zur Frage, ob die steuerlichen Lasten gleichmäßig verteilt wurden. Insbesondere ist dabei das Prinzip der Steuergerechtigkeit, insbesondere seine Konkretisierung in Gestalt des Leistungsfähigkeitsprinzips zu wahren.553 Und auch Nebenzwecke wirtschafts-, sozial- oder kulturpolitischer Art sind bei der Auslegung zu berücksichtigen.554 Lenkungsnormen hingegen verfolgen einen bestimmten Lenkungszweck.555 Dieser Zweck leitet die Auslegung.556 Während also bei Lenkungsnormen das konkrete Regelungsziel die Auslegung zu leiten hat, führt eine Auslegung von Fiskalzwecknormen direkt zu Fragen des Verfassungsrechts.557 Für alle Gesetze gilt jedoch das Praktikabilitätsprinzip als objektiv-teleologischer Maßstab, der bei der Auslegung berücksichtigt werden muss. Gesetze sollen praktikabel und durchführbar sein, sodass dem Rechtsanwender Spielräume der Typisierung zur Verfügung stehen.558
549
K. Vogel, DStZ/A 1977, 5, 9; K. Tipke, in: FS von Wallis, 1985, S. 133, 135. Ebenso K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 277 f. 550 D. Birk, StuW 1990, 300, 305. 551 E. Höhn, in: FS Tipke, 1995, S. 213, 221 ff., 234 f.; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 278. 552 BFH/NV 1998, 155, 156; FG Niedersachen, EFG 2011, 870, 873. 553 BVerfGE 66, 214, 223; K. Vogel, DStZ/A 1977, 5, 9; P. Kirchhof, in: FS RFH/BFH, 1993, S. 285, 298 f.; J. Englisch, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 68. 554 So z. B. die Förderung des sozialen Wohnungsbaus, vgl. BFHE 99, 250, 252, des allgemeinen Wohnungsbaus, vgl. BFHE 202, 432, 435 oder der Schaffung neuer Arbeitsplätze, vgl. BFHE 178, 25, 28 f. 555 Siehe dazu bereits im 4. Kapitel unter B. III. 3. 556 K. Vogel, DStZ/A 1977, 5, 10; D. Birk, StuW 1990, 300, 305; J. Englisch, in: Tipke/ Kruse [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 68. 557 D. Birk, StuW 1990, 300, 306. Im Ergebnis ebenso J. Englisch, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 68, wonach das Leistungsfähigkeitsprinzip objektiv-teleologischer Maßstab für Fiskalzwecksteuern ist. 558 J. Englisch, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 68.
C. Anwendung und Auslegung durch die Verwaltung
103
3. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise Die sogenannte wirtschaftliche Betrachtungsweise ist keine zusätzliche Auslegungsmethode. Sie findet heute nach herrschender Meinung innerhalb der teleologischen Auslegung statt, weil die Steuergesetze „wirtschaftliche Vorgänge“ besteuern wollen.559 Daraus folgt, dass Steuergesetze nach ihrem „wirtschaftlichen Gehalt“ auszulegen sind. Insbesondere steuerrechtliche Begriffe wie zum Beispiel der Begriff des Wirtschaftsguts (§§ 39 AO, 4 Abs. 1 EStG) oder des Teilbetriebs (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) können nur wirtschaftlich ausgelegt werden.560 Aber auch Begriffe, die aus dem Zivilrecht herrühren, wie der Begriff der Ehe, der Vermietung oder der Verpachtung, sind teleologisch am Zweck des Steuergesetzes auszurichten.561 Hierbei kann es dabei durchaus zu einer Abweichung vom zivilrechtlichen Verständnis kommen.562 Es ist immer zu prüfen, ob und inwieweit das zivilrechtliche Verständnis auch die Rechtsfolge der Steuergesetze miterfüllt.563 4. Typisierende Rechtsanwendung Es reicht nicht aus, dass der Steuergesetzgeber in der Formulierung des Besteuerungstatbestands die Rechtsetzungsgleichheit wahrt.564 Ob tatsächlich Belastungsgleichheit besteht, entscheidet sich vielmehr erst bei der Rechtsanwendung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs muss die normative Gleichheit der strukturellen Gleichheit im Vollzug entsprechen.565 Gleichheit im Belastungserfolg werde nur erreicht, wenn zur Rechtssetzungs- die Rechtsanwendungsgleichheit hinzukomme.566 Es besteht damit eine Wechselbezüglichkeit zwischen materieller Norm und Vollzugsregel.567 Allerdings ist die Verwaltung in der Realität nicht in der Lage, jeden einzelnen Fall gerecht zu entscheiden.568 Die Ressourcen der Finanzbehörden reichen auch ohne Personal559 M. Lehner, in: FS Tipke, 1995, S. 237 ff.; J. Englisch, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 70. 560 J. Englisch, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 70. 561 BVerfG, NJW 1992, 1219 f.; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 322. Zur „Relativität der Rechtsbegriffe“ siehe bereits S. 95 f. 562 BVerfGE 29, 104, 117; J. Englisch, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 70; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 322. A.A. noch W. Flume, FS Smend, 1952, S. 59, 73; R. Thiel, in: GS Spitaler, 1965, S. 195, 199 ff. 563 BVerfG, NJW 1992, 1219 f.; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 324. 564 J. Isensee, StuW 1994, 3, 8. Auch zum Folgenden. Ferner M. Jachmann, StuW 1994, 347, 348. 565 BVerfGE 84, 239, 272; 110, 94, 103; BFHE 232, 15, 21. 566 BVerfGE 66, 331, 335 f.; R. Seer, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 85 AO, Rdnr. 15. 567 BVerfGE 110, 94, 115 ff. 568 J. Isensee, StuW 1994, 3, 9; R. Seer, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 85 AO, Rdnr. 15; H. Söhn, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 88 AO, Rdnr. 175.
104
4. Kap.: Auswirkungen der Verfassung auf das Steuerrecht
notstand regelmäßig nicht aus, um die massenweise anfallenden steuererheblichen Sachverhalte unterschiedslos vollständig und wahrheitsgemäß aufzuklären.569 Ein flächendeckender Vollzug (sog. Totalvollzug) ist daher nicht möglich. Die Verwaltung muss im Rahmen der Massenverwaltung effektiv und sachgerecht entscheiden, wodurch sie nicht allen Besonderheiten eines Falles Rechnung tragen kann.570 Diese Feststellung kann sodann jedoch wieder relativiert werden. Das Besteuerungsverfahren muss zumindest so ausgestalten werden, dass die verfassungsrechtliche Vorgabe einer gesetzmäßigen und gleichmäßigen Besteuerung zumindest annähernd gewährleistet ist.571 Die Rechtsprechung hat daher einen vereinfachten Gesetzesvollzug durch Verwaltungsvorschriften im Interesse der Einheitlichkeit und Praktikabilität572 zugelassen. Innerhalb der Rechtsanwendung darf die Verwaltung typisieren.573 Durch AfA-Tabellen, Bewertungs- und Schätzungsrichtlinien hat sich die Verwaltung ein Reglement geschaffen, welches von einer Einzelfallprüfung Abstand nimmt.574 Die Typisierung soll Schätzungen und Beweisnot entbehrlich machen575 und so der Verwaltung helfen, im Massenverfahren zu einheitlichen Ergebnissen zu gelangen.576 Dieser Typisierung sind allerdings Grenzen gesetzt.577 Für eine typisierende Betrachtungsweise ist nur Raum, sofern der Gesetzgeber selbst die Verwaltung zu eigenständiger Typisierung ermächtigt hat.578 Ferner verlangt das Bundesverfassungsgericht für einen zulässigen Erlass typisierender Verwaltungsvorschriften durch die Finanzbehörden, dass sich die „besonderen Anweisungen“ im Rahmen des Gesetzeszwecks und des Gebots der Gleichmäßigkeit der Besteuerung halten.579
569
H. Söhn, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 88 AO, Rdnr. 175, auch zum Folgenden. R. Seer, DStJG 31 (2008), S. 7, 9. 571 H. Söhn, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 88 AO, Rdnr. 175. 572 BVerfGE 78, 214, 226 ff. 573 Die typisierende Rechtsanwendung ist allerdings nicht ganz unumstritten. Zur Zulässigkeit, vgl. J. Isensee, StuW 1994, 3, 10 ff.; M. Jachmann, StuW 1994, 347, 348; R. P. Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, 2007, S. 131; H. Söhn, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 88 AO, Rdnr. 184. Zu den unterschiedlichen Formen der Typisierung durch den Rechtsanwender: R. Wernsmann, Beihefter zu DStR 2011, 72, 73. Ebenso S. Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, 2004, S. 247. Kritisch L. Osterloh, Gesetzesbindung und Typisierungsspielräume, 1992, S. 40 ff. 574 J. Isensee, StuW 1994, 3, 10; M. Jachmann, StuW 1994, 347, 348; R. P. Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, 2007, S. 131. 575 Zum Typisierungsinstrument der Schätzung: BFHE 132, 63, 67 ff.; 145, 181, 188 ff. 576 Vgl. BVerfGE 78, 214, 227 f. Ferner J. Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 52 f.; M. Jachmann, StuW 1994, 347, 349; R. P. Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, 2007, S. 115; G. Britz, Einzelfallgerechtigkeit versus Generalisierung, 2008, S. 37. 577 Grundlegend R. Wernsmann, Beihefter zu DStR 2011, 72, 73. 578 R. Wernsmann, Beihefter zu DStR 2011, 72, 74. 579 BVerfG, NVwZ 1994, 475, 476. 570
5. Kapitel
Der Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung Wenn geklärt ist, wie sich die Verfassung auf das Steuerrecht auswirkt, ist im Folgenden zu klären, wie diese Maßstäbe in der praktischen Anwendung der Erlasstatbestände zum Tragen kommen. Es kann bei verallgemeinernden Normen zu einem Widerstreit zwischen der generalisierenden Normgerechtigkeit des Gesetzes und der Ungleichbehandlung des Einzelnen kommen, der mit der Anwendung des Billigkeitserlasses gelöst werden kann.580
A. Die Anwendung der Steuertatbestände durch die Verwaltung Wenn das Gesetz die erstrebte Gerechtigkeit im Einzelfall nicht erreichen kann, muss der Rechtsanwender dann vom Gesetz abweichen können, um die Gleichheit wiederherzustellen.581 In den Fällen eines Billigkeitserlasses verlagert sich die Kompetenz zur Rechtsfindung vom Gesetzgeber auf die Verwaltung.582 Die ursprüngliche Entscheidung des Gesetzgebers wirkt in das Verwaltungshandeln hinein. Diese Entscheidung bestimmt die Richtung, das Maß und die Grenzen des Grundrechtseingriffs.583 Auch wenn eine Maßnahme geeignet ist, das erstrebte Ziel zu erreichen und diese Maßnahme auch den geringsten Eingriff in den Schutzbereich des Betroffenen bedeutet, so kann die Maßnahme dennoch für den Betroffenen im Einzelfall unzumutbar sein, indem die Belastung des Betroffenen mit dem angestrebten Zweck 580
K. Tipke, Steuergerechtigkeit, 1981, S. 109. So sagt M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 18: „Gesetzesgerechtigkeit bedeutet gesetzlich verbürgte Gleichheit. Wenn die Gleichheit durch das generelle Gesetz nicht verbürgt werden kann, weil die generalisierenden Begriffe des Gesetzes in unvorhergesehenen Fallkonstellationen Härten ergeben, muss das Ergebnis der strikten Gesetzesanwendung korrigiert werden“. Vgl. ebenso BVerfGE 48, 102, 114; 50, 57, 86. 581 S. Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, 2004, S. 94. 582 P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 781; ähnlich W. Flume, StbJb 1953/1954, S. 81, 114 f.; J. Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 128 f.; K. Vogel, in: GS Martens, 1987, S. 265, 269. 583 K. Vogel, in: GS Martens, 1987, S. 265, 269.
106
5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
außer Verhältnis steht.584 Die Zumutbarkeit erweist sich dabei vor allem als Maßstab der Einzelfallgerechtigkeit.585
I. Die Entwicklung der Auslegungsmaßstäbe von Steuergesetzen Die Rechtsprechung zur Auslegung von Steuergesetzen des Bundesfinanzhofs unterlag in den letzten Jahrzehnten einer deutlichen Entwicklung. In den 50er-Jahren war vor allem die teleologische Auslegung noch nicht in dem Maße anerkannt, wie sie es heute ist. Der Bundesfinanzhof fragte weniger nach dem Zweck der anzuwendenden Norm, sondern legte den Auslegungsschwerpunkt noch mehr auf den Gesetzeswortlaut. Danach konnte eine Norm nicht ausgelegt werden, wenn der Wortlaut der Vorschrift keine Unklarheiten erkennen lässt und eine eindeutige Regelung enthält.586 Wenn der Wortlaut keine Unklarheiten erkennen lässt, sei die Norm auslegungsunfähig.587 Damit einher ging die Auffassung, dass eine erweiterte Auslegung über den Wortlaut hinaus nur möglich ist, wenn der Wortlaut des Gesetzes den wirklichen Willen des Gesetzgebers nicht deckt.588 Dieser zurückhaltende Auslegungsstandpunkt wollte vor allem eine Funktions- und Kompetenzverschiebung zwischen Gesetzgeber und Richter589 verhindern.590 Die enge Bindung an den Gesetzeswortlaut wurde im Laufe der Zeit jedoch immer mehr zurückgenommen. Zunehmend wurde nicht mehr auf den Wortlaut selbst als Grenze der Auslegung abgestellt, sondern auf den möglichen Wortsinn. Danach habe sich der das Gesetz Auslegende im Rahmen des möglichen Wortsinns zu halten.591 Der klare Wortlaut blieb zwar weiterhin maßgebend, allerdings wurde zunehmend mit dem Gesetzeszweck argumentiert.592 Die Ausführungen der Rechtsprechung zur Reichweite der Auslegung und die Argumente für einen Normdispens näherten sich zunehmend an. So konstatierte bereits der 4. Senat des Bundesfinanzhofs im Jahr 1954: „Eine Auslegung entgegen dem klaren Wortlaut wird dann möglich sein, wenn der Gesetzgeber an gewisse Fälle nicht gedacht hat, wenn aber anzunehmen ist, dass er die
584
BVerfGE 25, 1, 12, 17; 30, 292, 317; 115, 97, 117; U. Seetzen, NJW 1974, 1222, 1223; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 206 f.; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 181. 585 I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 488. 586 So beispielsweise BFHE 57, 374, 379 f.; 57, 601, 602. 587 So ausdrücklich BFHE 57, 374, 379 f.; 57, 601, 602. Ferner die Rechtsprechung aus den 70er-Jahren: BFHE 113, 306, 308; 113, 357, 359. 588 So z. B. BFHE 65, 82, 86; 66, 539, 541; 72, 576, 577. 589 Dazu D. Jesch, JZ 1963, 241, 243. 590 Diese Zurückhaltung gab der Bundesfinanzhof bei der Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG 1955 auf, vgl. BFHE 78, 490, 493 f. 591 BFHE 91, 132, 135; 100, 472, 474. 592 BFHE 56, 420, 421 f.; 57, 427, 429 f.; 59, 237, 239; 65, 82, 86; 66, 539, 541; 72, 576, 577.
A. Die Anwendung der Steuertatbestände
107
dem Ergebnis der Auslegung entsprechende Regelung getroffen haben würde, falls sie ihm bekannt gewesen wäre.“593 Die Grenze zwischen Normauslegung und der Anwendung des Dispenses aufgrund eines Überhangs des gesetzlichen Tatbestands über die Wertungen des Gesetzes wurde dadurch immer verschwommener und klärungsbedürftig. Die Normauslegung gehört zum Standardwerkzeug der Gesetzesanwendung, der Dispens hingegen stellt einen Ausnahmefall dar und ist der Normauslegung nachgelagert. Es ist mithin notwendig, eine Grenze zu ziehen.
II. Heutige methodische Grenzen der Normauslegung im Steuerrecht Wo die Grenze der Auslegung heute verläuft, kann nur abstrakt umschrieben und muss im Einzelfall näher konkretisiert werden. In wenigen Entscheidungen hat der Bundesfinanzhof die Grenze zwischen Normauslegung und Normdispens zumindest etwas deutlicher gemacht. So konstatierte der 8. Senat des Bundesfinanzhofs bereits im Jahre 1976, dass „die Wertungen des Gesetzgebers bereits bei der Auslegung des gesetzlichen Steuertatbestandes und bei der Frage der Tatbestandsmäßigkeit der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen sind.“ Daher „kommen als sachliche Billigkeitsgründe nur solche Umstände in Betracht, die bei der Steuerfestsetzung durch Auslegung des Steuertatbestands nach dem objektiven Willen des Gesetzgebers nicht berücksichtigt werden können.“594 Für die Auslegung ist kennzeichnend, dass der Auslegende dem Gesetz nichts hinzuzufügen, sondern es lediglich so zu verstehen versucht, wie es sich jedem Kundigen darbietet.595 Insbesondere das Steuerrecht geht nicht von einem positivistischen, sondern von einem teleologischen Gesetzesverständnis aus, sodass eine Auslegung gegen den Wortlaut mit der Gesetzesbindung vereinbar ist, wenn die Abweichung vom Wortlaut durch den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck legitimiert wird.596 Nach der Recht593 594
159. 595
BFHE 59, 237, 239. BFHE 119, 443, 446 mit Verweis auf BFHE 108, 146, 149. Ferner auch BFHE 94, 156,
K. Larenz, Methodenlehre, S. 313; St. Geserich, Beihefter zu DStR 2011, 59. H. Weber, Steuererlass und Steuerstundung, 1980, S. 35; I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 188 f.; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 44, 72 f. Etwas Ähnliches zeigte sich bei der beabsichtigten Kodifikation des § 4 RAO. In § 3 des AO-Entwurfes 1976 war zuvor noch eine Methodennorm vorgesehen, der zufolge bei der Auslegung auch der wirtschaftliche Sinn und Zweck der Gesetze sowie die Entwicklung der Verhältnisse berücksichtigt werden sollten. Auf diese Norm wurde nur deshalb verzichtet, weil er den Auslegungsgrundsatz als selbstverständlich ansah, BT-Drs. 7/79, S. 17. Vgl. dazu R. P. Schenke, StuW 2008, 206, 214; ders., Beihefter zu DStR 2011, 54, 57; R. Wernsmann, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 4, Rdnr. 4, 10. 596
108
5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
sprechung des Bundesfinanzhofs ist insbesondere dann eine Auslegung gegen den Wortlaut möglich, wenn die wortlautgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, das vom Gesetzgeber offensichtlich597 nicht beabsichtigt sein kann,598 oder wenn sonst anerkannte Auslegungsmethoden, wie etwa eine verfassungskonforme Auslegung, dies verlangen.599 Es gibt keinen Zwang zur wörtlichen Auslegung, sondern lediglich ein Gebundensein an den Sinn und Zweck der Vorschrift.600 Das Instrument der Auslegung gegen den Wortlaut ist die teleologische Extension und Reduktion.601 Daraus ergibt sich wiederum, dass zwar nicht der Wortlaut selbst, aber der mögliche Wortsinn die Grenze der Auslegung darstellt, welcher auch nicht mit anderen Auslegungsmethoden überwunden werden kann.602 Was nicht mehr unter den möglichen Wortsinn subsumiert werden kann, kann auch nicht im Wege der Auslegung verstanden werden.603 Es ist demnach zu unterscheiden zwischen Wortlaut und Wortsinn. Gegen den Wortlaut ist eine Auslegung möglich, sofern sich nicht aus den anderen Auslegungsmethoden ergibt, dass der Wortlaut die Grenze bildet. Der Wortsinn hingegen ist dem Gesetz immanent und füllt es mit Inhalt, sodass dieser nicht überwunden werden kann. Der Wortsinn wird inhaltlich gefüllt durch den Normzweck.604 Insbesondere im Steuerrecht kann auf das Kriterium des möglichen Wortsinns nicht verzichtet werden, um dem Erfordernis der Tatbestandsmäßigkeit des Steueranspruchs genügen zu können.605 Im Wege der verfas597
BFHE 78, 490, 493. BFHE 113, 357, 359 f.; 168, 111, 117; 184, 198, 201; 230, 150, 155; 231, 544, 552. 599 BFHE 231, 544, 552. 600 So BVerfGE 35, 263, 278 f.; BFHE 175, 368, 378 f. Im Ergebnis ebenso K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 237. 601 BFHE 168, 111, 117; 213, 494, 496; H. Weber, Steuererlass und Steuerstundung, 1980, S. 34. Kritisch R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 46. 602 K. Larenz, Methodenlehre, S. 322; J. Englisch, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 57; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 44. A.A. wohl K. Tipke, in: FS von Wallis, 1985, S. 133, 134, wonach der Gesetzeszweck möglicherweise auch über den möglichen Wortsinn hinausgehen kann. Ähnlich BFHE 241, 124, 129. Teilweise wurde die Auslegung gegen den Gesetzeswortlaut kritisch gesehen. Insbesondere wurde konstatiert, dass mit der Auslegung gegen des Gesetzeswortlaut auch eine Missachtung des in Art. 20 Abs. 3 GG normierten Grundsatzes der Gesetzesbindung einhergeht. Besonders deutlich G. Crezelius, BB 1984, 1377, 1381. Ferner K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 276. 603 St. Rspr. und h.M., vgl. BVerfGE 71, 108, 115; 73, 206, 235; 85, 69, 73; 87, 209, 225; FG Düsseldorf, EFG 1997, 1010, 1012; FG Mecklenburg-Vorpommern, EFG 2001, 1496, 1498; FG Baden-Württemberg, DStRE 2011, 300, 301; D. Birk, StuW 1990, 300, 304; K. Larenz, Methodenlehre, S. 322; F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 467 ff.; J. Englisch, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 58; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 239, 340. 604 Der BFH setzt Sinn und Zweck des Gesetzes offenbar unbewusst gleich, denn oft werden Sinn und Zweck des Gesetzes zusammen genannt, vgl. BFHE 171, 138, 140 f.; 198, 395, 398. Gegenüber dieser Praxis kritisch K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 219, der explizit zwischen Sinn und Zweck trennt. Ähnlich D. Birk, StuW 1990, 300, 304. 605 BFHE 91, 511, 514; 232, 358; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 342. 598
A. Die Anwendung der Steuertatbestände
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sungskonformen Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Vorschrift nicht grundlegend neu bestimmt und das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden.606 Wenn sich nach diesen Kriterien kein widerspruchsfreier Gesetzeszweck entnehmen lässt, scheidet auch eine teleologische Auslegung aus.607 Wie der frühere Richter am Bundesfinanzhof Wilhelm Hartz bereits sagte, darf sich der Richter oder die Verwaltung bei der Auslegung nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen.608
III. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Grundlage restriktiver Auslegung – Bagatellgrenzen Für die Auslegung steuerrechtlicher Normen wird vielfach das Verhältnismäßigkeitsprinzip genutzt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz enthält unter anderem das Gebot der Proportionalität.609 Danach müssen Mittel und Zweck in einem angemessenen Verhältnis stehen.610 Bei der Auslegung kann am Ende eine teleologische Reduktion geboten sein. Diese Einbeziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist bei der Ermessensausübung der Verwaltung unproblematisch.611 Streitig ist die Frage, ob die Verwaltung das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch im Rahmen der Auslegung und Anwendung gebundener Tatbestände anwenden muss/darf.612 In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes ist diese Vorgehensweise mittlerweile anerkannt. Von großer Bedeutung ist die Entscheidung des 11. Senats des Bundesfinanzhofs im Jahr 1999.613 Im zugrundeliegenden Fall war die Klägerin eine GbR mit zwei Gesellschaftern, die eine Gemeinschaftspraxis für Krankengymnastik betrieben hatte. Neben Einnahmen aus freiberuflicher krankengymnastischer Tätigkeit i.H.v. 510.470 DM wurden weitere Einnahmen aus dem Verkauf von Nackenkissen und behandlungsunterstützenden Cremes i.H.v. 6.481 DM erzielt. Beide Tätigkeitsbereiche waren rechtlich und organisatorisch nicht voneinander getrennt. Die Finanzbehörde qualifizierte sämtliche Einkünfte gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG als 606
BVerfGE 90, 263, 277; BFHE 252, 44, 67. BFHE 167, 25, 27; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 286. 608 W. Hartz, Die Auslegung von Steuergesetzen, 1956, S. 14. 609 BFHE 189, 419, 421; N. Neu, DStR 1999, 2109; G. Rose, DB 2000, 993; D. Gosch, in: FS Raupach, 2006, S. 461, 463; Sachs, in: ders. [Hrsg.], GG, Art. 20, Rdnr. 154. 610 BVerfGE 50, 217, 227; BVerwGE 109, 188, 191; BFHE 189, 419, 421; P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 19; K. Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, S. 782; Sachs, in: ders. [Hrsg.], GG, Art. 20, Rdnr. 154. 611 H. Stadie, Steuerrecht, Rdnr. 63. 612 S. Müller-Franken, StuW 2004, 191, 192. 613 BFHE 189, 419 ff. 607
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
gewerblich und erließ einen entsprechenden Feststellungs- und Gewerbesteuermessbescheid. Das Gericht konstatierte zunächst, dass die sogenannte „Abfärberegelung“ des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG verfassungsgemäß ist. Danach führt jede im Rahmen einer Personengesellschaft ausgeübte gewerbliche Tätigkeit zur steuerlichen Umqualifizierung der Einkünfte, die durch andere nicht gewerbliche Tätigkeiten erzielt wurden. Auf den Umfang der gewerblichen Tätigkeit komme es nach Ansicht des Gerichts grundsätzlich nicht an.614 Bei der Abfärberegelung handelt es sich um einen gebundenen Tatbestand; wenn die Voraussetzungen vorliegen, so gilt die Gesellschaft als Gewerbebetrieb.615 Allerdings kam das Gericht vorliegend zu dem Ergebnis, dass im Einzelfall nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei einem äußerst geringen Anteil der originär gewerblichen Tätigkeit die umqualifizierende Wirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht greift.616 Das Verhältnis sei nicht gewahrt, wenn eine Tätigkeit von ganz untergeordneter Bedeutung, die kaum in Erscheinung tritt, eine umqualifizierende Wirkung entfalten würde.617 Im vorliegenden Fall betrug die originär gewerbliche Tätigkeit nur 1,25 % der Gesamtumsätze. Bei isolierter Betrachtung dieser Entscheidung ist zunächst festzuhalten, dass das Urteil die entscheidende Grenzziehung der Geringfügigkeit offen lässt und dadurch für Rechtsunsicherheit sorgt.618 Gemildert wird dieses Ergebnis jedoch dadurch, dass auf diese Entscheidung eine Reihe weiterer Entscheidungen zur Auslegung von § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG folgte, in der aufgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips die umqualifizierende Wirkung dieser Norm abgelehnt619 und die Abweichung vom Gesetz somit zunehmend konkretisiert wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht beanstandet.620 Der Bundesfinanzhof hat seine frühere Rechtsprechung zu 614
BFHE 189, 419, 421 mit Verweis auf BFHE 175, 357. Ferner bereits BFHE 184, 512, 515; 186, 37, 40. 615 W. Bode, in: Blümich [Hrsg.], EStG/KStG/GewStG, § 15 EStG, Rdnr. 225 f. 616 BFHE 189, 419, 421. 617 A.a.O. 618 M. Groh, DB 2005, 2430, 2431; D. Gosch, in: FS Raupach, 2006, S. 461, 465 f.; R. Wacker, in: Schmidt [Begr.], EStG, § 15, Rdnr. 188; W. Reiß, in: Kirchhof [Hrsg.], EStG, § 15, Rdnr. 148. So auch noch die Auffassung von E. Schild, DStR 2000, 576, 577 im Jahr 2000, als die Grenze noch nicht fixiert wurde. 619 Ebenso zu einer landwirtschaftlichen GbR, vgl. BFH/NV 2004, 954 f. (2,81 %). Ferner BFHE 247, 499: „Der Verkauf von Merchandising-Artikeln durch eine in der Rechtsform einer GbR auftretende Gesangsgruppe führt nicht zur Umqualifizierung der im Übrigen ausgeübten freiberuflichen Tätigkeit in eine gewerbliche Tätigkeit, wenn die Nettoumsatzerlöse aus den Verkäufen 3 v.H. der Gesamtnettoumsatzerlöse der Gesellschaft und den Betrag von 24.500 E im Veranlagungszeitraum nicht übersteigen.“; BFHE 247, 513, 522; FG Baden-Württemberg, EFG 2016, 1246, 1247. 620 BVerfGE 120, 1, 51 f.
A. Die Anwendung der Steuertatbestände
111
einer nur geringfügigen gewerblichen Betätigung einer Personengesellschaft aus Verhältnismäßigkeitserwägungen dahingehend fortentwickelt, dass einer originär gewerblichen Tätigkeit von äußerst geringem Ausmaß keine die übrige Tätigkeit der Personengesellschaft nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG prägende Wirkung zukommt.621 Es ist demnach von einer Tätigkeit von äußerst geringem Ausmaß auszugehen, wenn die gewerbliche Tätigkeit 3 % des Gesamtnettoumsatzes nicht übersteigt.622 Mit dieser Festlegung der Bagatellgrenze schafft der Bundesfinanzhof zuverlässige Kriterien zur Handhabung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG.623 Die Anwendung des vorgenannten Gesetzes ohne Abweichung im Einzelfall würde zwar eindeutigere Rechtsfolgen auslösen, allerdings sind die Folgen der Pauschalisierung und der konkreten Bedeutung des Einzelfalles innerhalb der Auslegung gegenüberzustellen und abzuwägen. Die Bestimmung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG hat zunächst das Ziel, die erheblichen Schwierigkeiten zu vermeiden, mit denen die Ermittlung von Einkünften unterschiedlicher Einkunftsarten ein und derselben Gesellschaft verbunden wäre.624 Die Grenze dieser Zielsetzung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Eine einschränkende Auslegung von Bestimmungen anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist demnach keine Auslegung gegen den Wortsinn, sondern nach dem Sinn und Zweck des betreffenden Gesetzes, sofern keine Mäßigungsgrenze selbst im Gesetz aufgeführt ist.625 Auch in anderen Fällen wird ein Anteil von ganz untergeordneter Bedeutung für die steuerrechtliche Beurteilung durch Auslegung außer Acht gelassen. Beispielsweise lassen die Regelungen zu den gewerbesteuerrechtlichen Freibeträgen, § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG, die Wertung des Gesetzgebers erkennen, dass Kleinund Kleinstbetriebe nicht mit Gewerbesteuer belastet werden sollen.626 Ist aber insoweit eine Freistellung von der Gewerbesteuer beabsichtigt, so entspricht es dieser Wertung, jedenfalls einer originär gewerblichen Tätigkeit von äußerst geringem Ausmaß keine prägende Wirkung zukommen zu lassen.627 Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ergingen weitere Entscheidungen, in denen steuerrechtliche gebundene Tatbestände teleologisch reduziert wurden, weil 621
BVerfGE 120, 1, 52; BFHE 189, 419, 420 f.; 197, 400, 408. Es gibt keine Entscheidung, in der die Abfärbewirkung verneint wurde und die gewerbliche Tätigkeit mehr als 3 % ausgemacht hat. Für diese Grenze ebenso BFHE 247, 499, 504; FG Baden-Württemberg, EFG 2016, 1246, 1247; W. Bode, in: Blümich [Hrsg.], EStG/ KStG/GewStG, § 15 EStG, Rdnr. 228. 623 D. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 15/2015 Anmerkung 1 unter D. 624 BFHE 140, 44, 47 f.; 196, 511, 514; FG Baden-Württemberg, EFG 2016, 1246, 1247; M. Groh, DB 2005, 2430, 2431. 625 G. Rose, DB 2000, 993, 994; D. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 15/2015 Anmerkung 1 unter D. A.A. M. Groh, DB 2005, 2430, 2431. 626 BFHE 189, 419, 421. 627 A.a.O. 622
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
die wortlautgetreue Anwendung gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen hätte.628 Insbesondere ging es dabei um weitere Unschädlichkeitsgrenzen in gesetzlichen Vorschriften.629 Die Auslegung kommt erst dann an ihre Grenzen, wenn sie den normativen Gehalt der Regelung grundlegend neu bestimmen würde.630
IV. Bestandskraft Inwieweit der Steuerpflichtige einen Steuererlass beanspruchen kann, hängt davon ab, ob die Steuerfestsetzung bereits unanfechtbar und somit bestandskräftig geworden ist oder nicht. Vor Eintritt der Bestandskraft, also innerhalb der Einspruchsfrist während des Festsetzungsverfahrens, kann der Steuerpflichtige seine Rechte im Rechtsbehelfsverfahren geltend machen. Er muss darlegen, dass die vorrangige Auslegung ergebe, dass der gesetzliche Tatbestand nicht zur tatsächlichen
628
So beispielsweise BFHE 219, 173, 176 ff.: Teleologische Reduktion des § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG bei Gewerbesteuerbefreiung des nutzenden Unternehmens-Gesellschafter i.S.d. § 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG: „…Der Senat kann indessen angesichts des vorstehend dargestellten Gesetzeszwecks keinen sachlichen Grund dafür erkennen, die durch die Überlassung eines Grundstücks an ein in vollem Umfang von der Gewerbesteuer befreites Unternehmen erzielten Erträge bei der Grundstücksgesellschaft der Gewerbesteuer zu unterwerfen. Wollte man anders entscheiden, würde die Gesellschaft, die dem gewerbesteuerbefreiten Unternehmen ihres Gesellschafters ein Grundstück zur Nutzung überlässt, steuerlich schlechter behandelt, als dies bei einer Grundstücksüberlassung durch den Gesellschafter oder bei der Nutzung des eigenen Grundstücks durch den gewerbesteuerbefreiten Einzelunternehmer der Fall wäre. § 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG enthält daher eine verdeckte Regelungslücke, die es rechtfertigt und erfordert, diese Norm im Wege der teleologischen und zugleich dem Gebot der gleichheitskonformen und folgerichtigen Verwirklichung des Normzwecks Rechnung tragenden Reduktion auf das oben dargelegte Maß zurückzuführen.“ Ferner BFHE 242, 58, 71 ff.: Gewerbesteuerpflicht auch bei Betriebsveräußerung gegen Leibrente – Zeitpunkt der Besteuerung eines Veräußerungsgewinns. Weiterhin BFH/NV 2015, 1354, 2355, wonach der BFH aus einer zweckentsprechenden Auslegung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit § 34 EStG wie folgt auslegt: „ …Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hält der BFH in solchen Fällen für geboten, in denen – neben der Hauptentschädigungsleistung – in späteren Veranlagungszeiträumen aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden. Soziale Fürsorge ist dabei allgemein im Sinne der Fürsorge des Arbeitgebers für seinen früheren Arbeitnehmer zu verstehen. Ob der Arbeitgeber zu der Fürsorge arbeitsrechtlich verpflichtet ist, ist unerheblich. Derartige ergänzende Zusatzleistungen, die Teil der einheitlichen Entschädigung sind, sind unschädlich für die Beurteilung der Hauptleistung als einer zusammengeballten Entschädigung. Diese Auslegung leitet der BFH aus einer zweckentsprechenden Auslegung des § 34 EStG unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ab.“; in diesem Sinne ebenso: BFHE 226, 265, 266 mit dem Hinweis, dass dadurch der Gesetzeszweck des § 34 EStG nicht verfehlt wird. 629 Eine weitere Übersicht bietet G. Rose, DB 2000, 993 f. 630 BFHE 252, 44, 67.
B. Überhang des gesetzlichen Tatbestandes
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Lage passt.631 Sofern diese Behauptung zutrifft, muss die Verwaltung während des Rechtsbehelfsverfahrens die versäumte zutreffende Auslegung nachholen. Sobald die Rechtsbehelfsfristen abgelaufen sind und der Steuerbescheid bestandskräftig geworden ist, kann der Steuerpflichtige hingegen nicht mehr vorbringen, dass der gesetzliche Tatbestand nicht erfüllt sei.632 In diesen Fällen kommt lediglich eine Billigkeitsmaßnahme in Betracht. Die vorherige Auslegung der Norm und die Billigkeitsentscheidung verfolgen jedoch das gleiche Ziel, nämlich die Divergenz zwischen Regelungsinhalt und gesetzlicher Wertung zu beheben. Daher sind bei der Billigkeitsentscheidung zumindest ähnliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen wie bei einer vorherigen Auslegung der Norm.633 Die hier abgrenzungsrelevanten Fälle sind daher vor allem die Fälle im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren. Dieses Ergebnis wird von der bisherigen Rechtsprechung gestützt. In den Erlassfällen, die bestandskräftige Steuerbescheide zum Gegenstand hatten, wurde die Notwendigkeit einer vorherigen Auslegung der Norm nicht genannt.634 Bei Entscheidungen zu Steuerbescheiden im Festsetzungsund Erhebungsverfahren wurde hingegen die Subsidiarität der Billigkeitsmaßnahme regelmäßig betont.635
B. Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers Nach Ansicht der Rechtsprechung ist ein Billigkeitserlass vorzunehmen, wenn die Anwendung eines nicht zu beanstandenden Gesetzes zu einem nicht gewollten „Überhang“ des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers führen wird.636 Ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers liegt vor, wenn die Besteuerung im Einzelfall den Wertungen des Gesetzgebers
631
H. Weber, Steuererlass und Steuerstundung, 1980, S. 37. H. Weber, Steuererlass und Steuerstundung, 1980, S. 37. Billigkeitsmaßnahmen sind nicht dazu bestimmt, die Folgen schuldhafter Versäumnis eines Rechtsbehelfs auszugleichen, BFH/NV 2014, 361; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 47. 633 H. Weber, Steuererlass und Steuerstundung, 1980, S. 37. 634 BFHE 86, 282, 286; 194, 552, 554; 238, 518, 525; BFH/NV 2008, 1889, 1892 f.; 2009, 1784, 1785 f. 635 BFHE 94, 156, 159; 183, 465, 469 f. 636 Siehe dazu die Nachweise in Fn. 4. Ferner aus der Literatur P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 782 f., 790 f.; ders., StbJb. 1994/1995, 5, 19; E. Benda, DStZ 1984, 159, 161; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 25; P. Selmer, in: FS Bull, 2011, S. 389, 395; R. Fritsch, in: König, AO, § 227, Rdnr. 18. 632
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
widerspricht und mit dem Sinn des Steuergesetzes nicht vereinbar ist.637 Ein Steuererlass aus sachlichen Gründen ist nach der vor allem von der früheren Rechtsprechung geprägten Formulierung möglich, wenn nach dem erklärten und mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage, hätte er sie geregelt, im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte638 oder wenn angenommen werden kann, dass die Einziehung der Steuer den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft.639 Das ausschlaggebende Kriterium für einen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen ist das der Zweckverfehlung.640 Der Fehler liegt bei dieser Fallgruppe nicht bei dem Gesetz selbst, sondern in dessen Auswirkungen im Einzelfall.641 Es handelt sich dabei um einen atypischen Geschehensablauf. Die Wortfassung des Tatbestandes deckt sich nicht mit dem Lebensbereich, den der Gesetzgeber seinem Ordnungsziel unterwerfen will.642 Nach der Rechtsprechung ist allerdings zu beachten, dass solche Härten unberücksichtigt bleiben müssen, welche der gesetzliche Tatbestand gewöhnlich mit sich bringt und die vom Gesetzgeber hingenommen werden und somit keine weitere Beachtung finden.643
637
BFHE 106, 486, 488; 108, 571, 572; 115, 82, 83; 164, 114, 115; J. Isensee, in: FS Flume, 1978, Bd. II, S. 129, 136; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 18; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 71. 638 Vgl. z. B. BVerfG (K), NVwZ 1995, 989, 990; BVerfGE 48, 102, 113; BVerwG, BStBl. 1984, 236, 242; BFHE 108, 146, 148; 116, 87, 88; 172, 237, 239; 228, 130, 132 f.; 244, 184, 187 f.; BFH/NV 2012, 1486, 1489; 2013, 1383 f.; B. Schmidt-Bleibtreu, BB 1978, 1060; R. Kapp, DStZ 1988, 46; D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6204. 639 Ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, vgl. z. B. BFH/NV 2005, 825; 2011, 401 m.w.N. Zur Härtemilderung im Lastenausgleichsrecht, vgl. z. B. BVerfGE 41, 126, 181, 203 ff. Ferner BFHE 151, 221, 224; 244, 184, 187 f.; 258, 151, 154; BFH/NV 2005, 825, 826; FG München EFG 2003, 1512, 1513; FG Niedersachsen EFG 2004, 164; D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6204; P. Selmer, JuS 2016, 93; J. Buschendorf/M. Vogel, DB 2016, 676, 677; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 13. 640 R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 18 ff. 641 R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 252. 642 J. Isensee, in: FS Flume, 1978, Bd. II, S. 129, 136. 643 Unbestritten, vgl. BVerfG (K), NVwZ 1995, 989, 990; BFHE 108, 571, 572; 176, 3, 6; 180, 61, 63; 228, 130, 132; 242, 134, 136; 258, 151, 154; BFH/NV 2013, 1383, 1384; FG Baden-Württemberg, EFG 2005, 90 f.; G. Felix, in: FS Spitaler, 1958, S. 135, 155; B. SchmidtBleibtreu, BB 1978, 1060, 1061; J. Isensee, in: FS Flume, II, 1978, S. 129, 140; B. Janssen, DStZ 1990, 406; D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6201; R. Bartone, AO-StB 2004, 356, 357; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 13. A.A. P. Meincke, DStR 2004, 573, 575, wonach das jeweilige Steuergesetz und die Billigkeitsvorschriften der AO gleichrangige und gleichgewichtige Vorschriften sind. Danach korrigieren die Billigkeitsvorschriften nicht das Gesetz, sondern „deuten den Geltungsanspruch des Gesetzes aus“.
C. Dispensation aufgrund Verfassungsrechts
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C. Dispensation aufgrund Verfassungsrechts I. Die Bedeutung des Verfassungsrechts für den Billigkeitserlass Das Verfassungsrecht spielt beim Steuererlass aus Billigkeitsgründen eine bedeutende Rolle, um den Anforderungen, die das geltende Recht an eine gerechte Entscheidung stellt, gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang wird häufig von der „Wirkkraft der Grundrechte“644 gesprochen, wonach im Einzelfall eine Pflicht zum Steuererlass kraft Verfassungsrechts besteht.645 Wenn das Gesetz als solches verfassungsmäßig ist, muss im Einzelfall gesondert ein Verstoß gegen Grundrechte festgestellt werden.646 Sachliche Unbilligkeit aus Verfassungsgründen kann demnach vorliegen, wenn das Gesetz zwar selbst nicht grundrechtswidrig ist, die Erhebung des Steueranspruchs aber in einem atypischen Einzelfall Grundrechte des Steuerpflichtigen verletzt.647 Hingegen darf der Billigkeitserlass nicht das „Reparaturwerkzeug“ für ein verfassungswidriges Gesetz sein.648 Bei einem Steuererlass aus Verfassungsgründen sind vor allem der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das Verhältnismäßigkeitsprinzip der Freiheitsrechte relevant.649
II. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist bis heute der zentrale verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab für Gesetze, welche das Einkommen steuerlich erfassen wollen.650 Von Bedeutung ist Art. 3 Abs. 1 GG vor allem in Verbindung mit anderen Grundrechten. Bereits in den ersten verfassungsgerichtlichen Entschei644
Zu dieser Formulierung: BVerfG, HFR 1976, 31; BVerfGE 48, 102, 114; BVerfG, NVwZ 2010, 902, 904; NJW 1976, 101; BFHE 118, 151, 154; P. Selmer, DÖV 1972, 551, 558 ff.; ders., JuS 2016, 93; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 27; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 77. 645 BVerwG, BStBl. 1984, 236, 242; BFHE 177, 246, 248 f.; 238, 518, 524; P. Kirchhof, StbJb. 1994/1995, S. 5, 19; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 77. 646 BVerfGE 48, 102, 116; P. Kirchhof, in: FS Scupin, S. 775, 782. 647 Vgl. BVerfGE 16, 147, 177; 38, 61, 102; 43, 1, 12; 50, 57, 86; BVerfG, NJW 1992, 168, 169; HFR 2014, 440 f.; R. Seer, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 21, Rdnr. 336. 648 R. Seer, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 21, Rdnr. 336. 649 Darauf weist insbesondere R. Wernsmann, NJW 2006, 1169, 1173; ders., in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 411 hin. Ferner R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 35; P. Kirchhof, in: Maunz/Dürig [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 323. 650 So bereits E. Benda/K. Kreuzer, DStZ/A 1983, 49, 55; ferner P. Kirchhof, StuW 1984, 297 ff.; K. H. Friauf, DStJG 12 (1989), 3, 27; W. Schön, StuW 1995, 366, 369; R. Wernsmann, NJW 2006, 1169, 1173; J. Hey, StbJb. 2007/2008, 19, 33: „Art. 3 Abs.1 GG als Magna Charta des Steuerrechts“; Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 48 (2015), S. 85, 87.
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
dungen zum Steuerrecht war der Grundsatz der Lastengleichheit von Bedeutung651 und seitdem wurde der gleichheitsrechtliche Maßstab permanent fortentwickelt und präzisiert.652 Zur Wahrung der Praktikabilität seiner auf Verallgemeinerung gerichteten Gesetze behandelt der Gesetzgeber unter Umständen etwas Ungleiches gleich, was einer strengen Rechtfertigungsprüfung bedarf.653 Aber auch wenn das Gesetz dieser strengen Prüfung standhält, gibt es Fälle, die zwar noch unter den gesetzlichen Tatbestand subsumiert werden können, in denen sich der Einzelfall aber so stark von der Allgemeinheit abhebt, dass ein Festhalten am Tatbestand des Gesetzes einen Grundrechtsverstoß darstellen würde.654 Eine Verwirklichung von Steuergerechtigkeit655 ist dann ohne das Korrektiv der §§ 163, 227 AO nicht möglich. Ein Billigkeitserlass kann demnach um der Belastungsgleichheit willen geboten sein, wenn das generalisierende Gesetz verfassungsgemäß ist, im Einzelfall aber zu Ergebnissen führt, die dem Belastungsgrund des Gesetzgebers zuwiderlaufen.656 In diesem Zusammenhang ist vor allem das Leistungsfähigkeitsprinzip bedeutsam. Eine Steuererhebung kann sachlich unbillig sein, wenn das Zusammenwirken verschiedener Regelungen zu einer Steuerschuld führt, obgleich dieser kein entsprechender Zuwachs an Leistungsfähigkeit zugrunde liegt. Beispielshaft ist hierfür eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 1994: Der Streitfall war dadurch gekennzeichnet, dass verschiedene materiell- und verfahrensrechtliche Nebenfolgen der Rechtsanwendung zusammen ein Ausmaß an steuerlicher Belastung ergaben, die grundlegenden Wertungen des EStG widersprachen und somit ausnahmsweise eine Korrektur durch Billigkeitsmaßnahmen erforderlich machten.657 Der erhöhten steuerlichen Belastung stand in diesem Fall kein Zuwachs an Leistungsfähigkeit gegenüber, sodass die Belastung nicht gerechtfertigt war. In dem Fall hatte der Gewinn aus dem Wegfall eines negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten zwar zur Erhöhung der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer geführt, dieser lag jedoch keine Betriebsvermögensmehrung zugrunde.658 Das Gericht stellte deshalb im Ergebnis fest, dass die gesamte Steuerbelastung gegen das Übermaßverbot und damit gegen grundlegende Gerechtig651
BVerfGE 6, 55, 70; 84, 239, 268 f. So die Einschätzung von BVerfGE 110, 94, 112; J. Hey, StbJb. 2007/2008, 19, 33. 653 Bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen unterliegt der Gesetzgeber regelmäßig den Anforderungen der „Neuen Formel“, vgl. BVerfGE 55, 72, 88 ff.; 100, 59, 90; 131, 239, 256; 133, 377, 407 f.; R. Wernsmann, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 442; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 20 f. 654 R. Seer, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 21, Rdnr. 336. 655 Zur Steuergerechtigkeit siehe bereits im 4. Kapitel unter B. II. 656 BFHE 151, 221, 224; J. Isensee, in: FS Flume, 1978, S. 129, 136 ff.; G. Bopp, DStR 1979, 215, 216 f.; P. Selmer, JuS 1996, 273. 657 BFHE 176, 3, 7 f. 658 BFHE 176, 3, 8. 652
C. Dispensation aufgrund Verfassungsrechts
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keitsprinzipien verstößt, sodass sich das Ermessen der Finanzverwaltung auf Null reduzierte und ein Steuererlass auszusprechen war.659 Das Leistungsfähigkeitsprinzip war ebenso eines der tragenden Argumente des Sanierungserlasses des Bundesfinanzministeriums.660 Zur Sanierung des Unternehmens konnten Gläubiger dem Schuldner ganz oder teilweise ihre Schulden erlassen, wodurch sich die Verschuldenssumme des Schuldners verringert und das Betriebsvermögen erhöht (Sanierungsgewinn).661 Eine Sanierung ist nach dem Bundesministerium der Finanzen eine Maßnahme, die darauf gerichtet ist, ein Unternehmen oder einen Unternehmensträger vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen.662 Der Billigkeitserlass sollte dazu dienen, den Unternehmern ihre Leistungsfähigkeit zu bewahren. Ferner sollte dieser zum Abbau grundlegender Konflikte zwischen dem Steuerrecht und der Insolvenzordnung beitragen.663 Der große Senat des Bundesfinanzhofs kam jedoch 2017 zu dem Ergebnis, dass ein Forderungsverzicht eines Gläubigers, ungeachtet dessen, ob damit die Erhöhung der Liquidität oder der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verbunden ist, als Betriebseinnahme gemäß § 4 Abs. 1 und 3 EStG, gegebenenfalls i.V.m. § 5 Abs. 1 EStG und § 8 Abs. 1 KStG zu erfassen ist.664 Ferner stellte der Senat fest, dass es sich dabei auch nicht um eine atypische Verlustminderung handelt, sondern um eine notwendige Folge der gesetzlich vorgegebenen Gewinnermittlungsart.665 Durch den Wegfall der Forderung werde das Nettovermögen des Steuerpflichtigen erhöht, sodass sich auch der Gewinn und die darin ausgedrückte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöhen. Es sei des Weiteren unerheblich, dass der Forderungsverzicht als solcher die Liquidität des Unternehmens nicht unmittelbar erhöht. Demgemäß sei es auch ausgeschlossen, eine hierauf beruhende Besteuerung als ungewollte und „überschießende“ Folge einer typisierenden gesetzlichen Regelung zu qualifizieren.666 Insbesondere ging der Senat in seiner Entscheidung auf die fehlende Einzelfallprüfung des Sanierungserlasses ein. So sehe der Sanierungserlass keine Einzelfallprüfung vor, sondern enthalte typisierende Regelungen, welche die sachliche Unbilligkeit pauschal ohne Rücksicht auf die Höhe des Sanierungsgewinns und der darauf entfallenden Steuer sowie ungeachtet der tatsächlichen Gefährdung der Unternehmenssanierung festlegen.667 Es sei jedoch möglich, dass der Sanierungsgewinn so gering ist, dass seine Besteuerung kaum die Gefahr der Unternehmenssanierung befürchten lässt. Im Ergebnis stellt der Senat somit einerseits fest, dass die 659
BFHE 176, 3, 9. BMF-Schreiben vom 27. März 2003, BStBl. I 2003, 240, und Schreiben vom 22. Dezember 2009, BStBl. I 2010, 18. 661 BStBl. I 2003, S. 240. 662 BStBl. I 2003, S. 240. 663 BFHE 249, 299, 311. 664 BFHE 255, 482, 503. 665 BFHE 255, 482, 503 auch zum Folgenden. 666 BFHE 255, 482, 504 auch zum Folgenden. 667 BFHE 255, 482, 505. 660
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums der Finanzen keine ausreichende Gesetzesgrundlage sei, um einen Steuererlass aus Verfassungsgründen zu rechtfertigen und zum anderen, dass die Vorschrift nicht ausreichend bestimmt genug sei und damit gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und gegen die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung verstoße. Dieses Urteil zeigt noch einmal deutlich, dass die generelle Sanierung von Unternehmen nicht auf einen einheitlichen Dispenstatbestand reduziert werden kann. Ob die Unternehmer in ihrer Leistungsfähigkeit verletzt sind, muss immer im jeweiligen Einzelfall genau geprüft werden. Ein pauschaler Sanierungserlass aufgrund eines Verstoßes gegen das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist nicht möglich.
III. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip der Freiheitsrechte Ein weiteres wichtiges Billigkeitskriterium ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Übermaßverbot).668 Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots ergeben sich als übergreifende Leitregeln allen staatlichen Handelns zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten und haben Verfassungsrang.669 Die Verfassung setzt damit der Besteuerung äußere Grenzen.670 Wichtigstes Element der Verhältnismäßigkeit ist die Zumutbarkeit, welche den Maßstab der Billigkeit näher konkretisiert671 und oft mit dem Übermaßverbot umschrieben wird. Das Gebot der Zumutbarkeit ist geprägt von einer Personen- und Situationsgebundenheit,672 die gerade bei der Frage eines Steuererlasses einer genauen Prüfung bedarf. Ob die Steuerfestsetzung/-erhebung unverhältnismäßig ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu bestimmen.673 Schützenswerte Interessen sind auf der einen Seite das Interesse der öffentlichen Hand, dass das erwartete Steueraufkommen nicht 668
BVerfGE 16, 147, 177; 27, 375, 385; 43, 1, 12; 48, 102, 117; I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 306 f.; P. Kirchhof, StuW 2018, 1, 3. Zur Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Belastungsobergrenze, vgl. U. Hutter, NWB 24 (2006), S. 2009, 2010, 2012. Kritisch Chr. Waldhoff, Die Verwaltung 41 (2008), S. 259, 279 f.; P. Kirchhof, StuW 2018, 1, 3. 669 BVerfGE 23, 133, 137 670 K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 417. 671 So z. B. in der Leberpfennig-Entscheidung, vgl. BVerfGE 38, 61, 92, oder in der Entscheidung zur Mineralölsteuer, vgl. BVerfGE 37, 201, 209. Ferner I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 307 und 485 ff. Im Ergebnis ebenso P. Kirchhof, StuW 2018, 1, 3. 672 R. K. Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, 1995, S. 42 ff.; F. Kirchhof, StuW 2002, 185, 198. 673 Die Zumutbarkeit ist daher im Billigkeitsrecht ein individueller Maßstab, dazu I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 488 und 493 ff. Ferner BFHE 96, 283, 286; 163, 313, 317; FG Hamburg EFG 1996, 968, 969; H. W. Kruse, StuW 1960, 477, 483; P. Meincke, DStR 2004, 573, 576; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 28
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vermindert wird674 und auf der anderen Seite das Interesse des Steuerpflichtigen, vor einer übermäßigen Besteuerung geschützt zu werden. Aus diesem Grund ist auch die finanzielle Lage des jeweiligen Steuergläubigers beim Steuererlass angemessen zu berücksichtigen,675 wobei dieses Kriterium allerdings alleine nicht zur Ablehnung des Steuererlasses führen darf.676 Das Interesse des Steuerpflichtigen besteht darin, dass die Ansprüche gegen ihn nicht mit seinen wirtschaftlichen Verhältnissen kollidieren und keine unbillige Härte für ihn durch diese Ansprüche erzeugt wird. Bei dieser Interessenabwägung ist ferner auch der Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten.677 Die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit zeigen, dass dem Billigkeitsbegriff auch ein Gleichheitselement innewohnt: Es findet ein Vergleich zwischen der Normalsituation und dem Einzelfall statt, wonach die Intensität des Eingriffs im Einzelfall besonders hoch sein kann, sodass er sich als Härtefall darstellt. In diesen Fällen gebietet die Herstellung materieller Gleichheit, einen Steuererlass auszusprechen.678
IV. Insbesondere: Die absolute und relative Besteuerungsgrenze aus Verfassungsgründen Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben sich insbesondere eine absolute und eine relative Besteuerungsgrenze für den Gesetzgeber. Diese Grenzen sind nicht nur bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu berücksichtigen, sondern auch bei der Entscheidung über einen Billigkeitserlass. 1. Die Steuer als Eingriff in die Eigentumsfreiheit Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die steuerliche Belastung auch höherer Einkommen im Einzelfall nicht so weit gehen darf, dass der wirtschaftliche Erfolg des Steuerpflichtigen grundlegend beeinträchtigt wird und damit
674 A. Elsen, StuW 1959, 499, 503; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 29. 675 BFH/NV 1990, 213, 214; 1991, 577; OVG Münster, KStZ 1975, 195, 196; O. Bachof, JZ 1972, 641, 646; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 29; Th. Oellerich, in: Beermann/Gosch [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 63. 676 OVG Rheinland-Pfalz KStZ 1962, 100. 677 BFHE 67, 354, 360; FG Hamburg EFG 1962, 218, 220; A. Elsen, StuW 1959, 499, 503 f.; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 30. Für die besondere Bedeutung der Zumutbarkeit bei der Auslegung der Billigkeit siehe I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 294 ff. 678 I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 309; siehe auch BVerfGE 43, 219, 378.
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nicht mehr angemessen zum Ausdruck kommt.679 Mit dieser Entscheidung verabschiedet das Gericht den vorübergehend postulierten Halbteilungsgrundsatz am 22. 6. 1995,680 wonach die „Vermögensteuer … zu den übrigen Steuern auf den Ertrag nur hinzutreten (darf), soweit die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrags bei typisierender Betrachtung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt.”681 Nunmehr konstatiert der Senat, dass sich aus dem Grundgesetz keine konkret zu beziffernde Belastungsobergrenze für die Einkommen- und Gewerbesteuer im Sinne einer höchstens „hälftigen Teilung“ herleiten lasse.682 Vielmehr sei insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Besteuerung ausschlaggebend.683 Dem Steuerpflichtigen muss nach Abzug der Steuerbelastung ein ausreichend hohes frei verfügbares Einkommen verbleiben, das wiederum die Privatnützigkeit des Eigentums deutlich macht;684 dem Steuerpflichtigen ist damit ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich zu belassen.685 2. Die Steuerfreiheit des Existenzminimums als absolute Besteuerungsgrenze An der Spitze der Verfassung steht die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, diese zu achten und zu schützen, Art. 1 Abs. 1 GG. Die Menschenwürde steht in der freiheitlichen Demokratie an oberster Stelle und muss ständig beachtet werden.686 Sie sichert i.V.m. dem Sozialstaats679 BVerfGE 115, 97, 117; P. Kirchhof, StuW 2018, 1, 4. Im Ergebnis ebenso H. Weber, Steuererlass und Steuerstundung, 1980, S. 45. 680 BverfGE 93, 121 ff. 681 BVerfGE 93, 121, 138. 682 BVerfGE 115, 97, 114. 683 R. Mußgnug, VVDStRL 39 (1981), S. 381 f.; ders., JZ 1991, 993, 934; H. Draschka, Steuergesetzgebende Gewalt und Grundrechtsschutz des Eigentums, 1982, S. 180 f., der den Grundsatz der Angemessenheit als Grenzbestimmung heranzieht; J. Hey, StbJb. 2007/2008, 19, 37; R. Wernsmann, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 551. Kritisch H.-J. Friauf, DStJG 12 (1989), S. 3, 7 f.; P. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 1, 18, wonach nur in Zahlen ausgedrückte Grenzen greifen, eine bloße Angemessenheit der Besteuerung wäre aufgrund der Vieldeutigkeit bedeutungslos. Ebenso E.-W. Böckenförde, BVerfGE 93, 121, 149, 158; D. Birk, in: DStJG 22 (1999), S. 7, 21. 684 H. Draschka, Steuergesetzgebende Staatsgewalt und Grundrechtsschutz des Eigentums, 1982, S. 171. Er macht deutlich, dass es bei der Bestimmung der verfassungsmäßigen Besteuerungsgrenze nicht auf das Existenzminimum ankommt, sondern vielmehr auf die „grundgesetzliche Wertstellung der privatnützigen bürgerlichen Aktivität“. 685 BVerfGE 87, 153, 160; 93, 121, 137; BFHE 257, 20, 25; H. W. Kruse, in: FS Friauf, 1996, S. 793. 686 BVerfGE 5, 85, 204; 6, 32, 36; H. Draschka, Steuergesetzgebende Staatsgewalt und Grundrechtsschutz des Eigentums, 1982, S. 148; I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 447.
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prinzip die materielle Existenz687 und muss daher auch bei einem Steuererlass aus persönlichen Gründen beachtet oder zumindest bei der verfassungsrechtlichen Auslegung der Billigkeitsgründe hinzugezogen werden.688 Die Würde des Menschen vermittelt die Möglichkeit einer staatsfreien selbstverantwortlichen Eigengestaltung des Einzelnen689 und ist daher die normative Ausprägung der Eigenständigkeit des Menschen.690 Die Steuern sind der Preis für die Freiheit, aber ein Übermaß an Steuern bringt wiederum den Verlust der Freiheit mit sich.691 Die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die die Gewährleistung des steuerfreien Existenzminimums beinhaltet, stellt einen zentralen, obersten Wert unserer Verfassung dar.692 Materielle und somit finanzielle Mittel sind die wirtschaftlichen Grundlagen eines menschenwürdigen Daseins.693 Das Gebot, die Menschenwürde zur Sicherung der materiellen Existenz zu beachten, ist umgesetzt in der Sozialhilfe und den Vorschriften zum Schutz des Schuldners in der ZPO.694 Das Bundesverfassungsgericht hat das subjektiv-öffentliche Recht auf Sozialhilfe bestätigt, welches sich aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip ergibt.695 Das wirtschaftliche Existenzminimum ist somit ein notweniger Bestandteil der Menschenwürde und gegen den Steuereingriff verfassungsrechtlich gesichert. Der Umfang und die Höhe des Existenzminimums werden vom Deutschen Bundestag in seinem „Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern (Existenzminimumbericht)“ alle zwei Jahre neu bestimmt, um diese an geänderte Begebenheiten und den strukturellen Wandel anzupassen.696 687
BVerfGE 99, 246, 259; 125, 175, 222 f.; H. Weber, Steuererlass und Steuerstundung, 1980, S. 44; H.-J. Pezzer, in: FS Zeidler, Bd. 1, 1987, S. 757, 764; J. Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 193; C. Farr, Paradigmenwechsel beim Steuererlass, 2002, S. 75; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 109. 688 H. Weber, Steuererlass und Steuerstundung, 1980, S. 44. A.A. Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 109. 689 BVerfGE 27, 1, 6; H. Draschka, Steuergesetzgebende Staatsgewalt und Grundrechtsschutz des Eigentums, 1982, S. 148 f. 690 H. Draschka, Steuergesetzgebende Staatsgewalt und Grundrechtsschutz des Eigentums, 1982, S. 149. 691 F. A. v. d. Heydte, in: FS Paulick, 1973, S. 267. 692 BVerfGE 27, 1, 7; 30, 173, 193; 32, 98, 108; 45, 187, 227; 82, 60, 85; 99, 216, 233; 99, 246, 259; 120, 125, 154 f.; 125, 175, 222 f.; J. Lang, StuW 1983, 103, 119; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 401, 420 ff.; W. Höfling, in: Sachs [Hrsg.], GG, Art. 1, Rdnr. 34; A. Nußberger, in: Sachs [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 153. 693 G. Dürig, JR 1952, 259, 262; J. Lang, StuW 1983, 103, 119. 694 C. Farr, BB 2002, 1989, 1991. 695 BVerfGE 66, 214, 224; 87, 153, 170 ff.; 99, 246, 259; 125, 175, 213; J. Lang, StuW 1983, 103, 119; A. Nußberger, in: Sachs [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 158. Kritisch bzgl. des Ausreichens der Höhe der Sozialhilfe für die Grenze des Existenzminimums J. Lang, Einkommensteuer, 1987, S. 38, 41. 696 Der letzte Bericht wurde für das Jahr 2018 veröffentlicht. Für 2018 ergibt sich danach ein Freibetrag für das Existenzminimum eines Erwachsenen von 9.000 E (Grundfreibetrag) bzw.
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Dieser Grundsatz entfaltet auch beim Steuererlass seine Wirkung, indem die Menschenwürde vor allem dann verletzt ist, wenn Gesetze schablonenhaft angewandt und die Tatbestandsvoraussetzungen vordergründig als erfüllt angesehen werden, die besonderen Umstände des Einzelfalls aber unberücksichtigt bleiben.697 Spätestens wenn die Besteuerungsgrenze so niedrig ist, dass der Steuerpflichtige unter das Existenzminimum gedrängt werden würde, greifen Billigkeitserwägungen.698 Die materielle Existenz impliziert zunächst die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse, die größere Bedeutung haben jedoch die seelischen Interessen.699 Und genau diese Gedanken müssen auch bei der Anwendung der §§ 163, 227 AO beachtet werden.700 Das Existenzminimum und somit die Menschenwürde kommen vor allem bei persönlichen Billigkeitsgründen zum Tragen.701 Es ist dabei allerdings immer genau zu prüfen, um welche Steuer es sich handelt, die erlassen werden soll. Insofern ist zu berücksichtigen, ob sich der Steuerpflichtige der Steuererhebung entziehen kann oder nicht. So ist beispielsweise die Erhebung der Hundesteuer gegen Hundehalter, die Leistungen nach den SGB II oder SGB XII beziehen, nicht grundsätzlich wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Sicherung des Existenzminimums unverhältnismäßig, da die Steuer keine Steuer auf das Einkommen, sondern eine Aufwandsteuer darstellt.702 Insoweit ist es unerheblich, ob sich der Hundehalter die Hundehaltung tatsächlich leisten kann.703 Ein Erlass der Hundesteuer kommt somit nicht in Betracht.704 Hingegen ist der Erlass der Kapitalertragsteuer auf Kapitalerträge aus einer Kapitallebensversicherung nach § 227 AO als geboten anzusehen, wenn dies zur eines Kindes von 7.428 E (Kinderfreibetrag zuzüglich des Freibetrags für Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf), vgl. BT-Drs. 18/10220, S. 9 f. 697 Allgemein zur Verletzung der Menschenwürde I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 447. 698 FG Berlin-Brandenburg, EFG 2012, 480, 481; I. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln, 1991, S. 447. 699 C. Farr, Paradigmenwechsel beim Steuererlass, 2002, S. 75 f., auch zum Folgenden. 700 Ebenso C. Farr, BB 2002, 1989, 1991, auch zum Folgenden. 701 Vgl. BVerfGE 99, 246, 267; FG Schleswig-Holstein, EFG 2003, 590, 591; FG BerlinBrandenburg, EFG 2012, 480, 481; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 21; R. v. Groll, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227, Rdnr. 297. 702 VG Düsseldorf, Urteil vom 23. März 2009 – 25 K 8240/08 –, juris, Rdnr. 22. 703 VG Düsseldorf, Urteil vom 23. März 2009 – 25 K 8240/08 –, juris, Rdnr. 28. 704 Das VG Düsseldorf hatte die Hundesteuer im vorliegenden Fall dennoch aus einem anderen Grund um ein Viertel erlassen, weil die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Ermäßigung der Hundesteuer nach § 5 Abs. 3 der Hundesteuersatzung der Klägerin allein aufgrund der falschen Handhabung des Beklagten unmöglich gemacht worden ist. Es lag somit ein Verschulden der Finanzbehörde vor, welches zum Teilerlass führte, vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 23. März 2009 – 25 K 8240/08 –, juris, Rdnr. 48.
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Sicherung der Existenzgrundlage des Steuerpflichtigen im Alter erforderlich ist.705 In einem vom niedersächsischen Finanzgericht dazu entschiedenen Fall konstatierte das Gericht, dass sich die wirtschaftliche Situation des Klägers durch einen Erlass deutlich verbessern würde, da ihm mit dem Erlassbetrag jedenfalls für einige (weitere) Jahre Mittel für eine bescheidene Lebensführung zur Verfügung stünden.706 Nach Auffassung des Gerichts kann der Grundsatz, nach dem einem nicht mehr erwerbstätigen Steuerpflichtigen zur Sicherung seiner Existenz der erforderliche Betrag für eine Versicherung gegen Einmalprämie über sofort fällige Leibrentenbezüge in entsprechender Höhe zu belassen sind, nur zugunsten eines Steuerpflichtigen angewendet werden.707 Im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung kann hieraus hingegen nicht der Umkehrschluss zu Lasten eines Steuerpflichtigen gezogen werden, dass seine wirtschaftliche Existenz nach Beendigung des Erwerbslebens schon deshalb ernsthaft gefährdet bliebe, weil sein Vermögen – auch nach der begehrten Billigkeitsmaßnahme – nicht für eine Leibrente gegen Einmalzahlung in ausreichender Höhe genügen würde.708 Reicht das Vermögen des Steuerpflichtigen nicht für eine solche Leibrente gegen Einmalzahlung aus, ist ihm der begehrte Erlass auch zu gewähren, wenn aufgrund der Billigkeitsmaßnahme das Existenzminimum jedenfalls für einen beträchtlichen Zeitraum, wenn auch nicht notwendigerweise bis zum Lebensende, gesichert werden kann.709 3. Insbesondere: Die Erdrosselungssteuer als relative Besteuerungsgrenze Bei der Prüfung eines Steuererlasses aus Verfassungsgründen sind zudem die Grundsätze der Erdrosselungssteuer heranzuziehen. Es können in besonders gelagerten Fällen die Grundrechte der Steuerpflichtigen in bedeutender Weise beeinträchtigt werden, sodass für die Finanzbehörden die Pflicht zu einem Billigkeitserlasses besteht.710 Das Bundesverfassungsgericht hat noch nie eine Norm insgesamt als erdrosselnd und somit verfassungswidrig bewertet. Häufig hat es dagegen mit der Situation zu tun, dass das Gesetz verfassungsgemäß ist, die Regelung im Einzelfall aber zu einer erdrosselnden Wirkung führen kann. So hielt beispielsweise der Dreierausschuss des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts einen auf Art. 14 GG
705 So FG Niedersachsen, EFG 2018, 432, 433 f. In dieser Entscheidung wird zwar mit dem Existenzminimum argumentiert, Art. 1 Abs. 1 GG wird allerdings nicht genannt. 706 FG Niedersachsen, EFG 2018, 432, 434. 707 A.a.O. 708 A.a.O. 709 A.a.O. 710 BVerfGE 48, 102, 114; 50, 57, 86; G. Bopp, DStR 1979, 215; B. Schmidt-Bleibtreu, BB 1978, 1060, 1061; ders./H.-J. Schäfer, DÖV 1980, 489, 495; R. Mußgnug, JZ 1991, 993, 995 f.
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gestützten Anspruch auf Steuererlass wegen im Einzelfall eintretender konfiskatorischer Wirkung der Steuer für möglich.711 Der Begriff der Erdrosselung wurde vom Bundesverfassungsgericht geprägt, um die Garantie des Eigentums in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gegen eine konfiskatorische Besteuerung in Stellung zu bringen.712 Ab einer gewissen Intensität der steuerlichen Belastung hält das Gericht demnach einen das Eigentum verletzenden Steuereingriff für möglich.713 Dogmatisch konnte das Gericht mit der Kategorie nicht überzeugen, da durch diese Begründung die Schutzbereichseröffnung und die Rechtsverletzung uno actu zusammenfallen, ohne dass das Gericht jemals eine substanzbeeinträchtigende Steuer festgestellt hat; der Schutzbereich ist dadurch praktisch automatisch eröffnet.714 Allerdings erscheint die Erdrosselungssteuer bisher eher eine „theoretische Figur“715 geblieben zu sein. Aus der Verfassung ergibt sich lediglich der Grundsatz, dass der Staat dem Steuerpflichtigen zumindest so viel Einkommen steuerfrei belassen muss, wie dieser zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt. Dies ergibt sich bereits aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG.716 Teilweise setzt das Bundesverfassungsgericht daher eine erdrosselnde Wirkung mit der Existenzgefährdung des Steuerpflichtigen gleich.717 Des Weiteren sei eine Steuer erdrosselnd, wenn sie das Übermaßverbot überschreitet, die individuellen Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigt oder den Steuerpflichtigen wirtschaftlich gefährdet.718 711 BVerfG, NJW 1976, 101. Zustimmend K. H. Friauf, DÖV 1980, 480, 485. Ferner U. Seetzen, NJW 1974, 1222, 1225. A.A. wohl R. Mußgnug, JZ 1991, 993, 995 f., wonach der Einzelfall einer anderen Beurteilung bedarf. 712 BVerfGE 17, 135, 137; 87, 153, 169; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 184. 713 A.A. R. Wernsmann, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 550, wonach nicht in jeder ein bestimmtes Verhalten erdrosselnden Steuer ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG liegt; vielmehr komme es darauf an, welches konkrete Verhalten durch die Steuer verhindert wird. Insofern sei eine Unterscheidung zwischen Belastungs- und Gestaltungssteuern notwendig. 714 J. Hey, StbJb. 2007/2008, 19, 26 f. Kritisch: Chr. Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, § 116, Rdnr. 117 a.E.; U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig [Hrsg.], GG, Art. 14, Rdnr. 98 f.; O. Depenheuer/J. Froese, in: Mangoldt/Klein/Starck [Hrsg.], GG, Art. 14, Rdnr. 16 f. Differenzierter, aber im Ergebnis zustimmend R. Wernsmann, NJW 2006, 1169, 1172 f.; ders., in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 548 ff. 715 J. Hey, StbJb. 2007/2008, 19, 27. 716 BVerfGE 82, 60, 79 f.; R. Mellinghoff, Stbg. 2005, 1, 5; H.-J. Papier, in: FS Vogel, 2000, S. 117, 126 717 So BVerfGE 70, 219, 230. 718 Seit BVerfGE 2, 237, 261 st. Rspr., vgl. BVerfGE 14, 221, 241; 19, 119, 128 f.; 23, 288, 315; 30, 250, 271 f.; 31, 8, 23; 63, 343, 368; 78, 232, 243; 82, 152, 190; BVerfGE 105, 17, 27. Zustimmend E. Benda/K. Kreuzer, DStZ (A) 1973, 49, 57. Kritisch H.-J. Friauf, DStJG 12 (1989), S. 3, 7 f.; P. Kirchhof, AöR 128 (2003), 1, 18, wonach nur in Zahlen ausgedrückte
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Auch wenn sich eine Belastungsobergrenze nicht quantifizieren lässt, so sind zumindest verfassungsmäßige Kriterien zur Qualifizierung deutlich zu machen, die im Einzelfall berücksichtigt werden müssen. Es ist in Abhängigkeit von der jeweiligen Steuer, ihrem Zweck und der Intensität der Belastung zu beurteilen, wann diese Besteuerungsgrenze erreicht ist. Die Erdrosselungssteuer ist zwar überwiegend im Einkommensteuerrecht und damit in der Eigentumsgarantie verankert, allerdings lassen sich diese Grundsätze auf alle anderen Freiheitsrechte übertragen.719 Insbesondere wird der Gedanke der Erdrosselungssteuer neben Art. 14 Abs. 1 GG auch bei Art. 12 Abs. 1 GG für möglich gehalten.720 Zu berücksichtigen sind allerdings die Besonderheiten der jeweiligen Schutzbereiche im Vergleich zur Eigentumsgarantie. Bei der Eigentumsgarantie geht es vor allem um den Schutz des Existenzminimums und eine angemessene Lebensführung mit dem vorhandenen Eigentum beziehungsweise um den Schutz der Privatnützigkeit des Einkommens. Bei der erdrosselnden Steuer mit Bezug zur Berufsgarantie stellt sich hingegen die Frage, ob eine Steuer die Ausübung des Berufes lediglich negativ beeinflusst oder diesen unmöglich macht. Die erdrosselnde Steuer erhält so verschiedene Schutzwirkungen, je nachdem welches Grundrecht betroffen ist, sodass der jeweilige Maßstab unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann.721 Die Untergrenze stellt das von der Menschenwürde garantierte Existenzminimum dar,722 die Obergrenze hingegen ist höher anzusetzen und soll dem Steuerpflichtigen einen „Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich sichern und ihm dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens ermöglichen.“723 Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit sind zunächst die verschiedenen Einkommensgruppen zu vergleichen. Der Billigkeitserlass soll danach nicht die
Grenzen greifen, eine bloße Angemessenheit der Besteuerung wäre aufgrund der Vieldeutigkeit bedeutungslos. 719 J. Wieland, DStJG 24 (2001), S. 29, 31. Ebenso K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 449, wonach das auf allen Freiheitsrechten zugrundeliegende Prinzip zu rekurrieren ist; G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 254. 720 BVerfGE 16, 147, 165 f.; 38, 61, 81; zuletzt BFH, Urteil vom 25. April 2018 – II R 43/ 15 –, juris, Rdnr. 28; U. Seetzen, NJW 1974, 1222, 1223; H.-W. Arndt/A. Schumacher, NJW 1995, 2605; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 433 mit dem Hinweis, dass an die Freiheitsrechte der Art. 12 und 14 GG keine unterschiedlichen Maßstäbe angelegt werden dürfen. 721 Ähnlich R. Wernsmann, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 550. 722 BVerfGE 87, 153, 169 f.; 99, 216, 231 ff.; 99, 246, 259 f.; P. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 1, 14. 723 BVerfGE 34, 238, 245; 69, 272, 300; 70, 278, 285; 97, 250, 371. Im Ergebnis ebenso: BVerfGE 107, 27, 49; 112, 268, 280; 122, 210, 234 f.; H. Draschka, Steuergesetzgebende Staatsgewalt und Grundrechtsschutz des Eigentums, 1982, S. 170 f.; K. Tipke, StRO, Bd. I, S. 450; G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 284.
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
Unterschiede zwischen arm und reich ausgleichen, sondern den wirtschaftlichen Erfolges einer langfristigen ertragsbringenden Erwerbstätigkeit sichern.724 Von Bedeutung ist ferner, dass sich die Intensität je nach Vermögensposition und Steuerart unterschiedlich stark auswirkt.725 Es muss unterschieden werden, welcher Bereich der Besteuerung betroffen ist. Die Vermögensteuer wird beispielsweise nach dem Gesamtvermögen bemessen und knüpft an das bereits bestehende Eigentum an. Alle anderen Steuern wählen aus der Vermögensgesamtheit einen Steuergegenstand aus, um dieses spezielle Eigentum gesondert zu besteuern.726 Der Steuerschuldner wird beispielsweise steuerlich belastet, weil er Einkommen bezieht, Grundbesitz hat oder aber ein Kraftfahrzeug hält. Eine Vermögensteuer kann demnach bei einem noch verhältnismäßig geringen Prozentsatz dennoch erdrosselnd sein, weil sie das Vermögen als Ganzes besteuert und somit einen viel größeren Angriffsgegenstand bietet, wohingegen bei einer Einkommensteuer, die nur das zufließende Einkommen besteuert, mit dem gleichen Prozentsatz dieser Punkt noch nicht erreicht sein dürfte.727 Es macht demnach einen Unterschied, ob das Einkommen in der Phase seines Zuflusses oder aber in der Phase seiner Speicherung durch Zugriff auf einzelne Gegenstände belastet wird. Wenn das Einkommen mit 30 % besteuert wird, der Steuerpflichtige somit ein um 30 % gemindertes Einkommen erhält, so wird das „fließende“ Einkommen besteuert, und der Steuerpflichtige kann dies in seine Kalkulation einplanen. Es wird somit nicht die Substanz selbst der Steuer unterworfen. Wenn hingegen ein Grundstück mit 30 % steuerlich belastet wird, so kann der Steuerpflichtige dies unter Umständen nicht mehr halten und muss das Grundstück verkaufen, wodurch dieser sein Eigentum direkt verliert. Der Grundstücksverlust wird für den Steuerpflichtigen regelmäßig eine größere Last darstellen. Sofern auf einen Kaufpreis 20 % Umsatzsteuer draufgeschlagen werden, so ist diese Last geringer, als wenn ein Sparguthaben auf einem Sparbuch mit diesem Steuersatz belastet wird. Der Unterschied liegt darin, dass ein anderer Eigentumsinhalt zugrunde gelegt wird.728 Das Eigentum an körperlichen Gegenständen stellt ein absolutes dingliches Recht dar, in welches durch die Besteuerung eingegriffen wird. Das Einkommen 724
BVerfGE 115, 97, 117. Anders sieht dies wohl H. Draschka, Steuergesetzgebende Staatsgewalt und Grundrechtsschutz des Eigentums, 1982, S. 169 f., wonach eine absolute Ertragsgröße, die dem Menschen eine Selbstbestimmung in Anbetracht seiner existenziellen Zwecke erlaubt, nur in den unteren mittleren und untersten Einkommensbereichen begrenzt. Bei Einkommen in oberen Bereichen verbleibt genügend finanzieller Spielraum zur Erlangung einer gewissen Unabhängigkeit. 725 Insofern ist der Ansicht von W. Rüfner, DVBl. 1970, 881, 882 ff. zuzustimmen, der bereits sehr früh auf die Unterscheidung zwischen Einkommens- und Vermögensteuer aufmerksam gemacht. Ferner auch G. Kirchhof, in: Herrmann/Heuer/Raupach [Begr.], EStG/ KStG, Einf. zum EStG, Rdnr. 354. Ähnlich auch H. Draschka, Steuergesetzgebende Staatsgewalt und Grundrechtsschutz des Eigentums, 1982, S. 100 f. 726 P. Kirchhof, VVDStRL 29 (1981), S. 213, 237 auch zum Folgenden. 727 In diese Richtung ebenso P. Kirchhof, VVDStRL 29 (1981), S. 213, 237. 728 P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 776 f.; ders., Besteuerungsgewalt und Grundgesetz, 1973, S. 36 f. auch zum Folgenden.
C. Dispensation aufgrund Verfassungsrechts
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sowie Leistungen und Gegenleistungen hingegen werden vom „Gedanken der Vertragsfreiheit“ geprägt, unterliegen demnach dem freien Willen der jeweiligen Parteien und stellen liquides Eigentum dar. Bezüglich des Eigentumsinhalts und der jeweiligen Intensität der Besteuerung sind demnach „objekt- und ertragsbezogene“ Steuern zu unterscheiden.729 Verfassungsrechtlich problematisch sind die Bestandssteuern sowie auch gleichwertig die Verkehrs- und Lenkungssteuern. Die Lenkungssteuern wirken im Grundsatz, sofern nicht der Existenzbedarf betroffen ist, besonders freiheitsschonend, weil sie die Disposition in die Hände des Betroffenen legen.730 Allerdings verlagert sich die Steuerbelastung immer mehr auf den Konsum, wodurch die indirekten Steuern zunehmend verfassungsrechtlich problematisch werden. Aufgrund ihrer regressiven Wirkung beschneiden die Verbrauchsteuern die Konsummöglichkeiten kleinerer Einkommen stärker als die höherer Einkommen.731 Freiheit heißt, dass man sich für seine eigenen Anstrengungen auch mehr leisten kann; wer mehr arbeitet, sich mehr anstrengt und dadurch ein höheres Einkommen erhält, dem darf man nicht den Vorwurf machen, er verdiene zu viel, sodass das von ihm Verdiente wieder umverteilt werden müsse.732 Wer viel arbeitet, dem muss von dem von ihm Verdienten so viel verbleiben, dass er damit wirtschaftlich angemessen leben kann;733 es muss sich noch lohnen, viel zu arbeiten, um dann auch mehr Einkommen zur Verfügung zu haben. Somit ist in Notzeiten gewiss auch ein höherer Steuersatz möglich, allerdings ist der besondere Finanzbedarf des Staates kein Rechtfertigungsgrund für den Eingriff in den existenznotwendigen Bedarf.734
V. Billigkeitserwägungen bei abwälzbaren Steuern 1. Sachliche und persönliche Billigkeitsgründe Ein Billigkeitserlass aus Verfassungsgründen ist auch bei abwälzbaren Steuern anwendbar, wenn die Steuer nicht mehr abgewälzt werden kann.735 So sah bei729 P. Kirchhof, Besteuerungsgewalt und Grundgesetz, 1973, S. 37; ders., VVDStRL 29 (1981), S. 213, 243 ff., 276; ders., in: FS Scupin, 1983, S. 775, 787; P. Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, 1972, S. 316 f. 730 P. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 1, 16. 731 Für eine stärkere Berücksichtigung der indirekten Steuern: J. Hey, StbJb. 2007/2008, 19, 29. A.A. Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 170, wonach kein Umsatzsteuererlass wegen Verstoßes gegen Freiheitsrechte denkbar ist, da eine erdrosselnde Wirkung bei der Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer nicht vorliegen könne. 732 P. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 1, 16. 733 So wohl auch R. Mußgnug, JZ 1991, 993, 995, wenn er davon spricht, dass dem Bürger durch das Leistungsfähigkeitsprinzip darüber hinaus (gemeint ist damit das Existenzminimum) so viel zu belassen ist, dass er ein seinem Beruf und seinem Einkommen entsprechendes Leben führen kann. 734 P. Kirchhof, AöR 128 (2003), S. 1, 17 f. 735 G. Ohlf, UR 1994, 264, 265; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 166; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 35.
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
spielsweise der Hessische Verwaltungsgerichtshof bezüglich der nachträglichen Erhöhung der Grundsteuer einen Verfassungsverstoß als gegeben an.736 Nach Auffassung des Gerichts bestand die Unbilligkeit darin, dass für den größten Teil der grundsteuerpflichtigen Wohnraumvermieter die Abwälzbarkeit der Grundsteuer in diesem Fall erhalten blieb, wohingegen diese Möglichkeit aufgrund der Verzögerung der Verwaltung für den Kläger nicht mehr bestand. Dies stelle einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar.737 Diese Ungleichbehandlung müsse dann mit § 227 AO korrigiert werden.738 In dieser Entscheidung war nicht die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen erlassbegründend, sondern die Ungleichbehandlung der Vermieter, mithin ein sachlicher Billigkeitsgrund. Weitaus problematischer ist das Vorliegen von persönlichen Billigkeitsgründen bei abwälzbaren Steuern. Abwälzbare Steuern stellen in der Regel einkalkulierbare Geschäftskosten dar, mit denen der Steuerpflichtige zu rechnen hat und die dieser in seine Gesamtkosten einkalkulieren kann.739 So ist beispielsweise die Umsatzsteuer eine abwälzbare Steuer, welche die Leistungsfähigkeit des Unternehmers im Regelfall nicht tangiert.740 Bei abwälzbaren Steuern kann daher im Grundsatz selten eine persönliche Unbilligkeit vorliegen, wohingegen nicht abwälzbare Steuern der vollen Möglichkeit eines Steuererlasses unterliegen.741 Diese Ansicht sieht das Kriterium der persönlichen Verhältnisse und der Leistungsfähigkeit als ein einheitliches Kriterium. Festzuhalten ist jedoch, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip nur im Grundsatz keine Anwendung bei abwälzbaren Steuern findet, da diese gerade unabhängig von der persönlichen Leistungsfähigkeit des Steuerträgers erhoben werden.742 Dies hat allerdings nicht zur Folge, dass auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerträgers beim Steuererlass nicht mehr berücksichtigt werden müssen.743 Die §§ 163, 227 AO wollen gerade die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen im Einzelfall berücksichtigen und dies gerade unabhängig von der jeweiligen Steuerart.744 Zur Begründung sei hier nochmals auf 736 Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil v. 13. Februar 1980 – V OE 23/78 –, juris. Zu dieser Entscheidung siehe bereits im 2. Kapitel unter C. I. 3. a). 737 Hessischer VGH, Urteil v. 13. Februar 1980 – V OE 23/78 –, juris, Rdnr. 37. Ebenso vorgehend VG Frankfurt, NJW 1978, 1020, 1021. 738 Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil v. 13. Februar 1980 – V OE 23/78 –, juris, Rdnr. 37. Ebenso vorgehend VG Frankfurt, NJW 1978, 1020, 1021. 739 BFHE 244, 184, 189; G. Ohlf, UR 1994, 264, 265; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 166. 740 BFHE 116, 87, 90; FG Nürnberg, EFG 1982, 326, 327. 741 A.a.O. Ferner C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, 1999, S. 80. Für eine strikte Trennung ebenso T. v. Bodungen, Rechtskraftdurchbrechung im Steuerrecht, 1968, S. 175 f. 742 BFHE 116, 87, 90. Ausführlich dazu J. Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 107 ff. 743 Vgl. D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6202; B. Spilker, BB 2017, 1758, 1761; R. v. Groll, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 146. 744 So auch die Begründung von M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 32. Ferner D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6202.
C. Dispensation aufgrund Verfassungsrechts
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das Leistungsfähigkeitsprinzip und dessen Wirkung hingewiesen. Dieses konkretisiert sich bei den direkten und unabwälzbaren Steuern im zufließenden oder gespeicherten Einkommen (Vermögen), bei den indirekten Steuern hingegen, welche regelmäßig abwälzbar sind, in der Verwendung des Einkommens (Vermögens).745 Bei den indirekten Steuern wird mithin die Konsumleistungsfähigkeit erfasst, denn aufgrund der Überwälzung dieser Steuer vom Unternehmer auf den Endverbraucher wird Letzterer belastet, sodass dessen Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden muss.746 Es ist mithin immer genau zu prüfen, um welche Steuerart es sich handelt und ob diese abgewälzt werden kann.747 Steuerarten, die dem Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit folgen, sind somit eher einer Billigkeitsmaßnahme zugänglich als andere Steuerarten. Das Leistungsfähigkeitsprinzip entscheidet damit über die Strenge der Prüfung.748 Dies impliziert jedoch nicht die These, dass ein Erlass abwälzbarer Steuern nicht möglich ist.749 2. Allgemeine Voraussetzungen des Billigkeitserlasses bei abwälzbaren Steuern Das System zur Erhebung von Verbrauchsteuern ist so ausgestaltet, dass der Unternehmer in Vorleistung treten muss, die Steuer demnach abführt, bevor der Konsumakt erfolgt.750 Der Unternehmer muss die Verbrauchsteuer also zu einem Zeitpunkt an die Finanzbehörde abführen, in dem noch gar nicht feststeht, ob eine spätere Konsumaufwendung eines Endverbrauchers dazu führt, dass die Steuerbelastung des Unternehmers nachträglich durch eine entsprechende Einnahme neutralisiert wird. Die Verbrauchsteuer bleibt für den Steuerschuldner jedoch nur dann neutral, wenn es ihm gelingt, diese auf den gesetzlich intendierten Steuerträger zu überwälzen.751 Es ist möglich, dass der Unternehmer die Steuer nicht auf den Endverbraucher abwälzen kann, sodass das eigentliche Belastungsziel verfehlt wird und die Leistungsfähigkeit des Unternehmers sinkt. Wenn die abwälzbare Steuer im Einzelfall nicht mehr abwälzbar ist, so kann ein Steuererlass aus sachlichen Bil-
745
W. Reiß, in: FS Tipke, 1995, S. 433, 434; H. Schaumburg, in: FS Reiss, 2008, S. 25, 32; auch zum Folgenden. 746 J. Lang, Bemessungsgrundlage, 1988, S. 112 f. 747 Eine ausführliche Auflistung möglicher erlasswürdiger Steuerarten und deren Erläuterung finden sich bei D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6202 ff. 748 C. Farr, Paradigmenwechsel beim Steuererlass, 2002, S. 18. 749 C. Farr, Paradigmenwechsel beim Steuererlass, 2002, S. 33; C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, 1999, S. 69. 750 B. Spilker, BB 2017, 1758, 1759. 751 B. Spilker, BB 2017, 1758, 1759.
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
ligkeitsgründen in Betracht kommen,752 wenn die Härten zu einer Gefährdung des Lebensunterhalts führen.753 Allerdings rechtfertigt allein die Unabwälzbarkeit keinen Steuererlass.754 Zwar gehört die Abwälzbarkeit zum Wesen einer Verbrauchsteuer,755 jedoch hat der Gesetzgeber mit der Konzeption einer indirekten Steuer besondere Härten im Einzelfall in Kauf genommen.756 Das Gesetz hat grundsätzlich dem Unternehmer das Risiko der Unabwälzbarkeit aufgebürdet, da dieser es selbst in der Hand hat zu entscheiden, mit wem er Verträge schließt und er sich vorher ausreichend nach der Zahlungsfähigkeit seiner Vertragspartner erkundigen kann.757 Besonders die Begründung, die Steuer hätte nicht auf die Kunden abgewälzt werden können, da diese entweder zahlungsunfähig oder verstorben seien, rechtfertigt somit noch keinen Billigkeitserlass.758 Zum einen reicht bei Verbrauchsteuern die bloße Möglichkeit einer kalkulatorischen Überwälzung aus; der Unternehmer muss mit einem gewissen Ausfallrisiko der Zahlung rechnen und dieses einkalkulieren.759 Ferner handelt es sich bei dieser Begründung nicht um einen atypischen Einzelfall, vielmehr stellt es ein allgemeines Risiko dar, dass Kunden zahlungsunfähig werden oder versterben, sodass diese Fallgruppen nicht als atypisch angesehen werden können.760 Ein Unternehmer, der beispielsweise Umsatzsteuer schuldet, gerät zwar in Not, wenn sein Auftraggeber den Werklohn schuldig bleibt und nicht zahlt. Allerdings besteht in diesem Fall die Möglichkeit einer nachträglichen Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG, wodurch dieser von der Umsatzsteuer befreit wird und für eine Billigkeitsmaßnahme nach den §§ 163, 227 AO kein Raum mehr bleibt.761 752 BVerfGE 27, 375, 385; BFHE 116, 87, 90; FG Saarland, EFG 1968, 541, 542; FG Brandenburg EFG 1995, 790, 791; H.-U. Waiblinger, Gesetzmäßigkeit und Ermessensfreiheit, 1966, S. 72 und 76; K. Tipke, Steuergerechtigkeit, 1981, S. 113; M. Bormann, Billigkeitsgründe im Erlassverfahren, 1982, S. 27; G. Ohlf, UR 1994, 264; Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 171 f.; B. Spilker, BB 2017, 1758, 1761; R. Rüsken, in: Klein [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 6. 753 So auch G. Ohlf, UR 1994, 264, 265; C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, 1999, S. 80 f.; C. Stein, Billigkeit im Steuererhebungsverfahren, 2000, S. 126. 754 C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, 1999, S. 80. 755 BVerfGE 27, 375, 385. 756 M. Bormann, Billigkeitsgründe im Erlassverfahren, 1982, S. 27. So stellte auch das BVerwG klar, dass der Gesetzgeber u. U. die Unabwälzbarkeit in Kauf genommen hat, vgl. BVerwG, NJW 1982, 2682, 2683 f. bzgl. der Grundsteuer, welche nicht mehr auf den Mieter umgewälzt werden konnte. Um den Mieter vor nachträglichen Mietnebenkosten zu schützen, ist es gerechtfertigt, dass die Steuer auch nicht mehr nachträglich umgewälzt werden kann. A.A. noch VG Frankfurt, NJW 1978, 1020 ff.; bestätigt durch VGH Kassel, NJW 1981, 701. 757 Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 172. 758 Vgl. BFHE 244, 184, 189; BFH/NV 2015, 1010, 1011 f. 759 BVerfGE 31, 8, 20; BFHE 141, 369, 375. 760 Dies urteilte der BFH u. a. in einem Fall, in dem die Ausfallquote lediglich 0,12 % betraf und somit nicht unverhältnismäßig war, vgl. BFHE 244, 184, 188 f., 193. 761 Chr. Becker, Der Steuererlass nach § 227 AO, 2003, S. 172.
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Es gibt daher nur wenige Entscheidungen, in denen die Gerichte deutlich gemacht haben, wann ein Billigkeitserlass bei nicht abwälzbaren Steuern aus persönlichen Gründen in Betracht kommt. So stellt beispielsweise die Nachsteuer auf Schaumwein und Branntwein eine Verbrauchsteuer dar, welche auf die Abwälzung auf den Endverbraucher gerichtet ist.762 Der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte 1970 lediglich fest, dass die Möglichkeit eines Billigkeitserlasses nach § 131 AO a.F. in Betracht kommt, wenn Händlern die Überwälzung der Nachsteuer nicht gelungen sei und Härten entstanden sind.763 Wann eine solche Härte erreicht ist, sagte das Gericht allerdings nicht. 3. Besondere Erstattungsregelungen im Energiesteuerrecht Anders als alle anderen Verbrauchsteuergesetze enthält § 60 Abs. 1 EnergieStG eine besondere Erstattungsregelung. Danach hat der Verkäufer einen Erstattungsund Vergütungsanspruch gegen die Finanzbehörde, wenn er die Energiesteuer wegen Zahlungsunfähigkeit des Abnehmers auf diesen nicht abwälzen kann, vorausgesetzt, dies ließe sich durch Verfolgung des Zahlungsanspruchs nicht vermeiden.764 Diese Regelung reduziert nicht nur den wirtschaftlichen Schaden der Verkäufer bei einer Insolvenz von Kunden, sondern auch deren Aufwand für Versicherungen.765 In der Regel müssen mittelständische Tankstellenbetreiber sich zu Gunsten ihrer Vorlieferanten gegen einen Zahlungsausfall versichern. Seit der Einführung von § 60 Energiesteuergesetz im Jahre 1991 kann die Versicherungssumme auf den Warenwert (ohne Energiesteuer) begrenzt werden.766 Auch durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Energiesteuergesetzes und des Stromsteuergesetzes767 bleibt § 60 EnergieStG erhalten.768
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BVerfGE 27, 375, 384 f. BVerfGE 27, 375, 385. 764 § 60 Abs. 1 EnergieStG a.F. (gültig bis 31. 12. 2017): „Eine Steuerentlastung wird auf Antrag dem Verkäufer von nachweislich nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 versteuerten Energieerzeugnissen für die im Verkaufspreis enthaltene Steuer gewährt, die beim Warenempfänger wegen Zahlungsunfähigkeit ausfällt, wenn…“ 765 Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes, BTDrs. 18/11927, S. 1. 766 A.a.O. 767 Im Entwurf sollte § 60 Abs. 1 EnergieStG noch gestrichen werden, vgl. BT-Drs. 18/ 12580. Als Grund wurde in der Begründung zum Gesetzesentwurf eine Anpassung an das Unionsrecht angegeben, vgl. BT-Drs. 18/11493, S. 1, 63. 768 Die Streichung des § 60 EnergieStG und die Anwendung der allgemeinen Billigkeitsregelungen der §§ 163, 227 AO sah der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf kritisch, weil die allgemeinen Billigkeitsvorschriften in der Praxis sehr restriktiv gehandhabt werden, vgl. BT-Drs. 18/11927, S. 1. 763
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VI. Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden Und auch bei bestandskräftigen Steuerbescheiden spielen überwiegend verfassungsrechtliche Gesichtspunkte eine Rolle. 1. Die Bestandskraft von Verwaltungsakten, insbesondere Steuerbescheiden Der Begriff der Bestandskraft wird zwar sehr häufig verwendet, bleibt in seiner Bedeutung aber weiterhin umstritten.769 Der Grundgedanke, der sich aus der Bestandskraft ergibt, ist hingegen mittlerweile anerkannt. So soll der Verwaltungsakt dauerhaft und verbindlich sein, er soll nicht immer wieder zur Disposition gestellt werden können, um Rechtssicherheit zu erreichen.770 Bei der Bestandskraft von Verwaltungsakten ist zu unterscheiden zwischen einer materiellen und einer formellen Bestandskraft.771 Formelle Bestandskraft bedeutet Unanfechtbarkeit.772 Ein formell bestandskräftiger Verwaltungsakt kann nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen (Einspruch und Klage773) angegriffen werden.774 Die Möglichkeit der Änderung eines Verwaltungsaktes durch einen Billigkeitserlass steht der formellen Bestandskraft daher nicht entgegen.775 Formelle Bestandskraft kann durch verschiedene Umstände eintreten. Am praxisrelevantesten sind der Ablauf der Rechtsbehelfsfristen wie auch ein wirksamer Verzicht auf Einlegung von Rechtsmitteln durch den Betroffenen.776 In
769
S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124, Rdnr. 39. T. v. Bodungen, Rechtskraftdurchbrechung im Steuerrecht, 1968, S. 37; H. Maurer/Chr. Waldhoff, AllgVerwR, § 10, Rdnr. 13; R. Wernsmann, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, vor §§ 130 – 133 AO, Rdnr. 20 f.; S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 47. 771 S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 39. 772 T. v. Bodungen, Rechtskraftdurchbrechung im Steuerrecht, 1968, S. 30; H.-U. Erichsen/ U. Knoke, NVwZ 1983, 185, 186; D. Birk, Steuerrecht, § 14, Rdnr. 1; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 40; W. Jakob, AO, Rdnr. 554; R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, vor § 172 AO, Rdnr. 10; R. Wernsmann, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, vor § 172 AO, Rdnr. 12; S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 42; H. Maurer/Chr. Waldhoff, AllgVerwR, § 10, Rdnr. 16; St. Detterbeck, AllgVerwR, Rdnr. 568. 773 R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, vor § 172 AO, Rdnr. 10. 774 H.-U. Erichsen/U. Knoke, NVwZ 1983, 185, 186; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 40; H. Maurer/Chr. Waldhoff, AllgVerwR, § 10, Rdnr. 16; H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober/W. Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. I, § 50, Rdnr. 8; S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 42. 775 T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 40. 776 H.-U. Erichsen/U. Knoke, NVwZ 1983, 185, 186; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 41; S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 42. 770
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prozessualer Hinsicht entspricht der Begriff der formellen Bestandskraft dem der formellen Rechtskraft.777 Der Begriff der materiellen Bestandskraft hingegen ist vom Gesetzgeber nicht geregelt und daher sein Inhalt umstritten.778 Einigkeit besteht nur insofern, als dass unter materieller Bestandskraft die besondere Wirksamkeit von Verwaltungsakten verstanden wird.779 Daraus ergibt sich zunächst, dass der Verwaltungsakt für den Bürger und die erlassende Behörde bindend ist.780 Hinsichtlich des weiteren Gehalts der materiellen Bestandskraft lassen sich im Wesentlichen zwei Positionen unterscheiden. Eine Auffassung versteht unter materieller Bestandskraft das „grundsätzliche“ Gebundensein der Behörde an den Verwaltungsakt. Der Verwaltungsakt sei nur beschränkt aufhebbar.781 Nach dieser Ansicht kommt der materiellen Bestandskraft kein weiterer Gehalt zu, der nicht bereits unter dem Begriff der Wirksamkeit von Verwaltungsakten zukommt. Denn unter dem Begriff der Wirksamkeit von Verwaltungsakten versteht man ebenso die „grundsätzliche“ Bindung der Behörde an ihre Regelung.782 Die Kategorie der materiellen Bestandskraft wäre damit überflüssig, was im Hinblick auf die Systematik des Gesetzes nicht gerechtfertigt werden kann.783 Dieser Ansicht kann daher nicht gefolgt werden. Eine andere Auffassung misst der Kategorie der materiellen Bestandskraft deshalb zu Recht eine eigene Bedeutung zu. Danach dient materielle Bestandskraft dazu, das durch den Verwaltungsakt begründete Rechtsverhältnis zu stabilisieren und
777 H.-U. Erichsen/U. Knoke, NVwZ 1983, 185, 186; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 40; H. Maurer/Chr. Waldhoff, AllgVerwR, § 10 Rdnr. 16; S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 42. 778 Vgl. H.-U. Erichsen/U. Knoke, NVwZ 1983, 185, 187 f.; H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober/ W. Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. I, § 50, Rdnr. 12. 779 T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 40; W. Jakob, AO, Rdnr. 284; St. Detterbeck, AllgVerwR, Rdnr. 568. Ähnlich R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, vor § 172 AO, Rdnr. 13. 780 H.-U. Erichsen/U. Knoke, NVwZ 1983, 185, 189 f.; D. Birk, Steuerrecht, § 14, Rdnr. 1; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 40; H. Maurer/Chr. Waldhoff, AllgVerwR, § 10, Rdnr. 18; H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober/W. Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. I, § 50, Rdnr. 2 ff.; R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, vor § 172 AO, Rdnr. 13; S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 45. 781 T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 40; H. Maurer/Chr. Waldhoff, AllgVerwR, § 10, Rdnr. 19; H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober/W. Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. I, § 50, Rdnr. 6 f.; W. Jakob, AO, Rdnr. 284. 782 Zu dieser Kritik siehe S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 46. 783 Das Gesetz verwendet beide Begriffe nebeneinander. In § 124 AO ist von der Wirksamkeit und in § 172 von der Bestandskraft die Rede, vgl. S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 46.
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
somit für Rechtssicherheit zu sorgen.784 Die materielle Bestandskraft ist auf die Änderungsmöglichkeit der Behörde selbst gerichtet.785 Sie tritt dann ein, wenn die Behörde nicht mehr befugt ist, den Verwaltungsakt inhaltlich zu ändern, weil ihr im Einzelfall keine Korrekturmöglichkeit zur Verfügung steht.786 Der Verwaltungsakt ist demnach materiell bestandskräftig, soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen oder sonst behördlicherseits aufgehoben werden kann.787 2. Nichtigkeit des Steuerbescheids Eindeutig geregelt sind die Rechtsfolgen, wenn der Steuerbescheid nichtig ist. Dann ist er gemäß § 124 Abs. 3 AO von Anfang an unwirksam und kann nicht Grundlage für eine Steuererhebung sein. Hat der Steuerbürger die Steuer bereits entrichtet, ist dies ohne Rechtsgrund geschehen, sodass der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Erstattung dieses Betrages gem. § 37 Abs. 1 Satz 1 AO hat.788 So klar auch die Rechtsfolge der Nichtigkeit ist, so schwer ist die Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand des § 125 AO. Ein Nichtigkeitsgrund nach § 125 Abs. 2 AO scheidet bei krass rechtswidrigen Steuerbescheiden aus, da weder Unmöglichkeit der Befolgung noch Strafrechtswidrigkeit oder Sittenwidrigkeit der Steuerfestsetzung gegeben sind.789 Deshalb muss bei krass rechtswidrigen Steuerbescheiden das Vorliegen der Voraussetzungen der Generalklausel nach § 125 Abs. 1 AO geprüft werden. Zwar stellt eine krass rechtswidrige Steuerfestsetzung einen schwerwiegenden Fehler dar, allerdings müsste dieser auch offenkundig sein, der Berechnungsfehler müsste also auf der Hand liegen und für jeden erkennbar sein. Diese Voraussetzung liegt jedoch in den seltensten Fällen vor, sodass es in den meisten Fällen schwerfallen wird, eine Nichtigkeit festzustellen. 3. Korrektur vor Bestandskraft Sofern ein rechtswidriger Steuerbescheid an keinem offenkundigen Fehler leidet, ist er gem. § 124 Abs. 1 AO von Anfang an wirksam, „solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist“ (§ 124 Abs. 2 AO). Die sich daraus ergebenen Rechtsfolgen treten auch bei rechtswidrigen Steuerbescheiden grundsätzlich mit der 784 H. Maurer/Chr. Waldhoff, AllgVerwR, § 9, Rdnr. 40; S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 47. 785 S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 47. 786 H. Meyer, in: ders./Borgs [Hrsg.], VwVfG, § 43, Rdnr. 12. 787 J. Ipsen, Die Verwaltung 17 (1984), S. 169, 185; H. Maurer/Chr. Waldhoff, AllgVerwR, § 11, Rdnr. 7; S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 47. 788 Chr. Gröpl, DStZ 2002, 706; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 37 AO, Rdnr. 42. 789 Chr. Gröpl, DStZ 2002, 706, 707.
C. Dispensation aufgrund Verfassungsrechts
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Bekanntgabe (§ 155 Abs. 1 Satz 2, § 122 Abs. 1 AO) ein.790 Bevor der Steuerbescheid formell bestandskräftig wird, kann der Steuerpflichtige Rechtsbehelfe, wie Einspruch oder Klage, gegen die Steuerfestsetzung erheben.791 Hat der Steuerpflichtige in der Zwischenzeit seine Steuerschuld bereits erfüllt, so entsteht mit der Änderung oder Aufhebung des Bescheids ein Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 AO.792 Für einen Steuererlass ist insofern kein Platz, da der Steuerpflichtige Gründe für eine Billigkeitsmaßnahme grundsätzlich schon vor der Festsetzung oder im Rechtsbehelfsverfahren geltend machen muss.793 4. Korrektur nach Bestandskraft durch Billigkeitserlass a) Grundlegung Ist die Einspruchs- oder Klagefrist abgelaufen, ist der Steuerbescheid unanfechtbar und damit formell bestandskräftig geworden.794 Erst wenn die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach den § 110 AO, § 56 FGO oder eine Änderung des bestandskräftigen Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht vorliegen, kann es für die Herstellung materiell rechtmäßiger Zustände geboten sein, die zu Unrecht festgesetzte Steuer wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen.795 Es ist jedoch zu beachten, dass ein Billigkeitserlass im Grundsatz nicht dazu bestimmt ist, die Nachteile auszugleichen, die durch schuldhafte Versäumnis der Rechtsbehelfsfrist entstanden sind.796 Die Bestandskraft soll damit gerade ausschließen, dass der Steuerbescheid nochmals angegriffen werden kann. Das Begehren für einen Billigkeitserlass wird hingegen oftmals damit begründet, dass die objektiv unrichtige Steuerfestsetzung stets unbillig sei.797 Wird eine bestandskräftig festgestellte Steuer im Billigkeitswege erlassen, so stellt dies eine Änderung des bestandskräftigen Steuerbescheides dar.798 790 Chr. Gröpl, DStZ 2002, 706, 707; S. Müller-Franken, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 233; R. Seer, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 124, Rdnr. 17. 791 St. Detterbeck, AllgVerwR, Rdnr. 563; S. Müller-Franken, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 124 AO, Rdnr. 42. 792 Siehe bereits Fn. 788. 793 FG Baden-Württemberg, EFG 1994, 992, 994; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/ FGO, § 227 AO, Rdnr. 45. 794 Chr. Gröpl, DStZ 2002, 706, 707; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 43. 795 BFHE 94, 156, 159; BFH/NV 1986, 506, 507; FG Niedersachsen, EFG 1990, 213, 214; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, vor § 227 AO, Rdnr. 47; R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 176. 796 Siehe Nachweise in Fn. 632. 797 T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 43. 798 Chr. Gröpl, DStZ 2002, 706, 707; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 41.
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
b) Auswirkungen eines Erlasses auf die Bestandskraft der Steuerbescheide Wenn nun feststeht, dass ein Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden nur in Ausnahmesituationen zulässig ist, so stellt sich des Weiteren die Frage, inwiefern diese Bestandskraft durch einen Erlass beeinträchtigt wird. Ein Billigkeitserlass kann sich bei formeller Bestandskraft in zwei verschiedenen Weisen auswirken. Zunächst könnte man in der Billigkeitsmaßnahme eine Aufhebung des bestandskräftigen Steuerbescheids sehen, sodass die formelle Bestandskraft durchbrochen wäre. Für diese Annahme spricht, dass der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit des Steuerbescheids geltend macht, wonach dieser für ihn keine Rolle mehr spielen soll, damit ein neuer Steuerbescheid mit einer geminderten Steuerbelastung ergeht. Gegen die Aufhebung des Steuerbescheids und die Durchbrechung der formellen Bestandskraft spricht jedoch, dass der Steuerbescheid zwar fehlerhaft ist, aber dennoch weiterbesteht. Der Erlass betrifft nicht den Bestand des Steuerbescheids, sondern die Auswirkungen des Anspruchs, die in diesem Bescheid geltend gemacht werden.799 Der Steuerpflichtige akzeptiert in der Regel den Steuerbescheid in seiner Existenz und möchte mit dem Billigkeitserlass lediglich eine Milderung der Auswirkungen erlangen. Der Billigkeitserlass hat somit keinen Einfluss auf die formelle Bestandskraft des Verwaltungsaktes.800 Die materielle Bestandskraft wird hingegen durch einen Steuererlass durchbrochen.801 Wenn die Behörde die bestandskräftig festgesetzte Steuer erlässt, ist der Steuerpflichtige nicht mehr zur Zahlung verpflichtet und die Behörde kann die Steuer nicht mehr einziehen. Das Rechtsverhältnis wird durch den Erlass neu geregelt.802 c) Verfassungsrechtlicher Hintergrund Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist in einer Gesamtbewertung danach zu fragen, wie sich die Grundsätze der Verfassung auf die Frage der Zulässigkeit eines Billigkeitserlasses bei bestandskräftigen Steuerbescheiden auswirken. Bei der hier notwendigen Abwägung streiten vor allem die Rechtssicherheit, der Vorbehalt des Gesetzes, der Anwendungsvorrang des einfachen Rechts und die Grundrechte des Steuerpflichtigen miteinander.
799 T. v. Bodungen, Rechtskraftdurchbrechung im Steuerrecht, 1968, S. 81; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 45. 800 T. v. Bodungen, Rechtskraftdurchbrechung im Steuerrecht, 1968, S. 82; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 45. 801 T. v. Bodungen, Rechtskraftdurchbrechung im Steuerrecht, 1968, S. 83 bzgl. der materiellen Rechtskraft; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 46. 802 T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 45 f.
C. Dispensation aufgrund Verfassungsrechts
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aa) Rechtssicherheit Der Grundgedanke der Bestandskraft besteht darin, dass die rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen sein soll, sodass ein Rechtszustand festgestellt werden kann, den alle Beteiligten akzeptieren müssen.803 Auch wenn der Grundsatz der Rechtssicherheit im Grundgesetz nicht explizit genannt wird, so wird seine Existenz dennoch aus verschiedenen verfassungsrechtlichen Regelungen abgeleitet. Insbesondere werden dabei die Art. 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG genannt,804 wodurch die Rechtssicherheit als Verfassungsprinzip anerkannt805 und als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips betrachtet wird.806 Da es durch den Erlass der Steuer zu einer Durchbrechung der Bestandskraft eines Steuerbescheids kommt, ist die Rechtssicherheit berührt. Dieses Ergebnis muss aber relativiert werden, wenn man bedenkt, unter welchen Umständen die Rechtssicherheit tangiert wurde. Es muss eine offensichtliche und eindeutige Fehlerhaftigkeit der Steuerfestsetzung vorliegen, die nicht vom Steuerpflichtigen selbst verschuldet worden sein darf.807 Wie bereits erörtert, liegt der Fehler in diesen Fällen regelmäßig im Verantwortungsbereich der Behörde oder der Gerichte. Insofern kann die Rechtssicherheit kein alleiniges Argument sein, einen Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden zu verneinen. bb) Vorbehalt des Gesetzes Bei der Festsetzung und Erhebung von Steuern bedarf es einer Ermächtigung durch den Gesetzgeber.808 Eine solche Ermächtigung findet sich in den formellen Steuergesetzen. Der Steueranspruch besteht bereits nach § 38 AO durch bloße Verwirklichung des Tatbestandes. Um zu einem durchsetzbaren Anspruch zu werden, muss die Steuer dann durch Verwaltungsakt festgesetzt werden, § 155 Abs. 1 AO. In der vorliegenden Konstellation beruht die Begründung der Steuer allerdings nicht auf der korrekten Anwendung eines Steuergesetzes. Vielmehr rührt die Steuerzahlungspflicht daher, dass die Finanzbehörden die Norm nicht richtig angewandt haben und es nur durch den Ablauf der Rechtsmittefristen zu einer Zahlungsver-
803
FG Köln, EFG 2009, 1168, 1170; Chr. Gröpl, DStZ 2002, 706, 711; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 63; H. Maurer/Chr. Waldhoff, AllgVerwR, § 10, Rdnr. 13. 804 T. v. Bodungen, Rechtskraftdurchbrechung im Steuerrecht, 1968, S. 259 f.; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 63. 805 K. Stern, Staatsrecht I, S. 831; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 63; H. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hoffmann/Henneke [Hrsg.], GG, Art. 20, Rdnr. 88; M. Sachs, in: ders. [Hrsg.], GG, Art. 20, Rn. 122. 806 BVerfGE 15, 313, 319; 60, 253, 270; 132, 372, 394; M. Sachs, in: ders. [Hrsg.], GG, Art. 20, Rn. 122. 807 Zu dieser Voraussetzung siehe bereits im 2. Kapitel unter B. II. 1. 808 Zur Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung siehe bereits im 4. Kapitel unter B. I.
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
pflichtung des Steuerpflichtigen kam.809 Die Voraussetzungen des formellen Steuergesetzes waren hingegen nicht gegeben.810 Insofern könnte der Vorbehalt des Gesetzes tangiert sein und einen Steuererlass in den Fällen rechtfertigen, in denen ein krass fehlerhafter Steuerbescheid bestandskräftig wurde. Wenn die Tatbestandsvoraussetzungen eines formellen Steuergesetzes nicht vorliegen und die Steuererhebung bloß auf der Bestandskraft des Steuerbescheids beruht, so wird der Steueranspruch nicht durch die Erfüllung einer gesetzlichen Norm, sondern durch einen einfachen Verwaltungsakt begründet.811 Über die Frage, ob ein Verwaltungsakt Rechtsgrundlage für den Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis sein kann, streitet die formelle Rechtsgrundtheorie mit der materiellen Rechtsgrundtheorie.812 Die Vertreter der formellen Rechtsgrundtheorie sehen die Festsetzung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis als Grund für die Zahlung an.813 Diese Ansicht passt allerdings nicht auf kraft Gesetzes entstehende Ansprüche. Die Festsetzung kann nur bei solchen Ansprüchen zum Entstehungstatbestand gehören, bei denen die Festsetzung im Ermessen der Behörde liegt. Das ist bei Steueransprüchen aber gerade nicht der Fall.814 Ferner hält diese Auffassung die zwei Phasen der Entstehung und der Festsetzung der Steuer nicht streng genug auseinander.815 Ein einfacher Verwaltungsakt schafft gerade keinen materiellen Rechtsgrund für die Entstehung der Steuer, sondern wirkt nur verfahrensrechtlich.816 Ein Steuerbescheid gibt, wie jeder Verwaltungsakt, nur die Auffassung der Behörde von dem wieder, und kann deshalb nicht rechtlicher Grund sein.817 Der Steuerbescheid ist lediglich der Behaltensgrund für die Zahlung.818 Somit kann die Bestandskraft eines Verwal809
T. v. Bodungen, Rechtskraftdurchbrechung im Steuerrecht, 1968, S. 212 f.; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 65. 810 T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 65. 811 T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 66. Ferner auch T. v. Bodungen, Rechtskraftdurchbrechung im Steuerrecht, 1968, S. 213 f. 812 Zu diesen zwei Theorien siehe W. Hein, DStR 1990, 301 ff.; D. Birk, Steuerrecht, § 11, Rdnr. 87; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 37 AO, Rdnr. 35. 813 So BFHE 173, 1, 4; 178, 59, 61; 197, 569, 573; 209, 571, 574; BFH/NV 2001, 5, 6; 2012, 1686, 1687; FG Hessen, EFG 2000, 2; FG Berlin-Brandenburg, EFG 2008, 102, 104; FG Düsseldorf, EFG 2009, 1519, 1523; H. Boeker, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 37, Rdnr. 31. 814 W. Hein, DStR 1990, 301, 304; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 37 AO, Rdnr. 43. 815 BFH/NV 1994, 839, 840; FG Hamburg, EFG 2006, 1076, 1077; H. Stadie, UR 2007, 117, 118; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 37 AO, Rdnr. 43. 816 FG Köln, EFG 2000, 974, 975; W. Hein, DStR 1990, 301, 304; E. Weiß, UR 1991, 144, 146; Stadie, UR 2007, 117, 118; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 66; R. Jüptner, UVR 2008, 181 f.; S. Schuster, in: HHSP [Hrsg.], AO/FGO, § 38 AO, Rdnr. 12; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 37 AO, Rdnr. 35. 817 H. Stadie, UR 2007, 117, 118 auch zum Folgenden. 818 H. W. Kruse, Steuerrecht, Bd. I, S. 120; H. Stadie, Steuerrecht, § 5, Rdnr. 178; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 37 AO, Rdnr. 37.
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tungsaktes nicht die gleiche rechtliche Bewertung erhalten wie die Belastung eines Steuerpflichtigen aufgrund des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm.819 Nach der materiellen Rechtsgrundtheorie lässt sich somit festhalten, dass der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes tangiert ist, sodass bei inhaltlich rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Steuerbescheiden ein Billigkeitserlass gerechtfertigt sein kann.820 cc) Anwendungsvorrang Es ist des Weiteren festzuhalten, dass die Behörde gem. Art. 20 Abs. 3 GG an die Gesetze gebunden ist, sodass sie nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, die Gesetze auszuführen und die Steuern zu erheben.821 Es besteht ein Anwendungsgebot. Dieser Grundsatz gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Einziehung von Steuern auf einem fehlerhaften, aber bestandskräftigen Steuerbescheid beruht.822 Allerdings sind die Behörden nach § 85 AO verpflichtet, die Steuern „nach Maßgabe der Gesetze“ auch „gleichmäßig“ zu erheben. Dieser Grundsatz ergibt sich wiederum aus Art. 3 Abs. 1 GG, wonach neben der Rechtsetzungs- auch die Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht zu wahren ist.823 Darüber hinaus müssen die Behörden bei der Erhebung der Steuern die durch den Gesetzesvollzug betroffenen Freiheitsgrundrechte in den Abwägungsprozess einbeziehen und dadurch einen möglichst schonenden Ausgleich suchen.824 dd) Grundrechte und andere rechtsstaatliche Gesichtspunkte, insbesondere die Gleichmäßigkeit der Besteuerung Besondere Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang zunächst die Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Ein Steuererlass stellt zunächst für den Betroffenen eine Privilegierung gegenüber den anderen Steuerpflichtigen dar. Der Steuerpflichtige, dem ein Erlass gewährt wird, wird bessergestellt als derjenige, der trotz des inhaltlich 819
T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 66. Zu diesem Ergebnis kommt auch T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 66. 821 BVerfGE 84, 239, 271 f.; J. Isensee, in: FS Flume, Bd. II, 1978, S. 129, 133; D. Birk, StuW 1989, 212, 213; R. Seer, FR 1997, 553, 554; F. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, § 101, Rdnr. 4; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 67; H. Söhn, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 85 AO, Rdnr. 31. 822 Nur T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 67. 823 Grundlegend BVerfGE 84, 239, 270; 66, 331, 335. Ferner BFHE 188, 65, 68; H.-J. Papier, KritV 1987, 140, 148; H.-W. Arndt, NVwZ 1988, 787; J. Isensee, StuW 1994, 3, 8; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. V, § 118, Rdnr. 101; J. Hey, StbJb. 2007/ 2008, 19, 34; D. Birk/M. Desens/H. Tappe, Steuerrecht, § 2, Rdnr. 172; Chr. Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck [Hrsg.], GG, Art. 3, Rdnr. 2; J. Hey, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 3, Rdnr. 110. 824 P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 154; J. Englisch, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 4, Rdnr. 162. 820
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Steuerbescheids zur Leistung aufgefordert wird. Wenn die Steuerbelastung aufgrund eines bestandskräftigen Steuerbescheids erfolgt, ohne dass der Tatbestand der Norm erfüllt ist, die die Leistungsfähigkeit begründet, wird gegen den Steuerpflichtigen eine höhere Steuer festgesetzt, als nach dem Gesetz festgesetzt werden dürfte. Der Steuerpflichtige wird dann über seine Leistungsfähigkeit hinaus besteuert. Dennoch sind der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und somit Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt, da dieser Verstoß wiederum mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit als sachlichem Grund gerechtfertigt werden kann.825 Aus diesem ergibt sich ein Interesse an der Verbindlichkeit bestandskräftiger Entscheidungen, welchem ein grundsätzlicher Vorrang gegenüber anderen Interessen zugesprochen wird.826 Aus diesem Grund lässt sich bei der Steuererhebung bei rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Steuerbescheiden grundsätzlich keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) feststellen. Ferner könnte durch die Steuereinziehung auf der Grundlage eines rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Steuerbescheids die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG betroffen sein. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Ausführungen zur Erdrosselungssteuer und der Gefährdung des Existenzminimums827 bei krass fehlerhaften Besteuerungen nicht greifen. Grundlage für die bereits ausgeführten Kriterien für die Verletzung der Eigentumsfreiheit sind Besteuerungsfälle, die sowohl formell als auch materiell dem Recht entsprechen. Krass fehlerhafte Steuerbescheide hingegen sind formell zwar bestandskräftig, genügen aber nicht dem materiellen Steuerrecht. Aus diesem Grund sind die Anforderungen an die grundrechtliche Bewertung deutlich strenger.828 Bereits die Rechtswidrigkeit selbst kann einen Eingriff in die Eigentumsgarantie darstellen und in Verbindung mit einer Übermaßbesteuerung ist die Grenze, ab wann ein Eingriff nicht mehr gerechtfertigt ist, bereits deutlich früher zu setzen. d) Ergebnis Im Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass sich weder aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, noch aus dem Vorbehalt des Gesetzes, des Anwendungsvorranges und der Steuergerechtigkeit selbst eine eindeutige Aussage darüber treffen lässt, ab wann ein Erlass der Steuer bei bestandskräftigen Steuerbescheiden auszusprechen 825 Dass die Rechtssicherheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann, ist allgemein anerkannt, vgl. BVerfGE 15, 313, 319; 72, 302, 327 f.; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 70. 826 So ausdrücklich BVerfGE 48, 1, 22; 72, 302, 327 f.; F. Klein, Gleichheitssatz und Steuerrecht, 1966, S. 225; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 70. 827 Siehe dazu in diesem Kapitel unter C. IV. 2. und 3. 828 Ebenso Chr. Gröpl, DStZ 2002, 706, 714 auch zum Folgenden.
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses
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ist. Gewiss wird durch die Steuererhebung bei rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Steuerbescheiden der Vorbehalt des Gesetzes tangiert, wie auch der Steuerpflichtige über seine Leistungsfähigkeit hinaus belastet wird; allerdings ist auch der Gedanke der Rechtssicherheit in solchen Fällen betroffen. In diesem Konflikt wird dem Interesse an der Verbindlichkeit bestandskräftiger Steuerbescheide und somit der Rechtssicherheit im Grundsatz der Vorrang eingeräumt.829 Allerdings muss auch hier wieder der Einzelfall betrachtet werden. So kann es in besonders gelagerten Fällen dazu kommen, dass nicht der Rechtssicherheit, sondern den Rechten des Steuerpflichtigen der Vorrang eingeräumt wird. Die Rechtsprechung nimmt beispielsweise in besonderen Fällen einen erlassbegründenden Verstoß gegen Verfassungsgrundsätze an, wenn die Finanzbehörde willkürlich handelt und ohne jede Rechtsgrundlage von Amts wegen anstelle des bisherigen Steuerschuldners eine andere Person als nunmehrigen Steuerschuldner bestimmt.830 Ferner kann die Rechtssicherheit zurücktreten, wenn es dem Steuerpflichtigen unzumutbar war, gegen Umsatzsteuerbescheide vorzugehen, wenn die Steuerfestsetzung dem Wortlaut des Gesetzes entspricht.831 Aber auch in diesen Fällen müssen die Gegebenheiten genau geprüft werden. Pauschale Aussagen, ab wann bei bestandskräftigen Steuerbescheiden ein Erlass auszusprechen ist, lassen sich nicht treffen.
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses aus Verfassungsgründen und des Erlasses wegen Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers I. Grundlegung 1. Die Bedeutung des Verfassungsrechts für den Steuererlass Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind bei der Steuerfestsetzung und Steuererhebung vor allem Grundentscheidungen aus dem Grundgesetz zu berücksichtigen.832 Wie in der gesamten Rechtsordnung auch, wird die Gewährung von Einzelfallgerechtigkeit maßgeblich von den Wertungen des Grundgesetzes beeinflusst.833 829
T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 71. So lag der Fall bei BFHE 86, 282, 286. 831 BFHE 194, 552, 554 f. 832 BFHE 177, 246, 248 mit der Einschränkung, dass durch den Erlass nicht die gesetzliche Wertung insgesamt korrigiert werden darf. Ferner BFHE 118, 236, 242; R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 18. Wohl auch M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 19. 833 R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 180, 251. Die Grundrechte stellen eine objektive Werteordnung dar, vgl. 4. Kapitel unter A. I. Ferner P. Kirchhof, in: FS 830
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
In der Literatur wird daher teilweise behauptet, die beiden Fallgruppen – Billigkeitserlass aufgrund eines Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers und Billigkeitserlass aus Verfassungsgründen – können kaum unterschieden werden. Vielmehr handele es sich um verschiedene Elemente der Einzelfallgerechtigkeit, die sich gegenseitig ergänzen, durchdringen und überlagern.834 Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Gesetze so schaffen will, dass sie selbst und ihre Rechtsfolgen, die sich im Einzelfall bei ihrer Anwendung ergeben, mit der Verfassung vereinbar sind.835 Aus diesem Grund werden auch in den Entscheidungen, in denen ein Überhang des gesetzlichen Tatbestands über die Wertungen des Gesetzgebers bejaht wurde, regelmäßig Argumente mit Verfassungsbezug benutzt.836 Eine solche Vorgehensweise führt jedoch nicht zu dem Ergebnis, dass sich die Fallgruppen vollkommen überlagern. Vielmehr hat eine dem Gebot methodischer Stimmigkeit verpflichtete Herangehensweise an das Recht genau zu prüfen,837 ob ein Erlass aufgrund eines Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers oder aufgrund eines Verfassungsverstoßes in Frage kommt. 2. Die Bedeutung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Steuerrecht Regelmäßig werden in den Entscheidungen zum Steuererlass allgemeine Rechtsgrundsätze zur Konkretisierung des Begriffs der Unbilligkeit herangezogen.838 Für eine Unterscheidung der beiden Fallgruppen des Steuererlasses ist es zunächst notwendig, den Ursprung und die inhaltliche Bedeutung der allgemeinen Rechtsgrundsätze herauszuarbeiten. Die gesamte Rechtsordnung ist durchsetzt mit allgemeinen Rechtsprinzipien. Im Steuerrecht und für einen Steuererlass sind vor allem der Grundsatz von Treu und Glauben und das Prinzip des Vertrauensschutzes relevant.839 Scupin, 1983, S. 775, 790, wonach die häufigsten Fälle des Dispenses ihren Verbindlichkeitsgrund im Verfassungsrecht haben. 834 So R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 251. 835 G. Felix, Ermessensausübung im Steuerrecht, 1955, S. 55; H. Weber, Steuererlass und Steuerstundung, 1980, S. 42. 836 So beispielsweise BFHE 166, 272, 275; FG Köln, EFG 2009, 1523, 1524 f.; FG Münster, EFG 1994, 813, 814 f. 837 Siehe oben S. 20 f. mit Nachweisen in den Fn. 8 – 13. 838 Wegen Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben: BFHE 163, 478, 481; FG Düsseldorf, EFG 2001, 403. Wegen Verstoßes gegen das Prinzip des Vertrauensschutzes, vgl. BFH GrS, BFHE 161, 290, 317; BFH/NV 2003, 777, 778. 839 Zur Geltung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Steuerrecht allgemein: R. v. Groll, FR 1995, 814 ff.; R. Seer, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 21, Rdnr. 12 ff.; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4, Rdnr. 125 ff.
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses
143
Der Grundsatz von Treu und Glauben steht mit dem Prinzip des Vertrauensschutzes in einer engen Verbindung840 und ist regelmäßig „ungesetztes Recht“.841 Weder aus diesem Umstand noch aus der Tatsache, dass er aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbar ist,842 ergibt sich jedoch eine Aussage über seinen Rang.843 Der Grundsatz von Treu und Glauben ergänzt stets das jeweils in Betracht kommende gesetzte Recht und ist ihm immanent.844 Der Grundsatz kann deshalb nicht isoliert und unabhängig von dem im zu entscheidenden Fall anwendbaren gesetzten Recht angewendet werden.845 Sein Rang bestimmt sich also nach dem Rang des Rechts, zu dessen Ergänzung er herangezogen wird.846 Ähnliche rechtliche Konsequenzen – jedoch auf anderer dogmatischer Grundlage beruhend – entfaltet das Vertrauensschutzprinzip. Dieses ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips und des daraus abzuleitenden Erfordernisses der Rechtssicherheit.847 Ein Erlass von Steuern zum Schutz einer konkreten Vertrauensposition des Steuerschuldners ist nur gerechtfertigt, wenn diese Vertrauensposition innerhalb eines bestehenden Steuerschuldverhältnisses aufgebaut wurde.848 Auch das Vertrauensschutzprinzip ist so ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, aber kein überpositives Recht. Es steht daher im Rang nicht über dem gesetzten Recht.849 Der Unterschied zwischen beiden Prinzipien besteht nicht nur in der verschiedenen dogmatischen Grundlage, sondern auch in dem Kreis der Adressaten. Während das Vertrauensschutzprinzip im Grundsatz die öffentliche Hand verpflichtet und nicht den Steuerpflichtigen, diesem also vielmehr ein einseitiges Abwehrrecht
840
M. Bormann, Billigkeitsgründe im Erlassverfahren, 1982, S. 21; K.-D. Drüen, in: Tipke/ Kruse, AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 126 ff.; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 74. 841 BFHE 139, 325, 331; 111, 188, 190; H. U. Hundt-Eßwein, NWB 31 (1988), S. 5077. 842 M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227, Rdnr. 58; H. Spanner, StuW 1972, 303, 304; H. U. Hundt-Eßwein, NWB 31 (1988), S. 5077, 5078; A. Pahlke, in: Schwarz/Pahlke [Hrsg.], AO/FGO, § 4, Rdnr. 30. 843 H. U. Hundt-Eßwein, NWB 31 (1988), S. 5077; A. Pahlke, in: Schwarz/Pahlke [Hrsg.], AO/FGO, § 4, Rdnr. 30. A. A. H. Spanner, StuW 1972, 303, 305, der dem Grundsatz von Treu und Glauben grds. Verfassungsrang beimisst. 844 BFHE 139, 325, 331; 130, 90, 94; 111, 188, 190; H. U. Hundt-Eßwein, NWB 31 (1988), S. 5077. 845 BFHE 139, 325, 331. 846 BFHE 139, 325, 331; H. U. Hundt-Eßwein, NWB 31 (1988), S. 5077; A. Pahlke, in: Schwarz/Pahlke [Hrsg.], AO/FGO, § 4, Rdnr. 31; St. Neumann, in: Beermann/Gosch [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 53. 847 BVerfGE 13, 261, 271; 32, 111, 123; 51, 356, 362; 75, 78, 105;f. St. Neumann, in: Beermann/Gosch [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 53. 848 BFHE 115, 108, 112; 146, 294, 297; 155, 298, 306; R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/ FGO, § 227, Rdnr. 178; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 135. 849 BFHE 139, 325, 331; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 128.
144
5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
einräumt, wendet sich der Grundsatz von Treu und Glauben an alle Beteiligten eines Steuerrechtsverhältnisses, also auch an den Steuerpflichtigen selbst.850 Als Mittel zur Konkretisierung der Voraussetzungen eines Steuererlasses sollen die allgemeinen Rechtsgrundsätze das positive Recht nicht aufheben, sondern durch Auslegung und Anwendung im Sinne der Verfassungsgrundsätze und der rechtsethischen Prinzipien versteh- und handhabbar machen.851 Sie haben allerdings dann Verfassungsrang, wenn sie Verfassungsrecht ergänzen.852 Der Grundsatz von Treu und Glauben und das Vertrauensschutzprinzip verdrängen nur dann das gesetzte Recht, wenn das Vertrauen eines Beteiligten in ein bestimmtes Verhalten des anderen Beteiligten nach allgemeiner Rechtsempfindung in einem hohen Maße schutzwürdig ist, dass demgegenüber der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten muss.853 Bei der Unterscheidung der beiden Fallgruppen zum Steuererlass, in denen allgemeine Rechtsgrundsätze verwendet werden, ist demnach im Einzelfall zu prüfen, in welcher Art und Weise diese hinzugezogen werden und welche Bedeutung sie für die Entscheidung haben. 3. Zwischenergebnis Bei der Beantwortung der Frage, welche Fallgruppe des Steuererlasses anzuwenden ist, ist zu unterscheiden zwischen der Anwendung von Rechtsgrundsätzen, die zwar aus der Verfassung abgeleitet werden, aber als solche keinen Verfassungsrang haben, und solchen, die Verfassungsrecht ergänzen und denen so Verfassungsrang zuzumessen ist. Nur im letzteren Fall kommt im Einzelfall ein Steuererlass aus Verfassungsgründen in Betracht.
II. Die Einordnung der von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle Im Folgenden sollen die bereits im zweiten Kapitel genannten Entscheidungen zum Steuererlass nochmals aufgegriffen werden, um sie dogmatisch richtig zu erfassen und sodann den Unterschied zwischen den beiden Fallgruppen des Steuererlasses herauszuarbeiten. Dem Billigkeitserlass im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren und dem Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden liegen unterschiedliche Wertungen zugrunde, sodass diese getrennt voneinander behandelt werden sollen. 850
St. Neumann, in: Beermann/Gosch [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 53; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 132 f. 851 H. Spanner, StuW 1972, 303, 306. 852 BFHE 139, 325, 331; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 128. 853 BFHE 130, 90, 95; K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 128.
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses
145
1. Billigkeitserlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden Bei der Untersuchung der Voraussetzungen für den Erlass bestandskräftiger Steuerbescheide wird die Wirkungsweise allgemeiner Rechtsgrundsätze besonders deutlich. Dabei handelt es sich hier um einen Fall von Rechtsgüterabwägung.854 Denn bei der Entscheidung über einen Billigkeitserlass bestandskräftig festgesetzter Steuern sind verschiedene Rechtsgüter (Rechtssicherheit und Bestandskraft einerseits sowie Rechtsrichtigkeit und Vertrauensschutz andererseits) unter Berücksichtigung des Verhaltens der Beteiligten gegeneinander abzuwägen.855 Bei der Korrektur bestandskräftiger Steuerbescheide steht vorrangig die Bedeutung der Bestandskraft von Verwaltungsakten im Vordergrund.856 Die Bestandskraft soll gerade ausschließen, dass der Steuerbescheid nochmals angegriffen werden kann.857 Der Rechtssicherheit ist grundsätzlich der Vorrang vor der Einzelfallgerechtigkeit einzuräumen.858 Es sind demnach höhere Maßstäbe an den Billigkeitserlass zu stellen. Ein Billigkeitserlass ist demnach nur dann auszusprechen, wenn „der Regelungsgehalt des Steuerbescheids und die materielle Steuergerechtigkeit weit auseinander klaffen“859, wenn also der bestandskräftige Steuerbescheid „krass“ (Chr. Gröpl) rechtswidrig ist und es für den Steuerpflichtigen unzumutbar war, sich gegen den Steuerbescheid rechtzeitig zu wehren.860 Insbesondere greift der Grundsatz von Treu und Glauben, wenn ein treuwidriges Verhalten der Verwaltung vorliegt, sie etwa die Sach- und Rechtslage offensichtlich falsch behandelt und sich dabei zu dem eigenen Verhalten in Widerspruch setzt oder unrichtige Auskünfte erteilt.861 Die Entscheidungen zum Steuererlass bei bestandkräftigen Steuerbescheiden beruhen regelmäßig auf einer Interessenabwägung. Hinzugezogen werden dabei allgemeine Rechtsgrundsätze, um diese Interessenabwägung mit Inhalt zu füllen. Es ist immer danach zu fragen, ob es tatsächlich verhältnismäßig ist, an der Bestandskraft festzuhalten. Sofern die Finanzverwaltung zu dem Ergebnis kommt, dass es unverhältnismäßig wäre, an der Bestandskraft des Steuerbescheides im Einzelfall festzuhalten, kommt regelmäßig die Fallgruppe des Steuererlasses aus Verfassungsgründen zum Tragen. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze werden nicht isoliert angewandt, um eine mögliche Zweckverfehlung zu untermauern, sondern um die Rechtsgüterabwägung im Sinne einer Verhältnismäßigkeit durchzuführen. Es wi854
BFH/NV 1993, 4; R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227, Rdnr. 174. BFH/NV 1993, 4. 856 A.a.O. 857 FG Köln, EFG 2009, 1168, 1170; Chr. Gröpl, DStZ 2002, 706, 711; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 63; H. Maurer/Chr. Waldhoff, AllgVerwR, § 10, Rdnr. 13. 858 BFH/NV 1993, 4; T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2007, S. 71. Ferner siehe in diesem Kapitel unter C. VI. 4. c) aa). 859 Chr. Gröpl, DStZ 2002, 706, 712. 860 Siehe dazu bereits im 2. Kapitel unter B. II. 1. 861 Eine Übersicht zu den relevanten Fällen findet sich bei BFH/NV 1993, 4; R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227, Rdnr. 175. 855
146
5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
derspricht nicht nur einfach der gesetzlichen Regelung, wenn z. B. ein bestandskräftiger Steuerbescheid vollzogen wird, bei dem der Eintritt der Bestandskraft auf einem Verschulden der Finanzverwaltung beruht; in diesen Fällen wäre es unverhältnismäßig, an der Bestandskraft festzuhalten. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze dienen damit der Ergänzung des Verfassungsrechts und haben damit Verfassungsrang.862 Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht gewollt hat, dass in diesen Fällen dennoch die Steuer eingezogen wird, sodass ein Steuererlass aus Verfassungsgründen in Betracht kommt. 2. Billigkeitserlass von Säumniszuschlägen Nach der Rechtsprechung in Steuersachen können Säumniszuschläge erlassen werden, wenn der Steuerpflichtige infolge Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit seine Steuerschuld nicht rechtzeitig begleichen konnte863 oder dieser die ausgebliebene Zahlung nicht zu vertreten hatte.864 Argumentiert wird mit dem Gesetzeszweck.865 Säumniszuschläge stellen ein Druckmittel eigener Art da.866 Wenn es dem Steuerpflichtigen unmöglich ist, die Säumniszuschläge zu zahlen, verlieren Säumniszuschläge somit ihren Sinn und Zweck. Das Ziel der Säumniszuschläge kann nicht mehr erreicht werden, sodass ein Billigkeitserlass erforderlich sein kann.867 In diesen Fällen kommt die Fallgruppe des Steuererlasses aufgrund eines Überhanges des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers in Betracht. Es widerspricht dem Sinn und Zweck der Säumniszuschläge, die Steuer einzuziehen, obwohl der Steuerpflichtige aufgrund von Zahlungsunfähigkeit bereits die eigentliche Steuerschuld nicht begleichen konnte. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber an diese Fälle nicht gedacht hat und somit ein Steuererlass aufgrund einer Zweckverfehlung begründet ist. 3. Billigkeitserlass im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren Im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren stehen regelmäßig die Wertungen des Gesetzes beziehungsweise der Wille des Gesetzgebers im Vordergrund. Dem besonderen Einzelfall werden die Wertungen des Gesetzes gegenübergestellt, um zu entscheiden, ob ein Billigkeitserlass aufgrund eines Überhangs des gesetzlichen 862
Vgl. dazu bereits in diesem Kapitel unter D. I. 2. Siehe Fn. 22. 864 Siehe Fn. 31 – 33. 865 R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227, Rdnr. 230. Allg. zum Normzweck des § 240 AO: M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 240 AO, Rn. 1 m.w.N. 866 vgl. BT-Drs. 3/2573, S. 34; BFHE 196, 400, 405; 203, 8, 10; 212, 23, 27; BFH GrS, BFHE 117, 352, 356; 184, 193, 196. 867 Siehe Fn. 25. 863
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses
147
Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers oder aus Verfassungsgründen in Betracht kommt. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein Steuererlass aus Verfassungsgründen nachrangig ist oder nur in seltenen Fällen vorkommt. Beide Fallgruppen stehen vielmehr gleichrangig nebeneinander. Im Folgenden soll zunächst aber noch eine Abgrenzung zwischen einer vorrangingen Auslegung von Steuernormen von den beiden Fallgruppen des Steuererlasses vorgenommen werden, ehe die beiden Fallgruppen des Erlasses selbst anhand ausgewählter Beispiele aus der Rechtsprechung voneinander unterschieden werden. a) Entscheidungen zur Fallgruppe des Steuererlasses wegen Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers aa) Einkommensteuer, BFHE 166, 272 ff. Eine notwendige Grenzziehung zur vorrangigen Auslegung der Steuernorm und die Unterscheidung der Fallgruppen des Steuererlasses macht zunächst die Entscheidung des 3. Senats des Bundesfinanzhofs im Jahr 1991868 deutlich.869 Die Finanzbehörde lehnte es ab, die erhöhten Krankenversicherungsbeiträge des Steuerpflichtigen, die sich als Sonderausgaben nicht ausgewirkt hatten, als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Zunächst konnte dieser Fall nach Ansicht des Gerichts nicht mit einer Auslegung der entsprechenden Norm gelöst werden. Im Streitfall komme eine Berücksichtigung der streitigen Kosten als außergewöhnliche Belastungen schon deshalb nicht in Betracht, weil die Aufwendungen ihrer Art nach Sonderausgaben seien, vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 2a EStG a.F. (1991).870 Unerheblich sei, ob die Beiträge im Einzelfall als Sonderausgaben abziehbar sind oder ob sie sich wegen Überschreitens der gesetzlichen Höchstgrenzen steuerlich nicht auswirken. Ausreichend sei vielmehr, dass die Krankenversicherungsbeiträge ihrer Art nach Sonderausgaben sind.871 Aus § 33 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 EStG ergebe sich ferner, dass es nicht auf die konkrete steuerliche Auswirkung als Sonderausgaben ankomme.872 Denn dort sei für Aufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F. (seit 2009 auch Nr. 8) der Ausschluss von der Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung auf die Beträge beschränkt, die tatsächlich als Sonderausgaben abgezogen werden können. Da der Sonderausgabenabzug im Übrigen abschließend geregelt ist, bleibe für eine Berücksichtigung von anderen Sonderausgaben gemäß § 33 EStG kein Raum.873 868 869 870 871 872 873
BFHE 166, 272 ff. Zur Entscheidung siehe bereits im 2. Kapitel unter C. I. 2. a) dd). BFHE 166, 272, 274. A.a.O. A.a.O. A.a.O.
148
5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
Eine einschränkende Auslegung würde zu keinem anderen Ergebnis führen.874 Für die große Zahl der in Betracht kommenden Fälle stelle die abschließende Regelung dieser Belastung durch den Sonderausgabenabzug eine ausreichende Berücksichtigung der damit verbundenen Minderung der Leistungsfähigkeit dar.875 Bei den erhöhten Aufwendungen könne man nicht von außergewöhnlichen Belastungen sprechen, weil sie eine Erschwernis darstellen, wie sie üblicherweise durch Körperbehinderten-Freibeträge abgegolten werden können.876 Aus systematischen Gründen könne man daher diese Aufwendungen nicht mit Behandlungskosten im Krankheitsfalle gleichsetzen, um sie als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen.877 Denn als Krankheitskosten seien in typisierender Weise nur Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, die zum Zwecke der Heilung oder mit dem Ziel aufgewandt werden, die Krankheit erträglicher zu machen. Nach Auffassung des Gerichts rechtfertigten die Umstände des Streitfalls vielmehr eine Billigkeitsmaßnahme nach den §§ 163, 227 AO, da der Kläger ein versicherungsrechtliches Sonderopfer abverlangt werde, weshalb er in „äußerst ungewöhnlicher Weise“ betroffen war.878 Die Entscheidung zeigt zunächst deutlich, dass das Gericht bemüht ist, eine als gerecht anzusehende Rechtsfolge durch eine Auslegung der Norm zu finden. Es versuchte, die erhöhten Kosten als außergewöhnliche Belastungen unter die gesetzliche Norm zu subsumieren und nahm dafür die gängigen Auslegungsmethoden zur Hand. Allerdings sind Sonderausgaben abschließend geregelt, sodass die Krankenkassenbeiträge nicht berücksichtigt werden konnten. Und auch aus systematischen Gründen konnte man die Krankenkassenbeiträge nicht als Krankheitskosten anerkennen, weil beide Kostenarten einen unterschiedlichen Zweck verfolgen. Das Gericht schöpfte damit alle Auslegungsmethoden aus und kam zu dem Ergebnis, dass eine Auslegung die Ungerechtigkeit im Einzelfall nicht beheben konnte. Erst danach wandte sich das Gericht der Frage des Billigkeitserlasses zu. Entscheidend ist sodann, welche Fallgruppe des Steuererlasses in einer solchen Lage greift. Mit der Sonderausgabenregelung werden Aufwendungen, die nicht im Zusammenhang mit der Erzielung von Einnahmen stehen, sondern durch die private Lebensführung veranlasst sind, zum steuerlichen Abzug zugelassen. Dabei handelt es sich dem Grundsatz nach um Privatausgaben, die entweder zwangsläufig anfallen oder vernünftigerweise aufgewendet werden. Insoweit dient die Regelung dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.879 Der Gesetzgeber hat den Katalog dieser Sonderabgabenregelung abschließend geregelt, um die Fälle, in denen ein Abzug möglich ist, klar darzustellen und um damit für 874 875 876 877 878 879
BFHE 166, 272, 275. BFHE 166, 272, 274. BFHE 166, 272, 275. A.a.O. A.a.O. U. Hutter, in: Blümich [Hrsg.], EStG, § 10, Rdnr. 2.
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses
149
Rechtssicherheit zu sorgen. Die Berücksichtigung der erhöhten Krankenhausbeiträge hat der Gesetzgeber nicht bedacht. Es ist jedoch davon auszugehen, dass er Fälle dieser Art, hätte er sie gesehen, dahin geregelt hätte, dass er der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit durch Berücksichtigung der Mehraufwendungen wie bei einer außergewöhnlichen Belastung Rechnung getragen hätte.880 Es widerspricht vorliegend dem Sinn der Deckelung, wenn die außergewöhnlichen Belastungen durch die gesetzliche Krankenversicherung nicht berücksichtigt werden können. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Vorschrift sozial-, wirtschafts- und bildungspolitische Ziele. Das hat bei wechselnden politischen Zielvorstellungen zu häufigen Änderungen und Ergänzungen des § 10 EStG geführt. Die Vorschrift ist deshalb im Laufe der Zeit immer umfangreicher und komplizierter geworden.881 Das Gericht begründete diesen Überhang mit der verminderten Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen und nahm dadurch auch verfassungsrechtliche Gesichtspunkte in seine Begründung auf. Allerdings diente diese Argumentation lediglich zur Begründung der Zweckverfehlung. Die Fallgruppe des Überhangs wurde damit verfassungsrechtlich untermauert. Es lag mithin kein Fall des Steuererlasses aus Verfassungsgründen, sondern ein Steuererlass wegen Überhangs vor. bb) Erbschaftsteuer, BFHE 247, 170 ff. Die Unterscheidung und Grenzziehung zwischen Normauslegung und Normdispens war weiterhin Gegenstand einer Entscheidung des 2. Senats des Bundesfinanzhofs vom 22. 10. 2014.882 Mithilfe einer vorrangigen Auslegung des § 11 ErbStG kam das Gericht in einem erbsteuerrechtlichen Fall zu dem Ergebnis, dass die Ermittlung des Wertes der einzelnen Nachlassgegenstände nur eine Momentaufnahme und somit nicht das Ergebnis einer dynamischen Entwicklung darstellt, mit der sich auch die weitere wertmäßige Entwicklung des Erwerbs nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung erfassen ließe.883 Das Gericht konstatierte ferner, dass nachträglich eingetretene Umstände (vorliegend die plötzliche Zahlungsunfähigkeit der mit der Zahlung einer Rente beschwerten Person, die zu einem Ausfall der Rentenzahlungen führte), grundsätzlich nicht bei der Festsetzung der Steuer berücksichtigt werden können.884 Die vorrangige Auslegung des Steuertatbestandes ließ damit kein anderes Ergebnis zu, sodass als ultima ratio nur ein Steuererlass in Betracht kam. Ein ungewollter Überhang des Steuertatbestandes liegt nach Auffassung des Gerichts vor, weil die Klägerin weiterhin bis zu ihrem Ableben nach § 23 Abs. 1 EStG die Jahressteuer für eine lebenslängliche Rente zu entrichten hat.885 880
A.a.O. U. Hutter, in: Blümich [Hrsg.], EStG, § 10, Rdnr. 2 ff. mit einer Übersicht der Rechtsentwicklung. 882 BFHE 247, 170 ff. Zur Entscheidung siehe bereits im 2. Kapitel unter C. I. 2. a) bb) (2). 883 BFHE 247, 170, 173. 884 A.a.O. 885 BFHE 247, 170, 174. 881
150
5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
In dieser Entscheidung macht das Gericht deutlich, dass der Gesetzeszweck die Grenze der Auslegung darstellt. Die Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) lassen es nicht zu, den Ausfall einer zum Nachlass gehörenden Forderung aufgrund von Umständen, die erst nach dem Todestag des Erblassers eingetreten sind, nachträglich zu berücksichtigen. Die Erbschaftsteuer entsteht bei Erwerben von Todes wegen mit dem Tod des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Dieser Zeitpunkt ist nach § 11 ErbStG zugleich für die Wertermittlung maßgeblich. Sie stellt damit eine Momentaufnahme dar und nicht das Ergebnis einer dynamischen Betrachtung, mit der sich auch die weitere wertmäßige Entwicklung des Erwerbs erfassen ließe. Dies schließt es aus, nachträglich eingetretene, d. h. am Bewertungsstichtag noch nicht vorhandene Umstände auf diesen Zeitpunkt zurückzubeziehen.886 Bei der Erbschaftsteuer hat sich der Gesetzgeber somit in Kenntnis der Fälle einer Beschränkung der Verfügungsbefugnis bei den Erben dahingehend entschieden, dass hinsichtlich der Entstehung der Erbschaftsteuer und der Bewertung des Nachlasses auf den Todestag des Erblassers abzustellen ist, § 11 i.V.m. § 9 Abs. 1 ErbStG.887 Es wird bewusst auf diesen Zeitpunkt abgestellt, sodass auch andere Auslegungsmethoden kein anderes Ergebnis liefern können. Nachträgliche Ereignisse können somit nur mit einem Billigkeitserlass berücksichtigt werden.888 Insoweit kommt es zu einem ungewollten Überhang des Steuertatbestandes, weil der Rentenberechtigte zwar keine Zahlungen mehr erhält, aber weiterhin bis zu seinem Ableben nach § 23 Abs. 1 ErbStG die Jahressteuer für eine lebenslängliche Rente zu entrichten hat.889 Die Festsetzung der Steuer entspricht dem Gesetz.890 Bei der Zahlungsunfähigkeit der Tochter handele es sich um ein nachträgliches Ereignis, welches erbschaftsteuerlich nicht berücksichtigt werden kann. Allerdings widerspricht die Besteuerung im Einzelfall den Wertungen des Gesetzgebers. In diesem Fall ging es allein um die Wertung des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber wollte, dass nachträgliche Ereignisse nicht mehr berücksichtigt werden, allerdings hat er nicht bedacht, dass im Falle der Zuwendung einer Rente der Rentenberechtigte keine Zahlungen mehr erhält, dafür aber weiterhin bis zu seinem Ableben die Jahressteuer für eine lebenslängliche Rente zu entrichten hat. Der Gesetzgeber hat bei der Konzipierung des Stichtagsprinzips nicht an diesen Fall der nachträglichen Zah886 BFH/NV 2001, 420, 421; 2000, 320; J. E. Milatz, in: Burandt/Rojahn [Hrsg.], Erbrecht, § 11 ErbStG, Rdnr. 2. 887 FG Köln, EFG 1998, 1603. 888 Aufgrund dieser eindeutigen Regelung ist ein Billigkeitserlass allerdings nur in krassen Einzelfällen anzuwenden, vgl. FG Köln, EFG 1998, 1603 f.; J. E. Milatz, in: Burandt/Rojahn [Hrsg.], Erbrecht, § 11 ErbStG, Rdnr. 2. 889 BFHE 247, 170, 174. Dieser Auffassung schließt sich die Literatur an, vgl. J. Eisele, in: Kapp/Ebeling [Hrsg.], ErbStG, § 23, Rdnr. 16; J. P. Meincke, ErbStG, § 23, Rdnr. 8 f.; St. Schuck, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz [Hrsg.], ErbStG/BewG, § 23 ErbStG, Rdnr. 7; N. Weinmann, in: Moench/Weinmann [Hrsg.], ErbStG, § 23, Rdnr. 26. 890 BFHE 247, 170, 174, auch zum Folgenden.
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses
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lungsunfähigkeit eines Verpflichteten gedacht. Es liegt mithin die Fallgruppe des Steuererlasses aufgrund eines Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers vor. cc) Energiesteuer, BVerfG (K), NVwZ 1995, 989 Ebenso eindeutig, welcher Fallgruppe der Steuererlass zugeordnet werden kann, sind die Fälle zur Doppelbesteuerung im Energiesteuerrecht.891 Der Gesetzgeber möchte mit den Vermischungstatbeständen und Ausnahmen verhindern, dass Mineralöle grundsätzlich vermischt werden.892 In den genannten Fällen zur Doppelbesteuerung hilft daher auch keine vorrangige Auslegung der Normen, um die Doppelbesteuerung zu vermeiden. Wenn der Gesetzgeber bewusst eine Vermischung vermeiden möchte, ist dieses gesetzgeberische Konzept auch bei einer Auslegung zu berücksichtigen. Die Vermischungsvermeidung trägt dabei auch umweltrechtlichen Aspekten Rechnung, da die Steuerpflichtigen dazu beitragen sollen, keine unbrauchbaren Mineralöle, die aufwendig entsorgt werden müssen, zu erzeugen. Das im Energiesteuerrecht geltende Prinzip der Doppelbesteuerung hat somit einen Sanktionierungscharakter. Er möchte Vermischungen sanktionieren, wenn diese unbrauchbar sind. Dieser eindeutige Sinn und Zweck der Doppelbesteuerung ist damit auch die Grenze einer Auslegung. In den hier behandelten Fällen wird regelmäßig mit den Wertungen des Gesetzgebers argumentiert. Sofern das Gemisch weiterhin brauchbar ist, kann die doppelte Steuerfestsetzung gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit im Steuerrecht verstoßen und nicht mehr mit der Sicherung des Steueraufkommens gerechtfertigt werden,893 sodass ein Steuererlass in Betracht kommt. In diesen Fällen liegt regelmäßig die Fallgruppe des Steuererlasses wegen Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers vor, der verfassungsrechtlich untermauert ist. Die Doppelbesteuerung widerspricht trotz der weiteren Verwendbarkeit des Mineralölgemisches dann dem Sanktionierungscharakter der jeweiligen Vorschriften. In diesen Fällen entfällt der Sanktionierungscharakter. Der Gesetzgeber wollte die Vermischung grundsätzlich doppelt besteuern, allerdings hat er nicht daran gedacht, dass es Fälle gibt, in denen das Gemisch weiterhin brauchbar und verwertbar ist. Der Zweck der Doppelbesteuerung wird dann verfehlt und es liegt ein Überhang vor.
891
Siehe dazu bereits im 2. Kapitel unter C. I. 2. b) bb). FG Hamburg, Urteil v. 26. 11. 2010 – 4 K 287/09 –, juris, Rdnr. 26. Ebenso BFH/NV 2014, 7, 9. 893 BVerfG (K), NVwZ 1995, 989, 990. 892
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
b) Entscheidungen zur Fallgruppe des Steuererlasses aus Verfassungsgründen aa) Werkfernverkehr, BVerfGE 16, 147 ff. Wann ein Steuererlass aus Verfassungsgründen möglich ist, zeigt zunächst die Entscheidung zum Werkfernverkehr.894 Mit der Besteuerung des Werkfernverkehrs verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die Unternehmer zu einer Nutzung der (damaligen) Bundesbahn zu veranlassen. Der damalige Bundesminister für Verkehr hat zur Rechtfertigung der Steuererhöhung in der 38. Sitzung des Bundestags am 9. Juli 1954 ausdrücklich erklärt: „Ein Hauptziel der verkehrspolitischen Gesamtkonzeption der Bundesregierung ist die Eindämmung des Werkverkehrs.“895 Diesem Ergebnis widerspreche auch nicht die Tatsache, dass es entgegen dieser Zielsetzung einzelne Unternehmer gab, die aufgrund der Eigenart der zu transportierenden Güter oder der ungünstigen Lage ihres Betriebes gar nicht imstande waren, auf die Bundesbahn auszuweichen. Denn in diesem Fall war der generelle Eingriff in die Berufsfreiheit durch Interessen des Gemeinwohls gerechtfertigt.896 Das Ausbleiben der Verlagerung eines erheblichen Teils der vom Werkfernverkehr unterlassenen Beförderungen auf die Eisenbahn und damit des wesentlichen für das Gemeinwohl erstrebten Vorteils könne den empfindlichen Eingriff in die Berufsfreiheit noch nicht unzumutbar machen.897 Eine Auslegung der Norm in diesem Fall führt zu keinem anderen Ergebnis, weil der Gesetzgeber bestimmte Unbilligkeiten mit der Lenkungsmaßnahme ausdrücklich in Kauf genommen hat. Auch liegt keine Zweckverfehlung vor. Die in der erhöhten Beförderungsteuer liegende Ausübungsregelung greift in die Freiheit der Berufsausübung generell, bei bestimmten Unternehmen und Unternehmensarten und bei bestimmten Wirtschaftszweigen sogar empfindlich ein. Dies war auch die Absicht des Gesetzgebers, was verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden kann.898 Denn es widerstreitet nicht grundsätzlich der grundrechtlichen Garantie der Berufsfreiheit, wenn die in der Steuernorm enthaltene Lenkungsmaßnahme als generalisierende Regelung von dem je verschiedenen Grad der wirtschaftlichen Entbehrlichkeit des Werkfernverkehrs absehen muss. Wenn ein Unternehmer allerdings nicht auf die Bundesbahn aufgrund seiner besonderen Lage ausweichen kann, ist ein in einem solchen Fall die Lenkungsmaßnahme nicht mehr durch Allgemeinwohlerwägungen gerechtfertigt. Unternehmen, die wegen ihrer Eigenart oder ihrer geographischen Lage den Werkfernverkehr nicht entbehren, insbesondere auf die öffentlichen Verkehrsträger nicht ausweichen können, haben die ganze Härte der
894 895 896 897 898
Zur Entscheidung siehe bereits im 2. Kapitel unter C. I. 2. b) aa). StenBer. S. 1785, abgedruckt in BVerfGE 16, 147, 161. BVerfGE 16, 147, 166 ff. BVerfGE 16, 147, 181. BVerfGE 16, 147, 176.
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses
153
Lenkungsmaßnahme zu tragen.899 In diesem Fall ist es dem Steuerpflichtigen unzumutbar, die Beförderungssteuer zu zahlen, wodurch es zu einer Verletzung der Garantie der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG kommt. In solchen Fällen ist ein Steuererlass aus Verfassungsgründen im Einzelfall auszusprechen. bb) Einkommensteuer, BVerfGE 50, 57 ff. Ähnliche Erwägungen zum Erlass stellt der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung zur Zinsbesteuerung aus dem Jahr 1978 an.900 Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Besteuerung von Zinsen aus Einlagen bei Kreditinstituten nach ihrem Nennwert nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Der Vorschrift des § 20 Abs. 1 EStG liege das Nominalwertprinzip zugrunde. Nach dem Nominalwertprinzip sei es nicht möglich, § 20 Abs. 1 EStG a.F. dahingehend auszulegen, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen nur so weit von der Einkommensteuer erfasst werden dürften, als sie die durch die Geldentwertung eintretende Wertminderung des Kapitalvermögens übersteigen.901 Wertänderungen des Kapitals wirken sich auf die Besteuerung der tatsächlich erzielten Nominalerträge nicht aus. Das gelte grundsätzlich auch für Kapitalwertänderungen infolge Währungsverfalls.902 Ferner gelten diese Grundsätze auch dann, wenn die Zinsen die jährlichen Entwertungsraten des Kapitals nicht überschreiten.903 Hervorzuheben sind in dieser Entscheidung die Ausführungen zur Bedeutung des Nominalwertprinzips und der Ablehnung der Indexierung der steuerlichen Bemessungsgrundlagen. Zum einen könne der Gesetzgeber dem Geldwertschwund auf andere Weise, etwa durch Erhöhung der Freibeträge und Freigrenzen, Rechnung tragen.904 Zum anderen stehe es dem Steuerpflichtigen frei, eine geeignete Anlageform zu wählen.905 Das entscheidende Argument ist jedoch, dass die Berücksichtigung der Geldentwertung für den Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen zu einem Systembruch führen würde und nicht praktikabel sei.906 Die Berücksichtigung von Geldvermögensverlusten müsste neben der Einkommensbesteuerung von Zinsen auch bei anderen Steuern beachtet werden, was zu einem Verwaltungsaufwand führen würde, der nicht mehr zu bewältigen wäre.907 Das Gericht macht dabei noch einmal deutlich, dass Praktikabilitätsgesichtspunkte bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von 899 900 901 902 903 904 905 906 907
BVerfGE 16, 147, 177. BVerfGE 50, 57 ff. BVerfGE 50, 57, 58 f. Ebenso bereits BFHE 112, 546, 556 ff. BVerfGE 50, 57, 59, 65. BVerfGE 50, 57, 79. BVerfGE 50, 57, 66 f. BVerfGE 50, 57, 79. BVerfGE 50, 57, 65 f. BVerfGE 50, 57, 66, 83.
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
steuerlichen Vorschriften berücksichtigt werden dürfen,908 wenn sachgerechte Gründe vorliegen.909 Der sachliche Grund liege vor allem darin, dass dem Geldwertverlust des Sparkapitals die Erhöhung des Sparvermögens durch das gestiegene Einkommen gegenübersteht.910 Insofern sei es nicht ungewöhnlich, dass sich nicht nur der Realwert des Vermögens, sondern auch der Realwert der Schulden durch die Geldentwertung vermindert hat. Die gesamte Auslegung des § 20 Abs. 1 EStG a.F. fußte auf der Bedeutung des Nominalwertprinzips im Einkommensteuerrecht und die damit gewährleistete Praktikabilität der Besteuerung. Es sei demnach nicht möglich, die Norm dahingehend auszulegen, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen nur so weit von der Einkommensteuer erfasst werden dürften, als sie die durch die Geldentwertung eintretende Wertminderung des Kapitalvermögens übersteigen.911 Etwas anderes ergibt sich erst bei einem Sachverhalt, bei dem das Kapital in Jahren der Erwerbstätigkeit angesammelt und als Quelle der Altersversorgung bestimmt worden ist.912 Hat das Kapital dann nur einen Ertrag, der in vollem Umfang zur Lebensführung benötigt wird, so hat der Kapitaleigner keine Möglichkeit, den Kapitalstamm aus den Erträgen aufzustocken, um bei steigenden Lebenshaltungskosten seine Versorgung auch für die Zukunft sicherzustellen. Hier würde die Besteuerung der Zinsen, soweit sie überhaupt nach Abzug der möglichen Freibeträge und Anwendung des gestaffelten Steuertarifs eingreift, die wirtschaftliche Situation des Betroffenen zusätzlich zu der Geldentwertung verschlechtern. Sei eine solche besondere soziale Lage gegeben, könne dieser mit einem Billigkeitserlass begegnet werden. In diesem Fall ist der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Im Einzelfall liegt demnach ein Verfassungsverstoß vor, der mit einer Billigkeitsmaßnahme behoben werden kann. Vorliegend wird nicht lediglich mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen argumentiert, sondern es wird ein tatsächlicher Verstoß gegen das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt. Die Besteuerung der Zinsen widerspricht hier gerade nicht der gesetzlichen Wertung, welche auf Praktikabilitätserwägungen fußt. Mit dem Gedanken der Praktikabilität lassen sich zwar gewisse Unbilligkeiten rechtfertigen. Die Besteuerung der Zinsen darf jedoch nicht dazu führen, dass der Kapitaleigner keine Möglichkeit mehr hat, den Kapitalstamm aus den Erträgen aufzustocken, um bei steigenden Lebenshaltungskosten seine Versorgung auch für die Zukunft sicherzustellen und dadurch in finanzielle Not gerät. Mithin ist in einer solchen Lage ein Steuererlass aus Verfassungsgründen zu gewähren.
908 909 910 911 912
BVerfGE 50, 57, 82. BVerfGE 50, 57, 80. BVerfGE 50, 57, 86 auch zum Folgenden. BVerfGE 50, 57, 58 f. BVerfGE 50, 57, 86 auch zum Folgenden.
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses
155
cc) Erbschaftsteuer, FG Köln, EFG 2009, 1523 ff. Zunächst nicht eindeutig, welcher Fallgruppe der Steuererlass zuzuordnen ist, ist die bereits erwähnte Entscheidung des Finanzgerichts Köln zur Erbschaftsteuer.913 Das Gericht nahm einen Fall des Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers an und konstatierte zugleich, dass in diesen Einzelfällen kraft Verfassungsrechts durch einen Billigkeitserlass eine gerechte Entscheidung getroffen werden muss.914 Für eine Abgrenzung der beiden Fallgruppen ist jedoch entscheidend, dass das Gericht das Verfassungsrecht nicht lediglich dazu genutzt hat, den Überhang zu untermauern, sondern im konkreten Fall einen Verfassungsverstoß angenommen hat, der einen Billigkeitserlass fordert.915 Der Ansatz der Kommanditbeteiligung des Erblassers an der Gesellschaft stellt einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot dar.916 Zum Bewertungsstichtag wies die KG ein negatives Kapital in Höhe von ca. 600.000 DM aus und war damit zu diesem Zeitpunkt überschuldet. Bei dieser Sachlage stand daher fest, dass der Gesellschaftsbeteiligung des Gesellschafters trotz des Vorliegens eines positiven Kapitalkontos kein irgendwie gearteter positiver Steuerwert zukommen kann, der unter Berücksichtigung des Bereicherungsgrundsatzes des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts zu besteuern wäre. Denn das Abstellen allein auf das positive Kapitalkonto des Gesellschafters lässt außer Acht, dass dieser Gesellschaftsbeteiligung angesichts der finanziellen Gesamtsituation der Gesellschaft selbst kein besteuerungswürdiger oder besteuerungsfähiger Wert zukommt, die Gesellschaftsbeteiligung mithin nicht werthaltig ist, schon gar nicht im Umfang des nominellen Gesellschafterkapitalkontos.917 Eine Auslegung der § 12 Abs. 5 Satz 2 ErbStG i.V.m. § 97 Abs. 1 Nr. 5 BewG konnte die unbillige Härte nicht vermeiden, weil der Gesetzgeber den Kommanditanteil aufgrund von Praktikabilitätserwägungen nach dem Nominalwert besteuern wollte. Der Gesetzgeber verfolgt mit § 97 Abs. 1 Nr. 5 BewG den Zweck, dass Wertfeststellung des Betriebsvermögens am Stichtag zu erfolgen haben. Insbesondere darf die Auslegung die dem Steuertatbestand innewohnende Bewertung des Gesetzgebers nicht durchbrechen.918 Das Gesetz nimmt eine typisierte Bewertung nach dem Bewertungsgesetz vor, was den tatsächlichen Gegebenheiten und Wertigkeiten zwar nicht gerecht wird;919 allerdings ist diese Rechtsfolge gerade gewollt, damit die Finanzverwaltung praktikabel arbeiten kann. Eine tatsächliche Wertvorstellung ist bei der Vielzahl von Steuerfällen nicht möglich. Die Generalisierungen 913 914 915 916 917 918 919
Zur Entscheidung siehe bereits im 2. Kapitel unter C. I. 2. a) bb) (1). FG Köln, EFG 2009, 1523, 1524, 1526. Vgl. FG Köln, EFG 2009, 1523, 1524. FG Köln, EFG 2009, 1523, 1524 f. FG Köln, EFG 2009, 1523, 1524. BVerfGE 34, 165, 200; 45, 393, 400; 48, 102, 116; FG Köln, EFG 2009, 1523, 1526. FG Köln, EFG 2009, 1523, 1524.
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
und Typisierungen, die die Anwendung der Vorschriften des Bewertungsgesetzes mit sich bringen, rechtfertigen grundsätzlich keine Verletzung des Übermaßverbots im Einzelfall.920 Das Übermaßverbot ist jedoch verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Belastung extrem über das Normale hinausgehen, das der Schematisierung zugrunde liegt oder – anders ausgedrückt – die Folgen auch unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellungen durch den gebotenen Anlass nicht mehr gerechtfertigt sind.921 Ein solcher Fall war vorliegend gegeben. Denn die Besteuerung eines Vermögensgegenstandes mit einem fiktiven Steuerwert führt dazu, dass der Erbe die auf diesen Teil der Erbschaft entfallende Steuer aus seinem bisherigen Vermögen aufbringen muss. Nach Ansicht des Gerichts stellt die Besteuerung des rein buchmäßig vorhandenen Vermögenswerts, dem kein realer Wert entspricht, einen Eingriff in die Eigentums- und Vermögenssphäre der Rechtsnachfolger, der Erben, dar, der als übermäßig anzusehen sei.922 Der Gesetzgeber wusste, dass bei der Konzipierung des Stichtagsprinzips und der typisierten Bewertung nach dem Bewertungsgesetz im Einzelfall Härten auftreten können, weil der tatsächliche Wert geringer ist als der nach dem BewG. Der Gesetzgeber hat solche Fälle somit bedacht, sodass sich mit der Kategorie des Überhangs des Gesetzes über die Wertungen des Gesetzgebers ein Billigkeitserlass nicht begründen lässt. Die vom Gesetzgeber verfolgten Praktikabilitätserwägungen rechtfertigen es jedoch nicht, dass ein Steuerpflichtiger die auf diesen Teil der Erbschaft entfallende Steuer aus seinem bisherigen Vermögen aufbringen muss und so übermäßig belastet wird. Ein Verstoß gegen das Übermaßverbot verletzt das Grundgesetz, so dass in einem solchen Fall ein Billigkeitserlass aus Verfassungsgründen geboten ist. dd) Umsatzsteuer, BFHE 124, 94 ff. Ähnlich verhält es sich in Fällen, in denen Unterlagen für den Buchnachweis infolge höherer Gewalt verlorengehen und keine Anhaltspunkte gegen die ordnungsgemäße Aufbewahrung dieser Unterlagen gegeben sind.923 Das seinerzeit geltende UStG 1951924 enthielt in seinem § 4 bereits eine abschließende Aufzählung von Steuerbefreiungstatbeständen,925 sodass weitere Befreiungen im Wege der Auslegung und Anwendung des Gesetzes nicht geschaffen werden konnten. Die Voraussetzungen für die Steuerermäßigung mussten ferner 920
FG Köln, EFG 2009, 1523, 1526. BVerfGE 48, 102, 116; FG Köln, EFG 2009, 1523, 1526. 922 A.a.O. 923 Zur Entscheidung siehe bereits im 2. Kapitel unter C. I. 2. a) aa) (1) 924 Bekanntmachung der Neufassung des Umsatzsteuergesetzes v. 01. September 1951, BGBl. I 1951, S. 791 ff. 925 BGBl. I 1951, S. 791, 792. 921
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses
157
nach § 7 Abs. 3 UStG 1951, § 14 UStDB 1951 buchmäßig nachgewiesen werden. In einem Fall wie dem des BFHE 124, 94 ff. half eine Auslegung der zugrundeliegenden Normen daher nicht weiter. Die Steuer wurde nach den jeweiligen Steuergesetzten festgesetzt und erhoben. Mit dem Buchnachweis wollte der Gesetzgeber gerade verhindern, dass sich ein Steuerpflichtiger eine Steuerbefreiung erschleicht. Ferner dient der Buchnachweis der Praktikabilität, indem die Finanzverwaltung nur die Umstände berücksichtigen muss, die der Steuerpflichtige durch Buchnachweis vorlegt. Er hat somit auch bestimmte Unbilligkeiten in Kauf genommen. Eine Billigkeitsentscheidung ist nach den Grundsätzen der Steuergerechtigkeit und Steuergleichheit in solchen Fällen geboten, in denen Unterlagen für den Buchnachweis infolge höherer Gewalt verlorengehen und keine Anhaltspunkte gegen die Ordnungsmäßigkeit dieser Unterlagen gegeben sind. In diesem Falle ist der Steuerpflichtige so zu stellen, als wenn der Buchnachweis erbracht wäre.926 Es handelt sich in solchen Konstellationen jedoch nicht um einen Fall der Zweckverfehlung. Der Gesetzgeber will die Steuer nach den Umsätzen bemessen und fordert dafür Buchnachweise. Diese Wertung kann wiederum durch Praktikabilitätserwägungen begründet werden. Der Gesetzgeber hat auch an Fälle gedacht, in denen der Buchnachweis ohne Verschulden des Steuerpflichtigen nicht mehr erbracht werden kann. Insbesondere hat der Bundesfinanzhof das Vorliegen eines Erlassgrundes bereits grundsätzlich verneint für den Fall, dass der Buchnachweis infolge Irrtums oder ohne Verschulden des Unternehmers unterblieben ist.927 Auch diese Fälle widersprechen nicht dem Zweck des Buchnachweises, weil nur so eine praktikable Steuerfestsetzung durch die Finanzverwaltung möglich ist.928 Wenn Unterlagen für den Buchnachweis aber infolge höherer Gewalt verloren gehen und keine Anhaltspunkte gegen die Ordnungsmäßigkeit der Führung dieser Unterlagen ersichtlich sind,929 würde eine Pflicht zur Steuerzahlung den Steuerpflichtigen „in seinen Rechten verletzen“.930 Insofern sei dann von höherer Gewalt auszugehen, die zum (Teil-)Billigkeitserlass der Umsatzsteuer führe.931 Als höhere Gewalt sind solche Ereignisse anzusehen, die zu verhüten oder abzuwehren der Steuerpflichtige unter den gegebenen Verhältnissen auch durch die äußerste nach Lage der Sache von ihm zu erwartende Sorgfalt nicht imstande war.932 Der Steuerpflichtige hat den fehlenden Buchnachweis nicht nur nicht verschuldet, sondern hatte auf das Abhandenkommen keinerlei Einfluss. In diesen Fällen verletze eine Steuerzahlung den Steuerpflichtigen in seinen Rechten, was dem aus Art. 3 Abs. 1 GG
926 927 928 929 930 931 932
BFHE 124, 94, 97 f. BFHE 108, 571, 573. A.a.O. BFHE 124, 94, 98. BFHE 124, 94, 98. BFHE 124, 94, 97 f. BFHE 124, 94, 98; RGZ 158, 357, 361; BGHZ 17, 199, 204 f.
158
5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
abzuleitenden Grundsatz der Steuergerechtigkeit, nicht genügt.933 Dem kann nur durch einen Steuererlass aus Verfassungsgründen Rechnung getragen werden. ee) Grundsteuer, Hessischer VGH, Urteil vom 13. Februar 1980 – V OE 23/78 Ebenfalls spielen beim Erlass nichtabwälzbarer Grundsteuern ein verfassungsrechtliches Argument eine tragende Rolle. Der Verwaltungsgerichtshof konstatierte zunächst, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des Art. 3 § 4 Abs. 3 S. 2 WKSchG zwar eine rückwirkende Umlegung von Grundsteuererhöhungen von einer entsprechenden Vereinbarung in den Mietverträgen lösen und so für alle Mietverhältnisse die Möglichkeit hierzu eröffnen wollte. Der Gesetzgeber habe dabei jedoch die rückwirkende Abwälzung der Betriebskosten auf den Mieter zugleich in zeitlicher Hinsicht allgemein begrenzt934 und die Möglichkeit einer Unabwälzbarkeit der Steuer somit bewusst in Kauf genommen.935. Eine Ungleichbehandlung der Betroffenen stellt es jedoch dar, wenn die Abwälzung der Steuer von dem Zeitpunkt abhängt, zu dem der Steuerbescheid ergeht.936 Fordert die Behörde die Grundsteuererhöhung rechtzeitig vor dem Ende ihrer Abwälzbarkeit ein, steht dem Vermieter eine Abwälzung offen; geschieht dies nicht, ist ihm diese Möglichkeit verwehrt. Dieser Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG begründet die Unbilligkeit der nicht mehr abwälzbaren Grundsteuererhöhung und rechtfertigt so einen Billigkeitserlass aus Verfassungsgründen. ff) Kirchensteuer, FG Köln, EFG 2000, 1092 ff. Einen Billigkeitserlass aus Verfassungsgründen nahm das Finanzgericht Köln937 ferner bei der selbstständigen Kappung der Kirchensteuer durch die Kirchensteuerordnung der evangelischen Kirche Westfalen und Rheinland (KiStO) an.938 Bei der Begrenzung der evangelischen Kirchensteuer im Wege der Kappung handelt es sich um einen Teilerlass aus Gründen der sachlichen Unbilligkeit, die darin besteht, dass bei hohen Einkommen infolge der Progression bei der Einkommensteuer zugleich auch die von der Maßstabsteuer abhängige Kirchensteuer progressiv steigt und damit 933
BFHE 124, 94, 97 f. Ebenso BVerwG, DVBl. 1982, 1053, 1054. 935 Hessischer VGH, Urteil v. 13. Februar 1980 – V OE 23/78 –, juris, Rdnr. 36, 38. 936 Hessischer VGH, Urteil v. 13. Februar 1980 – V OE 23/78 –, juris, Rdnr. 37; auch zum Folgenden. 937 Zur Entscheidung siehe bereits im 2. Kapitel unter C. I. 2. a) cc). 938 Notverordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland gesetzesvertretende Verordnung der Evangelischen Kirche von Westfalen Kirchengesetz der Lippischen Landeskirche über die Erhebung von Kirchensteuern, v. 22. 9. 2000, 14. 9. 2000 und 28. 11. 2000, ABl. Rheinl. 2000 S. 297, geändert durch 6. Gesetzesvertretende VO v. 4./5./16. 12. 2014, GVBl. Lippe 2014, S. 359. 934
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses
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der Kirchensteuerpflichtige einer überproportionalen Kirchensteuerbelastung unterliegt. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass es gegen den Gleichheitssatz verstoße, wenn die Ausübung des Kappungswahlrechts demjenigen verweigert wird, der zwar zwischenzeitlich aus der Kirche ausgetreten ist, aber gleichwohl für die Zeit der Kirchenmitgliedschaft zur Kirchensteuer herangezogen wird. Das Abstellen auf den Fortbestand der Kirchenmitgliedschaft würde dazu führen, dass bereits Zufälligkeiten in der Zeitfolge der Bearbeitung über die Gewährung des Billigkeitserlasses entscheiden, was mit dem Postulat einer gleichmäßigen Besteuerung nicht zu vereinbaren sei.939 Dies stelle einen Verstoß gegen das Willkürverbot dar. Mit der Handhabung des Billigkeitserlasses der Kirche würden im Ergebnis die Kirchenmitglieder bessergestellt werden, als die zwischenzeitlich aus der Kirche ausgetretenen Steuerpflichtigen, was zudem gegen die in Art. 4 GG garantierte Religionsfreiheit verstoßen würde. Aus Gründen fortbestehender sachlicher Unbilligkeit bei höherverdienenden Kirchensteuerpflichtigen dürfen aus der Kirche Ausgetretene nicht von der Kappung ausgeschlossen werden. Das gesetzgeberische Konzept war die Entlastung höherer Einkommen aufgrund der Progression der Einkommensteuer. Die sachliche Unbilligkeit betrifft jeden Bezieher höherer Einkommen, unabhängig davon, ob dieser Gemeindebewohner auch Kirchenmitglied ist oder nicht.940 Es würde gegen die Verfassung verstoßen, wenn nun vor kurzem aus der Kirche ausgetretene Gemeindemitglieder von einem Billigkeitserlass ausgeschlossen werden. c) Zwischenergebnis Im Rückblick ist zunächst festzustellen, dass die Argumentation der Gerichte innerhalb der genannten Entscheidungen immer auf gesetzgeberischen Erwägungen und Konzepten beruhen. Die Wertungen des Gesetzgebers beinhalten Praktikabilitätserwägungen. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Spielräume der Verwaltung bei der Auslegung der Steuernormen zu beachten. Wenn sich der Gesetzgeber beispielsweise für das Nominalwertprinzip bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen entscheidet, dann beinhaltet diese Entscheidung auch die Tatsache, dass eine Geldentwertung durch Inflation im Grundsatz hingenommen werden muss. Ferner können bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer nachträglich eingetretene Umstände (beispielsweise die plötzliche Zahlungsunfähigkeit der mit der Zahlung einer Leibrente beschwerten Person) grundsätzlich nicht bei der Festsetzung der Steuer berücksichtigt werden. Aufgrund des anerkannten Gebotes der Praktikabilität von Steuernormen941 ist unter mehreren Auslegungsvarianten diejenige vorzugs-
939 940 941
FG Köln, EFG 2000, 1092, 1094 auch zum Folgenden. FG Köln, EFG 2000, 1092, 1094. Siehe dazu bereits im 3. Kapitel unter B. I.
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
würdig, bei der die Norm praktikabel ist.942 Wenn sich der Gesetzgeber somit aus Praktikabilitätsgründen für ein bestimmtes Prinzip entschieden hat und dieses aus verfassungsrechtlicher Sicht in den meisten Fällen zu gerechten Ergebnissen führt, ist das Prinzip bei der Gesetzesanwendung zu beachten und stellt damit auch die Grenze der Auslegung dar. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet und in Kauf genommen hat, rechtfertigt somit keine Billigkeitsmaßnahme.943 Vor diesem Hintergrund können die Ausführungen zur teleologischen Auslegung deutlicher gemacht werden: Der Gesetzgeber weiß, dass, wenn er das Nominalwertprinzip einer Besteuerung zugrunde legt, dieses auch dazu führt, dass einige Steuerzahler mehr Steuern bezahlen müssen als andere. Gewisse Unbilligkeiten, die mit Praktikabilitätserwägungen unweigerlich einhergehen, nimmt der Gesetzgeber somit in Kauf.944 Praktikabilitätserwägungen nehmen im Steuerrecht einen hohen Stellenwert ein und sind daher auch bei der Auslegung und Anwendung steuerrechtlicher Normen entsprechend zu berücksichtigen.945 Die Grenze, ab wann bei der Auslegung und Anwendung einer Steuernorm nicht mehr mit Praktikabilitätsgesichtspunkten argumentiert werden kann, ist erreicht, wenn es bei ihr nicht nur in einzelnen Fällen zu einer unbilligen Härte kommt, sondern die Norm generell zu einer unbilligen Härte führt. Denn diese Folge kann nicht im Willen des Gesetzgebers liegen.946 Insofern können die Steuerpflichtigen nicht auf eine Billigkeitsmaßnahme im Einzelfall verwiesen werden, sondern die Norm ist schon an sich als nicht im Einklang mit höherrangigem Recht stehend zu betrachten. Im Fall der Besteuerung nach dem Nominalwertprinzip hat der Gesetzgeber bereits mit Freibeträgen einen gewissen Ausgleich geschaffen, damit das Gesetz den Anforderungen an eine verfassungs942
Siehe dazu beispielsweise BFHE 58, 381, 384; 63, 76, 80 f.; 63, 223, 227; 65, 251, 254; 66, 193, 196; 66, 497, 504; 69, 604, 611; R. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 72. So bereits G. Felix, in: FS Spitaler, 1958, S. 124 ff. 943 So zuletzt BFH/NV 2018, 1299, 1301. 944 Dies bringt der Bundesfinanzhof in einigen Entscheidungen zum Ausdruck, vgl. BFHE 58, 381, 384: „Unzweifelhaft kann ein derartiges, vom Verfahren bei der Lohnsteuer abweichendes Verlangen im einzelnen Fall zu Härten führen. Angesichts des offenkundigen im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gelangten Willens des Gesetzgebers, für den in erster Linie, wie schon betont, der weithin zu beachtende Grundsatz der möglichsten Einfachheit der Besteuerung maßgebend gewesen sein dürfte, müssen solche etwaigen Härten in Kauf genommen werden. Sie werden sich bei dem im Vergleich zur Einkommensteuer geringen Ausmaß der Belastung im Allgemeinen in erträglichen Grenzen halten. Unbilligen Härten im Einzelfall zu begegnen, wäre bei dieser Rechtslage Aufgabe der Verwaltungsbehörde.“ Ferner auch BFHE 69, 604, 611: „Bei der Abwägung der für und gegen die Verfassungsmäßigkeit einer steuerlichen Bestimmung sprechenden Gründe kann den Grundsatz der Praktikabilität dazu führen, der bestehenden gesetzlichen Regelung den Vorzug zu geben vor einer Lösung, die zwar dem Idealbild der Verfassungsmäßigkeit vielleicht näherkommt, sich aber als zu kompliziert und daher in der Praxis als undurchführbar erweist.“ 945 Ebenso bereits G. Felix, in: FS Spitaler, 1958, S. 127 f. 946 So bereits BFHE 69, 392, 395 auch zum Folgenden.
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses
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gemäße Besteuerung im Grundsätzlichen standhält. In den zuvor genannten Fällen kam es nur in Einzelfällen zu Härtefällen, sodass die allgemein mit dem Gesetz verbundenen Härten durch Praktikabilitätserwägungen gerechtfertigt waren. Es ist somit festzuhalten, dass Praktikabilitätserwägungen die Auslegung jeder Steuernorm leiten bis zur Grenze der absoluten, nicht mehr vertretbaren Unbilligkeit, die dann mit dem Dispens ausgeglichen werden kann.
III. Ergebnis und Fazit Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die beiden Fallgruppen des Steuererlasses wegen Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers und des Steuererlasses aus Verfassungsgründen unterschieden werden können und auch eine Abgrenzung zur vorrangigen Auslegung der Steuernorm möglich ist. Im Folgenden sollen diese Fallgruppen abschließend systematisiert werden, um die Anwendung dieser Fallgruppen in der Praxis handhabbar zu machen. Wie in den zuvor genannten Fällen erörtert, ist das entscheidende Abgrenzungskriterium der Wille des Gesetzgebers beziehungsweise das gesetzgeberische Konzept, das zuvor ermittelt werden muss. Entweder der Gesetzgeber hätte eine bestimmte, den Steuerpflichtigen belastende Rechtsfolge nicht gewollt, wenn er an sie gedacht hätte, dann kommt in einem Härtefall ein Steuererlass aufgrund eines Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers in Betracht; oder aber der Gesetzgeber hat an eine solche Rechtsfolge zwar ebenfalls nicht gedacht, jedoch hat er im einfachen Recht keine Wertung getroffen, über welche die Rechtsfolge hinausreichen könnte, dann ist bei einer Verletzung des Grundgesetzes durch diese Rechtsfolge in einem Einzelfall ein Steuererlass aus Verfassungsgründen zu gewähren. 1. Die Grenze zwischen der Auslegung einer Steuernorm und der Anwendung eines Steuererlasses Liegt ein Sachverhalt vor, der den Steuerpflichtigen nach dem Wortlaut des Tatbestandes übermäßig belastet, das anzuwendende Gesetz als solches aber verfassungsgemäß ist, ist vorrangig an eine Lösung dieses Konflikts durch Auslegung der Norm zu denken, ehe ein Billigkeitserlass in Erwägung zu ziehen ist.947 In diesem Sinne kann von einer subsidiären Natur der Billigkeitsmaßnahmen gegenüber der 947
BFH/NV 1992, 530, 531; BFHE 94, 156, 159; J. Isensee, in: FS Flume, 1978, Bd. II, S. 129, 136, D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6205; C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, 1999, S. 54; R. Seer, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 21, Rdnr. 335; R. Rüsken, in: Klein [Hrsg.], AO, § 163, Rdnr. 33; R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 190 und 252.
162
5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
Auslegung gesprochen werden.948 Die Problematik einer Grenzziehung zwischen Auslegung der Steuernorm und der Anwendung des Steuererlasses wird vor allem bei der Fallgruppe des Überhanges des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers deutlich. Wenn das ausschlaggebende Kriterium für einen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen das der Zweckverfehlung und bei diesem Thema somit eine teleologische Auslegung vorzunehmen ist,949 stellt sich die Frage, wo die Grenze zwischen Normauslegung und Normdispens zu ziehen ist. Denn die Prüfung des Vorliegens einer Zweckverfehlung ähnelt der Methode der teleologischen Auslegung von Gesetzen, bei der eine Auslegungsvariante, die nach dem Wortlaut des Gesetzes möglich wäre, aus dem Gesichtspunkt des Zwecks der Norm verworfen wird.950 Lässt sich dem Zweck einer Norm schon im Rahmen ihrer Auslegung Rechnung tragen, fragt es sich, welcher Anwendungsbereich dem Billigkeitserlass wegen Überhangs des Gesetzes über die Wertungen des Gesetzgebers verbleibt, bei dem ebenso auf den Zweck der Norm zu rekurrieren ist. Die notwendige Abgrenzung von Normauslegung und Normdispens kann nur unter Heranziehung der methodischen Grenzen der Normauslegung vorgenommen werden, mag sich in der Praxis hier naturgemäß keine über jeden Zweifel erhabene Trennschärfe erreichen lassen. Die Prüfung, ob überhaupt ein Steuererlass im Einzelfall notwendig ist oder nicht doch eine vorherige Auslegung der Steuernorm im Einzelfall ausreicht, um einem Härtefall die Spitze zu nehmen, erfolgt daher in zwei Schritten.951 Das abstrakte Gesetz ist zunächst auf den konkreten Einzelfall anzuwenden. Wenn das Gesetz nach dem Wortlaut grundsätzlich anwendbar ist, im Einzelfall aber dennoch eine übermäßige Härte besteht, endet hier nicht die rechtliche Würdigung dieses Falles. Der Rechtsanwender hat nun eine teleologisch adäquate Ergänzung vorzunehmen.952 Allerdings sind dabei die Grenzen der Auslegung zu beachten.953 Die Auslegung darf nicht über das hinausgehen, was sich der Gesetzgeber bei der Schaffung des Gesetzes gedacht hat. Die Auslegung im Einzelfall darf dem Sinn und Zweck der Norm nicht zuwiderlaufen. Der Regelungszweck des Gesetzes muss jedoch auch erkennbar sein.954 Der Rechtsanwender muss diesen anhand objektiver Kriterien belegen und darf nicht sein subjektives Verständnis zur Grundlage erhe948
H. Weber, Steuererlass und Steuerstundung, 1980, S. 32. So R. Fritsch, in: König [Hrsg.], AO, § 227, Rdnr. 18 ff.; R. Rüsken, in: Klein [Hrsg.], AO, § 163, Rdnr. 31; R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 252; J. Englisch, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 74. 950 Teilweise wird sogar expressis verbis darauf hingewiesen, dass es sich bei der Anwendung des Dispenses um eine teleologische Auslegung der Norm handelt, vgl. C. Gerber, Stundung und Erlass von Steuern, 1999, S. 53 f. 951 Dazu T. Wilke, Billigkeit im Steuerrecht, 2006, S. 267. 952 J. Englisch, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 74. 953 Siehe dazu bereits in diesem Kapitel unter A. II. 954 BFHE 140, 393, 395 f.; 143, 554, 557 f. 949
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses
163
ben.955 Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektive Wille des Gesetzgebers.956 Zu diesem objektiven Willen gehört auch die Frage, ob der Gesetzgeber bestimmte Unbilligkeiten mit der Konzipierung der Steuernorm ausdrücklich berücksichtigt beziehungsweise bedacht hat. Wenn der Gesetzgeber gesehen hat, dass im Einzelfall eine besondere Belastung für den Steuerpflichtigen auftreten kann, weil ein Unternehmer beispielsweise aufgrund seiner besonderen Lage nicht auf die Bundesbahn ausweichen kann und dadurch höhere Steuern zu zahlen hat957 oder aber ein Kommanditanteil aufgrund von Praktikabilitätserwägungen nach seinem Nominalwert und nicht nach seinem tatsächlichen Wert zu besteuern ist,958 dann darf sich die Auslegung über diesen Willen des Gesetzgebers nicht hinwegsetzen. Eine Auslegung über diesen Willen hinaus ist unzulässig, sodass ein Normdispens als letzte und einzige Möglichkeit verbleibt, den Härtefall zu lösen. Der durch Auslegung zu ermittelnde Wille des Gesetzgebers stellt so den Übergang von der Normauslegung zum Normdispens dar.959 In Härtefällen besteht eine Gesetzeslücke, welche mit einem Dispens zu füllen sein kann.960 2. Die Fallgruppe des Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers Ein Steuererlass aufgrund einer Zweckverfehlung liegt dann vor, wenn der Tatbestand über die gesetzgeberischen Wertungen hinausgeht. Es handelt sich dabei um Fälle, die im Grundsatz in das gesetzgeberische Konzept passen, die jedoch so besonders sind, dass der Gesetzgeber an diese nicht gedacht hat.961 Wenn der Gesetzgeber den Härtefall nicht bedacht hat, aber anzunehmen ist, dass er ihn geregelt hätte, wenn er an ihn gedacht hätte, ist regelmäßig von einer Zweckverfehlung auszugehen.962 Es handelt sich dabei um Fälle, in denen sich die Unbilligkeit unmittelbar aus der Verwirklichung abgabenrechtlicher Normen selbst ergibt.963 Es geht dabei um die 955 F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik, Rn. 96, 364; K.-D. Drüen, in: Tipke/ Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 285. 956 BVerfGE 79, 106, 121; BFHE 243, 69, 75. 957 BVerfGE 16, 147, 166 ff. Zum Fall siehe bereits in diesem Kapitel unter D. II. 2. b) aa. 958 FG Köln, EFG 2009, 1523, 1526. Zum Fall siehe bereits in diesem Kapitel unter D. II. 3. b) cc). 959 Im Ergebnis ebenso P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 782. 960 Zu den unterschiedlichen Arten von Gesetzeslücken und deren Vorgehensweise: J. Englisch, in: Tipke/Lang [Hrsg.], Steuerrecht, § 5, Rdnr. 74 ff.; K. Tipke, in: FS von Wallis, 1985, S. 133, 138 ff. 961 Siehe dazu bereits die Nachweise in Fn. 638. 962 A.a.O. 963 Diese Zuordnung trifft auch R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 253.
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
Frage, welche Wertung der Gesetzgeber mit Schaffung des Steuergesetzes getroffen hat. Stets muss es sich um einzelfallbezogene Ungerechtigkeiten handeln. Generelle Mängel lassen sich im Billigkeitswege nicht beheben.964 Keine Unbilligkeit liegt demnach vor, wenn im Gesetz eine bestimmte Entscheidung getroffen worden ist und damit der Steuerpflichtige belastet wird. Stellt eine gesetzgeberische Entscheidung generell eine Belastung für alle Steuerpflichtigen dar, muss diese Belastung im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung hingenommen werden; eine Billigkeitsmaßnahme in einem Einzelfall würde die Wertung des Gesetzgebers nicht verwirklichen, sondern gerade verändern.965 Stets muss also eine besondere Härte im Einzelfall vorliegen. Hierunter können systemimmanente Beeinträchtigungen,966 wie zum Beispiel Härten, die sich bei der Einkommensteuer allein aus dem Nominalwertprinzip ergeben, fallen. Ebenso zu den klassischen Fällen gehören die Fälle der Zweckverfehlung bei steuerlichen Nebenleistungen, wenn es beispielsweise sinnvoll wäre, Säumniszuschläge einzuziehen, obwohl bereits die Begleichung der zugrundeliegenden Steuerschuld infolge Zahlungsunfähigkeit unmöglich war.967 Ebenso eindeutig der Fallgruppe des Steuererlasses aufgrund eines Überhanges des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers ist die nicht gewollte Doppelbesteuerung im Energiesteuerrecht zuzuordnen. Grundsätzlich ist die Doppelbesteuerung im Energiesteuerrecht in der Systematik der zugrundeliegenden Regelungen begründet und daher als typische Beeinträchtigung nicht geeignet, einen Erlass zu rechtfertigen. Erst wenn die Doppelbesteuerung dem Sanktionierungszweck widerspricht, kann ein Erlass der Steuer gerechtfertigt sein. Entscheidendes Indiz für diese Fallgruppe ist die Unvereinbarkeit eines Ergebnisses der Rechtsanwendung mit dem gesetzgeberischen Konzept. Die Nichtabziehbarkeit einer persönlich unvermeidbaren Ausgabe widerspricht dann etwa dem Sinn der abschließenden Aufzählung der Sonderausgaben in § 10 EStG968 oder aber die Besteuerung eines noch brauchbaren Kraftstoffgemischs dem Sanktionierungscharakter im Energiesteuerrecht.969 In diesen Fällen muss ein Billigkeitserlass im Sinne einer Zweckverfehlung nicht zusätzlich auf allgemeine Rechtsgrundsätze gestützt werden.
964 965 966 967 968 969
Siehe dazu bereits Fn. 643. G. Frotscher, in: Schwarz/Pahlke [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 18. Zum Begriff R. v. Groll, in: HHSp [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 254. Siehe dazu bereits Fn. 25. Siehe dazu bereits in diesem Kapitel unter D. II. 3. a) aa). Siehe dazu bereits in diesem Kapitel unter D. II. 3. a) cc).
D. Das Verhältnis zwischen den Fallgruppen des Erlasses
165
3. Die Fallgruppe des Steuererlasses aus Verfassungsgründen Eine Billigkeitsmaßnahme nach den §§ 163, 227 AO kann auch dazu dienen, die steuerliche Belastung im Einzelfall mit der verfassungsmäßigen Ordnung in Einklang zu bringen. So kann eine Billigkeitsmaßnahme dazu genutzt werden, die Verfassungswidrigkeit einer Norm zu vermeiden.970 Bei der gebotenen Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen kann sich insbesondere ergeben, dass eine Steuerfestsetzung im atypischen Einzelfall mit dem Grundsatz der Belastungsgleichheit unvereinbar ist,971 einen Verstoß gegen das Übermaßverbot darstellen972 oder im Einkommensteuerrecht gegen das Gebot einer Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit verstoßen würde.973 Zur Konkretisierung des Begriffs der Unbilligkeit kommen sodann vor allem die Art. 3, 6, 12 und 14 GG in Betracht. Ein Verfassungsverstoß liegt dann vor, wenn der Gesetzgeber an die Folgen der Besteuerung überhaupt nicht gedacht hat und es aber unverhältnismäßig und unzumutbar wäre, an der Besteuerung in der festgesetzten Höhe festzuhalten. Hat der Gesetzgeber beispielsweise die Unabwälzbarkeit der Grundsteuer vom Vermieter auf den Mieter bewusst in Kauf genommen, kann es zu Ungleichbehandlungen kommen, wenn die Möglichkeit der Abwälzung von dem Zeitpunkt abhängt, in dem der Steuerbescheid ergeht.974 In diesen Fällen kommt ein Steuererlass aus Verfassungsgründen in Betracht, um einer Verletzung des Gleichheitssatzes und damit eines Grundrechts des Steuerpflichtigen zu vermeiden. Bei der Beurteilung des Steuererlasses aus Verfassungsgründen bei bestandskräftigen Steuerbescheiden kommen zudem allgemeine Rechtsgrundsätze zur Anwendung. Dazu gehören beispielsweise Fälle, in denen es dem Steuerpflichtigen unzumutbar war, sich rechtzeitig gegen eine offensichtlich unrichtige Steuerfestsetzung zu wehren.975 Eine Unbilligkeit kann beispielsweise vorliegen, wenn der Anspruch aus dem Steuerrechtsverhältnis aufgrund eines Verschuldens der Finanzbehörde unanfechtbar zu hoch festgesetzt worden ist.976 Hinzugezogen werden allgemeine Rechtsgrundsätze, um diese Interessenabwägung mit Inhalt zu füllen und damit die Verfassungsgrundsätze zu ergänzen. In diesem Fällen kann es unverhältnismäßig sein, wenn gegen den Steuerpflichtigen 970
G. Frotscher, in: Schwarz/Pahlke [Hrsg.], AO/FGO, § 163 AO, Rdnr. 124; Th. Oellerich, in: Beermann/Gosch [Hrsg.], AO/FGO, § 163 AO, Rdnr. 57. 971 BFH/NV 2004, 1212. 972 BFHE 184, 193, 196; FG Hamburg, Urteil v. 14. Januar 2005 – II 259/03 –, juris, Rdnr. 19. 973 Zur Bedeutung des Leistungsfähigkeitsprinzips im Einkommensteuerrecht, vgl. Fn. 438. 974 Hessischer VGH, Urteil v. 13. Februar 1980 – V OE 23/78 –, juris, Rdnr. 38. 975 Siehe dazu bereits im 2. Kapitel unter B. II. 976 BFHE 163, 478, 481; FG Düsseldorf, EFG 2001, 403; A. Hensel, VJSchrStFR 1 (1927), 39, 77; P. Kirchhof, in: FS Scupin, 1983, S. 775, 794; D. Carl/J. Klos, NWB 25 (1994), S. 6199, 6207; M. Loose, in: Tipke/Kruse [Hrsg.], AO/FGO, § 227 AO, Rdnr. 59.
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5. Kap.: Erlasstatbestand in seiner praktischen Anwendung
eine Steuer festgesetzt wird, obwohl der gesetzliche Tatbestand nicht erfüllt ist. Der Grundsatz von Treu und Glauben und das Vertrauensschutzprinzip haben in diesen Fällen Verfassungsrang.977 Bei der Beurteilung eines Steuererlasses bei bestandskräftigen Steuerbescheiden ist mithin das Verhältnismäßigkeitsprinzip von besonderer Bedeutung. Zur Vermeidung einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips kommt dann ein Steuererlass aus Verfassungsgründen in Betracht.
977
Vgl. K.-D. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO, Rdnr. 128.
6. Kapitel
Zusammenfassung und Thesen 1.
Die Verwaltung ist nach den §§ 163, 227 AO berechtigt, durch den ganzen oder teilweisen Erlass der Steuer von ihrer Durchsetzung absehen zu dürfen, wenn ihre Festsetzung oder Erhebung im Einzelfall unbillig ist. Zur Konkretisierung des alles entscheidenden Begriffs der „Unbilligkeit“ hat die Rechtsprechung in Steuersachen neben der Fallgruppe der persönlichen Unbilligkeit eine Fallgruppe der sachlichen Unbilligkeit ausgebildet.
2.
Billigkeit meint die Gerechtigkeit im Einzelfall; dafür ist auf die konkreten Umstände Rücksicht zu nehmen. Sie kann als Einzelfallgerechtigkeit gerade keine Aussagen über generelle Regelungen enthalten. Die Billigkeit muss wertend betrachtet werden. Eine billige Entscheidung kann im Laufe der Zeit unterschiedlich ausfallen, weil sich die Wertungskriterien ändern können.
3.
Bevor es jedoch zu einem möglichen Erlass kommt, muss die Verwaltung zunächst durch Auslegung der Steuernormen versuchen, im Einzelfall zu einer gerechten Lösung zu gelangen. Es sind die gängigen Auslegungsmethoden der grammatischen, systematischen, historischen und teleologischen Auslegung heranzuziehen. Wann die Grenze einer vorrangigen Auslegung erreicht ist und ein Billigkeitserlass in Betracht kommt, muss im Einzelfall geprüft werden.
4.
Für die Auslegung ist kennzeichnend, dass der Auslegende dem Gesetz nichts hinzuzufügen, sondern es lediglich so zu verstehen hat, wie es sich jedem Kundigen darbietet. Insbesondere kann im Einzelfall eine Auslegung auch gegen den Wortlaut möglich sein, wenn die wortlautgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, das vom Gesetzgeber offensichtlich nicht beabsichtigt sein kann. Es gibt keinen Zwang zur wörtlichen Auslegung, sondern lediglich ein Gebundensein an Sinn und Zweck der Vorschrift. Das Instrument der Auslegung gegen den Wortlaut ist die teleologische Extension und Reduktion.
5.
Bei der Auslegung von Steuergesetzen ergeben sich zudem Besonderheiten. Bei einer Auslegung ist zunächst zu untersuchen, um welche Art von Steuernorm es sich handelt. Es ist also zwischen Lastenausteilungs- und Lenkungsnormen zu unterscheiden. Die unterschiedlichen Normengruppen beinhalten verschiedene Zielsetzungen und Zwecke, die bei einer Auslegung berücksichtigt werden müssen.
6.
Wenn sich der Gesetzgeber beispielsweise für das Nominalwertprinzip bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen entscheidet, dann folgt aus
168
Kap. 6: Zusammenfassung und Thesen
dieser Entscheidung, dass eine gewisse Geldentwertung hingenommen werden muss. Ferner können dann auch nachträglich eingetretene Umstände grundsätzlich nicht bei der Festsetzung der Steuer berücksichtigt werden. Wenn sich der Gesetzgeber somit aus Praktikabilitätsgründen für ein bestimmtes Prinzip entschieden hat und dieses aus verfassungsrechtlicher Sicht in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle zu gerechten Ergebnissen führt, ist das Prinzip bei der Gesetzesanwendung zu beachten und stellt damit auch die Grenze der Auslegung dar. Erst bei besonderen Härtefällen kommt dann ein Billigkeitserlass in Betracht. 7.
Die Auslegung darf nicht über das hinausgehen, was der Gesetzgeber bei der Schaffung des Gesetzes gewollt hat. Die Auslegung im Einzelfall darf Sinn und Zweck der Norm nicht zuwiderlaufen.
8.
Der Regelungszweck des Gesetzes muss jedoch auch erkennbar sein. Der Rechtsanwender muss diesen anhand objektiver Kriterien belegen und darf nicht sein subjektives Verständnis zur Grundlage erheben. Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektive Wille des Gesetzgebers.
9.
Zu diesem objektiven Willen gehört auch die Frage, ob der Gesetzgeber bestimmte Unbilligkeiten mit der Konzipierung der Steuernorm berücksichtigt hat. Wenn es nach dem Willen des Gesetzgebers bei einer Werkfernverkehrsteuer z. B. unerheblich ist, ob im Einzelfall eine besondere Belastung für einen Unternehmer auftreten kann, weil dieser aufgrund der besonderen Lage seines Betriebes nicht auf die Bundesbahn ausweichen kann und dadurch Werkfernverkehrssteuer zu entrichten hat oder aber nach dem Willen des Gesetzgebers einer Erbschaft- und Schenkungsteuer ein Kommanditanteil aufgrund von Praktikabilitätserwägungen nach dem Nominalwert und nicht nach seinem tatsächlichen Wert zu besteuern ist, dann darf die Auslegung sich hierüber nicht hinwegsetzen. Eine Auslegung, die über diesen Willen hinausginge, wäre unzulässig.
10. Wenn durch eine Auslegung der zugrundeliegenden Norm dem besonderen Härtefall nicht abgeholfen werden kann, kann ein Billigkeitserlass in Betracht kommen. Bei der Suche nach Argumenten, die für eine sachliche Billigkeit in Frage kommen, haben die Gerichte neben dem Grund der Verfehlung des Gesetzeszwecks im konkreten Fall im Sinne eines „Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers“ einen Steuererlass auch aus – vereinfacht – Verfassungsgründen für möglich gehalten. Ebenso sollen bei der persönlichen Unbilligkeit verfassungsrechtliche Gesichtspunkte zum Tragen kommen. 11. Ein Billigkeitserlass nach den §§ 163, 227 AO kommt zunächst in Betracht, wenn ein „Überhang“ des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers besteht. Dies ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn die Besteuerung im Einzelfall den Wertungen des Gesetzgebers widerspricht und
Kap. 6: Zusammenfassung und Thesen
169
die Besteuerung mit dem Sinn des Steuergesetzes nicht vereinbar ist. Das ausschlaggebende Kriterium für einen Billigkeitserlass aufgrund eines Überhanges ist das der Zweckverfehlung. Nach der Rechtsprechung ist allerdings zu beachten, dass solche Erwägungen unberücksichtigt bleiben müssen, welche der gesetzliche Tatbestand gewöhnlich mit sich bringt, vom Gesetzgeber damit hingenommen werden und somit keine weitere Beachtung finden können. 12. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind bei der Steuerfestsetzung und Steuererhebung vor allem Grundentscheidungen aus dem Grundgesetz zu berücksichtigen. Wie in der gesamten Rechtsordnung auch, wird die Gewährung von Einzelfallgerechtigkeit maßgeblich von den Wertungen des Grundgesetzes beeinflusst. Dies ergibt sich aus der Verfassungsbindung des Gesetzgebers. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Gesetze so schaffen will, dass sie selbst und ihre Rechtsfolgen, die sich im Einzelfall bei ihrer Anwendung ergeben, mit der Verfassung vereinbar sind. Aus diesem Grund werden auch in den Entscheidungen, in denen die Fallgruppe des Überhangs des gesetzlichen Tatbestands über die Wertungen des Gesetzgebers bejaht wurde, regelmäßig Argumente mit Verfassungsbezug benutzt. Eine solche Vorgehensweise führt jedoch nicht zu dem Ergebnis, dass sich die Fallgruppen vollkommen überlagern. Vielmehr ist genau zu prüfen, ob ein Erlass aufgrund eines Überhangs des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers oder ein Erlass aus Verfassungsgründen in Frage kommt. 13. Regelmäßig werden in den Entscheidungen zum Steuererlass allgemeine Rechtsgrundsätze zur Konkretisierung des Begriffs der Unbilligkeit herangezogen. Für eine Unterscheidung der beiden Fallgruppen zum Steuererlass ist es zunächst notwendig, den Ursprung und die inhaltliche Bedeutung der allgemeinen Rechtsgrundsätze herauszuarbeiten. Zu unterscheiden ist zwischen Rechtsgrundsätzen, die lediglich aus der Verfassung abgeleitet werden, aber keinen Verfassungsrang haben und solchen, die Verfassungsrecht ergänzen und denen so Verfassungsrang zuzumessen ist. Als Mittel zur Konkretisierung der Voraussetzungen eines Steuererlasses dient die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben einer Ergänzung des Verfassungsrechts. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze sollen das positive Recht nicht aufheben, sondern durch Auslegung und Anwendung im Sinne der Verfassungsgrundsätze und der rechtsethischen Prinzipien versteh- und handhabbar machen. Der Grundsatz von Treu und Glauben und das Vertrauensschutzprinzip haben bei der Anwendung zum Steuererlass somit Verfassungsrang. 14. Abgrenzungskriterium der beiden Fallgruppen des Steuererlasses ist der Wille des Gesetzgebers beziehungsweise das gesetzgeberische Konzept, das zuvor ermittelt werden muss. Bei einer Zweckverfehlung geht der Tatbestand der Steuernorm über die gesetzgeberischen Wertungen hinaus. Es handelt es sich um Fälle, die im Grundsatz in das gesetzgeberische Konzept passen, die jedoch so besonders sind, dass der Gesetzgeber an diese nicht gedacht hat. Wenn der
170
Kap. 6: Zusammenfassung und Thesen
Gesetzgeber den Härtefall nicht bedacht hat, aber anzunehmen ist, dass er ihn geregelt hätte, wenn er an ihn gedacht hätte, ist von einer Zweckverfehlung auszugehen. Die Nichtabziehbarkeit einer persönlich unvermeidbaren Ausgabe widerspricht dann zum Beispiel dem Sinn der abschließenden Aufzählung der Sonderausgaben in § 10 EStG oder aber die Besteuerung eines noch brauchbaren Kraftstoffgemischs dem Sanktionierungscharakter im Energiesteuerrecht. Zu fragen ist mithin, welche Wertung der Gesetzgeber mit der Schaffung des Steuergesetzes getroffen hat. Gibt es dagegen keine Wertung des Gesetzgebers im einfachen Recht, über die eine den Steuerpflichtigen belastenden Rechtsfolge hinausreichen könnte, ist bei Vorliegen eines Verstoßes gegen das Grundgesetz in einem Einzelfall ein Steuererlass aus Verfassungsgründen zu gewähren. 15. Wie in der gesamten übrigen Rechtsordnung auch, wird die Gewährung von Einzelfallgerechtigkeit maßgeblich von den Wertungen des Grundgesetzes beeinflusst. Der Steuererlass aus Billigkeitsgründen dient daher vorwiegend der Wahrung der Grundrechte, indem er bei auftretenden Härten im Einzelfall für einen Ausgleich mit dem typisierenden Gesetz sorgt. 16. In diesem Zusammenhang wird häufig von der „Wirkkraft der Grundrechte“ gesprochen, wonach im Einzelfall eine Pflicht zum Steuererlass kraft Verfassungsrechts besteht. Sachliche Unbilligkeit aus Verfassungsgründen kann demnach dann vorliegen, wenn das Gesetz zwar selbst nicht grundrechtswidrig ist, die Erhebung des Steueranspruchs aber in einem atypischen Einzelfall Grundrechte des Steuerschuldners verletzt. 17. Bei einem Steuererlass aus Verfassungsgründen sind vor allem der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das Verhältnismäßigkeitsprinzip der Freiheitsrechte relevant. Zur Wahrung der Praktikabilität seiner auf Verallgemeinerung angelegten Gesetze behandelt der Gesetzgeber regelmäßig Ungleiches gleich. Es gibt Fälle, die zwar noch unter den gesetzlichen Tatbestand subsumiert werden können, die sich aber so stark von dem Gesetzgeber vorschwebenden Normalfall abheben, dass ein Festhalten am Tatbestand der Norm einen Grundrechtsverstoß darstellen würde. Eine Verwirklichung von Steuergerechtigkeit ist dann ohne das Korrektiv der Billigkeitsklauseln nicht möglich. Ein Billigkeitserlass kann demnach um der Belastungsgleichheit willen geboten sein, wenn das generalisierende Gesetz verfassungsgemäß ist, im Einzelfall aber zu Ergebnissen führt, die dem Belastungsgrund des Gesetzgebers zuwiderlaufen. 18. Der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist aus dem Prinzip der Steuergerechtigkeit herzuleiten und konkretisiert den Gleichheitssatz. Er besagt, dass die Verteilung der steuerlichen Lasten die unterschiedlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse berücksichtigen soll. Das Bundesverfassungsgericht erkennt das Prinzip der Leistungsfähigkeit als Maßstab für den steuerverfassungsrechtlichen Gleichheitssatz an.
Kap. 6: Zusammenfassung und Thesen
171
19. Ein weiteres wichtiges Billigkeitskriterium für den Erlass aus Verfassungsgründen ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Übermaßverbot). Wichtigstes Element der Verhältnismäßigkeit ist das Gebot der Zumutbarkeit, welche den Maßstab der Billigkeit näher konkretisiert und oft mit dem Übermaßverbot umschrieben wird. Das Gebot der Zumutbarkeit ist geprägt von einer Personenund Situationsgebundenheit, die bei der Frage, ob ein Steuererlass zu gewähren ist, im vorliegenden Zusammenhang einer genauen Prüfung bedarf. 20. Billigkeitsgründe sind auch bei abwälzbaren Steuern anwendbar, wenn die Steuer nicht mehr abgewälzt werden kann. Abwälzbare Steuern stellen jedoch in der Regel einkalkulierbare Geschäftskosten dar, mit denen der Steuerpflichtige zu rechnen hat und die dieser in seine Gesamtkosten einkalkulieren kann. Daher rechtfertigt allein die Unabwälzbarkeit keinen Steuererlass. Der Gesetzgeber hat mit der Konzeption einer indirekten Steuer besondere Härten im Einzelfall in Kauf genommen. Das Gesetz hat grundsätzlich dem Unternehmer das Risiko der Unabwälzbarkeit aufgebürdet, da dieser es selbst in der Hand hat zu entscheiden, mit wem er Verträge schließt und er sich vorher ausreichend über die Zahlungsfähigkeit seiner Vertragspartner erkundigen kann. 21. Das System zur Erhebung von Verbrauchsteuern ist so ausgestaltet, dass der Unternehmer in Vorleistung treten muss, die Steuer demnach an seinen Lieferanten zahlt, bevor der Konsumakt erfolgt. Der Unternehmer muss die Verbrauchsteuer also zu einem Zeitpunkt zahlen, in dem noch gar nicht feststeht, ob eine spätere Konsumaufwendung eines Endverbrauchers dazu führt, dass die Steuerbelastung des Unternehmers nachträglich durch eine entsprechende Einnahme neutralisiert wird. Die Verbrauchsteuer bleibt für den Steuerschuldner jedoch nur dann neutral, wenn es ihm gelingt, diese auf den gesetzlich intendierten Steuerträger zu überwälzen. Es ist jedoch möglich, dass der Unternehmer die Steuer nicht auf den Endverbraucher abwälzen kann, sodass das eigentliche Belastungsziel verfehlt wird und die Leistungsfähigkeit des Unternehmers sinkt. Wenn die abwälzbare Steuer im Einzelfall nicht mehr abwälzbar ist, so kann ein Steuererlass in Betracht kommen, wenn die Härten zu einer Gefährdung des Lebensunterhalts des Steuerpflichtigen führen. 22. Bei bestandskräftigen Steuerbescheiden kommt ein Steuererlass in Betracht, wenn „besondere Umstände“ vorliegen. Nach der Rechtsprechung ist das der Fall, wenn die Fehlerhaftigkeit des Steuerbescheids eindeutig und offensichtlich ist und es dem Steuerpflichtigen kumulativ nicht zumutbar war, rechtzeitig dagegen vorzugehen. Es muss zudem eine qualifizierte Fehlerhaftigkeit des Steuerbescheids vorliegen, welche sich aus einer Abwägung zwischen dem Gebot der Rechtssicherheit und dem Gebot der Gesetzmäßigkeit ergibt. 23. Ein Steuererlass bei bestandskräftigen Steuerbescheiden kann aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes oder des Grundsatzes von Treu und Glauben geboten sein. Die Entscheidungen zum Steuererlass bei bestandkräftigen Steuerbescheiden beruhen regelmäßig auf einer Interessenabwägung. Hinzu-
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Kap. 6: Zusammenfassung und Thesen
gezogen werden dabei allgemeine Rechtsgrundsätze, um diese Interessenabwägung mit Inhalt zu füllen. Es ist immer danach zu fragen, ob es tatsächlich verhältnismäßig ist, an der Bestandskraft festzuhalten. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht gewollt hat, dass in diesen Fällen dennoch die Steuer eingezogen wird. 24. Bei der Korrektur bestandskräftiger Steuerbescheide steht vorrangig die Bedeutung der Bestandskraft von Verwaltungsakten im Vordergrund. Die Bestandskraft soll gerade ausschließen, dass der Steuerbescheid nochmals angegriffen werden kann. Es sind demnach höhere Maßstäbe an den Billigkeitserlass zu stellen. Diese höheren Maßstäbe ergeben sich sodann aus der Verfassung selbst. Bei bestandskräftigen Steuerbescheiden kommt somit ein Steuererlass aus Verfassungsgründen in Betracht.
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Wernsmann, Rainer: Wer bestimmt den Zweck einer grundrechtseinschränkenden Norm – BVerfG oder Gesetzgeber?, NVwZ 2000, S. 1360 ff. – Viel Lärm um nichts? – Die Ökosteuer ist verfassungsgemäß, NVwZ 2004, S. 819 ff. – Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, Habil., Tübingen 2005 (zit.: Verhaltenslenkung). – Die Steuer als Eigentumsbeeinträchtigung?, NJW 2006, S. 1169 ff. – Typisierung und Typusbegriff, Beihefter zu DStR 2011, S. 72 ff. – Konstitutionalisierung des Steuerrechts und Gegenbewegungen, DVBl. 2015, S. 1085 ff. Wieland, Joachim: Freiheitsrechtliche Vorgaben für die Besteuerung von Einkommen, DStJG 24 (2001), S. 29 ff. Wilke, Timo: Billigkeit im Steuerrecht, Diss., Berlin 2007. Wolff, Hans J./Bachof, Otto/Stober, Rolf/Kluth, Winfried: Verwaltungsrecht, Band I, 13. Auflage, München 2017 (zit.: Verwaltungsrecht, Bd. I). Zerbe, Sebastian: Wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Teilwertabschreibung und Schuldenerlass – Erfolgt die Besteuerung entsprechend der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit?-, DB 2015, S. 2893 ff. Zippelius, Reinhold: Juristische Methodenlehre, 11. Auflage, München 2012.
Sachverzeichnis Abwälzbare Steuern 53 ff., 127 ff., 158 Anwendungsvorrang 139 Auslegung 29, 33, 35, 58, 75, 80 f., 95 ff., 101 ff., 106 ff., 147 ff., 161 ff. – grammatische 58, 96 f. – historische 98 f. – systematische 97, 148 – teleologische 23, 58, 96, 99 ff., 102 f., 106 ff., 109 ff., 160, 162 Ausnahmefälle 22, 32, 38, 65, 69 ff., 81, 90, 107 Berufsfreiheit 47 f., 152 f. Bestandskraft 33, 112 f., 132 ff. – formelle 132 f., 135 ff. – materielle 132 ff., 136 Bestandskräftige Steuerbescheide 132 ff., 145 ff. Besteuerungsgrenze 119 ff. – absolute 120 ff. – relative 123 ff. Bestimmtheitsgrundsatz 64, 118 Billigkeitsgründe 127 ff. – persönliche 121 f., 128 – sachliche 35, 40, 45, 115, 159 Billigkeitsmaßnahmen 27, 31, 48, 69, 123, 129 f., 135, 136 Eigentumsfreiheit 119 f., 140 Eingriff 44, 47, 55, 77, 79, 92 f., 105, 119 ff., 140, 152, 156 Einkommensteuer 26, 43, 45 ff., 85, 116, 126, 147 ff., 153 f., 159 Einzelfallbeurteilung 70 Einzelfallgerechtigkeit 23, 64 f., 68 ff., 106, 141 f., 145 Energiesteuer 48 ff., 131, 151, 164 Erbschaftsteuer 44 f., 149 ff., 155 f. Erdrosselung 124 Erdrosselungssteuer 123 ff., 140
Erforderlichkeit 92 f., 116, 146 Existenzminimum 87, 89, 120 ff., 125, 140 Finanzverwaltung 32, 37, 38, 72, 117, 145 f., 155, 157 Fiskalzwecksteuern 42 ff., 92 ff., 101 f. Folgerichtigkeit 90 Freiheitsrechte 118 ff. Geeignetheit 91 ff., 105 Gemeinwohl 47, 81, 152 Gesetzesvorbehalt 72, 79, 137 ff. Gesetzmäßigkeit 37 ff., 70, 79, 118, 144 Gestaltungsspielraum 90 Gleichheitssatz, allgemeiner 64, 67, 77, 79 ff., 90, 115 ff. Grundrechte 69 f., 74 ff., 139 f. – „Wirkkraft der Grundrechte“ 115 Grundsteuer 53, 127 f., 158, 165 Gutgläubigkeit 32, 38 f. Halbteilungsgrundsatz 120 Härte, unbillige 35, 38, 68, 155 Härtefallparagraphen 19, 78 Härteklauseln 48 Höhere Gewalt 42, 157 Interessenabwägung 165 f.
27, 40, 118 f., 145,
Kirchensteuer 45 f., 158 f. Konstitutionalisierung 21, 76 ff. Leistungsfähigkeit 42, 52, 83 ff., 115 ff. – Bedeutung 83 ff. – Inhalt 85 f. – Konkretisierung 86 ff. – persönliche 128 – Restriktion 88 ff. – wirtschaftliche 79 ff.
Sachverzeichnis Lenkungssteuern 47 ff., 93 f. Lenkungszweck 47, 91, 94, 102 Menschenwürde
80, 87, 120 ff.
Neue Formel 80 Nominalwertprinzip
153 ff., 160 ff.
Positivismus 58 ff. Praktikabilität 63 ff., 70 ff., 116, 153 f. Privatnützigkeit 120, 125 Rechtsanwendungsgleichheit 79 ff., 103, 139 Rechtssicherheit 27 ff., 40, 59 f., 68, 132, 137 Rechtsetzungsgleichheit 80, 103 Rechtsstaatsprinzip 33, 60 f., 91, 118 Säumniszuschläge 24 ff., 146, 164 Schenkungssteuer 149 f., 155 Schutzbereich 105, 124 ff. Sozialstaat 73 Sozialstaatsprinzip 87, 120 ff. Steuerbescheide, rechtswidrige 25, 134, 139 ff. Steuergerechtigkeit 43, 65, 79 ff., 89 – als Typengerechtigkeit 66 f.
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– materielle 40, 82, 145 Steuergerechtigkeitsprinzip 79 ff., 83, 85 Steuergleichheit 43, 77, 157 Steuervereinfachungen 63 ff. Treu und Glauben 31 ff., 119, 143 ff. Typisierung 66 ff., 104 Übermaßverbot 91 ff., 118, 124, 155 ff. Umsatzsteuer 42 ff., 54, 156 ff. Unzumutbarkeit 30 ff. Verallgemeinerung 63 f., 69 f., 116 Verbrauchsteuer 88, 127, 129 ff. Verfassungsrang 52, 69, 118, 144, 166 Verhaltenslenkung 93 Verhältnismäßigkeitsprinzip 91 ff., 109 ff., 118 f. Verkehrsteuern 88 Verschulden 26, 30, 32, 39, 50, 146, 157 Vertrauensschutz 33 ff., 145 – Prinzip 31, 55, 142 ff., 166 Werkfernverkehr 47 f., 152 f. Willkürverbot 80 f., 159 Zinserträge
51 f.