Der Rundfunk und die Dienstleistungsfreiheit des EWG-Vertrages [1 ed.] 9783428472307, 9783428072309


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German Pages 279 Year 1991

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Der Rundfunk und die Dienstleistungsfreiheit des EWG-Vertrages [1 ed.]
 9783428472307, 9783428072309

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DIETER KUGELMANN

Der Rundfunk und die Dienstleistungsfreiheit des EWG-Vertrages

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 10

Der Rundfunk und die Dienstleistungsfreiheit des EWG-Vertrages

Von

Dieter Kugelmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Kugelmann, Dieter:

Der Rundfunk und die Dienstleistungsfreiheit des EWG-Vertrages I von Dieter Kugelmann.- Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum europäischen Recht ; Bd. 10) Zugl.: Mainz, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07230-8 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-07230-8

Meinen Eltern

Vorwort Die Arbeit stellt die überarbeitete Version eines Textes dar, der dem Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation vorlag. Die vorliegende Fassung ist auf dem Stand vom Mai 1991. Ansporn war mir ein Wort Friedrich Schillers über den philosophischen Geist in seiner Antrittsrede "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte": "Alle seine Bestrebungen sind auf Vollendung seines Wissens gerichtet; seine edle Ungeduld kann nicht ruhen, bis alle seine Begriffe zu einem harmonischen Ganzen sich geordnet haben, bis er im Mittelpunkt seiner Kunst, seiner Wissenschaft steht und von hier aus ihr Gebiet mit befriedigtem Blick überschauet. Neue Entdeckungen im Kreise seiner Tätigkeit, die den Brotgelehrten niederschlagen, entzücken den philosophischen Geist. Vielleicht füllen sie eine Lücke, die das werdende Ganze seiner Begriffe noch verunstaltet hatte, oder setzen den letzten noch fehlenden Stein an sein Ideengebäude, der es vollendet. Sollten sie es aber auch zertrümmern, sollte eine neue Gedankenreihe, eine neue Naturerscheinung, ein neuentdecktes Gesetz in der Körperwelt den ganzen Bau seiner Wissenschaft umstürzen: so hat er die Wahrheit immer mehr geliebt als sein System, und gerne wird er die alte mangelhafte Form mit einer schönem und neuem vertauschen. Ja, wenn kein Streich von außen sein Ideengebäude erschüttert, so ist er es selbst, von einem ewig wirksamen Trieb nach Verbesserung gezwungen, er selbst ist der erste, der es unbefriedigt auseinanderlegt, um es vollkommener wieder herzustellen."

Für die Hilfe bei meinen Versuchen, das so bezeichnete Ideal anzustreben, danke ich dem Betreuer der Arbeit, Herrn Professor Dr. Eckart Klein. Wertvolle Hinweise verdanke ich Herrn Professor Dr. Christoph Gusy. Mein Dank gilt weiter Herrn Professor Dr. Hans-Heinrich Rupp für die Anfertigung des Zweitgutachtens und den Herausgebern für die Aufnahme in die Reihe der Schriften zum Europäischen Recht. Für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses bedanke ich mich bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Mainz, 1991

Dieter Kugelmann

Inhaltsverzeichnis Einleitung

1. Kapitel Aktivitäten der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Rundfunks 1. Teil

Die Aktivitäten und Initiativen bis zur Fernseh-Richtlinie A. Die Entschließung des Europäischen Parlaments zu Rundfunk und Fernsehen

in der Europäischen Gemeinschaft vom 12.3.1982 .. . . .. . . . .. .. ...... ... . .. . .

26

B. Entschließung des Europäischen Parlaments zu einer Politik im Sinne der neuen Trends im europäischen Fernsehen vom 30. 3. 1984 (Entschließung Arfe)

28

C. Entschließung des Europäischen Parlaments zu Rundfunk und Fernsehen in der Europäischen Gemeinschaft (Gefährdung der Meinungsvielfalt durch die Kommerzialisierung der neuen Medien) vom 13.4. 1984 (Entschließung Hutton) . . . . .. ..... . ....... ...... . . ....... .. .. ....... .. . . .. ... . .. . . . . .. .. . . . . . . . . ..

29

D. Das Grünbuch "Fernsehen ohne Grenzen" der Kommission vom 14. 6. 1984 . . . .

30

E. Das Weißbuch "Vollendung des Binnenmarktes" der Kommission vom 14.6.1985 . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

F. Entschließungen des Parlaments vom 10.10.1985 . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . .

31

I. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. 10. 1985 zu einer Rahmenordnung für eine europäische Medienpolitik (Entschließung

Hahn) . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

II. Entschließung zu den wirtschaftlichen Aspekten des Gemeinsamen Marktes für den Rundfunk vom 10. 10. 1985 (Entschließung de Vries) . . .

33

G. Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die audiovisuelle Politik der Gemeinschaft vom 30.4.1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

H. Der Barzanti-Bericht vom 8.12.1987 . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . ..

35

Der geänderte Vorschlag für die Richtlinie über die Ausübung der Rundfunktätigkeit vom 21.3.1988 ......... ................. .. . .. . .................. .......

37

J.

K. Die von den Wirtschaftsministern der Mitgliedstaaten am 13.3.1989 vor-

geschlagene Fassung der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

10

Inhaltsverzeichnis

L. Der gemeinsame Standpunkt des Rates vom 13.4.1989

38

M. Die Richtlinie zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit vom 3.10.1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

2. Teil Der Inhalt der Richtlinie A. Die Erwägungsgründe der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .

41

B. Die Vorschriften der Richtlinie im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

I. Überblick über die Inhalte der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

II. Die Regelungen zur Förderung europäischer Fernsehprogramme . . . . . . I. Der ursprüngliche Richtlinienvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der geänderte Richtlinienvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 45 45 46

III. Die Regelungen über die Fernsehwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die allgemeinen Vorschriften . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . I. Der Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. 2. Die Begrifflichkeit . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . 3. Der Einfluß der Rechtsgrundlage .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 4. Der Erlaß strengerer Regeln durch die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . 5. Das Prinzip des freien Empfangs und der freien Weiterverbreitung

47 48 49 49 50 51 52

2. Kapitel Der Rundfunk und der freie Dienstleistungsverkehr I. Teil

Grundsätze zur Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft A. Die competence d'attribution .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .

54

B. Aufgaben und Befugnisse . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

I. Die Aufgaben . . .. .. . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . .. . . .. . .. ..

56

II. Die Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . .

57

C. Rundfunk und EG-Kompetenz ...... .. ..... ...... .. .... ................ ........ .

60

I. Politische Argumentationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

II. Die kulturelle Komponente des Rundfunks .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

61

III. Der kompetenzrechtliche Ansatz .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

62

D. Die Auffassung des EuGH . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

64

I. Die Konzeption .. . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . ..

64

II. Zweifelsfragen . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

Inhaltsverzeichnis

11

2. Teil Die Einordnung der Ausstrahlung von Rundfunk in den EWG-Vertrag A. Abgrenzung von Dienstleistung und Warenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B. Die Voraussetzungen der Art. 59, 60 EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 68

I. Die Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

II. Die Entgeltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

III. Die Grenzüberschreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

IV. Der Beschränkungsbegriff . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

V. Die systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

VI. Der Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

VII. Inhalt und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

C. Leistungsbeziehungen bei der Ausstrahlung von Rundfunksendungen . . . . . . .

74

I. Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die terrestrische Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Satellitenrundfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aktives Kabelfernsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Passive Kabelbetreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Terrestrische Versorgung der Kabelbetreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Einfluß der Werbetreibenden .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75 75 75 75 77 79 80

II. Leistungsbeziehungen bei der Ausstrahlung von Rundfunk . . . . . . . . . . . .

80

D. Die Grenzüberschreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

I. Der faktische Vorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

II. Der Zweck der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Auffassung von der bezweckten Grenzüberschreitung . . . . . . . . . 2. Gegenargumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Grenzüberschreitung als Vorbedingung der Leistung . . . . . . . . . . .

81 82 82 82

III. Die Rolle der Leistungsbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Leistungsempranger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die weite Konzeption vom Empfanger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Konzeption von der Empfangbarkeit der Leistung . . . . . . . .. . . ..

83 84 84 84

IV. Die Grenzüberschreitung in den einzelnen Leistungsbeziehungen . . . . . 1. Rundfunkveranstalter - Rezipient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausstrahlung nur über Satelliten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausstrahlung auch über Satelliten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausstrahlung auf terrestrischem Wege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rundfunkveranstalter - aktiver Kabelbetreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Leistung des Rundfunkveranstalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Leistung des Kabelbetreibers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86 87 87 88 89 90 90 90

Inhaltsverzeichnis

I2

3. Rundfunkveranstalter- passiver Kabelbelreiber 4. Rundfunkveranstalter-Werbekunde . . . . . . . . . .......... . ....... . .. . . 5. Aktiver Kabelbelreiber-Rezipient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ansässigkeil des Kabelbelreibers in einem anderen Mitgliedstaat als der Rezipient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansässigkeil des Kabelbelreibers in demselben Mitgliedstaat wie der Rezipient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Passiver Kabelbelreiber - Rezipient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Aktiver Kabelbelreiber- Werbekunde . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .

9I 92 93 93 94 95 95

E. Die Entgeltlichkeil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

I. Typizität der Entgeltlichkeil ................ : . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

II. Das Entgelt als Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Forderung eines synallagmatischen Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Forderung nach irgendeiner Bezahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Forderung nach einer Gegenleistung . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Beschreibung der Leistungsbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Leistungsbeziehungen öffentlich-rechtlichen Charakters . . . . . . . . c) Das Entgelt als Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97 97 98 99 99 IOO 102

F. Das Verhältnis von Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeil . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

I. Dienstleistungen im Zweierverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

Il. Dreiecks- und Mehrecksbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zwei Leistungen im Dreiecksverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eine Leistung im Dreiecksverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Zweck der Zahlung innerhalb der Leistungsbeziehung . . . . .. . . . a) Kritik an der Annahme einer einzigen Leistung . . . . . .. . . . . . . . . . . b) Kritik an der durchgängigen Annahme von zwei Leistungen . . . c) Die Leistungsbeziehung in ihrer Gesamtheit und die zentrale Rolle des Leistungserbringers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104 I04 105 I06 I06 108

111. Die Anwendung der erarbeiteten Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die problematische Fallgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Dritte in demselben Mitgliedstaat ansässig wie der Leistungserbringer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Dritte im Empfangsstaat der Leistung ansässig . . . . . . . . . . . . . c) Leistungserbringer und Leistungsempfänger in demselben Mitgliedstaat ansässig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

110 11I II2

G. Die Entgeltlichkeil grenzüberschreitender Leistungen im Rundfunkbereich . I. Rundfunkveranstalter -

Rezipienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entgelt und Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Gewolltsein der Grenzüberschreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I 08

II2 Il3 114 I15 I16 II6 II7

Inhaltsverzeichnis

13

3. Die konkrete Ausgestaltung der Leistungsbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Öffentlich-rechtliche Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abonnementzahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einnahmen aus der Werbung . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . .

118 119 119 119

II. Rundfunkveranstalter- aktiver Kabelbelreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Leistung des Rundfunkveranstalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Leistung des Kabelbetreibers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120 121 122

III. Rundfunkveranstalter- passiver Kabelbetreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Leistung des Rundfunkveranstalters .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 2. Die Leistung des Kabelbetreibers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123 123 124

IV. Rundfunkveranstalter-Werbekunde .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

125

V. Aktiver oder passiver Kabelbetreiber- Rezipienten . . . . .. . . . . . . . . . . . .

126

VI. Aktiver Kabelbetreiber- Werbekunde .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .

126

H. Die Koordinierung nach Art. 57 i.V.m. Art. 66 EWGV ............ .. .. ......

126

J.

I. Das Grundverständnis der Koordinierung gern. Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV . . . . ... ............ . ......... .... . . . .... . . .. . . ...... . .. .... . ..... . ...

127

II. Funktion und Struktur des Art. 57 i. V.m. Art. 66 EWGV .. .. .. .. .. .. . 1. Die selbständigen Tätigkeiten .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 2. Die Aufnahme einer Tätigkeit .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 3. Die Ausübung einer Tätigkeit .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 4. Das Erleichtern .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. .. .. . . .. .. . . . . .. . .. . .. . .. .. .. .. .

127 127 128 129 130

III. Die Schranken der Koordinierung nach Art. 57 i. V.m. Art. 66 EWGV 1. Der Rat als Vertreter des Interesses der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Ermessensspielraum der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Grenzen des Ermessens .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. a) Die Grundfreiheiten .... .. .. .... ...... .......... .. .......... ...... .. b) Art. 7 EWGV .. . .. . ........ .... .... . . . .. . .. . ..... . .. . ....... . . .. . .. c) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. d) Das Prinzip der Gemeinschaftstreue .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

130 130 131 131 131 132 133 133

IV. Der Absatz 1 des Art. 57 i. V.m. Art. 66 EWGV....................... 1. Die praktische Relevanz .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 2. Die Gleichwertigkeit .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 3. Koordinierung der gerechtfertigten Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . .

133 134 134 135

V. Der Absatz 2 des Art. 57 i.V.m. Art. 66 EWGV ....................... 1. Die Funktion der Koordinierung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 2. Der Gegenstand der Koordinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136 136 137

VI. Rolle und Spielräume der Mitgliedstaaten .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

139

Dienstleistungsfreiheit und Gesellschaften nach Art. 58 EWGV . . . . . . . . . . . . .

140

I. Die Gleichstellung der Gesellschaften mit den natürlichen Personen . .

140

II. Der Begriff der Gesellschaften .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

141

14

Inhaltsverzeichnis

K. Handlungsmöglichkeiten der Gemeinschaft im Rundfunkbereich aus Art. 100, 100a, 235 EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

142

I. Die Bestimmungen der Art. 100 und 100a EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Art. 100 EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Art. 100a EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

142 142 143

II. Handlungsmöglichkeiten nach Art. 235 EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 235 EWGV und die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der freie Dienstleistungsverkehr allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Ausstrahlung von Rundfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145 145

L. Die Kompetenzen der Gemeinschaft und die Fernseh-Richtlinie . . . . . . . . . . . . .

149

146 146 147

I. Die Auswirkungen der Rechtsgrundlage . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149

II. Die Schranken der Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149

III. Die Materien der Fernseh-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 1. Die Förderung der Verbreitung und Herstellung von Fernsehprogrammen .............. . . .................. . . ... ......... .. .... . .. . .. ... 2. Fernsehwerbung und Sponsoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. 3. Jugendschutz und Gegendarstellungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150

IV. Der Anwendungsbereich der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

154

V. Der nationale Umsetzungsakt . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155

VI. Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155

150 152 153

3. Teil

Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit A. Die Problematik des Beschränkungsbegriffs . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

157

I. Der enge Beschränkungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

157

li. Der weite Beschränkungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Konsequenzen der Auslegung des Beschränkungsbegriffs . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .

158 158

I. Diskriminierungen und nicht diskriminierende Behinderungen . . . . . . . .

159

II. Das Verhältnis des Art. 59 zu Art. 57 i. V.m. Art. 66 EWGV . . . . . . . . . 1. Die Beurteilung aufgrund des engen Beschränkungsbegriffs . . . . . . . 2. Die Beurteilung aufgrund des weiten Beschränkungsbegriffs . . . . . . 3. Das Ursprungslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161 161 161 162 163

I. Tendenz zum engen Beschränkungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

163

II. Tendenz zum weiten Beschränkungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

164

III. Tendenz in den Rechtssachen aus dem Rundfunkbereich . . . . . . . . .. . . . .

165

IV. Der Standpunkt des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167

Inhaltsverzeichnis

15

D. Die Interpretation des Beschränkungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

168

I. Der Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

168

Il. Die Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. 60 Abs. 3 EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art. 65 EWGV ... ... . . . ................. . .. . ....... ............... .. ... 3. Art. 7 EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Art. 30, 34, 36 EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Art. 48 Abs. 2 und Art. 52 Abs. 2 EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Zielbestimmung des Art. 3 lit. c EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Rechtsfigur der versteckten Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . .. .. . a) Das Allgemeine Programm des Rates zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . .

169 170 171 172 173 173 175 175

III. Die Teleologie des Art. 59 Abs. 1 EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die anwendbaren Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der freie Dienstleistungsverkehr und der Beschränkungsbegriff . . .

178 178 181

E. Beschränkungen der Ausstrahlung von Rundfunk

175 176

183

3. Kapitel

Die Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs 1. Teil Die Vorschriften zur Gewährleistung von Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs A. Art. 55 i. V.m. Art. 66 EWGV . ............ ..... . . .. . .. . ...................... .

185

I. Die Struktur der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

185

II. Die Ausstrahlung von Rundfunk und die Ausübung öffentlicher Gewalt 1. Einziehung von Gebühren und Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ausstrahlung öffentlich-rechtlicher Rundfunkprogramme . . . . . . 3. Der Art. 55 Abs. 2 EWGV ....... ..... . . ..... . .. ............... . .. . .. B. Art. 56 i. V.m. Art. 66 EWGV . .. . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186 186 187 189 190

I. Die Struktur und Funktion des Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV . . . . . . . . 1. Der Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schwerpunkte der Anwendung der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . a) Richtlinie 64/221/EWG vom 25.2.1964 . ........... ...... .. . . . . b) Richtlinie 73/148/EWG vom 21.5.1973 ...................... . . 3. Der Anwendungsbereich . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Diskriminierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Schaffen neuer Sonderregeln .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 6. Die Definitionszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Der Aufbau des Art. 56 Abs. 1 EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190 190 190 191 192 192 193 194 195 196

16

Inhaltsverzeichnis II. Die Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198

1. Die öffentliche Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198

2. Die öffentliche Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

a) Bestandsschutz des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

b) Ausstrahlung von Rundfunksendungen . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . 200 3. Die öffentliche Ordnung . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 201 a) Ein gemeinschaftsrechtlicher Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Die Interpretation des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 c) Systematische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 d) Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 4. Wirtschaftliche Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 5. Die Begründung durch den Mitgliedstaat . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . ..

207

III. Die Grenzen der Tragweite des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV

208

1. Kriterien der Grenzziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Die Rolle des Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Die Auffassung von der unmittelbaren Geltung der EMRK in der Rechtsordnung der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Die EMRK als Erkenntnisquelle und Auslegungshilfe . . . . .. . . . . 211 c) Konsequenzen für die Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 IV. Die Auswirkungen des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV auf dem Gebiet des Rundfunks . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

214

C. Das innerstaatliche Allgemeininteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I. Die Funktion des Allgemeininteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 11. Die inhaltliche Festlegung des Allgemeininteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1. Parallelen zu Art. 56 Abs. 1 i. V.m. Art. 66 EWGV . . .. ...... . . . . .. 219 2. Anlehnung an Art. 36 EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Der Art. 10 EMRK als Grenze des Allgemeininteresses . . . . . . . . . . . . 221 a) Die Konzeption der EMRK als materielle Schranke...... . . .. .. . 221 b) Bedenken gegen diese Auffassung und Verwendung der EMRK als Auslegungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 c) Der Rundfunkbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 III. Das Allgemeininteresse und die innerstaatliche Rundfunkordnung . . . . 225 1. Der Einfluß sekundären Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Innerstaatliche Anforderungen im Allgemeininteresse . . . . . . . . . . . . . . 226 D. Art. 90 Abs. 2 EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 I. Die Funktion des Art. 90 Abs. 2 EWGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1. Die Struktur der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 228 2. Rahmenbedingungen der Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

Inhaltsverzeichnis

17

II. Die Voraussetzungen des Art. 90 Abs. 2 EWGV .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 1. Unternehmen mit besonderem Charakter... . .. ............... . .. . .. . . a) Unternehmen mit dem Charakter eines Finanzmonopols . . . . . . . . b) Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rundfunkveranstalter . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die besondere Aufgabe .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . a) Ein gemeinschaftsrechtlicher Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiele von Rundfunkveranstaltern mit besonderen Aufgaben . . 3. Der Akt der Betrauung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. . .. .. . .. .. 4. Das Verhindem der Aufgabenerfüllung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 5. Beeinträchtigung des Handelsverkehrs bis zur Grenze des Gemeinschaftsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Anwendung des Art. 90 Abs. 2 EWGV auf Rundfunkveranstalter a) Voraussetzungen im Zusammenhang mit den Art. 59ff. EWGV . . . b) Die Zielrichtung des Art. 90 Abs. 2 EWGV .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

230 230 231 231 232 234 234 236 237 239 240 242 242 243

2. Teil

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit A. Funktion und Ausgestaltung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 245 I. Die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Mitgliedstaaten . . . . . . . . 246 II. Die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Gemeinschaft .. .. .. .. ..

248

III. Befugnisse der Organe der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 IV. Die Struktur der Untersuchung der Verhältnismäßigkeit .. .. .. .. .. .. .. . 1. Die Geeignetheit .. .. .. .. . . .. ..... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. . 2. Die Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Proportionalität .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. 4. Die Herstellung praktischer Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Ausprägungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Bereich der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

250 250 251 251 252

I. Art. 55 i. V.m. Art. 66 EWGV .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .......

253

2'53

II. Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 254 1. Die Bedeutung der Verhältnismäßigkeit .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 254 2. Die Verhältnismäßigkeit diskriminierender Regelungen eines Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 III. Das Allgemeininteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geeignetheit einer Regelung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 2. Erforderlichkeit einer Regelung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 3. Proportionalität einer Regelung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

255 255 256 257

IV. Art. 90 Abs. 2 EWGV .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 258 2 Kugelmann

18

Inhaltsverzeichnis

C. Gefahren und Handhabung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

258

I. Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

258

II. Handhabung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Innerstaatlicher oder gemeinschaftlicher Normgeber . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßnahmen der Verwaltungen oder der Normgeber . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Sicherung des Wesensgehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .

259 259 260 262

Die wesentlichen Ergebnisse in Thesen

264

Literaturverzeichnis

269

Abkürzungsverzeichnis a. a. 0. ABI. Abs. AfP AöR ARD Art. Aufl. BBC Bd. BGBI. bzw. ca. CMLRep. CMLRev. DBS DM DOK DÖV DVBl EA ebd. EG EGKS ELR endg. EPIL EuGH EuR EWGV

FAZ f.

ff. FIDE Fn. FS GA 2*

= an anderem Ort = Amtsblatt = Absatz, Absätze = Archiv für Presserecht = Archiv des öffentlichen Rechts = Arbeitgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands = Artikel (Singular und Plural) = Auflage = British Broadcasting Corporation =Band = Bundesgesetzblatt = beziehungsweise = cirka = Common Market Law Reports = Common Market Law Review = Direct Broadcasting Satellite = Deutsche Mark =Dokument = Die Öffentliche Verwaltung = Deutsches Verwaltungsblatt = Europa Archiv = ebenda = Europäische Gemeinschaften = Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl = European Law Review = endgültig = Encyclopedia of Public International Law = Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften = Europarecht = Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft = Frankfurter Allgemeine Zeitung = folgende = fortfolgende = Federation International pour le Droit Europeen = Fußnote = Festschrift = Generalanwalt

20 gern. GRUR,Int. GS Hrsg. hrsg. IBFN i. s. d. ISDN i. V. m. JöR, N. F. JuS JZ KOM lit.

Abkürzungsverzeichnis

=gemäß = Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil = Gedächtnisschrift = Herausgeber = herausgegeben = integriertes Breithand-Fernmeldenetz = im Sinne des, im Sinne der = Integrated Services Digital Network = in Verbindung mit = Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Neue Folge = Juristische Schulung = Juristenzeitung = Kommission = Iitera = Leitsatz LS = Millionen Mio. = Neue Juristische Wochenschrift NJW No. =Numero Nr. =Nummer NVwZ = Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht = Radiotelevisione Italiana RAI = Randnummer Rn. = Rechtssache Rs. = Revue trimestrielle de droit europeen RTDE = Rundfunk und Fernsehen RuF = Satz, Sätze, Seite, Seiten s. = siehe s. =Sammlung Slg. s. 0. = siehe oben sog. = sogenannt sz = Süddeutsche Zeitung = und andere, unter anderem u. a. = Urteil Urt. = und so weiter usw. V. =vom, von = verbundene verb. = Volume Vol. WARC 1977 = World Administrative Radio Conferences im Jahr 1977 = zum Beispiel z. B. = Zeitschrift für Handelsrecht ZHR = Ziffer, Ziffern Ziff. = Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht ZUM

Einleitung Die Dienstleistung wird mehr und mehr zu einem Schlüsselbegriff für die Entwicklung moderner Gesellschaften 1• Dienstleistungen im weitesten Sinne sind wirtschaftliche Verrichtungen, die nicht in der Erzeugung von Sachgütern, sondern in persönlich~n Leistungen bestehen 2 • Information und Kommunikation sind Voraussetzungen der Dienstleistung. Kommunikation wird hier als Prozeß der Informationsübermittlung verstanden 3• Die Information stellt die Nachricht dar, die im Kommunikationsprozeß übermittelt wird 4 • Diese sehr allgemeinen Begriffsbestimmungen reichen im Kontext der vorliegenden Arbeit als Arbeitshypothesen aus. In der Europäischen Gemeinschaft wächst der Anteil der Dienstleistungen an der Bruttowertschöpfung, während der Anteil des verarbeitenden Gewerbes und der Landwirtschaft rückläufig ist 5 • Die Bedeutung eines gemeinsamen Dienstleistungsmarktes in der Gemeinschaft wurde lange Zeit unterschätzt, da Dienstleistungen in vielgestaltigen Erscheinungsformen auftreten, sich deshalb die Erbringer von Dienstleistungen ihrer gemeinsamen Interessen nicht bewußt waren und früher viele Dienstleistungen von der produzierenden und verarbeitenden Industrie selbst erbracht wurden. Seit einiger Zeit geht die Tendenz dahin, spezialisierte Unternehmen oder zumindest spezialisierte Einheiten für Dienstleistungstätigkeiten zu schaffen 6 •

Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, S. 32-33, 129- 170. Brockhaus, Bd. 3, S. 182, Begriff "Dienstleistungen". 3 Schulz, in: Fischer Lexikon, Publizistik, S. 98-99. 4 Schulz, in: Fischer Lexikon, Publizistik, S. 105. s Mitteilung der Kommission, Auf dem Weg zu einer dynamischen europäischen Volkswirtschaft, Grünbuch über die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsendgeräte vom 30. 6. 1987, DOK KOM (87) 290 endg., S. 44, in dem dargelegt wird, daß der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung im Jahr 1960 33 %, 1983 aber nur noch 26% betragen hat, der Anteil der Dienstleistungen dagegen von 36% im Jahr 1960 auf 43% im Jahr 1983 gestiegen ist; vgl. Schulte-Braucks, in: Scherer (Hrsg.), Telekommunikation, S. 5 f.; s. auch das Weißbuch der Kommission vom 28./29.6.85, in: Schwarze/Bieber (Hrsg.), Das europäische Wirtschaftsrecht, S. 264, Punkt 97, wonach 1982 die Dienstleistungen bereits 57% der Wertschöpfung der Gemeinschaft ausmachten und zwischen 1973 und 1982 fünf Millionen Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor geschaffen worden sind. 6 Weißbuch der Kommission vom 28./29.6. 85, in: Schwarze I Bieber (Hrsg.), Das europäische Wirtschaftsrecht, S. 264, Punkt 95. I

2

22

Einleitung

Die Heterogenität der Dienstleistungen steigert aufgrund der vielfliltigen Einfluß- und Anwendungsmöglichkeiten ihre Bedeutung. Andererseits gewinnen infolge der vielfältigen Einfluß- und Anwendungsmöglichkeiten neue oder veränderte Formen von Dienstleistungen an Bedeutung. Mit der zunehmenden Relevanz des Dienstleistungsbereichs wächst auch die Bedeutung der Information als Voraussetzung dieser Entwicklung. Informationen werden nicht mehr regelmäßig in direktem Kontakt vor Ort von Mensch zu Mensch ausgetauscht. Die Übermittlung von Information wird in zunehmendem Maße über entsprechende technische Vorrichtungen abgewickelt. Dienstleistungen, die diese Übermittlung von Information zum Gegenstand haben, also den Vorgang der Kommunikation verwirklichen, werden durch ihre Technisierung abgrenzbar, reproduzierbar und damit wirtschaftlich interessant. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung und der Steigerung von Übertragungskapazitäten werden Dienstleistungen selbst zu Wirtschaftsgütern, können auch Dienstleistungen gekauft und verkauft werden 7 • Ein Beispiel ist die Übertragung von Telegrammen über das Fernmeldenetz. Die Vollziehung dieser Dienstleistung durch private oder öffentliche Unternehmen erfolgt gegen Entgelt und hat daher wirtschaftlichen Charakter 8 • Die Information entwickelt sich zu einem eigenständigen Gut und einem Produktionsfaktor9 • Dabei gewinnt die technische Seite ein Eigenleben. Die Informationsfreiheit könnte in gewissem Maße in Abhängigkeit von den technischen Möglichkeiten der Kommunikation geraten 10• Der Prozeß der Kommunikation als Übertragung von Information prägt eine moderne Gesellschaft. Gerade auch die Telekommunikation ist Voraussetzung für die aktuellen gesellschaftlichen Wandlungen 11 . Im Schnittpunkt von Kommunikationstechnologie und Informationsfreiheit, von technischer und gesellschaftlicher Entwicklung steht der Rundfunk. Der Begriff Rundfunk umfaßt Hörfunk und Fernsehen 12• Das Fernsehen ist wegen seiner im Vergleich zum Hörfunk bedeutenderen Rolle als Meinungsbildner und seinen größeren Einflußmöglichkeiten in den Vordergrund des Interesses gerückt13. 7 Telekommunikations-Grünbuch, Fn. 5, S. 45. s Vgl. EuGH Urt. v. 20.3. 1985, Rs. 41183 (British Telecommunications), Slg. 1985, s. 873, s. 881-883, Rn. 2-9. 9 Sehröder I Eckert I Georgieff I Harmsen, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 15 I 89, s. 21. •o Gon~alves, RTDE 1988, S. 61-63. II Ungerer I Costello, Telekommunikation, S. 39, 281. 12 Entsprechend den Begriffen radiodiffusion und broadcasting, Rundfunk ist also der Oberbegriff; vgl. Stellungnahme des Rechtsausschusses des EP zum Hahn-Bericht von 1982 (Verf.: Sieglerschmidt), PE Dok 1-1013 I 8, S. 30, mit Fn. 2 zum internationalen Sprachgebrauch; lpsen, Rundfunk, S. 454 f. mit Fn. 6; s. auch ders., EuR 1982, S. 205.

Einleitung

23

Die Medientechniken der Übertragung von Signalen über Kabel und Satellit führen zu der Möglichkeit des Empfangs von mehr Rundfunkprogrammen. Der Rundfunk hat Teil an den Entwicklungen im Telekommunikationssektor, dessen wichtigsten Bereich er darstellt 14 • Vom Telekommunikationssektor wird die Entwicklung zu einem Schlüsselsektor der Wirtschaft in der Europäischen Gemeinschaft erwartet 15 • Ein starker europäischer Telekommunikationssektor ist eine der entscheidenden Voraussetzungen für die künftige Wettbewerbsfahigkeit der europäischen Wirtschaft insgesamt und für die Vollendung des Binnenmarktes für Waren und Dienstleistungenl6. Auch dem Rundfunk kommt eine wirtschaftliche Rolle zu. Die Rundfunkwerbung trägt zur Erhöhung der Absatzchancen für Waren und Dienstleistungen innerhalb der Gemeinschaft bei. Der Rundfunk spielt aber vor allem eine wichtige Rolle im Prozeß der Information und Meinungsbildung in einer Gesellschaft 17• Die Position des Rundfunks im Brennpunkt von technischen und wirtschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen und Einflüssen führt dazu, daß die Bestimmung seines Verhältnisses zu den Vorschriften des EWG-Vertrages erhebliche rechtliche und politische Sprengkraft entfaltet. Bei dieser Einordnung ist den modernen Techniken und ihren Voraussetzungen gebührende Beachtung zu schenken, weil die tatsächliche Situation im Rahmen der rechtlichen Beurteilung nicht außer Acht gelassen werden darf 18• Dem Gemeinschaftsrecht kommt, wie anderen Rechtsordnungen auch, die Aufgabe zu, der technischen Entwicklung und ihrer Anwendung einen Rahmen vorzugeben. Die Entscheidungs- und Auswahlfreiheit des Bürgers im Zusammenhang mit der Informationsfreiheit ist dabei zu berücksichtigen 19•

13 Der Hörfunk darf allerdings nicht vernachlässigt werden, das betont zum Beispiel die Stellungnahme des Politischen Ausschusses zum Hahn-Bericht von 1982 (Verf.: van Minnen), PE Dok 1-1013/8, S. 24 (B.S.). 14 Vgl. die Defmition von Fawcett, Broadcasting, EPIL 9, S. 14: "Broadcasting is part of telecommunication, using radio and television for the conveyance of news, information, discussion and entertainment"; Telekommunikation umfaßt auch das Fernmeldewesen mit Telefon und Telegramm, vgl. die weite Defmition der Telekommunikation durch die ITU in der Konvention vom 6. 11. 82, dargestellt von Malanczuk, Telecommunications, EPIL 9, S. 367. 15 Weißbuch der Kommission vom 28./29. 6. 85, in: Schwarze I Bieber (Hrsg.), Das europäische Wirtschaftsrecht, S. 270, Punkt 115. 16 Telekommunikations-Grünbuch, Fn. 5, S. 24; vgl. Haas, Zeitschrift für Kulturaustausch 1982, S. 37; L. Seidel, NVwZ 1991, S. 120. 17 Dazu BVerfG Urt. v. 4.11.1986, E 73, S. 118, S. 152 und BVerfG Beschluß v. 24.3.1987, E 74, S. 297, S. 323. 1s So das BVerfG Urt. v. 4.11. 1986, E 73, S. 118, S. 154. 19 E. Klein, Diskussionsbeitrag, in: Wolfrum (Hrsg.), Recht auf Information, S. 44-46.

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Einleitung

Die technische und wirtschaftliche Ausgangslage richtet hinsichtlich des Rundfunks die Aufmerksamkeit innerhalb des EWG-Vertrages auf die Vorschriften über Dienstleistungen, die Art. 59-66 EWGV. Da sie bisher oft im Rahmen des Niederlassungsrechts der Art. 52- 58 EWGV mitbehandelt wurden 20, besteht im Hinblick auf Inhalt und Auslegung dieser Normen ein gewisser Nachholbedarf. Eine grenzüberschreitende Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV ist in drei verschiedenen Erscheinungsformen denkbar. Entweder begibt sich der Leistungserbringer zum ErnpHioger in den anderen Mitgliedstaat, beispielsweise wenn ein Arzt einen Patienten in einem anderen Mitgliedstaat behandelt. Oder der Empfänger der Leistung begibt sich zum Erbringer in den zweiten Mitgliedstaat, etwa wenn ein Patient einen Arzt in einem anderen Mitgliedstaat aufsucht. Die Voraussetzungen der Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV sind auch erfüllt, wenn weder der Erbringer, noch der Empfänger der Leistung einen Ortswechsel vornehmen, sondern nur die Dienstleistung selbst die Grenze überschreitet. Dies trifft bei Leistungen einer Versicherung an einen Berechtigten in einem anderen Mitgliedstaat zu 21 • Bei Erörterungen des freien Dienstleistungsverkehrs steht der Regelfall im Vordergrund, daß der Dienstleistungserbringer die Grenze überschreitet 22 • Die Entwicklung in den Mitgliedstaaten hin zur Dienstleistungsgesellschaft fordert eine verstärkte Aufmerksamkeit für die Erscheinungsform der Dienstleistung, bei der lediglich die Dienstleistung selbst die Grenze überschreitet. Die Ausstrahlung von Rundfunk ist eine solche Dienstleistung 23 • Auf der Ebene des EWG-Vertrages gilt es, das Verhältnis der Vorschriften über den freien Verkehr von Dienstleistungen zum Rundfunk und zum Rundfunkverfassungsrecht herauszuarbeiten 24, weil das Gemeinschaftsrecht auf das Aussehen des Rundfunks in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft erhebliche Auswirkungen haben könnte. Dieser Aufgabe vor allem will sich die vorliegende Arbeit widmen. Die Anwendung des EWG-Vertrages auf den Rundfunk kann allerdings für die juristische Konzeption des freien Dienstleistungsverkehrs in ihrer Gesamtheit neue Denkan-

2o V gl. Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlerrnann, Kommentar zum EWGV, Vorbemerkung zu Art. 59 bis 66, vor Rn. l. 21 Streil, in: Beutler I Bieber I Pipkorn I Streil, Die EG, S. 317 (9.6.3.). 22 Vgl. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 60, Rn. 5. 23 Wirtschaftlich ist dies nicht problematisch; die Feststellung, daß Rundfunk auch rechtlich i. S. d. EWG-Vertrages eine Dienstleistung sein und deshalb unter die Art. 59 bis 66 EWGV fallen kann, muß unten im Text untersucht und nachgewiesen werden. 24 Vgl. den Anspruch an die Wissenschaft von Hoffmann-Riem, RuF 1988, S. 23 f.; s. auch A. Hesse, Rundfunkrecht, S. 238.

Einleitung

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stöße geben. Deshalb versteht sich die Arbeit auch als Versuch, über den engeren Gegenstand des Rundfunks hinaus auf die Konzeption der Art. 59 ff. EWGV gestaltend einzuwirken.

1. Kapitel

Aktivitäten der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Rundfunks 1. Teil

Die Aktivitäten und Initiativen bis zur Fernseh-Richtlinie A. Die Entschließung des Europäischen Parlaments zu Rundfunk und Fernsehen in der Europäischen Gemeinschaft vom 12.3.1982 Ihren Ausgang nahm die Entwicklung der rundfunkbezogenen Maßnahmen der Organe der Europäischen Gemeinschaft von der Entschließung des Europäi-

schen Parlaments zu Rundfunk undFernsehen in der Europäischen Gemeinschaft vom 12.3.19821. Unter Verweis auf die Entschließungsanträge der Herren Pedini und Hahn sowie des Herrn Schinzel 2 zeigte sich das Parlament von der Notwendigkeit überzeugt, die Bürger der Mitgliedstaaten über die Politik der Gemeinschaft

1

ABl. Nr. C 87/110, abgedruckt in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen,

s. 225-227.

2 Bericht im Namen des Ausschusses für Jugend, Kultur, Bildung, Information und Sport über Rundfunk und Fernsehen in der Europäischen Gemeinschaft, Berichterstatter: Herr Wilhelm Hahn, PE 73 271/endg., Europäisches Parlament, Sitzungsdokumente 1981-82, DOK 1-1013/8, vom 23. 2.1982; ebd., S. 18, als Anlage I findet sich der Entschließungsantrag 1-409/80 der Herren Pedini, Hahn u. a. (EVP-Fraktion), der schon den Zusammenhang zwischen Information und politischer Verantwortung betont; ebd., S. 19 f., ist der Entschließungsantrag 1-422/80 von Herrn Schinzel (Sozialistische Fraktion) abgedruckt, in dem insbesondere vor der Gefahr der Kommerzialisierung gewarnt und der öffentlich-rechtliche Rundfunk als wichtiger Bestandteil eines demokratischen Gemeinwesens bezeichnet wird, woran sich die Forderung anschließt, grenzüberschreitende Maßnahmen, die die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten beeinträchtigen könnten, nicht zuzulassen; der Hahn-Bericht von 1982 mit Entschließungsantrag und die Entschließungsanträge Pedini bzw. Schinzel sind auch abgedruckt in: Seidel (Hrsg.), Hörfunk, S. 231-246.

A. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. 3. 1982

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besser zu informieren. Den Rundfunk hielt es für das entscheidende Medium zu Unterrichtung und Meinungsbildung der Öffentlichkeit 3• Das Parlament schlug ein europäisches Fernsehprogramm als Vollprogramm vor4, forderte dazu die Mitgliedstaaten auf, die fünften Kanäle ihrer nationalen Satelliten zur Verfügung zu stellen 5 und verlangte von der Kommission einen Medienbericht, um das europäische Fernsehprogramm vorzubereiten 6• Eine europäische Rundfunkrahmenordnung unter anderem mit dem Ziel der Regelung des Jugendschutzes und der Werbung hielt das Parlament für unabdingbar7. In der Entschließung dominierte der Gedanke, daß auch die Europäische Gemeinschaft sich des Rundfunks zur Information über sich und Buropa bedienen können sollte und daß deshalb ein europäisches Fernsehprogramm notwendig sei. Die Stellungnahme des Rechtsausschusses zum Hahn-Bericht von 1982 (Verfasser: Herr Hellmut Sieglerschmidt) 8 hält weder Art. 100 EWGV, noch Art. 235 EWGV für eine geeignete Rechtsgrundlage im Hinblick auf gemeinschaftsrechtliche Rechtsvorschriften im Bereich der Medienordnungen. Art. 100 EWGV scheide aus, weil es nicht um die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes gehe und Art. 235 EWGV setze eine Rahmenvorgabe voraus, die aber fehle, weil die Medienpolitik in den Römischen Verträgen überhaupt nicht genannt sei 9• Im Zusammenhang mit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Debauve 10 merkt der Ausschuß an, die einzelstaatlichen Medienordnungen seien durchaus Bestandteil des ordre public der Mitgliedstaaten, weil sie für die Wahrung der politischen und kulturellen Identität von so hoher Bedeutung seien 11 •

3 ABI. Nr. C 87 I 110, abgedruckt in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, Erwägungsgründe, S. 225. 4 Ebd. Ziff. 5, S. 227. s Ebd. Ziff. 4, S. 227. 6 Ebd. Ziff. 1, S. 226. 7 Ebd. Ziff. 7, S. 227. s Abgedruckt beim Halm-Bericht von 1982, S. 28-37 und in: Seidel (Hrsg.), Hörfunk, s. 252-261. 9 Ebd. Ziff. 4 und 5, S. 31-33. 10 EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), S1g. 1980, S. 833. n Halm-Bericht von 1982, S. 35, Ziff. 8; vgl. Sieglerschmidt, in: Seidel (Hrsg.), Hörfunk, S. 219.

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1. Kap. 1. T.: Aktivitäten und Initiativen auf dem Gebiet des Rundfunks

B. Entschließung des Europäischen Parlaments zu einer Politik im Sinne der neuen Trends im europäischen Fernsehen vom 30.3.1984 (Entschließung Arfe) Den nächsten Schritt im Rahmen der Aktivitäten des Parlaments bildete die Entschließung des Europäischen Parlaments zu einer Politik im Sinne der neuen Trends im europäischen Fernsehen vom 30.3.1984 (Entschließung Arje) 11• Unter Berücksichtigung der außerordentlichen Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts auf dem Gebiet der Übertragungstechniken für das Fernsehen, hält es das Parlament für eine Tatsache, daß diese Entwicklung großen Einfluß auf die Kultur, das Wirtschaftsleben, die sozialen Gewohnheiten, das Konsumverhalten und das gesamte Fernsehsystem haben werde 13 • Es gelte einzugreifen mit dem Ziel, den unaufhaltsamen Prozeß der Internationalisierung des Fernsehens um die Komponente einer politischen Integration auf Gemeinschaftsebene anzureichern und damit der Gemeinschaft Einflußmöglichkeiten auf die Entwicklung einzuräumen 14 • Kommission und Rat werden zur Schaffung eines Rechtsrahmens aufgefordert, wobei die Koordinierung der Regeln über Werbung, Jugendschutz und die Verteilung der Sendezeit zwischen gemeinschaftlichen und außergemeinschaftlichen Produktionen angesprochen wird 15 • Das Parlament verlangt die Vereinheitlichung der technischen Übertragungssysteme und die Herstellung der rechtlichen Bedingungen für ein europäisches Satellitenfernsehprogramm 16• Letzteres sei für die Entwicklung eines europäischen Bewußtseins von grundlegender Bedeutung 17• Eine europäische Programmproduktion und-politiksei jedenfalls eine Notwendigkeit 18 •

12 Entschließung des Europäischen Parlaments zu einer Politik im Sinne der neuen Trends im europäischen Fernsehen vom 30.3.1984 (ABI. Nr. C 117 /201), abgedruckt in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 228-234. 13 Ebd. Erwägung B und C, S. 229. 14 Ebd. Erwägung D, S. 229. 15 Ebd. Ziff. 2-4, S. 230; in Ziff. 3 wird die Kommission um Vorlage des angekündigten Grünbuchs gebeten. 16 Ebd. Ziff. 5 und 9, S. 230 f. 11 Ebd. Ziff. 13, S. 232, in diesen Zusammenhang stellt das Parlament auch die Einführung eines europäischen Nachrichtenprogramms, Ziff. 14, S. 233. 18 Ebd. Ziff. 10, S. 231; in Ziff. 11, S. 232 wird diesbezüglich über Finanzhilfen nachgedacht.

C. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. 4. 1984

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C. Entschließung des Europäischen Parlaments zu Rundfunk und Fernsehen in der Europäischen Gemeinschaft (Gefährdung der Meinungsvielfalt durch die Kommerzialisierung der neuen Medien) vom 13.4.1984 (Entschließung Hutton) Auf die Gefährdungen durch die Möglichkeiten, die die neuen Übertragungstechniken bieten, ging das Parlament ein in der Entschließung des Europäischen Parlaments zu Rundfunk und Fernsehen in der Europäischen Gemeinschaft (Gefährdung der Meinungsvielfalt durch die Kommerzialisierung der neuen Medien) vom 13.4.1984 (Entschließung Hutton)1 9• Das Parlament zeigt sich darin überzeugt, daß die Grenzen der Werbesendungen sowohl im öffentlichen wie im privaten Fernsehen Gegenstand eines Beschlusses auf Gemeinschaftsebene sein müßten, damit alle Fernsehanstalten den gleichen Bedingungen unterlägen 20 • Das Ausmaß der, auch zeitlichen, Beschränkungen und Verbote bei der Rundfunk- und Fernsehwerbung in den Mitgliedstaaten sei besorgniserregend, es handele sich um Beschränkungen der Freizügigkeit von Dienstleistungen 21 • Nach Ansicht des Parlaments werde es weder zu einer unkontrollierten Verbreitung neuer Dienste noch zu einer Gefährdung von Programmqualität oder -vielfalt kommen, wenn die geltenden Verhaltensregeln und die allgemein akzeptierten Verfahrensweisen eingehalten würden 22 • Angaben darüber, worin diese Verhaltensregeln und Verfahrensweisen bestehen, werden nicht gemacht. Das Europäische Parlament äußert die Überzeugung, daß es mit Zunahme der Zahl internationaler Sendungen einen größeren Bedarf an europäischen Nachrichten geben werde 23 • Zum ersten Mal fordert es die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, die wichtige Rolle lokaler Rundfunkstationen zu beachten 24 •

19 Entschließung des Europäischen Parlaments zu Rundfunk und Fernsehen in der Europäischen Gemeinschaft (Gefährdung der Meinungsvielfalt durch die Kommerzialisierung der neuen Medien) vom 13.4. 1984 (ABI. Nr. C 127 /147), abgedruckt in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 235-239. 2o Ebd. Erwägung G, S. 236. 21 Ebd. Erwägung H, S. 236. 22 Ebd. Erwägung I, S. 236. 23 Ebd. Erwägung R, S. 237. 24 Ebd. Ziff. l0-11, S. 238.

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1.

Kap. 1. T.: Aktivitäten und Initiativen auf dem Gebiet des Rundfunks

D. Das Grünbuch "Fernsehen ohne Grenzen" der Kommission vom 14.6.1984 Am 14.6.1984 legte die Kommission das Grünbuch "Fernsehen ohne Grenzen" vor, das für die Beurteilung und Gestaltung des Fernsehens in der Europäischen Gemeinschaft von grundlegender Bedeutung ist 25 . Die Kommission stellt zunächst die technischen, kulturell-gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für das Fernsehen dar, erläutert die damals aktuell bestehenden Regelungssysteme der Mitgliedstaaten und geht dann detailliert auf die rechtlichen Voraussetzungen eines Gemeinsamen Marktes für den Rundfunk ein. Den Schwerpunkt legt sie auf die Auslegung der Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit (Art. 59 bis 66 EWGV) und die Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften. Das Grünbuch diente als Vorbereitung der Richtlinie zum Fernsehen ohne Grenzen. Es bildete Anlaß und Gegenstand zahlreicher Diskussionen und Stellungnahmen von Politikern, Wissenschaftlern, Rundfunkanstalten, Wirtschaftsunternehmen und sonstigen interessierten Kreisen26. Viele der im Grünbuch vertretenen Positionen haben dezidierte Kritik erfahren und selbst die Kommission hält inzwischen nicht mehr an allen dort erarbeiteten Standpunkten fest. Schon in ihrem ersten Vorschlag für die Richtlinie zeigte sie sich in einer Reihe von Punkten zurückhaltender und vorsichtiger als im Grünbuch. Nach wie vor ist das Grünbuch aber die juristisch umfassendste Darstellung der Probleme des grenzüberschreitenden Rundfunks. Sein Verdienst bleibt, die Diskussion über einen Gemeinsamen Europäischen Rundfunkmarkt auch vor einer breiteren Öffentlichkeit in Gang gebracht zu haben.

E. Das Weißbuch "Vollendung des Binnenmarktes" der Kommission vom 14.6.1985 Ein Jahr nach dem Grünbuch legte die Kommission am 14.6.1985 das Weißbuch"Vollendung des Binnenmarktes" vor 27 .

25 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, KOM (84) 300 endg., vom

14.6. 1984, Fernsehen ohne Grenzen, Grünbuch über die Errichtung des Gemeinsamen Marktes für den Rundfunk, insbesondere über Satellit und Kabel, (Mitteilung der Kom-

mission an den Rat). 26 Einen Überblick über die Reaktionen auf das Grünbuch gibt Schwartz, in: Schwarze (Hrsg.), Rundfunk, S. 99-106; vgl. das gemeinsame Schreiben der Intendanten von ZDF und ARD an die Kommission, ZUM 1985, S. 314-316. 27 Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat in Mailand am 28./29. 6. 1985 "Vollendung des Binnenmarktes" vom 14. 6. 1985, auszugsweise abgedruckt in: Schwarze I Bieber (Hrsg.), Das europäische Wirtschaftsrecht, S. 233-283.

F. Entschließungen des Parlaments vom 10. 10. 1985

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Die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes für Dienstleistungen wird darin als eine der Hauptvoraussetzungen zur Schaffung eines wettbewerbsfähigen Binnenmarktes genannt 28. Im Bereich der audiovisuellen Dienstleistungen sollte nach Ansicht der Kommission eine einzige, gemeinschaftsweite Rundfunkzone das Ziel sein. Die Kommission sieht den Rundfunk als Teil der Kommunikationsindustrie. Diese werde sich zu einem Schlüsselsektor der Wirtschaft in der Gemeinschaft entwickeln. Deshalb habe die Ausgestaltung des Rundfunks in der Gemeinschaft Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der EG-Industrien im Binnenmarkt 29. Die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes für Dienstleistungen bedeutet in diesem Kontext nach Auffassung der Kommission, daß alle, die Rundfunksendungen herstellen, weiterverbreiten und empfangen, dazu gemeinschaftsweit Gelegenheit haben sollten 30.

F. Entschließungen des Parlaments vom 10.10.1985 Das Europäische Parlament machte das Grünbuch zur Grundlage seiner weiteren Arbeit auf dem Gebiet des Rundfunks.

I. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10.10.1985 zu einer Rahmenordnung für eine europäische Medienpolitik (Entschließung Hahn) Aus dem Hahn-Bericht von 1985 31 ging die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10.10.1985 zu einer Rahmenordnung für eine europäische Medienpolitik (Entschließung Hahn)3 2 hervor. Das Parlament betont die Bedeutung des Rundfunks für die demokratische Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaften, die Entstehung eines europäischen Bewußtseins und die Erhaltung der kulturellen Vielfalt und Identität Ebd. Ziff. 95, S. 263 f. Ebd. Ziff. 115, S. 270. 30 Ebd. Ziff. 116, S. 270. 31 Bericht des Ausschusses des Europäischen Parlaments für Jugend, Kultur, Bildung, Information und Sport über eine Rahmenordnung für eine europäische Medienpolitik (Berichterstatter: Herr Wilhelm Hahn) vom 5. 7. 1985, PE DOK A 2-75/85, auszugsweise abgedruckt in: Schwarze (Hrsg.), Rundfunk, S. 331-362. 32 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. 10. 1985 zu einer Rahmenordnung für eine europäische Medienpolitik auf der Grundlage des Grünbuchs der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Errichtung des gemeinsamen Marktes für Rundfunk, insbesondere über Satellit und Kabel, (ABI. Nr. 288/113 vom 11.11.1985), abgedruckt in: Schwarze (Hrsg.), Rundfunk, S. 320-330. 28 29

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1. Kap. 1. T.: Aktivitäten und Initiativen auf dem Gebiet des Rundfunks

Europas 33 • Es sieht die Gefahr, daß die Gemeinschaft ihre Chance zur Gestaltung einer gemeinsamen Medienpolitik verpaßt und kommerzielle Interessen und Medienstrukturen eventuell nichteuropäischer Herkunft siegen 34• Als Konsequenz fordert das Parlament einen Europäischen Fernsehraum, in dem die Möglichkeit des Empfangs von Programmen aus anderen Mitgliedstaaten besteht, die Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gesichert ist und wo Programmgrundsätze und technische Normen harmonisiert sind 35 • Wie schon der Hahn-Bericht von 1985 übernimmt das Parlament weitgehend die Standpunkte der Kommission zu den rechtlichen Fragen. Rundfunksendungen begreift es als Dienstleistungen i. S. d. EWG-Vertrages. Der Rundfunkveranstalter soll nach dem Recht des Staates, in dem er seinen Sitz hat, senden dürfen. Damit wird das Ursprungslandprinzip aufgegriffen. Der Rezipient habe das Recht zum Empfang, die Kabelunternehmen das Recht zur Weiterverbreitung. Art. 59, 62 EWGV seien insoweit Ausprägungen des Art. 10 EMRK, dessen Anforderungen im Falle von Ausnahmen von der Dienstleistungsfreiheit zusätzlich zu denen des Art. 56 i. V. m.66 EWGV erfüllt sein müßten 36• Die Rahmenordnung im Medienbereich solle die Angleichung der Vorschriften über Werbung, Jugendschutz, Gegendarstellungs- und Urheberrecht ebenso umfassen wie die Regelungen der Vereinheitlichung technischer Normen, des Zugangs zu Satelliten, der Mindestanteile europäischer Eigenproduktionen (Quotenregelung) und die Harmonisierung allgemeiner Programmgrundsätze (Mindestanforderung)37. Für die Richtlinie über die Rundfunkwerbung unterbreitete das Parlament detaillierte Vorschläge, wie zum Beispiel eine Beschränkung der Werbezeit und das Verbot der das Programm unterbrechenden Werbesendungen 38• Das Parlament ging damit auf der Basis des Grünbuchs in der Ausgestaltung einer Rahmenordnung für den Rundfunk recht weit. Nicht nur der Bereich der Werbung wurde einbezogen, auch Mindestanforderungen an das Programm stehen auf dem Arbeitsplan des Parlaments. Damit greift es die Anregungen der Kommission vollständig auf und geht im Hinblick auf das Programm noch über sie hinaus.

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Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

Erwägung N, S. 322. Erwägung Q, S. 322. Ziff. 3, S. 323. Ziff. 17, 18 und 20, S. 326 f. Ziff. 26, S. 328. Ziff. 28, S. 328 f.

F. Entschließungen des Parlaments vom 10. 10. 1985

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II. Entschließung zu den wirtschaftlichen Aspekten des Gemeinsamen Marktes für den Rundfunk vom 10.10.1985 (Entschließung de Vries) Auch die Entschließung zu den wirtschaftlichen Aspekten des Gemeinsamen Marktes für den Rundfunk vom 10.10.1985 (Entschließung de Vries)39 steht weitgehend in Einklang mit den Standpunkten der Kommission. Wie im de Vries-Bericht 40 wird der Rundfunk als strategischer Sektor der Dienstleistungswirtschaft der Gemeinschaft bezeichnet, der neue Beschäftigungsmöglichkeiten in einer rasch wachsenden Industrie biete. Kabel-, Satelliten- und Programmindustrie würden von einem Gemeinsamen Rundfunkmarkt profitieren41. Ein Europäischer Fernsehraum solle sich durch die Möglichkeit des Empfangs von Programmen aus allen Mitgliedstaaten, darunter auch eines mehrsprachigen europäischen Fernsehprogramms auszeichnen. Nach Auffassung des Parlaments dient er aber auch der Förderung einer europäischen Programmindustrie, der Sicherung der Leistungsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Sicherung kultureller Vielfalt und Informationsfreiheit durch Verhinderung von Medien- und Meinungsmonopolen 42. Das Parlament griff hier den Gedanken des europäischen Fernsehprogramms, von dem Jahre zuvor seine Überlegungen ihren Ausgang genommen hatten, als einen unter vielen noch einmal auf. Zunehmend in den Vordergrund war aber die Ausgestaltung einer europäischen Rahmenordnung für den Rundfunk gerückt. Die Diskussion um ihren Inhalt und ihr Aussehen beschäftigte angesichts der bevorstehenden Richtlinie das Parlament mehr, als ein europäisches Femsehprogramm, dessen Realisierung nicht absehbar war. Deshalb knüpfte das Parlament in der Entschließung an den de Vries-Bericht an und stellte seine Vorstellungen über einen Rahmen für die Werbung dar. Zwar sollte einerseits nur das unbedingt notwendige Mindestmaß an harmonisierten Vorschriften angestrebt werden und die Kontrolle der Werbung zu weiten Teilen den Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Andererseits spricht sich das Parlament für das Verbot von Tabakwerbung und des Einfügens von Werbung in laufende 39 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. 1. 1985 zu den wirtschaftlichen Aspekten des Gemeinsamen Marktes für den Rundfunk in der Europäischen Gemeinschaft (ABI. Nr. 288/119 vom 11.11.1985), abgedruckt in: Schwarze (Hrsg.), Rundfunk,

s. 363-368.

40 Bericht des Ausschusses des Europäischen Parlaments für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik über die wirtschaftlichen Aspekte des Gemeinsamen Marktes für den Rundfunk (Berichterstatter: Herr Gijsbert M. de Vries) vom 30. 9. 1985, PE DOK A 2-102/85, auszugsweise abgedruckt in: Schwarze (Hrsg.), Rundfunk, S. 369-391. 41 Entschließung de Vries, Erwägung E und F, S. 363. 42 Ebd. Ziff. 3, S. 364.

3 Kugelmann

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1. Kap. 1. T.: Aktivitäten und Initiativen auf dem Gebiet des Rundfunks

Programme aus und schlägt eine Bestimmung vor, nach der der Werbeanteil an der Sendezeit den Informations-, Bildungs- und Unterhaltungswert der Programme nicht schmälern dürfe 43. Das Parlament sieht nicht nur die Chance, sondern auch die Notwendigkeit, auf der Ebene der Gemeinschaft regelnd in die durch die technologischen Neuerungen initiierte und durch sie immer wieder beschleunigte Entwicklung einzugreifen. Die Schaffung einer europäischen Rahmenordnung für den Rundfunk ist der Kristallisationspunkt der Anstrengung, den Gesichtspunkten Geltung zu verschaffen, die das Parlament hinsichtlich des Aussehens des europäischen Rundfunkmarktes der Zukunft für entscheidend hält.

G. Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die audiovisuelle Politik der Gemeinschaft vom 30.4.1986 Die Arbeiten der Kommission und des Parlaments mündeten letztlich in den Vorschlag der Kommissionfür eine Richtlinie über die audiovisuelle Politik der Gemeinschaft vom 30.4.1986 44 • Die rechtliche Grundlage bildete Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV. Der Richtlinienvorschlag basierte auf dem Grundgedanken, daß allen Rundfunksendungen die Möglichkeit geboten wird, in der Gemeinschaft frei zu zirkulieren, weil koordinierte, nationale Vorschriften über Werbung und Jugendschutz kein Hindernis mehr darstellen 45 • Eines der Ziele war denn auch, die kumulative Anwendung der Rechtsvorschriften mehrerer oder aller Mitgliedstaaten auf Rundfunksendungen zu vermeiden. Die Kommission hielt es für notwendig, aber auch ausreichend, daß alle Rundfunksendungen dem Recht des Ursprungsstaates entsprächen und auch nur von diesem die Einhaltung der Richtlinie kontrolliert werden solle 46. Andere Ziele waren einerseits die Förderung der Meinungsäußerungsfreiheit und der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs, andererseits die Schaffung ausreichend großer Märkte für Fernsehproduktionen und die Präferenz für Produktionen aus der Gemeinschaft. 43 Ebd. Ziff. 19-30, S. 366 f., das Parlament geht noch auf eine Reihe weiterer Punkte ein, die in dem späteren Richtlinienentwurf der Kommission ihren Niederschlag fanden. 44 Die audiovisuelle Politik der Gemeinschaft, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Rundfunktätigkeit, Mitteilung der Kommission an den Rat vom 30.4. 1986, ABI. C 179 vom 17.7. 1986 (86/C 179/05), KOM (86) 146 endg./2, S. 4-10; abgedruckt auch im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 5/86, auf der Grundlage des Dokuments KOM(86) 146 endg., S. 1-33. 45 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 5/86, auf der Grundlage des Dokuments KOM(86) 146 endg., Begründung, Ziff. 1, S. 5. 46 Ebd. Erwägungsgründe, S. 26.

H. Der Barzanti-Bericht vom 8. 12. 1987

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Die Kommission machte klar, daß ihrer Meinung nach Beschränkungen der Mitgliedstaaten zum Schutz nationaler Programme durch Art. 59 EWGV unmittelbar verboten seien. Gründe wie der Schutz nationaler, wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Interessen fielen nicht unter die öffentliche Ordnung nach Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV. Auch nationale Maßnahmen, die zur Förderung von Programmen aus der Gemeinschaft gedacht seien, widersprächen Art. 59 EWGV und seien nicht über das Allgemeininteresse zu rechtfertigen. Die Koordinierung solcher Maßnahmen sei nicht zur Gewährleistung des freien Dienstleistungsverkehrs geboten, sondern um i. S. d. Art. 57 Abs. 2 EWGV die Ausübung von Tätigkeiten im Bereich der Herstellung und Verbreitung von Fernsehprogrammen innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern, indem Produktions- und Verbreitungsstrukturen an den größeren Rahmen des erweiterten Marktes für Fernsehprogramme angepaßt würden 47 • Die Kommission entnahm ihre Kompetenz zur Regelung eines Mindestanteils von Produktionen aus der Gemeinschaft an den Rundfunkprogrammen also dem Art. 57 Abs. 2 EWGV. Nationale Quoten würden nach der Auffassung der Kommission gegen Art. 59 EWGV verstoßen. Quoten auf europäischer Ebene seien dagegen notwendig und müßten deshalb mit der Rahmenordnung für den Rundfunk geschaffen werden. Das Harmonisierungskonzept der Kommission richtete sich auf die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes mit gleichen Wettbewerbsbedingungen (Art. 2, 3 lit. c und f EWGV). Zu diesem Zweck sei die Ausübung selbständiger Tätigkeiten gern. Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV zu harmonisieren. Parallel dazu müßten für die Ausübung dieser Tätigkeiten gleiche Bedingungen überall in der Gemeinschaft hergestellt werden, denn die Vorteile des erweiterten Marktes kämen dann besonders zur Geltung, wenn die Bestimmungen für grenzüberschreitende Dienstleistungen nicht zu verschieden von den Voraussetzungen seien, die in den Mitgliedstaaten für die Erbringung derartiger Dienstleistungen bestünden. Deshalb würden die Bestimmungen des vorliegenden Richtlinienvorschlags meist nicht nur für grenzüberschreitende Dienstleistungen, sondern für alle Dienstleistungen mit Ursprung in der Gemeinschaft Geltung beanspruchen 48 • Der Richtlinienvorschlag der Kommission ging gern. Art. 149 Abs. 2 lit. a EWGV ins Europäische Parlament und wurde dort beraten.

H. Der Barzanti-Bericht vom 8.12.1987 Im Europäischen Parlament erarbeitete der Ausschuß für Recht und Bürgerrechte einen umfassenden Bericht über den Richtlinienvorschlag, den BarzantiBericht vom 8.12.1987 49 • 47 48

3*

Ebd. Begründung, Ziff. 27-29, S. 10. Ebd. Begründung, Ziff. 34 und 35, S. 12.

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1. Kap. 1. T.: Aktivitäten und Initiativen auf dem Gebiet des Rundfunks

Die Begründung des Barzanti-Berichts 50 stellte die Richtlinie zum Rundfunk in den Zusammenhang gesellschaftlicher Entwicklungen. Der Bericht greift die bereits vorher vom Parlament geäußerte Überzeugung auf, daß die Gemeinschaft als politisch-institutionelle Größe dazu aufgerufen sei, sich mit Umwälzungen auseinanderzusetzen, die die Lebensverhältnisse einer Gesellschaft beeinflußten, welche nicht zufällig als Informationsgesellschaft definiert werde. Der Barzanti-Bericht weist auf die Gefahren eines Binnenmarktes für Rundfunksendungen hin. Wirtschaftliche und kulturelle Beweggründe seien in diesem Bereich eng miteinander verflochten. Selbst ein gut koordinierter Markt garantiere nicht unbedingt eine größere Informationsfreiheit. Ebensowenig stelle er automatisch eine Bereicherung für den kulturellen Pluralismus in Europa dar. Denn es bestehe das Risiko, daß der Markt von einem maßlosen Oligopol beherrscht werde, das leider schon sehr gegenwärtig sei 51 . Nach Auffassung des Barzanti-Berichts gewährleistet ein gemischtes, aus öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkveranstaltern bestehendes Rundfunksystem am ehesten die Entwicklung zu einer stabilen Medienstruktur, welche Programme mit inhaltlicher und demokratischer Qualität beinhaltet 52. Zum Quotensystem für Produktionen aus den Mitgliedstaaten führte der Barzanti-Bericht Argumente pro und contra auf. Einer der Einwände sei, daß es sich dabei um eine anfechtbare Einmischung in die Programmgestaltung handele. Letztlich beurteilte der Bericht die Quotenregelung als ein tragbares Übergangssystem53. Als Schlußfolgerung hielt der Barzanti-Bericht fest, die Richtlinie stelle eine erste Minimalregelung im Rundfunkbereich dar, die auch die nötige Flexibilität aufweise. Nach diesem ersten Schritt seien weitere Aktivitäten der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Rundfunks geboten. Der Barzanti-Bericht zeigte sich ausgewogen, da er auf die wirtschaftlichen und politischen Optionen der Entwicklung zu mehr grenzüberschreitendem Fernsehen ebenso aufmerksam machte wie auf die Gefahren, die sich aus wirtschaftlichen Konzentrationstendenzen und der möglichen Bildung von Oligopolen ergeben können. 49 Bericht im Namen des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte über den Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat (KOM (86) 146 endg. - DOK C 2-38/86) für eine Richtlinie zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit, Berichterstatter: Herr Roberto Barzanti, PE DOK A 2-0246/87 (PE 113.272 endg.), vom 8. 12. 1987. 5o Ebd., S. 34-48. 51 Ebd. Punkt A, S. 36 f. 52 Ebd. Punkt A, Ziff. 2, S. 37 f. 53 Ebd. Punkt D, Ziff. 9, S. 43.

K. Die Fassung der Richtlinie vom 13. 3. 1989

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Das Parlament nahm letztlich die legislative Entschließung des Barzanti-Berichts an, stimmte also für den Richtlinienvorschlag in der vom Parlament geänderten Fassung54.

J. Der geänderte Vorschlag für die Richtlinie über die Ausübung der Rundfunktätigkeit vorn 21.3.1988

Der Richtlinienvorschlag ging an die Kommission zurück, die ihn erneut überarbeitete. Am 21.3.1988 legte die Kommission gern. Art. 149 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 EWGV dem Rat einen geänderten Vorschlag für die Richtlinie über die Ausübung der Rundfunktätigkeit vor 55 •

K. Die von den Wirtschaftsministern der Mitgliedstaaten arn 13.3.1989 vorgeschlagene Fassung der Richtlinie Die Wirtschaftsminister der Mitgliedstaaten einigten sich am 13.3.1989 auf eine eigene Fassung der Richtlinie, allerdings gegen die Stimmen Dänemarks, Belgiens und der Bundesrepublik Deutschland, die sich überstimmen ließ, weil die Bundesländer Bedenken hinsichtlich ihrer Rundfunkhoheit geäußert hatten 56 • In der Bundesrepublik beantragte die bayerische Staatsregierung beim Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung, mit der der Bundesregierung verboten werden sollte, den Kabinettsbeschluß vom 8.3.1989 zu vollziehen, in dem die Bereitschaft zu grundsätzlicher Zustimmung zur Richtlinie erklärt worden war. Bayern verneint die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft für das Rundfunkwesen und macht eine Verletzung der Kultur- und Programmhoheit der Bundesländer geltend. Das Bundesverfassungsgericht lehnte den Erlaß einer entsprechenden einstweiligen Anordnung jedoch ab, da weder die Eilbedürftig54 Verhandlungen des Europäischen Parlaments, ABI., Sitzungsperiode 1987-1988, Ausführliche Sitzungsberichte vom 18. bis 22. Januar 1988, Sitzung am Mittwoch, 20.1.1988, Anhang, Nr. 2-360, S. 201; der vom Europäischen Parlament geänderte Text in synoptischer Gegenüberstellung zum ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Kommission fmdet sich im ABI. Nr. C 49 vom 22.2.1988, S. 53 - 63, die legislative Entschließung des Parlaments ist abgedruckt ebd., S. 64. 55 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Dokumente, KOM (88) 154 endg., Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit, vom 21.3.1988, (vorgelegt von der Kommission an den Rat gemäß Artikel 149 Absatz 3 EWG-Vertrag). 56 SZ Nr. 62, vom 15.3.1989, S. 31; FAZ Nr. 63, vom 15.3.1989, S. 17; FR Nr. 63, vom 15.3.1989, S. 1; den politischen Weg des Richtlinienvorschlags von Dezember 1988 bis April 1989 schildert Schwartz, EuR 1989, S. 10-12.

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1. Kap. l. T.: Aktivitäten und Initiativen auf dem Gebiet des Rundfunks

keit, noch das Drohen schwerer Nachteile für das Land Bayern plausibel gemacht worden sei 57• Damit war derWeg für die Zustimmung der deutschen B undesregierung frei.

L. Der gemeinsame Standpunkt des Rates vom 13.4.1989 Der Rat nahm am 13.4.1989 eine Fassung der Richtlinie als gemeinsamen Standpunkt i. S. d. Art. 149 Abs. 2 lit. a EWGV an, die den Entwurf der Wirtschaftsminister noch einmal in einigen Punkten modifizierte 58 • Wiederum wurde von einigen Regierungen Skepsis laut. Dänemark bestritt der Gemeinschaft jede Kompetenz in Kulturfragen und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland wies erneut auf die Rundfunkhoheit der deutschen Bundesländer hin 59 • Anfang Juni 1989 scheiterte eine Einigung im Ministerrat am Widerstand nun auch Frankreichs, das ebenso Bedenken äußerte wie Belgien, Dänemark und die Bundesrepublik Deutschland. Die französische Regierung hatte ursprünglich die Aufnahme einer Quotenregelung initiiert, in der Abstimmung der Wirtschaftsminister am 13.3.1989 aber im Interesse einer Einigung nicht auf der Beibehaltung einer Quote bestanden. Nun nahm sie, nicht zuletzt auf innerstaatliche Proteste hin, ihre jahrelangen Bemühungen wieder auf und versuchte eine feste Quote für europäische Produktionen durchzusetzen. Nachdem dies nicht gelungen war, verweigerte sie die Zustimmung. Deshalb kam keine qualifizierte Mehrheit zu57 BVerfG Urt. v. 11.4.1989, EuGRZ 1989, S. 337 -339; Helmut Kerscher, in: SZ Nr. 85, vom 13.4.1989, S. 8 und ders., Kommentar, ebd. S. 4; FAZ Nr. 86, vom 13.4.1989, S. 4; zum Verfahren Hess, AtP 1990, S. 96-100; der Klage Bayerns sind am 31.8.1989 die anderen Bundesländer außer Niedersachsen und Baden-Württemberg beigetreten, Berlin beteiligt sich nicht an dem Verfahren; s. Bethge, Rechtsgutachten, S. 2. 58 Gemeinsamer Standpunkt, angenommen vom Rat am 13.4. 1989 im Hinblick auf die Annahme der Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Femsehtätigkeit, fotokopierte Fassung, Brüssel, den 10. 4. 1989 (5858/ 89), dreißig Seiten und ein in französischer Sprache vorliegendes Corrigendum von sechs Seiten, das die Änderungen gegenüber dem Entwurf vom 14.3.1989 enthält. 59 Erich Hauser, in: FR Nr. 87, vom 14.4.1989, S. 22, der berichtet, der Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministeriums habe davor gewarnt, daß ein Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof nicht auszuschließen sei, wenn die Bundesländer das erstere anrufen, die Kommission aber vor dem letzteren die Bundesregierung wegen eventueller Verstöße gegen die Richtlinie verklagen würde; Hoffmann-Riem, RuF 1988, S. 19, mit Fn. 102, vertritt die Auffassung, daß die Richtlinie, zumindest in der Fassung des Richtlinienvorschlags der Kommission zum Abbau der durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts errichteten rundfunkverfassungsrechtlichen Vorkehrungen führen würde und daß dann ein Konflikt des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts mit dem bundesdeutschen Grundgesetz möglich wäre, dessen Lösung durch das Urteil des BVerfG vom 22.10. 1986 (Solange II), E 73, S. 339 ff., deshalb nicht vorgegeben sei, weil dieses seiner Ansicht nach nur Anwendung fmden könne, wenn die Europäische Gemeinschaft unter Einschluß des EuGH sich an die kompetentiellen Begrenzungen des EWG-Vertrages halte.

M. Die Richtlinie vom 3. 10. 1989

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stande, die Richtlinie konnte zunächst nicht verabschiedet werden (vgl. Art. 148 Abs. 2 EWGV)60.

M. Die Richtlinie zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit vom 3.10.1989 Am 3. 10. 1989 gelang dann doch die Verabschiedung der Richtlinie zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der F ernsehtätigkeit61 • Die Mitgliedstaaten müssen nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie bis zum 3.10.1991 die erforderlichen innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie geschaffen haben. Der Ministerrat stand unter Zeitdruck, denn kurze Zeit später wäre die Frist des Art. 149 Abs. 2lit. fEWGV abgelaufen gewesen und der Richtlinienvorschlag hätte als nicht angenommen gegolten 62 • Die Außenminister einigten sich schließlich auf eine Fassung der Richtlinie, die bis auf einige kleinere Umgestaltungen dem Text des gemeinsamen Standpunkts entspricht. Dänemark stimmte gegen die Richtlinie, weil es die Gemeinschaft für unzuständig hielt und Belgien verweigerte seine Zustimmung, da ihm die Bestimmungen über die Quoten nicht weit genug gingen 63 • Frankreich gab sich mit der Quotenregelung zufrieden und auch die Einwände der Bundesrepublik Deutschland konnten ausgeräumt werden. Entscheidend für das Zustandekommen der Richtlinie und die Beseitigung der Bedenken einiger Mitgliedstaaten sind mehrere Erklärungen des Rates und der Kommission zum Ratsprotokol!f>4. Dabei geht es hauptsächlich um den Art. 4 der Richtlinie, der die Quotenregelung enthält. Rat und Kommission bestätigen, daß es sich insoweit nur um eine politische, nicht um eine juristisch verbindliche 60 SZ Nr. 137, vom 19. 6.1989, S. 10; zu der innerfranzösischen Diskussion, insbesondere zum Protest der französischen Filmschaffenden von Godard bis Belmondo vgl. FAZ Nr. 80, vom 6.4.1989, S. 27, in Frankreich funktioniert das Film- und Fernsehsystem infolge verschiedener Strukturmaßnahmen recht gut, weshalb sich der französische Markt resistenter gegen amerikanische oder japanische Einflüsse zeigte als andere Medienmärkte Europas, die Franzosen befürchten von einer Öffnung der Märkte die Beeinträchtigung und Schwächung ihrer Position; dazu die Ausführungen des Kinodirektors des französischen Senders Canal+, Rene Bonnell, in: Liberation, vom I 0. 5. 1989, Nouvelle Serie Nr. 2478, S. 6, dereine differenzierte Lösung befürwortet, die nach der jeweiligen Stärke des Mediensystems unterschiedliche Quoten mit unterschiedlichen Übergangszeiten für unterschiedliche Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einrichten will. 61 ABI. Nr. L 298, vom 17. 10. 1989 (89 I 552 I EWG), S. 23-30. 62 E. KleiniBeckmann, DÖV 1990, S. 187; FAZ Nr. 230, vom 4.10.1989, S. 18. 63 E. Klein I Beckmann, DÖV 1990, S. 187; Erich Hauser, in: FR Nr. 230, vom 4.10. 1989, s. 1. 64 Der Text ist teilweise abgedruckt bei Mestrnäcker I Engel I Gabriel-Bräutigam I Hoffrnann, Einfluß, S. 31 und in Media Perspektiven 1989, DOK Bd. li, S. 115 f.

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1. Kap. 1. T.: Aktivitäten und Initiativen auf dem Gebiet des Rundfunks

Bestimmung handele. Den einzelstaatlichen Gremien bleibe es überlassen, im Rahmen ihrer jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften die Form und die Mittel festzulegen, mit denen die Ziele des Art. 4, insbesondere die Stärkung der audiovisuellen Kapazitäten Europas, erreicht werden sollen. Die Kommission erkennt einzelstaatliche Maßnahmen, die der Entwicklung der europäischen Produktion dienen, als legitime Maßnahmen an, welche zur Verwirklichung der Ziele der Richtlinie beitragen könnten. Sie sichert den Regierungen der Mitgliedstaaten weiterhin zu, die Einhaltung europäischer Mindestquoten nicht vor dem Europäischen Gerichtshof einzuklagen. Die Kommission legt klar, daß der in Art. 4 festgelegte Anteil von europäischen Produktionen am Programmjeden Fernsehveranstalter betreffe, auf den die Richtlinie anwendbar sei. Die Kommission erklärt weiterhin, daß sie der Umgehung innerstaatlicher Regelungen entgegenwirken wolle. Fernsehveranstalter sollten nicht einen anderen Mitgliedstaat als Stützpunkt wählen können, nur um sich dadurch den Vorschriften zu entziehen, die für sie gelten würden, wenn sie im Hoheitsgebeit des Staates ansässig wären, in dem ihre Sendungen empfangen werden. Diese Protokollerklärungen können nicht den Inhalt der Richtlinie ändern, tragen also keinen verpflichtenden Charakter 65 • Die Kommission ist rechtlich nicht an ihre in Protokollerklärungen gemachten Zusicherungen gebunden. In den Erklärungen zum Ratsprotokoll kommt aber das Verständnis der Kommission und des Rates hinsichtlich der Tragweite der Richtlinie zum Ausdruck. Die Protokollerklärungen entfalten als Äußerung dieses Verständnisses Wirkung bei der Auslegung der Richtlinie 66 und bewirken eine gewise Selbstbindung der Kommission 67 • Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland vertritt die Auffassung, durch eine lediglich politische Verpflichtung zur Beachtung einer bestimmten Quote zugunsten europäischer Produktionen würden die Kompetenzen der Bundesländer nicht berührt 68 • In der Endfassung der Richtlinie haben sich die Gewichte erneut von der Kommission weg und hin zu den Mitgliedstaaten verschoben. Diesen kommen weitgehende Spielräume bei Anwendung, Handhabung und Durchführung der Richtlinie zu. 65 Pechstein, EuR 1990, S. 250 und passim; Mestmäcker I Engel I Gabriel-Bräutigam I Hoffmann, Einfluß, S. 32-33. 66 E. KleiniBeckmann, DÖV 1990, S. 187. 67 Näher hierzu Pechstein, EuR 1990, S. 267. 68 Winfried Münster, in: SZ Nr. 228, vom 4.10.1989, S. 33, dessen Meinung, die EG stehe nun vor dem rechtlichen Kuriosum einer Richtlinie mit juristisch unverbindlichem Kern, zwar die Streitfragen auf den Punkt bringt, andererseits aber den weiteren Gehalt der Richtlinie außer Acht läßt, der juristisch verpflichtend ist.

2. Te i 1

Der Inhalt der Richtlinie Reizvoll ist die Darstellung einiger ausgewählter Regelungen der Richtlinie vom 3.10.1989 1 im Vergleich mit dem geänderten Richtlinienvorschlag der Kommission vom 21.3.1988. Der ursprüngliche Richtlinienvorschlag der Kommission vom 30.4.1986 2 , die Änderungsanträge des Parlaments in der Entschließung vom 20.1.1988, welche sich hauptsächlich nach dem Barzanti-Bericht vom 8.12.1987 richteten und der gemeinsame Standpunkt des Ministerrats vom 13.4.1989 können dann mitberücksichtigt werden, wenn sie von besonderem Interesse sind.

A. Die Erwägungsgründe der Richtlinie Zur Errichtung eines Gemeinsamen Marktes hält die Fernseh-Richtlinie die Beseitigung der Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und die Schaffung eines Systems, das den Wettbewerb vor Verzerrungen schützt, für geboten 3 • Die Kommission hatte im geänderten Richtlinienvorschlag noch hinzugesetzt, auch die Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsund Verwaltungsvorschriften, soweit diese für das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich seien, gehörten zu dessen Errichtung 4 • Nach Auffassung des Rates sind grenzüberschreitende Sendungen ein Mittel zur Verfolgung der Ziele der Gemeinschaft. Deshalb seien Maßnahmen zu treffen, I Die Grundzüge der Richtlinie zeichnen nach Wallace I Goldberg, CMLRev. 1989, S. 717 -728; A. Hesse, Rundfunkrecht, S. 244-248; Mestmäcker /Engel/ Gabriel-Bräutigam I Hoffmann, Einfluß, S. 14-22; einen Vergleich zur Konvention des Buroparats nehmen vor Möwes/ Schmitt-Vockenhausen, EuGRZ 1990, S. 122-125. 2 Dessen Inhalt stellen auch dar: Ory ZUM 1986, S. 578-584 und Delbrück, Rundfunkhoheit, S. 15-20. 3 Richtlinie vom 3.10. 1989, ABl. Nr. L 298, vom 17.10.1989 (89/552/EWG), S. 23; den Inhalten der Richtlinie entspricht der gemeinsame Standpunkt, fotokopierte Fassung, Brüssel, den 10.4.1989 (5858/89), S. 2. 4 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Dokumente, KOM (88) 154 endg., Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit, vom 21.3.1988, (vorgelegt von der Kommission an den Rat gemäß Artikel 149 Absatz 3 EWG-Vertrag), S. 11; vgl. Betz, Media Perspektiven 1990, S. 684-685; Wallace/Goldberg, CMLRev. 1989, S. 717 f.

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1. Kap. 2. T.: Der Inhalt der Richtlinie

die den Übergang von den nationalen Märkten zu einem Gemeinsamen Markt für die Herstellung und Verbreitung von Programmen sichern und die unbeschadet der Funktion des Fernsehens, das Allgemeininteresse zu wahren, faire Wettbewerbsbedingungen gewährleisten könnten 5 • Von einem Binnenmarkt für Rundfunksendungen ist nicht die Rede. Die Anpassung und Förderung der Produktions- und Verbreitungsfaktoren von Rundfunkprogrammen in der Gemeinschaft werden ebensowenig erwähnt wie die durch das Parlament ins Spiel gebrachte Sicherung der Leistungsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks 6 • Die Richtlinie übernimmt dagegen die durch das Parlament in den geänderten Richtlinienvorschlag gelangten Passagen, wonach die Richtlinie das notwendige Mindestmaß zur Realisierung des freien Sendeverkehrs verwirkliche sowie die Entstehung beherrschender Stellungen und Gefahren für den Pluralismus bekämpfen wolle, dabei aber den Mitgliedstaaten die Zuständigkeit für Organisation, Finanzierung und Programminhalte belasse 7 • Nach der Richtlinie stellt die Fernsehtätigkeit unter normalen Umständen eine Dienstleistung i. S. d. Vertrages dar. Der Rat übernimmt die Konzeption der Kommission, wenn er den freien Verkehr aller gegen Entgelt erbrachten Dienstleistungen unbeschadet ihres kulturellen Inhalts verlangt. Das Recht, Dienstleistungen auf dem Gebiet des Fernsehens zu erbringen, ist auch nach Auffassung des Rates eine spezifisch gemeinschaftsrechtliche Ausprägung der Freiheit der Meinungsäußerung des Art. 10 EMRK. Daher müsse sichergestellt werden, daß die Fernsehtätigkeit im Lichte dieses Artikels und nur mit den in Abs. 2 desselben Artikels und in Art. 56 Abs. 1 EWGV vorgesehenen Beschränkungen ungehindert ausgeübt werden könne 8• Damit folgt der Rat den Darlegungen der Kommission. Die Gewährleistungen des Art. 10 EMRK sollen jedenfalls inhaltlich auch im Gemeinschaftsrecht zur Geltung kommen. Die Richtlinie fordert die Aufhebung aller Beschränkungen der Freiheit, innerhalb der Gemeinschaft Sendungen auszustrahlen. Diese könnten sich aus den unterschiedlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Tätigkeiten der Fernsehveranstalter und Kabelbetreiber ergeben. 5 Richtlinie, vom3.10.1989, ABI. Nr. L 298, vom 17.10.1989 (89/552/EWG), S. 23; gemeinsamer Standpunkt, fotokopierte Fassung, Brüssel, den 10. 4. 1989 (5858 I 89), S. 2. 6 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Dokumente, KOM (88) 154 endg., Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit, vom 21. 3.1988, (vorgelegt von der Kommission an den Rat gemäß Artikel 149.Absatz 3 EWG-Vertrag), S. 12. 7 Richtlinie vom 3.10.1989, ABI. Nr. L 298, vom 17.10. 1989 (89/552/EWG), S. 24; s Richtlinie, ebd., S. 23.

B. Die Vorschriften der Richtlinie im einzelnen

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Der Rat liegt ganz auf der Linie der Kommission, wenn er eine derartige Aufhebung mit einer Koordinierung verknüpfen will, die die Ausübung der betreffenden Berufstätigkeiten und allgemein den freien Verkehr von Informationen und Ideen in der Gemeinschaft erleichtern soll 9 • Eine Koordinierung sei erforderlich, um Herstellern kultureller Fernsehprogramme die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit zu erleichtern 10• In diesen Zusammenhang stellt die Richtlinie die Geltung des Sendestaatsprinzips: Es sei notwendig, aber auch ausreichend, daß alle Fernsehsendungen dem Recht des Mitgliedstaates entsprechen, in dem sie ihren Ursprung haben 11 • Die Verpflichtung des Sendestaats, die Einhaltung des durch die Richtlinie koordinierten Rechts sicherzustellen, reicht der Richtlinie zwar als Kontrolle aus, sie will aber ausnahmsweise und unter besonderen Bedingungen dem Empfangsstaat die Möglichkeit eröffnen, die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen vorübergehend auszusetzen 12• Mit dieser Neuerung setzt sich der Rat in Widerspruch zu der konsequenten Anwendung des Ursprungslandprinzips durch Kommission und Parlament. Die Richtlinie übernimmt die entscheidenden Punkte des geänderten Richtlinienvorschlags, so die Qualifizierung der Fernsehtätigkeit als Dienstleistung, das Ursprungslandprinzip und die Betonung der Rolle der Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV und Art. 10 EMRK. Die Fernseh-Richtlinie wird aber nicht als erster Schritt einer Medienpolitik der Gemeinschaft verstanden. Der wichtigste Unterschied zu Kommission und Parlament liegt darin, daß nach der Konzeption des Rates der Empfangsstaat in Ausnahmefällen die Möglichkeit erhalten soll, die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen zu unterbinden.

B. Die Vorschriften der Richtlinie im einzelnen Die Richtlinie soll nach der Fassung des Rats nur und ausschließlich für das Fernsehen gelten 13• Der Hörfunk, der auch unter den Begriff des Rundfunks fällt, wird damit im Gegensatz zu allen Vorarbeiten einschließlich des geänderten Richtlinienvorschlags nicht mehr erlaßt. 9 Richtlinie, ebd., S. 24; vgl. den Text des geänderten Richtlinienvorschlags, S. 1618, in dem die wichtigsten Aussagen und Schlüsselbegriffe alle bereits enthalten sind. 10 Richtlinie vom 3.10.1989, ABI. Nr. L298, vom 17.10. 1989 (89/552/EWG), S. 24; vgl. den gemeinsamen Standpunkt, fotokopierte Fassung, Brüssel, den 10.4. 1989 (5858/ 89), s. 6. II Richtlinie, ebd., S. 24; vgl. den gemeinsamen Standpunkt, ebd., S. 4. 12 Richtlinie, ebd., S. 24. 13 Vgl. schon die Überschrift der Richtlinie, ebd., S. 23 und die Definitionen in Art. 1, s. 25.

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1. Kap. 2. T.: Der Inhalt der Richtlinie

I. Überblick über die Inhalte der Richtlinie Neben Begriffsbestimmungen (Kapitel I, Art. 1) und allgemeinen Vorschriften (Kapitel II, Art. 2 und 3) umfaßt die Richtlinie in Kapitel III die Förderung der Verbreitung und Herstellung von Fernsehprogrammen (Art. 4-9), in Kapitel IV Regeln über Fernsehwerbung und Sponsoring (Art. 10-21), in Kapitel V Vorschriften über den Schutz von Minderjährigen (Art. 22), in Kapitel VI das Recht auf Gegendarstellung (Art. 23) und ein Kapitel VII mit Schlußbestimmungen (Art. 24- 27). Der Abschnitt über das Urheberrecht, der noch bis hin zum geänderten Richtlinienvorschlag einen Kernbereich der Richtlinie bilden sollte und Gegenstand hitziger Diskussionen war, ist vollständig entfallen 14• Im Anschluß an das Grünbuch 15 hatte die Kommission in den ursprünglichen Richtlinienvorschlag die Forderung nach einer gesetzlichen Lizenz aufgenommen 16 • Diese Forderung traf auf erheblichen Widerstand 17• Das Parlament brachte die Idee der Einrichtung einer Schiedsstelle ein 18, die auch von dem geänderten Richtlinienvorschlag aufgegriffen wurde. Dieser schlug dann ein System vor, das vertraglichen Vereinbarungen über die Weiterverbreitung von Rundfunksendungen über Kabel den Vorrang einräumte und ersatzweise den Beschluß einer noch zu schaffenden gemeinschaftlichen Schiedsstelle erforderte, um den Urhebern und Inhabern verwandter Schutzrechte eine angemessene Vergütung zu sichern (Art. 17 -19) 19. Der Rat entschied, nichts zu entscheiden und nahm das Urheberrecht ganz aus der Richtlinie heraus. Er erklärte, dieser Teil des geänderten Richtlinienvorschlags

14 Vgl. zum Urheberrecht in der Gemeinschaft EuGH Rs. 62/79 (Coditel 1), Slg. 1980, S. 881 ff., zum Urheberrecht auch EuGH Urt. v. 13. 7.1989, Rs. 395/87 (Tournier), mitgeteilt in: Tätigkeiten des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 17 I 89, S. 25-29, der EuGH wägt in diesem Urteil das Urheberrecht mit den Erfordernissen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs ab und gewährt den Inhabern von Urheberrechten weitgehende Möglichkeiten, ihr ausschließliches Recht geltend zu machen, eine Einschränkung des Wettbewerbs i. S. d. Art. 85 Abs. 1 EWGV sei erst nach Überschreiten der Grenze des Erforderlichen gegeben. 15 Grünbuch, S. 319, 330 f.; s. auch Schricker GRUR, lnt., 1984, S. 594-595. 16 Ursprünglicher Richtlinienvorschlag, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 5/86, auf der Grundlage des Dokuments KOM(86) 146 endg., Art. 18 Abs. 1 (S. 31), zur Vergütungspflicht vgl. Art. 19 (S. 31 f.). 17 Vgl. zum Beispiel Berg, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 201 f. 18 Vgl. Barzanti-Bericht, PE DOK A 2-0246/87 (PE 113.272 endg.), vom 8.12.1987, Punkt D, Ziff. 19 der Begründung, S. 46. 19 Kommission der Europäischen Gemeinsch~ten, Dokumente, KOM (88) 154 endg., Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit, vom 21.3. 1988, (vorgelegt von der Kommission an den Rat gemäß Artikel 149 Absatz 3 EWG-Vertrag), S. 47-50.

B. Die Vorschriften der Richtlinie im einzelnen

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müsse im Lichte der nach lokraftsetzen der Richtlinie gewonnenen Erfahrungen neu untersucht werden 20 • Eine steile Karriere machte dagegen das Recht auf Gegendarstellung. Auf Initiative des Parlaments 21 neu in den geänderten Richtlinienvorschlag gelangt (Kapitel Va, Art. 20a)22 , wurde der Abschnitt über das Gegendarstellungsrecht als Kapitel VI (Art. 23) mit wenigen redaktionellen Änderungen in den gemeinsamen Standpunkt des Rates und dann in die Richtlinie übernommen 23 • Die Regelungen über die Förderung europäischer Produktionen, die Werbung und den Jugendschutz waren von Anfang an Bestandteil der Richtlinie, durchliefen jedoch mehr oder weniger große Veränderungen.

II. Die Regelungen zur Förderung europäischer Fernsehprogramme Der politisch umstrittenste Teil der Richtlinie sind die Vorschriften über die Förderung der Verbreitung und Herstellung von Fernsehprogrammen.

1. Der ursprüngliche Richtlinienvorschlag Der ursprüngliche Richtlinienvorschlag von 1986 sah in Art. 2 vor, daß mindestens 30 % der Sendezeit von Fernsehunternehmen und mindestens ein Drittel der Erstausstrahlungen Werken aus der Gemeinschaft vorbehalten bleiben müßten. Dieser Anteil sollte innerhalb von drei Jahren auf 60% erhöht werden 24 • 2. Der geänderte Richtlinienvorschlag Art. 2 des geänderten Richtlinienvorschlags schrieb eine Quote von 60 % vor, die von den Fernsehunternehmern und Kabelbetreibern innerhalb von drei Jahren zu erreichen sei 25 • Der Ausgangspunkt, von dem aus zu der endgültigen Quote 2o Gemeinsamer Standpunkt, fotokopierte Fassung, Brüssel, den 10.4. 1989 (5858 I 89), Corrigendum, S. 5, Declaration du Conseil relative au droit d'auteur. 21 Barzanti-Bericht, PE DOK A 2-0246/87 (PE 113.272 endg.), vom 8.12.1987, Punkt D, Ziff. 21 der Begründung, S. 46. 22 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Dokumente, KOM (88) 154 endg., Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit, vom 21.3.1988, (vorgelegt von der Kommission an den Rat gemäß Artikel 149 Absatz 3 EWG-Vertrag), S. 50 f. 23 Gemeinsamer Standpunkt, fotokopierte Fassung, Brüssel, den 10.4. 1989 (5858/ 89), S. 28 f.; Richtlinie, vom 3.10. 1989, ABI. Nr. L 298, vom 17.10.1989 (89/552/ EWG), S. 29-30. 24 Ursprünglicher Richtlinienvorschlag, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 5/86, auf der Grundlage des Dokuments KOM(86) 146 endg., S. 28.

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1. Kap. 2. T.: Der Inhalt der Richtlinie

hingearbeitet werden müßte, wurde also nicht festgelegt, was mehr Flexibilität in der Übergangszeit ermöglichen sollte 26 •

3. Die Richtlinie Die Richtlinie sieht keine feste Quote zugunsten europäischer Produktionen vor, sondern erlegt in Art. 4 lediglich den Mitgliedstaaten die Pflicht auf, im Rahmen des praktisch Durchführbaren und mit angemessenen Mitteln darauf zu achten, daß die Fernsehveranstalter den Hauptanteil ihrer Sendezeit der Sendung von europäischen Werken i. S. d. Art. 6 vorbehalten 27 • Der Anteil darf aber nicht niedriger sein als durchschnittlich in dem betreffenden Mitgliedstaat im Jahr 1988, wobei für Griechenland und Portugal insoweit das Jahr 1990 maßgeblich sein so11 28 • Die Realisierung eines Anteils von 10% der Sendezeit oder 10% der Haushaltsmittel des einzelnen Fernsehveranstalters für unabhängige Hersteller von europäischen Werken in Art. 5 steht ebenfalls unter dem Vorbehalt des mit angemessenen Mitteln praktisch Durchführbaren. In der Endfassung der Richtlinie wurde die Forderung neu aufgenommen, daß ein angemessener Anteil des Programms Werken vorbehalten bleiben soll, die innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren nach ihrer Herstellung ausgestrahlt werden 29 • Statt eine obligatorische Quote festzulegen, wird den Mitgliedstaaten ein weitgehender Spielraum zur Förderung europäischer Produktionen eingeräumt, dessen Nutzung durch ein Berichtssystem transparent gemacht werden soll 30• 25 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Dokumente, KOM (88) 154 endg., Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit, vom 21.3.1988, (vorgelegt von der Kommission an den Rat gemäß Artikel 149 Absatz 3 EWG-Vertrag), S. 31. 26 Ebd., Bemerkung zu Art. 2, S. 4. 27 Richtlinie vom 3.10.1989, ABI. Nr. L298, vom 17.10. 1989 (89/552/EWG), S. 25; vgl. den gemeinsamen Standpunkt, fotokopierte Fassung, Brüssel, den 10.4.1989 (5858/ 89), S. 6, s. auch S. 7 f. 28 Richtlinie, ebd., S. 24; die Passagen über die Berücksichtigung der besonderen Situation Griechenlands und Portugals wurden mit dem Corrigendum zum gemeinsamen Standpunkt, fotokopierte Fassung, Brüssel, den 10.4.1989 (5858/89), S. 2, in die Richtlinie integriert; das Corrigendum, S. 2, führte auch die Maßgabe ein, daß nationale Vorschriften zur Unterstützung der europäischen Produktion angewendet werden können, soweit sie mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind (des dispositifs nationaux de Ia production europeenne pourraient etre appliques dans Ia mesure ou ils sont conformes au droit communautaire), eine Maßgabe, die in einer der Erklärungen der Kommission zum Ratsprotokoll bei Verabschiedung der Richtlinie wiederkehrt. 29 Richtlinie, ebd., S. 27; auch die Klausel von den 10% der Haushaltsmittel war im gemeinsamen Standpunkt noch nicht enthalten; vgl. den gemeinsamen Standpunkt, fotokopierte Fassung, Brüssel, den 10.4.1989 (5858/89), S. 16. 30 Nach Angaben in der FAZ Nr. 63, vom 15.3.1989, S. 17, beruht diese Formel inhaltlich auf der Konvention des Buroparats und läuft nach dem Verständnis der EG-

B. Die Vorschriften der Richtlinie im einzelnen

47

111. Die Regelungen über die Fernsehwerbung Die Richtlinie übernimmt die Nonnierungen des Kapitel IV (Art. 10-21) über die Werbung weitgehend unverändert von dem gemeinsamen Standpunkt des Rates, der die Werberegeln des geänderten Richtlinienvorschlags erweitert hatte. Zu dem Gebot der Erkennbarkeit der Werbung treten das Verbot der Schleichwerbung und das Verständnis von einzeln gesendeten Werbespots als Ausnahme hinzu (Art. 10)31. Die Einfügung von Werbung in laufende Sendungen soll nach Art. 11 unter Voraussetzungen zulässig sein, die komplizierter als im geänderten Richtlinienvorschlag sind. Bei Sendungen mit Pausen müssen diese genutzt werden. Kinound Fernsehfilme dürfen alle 45 Minuten unterbrochen werden, bei längeren Filmen kann nach Ablauf von 110 Minuten erneut einmal geworben werden. Andere Sendungen, zum Beispiel Sportübertragungen, dürfen nur im Abstand von jeweils 20 Minuten unterbrochen werden. Dies gilt auch für Nachrichten, Magazine, Dokumentarfilme und Kinderprograrnme, wenn diese Sendungen länger als 30 Minuten sind, ansonsten ist bei ihnen wie bei Gottesdiensten jegliche Werbung verboten 32• Über den Text des gemeinsamen Standpunkts hinaus verlangt die Richtlinie die Berücksichtigung der natürlichen Programmunterbrechungen und der Länge und Art des Programms 33 . Die inhaltlichen Anforderungen an die Fernsehwerbung (Art. 12) sind etwas präziser gefaßt, das Verbot des Verstosses gegen den Anstand ist entfallen. Die Schutzgüter der Umwelt und der Würde der Frau wurden nicht aufgegriffen. Das absolute Verbot der Tabakwerbung (Art. 13) und die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Alkoholwerbung (Art. 15) wurden ergänzt durch die Untersagung der Werbung für Arzneimittel und ärztliche Behandlungen, welche nur auf ärztliche Partner auf einen Mindestanteil von 50 % hinaus, wobei die Bundesregierung betonte, daß sich aus dem Wortlaut keine rechtsverbindliche Verpflichtung für die Einhaltung dieses Mindestanteils ergebe; in der Konvention des Europarals wird in der Tat laut Art. 10 Ziff. 1 ein überwiegender Anteil europäischer Produktionen angestrebt, was die Vertragsparteien zu gewährleisten haben, wo es praktikabel und mit angemessenen Mitteln zu erreichen ist (where practicable and by appropriate means), RuF 1989, S. 338; für das Erste Deutsche Fernsehen und das ZDF ist die Regelung ohnehin irrelevant, weil beide Anstalten bereits ca. 60 % europäischer Produktionen im Programm haben, für private Fernsehsender ist vor allem die Vorschrift von Bedeutung, den Anteil des Jahres 1988 nicht zu unterschreiten, dazu SZ, Nr. 62, vom 15.3.1989, S. 31. 31 Richtlinievom 3.10.1989, ABI. Nr. L298, vom 17. 10.1989 (89/552/EWG), S. 28; gemeinsamer Standpunkt, fotokopierte Fassung, Brüssel, den 10.4.1989 (5858/89), S. 20; Schleichwerbung in Form von Product Placement gewinnt im Fernsehalltag immer mehr an Wichtigkeit, vgl. FAZ Nr. 115, vom 20. 5. 1989, S. 13, dort auch zum Widerspruch zwischen rechtlicher Lage und Realität. 32 Richtlinie, ebd., S. 28. 33 Richtlinie, ebd., S. 28; vgl. den gemeinsamen Standpunkt, fotokopierte Fassung, Brüssel, den 10.4.1989 (5858/89), S. 20.

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1. Kap. 2. T.: Der Inhalt der Richtlinie

Verordnung erhältlich sind (Art. 14), der Schutz Minderjähriger wurde übernommen (Art. 16)34. Gesponserte Fernsehprogramme müssen nach Art. 17 als Sponsorprogramme kenntlich gemacht und die redaktionelle Unabhängigkeit muß erhalten werden. Nachrichtensendungen und Sendungen zur politischen Information dürfen nicht gesponsert werden3s. In Art. 18 weitet die Richtlinie die erlaubte Werbezeit aus. Die Sendezeit für Fernsehwerbung darf 15% der täglichen Sendezeit, unter Verwendung bestimmter Werbeformen aber sogar 20% einnehmen. Der stündliche Anteil kann 20% betragen 36. Art. 20 erlaubt den Mitgliedstaaten für Sendungen, die ausschließlich für ihr eigenes Hoheitsgebiet bestimmt sind, eigene Vorschriften über das Einfügen von Werbung ins laufende Programm und Begrenzungen der Werbezeit vorzusehen. Art. 21 erlegt ihnen die Verpflichtung auf, im Rahmen ihrer Rechtsvorschriften angemessene Maßnahmen zur Einhaltung der Vorschriften der Richtlinie zu treffen 37. Der Rat hat die Sendezeiten für Werbung noch erweitert, räumt den Mitgliedstaaten aber die Möglichkeit ein, diese weite Regelung selbst wieder einzuengen. Er hat die Regeln über die Unterbrechung des laufenden Programms durch Werbung präzisiert. Dabei läßt er für die Einfügung von Werbung viele Möglichkeiten und eröffnet insoweit den Mitgliedstaaten für nicht grenzüberschreitende Sendungen einen weiteren Gestaltungsspielraum als für grenzüberschreitende Sendungen. Der Wert dieser differenzierten Regeln über die Einflußnahmemöglichkeit der Mitgliedstaaten ist vor dem Hintergrund der allgemeinen Vorschrift des Art. 3 zu beurteilen, wonach sie ohnehin in allen Bereichen strengere Vorschriften erlassen können. IV. Die allgemeinen Vorschriften Der Inhalt der allgemeinen Vorschriften war von Anfang an heiß umkämpft. Denn hier entscheidet sich der Anwendungsbereich und damit die tatsächliche Wirksamkeit der Richtlinie. Richtlinie, ebd., S. 28-29. Richtlinie, ebd., S. 29; vgl. zur Bedeutung des Sponsoring FAZ Nr. 115, vom 20.5.1989, S. 14, danach betrugen die Sponsoringausgaben der bundesdeutschen Wirtschaft im Jahr 1988 mehr als 1 Milliarde Mark und werden bis 1993 auf schätzungsweise 1,8 Milliarden Mark pro Jahr steigen. 36 Richtlinie, ebd., S. 29. 37 Richtlinie, ebd., S. 29. 34

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B. Die Vorschriften der Richtlinie im einzelnen

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Neben Formalien regeln die allgemeinen Vorschriften die Definitionen der zentralen Begriffe der Richtlinie und die Verpflichtungen und Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten.

1. Der Anwendungsbereich Art. 1 des ursprünglichen Richtlinienvorschlags bezog die Pflicht jedes Mitgliedstaats, für die Vereinbarkeil mit seinem jeweiligen innerstaatlichen Recht zu sorgen, auf alle Rundfunksendungen, die ihren Ursprung in seinem Staatsgebiet haben 38• Dagegen spricht der geänderte Richtlinienvorschlag in diesem Zusammenhang von allen Rundfunksendungen, die von der Rechtshoheit des Mitgliedstaates unterliegenden Rundfunkunternehmen gesendet werden 39• Zwar sollte den Mitgliedstaaten nach wie vor die Verantwortung für die Einhaltung des durch die Richtlinie koordinierten Rechts zukommen. Die Kommission selbst deutete aber die Veränderung des Wortlauts so, daß nun Art. 1 keinen Verweis auf inländische Rundfunksendungen mehr enthalte 40 • Nach der ursprünglichen Fassung sollten also auch Sendungen erfaßt werden, die innerhalb des Staatsgebiets eines Mitgliedstaates ausgestrahlt werden, die Grenze jedoch nicht überschreiten. Der Art. 1 des geänderten Richtlinienvorschlags betrifft demnach nur grenzüberschreitende Rundfunksendungen. Insoweit wurde die Vorschrift in den ansonsten erweiterten Art. 1 der Fernseh-Richtlinie übernommen.

2. Die Begrifflichkeit Der ursprüngliche Richtlinienvorschlag hatte in Art. 21 Definitionen der Rundfunksendung, der Rundfunkwerbung, der inländischen Sendungen und der grenzüberschreitenden Sendungen enthalten. Im ursprünglichen Richtlinienvorschlag war das Kapitel 111 über Werbung und Sponsoring aufgeteilt. Abschnitt 1 betraf inländische Rundfunksendungen und enthielt mit den Art. 5 - 13 alle Inhalt und Form der Werbung sowie das Sponsoring betreffenden Vorschriften. Abschnitt 2 sollte nur für grenzüberschreitende Rundfunksendungen gelten und regelte in Art. 14 das Höchstmaß des Anteils

38 Ursprünglicher Richtlinienvorschlag, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 5/86, auf der Grundlage des Dokuments KOM(86) 146 endg., S. 28. 39 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Dokumente, KOM (88) 154 endg., Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit, vom 21.3. 1988, (vorgelegt von der Kommission an den Rat gemäß Artikel 149 Absatz 3 EWG-Vertrag), S. 30. 40 Ebd. Bemerkung zu Art. 1, S. 4.

4 Kugelmann

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1. Kap. 2. T.: Der Inhalt der Richtlinie

der Werbung und eine entsprechende Duldungspflicht der Mitgliedstaaten für Programme, die dieses Höchstmaß nicht überschreiten 41 • Im geänderten Richtlinienvorschlag hat die Kommission dem Drängen des Parlaments nachgegeben und die Unterschiede im Wirkungsbereich nach inländischen und grenzüberschreitenden Sendungen entfernt. Laut Art. 1 der Richtlinie soll unter Fernsehsendung jede Erstsendung von Fernsehprogrammen verstanden werden, die zum Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt ist, wobei die Übermittlung an andere Veranstalter zur Weiterverbreitung an die Allgemeinheit eingeschlossen ist 42 • Die Weiterverbreitung selbst gilt nicht als Fernsehsendung. Die Richtlinie ist auf Kabelbetreiber, die Sendungen von Rundfunkveranstaltern nur passiv weiterleiten, nicht anwendbar. Ansonsten erstreckt sich der Anwendungsbereich der Richtlinie auf jede Fernsehsendung, die von einem Fernsehveranstalter ausgestrahlt wird, für den die Mitgliedstaaten im Rahmen des Art. 2 die Verantwortung tragen.

3. Der Einfluß der Rechtsgrundlage Bemerkenswert ist, daß der geänderte Richtlinienvorschlag in die Definition der Rundfunkwerbung als Äußerung im Rundfunk mit dem Ziel der Absatzförderung den Zusatz "gegen Entgelt" aufnahm 43. Die Richtlinie greift in Art. 1 lit. b und c bei der Definition der Werbung die Komponente der Entgeltlichkeil auf44 • Die Betonung der Entgeltlichkeil steht in Zusammenhang mit der Rechtsgrundlage des Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV. Denn versteht man den Abbau der Beschränkungen für den grenzüberschreitenden Rundfunk als Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs i. S. d. Art. 59, 60 EWGV, dann müssen auch die Voraussetzungen dieser Vorschriften erfüllt sein und eine davon ist die Entgeltlichkeit.

41 Ursprünglicher Richtlinienvorschlag, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 5/86, auf der Grundlage des Dokuments KOM(86) 146 endg., S. 29 - 30. 42 Richtlinie, vom 3. 10.1989, ABI. Nr. L 298, vom 17. 10.1989 (89/552/EWG), S.10. 43 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Dokumente, KOM (88) 154 endg., Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit, vom 21. 3.1988, (vorgelegt von der Kommission an den Rat gemäß Artikel 149 Absatz 3 EWG-Vertrag), S. 52. 44 Richtlinie, vom 3.10.1989, ABI. Nr. L 298, vom 17.10. 1989 (89/552/EWG), s. 25-26.

B. Die Vorschriften der Richtlinie im einzelnen

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4. Der Erlaß strengerer Regeln durch die Mitgliedstaaten Auf der Basis des Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV nahm die Kommission Vorschriften in die Richtlinienvorschläge auf, die in gewissen Bereichen den Mitgliedstaaten den Erlaß strengerer Regeln erlaubten, als sie die Richtlinie vorsah. Denn "erleichtern" i. S. d. Art. 57 Abs. 2 EWGV bedeute nicht, daß die Rechtsangleichung in keinem Mitgliedstaat zur Einführung strengerer Regeln führen dürfe 45 • Sinn der Koordinierung sei die Beseitigung von Schwierigkeiten, die unterschiedliche Rechtsvorschriften verursachen, mit dem Ziel die Ausübung der Rundfunktätigkeit in der Gemeinschaft unter gleichen Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen 46 • Konsequenz daraus ist nach Ansicht der Kommission nicht automatisch eine Regelung auf dem Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners. Der geänderte Richtlinienvorschlag erstreckte nicht nur im Vergleich zum ursprünglichen Richtlinienvorschlag 47 die Möglichkeit der Mitgliedstaaten zum Erlaß strengerer Regeln auf alle ihrer Rechtshoheit unterstehenden Rundfunkveranstalter, sondern erteilte ihnen aufgrunddes Art. 4a Abs. 2 diese Zuständigkeit auch in einem dritten Sachbereich, dem der Förderung europäischer Programme 48 • Da die Mitgliedstaaten in der Materie des Gegendarstellungsrechts gern. Art. 20a Abs. 3 die Maßnahmen zu Ausgestaltung des Rechts und die entsprechenden Verfahrensregeln festlegen sollten 49, blieb die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten eigentlich nur auf dem Gebiet des Urheberrechts stark eingegrenzt. Um so bezeichnender ist es, daß der Rat gerade diesen Bereich aus der Richtlinie herausnahm. Die Mitgliedstaaten legten Wert auf die Erhaltung ihrer Kompetenzen für die Regelung der Rundfunktätigkeit Den Vorrang der mitgliedstaatliehen Regelungskompetenz auf dem Gebiet des Fernsehens besiegelt Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie. Dort heißt es schlicht, die Mitgliedstaaten können für Fernsehveranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind, strengere oder ausführlichere Bestimmungen in den von dieser Richtlinie erfaßten Bereichen vorsehen 50• Grünbuch, S. 155. Ursprünglicher Richtlinienvorschlag, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 5/86, auf der Grundlage des Dokuments KOM(86) 146 endg., Begründung, Ziff. 23, S. 9. 47 Ebd., S. 30. 48 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Dokumente, KOM (88) 154 endg., Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit, vom 21.3. 1988, (vorgelegt von der Kommission an den Rat gemäß Artikel 149 Absatz 3 EWG-Vertrag), S. 35. 49 Ebd., S. 51. so Richtlinie, vom 3.10.1989, ABI. Nr. L 298, vom 17.10. 1989 (89/552/EWG), s. 26. 45

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4*

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1.

Kap. 2. T.: Der Inhalt der Richtlinie

Die Richtlinie wird als Mindestmaß an Regelung verstanden. Solange sie inhaltlich nicht hinter den Vorschriften der Richtlinie zurückbleiben, sind die Mitgliedstaaten frei in der Regelung der Fernsehtätigkeit 51 • Allerdings darf die Bedeutung der Richtlinie deshalb nicht unterschätzt werden. Hinter die Ausgestaltungen der Veranstaltung von Fernsehen, die sie vorschreibt, gibt es kein Zurück mehr. Trotz der vorangestellten allgemeinen Vorschrift blieben die Verschärfungsmöglichkeiten in den einzelnen Kapiteln erhalten. Art. 20 bestätigt für den brisanten Bereich der Werbung die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten im Hinblick auf inländische Fernsehsendungen. Im Vergleich zu Vorgängen mit Grenzüberschreitung verfügen die Mitgliedstaaten insoweit über einen ausgedehntereD Spielraum. Diesen Unterschied zeigt Art. 20 auf, die Vorschrift erweitert jedoch nicht den Anwendungsbereich der Richtlinie. Die Mitgliedstaaten behalten ihre grundsätzliche Zuständigkeit für das Mediensystem, haben aber bei grenzüberschreitenden Fernsehsendungen die Bestimmungen der Richtlinie als Mindeststandards zu beachten. Diese Mindeststandards gelten bei rein inländischen Fernsehsendungen nicht. 5. Das Prinzip des freien Empfangs und der freien Weiterverbreitung

Art. 2 Abs. 3 S. 1 postuliert den fundamentalen Grundsatz der Richtlinie. Die Mitgliedstaaten gewährleisten den freien Empfang und behindern nicht die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet aus Gründen, die in Bereiche fallen, die mit dieser Richtlinie koordiniert sind. Die Mitgliedstaaten haben für die ihrer Zuständigkeit unterliegenden Fernsehveranstalter den Mindeststandard der Richtlinie durchzusetzen. Die Ausstrahlung von Fernsehsendungen, die den Anforderungen der Richtlinie entsprechen, müssen sie in ihrem Hoheitsgebiet zulassen. Diese Fernsehsendungen tragen grenzüberschreitenden Charakter. Die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Organisation einschließlich der Zulassung und die Finanzierung der Fernsehsendungen sowie die Programminhalte soll von der Richtlinie ohnehin nicht berührt werden 52 • Angesichts der Ausgestaltung der Regelungen über die Werbung und die Förderung europäischer Werke sind Auswirkungen auf die Programmorganisation und die Programminhalte allerdings nicht ausgeschlossen. Der Grundsatz des freien Empfangs und der freien Weiterverbreitung erfährt in Art. 2 Abs. 2 S. 2 eine Ausnahme, die im geänderten Richtlinienvorschlag auch nicht in Andeutungen vorkam. Unter den Bedingungen des Art. 2 Abs. 2 Mestrnäcker, Referat, 0 30. Richtlinie, vom 3.10.1989, ABI. Nr. L 298, vom 17.10.1989 (89/552/EWG), Erwägungsgründe, S. 24. 51

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B. Die Vorschriften der Richtlinie im einzelnen

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S. 2 können die Mitgliedstaaten die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen vorübergehend aussetzen. Die praktische Bedeutung dieser ultima ratio Vorschrift mag gering sein. Sie ist aber innerhalb der Konzeption von Wichtigkeit, weil sie eine Beschränkung des freien Verkehrs von Fernsehsendungen ausdrücklich innerhalb der koordinierenden Richtlinie ermöglicht. Die Richtlinie stützt sich auf Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV. Sie soll der Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet des Fernsehens dienen. Der Rat erlaubt aber unter bestimmten Voraussetzungen eine Beschränkung des freien Verkehrs von Fernsehsendungen. Er will einen geregelten Rahmen für den freien Sendeverkehr vorgeben, nicht aber einen unkontrollierten Sendeverkehr ermöglichen. Den Mitgliedstaaten kommt nach der Konzeption des Rates für die Verwirklichung wie die Beschränkung des freien Dieostleistungsverkehrs in diesem Bereich eine wichtige Rolle zu. Mit der Richtlinie ist die Koordinierung für die Fernsehtätigkeit vollzogen. In den koordinierten Bereichen können die Mitgliedstaaten keine einseitigen Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs mehr vornehmen, die nicht von der Richtlinie gedeckt sind.

2. Kapitel

Der Rundfunk und der freie Dienstleistungsverkehr 1. Teil

Grundsätze zur Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft Da die Diskussion über den grenzüberschreitenden Rundfunk zum guten Teil eine Kompetenzdiskussion ist, erscheint die Klarstellung des kompetenzrechtlichen Ausgangspunkts ebenso notwendig wie gewinnbringend.

A. Die competence d'attribution Die Grundlage für die Verteilung der Zuständigkeiten nach dem EWG-Vertrag bildet das Prinzip der cornpetence d' attribution. Dieser Grundsatz der begrenzten Ermächtigung ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 EWGV. Die Organe der Gerneinschaft handeln nach Maßgabe der ihnen im Vertrag zugewiesenen Befugnisse. Sie verfügen aber auch nur über die Befugnisse, die ihnen der EWG-Vertrag besonders zuweist•. Der EWG-Vertrag erteilt die Zuständigkeiten nach dem Enumerationsprinzip, kein Organ hat eine allgemeine Rechtsetzungsbefugnis 2• Art. 235 EWGVerweitertjedoch dieses System, denn die Organe der Gemeinschaft können danach unter bestimmten Voraussetzungen auch handeln, wenn gerade keine ausdrückliche Einzelermächtigung vorliegt. Entscheidend ist die Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft 3• • Zuleeg, JöR, N. F. Bd. 20 (1971), S. 3; Schwarze, EuGRZ 1986, S. 293; GA Lagrange, Schlußanträge in: EuGH, Urt. v. 12. 7.1957, Rs. 7/56 und 3/57 bis 7/57 (Algera u. a.), Slg. 1957, S. 83, S. 167, der zu Art. 78 § lOEGKS-Vertrag und anderenZuständigkeitsnormen des EGKS-Vertrages argumentiert, die aber die gleichen Formeln wie der EWGV enthalten, z. B. Zuständigkeit der Organe der Gemeinschaften ,,im Rahmen ihrer Befugnisse" oder ,,nach Maßgabe des Vertrages". z Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S. 427, 20/26. 3 Everling, EuR, Sonderheft, 1976, S. 19.

A. Die competence d'attribution

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Diese Vorschrift ist deshalb nicht als Handhabe zur Schließung von materiellen Vertragslücken aufzufassen. Die Gemeinschaft ist keineswegs berechtigt, Sachbereiche aufzugreifen, die nicht schon in den Zielen des EWG-Vertrages enthalten sind. Art. 235 EWGV gibt keine allgemeine Ermächtigung und keine KompetenzKompetenz, insofern ist auch diese Ermächtigung nur begrenzt 4 • Art. 235 EWGV stellt keine Korrektur des Prinzips der begrenzten Ermächtigung dar 5 , sondern ergänzt das vertragsimmanente Kompetenzgefüge um die Komponente einer nicht konkretisierten Befugnis zur Verwirklichung der durch die Vertragsmaterien konkretisierten Vertragsziele 6 • Art. 235 EWGV schließt die Lücke zwischen den Zielen und den Befugnissen der Gemeinschaft. Er soll die Handlungsmittel zur Verfügung stellen, um der Gemeinschaft im Rahmen der Sachbereiche des EWG-Vertrages die Erfüllung ihrer Funktion zu ermöglichen und ist deshalb aus ihren funktionellen Bedürfnissen heraus zu verstehen 7 • Art. 235 EWGV ermächtigt die Gemeinschaft zur Realisierung der im EWGVertrag angestrebten Ziele, wenn dazu ansonsten keine Befugnis im Vertrag besteht. Die Befugnisse aus Art. 235 EWGV sind demzufolge gegenüber den spezielleren, vertraglichen Ermächtigungen subsidiär 8 • Der EWG-Vertrag kennt nicht nur einzelne, ausdrücklich aufgezählte Ermächtigungen, sondern auch die ergänzende, allgemeine Ermächtigung des Art. 235 EWGV, deshalb ist der Ausdruck der begrenzten Einzelermächtigung unzutreffend9. Zudem tragen eine Reihe von besonderen Ermächtigungen des EWG-Vertrages umfassenden Charakter. Für die Anwendung des Art. 235 EWGV besteht im Falle der Existenz einer solchen Vorschrift keine Notwendigkeit 10• Art. 43 EWGV für die gemeinsame Agrarpolitik oder Art. 113 EWGV für die gemeinsame Handelspolitik gewähren den Organen der Gemeinschaft nicht näher beschriebene Handlungsmöglichkeiten zur Erreichung der jeweiligen Ziele. Art. 100 EWGV ermächtigt zur Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken, ohne diese Kompetenz nach Sachgebieten einzugrenzen 11 • Art. 100 a EWGV weist der Gemeinschaft Rege-

Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S. 435, 20141-42; Bethge, Rechtsgutachten, S. 42-43. s Mißverständlich: lpsen, Gemeinschaftsrecht, S. 432, 20137. 6 Everling, EuR, Sonderheft, 1976, S. 14, 19. 7 Tomuschat, EuR, Sonderheft, 1976, S. 57, 64-65. s Grabitz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 189, Rn. 4; Schwartz, EuR, Sonderheft, 1976, S. 37. 9 So auch Bieber, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 4, Rn. 19; anders Bleckmann, Europarecht, Rn. 108. 10 Tomuschat, EuR, Sonderheft, 1976, S. 57. 11 Everling, EuR, Sonderheft, 1976, S. 4. 4

2. Kap. 1. T.: Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft

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lungsbefugnisse zur Verwirklichung der Ziele des Art. 8 a EWGV zu und eröffnet ihren Organen in diesem Zusammenhang weite Spielräume 12• Art. 57 EWGV ermöglicht umfassende Regelungen auf dem weiten Feld der selbständigen Tätigkeiten 13 • Die Organe der Gemeinschaft verfügen insgesamt über weitreichende Befugnisse, um die Ziele des EWG-Vertrages verwirklichen zu können.

B. Aufgaben und Befugnisse Art. 2 EWGV nennt als Ziele eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft, eine beständige und ausgewogene Wirtschaftsausweitung, eine größere Stabilität, eine beschleunigte Hebung der Lebenshaltung und eine Förderung engerer Beziehungen zwischen den in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten. Diese Ziele sollen mit den Mitteln der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und der schrittweisen Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten erreicht werden.

I. Die Aufgaben Aufgabe der Gemeinschaft und damit ihrer Organe ist also die Verwirklichung der genannten Ziele mit den vorgegebenen Mitteln. In Verfolgung dieser Aufgabe richtet sich die Tätigkeit der Gemeinschaft gern. Art. 3 EWGV auf das Umsetzen der dort aufgezählten Maßnahmen, mit denen die Mittel konkretisiert werden, die zur Erreichung der Ziele führen sollen. Art. 3 EWGV ordnet wie Art. 4 Abs. 1 EWGV an, daß die Gemeinschaft, also ihre Organe, nur nach Maßgabe des Vertrages tätig werden dürfen. Beide Vorschriften unterscheiden Aufgaben von Befugnissen. Sowohl die Aufgaben wie die Befugnisse werden von weiteren Vorschriften des EWG-Vertrages näher bestimmt. Die Art. 137 EWGV für das Parlament, Art. 145 EWGV für den Rat, Art. 155 EWGV für die Kommission und Art. 164 EWGV für den Gerichtshof 14 präzisieren die Aufgaben der einzelnen Organe, enthalten jedoch jeweils den Hinweis, daß sich die Befugnisse aus anderen Vorschriften des Vertrages ergeben müssen. Art. 189 EWGV stellt mehrere Handlungsformen zur Verfügung, die aber nur genutzt werden dürfen, wenn eine andere Bestimmung die Befugnis dazu erteilt. Müller-Graff, EuR 1989, S. 130-131. Schwartz, EuR, Sonderheft, 1976, S. 37, der zu dem Schluß kommt, einige der sogenannten Einzelermächtigungen seien eher Generalermächtigungen. 14 Vgl. zur Anwendung des Art. 164 EWGV durch den EuGH Schoo, EuGRZ 1990, s. 533. 12

13

B. Aufgaben und Befugnisse

57

Auf die Aufgabenzuweisungen und Vertragszielbestimmungen können keine die Mitgliedstaaten oder Individuen belastenden Maßnahmen gestützt werden. Dazu sind besondere Ermächtigungsgrundlagen erforderlich 15 • Diese Notwendigkeit zeichnet gerade das Prinzip der begrenzten Ermächtigung aus. Für das Gemeinschaftsrecht gilt aufgrund vor allem der Art. 3 und 4 Abs. 1 EWGV das Prinzip der Vertragsmäßigkeit der Handlungen der Organe. Die Vorgabe, daß die EG-Organe nur nach Maßgabe des Vertrages vorgehen dürfen, steckt aber auch die Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten im Hinblick auf Rechtshandlungen ab und dient insoweit der Wahrung der Souveränität der Mitgliedstaaten 16.

II. Die Befugnisse Die Regelungskompetenz der Organe der Gemeinschaft reicht soweit wie ihre Befugnisse gehen, im übrigen verbleibt die Kompetenz bei den Mitgliedstaaten. Wie in jedem System konkurrierender Kompetenzen führt aber die Wahrnehmung einer Kompetenz durch die Gemeinschaft dazu, daß der Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten auf den entsprechenden Gebieten beschnitten wird. Derart wird nicht die durch den EWG-Vertrag eingeräumte Kompetenz, sondern das auf ihrer Grundlage erlassene Gemeinschaftsrecht erweitert 17 • Die Rechtsetzung der Gemeinschaft ist vom Prinzip der kumulativen Konkurrenz gekennzeichnet. Die Mitgliedstaaten bleiben auch in von der Gemeinschaft geregelten Sachbereichen zuständig, das gemeinschaftliche Recht genießt aber Vorrang 18 • Die Befugnisse leiten sich aus den einzelnen Vorschriften des EWG-Vertrages ab. Die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Gemeinschaft ist in Art. 130a EWGV als Ziel formuliert. Art. 130b S. 3 EWGV stellt die Aufgaben der Gemeinschaft zur Erreichung dieses Ziels klar. Die eigentlichen Befugnisse des Rates ergeben sich erst aus Art. l30d S. 2 und 130e Abs. 1 EWGV, der über den Vorschlag der Kommission gern. Art. 130d S. 1 EWGV beschließt und dann die Durchführungsbeschlüsse erläßt. Die Unterschiede und die gegenseitige Abhängigkeit von Aufgaben und Befugnissen werden in diesen Vorschriften erneut deutlich. 15

Zuleeg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV.

16

Bieber, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV,

Art. 2, Rn. 10; Bleckmann, Europarecht, Rn. 108. Art. 4, Rn. 19; Zuleeg, ebd., Art. 2, Rn. 11.

Everling, EuR, Sonderheft, 1976, S. 4, 14. Grabitz, NJW 1989, S. 1777; vgl. mit anderer Akzentuierung Constantinesco, Das Recht der EG, Ziff. 154 (S. 254). 17

18

58

2. Kap. 1. T.: Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft

Im Bereich der Grundfreiheiten kommt die Komponente der unmittelbaren Geltung der Normen des EWG-Vertrages im innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten hinzu 19. Die unmittelbare Geltung der Art. 59 und 60 EWGV hat der Europäische Gerichtshof anerkannt 20. Die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr sind damit für jeden einzelnen Bürger der Gemeinschaft unmittelbar anwendbar. Die Organe der Gemeinschaft verfügen auf dem Gebiet des freien Dienstleistungsverkehrs über eine Reihe von Befugnissen. Nach Art. 59 Abs. 2 EWGV kann der Rat beschließen, daß die Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit auch auf Leistungserbringer Anwendung finden, die in der Gemeinschaft ansässig sind, aber die Staatsangehörigkeit eines dritten Landes besitzen. Ein derartiger Beschluß wurde bisher jedoch noch nicht getroffen21. Am 18.12.1961 hat der Rat von der Befugnis des Art. 63 Abs. 1 EWGV Gebrauch gemacht und ein allgemeines Programm zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs verabschiedet 22 • Infolge Art. 63 Abs. 2 EWGV verfügt er über die Kompetenz, auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses und der Versammlung Richtlinien zur Verwirklichung des allgemeinen Programms zu erlassen. Dies hat er beispielsweise getan mit der Richtlinie 73/148/EWG zur Aufhebung der Reiseund Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs vom 21.5.197323.

Die Kommission ist aufgrund Art. 64 Abs. 2 EWGV berechtigt, Empfehlungen über die Liberalisierung der Dienstleistungen an die Mitgliedstaaten zu richten. Da über Art. 66 EWGV die Art. 55-58 EWGV auch für den freien Dienstleistungsverkehr zur Anwendung gelangen, kann der Rat laut Art. 55 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV beschließen, daß das Kapitel über die Dienstleistungen auf bestimmte Tätigkeiten keine Anwendung findet. Eine Befugnis zum Erlaß von Richtlinien kommt dem Rat gern. Art. 56 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV zu, um die mitgliedstaatliehen Rechts- und Verwaltungs19 Zu unmittelbarer Geltung und Anwendbarkeit und den Rechtsfolgen dieser Begrifflichkeit E. Klein, Unmittelbare Geltung, S. 8 und passim. zo EuGH Urt. v. 3.12.1974, Rs. 33/74 (van Binsbergen), Slg. 1974, S. 1299, S. 1311, Rn. 24126; EuGH Urt. v. 18. 1. 1979, Rs. 110 und 111/78 (van Wesemael), Slg. 1979, S. 35, S. 52, Rn. 26; EuGH Urt. v. 17.12.1981, Rs. 279180 (Webb), Slg. 1981, S. 3305, s. 3324, Rn. 13. 21 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 22. 22 ABI. Nr. 2, vom 15. 1.1962, S. 32-35. 23 ABI. Nr. L 172, vom 28.6. 1973, S. 14-16; diese Richtlinie hatinsoweit nurdeklaratorischen Charakter, als das Recht auf Einreise und Aufenthalt sich unmittelbar aus den Art. 48 ff., 52 ff., 59 ff. EWGV ergibt, vgl. Streit, in: Beutler I Bieber I Pipkorn I Streil, Die EG, S. 323 (9.7.).

B. Aufgaben und Befugnisse

59

vorschriften zu koordinieren, die eine nach Art. 56 Abs. 1 EWGV gerechtfertigte Sonderregelung vorsehen. Auf dieser Rechtsgrundlage wurde der Rat tätig am 25.2.1964 mit dem Erlaß der Richtlinie 64!221/EWG zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind 24• Schließlich ist der Rat nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV befugt, Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung von Befähigungsnachweisen (Art. 57 Abs. 1 EWGV) und über die Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten (Art. 57 Abs. 2 S. 1 EWGV) zu erlassen. Nicht zuletzt aufgrund des weiten Anwendungsbereichs, den die Formulierung läßt, ist die Kompetenz des Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV von besonderer Bedeutung. Dieses differenzierte System von Befugnissen der EG-Organe dient zur Verwirklichung des Ziels der Beseitigung der Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr. Art. 3 lit. c EWGV, der diese Zielbestimmung statuiert, wird durch die einzelnen Bestimmungen des Kapitels über den Dienstleistungsverkehr konkretisiert. Im Zusammenhang mit dem in Art. 59 und 60 EWGV festgelegten Dienstleistungsbegriff gewinnt der Inhalt eines freien Dienstleistungsverkehrs an Kontur. Art. 59 Abs. 1 und Art. 60 Abs. 3 EWGV geben näheren Aufschluß darüber, was mit der Beseitigung von Hindernissen gemeint ist. Die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs nimmt erst Gestalt an, wenn man die Art. 59-66 EWGV in die Betrachtung einbezieht. Die Ziele des Vertrages sind also zwar in Art. 2 und 3 EWGV im Überblick genannt, ihre genauere inhaltliche Ausgestaltung ergibt sich aber erst aus den sie betreffenden Vorschriften des Vertrages 25 • Die genauere Bestimmung des Inhalts der Vertragsziele ist nicht nur für die Auslegung des Art. 235 EWGV, sondern auch im Rahmen der Festlegung der Aufgaben von Rat und Kommission in Art. 145 und 155 EWGV von Wichtigkeit. Denn die Aufgaben der EG-Organe richten sich auf die Verwirklichung der Ziele des Vertrages und können nicht über diese hinausgehen. Die Befugnisse der EGOrgane leiten sich aus Vorschriften ab, die in einem die angestrebten Ziele konkretisierenden Zusammenhang stehen.

24

ABI. Nr. 56, vom 4.4.1964, S. 850-853.

zs Everling, EuR, Sonderheft, 1976, S. 10; s. auch Schwartz, ebd., S. 34; Kewenig,

JZ 1990, S. 463.

60

2. Kap. 1. T.: Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft

C. Rundfunk und EG-Kompetenz Wenn die in dieser Form bestimmten Vertragsziele eine Materie ganz oder teilweise erfassen, haben die Organe der Gemeinschaft die in den jeweiligen Befugnisnormen festgelegten Kompetenzen. Sachgebiete, die der Regelungsbefugnis der EG-Organe von vomherein entzogen wären, gibt es nicht. Der Gerichtshof hat beispielsweise aus Art. 128 EWGV weitreichende Folgerungen für die Kompetenzen der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Berufsausbildung gezogen 26 und diese Rechtsprechung in jüngster Zeit noch ausgebaut 27. Da der EWG-Vertrag keine Bereichsausnahmen kennt 28 , sind auch Regelungen auf dem Gebiet des Rundfunks nicht prinzipiell aus den Kompetenzen der Gemeinschaft ausgeklammert. Im Gegensatz zur Berufsausbildung findet der Rundfunk allerdings im EWGVertrag ausdrücklich keinerlei Erwähnung. Wenn die Organe der Gemeinschaft im Rundfunksektor handeln wollen, ist aber eine Handlungsermächtigung notwendig, die bloße gemeinschaftspolitische Wünschbarkeil reicht rechtlich nicht aus 29 .

I. Politische Argumentationen Die Qualifizierung der Gemeinschaft als Kommunikationsgemeinschaft ist lediglich als politisches Leitbild, nicht aber als rechtliche Figur von Aussagekraft30. Auf der politischen Ebene sind auch die Aktivitäten des Europäischen Parlaments anzusiedeln, das für die Schaffung eines die gesamte Gemeinschaft umfassenden Rundfunksystems eintritt, weil es dem Rundfunk für die demokratische Fortentwicklung der Gemeinschaft, die Schaffung und Verstärkung eines europäischen Bewußtseins und die Erhaltung der kulturellen Identität und Vielfalt Europas starkes Gewicht beimißt 31 . Die hohe Einschätzung der Rolle der Medien bei der Verwirklichung eines Gemeinsamen Marktes 32 führt trotz der Erwähnung 26 EuGH Urt. v. 3. 7.1974, Rs. 9/74 (Casagrande), Slg. 1974, S. 773, S. 779, Rn. 6; EuGH Urt. v. 13. 7.1983, Rs. 152183 (Forcheri), Slg. 1983, S. 2323, Rn. 17; die Rechtsprechung des EuGH faßt zusammen Lenz, EA 1989, S. 125-134. 27 EuGH Urteile vom 30. 5. 1989, Rs. 242 I 87 (Erasmus) und Rs. 56 I 88 (Berufsbildung Jugendlicher), mitgeteilt in: Tätigkeiten des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 12189, S. 27; zu diesen Urteilen vgl. FAZ Nr. 200, vom 30. 8.1989, S. 4. 28 Everling, EuR, Sonderheft, 1976, S. 11; Schwartz, AfP 1987, S. 376; Mestmäcker, in: ders. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 19. 29 Delbrück, Rundfunkhoheit, S. 22. 30 Seidel, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 122; ders., in: FIDE, Reports, B. (S. 2); Herrmann, ZUM 1985, S. 178; vgl. Ossenbühl, Rundfunk, S. 19. 31 Entschließung Hahn des EP vom 10.10.1985 (Politik), Erwägungsgrund N, in: Schwarze (Hrsg.), Rundfunk, S. 322.

C. Rundfunk und EG-Kompetenz

61

dieser Aufgabe in Art. 2 EWGV nicht zu einer Regelungsbefugnis der Gemeinschaft für den Rundfunk. Der rechtlichen Kompetenzkonstruktion des EWG-Vertrages trägt auch ein Denkansatz nicht genügend Rechnung, der eine Kompetenz der Gemeinschaft aus dem Demokratieprinzip als Prinzip der europäischen Integration ableiten will. Eine Sachausweitung der Gemeinschaftsrechtsordnung auf den Rundfunk soll sich aus der Rolle des Rundfunks als Gestaltungsmittel demokratischer Willensbildung ergeben 33 • Dieser Auffassung zufolge ist die Zuständigkeit der Gemeinschaft eine natürliche und solche ungeschriebenen Rechts, da es zu den Zielen, Aufgaben und Zuständigkeiten der Gemeinschaft gehört, die eigene Identität zu sichern und sich selbst darzustellen, wozu der Rundfunk das entscheidende Medium ist34. Bei dieser Argumentation werden die kompetenzrechtlichen Grundlagen des EWG-Vertrages außer Acht gelassen. Das Prinzip der begrenzten Ermächtigung verbietet den Schluß von politischen Standpunkten und Zielen auf rechtliche Zuständigkeiten. Integrationspolitischer Impetus ersetzt nicht gemeinschaftsrechtliche Kompetenz 35.

II. Die kulturelle Komponente des Rundfunks Gegen eine Kompetenz der Gemeinschaft wird die Karte der kulturellen Seite des Rundfunks ausgespielP6• Einerseits gehört der Rundfunk zum Bereich der Kultur und ist gesellschaftlich und politisch von erheblicher Bedeutung. Der Rundfunk ist Teil des Meinungsbildungsprozesses. Andererseits muß man das Vorhandensein wirtschaftlicher Elemente anerkennen 37. Vgl. Roth, ZHR 149 (1985), S. 684. Ipsen, Rundfunk, S. 482, 516, 519, der ebd., S. 498 hinzufügt, die Ausstrahlung von Rundfunk falle auch deshalb in die Kompetenz der Gemeinschaft, weil diese Kompetenz für die Werbung evident sei, die Werbung aber vom Programm nicht getrennt werden könne und zudem Rundfunkveranstalter auch Wirtschaftsunternehmen seien; sehr viel skeptischer jetzt Ipsen, FS Geck, S. 343. 34 lpsen, EuR 1982, S. 211- 212; ders., Diskussionsbeitrag, in: Seidel (Hrsg.), Hörfunk, S. 223; vgl. Wedell, der nach Mitteilung im Hahn-Bericht von 1985, in: Schwarze (Hrsg.), Rundfunk, S. 351, die Rechtsgrundlage für eine Richtlinie zur Regelung von Bereichen des Rundfunks weniger juristisch aus dem EWG-Vertrag selbst, als mehr politisch aus dem Gesamtauftrag der Gemeinschaft ableiten will, andererseits aber die Gefahr des Qualitätsverlustes durch die Öffnung der Märkte sieht. 35 Vgl. Darstellung und Kritik zu Ipsen bei Delbrück, Rundfunkhoheit, S. 24, 26 und Ossenbühl, Rundfunk, S. 14 f. 36 Bethge, Rechtsgutachten, S. 14; Betz, Media Perspektiven 1990, S. 684. 37 Beschluß der Regierungschefs der deutschen Bundesländer, ZUM 1986, S. 600; gemeinsames Schreiben der Intendanten von ARD und ZDF, ZUM 1985, S. 314-315; Berg, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 200. 32

33

62

2. Kap. 1. T.: Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft

Der bloße Vetweis darauf, daß der Rundfunk ein kulturelles Phänomen sei, spricht nicht gegen eine Regelungsbefugnis der Gemeinschaft. Denn der EWGVertrag gilt nicht nur für rein wirtschaftliche Tätigkeiten, sondern für alle die Tätigkeiten, die seinen Vorschriften unterfallen 38 • Eine Wirtschaftsintegration kann auch die wirtschaftlichen Aspekte von Kulturleistungen miteinbeziehen, dabei muß aber das Prinzip der begrenzten Ermächtigung gewahrt bleiben 39• Auf dem Gebiet des Rundfunks gibt es eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten. Ob die Ausstrahlung von Werbung und die Ausstrahlung inhaltlichen Programms oder die Organisation der Rundfunkverfassung und der Handel mit Film- und Fernsehproduktionen kompetenzrechtlich einheitlich behandelt werden können, muß jeweils näher untersucht werden. Der EWG-Vertrag gibt für eine differenzierende Beurteilung die Handhabe, weil das Bestehen von Kompetenzen der EG-Organe unter dem Blickwinkel zu untersuchen ist, inwieweit die mit dem Rundfunk zusammenhängenden Tätigkeiten von den Zielen und dann den Befugnisnormen erlaßt werden. 111. Der kompetenzrechtliche Ansatz Da der EWG-Vertrag der Gemeinschaft für den Bereich des Rundfunks keine ausdrückliche Kompetenz zuweist, sind die einzelnen Vorgänge und Tätigkeiten vom Vertrag soweit erfaßt, soweit sie die Voraussetzungen der konkreten Regelungsbefugnisse erfüllen4{). Damit stellt sich die Frage, ob und inwieweit die mit dem Rundfunksektor verbundenen Lebenssachverhalte in den Regelungsbereich der Grundfreiheiten des EWG-Vertrages fallen. Erfüllt ein Vorgang im Rundfunksektor den Tatbestand der Freiheit des Warenverkehrs, der Freizügigkeit, der Niederlassungsfreiheit oder der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs, sind die Vorschriften, denen unmittelbare Geltung zukommt, ebenso anwendbar wie die Vorschriften, die den Organen der Gemeinschaft Regelungskompetenzen einräumen. Der Handel mit Materialien, Tonträgern, Filmen oder sonstigen Erzeugnissen, die für die Ausstrahlung von Fernsehsendungen benutzt werden, unterliegt nach 38 Im Hinblick auf die Dienstleistungen hält Schwanz, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 46, alle entgeltlichen Tätigkeiten für vom EWG-Vertrag erfaßt, wobei er das Merkmal der Grenzüberschreitung ausklammert; vgl. zum Verhältnis von Kultur und Wirtschaft im Gemeinschaftsrecht Mestmäcker I Engel I Gabriel-Bräutigam I Hoffmann, Einfluß, S. 35-39. 39 Hoffmann-Riem, RuF 1988, S. 7; Oppermann, Europarecht, Rn. 1509. 4{) Kewenig, JZ 1990, S. 464; Mestmäcker, Referat, 0 27; Mestmäcker I Engel I Gabriet-Bräutigam I Hoffmann, Einfluß, S. 38; im Ansatz treffend Delbrück, Rundfunkhoheit, S. 26, 28-29, 35 und passim.

C. Rundfunk und EG-Kompetenz

63

der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs den Bestimmungen über den freien Warenverkehr (Art. 9 ff., 30 ff. EWGV) 41 , auch wenn ein Rundfunkveranstalter selbst den Handel betreibt. Bei einem Rundfunkveranstalter oder einem Kabelbetreiber beschäftigte Arbeitnehmer genießen nach Art. 48 EWGV Freizügigkeit, dürfen also beispielsweise nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit schlechter entlohnt werden als andere Arbeitnehmer desselben Arbeitgebers. Ein Rundfunkveranstalter hat wegen Art. 52 EWGV grundsätzlich das Recht, sich in jedem Mitgliedstaat unter Beachtung dessen nationaler Bestimmungen frei niederzulassen 42 , wenn er eine selbständige Erwerbstätigkeit i. S. d. Art. 52 Abs. 2 EWGV ausübt 43 • Die Ausstrahlung von Werbung und Programm durch Rundfunkveranstalter kann den Bestimmungen der Art. 59 ff. EWGV unterworfen sein, falls die tatbestandliehen Erfordernisse vorliegen 44 • Infolge des Fehlens einer umfassenden Kompetenzzuweisung im EWG-Vertrag, könnte der Rundfunk lediglich in Teilaspekten erlaßt sein 45 • Die kulturelle und die wirtschaftliche Seite des Rundfunks stehen sich nicht unversöhnlich gegenüber und begründen nicht jeweils ausschließliche Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft. Die Frage nach Kompetenzen der Gemeinschaft im Bereich des Rundfunks muß in die Untersuchung münden, ob und inwieweit Vorgänge und Tätigkeiten auf dem Gebiet des Rundfunks die Voraussetzungen von Bestimmungen des EWG-Vertrages erfüllen und damit von ihm erlaßt werden.

EuGH Urt. v. 30.4.1974, Rs. 155/73 (Sacchi), Slg. 1974, S. 409, 428, Rn. 7/8. Grünbuch, S. 6; das Grünbuch wählt aufS. 6-7 den Ausgangspunkt, daß grundsätzlich alle Vorgänge vom EWG-Vertrag erfaßbar sind, ist aber in Erklärungen und Beispielen unpräzise mit der Tendenz, sehr viele Bereiche den Vorschriften des EWG-Vertrages unterwerfen zu wollen. 43 Dieser Frage ist hier nicht weiter nachzugehen, Hinweise für die Antwort liefert die Erörterung des Begriffs der entgeltlichen Dienstleistung unten im Text. 44 Magiera, in: Stern u. a., Eine Rundfunkordnung für Europa, S. 72; vgl. das gemeinsame Schreiben der Intendanten von ARD und ZDF, ZUM 1985, S. 314, die betonen, nicht zu verkennen, daß Teilbereiche der wirtschaftlichen Betätigung des Rundfunks den Dienstleistungsvorschriften des EWG-Vertrages unterfallen können, die aber den Rundfunk nicht als vornehmlich wirtschaftliche Leistung sehen und deshalb eine Regelungskompetenz der Gemeinschaft zu Lasten der Mitgliedstaaten insgesamt ablehnen. 45 Hoffmann-Riem, RuF 1988, S. 8; Delbrück, Rundfunkhoheit, S. 28-29; vgl. auch Roth, ZHR 149 (1985), S. 684; Kewenig, JZ 1990, S. 465, spricht von Querschnittskompetenzen. 41

42

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2. Kap. 1. T.: Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft

D. Die Auffassung des EuGH I. Die Konzeption 46 Der EuGH versteht Rundfunksendungen grundsätzlich als Dienstleistungen 47 und untersucht deshalb zuerst die in einem konkreten Fall bestehenden Beziehungen darauf, ob sie Dienstleistungen i. S. d. Art. 59, 60 EWGV sind. Dabei kann nicht nur die Übertragung von Rundfunkprogrammen durch einen Rundfunksender an einen Kabelbetreiber, sondern auch die Ausstrahlung von Rundfunk, die wesentlich auf einer Leistungsbeziehung des Rundfunkveranstalters mit der Werbewirtschaft basiert, als Dienstleistung i. S. d. EWG-Vertrages beurteilt werden 48 • Die jeweilige Dienstleistung trägt grenzüberschreitenden Charakter, wenn sie auch an Leistungsempranger gerichtet ist, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind als der Leistungserbringer 49 • Es müssen also nicht alle Leistungsempfänger jenseits der Grenzen des Staates wohnen, in dem der Leistungserbringer seinen Sitz hat. Strahlt ein Rundfunkveranstalter Werbesendungen in einen anderen Mitgliedstaat aus, liegt demnach eine Dienstleistung bereits vor, falls auch nur Teile der auftraggebenden, werbenden Wirtschaft im Empfangsstaat ansässig sind. Das Entgelt braucht nicht unbedingt vom Leistungsempfänger an den Leistungserbringer entrichtet zu werden 50• Die Dienstleistung muß in der Regel entgeltlichen Charakter haben. Leistet ein Kabelbetreiber an einen Rundfunkveranstalter in einem anderen Mitgliedstaat, indem er dessen Sendungen ausstrahlt, ist diese Dienstleistung deshalb entgeltlich, weil die Abonnenten des Kabelbelreibers für die Ausstrahlung an ihn zahlen. Nationale Regelungen, die die Ausstrahlung von Rundfunk, insbesondere im Hinblick auf die Werbung, Beschränkungen unterwerfen, können unter wenigstens zwei Gesichtspunkten ausnahmsweise zulässig sein: aus Gründen des Allgemeininteresses oder aufgrund des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV. Der Gerichtshof unterscheidet zwischen diskriminierenden und nicht diskriminierenden Beschränkungen. Beide betrachtet er als Beschränkungen i. S. d. Art. 59 EWGV. 46 Vgl. die Überblicke bei A. Hesse, Rundfunkrecht, S. 241-243 und bei Rudolf, in: Fuhr I Rudolf I Wasserburg (Hrsg.), Recht der Neuen Medien, S. 204-207. 47 EuGH Urt. v. 30.4.1974, Rs. 155/73 (Sacchi), Slg. 1974, S. 428, Rn. 6; EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 855, Rn. 8. 48 EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352185 (Kabe1regeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2131, Rn. 14; vgl. zu diesem Urteil Koszuszeck, ZUM 1989, S. 541-544. 49 EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352185 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2131, Rn. 15, im französischen Wortlauf heißt es: "ceux qui fournissent Je Service sont etablis dans un etat membre autre que certains de ceux qui en beneficient". so Ebd., S. 2131, Rn. 16.

D. Die Auffassung des EuGH

65

Beschränkt eine innerstaatliche Regelung den freien Dienstleistungsverkehr, ohne Leistungserbringer aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber den inländischen Leistungserbringern zu benachteiligen, kann die Regelung aus Erwägungen des nationalen Allgemeininteresses gerechtfertigt sein. Diese Behinderungen des freien Verkehrs der Dienstleistungen stehen unter dem Vorbehalt zukünftiger Rechtsangleichung, sind also nur so lange gerechtfertigt, bis eine einheitliche Regelung in der Gemeinschaft getroffen ist 51 • Trägt die Beschränkung dagegen diskriminierenden Charakter, werden also Leistungserbringer aus anderen Mitgliedstaaten im Verhältnis zu inländischen Leistungserbringern ungleich behandelt, kommt zur Rechtfertigung der die Beschränkung begründenden, nationalen Norm nur die Ausnahmevorschrift des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV in Betracht52 • Auf Beschränkungen wendet der EuGH den Grundsatz der Verhältnismäßigkeif an. Die Mitgliedstaaten dürfen keine beschränkenden Regelungen anwenden, die unverhältnismäßig sind 53•

II. Zweifelsfragen Die Reichweite der Kompetenzen der Mitgliedstaaten im Bereich des Rundfunks kann anband der lediglich punktuellen Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht ermittelt werden. Der EuGH hat nur entschieden, inwieweit der EWGVertrag im jeweiligen Fall zur Geltung kommt. Eine grundsätzliche Abgrenzung der Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft von denen der Mitgliedstaaten hat er nicht vorgenommen. Den Art. 90 EWGV hält der Gerichtshof für grundsätzlich anwendbar 54 • Auf diese Aussage ist er in späteren Urteilen allerdings nicht zurückgekommen. Art. 90 Abs. 2 EWGV ist aber ein dritter Gesichtspunkt, aufgrund dessen eine nationale Regelung, die den freien Dienstleistungsverkehr beschränkt, zulässig sein könnte. Auf die Argumentation der niederländischen Regierung in der Rechtssache Kabelregeling, die Aufrechterhaltung.eines Rundfunksystems mit pluralistischem und nicht ~mmerziellem Charakter sei kein wirtschaftliches ZiePS, ging der Gerichtshof nicht ein 56 • Er wies darauf hin, daß die aufgrunddes Art. 56 Abs. 1 EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 857, Rn. 15. EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 21342135, Rn. 32-34. 53 Ebd., S. 2135, Rn. 35 -37. 54 EuGH Urt. v. 30.4.1974, Rs. 155/73 (Sacchi), Slg. 1974, S. 409 (430 f.), Rn. 14, 15. 55 EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2098. 51

52

5 Kugelmann

66

2. Kap. 1. T.: Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft

EWGV ergriffenen Maßnahmen jedenfalls verhältnismäßig sein müßten. Es gebe aber weniger einschränkende und diskriminierende Maßnahmen als ein völliges Verbot der Werbung, was die niederländische Regierung selbst zugestehe. Als Beispiel nannte der EuGH die zeitliche Begrenzung der Werbung und das Verbot der Werbung für gewisse Produkte. Da das Werbeverbot der Kabelregeling jedenfalls nicht verhältnismäßig sei, könnte es auch nicht durch eventuell einschlägige Gründe der öffentlichen Ordnung i. S. d. Art. 56 Abs. 1 EWGV gerechtfertigt werden 57. Der Gerichtshof hat eine Konzeption erarbeitet, die ihm die Einordnung der verschiedenen im Zusammenhang mit dem Rundfunk auftauchenden Konstellationen ermöglicht. Die Fälle, mit denen er sich zu beschäftigen hatte, drehten sich im Kern um die Übertragung von Werbung durch Kabelfemsehbetreiber. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs läßt eine Reihe rechtlicher Fragen offen. Die Anwendung der vom EuGH erarbeiteten Grundsätze auf eine Reihe technischfaktischer Gegebenheiten steht noch aus.

56 Dazu Rudolf, in: Fuhr I Rudolf/ Wasserburg (Hrsg.), Recht der Neuen Medien, S. 208; Koszuszeck, ZUM 1989, S. 544 und S. 547. 57 EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2135, Rn. 35-37.

2. Te i 1

Die Einordnung der Ausstrahlung von Rundfunk in den EWG-Vertrag A. Abgrenzung von Dienstleistung und Warenverkehr Gegenstand der Untersuchung ist die Ausstrahlung von Werbung und inhaltlichem Programm innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Zur Bestimmung der maßgeblichen Vorschriften des EWG-Vertrages für die Ausstrahlung von Rundfunksendungen ist von Art. 60 Abs. 1 EWGV auszugehen. Der Dienstleistungsbegriff stellt nach dieser Vorschrift einen Auffangtatbestand dar 1• Ein grenzüberschreitender Vorgang, der nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Person unterliegt, kann nur noch eine Dienstleistung sein, oder er wird von den Grundfreiheiten des EWG-Vertrages nicht erfaßt 2 • Zunächst ist demnach zu fragen, ob Rundfunksendungen als Ware i. S. d. Art. 3 lit. a EWGV eingeschätzt werden können. Rundfunksendungen sind aber keine materiellen Güter, mit denen man stückweise Handel treiben könnte. Anderes gilt für das Endprodukt des Films oder der Videokassettet Die Ausstrahlung von Rundfunksendungen selbst stellt eine Gesamtheit von Tätigkeiten dar und damit eine Leistung von Diensten 4 • In welcher Weise die Sendungen technisch übermittelt werden, macht für diese Einordnung keinen UnterschiedS. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 60, Rn. 2. Seidel, GS Sasse, Bd. Il, S. 351, Fn. 1; zur Abgrenzung der Dienstleistungsfreiheit von der Warenverkehrsfreiheit umfassend Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 54-59. 3 Vgl. EuGH Urt. v. 11. 7.1985, Rs. 60 und 61/84 (Cinetheque), Slg. 1985, S. 2605, S. 2623, wonach die Herstellung von Videokassetten keine Dienstleistung ist, weil sie zur Herstellung eines körperlichen Gegenstandes führt, es sind also die Art. 30 ff. EWGV anwendbar. 4 EuGH Urt. v. 30.4.1974, Rs. 155173 (Sacchi), Slg. 1974, S. 409, S. 428, Rn. 6, in dieser Rechtssache erhoffte sich Herr Sacchi von der Einstufung einer Werbesendung alsWaredie Anwendung des Art. 37 EWGV mit der Konsequenz, daß das Werbemonopol der RAI als Handelsmonopol unzulässig gewesen wäre, ebd., S. 420-425; Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 56. s Vgl. EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52179 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 855, Rn. 8, wonach auch die Ausstrahlung von Fernsehsendungen im Wege des Kabelfernsehens unter die Art. 59 ff. EWGV fällt; für das Satellitenfernsehen kann nichts anderes gelten, so auch das Grünbuch, S. 106. 1

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

B. Die Voraussetzungen der Art. 59, 60 EWGV Die Ausstrahlung von Rundfunk unterliegt den Vorschriften des EWG-Vertrages über den freien Dienstleistungsverkehr, wenn und soweit sie die Anforderungen der Art. 59,60 EWGV erfüllt. Nach Art. 60 Abs. 1 EWGV sind Dienstleistungen i. S. d. EWG-Vertrages Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden. Im Überblick sollen die Grundstrukturen der Art. 59,60 EWGV herausgearbeitet werden. Bei der Anwendung der Vorschriften auf den Rundfunkbereich folgt die Untersuchung von Tauglichkeit und Überzeugungskraft der unterschiedlichen Lösungswege.

I. Die Leistung Der Dienstleistungsbegriff der Art. 59, 60 EWGV verlangt zunächst das Vorliegen einer Leistung. Ein weites Verständnis dieses Begriffs folgt aus dem Charakter der Vorschriften über Dienstleistungen als Auffangtatbestände. Der EWG-Vertrag stellt einen grundsätzlichen Geltungsanspruch für jeglichen Austauschvorgang, auch wenn keine Waren ausgetauscht werden 6 • Das schließt die Übertragung und Überlassung von Immaterialgütem ein 7 • Eine Leistung liegt im Tätigwerden zum Nutzen eines anderen. Entweder kann dies von spezielleren Vorschriften des EWG-Vertrages oder von den Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit erlaßt sein. Wer zugunsten eines anderen tätig wird, tritt in eine Leistungsbeziehung ein. Eine Leistung bedingt also eine Leistungsbeziehung und zu einer Leistungsbeziehung i. S. d. EWG-Vertrages gehören immer mindestens zwei, der Erbringer und der Empfänger der Leistung. Art. 60 Abs. 1 EWGV spricht von Leistungen, die bestimmte Anforderungen erfüllen müssen, eine Leistungsbeziehung i. S. d. EWG-Vertrages besteht deshalb nicht zwingend aus Leistung und Gegenleistung. Ob dem Dienstleistungsbegriff ein Element von Gegenseitigkeit eigen ist, ergibt sich erst aus dem Merkmal der Entgeltlichkeit.

6 Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Vorbemerkung zu Art. 59 bis 60, Rn. 2; vgl. Goldman I Lyon-Caen, droit commercial europeen, No. 325 (S. 348); Cerexhe, Le Droit Europeen, No. 17 (S. 14). 7 Steindorff, RIW 1983, S. 832.

B. Die Voraussetzungen der Art. 59, 60 EWGV

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II. Die Entgeltlichkeit Es sollen nur Beschränkungen aufgehoben werden, die gegenüber Dienstleistungen bestehen, welche in der Regel gegen Entgelt erbracht werden. Unentgeltliche Transaktionen fallen nicht in den Regelungsbereich der Art. 59 ff. EWGV 8 • Mit dem Kriterium der Regelmäßigkeit wird mehr auf die Typizität der in Frage stehenden Dienstleistung als auf deren konkrete Gestalt abgehoben. Auch eine im Einzelfall unentgeltliche Dienstleistung kann von Art. 60 EWGV erlaßt werden, wenn sie ansonsten in der Regel entgeltlichen Charakter hat.

111. Die Grenzüberschreitung Ein weiteres Merkmal des Dienstleistungsbegriffs ergibt sich nicht aus Art. 60 Abs. 1 EWGV, sondern aus Art. 59 Abs. 1 EWGV. Diese Bestimmung schreibt vor, daß innerhalb der Gemeinschaft Beschränkungen für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft als dem des Leistungsempfängers ansässig sind, aufgehoben werden. Art. 59 Abs. 1 EWGV zielt demnach auf Dienstleistungen, die die Grenze überschreiten, denen also nicht nur rein inländischer Charakter zugesprochen werden kann 9 • Ausgehend von der Gestalt der Grenzüberschreitung sind drei Formen von Dienstleistungen zu unterscheiden 10• Entweder begibt sich der Leistungserbringer in den anderen Mitgliedstaat, um dem dort ansässigen Leistungsempfänger die Leistung zu erbringen. Oder der Empfänger überschreitet die Grenze zu einem anderen Mitgliedstaat und kommt zum Erbringer, um die Leistung in dessen Sitz- bzw. Aufenthaltsstaat in Empfang zu nehmen. Schließlich ist es möglich, daß weder Leistungserbringer noch Leistungsempfänger die Grenze überschreiten, sondern nur die Dienstleistung selbst, etwa im Fall von Versicherungsdienstleistungen 11 • Für die Gestaltung, daß Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger in demselben Staat ansässig sind und der Leistende zur Erbringung der Dienstleistung die Grenze überschreitet, wird die Anwendung der Art. 59 ff. EWGV und sei es auch in analoger Form diskutiert 12 • s Goldman I Lyon-Caen, droit commercial europeen, No. 277 (S. 308); Völker, Passive Dienstleistungsfreiheit, S. 96, 101. 9 Vgl. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 18; Eh1ers, NVwZ 1990, S. 811. 10 Vgl. oben die Einleitung. II Maestripieri, La Libre Circulation, S. 46; Streil, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Die EG, S. 317 (9.6.3.); Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 4.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Vertritt man für diese Konstellation die Anwendbarkeit der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr, liegt eine vierte Form möglicher Dienstleistungen vor, bei der der Dienstleistungserbringer die Grenze überschreitet und dann an einen Ernpfarrger in einem anderen Mitgliedstaat die Dienstleistung erbringt. Andererseits kann man bezweifeln, ob diese Grenzüberschreitung zur Konstituierung einer grenzüberschreitenden Dienstleistung i. S. d. Art. 59, 60 EWGV ausreicht, da die eigentliche Leistungsbeziehung als rein innerstaatlich beurteilt werden könnte 13. Auch zur Einschätzung dieses Zweifelsfalls gilt es, sich die Grundvoraussetzungen vor Augen zu halten. Für die Anwendbarkeit der Art. 59 ff. EWGV bedarf es einer in der Regel entgeltlichen Dienstleistung, der ein grenzüberschreitendes Element innewohnt 14•

IV. Der BeschränkungsbegritT Die Tragweite des Art. 59 Abs. 1 EWGV ist vom Verständnis des Begriffs der Beschränkungen abhängig. Faßt man nur diskriminierende Beschränkungen darunter, zielt Art. 59 Abs. 1 EWGV auf die Nichtdiskriminierung von Leistungserbringern aus anderen Mitgliedstaaten und will damit das Prinzip der Inländergleichbehandlung verwirklichen und nicht mehr 15. Versteht man unter Beschränkungen alle Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr, gleich ob sie diskriminierenden Charakter haben oder nicht, reicht das Gebot der Aufhebung dieser Beschränkungen wesentlich weiter 16• Vertritt man die letztere, weitere Auffassung, bleibt immer noch zu entscheiden, ob sich die unmittelbare Geltung der Art. 59 ff. EWGV auch auf die nicht diskriminierenden Beschränkungen erstreckt.

V. Die systematische Einordnung Als Konsequenz aus der jeweiligen Konzeption zu Dienstleistungs- und Beschränkungsbegriff der Art. 59, 60 EWGV erweist sich die Parallele zu Art. 52 ff. EWGV mehr oder weniger tragfähig. 12

Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV,

Art. 59, Rn. 7.

So Goldman I Lyon-Caen, droit commercial europeen, No. 272 (S. 305). So auch der EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352185 (Kabelregeling), S1g. 1988, s. 2085, s. 2130, Rn. 13. 15 Vgl. Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 2. 16 Steindorff, RIW 1983, S. 832. 13

14

B. Die Voraussetzungen der Art. 59, 60 EWGV

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In Wortlaut und Struktur bestehen zwischen den Art. 59 ff. EWGV und den Art. 52 ff. EWGV Ähnlichkeiten. Die stand-still-Klausei des Art. 53 EWGV entspricht dem Art. 62 EWGV, Art. 54 und 63 EWGV sehen beide ein allgemeines Programm zur Realisierung der Aufhebung der jeweiligen Beschränkungen vor und die Formulierung des Art. 52 Abs. 1 S. 1 EWGV gleicht derjenigen des Art. 59 Abs. 1 EWGV. Zudem verweist Art. 66 EWGV auf Vorschriften des Kapitels über die Niederlassungsfreiheit, nämlich die Art. 55-58 EWGV, die damit auch im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit zur Geltung kommen 17• Daraus folgt aber nicht notwendig die Konsequenz, daß auch die Auslegung und damit der Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit sich allein an den Art. 52 ff. EWGV orientieren. Der Dienstleistungsbegriff führt zunächst zu einer selbständigen Beurteilung der Art. 59 ff. EWGV 18 • In dem Bestreben, den freien Verkehr von Leistungen zu gewährleisten, die nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr oder über die Freizügigkeit unterstehen (Art. 60 Abs. 1 EWGV), liegen die Art. 59 ff. EWGV eher mit den Art. 9 ff., 30 ff., 67 ff. EWGV auf einer Linie. Die Freiheit der grenzüberschreitenden Übertragung und Überlassung von Leistungen soll ebenso gesichert werden wie die Freiheit der Übertragung von Kapital oder Waren. Die Art. 59 ff. EWGV rücken so in die Nähe der Freiheit des Warenverkehrs, insbesondere der Art. 30, 34, 36 EWGV 19• Die Vorschriften der Art. 52 ff. EWGV zielen auf die Niederlassung von Angehörigen eines anderen Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet des Staates, dessen innerstaatliche Vorschriften die Beschränkungen beinhalten können. Sie sind im Zusammenhang der Verwirklichung des freien Personenverkehrs in der Gemeinschaft zu sehen und begegnen insoweit auch inhaltlich den Art. 59 ff. EWGV, welche die Mobilität der Dienstleistungen zu sichern beabsichtigen 20• Die Angehörigen der Mitgliedstaaten sollen ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten durch Niederlassung oder Erbringung und Empfang von Dienstleistungen überall im Gebiet der Gemeinschaft ausüben dürfen, um so den Einsatz von Produktionsfaktoren zu optimieren und den freien Austausch der Produkte zu ermöglichen 21 • Die Niederlassungsfreiheit betrifft den Austausch von Produktfaktoren und die Dienstleistungsfreiheit wie die Warenverkehrsfreiheit den Austausch von 11 Vgl. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 5; Oppermann, Europarecht, Rn. 1492. 18 Ähnlich Everling, in: FS von der Groeben, S. 122. 19 Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 108; Seidel, in: Schwarze (Hrsg.), Der Gemeinsame Markt, S. 117. 2o Vgl. Bleckmann, DVBl 1986, S. 69, 73-74, mit der These der Parallelität der Freiheiten. 21 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, vor Art. 52, Rn. 4.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Produkten 22 . Dienstleistungen können in weiterem Sinne als Produkte einer selbständigen Tätigkeit verstanden werden. Art. 48 ff. und Art. 52 ff. EWGV gewährleisten die Freizügigkeit der Arbeitskräfte und der Niederlassung, Art. 30 ff. und Art. 59 ff. EWGV gewährleisten den Handel mit Produkten, Waren und Dienstleistungen über die Grenzen hinweg. Im Fall des Austausches von Waren kann man an der Grenze Zölle erheben und Kontrollen vornehmen. Dienstleistungen können infolge ihres unkörperlichen Charakters den innerstaatlichen Vorschriften eines Mitgliedstaates nur unterworfen werden, indem man an die Beteiligten der Leistungsbeziehung gewisse Anforderungen stellt. Deshalb ähnelt die Systematik der Art. 59 ff. EWGV derjenigen der Art. 52 ff. EWGV23.

Damit spricht die formale und strukturelle Ähnlichkeit für die Anlehnung der Art. 59 ff. EWGV an die Art. 52 ff. EWGV, die inhaltliche und die Wirkung betreffende Ähnlichkeit für eine Anlehnung an die Art. 30 ff. EWGV. Die Interpretation der Art. 59 ff. EWGV ist zunächst eigenständig vorzunehmen. Die Art. 52 ff. EWGV erlangen Bedeutung im Rahmen der systematischen, die Art. 30 ff. EWGV eher in der teleologischen Auslegung.

VI. Der Zweck Die besondere Betonung des freien Dienstleistungsverkehrs verdeutlicht den primären Zweck der Art. 59 ff. EWGV. Beschränkungen, die dem freien, ungehinderten Austausch von Leistungen in der Gemeinschaft entgegenstehen, sollen aufgehoben werden 24. Die Vorschrift des Art. 59 EWGV dient nach Art. 8a EWGV der Verwirklichung des Binnenmarktes. Die Vereinheitlichung der Anforderungen innerhalb der Gemeinschaft muß nicht zur Lösung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner führen. Angestrebt wird vielmehr die Schaffung von Rahmenbedingungen, damit überall in der Gemeinschaft Dienstleistungen von gleicher Qualität erbracht werden können 25 • Der Art. 8a Abs. 2 EWGV bestimmt den Binnenmarkt als Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen des Vertrages zu gewährleisten ist. Der Binnenmarkt definiert sich direkt aus den Grundfreiheiten in der Ausgestaltung des EWG-Vertrages26. 22 Seidel, in: Schwarze (Hrsg.), Der Gemeinsame Markt, S. 117; vgl. dazu Bleckmann, EuR 1987, S. 29, der Art. 59 EWGV auch auf Produktionsfaktoren beziehen will. 23 Everling, in: Wohlfarth I Everling I Glaesner I Sprung, Kommentar zum EWGV, Vorbemerkung vor Art. 59, Nr. 3; Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Vorbemerkung zu Art. 59 bis 60, Rn. 5 und 10. 24 Seidel, in GS Sasse, Bd. II S. 358. 25 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 11.

B. Die Voraussetzungen der Art. 59, 60 EWGV

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Dieser Zielvorgabe wird in Art. 8a Abs. 1 EWGV der besondere Hinweis auf die Befugnisnonnen der Art. 57 Abs. 2 und 59 EWGV hinzugefügt. Abgesehen von der Erwähnung der Koordinierung der Devisenpolitik im Rahmen des freien Kapitalverkehrs ist die Dienstleistungsfreiheit als einzige der vier Grundfreiheiten in Art. 8a Abs.l EWGV genannt, was an ihrer Wichtigkeit ebenso liegen mag wie an der bisher mangelnden Verwirklichung 27. Mit der Freizügigkeit von Personen und Kapital muß der freie Verkehr der an den gewählten Standorten hergestellten oder angebotenen Produkte Hand in Hand gehen, um die wirtschaftliche Mobilität in der Gemeinschaft zu ennöglichen28. Die Realisierung des freien Dienstleistungsverkehrs ist Teil der Bestrebungen des EWG-Vertrages, die Rahmenbedingungen für den unbehinderten Austausch von Produkten und Produktionsfaktoren in der Gemeinschaft zu schaffen.

VII. Inhalt und Struktur Aus ihrer wirtschaftlichen Funktion kann der Inhalt der Art. 59 ff. EWGV erschlossen werden. Zuerst muß die Aufnahme der selbständigen Tätigkeiten zur Erbringung von Dienstleistungen so weit als möglich vereinfacht werden. Dann ist dafür zu sorgen, daß die Ausübung dieser Tätigkeiten nicht auf ungerechtfertigte Hindernisse stößt. Diesem Zweck dient Art. 57 Abs. 1 und 2 i. V. m. Art. 66 EWGV, der der Gemeinschaft insoweit die Befugnis zuweist, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu koordinieren. Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit sind verboten. Das ergibt sich aus Art. 59 Abs. 1 EWGV, dem insoweit unmittelbare Geltung zukommt, nicht erst aus Art. 7 Abs. 1 EWGV 29. Art. 59, 60 EWGV könnten aber nicht lediglich die Beseitigung von Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit fordern, sondern grundsätzlich die Beseitigung aller Beschränkungen. Ihre Reichweite ist davon abhängig, was der Beschränkungsbegriff umfaßt.

26 Beutler, in: Beutler I Bieber I Pipkorn I Streil, Die EG, S. 47 (2.2.2.1.). 21 Vgl. Grabitz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 8a, Rn. 3. 28 Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Vorbemerkung zu Art. 59 bis 60, Rn. 10. 29 Vgl. EuGH Urt. v. 13.12.1984, 3. Kammer, Rs. 251183 (Haug-Adrion), Slg. 1984, S. 4277, S. 4287, Rn. 12, wonach in Art. 59 EWGV das Diskriminierungsverbot des Art. 7 EWGV konkretisiert ist.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit zählen alle mit ihr verbundenen Vorgänge, vorausgesetzt sie tragen entgeltlichen, grenzüberschreitenden Charakter. Einem Arzt, der einen Patienten oder einem Rechtsanwalt 30, der einen Klienten in einem anderen Mitgliedstaat betreut, dürfen ebensowenig Steine in den Weg gelegt werden wie einem Versicherungsunternehmen, das Versicherungsverträge mit Versicherungsnehmern in anderen Mitgliedstaaten abschließen wilP 1• Beschränkungen können solchen Dienstleistungserbringern durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für ihr jeweiliges Staatsgebiet auferlegt werden. Besondere Bedeutung kommt dabei Regelungen der Zulassung und Berufsausübung zu. Zulassungsregeln erschweren es den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, die Tätigkeit überhaupt aufnehmen zu können. Berufsausübungsregeln geraten in Widerspruch zur Dienstleistungsfreiheit, wenn sie Angehörigen anderer Mitgliedstaaten rechtlich oder faktisch mehr aufbürden als Inländern. Nicht diskriminierende Hindernisse, die den Fluß der Dienstleistungen hemmen, können in beiden Gestaltungen auftreten. Innerstaatliche Vorschriften beschränkender Natur können aber durch das nationale Allgemeininteresse oder Ausnahmebestimmungen des EWG-Vertrages gerechtfertigt sein 32• Nicht gerechtfertigte Beschränkungen sind durch Art. 59 Abs. 1 EWGV unmittelbar verboten. Ansonsten werden zur Förderung des freien Dienstleistungsverkehrs die entsprechenden innerstaatlichen Normen mittels Richtlinien gern. Art. 57 Abs. 1 und 2 i. V. m. Art. 66 EWGV koordiniert.

C. Leistungsbeziehungen bei der Ausstrahlung von Rundfunksendungen Die Übermittlung von Rundfunksignalen kann technisch in verschiedenen Formen vor sich gehen. Die Sendungen werden grundsätzlich vom Rundfunkveranstalter zum Rezipienten übertragen. Dies kann direkt oder über Mittler geschehen. In diesem Geflecht von technischen und programmliehen Beziehungen können mehrere Leistungen i. S. d. Art. 60 Abs. 1 EWGV identifiziert werden.

30 Vgl. EuGH Urt. v. 25.2.1988, Rs. 427/85 (Rechtsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1988, S. 1123; EuGH Urt. v. 19.1.1988, Rs. 292/86 (Gullung), Slg. 1988, S. 111; beide Urteile berichtet von Sedemund/Montag, NJW 1989, S. 1413. 31 Vgl. EuGH Urt. v. 4.12.1986, Rs. 205/84 (Versicherungsaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1988, S. 3755, S. 3799, Rn. 16. 32 Dazu unten 3. Kapitel.

C. Leistungsbeziehungen bei der Ausstrahlung von Rundfunksendungen

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I. Leistungen

1. Die terrestrische Übertragung Eine Leistung liegt vor, wenn ein Rundfunkveranstalter seine Sendungen auf terrestrischem Wege übermittelt, also mittels elektromagnetischer Wellen von seiner Sendestation zur Antenne des Rezipienten abstrahlt. Der Rundfunkveranstalter nimmt eine Gesamtheit von Tätigkeiten vor, die in Gestalt der Rundfunksendung dem Rezipienten zugute kommen, der die Sendungen empfangen kann.

2. Satellitenrundfunk Wenn ein Rundfunkveranstalter Sendungen über einenFernmelde-oder Rundfunksatelliten an Rezipienten überträgt und diese die Signale direkt empfangen, liegt darin eine Leistung i. S. d. EWG-Vertrages. Denn die Sendungen des Rundfunkveranstalters erreichen die Zuhörer und Zuschauer unmittelbar und unverändert, der Satellit ist der verlängerte technische Arm des Rundfunkveranstalters. Der Vorteil des Zuschauers oder Zuhörers besteht in der Möglichkeit, die Sendungen des Rundfunkveranstalters zu empfangen. Insoweit unterscheidet sich Satellitenrundfunk nicht von der terrestrischen Übertragung. Damit ist schon eine erste Weichenstellung im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Art. 59 ff. EWGV vorgenommen, aber noch keine Entscheidung getroffen, weil diese Leistung noch auf ihre Entgeltlichkeit und ihre Grenzüberschreitung zu untersuchen ist.

3. Aktives Kabelfernsehen Sendet der Rundfunkveranstalter, nennen wir ihn TELEFERN, seine Signale zunächst an einen Satelliten, kommt eine Leistungsbeziehung nicht unmittelbar mit den Rezipienten zustande, wenn noch die Kopfstelle dazwischengeschaltet ist. TELEFERN erbringt die Leistung in Form der Rundfunksendung und der für die Kopfstelle verantwortliche Betreiber empfängt diese Leistung, indem er die Sendungen übernimmt und weitergibt. Andererseits erbringt der Kabelbetreiber eine Leistung zugunsten des Rundfunkveranstalters, indem er dessen Rundfunksendungen an die angeschlossenen Rezipienten überträgt und so die potentielle Zuschauer- bzw. Zuhörerzahl von TELEFERN erhöht. Der Rundfunkveranstalter könnte ohne den Kabelbetreiber eine Reihe von Rezipienten nicht erreichen. Dies trifft besonders zu, wenn TELE-

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

FERN über Fernmeldesatellit sendet, aber auch dann, wenn der Veranstalter einen DBS benutzt, weil viele Rezipienten keine entsprechend ausgestattete Antenne und damit unmittelbar keine Empfangsmöglichkeit besitzen. Häufig ist die Konstellation, daß TELEFERN in einem anderen Mitgliedstaat seinen Sitz hat als der Kabelbetreiber, der KABELKOM heißen könnte. Der Rundfunkveranstalter strahlt von seinem Sendestaat sein Programm mittels eines Rundfunk- oder Fernmeldesatelliten aus. Dieses Programm wird von dem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Kabelbetreiber KABELKOM empfangen und von ihm an seine Rezipienten weitergegeben. Bei der Kopfstelle handelt es sich entweder um einen Kabelbetreiber, der die bei ihm ankommenden Sendungen zeitgleich und unverändert an die Rezipienten weitergibt, also programmneutral bleibt oder um einen Kabelbetreiber, der die Programme, die er empfängt, selbst noch überarbeitet. Solche aktiven Kabelbetreiber werden meist aus kommerziellem Interesse tätig. Der aktive Kabelbelreiber fängt die vom Rundfunkveranstalter abgestrahlten Sendungen auf, zeichnet sie gegebenenfalls auf oder ergänzt sie und gibt sie dann in der neuen Gestalt und zu einem neuen Zeitpunkt an die Rezipienten weiter. Diese Gesamtheit von Tätigkeiten nimmt der Kabelbetreiber in erster Linie in seinem eigenen, in der Regel kommerziellen Interesse vor. Aber auch der Rundfunkveranstalter hat durch diese Tätigkeiten Vorteile. Er kann über das Netzsystem des Kabelbetreibers seine Programme in einwandfreier Qualität an eine genau einzuschätzende Zahl von Rezipienten abgeben. Der Rundfunkveranstalter gewinnt einen Wettbewerbsvorteil und damit zusammenhängend die Chance, seine Werbeeinnahmen zu erhöhen. Ein aktiver Kabelbetreiber, der praktisch hauptsächlich im Fernseh-, nicht im Hörfunkbereich vorkommen wird, vollzieht technische und programmlieh-inhaltliche Tätigkeiten. Seine inhaltlichen Maßnahmen, beispielsweise das zusätzliche Eingeben von Werbung oder das Aufzeichnen von Sendungen und deren nicht zeitgleiche Wiedergabe, lassen jedoch in der Regel den Ursprung der Sendungen noch erkennen. Solange erkennbar bleibt, von welchem Rundfunkveranstalter die Programme stammen, solange wird der Kabelbetreiber auch noch für diesen tätig. Sollte der Kabelbetreiber Veränderungen an den Sendungen vornehmen, die das Band zum eigentlichen Ursprungsveranstalter kappen, gerät das Vorliegen einer Leistung in Zweifel. Speist der Kabelbelreiber von ihm selbst produzierte Sendungen ins Netz, wird er nicht mehr für einen anderen Rundfunkveranstalter tätig, er ist dann selbst ein Rundfunkveranstalter. Der Kabelbetreiber tritt letztlich auch als Urheber der Sendung auf, wenn er die bei ihm ankommenden Sendungen durch Schnitte, Kürzungen oder andere einschneidende Änderungen so stark verfremdet, daß ihr Ursprung von dem eigentlich ausstrahlenden Sender nicht mehr klar wird 33.

C. Leistungsbeziehungen bei der Ausstrahlung von Rundfunksendungen

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In einem solchen Fall hat der ursprüngliche Rundfunkveranstalter von der Weitergabe der Sendungen keinen Vorteil, der Kabelbetreiber ist nicht für ihn tätig geworden. Damit liegt auch keine Leistung vor. Meist nimmt ein aktiver Kabelbelreiber so weitgehende Einschnitte in die Programme nicht vor, der Rundfunkveranstalter, von dem die Sendung stammt, bleibt erkennbar. Irrfolge einer Gesamtheit von Tätigkeiten des Kabelbelreibers hat der Rundfunkveranstalter dann einen Nutzen. Folglich handelt es sich um eine Leistung i. S. d. Art. 60 Abs. 1 EWGV. Wenn TELEFERN an den aktiven Kabelbetreibereine Rundfunksendung anband eines Fernmelde- oder Rundfunksatelliten übermittelt, liegt hierin eine erste Leistung nach Art. 60 Abs. 1 EWGV. Durch die Übertragung der Sendungen von TELEFERN erbringt KABELKOM eine zweite Leistung gegenüber TELEFERN34 und eine dritte Leistung gegenüber den Rezipienten 35 .

4. Passive Kabelbelreiber In manchen Mitgliedstaaten ist nur erlaubt, die Sendungen zeitgleich und unverändert, also passiv, weiterzuverbreiten 36. Im Fall dieses passiven Kabelrundfunks könnte die zweiseitige Leistung zwischen dem eigentlichen Rundfunkveranstalter TELEFERN und dem Rezipienten zu sehen sein.

33 Zum Urheberrecht bei grenzüberschreitenden Rundfunksendungen Gounalakis, Kabelfernsehen, S. 49, 56-57 und passim; Schricker, GRUR, lnt., 1984, S. 594. 34 So auch der EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2131, Rn. 14; Bömer, ZUM 1985, S. 583 verneint die Entgeltlichkeit, stellt aber wohl das Bestehen einer Leistungsbeziehung nicht in Abrede. 35 In EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 62/79 (Coditel 1), Slg. 1980, S. 881 lag der Tatbestand so, daß eine belgisehe Kabelfernsehgesellschaft einen Film weiterverbreitete, den eine bundesdeutsche Rundfunkanstalt ausstrahlte; der EuGH nahm aber zu den Leistungsbeziehungen nicht Stellung, sondern erklärte, wenn man auch die Anwendbarkeit der Art. 59, 60 EWGV unterstelle, liege im konkreten Fall keine Beschränkung vor; der EuGH scheint in Anlehnung an seine Rechtsprechung zu Art. 30 EWGV bereits den Tatbestand des Art. 59 Abs. 1 als nicht erfüllt anzusehen; zu diesem Urteil Bennett, ELR 1980, S. 231; Börner, ZUM 1985, S. 584 bejaht eine Dienstleistung nur im Hinblick auf die Werbesendungen der Kabelgesellschaft und selbst das nur, wenn zumindest ein kleiner Teil der Rezipienten den Werberundfunk um seiner selbst willen einschaltet; da der empirische Nachweis insoweit nicht leicht fiele, ist dieses Kriterium wenig praktikabel und würde zudem in der Regel dazu führen, keine Dienstleistung anzunehmen, da das inhaltliche Programm im Mittelpunkt des Interesses der Zuschauer stehen dürfte. 36 Nach dem Grünbuch (auf dem Stand von 1984) ist das z. B. der Fall in den Niederlanden (S. 71), in Belgien zumindest soweit die Sendungen der belgiseben Anstalten betroffen sind (S. 77), in Irland bezüglich der irischen Programme (S. 88) und in Dänemark (S. 99); Art. 12 des Rundfunkstaatsvertrages der deutschen Bundesländer verlangt von den Bundesländern nur, die zeitgleiche und unveränderte Weiterverbreitung von Rundfunkprogrammen zu ermöglichen, es besteht also insoweit keine Verpflichtung der Bundesländer, aktives Kabelfernsehen zuzulassen, Media Perspektiven, Dokumentation, 1987, S. 86.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Jedoch besteht zwischen der Rolle des Satelliten und der Rolle der Kopfstelle ein erheblicher Unterschied, der beim passiven Kabelrundfunk die Bedeutung des Kabelbetreibers aufwertet. Auf dem Satelliten mietet der Rundfunkveranstalter einen vorher bestehenden Kanal, um seine Sendungen zu übertragen. Er verfügt damit über die Entscheidungsgewalt, welche Reichweite und welche Übertragungsgebiete er anstrebt. Dagegen ist das Schicksal der Sendung seiner Verfügungsgewalt entzogen, sobald sie an der Kopfstelle ankommt. Ausschlaggebend ist dann die Ausgestaltung des innerstaatlichen Rechts desjenigen Mitgliedstaates, in dem sich die Kopfstelle befindet. Dieses kann dem Kabelbelreiber weitgehende Freiheiten einräumen oder einen engen Rahmen setzen 37• Falls die Kopfstelle eine Gemeinschaftsantennenanlage ist, kann ebenfalls nicht von einer unmittelbaren Leistung des Rundfunkveranstalters an die Rezipienten die Rede sein, weil die Gemeinschaftsantennenanlage in ihrer Empfangsstärke und Ausgestaltung genehmigt und dann technisch gewartet und betrieben werden muß. Die insoweit häufig zuständigen Fernrneldeverwaltungen der Mitgliedstaaten oder entsprechende private Unternehmen entscheiden also anband der technischen Ausgestaltung, welche Programme mit der jeweiligen Antennenanlage empfangen werden können und welche nicht. Die Einspeisungsentscheidung kann den nationalen Fernrneldeverwaltungen abgenommen werden, wenn insoweit politische Instanzen zuständig sind. In der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise entscheiden die Bundesländer. Zwischen der diese Entscheidungen treffenden Stelle und dem ausstrahlenden Rundfunkveranstalter besteht ein Leistungsverhältnis 38 • Da die technischen wie inhaltlichen Vorgaben für die Handlungsspielräume und Handlungsmöglichkeiten an der Kopfstelle innerstaatlicher Ausgestaltung obliegen, befindet sich zwischen Rundfunkveranstalter und Rezipienten noch ein selbständiges Glied in der Übertragungskette. Dies gilt um so mehr, wenn der Kabelbelreiber mit dem Rundfunkveranstalter vertragliche Beziehungen eingeht, zum Beispiel über Nutzungs- und Verwertungsrechte an den Prograrnrnen.

37 In der Bundesrepublik Deutschland kommt den Bundesländern die Kompetenz zu, die Weiterverbreitung von in- und ausländischen Rundfunkprogrammen zu regeln, vgl. Art. 11 des Rundfunkstaatsvertrages der deutschen Bundesländer, Media Perspektiven, Dokumentation, 1987, S. 86; Scherer, Telekommunikationsrecht, S. 638-639, stellt klar, daß die Sendetechnik in der Hand der Bundespost liegt, die inhaltlich-kulturelle Seite in der Hand der Bundesländer, deshalb sind Einspeisungsentscheidungen Ländersache, so Scherer, ebd., S. 531, der aber auch beklagt, daß die Bundespostdurch ihre technischen Entscheidungen die politischen Entscheidungen präjudiziere und sich so in die Zuständigkeit der Bundesländer mische, ebd., S. 531 , S. 746 und passim. 38 Herrmann, ZUM 1985, S. 188, betrachtet die Auswahl, Heranführung und Einspeisung von Rundfunkprogrammen in Kabelnetze durch Private als unternehmefische Aktivitäten, die Dienstleistungen gern. Art. 59 ff. EWGV sein können.

C. Leistungsbeziehungen bei der Ausstrahlung von Rundfunksendungen

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Aus Art. VIII des Weltraumvertrages vom 27. 1. 1967 39 ergibt sich, daß Satelliten der Hoheitsgewalt der Staaten unterstehen, die sie gestartet haben, und die Final Acts der W ARC 1977 gehen vom Prinzip der nationalen Versorgung aus und legen deshalb die Zuständigkeit jedes Staates für die Vergabe der Kanäle auf dem ihm zugeteilten Rundfunksatelliten (DBS) fest 40 • Ist einem Rundfunkveranstalter aber einmal ein Satellitenkanal zugewiesen, vermindert sich der Handlungsspielraum des für den Satelliten zuständigen Staates. Die Rahmenbedingungen, die der Satellit, sei es ein Rundfunk- oder ein Fernmeldesatellit, für die Übermittlung von Rundfunksendungen liefert, bleiben weitgehend gleich 41 • Der Rundfunkveranstalter ist daher prinzipiell Herr darüber, welches Programm beim Rezipienten ankommt, da mittels des Satelliten nur übertragen, nicht gestaltet wird. Deshalb besteht beim passiven genau wie beim aktiven Kabelfernsehen eine Leistungsbeziehung zwischen dem Rundfunkveranstalter und dem Kabelbetreiber und eine weitere Leistungsbeziehung zwischen dem Kabelbetreiber und den Rezipienten. Da auch ein programmneutraler Kabelbetreiber wie die deutsche Bundespost Programme benötigt, um die Akzeptanz seines Kabelsystems zu erhalten und zu steigern 42, hat er infolge der Ausstrahlung von Rundfunksendungen durch den Rundfunkveranstalter einen Vorteil. In der Leistungsbeziehung des Kabelbetreibers zum Rundfunkveranstalter erfolgen daher auch beim passiven Kabelfernsehen zwei Leistungen, da beide Beteiligte Vorteile aus ihr ziehen. Eine dritte Leistung erbringt der Kabelbetreiber den Rezipienten.

5. Terrestrische Versorgung der Kabelbetreiber Erhält der Kabelbelreiber seine Programme nicht oder nicht nur über Satellit, sondern über terrestrische Verbindungen, liegt eine Leistungsbeziehung zwischen ihm und dem Rundfunkveranstalter vor. In diesem Fall entfällt zwischen TELEFERN und KABELKOM das technische Übertragungsmittel des Satelliten. An dessen Stelle treten Fernkabel oder die klassische Übermittlung von Signalen durch elektromagnetische Wellen von der Sendestation zu einer mit Antenne ausgerüsteten Empfangsstation. Die Errichtung und das Betreiben der entsprechenden technischen Anlagen müssen regelmäßig mit den nationalen FemmeldeBGBl. 1969 II, S. 1969; dazu Verdross/Simma, Völkerrecht,§ 1151. Rudolf, FS Zeidler, Bd. 2, S. 1871. 41 Dementsprechend beschäftigt sich der Art. 1 des Rundfunkstaatsvertrages der deutschen Bundesländer soweit er speziell die Nutzung der Satellitentechnik anspricht hauptsächlich mit der Zuweisung der Kanäle, Media Perspektiven, Dokumentation; 1987, S. 81. 42 Ory, ZUM 1986, S. 583. 39

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

verwaltungen abgestimmt werden. Die Verbindung unterliegt insgesamt aber keinen stärkeren Einflußmöglichkeiten der Staaten als bei Verwendung eines Fernmelde- oder Rundfunksatelliten. Wie bei der Übermittlung durch Satellit finden in der Leistungsbeziehung zwischen Rundfunkveranstalter und Kabelbetreiber zwei Leistungen statt und eine weitere Leistung im Verhältnis des Kabelbelreibers zu den Rezipienten.

6. Der Einfluß der Werbetreibenden Die Verhältnisse werden nochmals komplizierter, wenn auch Wirtschaftsunternehmen als Werbetreibende ins Spiel kommen. Die Wirtschaft hat zur Förderung des Absatzes ihrer Produkte ein Interesse an Rundfunkwerbung. Auf der anderen Seite haben Rundfunkveranstalter ein Interesse an der Ausstrahlung von Werbesendungen, weil die Wirtschaft dafür an sie zahlt. Abgesehen von denjenigen öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern, die vollständig auf Gebühren angewiesen sind, finanzieren sich mit diesen Zahlungen teilweise oder ausschließlich alle Rundfunkveranstalter, öffentlich-rechtliche wie private. Werbesendungen können an zwei Punkten ins Programm eingebracht werden. Im Rahmen der Konstellation aktiven Kabelfernsehens kann an der Kopfstelle zusätzliche Werbung ins Kabel eingegeben werden. Den Haupt- und Regelfall stellt die Ausstrahlung von Werbung schon innerhalb des Programms der RundfunkveranstalteT dar. Der Kabelbelreiber leistet an das werbende Wirtschaftsunternehmen mit der Eingabe der Werbesendung ins Kabel. Der Rundfunkveranstalter leistet an den Werbekunden, indem er dessen Werbespot ausstrahlt 43 • An dieser Beurteilung ändert sich nichts, falls das werbende Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat angesiedelt ist als der Rundfunkveranstalter 44 • Die Zahlungen der Wirtschaft gehören in den Zusammenhang der Entgeltlichkeil der einzelnen Leistung.

II. Leistungsbeziehungen bei der Ausstrahlung von Rundfunk Leistungsbeziehungen können zwischen vier Beteiligten bestehen: dem Rundfunkveranstalter, dem aktiven oder passiven Kabelbetreiber, dem Werbekunden und dem Rezipienten. Mögliche Leistungsbeziehungen sind:

Börner, ZUM 1985, S. 584. Auch der EuGH sieht hier eine Leistung, EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2131, Rn. 14, verlangt allerdings, daß die Werbesendungen speziell für die Rezipienten im Empfangsstaat vorbereitet wurden. 43

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D. Die Grenzüberschreitung Rundfunkveranstalter Rundfunkveranstalter Rundfunkveranstalter Rundfunkveranstalter Kabelbetreiber (aktiv) Kabelbetreiber (passiv) Kabelbetreiber (aktiv)

-

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Rezipient Kabelbetreiber (aktiv) Kabelbetreiber (passiv) Werbekunde Rezipient Rezipient Werbekunde

Jeweils mindestens einer der Beteiligten erbringt im Rahmen dieser Leistungsbeziehungen eine Leistung i. S. d. Art. 60 Abs. 1 EWGV. Diese Leistungen sind Dienstleistungen gern. Art. 59, 60 EWGV, wenn sie auch die Erfordernisse der Entgeltlichkeit und der Grenzüberschreitung erfüllen.

D. Die Grenzüberschreitung I. Der faktische Vorgang Sofern die Grenzüberschreitung verwirklicht ist, erfassen Art. 59 und 60 EWGV jede entgeltliche Tätigkeit, die nicht unter die Vorschriften über den freien Waren- oder Kapitalverkehr oder über die Freizügigkeit der Person fallt 45 •

Im Fall der Ausstrahlung von Rundfunk ist es die Übermittlung der Signale, in der sich die Übertragung einer Rundfunksendung realisiert. Anfangs- und Endpunkt der Signalübermittlung befinden sich, abhängig vom technischen Weg der Übertragung, mehr oder weniger weit auseinander. In der Eigenart der Übertragung von Rundfunk liegt es, auf Staatsgrenzen keinerlei Rücksicht zu nehmen. Die von einem Rundfunkveranstalter ausgestrahlten Signale können von dessen Sitzstaat aus eine Grenze zu einem anderen Mitgliedstaat überschreiten. Im Rahmen der Ausstrahlung von Rundfunk stellt die Leistung selbst die grenzüberschreitende Komponente der möglichen jeweiligen Dienstleistung dar.

II. Der Zweck der Leistung Das Merkmal der Grenzüberschreitung gewinnt einschränkende Bedeutung für die Qualifizierung einer Leistung als Dienstleistung i. S. d. EWG-Vertrages, wenn verlangt wird, daß es auch der Zweck der Leistung sein müsse, die Grenze zu überschreiten.

45

EuGH Urt. v. 31.1.1984, Rs. 286/82 und 26/83 (Luisi und Carbone), Slg. 1984,

s. 377, s. 401, Rn. 10. 6 Kugelmann

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

1. Die Auffassung von der bezweckten Grenzüberschreitung Art. 59 Abs. 1 EWGV spricht von Dienstleistungen für Angehörige der Mitgliedstaaten. Sind Leistungen lediglich für Leistungsempfänger innerhalb des Staatsgebiets eines Mitgliedstaates gedacht, fallen sie nicht in den Anwendungsbereich des Art. 59 Abs. 1 EWGV 46 • Die rein faktische Überquerung einer Grenze durch die Leistung genügt nach dieser Konstruktion nicht. Vielmehr muß die Grenzüberschreitung gewollt sein 47 • Konsequenz dieser Anschauung ist, daß Rundfunksendungen, die nur für Rezipienten im Sitzstaat des Rundfunkveranstalters geplant sind, keine Dienstleistungen gern. Art. 59,60 EWGV verkörpern, auch wenn die Sendungen dieses Rundfunkveranstalters TELEFERN in anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft empfangen werden können, etwa infolge von spill over 48 • Nichts anderes gilt, falls die Sendungen von TELEFERN durch einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Kabelbetreiber an dortige Rezipienten weitergegeben werden. Zwar hat die Sendung in einem Mitgliedstaat, dem Telestaat, ihren Ursprung und wird von Rezipienten in einem anderen Staat, dem Rezipstaat, empfangen. Wenn TELEFERN aber die Zuschauer und Zuhörer im Rezipstaat gar nicht erreichen wollte, fehlt nach der dargestellten Auffassung die Grenzüberschreitung und damit ein konstituierendes Merkmal der Dienstleistung.

2. Gegenargumentation Die Argumentation aus Art. 59 Abs. 1 EWGV überzeugt jedoch nicht. Denn die Formulierung "für Angehörige der Mitgliedstaaten" bezieht sich grammatikalisch nicht auf die Dienstleistung, sondern auf deren Beschränkungen. Aus ihr kann deswegen nicht darauf geschlossen werden, daß die Leistung nur grenzüberschreitenden Charakter trägt, falls die Grenzüberschreitung gewollt ist.

3. Die Grenzüberschreitung als Vorbedingung der Leistung Wenn der Leistungserbringer oder der Leistungsempfänger die Grenze überqueren, beabsichtigen sie genau betrachtet nicht die Grenzüberschreitung, sondern die Erbringung oder den Empfang der Leistung in dem anderen Mitgliedstaat. Die Grenzüberschreitung ist aus der Sicht der Beteiligten notwendige Vorbedingung der eigentlichen Leistungserbringung. 46 Regierung der Bundesrepublik Deutschland als Verfahrensbeteiligte in: EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 847. 47 Bleckmann, GS Sasse, Bd. li, S. 679; Jarass, EuR 1986, S. 80; ders., Gutachten, G 39, Rn. 54. 48 Der spill over ist der Effekt zwangsläufiger Empfangbarkeit von Rundfunksendungen in den Randgebieten des footprint.

D. Die Grenzüberschreitung

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Falls ein belgiseher Architekt den Bau eines von ihm konstruierten Hauses in den Niederlanden zur Überwachung in Augenschein nehmen soll, fahrt er in die Niederlande, nicht weil er die Staatsgrenze überqueren will, sondern weil er das muß, um in den Niederlanden seine Dienstleistung zu erbringen. Andererseits ist die Grenzüberschreitung nicht zufällig, der Architekt nimmt sie bewußt vor. Wenn Sendungen eines Rundfunkveranstalters von Rezipienten in anderen Mitgliedstaaten empfangen werden können, ist die Grenzüberschreitung dazu eine Voraussetzung. Der Rundfunkveranstalter übermittelt seine Programme dann bewußt über die Grenze, falls die konkrete Leistungsbeziehung dies notwendig macht. Die Grenzüberschreitung ist letztlich neutral, die Ausgestaltung der Leistungsbeziehung entscheidet darüber, ob ein Leistungserbringer die Leistung bewußt über die Grenze sendet. Wer eine gezielte, gewollte Grenzüberschreitung fordert, setzt gedanklich voraus, daß die Leistungsbeziehung vom Willen zumindest eines der Beteiligten getragen sein muß. Derart wird eine bestimmte Gestalt der Leistungsbeziehung ins Spiel gebracht, deren Notwendigkeit für den Dienstleistungsbegriff des EWGVertrages erst bei der Entgeltlichkeit und im Rahmen des Verhältnisses der Entgeltlichkeit zur Grenzüberschreitung entschieden werden kann 49• Eine Grenzüberschreitung kann auch vorliegen, wenn der Leistungserbringer sie nicht bezweckt 50•

111. Die Rolle der Leistungsbeziehung Schon im Rahmen der Grenzüberschreitung von Bedeutung sind Anfangs- und Endpunkt der Leistungsbeziehung. Wie diese auch immer ausgestaltet ist, für das grenzüberschreitende Element muß jedenfalls der Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sein als der Leistungsempfänger. Diese Beurteilung kann nur vorgenommen werden, wenn klar ist, wer Erbringer und wer Empfänger der konkreten Leistung sind.

49 Zur Bedeutung des Zwecks der Leistung in der Entgeltlichkeit vgl. unten 2. Kapitel, 2. Teil, G. 1.2.; nach der Konzeption von Seidel, in: GS Sasse, Bd. II, S. 365-368, spielt die Zielrichtung bei der Ausstrahlung von Rundfunksendungen im Rahmen der Beschränkungen eine Rolle; vgl. Seidel, in: FIDE, Reports, F. VI. (S. 26); Mestrnäcker, in: ders., Offene Rundfunkordnung, S. 26, lehnt das Merkmal der Gezieltheil der Leistung zwar ab und kennzeichnet die Ausstrahlung von Rundfunk über Satellit, auch wenn es sich um spill over handelt, als Dienstleistung, er argumentiert aber unter Vermischung der Grenzüberschreitung mit der Entgeltlichkeit. so Ipsen, Rundfunk, S. 523.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

1. Die Leistungsempfänger Die Identifikation der Beteiligten an der Leistungsbeziehung wird dann schwierig, wenn auf einer Seite eine Vielzahl von Beteiligten steht. In der Regel wird es sich dabei um eine Vielzahl von Leistungsempfängern handeln. Strahlt ein Rundfunkveranstalter Sendungen aus, sind die Rezipienten alle Zuschauer und Zuhörer, die die Sendungaufgrund welcher technischer Gegebenheiten auch immer empfangen können. Sind auch alle diese Rezipienten Empfänger der Leistung des Rundfunkveranstalters? Diese Frage verführt dazu, das Merkmal der Grenzüberschreitung erneut mit Inhalten und Erfordernissen aufzuladen, die es nicht beinhaltet.

2. Die weite Konzeption vom Empfänger Ein weites Verständnis der grenzüberschreitenden Leistungsbeziehung sieht Rundfunksendungen an alle gerichtet, die sie empfangen können. Danach ist bedeutungslos, ob die Sendung unmittelbar oder über Kabel übertragen wird und ob die Sendeverantwortlichen die Rezipienten erreichen wollten oder nicht 51 • Die Leistung an einen unbestimmten Personenkreis reicht für die Konstituierung eines grenzüberschreitenden Elements in der Leistungsbeziehung aus. In dieser Konstruktion schwingt die Meinung mit, die Ausstrahlung von Rundfunk an die Rezipienten stelle immer nur eine einzige Dienstleistung dar, unabhängig davon, welche Mittler dabei auftreten 52 • Mit der Ausstrahlung wird zwischen Veranstalter und all denen, die die Sendung empfangen können, eine Verbindung geknüpft, welche grenzüberschreitend sein muß, um die Voraussetzungen der Art. 59, 60 EWGV zu erfüllen.

3. Die Konzeption von der Empfangbarkeif der Leistung Die Identifizierung von Leistungen muß einer differenzierenden Beurteilung unterworfen werden. Anfangs- und Endpunkt sind nicht zwangsläufig der RundfunkveranstalteT und der Rezipient. Im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Komponente der Dienstleistung i. S. d. EWG-Vertrages geht es darum, ob die Beteiligten der einzelnen Leistungsbeziehung in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind.

st GA Wamer, in: EuGH Urt. v. 18. 3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 875; Oppermann, Europarecht, Rn. 1509. 52 GA Wamer, ebd., S. 876; Kommission als Verfahrensbeteiligte in: EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 62/79 (Coditel I), Slg. 1980, S. 881, S. 890; Schwartz, in: FIDE, Reports,

D. (S. 12).

D. Die Grenzüberschreitung

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Die Besonderheit, daß es eine ununterscheidbare Vielzahl von Leistungsempfängern gibt, fällt ins Gewicht, weil der Beteiligte der Leistungsbeziehung nicht als Subjekt erkannt werden kann. Dem Leistungserbringer steht ein kaum eingrenzbares Potential an Leistungsempfängern gegenüber. Diese Konstellation ist im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs ungewöhnlich. Der Leistungserbringer weiß im Regelfall, wem er die Leistung erbringt, zumal wenn er sich zum Leistungsempfänger hinbegibt oder dieser zum Erbringer kommt. Andererseits stellt etwa das Angebot einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Versicherungsgesellschaft, bestimmte Leistungen auch an Angehörige anderer Mitgliedstaaten zu erbringen, zunächst eine an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtete Leistungsofferte dar. Ein Leistungsangebot ist aber noch keine Leistung nach Art. 60 Abs. 1 EWGV 53 • Im Fall der Ausstrahlung von Rundfunk gibt es jedoch nicht nur ein Leistungsangebot des Rundfunkveranstalters, sondern die angebotene Leistung wird auch angenommen. Zwar kann nicht festgestellt werden, wer im einzelnen die Leistung empfängt. Auf jeden Fall kommt eine Reihe von Inhabern entsprechend ausgerüsteter Empfangsanlagen als Leistungsempfänger in Frage, und ein Teil dieses Personenkreises nutzt jene Empfangsanlagen auch zum Empfang der Sendungen des jeweils in Rede stehenden Rundfunksenders. Ein kurzes Umschalten auf den das Programm anbietenden Sender reicht schon aus, um die Leistungsbeziehung zustande zu bringen. Wenn ein Hörfunkrezipient nur einmal einige Sender kurz ausprobiert, um ein seinem Geschmack entsprechendes Programm zu finden, dann hat er von jedem dieser Sender eine Leistung entgegengenommen. Ebenso empfängt ein Fernsehzuschauer von jedem Fernsehveranstalter, dessen Programm er einschaltet, eine Leistung, sei es auch nur, daß er sich mehrere Programme ansieht, weil er auf der Suche nach einer ihm gefallenden Sendung ist. Ob es sich bei diesen Vorgängen um Dienstleistungen i. S. d. EWG-Vertrages handelt, hängt davon ab, welche Anforderungen man an das Aussehen der Leistungsbeziehung stellt. Insbesondere die Voraussetzungen der Entgeltlichkeil sind an dieser Stelle zu beachten. Im Rahmen des Herstellens einer Leistungsbeziehung kommt es zunächst darauf an, daß die Leistungen der Rundfunkveranstalter oder der Kabelbetreiber als Leistungserbringer, auch dann wenn sie an die ununterscheidbare Masse der Rezipienten leisten, zumindest von einigen Rezipienten empfangen werden 54 • 53 Im Grundsatz zutreffend Börner, ZUM 1985, S. 580, der aber in einer Sendung, die undifferenziert an alle Einwohner eines Gebietes ausgestrahlt wird, aufgrund seines aus hohen Anforderungen an die Entgeltlichkeil folgenden, engen Dienstleistungsbegriffs keine Dienstleistung sieht.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Die bloße Empfangbarkeit verwirklicht noch nicht eine Leistung 55 • Es bedarf des tatsächlichen Empfangs, der empirisch nicht mit völliger Gewißheit nachgewiesen werden kann. Mit ziemlicher Sicherheit läßt sichjedoch sagen, daß jeder Rundfunkveranstalter auch Rezipienten erreicht. Selbst wenn es nur wenige sind, erbringt er diesen eine Leistung. Ein unbestimmtes Potential an Leistungsempfangern ist dann als Endpunkt einer Leistungsbeziehung tauglich, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, daß einzelne aus diesem Potential die Leistung auch tatsächlich in Empfang nehmen. Für die Grenzüberschreitung genügt es, wenn zumindest einige Rezipienten in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind als der Leistungserbringer, dessen Leistung sie empfangen 56.

IV. Die Grenzüberschreitung in den einzelnen Leistungsbeziehungen Das Merkmal der Grenzüberschreitung ist von der Ansässigkeit der Beteiligten her zu verstehen. Die zuvor identifizierten Leistungen haben grenzüberschreitenden Charakter, wenn der Leistungserbringer oder der Leistungsempranger eine Grenze zwischen zwei Mitgliedstaaten überschreiten oder die Leistung selbst von dem in einem Mitgliedstaat ansässigen Erbringer zu dem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Empfanger übermittelt wird. Da bei der Ausstrahlung von Rundfunk die Leistung selbst, nämlich die Rundfunksendung, für die Grenzüberschreitung in Betracht kommt, muß der Frage nachgegangen werden, ob zumindest einige der Beteiligten an der jeweiligen Leistung in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind. Dieses Problem ist primär empirischer Natur. Das rechtliche Verständnis des Begriffs der Grenzüberschreitung gibt jedoch den Rahmen vor, innerhalb dessen die tatsächliche Beurteilung vorzunehmen ist. 54 Anders Deringer, ZUM 1986, S. 636, der in Auseinandersetzung mit Hörner eine Dienstleistung auch dann annehmen will, wenn die Leistung einer unbestimmten Zahl von Empfangern angeboten wird, ohne daß sie angenommen werden müßte; als Beispiel für seine Gleichung Leistungsangebot = Dienstleistung nennt Deringer Anzeigen in Illustrierten; Zweifel bestehen schon daran, ob die Leser von Anzeigen einen Vorteil haben und selbst wenn man den Vorteil in der Verbilligung der Illustrierten und damit dem Niedrighalten des Kaufpreises sieht, nehmen die Leser durch den Kauf der Illustrierten das Leistungsangebot doch an, die Leistungsbeziehung kommt also zustande. 55 So Schwartz, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 63; Grünbuch S. 109; vgl. die Definition grenzüberschreitenden Fernsehens in Art. 21 Abs. 4 des ursprünglichen Richtlinienvorschlags, ABL C 179, vom 17. 7. 1986, KOM (86) 146 endg. I 2, der auf die Empfangbarkeil abstellt. 56 Auch derEuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2131, Rn. 15, hält es im Zusammenhang mit der Grenzüberschreitung für ausreichend, wenn einige Leistungsempfanger, im französischen Wortaut "certains de ceux qui en beneficient", in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind.

D. Die Grenzüberschreitung

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Den typischen und in der Praxis besonders relevanten Leistungsbeziehungen ist besonderes Augenmerk zu schenken.

1. Rundfunkveranstalter-Rezipient Strahlt ein Rundfunkveranstalter von seinem Sitzstaat Sendungen aus, die von Rezipienten in einem anderen Mitgliedstaat empfangen werden, liegt eine grenzüberschreitende Leistung vor 57 • Dabei ist es sicherlich einfacher die Grenzüberschreitung festzustellen, wenn der Rundfunkveranstalter mit seinen Sendungen auf Zuschauer und Zuhörer in anderen Mitgliedstaaten abzielt 58• Die Absicht der Grenzüberschreitung ist aber kein notwendiges Merkmal des Art. 59 Abs. 1 EWGV. a) Ausstrahlung nur über Satelliten Der footprint eines Rundfunksatelliten nimmt auf die nationalen Grenzen der Mitgliedstaaten keine Rücksicht. Wer entsprechende Empfangsmöglichkeiten besitzt, kann die potentielle Internationalität des Satellitenfernsehens realisieren. Bei der Ausstrahlung von Rundfunksendungen über Rundfunksatelliten ist eine Grenzüberschreitung die RegeP9 • Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kann angenommen werden, daß das jeweilige Satellitenprogramm auch in anderen Mitgliedstaaten als dem Sendestaat Rezipienten findet. Das Gegenteil könnte allenfalls bei einem Verbot von Parabolantennen für Individuen oder sonstigen Beschränkungen der Empfangsmöglichkeiten der Fall sein. Solche Maßnahmen sind aber in keinem Mitgliedstaat der Gemeinschaft ersichtlich, von ihrer rechtlichen Zulässigkeit vor dem Hintergrund der Freiheiten des EWG-Vertrages und der Europäischen Menschenrechtskonvention einmal ganz abgesehen. Nach den Regelungen der W ARC 1977 ist zwar Satellitendirektfunk, der die nationalen Grenzen des Sendestaates überschreitet, nicht erlaubt. In der Realität gibt es dennoch über die Grenzen des Sendestaates hinausreichenden Satellitendirektfunk, einerseits infolge des spill over und andererseits weil die Leistungsfähigkeit der Empfangsanlagen laufend verbessert wird und dadurch auch schwächere Signale empfangbar werden. Der footprint des DBS deckt also nicht nur das Gebiet des Sendestaates ab. Modeme Empfangstechniken ermöglichen auch vielen Rezipienten, Signale von Fernmeldesatelliten aufzufangen. Infolge der weiterentwickelten Technik 57 Alt, Aktuelle Probleme, S. 141; vgl. Schwarze, in: ders., Fernsehen ohne Grenzen, S. 26 f.; Grünbuch, S. 106; Hohloch, ZUM 1986, S. 167. 58 Herrmann, GRUR, Int., 1984, S. 583; ders., ZUM 1985, S. 187. 59 Vgl. Roth, ZHR 149 (1985), S. 689.

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

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kann wohl auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der tatsächliche Einzelempfang von Rundfunkprogrammen vermutet werden, die durch Fernmeldesatelliten übertragen werden. Die Sprache, in der die Satellitenprogramme ausgestrahlt werden, spielt für die Grenzüberschreitung keine vorrangige Rolle. Zur Konstituierung einer Leistung reichen schon einige Leistungsempfänger aus. Und zumindest einige wenige Empfänger erreichen auch fremdsprachige Rundfunksendungen. Sprachliche Barrieren liegen beispielsweise in grenznahen Gebieten und bei im Ausland lebenden Angehörigen des Sendestaates besonders niedrig. Der Empfang von Programmen, die in einer für den Rezipienten nicht verständlichen Sprache ausgestrahlt werden, stellt ebenfalls den Empfang einer Leistung dar. Reine Satellitenprogramme, die gar nicht über terrestrische Frequenzen, sondern ausschließlich über Satellit senden, sind von ihrer Gestaltung und Struktur auf ein internationales Publikum ausgerichtet. Eine Unzahl von Video-Clips, Sportübertragungen, populäre Spielfilme, leicht verdauliche Serien, die häufig aus den USA stammen und deshalb sprachlich am ehesten international einsetzbar sind, stellen Programmbestandteile dar, welche das Publikum in vielen Mitgliedstaaten ansprechen. Solche reinen Satellitenprogramme sind auf Rezipienten in nicht nur einem, sondern mehreren Mitgliedstaaten gemünzt. Ihr grenzüberschreitender Charakter ist unschwer nachweisbar. Würden sie nicht auch von den Rezipienten angenommen, wären die Werbeeinnahmen, auf die diese Programme abzielen, nicht realisierbar. Aufgrund der gesteigerten Möglichkeit zu höheren Werbeeinnahmen geht es bei der Ausstrahlung mittels Satellit eher um Fernseh- als um Rundfunkprogramme. b) Ausstrahlung auch über Satelliten Rundfunkveranstalter, die neben terrestrischen Frequenzen auch mittels Satellit senden, haben nicht notwendig vorrangig die Absicht, Rezipienten in anderen Mitgliedstaaten zu erreichen. Infolge der potentiellen Internationalität des Satellitenrundfunks ist dies aber ausnahmslos der Fall. Von diesen Rundfunkveranstaltern ausgestrahlte Musik- oder Sportprogrammen wohnt die gleiche Internationalität inne wie derartigen Programmen reiner Satellitensender. Die in der Ausstrahlung der Sendungen zu sehende Leistung der Rundfunkveranstalter beinhaltet auch dann ein grenzüberschreitendes Element, wenn es sich um schwerpunktmäßig auf das Inland abzielende Programme handelt 60 • Denn 60

Ebenso Ipsen, Rundfunk, S. 523.

D. Die Grenzüberschreitung

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sie sind, wenn sie über Satelliten abgestrahlt werden, in anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft empfangbar und werden auch tatsächlich von zumindest einigen Angehörigen anderer Mitgliedstaaten empfangen. c) Ausstrahlung auf terrestrischem Wege Strahlt ein Rundfunkveranstalter seine Sendungen auf terrestrischem Wege aus, erbringt er all den Rezipienten eine Leistung, die die Sendungen empfangen. Wohnen einige der Rezipienten in einem anderen Mitgliedstaat als dem Sendestaat, ist die Leistung des Rundfunkveranstalters grenzüberschreitend. Der Unterschied zur Ausstrahlung über Rundfunksatellit liegt darin, daß mittels elektromagnetischer Wellen weniger potentielle Empfänger der Leistung erreicht werden können als über Satellit. Denn die Reichweite terrestrischer Sender ist im Vergleich zum Satelliten gering, eine flächendeckende, terrestrische Versorgung kann nur durch Füllsender gesichert werden. Terrestrisch ausgestrahlter Rundfunk vermag deswegen lediglich in grenznahen Gebieten die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten zu erreichen. Im Bereich der Verbreitungszonen Belgien, Luxemburg und Niederlande, an den Grenzen zwischen diesen Staaten und der Bundesrepublik Deutschland, zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, Frankreich und Italien, Irland und dem Vereinigten Königreich oder Portugal und Spanien, in alldiesen und weiteren Fällen können auch Rundfunkprogramme aus den Nachbarstaaten empfangen werden. Abhängig von der Reichweite der in Frage kommenden Rundfunksender erstrecken sich die möglichen Empfangszonen von der Grenze aus mehr oder weniger weit in den jeweiligen Nachbarstaat hinein. Gerade in den Grenzregionen ist das Interesse an den Rundfunksendungen des benachbarten Staates groß, wahrscheinlich sogar größer als sonst im Empfangsstaat In manchen Fällen werden spezielle Zusatzgeräte ins Fernsehgerät eingebaut, um etwa französische, im SECAM-System ausgestrahlte Fernsehsendungen mit einem auf das PAL-System eingestellten Fernsehgerät empfangen zu können 61 • Häufig bedarf es aber nicht einmal eines zusätzlichen Aufwandes, um auch Rundfunkprogramme der umliegenden Staaten empfangen zu können. Dies gilt noch stärker für Hörfunk- als für Fernsehprogramme. Einige Rezipienten finden die Rundfunkveranstalter mit ziemlicher Sicherheit auch in grenznahen Gebieten benachbarter Mitgliedstaaten. Damit ist ihre Leistung grenzüberschreitend 62 • 61 SECAM- und PAL-System sind unterschiedliche technische Arten der Übertragung von Farbfernsehen, PAL wird z. B. in der Bundesrepublik Deutschland, SECAM in Frankreich verwendet. 62 So auch das Grünbuch, S. 109.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag 2. Rundfunkveranstalter - aktiver Kabelbetreiber

Im Fall der Übermittlung von Rundfunkprogrammen vom Rundfunkveranstalter an einen aktiven Kabelbetreiber spielt die technische Form der Übermittlung im Hinblick auf die Beurteilung der Grenzüberschreitung keine Rolle. Der Kabelbetreiber fängt die Sendungen des Veranstalters häufig von Fernmelde- oder Rundfunksatelliten auf. Sie können ihm aber auch mittels terrestrischer Richtfunkstrecken oder Fernkabeln zugeleitet werden. Die Grenzüberschreitung wird durch die Leistung selbst realisiert, wenn der Kabelbetreiber in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist als der Rundfunkveranstalter63. Innerhalb dieser Leistungsbeziehung finden zwei Leistungen statt. a) Die Leistung des Rundfunkveranstalters Der Rundfunkveranstalter leistet an den Kabelbetreiber, indem er ihm seine Sendungen als Produkt einer Vielzahl von Tätigkeiten übermittelt 64 • Darin ist auch eine Leistung zu sehen, wenn der Kabelbetreiber die Programme von einem Satelliten auffängt und an die angeschlossenen Kabelkunden weitergibt, ohne daß ihn direkte, rechtliche Beziehungen mit dem Rundfunkveranstalter verbinden. Der Kabelbetreiber versucht, die Attraktivität seines Kabelnetzes zu erhöhen. Das gelingt ihm dadurch, daß er möglichst viele attraktive Programme möglichst vieler Rundfunkveranstalter anbietet. Eine Vielzahl von Programmen verschiedener Rundfunksender kann in Europa aber nicht nur aus einem Staat stammen. Der Kabelbetreiber hat also ein Interesse daran, auch Programme aus anderen europäischen Staaten als seinem Sitzstaat in das ihm zur Verfügung stehende Kabelnetz einzugeben. Der Rundfunkveranstalter wird zum Vorteil des Kabelbetreibers tätig und erbringt eine grenzüberschreitende Leistung, wenn er in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist. b) Die Leistung des Kabelbetreibers Der Kabelbetreiber erbringt gegenüber dem Rundfunkveranstalter eine Leistung, weil er dessen Sendungen an die mit dem Kabelnetz verknüpften Rezipienten weitergibt. Im Normalfall hat der Rundfunkveranstalter ein Interesse daran, daß seine Sendungen von Kabelbetreibern weitergegeben werden, weil er möglichst viele 63 Ipsen, Rundfunk, S. 523 f.; Hohloch, ZUM 1986, S. 168. 64 Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 26.

D. Die Grenzüberschreitung

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Rezipienten erreichen will. Dies gilt verstärkt für kommerzielle Veranstalter, die so ihre Werbeeinnahmen erhöhen können. Der Erfolg eines Programms öffentlich-rechtlicher Veranstalter wird häufig an den Zuschauer- bzw. Zuhörerzahlen, den Einschaltquoten, gemessen. Vorteile aus der Tätigkeit des Kabelbetreibcrs ziehen öffentlich-rechtliche organisierte Veranstalter weiterhin, wenn sie teilweise von Werbung leben. Die öffentlichrechtlichen Rundfunkveranstalter in der Gemeinschaft stehen in einer Konkurrenzsituation untereinander und mit den kommerziellen Sendern. Bei dem Kampf um Marktanteile ist die Präsenz in möglichst vielen Kabelnetzen durchaus von Bedeutung. Die Weiterverbreitung ihrer Programme durch einen Kabelbelreiber findet auch zugunsten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter statt und stellt daher eine Leistung dar. Grenzüberschreitend ist diese zweite Leistung dann, wenn Rundfunkveranstalter und Kabelbelreiber in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind. Der Kabelbetreiber gibt die Programme zwar an Rezipienten in dem gleichen Staat ab, in dem er ansässig ist. Doch die faktische Tätigkeit und ihre rechtliche Beurteilung sind zu unterscheiden. Die Übertragung der Sendungen stellt einerseits eine Leistung an die Rezipienten dar, andererseits leistet der Kabelbelreiber durch dasselbe faktische Handeln auch an den Rundfunkveranstalter 65 • Diese letztere Leistung realisiert sich nicht in der Ausstrahlung von Sendungen über eine Grenze hinweg. Sie besteht aber im Tätigwerden zum Vorteil eines anderen. Ist dieser andere in einem zweiten Mitgliedstaat ansässig, kommt der Leistung grenzüberschreitender Charakter zu.

3. Rundfunkveranstalter- passiver Kabelbetreiber Übermittelt der Rundfunkveranstalter seine Programme an einen passiven Kabelbetreiber, dann werden sie von diesem zeitgleich und unverändert an die Rezipienten weitergegeben, die an das Kabelsystem angeschlossen sind. Im Rahmen dieser Leistungsbeziehung spielen sich wie beim aktiven Kabelrundfunk zwei Leistungen ab. Der Rundfunkveranstalter zieht aus der Weiterübermittlung seiner Programme durch einen passiven Kabelbetreiber die gleichen Vorteile, die er auch bei der Übertragung durch einen aktiven Kabelbelreiber hat. Sein Interesse an einer möglichst weiten Verbreitung seiner Programme wird befriedigt. Mit den Tätigkeiten, die sich in der Weiterübermittlung bündeln, nimmt der passive Kabelbetreibereine Leistung zum Vorteil des Rundfunkveranstalters vor.

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Jarass, Gutachten, G 39, Rn. 55.

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

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Auch ein programmneutraler Kabelbetreiber hat regelmäßig ein Interesse daran, die Akzeptanz seiner Netze zu erhöhen. Die wirtschaftliche Rentabilität seiner Tätigkeit steigt mit der Anzahl der angeschlossenen Rezipienten. Der Kabelbetreiber erreicht umso mehr Zuschauer bzw. Zuhörer, je höher der Grad der Verkabelung ist. Der Anreiz für die Rezipienten, sich an ein Kabelsystem anzukoppeln, wächst mit der Attraktivität der durch dieses Kabelsystem übertragenen Programme. Die Attraktivität von Kabelnetzen wird gefördert, wenn sie viele verschiedene Programme anbieten können, was ausländische Programme einschließt und zur Befriedigung der Nachfrage sogar erfordern kann. Werden Programme von Rundfunkveranstaltern über Kabel weiterverbreitet, liegt der Nutzen auch aufseitendes Kabelbetreibers. Die Tätigkeit des Rundfunkveranstalters zum Vorteil des Kabelbetreibers ist eine Leistung i. S. d. EWGVertrages, und sie ist grenzüberschreitend, wenn der Rundfunkveranstalter in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist als der Kabelbetreiber.

4. Rundfunkveranstalter-Werbekunde Im Verhältnis des Rundfunkveranstalters zu den Werbekunden, deren Werbesendungen er ausstrahlt, findet nur eine Leistung statt. Der Rundfunkveranstalter leistet durch die Ausstrahlung der Werbesendungen an seine Auftraggeber, die den Vorteil haben, daß für ihr Produkt oder ihre Tätigkeit geworben wird 66 • Die Zahlungen des Auftraggebers an den Rundfunksender finden im Rahmen der Entgeltlichkeit Berücksichtigung. Der Rundfunkveranstalter TELEFERN sendet vom Sendestaat, dem Telestaat aus. Ist das Unternehmen oder die Organisation, die den Auftrag zur Ausstrahlung des Werbespots gegeben hat, im Telestaat ansässig, weist die Leistung des Runclfunkveranstalters nicht über die Grenze des Sendestaates hinaus. Falls TELEFERN Werbesendungen für einen Werbekunden aus einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft als dem Telestaat ausstrahlt, besitzt die Leistung von TELEFERN ein grenzüberschreitendes Element. Ein Interesse von Werbekunden aus anderen Mitgliedstaaten an Werbung in den Programmen eines Rundfunkveranstalters im Telestaat kann bestehen, wenn die Programme von TELEFERN auch im Sitzstaat des Werbekunden empfangbar sind. Oder aber der Werbekunde bietet seine Tätigkeit bzw. sein Produkt auch im Telestaat an und wirbt deshalb über den Rundfunkveranstalter mit dem Ziel, die Angehörigen des Telestaates zu erreichen. Die Werbung kann kommerziellen oder nicht kommerziellen Charakter tragen. Der Regelfall ist die Werbung von kommerziellen Wirtschaftsunternehmen für 66

Alt, Aktuelle Probleme, S. l4l.

D. Die Grenzüberschreitung

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ihre Produkte oder Tätigkeiten, in der Absicht, Umsatz und Gewinn zu erzielen und zu steigern. Werbung ohne Erwerbsabsicht stellt etwa die Werbung der Parteien vor innerstaatlichen Wahlen oder den Wahlen zum Europäischen Parlament dar. Ein besonderes Interesse an der Ausstrahlung in der gesamten Gemeinschaft hätte auch die Europäische Gemeinschaft selbst, wenn sie etwa eine Kampagne zur Europäisierung des Bewußtseins der Gemeinschaftsbürger starten und unter anderem auf das Mittel der Rundfunkwerbung zurückgreifen würde. Im Rahmen der Grenzüberschreitung spielt es keine Rolle, ob der Werbekunde die Angehörigen des eigenen Sitzstaates oder diejenigen des Sendestaates ansprechen will und ebensowenig ob die Werbung in Erwerbsabsicht oder aus anderer Motivation heraus gesendet werden soll. Wenn der Rundfunkveranstalter in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist als der Werbekunde und in dessen Auftrag Werbesendungen ausstrahlt, liegt eine grenzüberschreitende Leistung vor67,

5. Aktiver Kabelbelreiber-Rezipient In dem Dreiecksverhältnis zwischen Rundfunkveranstalter, Kabelbelreiber und Rezipient erfolgen mehrere Leistungen. Soweit die Leistungsbeziehung zwischen einem aktiven Kabelbelreiber und dem Rezipienten betroffen ist, liegt eine Leistung vor 68 • Der Kabelbelreiber KABELKOM gibt Rundfunksendungen in das ihm zur Verfügung stehende Kabelnetz ein und bringt sie so auf den Weg zum Rezipienten. Dieser verwirklicht die Leistung, indem er die in dem Kabelnetz angebotenen Sendungen tatsächlich empfangt. Zahlungen des Rezipienten an KABELKOM gehören in den Zusammenhang der Entgeltlichkeit. a) Ansässigkeil des Kabelbelreibers in einem anderen Mitgliedstaat als der Rezipient Ist der aktive Kabelbelreiber in einem anderen Mitgliedstaat ansässig als der Rezipient, gewinnt die Leistung grenzüberschreitenden Charakter 69. Diese Fallkonstellation kommt allerdings in der aktuellen Situation kaum vor. 67 Ebenso der EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2131, Rn. 14 und 15. 68 Roth, ZHR 149 (1985), S. 689. 69 Die Wahrnehmung selbständiger Programmfunktionen selbst will Degenhart, EuGRZ 1983, S. 214, zur Unterscheidung innerstaatlicher von grenzüberschreitenden Dienstleistungen heranziehen; aus der Sicht des EWG-Vertrages ist diese Konzeption mit den Voraussetzungen des Dienstleistungsbegriffes der Art. 59, 60 EWGV nicht vereinbar.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Die Kabelbetreiber unterliegen den Rechtsvorschriften des Staates, in dem sie ihren Sitz haben. Falls ein aktiver Kabelbetreiber öffentlich-rechtlich organisiert wäre, müßte er zusätzlichen Bindungen Rechnung tragen. Die Versorgung der Staatsangehörigen des Sitzstaates über Kabel hätte für solche Betreiber dann Vorrang. Private, vor allem auch kommerzielle Kabelbetreiber sind in der Regel Unternehmen nach dem innerstaatlichen Recht des Sitzstaates. Die entsprechenden innerstaatlichen Rechtsregeln geben ihnen einen Rahmen vor, den sie nicht überschreiten dürfen und der auch die Beschränkung auf die Weiterverbreitung an Rezipienten im Sitzstaat beinhalten kann. Praktische Schwierigkeiten ergeben sich, weil in der Regel noch keine Verbindungen der Kabelsysteme zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten bestehen. Eine Weiterleitung an Kabelrezipienten jenseits der Grenze erweist sich damit häufig als nicht realisierbar. Kabelstrecken in gemeinschaftsweiten Dimensionen sind vorstellbar, wenn es gelingt, ein europäisches ISDN und später dann IBFN aufzubauen. Auf dem Wege eines über die ganze Gemeinschaft verzweigten Netzes der Breitbandtelekommunikation wäre die Verbreitung von Rundfunkprogrammen nicht ausgeschlossen. Die Verwirklichung gemeinschaftsweiter, kabelgebundener Telekommunikationssysteme, die auch für Rundfunk geeignet sind, steht jedoch zumindest in nächster Zeit nicht zu erwarten. Wenn Kabelbetreiberaus anderen Mitgliedstaaten im Empfangsstaat Programme weiterverbreiten wollen, hat die Vergabe der technischen Kapazitäten unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts zu erfolgen. Unterstellt man den Fall, daß ein aktiver Kabelbetreiber Programme auch an Rezipienten in anderen Mitgliedstaaten verbreitet, dann kommt mit dem tatsächlichen Empfang dieser Programme durch die Rezipienten eine grenzüberschreitende Leistung zustande. Die Art. 52 ff. EWGV könnten Anwendung finden, weil der Kabelbetreiber kontinuierlich und auf längere Sicht Kabelnetze im Rezipstaat nutzt. Dann würden die Art. 59 ff. EWGV keine Wirkung entfalten, obwohl eine Grenzüberschreitung im Verhältnis zum Rezipienten vorläge 70• b) Ansässigkeit des Kabelbelreibers in demselben Mitgliedstaat wie der Rezipient In der Regel sieht der aktive Kabelbetreiber seine Aufgabe darin, Programme aus dem In- und Ausland an Kabelkunden in seinem Sitzstaat weiterzuverbreiten. 1o Zur Abgrenzung der Art. 52 ff. EWGV von den Art. 59 ff. EWGV EuGH Urt. v. 4. 12.1986, Rs. 205/84 (Versicherungsaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1988, S. 3755, S. 3801, Rn. 21 und 22; Goldman I Lyon-Caen, droit commercial europeen, No. 335 (S. 359- 360); Hübner, JZ 1987, S. 331-332.

D. Die Grenzüberschreitung

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Er verfügt über technische Anlagen, die für den einzelnen Rezipienten technisch wie finanziell sehr aufwendig sind. Wer eine Parabolantenne zur Verfügung hat, der wird sich kaum an ein Kabelnetz ankoppeln, da er bereits weitgehende Empfangskapazitäten besitzt. Deshalb kann der Kabelbetreiber seinen Kabelkunden Rundfunkprogramme anbieten, die sie sonst nicht empfangen könnten. Überträgt der Kabelbetreiber Rundfunksendungen aber lediglich an Rezipienten, die im gleichen Mitgliedstaat ansässig sind wie er, dann wohnt dieser Leistung kein grenzüberschreitendes Element inne.

6. Passiver Kabelbetreiber- Rezipient Die im Hinblick auf den aktiven Kabelbetreiber entwickelten Grundsätze gelten auch für die Leistung, die ein passiver Kabelbetreiber den Rezipienten erbringt. Sollte der Kabelbetreiber der Rechtshoheit eines bestimmten Mitgliedstaates unterstehen und an Rezipienten in einem anderen Mitgliedstaat Rundfunksendungen weiterverbreiten, wäre darin eine grenzüberschreitende Leistung zu sehen. Passiver Kabelrundfunk trägt aber noch stärker den Charakter, ein Service für die Kabelrezipienten im Sitzstaat des Kabelbetreibers zu sein. Im Regelfall ist der Kabelbetreiber in demselben Mitgliedstaat ansässig wie seine Kabelkunden. Dann fehlt es an der Grenzüberschreitung. Die Leistung eines Kabelbetreibers an Rezipienten in demselben Staat stellt einen innerstaatlichen Vorgang dar, der von den Art. 59 ff. EWGV nicht erfaßt wird. 7. Aktiver Kabelbetreiber -

Werbekunde

Die letzte auf ihre grenzüberschreitende Komponente zu untersuchende Leistungsbeziehung ist diejenige zwischen einem aktiven Kabelbetreiber und dessen Werbekunden. Der Kabelbetreiber leistet durch die Einspeisung der Werbesendungen des Kunden in das Kabelnetz, für das er verantwortlich zeichnet. Damit wird er zum Vorteil des Werbekunden tätig. Der werbetreibende Auftraggeber ist an der Verbreitung seiner Werbespots über das Kabelsystem des Betreibers interessiert, um die angeschlossenen Kabelkunden zu erreichen. Werbesendungen von Rundfunkveranstaltern ausstrahlen zu lassen, kann für den Werbetreibenden recht teuer sein. Abhängig ist dies vom Marktanteil und der Popularität des jeweiligen Senders 71 • Deshalb bietet die Eingabe in Kabelnetze 71 Laut Marianne Körber, in: SZ Nr. 66, vom 20. 3. 1990, S. 32, kostet eine Werbeminute beim ZDF im Durchschnitt 118 058 DM.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

an der Kopfstelle eine unter Umständen günstigere Möglichkeit, Werbesendungen an die Rezipienten heranzubringen. Das kann für regionale oder lokale Werbung eine große Rolle spielen, weil sich für nur auf begrenztem Raum tätige Unternehmen eine überregionale Werbung nicht lohnt. Mit den angeschlossenen Kabelkunden ist die erreichbare Gruppe ziemlich genau abgegrenzt, was sich für die Werbetreibenden als Vorteil erweisen kann, etwa um Markt- oder Akzeptanzstudien anfertigen zu lassen. Werbetreibende Unternehmen, die einen begrenzteren Adressatenkreis ansprechen wollen, werden oft in demselben Staat ansässig sein wie der aktive Kabelbetreiber. In solchen Fällen liegt keine Grenzüberschreitung vor. Wenn ein Werbekunde aus einem Mitgliedstaat einen Kabelbelreiber in einem anderen Mitgliedstaat mit der Ausstrahlung seiner Werbesendungen beauftragt, sieht die Beurteilung anders aus. Der Kabelbelreiber leistet an einen Leistungsempfänger in einem anderen Mitgliedstaat, damit erfolgt eine grenzüberschreitende Leistung.

E. Die Entgeltlichkeit Die bisher identifizierten, grenzüberschreitenden Leistungen sind Dienstleistungen gern. Art. 59, 60 EWGV, wenn sie i. S. d. Art. 60 Abs. 1 EWGV in der Regel gegen Entgelt erfolgen.

I. Typizität der Entgeltlichkeit Der Art. 60 Abs. 1 EWGV fordert nicht die Entgeltlichkeit jeder Leistung im Einzelfall. Die Leistung muß in der Regel entgeltlichen Charakter tragen. Auch falls eine konkrete Leistung nicht gegen Entgelt vorgenommen wurde, kann sie doch entgeltlich nach Art. 60 Abs. 1 EWGV sein, wenn derartige, grenzüberschreitende Leistungen typischerweise nur gegen Entgelt erbracht werden 72 • Im Rahmen des Erfordernisses der Entgeltlichkeil geht es also nicht um eine Einzelfallbeurteilung, sondern um das Feststellen einer Typizität. Ausnahmsweise unentgeltliche Leistungen sollen dann keinen Beschränkungen unterworfen werden dürfen, wenn derartige Leistungen eigentlich in der Regel gegen Entgelt erbracht werden 73 • Der Sinn der Vorschrift des Art. 60 Abs. 1 EWGV ist, unentgeltliche Tätigkeiten auszugrenzen, ohne daß Leistungserbrinn Ähnlich das Grünbuch, S. 107, das darlegt, Ausnahmen wie die Befreiung oder Nichterfassung bestimmter Kategorien von Leistungsempfängern änderten nichts an der Einbeziehung der Leistung in den freien Verkehr. 73 Vgl. dazu auch Bömer, ZUM 1985, S. 579.

E. Die Entgeltlichkeit

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ger, die eine typischerweise entgeltliche Tätigkeit unentgeltlich vornehmen, davon einen Nachteil haben. Bei der Beurteilung der Entgeltlichkeit von grenzüberschreitenden Leistungen ist auf die typische Gestaltung solcher Leistungen im faktischen und rechtlichen Verkehr zurückzugreifen. Nationale Besonderheiten treten hinter internationalen, wirtschaftlichen Gepflogenheiten zurück. Wenn Leistungen dieser Art üblicherweise gegen Entgelt erbracht werden, dann ist auch die konkret in Rede stehende Leistung entgeltlich. Dies gilt unabhängig davon, ob in der zu beurteilenden Fallgestaltung Zahlungen geleistet wurden oder nicht. Da diese Konstruktion auf das Erfassen von Ausnahmen abzielt, steht zunächst die Untersuchung des Regelfalls der tatsächlichen Entgeltlichkeit im konkreten Fall im Vordergrund. Erst wenn tatsächlich keine Zahlungen erfolgt sind, ist es notwendig, in einem zweiten Schritt auf die Typizität der Zahlungen in derartigen Fällen zurückzugreifen. II. Das Entgelt als Gegenleistung Mit dem Begriff der Zahlungen ist der Ansatz zur näheren Erläuterung der Entgeltlichkeit gemacht. Der Grundsatz ist, daß eine Leistung dann gegen Entgelt erbracht wird, wenn sie bezahlt wird 74• Damit ist aber noch nicht gesagt, welchen weiteren Erfordernissen die Leistung zu genügen hat, um entgeltlich zu sein. Entscheidend ist, ob das Entgelt als Gegenleistung der Leistung gegenüberstehen muß oder ob ein derartiges rechtliches oder auch nur wirtschaftliches dout-des Verhältnis vom Begriff der Entgeltlichkeit nicht gefordert wird. Die Notwendigkeit einer synallagmatischen Leistungsbeziehung würde den Dienstleistungsbegriff des EWG-Vertrages einengen und seinen Anwendungsbereich auf weit weniger Lebenssachverhalte beschränken als die Konstruktion, das Vorliegen einer Dienstleistung bereits zu bejahen, wenn nur in irgendeiner Form und von irgendjemandem für die Leistung gezahlt wurde.

I. Die Forderung eines synallagmatischen Vertrages Zugunsten des Erfordernisses eines gegenseitigen, privatrechtliehen Vertrages kann der Wortlaut des Art. 60 Abs. 1 EWGV ins Feld geführt werden. Das Wort Entgeltenhält in seinem zweiten Teil die Komponente der Zahlung. Der erste Wortteil wird dahin ausgelegt, eine Vergeltung, einen Zweck zu beinhal74

Grünbuch, S. 107.

7 Kugelmann

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

ten, der in der Erbringung einer Gegenleistung für die Dienstleistung besteht 75 • Das Entgelt stellt nicht mehr vorrangig ein Tatbestandsmerkmal der Dienstleistung gern. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV dar. Die Zahlung löst sich von der Dienstleistung, das Entgelt steht der Dienstleistung gegenüber. Um Leistung und Gegenleistung zu erbringen, bedarf es zweier Personen, die eine tritt als Leistender und Zahlungsempfänger in Erscheinung, die andere als Zahlender und Leistungsempfanger. Aus diesem Modell einer synallagmatischen Leistungsbeziehung folgt als Konsequenz, daß entgeltliche Dienstleistungen nur innerhalb eines gegenseitigen Vertrages erfolgen können 76. Die von Art. 60 Abs. 1 EWGV gemeinten Verträge können deshalb nur privatrechtliche und keine öffentlich-rechtlichen sein, weil der Gemeinsame Markt eine Befreiung des zwischenstaatlichen Privatrechtsverkehrs von öffentlich-rechtlichen Beschränkungen beabsichtigt und daher auch der Dienstleistungsverkehr lediglich Tätigkeiten erfaßt, die auf der Grundlage des Privatrechts erfolgen. Der Begriff der Dienstleistung kann öffentlich-rechtliche Verträge allenfalls ausnahmsweise beinhalten, wenn sie nämlich Aufgaben privatrechtliehen Charakters wahrnehmen 77 • Zahlungen von Gebühren fallen demzufolge regelmäßig nicht unter den Dienstleistungsbegriff des EWG-Vertrages. Die Formulierung, daß die Leistung laut Art. 60 Abs. 1 EWGV nur in der Regel entgeltlich zu sein braucht, bezieht sich auf Ausnahmen. Mit ihr werden die Fälle erfaßt, in denen eine typischerweise entgeltliche Leistung unentgeltlich erbracht wird. Nach dieser Konzeption dient das Merkmal der Entgeltlichkeit dazu, den Anwendungsbereich des Art. 60 Abs. 1 EWGV auf grenzüberschreitende Leistungen zu beschränken, die auf der Basis privatrechtlicher Verträge erbracht werden. Besteht kein Vertrag oder ist die vertragliche Leistungsbeziehung öffentlich-rechtlicher Natur, liegt keine entgeltliche Leistung vor.

2. Die Forderung nach irgendeiner Bezahlung Der Begriff der Entgeltlichkeit entfaltet keine so weitgehende, einschränkende Wirkung, wenn seine Aussagekraft darauf eingeengt wird, lediglich die Notwendigkeit einer Bezahlung der Leistung herauszustellen 78 • Dieser Konstruktion zufolge ist es unerheblich, ob die Zahlung aus dem Vorgang der Grenzüberschreitung folgt. Ebensowenig von Bedeutung ist, ob der Leistungsempranger selbst zahlt. 1s Bömer, ZUM 1985, S. 578. 76 Bömer, ZUM 1985, S. 578, der als Vorbild von den§§ 320 ff. des bundesdeutschen Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ausgeht; ihm folgend Koszuszeck, ZUM 1989, S. 546. 77 Bömer, ZUM 1985, S. 579. 78 Grünbuch, S. 107.

E. Die Entgeltlichkeit

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Art. 60 Abs. 1 EWGV macht keine genaueren Angaben über die Ausgestaltung der Leistungsbeziehung. Deshalb spielt es keine Rolle, wer für die Erbriogong der Leistung zahlt, Hauptsache ist, daß überhaupt ein Entgelt entrichtet wird 79. Aus der Einbeziehung freiberuflicher Tätigkeiten in Art. 60 Abs. 2lit. d EWGV ergibt sich, daß der Begriff des Entgelts nicht notwendig auf Gewinn oder Gewinnerzielungsabsicht abhebt. Zwischen Leistungsempranger und Leistungserbringer muß auch kein rechtliches oder wirtschaftliches Verhältnis bestehen. Eine Gebühr oder eine Zuweisung aus öffentlichen Mitteln, die einer Gebühr entspricht, stellen ebenso ein Entgelt dar wie eine Zahlung aufgrundeines privatrechtlichen Vertrages 80•

3. Die Forderung nach einer Gegenleistung Der Art. 60 Abs. 1 EWGV erstreckt den Anwendungsbereich der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr auf in der Regel gegen Entgelt erbrachte Leistungen und schließt damit unentgeltliche Leistungen aus. Von dieser Grundposition aus kann das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bestimmt werden. a) Die Beschreibung der Leistungsbeziehung Das Merkmal der Entgeltlichkeit dient zur genaueren Beschreibung der Leistungsbeziehung. Zunächst steht die Feststellung der Beteiligten im Vordergrund. Die Identifizierung von Leistungserbringer und Leistungsempranger findet im Rahmen der Suche nach der Leistungsbeziehung statt. Die Leistungsbeziehung kann eine oder mehrere Leistungen beinhalten. Nachdem diese festgestellt sind, können sie auf ihren grenzüberschreitenden Charakter hin untersucht werden. Die Entgeltlichkeit kennzeichnet die nähere Ausgestaltung der vorher festgestellten, grenzüberschreitenden Leistungsbeziehung. Die Formulierung "in der Regel" führt dazu, bei Zweifelsfällen im Rahmen der Entgeltlichkeit auf die typische Struktur der Leistungsbeziehung abzustellen und nicht auf den konkreten Einzelfall. Die Anforderungen des Begriffs der Entgeltlichkeit sind vor dem Hintergrund des Art. 60 Abs. 2 EWGV zu beurteilen. Art. 60 Abs. 2 EWGV führt beispielhaft Dienstleistungen auf. Gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten werden vom EWG-Vertrag als in der Regel entgeltlich bewertet. 79 Schwartz, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 61-63; lpsen, Rundfunk, S. 525. 80 Grünbuch, S. 106-107.

7*

100

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Gemeinsam ist diesen Tätigkeiten, daß sie im wirtschaftlichen Verkehr vorkommen, selbständig ausgeübt werden und zur Erzielung von Einnahmen dienen 8 1• Insbesondere diese, aber auch andere Tätigkeiten stellen Dienstleistungen i. S. d. Art. 60 EWGV dar, wenn als Mindestvoraussetzung für ihre Erbringung ein Entgelt entrichtet wird. b) Leistungsbeziehungen öffentlich-rechtlichen Charakters Die bloße Zahlung allein reicht zur Konstituierung der Entgeltlichkeit jedoch nicht. Die Formulierung des Art. 60 Abs. 1 EWGV, wonach es sich um eine Leistung gegen Entgelt handeln muß, deutet auf eine Verknüpfung von Leistung und Entgelt hin. Im Rahmen der Leistungsbeziehung repräsentiert das Entgelt die Gegenleistung für die Leistung. Damit wird aber nicht zwingend die Behauptung gestützt, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung müsse auf einem gegenseitigen, privatrechtliehen Vertrag beruhen. Der Grund für das Erbringen einer Leistung könnte auch im Bestehen einer Abgabe, Gebühr oder sonstigen Zahlung auf öffentlich-rechtlicher Basis liegen. Der EWG-Vertrag hält im Zusammenhang mit Vorgängen öffentlich-rechtlichen Charakters einige besondere Vorschriften bereit. Im Kontext der Normen über den freien Dienstleistungsverkehr sind das vor allem die Art. 55 und 90 EWGV. Art. 90 EWGV ist keine Iex specialis für öffentliche Unternehmen, sondern verdeutlicht, daß die Vorschriften des EWG-Vertrag grundsätzlich auch für öffentliche oder privilegierte Unternehmen gelten 82 • Art. 90 Abs. 1 EWGV bezweckt, durch weitgehende Gleichbehandlung öffentlicher und privater Unternehmen den grundsätzlich freien Wettbewerb aller Unternehmen in der Gemeinschaft zu gewährleisten 83 • Nur auf Tätigkeiten, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, finden gern. Art. 55 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV die Vorschriften über den Dienstleistungsverkehr keine Anwendung. Die Tatsache, daß Art. 55 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV es für notwendig hält, die Anwendung der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr ausdrücklich auszuschließen, läßt den 81 Vgl. Grünbuch, S. 106, wo zunächst aus der Erwähnung freiberuflicher Tätigkeiten darauf geschlossen wird, daß Leistungen gegen Entgelt zwar die Erzielung von Einnahmen, nicht aber die Erzielung möglichst hoher Gewinne voraussetzen, daraus wird aber gefolgert, Entgelt schließe nicht notwendig Gewinn ein; weil es nicht um Gewinnmaximierung geht, soll eine Gewinnerzielungsabsicht überhaupt nicht notwendig sein, diese Folgerung überzeugt nicht. 82 Überzeugend Marenco, CMLRev., Vol. 20, 1983, S. 498-499. 83 Pemice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 2, 3, 6; Marenco, CMLRev., Vol. 20, 1983, S. 512.

E. Die Entgeltlichkeil

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Gegenschluß zu, daß mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbundene Tätigkeiten nicht von vornherein aus dem Dienstleistungsbegriff herausfallen 84• Die den Art. 59 ff. EWGV unterliegenden öffentlichen Unternehmen haben demnach nicht nur dann die Grundsätze des EWG-Vertrages zu beachten, wenn sie sich privatrechtlicher Handlungsformen bedienen, sondern bis zur Grenze des Art. 55 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV auch, wenn sie auf der Grundlage des öffentlichen Rechts ihres jeweiligen Sitzstaates tätig werden. Der Sinn dieser Konstruktion ist es, der Verwaltung oder den öffentlichen Unternehmen die Möglichkeit zu verbauen, sich durch die Wahl einer öffentlichrechtlichen Handlungsform der Anwendung der Art. 59 ff. EWGV zu entziehen. Der Dienstleistungsbegriff des EWG-Vertrages erfaßt öffentlich-rechtliche Entgelte immer dann, wenn im konkreten Fall ein privatrechtliches Entgelt die gleiche Funktion hätte erfüllen können 85 • Wenn eine gesetzliche Krankenversicherung mit Sitz in einem Mitgliedstaat Leistungen an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Versicherten erbringt, dann hat dieser sein Entgelt in Form von öffentlich-rechtlichen Beiträgen erbracht, um das Anrecht auf die Leistung zu erhalten. Die Leistung des Versicherungsträgers an den Versicherten ist eine Dienstleistung gern. Art. 60 Abs. 1 EWGV 86• Denn wie die Existenz privater Krankenversicherungen zeigt, ist die Leistungsbeziehung auch auf der Grundlage einer privatrechtliehen Vereinbarung vorstellbar. Der Geltungsanspruch der Art. 59 ff. EWGV erstreckt sich auch auf Beziehungen des öffentlichen Rechts. Das Merkmal der Entgeltlichkeit klammert Leistungsbeziehungen, die nicht auf privatrechtliehen Verträgen beruhen, nicht aus dem Dienstleistungsbegriff aus. Die aus Art. 60 Abs. 1 EWGV folgende Funktion der Art. 59 ff. EWGV als Auffangtatbestand deutet ebenfalls auf einen weiten, auf privatrechtliche Leistungen nicht beschränkten Anwendungsbereich hin. Der Art. 60 Abs. 2 EWGV widerspricht dieser Feststellung nicht. Die Beispiele des Art. 60 Abs. 2 EWGV betreffen selbständige Tätigkeiten, die im Wirtschaftsverkehr mit der Absicht vorgenommen werden, Einnahmen zu erzielen. Die Verfolgung eines Erwerbszwecks 87 ist auf der Basis des öffentlichen ebenso wie auf der Grundlage des privaten Rechts möglich. Staatsangehörige

84 So Seidel, in: GS Sasse, Bd. II, S. 362 f., für schlicht hoheitliche Betätigungen; ihm folgend Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 60, Rn. 9. 85 Vgl. Seidel, in: GS Sasse, Bd. II, S. 362 f.; Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 60, Rn. 9; selbst Bömer, ZUM 1985, S. 579 nimmt für eine derartige Konstellation eine Ausnahme von seiner ansonsten rein privatrechtliehen Konstruktion an. 86 Vgl. Deringer, ZUM 1986, S. 635.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

anderer Mitgliedstaaten dürfen von der Benutzung eines öffentlichen Schwimmbades nicht ausgeschlossen werden, gleich ob der mit der Lösung der Eintrittskarte abgeschlossene Vertrag öffentlich-rechtlichen oder privatrechtliehen Charakter hat 88 • c) Das Entgelt als Gegenleistung Gebühren oder Beiträge verkörpern Entgelte gern. Art. 60 Abs. 1 EWGV, wellll sie Gegenleistungen für die Erbringung der jeweiligen Leistung darstellen 89. Diese Gegenleistung in Form des Entgelts muß zur Begleichung der Kosten für die Leistungserbringung zumindest beitragen, braucht aber die Kosten nicht voll abzudecken 90.

Eine grenzüberschreitende Leistung ist entgeltlich, wenn das Entgelt die mindestens teilweise Gegenleistung für die Leistung darstellt 91 • Die Zahlung muß illllerhalb der Leistungsbeziehung stattfinden. Der Begriff der Entgeltlichkeil engt den Dienstleistungsbegriff nicht auf privatrechtliche Leistungsbeziehungen ein. Auch auf dem öffentlichen Recht beruhende Leistungsbeziehungen köllllen Dienstleistungen nach Art. 60 Abs. 1 EWGV sein. Das Sachgebiet des Rundfunks bietet Anschauungsbeispiele für die Anwendung des erarbeiteten Begriffs der EntgeltlichkeiL Die bereits identifizierten, grenzüberschreitenden Leistungen müssen auf ihre Entgeltlichkeil hin abgeklopft werden. Bevor dies geschehen kaiUl, ist noch zu klären, ob die Entgeltlichkeit und die Grenzüberschreitung in ein und demselben Vorgang zusammenfallen müssen oder nicht. Von der Antwort auf diese Frage hängt für eine Reihe von Leistungen im Zusammenhang mit der Ausstrahlung von Rundfunk die Qualifizierung als Dienstleistungen i. S. d. Art. 60 EWGV ab.

87

Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV,

Art. 60, Rn. 3 und Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 60, Rn. 8, setzen die Entgeltlichkeit mit dem Verfolgen eines Erwerbszwecks gleich.

88 Das Beispiel stammt von Börner, ZUM 1985, S. 579, der diesen Fall zu den Ausnahmen vom grundsätzlich privatrechtliehen Charakter der von den Art. 59 ff. EWGV erfaßten Verträge zählt. 89 Jarass, EuR 1986, S. 78. 90 Steindorff, RIW 1983, S. 837; Jarass, Gutachten, G 38, Rn. 53. 91 Vgl. EuGH Urt. v. 27. 9.1988, Rs. 263186 (Humbel), Slg. 1988, S. 5365, S. 5388, Rn. 17.

F. Das Verhältnis von Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit

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F. Das Verhältnis von Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit Wenn es lediglich zwei Beteiligte gibt, kann nur in der Leistungsbeziehung zwischen ihnen die Verwirklichung der Merkmale des Dienstleistungsbegriffs vor sich gehen. Bei mehreren Beteiligten existieren mehrere Leistungsbeziehungen und damit mehr Möglichkeiten zur Ausdifferenzierung der Erbringung und des Empfangs einer Dienstleistung. Die unterschiedlichen Konstellationen bei Zweier- bzw. Mehrecksbeziehungen gewinnen im Zusammenhang von Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeil Bedeutung.

I. Dienstleistungen im Zweierverhältnis Sind an einer Leistungsbeziehung nur zwei Parteien beteiligt, verkörpert der eine Beteiligte den Leistungserbringer und der andere Beteiligte den Leistungsempfänger. Falls die beiden in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind, liegt eine grenzüberschreitende Leistung vor. In diesem Grundfall hat nur der Empfänger des Vorteils ein Interesse daran, für die Erbringung der Dienstleistung zu zahlen. Sonst würde er sie nämlich nicht erhalten. Und er zahlt an den Erbringer, weil dieser ansonsten die Dienstleistung nicht vornehmen würde. Im Rahmen dieser Dienstleistung im Zweierverhältnis wird die Leistung gegen Entgelt erbracht. Es besteht ein gegenseitiges Austauschverhältnis zumindest wirtschaftlicher, meist aber auch rechtlicher Art. Eine Schiene, auf der Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit realisiert werden können, besteht nur zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger. Die Leistung überquert die Grenze von dem Sitzstaat ihres Erbringers zu dem Mitgliedstaat, in dem ihr Empfänger ansässig ist. Das Entgelt als Gegenleistung wird in der entgegengesetzten Richtung transferiert, vom Empfänger zum Erbringer. Ein dänischer Wirtschaftsprüfer, der im Auftrag eines irischen Unternehmens dessen Bilanzen überprüft, erbringt diesem Unternehmen eine grenzüberschreitende Dienstleistung. Dafür zahlt das irische Unternehmen dem dänischen Wirtschaftsprüfer ein Entgelt, was für derartige Leistungen typisch ist. Das grenzüberschreitende Element der Leistung und die Komponente der Entgeltlichkeil finden beide in der Leistungsbeziehung zwischen Erbringer und Empfänger der Leistung statt.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

II. Dreiecks- und Mehrecksbeziehungen Schwierigkeiten ergeben sich, wenn ein dritter Beteiligter in die Leistungsbeziehung eintritt. Der Dritte steht entweder in Kontakt mit dem Leistungsempfänger oder mit dem Leistungserbringer. Er wirkt im Interesse des Erbringers auf den Empfänger ein, die Leistung anzunehmen oder bewegt im Interesse des Empfängers den Erbringer zur Vomahme der Leistung. Damit eröffnet sich neben der Verbindung zwischen Empfänger und Erbringer der Leistung eine weitere Schiene, auf der die Zahlung für die Leistung vorgenommen werden kann. Dadurch können Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit auseinanderfallen. Wird der dänische Wirtschaftsprüfer nicht von dem Unternehmen in Irland bezahlt, sondern von einem ebenfalls in Dänemark ansässigen Auftraggeber, dann liegt eine Grenzüberschreitung zwar im Hinblick auf die Leistung des Wirtschaftsprüfers an das irische Unternehmen vor. Die Zahlung eines Entgelts ereignet sich dann aber innerhalb Dänemarks zwischen dem Leistungserbringer und dem Auftraggeber. Dieser Auftraggeber kann ein internationaler Konzern sein, zu dem das irische Unternehmen im Verhältnis eines selbständigen Tochterunternehmens steht. In dieser Konstellation bestehen Leistungsbeziehungen zwischen dem auftraggebenden Konzern und dem Wirtschaftsprüfer einerseits und dem Wirtschaftsprüfer und dem Leistungsempfänger andererseits. In der einen Leistungsbeziehung erfolgt die Grenzüberschreitung, in der anderen die Zahlung. Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit treffen sich nicht in demselben Vorgang. Im Zusammenhang mit der Ausstrahlung von Rundfunk ist der Modellfall die Ausstrahlung einer Sendung durch einen Rundfunkveranstalter und die Weiterverbreitung dieser Sendung durch einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Kabelbetreiber an die dort ansässigen Rezipienten. Da regelmäßig der Rezipient an den Kabelbetreiber zahlt, die Grenzüberschreitung aber in der zweiten Leistungsbeziehung zwischen Rundfunkveranstalter und Kabelbetreiber stattfindet, entscheidet die Antwort auf die Frage, ob Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit zusammenfallen müssen über das Vorliegen einer oder mehrerer Dienstleistungen gern. Art. 60 Abs. l EWGV. 1. Zwei Leistungen im Dreiecksverhältnis Im Fall der Annahme von zwei Leistungen, nämlich einer Leistung des Rundfunkveranstalters an den Kabelbetreiber durch die Ausstrahlung der Sendung und einer Leistung des Kabelbetreibers an die Rezipienten durch die Weiterverbreitung der Sendung, kommt im Ergebnis keine Dienstleistung zustande. Die

F. Das Verhältnis von Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit

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Leistung des Rundfunkveranstalters ist grenzüberschreitend, aber nicht entgeltlich, die Leistung des Kabelbetreibers ist entgeltlich, aber nicht grenzüberschreitend92. Im Fall des dänischen Wirtschaftsprüfers sind die Leistungen entsprechend zu beurteilen. Die Leistung des Wirtschaftsprüfers an den irischen Empfänger ist nicht entgeltlich lind die Leistung des Auftraggebers mit Sitz in Dänemark an den Wirtschaftsprüfer nicht grenzüberschreitend.

2. Eine Leistung im Dreiecksverhältnis Sieht man dagegen bei diesen Fallgestaltungen nur eine Leistung des Auftraggebers an den Leistungsempfanger, trägt diese Leistung grenzüberschreitenden und entgeltlichen Charakter 93 . Diese Konzeption trennt zwischen den Erfordernissen, die Art. 60 EWGV aufstellt und denen des Art. 59 Abs. 1 EWGV. Art. 60 Abs. 1 EWGV verlangt, daß für die Leistung überhaupt ein Entgelt gezahlt wird. Die Voraussetzung des Vorliegens eines grenzüberschreitenden Elements ist allein in Art. 59 Abs. 1 EWGV verankert. Beide Merkmale stehen in keinerlei Zusammenhang. Für die Leistung des Rundfunkveranstalters, die Ausstrahlung der Sendung, wird ein Entgelt bereits in seinem Sitzstaat entrichtet. Die dortigen, inländischen Rezipienten zahlen an den Rundfunkveranstalter für die Ausstrahlung. Der noch fehlende grenzüberschreitende Bezug wird über den Empfang der Sendung durch die Rezipienten in dem anderen Mitgliedstaat hergestellt. Da sich dieses Erfordernis aus dem Art. 59 Abs. 1 EWGV ergibt, muß es nicht mit der Zahlung des Entgelts verknüpft sein. Die Kabelgesellschaft und deren Zuschauer und Zuhörer sind in einem anderen Mitgliedstaat ansässig als der Rundfunkveranstalter. Damit besteht eine Grenzüberschreitung. Die Kombination des Entgelts durch die inländischen Rezipienten mit der über die ausländischen Rezipienten und den Kabelbelreiber konstruierten Grenzüberschreitung ergibt eine einzige Dienstleistung i. S. d. EWG-Vertrages 94 . 92 So die Radio Television beige de Ia Communaute fran~aise (RTBF) als Verfahrensbeteiligte in: EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 842; im Hinblick auf die Entgeltlichkeit begründen in ähnlicher Weise ihre Auffassung einige Verbrauchervereinigungen als Verfahrensbeteiligte, ebd., S. 844; zur Darstellung dieser Auffassung auch das Grünbuch, S. 110. 93 GA Wamer, in: EuGH Urt. v. 18.3. 1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 876; Schwartz, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 66. 94 Grünbuch, S. 111-112; die Kommission als Verfahrensbeteiligte in: EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 62/79 (Coditel I), Slg. 1980, S. 881, S. 889 - 890; im Ergebnis entsprechend, aber mit anderer Begründung Ipsen, Rundfunk, S. 526-527, der argumentiert, es müsse eine grenzüberschreitende Dienstleistung angenommen werden, weil eventuelle Beschränkungen, die der Empfangsstaat dem Kabelbetreiber auferlegt, auch den eigentli-

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Diese Gleichung geht im Fall des dänischen Wirtschaftsprüfers auf, wenn die Leistung, die er über die Grenze hinweg dem Empfänger erbringt, auch bezahlt wird. Da der Auftraggeber gerade das Entgelt für diese Leistung entrichtet, funktioniert die Konstruktion. In der Leistung des Auftraggebers an den Empfänger über den Wirtschaftsprüfer als Mittler ist eine entgeltliche, grenzüberschreitende Leistung zu sehen.

3. Der Zweck der Zahlung innerhalb der Leistungsbeziehung Die Konzeption, die ein Zusammenfallen von Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit fordert, hat einen richtigen Kern, isoliert aber die in Rede stehende Leistung von ihrem Umfeld. Die Konzeption, die nur eine einzige Leistung sieht, geht zu wenig von der konkreten Leistung aus und rechnet Merkmale aus Leistungsbeziehungen zu, die von der zu untersuchenden Leistung vollständig unabhängig sind. a) Kritik an der Annahme einer einzigen Leistung Die strikte Trennung des Art. 60 Abs. 1 EWGV von Art. 59 Abs. 1 EWGV ist nicht durchzuhalten. In Art. 60 Abs. 1 EWGV wird die Notwendigkeit einer Grenzüberschreitung zwar in der Tat nicht deutlich. Schon in Art. 60 Abs. 3 EWGV kommt das grenzüberschreitende Element jedoch zum Vorschein. Der Dienstleistungserbringer darf nach dieser Vorschrift seine Tätigkeit in dem Staat, in dem die Leistung erbracht wird, unter den Voraussetzungen, die dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt, vorübergehend ausüben. Das setzt voraus, daß der Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist. Zur Erbringung seiner Dienstleistung muß er in den anderen Mitgliedstaat wechseln, die Grenze überschreiten. Schon deshalb kann die in Art. 60 Abs. 1 EWGV festgeschriebene Entgeltlichkeit nicht völlig von der Grenzüberschreitung getrennt werden. Denn sie ist außer in Art. 59 Abs. 1 EWGV auch in derselben Vorschrift niedergelegt wie das Erfordernis der Entgeltlichkeit, in Art. 60 EWGV. Die Notwendigkeit einer Grenzüberschreitung wird in Art. 59 Abs. 1 EWGV dadurch signalisiert, daß Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, aufgehoben werden sollen. Sind Leistungserbringer und Leistungsempfänger in demselben Mitgliedstaat ansässig, widersprechen Beschränkungen der Leistungserbringung nicht dem EWG-Vertrag, Art. 59 Abs. 1 EWGV ist nicht eben Rundfunkveranstalter in dem anderen Mitgliedstaat träfen und andernfalls mangels Erfassung durch das Gemeinschaftsrecht nicht verhindert werden könnten.

F. Das Verhältnis von Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit

107

anwendbar. Das gilt auch dann, wenn es sich um eine entgeltliche Leistung nach Art. 60 EWGV handelt. Der Dienstleistungsbegrif des EWG-Vertrages ergibt sich aus Art. 60 und Art. 59 Abs. 1 EWGV 95 • Die Annahme einer einzigen Leistung bei Beteiligung mehrerer geht von zwei verschiedenen Teilen der Leistung aus, die sie durch die Zurechnung eines Merkmals von dem Teil, in dem es vorhanden ist, zu dem Teil, in dem es nicht vorhanden ist, verknüpft. Die Rezipienten im Inland zahlen dem Rundfunkveranstalter für die Ausstrahlung der Sendung ein Entgelt. Das so gefundene Merkmal der Entgeltlichkeit wird auf die Leistung, die der Rundfunkveranstalter an einen Kabelbetreiber in einem anderen Mitgliedstaat erbringt, angerechnet. Die in der Ausstrahlung der Sendung bestehende Leistung ist schon in dem Moment entgeltlich, in dem sie die Grenze überschreitet, um den Kabelbetreiber und dann die dortigen Rezipienten zu erreichen 96• Eine Leistung, für die irgendjemand zahlt, wird nach dieser Konzeption zu einer Dienstleistung nach dem EWG-Vertrag, wenn sie nur zu einem beliebigen Zeitpunkt die Grenze überschreitet. Das Verhältnis der Beteiligten an der Leistungsbeziehung zueinander spielt dabei keine Rolle. Eine Differenzierung zwischen den vorhandenen Leistungen in einer Leistungsbeziehung drängt sich bereits von der faktischen Ebene her auf. Die inländischen Rezipienten zahlen nur für die an sie erfolgende Übermittlung von Rundfunksendungen, nicht für die Übermittlung ins Ausland, schon gar nicht für die Übermittlung an einen dortigen Kabelbetreiber. Die Leistungsbeziehung des Rundfunkveranstalters zu den Rezipienten in seinem Sendestaat ist von derjenigen zu den Rezipienten und Kabelbetreibern in einem anderen Mitgliedstaat zu unterscheiden. Nur wenn innerhalb dieser grenzüberschreitenden Leistungsbeziehung auch das Merkmal der Entgeltlichk:eit verwirklicht wird, liegt eine Dienstleistung gern. Art. 59 Abs. 1, 60 Abs. 1 EWGV vor 97 • Der Vorschlag, bei Dreiecksbeziehungen nur eine einheitliche Dienstleistung anzunehmen, ist eine unzulässige Vereinfachung der komplexen Vorgänge. Die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr tragen komplizierten Sachverhalten durchaus Rechnung. Voraussetzung ist eine differenzierende Betrachtung der im konkreten Fall bestehenden Leistungsbeziehungen.

Roth, ZHR 149 (1985), S. 686. Vgl. das Grünbuch, S. 111. 97 Im Grundsatz ebenso Roth, ZHR 149 (1985), S. 686, der die Auslegung des Grünbuchs als ,,kaum überzeugend" qualifiziert. 95

96

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag b) Kritik an der durchgängigen Annahme von zwei Leistungen

Daran fehlt es auch bei der Konzeption, die Dreiecksbeziehungen einfach als die Kumulation von zwei Leistungen auffaßt. Isoliert man aus einem Geflecht von Leistungsbeziehungen jeweils eine, fällt es in der Tat häufig schwer, in ihr alle Voraussetzungen einer Dienstleistung i. S. d. EWG-Vertrages erfüllt zu finden. Wenn die Grenzüberschreitung und die Entgeltlichkeit zusammenfallen sollen, muß der grenzüberschreitende Vorgang als solcher entgeltlich sein98 • Dann gewinnt die Identifikation des grenzüberschreitenden Vorgangs entscheidende Bedeutung. Für diese Identifikation müssen alle bestehenden Leistungsbeziehungen herangezogen und dann auch die in der Leistungsbeziehung existierenden Querverbindungen berücksichtigt werden, ohne alle Leistungen über einen Kamm zu scheren. c) Die Leistungsbeziehung in ihrer Gesamtheit und die zentrale Rolle des Leistungserbringers Die Leistungsbeziehung sollte in ihrer Gesamtheit gesehen werden. Der Begriff der Leistungsbeziehung kennzeichnet die Gesamtheit der Vorgänge, den Rahmen, in dem sich die Leistung im engeren Sinne vollzieht. Wenn eine Leistung identifiziert wird, müssen ihr Erbringer und ihr ErnpHioger nicht zwangsläufig auch die einzigen Beteiligten der Leistungsbeziehung sein. In diesem Punkt zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zwischen Zweierund Dreierverhältnissen. Gibt es nur zwei Beteiligte, kommen lediglich sie als Eckpunkte der Schiene in Betracht, auf der Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit laufen können. Im Fall von drei Beteiligten an der Leistungsbeziehung kommen dafür zwei oder drei Schienen in Frage. Falls der dänische Wirtschaftsprüfer dem irischen Unternehmen im Auftrag eines dänischen Konzerns die Bücher und Bilanzen prüft, hat diese Leistung grenzüberschreitenden Charakter. Bezahlt wird sie nicht vom eigentlichen Leistungsempfänger, sondern von einem Dritten, dem in Dänemark ansässigen Auftraggeber. Würde der eigentliche Leistungsempfänger aus Irland bezahlen, fielen also Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit im Rahmen einer Zweierbeziehung zusammen, läge jedenfalls eine Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV vor. Der Unterschied besteht also darin, daß nicht der Leistungsempfänger, sondern der Auftraggeber, der in demselben Mitgliedstaat ansässig ist wie der Leistungserbringer, die Leistung bezahlt. 98

Jarass, EuR 1986, S. 80.

F. Das Verhältnis von Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit

109

Die Verknüpfung wird in der Gestalt des Leistungserbringers hergestellt. Art. 59 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 60 Abs. 3 EWGV streichen die wesentliche Bedeutung des Leistungserbringers im Rahmen der Leistung heraus, indem sie die Freiheit des Dienstleistungsverkehr namentlich für ihn gewährleisten wollen. Art. 59 EWGV regelt zwar nicht nur die Rechtsstellung des Dienstleistungserbringers 99 , sondern wendet sich auch gegen Beschränkungen, die den Leistungsempranger daran hindern, die Leistung entgegenzunehmen 100• Die Hauptrolle nimmt jedoch der Leistungserbringer ein. Das verdeutlicht auch Art. 65 EWGV, der in personeller Hinsicht während der Übergangszeit nur den Dienstleistungserbringer begünstigte und insoweit auf Art. 59 Abs. 1 EWGV verweist. Die rechtliche Betonung der Wichtigkeit des Dienstleistungserbringers entspricht dem tatsächlichen Umstand, daß in der Mehrzahl der Fälle, die die Art. 59 ff. EWGV erfassen, der Erbringer der Leistung die aktive Rolle in der Leistungsbeziehung spielt. Er ist es häufig, der im Sinne des Art. 59 Abs. 1 EWGV die Grenze überschreitet, er ist es, der gern. Art. 60 Abs. 1 EWGV das Entgelt für sein Tätigwerden erhält, und er ist es auch, dem meist die Koordinierung nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV zugute kommt, weil er die selbständige Tätigkeit ausübt, deren Rahmenbedingungen koordiniert werden. Der Leistungserbringer bildet den Knotenpunkt, in dem sich die verschiedenen Voraussetzungen des Dienstleistungsbegriffs begegnen. Auch innerhalb einer Dreiecks- oder Mehrecksbeziehung ist der Leistungserbringer an der Grenzüberschreitung und am Zustandekommen der Entgeltlichkeit immer beteiligt. Er steht im Mittelpunkt, weil er die Leistung erbringt, um die es eigentlich geht. Ein Rundfunkveranstalter, der an Rezipienten in seinem Sitzstaat und an Kabelbetreiber oder Rezipienten in einem anderen Mitgliedstaat sendet, erbringt mehrere Leistungen. Steht die Leistung zur Untersuchung an, die in der Ausstrahlung von Rundfunksendungen zum Vorteil des Kabelbelreibers in dem anderen Mitgliedstaat liegt, kann die grenzüberschreitende Qualität dieses Vorgangs bejaht werden. Die Entgeltlichkeit dieser grenzüberschreitenden Leistung kann aber nicht aus der Leistungsbeziehung zu den inländischen Rezipienten hergeleitet werden, weil der Rundfunkveranstalter in seiner Funktion als Erbringer der Leistung an den Kabelbetreiber in Rede steht. Nur innerhalb dieser Leistungsbeziehung kann das Entgelt gezahlt werden, das zur Annahme einer Dienstleistung 99 So aber GA Lenz, in: EuGH, 3. Kammer, Urt. v. 13. 12.1984, Rs. 251/83 (HaugAdrion), Slg. 1984, S. 4277, S. 4294, Ziff. 8. 100 EuGH Urt. v. 31.1.1984, Rs. 286/82 und 26/83 (Luisi und Carbone), Slg. 1984, S. 377, S. 401, Rn. 10; skeptisch zu der Entwicklung hin zu der Garantie einer umfassenden Personenverkehrsfreiheit und zu diesem Urteil Hailbronner, Ausländerrecht, Rn. 953; jetzt aber den Schutz von Dienstleistungsempfängern zumindest vor Diskriminierungen erneut gewährend EuGH Urt. v. 2.2.1989, Rs. 186/87 (Cowan), EuR 1989, S. 356, s. 359, Rn. 17.

110

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

gern. Art. 59, 60 EWGV führt. Entgeltlich ist diese Leistung, wenn etwa der Kabelbetreiberanden Rundfunkveranstalter für ihre Vornahme zahlt. Die Leistungsbeziehung darf nicht in eine undifferenzierte Gesamtleistung, aber ebensowenig in voneinander getrennte Einzelleistungen aufgelöst werden. Voraussetzung der Bestimmung des Verhältnisses von Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit ist zunächst die sorgsame Identifizierung der Leistung. Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit müssen sich auf die gleiche Leistung beziehen und können nicht voneinander unabhängigen Leistungsbeziehungen entnommen werden. Die Grenzüberschreitung braucht nicht mit der Entgeltlichkeit zusammenzufallen, kann aber wegen Art. 60 Abs. 3 EWGV und wegen des Zusammenhangs von Art. 59 mit Art. 60 EWGV auch nicht isoliert von ihr gesehen werden. Die Vornahme einer grenzüberschreitenden Leistung gegen Entgelt bedingt, daß das Entgelt innerhalb der konkret in Frage stehenden Leistungsbeziehung an den Erbringer der zu untersuchenden Leistung gezahlt wird. An den Dienstleistungserbringer muß gerade für die Erbringung der Leistung gezahlt werden, die auch grenzüberschreitend ist. Nach Art. 60 Abs. 1 EWGV braucht aber nicht der Beteiligte zu zahlen, der die Grenzüberschreitung vermittelt, also nicht der Leistungsempfänger i. S. d. Art. 59 Abs. 1 EWGV 101 • Auch ein Dritter vermag der grenzüberschreitenden Leistung die Entgeltlichkeit zu vermitteln. Zahlt ein Dritter in Dänemark an den dänischen Wirtschaftsprüfer, damit dieser die Bücher des irischen Unternehmens prüft, dann ist der Wirtschaftsprüfer der Erbringer der Leistung zum Vorteil des irischen Leistungsempfängers. Der Dritte zahlt gerade für die Erbringung dieser Leistung an den Wirtschaftsprüfer ein Entgelt. Die Voraussetzungen einer grenzüberschreitenden, entgeltlichen Leistung sind erfüllt.

111. Die Anwendung der erarbeiteten Konzeption Zur Veranschaulichung der erarbeiteten Konzeption können die Streitfalle dienen, für die teilweise eine analoge Anwendung des Art. 59 EWGV befürwortet wird 102•

tot Diese Auslegung des Art. 60 Abs. 1 EWGV vertritt auch der EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352185 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2131 , Rn. 16. 102 Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 7; Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 72-74.

F. Das Verhältnis von Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit

111

1. Die problematische Fallgestaltung Die Anwendung des Art. 59 EWGV ist umstritten, weiUl der Leistungsempfänger nicht in einem anderen, sondern in demselben Mitgliedstaat ansässig ist wie der Leistungserbringer, aber der Dienstleistungserbringer oder die Dienstleistung als solche deiUloch eine Grenze überschreiten. Dürfen einem selbständigen griechischen Journalisten, der für eine griechische Zeitung nach Portugal reist, um einen Sonderbericht über ein aktuelles Ereignis anzufertigen, Hindernisse von portugiesischer Seite in den Weg gelegt werden, die für portugiesische Journalisten nicht bestehen? Die Frage stellt sich insbesondere daM, weM keine Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit vorliegt, bei der die Anwendung des Art. 7 EWGV in Frage kommt, sondern weM dem Griechen sonstige Steine in den Weg gelegt werden. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs kaM als Beispiel die Rechtssache Coditel I genaMt werden. In dem Vorabentscheidungsverfahren gern. Art. 177 EWGV stellte das vorlegende Gericht die Frage, ob eine Dienstleistung zwischen Personen in demselben Mitgliedstaat eine Dienstleistung sein köiUle, weiUl die Substanz der Leistung aus einem anderen Mitgliedstaat stamme 103 • Der Sachverhalt lag so, daß eine inländische Kabelgesellschaft ihren inländischen Kunden einen Film übermittelt hatte, der von einer Rundfunkanstalt aus einem anderen Mitgliedstaat ausgestrahlt worden war. Damit hatte die Kabelgesellschaft inländische Verwertungsrechte umgangen. Für die Entscheidung im konkreten Fall hielt der Gerichtshof eine Antwort auf die Frage jedoch für nicht erforderlich 104• Der problematische Punkt ist die Grenzüberschreitung. Sofern die Leistung des Kabelbetreibers an die Rezipienten in seinem Sitzstaat in Frage steht, ist Art. 59 Abs. 1 EWGV dem Wortlaut nach nicht einschlägig, weil Leistungserbringer und Leistungsempfänger in demsehen Mitgliedstaat ansässig sind. Es köiUlte aber eine analoge Anwendung auf solche Fälle in Betracht kommen 105 • Die Anwendung der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr wird aus dem Bemühen um die Vermeidung von Liberalisierungslücken heraus explizit auch für den Bereich des Rundfunks bejaht. Aufgrund der zahlreichen Auslandsberührungen sollen Fallkonstellationen wie die Weiterverbreitung von Rundfunksendungen aus anderen Mitgliedstaaten durch Kabelgesellschaften infolge einer wertenden Betrachtung den Art. 59 ff. EWGV unterfallen 106• 103 EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 62!79 (Coditel 1), S1g. 1980, S. 881, S. 901, Rn. 8 und 7; zu diesem Urteil Bennett, ELR 1980, S. 231. 104 EuGH, ebd., S. 904, Rn. 19. 10s Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 7; Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 76. 106 Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 28.

112

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Danach ist die Weiterverbreitung einer Rundfunksendung, die ursprünglich von einem Veranstalter aus einem anderen Mitgliedstaat stammt, durch einen Kabelbetreiber an Zuhörer und Zuschauer in seinem Sitzstaat eine Dienstleistung analog Art. 59, 60 EWGV. Ebenso erbringt der griechische Journalist, der für seine griechische Zeitung in einem Einzelfall aus Portugal berichtet, unter analoger Anwendung der Bestimmungen des EWG-Vertrages eine Dienstleistung 107 • In dem Ausgangsfall sind Leistungserbringer und Leistungsempfänger, der dänische Wirtschaftsprüfer und das irische Unternehmen, in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig. Insofern sind die Voraussetzungen des Art. 59 Abs. 1 EWGV erfüllt. Die Entgeltlichkeil könnte aber durch einen im Staat des Leistungserbringers, in Dänemark, ansässigen Dritten vermittelt werden. In der Konsequenz der eben erläuterten Argumentation liegt es, diese Zahlung dem grenzüberschreitenden Vorgang zuzurechnen. Der Wirtschaftsprüfer hätte damit eine grenzüberschreitende, entgeltliche Leistung erbracht.

2. Die Lösung Die Voraussetzungen einer Analogie sind das Bestehen einer Lücke im EWGVertrag und das Erfassen der in diese Lücke fallenden Konstellationen durch den Sinn der Vertragsnormen. Die Übertragung der Normen auf den nicht geregelten Sachverhalt bedingt, daß dieser dem geregelten Sachverhalt gegenüber gleich zu bewerten ist. Die analoge Anwendung wird demzufolge letztlich durch den Gleichbehandlungsgrundsatz gefordert 108• Der Sinn der Art. 59 ff. EWGV muß über ihren Wortlaut hinausweisen. Eine Vertragslücke liegt nicht vor, wenn eine sorgfältige Untersuchung der Merkmale des Dienstleistungsbegriffs zu einer Bewältigung der problematischen Fälle führt. Vor dem Bemühen einer Analogie sind die Mittel der Auslegung auszuschöpfen. a) Der Dritte in demselben Mitgliedstaat ansässig wie der Leistungserbringer Im Beispiel des dänischen Wirtschaftsprüfers ist die grenzüberschreitende Leistung in der Prüfung der Bücher des irischen Leistungsempfängers zu sehen. Der Wirtschaftsprüfer als Leistungserbringer erhält das Entgelt, allerdings von einem in Dänemark ansässigen Dritten. Der Dritte zahlt an den Leistungserbringer 107

JOB

So z. B. Völker, Passive Dienstleistungsfreiheit, S. 55. Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 366; Koch I Rüßmann, Begründungslehre, S. 260.

F. Das Verhältnis von Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit

ll3

als zentrale Figur der Leistungsbeziehung gerade für die Erbringung der grenzüberschreitenden Leistung an den Leistungsempfänger. Die Entgeltlichkeit findet im weiteren Rahmen der Leistungsbeziehung statt. Damit handelt es sich bei der Leistung des Wirtschaftsprüfers um eine Dienstleistung gern. Art. 59, 60 EWGV 109 • Als entscheidend erweist sich, daß der zahlende Dritte in demselben Mitgliedstaat ansässig ist wie der Leistungserbringer, damit aber in einem anderen Mitgliedstaat als der Leistungsempfänger. Für derartige Fälle stellt sich die Frage des Bestehens einer Liberalisierungslücke nicht, es liegen Dienstleistungen nach den Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV vor. b) Der Dritte im Empfangsstaat der Leistung ansässig Wenn der Dritte im Sitzstaat des Leistungsempfängers, im Empfangsstaat der Leistung, ansässig ist, kann sich diese Beurteilung ändern. Ein irischer Auftraggeber, der an den dänischen Leistungserbringer Zahlungen entrichtet, tut dies nicht nur, damit der Leistungserbringer an den irischen Empfänger leistet. Er tut dies auch, damit der Leistungserbringer ihm gegenüber die Verpflichtung erfüllt, die Bücher zu prüfen. Der Wirtschaftsprüfer erbringt mit der Buchprüfung also zwei Leistungen, eine an das irische Unternehmen und eine an den irischen Auftraggeber. Denn letzterer hat von der Überprüfung der Bilanzen des Tochterunternehmens regelmäßig auch einen Vorteil, andernfalls würde er kaum bezahlen. Er kann beispielsweise seinerseits eine Verpflichtung gegenüber dem Tochterunternehmen auf diese Art erfüllen. Hat der Auftraggeber seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als der Wirtschaftsprüfer, kommt dieser Leistung grenzüberschreitender Charakter zu. Die Leistung im Zweierverhältnis des Wirtschaftsprüfers zum Auftraggeber ist entgeltlich, denn der Auftraggeber zahlt dafür, daß der Wirtschaftsprüfer die Bücher des irischen Unternehmens prüft. Der Auftraggeber verkörpert den Leistungsempfänger, die Bücher eines Dritten, nämlich des Tochterunternehmens, werden tatsächlich geprüft. Die Leistung des Wirtschaftsprüfers an das irische Tochterunternehmen kann nur dann entgeltlich sein, wenn die Zahlung des Auftraggebers in einer Doppelfunktion nicht nur der Leistung des Erbringers an ihn, sondern auch der Leistung des Erbringers an das irische Tochterunternehmen entgeltlichen Charakter zuweist. Der Unterschied zu der Konstellation, daß der Auftraggeber in demselben Mitgliedstaat ansässig ist wie der Leistungserbringer, liegt darin, daß zwischen 109

Im Ergebnis ebenso Deringer, ZUM 1986, S. 636.

8 Kugelmann

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

dem Auftraggeber und dem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Leistungserbringer eine eigene grenzüberschreitende Leistung existiert. Art. 60 Abs. 1 EWGV verlangt, daß die Leistung gegen Entgelt erbracht wird. Der Zweck der Zahlung braucht nicht auf nur eine Leistung gerichtet zu sein. Der Charakter der Dienstleistungsfreiheit als Auffangtatbestand weist in die gegenteilige Richtung. Die Zahlung, die die Entgeltlichkeil vermittelt, kann auch einer zweiten Leistung entgeltlichen Charakter verleihen. In einem Dreiecksverhältnis wird der Leistungserbringer häufig zwei Leistungen erbringen. Sind beide grenzüberschreitend, zahlt aber nur einer der beiden Leistungsempfänger, dann ist die andere Leistung ebenfalls entgeltlich, wenn der Zahlende auch zum Zweck ihrer Erbringung zahlt. Der Zahlende, der als Leistungsempfänger und als Dritter in Erscheinung tritt, muß gerade deshalb zahlen, damit der Leistungserbringer die Leistung an den Leistungsempfänger der anderen Leistung erbringt. Unerheblich ist insoweit, in welchem Mitgliedstaat der Zahlende ansässig ist. Wenn er zum Zweck der Erbringung der Leistung zahlt und deshalb im Rahmen der Leistungsbeziehung steht, ist die Leistung entgeltlich. Der Auftraggeber des dänischen Wirtschaftsprüfers kann in Dänemark seinen Sitz haben, dann wird ihm gegenüber keine grenzüberschreitende Leistung erbracht. Er kann in Irland oder einem anderen Mitgliedstaaat ansässig sein, dann liegt auch zu ihm eine grenzüberschreitende Leistung vor, wenn er von dem Tätigwerden des Leistungserbringers einen Vorteil hat. Durch seine Zahlung erlangt die Leistung des Wirtschaftsprüfers an das irische Tochterunternehmen entgeltlichen Charakter, vorausgesetzt der Auftraggeber bezahlt den Erbringer gerade zu dem Zweck, damit dieser die Leistung an das irische Unternehmen als Leistungsempfänger vornimmt. c) Leistungserbringer und Leistungsempfänger in demselben Mitgliedstaat ansässig Anders stellt sich die Sachlage in dem Fall dar, in dem der griechische Journalist im Auftrag einer griechischen Zeitung eine Reportage aus Portugal zusammenstellen soll und deswegen nach Portugal reist. Die Zeitung zahlt dem Journalisten ein Entgelt, beide sind aber in demselben Mitgliedstaat ansässig. Es fehlt schon an der Grenzüberschreitung. Der Vorschlag, den Art. 59 EWGV in diesem Fall analog anzuwenden, vernachlässigt die Systematik der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr. Neben Art. 59 EWGV kommen noch andere Regelungen in Betracht. Werden dem Journalisten bei der Ausübung seiner Tätigkeit Steine in den Weg gelegt, indem nationale, portugiesische Rechtsvorschriften ihm diskriminierende Beschränkungen auferlegen, könnte Art. 7 EWGV verletzt sein. Bei einem

G. Entgeltlichkeit grenzüberschreitender Leistungen im Rundfunkbereich

115

längeren Aufenthalt des griechischen Journalisten, etwa als Korrespondent, käme die Anwendung der Art. 52 ff. EWGV in Betracht. Der Dienstleistungserbringer reist zur Vornahme der Leistung in einen anderen Mitgliedstaat. Als Leistungsempranger der Dienstleistungen dortiger Leistungserbringer unterfallt er den Art. 59 ff. EWGV uo, als Erbringer einer innerstaatlichen Dienstleistung aber nicht. Selbst wenn man eine Vertragslücke annehmen wollte, wird man schwerlich davon ausgehen können, daß der Sinn des Art. 59 Abs. 1 EWGV dahin geht, Fälle zu erfassen, die er nach seinem Wortlaut ausdrücklich in den Anwendungsbereich nicht einbezieht. Grenzüberschreitung und Entgeltlichkeit bleiben Voraussetzungen einer Dienstleistung nach Art. 59, 60 EWGV. Beide Merkmale müssen innerhalb einer Leistungsbeziehung zu finden sein. Der Leistungsempfänger braucht nicht notwendig auch das Entgelt zu bezahlen ll 1• In Drei- oder Mehrecksverhältnissen reicht es aus, wenn ein Beteiligter gerade zum Zweck der Vornahme der grenzüberschreitenden Leistung durch den Dienstleistungserbringer an diesen ein Entgelt entrichtet. Dann ist die grenzüberschreitende Leistung entgeltlich. Diese Feststellung gilt unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat der das Entgelt zahlende Dritte ansässig ist. Sein Entgelt vermag einer grenzüberschreitenden Leistung des Erbringers an ihn und gleichzeitig der Leistung des Erbringers an einen anderen Leistungsempranger entgeltlichen Charakter zu verleihen 112•

G. Die Entgeltlichkeit grenzüberschreitender Leistungen im Rundfunkbereich Nachdem der Ausgangspunkt geklärt ist, kann nun auf die Entgeltlichkeit der im Zusammenhang mit der Ausstrahlung von Rundfunk identifizierten, grenzüberschreitenden Leistungen eingegangen werden. Neben den Faktoren, die schon in der bisherigen Beurteilung der Leistungsbeziehungen im Rahmen der Ausstrahlung von Rundfunk eine Rolle spielten, rücken zwei weitere Problemfelder in den Mittelpunkt des Interesses. Einerseits handelt es sich um die Unterscheidung zwischen der Übertragung von Werbung und der Übertragung inhaltlichen Programms und ihrer Bedeutung 110 EuGH Urt. v. 31.1.1984, Rs. 286/82 und 26/83 (Luisi und Carbone), Slg. 1984, S. 377, S. 401, Rn. 10; EuGH Urt. v. 2.2.1989, Rs. 186/87 (Cowan), EuR 1989, S. 356, S. 359, Rn. 17; zur Rechtsprechung des EuGH in diesem Bereich Völker, Passive Dienstleistungsfreiheit, S. 73 - 84 und passim. u1 Vgl. insoweit Schwartz, AfP 1987, S. 377; Völker, Passive Dienstleistungsfreiheit,

s. 98. 112

s•

Im Ansatz ähnlich Roth, ZHR 149 (1985), S. 685-686.

116

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

für die Qualität der Leistungsbeziehung. Andererseits gelangt die Fundierung der jeweiligen Leistungsbeziehungen in den Blick, wobei deren privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Grundlage zu berücksichtigen ist.

I. Rundfunkveranstalter -

Rezipienten

Beide Komponenten werden schon in der ersten Konstellation wichtig, wenn nämlich ein Rundfunkveranstalter mittels Satellit oder terrestrischer Anlagen Rundfunksendungen ausstrahlt, die von einen Rezipienten in einem anderen Mitgliedstaat empfangen werden.

1. Entgelt und Gewinn Diese grenzüberschreitende Leistung ist entgeltlich, falls der Leistungserbringer, also der Rundfunkveranstalter, für die Erbringung seiner Leistung ein Entgelt erhält. Weil nur zwei Beteiligte an der Leistungsbeziehung vorhanden sind, kommen nur die Leistungsempranger als Zahlende in Betracht. Da die grenzüberschreitende Leistung vorliegt, wenn zumindest einige Rezipienten in einem anderen Mitgliedstaat die Leistung empfangen 113, reicht es konsequenterweise auch für die Entgeltlichkeit aus, wenn einige Leistungsempranger ein Entgelt entrichten 114• Das Entgelt trägt seinen Charakter als Gegenleistung zur Leistung auch in dem Fall, daß der Leistung noch andere Gegenleistungen gegenüberstehen. Die Motivation des Leistenden kann nicht Gegenstand der rechtlichen Bewertung sein. Aufgrund des Art. 60 Abs. 1 EWGV ist zu untersuchen, ob die grenzüberschreitende Leistung in der Regel gegen Entgelt erbracht wird, nicht aber, ob das gezahlte Entgelt in vollem Umfang die Kosten der Leistung abdeckt und die Leistungserbringung wirtschaftlich rentabel ist. Auch Leistungen, die keinen Gewinn bringen, unterfallen Art. 60 Abs. 1 EWGV, solange sie wenigstens teilweise entgeltlich sind 115. Falls mindestens einige Rezipienten an den Rundfunkveranstalter für die Ausstrahlung von Rundfunksendungen an sie zahlen, liegt eine entgeltliche Leistung vor. Die organisatorische Ausgestaltung des Rundfunkveranstalters hat auf diese Beurteilung keinen Einfluß. Kommerzielle Rundfunkveranstalter arbeiten grundsätzlich in Gewinnerzielungsabsicht. Sie nehmen auch Verluste in Kaufl 16, weil sie angesichts der Zukunftsperspektiven langfristig auf Gewinne spekulieren. 113 114 115

S. oben 2. Kapitel, 2. Teil, D. III.3. Schwartz, AfP 1987, S. 377; vgl. auch das Grünbuch S. 112. Vgl. Jarass, EuR 1986, S. 79.

G. Entgeltlichkeit grenzüberschreitender Leistungen im Rundfunkbereich

117

Rundfunkveranstalter, die auf der Grundlage des öffentlichen Rechts operieren oder bei denen der jeweilige Mitgliedstaat entscheidenden Einfluß ausübt, zielen regelmäßig zumindest auf Kostendeckung ab. Sie brauchen Einnalunen, die sie direkt oder indirekt auch von den Rezipienten erhalten 117• Gebühren stehen insoweit privatrechtliehen Zahlungen gleich 118 • Sie müssen die Anforderungen des Begriffs der Entgeltlichkeit erfüllen, also gerade für die Erbringung der Leistung bezahlt werden. Falls die Rezipienten Zahlungen für die Leistungen öffentlich-rechtlicher Rundfunkveranstalter vornehmen, sind sie auch entgeltlich.

2. Das Gewolltsein der Grenzüberschreitung Rundfunkveranstalter, die grenzüberschreitende Leistungen erbringen, senden entweder absichtlich an Rezipienten in einem anderen Mitgliedstaat oder nicht absichtlich, etwa im Rahmen des spill over. An dieser Stelle spielt es für die Entgeltlichkeit eine gewisse Rolle, ob die Grenzüberschreitung gewollt ist 119• Denn das Entgelt braucht zwar nicht vom Leistungsempfänger aufgebracht zu werden, muß aber gerade zum Zweck der Leistungserbringung gezahlt werden 120• Können die Sendungen eines Rundfunkveranstalters nur zuHHlig aufgrund technischer Gegebenheiten in einem anderen Mitgliedstaat von Rezipienten empfangen werden, zahlen diese Rezipienten dem Rundfunkveranstalter für diese Leistungserbringung kein Entgelt. Deshalb erbringen Sender, die in Grenzgebieten tätig sind und jenseits der Grenze empfangen werden können, den Rezipienten in dem 116 SAT 1 warf 1990 erstmals Gewinne ab, SZ Nr. 290, vom 18.12.1990, S. 27; das hängt damit zusammen, daß einer der Anteilseigner, Leo Kirch, dem Sender weiterhin das Recht zur Ausstrahlung von Programmen aus seinen Beständen zu Vorzugspreisen einräumt, vgl. FR Nr. 182, vom 9.8.1989, S. 6; auch RTL Plus schrieb 1990 erstmals schwarze Zahlen; vgl. schon Dietrich Leder, in: FR Nr. 73, vom 27.3. 1990, S. 19, wonach in den bisherigen sechs Jahren seit Gründung des Unternehmens 420 Millionen Mark investiert worden seien und 260 Millionen Mark Verluste zu Buche schlügen; die Fernsehgesellschaft Sky Television von Rupert Murdoch soll nach Schätzungen mit ihren Satellitenprogrammen wie etwa Sky Channel pro Woche Verluste in Höhe von 6,3 Millionen DM einfahren, vgl. FAZ Nr. 112, vom 17.5.1989, S. 19; die Schätzungen ihrer Verluste im Jahr 1989 belaufen sich auf über 400 Mio. DM, Scriba, in: GEO Kommunikation, S. 109. 117 Vgl. das Grünbuch S. 107 f., das auf dem Stand von 1984 ist und deshalb nur für 10 Mitgliedstaaten die Art schildert, wie die Rundfunkveranstalter sich finanzieren. 118 Jarass, EuR 1986, S. 78, hält Gebühren nur dann zur Begründung der Entgeltlichkeit für geeignet, wenn sie als Gegenleistung gedacht sind, was er im Hinblick auf die Rundfunkgebühren in der Bundesrepublik Deutschland ablehnt; Börner, ZUM 1985, S. 80, lehnt Gebühren als Entgelte ab, weil es an dem seiner Auffassung nach erforderlichen, privatrechtliehen Vertrag fehlt; dagegen tritt Deringer, ZUM 1986, S. 636, dafür ein, jede Zahlung des Zuschauers oder Zuhörers als Entgelt anzuerkennen. 119 Vgl. oben 2. Kapitel, 2. Teil, D. II., mit Nachweisen. 120 Vgl. Herrmann, GRUR, Int., 1984, S. 583, und ders., ZUM 1985, S. 187; Mestmäkker I Engel I Gabriel-Bräutigam I Hoffmann, Einfluß, S. 40.

118

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

anderen Mitgliedstaat keine Dienstleistung i. S. d. EWG-Vertrages, es fehlt an der Entgeltlichkeil 121 • Beabsichtigt der Rundfunkveranstalter die Zuschauer und Zuhörer in einem anderen Mitgliedstaat zu erreichen, indem er zum Beispiel seine Programme in mehreren Sprachen oder mit Untertiteln ausstrahlt, könnte sehr viel eher eine entgeltliche, grenzüberschreitende Leistung vorliegen. Meist strahlen Rundfunkveranstalter, die grenzüberschreitenden Rundfunk betreiben, ihre Sendungen auch in ihrem Sitzstaat aus. Viele Programme sind im Sitzstaat des jeweiligen Rundfunkveranstalters auf terrestrischem Wege empfangbar, während sie in anderen Mitgliedstaaten über Satellit oder Kabel empfangen werden können. An dieser Stelle geht es nur um das Verhältnis des Rundfunkveranstalters direkt zu den Rezipienten in dem anderen Mitgliedstaat. Zahlungen, die innerhalb eines Mitgliedstaates von den dortigen Zuschauern und Zuhörern gegenüber einem dortigen Rundfunkveranstalter vorgenommen werden, stellen kein Entgelt dafür dar, daß dieser Rundfunkveranstalter seine Sendungen auch an Rezipienten in anderen Mitgliedstaaten ausstrahlt.

3. Die konkrete Ausgestaltung der Leistungsbeziehung Entscheidend ist, ob die Rezipienten in dem anderen Mitgliedstaat dem RundfunkveranstalteT für die Erbringung der Leistung ihnen gegenüber ein Entgelt entrichten 122• Die Entscheidung über die Entgeltlichkeil hängt von der konkreten Ausgestaltung der Leistungsbeziehung ab 123 • Der Rundfunkveranstalter kann derart organisiert sein, daß er sich ausschließlich mittels der Einnahmen finanziert, die er von den Rezipienten erhält. Die Rezipienten können in Form von öffentlich-rechtlichen Gebühren oder Abgaben bezahlen. Sie können aber auch in Form von privatrechtliehen Abonnementzahlungen ihr Entgelt entrichten. Dies ist etwa dann der Fall, wenn man einen Decoder für den Empfang eines entsprechend verschlüsselten Programms in sein Fernsehgerät einbauen läßt.

Mestmäcker, Referat, 0 29. Vgl. Jarass, EuR 1986, S. 80; anders Ipsen, Rundfunk, S. 527, der beim Satellitenfernsehen generell für die Anwendbarkeit der Art. 59 ff. EWGV eintritt; auch Deringer, ZUM 1986, S. 636 spricht von der Entgeltlichkeit durch Zahlungen des Hörers, ohne dies näher zu differenzieren. 123 Vgl. zu Finanzierungskonzepten für den Rundfunk B. P. Lange, in: Lüder (Hrsg.), Rundfunk im Umbruch, S. 185-186 und 190-194. 121

122

G. Entgeltlichkeit grenzüberschreitender Leistungen im Rundfunkbereich

119

a) Öffentlich-rechtliche Gebühren Öffentlich-rechtliche Gebühren oder Abgaben werden an Rundfunkveranstalter in einem anderen Mitgliedstaat regelmäßig nicht gezahlt. Denn sie beruhen auf dem nationalen öffentlichen Recht des Sitzstaates des oder der Rundfunkveranstalter, denen sie zugute kommen. Handelt es sich um eine Mischfinanzierung, treten also neben die Gebühr Einnahmen aus der Werbung, dann zahlen zwar die Werbetreibenden, nicht aber die Rezipienten aus dem anderen Mitgliedstaat. b) Abonnementzahlungen In einer näher an der Realität liegenden Konstellation entrichten Rezipienten Abonnementzahlungen an einen Rundfunkveranstalter, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, für den Empfang von dessen Programmen 124• Pay-TV kann auch so gestaltet sein, daß ein Entgelt nicht für den Empfang aller Programme eines bestimmten Rundfunkveranstalters, sondern nur für die Sendungen gezahlt werden muß, die der Rezipient auch tatsächlich abruft. Dann kommt nur hinsichtlich der bezahlten Sendungen eine Leistung zustande. Unabhängig von der technischen Methode der grenzüberschreitenden Übertragung liegt in diesen Fällen jedenfalls eine entgeltliche Leistung gern. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV vor 125 • c) Einnahmen aus der Werbung Rundfunkveranstalter, die ihre Sendungen über Satelliten ausstrahlen, finanzieren sich häufig ausschließlich oder wenigstens zusätzlich über die Einnahmen aus der Werbung, also über die Zahlungen der werbetreibenden Wirtschaft für die Ausstrahlung von Werbesendungen. Beschränken sich solche Rundfunkveranstalter auf diese Einnahmequelle, kann der Rezipient ihren Leistungen nicht die Komponente der Entgeltlichkeit beisteuern. Die grenzüberschreitende Leistung des Rundfunkveranstalters an die Rezipienten ist nur entgeltlich, wenn gerade für ihre Erbringung gezahlt wird. Es ist der Werbekunde, der den Rundfunkveranstalter bezahlt, damit dieser die Werbesendungen ausstrahlt. In dem Dreiecksverhältnis vermittelt der Werbekunde der grenzüberschreitenden Leistung des Veranstalters an die Rezipienten die EntgeltlichkeiL Zur Zahlung ist der Werbetreibende nur bereit, soweit er sich für die Ausstrahlung der Sendungen stark interessiert. Das trifft bei Werbesendun124 Auf dieser Basis arbeitet seit dem 28. 2. 1991 der Sender Premiere, der in Harnburg ansässig ist und in dem der frühere Abonnementsender Teleclub aufging, vgl. Roland Timm,in: SZNr. 50, vom28.2.199l,S. 55; s. auchFAZNr. 252, vom29.10.1990, S. 22. 12s So auch Herrmann, GRUR, Int., 1984, S. 583 und ders. ZUM 1985, S. 185.

120

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

gen und gesponserten Sendungen zu. Er entrichtet das Entgelt nicht, um den Veranstalter zur Übertragung bestimmter inhaltlicher Programme zu veranlassen. Der Zweck, den der Werbekunde verfolgt, ist auf die Übermittlung der Werbesendungen beschränkt. Nur die Ausstrahlung der Werbesendungen und der gesponserten Programme ist eine Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV. Werbung muß nach Art. 10 Abs. 1 der Fernseh-Richtlinie klar erkennbar sein 126• Art. 13 Ziff. 1 der Buroparats-Konvention über das Fernsehen enthält eine entsprechende Anordnung 127 • Gesponserte Fernsehprogramme sind gern. Art. 17 Abs. 1 lit. b der Fernseh-Richtlinie durch den Namen und das Firmenemblem des Sponsors zu kennzeichnen. Diese Anforderungen ermöglichen im Zusammenhang der Entgeltlichkeit die Identifizierung der Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV im Verhältnis des Rundfunkveranstalters zu Rezipienten in einem anderen Mitgliedstaat. Werbung und inhaltliches Programm stehen zwar in einem funktionalen Zusammenhang. Die inhaltlichen Programme sind der Köder, damit die Rezipienten die Werbesendungen schlucken. Programm ohne Werbung geht, Werbung ohne Programm nicht. Für die rechtliche Beurteilung müssen und können die beiden Arten von Sendungen aber getrennt werden. Das Merkmal der Entgeltlichkeit verlangt diese Trennung, die Fernseh-Richtlinie und die Buroparats-Konvention ermöglichen sie. Der Anwendungsbereich des EWG-Vertrages und damit die Regelungskompetenz der Gemeinschaft erstrecken sich nur auf grenzüberschreitende, entgeltliche Leistungen. Im Rahmen der Leistungsbeziehung zwischen dem Veranstalter von Satellitenprogrammen und dem Rezipienten fallen Werbesendungen und gesponserte Programme im Gegensatz zu der Gestaltung inhaltlicher Programme in die Reichweite der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr.

II. Rundfunkveranstalter -

aktiver Kabelbelreiber

Im Rahmen der grenzüberschreitenden Leistungsbeziehung zwischen dem Rundfunkveranstalter und einem aktiven Kabelbetreiber in einem anderen Mitgliedstaat spielen unter Umständen auch die Rezipienten eine Rolle, die an das Kabelnetz des Betreibers angeschlossen sind. Denn sie sind Beteiligte der Leistungsbeziehung und könnten für die Entgeltlichkeit der Leistungen Bedeutung gewinnen.

126

121

Richtlinie vom 3.10. 1989, ABI. Nr. L 298, vom 17. 10.1989, S. 28. RuF 1989, S. 338.

G. Entgeltlichkeit grenzüberschreitender Leistungen im Rundfunkbereich

121

1. Die Leistung des Rundfunkveranstalters Die erste Leistung innerhalb dieser Leistungsbeziehung ist diejenige, die der Rundfunkveranstalter durch die Ausstrahlung seiner Sendungen dem Kabelbelreiber erbringt. Entgeltlich ist sie, falls der Kabelbelreiber für die Ausstrahlung oder die Übermittlung an ihn bezahlt. Aktive Kabelbetreiber verfügen über eine eigenständigere Stellung als passive Kabelbetreiber, weil sie das Programm stärker selbst gestalten. Deshalb erscheint es gut vorstellbar, daß ein aktiver Kabelbelreiber dem Rundfunkveranstalter Entgelte zahlt, indem er von ihm die Vorführungsrechte für die Programme erwirbt. Denn das Interesse des Veranstalters an der Weiterverbreitung über Kabel verringert sich, wenn die weiterverbreiteten Programme verändert werden und der Urheber vielleicht nicht mehr erkennbar ist. Ein Vorteil des Rundfunkveranstalters an der Weiterverbreitung kann dann nur auf Zahlungen des Kabelbetreibers für Vorführungsrechte beruhen. Die grenzüberschreitende Leistung des Rundfunkveranstalters liegt in einem solchen Fall zwar genaugenommen nicht in der Ausstrahlung als solcher, sondern in der Übertragung des Vorführungsrechts an den Kabelbetreiber. Der Kabelbetreiber zahlt für die Berechtigung, die Programme des Veranstalters weiterverbreiten zu dürfen. Voraussetzung dafür ist jedoch die Übermittlung der Pogramme. Erwirbt der Kabelbetreiber ein Vorführungsrecht, zahlt er mindestens auch zu dem Zweck, daß der Rundfunkveranstalter an ihn Sendungen übermittelt. Wenn Rundfunkveranstalter und Kabelbetreiber in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind, kann die Übertragung des Vorführungsrechts eine grenzüberschreitende Leistung sein. Entrichtet der aktive Kabelbetreiber dem Rundfunksender dafür ein Entgelt, handelt es sich bei der Übertragung des Rechts ebenso wie bei der Ausstrahlung der Programme um eine Dienstleistung nach den Art. 59 Abs. 1, 60 EWGVIzs. An der Ausstrahlung sind als Dritte die Werbekunden des Rundfunkveranstalters interessiert. Sie zahlen an den Veranstalter, damit dieser ihre Werbesendungen einem möglichst großen Kreis von Rezipienten zugänglich macht. Beim aktiven Kabelrundfunk wird zwar häufig eher der Kabelbetreiber selbst die Werbesendungen einfügen, wenn er seine Programme selbst gestaltet. Gibt er die Programme des Rundfunkveranstalters einschließlich der in ihnen enthaltenen Werbesendungen aber nur weiter, ist die Leistung des Rundfunkveranstalters an 12s Vgl. Börner, ZUM 1985, S. 584, der hier die Übertragung eines Rechts sieht, die er deshalb unter Art. 59, 60 EWGV fassen will, weil er die Rechtsfolgen für angemessen hält; Deringer, ZUM 1986, S. 636, Fn. 76, hält dagegen, es handele sich nicht um die Übertragung eines Rechts, sondern lediglich um die Erteilung einer Lizenz, welche als Dienstleistung anerkannt sei, auch er, ebd. S. 636, beurteilt jedenfalls ein Entgelt für die Überlassung von Programmen als geeignet, um die Entgeltlichkeit der Dienstleistung zu begründen.

122

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

den Kabelbelreiber insoweit entgeltlich, da die Werbekunden dafür Zahlungen vornehmen. Ein Entgelt führen die Rezipienten an den Kabelbelreiber ab, aus dessen Netz sie Programme entnehmen. Dieses Entgelt bezahlen sie an den Leistungsempfänger der Leistung des Rundfunkveranstalters. Da sie das Entgelt nicht an den Leistungserbringer richten, den Rundfunkveranstalter, vermag dieses Entgelt der grenzüberschreitenden Leistung des Rundfunkveranstalters an den Kabelbelreiber keinen entgeltlichen Charakter zu verleihen. An dieser Leistung sind sie nicht beteiligt. Die in der Ausstrahlung von Rundfunksendungen bestehende Leistung des Rundunkveranstalters TELEFERN ist entgeltlich, aber nicht grenzüberschreitend, soweit sie an die Rezipienten in seinem Sitzstaat gerichtet ist. Grenzüberschreitend aber nicht entgeltlich ist die Leistung, soweit sie an den Kabelbelreiber KABELKOM in einem anderen Mitgliedstaat gerichtet ist und dieser keinerlei Zahlungen vornimmt. Zahlen Werbetreibende an den Rundfunkveranstalter für die Ausstrahlung ihrer Werbesendungen, vermittelt dies seiner Leistung an den Kabelbetreiber die Entgeltlichkeit, so daß die Ausstrahlung der Werbesendungen eine Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV darstellt. Entrichtet der Kabelbetreiberein Entgelt an den Rundfunkveranstalter für die Vorführungsrechte liegt ebenfalls eine Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV vor.

2. Die Leistung des Kabelherreibers Die zweite Leistung in dieser Leistungsbeziehung erbringt der Kabelbelreiber dem Rundfunkveranstalter, indem er die von diesem ausgestrahlten Sendungen an seine Kabelkunden weiterverbreitet. In dieser Leistungsbeziehung spielen drei Beteiligte eine Rolle. Der Kabelbetreiber ist der Leistungserbringer und der Veranstalter ist der Leistungsempfänger. Die Leistung liegt darin, daß der Kabelbelreiber KABELKOM an die Rezipienten Sendungen des Veranstalters TELEFERN übermittelt. Die Rezipienten sind in die Erbringung der Leistung miteinbezogen. In Betracht kommen als Entrichtende eines Entgelts deswegen der Rundfunkveranstalter und die Rezipienten. TELEFERN zahlt dem Kabelbetreiber in der Regel kein Entgelt dafür, daß dieser seine Programme weiterverbreitet 129. Das Interesse des Rundfunkveranstalters, das auch den für die Leistung erforderlichen Vorteil begründet, liegt im Erreichen einer möglichst hohen Anzahl von Rezipienten. Andererseits benötigt 129 Vgl. Jarass, EuR 1986, S. 80, der die Ausstrahlung selbst als einen die Entgeltlichkeit vermittelnden Vorgang wertet, wenn der Rundfunkveranstalter aufgrundder Weiterübertragung seiner Werbesendungen mehr Zuschauer und Zuhörer erreichen kann und deshalb die Ausstrahlung selbst einen geldweTten Vorteil darstelle; ähnlich Deringer, ZUM 1986, S. 636, der die Ausstrahlung als die Entgeltlicbkeit begründend beurteilt, da erst sie es dem Rundfunkveranstalter gestatte, für seine Werbesendungen ein Entgelt zu verlangen.

G. Entgeltlichk:eit grenzüberschreitender Leistungen im Rundfunkbereich

123

der aktive Kabelbetreiber möglichst viele Programme, um seine Kunden zufriedenzustellen. Deshalb hat es der Rundfunkveranstalter häufig nicht nötig, KABELKOM ein Entgelt für die Weiterverbreitung zu zahlen. Die Entgeltlichkeil kann dieser grenzüberschreitenden Leistung des Kabelbetreibers demnach oft nur durch die Zahlungen der Rezipienten verliehen werden. Sie führen an KABELKOM ein Entgelt ab, damit dieser aktive Kabelbelreiber die von ihm erhältlichen, auch veränderten Programme an sie übermittelt. Die Rezipienten zahlen also gerade für die Tätigkeit, die auch die Leistung des Kabelbetreibers an den Rundfunkveranstalter darstellt, nämlich die Weiterverbreitung von Rundfunksendungen. Diese Zahlungen beziehen sich auf die Sendungen aller Rundfunkveranstalter, die KABELKOM weitergibt. Diese Beurteilung trifft nicht, wenn der aktive Kabelbelreiber eigene Programme produziert oder die Programme des Rundfunkveranstalters derart verändert, daß der urprüngliche Sender nicht mehr erkennbar ist. In diesen Fällen liegt schon keine Leistung vor, weil der Rundfunkveranstalter keinen Vorteil hat, wenn er als Urheber der Programme nicht mehr erkennbar ist 130• Die grenzüberschreitende Leistung des Kabelbetreibers an den Rundfunkveranstalter erfüllt die Voraussetzungen der Art. 59, 60 EWGV, weil die Rezipienten im Sitzstaat des Kabelbetreibers an diesen ein Entgelt zahlen, das die Entgeltlichkeil dieser Leistung begründet. 111. Rundfunkveranstalter -

passiver Kabelbelreiber

Das Ergebnis hinsichtlich der aktiven Kabelbelreiber ist auf die Leistungsbeziehung zwischen dem Rundfunkveranstalter und einem passiven Kabelbelreiber weitgehend übertragbar.

1. Die Leistung des Rundfunkveranstalters Die Leistung des Rundfunkveranstalters an den passiven Kabelbelreiber kann entgeltlich sein, wenn der Kabelbelreiber oder Werbetreibende für ihre Vornahme bezahlen. Da KABELKOM in diesem Fall die Sendungen des Veranstalters unverändert und zeitgleich weitergibt, ist seine selbständige Rolle weniger ausgeprägt als in der Konstellation aktiven Kabelfernsehens. Zwar hat auch ein passiver Kabelbetreiber einen ausgeprägten Programmbedarf, weil er nur mit einer höheren Anzahl verschiedener Programme die Attraktivität seines Netzes steigern kann 131• Dies S. oben 2. Kapitel, 2. Teil, C. 1.3. Das gilt auch z. B. für die Deutsche Bundespost, vgl. Scherer, Telekommunikationsrecht, S. 531. 130 131

124

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

führt aber regelmäßig nicht dazu, daß der Kabelbelreiber dem Rundfunksender ein Entgelt dafür zahlen muß, daß der Sender ihm seine Programme übermittelt. Denn das Interesse des Rundfunkveranstalters an der Weiterübertragung seiner Programme durch einen passiven Kabelbetreiber ist größer als dasjenige an der Weiterübertragung durch einen aktiven Kabelbetreiber. Da seine Programme nicht verändert werden, erhöht sich der Wiedererkennungswert des ausstrahlenden Rundfunkveranstalters und damit der Marktwert des Programms für die Werbetreibenden. Die Weiterverbreitung durch KABELKOM stellt sich als Möglichkeit dar, eine größere Anzahl von Zuschauern und Zuhörern zu erreichen und damit als ein Vorteil in sich für den Rundfunkveranstalter. In dem Konkurrenzkampf um Marktanteile bestimmt dieser Vorteil kommerzielle wie nicht kommerzielle Rundfunkveranstalter dazu, auf die Zahlung eines Entgelts gerade durch passive Kabelbetreiber, die ihre Programme weiterverbreiten, in der Regel zu verzichten. Entgelte von Rezipienten an den Rundfunkveranstalter, die in seinem Sitzstaat, im Sendestaat, dessen Sendungen empfangen, haben nicht den Zweck, gerade die grenzüberschreitende Leistung zu bezahlen. Typischerweise wird diese grenzüberschreitende Leistung von dem Kabelbelreiber als Leistungsempfänger nicht bezahlt, sie präsentiert sich nicht als Dienstleistung i. S. d. Art. 59, 60 EWGV. Die Übertragung eines Vorführungsrechts von TELEFERN an KABELKOM, für die KABELKOM bezahlt, würde zur Konstituierung einer Dienstleistung führen, dürfte aber bei passivem Kabelrundfunk nicht allzu häufig vorkommen. Die Zahlungen von Werbetreibenden an den Rundfunkveranstalter dagegen führen auch beim passiven Kabelrundfunk zur Entgeltlichkeil der Leistung des Veranstalters an den Kabelbetreiber. Beschränkt auf die Ausstrahlung der Werbesendungen besteht damit eine Dienstleistung gern. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV. 2. Die Leistung des Kabelbetreibers

Der passive Kabelbelreiber erbringt dem Rundfunkveranstalter dadurch eine Leistung, daß er dessen Sendungen an Rezipienten im Empfangsstaat weiterverbreitet. Wenn der in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Rundfunkveranstalter für diese Leistung des Kabelbelreibers zahlt, liegt eine grenzüberschreitende, entgeltliche Leistung vor. Die Deutsche Bundespost verlangt in ihrer Funktion als Kabelbetreiberio von den Rundfunkveranstaltern, die eingespeist werden wollen, die Zahlung von 10000 DM pro Monat und angeschlossenen 500000 Teilnehmern 132• Die Veranstalter müssen an die Bundespost zahlen, damit diese die

132

Klaus Ott, in: SZ Nr. 299, vom 30. I 31.12.1989, S. 41.

G. Entgeltlichkeit grenzüberschreitender Leistungen im Rundfunkbereich

125

Sendungen weitergibt. Dadurch wird der Leistung der Kabelbetreibeein entgeltlicher Charakter verliehen. Die Entgeltlichkeit der Leistung kann sich weiterhin aus den Zahlungen der Rezipienten als Beteiligten in der Leistungsbeziehung begründen. Die Rezipienten im Empfangsstaat zahlen an den Kabelbetreiber, weil und damit er ihnen die Programme der verschiedenen Rundfunkveranstalter überträgt. Die Rezipienten zahlen also gerade für die Tätigkeit, die die Leistung des Kabelbetreibers an den Rundfunkveranstalter darstellt. Diese Leistung des passiven Kabelbetreibers erfolgt demnach grenzüberschreitend und entgeltlich gern. Art. 59, 60 EWGV 133 • IV. Rundfunkveranstalter-Werbekunde In der Leistungsbeziehung des Rundfunkveranstalters zu seinem Werbekunden realisiert sich eine grenzüberschreitende Tätigkeit, indem der Rundfunkveranstalter durch die Ausstrahlung von Werbesendungen an den Auftraggeber dieser Werbesendungen leistet 134. Der Werbekunde als Leistungsempfänger zahlt für diese Ausstrahlung an den Rundfunkveranstalter. Auf dieser Tatsache beruht zu großen Teilen oder ausschließlich die Finanzierung einer Reihe von Rundfunkveranstaltem. Der Rundfunkveranstalter profitiert nicht immer unmittelbar von den Zahlungen der Werbetreibenden. Wenn das Geld etwa zunächst in einen Fond fließt, aus dem es dann aber wieder den Rundfunkveranstaltern zugute kommt, haben die Rundfunkveranstalter nur in indirekter Weise einen Vorteil 135• Der Zweck der Zahlungen der Werbekunden zielt nichtsdestoweniger auf die Ausstrahlung ihrer Werbebotschaften durch den Rundfunksender. Dieser erbringt die erwartete Leistung und erhält aus diesem Grunde ein Entgelt, sei es auch über Umwege. Eine derartige Konstellation ist damit nicht anders zu beurteilen als diejenige, daß der Werbekunde direkt an den Rundfunkveranstalter ein Entgelt entrichtet 136•

133 Ebenso der EuGH Urt. v. 26.4. 1988, Rs. 352185 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2131, Rn. 16; eine Dienstleistung bejaht der EuGH für die Konstellation des Kabelfernsehens auch in EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), S1g. 1980, S. 833, S. 855, Rn. 8; s. auch Magiera, in: Stern u. a., Eine Rundfunkordnung für Europa, S. 72. 134 Jarass, EuR 1986, S. 78; Deringer, ZUM 1986, S. 636; Mestmäcker I Engel I Gabriet-Bräutigam I Hoffmann, Einfluß, S. 40. 135 Vgl. das niederländische System zur Finanzierung der beiden pluralistischen und nicht kommerziellen Rundfunkveranstalter, dargestellt in: EuGH Urt. v. 26.4. 1988, Rs. 352185 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2127, Rn. 6 und 7. 136 Magiera, in: Stern u. a., Eine Rundfunkordnung für Europa, S. 72; vgl. das GrünbuchS. 108.

126

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Der Leistungsempfänger zahlt an den Leistungserbringer für die Vornahme der Leistung. Das ist der klassische Fall einer Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGVI37. V. Aktiver oder passiver Kabelbelreiber -

Rezipienten

In den seltenen Fällen, in denen ein aktiver oder passiver Kabelbetreiber Rundfunksendungen an Rezipienten weiterübermittelt, die in einem anderen Mitgliedstaat als er ansässig sind, ist diese grenzüberschreitende Leistung in der Regel auch entgeltlich. Denn der Kabelbetreiber überträgt die Sendungen im Regelfall deshalb weiter, weil er sich davon einen wirtschaftlichen Vorteil verspricht. Dieser Vorteilliegt in den Zahlungen der Rezipienten. Solche Zahlungen werden an passive wie aktive Kabelbetreiber entrichtet. Wenn sie die Gegenleistung für eine grenzüberschreitende Leistung des Kabelbetreibers darstellen, begründen sie die Entgeltlichkeit der dann bestehenden Dienstleistung i. S. d. Art. 59, 60 EWGV. VI. Aktiver Kabelbelreiber -

Werbekunde

Die Leistungsbeziehung eines aktiven Kabelbetreibers zu einem Werbekunden entspricht in der Gestaltung der Beziehung von Werbekunden zu Rundfunkveranstaltern. Wenn sie derart selbständig arbeiten, füllen die aktiven Kabelbetreiber ohnehin die Rolle eines Rundfunkveranstalters aus. Zahlt der Werbekunde dem aktiven Kabelbetreiber für die Eingabe seiner Werbebotschaften in das Kabelnetz ein Entgelt, dann gewinnt die grenzüberschreitende Leistung entgeltlichen Charakter. Der Vorgang wird als Dienstleistung von den Art. 59 ff. EWGV erlaßt.

H. Die Koordinierung nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV Die Tragweite und Bedeutung der Koordinierung innerstaatlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften gern. Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV bestimmt die Regelungskompetenzder Gemeinschaft im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs. Auf die Koordinierung hat die Konzeption des Begriffs der Beschränkungen in Art. 59 Abs. 1 EWGV einen gewissen Einfluß. Die den Mitgliedstaaten im Kontext einer Koordinierung zustehenden Handlungsspielräume bedürfen besonderer Berücksichtigung. 137 EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2131, Rn. 16; Deringer, ZUM 1986, S. 636; Jarass, Gutachten, G 38, Rn. 53.

H. Koordinierung nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV

127

I. Das Grundverständnis der Koordinierung gern. Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV Wenn unter den unmittelbar aufzuhebenden Beschränkungen des Art. 59 Abs. 1 EWGV nur diskriminierende Regelungen zu verstehen sind, bleibt für nicht diskriminierende Beschränkungen die Möglichkeit und Notwendigkeit der Koordinierung gern Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV 138 • Durch die Koordinierung soll der Dienstleistungserbringer im Empfangsstaat nicht nur die gleichen Bedingungen vorfinden wie die dort ansässigen Leistungserbringer oder Leistungsempfänger. Der Sinn des Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV in diesem Verständnis ist vielmehr, daß die Leistungserbringung unter den Voraussetzungen stattfinden können soll, die schon im Heimatstaat des Erbringers oder Empfängers der Dienstleistung vorlagen 139 • Falls man nicht diskriminierende Behinderungen unter den Beschränkungsbegriff des Art. 59 Abs. 1 EWGV faßt, wird das Ziel, Doppelbelastungen durch zwei oder mehrere anwendbare Rechtsordnungen zu vermeiden, bereits über die Aufhebung der behindernden Bestimmungen erreicht. Die Mitgliedstaaten dürfen nach dieser Konzeption den freien Dienstleistungsverkehr nur noch Beschränkungen unterwerfen, wenn ihnen insoweit Rechtfertigungsgründe zur Seite stehen. Der Aufnahmestaat muß bei der Beurteilung seines Allgemeininteresses das Recht des Sitzstaates des Dienstleistungserbringers oder-empfängersbeachten 140• Damit stellt sich die Frage, welcher Regelungsanspruch für Art. 57 EWGV noch übrig bleibt, wenn man den weiten Beschränkungsbegriff vorzieht. Die Antwort muß im Kontext der Untersuchung der beiden Absätze des Art. 57 EWGV jeweils gesondert gegeben werden. Diese Untersuchung hat von den für den Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV insgesamt zu berücksichtigenden Vorgaben auszugehen.

II. Funktion und Struktur des Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV Die beiden Absätze des Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV dienen dem Zweck, die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten zu erleichtern.

1. Die selbständigen Tätigkeiten Die Tatsache, daß die selbständigen Tätigkeiten Regelungsgegenstand sind, stellt die Verbindung zum Begriff der Dienstleistung in Art. 59, 60 EWGV her. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 57, Rn. 1. Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 57, Rn. l. 140 Roth, EuR 1986, S. 356 und S. 359. 138 139

128

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Nach Art. 60 Abs. 2 EWGV gelten insbesondere die dort aufgezählten selbständigen Tätigkeiten als Dienstleistungen. Die Abgrenzung des Art. 59 EWGV zu Art. 48 EWGV leistet der Begriff der Dienstleistung. Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV sind selbständige Tätigkeiten. Eine Koordinierung kann nur innerhalb der Kompetenzgrenzen der Gemeinschaft vorgenommen werden. Diese Kompetenzgrenzen werden für Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV unter anderem durch den Begriff der Dienstleistung konkretisiert. Die Koordinierung ist damit auf die Erleichterung der Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen im zwischenstaatlichen Verkehr begrenzt. Rein innerstaatliche Dienstleistungen können von der Gemeinschaft nicht geregelt werden 141 . Nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV können nur innerstaatliche Vorschriften koordiniert werden, die Erbringung und Empfang von Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV betreffen1 42.

2. Die Aufnahme einer Tätigkeit Die Aufnahme einer Tätigkeit betrifft Vorschriften über die Niederlassung und im Bereich der Dienstleistungen vor allem Regelungen der Zulassung. Für Dienstleistungen entspricht die Aufnahme der Tätigkeit dem Beginn ihrer Ausübung in einem anderen Mitgliedstaat 143 • Die Zulassung ist die Entscheidung über die Aufnahme der Tätigkeit in dem anderen Mitgliedstaat 144• Die Harmonisierung der innerstaatlichen Regeln über die Zulassung zu einer bestimmten Tätigkeit erleichtert es dem Dienstleistungserbringer, seine Tätigkeit in einem beliebigen Mitgliedstaat aufzunehmen. Wenn ein Rundfunkveranstalter seine Programme in Kabelsysteme eines anderen Mitgliedstaates einspeisen lassen will, können ihm die Regeln über Kabelrundfunk des Empfangsstaates der Leistung Schwierigkeiten bereiten. Der Veranstalter beabsichtigt, dem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Kabelbetreiber eine grenzüberschreitende Leistung zu erbringen, die, zumindest soweit die Werbekunden dafür bezahlen, auch entgeltlich ist. Wird ihm die Weiterleitung der von ihm ausgestrahlten Werbesendungen in Kabelnetzen des anderen Mitgliedstaates verweigert, kann der Rundfunkveranstalter mit der Erbringung der beabsichtigten, grenzüberschreitenden Leistung gar nicht erst beginnen. Ob für diesen Fall Art. 59 Abs. 1 EWGV greift oder die Rechtsangleichung nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV vorgenommen werden muß, steht auf einem anderen Blatt. 141

Anders das Grünbuch, S. 155.

142 Roth, EuR 1987, S. 8.

Grünbuch, S. 155. Anders Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 66, Rn. 7; Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 66, Rn. 4; im Rahmen des Dienstleistungskapitels sei nur die Ausübung angesprochen; die Aufnahme einer Tätigkeit wird mit der Niederlassung verknüpft, die Rechtsfolgen der Einordnung als Aufnahme oder Ausübung sind letztlich gleich. 143

144

H. Koordinierung nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV

129

Die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit kann an Voraussetzungen geknüpft sein, die mit dem EWG-Vertrag vereinbar sind. An einen Rundfunkveranstalter können unter gewissen Voraussetzungen Ansprüche hinsichtlich seiner Organisation, seiner Rechtsform, seiner Finanzierung oder ähnlicher Umstände gestellt werden 145• Ziel der Art. 59 ff. EWGV ist mittels Aufhebung von Beschränkungen und Koordinierung auch, daß die Existenz derartiger Voraussetzungen die DienstIeistungsfreiheit so wenig wie möglich behindert.

3. Die Ausübung einer Tätigkeit Im Rahmen der Ausübung selbständiger Tätigkeiten stehen die Bestimmungen über Aufsicht und Kontrolle der Tätigkeit im Vordergrund. Die Ausübung einer Tätigkeit ist kein punktueller Akt wie die Aufnahme, sondern ein zeitlich gestreckter Vorgang. Im Verlauf der Leistungserbringung kommt die Dienstleistung mit vielen Normen in Berührung, die nicht alle Beschränkungen der grenzüberschreitenden Leistung darstellen 146. Beschränkungen gern. Art. 59 Abs. 1 EWGV greifen in die Leistungserbringung ein und berühren sie nicht nur am Rande 147 • Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV geht über Art. 59 Abs. 1 EWGV hinaus und zielt auf den Erlaß von Richtlinien, die alle die Vorschriften koordinieren, deren Koordinierung die Ausübung der Tätigkeit erleichtert. Das können auch Bestimmungen sein, die keine Beschränkungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1 EWGV darstellen. Von seinem Wortlaut her erlaßt Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV zunächst einmal jede Vorschrift, die auf die Leistungserbringung Einfluß hat. Einerseits können diese Vorschriften Erfordernisse aufstellen, denen die an der Leistungsbeziehung beteiligten Personen genügen müssen. Andererseits können auch an das Produkt selbst, also die Leistung, gewisse Anforderungen gestellt werden. Sowohl tätigkeitsbezogene wie produktbezogene Regelungen sind geeignet, die Ausübung selbständiger Tätigkeiten und damit die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs zu beeinträchtigen. Alle Formen der Dienstleistung und alle beschränkenden Regeln sind grundsätzlich gleich zu behandeln, unabhängig davon, ob der Erbringer, der Empfänger oder die Leistung selbst die Grenze überschreiten 148 • Die Qualifikation als tätigGrünbuch, S. 181. Vgl. Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlerrnann, Kommentar zum EWGV, Art. 57, Rn. 6. 147 Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 133; s. unten die Erörterung des Begriffs der Beschränkungen im 2. Kapitel, 3. Teil, D. I. 148 Nach Auffassung von Roth, EuR 1987, S. 20-21, sollte unter politischen Gesichtspunkten für produktbezogene Regeln mittels der Koordinierung das Ursprungs- oder Sitzlandprinzip verwirklicht werden, während tätigkeitsbezogene Regeln nur dann koordiniert werden sollten, wenn kein milderes Mittel existiert und wirklich Harmonisierungsbedarf besteht. 145

146

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

keitsbezogene oder produktbezogene Regelung kann allenfalls bei der Beurteilung eine Rolle spielen, ob eine Beschränkung oder eine Randbeeinträchtigung vorliegt, ob also Art. 59 Abs. 1 EWGV oder Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV Platz greifen.

4. Das Erleichtern Das Erleichtern der Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten beabsichtigt die Beseitigung von Behinderungen infolge des Bestehens von rechtlichen Unterschieden. Zwar ist mit der Erleichterung der zwischenstaatlichen Leistungserbringung grundsätzlich auch die Vermeidung von Lösungen verbunden, die grenzüberschreitende Dienstleistungen einem schärferen Standard unterwerfen als rein innerstaatliche Dienstleistungen 149• Der gemeinschaftliche Normgeber muß jedoch nicht zwingend eine Lösung auf dem Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners wählen. Sein politischer Spielraum geht weiter. Im Rahmen einer Koordinierung kann mit der Erleichterung des zwischenstaatlichen Dienstleistungsverkehrs auch die Einführung strengerer Regeln in einzelnen Mitgliedstaaten einhergehen 150• Diese Konzeption liegt auch der FernsehRichtlinie der Gemeinschaft zugrunde wie sich aus ihren Inhalten und den Vorarbeiten der Kommission ergibt 151 • Das Erleichtern stößt dort an seine Grenzen, wo der Koordinierung insgesamt Schranken entgegenstehen.

111. Die Schranken der Koordinierung nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV 1. Der Rat als Vertreter des Interesses der Gemeinschaft Die Koordinierung wird durch Richtlinien vorgenommen, die der Rat erläßt. Der Rat beschließt nach Art. 57 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV auf Vorschlag der Kommission und besitzt insoweit eine Entscheidungsbefugnis gern. Art. 145 EWGV. Er ist gern. Art. 57 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 und 3 i. V. m. Art. 66 EWGV zur Zusammenarbeit mit dem Parlament nach Maßgabe des Art. 149 EWGV verpflichtet. 149 Roth, EuR 1986, S. 365, der aus diesem Zweck der Art. 59 ff. EWGV eine Rege1ungskompetenz der Gemeinschaft auch für rein nationale Sachverhalte herleitet. 150 Grünbuch, S. 155. 151 Grünbuch, S. 155; Die audiovisuelle Politik der Gemeinschaft, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Rundfunktätigkeit, Mitteilung der Kommission an den Rat vom 30.4. 1986, ABI. C 179 vom 17. 7.1986 (86/C 179/05), KOM (86) 146 endg. I 2, Begründung, Ziff. 23, S. 9; abgedruckt auch im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 5/86, auf der Grundlage des Dokuments KOM (86) 146 endg., S. 1- 33.

H. Koordinierung nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV

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In diesem Verfahren werden sowohl die Interessen der Gemeinschaft wie die Interessen der Mitgliedstaaten in die Debatte über die Richtlinie eingebracht. Der endgültige Text einer Richtlinie spiegelt den Kompromiß wieder, auf den sich die Mitgliedstaaten letztlich geeinigt haben. Eine Richtlinie ergeht im Gemeinschaftsinteresse, eine innerstaatliche Regelung im Interesse des Mitgliedstaates. Wenn eine Richtlinie Beschränkungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1 EWGV enthält, dann manifestiert sich in dieser Regelung das Interesse der Gemeinschaft. Deshalb ist eine solche Regelung möglich und zulässig. Mittels einer Richtlinie können demnach auch Regelungen getroffen werden, die als innerstaatliche Vorschrift eine Beschränkung i. S. d. Art. 59 Abs. 1 EWGV darstellen würden. 2. Der Ermessensspielraum der Gemeinschaft

Die Gemeinschaft verfügt bei ihren Rechtsetzungsakten genau wie die Mitgliedstaaten über einen von der jeweiligen Ermächtigungsnorm vorgegebenen Ermessensspielraum 152• Die Organe der Gemeinschaft und letztlich der Rat als Entscheidungsinstanz kommen zu einer eigenen Einschätzung der Notwendigkeit von Rechtsakten gern. Art. 189 EWGV. Dieser Einschätzung folgend nehmen sie auf der Grundlage der jeweiligen Kompetenznorm die Schaffung und Ausgestaltung der Vorschriften in Angriff, die sie für angebracht halten. Das Rechtsetzungssystem der Gemeinschaft ist demokratisch nicht in einer Weise legitimiert, die der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten entspricht. Die Rechtsakte tragen zudem häufig Kompromißcharakter. Diese Tatsachen beeinflussen jedoch nicht das Bestehen eines Ermessensspielraum der gemeinschaftlichen Organe 153•

3. Die Grenzen des Ermessens a) Die Grundfreiheiten Das Ermessen der Organe der Gemeinschaft in ihrer Eigenschaft als Normgeber findet seine Grenzen an den durch den EWG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten 154. Adressaten der Grundfreiheiten sind zunächst die Mitgliedstaaten. Art. 62 und 65 EWGV belegen das für die Dienstleistungsfreiheit, da sie den Mitgliedstaaten Pflichten auferlegen. Die Organe der Gemeinschaft haben aber infolge der Art. 4 Abs. 1 und Art. 3 lit.c EWGV nach Maßgabe des Vertrages ihre Tätigkeit auf 152 EuGH Urt. v. 29. 2. 1984, Rs. 37/83 (Rewe), S1g. 1984, S. 1229, S. 1249, Rn. 20, für die Ausübung der Befugnisse gern. Art. 43 und 100 EWGV. 153 Roth, EuR 1987, S. 14-15. 154 EuGH Urt. v. 29.2.1984, Rs. 37/83 (Rewe), S1g. 1984, S. 1229, S. 1248-1249, Rn. 18, für die Warenverkehrsfreiheit.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr auszurichten. Art. 145 EWGV legt den Rat auf die Verwirklichung der Ziele des Vertrages fest. Wenn die Organe der Gemeinschaftaufgrund des Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV tätig werden, dürfen sie also nur zum Zweck des Ausräumens von Hindernissen Maßnahmen ergreifen. Solche Hindernisse auf der Ebene von sekundärem Gemeinschaftsrecht festzuschreiben, kann nicht Aufgabe der Aktivitäten der gemeinschaftlichen Organe sein. Sie sind an die Grundgedanken der Art. 59 ff. EWGV gebunden. Die Erleichterung des Dienstleistungsverkehrs insgesamt kann jedoch punktuelle Erschwerungen mit sich bringen, die als Teil der komplexen Regelungen hinzunehmen und vom Ermessensspielraum der Organe gedeckt sind. Eine gemeinschaftsweite Regelung der Versicherungsaufsicht kann in manchen Mitgliedstaaten zu einer Verschärfung der bestehenden Vorschriften und Standards führen, um eine effektive Beaufsichtigung zu gewährleisten. Da diese Regelungen Teil des Gesamtsystems zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Dienstleistungen auf dem Versicherungssektor sind, können sie auf Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV gestützt werden Iss. Der Ermessensspielraum der Organe der Gemeinschaft umfaßt den Erlaß von Regelungen, die Beschränkungen i. S. d. Art. 59 Abs. l EWGV und Erschwerungen des freien Dienstleistungsverkehrs im Einzelfall enthalten, wenn diese Regelungen die Beschränkungen und Erschwerungen von der innerstaatlichen auf die Ebene der Gemeinschaft heben und in ein Gesamtsystem stellen, das zum Zweck der Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehr geschaffen wird 1s6. b) Art. 7 EWGV Als zentrales Prinzip der gemeinschaftlichen Rechtsordnung ist das Diskriminierungsverbot des Art. 7 EWGV zu beachten. Regelungen der Gemeinschaft dürfen nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminieren. Die Organe der Gemeinschaft sind an Art. 7 EWGV gebunden, da es nach Art. 2 EWGV ihre Aufgabe ist, einen Gemeinsamen Markt zu errichten und sie gern. Art. 4 Abs. 1 EWGV diese Aufgabe im Rahmen ihrer Befugnisse wahrzunehmen haben. Kern des Gemeinsamen Marktes ist aber das Verbot der Diskriminierung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten aus Gründen der Staatsangehörigkeit. 1ss Roth, EuR 1987, S. 14.

156 Vgl. EuGH Urt. v. 29.2.1984, Rs. 37/83 (Rewe), Slg.1984, S. 1229, S. 1249, Rn. 19 und 20, der Gerichtshof stellt fest, die streitige Richtlinie ziele in keiner Weise darauf ab, den freien Warenverkehr zu hemmen, der Ermessensspielraum der Gemeinschaftsorgane sei nicht überschritten und damit die Richtlinie mit dem EWG-Vertrag vereinbar.

H. Koordinierung nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV

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c) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Eine Bindung des gemeinschaftlichen Ermessens ergibt sich ferner aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 157, den auch Regelungen i. S. d. Art. 189 EWGV zu berücksichtigen haben 158 • Bedeutung erlangen kann vor allem die Erforderlichkeit der beabsichtigten Maßnahme der Gemeinschaft. Grundsätzlich ist das Mittel zu wählen, das am wenigsten in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten einschneidet und zur Durchsetzung der legitimen Ziele der Gemeinschaft dennoch geeignet ist. d) Das Prinzip der Gemeinschaftstreue Das in Art. 5 EWGV verankerte Prinzip der Gemeinschaftstreue erlegt nicht nur den Mitgliedstaaten, sondern auch den Organen der Gemeinschaft Bindungen auf 159. Die Organe der Gemeinschaft trifft auch bei der Rechtsetzung die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Kompetenzen der Mitgliedstaaten 160• Sie müssen die nationalen Rechtsordnungen beachten. Die Handlungsmöglichkeiten, welche die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften bieten, dürfen nicht bis zum letzten ausgeschöpft werden 161 • Die Rücksichtnahme auf die innerstaatlichen Rechtsordnungen erweist sich als Mittel, Kompetenzkonflikte zu moderieren und Interessenkonflikte zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten auszugleichen 162• In dieser Funktion ist das Prinzip der Gemeinschaftstreue dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eng verwandt. IV. Der Absatz 1 des Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV Der Rat erläßt nach Art. 57 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise. Die unterschiedlichen Ausbildungsbedingungen der Mitgliedstaaten sollen als Hindernis des freien Dienstleistungsverkehrs ausgeräumt werdenl63. Jarass, Gutachten, G 47, S. 71; ders., EuR 1986, S. 93; lpsen, FS Geck, S. 352. Roth, EuR 1987, S. 16; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 699-701. 159 Zuleeg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 1, Rn. 47; dagegen Mestmäcker I Engel I Gabriel-Bräutigam I Hoffmann, Einfluß, S. 53-54; in einem Beschluß vom 13. 7.1990, Rs. C-2188 (Zwartveld u. a.), mitgeteilt in: Tätigkeiten des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 18190, S. 33, spricht der EuGH ausdrücklich vom Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit; vgl. dazu Schoo, EuGRZ 1990, S. 533. 160 Grundlegend Ossenbühl, Rundfunk, S. 39-45; s. auch L. Seidel, NVwZ 1991, 157 158

S. 125. 161 162

Delbrück, Rundfunkhoheit, S. 53, 57; lpsen, FS Geck, S. 352. Ossenbühl, Rundfunk, S. 45-46.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

1. Die praktische Relevanz Der Dienstleistungserbringer, dem die Anerkennung seiner Befähigungsnachweise verweigert wird, kann von seinen Rechten aus Art. 59 ff. EWGV praktisch keinen Gebrauch machen. Deshalb ist für die Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs die Anerkennung der Diplome anderer Mitgliedstaaten durch den Empfangsstaat ein zentrales Problem 164. Ein Rechtsanwalt kann nicht in jedem Mitgliedstaat die für die Aufnahme der Anwaltstätigkeit in demjeweiligen Staat erforderlichen Prüfungszeugnisse erwerben. Wenn ein Mitgliedstaat nur von ihm selbst ausgestellte Zeugnisse anerkennt, beeinträchtigt das ganz erheblich die Möglichkeit eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Rechtsanwalts, anwaltliehe Dienstleistungen in diesem Staat zu erbringen 165 • Deshalb sind solche Beschränkungen bereits grundsätzlich durch Art. 59 Abs. 1 EWGV verboten, vom sekundären Gemeinschaftsrecht einmal ganz abgesehen 166. 2. Die Gleichwertigkeit

Faßt man unter Beschränkungen i. S. d. Art. 59 Abs. I EWGV auch nicht diskriminierende Beschränkungen, gewährleistet schon der unmittelbar anwendbare Art. 59 Abs. 1 EWGV die Aufhebung innerstaatlicher Vorschriften, welche die Anerkennung gleichwertiger Befähigungsnachweise anderer Mitgliedstaaten nicht zulassen. Dann bedarf es zur gemeinschaftsweiten Geltung entsprechend ausgestalteter Befähigungsnachweise keiner Richtlinien. Eine Einbruchstelle des Art. 57 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV in den freien Dienstleistungsverkehr bietet das Merkmal der Gleichwertigkeit. Wie Art. lOOb 163 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 57, Rn. 5; vgl. z. B. die Richtlinie des Rates vom 21.12.1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschu1diplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (89/48/EWG), ABI. Nr. L 19, vom 24.1.1989, S. 16 ff., auch abgedruckt in: NVwZ 1990, S. 45-49; zur Richtlinie Klein/Beckmann, DÖV 1990, S. 185. 164 Bleckmann, EuR 1987, S. 36-37; Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 66, Rn. 5. 165 Vgl. zur Niederlassungsfreiheit von Rechtsanwälten EuGH Urt. v. 28.4.1977, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, S. 765, S. 778, Rn. 19, wonach bei Gleichwertigkeit der Befähigungsnachweise ihre gegenseitige Anerkennung unter gewissen Voraussetzungen schon von Art. 52 EWGV gefordert wird, auch wenn noch keine Richtlinien gern. Art. 57 EWGV ergangen sind. 166 Für die Dienstleistungen der Rechtsanwälte ist die Richtlinie 77/249 des Rates vom 22. 3. 1977 maßgebend; vgl. zu dieser Richtlinie Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 304; der Gerichtshofhatte sich mit der Durchführung dieser Richtlinie in der Bundesrepublik Deutschland zu beschäftigen in: EuGH Urt. v. 25. 2. 1988, Rs. 427/85 (Rechtsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland), S1g. 1988, S. 1123, S. 1158, Rn. 10, S. 1159, Rn. 13 und passim; zu diesem Urteil und zu der Richtlinie Herbots, CDE 1988, S. 499519.

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Abs. 1 EWGV zeigt, spielt dieser Begriff im Rahmen der Rechtsangleichung insgesamt eine bedeutsame Rolle 167. Im Rahmen der Rechtfertigungsgründe entgehen Beschränkungen i. S. d. Art. 59 Abs. I EWGV in der Regel dann dem Verdikt der Vertragswidrigkeit, wenn die Befähigungsnachweise des Sitzstaates des Dienstleistungserbringers mit denen des Empfangsstaates nicht gleichwertig sind 168• Ein Dienstleistungserbringer, der keine hinreichende Ausbildung aufzuweisen hat, kann den inländischen Leistungserbringern nicht gleichgestellt werden. Da die Beurteilung der Gleichwertigkeit von Befähigungsnachweisen verschiedener Mitgliedstaaten Schwierigkeiten bereitet, stellt eine Richtlinie, die diese Problematik für einen bestimmten Sachbereich klärt, einen Zustand der Rechtssicherheit her. Falls keine Gleichwertigkeit besteht, aber eine Erleichterung der Leistungserbringung beabsichtigt ist, stellt eine Richtlinie ein Mittel dar, um das Erbringen oder den Empfang von Dienstleistungen in einem Maß zu erleichtern, das über die Gewährleistung des Art. 59 Abs. 1 EWGV hinausgeht 169•

3. Koordinierung der gerechtfertigten Beschränkungen Wenn der Befähigungsnachweis eines Angehörigen eines anderen Mitgliedstaates nicht gleichwertig mit entsprechenden innerstaatlichen Diplomen ist, kann diese Beschränkung aus Gründen des nationalen Allgemeininteresses gerechtfertigt sein. Die Koordinierung gern. Art. 57 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV erweist sich dann trotz der Geltung des Art. 59 Abs. 1 EWGV als notwendig, um das Ziel der Gewährleistung eines freien Dienstleistungsverkehrs zu gewährleisten. Der Rat kann Regelungen über die Anerkennung der von mitgliedstaatliehen Behörden ausgestellten Befähigungsnachweise vorsehen, um die durch die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 59 Abs. 1 EWGV aufgebrochenen, innerstaatlichen Rechtsordnungen wieder zu systematisieren. In diesem Zusammenhang werden diejenigen mitgliedstaatliehen Bestimmungen harmonisiert, die gerechtfertigterweise den freien Dienstleistungsverkehr i. S. d. Art. 59 Abs. 1 EWGV beschränken. Die praktische Rolle des Art. 57 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit ist nach dieser Konstruktion trotz der weitgehenden Geltung des Art. 59 Abs. 1 EWG nicht unerheblich. Die Mitgliedstaaten können die umfassende Anerkennung der Befähigungsnachweise anderer Mitgliedstaaten verweigern, soweit sie sich dafür auf Rechtfertigungsgründe stützen Grabitz/v. Bogdany, JuS 1990, S. 175. Vgl. Bleckmann, EuR 1987, S. 38-40, der der Gleichwertigkeit die Tatsache gleichstellen will, daß der Leistungserbringer die Tätigkeit über längere Zeit ohne Beanstandung ausgeübt hat. 169 Roth, EuR 1986, S. 360-362. 167 168

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können. Aufgrund des Art. 57 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV ist dann die Rechtsangleichung der beschränkenden, gerechtfertigten Vorschriften vorzunehmen. Bis dahin verfügen die Mitgliedstaaten über einen weiten Handlungsspielraum 170•

V. Der Absatz 2 des Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV bestimmt, daß der Rat Richtlinien zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten erläßt.

1. Die Funktion der Koordinierung Der Begriff der Koordinierung ist deckungsgleich mit den Begriffen der Harmonisierung und der Rechtsangleichung. Die Koordinierung soll die bestehenden Rechtsregeln zum Zweck der Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit in Einklang bringen, aber keine neue, überlagernde Rechtsordnung schaffen 171 • Die bisher selbständigen Ordnungen werden im Interesse einer übergreifenden Ordnung gegenseitig aufeinander ausgerichtet. Ungleichheiten in der Behandlung von Staatsangehörigen verschiedener Mitgliedstaaten können bestehen bleiben, solange Art. 7 EWGV beachtet wird 172• Nach der Aufhebung der Behinderungen existieren Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen fort. Die Rechtsangleichung dient dazu, den innerstaatlichen Regeln Grundstrukturen zu unterlegen und Mindeststandards zu schaffen. Eine prägende Grundstruktur gemeinschaftlicher Regelungen kann die endgültige Realisierung und Ausgestaltung der Umstände des Ursprungslandprinzips sein 173 • Die Schaffung von Mindeststandards umschließt die Möglichkeit, den Mitgliedstaaten den Erlaß strengerer Regeln vorzubehalten, soweit keine grenzüberschreitenden, sondern rein innerstaatliche Dienstleistungen betroffen sind. Die Koordinierung beinhaltet die Entwicklung spezifischer Lösungen, die in den innerstaatlichen Rechtsordnungen in dieser Form nicht vorgegeben sein müssen. Eine Akzentverschiebung in der Tragweite des Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV ergab sich, als den Art. 59, 60 EWGV mit Ablauf der Übergangszeit unmittelbare Geltung zukam. Der Abbau der Hindernisse für den freien DienstleiVgl. Bleckmann, EuR 1987, S. 37. Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 57, Rn. 5. 172 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 57, Rn. 13. 173 Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 66, Rn. 4. 110 111

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stungsverkehr ging damit in den Aufgabenbereich der Art. 59, 60 EWGV über. Nach Meinung des Gerichtshofs zielt Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV nun namentlich auf die Einfügung einer Reihe von Bestimmungen in das Recht der Mitgliedstaaten, um den praktischen Gebrauch der Dienstleistungsfreiheit zu erleichtern. Richtlinien sollen zudem die besonderen Probleme lösen, die sich aus der Tatsache ergeben, daß der Leistungserbringer nicht vollständig den Berufsregelungen des Staates unterstellt werden kann, in dem die Dienstleistung erbracht wird 174 • Der Erbringer und der Empfänger der Leistung sehen sich im Regelfall zwei Rechtsordnungen gegenüber. Den Rechtsvorschriften des Heimatstaates kommt für die in ihm ansässigen Leistungserbringer und-empfängerunbegrenzte Geltung zu. Die Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates gelten, soweit sie nicht die Leistungserbringung ungerechtfertigt behindern. Die Anforderungen an die Dienstleistung, die sich aus den anwendbaren Regeln ergeben, sind mit der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs in Einklang zu bringen. Die in diesem Spannungsfeld mehrerer Rechtsordnungen bestehenden Probleme soll Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV einer Lösung zuführen. 2. Der Gegenstand der Koordinierung

Die Rolle des Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV hängt davon ab, welche Rechts- und Verwaltungsvorschriften er erfaßt. Gegenstand der Koordinierung sind die Bestimmungen über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten. Aufgrund der Dienstleistungsfreiheit der Rechtsanwälte kann nun nicht die gesamte Rechtsordnung eines Mitgliedstaates der Harmonisierung unterstehen, auch wenn etwa ein einheitliches, gemeinschaftsweites Zivilrecht die Leistungserbringung für Rechtsanwälte erleichtern würde. Bei solchen innerstaatlichen Vorschriften geht es nicht vorrangig um Dienstleistungen i. S. d. EWG-Vertrages. Deshalb können beispielsweise das innerstaatliche Zivil- oder Prozeßrecht insgesamt nicht mittels des Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV koordiniert werden. Es fehlt an einem grenzüberschreitenden, dienstleistungsbezogenen Regelungsanspruch dieser Vorschriften 175. Besteht ein solcher Regelungsanspruch, ist jede innerstaatliche Rechts- oder Verwaltungsvorschrift koordinierbar. Neben materiellen Bestimmungen kann das auch für Normen mit kollisionsrechtlichem Gehalt und fremdenrechtliche Regelungen, die sich auf Angehörige von Mitgiedstaaten bezieht, gelten. Die Rechtsangleichung umfaßt eine Lösung der Probleme, die sich aus der territorialen Begren174 EuGHUrt. v. 3. 12.1974, Rs. 33/74 (vanBinsbergen), Slg. 1974, S.l299, S. 13101311, Rn. 23; vgl. zu Art. 57 EWGV im Rahmen der Niederlassungsfreiheit EuGH Urt. v. 21.6.1974, Rs. 2/74 (Reyners), Slg. 1974, S. 631, S. 651-652, Rn. 21/23. 175 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 66, Rn. 9.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

zung des Verwaltungshandelns, insbesondere der Berufsaufsicht ergeben. Innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Behandlung von Ausländern in ihrer Eigenschaft als Dienstleistungserbringer können gern. Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV koordiniert werden. Die Zuständigkeit nationaler Behörden und der Aufbau eines internationalen Verwaltungsrechts geraten damit in den Blickpunkt 176 • Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV gewährleistet die Möglichkeit, Teile des Verwaltungsrechts der Mitgliedstaaten auf eine Kooperation der Verwaltungsbehörden auszurichten. Der Gemeinschaft kommen aber nur Regelungszuständigkeiten zu, soweit die innerstaatlichen Vorschriften gerade die Erbringung von Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV zu regeln bezwecken. Auf der Ebene sekundären Gemeinschaftsrechts könnte etwa die Zuständigkeit der nationalen Behörden zur Beaufsichtigung s~lbständiger Erbringer grenzüberschreitender Dienstleistungen geregelt werden. Eine Gewerbeaufsicht in gemeinschaftsweitem Rahmen ist Teil der Realisierung des Ursprungslandprinzips. Für die Aufsicht über rein innerstaatliche Vorgänge bleibt jeder Mitgliedstaat allein zuständig. Diese Konzeption entspricht der Regelung in Art. 56 Abs. 2 EWGV. Dort ist die Koordinierung innerstaatlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften vorgeschrieben, die eine nach Art. 56 Abs. 1 EWGV gerechtfertigte Diskriminierung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten nach sich ziehen. In Verbindung mit Art. 66 EWGV läßt der Art. 56 Abs. 1 EWGV Diskriminierungen im Dienstleistungsverkehr zu, setzt aber voraus, daß überhaupt Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV betroffen sind. Die spezifisch fremdenrechtlichen, nämlich die Ausländer diskriminierenden Vorschriften, sind aufgrundvon Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV zulässig. Sie sollen aber gern. Art. 56 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV koordiniert werden. Innerstaatliche Vorschriften, die aus anderen Gründen als dem Art. 56 Abs. 1 i.V. m. Art. 66 EWGV, also etwa aufgrund des Allgemeininteresses mit dem EWG-Vertrag als vereinbar angesehen werden, eigentlich aber eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen, unterliegen der Koordinierung nach Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV 177 • Das Ziel, die Ausübung der selbständigen Tätigkeiten zu erleichtern, erfordert die Harrnonisierung von Vorschriften, die einerseits dem EWG-Vertrag als Beschränkungen unterfallen, andererseits aber aus Gründen des Allgemeininteresses hinzunehmen sind. Art. 56 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV zeigt, daß eine solche Koordinierung aller gerechtfertigten, beschränkenden Vorschriften vom EWG-Vertrag gewollt ist 178• In der Harrnonisierung gerechtfertigter, beschränkender Bestimmungen kann eine Hauptaufgabe des Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV gesehen werden 179 • 176

Roth, EuR 1987, S. 367.

178

Vgl. Schwartz, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 82.

m Seidel, in: Schwarze (Hrsg.), Der Gemeinsame Markt, S. 135.

H. Koordinierung nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV

139

Auf diesem Wege gelangen die Regeln über die Zulassung zu selbständigen Tätigkeiten, die häufig schon Beschränkungen i. S. d. Art. 59 Abs: 1 EWGV darstellen, doch in den Regelungsbereich des Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV. Soweit es um die Anerkennung von Befähigungsnachweisen geht, ist Art. 57 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV einschlägig. Eine Reihe von Beschränkungen werden im Ergebnis nicht unmittelbar beseitigt, sondern können erst über die Koordinierung ausgeräumt werden 180. VI. Rolle und Spielräume der Mitgliedstaaten Die Mitgliedstaaten verfügen bis zur Harmonisierung der gerechtfertigten, beschränkenden Vorschriften über einen erheblichen Handlungsspielraum. Sie entscheiden insoweit autonom über die Anforderungen an Dienstleistungen 181 • Bei der Koordinierung nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV haben sie Gelegenheit, im Rat ihre Interessen einzubringen und Richtlinien zu beeinflussen oder gar zu verhindern. Wenn aber Richtlinien existieren, sind die innerstaatlichen Behörden im Hinblick auf die Erbringung oder den Empfang von Dienstleistungen i. S. d. Art. 59, 60 EWGV an die Vorgaben des sekundären Gemeinschaftsrechts gebunden. Die Richtlinien müssen nach Art. 189 Abs. 3 EWGV ins innerstaatliche Recht umgesetzt werden. Hinsichtlich der Form und der Mittel der Umsetzung sind die Mitgliedstaaten frei und können nationalen Besonderheiten Rechnung tragen. Viele Richtlinien verfügen über einen sehr detaillierten Inhalt. Der Spielraum der Mitgliedstaaten, im Umsetzungsakt auf die Reichweite der Richtlinie Einfluß zu nehmen, ist begrenzt. Richtlinien gelten unter gewissen Voraussetzungen unmittelbar in den innerstaatlichen Rechtsordnungen und können subjektive Rechte des einzelnen Bürgers erzeugen 182• Unter diesem Vorzeichen engen sie den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten ebenfalls ein. Bei der Gestaltung der Richtlinien kommt den Organen der Gemeinschaft, namentlich dem Rat, ein an gewisse Grenzen gebundenes Ermessen zu. Der 179 Mestmäcker I Engel I Gabriel-Bräutigam I Hoffmann, Einfluß, S. 46; auch der EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 856, Rn. 13 und S. 857, Rn. 15, stellt im Rahmen seiner Konzeption die Geltung der durch das Allgemeininteresse gerechtfertigten Vorschriften unter den Vorbehalt der Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften; vgl. EuGH Urt. v. 28. 4. 1977, Rs. 71 /76 (Thieffry), Slg. 1977, S. 765, S. 777, Rn. 11112, wo der Gerichtshof dem Art. 57 EWGV die Aufgabe überträgt, die Niederlassungsfreiheit mit der Geltung durch das Allgemeininteresse gerechtfertigter Berufsregelungen in Einklang zu bringen. 180 Vgl. das Grünbuch, S. 152-153. 181 Steindorff, RIW 1983, S. 835. 182 E. Klein, Unmittelbare Geltung, S. 12-13 und S. 22- 27; Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 114-115; Bleckmann, Europarecht, Rn. 154.

140

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Begriff des Erlassens in Art. 57 EWGV deutet zwar auf eine Verpflichtung zum Erlaß der angesprochenen Richtlinien hin 183 • Im Ergebnis führen aber die Einflußmöglichkeiten der Mitgliedstaaten im Rat auf Zeitpunkt und Inhalt der Richtlinien dazu, daß der Erlaß von Richtlinien weitgehend von den Mitgliedstaaten abhängt. Im Bereich der Ausstrahlung von Rundfunk spielt die gegenseitige Anerkennung von Befähigungsnachweisen kaum eine Rolle. Dagegen sind die Voraussetzungen für die Ausstrahlung von Programmen in andere Mitgliedstaaten von eminenter praktischer Wichtigkeit. Die Koordinierung von Vorschriften über Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit des Ausstrahlens von Rundfunk kann über Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV erfolgen. Soweit innerstaatliche Bestimmungen die Erbringung oder den Empfang von Dienstleistungen i. S. d. Art. 59, 60 EWGV betreffen, können auch rundfunkrechtliche Normen der Koordinierung unterstehen l84.

J. Dienstleistungsfreiheit und Gesellschaften nach Art. 58 EWGV

I. Die Gleichstellung der Gesellschaften mit den natürlichen Personen Im Rahmen der Ausstrahlung von Rundfunk treten hauptsächlich juristische Personen in Erscheinung. Die Rundfunkveranstalter sind regelmäßig Gesellschaften unterschiedlicher Rechtsform. Nach Art. 58 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV stehen für die Anwendung des Kapitels über Dienstleistungen Gesellschaften, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet wurden und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Gemeinschaft sind. Rundfunkveranstalter müssen also schon bei ihrer Gründung dem Recht eines Mitgliedstaates unterworfen gewesen sein, um in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen zu können. Eine Gesellschaft soll von den Vorteilen des Gemeinsamen Marktes nur profitieren können, wenn sie auch der Einwirkung und Kontrolle eines oder mehrerer Mitgliedstaaten der Gemeinschaft unterliegt. Die Rechtsordnung des Staates, in dem sich die Gründung vollzieht, stellt die Mittel zur Kontrolle der Gesellschaftsgründung zur Verfügung, was auch Beschränkungen oder die Untersagung der Gründung beinhalten kann 185 • 183

184 185

Grünbuch, S. 181. Jarass, EuR 1986, S. 92. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 58, Rn. 13.

J. Dienstleistungsfreiheit und Gesellschaften nach Art. 58 EWGV

141

Befindet sich der Sitz der Gesellschaft außerhalb der Gemeinschaft, kommt sie nicht in den Genuß der Rechte aus Art. 59 ff. EWGV. Denn die Tätigkeit der Gesellschaft muß in einer tatsächlichen und dauerhaften Verbindung mit der Wirtschaft eines Mitgliedstaates stehen 186 • Gehört das Kapital einer Gesellschaft ausschließlich einem Angehörigen eines Nichtmitgliedstaates, sind auf die Gesellschaft dennoch die Art. 59 ff. EWG anwendbar, wenn sie die Anforderungen des Art. 58 i. V. m. Art. 66 EWGV erfüllt. Die Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen bedingt, daß die Gesellschaft ihre Tätigkeit zumindest auch in einem Mitgliedstaat ausübt, in dem sie weder Hauptverwaltung, noch Hauptniederlassung, noch einen Sitz mit tatsächlicher Verbindung zur dortigen Wirtschaft hat 187 • Für Rundfunkveranstalter, die in der Gemeinschaft gegründet werden, gelten infolge des Art. 58 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr der Art. 59 ff. EWGV, soweit sie Dienstleistungen i. S. d. EWG-Vertrages erbringen.

II. Der Begriff der Gesellschaften Art. 58 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV erlaßt Gesellschaften des bürgerlichen und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts, wenn sie einen Erwerbszweck verfolgen. Nicht rechtsfähige Gesellschaften gehören ebenso in den Anwendungsbereich des Art. 58 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV wie rechtsfahige Gesellschaften und nicht rechtsfähige Verbände oder öffentliche Unternehmen 188 • Die Gesellschaft muß einen Erwerbszweck verfolgen, und das könnte bei einer Reihe von Rundfunkveranstaltern zweifelhaft sein, die nicht die Erzielung von Gewinn anstreben. Das ist etwa der Fall für die RAI in Italien, für die BBC im Vereinigten Königreich und für die in der ARD zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten und das ZDF in der Bundesrepublik Deutschland 189 • Gesellschaften unterfallen nur der Dienstleistungsfreiheit, wenn sie entgeltliche Dienstleistungen i. S. d. Art. 60 Abs. 1 EWGV erbringen. Für die Entgeltlichkeit ist keine Gewinnerzielungsabsicht des Dienstleistungserbringers notwendig. Ausreichend ist, daß überhaupt eine Zahlung innerhalb der Leistungsbeziehung vorgenommen wird, die die Erbringung der Leistung bezweckt 190• 186 Allgemeines Programm zu Art. 59 ff. EWGV, ABI. Nr. 2, vom 15. 1.1962, S. 32, Abschnitt I; Bleckmann, Europarecht, Rn. 1115. 187 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 66, Rn. 11. 188 Bleckmann, Europarecht, Rn. 1111- 1113; Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 58, Rn. 3 und 4. 189 Grünbuch, S. 205. 19o Vgl. oben 2. Kapitel, 2. Teil, E. 11.3.c.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Die Gleichbehandlung der Gesellschaften mit den natürlichen Personen erfordert eine Interpretation des Begriffs des Erwerbszwecks in Art. 58 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV parallel zu Art. 60 Abs. 1 EWGV. Die Absicht, Einnahmen zu erzielen, um die eigenen Ausgaben zu decken, ist in diesem Zusammenhang als Verfolgung eines Erwerbszwecks zu beurteilen 191 • Vereinigungen müssen sich am Wirtschaftsleben überhaupt beteiligen 192 • Das tun sie durch die Vomahme entgeltlicher Tätigkeiten I93. Rundfunkveranstalter üben verschiedenste Tätigkeiten aus, mit denen sie am Wirtschaftsleben teilnehmen. Programmproduktion und Programmverwertung haben ebenso wirtschaftlichen Charakter wie die Beziehungen zu Unternehmen der Rundfunktechnik oder Unterhaltungsindustrie. Ob der Zweck ihrer Tätigkeit öffentlicher oder privater Natur ist, macht insoweit keinen Unterschied 194• Auch öffentlich-rechtlich organisierte Rundfunkveranstalter sind in den wirtschaftlichen Verkehr involviert, indem sie beispielsweise auf Erträge aus der Rundfunkwerbung abzielen. Veranstalter von Rundfunksendungen stellen Gesellschaften i.S. v. Art. 58 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV dar 195• Die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr der Art. 59 ff. EWGV sind gern. Art. 58 i. V. m. Art. 66 EWGV auf die an der Ausstrahlung von Rundfunk beteiligten Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempranger anwendbar.

K. Handlungsmöglichkeiten der Gemeinschaft im Rundfunkbereich aus Art. 100, lOOa, 235 EWGV I. Die Bestimmungen der Art. 100 und lOOa EWGV 1. Der Art. 100 EWGV Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV ist die wichtigste Vorschrift, um innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu koordinieren, die den freien Verkehr von Dienstleistungen in der Gemeinschaft betreffen. Innerstaatliche Regelungen, die dem Anwendungsbereich des Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV nicht unterfallen, können gern. Art. 100 EWGV harmonisiert werden, wenn sie sich unmittelbar Jarass, EuR 1986, S. 79. Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 297. 193 EuGH Urt. v. 5.10.1988, Rs. 196/87 (Steymann), Slg. 1988, S. 6159, S. 6172, Rn. 9 und 10; Grünbuch, S. 207. 194 Vgl. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 58, Rn. 4 und 7. 195 Ipsen, Rundfunk, S. 528; Schwartz, GRUR, Int., 1982, S. 714-715; Jarass, EuR 1986, S. 79; Grünbuch, S. 206-207. 191

192

K. Handlungsmöglichkeiten aus Art. 100, 100a, 235 EWGV

143

auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirkenl96. Zutreffen kann dies für Vorschriften, die nicht die Aufnahme und Ausübung, sondern andere Aspekte der selbständigen Tätigkeiten betreffen. Diese Vorschriften müßten eine unmittelbare, nachteilige Wirkung auf Errichtung oder Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auf dem Gebiet der Dienstleistungen haben. Ein Zusammenhang mit einer Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV ist damit auch bei Art. 100 EWGV notwendig. Jenseits der Vorschriften, welche die weiten Begriffe der Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten bereits erfassen, bleibt für Art. 100 EWGV nur ein begrenzter Anwendungsbereich. Diese Bestimmung spielt deshalb allenfalls im Randbereich der Erbringung und des Empfangs von Dienstleistungen eine Rolle. 2. Der Art. JOOa EWGV Da Art. 8a EWGV den freien Dienstleistungsverkehr als Ziel nennt, kann neben Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV auch Art. 100a EWGV eingesetzt werden, um Vorschriften zu koordinieren, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Einerseits geht Art. 100a EWGV dem Art. 100 EWGV vor. Denn der Art. 100a Abs. 1 S. 1 EWGV trifft seine Regelung gerade in Abweichung von Art. 100 EWGV. Art. 100a EWGV ist eine lex specialis zu Art. 100 EWGV. Sachbereiche, die gern. Art. 100a EWGV harmonisiert werden können, unterfallen nicht mehr der Rechtsangleichung nach Art. 100 EWGV mit seinem Einstimmigkeitsprinzip 197. Andererseits tritt Art. 100a EWGV hinter Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV zurück198. Der Art. 57 Abs. 2 EWGV ist in Art. 8a EWGV neben dem Art. 100a EWGV aufgeführt. Art. 57 Abs. 1 EWGV gehört zu den sonstigen Bestimmungen des EWG-Vertrages, unbeschadet derer der Art. 100 a EWGV angewendet werden soll. Innerstaatliche Regelungen über die gegenseitige Anerkennung von Diplomen können lediglich mittels Art. 57 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV vereinheitlicht werden. Die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten betreffenden Vorschriften unterfallen dem Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV. Regelungen der Mitgliedstaaten, die darüber hinaus auf den freien Verkehr grenzüberschreitender Dienstleistungen Einfluß nehmen, können gern. Art. 100a EWGV koordiniert werden.

196 Langeheine, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 100, Rn. 74. 197 Eingehend Müller-Graff, EuR 1989, S. 123-131. 198 Müller-Graff, EuR 1989, S. 132.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Art. 57 Abs. 1 und Abs. 2 S. 3 EWGV lassen den Erlaß von Richtlinien mit qualifizierter Mehrheit zu. Das Einstimmigkeitserfordernis des Art. 57 Abs. 2 S. 2 EWGV kann nicht über Art. 100a Abs. 1 S. 2 EWGV ausgehebell werden. Allerdings läßt Art. 100a Abs. 1 S. 2 EWGV auch den Erlaß von Verordnungen zu. Da die Begriffe der Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten einer weiten Auslegung zugänglich sind, verbleibt jedoch für den Art. 100a EWGV nur ein begrenzter Anwendungsbereich. Der Anwendungsbereich der Vorschrift wird weiterhin zu wesentlichen Teilen von Art. 100a Abs. 2 EWGV festgelegt. Danach gilt Art. lOOa Abs. 1 EWGV unter anderem nicht für die Bestimmungen über die Freizügigkeit. Zumindest Teilbereiche der Dienstleistungsfreiheit werden dem Art. lOOa EWGV daher ganz entzogen 199• Der Begriff der Freizügigkeit deutet darauf hin, daß eher personenbezogene Regelungen gemeint sein könnten. Politische Erklärungen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Einheitlichen Europäischen Akte lassen denselben Schluß zu, da Aspekte der Einreise und Einwanderung angesprochen wurden 200 • Die Konstellationen auf dem Gebiet der Dienstleistungen sind unterschiedlich zu behandeln. Vorschriften im Hinblick auf die Situation, daß der Leistungserbringer oder der Leistungsempfänger die Grenze überschreiten, nimmt Art. lOOa Abs. 2 EWGV von der Rechtsangleichung nach Art. 100a Abs. 1 S. 2 EWGV jedenfalls aus. Art. lOOa Abs. 2 EWGV bezieht sich nicht auf innerstaatliche Vorschriften, welche die Ausprägung des Dienstleistungsverkehrs betreffen, in der die Leistung selbst die Grenze überquert. Gerade diese Ausprägung der Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV regelt aber weitgehend schon Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV, weil die wichtigen Aspekte regelmäßig unter die Aufnahme und Ausübung einer selbständigen Tätigkeit gefaßt werden können. Der Art. lOOa EWGV entfaltet damit im Bereich der Erbringung und des Empfangs von Dienstleistungen eine begrenzte Wirkung 201 • Bestimmungen über technische Normen auf dem Sektor der Telekommunikation können die Dienstleistungserbringung beeinflussen. Grenzüberschreitende Bürokommunikation, die Fernkopierer oder Bildtelefone für Telekonferenzen nutzt, wird durch unterschiedliche technische Normen für die Übermittlung der entsprechenden Daten erschwert. Soweit dadurch nicht schon die Ausübung der Leistungserbringung selbst behindert wird, kann in derartigen Fällen Art. lOOa EWGV als Grundlage einer Harmonisierung dienen 202 • 199 200 20 1

30.

Grabitz/v. Bogdany, JuS 1990, S. 174. Langeheine, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. lOOa, Rn. 28-29. Vgl. Langeheine, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 100a, Rn. 27,

202 Vgl. Roth, EuR 1986, S. 364 und S. 368-369, der als Beispiele für die Rechtsangleichung das Warenzeichenrecht und das Recht des unlauteren Wettbewerbs nennt.

K. Handlungsmöglichkeiten aus Art. 100, 100a, 235 EWGV

145

II. Handlungsmöglichkeiten nach Art. 235 EWGV Die Vorschrift des Art. 235 EWGV erteilt dem Rat die Befugnis, einstimmig Maßnahmen zu ergreifen, die über die engeren Ermächtigungen des EWG-Vertrages hinausgehen.

1. Die Subsidiarität Art. 235 EWGV verlangt, daß ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich ist, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes ein Ziel der Gemeinschaft zu verwirklichen und im EWG-Vertrag die dafür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen sind. Art. 235 EWGV gilt also nur subsidiär 203 • Die Vorschriftkommt nicht nur zur Anwendung, wenn der EWG-Vertrag sonst überhaupt keine Ermächtigung zur Verfügung stellt, sondern auch dann, wenn eine Ermächtigung besteht, diese aber zur Verwirklichung des Ziels nicht ausreicht 204 • Entweder ist die speziellere Ermächtigung hinsichtlich ihres Inhalts und ihrer Tragweite zur Verwirklichung des angestrebten Ziels unzureichend, oder sie stellt ein zur Zielverwirklichung unzureichendes Mittel zur Verfügung 205 • Erforderlich i. S. d. Art. 235 EWGV kann auch der Erlaß einer Verordnung in Fällen sein, in denen die speziellere Norm nur Richtlinien vorsieht 206• Damit wird die in den einzelnen Ermächtigungsnormen vorgesehene Beschränkung auf ein bestimmtes Rechtsinstrument nicht aus den Angeln gehoben 207 • Denn Art. 235 EWGV gewährleistet der Gemeinschaft die Möglichkeit zum Handeln lediglich dann, wenn sie ansonsten nicht ausreichend mit Befugnissen ausgestattet ist 208 • Im Vordergrund steht die Verwirklichung des angestrebten Ziels. Auch bei Anwendung des Art. 235 EWGV werden die Mitgliedstaaten i. S. d. Art. 3 i. V. m. Art. 4 Abs. 1 EWGV nach Maßgabe des Vertrages tätig, indem sie von einer im EWG-Vertrag vorgegebenen Befugnis Gebrauch machen 209 •

Everling, EuR, Sonderheft, 1976, S. 14. Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 108; Dom, Art. 235 EWGV, S. 41-44, C 2.4.2., mit Nachweisen, dort auch zur Auffassung, daß die Anwendbarkeit des Art. 100 EWGV den Art. 235 EWGV ausschließe. 2os Schwartz, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 235, Rn. 53. 206 Grabitz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 235, Rn. 48-50. 201 Zuleeg, JöR, N. F. Bd. 20 (1971), S. 20. 2os Dom, Art. 235 EWGV, S. 136, E 1.4.2.; Tomuschat, EuR, Sonderheft, 1976, S. 57. 209 Schwartz, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 235, Rn. 92; zur Auslegung der Ziele des EWG-Vertrages Wittkopp, Freizügigkeit, s. 102-103. 203

204

10 Kugelmann

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Die unzureichende Ermächtigung hat für ihren Anwendungsbereich die Frage nach der Erforderlichkeit der Zielverwirklichung bereits beantwortet. Soweit Art. 235 EWGV angewendet werden soll, muß diese Antwort noch gegeben werden 210•

2. Art. 235 EWGV und die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr a) Der freie Dienstleistungsverkehr allgemein Im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs enthält der Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV die Befugnis zur Koordinierung der entsprechenden innerstaatlichen Vorschriften. Wenn diese speziellere Vorschrift nicht greift, kommt eine Koordinierung nach Art. 100 oder Art. lOOa EWGV in Betracht. Können diese Ermächtigungsnormen ebenfalls die in Frage stehenden Bestimmungen nicht erfassen, darf die Gemeinschaft auf Art. 235 EWGV zurückgreifen 211 • Art. 235 EWGV erfaßt auch Bereiche, die im EWG-Vertrag nur andeutungsweise erfaßt sind und ermöglicht Regelungen, soweit ein Zusammenhang mit den Vertragsmaterien besteht 2 12. Im Zusammenhang mit dem freien Dienstleistungsverkehr geht es um das Ziel des Art. 3 lit.c EWGV, die Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr zu beseitigen. Dieses Ziel ist in den Art. 59 ff. EWGV weiter konkretisiert. Dabei handelt es sich um ein Ziel der Gemeinschaft i. S. d. Art. 235 EWGV 2 13 • Zur Verfolgung dieses Ziels verfügt der Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV im Zusammenspiel mit Art. 100, lOOa EWGV über eine erhebliche Reichweite. Inhaltlich decken diese Bestimmungen in der Regel die Beseitigung der Hindernisse für die Dienstleistungsfreiheit weitgehend ab. Ein Einsatz des Art. 235 EWGV ist rechtlich nicht ausgeschlossen, praktisch aber nur selten erforderlich 214 • Art. 235 EWGV ermöglicht wie Art. 100a EWGV den Erlaß von Verordnungen, während Art. 57 i. V. m. Art. 66 und Art. 100 EWGV nur die Harmonisierung durch Richtlinien vorsehen. Die Beurteilung der Erforderlichkeit eines Tätigwerdens der Gemeinschaft mittels einer Verordnung steht im Ermessen der Gemeinschaftsorgane. Diese müssen die Grenzen des Ermessens beachten 215 , also auch Grabitz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 235, Rn. 52. Vgl. Ossenbühl, Rundfunk, S. 50-54; zur Kette Art. 57, 100, 235, Schwartz, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 235, Rn. 39. 212 Everling, EuR, Sonderheft, 1976, S. 11. 213 Vgl. Dorn, Art. 235 EWGV, S. 112 f., E 1.1.1.; Schwartz, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 235, Rn. 93. 214 Grabitz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 235, Rn. 63-64; vgl. Everling, EuR, Sonderheft, 1976, S. 12. 21s Grabitz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 235, Rn. 65. 210

211

K. Handlungsmöglichkeiten aus Art. 100, 100a, 235 EWGV

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den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemeinschaftlichen Handeins und das Prinzip der Gemeinschaftstreue. Das Gebot der Anwendung des am wenigsten einschneidenden Mittels verlangt den Verzicht auf Verordnungen, solange mit Richtlinien das Ziel genauso effektiv verwirklicht werden kann. Im Rahmen der Beseitigung von Hindernissen des freien Dienstleistungsverkehrs dürften Richtlinien regelmäßig ausreichend sein. Angesichts ihrer Geltung in den nationalen Rechtsordnungen nach der Umsetzung und ihrer Tauglichkeit, subjektive Rechte des einzelnen zu begründen 216, kann eine Richtlinie ohnehin eine sehr weitgehende Wirkung entfalten, die derjenigen einer Verordnung nicht unähnlich ist 217 • Art. 235 EWGV fordert Einstimmigkeit im Rat. Jeder Mitgliedstaat kann Regelungen verhindern, von denen er einen untragbaren Eingriff in seine Interessen befürchtet. Aus dem gleichen Grund beläßt auch Art. 100 EWGV den Mitgliedstaaten einen breiten Handlungsspielraum. Dagegen reicht nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 und IOOa EWGV eine qualifizierte Mehrheit im Rat zum Erlaß von Richtlinien bzw. Verordnungen aus. Schon diese Konstellation rückt den auch inhaltlich weitreichenden Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV in den Mittelpunkt der Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs. Denn eine qualifizierte Mehrheit ist einfacher zu erreichen. b) Die Ausstrahlung von Rundfunk Der Rückgriff auf den Art. 235 EWGV kommt im Kontext der Ausstrahlung von Rundfunk besonders für die Regelung von Vorgängen in Frage, die nicht die Voraussetzungen einer Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV erfüllen. Wenn die Gemeinschaft hinsichtlich solcher Vorgänge ein Tätigwerden für erforderlich hält, kann aber nicht das Ziel des Art. 3 lit.c EWGV betroffen sein, die Hindernisse für den Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen. Denn ein von Art. 235 EWGV erlaßbares Ziel vermag insoweit nur die Beseitigung der Hindernisse für Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV darzustellen 2 18. Der in Art. 3 lit.c EWGV erwähnte freie Personenverkehr hilft als Ansatz für die Anwendung des Art. 235 EWGV nicht weiter, da bei der Ausstrahlung von Rundfunksendungen gerade der Austausch unkörperlicher Leistungen ohne Grenzüberschreitung durch die Beteiligten der Leistungsbeziehungen im Vordergrund steht. 216 Vgl. E. Klein, Unmittelbare Geltung, S. 12-13 und S. 22-27; Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 114-115. 211 Bleckmann, Europarecht, Rn. 168. 21s Ossenbühl, Rundfunk, S. 52- 53, der feststellt, daß die Schaffung einer europäischen Medienordnung außerhab der Vertragsziele liege.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Ein Anknüpfungspunkt für Art. 235 EWGV kann in Art. 3 lit.f oder Art. 3 lit.h EWGV, jeweils i. V. m. Art. 2 EWGV gefunden werden. Der Wettbewerb der Rundfunkveranstalter oder der Werbetreibenden, soweit sie den Rundfunk nutzen, muß vor Verfälschungen geschützt werden. Die Angleichung innerstaatlicher Rechtsvorschriften hinsichtlich der Ausstrahlung von Rundfunk kann mittels des Art. 235 EWGV vorgenommen werden, wenn das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen Marktes dies erfordert und die Art. 57 i. V. m. Art. 66, Art. 100 und Art. lOOa EWGV nicht ausreichen. Maßnahmen gern. Art. 235 EWGV können nur in den für die Rechtsetzung durch die Gemeinschaft bestehenden Grenzen verwirklicht werden. Tätigkeiten die nicht als Teile des Wirtschaftslebens i. S. v. Art. 2 EWGV angesehen werden können, fallen nicht unter die Ziele des EWG-Vertrages 219 • Aspekte der Ausstrahlung von Rundfunk, die ausschließlich kulturellen und gesellschaftspolitischen Charakter tragen und mit keiner Regelungsmaterie des EWG-Vertrages verwandt sind, bleiben aus der Regelungszuständigkeit der Gemeinschaftsorgane ausgeklammert 220 • Die Ausübung des Ermessens hinsichtlich der Erforderlichkeil des Tätigwerdens durch die gemeinschaftlichen Rechtsetzungsorgane stößt an die Schranken des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Prinzips der Gemeinschaftstreue. Eine sorgfältige Untersuchung des Dienstleistungsbegriffs ermöglicht die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Gemeinschaft von den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten im Rundfunkbereich. Die derart ermittelten Kompetenzbereiche der Mitgliedstaaten müssen von der Gemeinschaft respektiert werden. Eine umfassende Regelung der Materie des Rundfunks, die auf Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV und, soweit keine Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV vorliegen, auf den Art. 235 EWGV gestützt würde, widerspräche dem Prinzip der Gemeinschaftstreue 221. Maßnahmen im Rundfunkbereich aufgrunddes Art. 235 EWGV bereiten auch im Hinblick auf ihre Proportionalität besondere Schwierigkeiten. Denn die involvierten Interessen der Mitgliedstaaten führen zur Unverhältnismäßigkelt von Maßnahmen, die zu einseitig den Interessen der Gemeinschaft den Vorrang einräumen. Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gemeinschaftstreue engen den Spielraum der Gemeinschaft ein. Maßnahmen der Gemeinschaft auf dem 219

Rn. 9.

EuGH Urt. v. 5.10.1988, Rs. 196/87 (Steymann), Slg. 1988, S. 6159, S. 6172

22o Scharf, in: Magiera (Hrsg.), Entwicklungsperspektiven, S. 156; vgl. Delbrück, Rundfunkhoheit, S. 30-34. 221 Ossenbühl, Rundfunk, S. 49, 53; vgl. lpsen, Rundfunk, S. 520, der auf der Basis von Art. 235 EWGV die Schaffung eines ,,Aktionsprogramms Medienpolitik" für möglich hä1t, dem Erlaß rechtlich bindender Regelungen aber wohl kritisch gegenüber steht.

L. Die Kompetenzen der Gemeinschaft und die Fernseh-Richtlinie

149

Gebiet des Rundfunks können auf Art. 235 EWGV nur gegründet werden, wenn die Zuständigkeitsbereiche der Mitgliedstaaten nicht über Gebühr angetastet werden.

L. Die Kompetenzen der Gemeinschaft und die Fernseh-Richtlinie Als Anschauungsmaterial bieten sich die Regeln der Fernseh-Richtlinie der Gemeinschaft an 222 • An die Seite der Frage, ob die Gemeinschaft Regelungsbefugnisse besitzt, tritt die Frage, was sie regeln darf. Dieser die Inhalte betreffende Problemkreis kann nur für Fernsehveranstalter und Fernsehsendungen Bedeutung gewinnen, auf die die Richtlinie anwendbar ist.

I. Die Auswirkungen der Rechtsgrundlage Die Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit vom 3.10.1989 basiert auf Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV. Die Gemeinschaft hat nur dann die Kompetenz zum Erlaß einer Richtlinie nach Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV, wenn Regeln über Erbringung und Empfang von Dienstleistungen harmonisiert werden. Es kommen also nur die bereits identifizierten, grenzüberschreitenden entgeltlichen Leistungen als Gegenstand der Rechtsangleichung in Betracht. Vorgänge, welche die Voraussetzungen der Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV nicht erf'lillen, unterfallen nicht der Kompetenz der Gemeinschaft zur Harmonisierung.

II. Die Schranken der Kompetenz Die Gemeinschaft ist an die Zielvorgaben des Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV gebunden. Sie muß mit dem Ziel vorgehen, die Ausübung der selbständigen Tätigkeiten insgesamt zu erleichtern. Dabei ist sie verpflichtet, die durch den EWG-Vertrag gewährleisteten Freiheiten und das Diskriminierungsverbot des Art. 7 EWGV zu beachten. Schranken des Ermessensspielraums, welcher der Gemeinschaft als Normgeber zur Verfügung steht, sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Prinzip der Gemeinschaftstreue 223. 222 223

Richtlinie vom 3.10.1989, ABI. Nr. L 298, vom 17.10.1989, S. 23-30. S. oben 2. Kapitel, 2. Teil, H. Ill.3.

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

150

Die Gemeinschaftstreue manifestiert sich für die Organe der Gemeinschaft in einer Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Mitgliedstaaten und deren Zuständigkeitsbereiche224. Wenn und soweit Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV vorliegen, verfügt die Gemeinschaft über eine Regelungskompetenz. Diese Kompetenz hat sie aber in einer Form auszuüben, welche die den Mitgliedstaaten verbliebenen Zuständigkeiten und damit deren Souveränität nicht über Gebühr beeinträchtigt.

111. Die Materien der Fernseh-Richtlinie 1. Die Förderung der Verbreitung und Herstellung von Fernsehprogrammen Die Art. 4 und 5 der Fernseh-Richtlinie über die Förderung europäischer Programme konstituieren nach Überzeugung der Mitgliedstaaten, des Rates und der Kommission nur politische, keine rechtlich einklagbaren Verpflichtungen 225 . Dem Rat steht es frei, seine politische Meinung darüber zu äußern, wie die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten erleichtert werden kann 226. Rechtliche Bedenken gegen solche Meinungsäußerungen bestehen grundsätzlich auch dann nicht, wenn sie in einer Richtlinie getätigt werden. Gegen die Verbindlichkeit des Art. 7 der Fernseh-Richtlinie wurden keine Einwände erhoben. Kinospielfilme dürfen danach erst zwei Jahre nach Beginn ihrer Kinoaufführung im Fernsehen gezeigt werden 227 . Falls die Ausstrahlung oder Weiterverbreitung von Spielfilmen eine Dienstleistung i. S. d. Art. 59, 60 EWGV ist, erweist sich der Art. 7 als Einengung des Spielraums der Rundfunkveranstalter und Kabelbelreiber hinsichtlich der Programmgestaltung. Die Vorschrift stellt eine nicht diskriminierende Beschränkung der grenzüberschreitenden Ausstrahlung von Spielfilmen dar. Mit einer Richtlinie aufgrund des Art. 57 Abs. 2 i. V.m Art. 66 EWGV können derartige Beschränkungen auf die gemeinschaftsrechtliche Ebene gehoben werden. Die Ausübung der Fernsehtätigkeit müßte allerdings insgesamt durch die Vorschrift des Art. 7 erleichtert werden. Eine funktionierende Spielfilmproduktion ist die Voraussetzung, um den Bedarf der Fernsehveranstalter nach Spielfilmen zu befriedigen. Ihre Tätigkeit wird langfristig durch derartige Strukturmaßnahmen abgesichert. Die entsprechenden Erwägungen der Richtlinie halten sich in dem Beurteilungsspielraum, der dem Rat zusteht 228. 224 Ossenbühl, Rundfunk, S. 45-46; Hailbronner, JZ 1990, S. 152; Jarass, EuR 1986, S. 94; Reich, EuR 1987, S. 8; Bleckmann, Europarecht, Rn. 413, 417. 225 So die Erklärung des Rates und der Kommission für das Ratsprotokoll zu Art. 4. 226 S. die Erwägungsgründe der Richtlinie vom 3.10.1989, ABI. Nr. L 298, vom 17.10.1989, 221

s. 24-25.

Richtlinie, ebd., S. 27.

L. Die Kompetenzen der Gemeinschaft und die Fernseh-Richtlinie

151

Die Norm des Art. 7 ist zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks geeignet. Der Erforderlichkeil der Regelung könnte entgegenstehen, daß die Mitgliedstaaten weniger belastende Regelungen im Rahmen des Europarats oder der Europäischen Rundfunkunion (UER) ergreifen könnten 229 • Als mildere Mittel würden damit Maßnahmen gewertet, die jenseits der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft liegen. Vergleichbar sind aber nur die Mittel, deren Anwendung in der Macht der Organe der Gemeinschaft liegt. Die Gemeinschaft als supranationale Organisation hat keinen Einfluß auf das Zustandekommen von Regelungen in anderen internationalen Organisationen. Innerhalb der Untersuchung der Verhältnismäßigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung darf nicht auf außerhalb der Gemeinschaft bestehende Handlungsmöglichkeiten abgestellt werden 230 • Ein gleich geeignetes, alternatives Mittel gibt es nicht. Art. 7 ist verhältnismäßig. Die Gemeinschaft könnte mit dieser Vorschrift zu tief in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Gestaltung ihres Rundfunksystems eingreifen und damit das Prinzip der Gemeinschaftstreue durch Überdehnen der Regelungsbefugnis aus Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV beeinträchtigen. Der Schutz der Produktion von Kinospielfilmen betrifft die Ausübung der Fernsehtätigkeit und die damit zusammenhängenden Dienstleistungen nur am Rand. Die Unterstützung der Herstellung von Spielfilmen auf seinem Staatsgebiet ist Sache jedes Mitgliedstaates. Die Förderung der europäischen Filmproduktion dagegen ist nicht die Aufgabe und liegt auch nicht unbedingt im Interesse jedes einzelnen Mitgliedstaates. Soweit die Unterstützung europäischer Produktionen im Verhältnis zu Filmen aus den USA bezweckt ist, kann dieser Zweck auf europäischer Ebene erfolgversprechender verfolgt werden als durch isolierte Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten. Die Ausstrahlung von Spielfilmen durch Fernsehveranstalter oder ihre Weiterverbreitung durch Kabelbetreiber erfüllt ohnehin nur in seltenen Fällen den Tatbestand einer Dienstleistung gern. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV. Deshalb ist von einer entsprechenden Schutznorm die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten nicht erheblich betroffen. Dem Prinzip der Rücksichtnahme auf die Zuständigkeitshereiche der Mitgliedstaaten wurde von der Gemeinschaft mit Art. 7 in ausreichendem Maße Rechnung getragen.

Vgl. die Erwägungsgründe der Richtlinie, ebd., S. 25. Delbrück, Rundfunkhoheit, S. 62; Stellungnahme des Bundesrates zu 2 BvG I I 89, s. 15. 230 Vgl. Schwartz, EuR 1989, S. 2-4, der Unterschiede in der Effektivität zwischen der Fernseh-Richtlinie und der Konvention des Buroparats aufzeigt und dergestalt die fehlende Vergleichbarkeit der Regelungsmöglichkeiten verdeutlicht. 22s 229

152

2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

2. Fernsehwerbung und Sponsoring Die Werbung betrifft besonders die Leistungsbeziehung zwischen Rundfunkveranstaltern und Werbetreibenden. In dieser Leistungsbeziehung können sich Dienstleistungen i. S. d. Art. 59, 60 EWGV abspielen. Die Zahlungen der Werbetreibenden können aber auch Leistungen des Rundfunkveranstalters an Kabelbetreiber oder Rezipienten das Element der Entgeltlichkeit vermitteln. Die Festlegung von Mindeststandards für grenzüberschreitende Fernsehsendungen erleichtert den Fernsehveranstaltern i. S. d. Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV die Ausübung ihrer Tätigkeit, weil sie bei Erfüllung der Anforderungen der Richtlinie grundsätzlich davon ausgehen können, daß der Ausstrahlung ihrer Programme in andere Mitgliedstaaten keine Hindernisse entgegengesetzt werden. Denn die Mitgliedstaaten können zwar für Veranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind, strengere Vorschriften erlassen. Nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 der Fernseh-Richtlinie haben sie jedoch den Empfang und die Weiterverbreitung von Programmen mit Ursprung in anderen Mitgliedstaaten, die den Regeln der Richtlinie entsprechen, zu gewährleisten. Konnten die Mitgliedstaaten bisher aufgrund ihres innerstaatlichen Allgemeininteresses die Fernsehwerbung beschränken oder verbieten, so ist ihnen diese Möglichkeit ab dem Zeitpunkt der Anwendbarkeit der Fernseh-Richtlinie genommen231. Die unmittelbare Wirkung des Art. 59 Abs. 1 EWGV und die gerechtfertigten, nicht diskriminierenden Beschränkungen gerade im Bereich der Werbung haben unterschiedliche Bedingungen für die Leistungserbringung geschaffen, die durch die Richtlinie vereinheitlicht werden. Den Art. 10-18 der Fernseh-Richtlinie sind in Art. 19-21 und Art. 3 Abs. 1 Vorschriften beigegeben, die den Mitgliedstaaten weite Handlungsspielräume für die strengere Ausgestaltung und Kontrolle der Fernsehwerbung einräumen 232 • Der Richtlinie kann man deswegen jedoch nicht mangelnde Effizienz zur Vereinheitlichung vorwerfen und aus diesem Grund die Geeignetheil der Art. 10-18 verneinen 233 • Die Mitgliedstaaten haben die Kompetenz zur Festlegung der rechtlichen Rahmenbedingungen und können in diesem Zusammenhang auch strengere Vorschriften über Fernsehwerbung für die ihrer Rundfunkhoheit unterstehenden Veranstalter beibehalten. Die Fernseh-Richtlinie verankert jedoch verbindliche Mindeststandards und ermöglicht damit den freien Empfang und die freie Weiterverbreitung von Fernsehprogrammen aus anderen Mitgliedstaaten in der Gemeinschaft234. Sie erweist sich zu diesem Zweck als effizient, denn gegenüber 231 EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 858, Rn. 21. 232 Richtlinie vom 3.10.1989, ABI. Nr. L 298, vom 17.10.1989, S. 28-29, 26. 233 So aber Delbrück, Rundfunkhoheit, S. 60-61. 234 Dazu Rudolph, AfP 1986, S. 107.

L. Die Kompetenzen der Gemeinschaft und die Fernseh-Richtlinie

153

Rundfunkveranstaltern aus anderen Mitgliedstaaten können die Mitgliedstaaten keine beschränkenden Maßnahmen mehr einleiten 235 • Eine Minimalregelung ist das mildeste Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks 236 • Die Erforderlichkeit entfallt nicht deshalb, weil kein Regelungsbedarf bestünde 237 • Hinsichtlich grenzüberschreitender, entgeltlicher Fernsehsendungen ist nicht zu bestreiten, daß Vorgaben für die Werbung als notwendig oder zumindest wünschenswert erachtet werden können. Der Ermessensspielraum der Gemeinschaft deckt die Schaffung einschlägiger Vorschriften. Die Werberegeln der Richtlinie sind erforderlich 238. Infolge der den Mitgliedstaaten eingeräumten, umfangreichen Handlungsspielräume hat die Gemeinschaft ihre Kompetenz nicht überdehnt und auf die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten ausreichend Rücksicht genommen 239 •

3. Jugendschutz und Gegendarstellungsrecht Die Aufgabe der Art. 22 und 23 über den Jugendschutz und das Gegendarstellungsrecht besteht wie die der Werberegeln in der Normierung von Mindeststandards, um die Verkehrsfahigkeit von Fernsehprogrammen in der Gemeinschaft zu gewährleisten. Die Durchsetzung und Verwirklichung der Art. 22, 23 liegt in den Händen der Mitgliedstaaten 240 • Die beiden Normen sichern die Ausstrahlung von Fernsehsendungen ab, da sie Grenzen für das Aussehen von Programmen abstecken. Die Richtlinie bildet insoweit den Rahmen, in dem sich Erbringung und Empfang der im Zusammenhang mit dem Fernsehen stehenden Dienstleistungen vollziehen. Den Art. 22, 23 kann die Geeignetheit nicht abgesprochen werden 241 • Wiederum folgt aus dem Charakter der Vorschriften als Mindeststandards, daß ein weniger belastendes 235 Kritisch dazu Hoffmann-Riem, RuF 1988, S.l7-18, der darauf hinweist, daß Veranstalter aus anderen Mitgliedstaaten Wettbewerbsvorteile gegenüber inländischen Programmen erlangen könnten, wenn die inländischen Veranstalter strengeren Bindungen unterliegen, was die Mitgliedstaaten mittelbar zur Liberalisierung veranlassen würde; nach seiner Ansicht ist der Schutz der Funktionsfähigkeit der Rundfunkordnung als solcher zwar am ehesten international zu organisieren, die Gemeinschaft habe dazu aber keine Kompetenz. 236 Vgl. Reich, ZHR 153 (1989), S. 590, nach dessen Auffassung Regelungskonflikte minimiert werden, wenn Richtlinien nur Mindeststandards vorsehen. 237 Delbrück, Rundfunkhoheit, S. 62-63. 238 Roth, EuR 1987, S. 16-17, der mögliche Wettbewerbsnachteile inländischer Veranstalter erkennt, Nachteile für den Export von Dienstleistungen als Konsequenz aus der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten aber für unbedenklich hält. 239 Anders wohl Hailbronner, JZ 1990, S. 149, der der Fernseh-Richtlinie vorwirft, mit den detaillierten Bestimmungen über Art und Maß der Werbung tief in die Kulturhoheit der deutschen Bundesländer einzugreifen. 240 Richtlinie vom 3.10. 1989, ABI. Nr. L 298, vom 17.10.1989, S. 29-30. 241 Für den Jugendschutz ebenso Delbrück, Rundfunkhoheit, S. 61.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

Mittel nicht in Betracht kommt. Die in den Art. 22, 23 den Mitgliedstaaten zugeschriebenen Befugnisse im Zusammenhang mit Art. 3 lassen eine genügende Berücksichtigung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten erkennen 242 • Die Fernseh-Richtlinie entspricht in ihrer Gesamtheit dem Gemeinschaftsrecht

IV. Der Anwendungsbereich der Richtlinie Jeder Mitgliedstaat hat gern. Art. 3 Abs. 2 der Fernseh-Richtlinie für die Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinie durch Fernsehveranstalter Sorge zu tragen, die i. S. d. Art. 2 Abs. 1 seiner Rechtshoheit unterworfen sind oder eine von ihm zugeteilte Frequenz auf einem Satelliten benutzen. Ein Fernsehveranstalter, der einem aktiven oder passiven Kabelbetreiber in einem anderen Mitgliedstaat seine Programme gegen Entgelt überträgt, unterliegt mit diesen Programmen den Anforderungen der Richtlinie. Die Kabelbetreiber selbst sind von der Fernseh-Richtlinie nur betroffen, wenn sie als Fernsehveranstalter bezeichnet werden können. Das kann für aktive Kabelbetreiber der Fall sein. Wenn sie aber eigenständige Programmfunktionen wahrnehmen und die Programme nicht in einer Form weitergeben, die den Urheber erkennen läßt, erbringen die Kabelbetreiber gerade keine Dienstleistungen nach Art. 59 Abs. 1, 60EWGV. Ein Fernsehveranstalter, der aufterrestrischem Wege an Rezipienten in seinem Sitzstaat Sendungen ausstrahlt, braucht sich nicht an die Regeln der FernsehRichtlinie zu halten. Denn auch soweit seine Programme im Grenzgebiet eines anderen Mitgliedstaates empfangen werden könne, fehlt dieser Leistung die Entgeltlichkeit, und sie wird nicht von den Art. 59 ff. EWGV erfaßt. Wenn derselbe Fernsehveranstalter seine Programme auch über Rundfunksatellit in andere Mitgliedstaaten überträgt, hat er die Regeln der Fernseh-Richtlinie über Werbung und Sponsering einzuhalten. Da werbetreibende Unternehmen insofern der grenzüberschreitenden Leistung an die Rezipienten in dem anderen Mitgliedstaat durch ihre Zahlungen entgeltlichen Charakter verleihen, handelt es sich bei den Werbesendungen und gesponserten Programmen um Dienstleistungen nach Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV. Die Definitionen der Fernsehwerbung und des Sponsoring in Art. 1 lit.b und d der Fernseh-Richtlinie erweisen sich in diesem Kontext als zweckmäßig, um den Anwendungsbereich der Richtlinie zu bestimmen.

Art. 20 der Richtlinie bestätigt den Mitgliedstaaten ihr Recht, für im Inland ausgestrahlte Sendungen andere Regelungen über das Einfügen von Werbung ins Programm und die Werbezeitgrenzen vorzusehen als die Richtlinie. Da die 242

Anders die Stellungnahme des Bundesrates zu 2 BvG 1/89, S. 11.

L. Die Kompetenzen der Gemeinschaft und die Fernseh-Richtlinie

155

Vorschriften der Richtlinie rein inländische Fernsehsendungen nicht betreffen, hat der Art. 20 nur deklaratorischen Charakter 243 • Die Fernseh-Richtlinie gilt nach ihrem Art. 2 Abs. 3 nicht für Fernsehsendungen, die ausschließlich zum Empfang in Nichtmitgliedstaaten bestimmt sind und die nicht unmittelbar oder mittelbar in einem oder mehreren Mitgliedstaaten empfangen werden können. Falls eine Sendung mit Ursprung in einem Mitgliedstaat in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten empfangen werden kann, stellt die Richtlinie einen grundsätzlichen Geltungsanspruch. Dieser Geltungsanspruch endet dort, wo es an der Grenzüberschreitung oder der Entgeltlichkeit fehlt.

V. Der nationale Umsetzungsakt Richtlinien sind nach Art. 189 Abs. 3 EWGV zunächst nur für die Mitgliedstaaten verbindlich. Bindungswirkung entfalten sie, soweit sie dem Primärrecht entsprechen. Im Hinblick auf Fernsehveranstalter, auf die die Fernseh-Richtlinie nicht anwendbar ist, haben die Mitgliedstaaten mit den Festschreibungen der Fernseh-Richtlinie allenfalls politische Absichtserklärungen abgegeben. Die Richtlinie bedarf der Umsetzung ins innerstatliche Recht. Nach den Regeln ihrer jeweiligen Verfassung erlassen die Mitgliedstaaten Gesetze oder Verordnungen, um den Inhalt der Richtlinie in ihrer Rechtsordnung anwendbar zu machen 244 • Diese innerstaatlichen Normsetzungsakte können die in der Fernseh-Richtlinie niedergelegten Grundsätze auch für Fernsehveranstalter vorschreiben, die keine Dienstleistungen gern. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV erbringen. Die Geltung der entsprechenden Bestimmungen beruht für diese Veranstalter dann aber lediglich auf der innerstaatlichen Regelungsgewalt des einzelnen Mitgliedstaates, dem auch die Ausgestaltung des Umsetzungsaktes obliegt. Eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung, die Bindungen der Fernseh-Richtlinie auch Fernsehveranstaltern aufzuerlegen, die keine Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV realisieren, gibt es nicht. VI. Konsequenzen In der Praxis bedeutet die hier vorgestellte Konzeption, daß eine Reihe von Fernsehveranstaltern, die die Versorgung der Bevölkerung ihres Sitzstaates mit Fernsehsendungen beabsichtigen, von der Fernseh-Richtlinie nicht betroffen sind. TF 1 oder Antenne 2 in Frankreich, BBC oder ITV im Vereinigten Königreich 243 Nach Auffassung von Möwes I Schmitt-Vockenhausen, EuGRZ 1990, S. 122, erfaßt die Richtlinie dagegen auch rein inländische Programme. 244 Bleckmann, Europarecht, Rn. 161; Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 115.

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2. Kap. 2. T.: Der Rundfunk im EWG-Vertrag

und auch ARD oder ZDF in der Bundesrepublik Deutschland brauchen die Ausübung ihrer Tätigkeit nicht auf die Erfordernisse der Fernseh-Richtlinie abzustimmen, weil die Richtlinie nicht auf sie anwendbar ist. Wenn diese oder andere Fernsehveranstalter auch mittels Satelliten ausstrahlen, kann sich diese Bewertung ändern. Soweit Werbekunden der Fernsehveranstalter zum Zweck der Ausstrahlung ihrer Werbesendungen Zahlungen an die Veranstalter entrichten, erbringen diese den Rezipienten in einem anderen Mitgliedstaat eine Dienstleistung nach Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV. Diese Dienstleistung muß den Vorschriften der Fernseh-Richtlinie entsprechen.

3. Te i 1

Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit Nach Art. 59 Abs. 1 EWGV werden Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs aufgehoben. Wenn feststeht, ob eine Dienstleistung vorliegt, folgt die Erörterung, ob das der Erbringung der Dienstleistung im konkreten Fall entgegenstehende Hindernis eine Beschränkung i. S. d. Art. 59 Abs. 1 EWGV darstellt. Wenn sie nicht durch Rechtfertigungsgründe gedeckt ist, muß eine solche Beschränkung aufgehoben werden.

A. Die Problematik des Beschränkungsbegriffs Der Begriff der Beschränkungen beinhaltet auf jeden Fall Diskriminierungen von Angehörigen anderer Mitgliedstaatenaufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder aufgrund des Umstandes, daß sie in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind als in demjenigen, in dem die Leistung erbracht werden soll. Einer gründlichen Erörterung ist die Frage zu unterziehen, ob über diesen Mindestgehalt hinaus der Begriff der Beschränkungen auch Hindernisse umfaßt, die nicht diskriminierend sind, aber sonst die Erbringung oder den Empfang der Dienstleistung erschweren. Jede Diskriminierung ist auch eine Beschränkung, aber nicht jede Beschränkung muß auch eine Diskriminierung sein. Der Beschränkungsbegriff kann dann in das System eingeordnet werden, das die unmittelbare Geltung des Art. 59 EWGV 1 , die Möglichkeiten der Rechtfertigung für beschränkende Vorschriften und die Koordinierung solcher Vorschriften gern. Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV bilden.

I. Der enge Beschränkungsbegriff Ein enges Verständnis des Begriffs der Beschränkungen steht vor dem Hintergrund einer Konzeption, die das Ziel der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr in der Realisierung des gleichberechtigten Zugangs aller Bürger der Gemeinschaft zu den selbständigen Erwerbstätigkeiten sieht 2• 1

Vgl. EuGH Urt. v. 3.12.1974, Rs. 33/74 (van Binsbergen), Slg. 1974, S. 1299,

s. 1311, Rn. 24126.

2 Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 2.

158

2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

Ein Dienstleistungserbringer soll nicht schlechter stehen, als wenn er in dem Staat ansässig wäre, in dem er die Leistung erbringt. Das Spiegelbild dieser Konzeption der Gleichbehandlung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten mit den Inländern durch die innerstaatlichen Vorschriften eines Mitgliedstaates ist die Begrenzung des Beschränkungsbegriffs auf Diskriminierungen 3 • Der Dienstleistungserbringer oder -empfänger, der im Rahmen der Leistungserbringung die Grenze überschreitet, muß die Vorschriften des Leistungsstaates beachten und erfüllen. Wenn nur die Leistung selbst die Grenze überschreitet, gilt für sie beschränkende Regelungen des Empfangsstaates nichts anderes 4 • Nur diskriminierende Vorschriften sind als Beschränkungen gern. Art. 59 Abs. 1 EWGV aufzuheben, nicht diskriminierende Beschränkungen unterstehen der Koordinierung nach Art. 57 EWGV.

II. Der weite Beschränkungsbegriff Ein Verständnis des Begriffs der Beschränkungen, wonach dieser diskriminierende wie nicht diskriminierende Hindernisse des freien Dienstleistungsverkehrs umfaßt, erweitert den Anwendungsbereich des Art. 59 Abs. 1 EWGV. Die Vorschrift trifft dann auch innerstaatliche Regelungen, die unterschiedslos für in anderen Mitgliedstaaten ansässige wie inländische Leistungserbringer oder -empfänger gelten 5 • Die Dienstleistungsfreiheit verlangt nach dieser Konzeption die Aufhebung aller dieser Beschränkungen 6 •

B. Konsequenzen der Auslegung des Beschränkungsbegriffs Die Auslegung des Begriffs der Beschränkungen entscheidet nicht nur über die Tragweite des Art. 59 Abs. 1 EWGV, sondern auch über die Tragweite des Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV. Denn innerstaatliche Rechts- oder Verwaltungsvoschriften, die bereits aufgrund der unmittelbaren Geltung des Art. 59 Abs. 1 EWGV aufzuheben sind, brauchen nicht mehr koordiniert zu werden. Damit fallt die Entscheidung über die Verwirklichung des Ursprungslandprinzips. Einfluß gewinnt die Interpretation des Art. 59 Abs. 1 EWGV weiterhin auf die Systematik des EWG-Vertrages und damit auf das Verständnis insbesondere der Art. 7, 30, 48, 52 und 67 EWGV. Eine weite Auslegung des Art. 59 Abs. 1 3 Börner, ZUM 1985, S. 582; Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S. 645, 35/7; Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 11. 4 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 11, 14. s lpsen, Rundfunk, S. 526. 6 Steindorff, RIW 1983, S. 832; Jarass, EuR 1986, S. 87.

B. Konsequenzen der Auslegung des Beschränkungsbegriffs

159

EWGV kann sich ebenso auf die Auslegung anderer Vorschriften auswirken wie eine enge Auslegung.

I. Diskriminierungen und nicht diskriminierende Behinderungen Diskriminierungen sind benachteiligende Ungleichbehandlungen. Eine innerstaatliche Vorschrift, die an ausländische Leistungserbringer oder Leistungsempfänger höhere Anforderungen als an inländische Leistungserbringer oder Leistungsempfänger stellt, trägt im Kontext des Art. 59 Abs. 1 EWGV diskriminierenden Charakter 7 • Die Rechtsfolge wird an das Tatbestandsmerkmal der Staatsangehörigkeit oder an die Ansässigkeil in einem bestimmten Mitgliedstaat geknüpft 8 • Schreibt eine niederländische Regelung vor, daß in den Niederlanden ansässige Kabelbetreiber keine Rundfunkprogramme aus anderen Mitgliedstaaten übertragen dürfen, die an das niederländische Publikum gerichtete Werbung beinhalten, dann liegt eine Ungleichbehandlung vor. Rundfunkveranstalter, die in den Niederlanden ansässig sind, haben die Möglichkeit, auf terrestrischem Wege Werbesendungen an die niederländischen Rezipienten auszustrahlen. Rundfunkveranstaltern aus anderen Mitgliedstaaten, die auf den Übertragungsweg des Kabels angewiesen sind, wird diese Möglichkeit verbaut. Daher handelt es sich um eine Diskriminierung 9. Neben den Diskriminierungen gibt es auch Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr, die nicht auf einer Ungleichbehandlung beruhen. Behinderungen können in der Beeinträchtigung der Mobilität von Erbringern und Empfängern von Dienstleistungen bestehen oder durch Regeln über Zulassung zu einer Tätigkeit oder deren Ausübung ausgelöst werden 10• Voraussetzungen eines Mitgliedstaates für die Aufnahme und Ausübung einer bestimmten Tätigkeit wie das Erfordernis einer gewissen Rechtsform oder eines bestimmten Eigenkapitals können von einem inländischen Unternehmen leichter erfüllt werden als von Unternehmen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig und bereits der dortigen Rechtsordnung verpflichtet sind. Für den freien Dienstleistungsverkehr hinderlich ist auch die Notwendigkeit einer ständigen Präsenz im Empfangsstaat, etwa in Form einer Residenzpflicht, die dem Empfangsstaat die Aufsicht über die Ausübung der Tätigkeit ermöglichen soll 11 • 7

Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV,

Art. 52, Rn. 17.

s Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 87. EuGH Urt. v. 26.4. 1988, Rs. 352185 (Kabelregeling), S1g. 1988, S. 2085, S. 2133, Rn. 26, der EuGH hatte das Vorliegen einer Dienstleistung i. S. d. EWG-Vertrages bejaht; kritisch zum Diskriminierungsbegriff des EuGH in diesem Urteil Reich, RuF 1989, s. 309-310. 10 Behrens, Jura 1989, S. 567. 9

160

2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

Die zentrale Frage ist, ob solche Hindernisse Beschränkungen darstellen und damit nach Art. 59 Abs. 1 EWGV unmittelbar aufzuheben sind oder ob sie unter die Koordinierung der entsprechenden Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gern. Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV fallen. Das weitere Problem, inwieweit derartige Beschränkungen gerechtfertigt sein . können, stellt sich erst, wenn feststeht, daß es sich überhaupt um Beschränkungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1 EWGV handelt. Anforderungen an die selbständige Tätigkeit richten sich in der Regel an den Dienstleistungserbringer nicht an den Dienstleistungsempfanger. Anforderungen an den Leistungsempranger sind aber ebenfalls denkbar. Eine solche Anforderung stellt eine nationale Vorschrift auf, nach der im Fall einer Straftat eine staatliche Entschädigung nur an Personen gewährt wird, die Inhaber einer Fremdenkarte oder Angehörige eines Staates sind, mit dem ein Gegenseitigkeitsabkommen besteht. Eine derartige Vorschrift verstößt jedenfalls gegen Art. 7 Abs. 1 EWGV. Denn Personen, die sich in diesem Mitgliedstaat aufgrund der Regeln des EWG-Vertrages über die Freizügigkeit in einer zum Beispiel durch Art. 59 Abs. 1 EWGV gemeinschaftsrechtlich geregelten Situation befinden, dürfen nicht gegenüber anderen Leistungsempfangern diskriminiert werden 12• Außer Diskriminierungen können auch nicht diskriminierende Anforderungen an den Leistungsempfänger vorkommen. Wenn innerstaatliche Bestimmungen einer Bank die Tätigung bestimmter Kreditgeschäfte nur für den Fall erlauben, daß der Kreditnehmer bestimmte Voraussetzungen aufweist, wird ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiger Kreditnehmerunter Umständen daran gehindert, die Leistung der Bank in Empfang zu nehmen. Als Hürden für den freien Dienstleistungsverkehr erweisen sich etwa auch Vorschriften eines Mitgliedstaates, nach denen ein Angehöriger dieses Mitgliedstaates Devisen nur in beschränktem Umfang in einen anderen Mitgliedstaat mitnehmen darf, obwohl er dort Dienstleistungen als Tourist, Geschäftsreisender oder Patient einer medizinischen Behandlung in Anspruch nehmen will 13 •

11 V gl. Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 4 und Art. 52, Rn. 18. 12 EuGH Urt. v. 2.2.1989, Rs. 186187 (Cowan), EuR 1989, S. 356, S. 359, Rn. 10, 17, 20; dazu auch Völker, Passive Dienstleistungsfreiheit, S. 83-84. 13 EuGH Urt. v. 31.1.1984, Rs. 286182 und 26183 (Luisi und Carbone), Slg. 1984, S. 377, S. 403, Rn. 16; dazu Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 16-19; Hailbronner, Ausländerrecht, Rn. 953; Alt, Aktuelle Probleme, S. 61-64; Völker, Passive Dienstleistungsfreiheit, S. 73-78, 146-152.

B. Konsequenzen der Auslegung des Beschränkungsbegriffs

161

II. Das Verhältnis des Art. 59 zu Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV Wenn der Beschränkungsbegriff nur Diskriminierungen umfaßt, ist die Abgrenzung des Art. 59 Abs. 1 EWGV zu Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV eindeutig. Wird der Beschränkungsbegriff weiter gefaßt, bedarf die Rolle der Koordinierung einer neuen Standortbestimmung.

1. Die Beurteilung aufgrund des engen Beschränkungsbegriffs Versteht man Art. 59 Abs. 1 EWGV eng, sind diskriminierende, innerstaatliche Vorschriften aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 59 Abs. 1 EWGV aufzuheben 14• Die Mitgliedstaaten verfügen jedoch über das Recht, an alle Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen die gleichen Anforderungen zu stellen. Innerstaatliche Regelungen, die ein bestimmtes Diplom zur Voraussetzung der Aufnahme oder Ausübung einer bestimmten selbständigen Tätigkeit machen, sind nicht nach Art. 59 Abs. 1 EWGV aufzuheben, wenn diese Voraussetzung in dem jeweiligen Mitgliedstaat für Inländer und Ausländer gleichermaßen gilt. Die entsprechenden innerstaatlichen Normen können gern. Art. 57 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV koordiniert werden 15 • Andere, nicht diskriminierende Regeln der Mitgliedstaaten über Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten unterfallen der Koordinierung gern. Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV. Die Realisierung des freien Dienstleistungsverkehrs über die Inländergleichbehandlung hinaus hängt nach dieser Konzeption von der Harmonisierung der innerstaatlichen Vorschriften ab. Wenn die Koordinierung mit Schwierigkeiten verbunden ist, gehen diese zu Lasten des freien Dienstleistungsverkehrs 16. 2. Die Beurteilungaufgrund des weiten Beschränkungsbegriffs

Wenn man Art. 59 Abs. 1 EWGV eine über das Verbot von Diskriminierungen hinausgehende Rolle zumißt, er also auch nicht diskriminierende Beschränkungen umfaßt, wird die Bedeutung der Rechtsangleichung verlagert.

14 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 9; vgl. E. Klein, Unmittelbare Geltung, S. 16-17. 15 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 57, Rn. I, 4; vgl. Streil, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Die EG, S. 315 (9.6.1.); es besteht also keine Lücke im EWG-Vertrag, nicht diskriminierende Behinderungen werden von Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV erlaßt; anders Bömer, ZUM 1985, S. 582, der davon ausgeht, daß der EWG-Vertrag im Hinblick auf Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie Nichtinländerbehandlungen eine Lücke enthalte, die der Gerichtshof dadurch geschlossen habe, daß er Vorschriften für gültig erachtet, die mit dem Allgemeininteresse vereinbar seien. 16 Darstellend Roth, EuR 1987, S. 356, der dieser Auffassung aber nicht folgt.

II Kugelmann

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2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Dienstleistungsverkehr dann nur noch auf der Grundlage besonderer Rechtfertigungsgründe beschränken. Solche Gründe sind vor allem Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV und das Allgemeininteresse. Der Schwerpunkt der Rechtsangleichung verlagert sich nach dieser Auffassung auf die Koordinierung von im Allgemeininteresse stehenden, innerstaatlichen Normen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit 17• Im Rahmen der Koordinierung auftretende Probleme gehen damit nicht auf Kosten des freien Dienstleistungsverkehrs. Die Regelung eines Mitgliedstaates, wonach zum Beispiel die Aufnahme oder Ausübung einer selbständigen Tätigkeit als Arzt oder Rechtsanwalt den Besitz eines bestimmten Diploms voraussetzt, das nur in diesem Mitgliedstaaat erlangt werden kann, wäre grundsätzlich als Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs aufzuheben. Wenn die Regelung nicht gerechtfertigt werden kann, müßten entsprechende Befähigungsnachweise, die der Dienstleistungserbringer in seinem Heimatstaat erworben hat, als ausreichend anerkannt werden.

3. Das Ursprungslandprinzip Die weite Auslegung des Begriffs der Beschränkungen in Art. 59 Abs. 1 EWGV führt zur Anerkennung des Ursprungslandprinzips im Bereich der Dienstleistungen. Denn der Empfangsstaat muß sowohl bei Art. 57 Abs. 1 wie bei Art. 57 Abs. 2 EWGV die Vorschriften des Sitzstaates des Leistungserbringers, des Ursprungslandes der Dienstleistung, gegen sich gelten lassen und bei der Beurteilung seines eigenen Allgemeininteresses berücksichtigen 18 • Diese Konzeption überträgt die vom Gerichtshof für Art. 30 ff. EWGV entwikkelten Grundsätze auf die Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit 19• Wenn alle Hindernisse des freien Dienstleistungsverkehrs als Beschränkungen aufgehoben sind, bleiben nur Anforderungen an die Dienstleistung bestehen, die der Leistungserbringer oder Leistungsempfänger bereits im eigenen Heimatstaat erfüllen muß. Der Empfangsstaat muß diese Erfordernisse als ausreichend zur Sicherung von Qualität und Niveau der Dienstleistung anerkennen. Die Dienstleistung unterliegt ansonsten nur noch Beschränkungen, die aus bestimmten Gründen, insbesondere dem Allgemeininteresse gerechtfertigt sind. Wenn dagegen nur Diskriminierungen nach Art. 59 Abs. 1 EWGV aufgehoben werden und sonstige Hindernisse zunächst einmal Bestand haben, weil sie in den Anwendungsbereich der Koordinierung gern. Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV S. oben 2. Kapitel, 2. Teil, H. IV.3. und H. V.2. Zum Ganzen umfassend Roth, EuR 1987, S. 356, 359, 363; für Dienstleistungen ohne Ortswechsel der beteiligten Personen vertritt das Ursprungslandprinzip auch Seidel, in: Schwarze (Hrsg.), Der Gemeinsame Markt, S. 128. 19 Vgl. Roth, EuR 1987, S. 358; Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 119. 11

18

C. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

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fallen, dann steht es jedem Mitgliedstaat offen, Dienstleistungen diskriminierungsfreien Hindernissen zu unterwerfen. Er darf die Erbringung und den Empfang der Dienstleistungen von Bedingungen abhängig machen, die für inländische wie ausländische Erbringer und Empfänger gleichermaßen gelten. Von der Auslegung des Beschränkungsbegriffs hängen also nicht nur die Tragweite der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 59 Abs. 1 EWGV und der Koordinierung nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV ab, sondern auch der Spielraum und die Handlungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Dienstleistungen.

C. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Die Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Frage der Tragweite des Art. 59 Abs. 1 EWGV erschien nicht immer eindeutig 20, hat inzwischen aber zu einer Linie gefunden.

I. Tendenz zum engen Beschränkungsbegriff In einem Vorabentscheidungsverfahren gern. Art. 177 EWGV, in dem es um die gerichtliche Geltendrnachung von Spielschulden ging, die das Recht der Bundesrepublik Deutschland nicht zuließ, die aber von einer französischen Bank gefordert wurde, legte der Gerichtshof seinem Urteil ein enges Verständnis der Beschränkungen zugrunde. Zwar liege eine Dienstleistung nach Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV vor. Der EWG-Vertrag verbiete aber nur Diskriminierungen und enthalte keine Verpflichtung, einen ausländischen Dienstleistungserbringer mit Rücksicht auf sein Heimatrecht günstiger zu stellen als Leistungserbringer, die in dem Staat ansässig seien, in dem die Leistung erbracht werde. Die französische Bank als Leistungserbringer an den bundesdeutschen Bürger sei durch die innerstaatlichen Vorschriften der Bundesrepublik nicht diskriminiert worden. Art. 59, 60 EWGV bewirkten keine Änderung in der Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften 21 • Die Absicht des Gerichtshofs war es, zu vermeiden, daß ausländische Leistungserbringer günstigere Bedingungen vorfinden als inländische. Deshalb verwendete er in diesem konkreten Fall den engen Beschränkungsbegriff. Da die Beseitigung von nicht diskriminierenden Hindernissen des freien Dienstleistungsverkehrs aber nicht regelmäßig zur Benachteiligung inländischer Leistungserbringer führt, kann dem Urteil in diesem Ausnahmefall kein allgerneiner Maßstab Vgl. den kurzen Überblick bei Emmerich, JuS 1987, S. 568. EuGH Urt. v. 24.10.1978, Rs. 15/78 (Koestler), Slg. 1978, S. 1971, S. 1980, Rn. 5 und 6. 20

21

II*

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2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

für die Auslegung des Beschränkungsbegriff durch den Gerichtshof entnommen werden. Diese Konstellation offenbart Ähnlichkeiten mit der Problematik der Inländerdiskriminierung, denn der Gerichtshof läßt auch in jenem Zusammenhang Benachteiligungen zu, die sich aus der Unterschiedlichkeit der mitgliedstaatliehen Rechtsordnungen ergeben22.

II. Tendenz zum weiten Beschränkungsbegriff In Verfahren, die sich um das Erfordernis einer festen, beruflichen Niederlassung drehten, wählte der Gerichtshof weitere Formulierungen. Unter die Beschränkungen, deren Beseitigung Art. 59 und 60 vorsähen, fielen alle Anforderungen, die an den Leistenden namentlich aus Gründen seiner Staatsangehörigkeit oder wegen des Fehlens eines ständigen Aufenthalts in dem Staate, in dem die Leistung erbracht werde, gestellt würden und nicht für im Staatsgebiet ansässige Personen gälten oder in anderer Weise geeignet seien, die Tätigkeit des Leistenden zu unterbinden oder zu behindern 23 . Damit ging das Gericht über das Verbot von Diskriminierungen als einzigen Inhalt des Art. 59 Abs. 1 EWGV hinaus. Es faßte unter die Beschränkungen namentlich, aber eben nicht ausschließlich diskriminierende Tatbestände. Nicht nur Anforderungen, die auf Ungleichbehandlungen abstellen, sondern auch solche, die sonst zur Behinderung der Tätigkeit des Dienstleistenden geeignet sind, stellen für den Gerichtshof Beschränkungen dar. Der Gerichtshof entwickelte in einem solchen Verfahren über die Zulassung zum Beruf die unmittelbare Anwendbarkeit der Art. 59, 60 EWGV und ging dann auf den Beschränkungsbegriff ein. Die unmittelbare Geltung der Art. 59, 60 EWGV bestehe jedenfalls insoweit, als sie die Beseitigung von Diskriminierungen des Dienstleistungserbringers aus Gründen seiner Staatsangehörigkeit oder wegen seines Aufenthalts in einem anderen als dem Mitgliedstaat, in dem die Leistung zu erbringen sei, beinhalte 24 • Den Zusammenhang von Tatbeständen der Diskriminierung mit der unmittelbaren Anwendbarkeit der Art. 59, 60 EWGV hob der Gerichtshof in mehreren Fällen hervor. Die zwingenden Bestimmungen des Art. 59 EWGV seien unmittelbar anwendbar und umfaßten das Gebot der Beseitigung sämtlicher Diskriminierungen des Leistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder des Umstands, daß er in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ansässig sei, 22 Schöne, RIW 1989, S. 453. 23 EuGH Urt. v. 3.12.1974, Rs. 33/74 (van Binsbergen), Slg. 1974, S. 1299, S. 1309, Rn. 10/12; EuGH Urt. v. 26.11.1975, Rs. 39/75 (Coenen), Slg. 1975, S. 1547, S. 1554, Rn. 5/7. 24 EuGH Urt. v. 3.12.1974, Rs. 33/74 (van Binsbergen), Slg. 1974, S. 1299, S. 13111312, Rn. 24/26 und 27.

C. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

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in dem die Dienstleistung erbracht werden solle 25 • Mit Diskriminierungen seien nicht nur offene Ungleichbehandlungen gemeint, sondern auch alle versteckten Formen von Diskriminierung, die zwar scheinbar auf objektiven Kriterien beruhten, tatsächlich jedoch zum selben Ergebnis führten 26 • Die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 59 Abs. 1 EWGV wurde in Verbindung mit dem Vorliegen von Diskriminierungen gebracht. In dem Urteil zur Versicherungsaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 1986 führte der Gerichtshof nach einem Hinweis auf die unmittelbare Anwendbarkeit der Art. 59 und 60 EWGV aus, daß diese Artikel nicht nur die Beseitigung sämtlicher Diskriminierungen des Leistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Beseitigung aller Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs verlangten, die damit zusammenhingen, daß der Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Leistung erbracht werde, niedergelassen sei27 • Grundsätzlich wird der weite Beschränkungsbegriff zugrunde gelegt 28 • Der Gerichtshof behält aber seine Konzeption zu den Rechtsfolgen bei. Denn er untersucht die in Frage stehenden innerstaatlichen Vorschriften am Maßstab des Allgemeininteresses 29 •

111. Tendenz in den Rechtssachen aus dem Rundfunkbereich Gerade auch im Zusammenhang mit der Ausstrahlung von Rundfunk brachte der Europäische Gerichtshof in die Diskussion um den Beschränkungsbegriff den Rechtfertigungsgrund des Allgemeininteresses ein 30• In der Rechtssache Debauve äußerte er, Art. 59 Abs. 1 EWGV gebiete die Beseitigung aller Diskriminierungen des Leistungserbringers, die auf seiner Staatsangehörigkeit oder dem Umstand beruhten, daß er in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ansässig sei, in dem die Leistung erbracht werden solle 31• 25 EuGH Urt. v. 18.1.1979, verbundene Rs.110 und 111/78 (van Wesemael), Slg. 1979, S. 35, S. 52, Rn. 26 und 27; EuGH Urt. v. 17.12.1981, Rs. 279/80 (Webb), Slg. 1981, S. 3305, S. 3324, Rn. 13 und 14. 26 EuGH Urt. v. 3.2.1982, verbundene Rs. 62 und 63/81 (Seco I Evi), Slg. 1982, S. 223, S. 235, Rn. 8. 21 EuGH Urt. v. 4.12.1986, Rs. 205/84 (Versicherungsaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1988, S. 3755, S. 3802, Rn. 25; vgl. zu diesem UrteilE. Klein, DÖV 1988, s. 249-250. 28 Schöne, RIW 1989, S. 450; anders Hailbronner, Ausländerrecht, Rn. 1047. 29 EuGH Urt. v. 4.12.1986, Rs. 205/84 (Versicherungsaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1988, S. 3755, S. 3802-3803, Rn. 27, 33; Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 100-102. 30 Vgl. das Grünbuch, S. 145-146. 3 1 EuGH Urt. v. 18.3. 1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 856, Rn. 11.

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2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

Die Fallgestaltung sah allerdings so aus, daß das Verbot der Fernsehwerbung unterschiedslos für in- wie ausländische Rundfunkveranstalter galt. Der Gerichtshof bewertete diese unterschiedslos geltende, innerstaatliche Regelung 32 nicht als Beschränkung, da sie keinen diskriminierenden Charakter habe und durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sei 33 . Er stellte die Regelung aber unter den Vorbehalt der Harmonisierung 34. Der Gerichtshof nutzte die unmittelbare Geltung der Art. 59, 60 EWGV nicht zur Aufhebung der betreffenden Bestimmungen. Er bezog jedoch die nicht diskriminierenden Beschränkungen in den EWG-Vertrag ein, indem er insoweit auf die Harmonisierung, also den Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV, verwies und die Vereinbarkeit der Regelung mit dem Allgemeininteresse untersuchte35. Innerstaatliche Rechtsvorschriften über den Schutz des geistigen Eigentums hielt der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Coditel I für mit dem Art. 59 EWGV vereinbar. Dieser Artikel erfasse jene Vorschriften nur, wenn sie sich als ein Mittel willkürlicher Diskriminierung oder eine versteckte Beschränkung in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten darstellten. Letzteres sei der Fall, wenn jene Vorschriften einer Partei eines Vertrages über die Einräumung eines Nutzungsrechts ermöglichen würden, künstliche Schranken für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten zu errichten 36. Der Gerichtshof unterstellte die Anwendbarkeit der Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit 37. Er zog den Schluß, daß die Vorschriften des EWGVertrages Schutzvorschriften zugunsten von Urhebern nicht entgegenstünden 38 . Im konkreten Fall konnte er demnach keine Beschränkungen i. S. d. EWG-Vertrages erkennen. Er trennt Diskriminierungen als Beschränkungen laut dem Art. 59 Abs. 1 von Beschränkungen in einem weiteren Sinne, also im Sinn von Behinderungen. Die Rechtssachen Debauve und Coditel I weisen in die Richtung einer Unterscheidung zwischen Diskriminierungen und sonstigen Beschränkungen, die mit der Unterscheidung hinsichtlich der Rechtfertigungsgründe und der Bedeutung der Rechtsangleichung korrespondiert. 32 So beurteilte das derEuGH selbst, vgl. EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 855-856, Rn. 10; auf das Fehlen einer Diskriminierung wurde auch in der 2. Vorlagefrage hingewiesen, ebd. S. 855, Rn. 7. 33 Ebd., S. 856, Rn. 13. 34 Ebd., S. 857, Rn. 15. 35 Vgl. dazu das Grünbuch, S. 146. 36 EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 62/79 (Coditel 1), Slg. 1980, S. 881, S. 903, Rn. 15. 37 Er entscheidet aber nicht, ob sie tatsächlich anwendbar sind, ob also im Bereich des Urheberrechts Dienstleistungen vorliegen, ebd., S. 902, Rn. 10. 38 Ebd., S. 903, Rn. 16; Bennett, ELR 1980, S. 231.

C. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

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In der Rechtssache Kabelregeling stellte der Gerichtshof ausdrücklich fest, daß eine Diskriminierung vorliegt 39• Diskriminierungen seien nun selbstverständlich Beschränkungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1 EWGV 40 • Im Hinblick auf die Auslegung des Beschränkungsbegriffs erweist sich dieses Urteil des Gerichtshofs als wenig ergiebig.

IV. Der Standpunkt des Gerichtshofs In der Position des Gerichtshofs werden die zwei Aspekte des Beschränkungsbegriffs mit verschiedenen Rechtfertigungsmöglichkeiten verknüpft. Der Begriff der Beschränkungen umfaßt Diskriminierungen ebenso wie sonstige Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs. Nicht diskriminierende Behinderungen sind aber nur dann mit dem Art. 59 Abs. 1 EWGV vereinbar, wenn sie dem Allgemeininteresse entsprechen und verhältnismäßig sind 41 • Solche Behinderungen unterliegen der Koordinierung nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV 42 • Der Gerichtshof hat sich in seiner Rechtsprechung zu Art. 59 ff. EWGV an die Grundsätze angelehnt, die er zur Warenverkehrsfreiheit entwickelt hatte. Im Ergebnis behandelt er nicht diskriminierende Beschränkungen wie Maßnahmen gleicher Wirkung bei Art. 30 EWGV 43 • Nicht diskriminierende Anforderungen an den Leistungserbringer oder -empflinger müssen durch objektive Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden können. Entsprechend bedarf es im Rahmen von Art. 30 EWGV nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zwingender Erfordernisse, um unterschiedslos anwendbare Handelshemmnisse als hinnehmbar qualifizieren zu können 44 • Innerstaatliche Erfordernise sind nicht notwendig im Sinne des Allgemeininteresses, wenn beispielsweise eine im Empfangsstaat geforderte Genehmigung dem Leistungserbringer in seinem Heimatstaat bereits unter Voraussetzungen erteilt 39 EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2133, Rn.26. 40 Ebd., S. 2133, Rn. 26. 41 Vgl. EuGH Urt. v. 18.3. 1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 856, Rn. 12; EuGH Urt. v. 25.2.1988, Rs. 427/85 (Rechtsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1988, S. 1123, S. 1158-1159, Rn. 12; Schlappa, Kontrolle, S. 113. 42 Deringer, ZUM 1986, S. 629; eine Sicht der Rechtsprechung des Gerichtshofs, die ihr die Nähe zum weiten Beschränkungsbegriff bescheinigt, vertritt auch Steindorff, RIW 1983, S. 234. 43 Everling, in: FS v. d. Groeben, S. 122; Steindorff, RIW 1983, S. 234; Bömer, ZUM 1985, s. 582. 44 Matthies, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 30, Rn. 19, 20,21 mit Nachweisen; vgl. Alt, Aktuelle Probleme, S. 145.

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2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

wurde, die mit denen einer Erteilung im Aufnahmestaat vergleichbar sind 4s. Der Anklang an das Ursprungslandprinzip ist deutlich 46• Diese Konzeption bezieht alle Behinderungen der Erbringung von Dienstleistungen in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrages mit ein.

D. Die Interpretation des Beschränkungsbegriffs Die Auslegung des Begriffs der Beschränkungen hat am Wortlaut der Art. 59 ff. EWGV anzusetzen, die im Grundsatz eigenständig zu interpretieren sind 47 • Erhebliche Bedeutung für diesen Auslegungsvorgang kommt der Systematik des EWGVertrages zu. Letztlich sollte der Sinn der Art. 59 ff. EWGV in die Betrachtung miteinbezogen werden.

I. Der Wortlaut In Art. 59 Abs. 1 EWGV ist von Beschränkungen die Rede, nicht von Diskriminierungen wie etwa in Art. 7 Abs. 1, 37 Abs. 1 und 68 Abs. 2 EWGV 48 • In Art. 67 Abs. 1 EWGV stehen beide Begriffe nebeneinander. Falls der EWGVertrag lediglich Diskriminierungen meint, dann benutzt er auch diesen Ausdruck. Eine Unterscheidung ist dem EWG-Vertrag also durchaus geläufig 49 • Art. 62 und 63 EWGV lehnen sich im Wortlaut an den Beschränkungsbegriff des Art. 59 Abs. 1 EWGV an so. Nicht jede Randbeeinträchtigung der Leistungserbringung ist auch eine Beschränkung. Der Wortsinn umfaßt nur Akte mit Eingriffscharakter, die den Erbringer oder Empfänger der Leistung nicht nur unwesentlich behindern. Andernfalls wäre jede innerstaatliche Vorschrift potentiell eine Beschränkung, die die Leistungserbringung auch nur am Rande tangierts 1• Die Beschränkung muß die 4S EuGH Urt. v. 18.1.1979, verbundene Rs. 110 und 111!78 (van Wesemael), Slg. 1979, S. 35, S. 52-53, Rn. 29. 46 Vgl. zum Ursprungslandprinzip Bleckmann, Europarecht, Rn. 1043-1045. 47 Müller, Dienstleistungsmonopole, S. 124; Alt, Aktuelle Probleme, S. 145. 48 Emmerich, JuS 1987, S. 568; Müller, Dienstleistungsmonopole, S. 136-137. 49 Vgl. das Grünbuch, S. 140. so Vgl. zu Art. 62 EWGV die ausdehnende Auslegung von Engel, ZRP 1988, S. 247, nach dessen Auffassung diese Vorschrift neue, nicht diskriminierende Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit untersagt und nicht den Vorbehalten unterstehen soll, denen Art. 59 Abs. I EWGV untersteht, insbesondere also nicht dem Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV und dem Allgemeininteresse; wenn Art. 62 EWGV aber den gleichen Beschränkungsbegriff benutzt wie Art. 59 Abs. 1 EWGV, muß er auch insofern die gleiche Tragweite haben, ansonsten ginge die standstill Vorschrift des Art. 62 EWGV weiter als die zentrale Norm des Art. 59 Abs. 1 EWGV. s1 Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 133.

D. Die Interpretation des Beschränkungsbegriffs

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Dienstleistung in einer Weise beeinflussen, daß die Leistungserbringung wesentlich anders aussehen würde, wenn es die beschränkende Regelung nicht gäbe. Eine Versicherung, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Versicherungsnehmern Leistungen erbringt, muß die Vorschriften der zuständigen Stellen dieses Empfangsstaates über die Nutzung seiner Fernmeldeanlagen und die Telekommunikation beachten, solange diese Vorschriften nicht in die Leistungserbringung als solche eingreifen. Wenn für die Benutzung von Telefaxgeräten oder die Realisierung von Bildkonferenzen gewisse technische Rahmenbedingungen im Empfangsstaat vorgeschrieben sind, hat sich die Versicherungsgesellschaft aus dem anderen Mitgliedstaat insoweit an diese innerstaatlichen Normen zu halten. Wenn dagegen der Abschluß oder die Abwicklung der Versicherungsverträge durch innerstaatliche Bestimmungen wesentlich behindert wird, kann eine Beschränkung i. S. d. Art. 59 Abs. 1 EWGV vorliegen. Der so verstandene Wortlaut des Art. 59 Abs. 1 EWGV deutet hin auf ein weites Verständnis des Beschränkungsbegriffs52,

II. Die Systematik Im Rahmen der Diskussion um den Beschränkungsbegriff in Art. 59 Abs. 1 EWGV spielt es eine wichtige Rolle, ob man die Art. 59 ff. EWGV mehr in Zusammenhang mit den Art. 30 ff. EWGV rückt oder mehr im Zusammenhang mit Art. 52 ff. EWGV auslegt. Die Betonung der Parallelen zur Niederlassungsfreiheit führt zu einer engen Auslegung des Beschränkungsbegriffs, wenn man Art. 52 Abs. 1 EWGV als Gebot der Inländergleichbehandlung interpretiert 53 . Legt man das Gewicht auf die Ähnlichkeiten zu Art. 30 ff. EWGV, gelangt man zu einem weiten Beschränkungsbegriff, der über die Beseitigung von Inländerdiskriminierungen hinausgeht. Systematisch sind die Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit mit Art. 52 ff. EWGV verwandt, inhaltlich dagegen mit Art. 30 ff. EWGV 54. Daher sind im Rahmen der Interpretation der Art. 59 ff. EWGV beide Regelungsmaterien als Auslegungshilfen zu berücksichtigen. Aufgrund des jeweiligen Anknüpfungspunktes der Parallele zu den Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit kommen die Art. 52 ff. EWGV innerhalb der systematischen Auslegung, die Art. 30 ff. EWGV dagegen innerhalb der teleologischen Auslegung zur Geltung 55 • Das schließt nicht aus, daß diese Bestimmungen

52

Schlappa, Kontrolle, S. 107.

53 In der Tendenz anders Bleckmann, DVBI 1986, S. 72, 75. 54 S. oben 2. Kapitel, 2. Teil, B. V.

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2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

auch in anderen Auslegungsschritten Berücksichtigung finden können, es geht nur darum Schwerpunkte der Bedeutung dieser Vorschriften in der Interpretation der Art. 59 ff. EWGV zu markieren. Ausgangspunkt für die Interpretation sind jedoch zunächst die Regeln über den freien Dienstleistungsverkehr.

1. Art. 60 Abs. 3 EWGV Art. 60 Abs. 3 EWGV schreibt die Gleichbehandlung von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Leistungserbringern mit den Inländern für den Fall vor, daß der Dienstleistungserbringer sich in dem Empfangsstaat der Leistung vorübergehend aufhält. Die Vorschrift gewährt das Recht zum Aufenthalt. Der Leistungserbringer kann seine Tätigkeit im Empfangsstaat ausüben, muß aber dessen Recht beachten 56. Innerstaatliche Regelungen, die Dauertätigkeiten betreffen, können allerdings nicht in vollem Umfang auf den Leistungserbringer aus dem anderen Mitgliedstaat angewendet werden 57 • Der Gerichtshof hat Art. 60 Abs. 3 EWGV auf versteckte ebenso wie auf offene Diskriminierungen bezogen, aber eben nur auf Diskriminierungen 58 • Der Art. 60 Abs. 3 EWGV betrifft den Fall, daß der Dienstleistungserbringer seine Tätigkeit vorübergehend im Empfangsstaat ausübt, ohne sich jedoch niederzulassen und deswegen den Art. 52 ff. EWGV zu unterliegen. Ein Arzt, der einen Patienten in einem anderen Mitgliedstaat behandelt und zu diesem Zweck dort eine kurze Zeit verbringt, kann sich auf Art. 60 Abs. 3 EWGV berufen, um sich den Zugang zu dem anderen Mitgliedstaat zu erschließen und eine diskriminierungsfreie Erbringung seiner Leistung zu erreichens9. Aus der Tatsache, daß Art. 60 Abs. 3 EWGV für seinen Anwendungsbereich nur die Inländergleichbehandlung gebietet, können zwei verschiedene Folgerungen gezogen werden. Einerseits könnte man argumentieren, die Wirkungen der Dienstleistungsfreiheit gingen auch in den anderen Fällen nicht über die Inländerbehandlung, also die Beseitigung von Diskriminierungen hinaus 60 • Andererseits 55 Zu den Auslegungsmethoden im Gemeinschaftsrecht vgl. Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 134-136. 56 Steindorff, RIW 1983, S. 836. 57 EuGH Urt. v. 17.12.1981, Rs. 279180 (Webb), Slg. 1981, S. 3305, S. 3324, Rn. 16; EuGH Urt. v. 4.12.1986, Rs. 205184 (Versicherungsaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1988, S. 3755, S. 3802, Rn. 26. 58 EuGH Urt. v. 3. 2.1982, verbundene Rs. 62 und 63181 (Seco I Evi), Slg. 1982, s. 223, s. 235, Rn. 8. 59 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 60, Rn. 29; Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 60, Rn.6.

D. Die Interpretation des Beschränkungsbegriffs

171

wäre es möglich zu schlußfolgern, daß in den anderen Fällen gerade nicht die bloße Beseitigung von Diskriminierungen beabsichtigt ist, sondern daß außerhalb von Art. 60 Abs. 3 EWGV die Beseitigung auch sonstiger Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs beabsichtigt ist. Wenn sich der Dienstleistungserbringer nicht für eine gewisse Zeit in dem Empfangsstaat aufhält, ist Art. 60 Abs. 3 EWGV nicht anwendbar 61 • Die Vorschrift trifft eine Sonderregelung für eine bestimmte Fallgruppe 62 , ansonsten gilt der Grundsatz des Art. 59 Abs. 1 EWGV, der die Aufhebung aller Beschränkungen verlangt 63 • Dies gilt auch für die mit der Ausstrahlung von Rundfunk zusammenhängenden Konstellationen, da dort lediglich die Leistung die Grenze überschreitet. Es findet dann Art. 59 Abs. 1 EWGV Anwendung. Art. 60 Abs. 3 EWGV spricht nicht gegen den weiten Beschränkungsbegriff. Die Bestimmung legt für die Fallgruppe eines Aufenthalts des Dienstleistungserbringers im Empfangsstaat fest, daß insoweit innerstaatliche beschränkende Regelungen Bestand haben, wenn sie nicht diskriminierende Wirkung zeigen. Vertritt man die Auffassung, daß Art. 60 Abs. 3 EWGV auch für die von ihm betroffene Fallgruppe mehr als nur die Inländergleichbehandlung vorschreibt 64 , kann die Vorschrift sogar als Argument für den weiten Beschränkungsbegriff angeführt werden.

2. Art. 65 EWGV Art. 65 konkretisiert das Diskriminierungsverbot für den Dienstleistungsverkehr und zwar nur bis zum Ablauf der Übergangszeit i. S. v. Art. 8 EWGV 65 • Die Vorschrift des Art. 65 EWGV meint mit den in Art. 59 Abs. 1 EWGV genannten Leistungserbringern alle in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Angehörigen von Mitgliedstaaten, die in dem Staat, in dem die Beschränkungen bestehen, eine Leistung erbringen wollen. Ausländische Leistungserbringer sollen untereinander nicht unterschiedlich behandelt werden, die Beschränkungen im Verhältnis zu den inländischen Leistungserbringern haben nach Art. 65 EWGV bis zu ihrer Aufhebung gern Art. 59 Abs. 1 EWGV Bestand 66 • Vgl. Cerexhe, Le Droit Europeen, No. 19 (S. 15). GA Wamer, in: EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, s. 871. 62 Müller, Dienstleistungsmonopole, S. 138. 63 Grünbuch, S. 140-141; identisch insoweit die Ausführungen von Schwartz, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 80-81; vgl. zu Art. 65 insoweit Bleckmann, DVBI 1986, S. 72. 64 Everling, in: FS v. d. Groeben, S. 122; Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 106; Cerexhe, Le Droit Europeen, No. 19 (S. 15). 65 EuGH Urt. v. 13.12. 1984, Rs. 251/83 (Haug-Adrion), Slg. 1984, S. 4277, S. 4287, Rn. 12. 60 61

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2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

Nationale beschränkende Vorschriften wie das Erfordernis eines Wohnsitzes sollten für alle ausländischen Leistungserbringer gleich gelten, auch wenn sie für die innerstaatlichen Leistungserbringer kein Problem darstellten 67 • Art. 65 EWGV kann deshalb auch als Bekräftigung des Gebots der Aufhebung von Diskriminierungen gelesen werden. Bis dahin bietet er eine Übergangslösung 68 • Die Vorschrift des Art. 65 EWGV ordnet die unterschiedslose Anwendung von Beschränkungen an 69 • Begrifflich brauchen also Beschränkungen i. S. d. Kapitels über Dienstleistungen nicht zwingend eine Ungleichbehandlung zu beinhalten. Es sind auch dann noch Beschränkungen wenn eine Reihe von Leistungserbringern gleich behandelt wird. Art. 65 EWGV setzt damit voraus, daß unterschiedslos geltende Behinderungen auch Beschränkungen sein können, daß es jenseits von Diskriminierungen also weitere Beschränkungen gibt7°.

3. Art. 7 EWGV Art. 59 Abs. 1 EWGV steht in systematischem Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 1 EWGV, der das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit festlegt. Art. 59 Abs. 1 EWGV stellt sich als spezifische Ausprägung des allgemeinen Diskriminierungsverbots dar 71 , aber nicht als lex specialis zu Art. 7 Abs. 1 EWGV 72 • Falls man Art. 59 Abs. 1 EWGV auf die Beseitigung von Diskriminierungen begrenzt, erfaßt er doch noch weitere Diskriminierungen als solche aufgrund der Staatsangehörigkeit, insbesondere Diskriminierungen aufgrund der Ansässigkeit in einem anderen Mitgliedstaat. Wenn eine Regelung mit Art. 59 Abs. 1 EWGV in Einklang steht, kann sie nicht mehr gegen Art. 7 Abs. 1 EWGV verstoßen, da es sich bei dieser Vorschrift 66 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 65, Rn. 1; Troberg, in: Groeben/Boeckh/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 65, Rn. 1. 67 Nicht ganz eindeutig der EuGH Urt. v. 26. 11. 1975, Rs. 39/75 (Coenen), Slg. 1975, S. 1547, S. 1555, Rn. 12, der EuGH mißt dem Art. 65 EWGV im Verhältnis zu inländischen Dienstleistungserbringern Bedeutung zu, allerdings wohl zur Begründung der Anwendbarkeit des Prinzips der Erforderlichkeit. 68 Schlappa, Kontrolle, S. 108. 69 Vgl. EuGH Urt. v. 26.11.1975, Rs. 39/75 (Coenen), Slg. 1975, S. 1547, S. 1555, Rn. 8/9. 10 GA Wamer, in: EuGH Urt. v. 18.3. 1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 871- 872; Müller, Dienstleistungsmonopole, S. 137; vgl. Jarass, EuR 1986, S. 87, der zugunsten des weiten Beschränkungsbegriff ins Feld führt, daß ansonsten Art. 65 EWGV sinnlos wäre; ebenso ders., Gutachten, G 44, Rn. 64; s. auch Mestmäcker, in: ders. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 27. 1 1 EuGH Urt. v. 13.12.1984, Rs. 251/83 (Haug-Adrion), Slg. 1984, S. 4277, S. 4287, Rn. 12. n Vgl. auch das Grünbuch, S. 141; Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 105.

D. Die Interpretation des Beschränkungsbegriffs

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nicht um einen weiteren Tatbestand handelt. Art. 7 Abs. 1 EWGV spielt aber eine Rolle im Rahmen der Auslegung des Art. 59 Abs. 1 EWGV 73. Da Art. 59 Abs. 1 EWGV keine lex specialis zu Art. 7 EWGV darstellt, kann er auch nicht wegen Art. 7 Abs. 1 EWGV dahin ausgelegt werden, nur Diskriminierungen zu umfassen. Selbst wenn man den Beschränkungsbegriff in Art. 59 Abs. 1 EWGV auf Diskriminierungen begrenzt, umschließt er auch Diskriminierungen, die nicht an die Staatsangehörigkeit anknüpfen und geht so über Art. 7 EWGV in jedem Falle hinaus.

4. Die Art. 30, 34, 36 EWGV Das Verbot der Beschränkungen des Art. 59 Abs. 1 EWGV mit der Ausnahmemöglichkeit des Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV weist systematisch Ähnlichkeiten zu den Art. 30, 34 und 36 EWGV auf74 • Diese Parallele spricht für einen weiten Beschränkungsbegriff wie bei der Warenverkehrsfreiheit

5. Art. 48 Abs. 2 und Art. 52 Abs. 2 EWGV Die Bestimmung des Art. 48 Abs. 2 EWGV definiert die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer als die Abschaffung jeglicher Diskriminierungen aufgrundder Staatsangehörigkeit. Die Art. 48 ff. EWGV zielen auf die Verwirklichung der Inländergleichbehandlung 75• Die Niederlassungsfreiheit als zweiter Aspekt der Freizügigkeit der Personen neben Art. 48 ff. EWGV verlangt in Art. 52 Abs. 1 EWGV die Aufhebung der Beschränkungen, die der freien Niederlassung von Angehörigen eines anderen Mitgliedstaates entgegenstehen. Laut Art. 52 Abs. 2 EWGV hat der die Erwerbstätigkeit ausübende Bürger der Gemeinschaft die Bestimmungen des Aufnahmestaates zu erfüllen. Dieses Prinzip liegt der Niederlassungsfreiheit zugrunde 76 • Da die innerstaatlichen Vorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit gelten, können mit den aufzuhebenden Beschränkungen des Art. 52 Abs. 1 EWGV nur innerstaatli73 Grabitz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 7, Rn. 19, 20; vgl. zu dieser Bedeutung des Art. 7 EWGV EuGH Urt. v. 13.12.1984, Rs. 251183 (HaugAdrion), Slg. 1984, S. 4277, S. 4288, Rn. 14. 74 Die analoge Anwendung des Art. 36 EWGV im Bereich der Dienstleistungen befürworten Streil, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streit, Die EG, S. 318 (9.6.3.) und Seidel, in: GS Sasse, Bd. II, S. 371; ähnlich die Iuxemburgische Regierung als Verfahrensbeteiligte in: EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52!79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, s. 845. 75 Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 294. 76 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 52, Rn. 1; Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 297-298.

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2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

ehe Vorschriften gemeint sein, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten diskriminieren. Die Bestimmungen über das Niederlassungsrecht erweisen sich als Spezialvorschriften des Art. 7 EWGV, dessen allgemeines Prinzip sie verwirklichen, aber auch modifizieren 77 • Als Verwirklichung des Art. 7 EWGV im Niederlassungsrecht 78 zielt Art. 52 EWGV auf die Beseitigung aller Arten von Diskriminierungen. Es sind daher zwei Gruppen von Anforderungen des innerstaatlichen Rechts zu unterscheiden. Die diskriminierenden Beschränkungen fallen unter Art. 52 EWGV und sind aufzuheben. Die nicht diskriminierenden Beschränkungen sind nach Art. 57 EWGV zu koordinieren. Letztere umschließen alle Hindernisse, die der Niederlassungsfreiheit zwar entgegenstehen, aber durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sind 79. Art. 60 Abs. 3 EWGV manifestiert wie Art. 48 Abs. 2 und 52 Abs. 2 EWGV das Prinzip der Inländergleichbehandlung, betrifft aber nur eine der möglichen Formen der Dienstleistungserbringung. Andere Ausgestaltungen der Leistungserbringung sind gerade nicht parallel zu Art. 48 ff. und 52 ff. EWGV geregelt. Für diese Arten von Dienstleistungen kann ohne Bruch im System des EWG-Vertrages der weite Beschränkungsbegriff zur Geltung kommen. Eineneuere Konzeption versteht auch in Art. 52 EWGV den Beschränkungsbegriff weit 80• Die Niederlassungsfreiheit soll nicht nur Diskriminierungen, sondern auch nicht diskriminierende Behinderungen der freien Niederlassung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten verbieten. Zugunsten dieser Konzeption wird gerade vorgebracht, der weite Beschränkungsbegriff des Art. 59 Abs. 1 EWGV müsse aufgrundder Parallelität der Freiheiten des EWG-Vertrages auf Art. 52 Abs. 1 EWGV übertragen werden 81 • Der Unterschied zwischen Niederlassung und Dienstleistungserbringung, der in der Dauer des Aufenthalts besteht, wird durch diese Konzeption weitgehend eingeebnet 82 • Unabhängig von der Konzeption bei Art. 52 EWGV spricht das Verhältnis dieser Vorschrift zu Art. 59 Abs. 1 EWGV jedenfalls dafür, bei der Dienstleistungsfreiheit den weiten Begriff der Beschränkungen zur Geltung kommen zu lassen.

11 Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlennann, Kommentar zum EWGV, Art. 52, Rn. 16, 17. 78 EuGH Urt. v. 21.6.1974, Rs. 2174 (Reyners), Slg. 1974, S. 631, S. 651, Rn. 16120. 79 Streil, in: Beutler I Bieber I Pipkorn I Streil, Die EG, S. 315 (9.6.1.); Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 52, Rn. 43 und Art. 57, Rn. 1. so Steindorff, EuR 1988, S. 21, 32; Gornig, NJW 1989, S. 1121; Ehlers, NVwZ 1990, S. 811; dagegen Everling, Gutachten, C 42-C 45 m. N. 81 Blumenwitz, NJW 1989, S. 623; Behrens, Jura 1989, S. 568. 82 Deshalb skeptisch Everling, EuR 1989, S. 343; vgl. insoweit zur Verteidigung der neuen Konzeption Steindorff, EuR 1988, S. 28-29.

D. Die Interpretation des Beschränkungsbegriffs

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6. Die Zielbestimmung des Art. 3 fit. c EWGV Art. 59 Abs. 1 EWGV dient nicht nur der Verwirklichung des Diskriminierungsverbots des Art. 7 EWGV, sondern laut Art. 3lit. c EWGV der Beseitigung der Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Die Aufgabe der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes nach Art. 2 EWGV soll sich nicht in der Beseitigung von Diskriminierungen über Art. 7 EWGV erschöpfen.

Der Ausdruck "Hindernisse" beinhaltet vom Wortsinn her nicht nur Diskriminierungen, sondern auch sonstige Behinderungen des freien Dienstleistungsverkehrs. Allerdings steht gern. Art. 3 EWGV auch das Ziel der Beseitigung von Hindernissen unter dem Vorbehalt, daß es nur nach Maßgabe des Vertrages verwirklicht werden kann 83 . Art. 59 Abs. 1 EWGV konkretisiert die Methode der Zielverwirklichung. Deshalb kann Art. 3 lit. c EWGV für eine weite Auslegung des Art. 59 Abs. 1 EWGV nicht ausschlaggebend sein. Die allgemeine Zielvorgabe des Art. 3 lit. c EWGV hat jedoch ihre Bedeutung als Element der Auslegung von Art. 59 Abs. 1 EWGV 84. Art. 3 lit. c EWGV postuliert die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personenverkehr ebenso wie für den Dienstleistungsverkehr. Wenn die Art. 48 ff. und 52 ff. EWGV nur Diskriminierungen erfassen, kann eine weite Auslegung des Beschränkungsbegriffs in Art. 59 Abs. 1 EWGV nicht auf den Art. 3 lit. c EWGV gestützt werden. Diese Vorschrift spricht ausdrücklich weder für noch gegen einen weiten Beschränkungsbegriff. 7. Die Rechtsfigur der versteckten Diskriminierung

a) Das Allgemeine Programm des Rates zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs Interessant im Zusammenhang mit dem Beschränkungsbegriff ist die Figur der versteckten Diskriminierung. Schon das in Ausführung des Art. 63 EWGV ergangene Allgemeine Programm des Rates zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs85 nannte als zu beseitigende Beschränkungen nicht nur jedes Verbot oder jede Behinderung der selbständigen Tätigkeit des Leistungserbringers, die darin 83 Vgl. Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 254.

84 Vgl. Bleckmann, DVBl 1986, S. 73, der dem Art. 3 EWGV wohl einen etwas stärkeren Einfluß einräumt. 85 ABI. Nr. 2, vom 15.1.1962, S. 32-35; zu den Erläuterungen der Kommission zum Allgemeinen Programm, die der Dienstleistungsfreiheit bereits eine über die Herstellung der Gleichbehandlung hinausgehende Bedeutung zumaßen, vgl. das Grünbuch, S. 142 und inhaltsgleich Schwartz, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 82-83.

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2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

bestehen, daß er aufgrundeiner Rechts- oder Verwaltungsvorschrift oder durch Verwaltungspraktiken eines Mitgliedstaates anders behandelt wird als dessen eigene Staatsangehörige. Ebenso als Beschränkungen sollten alle Voraussetzungen gelten, von denen die Leistungserbringung abhängt, soweit diese Voraussetzungen zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten, jedoch ausschließlich oder vorwiegend Ausländer bei der Erbringung ihrer Dienstleistungen behindern86. Diese Formulierungen wiederholen sich im nach Art. 54 EWGV am selben Tag erlassenen Allgemeinen Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit 87 . Die Allgemeinen Programme sind zwar nicht verbindlich 88 , bewirkten aber eine politische Selbstbindung der Gemeinschaft und geben eine Auslegungshilfe89. Sie deuten eine einheitliche Auslegung der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit an. Konsequenz könnte ein Verständnis des Beschränkungsbegriffs in Art. 59 Abs. 1 EWGV sein, welches ihn auf Diskriminierungen aller Art, offene und versteckte, begrenzt. Das gilt zumindest dann, wenn man zu Art. 52 EWGV die konventionelle und nicht die neuere, weitere Konzeption vertritt. Allerdings muß angemerkt werden, daß die Bedeutung des Dienstleistungssektors zum Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinen Programme noch nicht absehbar war und daher die Art. 59 ff. EWGV noch keiner gründlicheren Betrachtung unterzogen worden waren 90 • Die historische Auslegung spielt für den EWGVertrag ohnehin keine Rolle. Speziell i:m Bereich der Dienstleistungen erfordert die Entwicklung eine eher dynamische Auslegung des Vorschriften des EWGVertrages91. Der Wortlaut der Allgemeinen Programme spricht von Beschränkungen, die unabhängig von der Staatsangehörigkeit behindern. Damit gehen sie über einen engen Beschränkungsbegriff bereits hinaus und deuten die Konstruktion der versteckten Diskriminierung an, die eingehenderer Untersuchung bedarf. b) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit verboten, sondern 86 ABI. Nr. 2, vom 15.1.1962, S. 32, Abschnitt III, Buchstabe A. 87 ABI. Nr. 2, vom 15.1.1962, S. 36-39, ebd. S. 38, Abschnitt III, Buchstabe B.

Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, vor Art. 52, Rn. 23. Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 83. 90 Vgl. Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Vorbemerkung zu Art. 59 bis 60, Rn. 1. 91 Everling, in: FS v. d. Groeben, S. 120-123, 126; Wittkopp, Freizügigkeit, S. 103. 88

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D. Die Interpretation des Beschränkungsbegriffs

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auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer, scheinbar neutraler Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen. Die Gleichbehandlung in der Gemeinschaft müsse tatsächlich und rechtlich sichergestellt werden 92. Die Unterscheidung von versteckten Diskriminierungen und nicht diskriminierenden Behinderungen wirft Probleme auf. In einem Verfahren, in dem der Gerichtshof auf das Vorliegen versteckter Diskriminierungen abhob, ging es um das Erfordernis der Zahlung von Beiträgen des Arbeitgebers zur Sozialversicherung seiner Arbeitnehmer. Ein Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig war, führte vorübergehend Arbeiten in Luxemburg aus und sollte dort für seine Arbeitnehmer in die Sozialversicherung einzahlen, obwohl es bereits im Heimatstaat diese Beiträge abführte 93. Die entsprechenden Vorschriften des Aufnahmestaates galten unterschiedslos für alle Arbeitgeber. Formallag keine Ungleichbehandlung vor. Dennoch wurde eine Diskriminierung bejaht, da die Regelung die Leistungserbringer aus anderen Mitgliedstaaten wirtschaftlich gesehen stärker belaste als die im Inland ansässigen Leistungserbringer 94 • In diesem Fall, in dem er das Vorliegen einer versteckten Diskriminierung annimmt, geht der Gerichtshof danach auf die Rechtfertigung der innerstaatlichen Regelung durch das Allgemeininteresse ein. Der Gerichtshof hielt die Regelung für nicht durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt95 • Das Allgemeininteresse ist aber gerade der Rechtfertigungsgrund für nicht diskriminierende Behinderungen96. Nicht diskriminierende Behinderungen postulieren Anforderungen, die von inländischen Leistungserbringern und Leistungsempfängern recht leicht erfüllt werden können, deren Erfüllung aber Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Probleme bereitet 97 . Sie erschweren damit regelmäßig Erbringern oder Empfängern von Dienstleistungen, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, vergleichsweise stärker die Ausübung ihrer selbständigen Tätigkeit als inländischen Erbringern oder Empfangern. Diese Beschreibung entspricht weitgehend der Beschreibung versteckter Diskriminierungen. 92 EuGH Urt. v. 3.2.1982, verbundene Rs.62 und 63181 (SecoiEvi), Slg.1982, S. 223, S. 235, Rn. 8; ebenso zu Art. 48 EWGV EuGH Urt. v. 12.2.1974, Rs. 152/73 (Sotgiu), Slg. 1974, S. 153, S. 164, Rn. 11. 93 EuGH Urt. v. 3.2.1982, verbundene Rs.62 und 63181 (SecoiEvi), Slg.1982, S. 223, S. 234-235, Rn. 6 und 7. 94 Ebd., S. 235, Rn. 9. 95 Ebd., S. 236, Rn. 10; vgl. auch EuGH Urt. v. 12.2.1974, Rs. 152/73 (Sotgiu), Slg. 1974, S. 153, S. 165, Rn. 12. 96 Vgl. Deringer, ZUM 1986, S. 629. 97 Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 90-91; vgl. Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 52, Rn. 18. 12 Kugelmann

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2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

Der hinter der Anerkennung versteckter Diskriminierungen stehende Gedanke, daß auch unterschiedslos geltende, innerstaatliche Regelungen im Ergebnis Angehörige anderer Mitgliedstaaten besonders benachteiligen können und daß diese Benachteiligung ausgeräumt werden sollte, ist ebenfalls auf nicht diskriminierende Behinderungen übertragbar. In der Sache handelt es sich bei den versteckten Diskriminierungen oft um nicht diskriminierende Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs 98 • Im Kontext der versteckten Diskriminierungen besteht Einigkeit, daß die Herstellung einer bloß formalen Gleichbehandlung zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit nicht genügt. Innerstaatliche Regeln über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten können die Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigen, weil der Dienstleistungserbringer oder -empfänger Rechtsvorschriften des Heimatstaates und des Empfangsstaates beachten muß 99 • Solche Überlegungen gehen bereits von einem Beschränkungsbegriff des Art. 59 Abs. 1 EWGV aus, der über Diskriminierungen hinaus erweitert ist. Die Figur der versteckten Diskriminierungen setzt einen Begriff der Beschränkungen voraus, der auch nicht diskriminierende Behinderungen umfaßt.

111. Die Teleologie des Art. 59 Abs. 1 EWGV Die grammatischen und systematischen Argumente sprechen insgesamt für den weiten Beschränkungsbegriff. Dieses Ergebnis muß sich einer Betrachtung vor dem Hintergrund des Sinns des Art. 59 Abs. 1 EWGV stellen.

1. Die anwendbaren Rechtsordnungen Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach Art. 48 ff. EWGV und die Niederlassungsfreiheit der Selbständigen nach Art. 52 ff. EWGV haben gemeinsam, daß Personen einen anderen Mitgliedstaat aufsuchen und damit dem Recht dieses Mitgliedstaates unterliegen. Insoweit handelt es sich um zwei Seiten derselben Medaille, nämlich der Freizügigkeit im Rahmen unselbständiger oder selbständiger Tätigkeiten, die mit einem Ortswechsel verbunden sind 100• Dagegen tritt bei der Warenverkehrsfreiheit der Art. 30, 34 EWGV ebensowenig ein Ortswechsel der Beteiligten auf wie in vielen Fällen der Dienstleistungsfreiheit der Art. 59 ff. EWGV 101 • Wenn der Leistungserbringer oder der LeiSchöne, RIW 1989, S. 450. Streil, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Die EG, S. 317-318 (9.6.3.); Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 299, Fn. 214. 1oo Vgl. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, vor Art. 52, Rn. 8. 98 99

D. Die Interpretation des Beschränkungsbegriffs

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stungsempfänger die Grenze nicht überschreiten, wechseln sie auch nicht den Geltungsbereich einer bestimmten Rechtsordnung. Sie unterliegen weiterhin dem Recht des Staates, in dem sie ansässig sind. Entscheidend für die Leistungserbringung oder den Leistungsempfang ist dann, ob auch Vorschriften des zweiten Mitgliedstaates Anwendung finden, in dem sie ihre Leistung erbringen oder empfangen. Grundsätzlich beanspruchen die Rechtsvorschriften des Empfangsstaates Geltung. Unterscheiden sie sich von den Regeln im Heimatstaat des Leistungserbringers oder -empfängers zum selben Sachbereich, sieht sich die Vollziehung der Leistung Hindernissen gegenüber, die den freien Dienstleistungsverkehr in der Sache nicht minder gewichtig beeinträchtigen können als Diskriminierungen 102• Die innerstaatlichen Vorschriften des Empfangsstaates bleiben unangetastet, soweit sie mit den Regelungen dieses Sachbereiches im Heimatstaat des Leistungserbringers oder Leistungsempfängers übereinstimmen 103. Die Dienstleistungsfreiheit unterscheidet sich auf der anderen Seite wieder von der W arenverkehrsfreiheit, weil Waren an der Grenze Kontrollen unterworfen werden können, Dienstleistungen als unkörperliche Phänomene aber regelmäßig nicht. Erfordernisse an die Erbringung von Dienstleistungen können nur daran anknüpfen, daß der Erbringer oder der Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist. Die Beschränkungsmöglichkeiten für Dienstleistungen sind daher mit den Beschränkungsmöglichkeiten für die Niederlassung vergleichbar. Die Art. 59 ff. EWGV und Art. 52 ff. EWGV weisen im Hinblick auf die Kontrolle und Überwachung der selbständigen Tätigkeit ähnliche Grundstrukturen auf 104• Art. 60 Abs. 3 EWGV unterstellt den Leistungserbringer, wenn er sich vorübergehend in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um dort seine Tätigkeit auszuüben, den dortigen innerstaatlichen Rechtsregeln. Soweit diese auf eine dauernde Tätigkeit in diesem Staat abstellen, sind sie jedoch auf einen Leistungserbringer, der 101 Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 108; Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 2, spricht der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs im Gegensatz zum relativen Charakter der freien Niederlassung einen absoluten Charakter zu, es müßten wie beim Waren- und Kapitalverkehr die Beschränkungen schlechthin aufgehoben werden; ebd. Rn. 10- 12 will er allerdings genau wie bei der Niederlassungsfreiheit nur die Einhaltung des Diskriminierungsverbots als Inhalt des Art. 59 Abs. 1 EWGV ansehen und ansonsten die berufsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten bis zu ihrer Angleichung unangetastet lassen. 102 Jarass, EuR 1986, S. 87. 103 Grünbuch, S. 142; in diese Richtung gehen die Formulierungen des Gerichtshofs im Zusammenhang mit dem Allgemeininteresse, wonach diesem durch Vorschriften Rechnung getragen werden könne, denen der Leistungserbringer in dem Staat unterworfen sei, in dem er ansässig ist, vgl. etwa EuQH Urt. v. 18. 3. 1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 856, Rn. 12; EuGH Urt. v. 4. 12. 1986, Rs. 205184 (Versicherungsaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1988, S. 3755, S. 3802-3803, Rn. 27. 104 Vgl. Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Vorbemerkung zu Art. 59 bis 66, Rn. 5.

12*

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2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

sich nur vorübergehend im Empfangsstaat aufhält, nicht in vollem Umfang anwendbar 105 • Im Falle der Niederlassung ist der selbständig tätige Angehörige des anderen Mitgliedstaates für den Empfangsstaat greifbar. Im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen ist er es, allein schon aufgrund des allenfalls vorübergehenden Aufenthalts, nicht. Die andauernde Unterstellung unter das Recht des Heimatstaates verlangt ebenso wie im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit die Anwendung des Ursprungslandprinzips 106• Die Kontrolle der Leistung kann und soll bereits der Heimatstaat grundsätzlich gewährleisten. Dieses Prinzip liegt auch der Fernseh-Richtlinie der Gemeinschaft zugrunde 107 • Die Zielrichtung des Art. 59 Abs. 1 EWGV entspricht insoweit derjenigen der Art. 30, 34 EWGV, die Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung zu beseitigen trachten 108 • In einem Verfahren, das um die gegenseitige Anerkennung von Fahrerlaubnissen für Kraftfahrzeuge zugunsten der Gemeinschaftsangehörigen ausgetragen wurde, kam der Gerichtshof zu dem Resultat, daß die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Erteilung von Fahrerlaubnissen erhebliche Unterschiede aufwiesen. Hier bestehe Harmonisierungsbedarf. Bis zur Rechtsangleichung seien Anforderungen eines Mitgliedstaates an Fahrerlaubnisse, die in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurden, mit Art. 48, 52 und 59 EWGV vereinbar, wenn sie vernünftigerweise mit den Bedürfnissen der Sicherheit des Straßenverkehrs in Verbindung gebracht werden könnten 109• Das Ursprungslandprinzip gilt also nicht schrankenlos. Wenn ein Mitgliedstaat die Qualität und Kontrolle der Dienstleistungen nicht für ausreichend hält, kann er gern. Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV oder aufgrund des Allgemeininteresses Maßnahmen ergreifen. Solche innerstaatlichen Regelungen unterstehen dem Zugriff der gemeinschaftlichen Koordinierung nach Art. 56 Abs. 2 und Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV. Die Geltung des Ursprungslandprinzips führt dazu, daß der Dienstleistung grundsätzlich keine Hürden in den Weg gestellt werden dürfen, auch wenn die innerstaatlichen Vorschriften alle Dienstleistungen gleich behandeln 110• Das Ursprungslandprinzip findet seine Grenze an den zulässigen Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs. ws EuGHUrt. v.17.12.1981,Rs. 279/80(Webb),S1g. 1981, S. 3305,S. 3324,Rn. 16; EuGH Urt. v. 4. 12. 1986, Rs. 205/84 (Versicherungsaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1988, S. 3755, S. 3802, Rn. 26. 106 Grabitz I v. Bogdany, JuS 1990, S. 172, sehen in der Rechtsprechung des EuGH eine Entwicklung hin zum Ursprungslandprinzip. 101 Richtlinie vom 3.10.1989, ABI. Nr. L 298, vom 17.10.1989, Erwägungsgründe, S. 24, vgl. auch Art. 2 und 3, S. 26. 108 Vgl. Bömer, ZUM 1985, S. 581. 109 EuGH Urt. v. 28.11.1978, Rs. 16/78 (Choquet), Slg. 1978, S. 2293, S. 23022303, Rn. 7-9. 110 Vgl. für den Bereich des Niederlassungsrechts EuGH Urt. v. 28.4. 1977, Rs. 71/ 76 (Thieffry), S1g. 1977, S. 765, S. 778, Rn. 19.

D. Die Interpretation des Beschränkungsbegriffs

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Auch insofern besteht eine Parallele zur Regelungssystematik der Art. 30, 34, 36 EWGV. Konsequenz des Ursprungslandprinzips ist, daß eine Reihe von innerstaatlichen Anforderungen an die Leistung wegfallen. Ein besonderes Verfahren der Zulassung, das ein Leistungserbringer aus einem anderen Mitgliedstaat ebenso wie ein Inländer durchlaufen muß, widerspricht regelmäßig dem Art. 59 Abs. 1 EWGV. Zweck der Dienstleistungsfreiheit ist weder die Anforderungen an die Güte der Dienstleistung besonders gering zu halten, noch sie besonders hoch zu schrauben, sondern Zweck ist, die Erbringung und den Empfang von Dienstleistungen innerhalb der Gemeinschaft auf gleichem Standard zu gewährleisten 111 • Das Sinken der Anforderungen erwiese sich nur dann als häufige Folge des Gebots der Aufbebung aller Beschränkungen in Art. 59 Abs. 1 EWGV, wenn den Mitgliedstaaten nicht auf der Schrankenebene Handlungsmöglichkeiten eingeräumt würden. Die Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen des Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV und des Allgemeininteresses markieren die Grenzen des Ursprungslandprinzips 112•

2. Der freie Dienstleistungsverkehr und der Beschränkungsbegriff Der Sinn des Art. 59 Abs. I EWGV wird durch Art. 3 lit. c EWGV festgelegt und richtet sich auf die Beseitigung der Hindernisse des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten. Nach Art. 8a EWGV ist Art. 59 Abs. 1 EWGV eine der Bestimmungen, die einen Binnenmarkt für Dienstleistungen herstellen sollen. Diese Inhaltsbestimmungen stehen in Zusammenhang mit dem Beschränkungsbegriff, weil dieser die Tragweite des Art. 59 Abs. I EWGV wesentlich mitbestimmt Grenzüberschreitende Leistungen sollen in jedem Mitgliedstaat der Gemeinschaft ungehindert erbracht und empfangen werden können. Die innerstaatlichen Berufsregeln, Kontroll- und Aufsichtsmaßnahmen werden nicht abgeschafft. Auf sie soll aber Einfluß genommen werden, wenn und soweit sie sich als Hindernisse des freien Dienstleistungsverkehrs erweisen 113• Meinungsverschiedenheiten gibt es über den Weg zu diesem Ziel. Wenn man auf die Rechtsangleichung vertraut, die die Leistung normen soll 114, hängt die Verwirklichung des Ziels von den Mitgliedstaaten ab, die im Rat ihre Vgl. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 11. Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 119; Müller, Dienstleistungsmonopole, S. 139. 113 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 59, Rn. 10, der die Rechtsangleichung in den Vordergrund stellt, andererseits aber ebd., Art. 59, Rn. 2, den absoluten Charakter der Dienstleistungsfreiheit hervorhebt und betont, daß es um die Aufhebung von Beschränkungen schlechthin gehe. 114 Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWG V, Art. 59, Rn. 6. 111

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2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

Vorstellungen hinsichtlich der Koordinierung nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 durchsetzen können. Erweitert man die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 59 Abs. 1 EWGV auf nicht diskriminierende Beschränkungen, kommt in diesem Rahmen den Mitgliedstaaten keine Einwirkungsmöglichkeit mehr zu. Die Durchsetzung ihrer Interessen wird auf die Ebene der Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit verlagert. Den Mitgliedstaaten bleibt ein Handlungsspielraum erhalten. Der weite Beschränkungsbegriff greift deshalb nicht über Gebühr in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten ein. Beschränkungen müssen wirklich behindern, eine bloße Erschwernis im Randbereich der Leistungserbringung reicht nicht. Behindernden Charakter haben Bestimmungen dann, wenn sie in die Erbringung oder den Empfang der Leistung dergestalt eingreifen, daß ohne die beschränkende Vorschrift die Dienstleistung selbst und nicht nur die Begleitumstände anders aussähen und die Beeinträchtigung nicht unwesentlich ist. Auch nicht diskriminierende Beschränkungen müssen die Dienstleistung wirklich treffen. Die Dienstleistungsfreiheit ist von ihrem Charakter als Auffangtatbestand her aufzufassen 115 • Den Art. 59, 60 EWGV kommt ein tatbestandlieh weiter Charakter zu, der sich in einer weiten Auslegung des Beschränkungsbegriffs widerspiegelt. Die Art. 59 ff. EWGV erfassen die grenzüberschreitende Übertragung und Überlassung von Immaterialgütern, die von Art. 30 ff. EWGV nicht umschlossen werden 116• Wenn die Art. 59 ff. EWGV auch Leistungen aus dem Bereich der Art. 30 ff. EWGV auffangen können, leuchtet es ein, daß sie ähnliche Wirkungen entfalten. Die in Betracht kommenden Leistungen erfüllen zwar die Voraussetzungen der Art. 30 oder 67 EWGV gerade nicht. Die Dienstleistungsfreiheit tritt in ihrer Rolle als Auffangfreiheit jedoch flankierend zu den anderen Grundfreiheiten des EWG-Vertrages hinzu und muß in der Lage sein, ihrer Rolle als Auffangfreiheit gerecht zu werden. Die Art. 30 ff. EWGV beabsichtigen genau wie die Art. 59 ff. EWG die Verkehrsfähigkeit des Produkts innerhalb der Gemeinschaft herzustellen. Der verwandte Zweck der Vorschriften deutet auf verwandte Regelungsmöglichkeiten. Art. 59 Abs. 1 EWGV umfaßt auch aus der Parallele zu Art. 30 EWGV heraus ebenso Diskriminierungen wie sonstige Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs 117. Anforderungen, die diskriminierenden Charakter haben, fallen ohnehin unter Art. 59 Abs. 1 EWGV. Anforderungen, die denen an die inländischen Leistungs115 Vgl. Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Vorbemerkung zu Art. 59 bis 60, Rn. 1. 116 Vgl. Bleckmann, EuR 1987, S. 29-30. 117 Steindorff, RIW 1983, S. 832; Schöne, Dienstleistungsfreiheit, S. 108; Schwartz, GRUR, Int., 1982, S. 717; Bleckmann, EuR 1987, S. 33; vgl. die These von der Parallelität der Freiheiten des EWG-Vertrages bei Bleckmann, DVBI 1986, S. 72-74.

E. Beschränkungen der Ausstrahlung von Rundfunk

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erbringer oder Leistungsempfänger entsprechen, aber für Angehörige anderer Mitgliedstaaten besondere Schwierigkeiten bereiten, gehören ebenfalls zu den Beschränkungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1 EWGV. Diskriminierende Beschränkungen bedürfen anderer Rechtfertigungsgründe als nicht diskriminierende Beschränkungen. Beide Arten der Beschränkung sind aber grundsätzlich nach Art. 59 Abs. 1, 60 Abs. 3 EWGV aufzuheben 118 • Damit entfaltet Art. 59 Abs. 1 EWGV auch für nicht diskriminierende Beschränkungen unmittelbare Geltung. Die Mitgliedstaaten haben insoweit keinerlei Handlungsspielraum, Beschränkungen jeder Art müssen aufgehoben werden. Wenn es um die Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit geht, können jedoch an die Rechtfertigung diskriminierender Beschränkungen andere Anforderungen zu stellen sein als an die Rechtfertigung nicht diskriminierender Beschränkungen. In diesem Rahmen kommen die Einflußmöglichkeiten und Gestaltungschancen der Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Ausmaß zur Geltung.

E. Beschränkungen der Ausstrahlung von Rundfunk Im Bereich des Rundfunks hat diese Konzeption Auswirkungen auf Regelungen, die ohne Diskriminierung Rundfunkveranstalter oder Kabelbetreiber betreffen. Nachdem das Vorliegen einer Dienstleistung i. S. d. Art. 59, 60 EWGV im Einzelfall geklärt ist, muß die in Frage stehende, innerstaatliche Regelung auf ihre Qualität als diskriminierende oder nicht diskriminierende Beschränkung untersucht werden. Im Falle einer Beschränkung ist der Tatbestand des Art. 59 Abs. 1 EWGV erfüllt, und die beschränkende Regelung ist grundsätzlich aufzuheben. Dann kommen jedoch die Rechtfertigungsgründe ins Spiel. Deshalb muß die Regelung noch am Maßstab des Allgemeininteresses und auf ihre mögliche Rechtfertigung aus anderen Gründen untersucht werden. In diesem Zusammenhang spielt auch die Verhältnismäßigkeit der Regelung eine Rolle. Erst wenn eine Rechtfertigung nicht möglich ist, steht fest, daß die Regelung mit dem EWG-Vertrag nicht vereinbar ist. Von besonderer Bedeutung sind innerstaatliche Bestimmungen, die die Aufnahme des Sendebetriebs eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Rundfunkveranstalters im Inland erschweren. Im Vordergrund stehen Behinderungen der Weiterverbreitung mittels Kabel durch besondere, im Heimatstaat des Veranstalters nicht existierende Anforderungen an die Dienstleistung 11 9.

118 119

Schwartz, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 99- 100. Rudolph, AfP 1986, S. 110.

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2. Kap. 3. T.: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit

Rundfunkrechtliche Anforderungen eines Mitgliedstaates, die die Weiterverbreitung von Programmen, welche Dienstleistungen i. S. d. Art. 59, 60 EWGV darstellen, über Kabel im Inland von einer bestimmten Ausgestaltung des Programms oder einer bestimmten Organisation des Rundfunkveranstalters abhängig machen, können Beschränkungen gern. Art. 59 Abs. 1 EWGV sein 120• Im Mittelpunkt des Interesses steht häufig die in den Rundfunkprogrammen aus anderen Mitgliedstaaten enthaltene Werbung. Ein Verbot der Einspeisung von Werbung enthaltenden Programmen mit Ursprung in anderen Mitgliedstaaten in inländische Kabelnetze, ist bereits als Diskriminierung verboten, wenn inländischen Rundfunkveranstaltern Werbung erlaubt ist 121 • Ein auch für inländische Rundfunkveranstalter geltendes Werbeverbot kann als nicht diskriminierende Beschränkung dem Anwendungsbereich des Art. 59 Abs. 1 EWGV angehören 122• Derartige innerstaatliche Bestimmungen können auf ihre endgültige Vereinbarkeit mit dem EWG-Vertrag erst geprüft werden, wenn auch Systematik und Voraussetzungen der Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit konzipiert sind.

120 Mestmäcker, in: ders. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 29, spricht insoweit von verschleierten Diskriminierungen. 121 Vgl. EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, s. 2133, Rn. 26. 122 Vgl. EuGH Urt. v. 18.3. 1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 855, Rn. 8 und S. 857, Rn. 15.

3. Kapitel

Die Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs 1. Teil

Die Vorschriften zur Gewährleistung von Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs Das Vorliegen einer Dienstleistung i. S. d. Art. 59, 60 EWGV führt grundsätzlich zur Aufhebung der Beschränkungen, die der Erbringung und dem Empfang der Dienstleistung entgegenstehen. Beschränkende Vorschriften eines Mitgliedstaates können aber dennoch bestehen bleiben, wenn sie durch einen Grund gerechtfertigt sind, der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs oder Ausnahmen von ihm gestattet. Gründe dieser Art sind Art. 55 EWGV für mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbundene Tätigkeiten und Art. 56 EWGV, der beschränkende Regelungen mit Rücksicht auf die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zuläßt. Beide Vorschriften sind aufgrunddes Art. 66 EWGV auch im Dienstleistungsbereich anwendbar. Die Beibehaltung beschränkender Regeln der Mitgliedstaaten kann weiterhin auf den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Rechtfertigungsgrund des Allgemeininteresses gestützt werden. Die Geltung der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr wird letztlich von Art. 90 Abs. 2 EWGV suspendiert, soweit sie verhindert, daß bestimmte Unternehmen ihre Aufgaben erfüllen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit spielt eine Rolle bei der Beschreibung der Reichweite dieser Rechtfertigungsgründe.

A. Art. 55 i. V. m. Art. 66 EWGV I. Die Struktur der Vorschrift Auf Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, finden gern. Art. 55 Abs. 1 i. V. m.

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

Art. 66 EWGV die Vorschriften des Dienstleistungskapitels in dem betreffenden Mitgliedstaat keine Anwendung. Die Bestimmung des Begriffs der öffentlichen Gewalt obliegt den Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten dürfen diesen Begriff jedoch nicht in einer Weise ausfüllen, die den EWG-Vertrag infolge der Ermöglichung einseitiger Maßnahmen der Mitgliedstaaten seiner Wirksamkeit berauben würde 1• Art. 55 EWGV ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen 2 • Die Reichweite der in Art. 55 Abs. 1 EWGV zugelassenen Ausnahmen geht nicht weiter, als es der Zweck erfordert, um dessentwillen sie vorgesehen sind 3•

II. Die Ausstrahlung von Rundfunk und die Ausübung öffentlicher Gewalt Der Erbringer oder der Empfänger einer Dienstleistung im Rundfunksektor müßten bei ihrer Tätigkeit öffentliche Gewalt ausüben, dann käme Art. 55 i. V. m. Art. 66 EWGV zum Tragen 4 •

1. Einziehung von Gebühren und Staatsaufsicht Eine Tätigkeit im weiteren Kontext der Ausstrahlung von Rundfunk, die als Ausübung öffentlicher Gewalt zu deuten ist, kann die Einziehung von Gebühren sein. Eine Reihe öffentlich-rechtlicher Veranstalter finanzieren sich auf diese Weise und erhalten die Abgaben oder Gebühren unmittelbar oder mittelbar von den Rezipienten. Zumindest wenn der Staat diese Einziehung besorgt, handelt es sich dabei um die Ausübung öffentlicher Gewalt. Die staatliche Rechtsaufsicht über den Rundfunk ist eine Tätigkeit, die abhängig von der Konstruktion im jeweiligen Mitgliedstaat ebenfalls als Ausübung öffentlicher Gewalt qualifiziert werden kann. Der Art. 55 i. V. m. Art. 66 EWGV gibt als Rechtsfolge vor, daß das Kapitel über die Dienstleistungsfreiheit auf solche Tätigkeiten nicht anwendbar ist. Die Art. 59 ff. EWGV können aber überhaupt nur anwendbar sein, wenn Dienstleistungen gern. Art. 59, 60 EWGV vorliegen. Durch die Verweisung des Art. 66 EWGV wird der Begriff der Tätigkeiten in Art. 55 Abs. 1 EWGV deckungsgleich EuGH Urt. v. 21.6.1974, Rs. 2/74 (Reyners), Sl'g. 1974, S. 631, S. 655, Rn. 48150. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 55, Rn. 8. 3 EuGH Urt. v. 21.6. 1974, Rs. 2!74 (Reyners), Slg. 1974, S. 631, S. 654, Rn. 421 43; diese Begrenzung errichtet der EuGH auch zu Art. 48 Abs. 3 EWGV, EuGH Urt. v. 12.2.1974, Rs. 152/74 (Sotgiu), Slg. 1974, S. 153, S. 162, Rn. 4. 4 Vgl. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 66, Rn. 2; Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 66, Rn. l. I

2

A. Art. 55 i. V. m. Art. 66 EWGV

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mit dem Begriff der Dienstleistungen. Im Falle von Dienstleistungen, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, sollen die Beschränkungen nicht nach Art. 59 Abs. 1 EWGV aufgehoben werden müssen. Der engere Bereich der innerstaatlichen öffentlichen Gewalt und damit ein wichtiger Teil der Souveränität der Mitgliedstaaten darfnicht durch die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr angetastet und den Kompetenzen der Organe der Gemeinschaft nach Art. 57 EWGV zugänglich gemacht werden. Die innerstaatliche Staatsaufsicht über den Rundfunk ist schon keine Dienstleistung, deshalb kann sie der Ausnahmevorschrift des Art. 55 i. V. m. Art. 66 EWGV nicht unterfallen. Auch die Einziehung von Gebühren oder Abgaben selbst stellt im Regelfall keine Dienstleistung gern. Art. 59, 60 EWGV dar. Sie kann aber Teil einer Dienstleistung sein, in der sie die Komponente der Entgeltlichkeit repräsentiert. Der grenzüberschreitenden Leistung der Ausstrahlung von Rundfunk kann die Entgeltlichkeit durch die Zahlung von Gebühren vermittelt werden 5 • Wie sich aus der bereits vorgenommenen Darstellung der einzelnen Dienstleistungen ergibt, sind öffentlich-rechtliche Gebühren als Gegenleistung für grenzüberschreitende Leistungen schwer vorstellbar 6• Sollte eine Konstellation auftauchen, in der öffentlich-rechtliche Gebühren die Gegenleistung für die Ausstrahlung von grenzüberschreitendem Rundfunk darstellen und werden diese Gebühren in Ausübung öffentlicher Gewalt beigetrieben, dann liegt eine Tätigkeit i. S. d Art. 55 i. V. m. Art. 66 EWGV vor. Diese Tätigkeit unterfällt dann nicht dem Regelungsanspruch der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr. Die ihr zugrunde liegenden, nationalen Rechtsregeln sind nicht als Beschränkungen nach Art. 59 Abs. 1 EWGV aufzuheben und die Gemeinschaft könnte derartige Regeln auch nicht gern. Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV koordinieren. 2 . Die Ausstrahlung öffentlich-rechtlicher Rundfunkprogramme

Die Rundfunkveranstalter stellen Programme her oder lassen sie herstellen, unterhalten oder betreiben Sendestationen und Studios, planen Sendungen, gestalten Gesamtprogramme und überwachen deren Durchführung. Alle diese Tätigkeiten haben regelmäßig nichts mit der Ausübung öffentlicher Gewalt zu tun. Die Tätigkeit des Ausstrahlens selbst in ihrer Ausgestaltung nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht kann öffentlich-rechtlichen Charakter tragen. Für diesen Vorgang kommt die Anwendung des Art. 55 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV in Frage. s S. oben 2. Kapitel, 2. Teil, E. 11.3.b. S. oben 2. Kapitel, 2. Teil, G. 1.3.a.

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

Private Rundfunkveranstalter scheiden von vornherein aus, sie vermögen keine öffentliche Gewalt auszuüben. Die Anwendung von Art. 55 i. V. m. Art. 66 EWGV ist daher nur auf Tätigkeiten öffentlich-rechtlich organisierter Rundfunkveranstalter möglich 7 • Auf öffentlich-rechtlicher Basis arbeitende Rundfunkveranstalter können im Kontext des innerstaatlichen Rechts ihres Sitzstaates eine öffentliche Aufgabe wahrnehmen, die in der Tätigkeit des Ausstrahlens besteht 8 • Die Ausstrahlung öffentlich-rechtlicher Rundfunkprogramme könnte deshalb die Ausübung öffentlicher Gewalt bedeuten 9 • Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter treten nicht als Organ oder Vertreter des Staates auf, sondern als selbständige, unabhängige Einheiten. Das bedingt schon ihre grundsätzliche Staatsfreiheit 10, die auch durch Art. 10 EMRK gewährleistet wird. Die Rundfunkveranstalter verfügen nicht über besondere Machtbefugnisse gegenüber den Bürgern 11 , soweit die Ausstrahlung der Programme betroffen ist. Von der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe darf nicht auf die Ausübung öffentlicher Gewalt geschlossen werden 12• Die Tatsache, daß öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter auf der Grundlage eines öffentlichrechtlichen Statuts geschaffen wurden und bestehen, macht ihre Tätigkeiten noch nicht zur Ausübung öffentlicher Gewalt l3. Tätigkeiten i. S. d. Art. 55 EWGV müssen eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der öffentlichen Gewalt darstellen 14• Daran fehlt es bei der Ausstrahlung von Rundfunksendungen 15 • Dies gilt unabhängig davon, ob man den Begriff der Ausübung öffentlicher Gewalt gemeinschaftsrechtlich oder rein innerstaatlich auslegt 16. Innerstaatliche Vorschriften, die die Ausstrahlung grenzüberschreitender Rundfunkprogramme beschränken, können also nicht über Art. 55 Abs. 1 i. V. m. Jarass, EuR 1986, S. 82; Ipsen, Rundfunk, S. 478. s Vgl. zur öffentlichen Aufgabe der Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutsch1andBVerfG Urt. v. 27. 7.1971,E 31, S. 314, S. 325 undzuröffentlichen Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Zusammenhang mit der demokratischen Funktion des Rundfunks BVerfG Urt. v. 4.11.1986, E 73, S. 118, S. 157-159, wo das Bundesverfassungsgericht die Problematik vor dem Hintergrund einer Erweiterung des Rundfunkangebots abhandelt. 9 So Herrmann, ZUM 1985, S. 185. 10 V gl. für die Bundesrepublik Deutschland BVerfG Urt. v. 4. 11. 1986, E 73, S. 118, s. 152. 11 Grünbuch, S. 203. 12 Jarass, EuR 1986, S. 82; vgl. Wittkopp, Freizügigkeit, S. 141. l3 Grünbuch, S. 201; vgl. ebd. zur Rechtslage in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft (Stand: 1984). 14 EuGH Urt. v. 21.6.1974, Rs. 2174 (Reyners), Slg. 1974, S. 631, S. 655, Rn. 44/45. 15 Roth, ZHR 149 (1985), S. 687. 16 Vgl. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 55, Rn. 3. 7

A. Art. 55 i. V. m. Art. 66 EWGV

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Art. 66 EWGV gerechtfertigt werden. Die Ausnahme von der Anwendung des Dienstleistungskapitels für mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbundene Tätigkeiten hat im Rundfunkbereich keine Bedeutung.

3. Der Art. 55 Abs. 2 EWGV Die in der Praxis noch nie zur Anwendung gekommene Vorschrift des Art. 55 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV 17 gibt dem Rat die Möglichkeit auf Vorschlag der Kommission die Anwendung der Dienstleistungsvorschriften auf bestimmte Tätigkeiten auszuschließen. Da die Kommission an Varschlägen zur Einengung des Anwendungsbereichs der Art. 59 ff. EWGV kaum interessiert ist, dürfte ein derartiger Beschluß in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten sein 18 • Der Wortlaut des Art. 55 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV deutet darauf hin, daß jede Tätigkeit der Liberalisierung entzogen werden kann. Da Voraussetzung für eine Ausnahme die Geltung der Regel ist, müssen diese Tätigkeiten grundsätzlich der Regel, nämlich der Anwendung der Art. 59 ff. EWGV unterstehen. Mit Tätigkeiten sind auch in Art. 55 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV gemeint. Mit qualifizierter Mehrheit könnte der Rat demnach den freien Dienstleistungsverkehr beliebig beschränken. Art. 55 Abs. 2 EWGV muß jedoch im Zusammenhang mit Art. 55 Abs. I EWGV ausgelegt werden, um dieser Kompetenz des Rates Konturen zu verleihen. Ob nach Art. 55 Abs. I EWGV die Dienstleistungsvorschriften auf bestimmte Tätigkeiten keine Anwendung finden, hängt letztlich von der innerstaatlichen Ausgestaltung der Tätigkeit ab. In Mitgliedstaaten, die derartige Tätigkeiten nicht mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden haben, wären dann die Art. 59 ff. EWGV anwendbar. Um diese Ungleichheiten und daraus eventuell entstehende Ungerechtigkeiten ausgleichen zu können, soll dem Rat die Möglichkeit des Art. 55 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV offenstehen 19• Der tatbestandlieh sehr weite Art. 55 Abs. 2 EWGV wird so durch systematisch-teleologische Erwägungen auf eine Ausgleichsfunktion im Verhältnis zu Art. 55 Abs. I EWGV beschränkt. Wenn die Norm auch mit ihrem Wortlaut weitere Fallgruppen abdeckt, muß sie als Ausnahmevorschrift eng und mit Rücksicht auf ihren Zweck ausgelegt werden 20 •

Roth, EuR 1987, S. 11. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 55, Rn. 14. 19 Grünbuch, S. 204; Seidel, in: GS Sasse, Bd. li, S. 375, und ihm folgend Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 55, Rn. 13 mutmaßen, daß der EuGH den Art. 55 Abs. 2 EWGV für systemwidrig und deshalb obsolet erklären könnte. zo Vgl. insoweit zu Art. 55 Abs. 1 EWGV EuGH Urt. v. 21.6.1974, Rs. 2174 (Reyners), Slg. 1974, S. 631, S. 654, Rn. 42/43. 11

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

Deshalb sind Beschlüsse nach Art. 55 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV nur aus wichtigen Gründen zulässig 21 • Im Rundfunksektor besteht für den Rat regelmäßig keine Kompetenz die existierenden Dienstleistungen von den Art. 59 ff. EWGV auszunehmen 22 • Da diese Dienstleistungen lediglich in AusnahmeHillen unter Art. 55 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV fallen, kann auch die Ausgleichskompetenz in Art. 55 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV keinen Platz greifen. Art. 55 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV spielt im Ergebnis ebensowenig eine Rolle im Kontext der Ausstrahlung von Rundfunkprogrammen wie Art. 55 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV.

B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV Innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die Sonderregeln für Ausländer vorsehen, bleiben gern. Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV anwendbar, wenn sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind.

I. Die Struktur und Funktion des Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV 1. Der Grundsatz Angehörige anderer Mitgliedstaaten dürfen durch innerstaatliche Vorschriften einer Behandlung unterworfen werden, welche sich von der Behandlung von Inländern unterscheidet. Unter der Voraussetzung des Vorliegens rechtfertigender Gründe haben innerstaatliche Gesetzgeber und Verwaltungen mit Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV einen Hebel in der Hand, um unmittelbar aus dem EWGVertrag fließende Rechte und damit den freien Dienstleistungsverkehr selbst einzuschränken 23.

2. Schwerpunkte der Anwendung der Vorschrift Der Schwerpunkt in der Anwendung des Art. 56 (auch i. V. m. Art. 66) EWGV lag bisher bei Fragen des innerstaatlichen Ausländer- und Aufenthaltsrechts. Die Tatsache, daß bei der Anwendung der Vorschrift die ausländerrechtliehen Regelungen der Mitgliedstaaten im Vordergrund des Interesses standen, hängt mit den häufigsten Erscheinungsformen der Dienstleistung zusammen. Bisher 21 22

23

Roth, EuR 1987, S. 12. Seidel, in: GS Sasse, Bd. II, S. 374 f. EuGH Urt. v. 8.4.1976, Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, S. 497, S. 512, Rn. 28/29.

B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV

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war es die Regel, daß der Dienstleistungserbringer oder der Dienstleistungsempfänger die Grenze überschreiten. Deshalb ergaben sich Konflikte häufig aus der aufenthaltsrechtlichen Stellung dieser Beteiligten an der Leistungsbeziehung in dem anderen Mitgliedstaat. Die Ausgestaltung, daß nur die Leistung als solche die Grenze überschreitet, war von geringerer Bedeutung. Diese Feststellung wird durch das existierende sekundäre Gemeinschaftsrecht bestätigt. a) Richtlinie 64/221/EWG vom 25.2.1964 Die Richtlinie 64/221 /EWG vom 25.2.1964 24 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, basiert auf Art. 56 Abs. 2 EWGV 25 . Diese Vorschrift gibt dem Rat die Kompetenz, die bestehenden, gerechtfertigten Sonderregeln der einzelnen Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen. Mit der Richtlinie 64/221/EWG hat er dies für die Vorschriften über die Einreise, die Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet getan, soweit diese Vorschriften auf den Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beruhen (Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie). Das Ermessen der nationalen Behörden, das ihnen aufgrund innerstaatlicher Rechtsvorschriften zusteht, wird durch die Bestimmungen der Richtlinie begrenzt26. Der persönliche Geltungsbereich erstreckt sich nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie auf Angehörige der Mitgliedstaaten, die sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten oder dorthin begeben, um eine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben oder um Dienstleistungen entgegenzunehmen 27 . Die Richtlinie will Behinderungen der Erbringung und des Empfangs von Dienstleistungen ausräumen, die aus einer ungesicherten aufenthaltsrechtlichen Stellung der an der Leistungsbeziehung Beteiligten entstehen können. Dienstleistungen, bei denen nur die Leistung selbst die Grenze überschreitet, fanden keine Beachtung.

24 ABI. Nr. 56, vom 4.4.1964, S. 850-853 = Sartorius II, No. 180b; vgl. Streil, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Die EG, S. 324 (9.7.). 25 Vgl. Vignes, in: Megret I Vignes I Waelbroeck I Louis I Dousset I Sarmet, Commentaire du Traite, tom 3, Art. 56, No. 2 (S. 102). 26 EuGH Urt. v. 4.12. 1974, Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337, S. 1349, Rn. 13114. 27 Näher zum Inhalt der Richtlinie Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 56, Rn. 5; Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 56, Rn. 8- I 0.

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

b) Richtlinie 73/148/EWG vom 21.5.1973 Noch deutlicher wird die Zielrichtung der Politik der Gemeinschaft aus der Richtlinie 73/148/EWG vom 21.5.1973 28 • Sie ist betitelt als Richtlinie zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Niederlassungsund des Dienstleistungsverkehrs und stützt sich auf die Art. 54 Abs. 2 und 63 Abs. 2 EWGV. Nach Art. 1 dieser Richtlinie werden Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Erbringer wie Empfänger von Dienstleistungen beseitigt. Grenzüberschreitende Leistungen sind unter anderem von der Möglichkeit abhängig, sich in andere Mitgliedstaaten zu begeben. Die Freiheit der Ein- und Ausreise ist eine der Voraussetzungen des freien Dienstleistungsverkehrs. Der Gerichtshof hat diese Freiheit bereits aus Art. 48, 52 und 59 EWGV selbst abgeleitet 29 • Die Richtlinie 73/148/EWG hat daher im Grundsatz nur klarstellende Funktion 30•

3. Der Anwendungsbereich Diese Richtlinien verdeutlichen, daß sich das Interesse auf die Sichtung und Koordinierung der innerstaatlichen Vorschriften des Ausländerrechts richtete. Deshalb gelangte Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV vorwiegend in diesem Bereich zur Geltung. Die Vorschrift betrifft aber nicht nur das Ausländerrecht, sondern ermöglicht in jedem Bereich Ausnahmen von den Art. 52 ff. und 59 ff. EWGV 31 • In der Richtlinie 64/221/EWG wird im ersten Erwägungsgrund klargestellt, daß sich die Koordinierung nach Art. 56 Abs. 2 EWG zunächst auf die Einreise- und Aufenthaltsbedingungen beziehen müsse. Diese Koordinierungsmöglichkeit reicht also weiter und betrifft auch andere Rechtsmaterien 32• Im Bereich des Einreise- und Aufenthaltsrechts schreibt Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG 33 vor, daß bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen ausschlaggebend sein darf. Die diskriminierenden, innerstaat28 ABI. Nr. L 172, vom 28. 6. 1973, S. 14- 16 = Sartorius ll, Nr. 180a; vgl. zur Richtlinie Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 56, Rn. 6. 29 EuGH Urt. v. 8.4.1976, Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, S. 497, S. 512, Rn. 28129. 30 Streil, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Die EG, S. 323 (9.7.). 31 Schlappa, Kontrolle, S. 130; Bleckmann, EuR 1987, S. 46; anders Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 56, Rn. 1, der vorträgt, Art. 56 EWGV stelle lediglich klar, daß die Freiheiten der Art. 52 ff., 59 ff. EWGV nicht zur Abschaffung allen Ausländenechts führen, die NQ.rm g~;.währe aber keine Ausnahme von der Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit überhaupt. 32 Steindorff, in: Lagrange I Möller I Sieg I Steindorff, Dienstleistungsfreiheit, S. 91. 33 ABI. Nr. 56, vom 4.4.1964, S. 850-853 = Sartorius II, Nr. 180b.

B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV

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liehen Vorschriften sind also nur gegenüber dem Ausländer anwendbar, von dessen Person die Störung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerade ausging 34. Damit wird bekräftigt, daß die Anwendung des Art. 56 Abs. I i. V. m. Art. 66 EWGV die Erfüllung seiner Tatbestandsmerkmale voraussetzt 35 . Denn Sonderregeln sind nur zulässig bei dem Vorliegen einer Rechtfertigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit. Diese bedingt, daß die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gestört wird. Gegen diese Störung können dann die geeigneten, innerstaatlichen Vorschriften aktiviert werden, auch wenn ihre Aktivierung der Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs zuwiderläuft. Diese Vorschriften dürfen aber auch nur im Verhältnis zu dem Verursacher der konkreten Störung angewendet werden, nicht etwa aus Anlaß der Störung auch gegen andere im gleichen Sektor tätige Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfanger. In der Tat bietet Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV Handlungsmöglichkeiten nur im Verhältnis zu einer natürlichen oder juristischen Person, gegenüber der die Rechtfertigung aus den Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit auch besteht. Aus dem Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 64/221 /EWG folgt nicht, daß Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV nur im Bereich des Aufenthalts- und Ausländerpolizeirechts Anwendung finden kann. Der Anwendungsbereich der Norm beschränkt sich nicht auf einen Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung, sondern umfaßt alle Sonderregeln für Ausländer, gleich welche Rechtsmaterie sie betreffen. Art. 59 ff. EWGV und Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV stehen in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis 36•

4. Diskriminierungen Sonderregeln behandeln Ausländer besonders, das heißt anders als Inländer. Regeln, die Ausländer bevorteilen, behindern nicht den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr, sondern sind allenfalls in umgekehrter Richtung als Inländerdiskriminierungen prob1ematisch37. Regeln, die Ausländer benachteiligen, 34 Bleckmann, Europarecht, Rn. 2062. 35 Vgl. Schlappa, Kontrolle, S. 130, der klarstellt, Art. 56 Abs. 1 EWGV könne auch für tätigkeitsbezogene Regelungen aktiviert werden, solche Regelungen stellten aber seltener eine Diskriminierung durch die Mitgliedstaaten dar. 36 Bongen, Schranken, S. 84; vgl. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 56, Rn. 1. 37 Vgl. EuGH Urt. v. 7. 7. 1988, Rs. 154 und 155/87 (Wolf und Dorchain), Slg. 1988, S. 3897, S. 3912-3913, Rn. 13-14, der Gerichtshof sieht nationale Regelungen als mit den Art. 48 und 52 EWGV unvereinbar an, die erwerbstätige Gemeinschaftsbürger benachteiligen könnten, wenn sie ihre Tätigkeit über das Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaates ausdehnen wollen; die Notwendigkeit eines grenzüberschreitenden Be13 Kugelmann

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

sind grundsätzlich als Diskriminierungen gern. Art. 59 Abs. 1 EWGV aufzuheben. Mit Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV können diskriminierende Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs gerechtfertigt werden 38 • Dieser Rechtfertigungsgrund erstreckt sich nicht auf innerstaatliche Vorschriften, die für In- wie Ausländer gleichermaßen gelten, aber dennoch in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen behindern. Diese nicht diskriminierenden Beschränkungen können nicht aufgrund des Rückgriffs auf Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV Bestand haben. Denn Regeln, die für alle Betroffenen unterschiedslos gelten, sind keine Sonderregeln.

5. Das Schaffen neuer Sonderregeln Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV ordnet an, daß die Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit die Anwendbarkeit von Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die bestimmte Bedingungen erfüllen, nicht beeinträchtigen. Schon geltende, innerstaatliche Normen mit diskriminierendem Charakter bleiben anwendbar, wenn die Voraussetzungen des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV vorliegen. Könnenaufgrund dieser Vorschrift auch neue Sonderregeln geschaffen werden, die aus den in der Bestimmung genannten Gründen gerechtfertigt sind? Damit würde den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, den freien Dienstleistungsverkehr neuen diskriminierenden Beschränkungen zu unterwerfen. Gerade das untersagt Art. 62 EWGV. Diese Norm ist aber keine Schranke des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV, sondern umgekehrt könnten als Ausnahmen vom Tatbestand des Art. 62 EWGV Sonderregeln nach Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV gestattet sein. Denn Art. 62 EWGV wirkt nur, soweit nicht Bestimmungen des EWG-Vertrages etwas anderes regeln. Eine solche Bestimmung ist Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV. Art. 62 EWGV untersteht also dem Vorbehalt des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV 39 • Damit kommt es darauf an, ob Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV selbst die Schaffung neuer diskriminierender Normen zuläßt. Die Vorschrift regelt die zugsauch hinsichtlich Inländerdiskriminierungen betonen Schöne, RIW 1989, S. 452453 und Ehlers, NVwZ 1990, S. 811; aufgrundeiner Argumentation über Art. 7 neigt zu einem gemeinschaftsrechtlichen Verbot der Inländerdiskriminierung Reitmaier, Inländerdiskriminierungen, S. 123 und passim; ähnlich Grabitz, in: ders. (Hrsg.), Art. 7, Rn. 6; ein solches Verbot bejaht grundsätzlich auch Schlachter, Discrimination a rebours, S. 105-106 und passim, falls die Grundfreiheiten des EWG-Vertrages betroffen sind; differenzierend Roth, EuR 1987, S. 18 mit Fn. 182; vgl. auch Blumenwitz, NJW 1989, S. 625; Kewenig, JZ 1990, S. 22-23. 38 Vgl. das Grünbuch, S. 125-126. 39 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 62 Rn. 1 i. V. m. Art. 53 Rn. 2; Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 62 Rn. 1 i. V. m. Art. 53, Rn. 1; anders Engel, ZRP 1988, S. 247.

B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV

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Anwendbarkeit gerechtfertigter Sonderregeln. Die Existenz einer Norm ist Voraussetzung ihrer Geltung und die Geltung ist Voraussetzung für die Anwendbarkeit40. Die Vorschrift des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV betrifft geschaffene, innerstaatliche Rechts- und Verwa1tungsvorschriften. Sie kann die innerstaatliche Rechtsetzung nicht verhindern, ihre Wirkung entfaltet sich zeitlich später. Die Entscheidung über die Rechtsetzung liegt allein bei den Mitgliedstaaten. Will ein Mitgliedstaat neue oder veränderte Interessen formulieren, muß er allerdings bei der Kreation der entsprechenden Vorschriften den EWG-Vertrag insgesamt und damit auch die Dienstleistungsfreiheit beachten. Diskriminierende Vorschriften können demnach aufgrund des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV neu eingeführt werden.

6. Die Definitionszuständigkeit Die Kompetenz zum inhaltlichen Ausfüllen der Begriffe des Art. 56 Abs. 1 EWGV kann den Organen der Gemeinschaft oder den Mitgliedstaaten zustehen 41 • Wenn die Mitgliedstaaten insoweit maßgebend sind, kommt die innerstaatliche Auslegung der Begriffe zum Tragen. Was unter die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zu fassen ist, ergibt sich dann aus dem Verständnis des Staates, dessen Regelungen gerechtfertigt werden sollen 42• Die Konzeption einer rein nationalen Auslegung führt dazu, daß die Tragweite des Art. 56 Abs. 1 EWGV danach differiert, welcher Staat gerechtfertigte Sonderregeln anwenden wi11 43 • Da etwa die öffentliche Ordnung in jedem Staat der Gemeinschaft anders verstanden wird, könnte auf den gleichen Sachverhalt in einem Mitgliedstaatder Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV Anwendung finden, in einem anderen Mitgliedstaat dagegen nicht. Die Mitgliedstaaten hätten es in der Hand, durch eine ihnen genehme Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe die Reichweite des Art. 56 Abs. 1 EWGV festzulegen. Eine sehr weite Begriffsbestimmung könnte das regelmäßige Eingreifen der Ausnahmevorschrift möglich machen und damit den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs in gewissem Maße aushöhlen 44 • Auf der anderen Seite würde eine Definitionsbefugnis der Organe der Gemeinschaft hinsichtlich der Begriffe des Art. 56 Abs. l EWGV eine erhebliche Ein40 E. Klein, Unmittelbare Geltung, S. 8. 41 Vgl. Bongen, Schranken, S. 69. 42 GA Warner, in: EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 878. 43 Vgl. Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 56, Rn. 2. 44 Streil, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Die EG, S. 323 (9.7.). 13*

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

schränkung des Handlungsspielraums der Mitgliedstaaten bedeuten. Die Organe der Gemeinschaft könnten darüber entscheiden, ob die öffentliche Ordnung oder Sicherheit eines Mitgliedstaates eine innerstaatliche Sonderregelung rechtfertigt oder nicht. Dergestalt griffe die Gemeinschaft in einen Kernbereich der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten ein und würde ihre in Art. 2 und 3 EWGV beschriebene Legitimationsbasis überschreiten. Die Begriffe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit tragen gemeinschaftsrechtlichen Charakter und entsprechen deshalb nicht notwendig den Begriffsbestimmungen im innerstaatlichen Recht. Die Zuständigkeit zur inhaltlichen Ausgestaltung der Begriffe des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV haben die Mitgliedstaaten inne 45 • Ihnen kommt insoweit ein Beurteilungsspielraum zu 46 • Weil es sich aber um gemeinschaftsrechtliche Begriffe handelt, muß den Organen der Gemeinschaft eine Kontrollmöglichkeit eingeräumt werden 47 • Die Mitgliedstaaten dürfen diese Kompetenz nicht einseitig ausüben 48 • Mit dieser Konstruktion behalten einerseits die Mitgliedstaaten die Kompetenz, ihre nationalen Interessen zu definieren. Die Tragweite des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV liegt aber andererseits nicht allein in ihren Händen, sondern die Organe der Gemeinschaft und namentlich der Gerichtshof üben die Kontrolle über die Auslegung der Rechtsbegriffe dieser Ausnahmevorschrift aus 49 • Damit ist gesichert, daß die Ausnahmen nicht den Grundsatz überwiegen und die Auslegungsvarianten in den Mitgliedstaaten auch nicht zu stark differieren. Um eine gemeinschaftsweite Einheitlichkeit der Auslegung zu erreichen, bietet sich der Erlaß entsprechender, koordinierender Richtlinien gern. Art. 56 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV an. 7. Der Aufbau des Art. 56 Abs. 1 EWGV

Bevor auf die Gründe der öffentlichen Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit im einzelnen eingegangen werden kann, muß das Verhältnis dieser Schutzgüter

Bongen, Schranken, S. 71 -72. EuGHUrt. v. 4.12.1974,Rs. 41 /74(vanDuyn) S1g. 1974, S. 1337, S. 1350, Rn. 181 19; vgl. dazu Streil, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Die EG, S. 324 (9.7.); Steindorff, in: Lagrange I Möller I Sieg I Steindorff, Dienstleistungsfreiheit, S. 92-93 mit Fn. 37. 47 Seidel, in: GS Sasse, Bd.II, S. 374; Schlappa, Kontrolle, S. 131; vgl. zu Art. 48 Abs. 3 EWGVEuGHUrt. v. 28.10.1975, Rs. 36/75 (Rutili), Slg. 1975, S. 1219, S. 1231, Rn. 26128. 48 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 56, Rn. 3. 49 Vignes, in: Megret I Vignes I Waelbroeck I Louis I Dousset I Sarmet, Commentaire du Traite, tom 3, Art. 56, No. l (S. 101); Schlappa, Kontrolle, S. 131-132; lpsen, Rundfunk, S. 532 f. 45

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B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV

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zueinander und damit die Systematik des Art. 56 Abs. 1 EWGV beleuchtet werden. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist eine Rechtfertigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit möglich. Die Schutzgüter stehen alternativ nebeneinander. Deshalb muß ein konkret in Rede stehendes Interesse eines Mitgliedstaates einem bestimmten Schutzgut zugeordnet werden. Wenn man die beiden Begriffe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zusammenfaßt und als ein gemeinsames Schutzgut versteht 5°, bleibt dennoch zu untersuchen, welche Interessen in Art. 56 Abs. 1 EWGV einbezogen sind. Auch nach dieser Konzeption werden letztlich von der öffentlichen Sicherheit andere Rechtsgüter erfaßt als von der öffentlichen Ordnung. Wenn der Gerichtshof in vielen Urteilen im Zusammenhang mit Art. 56 Abs. 1 EWGV nur auf die öffentliche Ordnung eingeht, dann deshalb weil die öffentliche Sicherheit oder Gesundheit einfach nicht betroffen sind. Öffentliche Sicherheit und öffentliche Ordnung sind voneinander zu unterscheiden und ein mitgliedstaatliches Interesse muß genau zugeordnet werden. Die Formulierung in Art. 56 Abs. 1 EWGV erinnert an das innerstaatliche, etwa das bundesdeutsche Polizeirecht 51 • Dort werden die einzelnen Rechtsgüter ebenfalls präzise zugeordnet. Allerdings folgt aus dem ähnlichen Wortlaut noch keine inhaltliche Verwandtschaft der gemeinschaftsrechtlichen Regelungsmaterie mit dem innerstaatlichen Polizeirecht Ein konzeptioneller Unterschied liegt darin, daß es im innerstaatlichen Polizeirecht um das Eingreifen der Polizeibehörden geht, das im Fall einer Gefahr für diese Rechtsgüter ermöglicht werden soll. Art. 56 Abs. 1 EWGV ist demgegenüber ein Rechtfertigungsgrund zugunsten des Bestandes innerstaatlicher Rechtsund Verwaltungsvorschriften. Die Vorschrift richtet sich also an die rechtsetzenden Organe, während im innerstaatlichen Polizeirecht die Schutzgüter für die Voraussetzungen des Eingreifens der Exekutive von Bedeutung sind. Der Handlungs- und Ermessensspielraum des Normgebers ist in der Regel wesentlich weiter als derjenige der vollziehenden Verwaltung. Diese Tatsache sollte in der Auslegung des Art. 56 Abs. 1 EWGV Berücksichtigung finden. Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV bietet nicht nur die Möglichkeit, innerstaatliche, polizeiliche Regelungen zu rechtfertigen. Grundsätzlich kann mit dieser Bestimmung jede innerstaatliche, diskriminierende Regelung gerechtfertigt werden, die sich auf das Erbringen oder den Empfang einer Dienstleistung auswirkt. Die Vorschrift gewährleistet die Anwendbarkeit von Regelungen, die so Bongen, Schranken, S. 80; Ipsen, Rundfunk, S. 533. Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlennann, Kommentar zum EWGV, Art. 56, Rn. 2, versteht die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch inhaltlich entsprechend dieser polizeirechtlichen Auslegung, was damit zusammenhängt, daß sich Art. 56 Abs. 1 EWGV seiner Meinung nach vorwiegend auf das Ausländerpolizeirecht bezieht. 51

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3. Kap. I. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

einem fundamentalen Grundsatz der Gemeinschaftsrechtsordnung, nämlich dem freien Verkehr von Dienstleistungen, widersprechen. Sie ähnelt deswegen mehr einer Grundrechtsschranke als einer Ermächtigungsgrundlage für eine Behörde. Derartige Vergleiche erweisen sich nicht als entscheidend für die Interpretation, da es um gemeinschaftsrechtliche Begriffe geht, die entsprechend der Konzeption des EWG-Vertrages und unter Abwägung der Interessen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten zu interpretieren sind. Die innerstaatlichen Verständnisse gehen im Wege einer wertenden Rechtsvergleichung in diese Interpretation ein, stehen aber unter der Prämisse, einen dem Gemeinschaftsrecht eigenen Begriff formen zu sollen. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV stellt sich als Handhabe dar, um Ausnahmen vom Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs zu rechtfertigen. Die Vorschrift ist ein Rechtfertigungsgrund für innerstaatliche Regeln, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten diskriminieren 52•

II. Die Voraussetzungen Die innerstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften müssen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sein. Der inhaltlichen Bestimmung dieser Begriffe kommt entscheidende Bedeutung für die Tragweite der Ausnahmevorschrift des Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV zu. Im Hinblick auf die Ausstrahlung von Rundfunk stellt sich die Frage, ob in diesem Rahmen von den Mitgliedstaaten auch Aspekte vorgebracht werden können, die Ausnahmen vom freien Dienstleistungsverkehr im Rundfunkbereich ermöglichen würden.

1. Die öffentliche Gesundheit Die öffentliche Gesundheit taugt als Rechtfertigungsgrund im Rundfunksektor wenig. Art. 4 der Richtlinie 64/221 /EWG 53 verweist auf den Anhang der Richtlinie, in dem diejenigen Krankheiten und Gebrechen abschließend aufgeführt sind, die eine Verweigerung der Einreise und der ersten Aufenthaltsgenehmigung rechtfertigen 54 • Diese Liste ist auf andere Rechtsmaterien übertragbar. Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Ausstrahlung von Rundfunk werden regelmäßig ohne Ortsveränderung der Beteiligten vorgenommen. Gesund52 Vignes, in: Megret I Vignes I Waelbroeck I Louis I Dousset I Sarmet, Commentaire du Traite, tom 3, Art. 56, No. 1 (S. 100). 53 ABI. Nr. 56, vom 4.4. 1964, S. 850-853 = Sartorius Il, Nr. 180b. 54 Vgl. Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 56, Rn. 3.

B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV

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heitsbeeinträchtigungen sind allenfalls in indirekter Form denkbar. So fördert Tabakwerbung im Rundfunk den Zigarettenkonsum und schadet dergestalt der Gesundheit der Menschen. Sonderregeln aus solchen Erwägungen wären aber eher im Bereich der Wahrung der öffentlichen Ordnung eines Mitgliedstaates anzusiedeln. Gesundheitsschutz bedingt die Möglichkeit der unmittelbaren Einwirkung der Dienstleistung auf das körperliche Wohlbefinden. Im Kontext der mit der Ausstrahlung von Rundfunk verbundenen Dienstleistungen spielt der Aspekt der öffentlichen Gesundheit als Rechtfertigungsgrund für Ausnahmen keine Rolle.

2. Die öffentliche Sicherheit Die öffentliche Sicherheit eines Mitgliedstaates umschließt die Sicherung seiner Existenz, zu der auch grundlegende Garantien für die Sicherheit seiner Bürger gehören. a) Bestandsschutz des Staates Art. 223 EWGV entzieht die Wahrung wesentlicher Sicherheitsinteressen dem Einfluß des EWG-Vertrags. Im Vordergrund stehen bei dieser Vorschrift die militärischen und verteidigungspolitischen Sicherheitsinteressen. Ausdrücklich von der internationalen Sicherheit spricht Art. 224 EWGV, der ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten vorsieht, um das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes im Krisenfall zu gewährleisten. Art. 56 Abs. 1 EWGV betrifft in entsprechender Weise den essentiellen Bestandsschutz des Staates. Aufgrund des Art. 48 Abs. 3, des Art. 56 Abs. 1 und des Art. 66 EWGV können die Freizügigkeit ebenso wie die Niederlassungsfreiheit und der freie Dienstleistungsverkehr aufgrund der innerstaatlichen, öffentlichen Sicherheit Einschränkungen unterworfen werden. Art. 36 EWGV ermöglicht Gleiches für den freien Warenverkehr. Alle diese Tatbestände haben nur einen begrenzten Regelungsbereich, weshalb dem EWG-Vertrag auch kein allgemeiner Vorbehalt der öffentlichen Sicherheit entnommen werden kann 55. Die öffentliche Sicherheit umfaßt den Bestand und das Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen und den Schutz des Lebens, der Freiheit, der Ehre und des Vermögens des einzelnen 56• Sonderregeln für Ausländer können mit Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV gerechtfertigt werden, wenn sie eine 55 EuGH Urt. v. 15.5.1986, Rs. 222184 (Johnston), Slg. 1986, S. 1651 , S. 1684, Rn.26. 56 Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 56, Rn. 2; Grünbuch, S. 126.

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

essentielle Beeinträchtigung dieser Rechtsgüter verhindern. Die innere Sicherheit umschließt daher etwa die Bedingungen der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit bei der Polizei57. b) Ausstrahlung von Rundfunksendungen Durch die Ausstrahlung von Rundfunksendungen ist eine derartige Beeinträchtigung immerhin möglich. Zu denken wäre an Hetzpropaganda, die durch Einstrahlung in einen anderen Staat dessen Bürger beeinflussen und damit seine Existenz untergraben soll. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft dürften derartige Vorstellungen rein hypothetisch sein. Realistischer ist schon der Gedanke, daß ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiger Rundfunkveranstalter Sendungen ausstrahlt, die Angehörige des Empfangsstaates in ihrer Ehre verletzen. Ehrenrührige Berichterstattung kann mittels Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV bekämpft werden. Sollte diese Art der Berichterstattung den entsprechenden Vorschriften des Sitzstaates nicht widersprechen, hätte jedenfalls der Empfangsstaat eine Handlungsmöglichkeit, wenn seine Rechtsvorschriften verletzt sind. Für diesen speziellen Rundfunkveranstalter kann der Empfangsstaat eine Sonderregelung treffen. Dieses Anwendungsbeispiel für Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV wird für den Sektor des Fernsehens auch von der Fernseh-Richtlinie der Gemeinschaft erfaßt 58 . Art. 23 der Richtlinie regelt das Recht jeder natürlichen und juristischen Person auf eine Gegendarstellung im Fall der Behauptung falscher Tatsachen in einem Fernsehprogramm. Die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen können die Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie vorübergehend aussetzen, wenn der Art. 22 verletzt ist, der den Jugendschutz formuliert. Sonstige Gründe, die eine Beschränkung des Empfangs oder der Weiterverbreitung von Fernsehsendungen ermöglichen, nennt die Richtlinie nicht. Insoweit kommt dann Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV zum Tragen, der durch das sekundäre Gemeinschaftsrecht nur konkretisiert, nicht aber ausgeschlossen wird. Damit bleibt die Möglichkeit bestehen, nationale Sondervorschriften gegen Verletzungen der zur öffentlichen Sicherheit zählenden Ehre einzelner mit Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV zu rechtfertigen. Verletzungen innerstaatlicher strafrechtlicher Vorschriften, die Ehre, Leben, Freiheit oder Vermögen schützen, kann der betroffene Mitgliedstaat mit Sonderregeln für Rundfunkveranstalter aus anderen Mitgliedstaaten verhindern 59 • Jenseits des Ehrenschutzes drängen sich allerdings kaum Anwendungsfälle für den Recht57 Vgl. EuGH Urt. v. 15.5. 1986, Rs. 222/84 (Johnston), S1g. 1986, S. 1651, S. 1684, Rn. 31, 33. 58 Richtlinie vom 3. 10.1989, ABI. Nr. L 298, vom 17.10.1989, S. 23-30. 59 Rudolph, AfP 1986, S. 110.

B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV

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fertigungsgrund der öffentlichen Sicherheit auf60 • Im Rundfunkbereich dürfte daher Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV aus Gründen der öffentlichen Sicherheit nur in seltenen Fällen Anwendung finden.

3. Die öffentliche Ordnung Im Zentrum des Interesses steht die Rechtfertigung der Anwendbarkeit diskriminierender, innerstaatlicher Vorschriften aus Gründen der öffentlichen Ordnung. a) Ein gemeinschaftsrechtlicher Begriff Dieser eigenständige, gemeinschaftsrechtliche Begriff61 ist weniger genau bestimmbar als derjenige der öffentlichen Sicherheit. Im Zusammenhang mit der grundsätzlichen Kompetenz der Mitgliedstaaten zur inhaltlichen Festlegung eröffnet diese Tatsache weite Interpretationsspielräume. Da die Mitgliedstaaten bestimmen können, was zu ihrer öffentlichen Ordnung zählt, hat der Begriff die gleiche Funktion wie sonstige Vorbehalte des ordre public hinsichtlich der Anwendbarkeit ausländischer Gesetze im Inland 62 • Die Staaten sollen einen Hebel in der Hand haben, um essentielle Grundinteressen des Staates und der Gesellschaft Einflüssen von außen zu entziehen. Im Grunde ist der Begriff deshalb kaum definierbar, da jeder Staat andere Interessen und Regelungen zu seiner öffentlichen Ordnung zählen kann 63 • Greifbar wird die öffentliche Ordnung in dem Moment, in dem die Organe der Gemeinschaft darüber zu entscheiden haben, ob ein im konkreten Fall vorgebrachter Grund aus der Sicht des EWG-Vertrages zur öffentlichen Ordnung i. S. d. Art. 56 Abs. 1 EWGV gezählt werden kann. Diese Entscheidung kann aber nur für den Einzelfall getroffen werden. b) Die Interpretation des EuGH Der Europäische Gerichtshof will einerseits den Begriff eng auslegen, faßt andererseits aber jede Verletzung eines innerstaatlichen Gesetzes als Störung der öffentlichen Ordnung auf64 • Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV vermag demVgl. das Grünbuch, S. 266-267. Rudolph, AfP 1986, S. 110. 62 Schlappa, Kontrolle, S. 128; Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 56, Rn. 2, verneint die Entsprechung der öffentlichen Ordnung zum ordre public. 63 Nach Bleckmann, EuR 1987, S. 46, können fast alle Interessen der Mitgliedstaaten geltend gemacht werden; diese Auffassung vernachlässigt zumindest die Komponente der Schwere des Eingriffs. 60 61

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

nach bei jeder Gesetzesverletzung ein Handeln des betroffenen Mitgliedstaates zu rechtfertigen. Allerdings fordert das Gericht eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt65. Eine zu weitgehende inhaltliche Kontrolle würde die Mitgliedstaaten ihres Handlungsspielraums bei der Bestimmung der öffentlichen Ordnung berauben. Deshalb verlagert der Gerichtshof den Prüfungsmaßstab in den Bereich der Schwere des Eingriffs und untersucht, ob die von dem Mitgliedstaat benannten Interessen so stark beeinträchtigt sind, daß über Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV eine Einschränkung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs gerechtfertigt ist. Als ein weiteres Mittel dieser quantitativen Kontrolle dient der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, denn Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV rechtfertigt diskriminierende Beschränkungen nur, soweit sie erforderlich sind 66 • Eine Wertung nach dem Gewicht der innerstaatlichen Interessen führt etwa dazu, daß willkürliche Unterschiedeaufgrund der Staatsangehörigkeit nicht zulässig sind. Ergreift ein Mitgliedstaat Maßnahmen gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaatesaufgrund des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV, dann sind diese Maßnahmen nur haltbar, wenn der Mitgliedstaat für sein Vorgehen keine unmotivierten und willkürlichen Anknüpfungspunkte wählt 67 • c) Systematische Erwägungen Eine nähere Eingrenzung der Tragweite des Begriffs der öffentlichen Ordnung kann anhand systematischer Erwägungen versucht werden. Art. 7 Abs. 1 EWGV taugt nicht als Schranke des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV, weil dieser in Ausnahmefällen Diskriminierungen gerade erlaubt und insoweit auch eine Ausnahme von Art. 7 Abs. 1 EWGV gestattet. Dagegen vermag Art. 36 EWGV Anhaltspunkte für die inhaltliche Festlegung des Begriffs der öffentlichen Ordnung zu liefem 68 • Eine völlige Übertragung des 64 EuGH Urt. v. 27.10.1977, Rs. 30/77 (Bouchereau), S1g. 1977, S. 1999, S. 2013, Rn. 33/35; vgl. EuGH Urt. v. 4.12.1974, Rs. 41/74 (van Duyn) Slg. 1974, S. 1337, S. 1350, Rn. 18 I 19; Steindorff, in: Lagrange I Möller I Sieg I Steindorff, Dienstleistungsfreiheit, S. 94 steht einer engen Auslegung skeptisch gegenüber, weil es um Kompetenzaufteilungen gehe, die nicht in eine Schablone von Regel und Ausnahme zu pressen seien. 65 EuGH Urt. v. 28.10. 1975, Rs. 36/75 (Rutili), Slg. 1975, S. 1219, S. 1231, Rn. 26/ 28; EuGH Urt. v. 27.10.1977, Rs. 30/77 (Bouchereau), Slg. 1977, S. 1999, S. 2013, Rn. 33/35; EuGH Urt. v. 18. 5.1982, Rs. 115 und 116/81 (Adoui I Cornaille), S1g. 1982, S. 1665, S. 1707, Rn. 8; EuGH Urt. v. 18.5.1989, Rs. 249/86 (Kommission/ Bundesrepublik Deutschland), mitgeteilt in: Tätigkeiten des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 11 /89, S. 5. 66 EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2135, Rn. 36. 67 EuGH Urt. v. 18.5.1982, Rs.115 und 116/81 (Adoui/Cornaille), Slg.1982, s. 1665, s. 1707, Rn. 7.

B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV

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Katalogs aus Art. 36 EWGV ginge allerdings zu weit, da in Art. 56 Abs. 1 EWGV eben kein Katalog geschützter Rechtsgüter, sondern unbestimmte Rechtsbegriffe angeführt sind. Der Begriff der öffentlichen Ordnung ist derart weit, daß auch die öffentliche Sittlichkeit oder der Schutz von Tieren oder Pflanzen durchaus darunter gefaßt werden können. Voraussetzung ist, daß die Schutzgüter in der Rechtsordnung des jeweiligen Mitgliedstaates als schützenswert verankert sind. Die in Art. 36 EWGV geschützten Rechtsgüter des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen werden in Art. 56 Abs. 1 EWGV im Rahmen der öffentlichen Sicherheit garantiert. Das gewerbliche oder kommerzielle Eigentum ist mit seinem Kern ebenfalls über die öffentliche Sicherheit gewährleistet, die Ausprägungen des Eigentums- und Vermögensschutzes können auch in der öffentlichen Ordnung enthalten sein. Aufgrund des Art. 222 EWGV muß Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV eine Handhabe bieten, um die nationale Eigentumsordnung dem Regelungsbereich der Art. 59 ff. EWGV zu entziehen. Art. 36 EWGV ermöglicht Ausnahmen vom Grundsatz des freien Warenverkehrs zum Schutz des nationalen Kulturgutes von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert. Dieser Aspekt vermag auch im Rundfunkbereich eine Rolle zu spielen. Denn Spielfilme, Hör- oder Fernsehspiele von hoher künstlerischer Bedeutung gehören zum nationalen Kulturgut. Ausnahmen vom Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs könnten infolge der öffentlichen Ordnung zugunsten der Verteidigung nationalen Kulturgutes gerechtfertigt sein. Ein Anwendungsfall ist der Schutz vor dem Einfügen von Werbung in laufende Programme, die soweit geht, daß Spielfilme, Hör- oder Fernsehspiele völlig verstümmelt werden. Da das Schutzgut aus Art. 36 EWGV von Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV erfaßt wird, könnten die Mitgliedstaaten gegen grenzüberschreitende Dienstleistungen, die zu derartigen Beeinträchtigungen nationalen Kulturgutes führen, im Rahmen ihrer bestehenden Vorschriften vorgehen und Sonderregeln für Rundfunkveranstalter aus anderen Mitgliedstaaten anwenden. Eine Übertragung der grundsätzlichen Prinzipien des Art. 36 EWGV schließt Modifizierungen nicht aus. Der Gerichtshof hat auch bei Art. 30, 36 EWGV weitere, nicht aufgezählte Gründe entwickelt, die es erlauben, den Grundsatz des freien Warenverkehrs nicht zur Anwendung kommen zu lassen 69 • Schon deshalb ist die öffentliche Ordnung in Art. 56 Abs. 1 EWGV nicht abschließend dadurch umschrieben, daß die Schutzgüter aus Art. 36 EWGV in sie hineininterpretiert Steindorff, in: Lagrange I Möller I Sieg I Steindorff, Dienstleistungsfreiheit, S. 94. Matthies, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 30, Rn. 18, 19; der Gerichtshof führt neue Ausnahmegründe oft auf der Tatbestandsebene des Art. 30 EWGV, nicht auf der Rechtfertigungsebene des Art. 36 EWGV ein, vgl. Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 271 ; zum Aspekt des Verbraucherschutzes etwa EuGH Urt. v. 12.3.1987, Rs. 178184 (Reinheitsgebot für Bier), NJW 1987, S. 1133, S. 1134, Rn. 28. 68 69

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3. Kap. I. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

werden. Jedes in der Rechtsordnung eines Mitgliedstaates festgelegte Grundinteresse von Staat und Gesellschaft taugt als Bestandteil der öffentlichen Ordnung. Deshalb sind abstrakte Definitionsversuche zum Scheitern verurteilt 70• Dies gilt auch für eine Beschreibung, nach der zur öffentlichen Ordnung der Schutz gegen Bedrohungen des gedeihlichen menschlichen und staatsbürgerlichen Zusammenlebens gehört, auch und gerade wenn dieses durch ungeschriebene Regeln für das Verhalten der Menschen in der Öffentlichkeit gesichert wird und diese Sicherung die unerläßliche Voraussetzung eines geordneten Gemeinschaftslebens ist 71 • Eine solche Begriffsbestimmung orientiert sich an einem polizeirechtlichen Verständnis der öffentlichen Ordnung 72 und läßt damit die weitergehende Funktion des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV außer Acht. Zudem wird dergestalt der Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Mitgliedstaaten zur Bestimmung und Verteidigung ihrer vitalen Interessen stark verkürzt. d) Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten Der Begriff der öffentlichen Ordnung ist ein Sammelbegriff für all die Grundinteressen eines Mitgliedstaates, die dieser selbst für essentiell und konstitutiv für Existenz und Kontinuität seiner staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung hält. Die Mitgliedstaaten sind frei in der inhaltlichen Bestimmung dieses Begriffs im Rahmen des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV. Ihnen kommt ein breiter Beurteilungsspielraum zu 73. Die Kontrolle dieser inhaltlichen Definition durch die Organe der Gemeinschaft und namentlich durch den Gerichtshof beschränkt sich auf eine Evidenzkontrolle. Nur wenn die Einbeziehung eines Rechtsgutes in die öffentliche Ordnung offensichtlich unbegründet oder mißbräuchlich ist, kann der Gerichtshof seine Beurteilung an die Stelle der Beurteilung des Mitgliedstaates setzen. Hohe Anforderungen sind aber unter mehr formellen Gesichtspunkten zu stellen 74 • Zunächst müssen die Interessen, die ein Mitgliedstaat zur öffentlichen Ordnung zählt, in seiner Rechtsordnung verankert sein. Ihre Gewichtung sollte nachvollziehbar sein. Dazu muß sich die Gefährdung der öffentlichen Ordnung als tatsächlich und hinreichend schwer i. S. d. Kriterien des EuGH darstellen 75 • Bongen, Schranken, S. 79. Grünbuch, S. 126. n So auch Troberg, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 56, Rn. 2, dessen Definition mit der des Grünbuchs identisch ist und der sich insoweit auf ein bundesdeutsches Lehrbuch zum Polizeirecht bezieht. 73 Bleckmann, Europarecht, Rn. 2063; Bongen, Schranken, S. 86; Schlappa, Kontrolle, S. 131. 74 Bongen, Schranken, S. 101. 10

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B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV

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Denn das Vorliegen eines Grundes der öffentlichen Ordnung rechtfertigt eine Ausnahme vom Prinzip des freien Dienstleistungsverkehrs, das eine Grundfreiheit des EWG-Vertrages darstellt. Die Art. 59 ff. EWGV verleihen auch dem einzelnen Gemeinschaftsbürger subjektive Rechte. Jeder hat das Recht, grenzüberschreitende Dienstleistungen unbehindert zu erbringen und zu empfangen. Eine Einschränkung dieser Rechte und des objektiven Prinzips des freien Verkehrs von Dienstleistungen bedarf gründlicher Rechtfertigung und kann nur bei wesentlichen, entgegenstehenden Interessen zugelassen werden. Deswegen unterliegt das Vorbringen von Gründen der öffentlichen Ordnung genau wie das von Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Gesundheit der Nachprüfung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit.

4. Wirtschaftliche Gründe Eine Rechtfertigungaufgrund des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV könnte von vomherein dann nicht in Betracht kommen, wenn wirtschaftliche Gründe vorgebracht werden 76 • Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 64/221/EWG 77 bestimmt für den Bereich des Einreise- und Aufenthaltsrechts ausdrücklich, daß die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit nicht für wirtschaftliche Zwecke geltend gemacht werden dürfen. In ähnlichem Zusammenhang normiert Art. 36 Satz 2 EWGV als Grenze des Rechtfertigungsgrundes des Art. 36 Satz 1 EWGV, daß die durch Satz 1 ermöglichten Beschränkungen nicht zu willkürlicher Diskriminierung oder zu verschleierten Beschränkungen des Handels zwischen den Mitgliedstaaten mißbraucht werden dürfen. Diese Vorschriften verbieten nicht das Vorbringen wirtschaftlicher Gründe überhaupt, sondern sie schreiben vor, daß Rechtfertigungsgründe nicht zu wirtschaftlichen Zwecken benutzt werden dürfen. Als Schranken für das Vorbringen von Rechtfertigungsgründen kommen zudem das Diskriminierungsverbot und die verdeckte Beeinträchtigung entscheidender Grundsätze des EWG-Vertrages in Betracht. Im Kontext der öffentlichen Sicherheit wird auch ein gewisser Eigentumsschutz des einzelnen von Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV gewährleistet. Damit können durchaus wirtschaftliche Gründe bei der Rechtfertigung mitspielen, wenn nämlich durch den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs und die ihn 75 Randelzhofer, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 56, Rn. 4; vgl. ähnlich Steindorff, in: Lagrange I Möller I Sieg I Steindorff, Dienstleistungsfreiheit, s. 95. 76 EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352185 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2135, Rn. 34; vgl. dazu Schwartz, The Kabelregeling Judgment, fotokopierte Fassung, S. 8. 77 ABI. Nr. 56, vom 4.4.1964, S. 850-853 = Sartorius II, Nr. 180b.

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verwirklichenden Regeln die Eigentumsordnung insgesamt oder das Eigentum eines einzelnen Gemeinschaftsbürgers nicht nur am Rande angetastet werden. Elemente der wirtschaftlichen Ordnung können demzufolge Bestandteil der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung des Art. 56 Abs. 1 EWGV sein 78 . Die Mitgliedstaaten verfügen aber nicht über die Berechtigung, innerstaatliche Normen zu rein wirtschaftlichen Zwecken geltend zu machen, falls das Gemeinschaftsrecht die Verfolgung dieser Zwecke nicht gestattet 79. Bedient sich ein Mitgliedstaat des Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV, um die Errichtung des Gemeinsamen Marktes für Dienstleistungen zu behindern oder die Beseitigung von Hindernissen für den freien Dienstleistungsverkehr zu hemmen, setzt er sich in Widerspruch zu den Art. 2 und 3lit. c EWGV und verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Art. 5 EWGV. In einem solchen Falllägen schon keine ausreichenden Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit vor. Die bloße Aufrechterhaltung von innerstaatlichen Regelungen um ihrer selbst willen oder von Souveränitätsvorbehalten ist in diesen Rechtsbegriffen nicht enthalten. Schutzvorschriften eines Mitgliedstaates, die wirtschaftliche Ziele verfolgen, indem sie etwa auf die Abschottung seiner Märkte abzielen, können in der Tat nicht auf Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV gestützt werden 80. Verfolgen die Mitgliedstaaten dagegen zulässige Zwecke, können sie ihre innerstaatliche öffentliche Ordnung einschließlich wirtschaftlicher Aspekte durch die Anwendung des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV schützen8 1• Diesem Ergebnis widersprechen auch nicht die Art. 108 und 109 EWGV, die Schutzmaßnahmen eines Mitgliedstaates mit wirtschaftlicher Zielsetzung nur ausnahmsweise unter den dort genannten Voraussetzungen zulassen. Denn in diesen Normen geht es um die Erreichung rein wirtschaftlicher Zwecke und insoweit bietet der Art. 56 Abs. 1 EWGV tatsächlich keine Handlungsmöglichkeit Ebenso betraf der während der Übergangszeit geltende Art. 226 EWGV Zwecke, die ausschließlich wirtschaftlicher Natur waren, nicht aber sonstige Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die wirtschaftliche Aspekte am Rand streifen. In Art. 226 Abs. 3 S. 2 und Art. 109 Abs. 1 S. 2 EWGV sind die Grenzen aufgezeigt, denen ein Vorgehen nach diesen Vorschriften unterlag bzw. unterliegt. Die Maßnahmen sollen das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes so wenig 78 Anders das Grünbuch, S. 126. 79 Vgl. EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352185 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085,

S. 2135, Rn. 34, wo der Gerichtshof einen konkreten wirtschaftlichen Zweck nennt, den er nicht zu den Gründen der öffentlichen Ordnung i. S. d. Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV zählen will, er beschreibt also das wirtschaftliche Ziel näher, das er aus Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV ausklammert; s. auch Deringer, ZUM 1986, S. 630. 80 Insoweit zutreffend das Grünbuch, S. 126. 81 Steindorff, in: Lagrange I Möller I Sieg I Steindorff, Dienst1eistungsfreiheit, S. 9394.

B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV

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wie möglich stören und über das erforderliche Ausmaß nicht hinausgehen. Dergestalt wird die Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Rechtfertigung von Ausnahmen von zentralen Grundsätzen des EWG-Vertrages bekräftigt. Die in Art. 36 S. 2 EWGV angesprochenen Aspekte erweisen sich im Rahmen des Art. 56 EWGV nur bedingt als tauglich, um die Rechtfertigungsmöglichkeit zu begrenzen. Das Verbot willkürlicher Diskriminierungen ist in Art. 56 Abs. 1 EWGV bereits über die Voraussetzungen verwirklicht. Denn diese Norm ermöglicht gerade die Anwendung diskriminierender, innerstaatlicher Vorschriften, wenn entsprechende Gründe vorliegen 82• Liegen diese Gründe aber vor, dann ist die Anwendung diskriminierender Regeln nicht mehr willkürlich. Verschleierte Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs dürfen anband von Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV nicht vorgenommen werden. Versteckte, nicht diskriminierende Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit sind auf der Tatbestandsebene durch Art. 59 Abs. 1 EWGV untersagt. Diskriminierende Beschränkungen sind ohnehin nur schwer zu verschleiern und unterliegen der Kontrolle. Das Korrektiv auf der Rechtfertigungsebene liegt in dem Geltendmachen der Gründe durch den Mitgliedstaat. Da die Organe der Gemeinschaft insoweit eine Befugnis zur Kontrolle innehaben, sind sie in der Lage nachzuprüfen, ob die vorgebrachten Gründe stichhaltig sind oder ob lediglich beabsichtigt ist, den freien Dienstleistungsverkehr durch die Hintertür zu beschränken.

5. Die Begründung durch den Mitgliedstaat Die Kontrolle der auf Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV gestützten Maßnahmen der Mitgliedstaaten hängt davon ab, daß die Mitgliedstaaten die Gründe benennen, aufgrund derer sie agieren. Art. 190 EWGV schreibt eine Begründung allerdings nur für Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen des Rates und der Kommission vor 83 • Damit besteht die Notwendigkeit der Begründung von Gemeinschaftsakten auch gegenüber den Mitgliedstaaten 84, aber keine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Begründung ihrer eigenen Akte. Kommt es zum Verfahren vor dem Gerichtshof stellt sich die Sachlage differenziert dar. Ruft die Kommission im Rahmen des Art. 169 EWGV den Gerichtshof an, hat der betroffene Mitgliedstaat vorher gern. Art. 169 Abs. 1 EWGV die MöglichVgl. Delbrück, Direkter Satellitenrundfunk, S. 65. Dazu Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 120; Bleckmann, Europarecht, Rn. 209-225; aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs etwa EuGH Urt. v. 20.3. 1985, Rs. 41183 (British Telecommunications), Slg. 1985, S. 873, S. 891, Rn. 46; EuGH Urt. v. 26. 3. 1987, Rs. 45186 (Kommission I Rat), mitgeteilt in: Tätigkeiten des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 7187, S. 11-13. 84 Bleckmann, Europarecht, Rn. 414. 82 83

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keit gehabt, sich zu äußern 85 • Rügt ein Mitgliedstaat eine Vertragsverletzung eines anderen Mitgliedstaates. nach Art. 170 EWGV, kann sich der betroffene Mitgliedstaat nach Art. 170 Abs. 3 EWGV ebenfalls äußern. In Verfahren vor dem Gerichtshof haben die Mitgliedstaaten die Gelegenheit und die Pflicht zur Stellungnahme, so daß das Gericht dann seine Kontrollfunktion ausüben kann. Wenn sie als Kläger auftreten, ergibt sich diese Gelegenheit für die Staaten aus der Klageschrift. Nach Art. 19 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der EWG und Art. 38 § 1 lit. c der VerfahrensO des EuGH sind sie zur Angabe der Klagegründe in einem solchen Fall verpflichtet. Ist der Mitgliedstaat in einem Verfahren Beklagter, hat er gern. Art. 40 § 1 der VerfahreusO des EuGH innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift eine Klagebeantwortung einzureichen, die auch eine tatsächliche und rechtliche Begründung enthalten muß. Reicht der Beklagte seine Klagebeantwortung nicht form- und fristgerecht ein, kann auf Antrag des Klägers nach Art. 38 Satz 1 der Satzung des Gerichtshofs der EWG und Art. 94 § 1 Abs. 1 der VerfahreusO des EuGH ein Versäumnisurteil ergehen 86• Der Mitgliedstaat sieht sich demnach in einem Verfahren vor dem Gerichtshof, das sich um sein Vorgehen gern. Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV dreht, zur Offenlegung seiner Gründe gezwungen. Dies liegt auch in seinem Interesse, wenn er in dem Verfahren Erfolg haben will. Bringt ein Mitgliedstaat Sonderregeln für Ausländer i. S. d. Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV zur Anwendung, ohne die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit klarzustellen, die ihn dazu veranlassen, muß er dies im Falle eines Verfahrens spätestens vor dem Gerichtshof nachholen.

111. Die Grenzen der Tragweite des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV Der Rechtfertigungsgrund des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV kann nur unter Beachtung gewisser Schranken geltend gemacht werden.

1. Kriterien der Grenzziehung Die Notwendigkeit, daß die Gefährdung des innerstaatlichen Rechtsgutes tatsächlich und hinreichend schwer sein muß, besteht nicht nur bei Gründen der öffentlichen Ordnung, sondern in allen Fällen des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV. 85 Vgl. Bleckrnann, Europarecht, Rn. 521, wonach der EuGH auf die Überprüfung der von der Kommission und dem Staat in dem Vorverfahren erörterten Gründe beschränkt ist. 86 Bleckrnann, Europarecht, Rn. 672; Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 163.

B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV

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Die von dem Mitgliedstaat angewendeten Vorschriften müssen sich einer Untersuchung am Maßstab des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit stellen 87 • Durch Verweis auf die Unverhältnismäßigkeit einer nationalen Vorschrift ist der Gerichtshof der Notwendigkeit, das betroffene Rechtsgut des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV zu bestimmen, in von ihm zu entscheidenden Fällen gelegentlich ausgewichen. Wenn er eine innerstaatliche Regelung schon nicht für erforderlich hielt, ging er nicht näher auf die inhaltliche Festlegung des Rechtfertigungsgrundes ein 88 • Das Prinzip der Verhältnismäßigkeitwird so zum entscheidenden Element der Urteile und drängt die Untersuchung der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes in den Hintergrund. Inhaltliche Schranken des Rechtfertigungsgrundes ergeben sich daraus, daß Maßnahmen aufgrundvon Vorschriften des EWG-Vertrages in das Gesamtsystem des EWG-Vertrages passen müssen. Die Berechtigung von Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Rahmen des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV unterliegt daher der Überprüfung anhand aller Normen des EWG-Vertrages. Dabei stehen Vorschriften im Vordergrund, die den Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten begrenzen oder Individuen Rechte gegen Eingriffe garantieren, die aufgrund der in Art. 56 Abs. 1 EWGV genannten Gründe vorgenommen werden 89 • Eine inhaltliche Einschränkung der Tragweite des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV ist das Verbot, rein wirtschaftliche Zwecke mit dieser Vorschrift zu verfolgen. Damit wird der Spielraum der Mitgliedstaaten beim Vorbringen von Gründen der innerstaatlichen, öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit verengt. Von erheblicher Bedeutung ist, ob Art. 10 EMRK eine materiellrechtliche Grenze des Rechtfertigungsgrundes in Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV ist. 2. Die Rolle des Art. 10 EMRK Der Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention kann nur dann eine Schranke des Rechtfertigungsgrundes in Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV sein, wenn die EMRK in irgendeiner Form im Recht der Europäischen Gemeinschaften Anwendung findet. Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft sind auch Mitglieder des Buroparats und insoweit als Staaten an die EMRK gebunden. Die Tatsache, daß 87 Delbrück, Direkter Satellitenrundfunk, S. 65; Jarass, EuR 1986, S. 85; Steindorff, RIW 1983, S. 839. 88 EuGH Urt. v. 26.4. 1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2135, Rn. 36 und 37; dazu Schwartz, The Kabelregeling Judgment, fotokopierte Fassung, S. 9, 13; kritisch Reich, RuF 1989, S. 312. 89 EuGH Urt. v. 28.10.1975, Rs. 36/75 (Rutili), Slg. 1975, S. 1219, S. 1231, Rn. 51/ 53.

14 Kugelmann

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

die EMRK Einfluß auf das Gemeinschaftsrecht nimmt, ist im Grundsatz unbestritten. Fraglich ist aber, ob die EMRK unmittelbare Geltung im Gemeinschaftsrecht beanspruchen kann oder ob sie lediglich als Auslegungshilfe und als Erkenntnisquelle für die Herausarbeitung gemeinschaftsspezifischer Grundrechte dient. a) Die Auffassung von der unmittelbaren Geltung der EMRK in der Rechtsordnung der Gemeinschaft Zugunsten der unmittelbaren Geltung der EMRK in der Rechtsordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird Art. 164 EWGV ins Feld geführt. Da der Gerichtshof mit der Wahrung des Rechts schlechthin betraut ist, muß er nach dieser Auffassung auch die materiellrechtlichen Vorschriften der EMRK in seine Entscheidungen einbeziehen. Denn die EMRK gilt in allen Mitgliedstaaten und erweist sich somit als Bestandteil der Rechtsordnung in der Gemeinschaft90. Der Gerichtshof hat in der Rechtssache Rutili die Art. 48 Abs. 3 und 56 Abs. 1 EWGV als besondere Ausprägung eines allgemeineren Grundsatzes bezeichnet, der in den Art. 8, 9, 10 und 11 EMRK verankert ist 91 • Vorschriften der EMRK sollen Normen des EWG-Vertrages umfassen. Die Mitgliedstaaten haben auch die allgemeineren Vorschriften zu beachten. Deshalb beansprucht die EMRK ihnen gegenüber unmittelbare Geltung auf gemeinschaftsrechtlicher Basis 92 • Die Konsequenz dieser Konzeption für Art. 56 Abs. I i. V. m. Art. 66 EWGV im Bereich des Rundfunks ist die Einführung des Art. 10 Abs. 2 EMRK als Rechtfertigungsschranke. Art. 10 Abs. 1 EMRK kann man Sendefreiheit und Sendeverkehrsfreiheit für Rundfunkveranstalter, Empfangs- und Verteilungsfreiheit für Kabelgesellschaften und Empfangsfreiheit für Individuen entnehmen 93 • Innerstaatliche Sonderregeln im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Dienstleistungen müssen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Da es nicht auf eine bestimmte, sondern eine idealtypische demokratische Gesellschaft ankommt 94, können 90 Grünbuch, S. 128.

91 EuGH Urt. v. 28. 10.1975, Rs. 36/75 (Rutili), Slg. 1975, S. 1219, S. 1232, Rn. 32; zwar ging es im konkreten Fall um Art. 48 Abs. 3 EWGV, der EuGH spricht aber allgemein von den Beschränkungen der ausländerpolizeilichen Befugnisse, was auch Art. 56 Abs. 1 EWGV umfaßt. 92 Schweitzer, JA 1982, S. 177; Schwartz, in: Schwarze (Hrsg.): Fernsehen ohne Grenzen, S. 73. 93 Dazu EGMR Urteil Nr. 14/1988/158/214 vom 28.3.1990, Fall Groppera, EuGRZ 1990, S. 255, S. 256, Rn. 55 und EGMR Urteil Nr. 15/1989/175/231 vom 22.5.1990, Fall Autronic, EuGRZ 1990, S. 261, S. 262, Rn. 47; vgl. Magiera, in: Stern u. a., Eine Rundfunkordnung für Europa, S. 58. 94 Vgl. EGMR Urteil Nr. 10/1983/66/101 vom 25. 3. 1985, Fall Barthold, EuGRZ 1985, S. 170, S. 174-175, Rn. 55, der EGMR untersucht vorrangig die Notwendigkeit und setzt dabei eine demokratische Gesellschaft in abstracto voraus.

B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV

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spezifische, innerstaatliche Ziele eines Mitgliedstaates nur sehr begrenzt durchgesetzt werden. Denn Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV darf nicht anders oder weiter ausgelegt werden als Art. 10 Abs. 2 EMRK 95 • Den Mitgliedstaaten steht im Rahmen des Art. 10 Abs. 2 EMRK ein Ermessensspielraum zu. Dieses Ermessen ist nicht unbegrenzt und unterliegt der Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 96 • Der Umfang des innerstaatlichen Beurteilungsspielraums differiert nach dem jeweils in Rede stehenden Zweck aus Art. 10 Abs. 2 EMRK 97 • Das Recht der freien Meinungsäußerung ist ein Grundpfeiler einer von dieser Norm angesprochenen demokratischen Gesellschaft 98 , und gerade die Massenmedien spielen bei der Realisierung dieses Rechts eine entscheidende Rolle 99 • Die Vorbehalte des Art. 10 Abs. 2 EMRK sind eng zu verstehen 100 und können deswegen dahin ausgelegt werden, daß sie nicht umfassend die öffentliche Ordnung und damit auch nicht die innerstaatliche Rundfunkordnung enthalten. Öffentliche Ordnung ist dann als Ordnung im polizeirechtlichen, also den öffentlichen Frieden verteidigenden Sinne gemeint 101 • Folgt man dieser Auffassung, bietet Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV wegen der Geltung des Art. 10 Abs. 2 EMRK nur eine beschränkte Handhabe zur Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Rundfunkbereich, da der Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten zur Geltendmachung von Rechtfertigungsgründen begrenzt ist 102. b) Die EMRK als Erkenntnisquelle und Auslegungshilfe Im Fall der Ablehnung der unmittelbaren Geltung der EMRK im Gemeinschaftsrecht, nimmt die EMRK dennoch auf jenes Einfluß. Sie ist nach dieser Konzeption als Erkenntnisquelle für gemeinschaftsspezifische Grundrechte von Bedeutung. Diese Grundrechte gehören zu den gemeinschaftsrechtlichen allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die aus den materiellen Verfassungsüberlieferungen Grünbuch, S. 128, 135 -136; Schwanz, in: FIDE, Reports, S. 17. Vgl. EGMR Urteil vom 7.12.1976, Fall Handyside, EuGRZ 1977, S. 38, S. 4243, Rn. 48-50; EGMR Urteil Nr. 15/1989/175/231 vom 22.5.1990, Fall Autronic, EuGRZ 1990, S. 261, S. 263, Rn. 61. 97 EGMR Urteil vom 26.4.1979, Fall "Sunday Times", EuGRZ 1979, S. 386, S. 389, Rn. 59. 98 EGMR Urteil vom 7.12.1976, Fall Handyside, EuGRZ 1977, S. 38, S. 42, Rn. 49. 99 EGMR Urteil vom 26.4.1979, Fall "Sunday Times", EuGRZ 1979, S. 386, S. 390, Rn. 65. 1oo EGMR Urteil Nr. 10/1983/66/101 vom 25.3.1985, Fall Barthold, EuGRZ 1985, s. 170, s. 173, Rn. 43. 101 Grünbuch, S. 128-135. 95

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102

14*

Ebd., S. 136.

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

der Mitgliedstaaten und Menschenrechtsverträgen wie der EMRK abzuleiten sind 103 • In diese Richtung deutet die gemeinsame Grundrechtserklärung von Versammlung, Rat und Kommission vom 5.4.1977 104• Danach messen die Organe der Gemeinschaft dem Schutz der Grundrechte, die unter anderem in den Verfassungen der Mitgliedstaaten und der EMRK definiert seien, hervorragende Bedeutung bei. Die EMRK wird als eine Quelle zur Herleitung von Grundrechten im Gemeinschaftsrecht gesehen 105 • Das Recht auf freie Erbringung und freien Empfang von Dienstleistungen in seiner Anwendung auf die Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehsendungen wird von der Fernseh-Richtlinie der Gemeinschaft in ihren Erwägungsgründen als Ausprägung der Freiheit der Meinungsäußerung des Art. 10 Abs. 1 EMRK beurteilt 106• Die EMRK wird nicht als in der Rechtsordnung der Gemeinschaft unmittelbar geltendes Recht bezeichnet. Art. 10 EMRK gewährleistet nach dieser Konzeption keine subjektiven Rechte der Gemeinschaftsbürger gegenüber den Mitgliedstaaten oder den Organen der Gemeinschaft. Er kennzeichnet allerdings europäische Standards auf dem Sektor der freien Meinungsäußerung. Der Art. 10 und die EMRK insgesamt dienen als Auslegungsregeln und als Grundlage für allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts 1o1. Gegen die unmittelbare Geltung der EMRK im Gemeinschaftsrecht spricht Art. 230 EWGV. Diese Vorschrift gibt der Gemeinschaft auf, jede zweckdienliche Zusammenarbeit mit dem Europarat herbeizuführen. Der EWG-Vertrag geht also institutionell und damit wohl auch materiell eher von einem Nebeneinander von EWGV und EMRK aus als von einer Verschränkung. Nach Art. 234 EWGV werden zudem Rechte und Pflichten aus vor dem EWG-Vertrag geschlossenen Übereinkünften durch diesen nicht berührt. Das trifft auch für die am 3.9.1953 in Kraft getretene Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. 11. 1950 zu. Die aus ihr erwachsenden subjektiven Rechte des einzelnen bleiben vom Gemeinschaftsrecht unangetastet. Umgekehrt wahrt aber auch der EWG-Vertrag Distanz gegenüber diesen Rechtsverbürgungen der EMRK. Die Stellung der EMRK im Gemeinschaftsrecht ist nicht zuletzt eine Frage der Zuständigkeit für ihre Durchsetzung. Mit der Europäischen Kommission für 103 EuGH Urt. v. 21.9.1989, verb. Rs. 46/87 und 227/88 (Hoechst), EuGRZ 1989, S. 395, S. 400, Rn. 13; Frowein, in: GS Sasse, Bd. Il, S. 728; Bleckmann, Europarecht, Rn. 295-296; vgl. Schweitzer/Hummer, Europarecht, S. 217-219. 104 Abgedruckt bei Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 220 und bei Pescatore, EuGRZ 1978, S. 443. 105 Pescatore, EuGRZ 1978, S. 443, bewertet die Erklärung als Zusammenfassung der Rechtsprechung. 106 Richtlinie vom 3.10. 1989, ABI. Nr. L 298, vom 17. 10.1989, S. 23. 101 Seidel, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 131 f.; ebenso ders. auf dem 11. Kongreß der FIDE nach Mitteilung von Stender, ZUM 1985, S. 206; Bleckmann, in: GS Sasse, Bd. II, S. 683.

B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV

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Menschenrechte und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestehen besondere Institutionen, die damit betraut sind, über die Realisierung der aus der EMRK entspringenden Rechte zu wachen. Im Falle der unmittelbaren Geltung der EMRK im Gemeinschaftsrecht würde die Kompetenzabgrenzung zu den EG-Organen ungelöste Fragen aufwerfen 108 • Dem Willen der Mitgliedstaaten, die auch Vertragspartner der Menschenrechtskonvention sind, dürfte eine Durchsetzungskompetenz der Gemeinschaftsorgane für die EMRK nicht entsprechen 109• Der Europäische Gerichtshof hat klargestellt, daß der EMRK bei der Gewährleistung von gemeinschaftsrechtlichen Grundrechten in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen besondere Bedeutung zukommt 110• Die leitenden Grundsätze der EMRK sind auch sonst im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen 111 • Der Gerichtshof kann aber beispielsweise nicht prüfen, ob ein innerstaatliches Gesetz, das zum Ermessensbereich des nationalen Gesetzgebers gehört, mit der EMRK vereinbar ist 112• Die EMRK entfaltet in der Rechtsordnung der Gemeinschaft keine unmittelbare Geltung. Ein nationales Gesetz kann aber am Maßstab des Gemeinschaftsrechts untersucht werden, wie es sich unter Berücksichtigung der EMRK darstellt 113 • Denn die EMRK bindet nach dieser Konzeption nicht und ist nicht Teil der gemeinschaftlichen Rechtsordnung. Sie gibt aber Leitlinien zur Festlegung der Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts 114• c) Konsequenzen für die Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit Konsequenz dieser Auffassung für die Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs ist, daß Art. 10 EMRK keine unmittelbare Schranke des Rechtfertigungsgrundes in Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV bildet. Art. 10 Abs. 2 EMRK kann eine Auslegungshilfe bieten, die dort aufgeführten Interessen stellen Mestmäcker, in: ders. (Hrsg.): Offene Rundfunkordnung, S. 24. Hörner, ZUM 1985, S. 577. 11o EuGH Urt. v. 21. 9.1989, verb. Rs. 46/87 und 227/88 (Hoechst), EuGRZ 1989, S. 395, S. 400, Rn. 13; zur Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundrechten und der EMRK Schwarze, EuGRZ 1986, S. 297 f. 111 EuGH Urt. v. 15.5.1986, Rs. 222/84 (Johnston), Slg. 1986, S. 1651, S. 1682, Rn. 18; EuGH Urt. v. 18.5.1989, Rs. 249/86 (Kommission/Bundesrepublik Deutschland), mitgeteilt in: Tätigkeiten des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 11/89, S. 5. 112 EuGH Urt. v. 11.7.1985, Rs.60 und 61/84 (Cinetheque), Slg.1985, S.2605, s. 2627, Rn. 26. m Schwarze, EuGRZ 1986, S. 298, der anmerkt, daß der EuGH in der Rechtssache Cinetheque ein eher restriktives Verständnis der EMRK beim gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutz an den Tag lege. 114 GA Slynn, in: EuGH Urt. v. 11. 7.1985, Rs. 60 und 61/84 (Cinetheque), Slg. 1985, S. 2605, 2616; Mestmäcker, in: ders. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 30; Jarass, EuR 1986, S. 86. 108 109

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

aber für das Gemeinschaftsrecht keine abschließende Aufzählung dar. Die Gründe des Art. 56 Abs. 1 EWGV gehen darüber hinaus. Der weite Begriff der öffentlichen Ordnung, der den Mitgliedstaaten einen breiten Beurteilungsspielraum verleiht, muß nicht revidiert werden.

IV. Die Auswirkungen des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV auf dem Gebiet des Rundfunks Die Bedeutung des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV im Rundfunksektor hängt davon ab, ob und inwieweit mit dieser Vorschrift Rechtsgüter geschützt werden können, die im Zusammenhang mit der Ausstrahlung von Rundfunk stehen. Die Fälle, die sich im Anwendungsbereich der Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Gesundheit abspielen, bereiten weniger Probleme 115 • Die FernsehRichtlinie hat mit der Regelung von Teilbereichen weitere Klarheit geschaffen. Soweit das sekundäre Gemeinschaftsrecht Regelungen trifft, haben die Mitgliedstaaten eigene Handlungsmöglichkeiten verloren. Auf den von der Fernseh-Richtlinie nicht oder nicht vollständig geregelten Feldern können sie sich weiterhin des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV bedienen. Von entscheidender Bedeutung ist, ob die innerstaatliche Rundfunkordnung zur öffentlichen Ordnung i. S. d. Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV gehört. Im Grundsatz gibt es auf diese gemeinschaftsrechtliche Frage eine Reihe innerstaatlicher Antworten, da zunächst die Mitgliedstaaten den Begriff der öffentlichen Ordnung ausfüllen. In der Bundesrepublik Deutschland unterliegt das Rundfunksystem in seiner Gesamtheit verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich insbesondere aus der essentiellen Funktion des Rundfunks für die demokratische Ordnung ergeben. Gerade im Hinblick auf den an Wichtigkeit gewinnenden europäischen Rundfunkmarkt muß der gebietsbezogene nationale Rundfunk seinen Auftrag erfüllen, der neben seiner Rolle für die Meinungs- und politische Willensbildung, neben Unterhaltung und über laufende Berichterstattung hinausgehende Information auch seine kulturelle Verantwortung umfaßt 11 6. Die Ausgestaltung der bundesdeutschen Rundfunkordnung zählt zu den Ausprägungen vitaler innerstaatlicher Interessen, die für die innerstaatliche Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland von zentraler Bedeutung sind. 115 Vgl. die Beispiele, die die Kommission zur öffentlichen Sicherheit und Ordnung zählt, Grünbuch, S. 286. 116 BVerfG Urt. v. 4.11.1986, E 73, S.l18, S. 157-158; vgl. BVerfG Urt. v. 16.6.1981, E57, S. 295, S. 320, wonach zur Sicherung der Meinungsvielfalt eine positive Ordnung notwendig ist; zum Begriff der positiven Ordnung Stender, "Staatsfeme", s. 100.

B. Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV

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In den anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft dürfte die Lage ähnlich zu beurteilen sein, da die Rolle des Rundfunks in der Gesellschaft und für die staatliche Ordnung vergleichbar ist 117 • Als Auslegungshilfe vermag Art. 10 Abs. 1 Satz 3 EMRK zu dienen, der ein Genehmigungsverfahren für Rundfunkunternehmen zuläßt und damit Rücksicht auf die Rundfunkordnung des jeweiligen Mitgliedstaates nimmt 118 • Der Zweck des Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK besteht gerade in der Klarstellung, daß die Staaten durch ein Genehmigungsverfahren die Art und Weise der Organisation des Rundfunks in den Grenzen des Art. 10 Abs. 2 EMRK selbst regeln dürfen 11 9. Die innerstaatliche Rundfunkordnung in ihrer Funktion als Kommunikationsverfassung kann in allen Mitgliedstaaten zur öffentlichen Ordnung i. S. d. Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV gehören 12o. Dem Europäischen Gerichtshof obliegt die Kontrollbefugnis darüber, ob die innerstaatliche Rundfunkordnung durch primäres oder sekundäres Gemeinschaftsrecht im Kern getroffen oder nur an den Rändern berührt wird. Geschützt ist die Rundfunkverfassung, nicht die kommerzielle Nutzung des Rundfunks 121 • Die Regeln eines Mitgliedstaates über die Werbung im Rundfunk können Sendungen, soweit sie Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV darstellen, diskriminierend behandeln 122• Rein wirtschaftliche Gründe reichen dazu nicht aus. Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV darf ebensowenig wie das sonstige Gemeinschaftsrecht zu einer wirtschaftsrechtlichen Instrumentalisierung des Rundfunkbegriffs benutzt werden. Wenn es um die Ausgestaltung der Rundfunkverfassung selbst geht, kann auch der Bestand öffentlicher Dienstleistungsmonopole als zusätzliche Einnahmequelle für die Kultur durch die öffentliche

117 Vgl. die Stellungnahmen der niederländischen, bundesdeutschen und französischen Regierungen in EuGH Urt. v. 26. 4. 1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, s. 2098-2099. 11s Scharf, in: Magiera (Hrsg.), Entwicklungsperspektiven, S. 153- 154; Frowein, Zeitschrift für Kulturaustausch 1982, S. 30; nach Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 10, Rn. 19, ist aufgrund dieser Vorschrift auch ein staatliches Monpol für den Rundfunkunk zulässig. 119 EGMR UrteiiNr. 14/1988!158/214vom28. 3. 1990,FallGroppera,EuGRZ 1990, S. 255, S. 257, Rn. 61; Magiera, in: Stern u. a., Eine Rundfunkordnung fürEuropa, S. 58. 120 Jarass, EuR 1986, S. 85; nach Herrmann, ZUM 1985, S. 187, ist der Schutz vor geistiger Brunnenvergiftung und Zerstörung einer verfassungsrechtlich gestalteten Medienordnung ebenso wichtig wie der Schutz vor anderen Giften; Seidel, in: OS Sasse, Bd. II, S. 367-368, hält Art. 56 EWGV regelmäßig nicht für anwendbar, ausnahmsweise soll die Vorschrift aber dann Wirkung gewinnen, wenn spezifisch auf den Empfangsstaat zugeschneiderte Programme mit Ursprung in anderen Mitgliedstaaten die Meinungsbildung im Empfangsstaat so stark beeinflussen, daß dessen Rundfunkgesetze verletzt sind. 121 Herrmann, ZUM 1985, S. 187; Bethge, Rechtsgutachten, S. 32; vgl. Schwartz, in: FIDE, Reports, S. 16. 122 GA Wamer, in: EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 877; Delbrück, Direkter Satellitenrundfunk, S. 66.

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

Ordnung gerechtfertigt sein 123 • Im Einzelfall muß dabei eine hinreichend schwere Gefährdung der innerstaatlichen Rundfunkordnung vorliegen 124 und die Anwendung der innerstaatlichen Sonderregeln muß verhältnismäßig sein. Diesem Ergebnis steht die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Kabelregefing nicht entgegen. Die niederländische Regierung hatte zur Rechtfertigung ihrer Regelung die Aufrechterhaltung des nicht kommerziellen und pluralistischen Charakters ihres Rundfunksystems vorgebracht. Der Gerichtshof geht auf die Bestimmung der öffentlichen Ordnung im Rahmen des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV aber gar nicht ein. Er hält die in Frage stehende niederländische Regelung nicht für erforderlich und deswegen für gemeinschaftsrechts widrig. Das Gericht nennt einige weniger einschneidende Maßnahmen, die die niederländische Regierung zur Erreichung der von ihr verfolgten Ziele hätte vornehmen können. Diese Maßnahmen tragen allesamt nicht diskriminierenden Charakter 125 • Man kann daraus nicht schließen, daß der Gerichtshof implizit die Möglichkeit einer Rechtfertigung von Diskriminierungen durch kulturelle Ziele verneint habe 126• Wenn der Gerichtshof keine diskriminierenden Beschränkungen nennt, die gerechtfertigt wären, dann bedeutet das nicht, daß es keine gibt. Sobald das angestrebte Ziel aber bereits mit nicht diskriminierenden Beschränkungen erreicht werden könnte, verdeutlicht das um so stärker die mangelnde Erforderlichkeil 127 • Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV kann als Handhabe dienen, um aus Gründen der innerstaatlichen Rundfunkverfassung den freien Dienstleistungsverkehr gerechtfertigten Einschränkungen zu unterwerfen.

123 Reich, RuF 1989, S. 311; Bömer, ZUM 1985, S. 585; Müller, Dienst1eistungsmonopo1e, S. 149-154. 124 Vgl. Schwartz, in: Schwarze (Hrsg): Fernsehen ohne Grenzen, S. 72. 125 EuGH Urt. v. 26.4. 1988, Rs. 352/85 (Kabelrege1ing), S1g. 1988, S. 2085, S. 2135, Rn. 36 und 37. 126 So aber Schwartz, The Kabe1regeling Judgment, fotokopierte Fassung, S. 9, der zudem auf vorhergehende Entscheidungen verweist, in denen der EuGH festgestellt habe, daß kulturelle Ziele nur nicht diskriminierende Beschränkungen rechtfertigen könnten; die Rechtssache Cim5theque, die Schwartz ins Spiel bringt, betraf aber von vornherein nur nicht diskriminierende Beschränkungen, vgl. EuGH Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. 60 und 61/84 (Cinetheque), Slg. 1985, S. 2605, S. 2626, Rn. 21; die Rechtssache Leclerc spielte im Rahmen der Art. 30, 36 EWGV und der EuGH erläuterte, daß eine Rechtfertigung nur über Art. 36 EWGV in Frage komme, diese Vorschrift aber eng ausgelegt werden müsse und die vorgebrachten Gründe wie der Schutz der Kreativität und kulturellen Vielfalt im Buchwesen in der Vorschrift nicht genannt seien, EuGH Urt. v. 10.1.1985, Rs. 229/83 (Leclerc) Slg. 1985, S. 1, S. 35, Rn. 30; der Art. 56 Abs. 1 EWGV enthält im Gegensatz zu Art. 36 EWGV aber gerade keinen Katalog geschützter Rechtsgüter und schließt deshalb kulturelle Rechtsgüter nicht aus. 121 Kritisch zur Konzeption des EuGH Reich, RuF 1989, S. 312, der bemängelt, daß der Gerichtshof über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rundfunkpolitik mache.

C. Das innerstaatliche Allgemeininteresse

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C. Das innerstaatliche Allgemeininteresse Nicht diskriminierende Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs können aufgrund des innerstaatlichen Allgemeininteresses gerechtfertigt sein. Die Funktion dieses Rechtfertigungsgrundes ist von besonderem Interesse, weil er im EWG-Vertrag nicht niedergelegt ist. Aus der Funktion leiten sich deshalb Anwendungsregeln ab. Für die inhaltliche Bestimmung können zumindest formale Anhaltspunkte gegeben werden, bevor das Allgemeininteresse im Bereich des Rundfunks untersucht wird.

I. Die Funktion des Allgemeininteresses Der Rechtfertigungsgrund des innerstaatlichen Allgemeininteresses hat richterrechtlichen Ursprung. Der Europäische Gerichtshof hat ihn als ungeschriebenen Rechtssatz dem Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV zur Seite gestellt. Diese Vorschrift erlaubt innerstaatliche diskriminierende Vorschriften. Wenn aber unter bestimmten Voraussetzungen sogar Diskriminierungen zulässig sind, dann müssen auch nicht diskriminierende Beschränkungen möglich sein 128 • Dafür gibt es jedoch keine ausdrückliche Norm 129• Zur Rechtfertigung nicht diskriminierender Beschränkungen dient das innerstaatliche Allgemeininteresse 130• Eine innerstaatliche Regelung kann aufgrund des Allgemeininteresses nur so lange bestehen bleiben, bis die entsprechende Rechtsmaterie einer Harmonisierung gern. Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV zugeführt worden ist. Ist der Dienstleistungserbringer oder -empfanger bereits in seinem Heimatstaat ähnlichen Vorschriften unterworfen wie denjenigen, die der Empfangsstaat mit dem Allgemeininteresse rechtfertigen will, dann ermöglicht dieser Rechtfertigungsgrund die beabsichtigte Anwendung der entsprechenden Vorschriften nicht 131 • Denn falls der Leistungserbringer oder -empfänger in dem Staat, in dem er ansässig ist, vergleichbaren Rechtsvorschriften unterliegt, ist dem innerstaatlichen Allgemeininteresse des Empfangsstaates bereits Rechnung getragen 132• 128 GA Warner, in: EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 877; vgl. aber Schlappa, Kontrolle, S. 129. 129 Bleckmann, EuR 1987, S. 44, hebt insoweit den Gegensatz zu Art. 36 EWGV hervor. 130 Vgl. EuGH Urt. v. 3.12.1974, Rs. 33/74 (van Binsbergen) Slg. 1974, S. 1299, S. 1309, Rn. 10/12; EuGH Urt. v. 26.11.1975, Rs. 39/75 (Coenen), Slg. 1975, S. 1547, s. 1555, Rn. 8/9. 131 EuGH Urt. v. 18. 1.1979, verbundene Rs. 110 und 111/78 (van Wesemael), Slg. 1979, S. 35, S. 52, Rn. 28; EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 856, Rn. 12. 132 EuGH Urt. v. 25.2.1988, Rs. 427/85 (Rechtsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland), Slg.1988, S.1123, S.l158-1159, Rn.12.

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

Der Hintergrund dieser Rechtsprechung kann zunächst darin vermutet werden, daß mit Ablauf der Übergangszeit nach Art. 8 EWGV am 31. 12. 1969 der Art. 59 EWGV unmittelbare Geltung beansprucht. Der Gerichtshof hat dies in derselben Entscheidung festgestellt, in der er auch den Rechtfertigungsgrund des Allgemeininteresses für Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs zum ersten Mal entwickelte 133 . Dieser unübersehbare Zusammenhang verdeutlicht, daß der Gerichtshof mit dem Allgemeininteresse den Mitgliedstaaten ein Mittel an die Hand geben wollte, um innerstaatliche Interessen mittels unterschiedslos anwendbarer Vorschriften auch dann durchzusetzen, wenn diese Vorschriften aufgrund des Art. 59 Abs. 1 EWGV eigentlich aufzuheben sind 134. Die Mitgliedstaaten tragen aber die Rechtfertigungslast. Denn falls eine Beschränkung einer Dienstleistung i. S. d. Art. 59,60 EWGV vorliegt, müssen sie die von ihnen vorgenommene Regelung begründen und rechtfertigen. Die Mitgliedstaaten verfügen damit über einen breiten Handlungsspielraum. Die Verwirklichung der Grundfreiheiten des EWG-Vertrages ist durch die Anerkennung ihrer unmittelbaren Geltung in gewissem Maße auf das primäre Gemeinschaftsrecht verlagert. Die Aufgabe, die Funktionsfahigkeit und Geschlossenheit der nationalen Rechtsordnungen unter dem Einfluß des unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts zu erhalten, kommt zunächst den Mitgliedstaaten zu, soweit ihr Allgemeininteresse reicht. Das Allgemeininteresse kann jedoch nur bis zur Koordinierung der entsprechenden Rechtsmaterien geltend gemacht werden. Die Organe der Gemeinschaft werden dadurch stimuliert, die ihnen verloren gegangene Initiative zurückzugewinnen, indem sie sekundäres Gemeinschaftsrecht schaffen. Mittels Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV können sie die vom Gemeinschaftsrecht erfaßten Bereiche regeln und die innerstaatlichen, durch das Allgemeininteresse gerechtfertigten Regeln zur Unwirksamkeit verdammen. An die Stelle von Vorschriften in innerstaatlichem Allgemeininteresse treten dann Vorschriften unter gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten, die die legitimen Interessen der Mitgliedstaaten beachten und zusammenführen 135 • Die Koordinierung der durch das Allgemeininteresse gerechtfertigten innerstaatlichen Vorschriften ist ein zentraler Anwendungsfall des Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV136.

133 EuGH Urt. v. 3.12.1974, Rs. 33/74 (van Binsbergen), Slg. 1974, S. 1299, S. 1309, Rn. 10/12 und S. 1311, Rn. 24/26; entsprechend für die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 52 EWGV EuGH Urt. v. 21.6.1974, Rs. 2/74 (Reyners), Sg. 1974, S. 631, s. 652, Rn. 29/31. 134 Engel, ZRP 1988, S. 247; Schlappa, Kontrolle, S. 113. 135 Roth, EuR 1986, S. 364. 136 S. oben 2. Kapitel, 2. Teil, H. V.2.; vgl. insoweit für Art. 52 EWGV EuGH Urt. v. 28.4.1977, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, S. 765, S. 777, Rn. 11/12.

C. Das innerstaatliche Allgemeininteresse

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II. Die inhaltliche Festlegung des Allgemeininteresses Im Vordergrund einer Konturierung des Allgemeininteresses stehen mehr formal geprägte Gesichtspunkte. Die Parallelen zu Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV gilt es ebenso zu verdeutlichen wie die Unterschiede. Die Tauglichkeit von Art. 36 EWGV und Art. 10 EMRK zur Hilfestellung bei der Festlegung des Allgemeininteresses bedarf eingehender Untersuchung.

1. Parallelen zu Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV Der Rahmen, innerhalb dessen sich die Inhaltsbestimmung dieses Rechtfertigungsgrundes bewegt, entspricht dem bei Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV. Den gemeinschaftsrechtlichen Begriff 137 des innerstaatlichen Allgemeininteresses können zuerst nur die Mitgliedstaaten selbst definieren 138 • Dabei steht ihnen ein weiter Ermessensspielraum zu. Die Kontrolle dieses Ermessens ist Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs, der aber die Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten respektieren muß 139. Als Untersuchungskriterien verfügt der Gerichtshof vorrangig über formale Anhaltspunkte. Er eruiert, ob im Herkunftsland Vorschriften existieren, die den durch das Allgemeininteresse zu rechtfertigenden Vorschriften des Empfangsstaates ähneln. Er befragt die in Rede stehende Dienstleistung auf ihren Charakter, da nur bei Dienstleistungen mit Besonderheiten die Rechtfertigung von Beschränkungen durch das innerstaatliche Allgemeininteresse gestattet ist 140• Er beschäftigt sich mit der Erheblichkeit der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs, da an das Allgemeininteresse dann höhere Anforderungen zu stellen sind, wenn die Beschränkung tiefer in die Grundfreiheit eingreift. Er nimmt insgesamt eine Abwägung der legitimen Interessen der Mitgliedstaaten mit dem Grundrecht auf die ungehinderte Erbringung und den ungehinderten Empfang von grenzüberschreitenden Dienstleistungen vor 141 • Ob die Beschränkung hinzunehmen ist, muß letztlich anband des Maßstabes der Verhältnismäßigkeit beurteilt werden. Wenn nicht diskriminierende Beschränkungen im Verhältnis zu diskriminierenden Beschränkungen erst recht zulässig sein sollen, dann erscheint es konsequent, unterschiedslos anwendbare Regelungen aus einer breiteren Vielfalt von Gründen für möglich zu erachten. Im Vergleich zu der von Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Reich, ZHR 153 (1989), S. 584. Ehlers, NVwZ 1990, S. 812; vgl. L. Seidel, NVwZ 1991, S. 125. 139 Grünbuch, S. 167 -168; Schlappa, Kontrolle, S. 114. 140 EuGH Urt. v. 18.1.1979, verb. Rs. 110 und 111/78 (van Wesemael), Slg. 1979, S. 35, S. 52, Rn. 28; EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, s. 856, Rn. 12. 141 Vgl. EuGH Urt. v. 3.2.1982, verbundeneRs. 62 und63/81 (Seco I Evi), Slg. 1982, S. 223, S. 236, Rn. 10, wo der Gerichtshof eine Beschränkung "vernünftigerweise nicht als aus Gründen des Allgemeininteresses (...) gerechtfertigt" ansieht. 137 138

220

3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

Art. 66 EWGV erfaßten öffentlichen Ordnung ist das innerstaatliche Allgemeininteresse der weitere Begriff142. Die Versorgung der Bevölkerung eines Mitgliedstaates mit bestimmten Dienstleistungen, die Gewährleistung der staatlichen Aufsicht und Kontrolle über die Erbringung von Dienstleistungen oder der Schutz vor Konkurrenz in bestimmten Bereichen haben für einen Staat regelmäßig erhebliche Bedeutung. Solche öffentlichen Interessen erweisen sich als tauglich, im Einzelfall dem innerstaatlichen Allgemeininteresse im gemeinschaftsrechtlichen Sinne anzugehören und damit allein oder im Zusammenspiel nicht diskriminierende Beschränkungen zu rechtfertigen 143 . Der Gerichtshof hat schützenswerte, innerstaatliche Allgemeininteressen angenommen und inhaltlich näher bestimmt in Fällen, die nationale Berufspflichten 144, die berufliche Tätigkeit von Versicherungsmaklern 145, die Vermittlung von Künstlern 146, die Überlassung von Arbeitnehmern 147 oder die Tätigkeit von Rechtsanwälten 148 betrafen. Grundsätzlich kann jedes Teilstück des Ordnungsgefüges eines Mitgliedstaates zum innerstaatlichen Allgemeininteresse dieses Mitgliedstaates gehören. Von der Zugehörigkeit zur öffentlichen Ordnung gern. Art. 56 Abs. 1 EWGV trennt diese Elemente nur ein gradueller Unterschied. Die öffentliche Ordnung umfaßt die unverzichtbaren Bausteine der staatlichen Existenz eines Mitgliedstaates. Alle weiteren Komponenten staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung sind zusätzlich potentielle Anwärter darauf, Bestandteil des innerstaatlichen Allgemeininteresses zu sein 149. Wenn ein Grund des Allgemeininteresses vorliegt, hat das noch nicht automatisch zur Folge, daß die Beschränkung auch gerechtfertigt ist, sondern damit sind zunächst lediglich die Eckpunkte der Abwägung markiert. Bevor der in Frage kommende Grund des Allgemeininteresses benannt ist, kann aber die Frage, ob die Beschränkung durch diesen Grund gerechtfertigt ist, nicht beantwortet werden. 142 Jarass, EuR 1986, S. 89. 143 B1eckmann, EuR 1987, S. 44; Schlappa, Kontrolle, S. 114. 144 EuGH Urt. v. 3.12.1974, Rs. 33/74 (van Binsbergen) Slg. 1974, S. 1299, S. 1309, Rn. 10/12-16. 145 EuGH Urt. v. 26.11.1975, Rs. 39/75 (Coenen), Slg. 1975, S. 1547 S. 1555, Rn. 9. 146 EuGH Urt. v. 18.1.1979, verbundene Rs. 110 und 111/78 (van Wesemael), Slg. 1979, S. 35, S. 52, Rn. 28-30. 147 EuGH Urt. v. 17.12.1981, Rs. 279/80 (Webb), Slg. 1981, S. 3305, S. 3325, Rn.17-19. 148 EuGH Urt. v. 25.2.1988, Rs. 427/85 (Rechtsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1988, S. 1159, Rn. 14. 149 Vgl. Reich, RuF 1989, S. 309, der den Katalog der Interessen als tendenziell erweiterbar bezeichnet.

C. Das innerstaatliche Allgemeininteresse

221

2. Anlehnung an Art. 36 EWGV

Dem Allgemeininteresse werden klarere Konturen verliehen, wenn man die Grundsätze des Art. 36 EWGV entsprechend heranzieht 150. Dann liegt ein Katalog vor, in dem sich die Gründe des Allgemeininteresses aufgezählt finden. Die Befugnisse der Staaten zur Reglementierung des innerstaatlichen Dienstleistungsmarktes erfahren eine Begrenzung 151. Auf dem Sektor des Warenverkehrs betrachtet der Gerichtshof die Aufzählung der Rechtsgüter des Art. 36 EWGV nicht als abschließend. Er läßt weitere Rechtsgüter zu, die Beschränkungen des freien Handelsverkehrs der Art. 30, 34 EWGV ermöglichen können 152. Wo ein Katalog existiert, wird er erweitert. Im Dienstleistungsbereich, wo kein Katalog existiert, darf man deshalb den Katalog aus dem Bereich des Warenverkehrs nicht einfach übernehmen. Aufgrund der strukturellen Gemeinsamkeiten von Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit kann Art. 36 EWGV Hinweise zur Auslegung des Begriffs des Allgemeininteresses geben 153. Die Tragweite des Rechtfertigungsgrundes des Allgemeininteresses reicht aber über die Schutzgüter des Art. 36 EWGV hinaus154 •

3. Der Art. 10 EMRK als Grenze des Allgemeininteresses Wie bei Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV kann auch zur inhaltlichen Eingrenzung des Allgemeininteresses im Bereich des Rundfunks Art. 10 EMRK herangezogen werden. a) Die Konzeption der EMRK als materielle Schranke Einen tiefen Eingriff in die Kompetenz der Mitgliedstaaten zur inhaltlichen Festlegung des Allgemeininteresses vollzieht der Ansatz, nach dem die EMRK die materiellen Schranken des Allgemeininteresses kennzeichnet 155 . Die Gründe des Allgemeininteresses sind dann in Art. 10 Abs. 2 EMRK aufgezählt: nationale Sicherheit, territoriale Unversehrtheit, öffentliche Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung, Verhütung von Verbrechen, Schutz der Gesundheit, Schutz der

150 Seidel, in: GS Sasse, Bd. II, S. 371; Streil, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Die EG, S. 318 (9.6.3.); vgl. die Regierung von Luxemburg als Verfahrensbeteiligte in: EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 845. 151 Seidel, in: GS Sasse, Bd. li, S. 371. 152 Matthies, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 30, Rn. 20; Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 269-270. 153 Reich, Förderung, Ziff. 30 (S. 79). 154 Reich, ZHR 153 (1989), S. 584. 155 Grünbuch, S. 168-169; Schwartz, in: Schwarze (Hrsg): Fernsehen ohne Grenzen, s. 107.

222

3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

Moral, Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Informationen, Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung. Mehr Gründe des Allgemeininteresses gibt es nicht 156• b) Bedenken gegen diese Auffassung und Verwendung der EMRK als Auslegungshilfe Die Auffassung von der EMRK als inhaltlicher Schranke des Allgemeininteresses engt den Spielraum der Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung unterschiedslos anwendbarer, innerstaatlicher Regeln stark ein. Der Anwendungsbereich des primären Gemeinschaftsrechts und aufgrundvon Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV auch die Handlungsmöglichkeiten der EG-Organe werden erweitert. Die Anwendung der Regeln der EMRK dient dazu, das Zuständigkeitsgefüge in der Gemeinschaft zu Lasten der Mitgliedstaaten zu verschieben und diesen Handlungsspielräume zu verschließen. Den EG-Organen wachsen nach dieser Konzeption auch gegenüber dem einzelnen Gemeinschaftsbürger größere Regelungsbefugnisse zu, die den Mitgliedstaaten entzogen werden. Sinn der EMRK ist aber eine Stärkung der subjektiven Rechte des einzelnen. Auf die Kompetenzverteilung in der Europäischen Gemeinschaft will und darf sie keinen Einfluß nehmen. Die Übertragung der Grundsätze des Art. 10 Abs. 2 EMRK zur inhaltlichen Festlegung des innerstaatlichen Allgemeininteresses begegnet aus diesen Erwägungen heraus erheblichen Bedenken 157 • Jener Ansatz weist zudem methodische Schwächen auf. Denn wird das Allgemeininteresse unter Rückgriff auf den ordre public Vorbehalt des Art. 10 Abs. 2 EMRK bestimmt, verwischen sich die Grenzen zum Rechtfertigungsgrund des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV. Der dortige Begriff der öffentlichen Ordnung umschließt wesentliche Grundinteressen eines Mitgliedstaates und zeigt insoweit eine gewisse Verwandtschaft mit Art. 10 Abs. 2 EMRK. Deshalb eignet sich die Vorschrift der EMRK insoweit als Interpretationsstütze, wenn auch die öffentliche Ordnung i. S. d. Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV weitere, im Katalog des Art. 10 Abs. 2 EMRK nicht erwähnte Rechtsgüter erfaßti 58 • Genau derselbe Katalog an Rechtsgütern soll nun verwendet werden, um dem Rechtfertigungsgrund des Allgemeininteresses inhaltliche Schranken aufzuerlegen. Mit dieser Konstruktion werden an diskriminierende und nicht diskriminierende Beschränkungen identische Anforderungen gestellt. Beide können nur gerechtfertigt werden, falls sich der Mitgliedstaat für die Beschränkung auf einen der in Art. 10 Abs. 2 EMRK aufgezählten Gründe berufen kann. Legt man eine 156 157

1ss

Grünbuch, S. 169; Schwartz, in FIDE, Reports, S. 33. Bömer, ZUM 1985, S. 586. Vgl. oben 3. Kapitel, 1. Teil, B. IV.

C. Das innerstaatliche Allgemeininteresse

223

enge Interpretation dieses ordre public Vorbehalts zugrunde 159, dann sind nicht diskriminierende Beschränkungen zumindest ebenso schwierig zu rechtfertigen wie diskriminierende Beschränkungen 160. Über den Katalog des Art. 10 Abs. 2 EMRK geht aber schon Art. 56 Abs. I i. V. m. Art. 66 EWGV hinaus. Das innerstaatliche Allgemeininteresse muß erst recht weitere, in Art. 10 Abs. 2 EMRK nicht aufgeführte Schutzgüter enthalten können 161 • Die inhaltliche Gleichschaltung der beiden Rechtfertigungsgründe erstaunt auch deshalb, weil im Argumentationszusammenhang des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV die Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 2 EMRK mit Äußerungen des Gerichtshof in der Rechtssache Rutili begründet wurden 162• Diese Äußerungen betrafen nun gerade eine Regelung, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten diskriminierte 163 • Die unbegründete Annahme, auch aufgrund des Allgemeininteresses gerechtfertigte Beschränkungen seien eine besondere Ausprägung eines der Aspekte des Art. 10 Abs. 2 EMRK 164, entbehrt der methodischen Grundlage. Eine Einflußnahme des Art. 10 Abs. 2 EMRK kommt allenfalls in Frage, um die Auslegung des Begriffs des Allgemeininteresses zu erleichtern 165 • Doch sind die in der Vorschrift enthaltenen Schutzgüter zu großen Teilen bereits in Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV erfaßt. Ein Rechtsgut, zu dessen Schutz diskriminierende Regelungen zulässig sind, vermag auch nicht diskriminierende Beschränkungen zu rechtfertigen 166• Auch wenn Vorschriften der Strafgesetze nicht verletzt sind, fallen Gründe wie der Schutz des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung oder die Verhinderung des Verbreitens vertraulicher N achrichten, die im Regelfall nicht zur öffentlichen Ordnung i. S. d. Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV gehören, unter das Allgemeininteresse.

Grünbuch, S. 135. Dazu die präzise Kritik von Hoffmann-Riem, RuF 1988, S. 10-11. 161 Jarass, EuR 1986, S. 89; Reich, ZHR 153 (1989), S. 584, schätzt die Rechtsprechung des EuGH zum Allgemeininteresse im Dienstleistungsbereich sogar großzügiger ein als diejenige zur Freiheit des Warenverkehrs, es würden mehr Interessen als rechtfertigend anerkannt. 162 EuGH Urt. v. 28.10.1975, Rs. 36/75 (Rutili), Slg. 1975, S. 1219, S. 1232, Rn. 32. 163 Ebd., S. 1233, Rn. 40/42. 164 Grünbuch, S. 169; Schwartz, in Magiera (Hrsg.), Entwicklungsperspektiven, s. 135. 165 Vgl. oben 3. Kapitel, 1. Teil, B. Il1.2.c. 166 Regierung der Bundesrepublik Deutschland als Verfahrensbeteiligte, in: EuGH Urt. v. 18. 3. 1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 847; Delbrück, Direkter Satellitenrundfunk, S. 65. 159

160

224

3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs c) Der Rundfunkbereich

Art. 10 Abs. 2 EMRK beantwortet nicht eindeutig die Frage, ob die Ausgestaltung einer nationalen Rundfunkordnung, die den Schutz kultureller Vorgaben und Elemente im Rundfunk beabsichtigt, mit dem EWG-Vertrag vereinbar ist 167• Mit Art. 10 Abs. 2 EMRK vereinbare, legitime Zwecke sind zum Beispiel der Schutz der Rechte anderer, der Schutz der internationalen Fernmeldeordnung 168 , die Aufrechterhaltung des Fernmeldewesens insgesamt und die Notwendigkeit, die Bekanntgabe von vertraulichen Informationen zu verhindem 169 • Die faire Frequenzzuteilung kann vor dem Hintergrund der Förderung des Pluralismus, insbesondere der Meinungsvielfalt gesehen werden 170• Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat diesen legitimen Zweck auch insoweit anerkannt 171 • Der Art. 10 Abs. 2 EMRK ist demnach geeignet, auch kulturelle Komponenten der Rundfunkordnung zu schützen. Verwendet man die Schrankensetzung des Art. 10 Abs. 2 EMRK nicht in anderen Materien, sondern lediglich im Rundfunkbereich, so stellt dies das gesamte System des EWG-Vertrages in gewisser Weise auf den Kopf. Denn der Rechtfertigungsgrund des Allgemeininteresses hätte in einer Materie mit kulturellen Aspekten einen inhaltlich eingeschränktereD Anwendungsbereich als auf dem Gebiet des reinen Wirtschaftsrechts 172• Art. 10 EMRK bietet einen Ansatz zu einer einseitigen, ökonomisierenden Dynamik der gemeinschaftsrechtlichen Behandlung des Rundfunks, wenn nämlich die Dienstleistungsfreiheit der Art. 59 ff. EWGV mit der Meinungsverbreitungsfreiheit des Art. 10 Abs. 1 S. 1 EMRK verbunden wird. Eine Medienunternehmerfreiheit entsteht, die die Informationsund Meinungsbildungsfreiheit des Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK in den Hintergrund schiebt. Innerstaatliche Rundfunkverfassungen werden dann von einem supranationalen Marktstatut überlagert 173. Diese Betrachtungsweise klammert nicht nur Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK aus, sondern auch Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK, der im Rahmen der Interpretation des Rudolph, AfP 1986, S. 111. EGMR UrteilNr. 14/1988/158/214vom28.3. 1990,Fal1Groppera,EuGRZ 1990, s. 255, s. 258, Rn. 70. 169 EGMR Urteil Nr. 15/1989!175/231 vom 22.5.1990, Fall Autronic, EuGRZ 1990, S. 261, S. 263, Rn. 59. 110 So die Regierung der Schweiz als Verfahrensbeteiligte in den beiden Verfahren EGMR Urteil Nr. 14/1988/158/214 vom 28.3.1990, Fall Groppera, EuGRZ 1990, S. 255, S. 258, Rn. 69 und EGMR Urteil Nr. 15/1989/175/231 vom 22.5.1990, Fall Autronic, EuGRZ 1990, S. 261, S. 263, Rn. 58. 171 EGMR UrteilNr. 14/1988/l58/214vom28.3.1990,FallGroppera,EuGRZ 1990, S. 255, S. 258, Rn. 70 und EGMR Urteil Nr. 15/1989/175/231 vom 22.5.1990, Fall Autronic, EuGRZ 1990, S. 261, S. 263, Rn. 59. 172 Mestmäcker, in: ders. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 24. 173 Stock, RuF 1989, S. 197. 167

168

C. Das innerstaatliche Allgemeininteresse

225

Allgemeininteresses Beachtung finden sollte. Diese Vorschrift erlaubt innerstaatliche Genehmigungsverfahren für Rundfunkunternehmen. Sie bezweckt gerade, die Regelungsbefugnis der Staaten über die Organisation des Rundfunks auf ihrem Gebiet klarzustellen 174• Monopolstellungen von Rundfunkveranstaltern sind danach gestattet, solange die Auswahl der Veranstalter sachlichen Gesichtspunkten folgt m. Zieht man Art. 10 EMRK als Auslegungshilfe heran, überschreitet der Regelungsvorbehalt der Mitgliedstaaten schon aufgrunddes Art. 10 Abs. 1 S. 3 EMRK die Grenzen des Art. 10 Abs. 2 EMRK 176• Infolge ihres innerstaatlichen Allgemeininteresses steht den Mitgliedstaaten insbesondere dann ein gewisser, überprüfbarer Handlungsspielraum zu, wenn rundfunkverfassungsrechtliche Problemstellungen ins Spiel gelangen. Grundsätzlich ist auch die Einrichtung von Monopolen zulässig m. 111. Das Allgemeininteresse und die innerstaatliche Rundfunkordnung

Der Gehalt des Allgemeininteresses erschließt Rechtfertigungsmöglichkeiten zugunsten der innerstaatlichen Rundfunkordnung. Das zunehmend von der (Tele) Kommunikation geprägte, gesellschaftliche Leben wird vom nationalen Gesetzgeber geordnet. Das Interesse eines Staates an der Ausgestaltung wesentlicher Grundzüge dieser Ordnung ist gerade wegen der steigenden Bedeutung des Kommunikationssektors grundlegend. Der Rundfunkbereich wiederum stellt einen zentralen Bestandteil der Kommunikation dar 178. In ihrem Kernbereich erlaubt die innerstaatliche Rundfunkordnung die Rechtfertigung diskriminierender Vorschriften 179• Unter Rückgriff auf die innerstaatliche Rundfunkverfassung können ebenso nicht diskriminierende Beschränkungen gerechtfertigt werden.

174

EGMR UrteilNr. 14/1988!1581214vom28.3.1990, Fal1Groppera,EuGRZ 1990,

s. 255, s. 257, Rn. 61.

175 Frowein I Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 10, Rn. 19; Scharf, in: Magiera (Hrsg.), Entwicklungsperspektiven, S. 153- 154. 176 Hoffmann-Riem, RuF 1988, S. 11-12. 177 EuGH Urt. v. 30.4. 1974, Rs. 155/73 (Sacchi), S1g. 1974, S. 409, S. 430 f., Rn. 14; Müller, Dienstleistungsmonopole, S. 149-154; Degenhart, EuGRZ 1983, S. 214, schließt aus der Zulässigkeit von Monopolen, daß die damit verfolgten Interessen auch mögliche Schutzgüter für andere Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs sind. 178 Vgl. zu den technischen und faktischen Zusammenhängen und den möglichen, absehbaren Entwicklungen Sehröder I Eckert I Georgieff I Harmsen, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 15/89, S. 20-21. 179 Dazu oben 3. Kapitel, l. Teil, B. IV.; s. auch Bömer, ZUM 1985, S. 586.

15 Kugelmann

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

1. Der Einfluß sekundären Gemeinschaftsrechts Das Allgemeininteresse steht unter dem Vorbehalt der Harmonisierung. Die Regelungen der Fernseh-Richtlinie der Gemeinschaft 180 verbauen den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, in den betreffenden Materien innerstaatliche, beschränkende Vorschriften durch das Allgemeininteresse zu rechtfertigen. Jenseits der Regelungen in der Fernseh-Richtlinie, verfügen die Mitgliedstaaten nach wie vor über die Befugnis aus Gründen der innerstaatlichen Rundfunkordnung unterschiedslos anwendbare, beschränkende Vorschriften zu erlassen. 2. Innerstaatliche Anforderungen im Allgemeininteresse Die Mitgliedstaaten gebieten grundsätzlich über einen rundfunkrechtlichen Regelungsvorbehalt 181 • Denn das Allgemeininteresse umfaßt weite Teile der innerstaatlichen Medienordnung 182• Solange die Kriterien nicht diskriminierenden Charakter tragen, dürfen die Mitgliedstaaten auch ein Zulassungsverfahren für Rundfunkveranstalter betreiben, die Dienstleistungen auf ihrem Staatsgebiet erbringen oder empfangen wollen 183. Dienstleistungen eines Rundfunkveranstalters an Werbekunden oder Dienstleistungen eines Kabelbetreibers an einen Rundfunkveranstalter in einem anderen Mitgliedstaat sind Beschränkungen zugänglich. Anforderungen können auch an die Inhalte der Programme gestellt werden 184 • Entsprechen die Sendungen eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Veranstalters beispielsweise wegen ihrer politischen Einseitigkeit oder fehlenden inhaltlichen Ausgewogenheit nicht den innerstaatlichen Regelungen des Empfangsstaates der Sendungen, sind die betreffenden Regelungen einschließlich eines möglichen Sanktionensystems aufgeund des Allgemeininteresses des Empfangsstaates anwendbar 185• Die Rangfolge der Einspeisung in ein Kabelnetz kann ein Mitgliedstaat in der Form regeln, daß er bestimmte Voraussetzungen aufstellt, beispielsweise hinsichtlich der inhaltlichen Eigenverantwortlichkeit des Veranstalters 186, die für alle Rundfunkveranstalter unterschiedslos gelten. Soweit er damit den freien Dienstleistungsverkehr beschränkt, ist diese Beschränkung dadurch gerechtfertigt, daß Richtlinie vom 3.10.1989, ABI. Nr. L 298, vom 17.10.1989, S. 23-30. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 32- 33; Degenhart, EuGRZ 1983, S. 214; Jarass, Gutachten, G 45, Rn. 67. 182 Scharf, in: Magiera (Hrsg.), Entwicklungsperspektiven, S. 158. 183 Rudolph, AfP 1986, S. 111; Reich, Förderung, Ziff. 35 (S. 92); Hübner, JZ 1987, s. 333. 184 Anders: Schwartz, in: Schwarze (Hrsg): Fernsehen ohne Grenzen, S. 113. 185 Vgl. Hoffmann-Riem, RuF 1988, S. 17; Reich, Förderung, Ziff. 35 (S. 92). 186 Vgl. zu diesem und weiteren möglichen Anforderungen an einen Rundfunkveranstalter Ricker, Privatrundfunk-Gesetze im Bundesstaat, S. 110-112 und passim. 180 181

D. Art. 90 Abs. 2 EWGV

227

die Voraussetzungen im Interesse des Mitgliedstaates an dem Funktionieren seines Rundfunksystems liegen, in seinen Rundfunkgesetzen festgeschrieben sind und damit zum Allgemeininteresse gehören. Der Rundfunkveranstalter aus einem anderen Mitgliedstaat und der inländische Rundfunkveranstalter unterliegen beide mit den Werbesendungen, die sie für einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Werbekunden ausstrahlen, den Regelungen des Empfangsstaates der Programme. Für den inländischen Runclfunkveranstalter gilt dies ohnehin, für den Veranstalter aus dem EG-Ausland handelt es sich um eine durch das Allgemeininteresse gerechtfertigte Beschränkung seiner Leistungserbringung.

D. Art. 90 Abs. 2 EWGV Das innerstaatliche Allgemeininteresse und Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV sind Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs. Dagegen entspricht Art. 90 Abs. 2 EWGV strukturell eher dem Art. 55 EWGV 187• Die Vorschrift rechtfertigt nicht bestehende Beschränkungen, sondern suspendiert Unternehmen in bestimmten Fällen von der Anwendung der Vorschriften des EWG-Vertrages. Art. 90 Abs. 2 EWGV kommt keineswegs nur zur Geltung, wenn eine Beschränkung i. S. d. Art. 59 Abs. 1 oder ein sonstiger Verstoß gegen Bestimmungen des EWG-Vertrages vorangegangen ist. In den von der Vorschrift erfaßten Fallgestaltungen wird die Wirkungskraft des Gemeinschaftsrechts begrenzt, so daß Unternehmen insoweit Bestimmungen des EWG-Vertrages schon nicht verletzen können.

I. Die Funktion des Art. 90 Abs. 2 EWGV Art. 90 Abs. 2 EWGV gewährt keinen gemeinschaftsrechtsfreien Raum. Die von ihm erfaßten Unternehmen haben sich grundsätzlich ebenso an die Bestimmungen des EWG-Vertrages zu halten wie alle anderen Unternehmen auch. Das Gemeinschaftsrecht wird ausnahmsweise nur dann nicht angewendet, wenn und soweit es die Aufgabenerfüllung des Unternehmens verhindert und das Interesse der Gemeinschaft nicht entgegensteht 188• Nicht anwendbar sind lediglich die Bestimmungen, die der Aufgabenerfüllung entgegenstehen, die sonstigen Bestimmungen bleiben in Geltung. Um zur NichtJarass, Gutachten, G 42, Rn. 60. GA Outheillet de Lamothe, in: EuGH Urt. v. 14. 7. 1971, Rs. 10/71 (Müller), Slg. 1971, S. 723, S. 741; Bleckmann, Europarecht, Rn. 1429. 187 188

15*

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

anwendunggewisser Regeln des EWG-Vertrages gelangen zu können, müssen erst die Voraussetzungen der diese Rechtsfolge anordnenden, gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift des Art. 90 Abs. 2 EWGV untersucht werden.

1. Die Struktur der Vorschrift Adressaten des Art. 90 Abs. 2 EWGV sind zwei Typen von Unternehmen. Im Gegensatz dazu wendet sich Art. 90 Abs. 1 EWGV an die Mitgliedstaaten und bürdet ihnen Verantwortung für die Befolgung der gemeinschaftsrechtlichen Regeln durch öffentliche Unternehmen auf. Damit soll verhindert werden, daß die Mitgliedstaaten mit Hilfe öffentlicher Unternehmen ihre eigenen Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht umgehen 189 • Die Verantwortung der Mitgliedstaaten erstreckt sich ebenso auf betraute Unternehmen i. S. d. Art. 90 Abs. 2 EWGV. Diese Bestimmung betrifft neben bestimmten Unternehmen also auch die Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten können sich schon beim Akt derBetrauungauf die Vorschrift stützen, wenn von vornherein absehbar ist, daß die Aufgabe nur unter Verletzung bestimmter Vorschriften des EWG-Vertrages ausgeführt werden kann. Andererseits vermag sich die Kommission nach Art. 90 Abs. 3 EWGV nur an die Mitgliedstaaten zu wenden, welche dafür Sorge zu tragen haben, daß die auf ihrem Staatsgebiet ansässigen Unternehmen den EWG-Vertrag beachten 190. Der Unternehmensbegriff in den beiden Absätzen ist nicht deckungsgleich. Art. 90 Abs. 2 EWGV erfaßt öffentliche und private Unternehmen, unabhängig davon ob sie unter Abs. 1 fallen oder nicht 191. Die Reichweite des Art. 90 Abs. 2 EWGV wird gern. Art. 90 Abs. 3 EWGV von der Kommission näher bestimmt. Stehen Normen des Gemeinschaftsrechts der Erfüllung besonderer Aufgaben eines Unternehmens entgegen, beurteilen zunächst das Unternehmen selbst oder der Sitzstaat, ob Art. 90 Abs. 2 EWGV eine Freistellung von diesen Normen ermöglicht 192• Diese Entscheidung unterliegt nach Art. 90 Abs. 3 EWGV der Kontrolle der Kommission 193 • An die Seite der Kompetenz der Kommission nach Art. 155 Strich 2 EWGV zur Abgabe von Empfehlungen und Stellungnahmen tritt aufgrund des Art. 90 Abs. 3 EWGV die Handlungsoption des Erlasses von Richtlinien oder Entschei189 Dazu umfassend und mit Nachweisen Marenco, CMLRev., Vol. 20, 1983, S. 510 (3.4.), S. 512 (3.5.) und passim. 190 Vgl. Hochbaum, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 29-30. 191 Pemice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 31. 192 Grünbuch, S. 197. 193 EuGH Urt. v. 20.3.1985, Rs. 41183 (British Telecommunications), Slg. 1985, s. 873, s. 888, Rn. 30.

D. Art. 90 Abs. 2 EWGV

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dungen an die Mitgliedstaaten. Auf der Basis dieser Vorschrift kann die Kornmission anders als bei Art. 85, 86 EWGV nicht direkt gegen ein Unternehmen vorgehen. Im Zusammenhang mit Art. 90 Abs. 2 EWGV leistet die Kommission über Art. 90 Abs. 3 EWGV einen Beitrag zur Rechtssicherheit, indem sie durch ihre gestaltenden und Recht setzenden Maßnahmen die Begriffe genauer festlegt und dadurch die Berufung auf Art. 90 Abs. 2 EWGV in geordnetere Bahnen leitet 194• 2. Rahmenbedingungen der Anwendung In der Anwendung des Art. 90 Abs. 2 EWGV stehen sich der Geltungsanspruch des EWG-Vertrages einerseits und die Erfüllung der besonderen Aufgabe spezieller Unternehmen andererseits gegenüber 195 • Zwischen dem Interesse des Unternehmens an der Ausführung seines Auftrags und dem Interesse der Gemeinschaft an der Beachtung des EWG-Vertrages muß ein Ausgleich gefunden werden 196• Anlaß für die Austragung dieses Interessenkonflikts ist jeweils ein konkreter Fall, in dem die Einhaltung einer Vorschrift des EWG-Vertrages einem Unternehmen Probleme hinsichtlich seiner Aufgabenerfüllung bereitet. Aus der Tatsache, daß sich die Norm an Unternehmen richtet, könnte auf einen geschmälerten Anwendungsbereich geschlossen werden. Aufgrund des Art. 90 Abs. 2 EWGV wären dann nur Ausnahmen von unternehmensbezogenen Vorschriften des EWG-Vertrages zulässig 197• Wenn eine Vorschrift des EWGVertrages die Erfüllung der besonderen Aufgabe eines Unternehmens verhindert und sich in dieser Form an die Unternehmen wendet, dann ist sie insoweit aber auch unternehmensbezogen. Vor allem spricht der Wortlaut der Bestimmung für ihren Charakter als Ausnahme zum gesamten EWG-Vertrag 198• Art. 90 Abs. 2 bezieht die Vorschriften des EWG-Vertrages ein und hebt nur insbesondere die Wettbewerbsregeln hervor. Eine Einengung des Anwendungsbereichs auf eben diese Wettbewerbsregeln stellte dazu einen glatten Widerspruch dar. Art. 90 Abs. 2 EWGV erlaubt Ausnahmen von der Anwendung jeder Vorschrift des EWG-Vertrages 199• Nach dem Wortlaut der Norm geht es vorrangig um die Wettbewerbsregeln der Art. 85 ff. EWGV. Ebenso kann aber die Anwend194 Vgl. Pemice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 62-63; Marenco, CMLRev., Vol. 20, 1983, S. 522 (3.11.). 195 Vgl. Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 339. 196 EuGH Urt. v. 14. 7.1971, Rs. 10/71 (Müller), Slg. 1971, S. 723, S. 730, Rn. 131 16; Hochbaum, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 28; Marenco, CMLRev., Vol. 20, 1983, S. 518 (3.8.). 197 Hochbaum, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 30, 43. 198 Marenco, CMLRev., Vol. 20, 1983, S. 520 (3.10.). 199 Page, ELR 1982, S. 27, 30.

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

barkeiljeder anderen Bestimmung des EWG-Vertrages, auch des Art. 59 Abs. 1 EWGV, ausgesetzt werden. Die erhebliche Tragweite der Vorschrift ist der Hintergrund für die Auslegung des Art. 90 Abs. 2 EWGV. Die Gemeinschaft will ihre Ziele gern. Art. 3 und 4 EWGV nach Maßgabe und mittels des EWG-Vertrages erreichen. Seine Geltung zählt daher selbst zu den elementaren Zielen des EWG-Vertrages 200 • Ein Zurücknehmen dieses Geltungsanspruchs kommt nur in Ausnahmefallen in Frage. Art. 90 Abs. 2 muß deshalb restriktiv ausgelegt werden 201 • Dementsprechend hohe Hürden müssen überwunden werden, um zur Anwendung der Vorschrift zu gelangen.

II. Die Voraussetzungen des Art. 90 Abs. 2 EWGV Art. 90 Abs. 2 EWGV betrifft Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben. Ob Rundfunkveranstalter zu dieser Gruppe zählen, ist als erste Frage zu beantworten. Von der Anwendung der Art. 59 ff. EWGV könnte abgesehen werden, falls den Rundfunkveranstaltern spezielle Aufgaben zugewiesen wären und es ihnen durch die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr unmöglich gemacht würde, diese Aufgaben wahrzunehmen. Notwendig sind ein Betrauungsakt und eine Sonderaufgabe. Grenze der Freistellung von der Anwendung des EWG-Vertrages ist nach Art. 90 Abs. 1 S. 2 EWGV die Beeinträchtigung des Handelsverkehrs in einem Maße, das dem Interesse der Gemeinschaft widerspricht.

1. Unternehmen mit besonderem Charakter Der Anwendungsbereich des Art. 90 Abs. 2 EWGV ist auf Unternehmen beschränkt, die sich durch ihre speziellen Aufgaben von den sonstigen Unternehmen in einem Mitgliedstaat unterscheiden. Ein Unternehmen ist eine Einheit, die eine Tätigkeit nicht als Arbeitnehmer ausübt, wobei die Tätigkeit in der Herstellung oder Verbreitung einer Ware oder Dienstleistung auf dem Gemeinsamen Markt besteht 202 •

Grabitz, NJW 1989, S. 1782. EuGH Urt. v. 27.3.1974, Rs. 127/73 (SABAM), Slg. 1974, S. 313, S. 318, Rn. 19/ 22; Page, ELR 1982, S. 27; Bleckmann, Europarecht, Rn. 1431; Opperrnann, Europarecht, Rn. 924. 202 Grünbuch, S. 189. 200 2o1

D. Art. 90 Abs. 2 EWGV

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a) Unternehmen mit dem Charakter eines Finanzmonopols Unternehmen mit dem Charakter eines Finanzmonopols haben vom Staat eine Monopolstellung erhalten, um dem öffentlichen Haushalt eine besondere Einnahmequelle zu sichern 203. Im Bereich des Rundfunks ist die Erfüllung dieser Voraussetzungen nicht vorstellbar. Öffentlich-rechtlich organisierte Rundfunk.veranstalter, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind, in dem sie eine Monopolstellung genießen, sollen dem Staat keine finanziellen Vorteile erwirtschaften. Sie sind nicht als Quelle von Geldmitteln gedacht und eingerichtet, sondern eher aus Gründen der innerstaatlichen Rundfunk.ordnung, deren Ausgestaltung auf den Vorstellungen des nationalen Gesetzgebers basiert. Rundfunkveranstalter sind keine Finanzmonopole und fallen insoweit nicht unter den Unternehmensbegriff des Art. 90 Abs. 2 EWGV. b) Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen, können auch mit der Verteilung körperlicher Gegenstände befaßt sein und damit in den Grenzbereich der Abgrenzung von Ware und Dienstleistung geraten. Der Dienstleistungsbegriff des Art. 90 Abs. 2 EWGV entspricht nicht vollständig demjenigen der Art. 59, 60 EWGV 204 • Art. 90 Abs. 2 EWGV umfaßt auch das Bereithalten, Bereitstellen und die Verteilung von Sachleistungen. Die Sicherung von Infrastruktur und Daseinsvorsorge erfordert wirtschaftliche Tätigkeiten, die als Dienst gegenüber den öffentlichen Interessen in einem Mitgliedstaat verstanden werden können. Die Massenbeförderungsdienste von Bahn und Post sind daher ebenso angesprochen wie Unternehmen der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung 205. Ein allgemeines wirtschaftliches Interesse besteht, falls ein Unternehmen zu Dienstleistungen infolge seiner Zwecksetzung auch dann verpflichtet ist, wenn die Erbringung dieser Dienstleistungen aus einzelwirtschaftlichen Gründen nicht lohnend wäre 206 •

203 Bleckmann, Europarecht, Rn. 1430; Pemice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 39; Hochbaum, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 35. 204 Marenco, CMLRev., Vol. 20, 1983, S. 517 (3.8.). 205 Hochbaum, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 31; Pernice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn.35. 206 Mestmäcker, in: ders. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 34; Jarass, Gutachten, G 41, Rn. 57.

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

Die Versorgung etwa mit Wasser oder das Funktionieren der Bahnverbindungen muß in jedem Fall gewährleistet sein, unabhängig davon ob die entsprechenden Unternehmen Gewinne oder Verluste machen. Der Begriff ist gemeinschaftsrechtlich zu interpretieren, das allgemeine Interesse bezieht sich aber auf die innerstaatlichen Gesellschaftsordnungen und kann von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden sein 207. Das Element der Wirtschaftlichkeit hat zur Folge, daß Unternehmen mit ausschließlich kulturellen oder sozialen Zielsetzungen nicht den Erfordernissen des Art. 90 Abs. 2 EWGV genügen 208 • Die Wettbewerbsvorschriften der Art. 85 und 86 EWGV beispielsweise setzen eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten voraus und spielen auf dem Schauplatz des Gemeinsamen Marktes. Unternehmen, die kulturellen oder sozialen Zwecken verpflichtet sind, erfüllen solche Anforderungen in der Regel nicht. Eine Ausnahme von der Anwendung von Vorschriften des EWG-Vertrages ist nur denkbar, falls diese Normen grundsätzlich Geltung beanspruchen. Wenn schon die Voraussetzungen der Vorschriften des EWG-Vertrages nicht erfüllt sind, sind diese ohnehin nicht anwendbar, und die Freistellungsregel des Art. 90 Abs. 2 EWGV braucht nicht aktiviert zu werden. Die jeweiligen Voraussetzungen der einschlägigen Normen gewährleisten konkrete Vorgaben. Aus diesem Grunde kann innerhalb der Auslegung des Art. 90 Abs. 2 EWGV der Begriff der Wirtschaftlichkeit weit gehandhabt werden. Die Dienstleistung selbst muß von wirtschaftlichem Interesse sein. Hinter der Auferlegung der Pflicht steckt ein wirtschaftliches Anliegen, wenn die Aufgabenerfüllung keine Profite verspricht oder die Leistung für das Funktionieren anderer Wirtschaftsunternehmen von Bedeutung ist. Eine solche Bedeutung kommt der Dienstleistung zu, wenn sie eine bedeutsame Rolle in der Gesamtwirtschaft des jeweiligen Mitgliedstaates spielt 209 • c) Rundfunkveranstalter Rundfunkveranstalter sind Unternehmen 210 • Falls sie Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV erbringen, tun sie dies, indem sie Rundfunksendungen ausstrahlen 211 • Im allgemeinen Interesse liegt diese Erbringung von Dienstleistungen, weil sie sich im Rahmen der Informationsfreiheit und Rundfunkfreiheit Pernice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 35. Hochbaum, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Eh1ermann, Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 33; Oppermann, Europarecht, Rn. 921; vgl. EuGH Urt. v. 5. 10. 1988, Rs. 196187 (Steymann), S1g. 1988, S. 6159, S. 6172, Rn. 9. 209 Vgl. Bleckmann, Europarecht, Rn. 1429. 210 Deringer, ZUM 1986, S. 634. 211 Vgl. Hochbaum, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Eh1ermann, Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 32. 201

2os

D. Art. 90 Abs. 2 EWGV

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vollzieht 212 • Diese verfassungsrechtlich verbürgten Rechtspositionen werden in der einen oder anderen Form in jedem Mitgliedstaat schon deshalb gewährleistet, da in allen Mitgliedstaaten der Art. 10 EMRK Geltung beansprucht. Unter dem Vorzeichen der Entwicklung einer von der Kommunikation geprägten Gesellschaft in den europäischen Staaten ist das öffentliche Interesse an der Ausstrahlung von Rundfunkprogrammen und an der Ausgestaltung und Kontrolle dieser Ausstrahlung unabweisbar 2 13. Der Aspekt der Wirtschaftlichkeit ist diesem Interesse nur zu eigen, soweit ein wirtschaftlicher Zweck hinter der Aufgabe der Rundfunkunternehmen steckt. Die Ausstrahlung von Programmen erfolgt unter gesellschaftlichen und kulturellen Aspekten, aber auch unter ökonomischen Gesichtspunkten, wenn und soweit die Leistungserbringung entgeltlich stattfindet. Ein taugliches Kriterium zur Feststellung der wirtschaftlichen Elemente in den Dienstleistungen von Rundfunkunternehmen bietet der Dienstleistungsbegriff der Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV, wenn es um die Anwendbarkeit gerade dieser Vorschriften geht. Kulturelle, unentgeltliche Phänomene können keine grenzüberschreitende entgeltliche Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV sein 214 • Da die Art. 59 ff. EWGV dann nicht anwendbar sind, kann die Ausnahme des Art. 90 Abs. 2 EWGV nicht zum Zuge kommen und braucht es auch nicht. Falls eine Dienstleistung gern. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV vorliegt, existiert auch ein wirtschaftsrechtlicher Bezug. Die Dienstleistung wird zumindest auch in wirtschaftlichem Interesse erbracht. In diesem Fall verfügt die Dienstleistung über die von Art. 90 Abs. 2 EWGV geforderte Qualifikation. Das Verständnis von Dienstleistung in Art. 90 Abs. 2 EWGV ist zwar grundsätzlich weiter als der in den Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV formulierte Begriff, insbesondere wenn es um die Vorschriften der Art. 85, 86 EWGV geht. Ausnahmen von der Anwendung der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr kann Art. 90 Abs. 2 EWGV aber nur gewährleisten, falls eine Dienstleistung i.S.d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV in Frage steht. Der Einwand, die Ausstrahlung von Rundfunkprogrammen diene der Versorgung der Bevölkerung mit immateriellen Gütern von geistigem, nicht aber von Grünbuch, S. 195; Seidel, in: FIDE, Reports, S. 13. Vgl. Gon~alves, RTDE 1988, S. 61, die mit diesen Erwägungen Unternehmen, welche Dienstleistungen der Telekommunikation wie Telefax oder Telefon erbringen, unter Art. 90 Abs. 2 EWGV faßt und für diese Unternehmen die Anwendbarkeit dieser Vorschrift insgesamt bejaht, ebd., S. 73-74; zum Telekommunikationsbereich insoweit auch Schulte-Braucks, in: Mestmäcker (ed.), The Law and Economics of Transborder Telecommunication, S. 306 und passim; Sehröder I Eckert I Georgieff I Harmsen, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 15/89, S. 20-21. 214 Diese Konzeption hebt den von Jarass, EuR 1986, S. 81, festgestellten scheinbaren Wertungswiderspruch auf, wonach, wenn man die Anwendbarkeit des Art. 90 Abs. 2 EWGV im Rundfunksektor verneinte, die Mitgliedstaaten bezüglich Wirtschaftsunternehmen größeren Handlungsspielraum hätten als bezüglich kultureller Unternehmen. 212

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 215 , verliert nach der hier vorgestellten Konzeption seine Schlagkraft. Soweit eine Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV zugrunde liegt, ist dem Erfordernis des wirtschaftlichen Elements Genüge getan 216 • Das Interesse an der Versorgung mit Wasser, Gas oder Telekommunikationsdienstleistungen ist nicht anders einzuschätzen als das Interesse an der Versorgung mit Rundfunkprogrammen. Selbst Banken könnten unter Umständen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen 217 • Das Element der Wirtschaftlichkeit stellt kein Hindernis für eine Einordnung von Rundfunkveranstaltern in Art. 90 Abs. 2 EWGV dar 218 • 2. Die besondere Aufgabe

Ein Unternehmen erbringt Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse regelmäßig deshalb, weil es eine besondere Aufgabe zu erfüllen hat. Die Aufgabe konkretisiert das allgemeine wirtschaftliche Interesse im Hinblick auf das einzelne, in Rede stehende Untemehmen 21 9. a) Ein gemeinschaftsrechtlicher Begriff Für den gemeinschaftsrechtlichen Begriff der besonderen Aufgabe gilt das Kriterium der Leistungsverpflichtung. Ein Unternehmen erfüllt eine besondere Aufgabe, wenn es seine Dienstleistungen auch in dem Fall zu erbringen hat, daß ihm dies rein ökonomisch Verluste einträgt. Übergeordnete Gründe verurteilen das Unternehmen zur Leistung, eben Gründe des allgemeinen wirtschaftlichen Interesses. Andererseits führen gesetzliche Pflichten oder eine besondere Staatsaufsicht nicht zwingend zu dem Vorliegen einer besonderen Aufgabe 220 • Sie sind 21s Grünbuch, S. 196; die Kommission, die sonst die wirtschaftliche Seite des Rundfunks betont, verneint die Anwendbarkeit des Art. 90 Abs. 2 EWGV wegen der kulturellen und gesellschaftlichen Aufgabe der Rundfunkveranstalter; diese Gegensätzlichkeit in der Argumentation kritisieren Mestmäcker, in: ders. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 35 und Jarass, EuR 1986, S. 81. 216 So auch der EuGH Urt. v. 30.4.1974, Rs. 155!73 (Sacchi), Slg. 1974, S. 409, S. 430, Rn. 14; vgl. zu weiteren Verbindungen zwischen Art. 59 ff. und Art. 90 EWGV Schulte-Braucks, in: Mestmäcker (ed.), The Law and Economics of Transborder Telecommunication, S. 304-306. 211 EuGH Urt. v. 14. 7.1981, Rs. 172180 (Züchner), Slg. 1981, S. 2021, S. 2030, Rn. 7, der Gerichtshof sieht im konkreten Fall allerdings keine Dienstleistung der in Rede stehenden Bank; s. auch Pernice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 37. 21s Pernice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 37; Hochbaum, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 33. 219 Dagegen versteht das Grünbuch, S. 198, die besondere Aufgabe als Oberbegriff für die beiden von Art. 90 Abs. 2 EWGV erfaßten Arten von Unternehmen.

D. Art. 90 Abs. 2 EWGV

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aber ebenso Indizien für das Bestehen einer besonderen Aufgabe wie die Verpflichtung des Staates, selbst tätig zu werden, würde die Aufgabe nicht durch das Unternehmen wahrgenommen und wie die Verfügbarkeit der Leistung für alle Bürger auf derselben Basis 221 • Ein Rundfunkveranstalter strahlt Programme aus. Abhängig von der Motivation seiner Leistungserbringung kann er eine besondere Aufgabe i. S. d. Art. 90 Abs. 2 EWGV wahrnehmen. Die Beurteilung jedes einzelnen Veranstalters hängt von der Ausgestaltung der Rundfunkgesetze in seinem Sitzstaat und von den Anforderungen ab, die an ihn speziell gestellt werden222. Nicht jeder Rundfunkveranstalter ist zur Erbringung seiner Dienstleistung auch dann verpflichtet, wenn sie sich für ihn bei einer rein ökonomischen Betrachtungsweise nicht lohnt. Regelmäßig wird Veranstalter, die zum Zweck der Erzielung von Gewinn arbeiten, eine derartige Verpflichtung nicht treffen. Im Gegensatz dazu stehen Veranstalter, welche die Versorgung der Bevölkerung mit Rundfunk überhaupt oder auch mit bestimmten Programmen gewährleisten sollen. An der Ausstrahlung von Minderheiten- und Kulturprogrammen beispielsweise besteht ein öffentliches Interesse, denn auch Angehörige von Minderheiten haben einen Anspruch auf Berücksichtigung in den Medien, denen eine besondere kulturelle Verantwortung obliegt 223 • Allerdings ist die Vermittlung derartiger Programme in der Regel wenig zuschauerträchtig. Ein Rundfunkveranstalter wird deshalb unter rein ökonomischen Gesichtspunkten der Übertragung von solchen Sendungen ablehnend gegenüberstehen. Die Ausstrahlung von Sendungen, welche nur geringe Einschaltquoten versprechen, kann als besondere Aufgabe bestimmten Rundfunkveranstaltern übertragen sein. Andere Rundfunkveranstalter können ebenfalls derartige Sendungen ausstrahlen, müssen es aber nicht. Im Regelfall kann von privaten Rundfunkveranstaltern kein breites Angebot erwartet werden, das allen Strömungen einer pluralistischen Gesellschaft Rechnung trägt. Denn sie müssen versuchen, ihre Kosten zu decken und wenn möglich Profite zu erwirtschaften. Deshalb steht die Maximierung der Zuschauer- und Hörerzahl im Vordergrund, die vor allem mit attraktiven Unterhaltungsprogrammen und Spielfilmen zu erreichen ist 224• Mestmäcker, in: ders. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 34. Page, ELR 1982, S. 28. 222 EuGH Urt. v. 30.4.1974, Rs. 155/73 (Sacchi), Slg. 1974, S. 409, S. 431, Rn. 15. 223 Vgl. für die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland BVerfG Urt. v. 4.11.1986, E 73, S. 118, S. 160, das BVerfG betont, daß gerade unter den Bedingungen eines an Bedeutung gewinnenden europäischen Rundfunkmarktes die kulturelle Verantwortung des Rundfunks zusehends in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt, ebd., S. 158; dazu auch BVerfG Beschluß vom 24.3.1987, E 74, S. 297, S. 324-325. 224 Vgl. BVerfG Urt. v. 4.11.1986, E 73, S. 118, S. 155. 220

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

Die Versorgung mit umfassend angelegter Information und Programmen, die nur eine kleinere Gruppe von Rezipienten ansprechen, obliegt häufig öffentlichrechtlich organisierten Rundfunkveranstaltern. Sie haben von dem jeweiligen Mitgliedstaat den Auftrag erhalten, diese Aufgabe der Grundversorgung der Bürger mit bestimmten Dienstleistungen zu erfüllen 225 • Dafür verfügen sie über Vorteile auf der Ebene der Finanzierung, indem sie etwa öffentlich-rechtliche Gebühren zu ihrer Finanzierungsgrundlage zählen dürfen. b) Beispiele von Rundfunkveranstaltern mit besonderen Aufgaben Beispiele für die Wahrnehmung besonderer Aufgaben lassen sich bei Rundfunkveranstaltern aus verschiedenen Mitgliedstaaten finden. In Italien wurde der RAI (Radiotelevisione Italiana) das Anlagen- und Übertragungsmonopol auf nationaler und größerer regionaler Ebene übertragen. Sie ist verpflichtet, den relevanten politischen, sozialen, kulturellen, religiösen und ethnischen Gruppierungen Sendezeit zu reservieren 226 • Die Kanäle in den Niederlanden sind an Vereine und Stiftungen vergeben. Diese Rundfunkorganisationen müssen teilweise nachweisen, daß sie nicht beabsichtigen, Gewinn zu machen und haben gewissen Anforderungen nachzukommen, welche die Repräsentation einer bestimmten gesellschaftlichen Strömung betreffen 227 • Insgesamt existieren zwei Fernsehkanäle, die pluralistischen und nicht kommerziellen Charakter tragen 228 • Der Rundfunk in Belgien wird unter anderem von drei damit beauftragten Instituten veranstaltet, die durch Gesetz geschaffen wurden. Sie sind öffentliche Anstalten mit Rechtspersönlichkeit und strahlen vier Fernsehprogramme und ein Hörfunkprogramm aus. Infolge dieser Konzeption sollen die verschiedenen Bevölkerungs- und Volksgruppen des Landes zu Wort kommen 229 • Runkfunksendungen im Vereinigten Königreich dürfen aufgrund einer entsprechenden Lizenz von der British Broadcasting Corporation (BBC) und der Independent Broadcasting Authority (IBA) ausgestrahlt werden. Beide sind Körperschaften mit Rechtspersönlichkeit, die ihre Rundfunkdienste als einen öffentliVgl. BVerfG, ebd., S. 158. Grünbuch, S. 66; nach dem Urteil Nr. 153 der italienischen Corte Constituzionale vom 6.5.1987 ist das Staatsmonopol für den Rundfunk mit den Art. 41 und 43 der italienischen Verfassung vereinbar, der Monopolzwang gelte nicht für lokale Sender, die Entscheidung wird referiert von Ritterspach, EuGRZ 1988, S. 107-109. 221 Zur Regelung in den Niederlanden Cohen Jehorarn, in: Seidel (Hrsg.), Hörfunk, S. 121-143, auf dem Stand von 1982; Grünbuch, S. 69-70, auf dem Stand von 1984; Jurgens, RuF 1989, S. 264-269. 228 EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 20872089. 229 Grünbuch, S. 74-75. 22s 226

D. Art. 90 Abs. 2 EWGV

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chen Dienst zur Verbreitung von Informationen, Bildung und Unterhaltung erbringen230. Die beiden Fernsehprogramme der BBC, BBC 1 und BBC 2, sowie die beiden Programme der IBA, Independent Television (ITV) und Channel Four, müssen dementsprechend festgelegte Standards hinsichtlich ihres Programms und ihres pluralistischen Aufbaus erfüllen 231 . Dieses System soll zukünftig um eine fünfte kommerzielle Senderkette erweitert werden, was auch für die werbefinanzierte ITV Änderungen im Hinblick auf die Aufsicht durch die IBA mit sich bringen wird 232. Im Moment kann aber noch die werbefinanzierte ITV infolge der Erfordernisse, die sie bei der Ausstrahlung von Fernsehsendungen zu berücksichtigen hat und der strengen Aufsicht durch die IBA als mit einer besonderen Aufgabe betraut angesehen werden. Auch Rundfunkveranstaltem, die sich lediglich aus Werbung finanzieren, kann im Einzelfall eine besondere Aufgabe i.S.d. Art. 90 Abs. 2 EWGV übertragen sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den Rundfunkgesetzen der Bundesländer in der Bundesrepublik Deutschland haben die öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunkanstalten die Grundversorgung der Bevölkerung mit Rundfunk zu gewährleisten und insofern besondere Aufgaben zu erfüllen 233 . Die privaten Veranstalter unterliegen nach dem Rundfunkstaatsvertrag der Bundesländer aber ebenfalls bestimmten Anforderungen etwa an die Sicherung der Meinungsvielfalt und die Bindung an Programmgrundsätze 234. Eine detaillierte Untersuchung könnte durchaus zu dem Ergebnis führen, daß auch den privaten Rundfunkveranstaltern eine besondere Aufgabe zugewiesen wurde. Ähnliches gilt in Frankreich, wo den öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunkveranstaltem zwar Sonderbindungen auferlegt sind, aber auch die privaten Veranstalter eine Reihe von Programmlasten zu tragen haben 235 • Ist den öffentlich-rechtlichen Sendem Antenne 2, FR 3 und La Sept ohne Zweifel ein besonderer Auftrag zugewiesen, so kann das für die privaten, werbefinanzierten La Cinq, M6 und insbesondere TF 1 ebenfalls nicht ausgeschlossen werden.

3. Der Akt der Betrauung Die Auferlegung der besonderen Aufgabe muß durch einen Hoheitsakt des jeweiligen Mitgliedstaates erfolgen. In dieser Form können auch Privatuntemeh23o Zum britischen System das Grünbuch, S. 79- 81 ; Collins, RuF 1989, S. 251 -263. 231 Wiedemann, in: Mestmäcker, (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 91-93. 232 Comelia Bolesch, in: SZ Nr. 293, vom 21.12.1989, S. 11. 233 BVerfG Urt. v. 4.11. 1986, E 73, S. 118, S. 158. 234 lnsbsondere Art. 8 und 9 des Rundfunkstaatsvertrages, abgedruckt in: Media Perspektiven, Dokumente, 1987, S. 81 - 89; vgl. Jarass, ZUM 1986, S. 307-310 zu den Anforderungen an das Programm, die die Rundfunkgesetze der Bundesländer stellen; s. auch Ricker, NJW 1988, S. 453-457. 235 Bullinger, in: Mestmäcker, (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 55-62.

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

men mit Dienstleistungen von allgemeinem öffentlichem Interesse betraut werden236, Der Mitgliedstaat beabsichtigt zum Beispiel, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, etwa die Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Wasser oder Telekommunikationsdienstleistungen. Aus diesem Grund beauftragt er das Unternehmen mit der Wahrnehmung der besonderen Aufgabe, die in einem Beitrag zu dieser Versorgung besteht 237 • Um die Zweckerreichung zu sichern, muß der Staat dem Unternehmen aus einer hoheitlichen Position gegenübertreten. Begegnet er dem Unternehmen auf gleicher Ebene, zum Beispiel als Vertragspartner, könnte es die Erfüllung des Vertrages verweigern oder den Vertrag kündigen, ohne daß der Staat Mittel der Aufsicht und Kontrolle ihm gegenüber einzusetzen in der Lage wäre. Erbringt also ein Unternehmen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ohne vorhergehenden Betrauungsakt durch die öffentliche Gewalt, ist es mit dieser Aufgabe nicht betraut i. S. d. Art. 90 Abs. 2 EWGV. Will ein Mitgliedstaat ein Monopol in einem bestimmten Bereich schaffen, so ist dies ohnehin lediglich durch einen Hoheitsakt möglich 238. Akte der Betrauung mit einer öffentlichen Aufgabe i. S. d. Art. 90 Abs. 2 EWGV sind beispielsweise Gesetze, die einem Unternehmen, auch einem privaten, bestimmte Vorrechte gewähren und die Beziehungen des Unternehmens zur öffentlichen Gewalt regeln 239. Ein Gesetz, das ein Rundfunkunternehmen errichtet, ihm eine öffentliche Aufgabe überträgt und weitere Voraussetzungen für seine Tätigkeit festlegt, ist als Betrauungsakt zu qualifizieren. Eine staatliche Erlaubnis, Genehmigung, Konzession oder Lizenz allein reicht nicht aus 240. Zusätzliche Merkmale wie die Einräumung einer Sonderstellung durch die Betrauung mit einer besonderen Aufgabe können aber doch zu einer Beurteilung solcher Maßnahmen als Hoheitsakte gern. Art. 90 Abs. 2 EWGV führen 241 • Ein Vertrag, der infolge der Bedingungen seines Zustandekommens und seiner Ausgestaltung öffentlich-rechtlichen Charakter trägt, vermag ebenfalls einen Akt der Betrauung darzustellen. Auf der Basis dieser Gesichtspunkte muß jeder einzelne Rundfunkveranstalter einer gründlichen Prüfung unterzogen werden, um das Vorliegen eines Betrauungsakts festzustellen. Die Konstituierung öffentlich-rechtlicher Rundfunkveranstalter wird durch den jeweiligen Mitgliedstaat mittels eines Gründungsakts vorgenommen, der von 236 EuGH Urt. v. 27.3.1974, Rs. 127/73 (SABAM), S1g. 1974, S. 313, S. 318, Rn. 191 22; EuGH Urt. v. 14. 7.1981, Rs. 172180 (Züchner), Slg. 1981, S. 2021, S. 2030, Rn. 7. 237 Marenco, CMLRev., Vol. 20, 1983, S. 517 (3.8.). 238 Hochbaum, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 34. 239 EuGH Urt. v. 14. 7. 1971, Rs. 10/71 (Müller), Slg. 1971, S. 723, S. 730, Rn. 8/12. 240 Pemice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 33. 241 Grünbuch, S. 191-192.

D. Art. 90 Abs. 2 EWGV

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hoheitlichem Gepräge ist. Die den Rundfunk in Belgien teilweise tragenden drei Institute sind durch Gesetz geschaffen 242 • Darin liegt ein Betrauungsakt. Dagegen bedurften die drei belgischen, werbefinanzierten und privaten Veranstalter lediglich einer Genehmigung 243 • Sie sind deshalb nicht in der notwendigen Form betraut, von dem Bestehen einer besonderen Aufgabe einmal ganz abgesehen. Die Erteilung einer Konzession an die RAI würde allein nicht zwingend die Anforderungen an den Hoheitsakt erfüllen. Einerseits ist aber die RAI der einzige zugelassene, landesweit ausstrahlende Rundfunkveranstalter und andererseits befindet sich das Unternehmen in öffentlicher Hand 244 • Unter diesen Umständen ist die Konzessionierung als Betrauungsakt gern. Art. 90 Abs. 2 EWGV zu beurteilen. Das Merkmal des Hoheitsakts gewährleistet auch die Einordnung der privaten Rundfunkveranstalter in der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich. Da sie nicht durch staatlichen Hoheitsakt errichtet wurden oder werden, kommt eine Anwendung des Art. 90 Abs. 2 EWGV auf sie nicht in Frage 245 • Im Gegensatz dazu trägt ein Staatsvertrag zur Errichtung einer Rundfunkanstalt wie etwa im Falle des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) die Züge eines Hoheitsakts. Antenne 2 und FR 3 sind private Gesellschaften, befinden sich aber in der Hand des Staates. Ihre auf einem Gesetz beruhende Konstituierung kann deshalb als Betrauungsakt gewertet werden 246• Betraut wurde auch Danmarks Radio (DR), eine selbständige öffentliche Anstalt, die durch Gesetz geschaffen wurde. Dieser dänische Rundfunkveranstalter arbeitet auf der Grundlage des hoheitlichen Gründungsakts 247 • 4. Das Verhindern der Aufgabenerfüllung Die Anwendung der Vorschriften des EWG-Vertrages müßte die Erfüllung der dem Unternehmen übertragenen besonderen Aufgabe verhindern. Nur dann erscheint eine Ausnahme von der Geltung dieser Vorschriften angebracht. Eine Erschwerung der Sonderaufgabe reicht zur Anwendung des Art. 90 Abs. 2 EWGV nicht aus. Die Realisierung des Auftrags muß nicht nur behindert, sondern verhindert werden 248. Grünbuch, S. 74. Bullinger, in: Mestmäcker, (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 48-49. 244 Grünbuch, S. 65. 245 Der früher öffentlich-rechtliche Sender TF 1 in Frankreich beispielsweise wurde durch Verkauf privatisiert, vgl. Bullinger, in: Mestmäcker, (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 55-56. 246 Vgl. Grünbuch, S. 90-91; Bullinger, in: Mestmäcker, (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 59. 247 Grünbuch, S. 98. 248 Pernice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 52; Bleckmann, Europarecht, Rn. 1431; Deringer, ZUM 1986, S. 634. 242 243

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

Die maßgebliche Vorgabe in diesem Zusammenhang ist das genaueBestimmen der besonderen Aufgabe. Ist diese Untersuchung erfolgt und sind damit Inhalt und Gestalt der Sonderaufgabe des Unternehmens klargelegt, kann auch der Einfluß gesichtet werden, den die Anwendung von bestimmten Vorschriften des EWG-Vertrages auf die Erfüllung dieser Aufgabe nimmt. Dieser Einfluß kann danach auf der Stufenleiter zwischen fehlender Beeinträchtigung und Verhinderung der Aufgabenerfüllung eingeordnet werden. Verhindert werden muß die Erbringung der Dienstleistungen 249 • Wenn es um Ausnahmen von der Geltung der Art. 59 ff. EWGV geht, ist also immer das Bestehen einer Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV Voraussetzung. Die Tatsache, daß die Aufgabenerfüllung im Falle der Befolgung der entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen nahezu unmöglich wird, bedarf des fundierten Nachweises 250 • Die Last des Nachweises ruht auf den Schultern des Unternehmens 251 • Rundfunkveranstalter können sich nur auf Art. 90 Abs. 2 EWGV berufen, wenn sie aufgrund der Anwendung von Normen des EWG-Vertrages an der Realisierung ihres Auftrags gehindert werden. Einem öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunkveranstalter kann die Aufgabe zukommen, die Grundversorgung der Bevölkerung mit kulturellen Programmen zu gewährleisten. Sollte die Anwendung der Art. 59 ff. EWGV es ihm unmöglich machen, diese Aufgabe in die Tat umzusetzen, könnte die Anwendung dieser Vorschriften mittels Art. 90 Abs. 2 EWGV ausgesetzt werden 252 •

5. Beeinträchtigung des Handelsverkehrs bis zur Grenze des Gemeinschaftsinteresses Art. 90 Abs. 2 S. 2 EWGV begrenzt die Tragweite der Vorschrift des Art. 90 Abs. 2 S. l EWGV. Sie gewährleistet Ausnahmen nur, wenn durch die Freistellung von der Anwendung der Bestimmungen des EWG-Vertrages die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt wird, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Der Begriff des Handelsverkehrs kann sinngemäß auf die jeweiligen in Frage stehenden Bereiche übertragen werden. Er meint den Handel mit Waren und Dienstleistungen. Soll Art. 90 Abs. 2 EWGV als Ausnahme zu den Art. 59 ff. 249 Hochbaum, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 40; Page, ELR 1982, S. 30-31. 250 EuGH Urt. v. 30.4.1974, Rs. 155!73 (Sacchi), Slg. 1974, S. 409, S. 431 , Rn. 15; EuGH Urt. v. 14.7.1981 Rs. 172180 (Züchner), Slg. 1981, S. 2021, S. 2030, Rn. 7. 251 EuGH Urt. v. 20.3.1985, Rs. 41/83 (British Telecommunications), Slg. 1985, S. 873, S. 888, Rn. 33; Mestmäcker, in: ders. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 35. 252 Ipsen, Rundfunk, S. 501, 550.

D. Art. 90 Abs. 2 EWGV

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EWGV eingesetzt werden, geht es um Behinderungen des freien Dienstleistungsverkehrs 253 . Jede Nichtanwendung der Art. 59 ff. EWGV stellt eine Beeinträchtigung der Entwicklung des freien Verkehrs mit Dienstleistungen in der Gemeinschaft hin zu einem Gemeinsamen Markt für Dienstleistungen dar. Aber nicht jede Beeinträchtigung der Art. 59 ff. EWGV widerspricht dem Interesse der Gemeinschaft i. S. d. Art. 90 Abs. 2 S. 2 EWGV. Wenn die mangelnde Beachtung auch grundlegender Vorschriften des EWG-Vertrages in jedem Fall das Gemeinschaftsinteresse verletzen würde, wäre der Ausnahmevorschrift des Art. 90 Abs. 2 EWGV jede praktische Bedeutung genommen 254. Das Interesse der Gemeinschaft muß in Einklang mit den Zielsetzungen des EWG-Vertrages festgelegt werden. Die Bestimmung des Gemeinschaftsinteresses hat auf der Grundlage der Art. 2, 3, 30 ff., 59 ff. EWGV und anderer Bestimmungen zu erfolgen, die wesentliche Ziele und Grundsätze der Gemeinschaft normieren 255 . Eine nicht zu überschreitende Grenze für die Anwendbarkeit des Art. 90 Abs. 2 EWGV ist der Art. 7 EWGV 256. Mit der Wahrung des Interesses der Gemeinschaft sind Diskriminierungenaufgrund der Staatsangehörigkeit unvereinbar, sofern sie nicht, wie in Art. 56 Abs. 1 EWGV, ausdrücklich vorgesehen sind 257. Ausschlaggebend für die Grenzziehung des Art. 90 Abs. 2 S. 2 EWGV ist das Ausmaß der Beeinträchtigung. Vor dem Hintergrund namentlich der Art. 2 und 3 EWGV muß die Beeinträchtigung der Entwicklung des Dienstleistungsverkehrs zum Gemeinschaftsinteresse in Beziehung gesetzt werden. In diesem Rahmen findet die Beurteilung statt, ob die Freistellung von den Vorschriften des EWGVertrages den Kern des Gemeinschaftsinteresses antastet oder nicht. Art. 90 Abs. 2 S. 2 EWGV entpuppt sich als Festlegung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit258. Die Vorschrift hat eine Abwägung zwischen dem Interesse des Unternehmens und des Mitgliedstaates auf der einen und dem Interesse der Gemeinschaft auf der anderen Seite zur Folge 259. Der Anspruch des EWGVertrages auf vollständige Geltung überall in der Gemeinschaft streitet mit der Forderung des Mitgliedstaates, die Erfüllung der besonderen Aufgabe des Unter253 Grünbuch, S. 199. 254 Pemice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 59. 255 So Pemice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 58; dagegen weist Hochbaum, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 42, lediglich auf Art. 2 EWGV hin. 256 Hochbaum, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 45. 257 Vgl. EuGH Urt. v. 30.4.1974, Rs. 155/73 (Sacchi), Slg. 1974, S. 409, S. 430, Rn. 14, wo der EuGH die Diskriminierungsverbote im Kontext des Art. 90 Abs. 2 EWGV besonders hervorhebt. 258 Pemice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 59. 259 Marenco, CMLRev., Vol. 20, 1983, S. 518 (3.8.). 16 Kugelmann

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

nehmens zu sichern. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beeinflußt die Anwendung des Art. 90 Abs. 2 EWGV260.

6. Die Anwendung des Art. 90 Abs. 2 EWGV auf Rundfunkveranstalter Rundfunkveranstalter können sich grundsätzlich auf Art. 90 Abs. 2 EWGV berufen 261 . Entscheidend ist die Ausgestaltung des einzelnen Rundfunkunternehmens aufgrund der innerstaatlichen Rundfunkgesetze 262. a) Voraussetzungen im Zusammenhang mit den Art. 59ff. EWGV Falls die Anwendung der Art. 59 ff. EWGV abgewendet werden soll, setzt dies voraus, daß die Unternehmen Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV erbringen. Wenn dies der Fall ist, wird damit das Vorliegen eines allgemeinen wirtschaftlieben Interesse indiziert. Denn die Abgrenzung zu Vorgängen ohne wirtschaftliche Aspekte leisten die Art. 59,60 EWGV, und ein öffentliches Interesse an Dienstleistungen von Rundfunkveranstaltern besteht regelmäßig. Die besondere Aufgabe von Rundfunkunternehmen liegt häufig in der Versorgung der gesamten Bevölkerung mit kulturellen Programmen oder in der Verpflichtung, verschiedenste gesellschaftliche Strömungen im Programm zu Wort kommen zu lassen. Derartige Aufgaben können von den innerstaatlichen Rechtssystemen öffentlich-rechtlichen wie privaten Veranstaltern auferlegt werden 263. Das Erfordernis eines Aktes der Betrauung ermöglicht eine genauere Zuordnung der verschiedenen Rundfunkveranstalter zu Art. 90 Abs. 2 EWGV. Private Rundfunkunternehmen werden in den seltensten Fällen durch einen Akt der öffentlichen Gewalt mit einer besonderen Aufgabe betraut. Dagegen erfüllen öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter diese Voraussetzung regelmäßig. Die Vorschrift des Art. 90 Abs. 2 EWGV findet deshalb eher auf öffentlich-rechtlich organisierte Rundfunkunternehmen Anwendung 264. Diese Konsequenz folgt aus der Organisation und der Motivation des Rundfunkveranstalters. Es macht insoweit einen Unterschied, ob er als gewöhnlicher Marktteilnehmer auftritt oder ob er besondere rundfunkverfassungsrechtliche Aufgaben zu erfüllen hat 265 . 260 Jarass, EuR 1986, S. 82. 261 Seidel, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 135; Steindorff, RIW 1983, S. 837; Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 36; s. auch Schwartz, GRUR, Int., 1982, S. 714. 262 EuGH Urt. v. 30.4.1974, Rs. 155/73 (Sacchi), S1g. 1974, S. 409, S. 431, Rn. 15. 263 Deringer, ZUM 1986, S. 634. 264 Mestmäcker, in: ders. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 35. 265 Hoffmann-Riem, RuF 1988, S. 21.

D. Art. 90 Abs. 2 EWGV

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Die Anwendung der Vorschriften des EWG-Vertrages muß die Erfüllung der besonderen Aufgabe verhindern, das Unternehmen trifft insoweit die Pflicht des Nachweises und die Schranke des Art. 90 Abs. 2 S. 2 EWGV kommt zum Zuge. b) Die Zielrichtung des Art. 90 Abs. 2 EWGV Erbringt ein Rundfunkveranstalter einem aktiven Kabelbetreiber in einem anderen Mitgliedstaat eine Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV, so müssen Beschränkungen dieser Leistungserbringung nach Art. 59 Abs. 1 EWGV aufgehoben werden. Innerstaatliche Vorschriften des Sitzstaates, in dem der Kabelbetreiber ansässig ist, könnten gewisse Anforderungen an die inhaltliche Ausgewogenheit von Rundfunkprogrammen stellen, denen der Rundfunkveranstalter nicht nachkommt. Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunkveranstalter, der in dem Sitzstaat des Kabelbetreibers ansässig ist und die Voraussetzungen des Art. 90 Abs. 2 EWGV erfüllt, kann in der Erfüllung seiner Aufgabe durch den in diesem Mitgliedstaat neu auftretenden Veranstalter beeinflußt werden. Das Unternehmen mit Sitz in dem anderen Mitgliedstaat zieht Zuschauer und Werbeeinnahmen von dem öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter ab. Dessen Aufgabenerfüllung wird jedoch erst verhindert, wenn etwa das Auftauchen des neuen Konkurrenten dem öffentlich-rechtlich organisierten Veranstalter die finanzielle Basis vollständig entzieht 266 • In diesem Fall kommt es für den öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter in Betracht, sich auf Art. 90 Abs. 2 EWGV zu stützen. Er selbst wäre dann von der Anwendung von Vorschriften des EWG-Vertrages freigestellt. Sinn macht dies hinsichtlich der Wettbewerbsregeln der Art. 85,86 EWGV. Wenn das öffentlich-rechtliche Unternehmen eine beherrschende Stellung besitzt, darf es entgegen Art. 86 Abs. 1 EWGV den Handel mit Waren und Dienstleistungen in der Gemeinschaft beeinträchtigen. Auch eine Monopolstellung eines solchen Unternehmens wäre mit dem EWG-Vertrag vereinbar 267. Der öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter vermag aber nicht gegen die Geltung der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr vorzugehen, die dem Rundfunkveranstalter aus dem anderen Mitgliedstaat zugute kommt 268 • Die Anwendung der Bestimmungen des EWG-Vertrages auf andere Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr kann ein Unternehmen wegen der Zielrichtung des Art. 90 Abs. 2 EWGV nicht verhindern. Im Hinblick auf die Konstellation eines 266 Herrmann, GRUR, Int., 1984, S. 583; Delbrück, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Rundfunk, S. 250. 267 EuGH Urt. v. 30.4.1974, Rs. 155/73 (Sacchi), S1g. 1974, S. 409, S. 430-431, Rn. 14-15; EuGH Urt. v. 3. 10.1985, Rs. 311/84 (Te1emarketing), S1g. 1985, S. 3261, S. 3275, Rn. 17; Müller, Dienstleistungsmonopole, S. 149-154. 268 Mißverständlich insoweit das Grünbuch, S. 198.

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3. Kap. 1. T.: Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs

neu auftretenden Konkurrenten, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, nutzt einem Rundfunkveranstalter die Berufung auf Art. 90 Abs. 2 EWGV als Ausnahme von den Art. 59 ff. EWGV nichts269. Infolge der Funktion und Struktur des Art. 90 Abs. 2 EWGV kann ein Rundfunkveranstalter, der den Unternehmensbegriff der Bestimmung erfüllt, für sich selbst die Freistellung von der Geltung der Art. 59 ff. EWGV verlangen. Die Anwendung der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr führt dazu, daß die Erbringung von Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV durch den Rundfunkveranstalter nicht durch Beschränkungen beeinträchtigt werden darf. Eine derartige Wirkung der Art. 59 ff. EWGV verhindert in der Regel nicht die Aufgabenerfüllung durch den Rundfunkveranstalter. Art. 90 Abs. 2 EWGV bietet eine Handhabe, um die Erfüllung besonderer Aufgaben in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten 270. Als Ausnahme von der Geltung der Art. 59 ff. EWGV ist sie aber für Rundfunkveranstalter ohne Bedeutung. Die Erfüllung der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Art. 90 Abs. 2 EWGV stellt hohe Anforderungen an einen Rundfunkveranstalter. Aufgrund der Zielrichtung der Vorschrift bringt ihm die Erfüllung der Voraussetzungen noch keinen Vorteil. Denn es ist schwer vorstellbar, wie die Anwendung der Art. 59 ff. EWGV auf ihn die Erfüllung seiner besonderen Aufgabe verhindem soll. Art. 90 Abs. 2 EWGV spielt für Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Ausstrahlung von Rundfunk keine Rolle 271 •

269 So auch Steindorff, RIW 1983, S. 837. 210 Jarass, EuR 1986, S. 81. 211 Vgl. Mestrnäcker, in: ders. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, S. 35-36; Steindorff, RIW 1983, S. 837; Reich, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Rundfunk, S. 230, der die Anwendbarkeit des Art. 90 Abs. 2 EWGV vor diesem faktischen Hintergrund ablehnt.

2. Teil

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit A. Funktion und Ausgestaltung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit im Gemeinschaftsrecht Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein übergreifendes Prinzip zur Begrenzung belastender gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakte 1• Er stellt einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts dar und steht damit im Rang über dem sekundären Recht der Gemeinschaft 2 • Überragende Bedeutung entfaltet er im Bereich der Grundrechte und Grundfreiheiten als Schranken-Schranke und im Zusammenhang mit der Garantie des Wesensgehalts 3• Daneben verlangt er Beachtung bei der Beurteilung von Eingriffen in sonstige Rechte der Individuen und Mitgliedstaaten aus dem EWG-Vertrag. Jede von den Organen der Gemeinschaft gesetzte Norm und jedes gemeinschaftliche Verwaltungshandeln muß am Maßstab des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gemessen werden 4 • Ebenso sind Eingriffe der Mitgliedstaaten in gemeinschaftsrechtlich garantierte Rechtspositionen nur gestattet, wenn sie sich als verhältnismäßig erweisen 5 • I Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. li, S. 699; Ress, in: Kutscher I Ress I Teitgen I Ermacora I Ubertazzi, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 38. 2 Grabitz, NJW 1989, S. 1779; Kutscher, in: Kutscher I Ress I Teitgen I Ermacora I Ubertazzi, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 92; Beutler, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Bd. 2, Grundrechtsschutz, Rn. 33 (S. 1477); Ossenbühl, Rundfunk, S. 47. 3 EuGH Urt. v. 14.5.1974, Rs. 4/73 (Nold), Slg. 1974, S. 491, S. 508, Rn. 14; EuGH Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79 (Hauer), Slg. 1979, S. 3727, S. 3747, Rn. 23; EuGH Urt. v. 11. 7.1989, Rs. 265187 (Schräder), mitgeteilt in: Tätigkeiten des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 17189, S. 18; Schweitzer I Hummer, Europarecht, s. 218. 4 Grabitz, NJW 1989, S. 1779; Pemice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 164, Rn. 101. s Regierung der Bundesrepublik Deutschland als Verfahrensbeteiligte in: EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 847; Bleckmann, Europarecht, Rn. 306; nach GA Mayras, in: EuGH Urt. v. 27.3.1974, Rs. 127/73 (SABAM), Slg. 1974, S. 313, S. 325, unterliegt ein marktbeherrschendes Unternehmen im Rahmen des Art. 86 EWGV dem Übermaßverbot, womit er bestätigt, daß aus der Sphäre der Mitgliedstaaten stammende Akte nach dem Gemeinschaftsrecht verhältnismäßig sein müssen.

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3. Kap. 2. T.: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Dieses Rechtsprinzip wirkt also in zwei Richtungen. Es begrenzt die Wirkung gemeinschaftsrechtlicher Akte, andererseits aber auch die Wirkung von Akten der Mitgliedstaaten mit Konsequenzen im Gemeinschaftsrecht

I. Die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Mitgliedstaaten Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gilt in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Sonst könnte die Verhältnismäßigkeit keinen, durch wertende Rechtsvergleichungermittelten allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts bilden6. Eine innerstaatliche Maßnahme bedarf aber trotzdem noch einer Untersuchung am gemeinschaftsrechtlichen Maßstab. Wenn der Akt des Mitgliedstaates eine durch den EWG-Vertrag gewährleistete Rechtsposition berührt, stößt er an die Grenzen des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit7.Die Rechtsposition kann durch primäres oder sekundäres Gemeinschaftsrecht errichtet worden sein. Das Gemeinschaftsrecht genießt Anwendungsvorrang 8 • Diesen Vorrang beanspruchen auch die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts wie derjenige der Verhältnismäßigkeit 9 • Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme fehlt aber bereits die Kollision. Denn mittels des innerstaatlichen Prinzips der Verhältnismäßigkeit wird eine Abwägung zwischen dem mit dem eingesetzten Mittel angestrebten Zweck einerseits und dem beeinträchtigten und von den nationalen Rechtsvorschriften geschützten Interesse des betroffenen Bürgers andererseits vorgenommen. Der gemeinschaftliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bringt dagegen den Zweck der innerstaatlichen Maßnahme und den vom Interesse der Gemeinschaft umfaßten Schutz vor Beeinträchtigungen gemeinschaftsrechtlich gewährleisteter Rechtspositionen zum Ausgleich 10• Die innerstaatlichen Gerichte können die Untersuchung des gemeinschaftsrechtlichen Prinzips des Verhältnismäßigkeit vornehmen. Aufgrund der Geltung des EWG-Vertrages in den innerstaatlichen Rechtsordnungen sind sie dazu sogar verpflichtet. Tauchen Unklarheiten über die Auslegung des EWG-Vertrages auf, haben sich die nationalen Gerichte gern. Art. 177 Abs. 1 lit.a EWGV an den Europäischen Gerichtshof zu wenden. 6 Zu der Ermittlung allgemeiner Rechtsgrundsätze Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 50-51; Oppermann, Europarecht, Rn. 404-405. 7 Vgl. EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 859860, LS 2; die Prüfung nationaler Regelungen am gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in diesem Urteil des Gerichtshofs betont auch Kutscher, in: Kutscher I Ress I Teitgen I Ermacora I Ubertazzi, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 93, Fn. 17. s EuGH Urt. v. 15. 7.1964, Rs. 6164 (CostaiENEL), Slg. 1964, S. 1251 , S. 12691271; vgl. dazu Schweitzer I Hummer, Europarecht, S. 231-232. 9 Grabitz, NJW 1989, S. 1782. 10 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 840.

A. Funktion und Ausgestaltung im Gemeinschaftsrecht

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Im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EWGV kann der Gerichtshof seine eigene Bewertung hinter diejenige des nationalen Gerichts zurückstellen. Er legt in Beantwortung der Vorlagefragen klar, unter welchen Bedingungen die in Frage stehende, innerstaatliche Regelung dem Gemeinschaftsrecht einschließlich des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit widersprechen würde. Die endgültige Bewertung der Regelung obliegt dem nationalen Gericht, das dann auch eine Untersuchung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit realisiert 11 • Das innerstaatliche Gericht muß also die tangierten Interessen der Gemeinschaft in seine Entscheidung einbeziehen. Die Vorschrift eines Mitgliedstaates, die Mindestanforderungen an die Qualifikation eines Arztes stellt, zielt beispielsweise auf die Sicherung eines hohen Standards der medizinischen Versorgung. Die gesetzliche Vorschrift ist nach dem innerstaatlichen Recht verhältnismäßig, wenn sie zum Erreichen dieses Zwecks geeignet und erforderlich ist und die Rechte des in der Ausbildung stehenden oder einen Arbeitsplatz suchenden Arztes nicht unangemessen einschränkt. Die Kontrolle dieser Voraussetzungen besorgen die Gerichte des Mitgliedstaates. Ein Arzt aus einem anderen Mitgliedstaat, der in dem Staat, in dem die Vorschrift besteht, einen Patienten behandeln will, beabsichtigt das Erbringen einer Dienstleistung gern. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV. Die nationale Bestimmung verhindert wegen ihrer Anforderungen an die Qualifikation, die der Arzt aus dem anderen Mitgliedstaat nicht erfüllen kann, die Erbringung der Dienstleistung. Sie greift in das Recht des Arztes auf ungehinderte Leistungserbringung aus Art. 59 Abs. 1 EWGV ein. Ihr Zweck ist immer noch die Wahrung der Qualität von medizinischen Versorgungsleistungen. Nun stehen dieser Vorschrift aber nicht mehr nur die vom innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaates verbürgten Rechte des Arztes, sondern auch seine aus Art. 59 Abs. 1 EWGV resultierende Rechtsposition gegenüber. Bringt der Mitgliedstaat zur Rechtfertigung der Vorschrift etwa sein innerstaatliches Allgemeininteresse vor, kommt hinsichtlich der Beeinträchtigung des Rechts auf Erbringung von Dienstleistungen der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum Tragen 12• Die in die innerstaatliche Abwägung einzustellenden Interessen sind verschieden von den gemeinschaftsrechtlichen Erwägungen. Deshalb kommen sich die innerstaatliche und die gemeinschaftsrechtliche Seite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeitnicht ins Gehege. Nur wenn aus dem EWG-Vertrag fließende 11 Vgl. EuGH Urt. v. 28.4.1977, Rs. 71176 (Thieffry), Slg. 1977, S. 765, S. 779, Rn. 24126; EuGH Urt. v. 28.11.1978, Rs. 16/78 (Choquet), Slg. 1978, S. 2293, S. 2303, Rn. 9; EuGH Urt. v. 17. 12.1981, Rs. 279180 (Webb), Slg. 1981, S. 3305, S. 3326, Rn. 20. 12 Auf dem Gebiet der Dienstleistungen von Ärzten existiert sekundäres Gemeinschaftsrecht, das die Lösung eines konkreten Falles herbeiführen würde, vgl. Streil, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, Die EG, S. 321 (9.6.4.).

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3. Kap. 2. T.: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Rechte involviert sind, können die Organe der Gemeinschaft, also namentlich der Gerichtshof, abhängig von der Gestalt des Verfahrens nach Art. 169, 170 oder 177 EWGV, die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer innerstaatlichen Maßnahme vornehmen 13.

II. Die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Gemeinschaft Maßnahmen der Organe der Gemeinschaft müssen sich am gemeinschaftsrechtliehen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen 14• Der Kommission steht nach den Art. 86, 89 EWGV die Befugnis zu, Entscheidungen zu erlassen, falls ein Unternehmen seine beherrschende Stellung mißbräuchlich ausnutzt. Bekämpft ein auf der Basis einer der mitgliedstaatliehen Rechtsordnungen arbeitendes Monopolunternehmen für den Betrieb von Fernmeldenetzen die Konkurrenz von privaten Agenturen, die Fernschreibemeldungen zu niedrigeren Preisen übermitteln, liegt darin ein Verstoß gegen Art. 86 EWGV. Die Kommission darf dem Monopolunternehmen aufgeben, die entsprechenden Regelungen, welche es aufgrund einer Rechtsetzungsermächtigung zu treffen in der Lage war und welche die Verstöße enthalten, aus der Welt zu schaffen 15• Eine solche Entscheidung der Kommission muß verhältnismäßig sein. Die konkrete Maßnahme der Gemeinschaft ist das Mittel und muß deshalb in Beziehung zu dem Zweck gesetzt werden, den das handelnde Organ verfolgte. Mittel und Zweck tragen hier gemeinschaftsrechtlichen Charakter. Die in Frage stehende Maßnahme hat ihren Ursprung ebenso im EWG-Vertrag wie das eventuell berührte Recht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gibt den Rahmen vor, in dem die Abwägung zwischen den Zielen der Gemeinschaft und den Rechten und Interessen des betroffenen Rechtssubjekts oder Mitgliedstaates vorgenommen wird 16• Er fallt besonders ins Gewicht, wenn der konkrete Akt in Grundrechte oder Grundfreiheiten eines Gemeinschaftsbürgers eingreift. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit sichert deren Wesensgehalt 17• Die Handlungsspielräume der Organe 13 V gl. Kutscher, in: Kutscher I Ress I Teilgen I Ennacora I Ubertazzi, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 90. 14 Pemice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 164, Rn. 102. 15 EuGH Urt. v. 20. 3.1985, Rs. 41/83 (British Telecommunications), Slg. 1985, S. 873, S. 887, Rn. 26,27 und passim; zu diesem Urteil Schulte-Braucks, in: Mestmäcker (ed.), The Law and Economics of Transborder Telecommunication, S. 300- 303; vgl. zu einem ähnlichen Vorgehen der Kommission gegenüber der deutschen Bundespost, das nicht vor den Gerichtshof gelangte, Gon~a1ves, RTDE 1988, S. 80, Fn. 58. 16 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 841. 17 EuGH Urt. v. 13. 12. 1979, Rs. 44/79 (Hauer), Slg. 1979, S. 3727, S. 3747, Rn. 23; Beutler, in: Groeben/Boeckh/ Thiesing/Ehlennann, Kommentar zum EWGV, Bd. 2, Grundrechtsschutz, Rn. 31 (S. 1477); vgl. zur Aufgabe des Grundsatzes der Verhältnis-

A. Funktion und Ausgestaltung im Gemeinschaftsrecht

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der Gemeinschaft werden durch vom Gemeinschaftsrecht selbst gewährleistete Rechtspositionen begrenzt.

111. Befugnisse der Organe des Gemeinschaft Kontrollbefugnisse der Kommission ergeben sich aus Art. 155 EWGV. Sie hat die Aufgabe, für die Anwendung des EWG-Vertrages zu sorgen und kann deshalb innerstaatliche Vorschriften, die den freien Dienstleistungsverkehr beschränken, auf ihre Vereinbarkeit mit den Regeln des EWG-Vertrages und damit auch auf ihre Verhältnismäßigkeit untersuchen. Hält sie Eingriffe innerstaatlicher Normen in gemeinschaftsrechtlich gewährleistete Rechte für unverhältnismäßig, ist sie befugt, Empfehlungen oder Stellungnahmen dem entsprechenden Mitgliedstaat gegenüber abzugeben. Bestehen ausdrückliche Ermächtigungen im sekundären Gemeinschaftsrecht, verfügt sie über die ihr dort eingeräumten Handlungsmöglichkeiten. Im Fall des Art. 90 Abs. 3 EWGV kann sie auch Richtlinien oder Entscheidungen an den Mitgliedstaat richten. Falls der Mitgliedstaat die nach Auffassung der Kommission gemeinschaftsrechtswidrigen Beschränkungen nicht beseitigt, steht ihr über Art. 169 EWGV der Weg zum Gerichtshof offen. Der Gerichtshof ist gern. Art. 177 Abs. 1lit.b EWGV zur endgültigen Klärung der Gültigkeit und Auslegung von Handlungen der Organe der Gemeinschaft berufen, sofern es sich nicht um Empfehlungen oder Stellungnahmen handelt und überwacht laut Art. 173 Abs. 1 S. 1 EWGV die Rechtmäßigkeit dieser Handlungen. Maßnahmen der Mitgliedstaaten gelangen dadurch vor den Gerichtshof, daß die Kommission gern. Art. 169 EWGV oder ein Mitgliedstaat gern. Art. 170 EWGV Klage erheben. Eine weitere Möglichkeit ist das Verfahren nach Art. 177 Abs. 1 lit.a EWGV, wenn der Gerichtshof von einem Gericht eines Mitgliedstaates angerufen wird und über die Auslegung des EWG-Vertrages im Zusammenhang mit einer innerstaatlichen Regelung zu entscheiden hat. Die Bedeutung der Untersuchung der Verhältnismäßigkeit durch den Gerichtshofs ist ungleich größer als diejenige der Bewertungen der Kommission, da der Gerichtshof die Kompetenz zu einer letztgültigen Entscheidung besitzt. Die Empfehlungen und Stellungnahmen der Kommission sind nach Art. 189 Abs. 5 EWGV nicht verbindlich. Wenn die Kommission in der Lage ist, gern. Art. 189 Abs. 3 und 4 EWGV verbindliche Richtlinien oder Entscheidungen zu erlassen, dann obliegt dem Gerichtshof doch noch aufgrund des Art. 173 Abs. 1 S. 1 EWGV die Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser verbindlichen Akte. Der Europäische Gerichtshof ist infolge des Art. 164 EWGV die entscheidende und wichtigste Instanz bei der Auslegung und Anwendung des EWG-Vertrages und mäßigkeit, die beteiligten Interessen zuzuordnen K. Hesse, Grundzüge, Rn. 319; Grabitz, AöR 98 (1973), S. 580.

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3. Kap. 2. T.: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

damit auch bei der Auslegung und Anwendung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

IV. Die Struktur der Untersuchung der Verhältnismäßigkeit Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit trägt gemeinschaftsrechtlichen Charakter. Deshalb ist zwar eine Anlehnung an das Verständnis dieses Prinzips in der Bundesrepublik Deutschland möglich, ein vollständiges Übernehmen dieses Ver~ ständnisses aber nicht. Wenn der Europäische Gerichtshof die Begriffe der Geeignetheil und Erforderlichkeil verwendet, ist dies als Konkretisierung der allgemeineren Verhältnismäßigkeit zu sehen 18• Der Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat allerdings in der bundesdeutschen Rechtsordnung die gleiche Funktion wie in der Rechtsordnung der Gemeinschaft. Er soll als Übermaßverbot einen Interessenausgleich im Falle von Eingriffen in Rechte herbeiführen und dabei die Freiheit und Rechtspositionen des einzelnen gegenüber den Eingriffen der öffentlichen Gewalt schützen 19 • Einschränkungen subjektiver Rechte dürfen nicht weiter gehen, als es um ihrer Sicherung und Realisierung willen geboten ist 20 • Aus diesem Grund weisen die Begriffe der Geeignetheit, der Erforderlichkeil und der Proportionalität in ihren Grundstrukturen weitgehende Ähnlichkeiten auf, unabhängig davon, ob sie einer mitgliedstaatliehen oder der gemeinschaftlichen Rechtsordnung zugehören. 1 . Die Geeignetheil

Die Geeignetheit einer Maßnahme bemißt sich nach ihrer Eignung zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks im Zeitpunkt ihres Erlasses. Akte, die offensichtlich ihren Zweck verfehlt haben, können so von vomherein als unverhältnismäßig gekennzeichnet werden. Den Mitgliedstaaten wie der Gemeinschaft kommt bei der Rechtsetzung ein weiter Prognose- und Wertungsspielraum zu. Deshalb scheitert die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme nur im Falle offensichtlicher Ungeeignetheil an dieser Komponente des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit 21•

18 Beutler, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWGV, Bd. 2, Grundrechtsschutz, Rn. 31 (S. 1477); Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 832. 19 EuGH Urt. v. 13.12. 1979, Rs. 44/79 (Hauer), Slg. 1979, S. 3727, S. 3747, Rn. 23; Wendt, AöR 104 (1979), S. 417. 20 Pemice, Grundrechtsgehalte, S. 232. 21 So ausdrücklich der EuGH Urt. v. 11. 7. 1989, Rs. 265187 (Schräder), mitgeteilt in: Tätigkeiten des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 17189, S. 18.

A. Funktion und Ausgestaltung im Gemeinschaftsrecht

251

2. Die Erforderlichkeit In der Rechtsprechung des Gerichtshofs dominiert der Gesichtspunkt der Erforderlichkeit22. Als Ausnahme von einer Grundfreiheit des EWG-Vertrages kann zum Beispiel Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV nur die Folgen nach sich ziehen, die zum Schutz der von ihm gewährleisteten Interessen auch notwendig sind. Eingriffe, welche zur Sicherung dieser Interessen nicht erforderlich sind, deckt die Vorschrift nicht 23 . Im Fall von rechtsetzenden Maßnahmen ist der Beurteilungsspielraum der zur Rechtsetzung ermächtigten innerstaatlichen oder gemeinschaftlichen Organe erneut zu beachten 24. 3. Die Proportionalität Die Proportionalität beinhaltet die Abwägung zwischen dem Interesse der Gemeinschaft oder des Mitgliedstaates an der Vomahme der Maßnahme auf der einen und der Schwere der Beeinträchtigung des verletzten Rechtsgutes auf der anderen Seite. Der Eingriff darf nicht übermäßig tief gehen, sein Nutzen für das Gemeinwohl muß die Nachteile überwiegen, die er mit sich bringt 25 . Funktion und Inhalt der Gewährleistung der Rechte, die im Einzelfall tangiert werden, entfalten dabei Bedeutung, da die Möglichkeiten der Begrenzung einer Rechtsposition von dem Charakter und der Tragweite dieser Rechtsposition abhängig sind 26. Das Recht eines Gemeinschaftsbürgers auf ohne Diskriminierungen erfolgende Erbringung einer grenzüberschreitenden Dienstleistung hat in der Abwägung gegenüber Gemeinwohlinteressen mehr Gewicht als das aus einer Richtlinie stammende Recht auf Anerkennung eines Diploms. In der Geeignetheit wird das konkrete Mittel mit dem konkreten, verfolgten Zweck in Beziehung gesetzt. In der Erforderlichkeit steht der feststehende Zweck einem oder mehreren, eventuell milderen Mitteln gegenüber. Bei der Untersuchung der Proportionalität sind sowohl Zweck wie Mittel variabel, sie dürfen nicht außer Verhältnis zueinander stehen 27. Der Europäische Gerichtshof erlegt sich hinsichtlich von Prüfungen der Proportionalität äußerste Zurückhaltung auf, da infolge der Abwägung tiefe Einschnitte 22 Ress, in: Kutscher I Ress I Teitgen I Ermacora I Ubertazzi, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 38. 23 Vgl. EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352185 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2135, Rn. 36 und 37, wo der Gerichtshof weniger einschneidende Maßnahmen benennt. 24 Bleckmann, EuR 1987, S. 47; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd.II,

s. 835.

2s Vgl. EuGH Urt. v. 11.7.1989, Rs. 265187 (Schräder), mitgeteilt in: Tätigkeiten des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 17189, S. 18. 26 Vgl. Wendt, AöR 104 (1979), S. 439. 21 Grabitz, AöR 98 (1973), S. 575.

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3. Kap. 2. T.: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

in den Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten oder Gemeinschaftsorgane möglich sind 28 • 4. Die Herstellung praktischer Konkordanz Wenn der Gerichtshof in Abwägungsvorgänge eintritt, spielt als Vorgabe hinsichtlich des Ziels der Abwägung auch das Prinzip der Herstellung praktischer Konkordanz eine Rolle 29 • Das Gericht versucht dann beispielsweise die im Fall einschlägigen Grundfreiheiten der öffentlichen Ordnung angemessen zuzuordnen, ohne den Wesensgehalt der tangierten Grundfreiheiten anzutasten 30• Die Herstellung praktischer Konkordanz unterscheidet sich von der Prüfung der Proportionalität und des Übermaßverbotes insgesamt. Die Feststellung, daß Zweck und Mittel in einem konkreten Fall nicht außer Verhältnis zueinander stehen, bedeutet nicht automatisch, daß ihr Verhältnis zueinander optimal ist. Demgegenüber werden bei der Anwendung des Prinzips der praktischen Konkordanz zwei Rechtsgüter einander derart zugeordnet, daß sie sich in einem Verhältnis zueinander befinden, das beiden optimale Wirksamkeit verleiht 31 • Eine Maßnahme kann also durchaus verhältnismäßig sein, obwohl eine Konstellation denkbar wäre, in der das verletzte Recht in der Abwägung mit dem Gemeinwohlinteresse stärker zur Geltung kommen könnte 32. Sinn der Herstellung praktischer Konkordanz ist es, die Auflösung gewährleisteter Rechte durch von teilweiser Beliebigkeil geprägte Güterabwägungen zu verhindern. Jedes der beteiligten Rechtsgüter gewinnt durch diese Auslegungsmethode soweit als möglich an Wirklichkeit 33 • Dem Ansatz, die Rechtsposition in größtmöglichem Umfang gegen Einschränkungen und Aufweichungen zu verteidigen, entspricht die Konzeption des Europäischen Gerichtshofs, Ausnahmen von grundlegenden Vorschriften des EWG-Vertrages eng auszulegen 34•

Bleckmann, EuR 1987, S. 48. Pemice, Grundrechtsgehalte, S. 231 . 30 Zum Prinzip der praktischen Konkordanz K. Hesse, Grundzüge, Rn. 317 und 318. 31 Grabitz, AöR 98 (1973), S. 576. 32 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. Il, S. 837. 33 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 72. 34 Für Art. 48 Abs. 3 EWGV und die öffentliche Ordnung beispielsweise EuGH Urt. v. 4.12.1974, Rs. 41/74 (van Duyn) Slg. 1974, S. 1337, S. 1350, Rn. 18/ 19; EuGH Urt. v. 28.10.1975, Rs. 36/75 (Rutili), Slg. 1975, S. 1219, S. 1231, Rn. 26/28; EuGH Urt. v. 27.10.1977, Rs. 30/77 (Bouchereau), Slg. 1977, S. 1999, S. 2013, Rn. 33/35; für Art. 36 EWGV etwa EuGH Urt. v. 10.1.1985, Rs. 229/83 (Leclerc), Slg. 1985, S. 1, S. 35, Rn. 30; zur öffentlichen Sicherheit EuGH Urt. v. 15.5.1986, Rs. 222/84 (Johnston), Slg. 1986, S. 1651, S. 1684, Rn. 26. 2s 29

B. Ausprägungen bei der Dienstleistungsfreiheit

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B. Die Ausprägungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Bereich der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs Die Art. 59 ff. EWGV gewährleisten eine der Grundfreiheiten des EWG-Vertrages, die Dienstleistungsfreiheit Die Voraussetzungen des Tatbestandes der in Rede stehenden Grundfreiheit müssen zunächst vorliegen. Wenn eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs i. S. d. Art. 59 Abs. 1 EWGV besteht, kann auf die Verhältnismäßigkeit dieser Beschränkung eingegangen werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewährt im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten keine eigenständigen Rechte, sondern liefert den Maßstab zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Beschränkung eines Rechts, das durch Bestimmungen des EWG-Vertrages garantiert wird 35 • Die Anwendung dieses Grundsatzes wird auf der Ebene der Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen oder der Ausnahmen von der Geltung der Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr vorgenommen.

I. Art. 55 i. V. m. Art. 66 EWGV Die Anwendung des Art. 55 i. V. m. Art. 66 EWGV hängt davon ab, ob im konkreten Fall Tätigkeiten ausgeübt werden, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Auf solche Tätigkeiten sind die Art. 59 ff. EWGV nicht anwendbar. Mit dem Begriff der Ausübung öffentlicher Gewalt ist eine Handhabe gegeben, um über die Anwendbarkeit der Bestimmung zu entscheiden. Die Auslegung der durch Art. 55 Abs. 1 EWGV vorgegebenen Rechtsbegriffe reicht als Kontrollmaßstab aus. Allenfalls eine rechtsmißbräuchliche Ausweitung der öffentlichen Gewalt durch die nationale Gesetzgebung stößt an eine gemeinschaftsrechtliche Grenze. Diese wird durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit bezeichnet. Innerstaatliche Normen, welche in der Absicht geschaffen werden, durch eine Erweiterung des Bereichs der öffentlichen Gewalt die Geltung des Art. 55 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV zu umgehen, können unverhältnismäßig sein. Im Regelfall wird aber bereits durch die Interpretation der Norm und die Erfüllung der Voraussetzungen ihre Tragweite bestimmt. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit entfaltet im Kontext des Art. 55 i. V .m Art. 66 EWGV nur eine unbedeutende Wirkung.

35

Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 707.

254

3. Kap. 2. T.: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

II. Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV I. Die Bedeutung der Verhältnismäßigkeit Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewinnt seine Bedeutung bei der Anwendung des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV als Kontrollmaßstab für die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe 36. Die öffentliche Sicherheit und Gesundheit geben der Interpretation weniger Spielraum als der Begriff der öffentlichen Ordnung. Wann Gründe der öffentlichen Ordnung vorliegen, entscheidet der Mitgliedstaat, der die diskriminierenden Regeln erhalten oder erlassen will. Die Kontrolle dieser Entscheidung orientiert sich weniger an inhaltlichen als an formalen Kriterien. Neben der Qualität der Gefahrdung fällt hauptsächlich die Verhältnismäßigkeit der diskriminierenden Regelung ins Gewicht 37 . Dabei steht die Erforderlichkeil der Maßnahme des Mitgliedstaates im Vordergrund38. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit markiert die Grenze, bis zu der diskriminierende Regelungenaufgrund des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV zulässig sind 39. Wenn eine innerstaatliche Vorschrift, die für Ausländer eine Sonderregelung vorsieht, mit Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV gerechtfertigt werden soll, muß sie sich einer Untersuchung anband der Meßlatte der Verhältnismäßigkeit stellen. Die Ziele der nationalen Regelung, etwa des Rundfunkgesetzes eines Mitgliedstaates, vermögen Eingriffe in Art. 59 Abs. 1 EWGV nur zu rechtfertigen, wenn die Regelung nicht übermäßig in die Grundfreiheit des Dienstleistungsverkehrs eingreift 40•

2. Die Verhältnismäßigkeit diskriminierender Regelungen eines Mitgliedstaates Eine diskriminierende Regelung eines Mitgliedstaates aufgrund des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV ist verhältnismäßig, wenn sie geeignet ist, ein Rechtsgut der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zu schützen. Weniger beeinträchtigende, insbesondere nicht diskriminierende Regelungen, dürfen dem Mitgliedstaat nicht zur Verfügung gestanden haben. Sein Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit hat eine Abwägung mit dem Recht des Gemeinschaftsbürgers auf ungehinderte Erbringung und 36 Ress, in: Kutscher I Ress I Teitgen I Ermacora I Ubertazzi, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 40. 37 S. oben 3. Kapitel, 1. Teil, B. III.l. 38 Steindorff, RIW 1983, S. 835; vgl. EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352185 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2135, Rn. 36. 39 Delbrück, Direkter Satellitenrundfunk, S. 65. 40 Jarass, EuR 1986, S. 85.

B. Ausprägungen bei der Dienstleistungsfreiheit

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ungehinderten Empfang von Dienstleistungen sowie dem entsprechenden Gemeinschaftsinteresse zu bestehen. Im Rahmen des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV geht es immer um mitgliedstaatliche Vorschriften, die am gemeinschaftsrechtlichen Maßstab der Verhältnismäßigkeit untersucht werden. Der Beurteilungsspielraum der innerstaatlichen Rechtsetzungsorgane muß Berücksichtigung finden. Sie sind weitgehend frei in der Bestimmung der innerstaatlichen Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit. Die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeitsoll die dem allgemeinen Wohl dienenden Ziele der Gemeinschaft in ausreichender Weise zur Geltung bringen, ohne die innerstaatlichen Interessen zu vernachlässigen 41 •

111. Das Allgemeininteresse Weil der richterrechtlich entwickelte Rechtfertigungsgrund des Allgemininteresses der präzisen tatbestandliehen Umschreibung entbehrt, kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seiner Rolle als Kontrollmaßstab entscheidende Bedeutung zu. Er dient zur Begrenzung der zulässigen Ausnahmen von Art. 59 ff. EWGV 42 •

1. Geeignetheil einer Regelung Die nicht diskriminierende, beschränkende Regelung des Mitgliedstaates muß zur Erreichung des von ihm verfolgten, in seinem Allgemeininteresse liegenden Zwecks zunächst geeignet sein. Ein Arbeitgeber, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und im Empfangsstaat der Leistung mit Hilfe von Arbeitnehmern, die Angehörige eines Drittstaates sind, Arbeiten von begrenzter Dauer durchführt, erbringt seinem im Empfangsstaat ansässigen Auftraggeber eine Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV. Eine Regelung des Empfangsstaates, die allen Dienstleistungserbringern, welche Arbeitnehmer aus Drittstaaten beschäftigen, die Zahlung des Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung im Empfangsstaat auferlegt, ohne danach zu differenzieren, ob der Arbeitgeber in seinem Sitzstaat zur Zahlung entsprechender Beiträge für dieselben Arbeitnehmer bereits verpflichtet ist, widerspricht dem Gemeinschaftsrecht. Sie taugt weder dazu, für die Einhaltung der Regelungen über die Sozialversicherung im Empfangsstaat zu sorgen, noch dazu 4t Vgl. EuGH Urt. v. 14.5.1974, Rs. 4/73 (Nold), Slg. 1974, S. 491, S. 508, Rn. 14; EuGH Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79 (Hauer), Slg. 1979, S. 3727, S. 3747, Rn. 23. 42 Regierung der Bundesrepublik Deutschland als Verfahrensbeteiligte in: EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 847; Schwartz, in: Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, S. 106.

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3. Kap. 2. T.: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

die betreffenden Arbeitnehmer zu schützen. Einer solchen Regelung ist die Geeignetheit abzusprechen 43.

2. Erforderlichkeif einer Regelung Die innerstaatliche Regelung stellt ihre Erforderlichkeit dadurch unter Beweis, daß das innerstaatliche Allgemeininteresse nicht durch eine weniger tief in die Grundfreiheit eingreifende Maßnahme geschützt werden kann. Der Europäische Gerichtshof hat die Erforderlichkeit dahin konkretisiert, daß dem Allgemeininteresse des Empfangsstaates der Leistung an den Beschränkungen nicht bereits durch Vorschriften des Sitzstaates des Leistungserbringers Rechnung getragen sein darf44 • Denn unterliegt der Leistungserbringer bereits in seinem Heimatstaat ähnlichen Anforderungen, ist damit ein milderes Mittel zur Erreichung des vom Empfangsstaat verfolgten Zwecks gegeben 45 • Die Tätigkeit eines gewerblichen Stellenvermittlungsbüros für Bühnenkünstler beinhaltet Dienstleistungen i. S. d. Art. 59 Abs. I, 60 EWGV, wenn der Stellenvermittler in einem anderen Mitgliedstaat tätig wird. Dieser Empfangsstaat der Leistung kann dem Stellenvermittlungsbüro mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat nicht auferlegen, eine Genehmigung nach den Vorschriften des Empfangsstaates beizubringen, wenn der Leistungserbringer in seinem Sitzstaat eine Genehmigung besitzt, die unter Voraussetzungen vergeben wurde, welche denen der Vorschriften des Empfangsstaates vergleichbar sind. Notwendig ist zudem eine ausreichende Beaufsichtigung des Stellenvermittlungsbüros in seinem Sitzstaat 46 • Ein Rechtsanwalt, der in einem anderen Mitgliedstat zugelassen ist, darf im Empfangsstaat seiner Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. I, 60 EWGV nicht zu einvernehmlichem Handeln mit einem dortigen Rechtsanwalt in bestimmten Fällen verpflichtet werden, wenn dieses Erfordernis sich als nicht sachdienlich zur Erreichung des Zwecks erweist, der in der Gewährleistung der notwendigen Unterstützung für den dienstleistenden Rechtsanwalt besteht 47 • Eine die Materie betreffende Richtlinie, nämlich die Richtlinie 77/249 /EWG des Rates vom 22.3.I977 48 , muß in einer Weise ausgelegt werden, die dazu führt, daß der Dienstleistungserbringer so wenig wie möglich belastet wird. 43 EuGH Urt. v. 3.2.1982, verb. Rs. 62 und 63/81 (Seco/Evi), Slg. 1982, S. 223, S. 237, Rn. 14 und 15. 44 EuGH Urt. v. 18.3.1980, Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, S. 833, S. 856, Rn. 12; EuGH Urt. v. 4.12.1986, Rs. 205/84 (Versicherungsaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland), Slg. 1988, S. 3755, S. 3805, Rn. 35 und 36. 45 Jarass, Gutachten, G 44, Rn. 65. 46 EuGH Urt. v. 18.1.1979, verb. Rs. 110 und 111/78 (van Wesemael), Slg. 1979, s. 35, s. 54, Rn. 39. 47 EuGH Urt. v. 25. 2.1988, Rs. 427/85 (Rechtsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland), S1g. 1988, S. 1123, S. 1162, Rn. 26. 48 ABI. Nr. L 78, vom 26. 3.1977, S. 17-18.

B. Ausprägungen bei der Dienstleistungsfreiheit

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Falls das innerstaatliche Recht für eine Gruppe von Verfahren keinen Anwaltszwang vorsieht, kann einem Anwalt, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, die Vertretung von Mandanten in solchen Verfahren nicht verwehrt werden. Die Vorschriften des Empfangsstaates über die Durchführung der Richtlinie dürfen nicht zu Anforderungen an den die Dienstleistung erbringenden Rechtsanwalt führen, die in den ansonsten im Empfangsstaat geltenden Berufsregeln keine Entsprechung haben 49. Wenn solche Regeln in dem Mitgliedstaat nicht gelten, kann er sie grundsätzlich auch nicht für Dienstleistungen i. S. d. EWG-Vertrages einführen und mit dem Allgemeininteresse rechtfertigen. Denn dann sind sie zur Erreichung des angestrebten Zwecks regelmäßig nicht erforderlich. Die Ausnahme bilden besondere Erfordernisse, die auf dem speziellen, grenzüberschreitenden Charakter der Dienstleistung nach Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV gründen. Durch sekundäres Gemeinschaftsrecht werden die Rahmenbedingungen der Leistungserbringung vereinheitlicht. Eine innerstaatliche Regelung, die nicht diskriminierende Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs beinhaltet, kann nur dann noch erforderlich sein, wenn die gemeinschaftliche Regelung die entsprechenden Bereiche nicht abdeckt.

3. Proportionalität einer Regelung Da das Allgemeininteresse keinen im EWG-Vertrag genannten Rechtfertigungsgrund darstellt, ist eine Untersuchung der Proportionalität einer beschränkenden Regelung um so schwieriger. Auf der einen Seite steht die nicht diskriminierende Beschränkung, die mit dem innerstaatlichen Allgemeininteresse gerechtfertigt werden soll. Auf der anderen Seite fallen die verletzte Grundfreiheit und das Gemeinschaftsinteresse an der Sicherung dieser Freiheit in die Waagschale. Das Gemeinschaftsinteresse deckt sich im Fall beschränkender Regelungen eines Mitgliedstaates mit dem Individualinteresse des Dienstleistungserbringers oder -empfangers 50• Der Schutz des freien Dienstleistungsverkehrs genießt Vorrang. Ausnahmen aufgrund des innerstaatlichen Allgemeininteresses dürfen nur mit tragfähiger Begründung gestattet werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit soll ein Übermaß an zulässigen, mitgliedstaatliehen Beschränkungen verhindern 51• Er garantiert den Kern der Grundfreiheit, ermöglicht aber andererseits die Berücksichtigung zwingender grundlegender Interessen der Mitgliedstaaten 52 • 49 EuGH Urt. v. 25.2.1988, Rs. 427/85 (Rechtsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland), S1g. 1988, S. 1123, S. 1159, Rn. 13 und 14. 5o Pemice, Grundrechtsgehalte, S. 230. 51 Reich, ZHR 153 (1989), S. 585. 52 Bleckmann, EuR 1987, S. 46; Reich, Förderung, Ziff. 30 (S. 79), weist auf die konvergierende Auslegung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu Art. 30 und 59 17 Kugelmann

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3. Kap. 2. T.: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

IV. Art. 90 Abs. 2 EWGV Mit Art. 90 Abs. 2 S. 2 EWGV existiert eine ausdrückliche Festlegung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit 53 • Denn die Vorschrift begrenzt die Tragweite der Ausnahme des Art. 90 Abs. 2 EWGV durch eine Schranke, die mittels einer Abwägung zwischen den Interessen des Mitgliedstaates an der Beschränkung und dem Interesse der Gemeinschaft an der Einhaltung des Grundsatzes bestimmt wird 54• Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entfaltet seine Wirkung als Korrektiv erst nach Erfüllung der tatbestandliehen Voraussetzungen des Art. 90 Abs. 2 EWGV. Im Unterschied etwa zum Allgemeininteresse ist bei Art. 90 Abs. 2 EWGV die Bedeutung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit für die inhaltliche Kontrolle des Rechtfertigungsgrundes gering. Es kennzeichnet die Grenze, jenseits derer das Unternehmen keine Ausnahme von der Geltung des EWG-Vertrag mehr verlangen kann, weil diese Ausnahme die Entwicklung des Dienstleistungsverkehrs übermäßig beeinträchtigen würde.

C. Gefahren und Handhabung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit I. Gefahren Die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit findet im Spannungsfeld zwischen dem Handlungsspielraum der Normgeber und dem Handlungsspielraum des Europäischen Gerichtshofes statt. Der Gerichtshof und die Kommission, soweit ihre Befugnisse reichen, haben abhängig vom Ursprung der im Fall relevanten Regelungen die Spielräume der innerstaatlichen Gesetzgeber genauso zu beachten wie die Spielräume der Rechtsetzungsorgane der Gemeinschaft.

EWGV durch den EuGH hin; allerdings vertritt Reich, ZHR 153 (1989), S. 584, auch die Auffassung, daß der EuGH hinsichtlich der Anerkennung innerstaatlicher Allgemeininteressen bei Art. 59 EWGV großzügiger vorgeht als bei Art. 30, 36 EWGV. 53 Pemice, Grundrechtsgehalte, S. 230; vgl. ders., in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWGV, Art. 90, Rn. 101. 54 Vgl. EuGH Urt. v. 30.4.1974, Rs. 155/73 (Sacchi), Slg. 1974, S. 409, S. 29, Rn. 7 I 8, wo der Gerichtshof zwar im Zusammenhang der Art. 30, 34 EWGV, aber auch vor dem Hintergrund des Art. 90 Abs. 2 EWGV bemerkt, der Rahmen zulässiger Handelsregelungen werde durch die Errichtung eines Monopols für Fernsehwerbesendungen insbesondere überschritten, wenn die beschränkenden Wirkungen außer Verhältnis stünden zu dem angestrebten Ziel, hier der Ausgestaltung des Fernsehens als öffentlicher Aufgabe im Recht eines Mitgliedstaates.

C. Gefahren und Handhabung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eröffnet dem Gerichtshof, der verbindliche Aussagen zu treffen in der Lage ist, erhebliche richterliche Gestaltungsspielräumess. In die Beurteilung der Geeignetheit, Erforderlichkeil und Proportionalität einer innerstaatlichen Maßnahme fließen Wertungen und Anschauungen der Richter ein. Das Problem einer Nivellierung der Schutzniveaus existiert nicht nur im Bereich der Grundrechte, sondern auch im Bereich der Grundfreiheiten, wenn im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit die Grenzen der Auslegung erreicht und überschritten werden. Das Allgemeininteresse könnte bei den Art. 30, 34, 36 und 59 ff. EWGV zu einem Hebel für den Europäischen Gerichtshof umfunktioniert werden, um ein von ihm bestimmtes Gemeinwohl zur Rechtfertigung von Beschränkungen des freien Waren- oder Dienstleistungsverkehrs zu benutzen 56• Derartigen Entwicklungen kann und muß durch eine restriktive Ausgestaltung und Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorgebeugt werden. II. Handhabung

Die Anwendung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit orientiert sich je nach den Vorgaben der Fallgestaltung an unterschiedlichen Voraussetzungen und Anknüpfungspunkten.

1. Innerstaatlicher oder gemeinschaftlicher Normgeber Unterschiede könnten sich daraus ergeben, ob eine Regelung des innerstaatlichen oder des gemeinschaftlichen Normgebers vom Gerichtshof untersucht werden soll. Der Gerichtshof sichert gern. Art. 164 EWGV die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des EWG-Vertrages. Kontakt zum Recht eines Mitgliedstaates bekommt er, wenn und soweit dieses Recht gemeinschaftsrechtlich gewährleistete Rechtspositionen berührt. Das innerstaatliche Recht wird grundsätzlich von den nationalen Gerichten kontrolliert. Da der Gerichtshof für die Sicherung der Wahrung des Gemeinschaftsrechts die letztlich zuständige, gerichtliche Instanz ist, kann er in den Spielraum der Rechtsetzungsorgane der Gemeinschaft tiefer eingreifen als in den Spielraum nationaler Rechtsetzungsorgane. Zwar hat er den Beurteilungsspielraum des gemeinschaftlichen Normgebers zu berücksichtigen. Denn der Gerichtshof muß sich in seinem Verhältnis zu Normgebern in jedem Fall besonderer Zurückhaltung befleißigen. ss Reich, ZHR 153 (1989), S. 586. 56 Vgl. im Hinblick auf das Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland Ress, in: Kutscher I Ress I Teitgen I Ermacora I Ubertazzi, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 7- 10. 17*

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3. Kap. 2. T.: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

In rein gemeinschaftsrechtlichen Fragen ohne Einfluß des innerstaatlichen Rechts verfügt der Gerichtshof aber über mehr Freiraum als bei der Entscheidung über Rechtsfragen, die das nationale Recht und damit auch die Kompetenzen nationaler Normgeber betreffen. Wenn es in einem Verfahren um Akte eines innerstaatlichen Normgebers geht, sollte der Gerichtshof besondere Vorsicht an den Tag legen.

2. Maßnahmen der Verwaltungen oder der Normgeber Der genaueren Beschreibung der Leitlinien in der Arbeit des Gerichtshofs kann eine Unterscheidung zwischen der Kontrolle rechtsetzender Maßnahmen und der Aufsicht über den Verwaltungsvollzug dienen. Die Abwicklung des Verwaltungsvollzugs hinsichtlich des Gemeinschaftsrechts obliegt grundsätzlich den Verwaltungen der Mitgliedstaaten. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gilt aber auch hier, so daß existierende Grundsätze eines gemeinschaftlichen Verwaltungsrechts die innerstaatlichen Behörden binden. Die Anwendung dieser Grundsätze unterliegt der Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs 57 • Die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze für das Verwaltungsrecht und die innerstaatlichen Regeln des Verwaltungsrechts liefern das Gerüst für die Realisierung des Verwaltungsvollzugs. Eine Mißachtung oder Verletzung dieser Regeln bedeutet einen Rechtsbruch. Die Rechtskontrolle des Gerichtshofs endet am Ermessen der Behörde, dem aber durch die einschlägigen Regeln Grenzen gesetzt sind. Dagegen verfügen der innerstaatliche wie der gemeinschaftliche Normgeber über einen sehr viel weiteren Spielraum 58 • Innerhalb der Normsetzung müssen Prognosen über zukünftige Ereignisse und Entwicklungen getroffen werden. Insoweit steht dem Normgeber eine Einschätzungsprärogative zu, die die Kontrollorgane der Gemeinschaft so wenig wie möglich antasten dürfen 59 • Insbesondere auf der Stufe der Erforderlichkeil hat der Gerichtshof den Ermessensspielraum des Normgebers zu beachten 60• Die Entscheidung, welches Mittel er zur Erreichung des verfolgten Zwecks ergreifen will, trifft der Normgeber grundsätzlich selbst. Seine Aufgabe ist es gerade, durch seine Regelung die Interessen und Rechtspositionen, welche sich hinsichtlich einer bestimmten Materie überschneiden, miteinander in Einklang zu bringen 61 • Grabitz, NJW 1989, S. 1777, 1782 und passim. Vgl. zum Ermessensspielraum der Gemeinschaftsorgane EuGH Urt. v. 29.2. 1984, Rs. 37/83 (Rewe), Slg. 1984, S. 1229, S. 1249, Rn. 20. 59 Vgl. K. Hesse, Grundzüge, Rn. 320. 60 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 835. 61 Grabitz, AöR 98 (1973), S. 577 und S. 616. 57

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C. Gefahren und Handhabung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

261

Der Gerichtshof kann die Rahmenbedingungen umschreiben, die zur Unverhältnismäßigkeit einer konkreten Regelung führen würden. Er hat dabei eine Gratwanderung zu bewältigen. Denn er darf nicht vorschreiben, unter welchen Umständen und in welcher Ausgestaltung die innerstaatliche Vorschrift verhältnismäßig und damit vom Allgemeininteresse gerechtfertigt wäre. Die Gemeinschaft kann insofern politisch, durch Koordinierung gern. Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV vorgehen. Der Weg, durch Anwendung des primären Gemeinschaftsrechts gestalterisch in die innerstaatlichen Rechtsordnungen einzugreifen, ist dem Europäischen Gerichtshof verschlossen 62 • In der Rechtssache Kabelregefing hält der Gerichtshof die konkrete, diskriminierende Regelung in den Niederlanden für unverhältnismäßig. Sie könne nicht mit Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV gerechtfertigt werden. Denn es fehle an der Erforderlichkeit der Regelung, die ein Verbot der Weiterverbreitung von Programmen aus anderen Mitgliedstaaten aussprach, falls diese Programme speziell an das niederländische Publikum gerichtete Werbemitteilungen enthielten. Es gebe nämlich weniger einschränkende, nicht diskriminierende Mittel, etwa das Verbot der Werbung für bestimmte Erzeugnisse oder die Begrenzung der Zeitdauer für Werbung. Der Gerichtshof ist hier sehr weit gegangen, indem er darlegt, welche milderen Mittel für den innerstaatlichen Gesetzgeber in Frage kommen. Allerdings hatte die niederländische Regierung diese weniger einschneidenden Regelungsmöglichkeiten selbst in das Verfahren eingebracht 63 • Die Wertung, ob nicht andere vorstellbare Maßnahmen weniger in die Grundfreiheit eingreifen, muß der Gerichtshof vornehmen. Deshalb bewegt er sich in diesem Fall zwar am Rande seiner Auslegungskompetenz, hat sie aber noch nicht überschritten. Die Ausgestaltung der Regelungen im einzelnen hat der Gerichtshof dem innerstaatlichen Gesetzgeber nicht abgenommen. Die Begrenzung der Zeitdauer für Werbung im Rundfunk muß nicht in jedem Fall mit den Art. 59 ff. EWGV vereinbar sein. Allerdings begibt sich der Gerichtshof mit solchen Äußerungen in gefährliche Nähe zur Rundfunkpolitik64 • Die Bedeutung des Kontrollmaßstabs der Verhältnismäßigkeit nimmt in dem Maße zu, in dem auch der Ermessensspielraum der handelnden Organe zunimmt. Dementsprechend ist seine Wichtigkeit um so geringer, je genauer die Entscheidungen durch Rechtsvorschriften vorgezeichnet sind 65 • 62

Reich, ZHR 153 (1989), S. 586.

EuGH Urt. v. 26.4.1988, Rs. 352/85 (Kabelregeling), Slg. 1988, S. 2085, S. 2135, Rn. 37. 64 Reich, RuF 1989, S. 312, wirft dem EuGH vor, seine Vorschläge bedeuteten ein aliud, nicht ein minus, der EuGH habe zu sehr in die Sphäre des nationalen Gesetzgebers eingegriffen; die Auffassung Reichs ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß er im konkreten Fall nicht vom Vorliegen einer Diskriminierung ausgeht wie der EuGH, sondern von einer nicht diskriminierenden Beschränkung, ebd., S. 310. 63

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3. Kap. 2. T.: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Die Verwaltungen sind meist strenger an das Recht gebunden als die Normgeber. Die Befugnis des Gerichtshofs zur Kontrolle von rechtsetzenden Maßnahmen geht deshalb regelmäßig weniger weit als die Kontrolle von Maßnahmen der Verwaltungen.

3. Die Sicherung des Wesensgehalts Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Maßstabes der Verhältnismäßigkeit sind Eingriffe in Rechte, die aus dem EWG-Vertrag oder aus sekundärem Gemeinschaftsrecht resultieren. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist selbst kein Recht und bedingt die Existenz von Interessen, welche in Beziehung zueinander gesetzt werden können und sollen 66 • Seine Funktion der Erhaltung und Sicherung essentieller Rechtspositionen muß im Hinblick auf die berührte Rechtsnorm des Gemeinschaftsrechts und im Lichte der involvierten Interessen jeweils konkretisiert werden. Mit dieser Konkretisierung gewährt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeil dem Gemeinschaftsbürger unmittelbaren Rechtsschutz 67 • Unter dem Vorzeichen der Gewährleistung des Wesensgehaltes des Rechts sind im Rahmen dieser Konkretisierung mehrere Gesichtspunkte zu bachten. Zuerst kommt es auf die Bedeutung des beeinträchtigten Rechts an. Im Kontext der Kontrolle des gemeinschaftlichen Verwaltungshandeins unterliegen auch Eingriffe in tatsächliche Interessen einer Prüfung auf ihre Verhältnismäßigkeit 68 • An die Gründe, die eine Beschränkung tatsächlicher Interessen rechtfertigen sollen, sind jedoch geringere Anforderungen zu stellen. Dagegen erhöhen sich die Schwierigkeiten der Rechtfertigung einer Beschränkung, wenn eine der grundlegenden Vorschriften des Vertrages betroffen ist, wozu hauptsächlich die Grundfreiheiten zählen. Für die Rechtfertigung einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 59 Abs. 1 EWGV sind schwerwiegendere Gründe notwendig als für die Rechtfertigung eines Eingriffs in tatsächliche Interessen eines Mitgliedstaates 69. Der nächste Anknüpfungspunkt ist die Intensität des Eingriffs. Je empfindlicher der Eingriff in die geschützte Rechtsposition ist, desto schwerer müssen die Interessen wiegen, die den Eingriff rechtfertigen sollen 70 • Diskriminierungen bedürfen tragfähigerer Rechtfertigungsgründe als nicht diskriminierende Beschränkungen. Diese Aussage wird durch die Struktur des Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV im Vergleich zum Allgemeininteresse belegt. Letzteres umfaßt Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 838. Kutscher, in: Kutscher I Ress I Teitgen I Ennacora I Ubertazzi, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 94; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 707. 67 Pemice, Grundrechtsgehalte, S. 234; Pescatore, EuGRZ 1978, S. 443-444. 68 Bleckmann, Europarecht, Rn. 306. 69 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 839. 10 Grabitz, AöR 98 (1973), S. 581. 65

66

C. Gefahren und Handhabung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

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einen größeren Kreis innerstaatlicher Interessen. Darunter fallen auch Interessen, die nur einen weniger intensiven Eingriff rechtfertigen können. Das Gewicht dieser innerstaatlichen Interessen ist ein weiterer Punkt in der Ausformung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Der unterschiedlichen Bedeutung des berührten Rechts steht als Korrelat die unterschiedliche Bedeutung der Rechtsgüter gegenüber, die die Beschränkung abstützen. Ein stärkeres innerstaatliches Gemeinwohlgut rechtfertigt auch einen intensiveren Eingriff in den freien Dienstleistungsverkehr 7 1. Die Grundfreiheiten sind zentrale Inhalte des EWG-Vertrages. Diese Aussage muß bei jedem Eingriff in eine Grundfreiheit in Erinnerung gerufen werden. Eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß die Gewährleistungen der Art. 59 ff. EWGV im Kern erhalten bleiben sollen 72 • Zugunstender Dienstleistungsfreiheit besteht eine Garantie ihres Wesensgehalts 73. Die Ausgestaltung der einzelnen gemeinschaftsrechtlichen Gewährleistung ist durch eine sorgf;iltige Prüfung des Vorliegens der tatbestandliehen Voraussetzungen zu klären. Denn die inhaltlichen Garantien der Art. 59 ff. EWGV wirken auf dem Weg über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer beschränkenden Regelung wieder auf die Bestimmung der dem einzelnen wirklich zustehenden Dienstleistungsfreiheit zurück 74 • Das Herausarbeiten der Tragweite des Tatbestandes der Dienstleistungsfreiheit erweist sich als notwendige Bedingung ihres effektiven Schutzes.

71

Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 839; Grabitz, AöR 98 (1973),

s. 581.

72 EuGH Urt. v. 18. 5. 1989, Rs. 249/86 (Kommission I Bundesrepublik Deutschland), mitgeteilt in: Tätigkeiten des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 11 I 89, s. 6. 73 Vgl. EuGH Urt. v. 14.5.1974, Rs. 4/73 (Nold), Slg. 1974, S. 491, S. 508, Rn.14; EuGHUrt. v. 13. 12.1979, Rs. 44/79 (Hauer), Slg. 1979, S. 3727, S. 3747, Rn. 23; EuGH Urt. v. 11.7. 1989, Rs. 265/87 (Schräder), mitgeteilt in: Tätigkeiten des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 17/89, S. 18. 74 Vgl. Wendt, AöR 104 (1979), S. 439.

Die wesentlichen Ergebnisse in Thesen 1. Die technischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Telekommunikation und insbesondere des Rundfunks fordern auch vom EWG-Vertrag Antworten auf die auftretenden Fragen. 2. Die Europäische Gemeinschaft entfaltet vielfaltige Aktivitäten hinsichtlich der Regelung des Sektors der Telekommunikation und des Rundfunks. Das wichtigste Ergebnis ist die Fernseh-Richtlinie vom 3.10.1989. Den Veranstaltern grenzüberschreitenden Fernsehens gibt sie einen geregelten Rahmen für die Ausübung ihrer Sendetätigkeit vor. Die Fernseh-Richtlinie löst jedoch nicht alle Probleme im Bereich der Ausstrahlung von Rundfunk in der Gemeinschaft. 3. Die Kompetenzabschichtung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten erfolgt nach dem Grundsatz der begrenzten Ermächtigung. Die Gemeinschaft hat die ihr vom EWG-Vertrag zugewiesenen Kompetenzen. Im Rundfunkbereich ist sie damit zuständig, wenn und soweit Tätigkeiten im Kontext der Ausstrahlung von Rundfunk die Voraussetzungen einer Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV erfüllen. Der Gegensatz zwischen kultureller und wirtschaftlicher Seite des Rundfunks spielt nur eine untergeordnete Rolle. Denn Bereichsausnahmen von der Zuständigkeit der Gemeinschaft gibt es nicht. 4. Die Zuordnung eines Vorgangs zum Begriff der Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV verlangt zunächst die Identifikation der Leistungen in den Leistungsbeziehungen. Diese Leistungen sind auf das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Elements zu untersuchen. Der Leistungserbringer muß in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sein als der Leistungsempfänger. Die Grenzüberschreitung braucht keineswegs gewollt oder gezielt zu sein. 5. Eine Leistung ist nicht nur dann entgeltlich, wenn ihr ein synallagmatischer Vertrag zugrunde liegt. Das Entgelt muß aber typischerweise gerade die Gegenleistung für die Leistung bilden, also zum Zweck der Leistungserbringung entrichtet werden. Die Zahlung des Entgelts hat sich innerhalb der Leistungsbeziehung zu vollziehen. An Leistungsbeziehungen können auch mehr als zwei Partner beteiligt sein. Im Gegensatz zu der Situation bei Zweierbeziehungen bereitet die Feststellung der Zahlung eines Entgelts in Dreier- oder Mehrecksbeziehungen besondere Probleme. Der Leistungsempfänger muß nicht notwendig selbst an den Leistungserbringer ein Entgelt entrichten. Auch ein dritter Beteiligter kann einer grenzüberschreiten-

Die wesentlichen Ergebnisse in Thesen

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den Leistung den Charakter der Entgeltlichkeit i. S. d. Art. 60 Abs. l EWGV verleihen. Die Zahlung an den Leistungserbringer muß sich nur im Rahmen der zwischen den Beteiligten bestehenden Leistungsbeziehungen abspielen und gerade zum Zweck der Erbringung der Leistung erfolgen. Ein Rundfunkveranstalter, der mittels Satellit Programme ausstrahlt, erbringt den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Rezipienten eine grenzüberschreitende Leistung. Die Werbetreibenden, die gegenüber dem Rundfunkveranstalter für die Ausstrahlung ihrer Werbesendungen Zahlungen vornehmen, vermitteln dieser Leistung die Komponente der Entgeltlichkeit. Da die Werbetreibenden nur zum Zweck der Ausstrahlung ihrer Werbesendungen zahlen, liegt auch nur insoweit eine Dienstleistung i. S. d. Art. 59 Abs. l, 60 EWGV vor. 6. Die Koordinierung gern. Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV erlaßt die Aufnahme undAusübungvon Tätigkeiten, welche die Anforderungen des Dienstleistungsbegriffs der Art. 59, 60 EWGV erfüllen. Die koordinierten, von der Gemeinschaft geschaffenen Regelungen können auch Beschränkungen i. S. d. Art. 59 Abs. l EWGV enthalten. Die Vomahme von Erleichterungen gern. Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV kann die Einführung punktueller Erschwerungen mit sich bringen. Voraussetzung dafür ist, daß das Gesamtsystem der betreffenden Richtlinie die Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungen in der Gemeinschaft vereinfacht. Die Bedeutung des Art. 57 Abs. 1 EWGV ist gering im Verhältnis zu der von Art. 57 Abs. 2, soweit i. V. m. Art. 66 EWGV die Harmonisierung der Regeln hinsichtlich des freien Dienstleistungsverkehrs angesprochen ist. Der Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV ist maßgebend für die Koordinierung innerstaatlicher, durch das Allgemeininteresse gerechtfertigter Vorschriften. Nicht diskriminierende, innerstaatliche Regelungen werden grundsätzlich schon von Art. 59 Abs. 1 EWGV beseitigt, soweit sie beschränkende Wirkung entfalten. Deshalb gewinnt die Rechtsangleichung in diesem Zusammenhang erst Bedeutung, wenn die von der unmittelbaren Wirkung des Art. 59 Abs. l EWGV betroffenen Rechtsordnungen neu geordnet und unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts aufeinander ausgerichtet werden sollen. Die Ausübung der Kompetenzen der Gemeinschaft nach Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV findet ihre wesentlichen Schranken im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Prinzip der Gemeinschaftstreue. 7. Rundfunkveranstalter sind regelmäßig Gesellschaften gern. Art. 58 Abs. 2 EWGV. Nach Art. 58 Abs. l i. V. m. Art. 66 EWGV finden die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr auf sie Anwendung. 8. Die Kompetenzen zur Rechtsangleichung nach Art. 100, lOOa EWGV besitzen zur Ergänzung des Art. 57 i. V. m. Art. 66 EWGV lediglich eine begrenzte Tragweite. Denn der Art. 57 Abs. 2 i. V. m. Art. 66 EWGV erlaßt bereits die Mehrzahl der einschlägigen Regelungen.

266

Die wesentlichen Ergebnisse in Thesen

Für Art. 235 EWGV bleibt ebenfalls nur ein schmaler Anwendungsbereich. Das Ziel, die Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehrs zu beseitigen, kann weitgehend mit Art. 57 i. V. m. Art. 66 verwirklicht werden. Die Anwendung des Art. 235 EWGV wird vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Prinzip der Gemeinschaftstreue beschränkt. 9. Beschränkungen unterscheiden sich von Randbeeinträchtigungen der Dienstleistungsfreiheit, die von Art. 59 Abs. 1 EWGV nicht erfaßt werden. Der Beschränkungsbegriff geht über Diskriminierungen hinaus und umschließt jede Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs. Art. 59 Abs. 1 EWGV erfaßt auch unterschiedslos geltende, innerstaatliche Regelungen mit beschränkender Wirkung. Dies führt zumindest in gewissem Umfang zur Anwendung des Ursprungslandprinzips. Eine Dienstleistung nach Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV darf danach in anderen Mitgliedstaaten ungehindert erbracht werden, wenn sie im Sitzstaat ihres Erbringers die dort an sie gestellten, rechtlichen Anforderungen erfüllt. Das Ursprungslandprinzip steht unter dem Vorbehalt der Rechtfertigungsmöglichkeiten für Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs. 10. Art. 55 EWGV spielt im Rahmen der Ausstrahlung von Rundfunkprogrammen keine Rolle. Die damit zusammenhängenden Tätigkeiten sind nicht mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden. 11. Der einzige Rechtfertigungsgrund für diskriminierende Beschränkungen ist der Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Art. 66 EWGV. Im Hinblick auf Diskriminierungen stehen Art. 59 ff. EWGV und Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV in einem RegelAusnahme-Verhältnis. Zur Rechtfertigung innerstaatlicher, diskriminierender Vorschriften im Rundfunkhereich kann vorrangig auf Gründe der innerstaatlichen öffentlichen Ordnung zurückgegriffen werden. Die Mitgliedstaaten verfügen bei der inhaltlichen Festlegung dieses gemeinschaftsrechtlichen Begriffs über einen Beurteilungsspielraum. Den Organen der Gemeinschaft und namentlich dem Gerichtshof kommt jedoch eine Kontrollkompetenz zu. Der Schwerpunkt der Kontrolle liegt mehr auf formalen denn auf inhaltlichen Gesichtspunkten. Erforderlich ist eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahrdung des Schutzgutes, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das Schutzgut muß in der Rechtsordnung des Mitgliedstaates verankert sein. Rein wirtschaftliche Gründe können nicht vorgebracht werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bildet eine Schranke für den Rechtfertigungsgrund. Die EMRK gilt in der Rechtsordnung der Gemeinschaft nicht unmittelbar. Art. 10 EMRK ist aber als Auslegungshilfe zur Bestimmung der öffentlichen Ordnung im Rundfunkbereich geeignet. Die Kernstücke der innerstaatlichen

Die wesentlichen Ergebnisse in Thesen

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Rundfunkordnung können zur öffentlichen Ordnung eines Mitgliedstaates gehören und deshalb diskriminierende Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet des Rundfunks rechtfertigen. 12. Zur Rechtfertigung nicht diskriminierender, innerstaatlicher Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs dient das innerstaatliche Allgemeininteresse. Dieser vom Europäischen Gerichtshof entwickelte Rechtfertigungsgrund räumt den Mitgliedstaaten einen weitgehenden Beurteilungsspielraum in der Bestimmung ihres Allgemeininteresses ein. Parallel zu Art. 56 i. V. m. Art. 66 EWGV kontrolliert der EuGH die Anwendung des Rechtfertigungsgrundes. Rechtsgüter, die diskriminierende Beschränkungen zu rechtfertigen in der Lage sind, können auch nicht diskriminierende Beschränkungen rechtfertigen. Ein Mitgliedstaat kann die Wahrung jedes tragenden Elementes seiner Staats- und Gesellschaftsordnung zum eigenen Allgemeininteresse zählen. Bis zu einer Harmonisierung der entsprechenden Vorschriften kann die innerstaatliche Rundfunkordnung ein Grund zur Rechtfertigung unterschiedslos anwendbarer, beschränkender Bestimmungen sein. Ein Mitgliedstaat verstößt nicht von vornherein gegen das Gemeinschaftsrecht, wenn er ein Zulassungsverfahren für Rundfunkveranstalter einrichtet oder Anforderungen an die Inhalte der Programme von Rundfunkveranstaltern mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat aufstellt. Die Festlegung des Allgemeininteresses durch die Mitgliedstaaten muß einer Prüfung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit standhalten. 13. Art. 90 Abs. 2 EWGV bietet Rundfunkveranstaltern die Möglichkeit, von der Anwendung einzelner Vorschriften des EWG-Vertrages freigestellt zu werden. Von allgemeinem Interesse sind die Dienstleistungen im Bereich des Rundfunks dann, wenn die Ausstrahlung selbst in Frage steht. Die besondere Aufgabe, die den Rundfunkveranstaltern von den Rundfunkgesetzen des jeweiligen Mitgliedstaates auferlegt wird, besteht häufig in der Grundversorgung der Bevölkerung mit Rundfunk. Ein Akt der Betrauung liegt regelmäßig eher bei öffentlichrechtlich organisierten Rundfunkveranstaltern vor als bei privaten Rundfunkveranstaltern. Das Unternehmen selbst muß nachweisen, daß es den Voraussetzungen des Art. 90 Abs. 2 EWGV nachkommt. Wenn diese Hürden für die Anwendung überwunden sind, bleibt zu beachten, daß nach Art. 90 Abs. 2 EWGV nur das Unternehmen selbst von der Geltung der Art. 59 ff. EWGV freigestellt werden kann. Fälle, in denen die Anwendung der Art. 59 ff. EWGV auf ein Rundfunkunternehmen die Erfüllung seiner besonderen Aufgabe verhindert, sind jedoch schwer vorstellbar. 14. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat erhebliche Bedeutung, wenn die Reichweite der Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen des freien Dienst-

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Die wesentlichen Ergebnisse in Thesen

Ieistungsverkehrs bestimmt werden soll. Diese Bedeutung steigt, wenn die tatbestandliehen Merkmale des Rechtfertigungsgrundes weniger genau festgelegt sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eröffnet dem Gerichtshof weite Spielräume, die auch zu Eingriffen in die Regelungsbereiche der Mitgliedstaaten führen könnten. Die Sicherung der zentralen Inhalte der Art. 59 ff. EWGV gilt es zu gewährleisten. Dazu müssen diese Inhalte aber zuerst festgestellt werden. Unter diesem Aspekt tritt die Wichtigkeit einer sorgfältigen Untersuchung der tatbestandliehen Voraussetzungen der Art. 59 ff. EWGV erneut hervor. 15. Ansatz: Eine Lösung von Zweifelsfragen, die im Zusammenhang mit der Ausstrahlung von Rundfunk auftauchen, erfordert erstens eine genaue Untersuchung der Voraussetzungen des Begriffs der Dienstleistung gern. Art. 59 Abs. 1, 60 EWGV. Zweitens sollte die Entscheidung über die dann noch anstehenden Probleme auf die Ebene der Einschränkungen und Ausnahmen verlagert werden, auf der Interessenahwägungen (Verhältnismäßigkeit) stattfinden.

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