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German Pages 254 Year 1998
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 769
Der polizeirechtliche Gewahrsam Unter besonderer Berücksichtigung des Unterbindungsgewahrsams
Von
Christian Stoermer
Duncker & Humblot · Berlin
CHRISTI AN STOERMER
Der polizeirechtliche Gewahrsam
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 769
Der polizeirechtliche Gewahrsam unter besonderer Berücksichtigung des Unterbindungsgewahrsams
Von Christian Stoermer
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Stoermer, Christian: Der polizeirechtliche Gewahrsam unter besonderer Berücksichtigung des Unterbindungsgewahrsams / von Christian Stoermer. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 769) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09558-8
D 16 Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09558-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Inhaltsverzeichnis Erster Teil
Einleitender Teil, Begriffsbestimmungen und statistischer Hintergrund I. Polizeigesetze und Polizeigewahr sa m
15
1. Einleitung / Anlaß der Arbeit
15
2. Allgemeine Übersicht über Polizeigesetze und Polizeigewahrsam
16
a) Allgemeines zu den Polizeigesetzen
16
b) Allgemeines zu den Gewahrsamsvorschriften
18
3. Der Gewahrsam als Standardmaßnahme
20
4. Grundrechtsbeschränkungen bzw. -eingriffe durch die Ingewahrsamnahme
22
5. Zuständigkeit für die Ingewahrsamnahme
23
II. Der Gewahrsamsbegriff.
25
1. Definition des Gewahrsams
25
2. Der Gewahrsam als Freiheitsentziehung
26
a) Hauptzweck der Maßnahme oder nur Nebenfolge?
27
b) Intensität und Dauer der Maßnahme
27
c) Abgrenzung der Freiheitsentziehung zur bloßen Freiheitsbeschränkung
29
3. Art und Weise bzw. Ort des Gewahrsams / enger und weiter Gewahrsamsbegriff
30
4. Der polizeiliche, präventive Zweck des Gewahrsams
32
5. Beispiele anderer Bundes- und Ländergesetze, nach denen eine Freiheitsentziehung möglich ist
33
III. Statistischer Hintergrund, Kriminalitätsentwicklung, Notwendigkeit (neuerer) verschärfter Polizeirechtsvorschriften? 1. Kriminalitätsentwicklung, im besonderen dargestellt am Beispiel der Bundesländer (Freistaaten) Bayern und Sachsen
34 34
6
Inhaltsverzeichnis
a) Kriminalitätsentwicklung im Bundesgebiet
34
b) Darstellung anhand einiger ausgewählter Deliktsgruppen
36
aa) Gewaltkriminalität
38
bb) Diebstahl, Betrug, leichte Körperverletzung, Sachbeschädigung... 38 cc) Straftaten gegen § 92 des Ausländergesetzes und gegen das Asyl Verfahrensgesetz
dd) Umweltdelikte: §§ 324-330 a StGB
41
42
ee) Rauschgiftdelikte: §§ 29, 29 a, 30, 30 a Betäubungsmittelgesetz (BtMG) 43 c) Entwicklung in den Bundesländern (Freistaaten) Bayern und Sachsen 43 aa) Freistaat Bayern
44
bb) Freistaat Sachsen
45
2. Notwendigkeit der Verschärfung von Vorschriften bzw. Schaffung von neuen Eingriffsermächtigungen
46
Zweiter Teil
Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen IV. Der Schutzgewahrsam
49
1. Einleitung
49
2. Die Voraussetzungen des Schutzgewahrsams
50
a) Normtexte / Unterschiede in den einzelnen Bundesländern
50
b) Unterscheidung „echter" Schutzgewahrsam - „unechter" Gewahrsam
52
c) Die Gefahr fiir Leib und Leben der betroffenen Person
53
d) Der erkennbare, die freie Willensbildung ausschließende Zustand
54
e) Die sonstige hilflose Lage
56
3. Die Selbsttötungsproblematik - Wie weit kann ein Schutzgewahrsam gehen?
57
a) Grundrechtlicher Ansatz aus Art. 2 I und II GG - Gibt es ein Recht auf Selbsttötung?
58
b) Selbstmord und Strafrecht - Der Unglücksfall i.S. des § 323 c StGB... 59 c) Selbstmord und Polizeirecht - Verpflichtung des Staates, das Leben zu schützen 61
Inhaltsverzeichnis
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
64
1. Begriffsbestimmung
64
2. Unterschiede in den Ländergesetzen / Schutzgüter dieser Gewahrsamsfbrm
66
3. Der (generalklauselartige) Gewahrsam zur Gefahrenabwehr
67
a) Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit
68
b) Das Schutzgut der öffentlichen Ordnung
69
c) Die Erheblichkeit der Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
71
4. Der Gewahrsam zur Verhinderung der Begehung oder der Fortsetzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten mit erheblicher Bedeutung (von erheblicher Gefahr) für die Allgemeinheit
71
a) Straftaten
72
b) Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit 75 aa) Meinungsstand hinsichtlich der Möglichkeit eines Gewahrsams bei Ordnungswidrigkeiten
75
bb) Beispiele von Ordnungswidrigkeiten mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit 76 cc) Auch Ordnungswidrigkeiten können im Grundsatz einen Polizeigewahrsam rechtfertigen 5. Die Gefahr als Voraussetzung für den Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
78 80
a) „Weitere" Gefahrenprognose beim Beseitigungsgewahrsam
80
b) Die unmittelbar bevorstehende Gefahr beim Unterbindungsgewahrsam
81
c) Gefahrenprognose - Gefahrenverdacht - Anscheinsgefahr
83
6. Vorfeldaktivitäten der Polizei als Teil der Gefahrenabwehr?
85
a) Problembeschreibung
85
b) Mögliche (Vorfeld-)Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften
86
c) Mögliche (Vorfeld-)Zuständigkeit der Polizei
88
d) Funktionale Lösung der „Kompetenzfrage"
90
e) Auswirkungen dieser Ergebnisse auf den Unterbindungsgewahrsam... 93 7. Prognosehilfen - Orientierungskataloge
95
8
Inhaltsverzeichnis
a) Einleitung
95
b) Ankündigung von oder Aufforderung zu Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten durch Transparente und Flugblätter
96
c) Die Waffen- und Begleitpersonenproblematik
97
d) Die „Störervergangenheit" des Betroffenen
99
e) Verhältnis der Eingriffskataloge zu Art. 8 GG; Grundsatz der Normenbestimmtheit 8. Unerläßlichkeit der Ingewahrsamnahme
101 101
VI. Das Verhältnis des Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsams zum Versammlungsgesetz 102 1. Einleitung
102
2. Verknüpfungskonstellationen mit dem Polizeigewahrsam
103
3. „Polizeifestigkeit" / „Spezialität des Versammlungsrechts"
103
a) Das Versammlungsgrundrecht des Art. 8 GG und das Versammlungsgesetz
103
b) Die Argumente der Befürworter einer „Polizeifestigkeit" des Versammlungsrechts
105
c) Die Argumente der Gegner einer „Polizeifestigkeit" des Versammlungsrechts 106 aa) Unsicherheiten bei der Begriffsbestimmung
106
bb) Unvollständiger Regelungsumfang des Versammlungsgesetzes ..107 cc) Primäre Störerverantwortlichkeit („Brokdorf-Beschluß" des BVerfG)
108
dd) Gleichzeitige Möglichkeit einer Auflösung nach § 15 II VersammlG
109
ee) Lösungsmöglichkeit nach dem Bundesverwaltungsgericht
109
ff) Schutzbereich des Art. 8 GG
110
!
4. Nebeneinander von Versammlungsrecht und Polizeigesetzen
111
a) „Polizeifester" Regelungs(kern)bereich des Versammlungsgesetzes.. 111 b) Das Übermaßverbot im Versammlungsrecht; keine „Polizeifestigkeit" des Versammlungsrechts bei einzelnen Störern
111
c) Einengende Interpretation des Schutzbereiches von Art. 8 GG
112
d) Das Zitiergebot
113
e) Erfordernis genauerer gesetzgeberischer Regelungen
113
Inhaltsverzeichnis
5. Die Auflösungsverfügung nach § 15 II Versammlungsgesetz VII. Der Polizeikessel als Sonderform des Gewahrsams
114 115
1. Geschichte des Polizeikessels
115
2. Gerichtliche Entscheidungen zur „Einkesselung"
116
3. Polizeikessel als Freiheitsentziehung
117
4. Polizeikessel zur Abwehr von Gefahren für besonders wichtige Rechtsgüter
118
a) Gefahr der „Miteinkesselung" von Nichtstörern
118
b) Beachtung der wesentlichen Verfahrensvorschriften
120
VIII. Der Verbringungsgewahrsam 1. Begriff-Einleitung
122 122
2. Die typischerweise von der Verbringung betroffenen Personengruppen.. 123 a) Obdachlose
123
b) Demonstranten
126
3. Mögliche Rechtsgrundlagen für den Verbringungsgewahrsam
128
a) Verbringungsgewahrsam als Unterfall des polizeilichen Gewahrsams?
128
b) Abgrenzung zur Platzverweisung
129
c) Die Generalklausel als Grundlage für derartige Maßnahmen
130
d) Verhältnis der Verbringung zu Art. 11 GG, dem Grundrecht auf Freizügigkeit 132 4. Notwendigkeit von Verbringungen IX. Weitere Gewahrsamsformen
135 137
1. Ingewahrsamnahme Minderjähriger und Entwichener
137
a) Ingewahrsamnahme minderjähriger Personen
138
aa) Möglicher Eingriff in die Bundesgesetzgebungskompetenz gem. Art. 74 I Nr. 7 GG bb) Polizeiliches Handeln in „Amtshilfe" für die Jugendbehörden b) Ingewahrsamnahme entwichener Personen aa) Möglicher Eingriff in die Bundesgesetzgebungskompetenz gem. Art. 74 I Nr. 1 GG bb) Entwichene gehören aber zumindest „auch" zum Bereich der Gefahrenabwehr
139 139 141 142 143
10
Inhaltsverzeichnis
2. Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung eines Platzverweises
144
a) Erforderlichkeit dieses Gewahrsamstyps
144
b) Möglicher Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
145
3. Ingewahrsamnahme zum Schutz privater Rechte Dritter
146
4. Ingewahrsamnahme zur Feststellung der Identität
147
a) Abgrenzung Gewahrsam / Freiheitsentziehung zur Feststellung der Identität 148 b) Besondere Schwierigkeiten hinsichtlich des Übermaßverbots bei dieser Gewahrsamsvariante
149
5. Ingewahrsamnahme von Abgeordneten, Diplomaten und Angehörigen der Stationierungskräfte
150
a) Abgeordnete
150
b) Diplomaten, Konsule und Personal dieser Vertretungen
152
c) Angehörige von Stationierungsstreitkräften
153
X. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
153
1. Art. 5 EMRK und dessen Relevanz für den polizeirechtlichen Gewahrsam 153 2. Bedeutung der EMRK für die nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung
154
3. Die Bedeutung des Art. 5 EMRK für den Schutzgewahrsam
155
4. Die Bedeutung des Art. 5 EMRK fur den Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
156
a) Gewahrsam zur Verhinderung von Straftaten
157
b) Gewahrsam zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten
157
aa) Meinungsstand hinsichtlich des Gewahrsams zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten 158 bb) Auslegung des Begriffs der „strafbaren Handlung" nach innerstaatlichem Recht 5. Die Bedeutung des Art. 5 EMRK fur die übrigen deutschen Gewahrsamsformen
159 161
a) Art. 5 I lit. b EMRK
161
b) Art. 5 lit. d, lit. e und lit. f EMRK
162
6. Übereinstimmung der einzelnen Gewahrsamstypen mit den Grundsätzen des Art. 5 EMRK 163
Inhaltsverzeichnis
7. Art. 9 - Art. 11 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (CCPR) 163
Dritter Teil
Gerichtliche Überprüfung der Freiheitsentziehung, Behandlung im Gewahrsam, Dauer des Gewahrsams XI. Gerichtliche Überprüfung gem. Art. 104 I I S. 1 und S. 2 GG
165
1. Richtervorbehalt und grundgesetzliche Vorgaben des Art. 104 II GG
165
2. Durch die EMRK vorgegebene Mindeststandards für das gerichtliche Verfahren
166
3. Die Regelungen der einzelnen Bundesländer
166
4. Zuständigkeit der Amtsgerichte
167
a) Sachliche Zuständigkeit
167
b) Örtliche Zuständigkeit
168
c) Instanzielle Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte
170
5. Verfahrensvorgaben
171
6. Problematik der „Unverzüglichkeit"
173
a) Grundsatz der vorherigen richterlichen Anordnung bei Freiheitsentziehungen
173
b) Zeitliche Eingrenzung des Begriffs der „Unverzüglichkeit"
174
aa) Keine Vergleichbarkeit mit der „Unverzüglichkeit" des § 121 I BGB möglich 174 bb) Keine Anhaltspunkte aus Art. 5 III EMRK für deutsche Verhältnisse 174 cc) Art. 104 II S. 3 konkretisiert den Satz 2 auf eine überschaubare Größe 175 dd) Kein amtsgerichtlicher Dauerdienst erforderlich - allgemeine Dienststunden - Bereitschaftsdienst an Sonn- und Feiertagen 7. Nachträgliche gerichtliche Überprüfung oder Rechtsschutz? a) Es wurde noch keine amtsgerichtliche Überprüfung eingeleitet aa) Entscheidung durch das Amtsgericht
176 178 178 178
bb) Verzichtbarkeit auf eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung? Meinungsstand 179
12
Inhaltsverzeichnis
cc) Erforderlichkeit einer nachträglichen richterlichen Überprüfung. 181 dd) Zumindest hilfsweise „Sichtung" der Fälle zur Vermeidung grob mißbräuchlicher Ingewahrsamnahmen der Polizei durch eine außenstehende Behörde
184
ee) Rechtsschutz durch das Verwaltungsgericht
184
b) Es wurde noch keine gerichtliche Überprüfung durch das Amtsgericht durchgeführt 185 aa) Amtsgerichtliche Entscheidung während der Freiheitsentziehung 185 bb) Amtsgerichtliche Entscheidung nach Ende der Freiheitsentziehung XII. Behandlung der betroffenen Person während des Gewahrsams
186 188
1. Einleitung
188
2. Rechte des Ingewahrsamgenommenen zu Beginn des Gewahrsams
188
a) Bekanntgabe des Grundes der Festnahme
188
b) Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit einer nahestehenden Person.. 190 c) Belehrung des Betroffenen
192
3. Art und Weise der Behandlung von Personen während des Gewahrsams 193 a) Unterbringung des Betroffenen
193
b) Weitere Beschränkungen
194
XIII. Zeitdauer der Ingewahrsamnahme
195
1. Einleitung / Entwicklungen der letzten Jahre
195
2. Die Regelungen der einzelnen Bundesländer
196
a) Dauer des Gewahrsams
196
b) Gründe für eine sofortige Beendigung des Gewahrsams
197
c) Indizien zur Festlegung zeitlicher Obergrenzen beim Polizeigewahrsam
198
3. Gerichtsentscheidungen zur Gewahrsamsdauer
199
a) Das bayerische Urteil aus dem Jahre 1990
201
aa) Kein Verfassungsverstoß hinsichtlich der möglichen Zeitdauer des Gewahrsams
201
bb) Keine Abstufung der möglichen Höchstdauer nach dem Gewahrsamstyp erforderlich
203
b) Das sächsische Urteil aus dem Jahre 1996
203
Inhaltsverzeichnis
aa) Keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich eines vierzehntägigen Gewahrsams
203
bb) Erfordernis einer abgestuften Höchstgrenze nach dem Gewahrsamstyp
204
4. Die Argumente für und gegen eine über Art. 104 II S. 3 GG hinausgehende, längere Gewahrsamsdauer
205
a) Die Argumente der Befürworter einer kurzen Gewahrsamsdauer
205
b) Die Argumente der Befürworter einer langen Gewahrsamsdauer
206
5. Stellungnahme zum Problem der Gewahrsamsdauer
207
a) Möglichkeit einer längeren Gewahrsamsdauer jenseits von Art. 104 IIS. 3GG 207 aa) Kein Widerspruch zu Art. 104 II S. 3 GG
207
bb) Kein Widerspruch zu anderen Grundrechten oder Bundeskompetenzen 208 b) Keine Möglichkeit einer exakten Bestimmung von zeitlichen Obergrenzen 209 c) Der Grundsatz der Normenbestimmtheit
212
d) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
213
e) Ergebnis
214
Vierter
Teil
Schlußwort / Anhang 1. Schlußwort
216
2. Anhang
218
a) Gewahrsamsnormen
218
b) Sonstige Vorschriften
239
Literatu rverzeich η is
241
Sachwortverzeichnis
249
Erster Teil
Einleitender Teil, Begriffsbestimmungen und statistischer Hintergrund I. Polizeigesetze und Polizeigewahrsam 1. Einleitung / Anlaß der Arbeit Die nachfolgende Arbeit beschäftigt sich mit einer der eingriffsintensivsten polizeilichen Standardmaßnahmen, dem Gewahrsam, der durch seine verschiedenen Eingriffskonstellationen eine Fülle von aktuellen Diskussionspunkten aufwirft. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf den Sicherheits- bzw. Unterbindungsgewahrsam als Hauptanwendungsfall gelegt werden, da sich eine effektive Gefahrenabwehr in das Vorfeld der konkreten, unmittelbar bevorstehenden Gefahr ausdehnen kann und daher erhebliche verfassungs- und kompetenzrechtliche Schwierigkeiten und Fragen in sich birgt. 1 Anlaß für die Bearbeitung dieses Themas war das Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs vom Mai 1996, in dem ein Großteil des neuen, innovativen Polizeigesetzes von Sachsen für verfassungswidrig erklärt wurde. 2 In diesem Urteil nahm das Gericht, neben verschiedenen Vorschriften zur Datenerhebung und Datenverarbeitung, auch zu einer verschärften Regelung des Gewahrsams Stellung und beschied unter anderem dem § 22 des Sächsischen Polizeigesetzes teilweise die Verfassungswidrigkeit mit der Folge, daß der Gesetzgeber in Dresden das Polizeigesetz in einigen Punkten bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode nachbessern muß. Durch diese aktuelle sächsische Entscheidung ist die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen moderner Polizeigesetze erneut angefacht worden. 3 Dabei bietet sich ein Vergleich zu ei-
1 Dieser Problembereich ist in der letzten Zeit im Zusammenhang mit Vorfeldermittlungen verstärkt diskutiert worden. 2 Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs vom 14. Mai 1996, Az. Vf. 44-1194. 3 Erste Aufsätze in Reaktion auf das Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes: Knemeyer/Keller in SächsVBl. 1996 S. 197 ff.; Habermehl in SächsVBl. 1996
S. 201 ff.; Bäumler in N V w Z 1996 S. 765 ff.; Paeffgen
in NJ 1996 S. 454 ff.; Schenke
in DVB1. 1996 S. 1393 ff.; Rimmele in SächsVBl. 1996 S. 32 ff.
16
Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
ner bayerischen Entscheidung aus dem Jahre 1990 an, in der der Bayerische Verfassungsgerichtshof 4 eine vergleichbare Gewahrsamsregelung in Art. 17 und Art. 20 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes für verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen hat. Die Aufgabe dieser Arbeit besteht darin, die Problembereiche und Streitstände rund um den polizeirechtlichen Gewahrsam systematisch aufzuarbeiten sowie auch auf Randprobleme, wie dessen Verhältnis zu anderen Gesetzen, einzugehen. Bei der Betrachtung dieser Problempunkte soll immer auch die praktische Durchsetzbarkeit der gefundenen Problemlösungen angemessen berücksichtigt werden, da die Polizei diese Gesetze im täglichen Leben, teilweise in Extremsituationen umsetzen und durch personelle, räumliche und örtliche Engpässe behindert, zusätzlich die elementaren, verfassungs- und verfahrensrechtlich vorgegebenen Grundsätze beachten muß. Ein detailliert durchdachtes Regelwerk nutzt daher wenig, wenn- es völlig praxisfern ist und die Beamten vor Ort im Stich läßt.5 Die Polizeigesetze müssen bis zu einer vertretbaren Grenze praxisnah ausgelegt werden können und dürfen nicht mit theoretischen Abwägungen überfrachtet werden; trotzdem müssen sie den verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Schutz der betroffenen Personen natürlich voll genügen.
2. Allgemeine Übersicht über Polizeigesetze und Polizeigewahrsam a) Allgemeines zu den Polizeigesetzen Das allgemeine Recht der Gefahrenabwehr und somit die Polizeigesetze sind nach den Art. 30 und Art. 70 I GG Ländersache, weil kein Fall von Bundesgesetzgebungskompetenz der Art. 71 f f GG einschlägig ist. Demzufolge erklärt sich auch die Verschiedenheit der Ländergesetzgebung in einzelnen Punkten, da jedes Bundesland mehr oder weniger von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat, wobei einige Polizeigesetze Beispielsfimktion hatten, an denen sich andere Bundesländer orientierten. Für den großen Novellierungsschub in den Jahren 1989 und 1990, bei dem die Grundsätze zur Datenerhebung und DatenEine Kurzzusammenfassung des Urteilsinhaltes in NJW 1996 S. 1949 f. Die Änderungen des Gesetzes aus dem Jahre 1994 sind anschaulich bei Gnant, PolG des Freistaates Sachsen dargestellt. 4 Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 2. August 1990, Az. Vf. 3VII-89 in BayVBl. 1990 S. 654 ff. = NVwZ 1991 S. 664 ff. 5 Eine solche Sichtweise wird immer wieder von Praktikern in Gutachten oder Anhörungen verlangt; vergi, auch OLG Nürnberg in NVwZ-RR 1991 S. 69: „Man darf die Entscheidungssituation eines Polizeibeamten vor Ort unter Einsatzbedingungen nicht mit der nachträglichen Betrachtung aufgrund eines längeren gerichtlichen Verfahrens mit umfangreicher Beweisaufnahme, ausführlichen rechtlichen Erwägungen und Kommentarstudiums der Rechtsprechung gleichsetzen."
I. Polizeigesetze und Polizeigewahrsam
17
Verarbeitung sukzessive in alle Polizeigesetze eingearbeitet wurden, waren als Beispiel dazu im wesentlichen die Länder Bayern, Hessen, NordrheinWestfalen und Saarland richtungsweisend und dienten als Orientierungshilfe fur die anderen Bundesländer. 6 Nach der Wiedervereinigung 7 von Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik am 3. Oktober 1990 mußte in den neuen Bundesländern gesetzgeberisch schnell gehandelt werden, da das Polizeiaufgabengesetz der DDR (DDRPAG), welches von der Volkskammer noch kurz vor der Einigung im September verabschiedet wurde, nur bis zum Ende des Jahres 1991 in den neuen Bundesländern übergangsweise Gültigkeit hatte und dann durch eigene Landesgesetze abgelöst werden mußte. Bedingt durch diesen Zeitdruck von eineinviertel Jahren bot sich teilweise eine Übernahme der in den alten Bundesländern „erprobten und bewährten" Regelungen an. Dabei haben sicherlich auch die Länderpartnerschaften (z.B. Baden-Württemberg und Sachsen; Nordrhein-Westfalen und Brandenburg, sowie Rheinland-Pfalz und Thüringen) eine Rolle gespielt.8 In späterer Zeit sollte dann das oben genannte, im Anschluß verabschiedete Polizeigesetz von Sachsen, in der Fassung des Änderungsgesetzes von 1994, als eines der fortschrittlichsten Regelwerke gelten, in dem der Polizei neue umfangreiche Kompetenzen gerade im Bereich der Vorfeldermittlung, Ausspähen von Wohnungen auch bei Verdachtsmomenten, eingeräumt werden sollten. Ob ein derart weitgehendes Gesetz nun auch nach dem Leipziger Urteilsspruch fur die Zukunft Beispielsfunktion haben kann, muß noch abgewartet werden. Die Bundesländer Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt planten zumindest vergleichbare Gesetze bzw. hatten diese in der Zwischenzeit schon verabschiedet.9 Als Grundlage fur die heutigen Polizeigesetze der Länder gilt aber im Kern noch der Musterentwurf eines Polizeigesetzes (MEPolG) aus den Jahren 1976/1977, welcher im Wege einer freiwilligen Selbstkoordination der Länder zur Vereinheitlichung ihrer Polizeigesetze erging. 10 Dabei wurden unter 6 7
Vorwort zu Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl. 1996. Vergi, dazu auch Kutscha in NJ 1994 S. 545 ff.; Knemeyer/Müller in NVwZ 1993
S. 437 ff.; Riegel in L K V 1993 S. 1 ff. 8
So Knemeyer/Müller in NVwZ 1993 S. 441, die davon sprechen, daß dieser Einfluß deutlich zu spüren ist; ebenso Riegel in LKV 1993 S. 1. 9 Vergi. GVB1. I Brandenburg 1996 (vom 21. März 1996) S. 74 ff., insbesondere S. 83 ff.; GVB1. Niedersachsen 1994 (vom 19. April 1994) S. 172 ff., insbesondere S. 181 ff.; GVB1. Niedersachsen 1996 (vom 20. Mai 1996) S. 230 f.; dazu auch Waechter in NdsVBl. 1996 S. 197 ff.; GVB1. Sachsen-Anhalt 1996 (vom 2. Januar 1996) S. 2 ff. Alle drei Bundesländer haben die gesetzliche Höchstdauer für den polizeirechtlichen Gewahrsam durch Gesetzesänderung im Jahre 1996 auf vier Tage festgesetzt bzw. erhöht. 10 Der Text dieses Gesetzesentwurfs wurde von der Innenministerkonferenz am 25. November 1977 beschlossen. Einen Vergleich des Musterentwurfs und des Alternativentwurfs des Arbeitskreises Polizeirecht aus dem Jahre 1979 bietet Riegel in DVB1. 1979 S. 709 ff. 2 Stoermer
18
Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
anderem die polizeilichen Standardmaßnahmen geregelt 11, zu denen der Gewahrsam als eine der klassischen Standardmaßnahmen neben der Durchsuchung von Wohnungen, Sachen und Personen sowie der Sicherstellung gehört.
b) Allgemeines zu den Gewahrsamsvorschriften Die Ursprungsregelung des Gewahrsams findet sich in § 15 des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes (PreußPVG) von 1931, bei dem noch von der „polizeilichen Verwahrung" gesprochen wurde. 12 Diese Vorschrift enthielt bereits einige Elemente, welche in den heutigen Regelungen verfeinert weitergeführt wurden, so den Schutz- und Sicherheitsgewahrsam, die in § 15 PreußPVG noch sehr kurz und knapp geregelt wurden. Trotz des Musterentwurfs sind die Gewahrsamsvorschriften auch heute noch in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich ausgestaltet.13 Einige Länder regeln den Gewahrsam in einer
11
12
Boldt in Lisken/Denninger,
A Rn. 86.
Der Wortlaut der Vorschrift ist im Anhang abgedruckt. 13 Die gesetzlichen Regelungen zum Gewahrsam (Stand: Juli/1997) finden sich in den §§ bzw. Art.: Bundesrepublik Deutschland: §§ 39-42 des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz, (BGSG) von 1972. Baden-Württemberg: § 28 des Polizeigesetzes für Baden-Württemberg, (Ba-WüPolG) von 1992/1996. Bayern: Art. 17-20 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei, (Polizeiaufgabengesetz), (BayPAG) von 1990. Berlin: §§ 30-33 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für Berlin, (BerlASOG) von 1992. Brandenburg: §§ 17-20 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei im Land Brandenburg, (BbgPolG) von 1996. Bremen: §§ 15-18 des Bremischen Polizeigesetzes, (BremPolG) von 1983. Hamburg: §§ 13-13 c des Hamburgischen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, (HambSOG) von 1966/1991/1996. Hessen: §§ 32-35 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, (HessSOG) von 1994. Mecklenburg-Vorpommern: §§ 55-56 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern, (SOGMV) von 1992. Niedersachsen: §§ 18-21 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes, (NGefAG) von 1994/1996. Nordrhein-Westfalen: §§ 35-38 des Nordrhein-Westfälischen Polizeigesetzes, (NWPolG) von 1990. Rheinland-Pfalz: §§ 14-17 des Rheinland-Pfälzischen Polizei- und Ordnungsgesetzes, (RhPfPOG) von Ì993. Saarland: §§ 13-16 des Saarländischen Polizeigesetzes, (SPolG) von 1989. Sachsen: §§22 des Polizeigesetzes des Freistaats Sachsen, (SächsPolG) von 1994.
I. Polizeigesetze und Polizeigewahrsam
19
Norm 1 4 , andere wiederum teilen das Regelwerk in verschiedene Komplexe wie Eingriffsnorm, richterliche Entscheidung, Behandlung festgehaltener Personen und Dauer der Freiheitsentziehung auf. 15 Unterschiede gibt es aber auch in den einzelnen Regelungspunkten. So ist zwar der Schutzgewahrsam zum Schutz einer Person gegen Gefahren für Leib und Leben in allen Gesetzen gleichermaßen berücksichtigt, jedoch unterscheiden sich die Gesetze schon bei den übrigen Eingriffsermächtigungen. Bei dem sogenannten Sicherheits- oder Unterbindungsgewahrsam gehen die Gesetze mehrheitlich von einer unmittelbar bevorstehenden Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit aus.16 Einige modernere Gesetze17 geben den Polizeibeamten gleichzeitig einen Katalog von Fallkonstellationen an die Hand, bei deren Vorliegen in der Regel von einer bevorstehenden Begehung derartiger Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ausgegangen werden kann. In diesen Katalogen wird von mitgeführten eindeutigen Transparenten oder Flugblättern, von Waffen und sonstigen typischen Gegenständen oder der Störervergangenheit entsprechender Personen gesprochen. Daneben sind die Möglichkeiten der Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung einer Platzverweisung 18 sowie zum Zwecke der Identitätsfeststellung 19 nicht in
Sachsen-Anhalt: §§ 37-40 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Ànhalt, (SOG LSA) von 1996. Schleswig-Holstein: §§ 204-205 des Landesverwaltungsgesetzes für SchleswigHolstein, (SHLVwG) von Ì992. Thüringen: §§ 19-22 des Thüringer Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei, (ThürPAG) von 1992. Anmerkung: Der genaue Wortlaut der Vorschriften wird im Anhang wiedergegeben. Im weiteren Verlauf der Ausführungen wird in Zitaten und Fußnoten nur die Kurzbezeichnung der Vorschrift wiedergegeben, z.B. BayPAG. 14 So z.B. Baden-Württemberg, Sachsen. 15 So die übrigen Bundesländer. 16 Baden-Württemberg bleibt bei einer erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung; Sachsen spricht nur (noch) von einer erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit. 17 Die Bundesländer Bayern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verwenden einen solchen Eingriffskatalog. Neuerdings hat auch Hamburg eines der drei Regelbeispiele übernommen. 18 Baden-Württemberg und das Saarland verzichten hierauf. 19 Diese Möglichkeit ist explizit nur in Baden-Württemberg und Sachsen geregelt, wobei in den übrigen Bundesländern teilweise im Umkehrschluß nur die maximale Dauer einer Freiheitsentziehung zum Zwecke der Identitätsfeststellung (Sistierung) oder einer Vorladung gegenüber der Freiheitsentziehung des normalen Gewahrsams stark eingeschränkt ist. Die Zeitspanne schwankt von sechs Stunden in Niedersachsen bis zwei Wochen in Bayern. In diesen Fällen sind „Festhalten" im Sinne der Identitätsfeststellung/Vorladung und Gewahrsam als Freiheitsentziehungen quasi äquivalent; der
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Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
allen Ländergesetzen explizit aufgeführt. Zusätzlich gibt es Unterschiede bei der Gewahrsamsdauer. Gerade in diesem Punkt hat sich die Diskussion nach den Gesetzgebungsnovellen in Bayern 1989 20 und Sachsen 199421 entfacht, nachdem der mögliche Zeitrahmen von den vormals üblichen „maximal 48 Stunden" 22 auf nunmehr zwei Wochen ausgeweitet wurde. Beide Bundesländer hatten sich dabei an die bereits länger bestehende Rechtslage in BadenWürttemberg angelehnt.23 Zwischen diesen beide zeitlichen Eckwerten liegt derzeit Thüringen mit einer Höchstdauer von zehn Tagen und Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt mit vier Tagen. Hinsichtlich der übrigen Regelungen des Gewahrsams in den Bereichen der richterlichen Entscheidung und der Behandlung festgehaltener Personen ergeben sich ebenfalls landesspezifische Unterschiede, die zum Teil die Zuständigkeit der Gerichte und die Ausgestaltung des Verfahrens betreffen. Die an dieser Stelle aufgeführten Beispiele sollen nur gestrafft verdeutlichen, daß die Bundesländer aufgrund ihrer Gesetzgebungskompetenz vielfach vergleichbare Regelwerke geschaffen haben, diese sich jedoch auch in einigen nicht nur unerheblichen Punkten unterscheiden und somit immer wieder Anlaß zu Diskussionen gegeben haben. Gleichzeitig kann auch aus einem Vergleich der Normen ersehen werden, daß einige Gesetze anderen Ländern als Muster für ihre eigene Landesgesetzgebung gedient haben müssen.24
3. Der Gewahrsam als Standardmaßnahme Die Aufgabenzuweisung der Polizeigesetze bestimmt sich nach dem Verhältnis von Spezialität zu Generalität und beinhaltet die allgemeinen Generalklauseln und die spezielleren Standardmaßnahmen. Wie oben angedeutet, ist der polizeirechtliche Gewahrsam in allen Bundesländern im Katalog der Stan-
Unterschied besteht nur darin, daß bei einem Gewahrsam die Freiheitsentziehung das eigentliche Ziel der Maßnahme ist und keinem anderen Zweck (wie der Identitätsfeststellung) untergeordnet ist; vergi, dazu auch Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 276 und 277. 20 BayLT-Ds. 11/9078. 21 SächsLT-Ds. 1/4095. 22 Von denen heute noch die meisten Bundesländer ausgehen; vergi, dazu Kapitel XIII. 23 Dieser zweiwöchige Gewahrsam existiert in Baden-Württemberg bereits seit 1956 und wurde nie Gegenstand einer (landes-)verfassungsgerichtlichen Entscheidung. Aus den Gesetzgebungsmaterialien der damaligen Zeit ergeben sich auch keine Anhaltspunkte, daß die Zeitdauer Gegenstand einer kontroversen Diskussion im Landtag gewesen wäre; vergi, hierzu BaWüLT-Ds. 1/3084, 3873, 3936. 24 So sind gerade die Gesetze der neuen Bundesländer sehr stark an dem bayerischen Gesetz orientiert.
I. Polizeigesetze und Polizeigewahrsam
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dardmaßnahmen 25 mehr oder weniger detailliert ausgestaltet. Aus dem Begriff „Standardmaßnahme" läßt sich ableiten, daß es sich um eine derart häufige Maßnahme im polizeilichen Alltag handeln muß, daß die Gesetzgeber hierfür eine abschließende spezialgesetzliche Regelung getroffen haben.26 Der Begriff der Standardmaßnahme bedeutet aber auch, daß hinsichtlich dieser speziellen Eingriffskonstellation nicht auf die allgemeine polizeirechtliche Generalklausel zurückgegriffen werden darf, da die allgemeine Gefahrdungsklausel der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Grenzen für einen solch starken Grundrechtseingriff zu wenig einengen bzw. verwischen könnte und sich auf zu viele Fälle anwenden ließe. 28 Demzufolge kann nur bei Vorliegen der spezifischen Eingriffsvoraussetzungen des Gewahrsams zu dieser Maßnahme gegriffen werden und nicht aus allgemein polizeirechtlichen Präventiverwägungen. Der Trend zu speziell geregelten Standardmaßnahmen hat sich in den letzten Jahren besonders durch die Regelungen zur Datenerhebung und Datenverarbeitung 29 gezeigt, die als Folge des „Volkszählungsurteils" aus dem Jahre 198330 erlassen wurden. Grund für diesen verstärkten Normerlaß im Anschluß an dieses Urteil waren die vom Bundesverfassungsgericht gerügten Verfassungsgrundsätze des Gesetzesvorbehalts, der Normenklarheit und der Verhältnismäßigkeit, die in dem damaligen Volkszählungsgesetz nicht ausreichend berücksichtigt waren. Die Abgrenzung von Standardmaßnahmen zur Generalklausel 25
Zu den Standardmaßnahmen allgemein vergi. Erichsen in Jura 1993 S. 45 ff.
26
Schenke in Steiner, Rn. 21, 77.
27 Die Rechtmäßigkeit der Generalklausel, die es in dieser Gestalt schon in § 14 I des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes von 1931 gab, ist seit dem Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Januar 1931 (PreußOVG, Bd. 87, Entscheidung Nr. 60 S. 289 ff.) anerkannt. Eine generalklauselartige Regelung in § 10 II 17 des Preußischen Allgemeinen Landrechts ist als rechtmäßig anerkannt seit dem „Kreuzbergurteil" von 1882. Die polizeiliche Generalklausel enthielt früher neben der heute meist noch üblichen Gefahrenabwehr hinsichtlich der Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als dritten Schutzbereich die „Wohlfahrt". Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtmäßigkeit von Generalklauseln: BVerfGE 10 S. 309, 323, sowie in einer neueren Entscheidung BVerfGE 84 S. 206 wird die Generalklausel, hier des Polizeigesetzes von Baden-Württemberg, der §§ 1,3 zugrundegelegt. Auch BVerfGE 35 S. 382, 400; BVerfGE 49 S. 89, 133 f. Die Rechtmäßigkeit der Generalklausel wird damit begründet, daß sich in der über zweihundertjährigen Entwicklung Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend präzisiert und verfestigt haben. 28 Auf das Verhältnis Generalklausel zu Standardmaßnahme soll noch im weiteren Verlauf der Arbeit eingegangen werden, wenn es um die Voraussetzungen für die verschiedenen Gewahrsamsformen geht. 29 Vergi, dazu im Überblick Peitsch in ZRP 1992 S. 127 ff.; sehr ausführlich in Form einer Kurzkommentierung der polizeilichen Datenerhebung und Datenverarbeitung Heckmann in VB1BW 1992 S. 164 ff., 203 ff. 30 BVerfGE 65 S. 1 ff.
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Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
begründet sich daher hauptsächlich damit, daß es sich insgesamt um besonders schwerwiegende Eingriffe gegenüber den betroffenen Personen handelt und der Parlamentsvorbehalt in diesen Fällen zur Vermeidung von Mißbräuchen Gesetze oder Normen verlangt, die die Voraussetzungen und Grenzen dieser Eingriffe so exakt wie möglich festlegen. 31 Trotzdem stellen Generalklauseln ein unverzichtbares Element in den Polizeigesetzen dar, da Einzelmaßnahmen gar nicht die Fülle der sich im Alltag ergebenden Fallkonstellationen erfassen können, so daß immer wieder ein Rückgriff auf Generalklauseln nötig sein wird, um auch diesen Problemen gerecht zu werden. 32
4. Grundrechtsbeschränkungen bzw. -eingriffe durch die Ingewahrsamnahme Der Polizeigewahrsam greift primär in das Grundrecht der Freiheit der Person ein, welches durch Art. 2 II S. 2 GG gewährleistet ist. 33 Die Freiheit der Person gilt aber nicht uneingeschränkt, da Art. 2 II S. 3 GG bestimmt, daß in dieses Grundrecht durch ein Gesetz eingegriffen werden darf. Die Polizeigesetze stellen mit ihren Gewahrsamsvorschriften solche einschränkende Gesetze dar und nennen diese Möglichkeit auch aufgrund des Zitiergebotes gem. Art. 19 I S. 2 GG ausdrücklich. Art. 104 GG hat zwar den gleichen Schutzbereich 34 wie Art. 2 I I S. 2 GG, fungiert aber auch gleichzeitig, wegen seinen form- und verfahrensrechtlichen Anforderungen an eine Freiheitsentziehung, als qualifizierter Gesetzes vorbehält, der Art. 2 II S. 3 GG insoweit als lex spezialis verdrängt. 35 Auf die Einzelheiten zu Art. 104 II GG wird im dritten Teil, dort in Kapitel XI, einzugehen sein. Neben der Freiheit der Person sind auch noch Eingriffe in die Grundrechte der Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG und der Freizügigkeit gem. Art. 11 GG denkbar. Diese Grundrechtsbezüge werden im weiteren Verlauf der Ausführungen bei dem sogenannten „Verbringungsgewahrsam" und dem Verhältnis des Polizeirechts zum spezielleren Versammlungsrecht im zweiten Teil in den Kapiteln VI, V I I und V I I I dargestellt. 31
Vergi. Friaufìn
Schmidt-Aßmann, Rn. 23 ff.; auch Riegel in DVB1. 1979 S. 709 in
einer Stellungnahme zum Musterentwurf. 32 Dieser Ansicht ist auch Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 2 I GG Rn. 80. 33 Näheres zum Schutzbereich dieser Verfassungsnorm vergi. Pieroth/Schlink, Rn. 453 ff.; Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, 34
Art. 2 I I GG Rn. 49 ff.
Die verschiedenen Standorte beider Grundrechte am Anfang bzw. fast am Ende des Grundgesetzes resultieren aus der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, da Art. 104 GG an das englische Verfassungsrecht, die Habeas-corpus-Akte von 1679 anknüpft, wonach Freiheitsentziehungen nur durch einen Richter angeordnet werden dürfen. Daher ist Art. 104 GG bei den Rechtsprechungsvorschriften eingefügt worden. 35
Pieroth/Schlink,
Rn. 459.
I. Polizeigesetze und Polizeigewahrsam
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5. Zuständigkeit für die Ingewahrsamnahme Für die Anordnung und Durchführung des polizeirechtlichen Gewahrsams sind in der Regel die Polizeibehörden bzw. der Polizeivollzugsdienst zuständig. 3 6 Unterschiede hinsichtlich dieser Zuständigkeit ergeben sich bei der grundsätzlichen Unterteilung der Polizeigesetze in die Bundesländer, die das Einheitssystem (Baden-Württemberg, Bremen, Saarland und Sachsen) und diejenigen, die das Trennungssystem, wie die übrigen zwölf Bundesländer, eingeführt haben. 37 Bei dem Einheitssystem fällt unter den Begriff „Polizei" die Verwaltungspolizei („Schreibtischpolizei") und der Polizeivollzugsdienst. Wenn daher die Bundesländer mit dem Einheitssystem schlicht von der Zuständigkeit „der Polizei" sprechen, ist damit zunächst immer die Verbindung von Verwaltungs- und Vollzugspolizei insgesamt gemeint. Beim Trennungssystem wird zwischen Verwaltungs(Ordnungs)behörden und Polizeibehörden (Polizeivollzugsdienst) gleich bei den Zuständigkeiten differenziert. Einige Eingriffsermächtigungen der Polizeigesetze nach dem Trennungssystem können nämlich von Polizei- 38 und Ordnungsbehörden 39 gleichermaßen angewandt werden, die klassischen Standardmaßnahmen vornehmlich nur von den Polizeibehörden. 40 Baden-Württemberg, Saarland und Sachsen regeln insoweit aber auch eine partielle originäre Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes für einige polizeiliche Standardmaßnahmen, vor allem für den Gewahrsam. Im 36 Anders, trotz Trennungssystem, in Niedersachsen, wo nach § 18 I NGefAG Verwaltungsbehörden (Ordnungsbehörden) und Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen können; vergi, auch Saipa in Faber/Schneider, S. 354; Ipsen, NGefAR Rn. 366; Suckow, AllNdsRdGAb Rn. 71; Schnupp, NdsSOG Vorwort. Vom Wortlaut der Vorschriften sind bei den Ländern mit dem Einheitssystem Baden-Württemberg, Bremen und Sachsen zumindest auch die Verwaltungs(polizei)behörden zuständig. Saarland beschränkt allerdings (als Land mit dem Einheitssystem) die Zuständigkeit hinsichtlich einer Ingewahrsamnahme auf seine Vollzugspolizei. Vergi, dazu auch die Entscheidung des BVerwG in NJW 1982 S. 536, in der das Gericht über eine von der Ausländerbehörde selbst durchgeführte, unrechtmäßige Ingewahrsamnahme zu befinden hatte. 37 Vergi, dazu Schenke in Steiner, Rn. 1 ff; 13 ff.; 15; Friauf in Schmidt-Aßmann,
Rn. 19 f f ; Lisken in Lisken/Denninger,
C Rn. 9; Würtenberger
in Achterberg/Püttner,
Rn. 49 ff, mit der Entwicklung, die sich durch die „Entpolizeilichung" der Gesetzeswerke nach dem Krieg eingestellt hat, auf die hier allerdings nicht näher eingegangen werden kann. So auch Ipsen, NGefAR Rn. 6 ff.; Denninger in Lisken/Denninger , E Rn. 177 a ff. 38 Polizeibehörden: Polizeipräsidien, Bereitschaftspolizei, Wasserschutzpolizei, Landeskriminalämter; also im weitesten Sinne das, was man unter uniformierter und nichtuniformierter Polizei im „Volksmund" versteht. 39 Ordnungsbehörden: Stadt-, Kreis-, Gemeindeverwaltungen; auch die „Landesmittelbehörden", wie Bezirksregierungen, Regierungspräsidien. 40 Anders bei Identitätsfeststellungen, Platzverweisungen, Sicherstellungen; hier können auch die Ordnungsbehörden tätig werden; vergi, auch Lisken in Lisken/Denninger, C Rn. 10.
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Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
Grundsatz sind eigentlich bei der Gefahrenabwehr zwar fur alle polizeilichen Maßnahmen die Verwaltungspolizei- bzw. Ordnungsbehörden zuständig,41 da dem Polizeivollzugsdienst nur sehr wenige originäre Zuständigkeiten42, wie z.B. die Überwachung des fließenden Verkehrs gem. § 44 II StVO, Durchführung von Verkehrskontrollen gem. § 36 V StVO, Sicherungsaufgaben aus dem Versammlungsgesetz, etc. verblieben sind. In vielen Fällen wird jedoch ohnehin primär der Polizeivollzugsdienst auftreten, da er zuerst vor Ort ist (Notfallzuständigkeit, Eilzuständigkeit) und die Ordnungsbehörden aufgrund ihrer personellen und materiellen Ausstattung nicht in der Lage sein werden, Maßnahmen zu vollziehen, da sie keine eigenen verwaltungs- oder ordnungsbehördlichen Vollzugskräfte besitzen43 (Vollzugshilfe der Polizei). Daneben liegt der Grund für diese mehrheitliche Zuständigkeitszuweisung an die Polizeibehörden (Polizeivollzugsdienst), abgesehen von den niedersächsischen Regelungen, in der großen Eingriffsintensität der Maßnahmen, die besondere Anforderungen an Ausbildung, Erfahrung und die richtige Einschätzung der jeweiligen polizeilichen Situation stellen. Die Vollzugspolizei, die sozusagen den Außendienst zu übernehmen hat, ist besser geschult und ausgebildet, um mit diesen Situationen zurechtzukommen. Hinzu kommt, daß für die Durchführung der Ingewahrsamnahme auch die Anwendung unmittelbaren Zwangs (Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, Hilfsmittel oder Waffen) erforderlich werden kann. 44 Der unmittelbare Zwang ist nach den Polizeigesetzen der Länder wegen der schwierigen praktischen Durchsetzung und Durchführung in der Regel den Polizeibehörden (Polizeivollzugsdienst) vorbehalten. 45
41 Vergi, dazu z.B. den Wortlaut von § 3 I des Thüringer Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Ordnungsbehörden: „Maßnahmen der Ordnungsbehörden nach diesem Gesetz haben Vorrang gegenüber Maßnahmen der Polizei." Vergi, auch Würten-
berger in Achterberg/Püttner, 42
Rn. 53.
Vergi, dazu Denninger in Lisken/Denninger,
terberg/Püttner,
E Rn. 187 ff; Würtenberger
in Ach-
Rn. 71.
43 Vergi, dazu Friauf in Schmidt-Aß mann, Rn. 154: „Die Ordnungsbehörden bilden im wesentlichen eine Schreibtischverwaltung, die die tatsächlichen Vorgänge nur aus einer gewissen Distanz heraus verfolgen kann...". Vergi, auch Denninger in Lisken/Denninger, E Rn. 170. Anders § 50 I NGefAG: „Die Verwaltungsbehörden vollziehen ihre Aufgaben grundsätzlich selbst." Aber § 51 I NGefAG: „Die Polizei leistet Vollzugshilfe, wenn unmittelbarer Zwang anzuwenden ist." Allein aus diesem Grund ist es m.E. wenig sinnvoll, den Verwaltungsbehörden die Zuständigkeit zu einer Ingewahrsamnahme neben der Polizei zu eröffnen. 44 So auch Denninger in Lisken/Denninger, E Rn. 170, 177 a ff. 45 Dafür spricht auch die ausführliche Reglementierung des unmittelbaren Zwangs in den Polizeigesetzen; vergi, auch § 25 I ME PolG, der die Vollzugshilfe der Polizei beim unmittelbaren Zwang regelt. Anders in Niedersachsen, vergi, oben, da nach den §§64 III, 69 VI und VIII NGefAG auch die Verwaltungsbehörden in gewissem Umfang un-
II. Der Gewahrsamsbegriff
25
II. Der Gewahrsamsbegriff Zunächst müssen einige grundlegende Eigenschaften und Merkmale des Polizeigewahrsams dargestellt werden, auf die in den nachfolgenden Ausführungen zurückzugreifen ist. An späterer Stelle, z.B. beim „Verbringungsgewahrsam" oder beim „Polizeikessel", wird nämlich die Entscheidung pro oder contra Gewahrsam mit den damit verbundenen rechtlichen Bewertungen und Konsequenzen entscheidend von einer exakten Begriffsbestimmung der Elemente des Gewahrsams abhängen.
1. Definition des Gewahrsams Der Gewahrsam stellt sich als hoheitliches Rechtsverhältnis dar, kraft dessen einer Person die Freiheit in der Weise entzogen wird, daß sie von der Polizei in einer dem polizeilichen Zweck entsprechenden Weise verwahrt und daran gehindert wird, sich fortzubegeben. 46 Sämtliche Definitionen bzw. Umschreibungen des Gewahrsamsbegriffs beinhalten die folgenden Merkmale: - eine Freiheitsentziehung, - in einer entsprechenden Weise oder an entsprechenden Orten durchgeführt sowie - zu polizeilichen, präventiven Zwecken, also im Sinne der Gefahrenabwehr.
mittelbaren Zwang (abgesehen von vollautomatischen Waffen) anwenden können; vergi, dazu Suckow, AllNdsRdGAb Rn. 39, 68 ff., 278. 46 Definition nach Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 271 mit weiteren Nachweisen. Gusy bezeichnet den Begriff des Gewahrsams als eine Freiheitsentziehung durch die Polizei aus präventiven Gründen; Gusy, PolR Rn. 244. Götz sieht hierin eine kurzfristige polizei- oder ordnungsbehördlich angeordnete Maßnahme; Götz, AllgPol- u.OrdR Rn. 288; so auch Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 1; Reiff/Wöhr le/ Wolf, § 28 BaWüPolG Rn. 1. Schenke sieht darin eine nicht nur ganz kurzfristige Verwahrung und die Hinderung, sich fortzubewegen; Schenke in Steiner, Rn. 96. Scholler/Schloer sieht darin eine vorübergehende allseitige Entziehung der Bewegungsfreiheit einer Person gegen oder ohne deren Einwilligung, Grundzüge des Pol- u. OrdR § 6 V 1. Pausch/Prillwitz verstehen hierunter die zwangsweise Übernahme einer Person in den Schutz und die Obhut der Polizeibehörde, Kap 3.2.22. Möller/Wilhelm sprechen vom Gewahrsam als jedes Festhalten zum Zwecke der Gefahrenabwehr (S. 113). Gewahrsam als Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 II GG: so Hoffmann-Riem in Hoffmann-Riem/Koch S. 245; Reichert/Ruder, Rn. 568. Andere Autoren wollen sich gar nicht auf eine Definition festlegen: so Knemeyer, Polu.OrdR Rn.147; Würtenberger/ H eckmann/ Rigger t, PolR Rn. 235.
26
Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund 2. Der Gewahrsam als Freiheitsentziehung
Im Kapitel I wurde bereits dargestellt, daß der Gewahrsam in das Freiheitsgrundrecht des Art. 2 II S. 2 GG eingreift. Der Schutzbereich dieses Grundrechtes wird durch Art. 104 GG näher präzisiert und zwei verschiedene Eingriffsformen in den Abs. I und II (Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung) unterschieden. Der polizeiliche Gewahrsam ist immer zugleich auch eine Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 II GG. 47 Diese Grundaussage ist die Ausgangsbasis für weitere Betrachtungen. Es können jedoch Abgrenzungsschwierigkeiten auftreten, ob sich eine polizeiliche Maßnahme schon oder nicht mehr als Gewahrsam einordnen läßt. Beispielsweise ist fraglich, ob das schlichte „Anhalten" einer Person zum Zwecke einer Personenfeststellung bereits als Gewahrsam/Freiheitsentziehung zu klassifizieren ist oder ob dazu noch weitere gewahrsamstypische Merkmale hinzutreten müssen. In solchen Zweifelsfällen muß daher unterschieden werden, ob lediglich eine Freiheitsbeschränkung im Sinne des Art. 104 I GG vorliegt oder bereits eine Freiheitsentziehung, die nach Art. 104 II GG eine richterliche Entscheidung erforderlich macht. Wesentlich ist für den Polizeigewahrsam daher die Möglichkeit, eine exakte Abgrenzung dieser beiden unterschiedlich starken Beeinträchtigungen des Freiheitsgrundrechtes aus Art. 2 II S. 2 GG zu finden. Eine Abgrenzung zwischen diesen „Gegenpolen" kann sich nach dem Zweck der polizeilichen Maßnahme, nach deren Intensität bzw. Dauer oder schließlich nach beiden Kriterien richten. Anmerkung: Bei dem nachfolgenden Beispiel der Personenfeststellung sei darauf hingewiesen, daß nur Baden-Württemberg und Sachsen einen Gewahrsam zur Feststellung der Identität kennen. Die anderen Bundesländer sprechen von einer Freiheitsentziehung zum Zwecke der Feststellung der Identität aufgrund ihrer Vorschriften zur Personenfeststellung/Identitätsfeststellung. Diese unterschiedliche Benennung hat aber für die grundsätzliche Unterscheidung Freiheitsbeschränkung/Freiheitsentziehung keine Relevanz.
47 Vergi, hierzu Schenke in Steiner, Rn. 96; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rn. 240; Samper/Honnacker, Art. 16 BayPAG Rn. 1; BVerfG in DÖV 1991 S. 288; ebenso in einer neueren Entscheidung des BVerfGE 83 S. 25, 30 ff, bei der es sich mit der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung einer Richterentscheidung nach Art. 104 II GG beschäftigt. Mißverständlich ist daher der Wortlaut der §§ 19 und 21 des NGefAG, die von Freiheitsentziehungen sprechen (vergi, dazu aber Fn. 57: Freiheitsbeschränkung als Oberbegriff).
II. Der Gewahrsamsbegriff
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a) Hauptzweck der Maßnahme oder nur Nebenfolge? Eine polizeiliche Maßnahme ist dann keine Freiheitsentziehung und somit kein Gewahrsam, wenn sie sich lediglich als sekundäre und kurzfristige Nebenfolge einer anderen Maßnahme darstellt. 48 Wird, bei dem vorgenannten Beispiel der Identitätsfeststellung, eine Person zum Zweck dieser Überprüfung nur kurz angehalten, kann dieses äußere Erscheinungsbild nicht als Gewahrsam/Freiheitsentziehung qualifiziert werden, da das „Anhalten und Festhalten" eine notwendige Begleiterscheinung der Personenfeststellung ist. Der Hauptzweck der Maßnahme liegt eindeutig in der Feststellung der Identität, ein kurzes Festhalten zu diesem Zweck ist keine Freiheitsentziehung nach Art. 104 II GG. Es kann jedoch in solchen Fällen Schnittstellen für einen Übergang zum Polizeigewahrsam/Freiheitsentziehung geben. Wenn eine Personenfeststellung in kurzer Zeit nicht möglich ist, zieht sich die Maßnahme so sehr in die Länge, daß das Festhalten der Person eine andere Qualität bzw. Intensität erlangt. In diesen Fällen müßte dann das polizeiliche Handeln aufgrund der Gewahrsamsvorschriften beurteilt werden. Ein zusätzliches Abgrenzungsmerkmal, neben dem Zweck der Maßnahme, kann somit die „Schwere" des Eingriffs, also dessen Intensität, sein.
b) Intensität und Dauer der Maßnahme Die Abgrenzung kann daher weiter über die Intensität der Maßnahme 49 , also die subjektive Belastung für den Einzelnen erfolgen. Da die Intensität als subjektive Empfindung schwer meßbar ist, kann mangels anderer geeigneter Kriterien, wie besonders belastende Umstände, auch die Zeitdauer als Abgren-
48
Rn. 3.
So auch BVerwG in NJW 1982 S. 537; und z.B. auch Roos, Rh-Pf POG § 14
49 BVerwG in NJW 1982 S. 537, eine Abgrenzung ist nach der Aussage des Gerichts nur gradueller Natur. (Der Fall beschäftigt sich mit der zwangsweisen Abschiebung eines Ausländers.); BGH in NJW 1982 S. 753 stellt wie oben das BVerwG auf die Schwere ab. (Der Fall beschäftigt sich mit der zwangsweisen Vorführung zu einer ärztlichen Untersuchung.) Auf S. 754 bietet die Abhandlung ein umfangreiches Quellenverzeichnis zum Streitstand; auch BVerfGE 61 S. 135, 136 spricht von der Schwere des Eingriffs. Das Gegenteil wird vertreten: von Kunig in v. Münch, zu Art. 104 GG Rn. 19; hier werden die Abgrenzungskriterien von der Gewichtung der Maßnahme und deren Dauer als unbrauchbar abgelehnt; sowie von Lisken in NJW 1982 S. 1268 f.; er geht davon aus, daß es völlig irrelevant sei, wie schwer die Maßnahme wiege, da einer „Gewichtung ohne Gewichtseinheit" jegliche rechtliche Grundlage fehle; daher müsse es einzig und allein auf eine Entscheidung Freiheitsentzug ja oder nein ankommen. Die „Schwere der Maßnahme" sei nicht meßbar, auch im Hinblick auf das wichtige Grundrecht der persönlichen Freiheit.
28
Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
zungskriterium 50 herangezogen werden. Denn eine ursprünglich anders intendierte Maßnahme kann zu einer Freiheitsentziehung fuhren, wenn sich die äußeren Umstände ändern. Wenn eine einfache Personenfeststellung nicht den gewünschten Erfolg hat, kann sich ein Gewahrsam/eine Freiheitsentziehung zum Zwecke der Identifizierung der Person anschließen, sobald eine solche Identifizierung intensivere Recherchen erfordert. Da sich die Maßnahme nun gegenüber der Personenfeststellung zeitlich in die Länge zieht 51 , ist der Aspekt dieser Zeitdauer ein geeignetes Mittel zur Abgrenzung von äußerlich gleichen Maßnahmen. 52 In beiden Fällen wurde zunächst die Freiheit einer Person zum Zwecke der Personenfeststellung beschränkt; im letztgenannten Fall hat dann aber die ursprüngliche Freiheitsbeschränkung durch die wachsende Zeitdauer an Intensität gewonnen und ist zur Freiheitsentziehung geworden, die nun rechtlich anders beurteilt werden muß. Eine allgemein gültige Aussage hinsichtlich der Grenzziehung bei der Intensität bzw. Zeitdauer ist allerdings nicht möglich; sie muß für jeden Einzelfall gesondert entschieden werden. Denkbar ist in dem genannten Beispielsfall allerdings ein Zeitraum von ein bis zwei Stunden. 53 Aus Gründen der Rechtssicherheit ist in den meisten Polizeigesetzen ein „Festhalten" zum Zwecke der Personenfeststellung als Freiheitsentziehung eingestuft und explizit auf maximal sechs bis zwölf Stunden beschränkt worden, weil der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine überlange Freiheitsentziehung (Gewahrsam) zu diesem Zwecke nicht rechtfertigen kann. Dieser Abgrenzungsansatz, der im weitesten Sinne an die „Schwere" des Eingriffs anknüpft, wird oftmals mit der gerichtlichen Überprüfung des Art. 104 II GG in Zusammenhang gebracht. Eine richterliche Entscheidung soll nach dieser Auffassung aufgrund des damit verbundenen Aufwandes nur für entsprechend „schwere" Eingriffe zur Verfügung stehen.54 Dabei wird aller-
50
So Gusy in NJW 1992 S. 458, der die Zeitdauer als brauchbares Abgrenzungskriterium, mangels anderer geeigneter Kriterien, befürwortet. 51
52
So Gusy in NJW 1992 S. 459.
Auch eine solche Betrachtungsweise wirft hinsichtlich eines erforderlichen Richterentscheides im Falle einer Freiheitsentziehung Schwierigkeiten auf, da die Zeitdauer in den wenigsten Fällen von vornherein prognostizierbar ist. Ein solches Unterscheidungskriterium ist daher nicht sehr brauchbar, wurde aber von der Rechtsprechung eingesetzt, so OLG Stuttgart in NJW 1980 S. 2029; BayObLG in NJW 1974 S. 425, 1621. Zur Frage, ob die Zeitdauer ein geeignetes Abgrenzungskriterium ist: Quellenverzeichnis NJW 1982 S. 754. 53 Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 275: Auszugehen ist von einem Anhaltspunkt von ca. zwei Stunden; Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 4 spricht von einer Grenze bei „etwa einer Stunde". 54 So auch BGH in NJW 1982 S. 756, der davon ausgeht, daß der Eingriff so schwerwiegend sein müsse, daß eine richterliche Überprüfung angebracht sei. Kritisch
II. Der Gewahrsamsbegriff
29
dings verkannt, daß eine Abgrenzung nicht von Seiten der Gerichte vorgenommen wird. Es ist vielmehr zunächst festzustellen, ob eine Freiheitsentziehung vorliegt; ist das der Fall, hat immer eine richterliche Entscheidung zu erfolgen. Es werden daneben auch noch andere Wege zur Abgrenzung eingeschlagen. So gibt es eine Differenzierung aufgrund des systematischen Zusammenhangs zwischen Art. 104 I I GG einerseits und Art. 2 II S. 2 GG andererseits. Zunächst wird anhand einer Prüfling des Art. 2 II S. 2 GG festgestellt, ob ein Eingriff in das Grundrecht der Freiheit einer Person vorliegt. 55 Wenn das gegeben ist, liegt immer eine Freiheitsentziehung vor, die eine richterliche Kontrolle nach sich zieht. Nach dieser Systematik würde aber auch eine Freiheitsbeschränkung zunächst eine richterliche Überprüfung nach sich ziehen, da auch sie Art. 2 I I S. 2 GG tangiert. Im Ergebnis werden Zweifelsfälle bei der Abgrenzung immer auf eine Einzelfallentscheidung hinauslaufen, die mit den oben genannten Kriterien des Zwecks der Maßnahme und der Eingriffsintensität ausreichend beurteilt werden kann. Man kann daher zweistufig vorgehen, indem man sich folgende Fragen stellt: 1. Die Grundfrage: Stand die Freiheitentziehung im Vordergrund des polizeilichen Handelns oder war sie nur der notwendige Nebeneffekt? Weitere Zweifelsfälle kann die Frage nach der Intensität der Maßnahme ausräumen: 2. War der Eingriff wirklich so schwerwiegend, auch von der zeitlichen Dimension, daß man von einer Freiheitsentziehung sprechen kann?
c) Abgrenzung der Freiheitsentziehung zur bloßen Freiheitsbeschränkung Maßgeblich für die Unterscheidung kann somit die Eingriffsintensität, das Gewicht der Maßnahme, deren Dauer und der Einzelfall 56 selbst sein. Die Freiheitsentziehung stellt sich dabei als äußerste Form der Freiheitsbeschränkung,
dazu Lisken in NJW 1982 S. 1268 in Reaktion auf den Beschluß des BGH; es komme vielmehr nur darauf an, ob eine Freiheitsentziehung vorliege oder nicht. 55 So vorgeschlagen von Gusy in NJW 1992 S. 459; bei dieser Ansicht wird allerdings auch mit Neben- und Hauptpflichten zum Erscheinen und Verbleiben als Abgrenzungsmethoden gearbeitet. Daher kommt diese Abgrenzungsvariante der vorgenannten Unterscheidungsmöglichkeit nach Haupt- und Nebenzweck sehr nahe. Es ergeben sich daher durch diese Ansicht keine grundlegenden Neuerungen, da „den Charakter einer Freiheitsentziehung nur solche Maßnahmen erlangen, die eine bestimmte Qualität aufweisen" (S. 460). 56 So Gusy, PolR Rn. 246 mit einigen Beispielsfällen.
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Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
sozusagen als deren Unterfall dar. 57 Wegen der großen praktischen Bedeutung der Unterscheidung, gerade im Hinblick auf die richterliche Entscheidung, muß jedoch eine möglichst genaue Trennlinie gezogen werden. Beide Begriffe lassen sich abschließend wie folgt darstellen: Eine Freiheitsbeschränkung liegt dann vor, wenn jemand gegen seinen Willen durch die öffentliche Gewalt daran gehindert wird, einen bestimmten, ihm an sich tatsächlich und rechtlich zugänglichen Ort oder Raum aufzusuchen und sich dort aufzuhalten. 58 Es liegt keine allseitige, sondern als Nebeneffekt einer polizeilichen Maßnahme nur eine partielle Beschränkung der Freiheit vor, die hinsichtlich der Intensität von untergeordneter Bedeutung ist. Eine Freiheitsentziehung liegt dagegen vor, wenn jemand gezielt gegen oder ohne seinen Willen durch die öffentliche Gewalt in einem bestimmten, eng umgrenzten örtlichen Bereich festgehalten wird. Es handelt sich um einen allseitigen Ausschluß der Bewegungsfreiheit 59 von entsprechend starker Intensität bzw. längerer Dauer.
3. Art und Weise bzw. Ort des Gewahrsams / enger und weiter Gewahrsamsbegriff Auch nach § 2 I des Freiheitsentziehungsgesetzes ist eine Maßnahme dann eine Freiheitsentziehung, wenn jemand ohne oder gegen seinen Willen durch die öffentliche Gewalt an einem bestimmten eng umgrenzten Raum festgehalten wird. 60 Zu diesem Definitionspunkt bestehen ebenfalls verschiedene An57 So auch Gusy in NJW 1992 S. 458; beide Formen sind kein Aliud, sondern stehen in einem Spezialitätsverhältnis. Er stellt auch gleichzeitig die Entscheidungen des BVerfG in Fußnote 13 auf der vorgenannten Seite dar, bei denen das Gericht Maßnahmen, die unstreitig Freiheitsentziehungen darstellen auch am Maßstab des Art. 104 I GG mißt, welcher zumindest nach dem Wortlaut die Vorschrift für die Freiheitsbeschränkung ist. Vertieft mit vielen Nachweisen auch Koschwitz, Diss. Göttingen S. 28 ff. So erklärt sich m.E. auch der „Sammelbegriff Freiheitsbeschränkung der §§ 19 und 21 NGefAG. 58 Zur Freiheitsbeschränkung: vergi, auch Ba-WüVGH in NVwZ 1984 S. 808 Nachsitzen eines Schülers. Definition so auch Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, zu Art. 104 GG Rn. 12. 59 Zur Freiheitsentziehung: sehr umfassend Gusy in NJW 1992 S. 459, in welchem sich der Autor mit dem Verhältnis der Freiheitsentziehung zum Grundgesetz auseinandersetzt. Definition so auch Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, zu Art. 104 GG Rn. 6. 60 Dieses Gesetz gilt nach § 1 nur für Freiheitsentziehungen, die nach Bundesrecht angeordnet wurden und stellt somit die Vorgabe des Art. 104 II S. 4 GG sicher, der die nähere verfahrensrechtliche Ausgestaltung durch Gesetz fordert. Als eng umgrenzte Räume hat der Gesetzgeber enumerativ die Justizvollzugsanstalt, den Haftraum, die Verwahranstalt, die Fürsorgeanstalt, die geschlossene Krankenanstalt oder einen ge-
II. Der Gewahrsamsbegriff
31
sichten, welche Anforderungen an den Ort des Gewahrsams zu stellen sind. Daraus haben sich zwei Betrachtungsweisen entwickelt, deren Ansatzpunkte von einem engen und einem weiten Gewahrsamsbegriff ausgehen und so zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.61 Nach dem engen Begriff ist der Gewahrsam nur dann als eine Freiheitsentziehung anzusehen, wenn die betroffene Person in eine eigens dafür bestimmte Gewahrsamseinrichtung wie Gefängnis oder Gewahrsamszelle gebracht wird. 6 2 Dieser Begriff knüpft an feste räumliche Begebenheiten an, die die Fortbewegungsmöglichkeiten oder ganz schlicht die Fluchtmöglichkeiten durch physische Barrieren zu verhindern versuchen. Nach der weiten Begriffsbestimmung kommt eine Freiheitsentziehung auch in anderer Form, wie in Streifenwagen oder an anderen eng umgrenzten Orten in Betracht. 63 Entscheidend ist danach lediglich der Erfolg der Freiheitsentziehung. Der weite Gewahrsamsbegriff, bei dem jedes Festhalten an einem eng umgrenzten Raum zulässig ist, ist dabei vorzugswürdig, da sich aus dem Wortlaut der Normtexte nichts Gegenteiliges herleiten läßt und letztlich auch die polizeiliche Praxis hierfür spricht. Nach der Argumentation der Befürworter der engen Betrachtungsweise dürfte ein Gewahrsam dann nicht mehr möglich sein, wenn die Kapazitäten an Arresträumen aufgebraucht sind oder aus anderen Gründen, u.U. wegen zu großer räumlicher Entfernung, nicht erreichbar sind. In Extremsituationen wie Demonstrationen können solche Engpässe leicht auftreten. Es kann aber nicht im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr sein, wenn die Polizei in solchen Fällen darauf verzichten müßte, potentielle Störer in Gewahrsam zu nehmen und damit das Risiko von eskalierenden Gefahren
schlossenen Teil hiervon genannt. Nach Ansicht des Gesetzgebers sollte diese Aufzählung abschließend sein. Vergi, hierzu auch BT-Ds. 2/169, S. 8. In diesem Zusammenhang sei nur vermerkt, daß eine derartige enumerative Aufzählung nur für dieses Gesetz gelten kann, keineswegs sind diese aufgezählten Varianten so auf die Polizeigesetze im Hinblick auf mögliche Gewahrsamsformen zwingend anwendbar. 61 Eine große Rolle spielt diese Begriffseinteilung bei der Betrachtung des Verbringungsgewahrsams, der so als Standardmaßnahme in den Polizeigesetzen nicht geregelt ist. 62 Ausführlich zum engen Gewahrsamsbegriff, im Ergebnis aber nicht überzeugend: Maaß in VB1BW 1987 S. 287 f., der diese enge Sichtweise u.a. aus Art. 104 IV GG, der Benachrichtigungspflicht und der Art und Weise der Durchführung einer Ingewahrsamnahme herauslesen will, die eben bei einem Gewahrsam „auf einer Wiese auf der Schwäbischen Alb" nicht mehr in der verfassungsrechtlich erforderlichen Weise möglich sind. Dort sei aufgrund der Umstände keine „menschenwürdige Behandlung" möglich (S. 288). 63 Nach heute überwiegender Ansicht ist der weite Gewahrsamsbegriff vorherrschend, da sich die enge Begriffsauslegung auch nicht mit dem Gesetzeswortlaut begründen läßt. So sagen Heise/Tegtmeyer, § 35 NW PolG Rn. 1: „Gewahrsam ist nicht nur das Verbringen in einen Arrestraum, Gewahrsam ist vielmehr jedes Festhalten zum Zwecke der Gefahrenabwehr, soweit nicht Sondervorschriften zu beachten sind."
32
Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
ohnmächtig zu akzeptieren hätte. Eine solche Situation kann von den Befürwortern der engen Betrachtungsweise nicht ernsthaft gewollt sein. 64 Demzufolge müssen auch andere geeignete Möglichkeiten für die Ingewahrsamnahme zulässig sein, wie das Festhalten in einem Streifenwagen, das Festhalten außerhalb von festen Gebäuden, das Festhalten in der Dienststelle, etc. Diese Sichtweise liegt ebenfalls näher an der polizeilichen Realität, da es auch nicht immer nach der Natur des Betroffenen notwendig ist, diesen im weitesten Sinne „einzusperren", was der enge Gewahrsamsbegriff eigentlich streng genommen fordert. Demnach können auch psychische Barrieren einen Gewahrsam begründen. Ein Grenzfall könnte der „Polizeikessel" sein, auf dessen Rechtmäßigkeit im zweiten Teil, dort im Kapitel VII, noch einzugehen ist.
4. Der polizeiliche, präventive Zweck des Gewahrsams Der polizeirechtliche Gewahrsam ist immer ein Mittel der Gefahrenabwehr und hat damit präventiven Charakter. Im Gegensatz dazu sind die Freiheitsentziehungen der Strafprozeßordnung (StPO) und des Strafgesetzbuches (StGB) repressiv, da sie Mittel der Sicherung der Strafverfolgung und der Strafverfolgung selbst darstellen. Hier sind zu nennen: 1. §§ 112- 126 StPO Verhaftung wegen Flucht-,Verdunklungs-, und Wiederholungsgefahr. 2. § 126 a StPO einstweilige Unterbringung bei Vorliegen der Voraussetzungen von §§ 20, 21 StGB bei Begehen der rechtswidrigen Tat und der wahrscheinlichen späteren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus durch das Gericht. 3. §§ 127 - 129 StPO (Festnahme zum Zwecke der „Strafverfolgung") vorläufige Festnahme, das allgemeine Festnahmerecht zur Verhinderung von Flucht oder Nichtfeststellbarkeit der Identität sowie nach § 127 II StPO fur Staatsanwaltschaft und Polizei, wenn die Voraussetzungen eines Haft- oder Unterbringungsbefehls vorliegen.
64
Vergi, dazu: OVG Münster in NJW 1980 S. 138, 139 (Gewahrsam im Polizeipräsidium); VG Bremen in NVwZ 1986 S. 862 (Gewahrsam in einem Streifenwagen); OVG Bremen in NVwZ 1987 S. 235, 237, als Berufungsentscheidung zu VG Bremen in NVwZ 1986 S. 862, bezieht letztlich aber keine Stellung, sondern wirft nur Fragen auf und beantwortet sie nicht; BVerwG in NJW 1982 S. 537 (Abschiebung eines Ausländers); a.A. Roscher in BWVPr. 1981 S. 61, 64; Maaß in NVwZ 1985 S. 151 und VB1BW 1987 S. 287 f.; diese beiden Autoren halten daher auch den Verbringungsgewahrsam fur schlichtweg rechtswidrig.
II. Der Gewahrsamsbegriff
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4. § 163 c StPO Freiheitsentziehung zur Feststellung der Identität. 5. §§ 38 - 39 StGB i.V.m. §§ 449 ff. StPO Vollstreckung der Freiheitsstrafe aufgrund rechtskräftiger Strafurteile. 6. §§ 63 ff. StGB Freiheitsentziehende Maßregeln wie Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, in einer Entziehungsanstalt sowie der Sicherungsverwahrung.
Die Schnittstellen zur Strafprozeßordnung werden an den jeweiligen Bezugspunkten im Verlauf der weiteren Ausführungen jeweils genauer dargestellt.
5. Beispiele anderer Bundes- und Ländergesetze, nach denen eine Freiheitsentziehung möglich ist Daneben gestatten beispielsweise noch folgende Gesetze Freiheitsentziehungen: 1. § 57 Ausländergesetz - Abschiebehaft. 2. § 37 Bundesseuchengesetz - Absonderung und Anstaltsunterbringung. 3. §§ 17, 22 Wehrdisziplinarordnung - vorläufige Festnahme, Disziplinararrest. 4. § 1 Jugendschutzgesetz - Obhut des Jugendamtes. 5. §§ 18 II, 19 Geschlechtskrankengesetz - Festnahme von Geschlechtskranken und Krankheitsverdächtigen. 6. § 1 des Ba-Wü Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker - Anstaltsunterbringung; entsprechend die anderen Landesunterbringungsgesetze. 7. § 42 III des Ba-Wü Kinder- und Jugendhilfegesetzes - Obhut des Jugendamtes.
3 Stoermer
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Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
III. Statistischer Hintergrund, Kriminalitätsentwicklung, Notwendigkeit (neuerer) verschärfter Polizeirechtsvorschriften? 1. Kriminalitätsentwicklung, im besonderen dargestellt am Beispiel der Bundesländer (Freistaaten) Bayern und Sachsen Die Polizeigesetze sind in den letzten Jahren laut den Gesetzgebungsinitiativen durch verschiedene Änderungsgesetze oder Neuverabschiedungen an die Erfordernisse der Kriminalitätsentwicklung in der jüngsten Vergangenheit 65 angepaßt worden. Weil in Bayern und Sachsen die auffallendsten gesetzlichen Veränderungen, auch im Hinblick auf die Verschärfung der Gewahrsamsvorschriften, stattgefunden haben, sollen diese beiden Bundesländer (Freistaaten) neben der gesamtdeutschen Entwicklung beispielhaft betrachtet werden.
a) Allgemeine Kriminalitätsentwicklung im Bundesgebiet Dieser Abschnitt soll eine kurze Übersicht über die Kriminalitätentwicklung in den letzten 15 Jahren geben und anhand einiger ausgesuchter Deliktsgruppen erläutern. 66 Dabei soll zunächst die Entwicklung in ganz Deutschland betrachtet werden und im Anschluß daran auf die beiden genannten Bundesländer eingegangen und untersucht werden, ob die Kriminalitätsentwicklung die Verschärfung der dortigen Landesgesetze gerechtfertigt hat. Hinsichtlich der hier dargestellten Zahlen ist zu beachten, daß eine halbwegs zuverlässige Betrachtung nur
65
Einen guten Überblick über die „ältere" Entwicklung des Polizeirechts in Deutschland bietet Frotscher in DVB1. 1976 S. 695 f. in dem ersten Kapitel „500 Jahre staatliche Gefahrenabwehr". 66 Das statistische Material hierzu ist den amtlichen Veröffentlichungen des Bundeskriminalamtes sowie des Presse- und Informationsdienstes der Bundesregierung entnommen worden. Grundlage hierfür bilden: (PKS = Polizeiliche Kriminalstatistik) Die BKA Statistik PKS Zeitreihen: „Entwicklung der polizeilich registrierten Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland bis 1995", Stand: 1996. Die BKA Statistik PKS Zeitreihen: „Tatverdächtige ohne deutsche Staatsangehörigkeit bis 1995", Stand: 1996. Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung: „Die Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland." Bulletin: Nr. 39/S. 329 ff. vom 28. April 1989, Nr. 50/S. 437 ff. vom 30. Mai 1994, Nr. 37/S. 369 ff. vom 10. Mai 1996. Polizeiliche Kriminalstatistik für den Freistaat Bayern, Stand: 1995. Polizeiliche Kriminalstatistik des Freistaates Sachsen, Stand: 1995.
III. Statistischer Hintergrund, neuere Entwicklung in der Gesetzgebung
35
für die alten Bundesländer möglich ist, da durch das Bundeskriminalamt in den einschlägigen Statistiken die Entwicklung teilweise seit den fünfziger Jahren beobachtet wurde. Eine zuverlässige Aussage hinsichtlich der neuen Bundesländer ist aufgrund der kurzen Zeitspanne nach der Wiedervereinigung nicht möglich, da Zahlen für das Bundesgebiet nach dem 3. Oktober 1990 erst ab dem Jahr 1993 zur Verfügung stehen. Daher soll in den dargestellten Graphiken auch primär die Entwicklung in den alten Bundesländern seit 1980 betrachtet werden und in einer Annexgraphik zusätzlich auch fur das gesamte Bundesgebiet seit 1993. (Diese Zahlen sind für die Jahre 1993 - 1995 jeweils abgesetzt im oberen Bereich der Diagramme dargestellt.) Dabei ist zusätzlich noch zu berücksichtigen, daß die statistische Auswertung für das Bundesgebiet die Zahlen für Gesamtberlin bereits ab dem Jahr 1991 hinzuaddiert, so daß sich hierdurch eine natürliche geringfügige Steigerung der Fälle bei allen Deliktsgruppen ab diesem Zeitpunkt einstellt. Die selbstgewählte zeitliche Anfangsgröße des Jahres 1980 deckt das zeitliche Vorfeld der Gesetzesinitiativen ausreichend ab, wenn z.B. in Bayern erst Ende 1989 reagiert wurde. Im Anschluß daran soll eine Interpretation für die Länder Bayern und Sachsen aufgrund der dortigen Entwicklung gesondert erfolgen, soweit hierzu ausreichend aussagekräftiges statistisches Material zur Verfügung steht. Ansonsten erfolgt eine Interpretation anhand eines statistischen Rückschlusses der Zahlen für Gesamtdeutschland auf Landesebene, da den PKS-Reihen67 vergleichbare, langfristige statistische Auswertungen auf Länderebene nicht überall und in allen Deliktsbereichen existieren. Die dortigen Landeskriminalämter leiten ihre Daten zur zentralen Auswertung in der Regel gleich an das Bundeskriminalamt weiter. Ein solcher Rückschluß ist auch deshalb möglich, da sich die BKAWerte aus der Gesamtaddition der Länderwerte ergeben und man von einer ungefähr durchschnittlich vergleichbaren Kriminalitätsrate in den Ländern, abge68
sehen von landesspezifischen Begebenheiten, ausgehen kann. Die Kriminalität insgesamt ist von 1970 bis 1995 in der Bundesrepublik Deutschland stetig gestiegen69, wobei die Steigerungsraten keine derart alarmierenden Größen erreichen, daß sofort drastische Gegenmaßnahmen gerechtfertigt wären. Eine Steigerung gerade in den letzten fünf Jahren ist allerdings deutlich ersichtlich, wie die nachfolgende Graphik verdeutlicht. 70
67
Vergi. Fn. 66. Eine Ausnahme bilden dabei allerdings länderspezifische Delikte, wie z.B. im Ausländer- und Asylbereich, die naturgemäß verstärkt an der deutschen Ostgrenze vorkommen. 69 Diese Betrachtung bezieht sich zunächst nur auf das Gebiet der alten Bundesländer vor dem 3.10.1990. 70 Vergi. PKS-Zeitreihen, S. 9. 68
36
Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
1980
1081
1982
1083
1084
1083
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1087
1088
1080
1000
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1003
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1005
Abb. 1 : Straftaten insgesamt in den alten Bundesländern; ab 1993 (abgesetzt) für das gesamte Bundesgebiet
b) Darstellung anhand einiger ausgewählter Deliktsgruppen Für eine Auswertung der Kriminalitätssteigerung ist eine Auswahl von Deliktsgruppen zu treffen, die für den polizeirechtlichen Gewahrsam besonders relevant sind. Aus den Gesetzgebungsmaterialien der Länder Bayern, hinsichtlich des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes 1989 71 , und Sachsen, hinsichtlich des Gesetzes zur Änderung des Polizeigesetzes 1994 72 , ist in den Diskussionen um die Änderung der Vorschriften besonders auf die Deliktsgruppen, die sich im Zusammenhang mit Massenveranstaltungen ergeben, eingegangen worden. So hat Bayern hauptsächlich auf Großdemonstrationen, wie um die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf und die „Widerstandstage" anläßlich des Todes von Rudolf Heß, Bezug genommen.73 Die Begründung der Gesetzesänderung in Bayern orientiert sich auch in erster Linie an den Erfordernissen, die sich aus diesen länger andauernden Massenansammlungen74 ergeben, bei denen die Handhabung der alten Gesetzeslage den neuen Begebenheiten und Entwicklungen nicht mehr gerecht wird. Eine vergleichbare Lage hat sich in der letzten Zeit auch bei den Ausschreitungen in 71
BayLT-Ds. 11/9078. SächsLT-Ds. 1/4095. 73 So die bayerische Begründung in der Problembeschreibung anläßlich der Gesetzesänderung. 74 Hinsichtlich polizeilicher Probleme bei sportlichen Großveranstaltungen vergi. Markert/Schmidbauer in BayVBl. 1993 S. 517 ff.: „Polizeirechtliche Probleme bei Sportgroßveranstaltungen". 72
III. Statistischer Hintergrund, neuere Entwicklung in der Gesetzgebung
37
Zusammenhang mit den sogenannten „Castor-Transporten" entwickelt, bei denen eine neue Situation neue Antworten erfordert. Mit den bisherigen polizeilichen Mitteln kann auch in diesen Castor-Fällen nicht angemessen reagiert werden. Hier müssen neue, möglicherweise auch länderübergreifende Lösungen gefunden werden. Die Begründung der veränderten Gesetzgebung des Landes Sachsen geht in vielen Punkten deutlich weiter. 75 Zwar wird dabei auch auf die gewalttätigen Demonstrationen und Ausschreitungen Rechts- und Linksradikaler eingegangen, weiterhin aber auch in Einzelheiten auf Delikte, die mit organisierter Bandenkriminalität 76 zusammenhängen sowie auch auf die Steigerung von Einwanderungsdelikten und täglicher Kleinkriminalität wie Diebstähle, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen.77 Die gesetzgeberischen Maßnahmen in Sachsen stellen sich daher nicht als Antwort auf einzelne Punkte, sondern auf die Gesamtsituation dar. In einem Überblick soll nun im besonderen die Entwicklung dieser ausdrücklich angesprochenen Deliktsgruppen 78 in den letzten 15 Jahren nach den oben genannten Kriterien zunächst auf Bundesebene betrachtet werden, um hieran feststellen zu können, ob verschärfte bzw. neue polizeiliche Eingriffsermächtigungen, wie in den Gesetzgebungsinitiativen vorgetragen wurde, anhand der statistischen Tatsachen berechtigt waren. Ein interessanter Straftatenbereich ist, neben den oben von den Ländern speziell genannten Deliktsbereichen auch die Umweltkriminalität, da diese Entwicklung für die Bewertung von polizeilichen Maßnahmen hinsichtlich Ordnungswidrigkeiten im Rahmen des Unterbindungsgewahrsams von besonderem Interesse ist, wie sich nachfolgend noch zeigen wird. 7 9
75
Dies hängt vor allem damit zusammen, daß hier ein völlig neues Gesetzeswerk geschaffen werden sollte. Der Gesetzesentwurf ging in vielen Fällen weit über das hinaus, was in den anderen Bundesländern bislang bekannt war. Eine Kurzzusammenfassung der wesentlichsten Veränderungen in: Der Spiegel, Heft 21/1996 vom 20.05.1996 als unmittelbare Reaktion auf das Urteil des SächsVGH, Az: Vf. 44-11-94. 76 Eine kritische Stellungnahme zur angeblichen Gefahr durch die organisierte Kriminalität von Hassemer in Strafverteidiger 1993 S. 664 ff.: „Innere Sicherheit im Rechtsstaat", indem der Autor zwischen der organisierten Kriminalität und der sprunghaft gestiegenen Massenkriminalität unterscheidet, vor der die Gesellschaft zu kapitulieren scheint. 77 Einzelheiten hierzu können den Wortprotokollen der drei Lesungen des neuen Polizeigesetzes in SächsLTDs. 1/4095 entnommen werden. 78 Gerade die Deliktsgruppen des Betruges, des Ladendiebstahls, der Sachbeschädigung, der Rauschgiftdelikte und der Gewaltkriminalität werden in der neusten BKAStatistik unter Punkt 2.3 unter den Straftaten mit erheblicher Zunahme verzeichnet. Es werden dabei Steigerungen von 4,2 % bis 19,7 % angegeben. 79 Im Bereich der Umweltkriminalität hat es in den letzten Jahren enorme Steigerungsraten gegeben, z.B. in Zusammenhang mit illegaler Abfallentsorgung.
38
Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
aa) Gewaltkriminalität
80
Dieser Sammelbegriff umfaßt schwerpunktmäßig die Delikte, die mit der organisierten Bandenkriminalität in Zusammenhang gebracht werden. Seit Anfang der achtziger Jahre ist diese Deliktsgruppe zunächst auf gleichbleibendem Niveau im Bereich von 100 - 110 tausend Fällen, steigt dann aber seit Anfang der neunziger Jahre stetig auf letztlich ca. 170 tausend erfaßte Fälle Ende 1995
Abb. 2: Gewaltkriminalität
Damit ließe sich ein gestiegener, präventiver Handlungsbedarf seit Anfang der neunziger Jahre begründen.
bb) Diebstahl, Betrug, leichte Körperverletzung,
Sachbeschädigung 1
Diese Delikte stellen den klassischen Bereich der leichteren Kriminalität dar. Sachsen hat sie in seiner Gesetzesbegründung ausdrücklich als Grund fur eine Verschärfung der Vorschriften angesprochen. Gerade die leichteren Formen der Körperverletzung und Sachbeschädigung eignen sich für eine Betrachtung
80
Dieser Sammelbegriff setzt sich in der BKA-Statistik aus den Deliktsgruppen Mord, § 211 StGB; Totschlag, § 212 StGB; Vergewaltigung, § 177 StGB; Raub, § 249 StBG und Erpressungsdelikte, §§ 253, 255 StGB; Geiselnahme, § 239 b StGB; sowie gefahrlicher und schwerer Körperverletzungsdelikte, §§ 223 a, 224 StGB und Körperverletzung mit tödlichem Ausgang gem. § 226 StGB zusammen; vergi. PKS-Zeitreihen, S. 10. 81 Vergi. PKS-Zeitreihen, S. 35, 43, 27, 48.
III. Statistischer Hintergrund, neuere Entwicklung in der Gesetzgebung
39
der Deliktsgruppen, die in Zusammenhang mit größeren Demonstrationen vorkommen können. 82 Diebstahl insgesamt, §§ 242, 243, 244, 247, 248 a-c StGB: Bei den Diebstahlsdelikten ist ein verhältnismäßig gleichbleibendes Mittel von 2,6 Millionen erfaßten Fällen in den Jahren 1980 - 1990 zu beobachten, welches sich 1991 deutlich auf über 3 Millionen Fälle erhöht und sich bis 1995 auf diesem höheren Niveau einpendelt.
Abb. 3: Diebstahl insgesamt
Betrug insgesamt, §§ 263, 264, 265, 265 a, 265 b StGB: Bei dieser Deliktsgruppe kann im Gegensatz zu den Diebstahlsdelikten von einer kontinuierlichen Steigerung bis 1990 von 250 - 400 tausend Fällen gesprochen werden, wobei ab 1990 dann jährlich eine Steigerungsrate von fast 10 % im Durchschnitt, bis 1995 auf fast 500 tausend Fälle zu verzeichnen ist.
82 Für die Deliktsgruppen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 StGB und der Fälle des Landfriedensbruchs gem. §§ 125, 125 a StGB besteht keine längerfristige Statistik des BKA, was im Hinblick auf den polizeirechtlichen Gewahrsam von besonderem Interesse wäre, da diese Konstellationen bei Demonstrationen immer wieder auftauchen und eine Verschärfung gerade dieser Standardmaßnahme begründen könnten. Hinsichtlich der Verschärfung der Gesetzeslage in Bayern sei jedoch vermerkt, daß diese Straftaten im Jahre 1988 gegenüber dem Jahre 1987 zurückgegangen sind.
40
Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
niiiimilil Abb. 4: Betrug insgesamt
1111 1M2 1·»] 1(14 1··< 1···StGB: 1M7 1*M 1··· 1tl0 liti Leichte1M0Körperverletzung, § 223
11(2 1«·) 1M4 1M6
Auch hier ergibt sich das gleiche Bild wie bei den obigen Deliktsgruppen mit einer Steigerung von 120 tausend Fällen Ende 1990 auf ca. 150 tausend Fälle Ende 1995.
mmiiHli Abb. 5: Körperverletzung
Sachbeschädigung, §§ 303, 305 StGB: 19·· Itti
1M2 1··3 1·Μ IMS IM« 1M7 1MI 19« 1ttt
Itti
1M2 1M3 19M 1M5
Bei der Sachbeschädigung ist eine kontinuierliche Steigerung von 400 tausend Fällen im Jahre 1990 auf ca. 500 tausend Fälle im Jahr 1995 zu beobach-
III. Statistischer Hintergrund, neuere Entwicklung in der Gesetzgebung
41
ten, ansonsten bestand dieselbe stetige Entwicklung in den achtziger Jahren wie bei den anderen Deliktsgruppen.
600000
a 400000 u. • 300000 200000
100000
llllllllllllliii 1982 19*3 19*4 1996 19M 1997 19M 191
Abb. 6: Sachbeschädigung
Diese vier Graphiken zeigen, daß auch bei diesen Deliktsgruppen eine Steigerung seit Anfang der neunziger Jahre zu verzeichnen ist, was insbesondere beim Betrug deutlich wird.
cc) Straftaten gegen § 92 des Ausländergesetzes und gegen das Asylverfahrensgesetz* 3 Diese Deliktsgruppe hat erst in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und hatte in den Jahren 1992 und 1993 immense Steigerungsraten von 46 % bzw. 39,4 % auf fast 200 tausend Fälle im Jahr 1993. Sachsen ist auf diesen Deliktsbereich als Grenzland zu Polen und Tschechien besonders eingegangen. In den Jahren 1994 und 1995 ist eine geringfügige Verbesserung als Folge der verschärften Asylgesetzgebung zu verzeichnen. Nach wie vor ist allerdings an den Grenzregionen mit Gesetzesverstößen zu rechnen, auch wenn nach dem Schengener Abkommen Deutschland verschärft die Außengrenzen zur europäischen Union zu schützen hat.
83 Zu beachten in diesem Zusammenhang ist die Änderung des Art. 16 GG und des Asylverfahrensgesetzes zum 1.7.1993 (BGBl. I, S. 1126), welches als einschneidendes Datum in der Asylfrage wegen der erheblichen Verschärfung dieses Gesetzes gilt; vergi. PKS-Zeitreihen, S. 50.
42
Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
Abb. 7: Straftaten gegen § 92 des Ausländergesetzes und gegen das Asy Verfahrensgesetz
dd) Umweltdelikte:
§§ 324-330 a StGB 84
Auch diese Deliktsgruppe hat erst in den letzten Jahren durch das wachsende Umweltbewußtsein Bedeutung erlangt. In dem Zeitraum von 1980 bis 1990 ergibt sich aus der Statistik eine Steigerungsrate von 500 % in diesen 15 Jahren auf letztlich 27500 erfaßte Fälle im Jahr 1995. Diese Erkenntnisse werden sich im weiteren Verlauf beim Unterbindungsgewahrsam in Zusammenhang mit Ordnungswidrigkeiten und der Frage, ob sie einen Gewahrsam grundsätzlich rechtfertigen können, niederschlagen.
Abb. 8: Straftaten gegen die Umwelt
84
Vergi. PKS-Zeitreihen, S. 49.
III. Statistischer Hintergrund, neuere Entwicklung in der Gesetzgebung
ee) Rauschgiftdelikte:
43
§§ 29, 29 a, 30, 30 a Betäubungsmittelgesetz (BtMGf
5
Auf diesem Deliktsbereich ist eine verstärkte Steigerung bereits seit Mitte der achtziger Jahre zu verzeichnen, die dann bis zum Jahre 1995 mit ca. 160 tausend Fällen um ungefähr 200 % ansteigt. Da dieser Bereich von Straftaten stets mit der organisierten Bandenkriminalität in Verbindung zu bringen ist, kann auch aus dieser wachsenden Häufigkeit auf einen Handlungsbedarf geschlossen werden, wobei hier auffällig ist, daß gerade der Anteil der neuen Bundesländer an den Rauschgiftdelikten gemessen am Bundesdurchschnitt verschwindend gering ist. UMM 14MM 12MM £ 100004 h. i MM« α £
t MM« 44 MI 2MM •
iiiiiiilllllllll UM 1M1 1 MI 1·Μ UM 1MS 1IM 1M7 1IM UM UM IMI 1M2 UM UM UM Abb. 9: Rauschgiftdelikte
c) Entwicklung in den Bundesländern (Freistaaten) Bayern und Sachsen
Bayern und Sachsen standen im Jahre 1995 mit 10,1 % bzw 6,0 % des Gesamtstraftatenanteils in der Wertung der Bundesländer im oberen Drittel mit ei86
ner Steigerungsrate von -1,3 % bzw. 4,5 % gegenüber dem Vorjahr 1994. Zur Zeit der Gesetzesinitiative 1988 lag Bayern mit einem Straftatenanteil von 11,9 % an dritter Stelle in der Wertung der Bundesländer mit einer Steigerung von 3,4 % gegenüber dem Vorjahr 1987. Sachsen 7 stand vor seiner Gesetzes85
Vergi. PKS-Zeitreihen, S. 51. Zu Einzelheiten vergi. Tabelle 2.2 des oben genannten Bulletin von 1996. Einen Spitzenplatz nimmt in dieser Wertung das Bundesland Nordrhein-Westfalen ein, welches zugleich auch das bevölkerungsstärkste Bundesland ist. 87 Weitere Vergleichsdaten sind nicht möglich, da eine verläßliche Statistik erst ab dem Jahr 1993 vorliegt. 86
44
Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
Verschärfung 1993 im Vergleich der Länder lediglich an elfter Stelle, wobei im Verhältnis zum Bevölkerungsanteil dieses Landes zur Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik der zehnte Platz erreicht wurde. Anhand der verfugbaren landesspezifischen Daten ergibt sich für beide Länder nachfolgendes Bild:
88
aa) Freistaat Bayern
ItM
Hill
1t(7 1t«Straftatentwicklung 1·Μ 1·Μ 1»H 1M2in Bayern 1»W Abb. IO: insgesamt
1·Μ
1·Μ
An dieser Graphik ist auffallend, daß vor der Gesetzesänderung in Bayern 1989 die Zahl der Straftaten auf gleichem Niveau bleibt bzw. leicht fallt, während ein deutlicher Anstieg erst nach 1989 zu beobachten ist. Hinsichtlich der Entwicklung von Gewaltkriminalität, Diebstahlsdelikten insgesamt, Betrugsdelikten, den Straftaten gegen das Ausländer- und Asylverfahrensgesetz, Rauschgiftdelikten sowie Körperverletzung und Sachbeschädigung läßt sich eine vergleichbare Entwicklung wie auf Bundesebene ersehen. 89 Lediglich die Umweltdelikte 90 lagen in Bayern bereits Mitte der achtziger Jahre auf hohem Niveau. Straftaten, die in Verbindung mit Großdemonstrationen vorkommen können, wie z.B. Landfriedensbruch gem. §§ 125, 125 a StGB, hatten tatsächlich Mitte der achtziger Jahre verhältnismäßig hohe Anteile in Bayern, die sich nach der Gesetzesverschärfung dann mehr als halbierten. Gegen Mitte der Zur Entwicklung der Straftaten insgesamt vergi. PKS Bayern, S. 19. Weiterfuhrend PKS Bayern: Gewaltkriminalität, S. 49; Diebstahl insgesamt, S. 55; Betrug, S. 93; Körperverletzung und Sachbeschädigung, S. 111; Rauschgiftdelikte, S. 117. 90 PKS Bayern, S. 105. 89
III. Statistischer Hintergrund, neuere Entwicklung in der Gesetzgebung
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neunziger Jahre stieg dieser Deliktsbereich allerdings wieder deutlich an. Daneben waren jedoch keine speziellen landesauffälligen Entwicklungen zu beobachten, die ein Vorpreschen der Bayerischen Landesregierung zwingend hätten auslösen müssen.
bb) Freistaat Sachsen Der Freistaat Sachsen konnte im Jahr 1995 erstmals eine eigene Kriminalstatistik nach bundeseinheitlichen Richtlinien herausgeben, in der der Zeitraum seit 1991 beobachtet wurde. Bei der Gesamtzahl der bekannt gewordenen Straftaten 91 ist seit 1991 eine stark steigende Tendenz aller Delikte zu beobach-
Abb. 11 : Straftatentwicklung insgesamt in Sachsen
Bei allen, hinsichtlich der Gesetzesverschärfung in Sachsen 1994 vorgenannten Deliktsgruppen, ist eine kontinuierliche Steigerung in den Jahren 1992 bis 1995 zu beobachten; insbesondere die Sprünge von dem Jahr 1992 auf 1993 sind in allen Gruppen beachtlich. Auf eine graphische Darstellung soll an dieser Stelle wegen des kurzen Beobachtungszeitraumes von vier Jahren verzichtet werden. 92 Aufgrund der Grenzsituation Sachsens zu Osteuropa sind die Verstöße gegen das Ausländer- und Asylverfahrensgesetz 93 in dem genannten Zeit-
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PKS Sachsen, S. 13. Weiterführend PKS Sachsen: Gewaltkriminalität, S. 106; Diebstahldelikte, S. 22, 124 ff.; Betrug, S. 23, 221; Sachbeschädigung, S. 233; Körperverletzung, S. 181; Umweltdelikte, S. 103; Rauschgiftdelikte, S. 92. 93 PKS Sachsen, S. 27. 92
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Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
räum um über 800 % drastisch gestiegen. Ebenso die Umweltdelikte mit einer Steigerung von fast 600 % in vier Jahren; Rauschgiftdelikte mit 500 % und die Deliktsgruppe der Gewaltkriminalität mit ebenfalls 450 %. Die Entwicklung im Freistaat Sachsen spräche demnach für den Bedarf an einer verschärften Gesetzgebung, weil das Bundesland in den Sog einer ohnehin steigenden Kriminalität hineingeraten ist, der sich auch aufgrund der östlichen Landesgrenzen mit damit einhergehender grenzüberschreitender Kriminalität erklärt.
2. Notwendigkeit der Verschärfung von Vorschriften Schaffung von neuen Eingriffsermächtigungen
bzw.
Insgesamt ist von dieser kleinen Auswahl von Straftatbeständen eine kontinuierliche Steigerung der erfaßten Fälle zu beobachten. Es liegt dabei allerdings, zumindest im Bundesdurchschnitt, keine derart sprunghafte Kriminalitätsentwicklung mit Ausnahme der Betrugstatbestände vor, daß man von alarmierenden Zuständen sprechen könnte, die sofortige drastische Gegenmaßnahmen erfordern würden. Bei der Interpretation der Entwicklung der letzten sechs Jahre ist auch zu berücksichtigen, daß durch das gewachsene Deutschland mit nunmehr mehr als 80 Millionen Einwohnern statistisch auch die Zahl der Straftaten ansteigt. Hinzu kommt die wachsende Bedeutung Deutschlands als Grenzland der europäischen Union zu den ehemaligen Ostblockstaaten mit allen damit verbundenen Problemen. 94 Diese gestiegene Bedeutung hat Sachsen als Grenz(bundes)land insbesondere zu spüren bekommen. Die Statistiken besagen, daß die Aussage der Politiker, die in den Länderparlamenten fur eine Verschärfung der gesetzlichen Möglichkeiten wegen der gestiegenen Kriminalität plädiert haben, nicht ganz von der Hand zu weisen ist bzw. sich in Sachsen hinsichtlich der genannten Deliktsbereiche insbesondere bewahrheitet hat, so daß zumindest von einem „Handlungsbedarf' ausgegangen werden kann. 95 Dieser verlangt aber nach angemessenen Antworten durch die Politiker, da die Polizei fur ihren Gefahrenabwehrauftrag sowohl durch ihre materielle Ausstattung als auch von ihren gesetzlichen Möglichkeiten her in die Lage versetzt werden muß, gegenüber diesen gesellschaftlichen Entwicklungen optimal reagieren zu können. Ob die neuen Gesetzesverschärfungen tatsächlich
94
Vergi, auch Schuler-Harms in DÖV 1997 S. 330 im Hinblick auf das Schengener Abkommen. 95 Sehr kritisch dazu Hassemer in Strafverteidiger 1993 S. 664, der davon ausgeht, daß die Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren mit ausreichend gesetzlichen Möglichkeiten ausgestattet wurden und erst einmal offenlegen sollen, welche Ermittlungserfolge sie damit erzielt haben, ehe man ihnen voreilig noch mehr gesetzliche Möglichkeiten einräumt, die den Rechtsstaat, der die Bürger auch vor dem Staat schützen soll, noch weiter aushöhlen werden.
III. Statistischer Hintergrund, neuere Entwicklung in der Gesetzgebung
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diese angemessenen (richtigen) Antworten laut den Gesetzesinitiativen waren, kann natürlich erst nach einiger Beobachtungszeit definitiv entschieden werden, da es dieser Zeit bedarf, um abschließend beurteilen zu können, ob die neuen gesetzlichen Möglichkeiten und deren Anwendung schließlich auch den gewünschten Erfolg nach sich ziehen.96 Keinesfalls richtig wäre es jedoch gewesen, gesetzgeberisch überhaupt nicht zu reagieren, da der Staat als Inhaber des Machtmonopols nicht soweit hinter der kriminellen Entwicklung herlaufen darf, daß er faktisch seinem präventiven „Schutzauftrag" den Bürgern gegenüber nicht mehr nachkommen kann. Er muß seine Polizei daher bedarfsgerecht ausstatten und darf die Augen nicht vor den äußeren Entwicklungen verschließen. Gerade der Ansatzpunkt der bedarfsgerechten Ausstattung der Polizei ist eines der tragenden Elemente in den Diskussionen um verschärfte Regelungen und neue Eingriffsermächtigungen, da die Probleme nicht nur von der rechtstheoretischen Seite, sondern auch von der praktischen Sichtweise, also aus der Sicht der Polizei gesehen werden sollten. Denn sie muß die ihr vorgegeben Regelungen anwenden und trotz notwendiger Einschränkungen ihrer Arbeit effektiv nachkommen. Als Stichwort wurde in diesem Zusammenhang oftmals von der „Frustration der Polizei" gesprochen. Es muß daher ein Zustand angestrebt werden, bei dem der Polizei diejenigen gesetzlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die auf der einen Seite so eng gefaßt sind, daß sie eine mißbräuchliche Anwendung von Hoheitsgewalt verhindern, auf der anderen Seite so weit gehen, daß sie auch in extremen Fallgestaltungen ihre Aufgaben sinnvoll erfüllen kann. 97 Wenn der Polizei in solchen Fällen kein ausreichendes Regelwerk zur Verfügung steht, und wenn die Eingriffsermächtigungen diese Fälle entweder nicht berücksichtigen oder zu eng gefaßt sind, ist sie überfor-
96 In diesem Zusammenhang äußerte sich auch der Bundesjustizminister SchmidtJortzig im Dezember 1996, als er von einer „probeweisen" Einführung von Gesetzen sprach. 97 Solche Erwägungen finden sich auch im Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung zur Änderung des Polizeigesetzes in Sachsen: Der Sachverständige Dr. Schönefuß kommentiert die Gesetzesnovelle gerade im Hinblick auf die Verlängerung des Gewahrsams, daß diese neuen Möglichkeiten nicht der Regelfall sein werden, sondern nur eine saubere rechtliche Handhabung der Situation im Ausnahmefall gewährleisten sollen (SächsLT-Ds. 1/4095, S. 13/1 der Sachverständigenanhörung). Auch der Sachverständige Dr. Weinert äußert sich in seinem Lagebericht dazu, daß für diese Extremfalle sehr wohl aus Gründen der Rechtssicherheit und auch als Handhabungshilfe für den Polizisten vor Ort auf eine derartige Normierung dieser Ausnahmefälle nicht verzichtet werden sollte (S.17/1 der Sachverständigenanhörung). In derselben Anhörung so auch der Sachverständige Eber (S. 32/2 der Sachverständigenanhörung). Zu extremen Fallgestaltungen vergi, auch Brugger in VB1BW 1995 S. 448 i.V. dort mit Fn. 25, der zutreffenderweise davon ausgeht, daß das Polizeirecht letztlich (auch in Extremsituationen) Gefahren effektiv abzuwehren und zu beseitigen hat und derjenige, der Recht und Gesetz überschreitet, auch in seine Schranken verwiesen werden muß.
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Erster Teil: Einleitung, Begriffsbestimmungen, statistischer Hintergrund
dert, eine korrekte Entscheidung zu treffen. Es muß daher das richtige Maß zwischen dem erwünschten Bedarf der Sicherheitsbehörden und dem zu vermeidenden Zustand des „völligen Überwachungsstaates" gefunden werden, wobei sich letztlich rechtlich fast jedes Ergebnis in jede der beiden Richtungen begründen ließe. In den nachfolgenden Ausführungen wird jeweils bei den einzelnen Problembereichen des Gewahrsams Stellung dazu bezogen, ob die angesprochenen Gesetzesverschärfungen die angemessene, richtige und verfassungsrechtlich zulässige Reaktion auf die gestiegene Kriminalität ist oder war oder ob es nicht noch andere, mildere, gleicheffektive Mittel und Wege gäbe oder gegeben hätte, dieses Ziel gleichgut oder besser zu erreichen. Neben den genannten gesellschaftlichen Entwicklungen spielen natürlich auch landespolitische Aspekte eine Rolle, da beide beispielhaft aufgeführten Bundesländer bzw. Freistaaten {Bayern und Sachsen) aufgrund der konservativen Landesregierungen von CSU bzw. CDU eher zu einer Verschärfung gesetzlicher Mittel neigen als SPD-regierte Bundesländer 98. Letztlich dürfte aber nach den obigen Ausführungen keine Landesregierung gleich welcher politischen Richtung die Augen gesetzgeberisch vor Tatsachen verschließen, die den Schutzauftrag des Staates für seine Bürger in Frage stellen. Tragen gesellschaftliche Entwicklungen Aufgaben an den Staat heran, muß er hierauf in irgendeiner Weise reagieren; er darf nicht völlig untätig bleiben.
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Neuerdings ist allerdings auch bei SPD-regierten Bundesländern eine Trendwende zu beobachten. Als Beispiel ist hier Niedersachsen anzuführen, wo der derzeit amtierende Innenminister Glogowski eher ein Vertreter einer stringenten Sicherheitspolitik ist.
Zweiter Teil
Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen Im zweiten Teil werden nun die einzelnen gesetzlich geregelten und nicht geregelten Fälle des polizeilichen Gewahrsams systematisch aufgearbeitet und die Verbindungen bzw. Verknüpfungen mit anderen Gesetzen herausgearbeitet.
IV. Der Schutzgewahrsam 1. Einleitung Diese Gewahrsamsvariante steht am Anfang der Betrachtung, da sie auch in fast allen Polizeigesetzen zuvorderst geregelt ist.1 Die Zielrichtung dieser Gewahrsamsform richtet sich nicht gegen einen Störer, von dem jetzt oder in Zukunft Gefahren ausgehen, sondern gegen eine Person, für die selbst eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, da sie sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in einer hilflosen Lage befindet. 2 Zweck ist also der Schutz der in Gewahrsam genommenen Person. Der Begriff der „Schutzhaft" wird für diese Gewahrsamsform heute wegen der historisch belasteten Vergangenheit nicht mehr verwendet. 3 Betroffen sind in diesen Fällen zwar individuelle Rechtsgüter. Deren Gefahrdung stellt aber auch immer, wegen der Gefährdung der Rechtsgüter Leib und Leben, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit dar. Der Schutzgewahrsam wirft insgesamt, abgesehen von der noch eingehend zu dikutierenden Selbsttötungsproblematik, keine wesentlichen Schwierigkeiten und Streitpunkte auf, da es sich dabei im weitesten Sinne nicht um eine polizeiliche Maßnahme gegen eine Per-
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Außer in Baden-Württemberg und Sachsen. Gesetzliche Regelungen zum Schutzgewahrsam sind in allen Polizeigesetzen niedergelegt, so in: Art. 17 1 Nr. 1 BayPAG; § 28 I Nr. 2 a-c Ba-WüPolG; § 30 I Nr. 1 BerlASOG; § 15 I Nr. 1 BremPolG; § 17 I Nr. 1 BbgPolG; § 13 I Nr. 1 HamSOG; § 32 I Nr. 1 HessSOG; § 55 I Nr. 1 SOG M - V ; § 18 I Nr. 1 NGefAG; § 35 I Nr. 1 NWPolG; § 14 I Nr. 1 Rh-PfPOG; § 13 I Nr. 1 SPolÒ; § 22 I Nr. 2 SächsPolG; § 37 I Nr. 1 SOG LSA; § 204 I Nr. 1 SHLVwG; § 19 I Nr. 1 ThürPAG; auch in § 39 I Nr. 1 BGSG. 3 Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 12, 6 a; Knemeyer, Pol- u. OrdR Rn. 148. 2
4 Stoenner
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
son handelt, sondern um eine Maßnahme ausschließlich zu ihren Gunsten.4 Trotzdem ist es erforderlich, diese Eingriffsermächtigung mit genauen Voraussetzungen zu versehen, um Mißbräuchen 5 unter dem Deckmantel des Vorteils ftir den Betroffenen entgegenzuwirken. Die Einengung der Voraussetzungen des Schutzgewahrsams ist auch mit der Schwere des Eingriffs in die Rechte des Betroffenen zu erklären. Daher sind in den Ländergesetzen genau abgegrenzte Tatbestände geschaffen worden, die im folgenden genauer beleuchtet werden sollen. Die sich an diese Freiheitsentziehung anschließende richterliche Überprüfung nach Art. 104 II GG bietet eine zusätzliche Gewähr für eine verfassungskonforme Anwendung dieser Schutzmaßnahmen.
2. Die Voraussetzungen des Schutzgewahrsams a) Normtexte / Unterschiede in den einzelnen Bundesländern Bei dieser Gewahrsamsvariante muß eine Gefahr für Leib und Leben für die betroffene Person vorliegen, die sich insbesondere dadurch zeigt, daß sich die Person erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet. 6 Der Regelungsinhalt dieser Gewahrsamsvorschriften unterscheidet sich in den Bundesländern nur geringfügig; in den meisten Ländern ist sogar der Wortlaut identisch. Einzig BadenWürttemberg und im Ansatz Bremen haben eine andere Aufbauform dieser Eingriffsermächtigung gewählt. Daneben haben die Bundesländer BadenWürttemberg,, Bremen, Saarland und Sachsen die Eingriffsvoraussetzung des Selbstmords7 oder des sich töten Wollens8 in ihren Vorschriften ausdrücklich geregelt. Daraus ersichtlich werden so die drei wesentlichen Voraussetzungen für den Schutzgewahrsam: - die Gefahr für Leib und Leben der betroffenen Person, die sich insbesondere durch den - erkennbaren, die freie Willensbildung ausschließenden Zustand oder die - sonstige hilflose Lage darstellt; - (zusätzlich in einigen Gesetzen) oder diese Person Selbstmord begehen will.
4 Ebert/Honnacker, § 19 ThürPAG Rn. 3; Roos, § 14 Rh-Pf POG Rn. 11 sprechen in diesem Zusammenhang sogar von einer „Rettung" des Betroffenen. 5 Reiff/Wöhrle/Wolf, § 22 Ba-WüPolG Rn. 18. 6 So der Normtext in den meisten Bundesländern, abgesehen von den oben genannten Ausnahmen, besonders im Hinblick auf die Normierung der Selbsttötung. 7 Baden-Württemberg und Sachsen. 8 Bremen und Saarland.
IV. Der Schutzgewahrsam
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Es ist dabei zu beachten, daß sie nach dem Wortlaut der Polizeigesetze nicht zwingend streng alternativ vorliegen müssen, sondern daß die drei letztgenannten Voraussetzungen lediglich als Beispiele einer solchen Situation gelten, bei deren Vorliegen dann stets eine Gefahr für Leib und Leben der Person gegeben ist. Dies wird in diesen Gesetzen durch das Bindewort „insbesondere" klargestellt.9 So sind Fälle denkbar, in denen für eine Person eine gegenwärtige Gefahr besteht, ohne daß sie sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder in einer sonstigen hilflosen Lage befindet. 10 Hier wäre als Beispiel an die Gewahrsamsform eines „unechten" (Schutz-)Gewahrsams zu denken. Andere Bundesländer, wie Bremen, haben eine abschließende Regelung, in der explizit das Bindewort „weil" verwendet wird oder einen Voraussetzungskatalog, wie er in Baden-Württemberg geschaffen worden ist. Dadurch wird eine weitergehende Interpretation zusätzlich möglicher Eingriffe durch die Vermeidung des Wortes „insbesondere" weitestgehend ausgeschlossen und der Anwendungsbereich auf die enumerativ abschließenden Fälle des Schutzgewahrsams beschränkt. Die Ursprungsregelung des § 15 I a des PreußPVG spricht noch ganz einfach von der polizeirechtlichen Verwahrung „zum Schutz dieser Personen", ohne nähere Eingriffsvoraussetzungen zu formulieren. 11 Dies könnte ein Indiz dafür sein, daß eine Vielzahl weiterer Fälle vom Schutzgewahrsam umfaßt sein sollen, obwohl zugegebenerweise Beispiele hierfür schwer zu finden sind, da in vielen Fällen unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit auch weniger intensive Eingriffe, wie eine Platzverweisung des Betroffenen, ausreichen können. 12 Der Wortlaut dieser Gewahrsamsform will jedoch durch die ausdrückliche Verwendung des Wortes „Schutz" klarstellen, daß einem Schutzbedürftigen dieser Schutz auch tatsächlich gewährt werden kann. Eine übertriebene Einschränkung des Wortlautes dieser Vorschrift würde daher dieser Absicht widersprechen. Außerdem wäre ein allzu schnelles Ausweichen auf die Generalklauseln der Polizeigesetze zur Rechtfertigung solcher Freiheitsentziehungen
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So der Wortlaut der Regelungen von: Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg- Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. 10 Es muß sich dabei um solche Fälle handeln, bei denen eine akute Gefahr für Leib und Leben gegeben ist, so das Beispiel bei Samper/Honnacker, Art. 16 BayPAG Rn. 4: Eine Person will über einen zugefrorenen See spazieren in der Annahme, das Eis sei tragfahig, was es aber nicht ist. Hier wäre allerdings eine Platzverweisung angebrachter, zu deren Durchsetzung schließlich auch ein Gewahrsam angeordnet werden könnte, jedoch geht das Beispiel mit dem „schwerwiegenden Irrtum" in die richtige Richtung. So auch Schipper Pol- u. OrdRSchlHst Rn. 339; Mande lartz/Sauer/Strube, § 13 SPolG Rn. 11; Roos, § 14 Rh-Pf POG Rn. 13; Berg/Knape/Kiworr, § 30 BlnASOG S. 334. 11 Franzen, Lehrkommentar zum PreußPVG von 1932 S. 213. Es werden an dieser Stelle auch einige Beispielsfalle aufgeführt. 12 Samper/Honnacker, Art. 16 BayPAG Rn. 4.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
aus den vorgenannten Gründen der Spezialität der Standardmaßnahmen nicht zulässig. Daher sind über den Wortlaut hinaus theoretisch noch weitere Fälle denkbar. In § 28 I Nr. 2 a Ba-WüPolG ist zusätzlich noch die Variante geregelt, daß eine Person um Gewahrsam nachsucht. Kritisch wäre demnach die nach dem Wortlaut streng abschließende bremische Regelung des § 15 I Nr. 1 BremPolG zu hinterfragen. In jedem Falle ist jedoch bei Vorliegen der beiden Voraussetzungen, des die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustandes und der hilflosen Lage, stets vom Vorhandensein einer Gefahr für Leib und Leben auszugehen.
b) Unterscheidung „echter" Schutzgewahrsam „unechter" Gewahrsam Von dem „echten" Schutzgewahrsam ist der „unechte" Gewahrsam zu unterscheiden, der explizit nur in Baden-Württemberg geregelt ist. 13 Bei dem „echten" Schutzgewahrsam greift die Polizei zum Schutz des Betroffenen zu dieser Maßnahme; bei der „unechten" Gewahrsamsform sucht ein Betroffener selbst die Polizei auf und bittet sie um Schutz.14 Fälle des unechten Gewahrsams sind z.B. bei Morddrohungen oder Mißhandlungen im familiären Bereich denkbar. Auch das vielzitierte Beispiel des Fußballschiedsrichters, der sich vor aufgebrachten Fans bei der Polizei in Sicherheit bringt, ist ein solcher Anwendungsfall. Diese Fallkonstellationen unterliegen nicht dem üblichen Schutzgewahrsam, da wegen des fehlendes Merkmals des „Festhaltens gegen oder ohne den Willen" des Betroffenen, keine Freiheitsentziehung gegeben ist, sondern lediglich eine „Sicherungsübernahme" oder Obhut vorliegt. Der tiefere Sinn, diese Fallkonstellation mit dem Schutzgewahrsam zusammen zu regeln, ist die Vermeidung von Mißbräuchen, da auch in diesen Fällen eine richterliche Entscheidung, sozusagen als Rückmeldung, einzuholen ist. Die betroffenen Personen, die um Hilfe nachsuchen, sind zu ihrem Schutz auch den Bedingungen des Gewahrsams, z.B. hinsichtlich der räumlichen Unterbringung, unterworfen, insbesondere der Gewahrsamsordnung. 15 Ein Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Art. 2 I I S. 2 GG liegt beim unechten Gewahrsam nicht vor, da man bereits begrifflich bei einem eigenverantwortlichen Handeln des Hilfesuchenden nicht von einem „Eingriff der Obrigkeit" sprechen kann. Hier wäre
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§ 28 I Nr. 2 a Ba-WüPolG; mißverständlich daher § 39 IV BGSG (Bundesgrenzschutzgesetz), aber § 40 III BGSG - Ersuchen durch andere Behörde! 14 Vergi. Schipper, Pol- u. OrdRSchlHst Rn. 334; Roos, § 14 Rh-Pf POG Rn. 5; Berg/Knape/Kiworr, § 30 Bin ASOG S. 332; Reichert/Ruder, Rn. 575. 15 Hierzu Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 20; Reiff/Wöhrle/Wolf, § 28 BaWüPolG Rn. 19.
IV. Der Schutzgewahrsam
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somit ein freiwilliger Grundrechtsverzicht hinsichtlich Art. 2 II S. 2 GG gegeben. Gegen den Willen des Betroffenen kann die Polizei nicht nach den Gewahrsamsvorschriften eingreifen, auch wenn z.B. bei einer Morddrohung Lebensgefahr droht, da die Voraussetzungen des „unechten" Schutzgewahrsams nicht vorliegen, wenn der Betroffene diesen Schutz nicht wünscht. Denkbar wäre in diesen Fällen aber ein Vorgehen nach der Generalklausel, da sich dieser Zustand als eine Gefahrdung der öffentlichen Sicherheit darstellen könnte, denn mögliche strafrechtliche Konsequenzen, die eventuelle Strafbarkeit möglicher Täter sind unter den Oberbegriff der öffentlichen Sicherheit als Gesamtheit der geschriebenen Rechtsordnung zu subsumieren.
c) Die Gefahr für Leib und Leben der betroffenen Person Der Gewahrsam muß zum Schutz einer Person gegen drohende Gefahren für die Schutzgüter Leib und Leben erforderlich sein. Der Begriff „Gefahr für Leib und Leben" ist dem Strafgesetzbuch entnommen und ist dort in den Vorschriften der §§ 34, 35, 102, 117, 178, 249, 252 und 255 StGB angesprochen. Der an die ältere Rechtssprache angelehnte Ausdruck Leib steht für die körperliche wie geistige Unversehrtheit des menschlichen Körpers und der Gesundheit, soweit diese Güter durch Maßnahmen des polizeirechtlichen Gewahrsams wirksam geschützt werden können. 16 Unter einer solchen Gefährdung ist allerdings nicht jede Verletzung im weitesten Sinne zu verstehen, sondern nur schwere Verletzungen, die einen Gewahrsam als schwerwiegenden Eingriff auch rechtfertigen können. 17 Das Leben als das höchste Individualrechtsgut rechtfertigt einen solchen Eingriff aus polizeilicher Sicht immer, ohne daß es dazu besonderer Abwägungen bedarf. 18 Weiter muß eine drohende Gefahr für die Schutzgüter Leib und Leben bestehen, d.h. es müssen gesundheitliche Schäden oder der Tod zu befurchten sein. 19 Wegen der Eingriffsintensität des Schutzgewahrsams ist es in jedem Einzelfall erforderlich zu ermitteln, ob überhaupt eine Gefahr in polizeilichem
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Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 4; vergi, auch Reichert/Ruder, Rn. 575. Samper/Honnacker, Art. 2 BayPAG Nr. 4; Berg/Knape/Kiworr, § 30 BlnASOG S. 334. 18 Auf die Selbsttötungsproblematik wird im Anschluß einzugehen sein. 19 Dazu gehört nach Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 19 auch die Gefahr einer widerrechtlichen Einsperrung durch Dritte. Eine Lebensgefahr im Sinne dieser Vorschriften besteht nicht nur bei konkreter Lebensgefahr, sondern bereits dann, wenn eine schwere, im allgemeinen lebensgefahrliche Beeinträchtigung der Gesundheit droht; so auch Reiff/Wöhr le/ Wolf, § 22 Ba-WüPolG Rn. 18. 17
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
Sinne gegeben ist. 20 Die Polizei hat daher von sich aus eine Bewertung der Sachlage vorzunehmen, ob diese Voraussetzung vorliegt. Beispielsfälle für eine Gefährdung für Leib und Leben beim Schutzgewahrsam sind: Ein Volltrunkener schläft in eiskalter Winternacht auf einer Parkbank und droht zu erfrieren. Suizidgefährdete Personen fallen generell hierunter (dazu später); eine hilflose Person (alte Menschen, Kinder) irrt im Straßenverkehr umher etc. Dabei ist zu beachten, daß es sich immer um eine drohende Gefahr handeln muß. Es ist daher hinsichtlich des Zeitpunkts eines Schadenseintritts keine solche zeitliche Nähe verlangt wie beim Unterbindungsgewahrsam, der von einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr mit entsprechendem zeitlichen Bezug spricht.
d) Der erkennbare, die freie Willensbildung ausschließende Zustand Eine solche drohende Gefahr für Leib und Leben ist nach den Polizeigesetzen (insbesondere) dann gegeben, wenn ein die freie Willensbildung ausschließender Zustand vorliegt. Ein solcher Zustand kann sich beispielsweise infolge - Krankheit, wie hohes Fieber, Epilepsie, Schockzustand, Bewußtlosigkeit oder starke Schmerzen; - Trunkenheit, jedoch nicht bei einem nur mittleren Rausch21 oder - hochgradiger Gebrechlichkeit
einstellen. Er stellt sich für Außenstehende in der Form dar, daß die betroffene Person aus den oben genannten Gründen nicht in der Lage ist, sich „ihres Verstandes" zu bedienen, also einen eigenständigen Willensentschluß zu fassen oder danach zu handeln. Dieser Zustand ist daher nicht gegeben bei bloßer Minderung der Geistes- oder Willenskraft, krankhafter Gleichgültigkeit gegen die Folgen des eigenen Handelns oder der Unfähigkeit zu ruhiger oder vernünftiger Überlegung, da die freie Willensentscheidung in diesen Fällen nicht ausgeschlossen, sondern allenfalls beeinträchtigt ist bzw. nicht genutzt wird. 2 2 Für den Außenstehenden, den Polizeibeamten, ist es in den aufgeführten Fällen jedoch meist schwierig festzustellen, ob ein Zustand erreicht ist, in dem keine eigenständige freie Willensbetätigung mehr möglich ist. Die Gesetze ent-
20 Einzelheiten zum Begriff der Gefahr werden später beim Unterbindungsgewahrsam erläutert. 21 Sturm in PolBl.BW 1966 S. 87. 22 Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 21; Roos, § 14 Rh-Pf POG Rn. 15.
IV. Der Schutzgewahrsam
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gegnen dieser Unklarheit mit der Eingriffsvoraussetzung, daß dieser Umstand für den Polizeibeamten vor Ort erkennbar sein muß. Die Erkennbarkeit setzt nach außen eine gewisse „Auffälligkeit" voraus, die zwangsläufig auf einen entsprechenden Zustand schließen läßt. Wenn diese Auffälligkeit nicht gegeben ist, können bloße Vermutungen oder ein vager Verdacht für eine vorsorgliche Ingewahrsamnahme zum vermeintlichen Schutz des Betroffenen nicht ausreichen. In Zweifelsfällen müssen daher Stichproben, Tests, etc. unternommen werden, um sich zu vergewissern, ob der Gefährdungszustand wirklich gegeben ist. So muß beispielsweise der scheinbar Betrunkene auf der Parkbank wachgerüttelt werden, um festzustellen, ob er tatsächlich so betrunken ist, daß er erfrieren könnte, wenn er auf der Bank die ganze Nacht durchschlafen würde. 23 Letztlich werden jedoch immer Zweifelsfälle offen bleiben, in denen der geforderte Zustand der Willensausschließung nicht gegeben ist und die Polizei doch handelt. Ein derartiger Zustand ist allerdings nicht mit der Putativgefahr zu verwechseln, bei der der Beamte zulässigerweise vom Vorliegen einer Gefahr ausgehen konnte; hier ist er wissentlich im Zweifel, ob die Voraussetzungen für ein polizeiliches Einschreiten vorliegen. Solche Zweifelsfälle müssen in der Praxis tolerabel sein und hingenommen werden, da meistens eine schnelle Entscheidung der Polizei verlangt wird und keine Zeit zu aufwendigen Nachforschungen bleibt. Wenn sich dann nach kurzer Zeit herausstellen sollte, daß eine Ingewahrsamnahme doch nicht erforderlich war, ist der Betroffene ohnehin unverzüglich wieder auf freien Fuß zu setzen. Man kann dies vielleicht auf den Nenner bringen, „lieber einen nicht ganz Volltrunkenen von der Parkbank weg - vorsichtshalber - in den Schutzgewahrsam nehmen, als ihn dort der Gefahr des Erfrierens auszusetzen, und er war doch nicht volltrunken." Eine solche Sichtweise muß sich aus der Zielrichtung des Schutzgewahrsams, der letztlich ausschließlich zum Schutz des Betroffenen angeordnet wird, ergeben. Daher wird auch in Zweifelsfällen nach fehlerfreier Ermessensausübung pro Gewahrsam zu entscheiden sein, da dieser durch die sofortige Freilassung im Irrtumsfalle schnell reversibel ist. Im umgekehrten Fall jedoch könnten sich erst recht irreversible Zustände einstellen, wenn die Polizei in Zweifelsfällen nicht eingegriffen hätte, obwohl sie von dem Umstand Kenntnis hatte. Bei dem obigen Beispiel wäre der Betroffene dann möglicherweise bereits erfroren.
23 Fraglich ist aber, ob solche Fälle überhaupt zu einem Mißbrauch durch Polizeibeamte fuhren können, da diese Fälle des Schutzgewahrsams in der Praxis sehr unbeliebt sind und daher nur in absoluten Notfallen entsprechende Maßnahmen von der Polizei eingeleitet werden.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
e) Die sonstige hilflose Lage Ein Schutzgewahrsam ist daneben auch in allen Fällen möglich, in denen sich ein Betroffener in einer hilflosen Lage befindet. Eine solche hilflose Lage ist gegeben, wenn der betreffende Mensch die Gefahr nicht aus eigener Kraft, aus eigenen Mitteln oder aus eigenem Entschluß überwinden kann, sich selbst also nicht helfen kann, gleichgültig, ob er verschuldet oder unverschuldet 24 in diese Situation geraten ist. Diese Eingriffsvoraussetzung enthält in Abgrenzung zum die freie Willensbildung ausschließenden Zustand alle diejenigen Fälle, in denen Menschen sich selbst nicht mehr helfen können, obwohl sie voll bei Verstand sind und ihre Situation durchaus realisieren. Beispielsfälle für die hilflose Lage sind alte Menschen oder Kinder, die sich verlaufen haben, verunglückte Personen oder solche, die von anderen bedroht werden, ohne von sich aus um Polizeischutz nachgesucht zu haben.25 Auch das Merkmal der „Hilflosigkeit" ist nach objektiven Kriterien zu entscheiden. Es gibt bekannterweise Personen, die sich selbst für hilflos halten, dies aber tatsächlich nicht sind. Solche Personen können aufgrund dieser Voraussetzung nicht in Gewahrsam genommen werden; es verbliebe dann nur noch die Möglichkeit eines „unechten Gewahrsams" oder ein Vorgehen nach der allgemeinen polizeilichen Generalklausel. In Zweifelsfällen muß wegen der beispielhaften Aufzählung dieser beiden Fälle aus den genannten Gründen das Gleiche gelten wie vorher bei dem die freie Willesbildung ausschließenden Zustand. Bei dieser Form des Schutzgewahrsams ist ebenfalls ein entgegenstehender Wille des Betroffenen stets zu beachten, da er im Gegensatz zu dem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand weiß, in welcher Situation er sich befindet. Gegen willentliche Selbstgefährdungen geringerer Intensität, wie kleinere Körperverletzungen, darf die Polizei daher nicht vorgehen. Weiter kann die Polizei nicht einschreiten, wenn sich eine Person selbst in Gefahr begeben hat und sie grundsätzlich in der Lage ist, diese zu beherrschen. Eine derartige Situation wäre bei Artisten und Extremsportlern gegeben, die gerade diese vermeintliche Hilflosigkeit zum Gegenstand ihres Berufes gemacht haben bzw. erleben wollen. 26 Daneben ist in beiden Fällen stets die Vorrangigkeit von 24 Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 21; Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 6; Möller/Wilhelm, S. 114; Berg/Knape/Kiworr, § 30 BlnASOG S. 334. 25 Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 302. 26 Frotscher in DVB1. 1976 S. 695, 701. Der Autor nimmt in einem Vortrag anläßlich der Jahrestagung der Deutschen Staatsrechtslehrer 1976 in Heidelberg zum Thema „Der Schutz der Allgemeinheit und der in dividuellen Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht" dazu Stellung und geht von einem Recht auf Selbstgefährdung resultierend aus der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG aus: „Soweit Dritte nicht gefährdet (oder tangiert?) werden, sind solche Gefahrdungen des eigenen Lebens und Lei-
IV. Der Schutzgewahrsam
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anderen Sondervorschriften zu prüfen. Bei Personen mit geistigen Erkrankungen, Rauschgift- oder Alkoholsüchtigen ist eine Unterbringung nach den Unterbringungsgesetzen gegenüber dem Schutzgewahrsam ohnehin vorrangig. Nach den Verwaltungsvorschriften 27 der Länder ist in den Fällen des Schutzgewahrsams stets nach weniger einschneidenden Maßnahmen zu suchen. So muß die betroffene Person zunächst, wenn diese zu ermitteln sind, Angehörigen, Bekannten oder sonstigen Hilfsorganisationen wie Rotes Kreuz übergeben werden. Auch hier tritt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgerichtig zutage.
3. Die Selbsttötungsproblematik Wie weit kann ein Schutzgewahrsam gehen? Sehr große Schwierigkeiten bereitet das Problem der Selbsttötung bei der Betrachtung des Schutzgewahrsams. Es liegt dabei weniger eine Frage der dogmatischen Einordnung, ob ein Selbstmord ein Fall des Ausschlusses einer freien willentlichen Entscheidung oder eine „sonstige hilflose Lage" ist, vor 2 8 ; vielmehr begibt sich der Betrachter dieses Problemfeldes rechtlich gesehen auf „dünnes Eis", da die Trennlinie zwischen Recht und Ethik bei dieser Frage sehr schwer zu ziehen ist. 29 Die Betrachtung dieser Problematik soll jedoch an dieser Stelle keine grundsätzlichen ethischen Fragen aufwerfen und klären, sondern vielmehr eine pragmatische Lösung für das Polizeirecht finden. Dabei geht es um die Frage, ob die Polizei bei Suizidgefahr Personen nach den vorgenannten Voraussetzungen in Schutzgewahrsam nehmen darf bzw. ob die speziellen Regelungen, die die Polizei in einigen Bundesländern hierzu ausdrücklich ermächtigen, rechtmäßig sind.
bes noch als Ausdruck individueller Selbstbestimmung anzuerkennen und polizeilich zu tolerieren." Eine Grenzziehung müßte hier am Maße der Berührungsintensität getroffen werden; so auch Möller/Wilhelm, S. 23; Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 8. 27 Z.B. Verwaltungsvorschriften Nordrhein-Westfalen zum Schutzgewahrsam: „Bevor eine hilflose Person in Gewahrsam genommen wird, ist zu prüfen, ob sie - ggf. unter Einschaltung des Rettungsdienstes - unmittelbar einem Angehörigen oder einer anderen geeigneten Stelle (Krankenhaus, Heim, o.ä.) übergeben werden kann." Genauso ist dieser Umstand auch in Hessen geregelt. 28 Einige Bundesländer haben diesen Fall, wie oben gezeigt, durch eine eigenständige gesetzliche Regelung dieser Frage entschärft. 29 A. Eser hat in einem Beitrag zum 56. Deutschen Juristentag 1986 in JZ 1986 S. 786 ff.: „Freiheit zum Sterben - Kein Recht auf Tötung" in Berlin versucht, dieses Thema rechtlich und ethisch aufzuarbeiten. Sehr ausfuhrlich auch Heidi Schüller in „Die Alterslüge - Für einen neuen Generationenvertrag" aus dem Jahre 1995, in dem die Autorin, eine Ärztin, sich sehr detailliert mit der Problematik Selbsttötung, Sterbehilfe einmal aus nichtjuristischer Sichtweise auseinandersetzt.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
a) Grundrechtlicher Ansatz aus Art. 2 I und II GG Gibt es ein Recht auf Selbsttötung? Das Grundrecht auf Leben ist in Art. 2 I I S. 1 GG ausdrücklich geregelt. Ein Grundrecht, über das eigene Leben zu verfügen, sieht das Grundgesetz jedoch nicht vor. 30 Man könnte daran denken, dieses Recht als Teil des Grundrechts aus Art. 2 I GG anzusehen, also als einen Teil der allgemeinen Handlungsfrei31 heit. Dies wäre allerdings nur dann möglich, wenn kein Verstoß gegen die Schrankentrias des Art. 2 I GG vorliegt, wie hier gegebenenfalls gegen das Sittengesetz.32 Nach Dürig 33 ist es dem Staat gestattet, positive Werturteile über das Leben aufzustellen. Unsere Rechtsordnung stellt den Selbstmord sowie die Teilnahme daran zwar nicht unter Strafe, weil man den Betroffenen schließlich nicht im nachhinein nach einem fehlgeschlagenen Versuch zusätzlich bestrafen will; diese Rechtsordnung toleriert ihn jedoch auch nicht. Es ergibt sich bereits aus der Stellung des Art. 2 GG am Anfang des Grundgesetzes, daß es oberster Grundsatz des Grundgesetzes ist, das Leben zu schützen. Ein generelles Recht des Einzelnen, mit seinem Leben nach eigenem Belieben zu verfahren, würde der Wertordnung der Verfassung entschieden widersprechen und kann daher auch nicht aus dem Grundrecht des Art. 2 GG hergeleitet werden. Man wird aber auch diese doch sehr strikte Betrachtungsweise etwas relativieren müssen, wenn andere Gedanken und Aspekte wie die Würde des Menschen nach Art. 1 I GG Berücksichtigung finden sollen. Eine solche Sichtweise kann sich bereits dann ergeben, wenn der Suizident, der bei vollem Verstand ist und sich seine Entscheidung lange und reiflich überlegt hat, seinem Leben wegen einer sehr schweren, schmerzvollen und unheilbaren Krankheit ein Ende bereiten will. Die Gesellschaft bzw. die Rechtswissenschaft wird eine solche Entscheidung schwerlich unter Hinweis auf das Sittengesetz als verwerflich verurteilen können. 34 Ein Weiterfuhren dieses Gedankens führt aber zwangs30 Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 2 II GG Rn. 12; Ρ alder in BayVBl. 1977 S. 392 ff., 393, 395; Berg/Knape/Kiworr, § 30 BlnASOG S. 334. 31 Pieroth/Schlink, Rn. 429. 32 Das Sittengesetz könnte man auch als historisch überlieferte Moralauffassung des Volkes bezeichnen, das den Selbstmord schon seit jeher als moralisch verwerflich ansah. 33 Vergi, oben Fn. 30. 34 Hierzu Herzberg in JZ 1988 S. 182 ff.: „Strafrechtliche Beteiligung am Suizid und gerechtfertigte Tötung auf Verlangen". Der Autor untersucht in diesem Aufsatz die strafrechtlichen und polizeirechtlichen Konsequenzen der Sterbehilfe anhand dreier Gerichtsentscheidungen : 1. OLG München vom 31.9.1987 in JZ 1988 S. 201 („Hackethal - Fall") - Arzt stellt Giftbecher zur Verfügung. 2. LG Ravensburg vom 3.12.1986 in JZ 1988 S. 207 - Ehemann schaltet das Beatmungsgerät ab.
IV. Der Schutzgewahrsam
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läufig in den Bereich der Ethik mit sehr aufwendigen und fallorientierten Überlegungen und Unterscheidungen, die im Zusammenhang mit dem Polizeigewahrsam nicht weiter erörtert werden können. Viel diskutiert wurde dieser Themenbereich vorwiegend im Strafrecht im Rahmen einer humanen Sterbehilfe. Man wird in diesen Fällen eine andere Sichtweise anwenden müssen, als nur von einem „törichten Suizid" aus einer kurzentschlossenen Überlegung heraus zu sprechen, da in diesen Grenzsituationen ein Außenstehender die andere Sichtweise der Dinge seitens der Betroffenen nur sehr schlecht bzw. gar nicht nachvollziehen kann und sich daher nicht anmaßen sollte, ein für die Allgemeinheit gültiges Moralurteil abzugeben. Zusammenfassend bleibt aber festzustellen, daß das Grundgesetz gleichwohl keine Grundlage für ein Recht auf Selbsttötung bereithält.
b) Selbstmord und Strafrecht Der „Unglücksfall" i. S. des § 323 c StGB Zwar ist eine Selbsttötung für einen Suizidenten, im Überlebensfall, nicht strafbar. Jedoch besteht in Bezug auf außenstehende Personen durchaus die Möglichkeit einer Strafbarkeit. Eine Grundunterscheidung strafrechtlich relevanten Verhaltens ist diejenige vom „aktiven" Tun zum „passiven" Unterlassen. Da der Ansatz dieser Arbeit die polizeirechtliche Betrachtungsweise von Gewahrsamsproblemen ist, soll an dieser Stelle der aktive Teil, die aktive Sterbehilfe, außer Acht gelassen werden, da dieser Bereich naturgemäß Ärzte oder nahestehende Personen betrifft. 35 Relevant kann vielmehr der passive Bereich, der in § 323 c StGB geregelten unterlassenen Hilfeleistung werden. Danach heißt es, daß jeder strafbar ist, wenn er „bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet ... ". In Literatur und Rechtsprechung besteht schon seit langer Zeit Uneinigkeit, ob ein Suizid ein „Unglücksfall" im Sinne dieser Vorschrift ist. 36 Viele Autoren wollen nach dem Willen, den Motiven und den äußeren Umständen der Tat differenzieren, manche verneinen § 323 c StGB erst auf der Ebene der Zumutbarkeit.
3. VG Karlsruhe vom 11.12.1987 in JZ 1988 S. 208 - Polizeibehörde untersagt Arzt die Vorbereitung eines Suizids wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Weiterhin BGHSt. 32 S. 367 „Wittig - Urteil" und Schüller, vergi, oben Fn. 29. 35 Vergi, hierzu oben Fn. 34; in diesem Zusammenhang können die §§ 34; 35; 212; 212, 13; 216; 222 StGB von Bedeutung sein; vergi, auch Dreher/Tröndle, StGB vor § 211 StGB Rn. 4-21. 36 Vergi. Dreher/Tröndle, StGB § 323 c Rn. 3 a.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
Der Bundesgerichtshof bejaht bei der Selbsttötung einen Unglücksfall. 37 Der Gerichtshof begründet sein Ergebnis mit der Entstehungsgeschichte dieser Norm und argumentiert, daß der Begriff des Unglücksfalls aus der Sichtweise des Außenstehenden gesehen werden müsse und nicht aus dem Blickwinkel des Betroffenen. Für den Außenstehenden seien Motive oder der Wille des Betroffenen irrelevant, da er ohnehin nicht in der Lage sei, diese Motive zu überprüfen. „Ein Unglücksfall ist ein äußeres Ereignis, das vom Willen des Verunglückten unabhängig ist." Die Hilfspflicht des Dritten gehe somit dem Willen des Selbstmörders vor, es bestehe daher eine Rechtspflicht zum Eingreifen, also die Pflicht alles zu tun, um den Tod des Betroffenen zu verhindern. 38 Wenn der Begriff des Unglücksfalles aus der Sichtweise eines Außenstehenden beurteilt werden soll, so muß diesem ein einfaches Konzept für die Beurteilung der Situation an die Hand gegeben werden. Er kann sich nicht lange überlegen, aus welchen Motiven heraus der Suizident möglicherweise gehandelt haben könnte. Es darf nicht entscheidend sein, ob sein Entschluß auf freier Willensentscheidung beruht und ob er immer noch gewillt ist, aus dem Leben zu scheiden oder nicht. Der Helfer im Sinne § 323 c StGB kann all das in einer solchen Grenzsituation nicht leisten, er soll nur realisieren, daß etwas „nicht in Ordnung" ist und dann schnell Hilfe leisten, ohne sich mit derartigen Gedanken beschäftigen zu müssen, die möglicherweise noch in einen „Entscheidungsnotstand" münden könnten. 39 Im Ergebnis ist daher ein Unglücksfall im Sinne des § 323 c StGB in diesen Fällen anzunehmen, der zu einer Handlungspflicht, aktiv Hilfe zu leisten, führt. Die Folge wäre, daß derjenige, der keine Hilfe leistet, sich strafbar machen würde, wenn er nicht einschreitet, was ein Strafmaß von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe nach sich ziehen kann.
37 Seit der Entscheidung des großen Senates vom 10.3.1954, noch auf Basis des alten § 330 c StGB in BGHSt 6 S. 147, 153; später dann noch in BGHSt 13 S. 162; 32 S. 367, 375; eine Besprechung dieser Entscheidung von Gallas findet sich in JZ 1954 S. 639 ff. 38 Begründet wird dieses Ergebnis hauptsächlich mit der strengen Mißbilligung des Suizids durch das Sittengesetz - abgesehen von äußersten Ausnahmefällen - und der Durchsetzbarkeit der Norm in der Praxis. Der BGH räumt aber auch ein, daß es Situationen geben könne, bei denen man anders entscheiden müsse, nennt aber keine Beispiele hierfür. Anders hat im Vorfeld entschieden: BGHSt 2 S. 150 auch in JZ 1952 S. 370. In dieser Entscheidung ist ein Unglücksfall nur unter besonderen Umständen anzunehmen z.B. bei Geisteskrankheit des Betroffenen. 39 So auch BGHSt 6 S. 153, 154.
IV. Der Schutzgewahrsam
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c) Selbstmord und Polizeirecht Verpflichtung des Staates, das Leben zu schützen Der Ansatzpunkt aus polizeilicher Sicht ist vergleichbar, da es auch hier um die Frage geht, ob die Polizei bei Suizidgefahr einschreiten muß, kann oder darf. Einige Bundesländer haben dies in ihren Gesetzen ausdrücklich geregelt 40, andere lösen diese Situation über die Eingriffsermächtigung des die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustands. Die überwiegende Auffassung tendiert dazu, in solchen Selbsttötungsfällen eingreifen und den Suizidenten zu seinem Schutz in Gewahrsam nehmen zu können. 41 Außerhalb des polizeigesetzlichen Gewahrsams subsumiert man den Suizid unter die Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, um so eine Eingriffsermächtigung für Verwaltungsbehörden, z.B. bei länger geplanten Maßnahmen in Krankenhäusern, zu erhalten. 42 Dabei ergeben sich wieder Schwierigkeiten, denn wenn man dafür die öffentliche Ordnung heranziehen würde, könnte man nur dann einschreiten, wenn die Öffentlichkeit tatsächlich tangiert wäre. Das könnte soweit führen, daß ein heimlicher Suizid in einem Zimmer unter Ausschluß der Öffentlichkeit tatenlos hingenommen werden müßte. Um solchen Erwägungen von Anfang an zu begegnen, ist man dazu übergegangen, immer einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit anzunehmen43, da das Leben als höchstes Gut stets durch die öffentliche Sicherheit (Einzelheiten zu diesem Schutzgut im nachfolgenden Kapitel V) geschützt ist und somit keine Unklarheiten in Zweifelssituationen aufkommen können. Schwierigkeiten bereitete in der Vergangenheit auch immer wieder die Frage, ob bei den Suizidenten tatsächlich ein die freie Willensbestimmung ausschließender Zustand vorliegt oder nicht. Dies führt dazu, daß im Polizeirecht eine einhellige Tendenz in die gleiche Richtung geht wie oben bei der strafrechtlichen Diskussion, ob ein Unglücks-
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Vergi, oben Fn. 7 und 8. Übersicht bei Hoffmann in DVB1. 1970 S. 743 ff.: „Polizeiliche Schutzhaft und Grundrechte". Kurzabriß mit Rechtsprechungsnachweisen bei Wolf/Stephan, § 28 BaWüPolG Rn. 22; Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 8; Ipsen, NGefAR Rn. 368. 42 So z.B. VG Karlsruhe in JZ 1988 S. 208. Von einer Verwaltungsbehörde wurde die Vorbereitung eines Suizides unter Berufung auf § 1 Ba-WüPolG wegen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verboten. Eine mögliche Gefahrdung der öffentlichen Ordnung (sittliche und moralische Vorstellungen) könne man in diesem Zusammenhang offen lassen (S. 209 mit weiteren Nachweisen); so auch Palder in BayVBl. 1977 S. 393; sehr kritisch hierzu Herzberg in JZ 1988 S. 188, 189. 43 So auch VG Karlsruhe in JZ 1988 S. 209: „Ob sich ... eine Selbsttötung heute nicht mehr als Störung der öffentlichen Ordnung darstellt, kann dahingestellt sein ... jedenfalls stellt sie eine Störung der öffentlichen Sicherheit dar, die zu verhindern regelmäßig auch im öffentlichen Interesse geboten ist." So auch Schnupp in Die Polizei 1980 S. 341 ff. 41
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
fall gegeben ist oder nicht. Es ist m.E. nicht ersichtlich, warum beide zeitlichen Situationen vor und nach dem versuchten Selbstmord verschieden behandelt werden sollten, da die Motive der Tat, also die Frage, ob ein die freie Willensbestimmung ausschließender Zustand vorlag oder aus welchen subjektiven Beweggründen heraus der Selbstmörder handeln will oder wollte, in keinem Fall für den Außenstehenden ersichtlich sind. An dieser Stelle sei jedoch klargestellt, daß durch eine Vergleichbarkeit beider Situationen keineswegs die Grenze von Prävention und Repression verwischt werden soll; es geht einzig und allein um das Bild, das sich einem Unbeteiligten bietet. Die Lösung muß daher auch aus polizeirechtlicher Sicht in einer praktischen Betrachtungsweise 44 liegen, da Polizeibeamten vor Ort, genau wie bei dem außenstehenden Hilfeleistenden, einfach keine nähere Prüfung der Gründe oder der Willensfähigkeit zugemutet werden kann. 45 Ob ein „törichter" oder ein freiverantwortlicher Suizid vorliegt, können sie nicht diagnostizieren. 46 Die polizeirechtliche Schiene verlangt nach klaren, praxisnahen Vorgaben. Polizisten sollen sich in solchen Situationen nicht in Grundsatzüberlegungen ergehen müssen und erst recht sollen sich an ein mögliches Unterlassen von Polizeibeamten keine Haftungsansprüche gegen den Staat knüpfen (z.B. Amtshaftungsansprüche gem. Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB), wenn der Polizist nicht gehandelt hat und der Betroffene doch nicht im „Vollbesitz seiner geistigen Kräfte" war. 47 Daher kann es auch aus polizeirechtlicher Sichtweise im Ergebnis nur dazu führen, daß der wirkliche Wille des Suizidenten unbeachtlich sein und somit stets ein die freie Willensbildung ausschließender Zustand pauschal angenommen werden muß 48 , da das äußere Erscheinungsbild bei allen Selbstmorden 44 Dieser Lösungsweg kann nur im Rahmen des polizeirechtlichen Gewahrsams gelten, da hier oftmals sehr schnell entschieden werden muß. Unter menschlichen Aspekten wäre für mich bei der sonstigen Verwaltung, z.B. bei der obigen Entscheidung des VG Karlsruhe, eine andere Betrachtungsweise und Entscheidung denkbar und wünschenswert, da sich die außenstehende Verwaltung nicht in die Lage eines Patienten oder eines Arztes versetzen kann und moralische Grundsatzerwägungen im Hinblick auf die Menschenwürde des betroffenen Individuums, die nach Art. 1 I GG ebenfalls stets zu beachten ist, nicht überstrapaziert werden sollten. Ein kurzer Motivvergleich eines Suizids bei Hoffmann in DVB1. 1970 S. 478. Weitergehende Quellenhinweise bei Dreher/Tröndle, StGB vergi, oben Fn. 35 und 36. 45 Vergi. OLG Nürnberg in NVwZ-RR 1991 S. 69 ff.; VG Freiburg in VB1BW 1986 S. 229; so auch Berg/Knape/Kiworr, § 30 BlnASOG S. 334. 46 Zu den Begriffen vergi. Herzberg in JZ 1988 S. 185. 47 So geschehen: OLG Hamm in NJW 1989 S. 1809. Das Gericht hat entschieden, daß dem Wachpersonal einer Justizvollzugsanstalt die Amtspflicht obliege, Gefangene vor Selbstmordversuchen zu schützen. Das Personal müsse bei Vorliegen von „erkennbaren" Suizidmerkmalen sofort geeignete Maßnahmen treffen. 48 Hoffmann in DVB1. 1970 S. 474 mit einer Entwicklung dieses Gedankenganges. Auch schon PrOVG, Bd. 39 S. 390 ff., 392: „ ... sonst würde die Polizei in die natürli-
IV. Der Schutzgewahrsam
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gleich ist. Die Polizeigesetze dürfen daher in „typisierender und generalisierender Weise davon ausgehen, daß sich eine Person bei Einleitung von Selbstmordmaßnahmen in der Regel in einem psychologischen Ausnahmezustand befindet. Die Polizei ist daher ermächtigt, eine Person 49 in dieser Lage vor sich selbst zu schützen."50 Diese Ermächtigung resultiert aus einer Verpflichtung des Staates, das Leben zu schützen.51 Wollte man das Thema Suizid und Polizeirecht auf einen Nenner bringen, könnte man sagen: „Dçr Suizident darf sich bei seinem Selbstmordversuch von der Polizei eben nicht antreffen lassen." Bekommt die Polizei nämlich hiervon Kenntnis, muß sie einschreiten und den Schutzgewahrsam anordnen, da ihr nicht zugemutet werden kann und es auch praktisch nicht möglich ist, die Motive des Suizidenten vor Ort zu erkennen, zu bewerten und ihn im Falle einer möglicherweise freien und wohlüberlegten Willensentscheidung gewähren zu lassen.52 Der Polizist hat keine entsprechende Ausbildung erhalten, um sich mit diesen Grenzfällen kompetent auseinandersetzen zu können, da hierfür psychologische Kenntnisse vorauszusetzen sind. Die Hilfsverpflichtung des Staates muß der Klarheit wegen vor den Willen des Betroffenen gestellt werden. Die Normen des Schutzgewahrsams, die eine ausdrückliche Eingriffsermächtigung gegen Selbstmord festschreiben 53, sind daher im gleichen Zuge nicht zu beanstanden, da auch das Grundgesetz kein Recht, über das eigene Leben frei verfügen zu können, kennt; insoweit liegt also auch kein Grundrechtsverstoß vor. In allen anderen Fällen kann mangels einer detaillierteren Regelung grundsätzlich von einem die freie Willensbetätigung ausschließenden Zustand ausgegangen werden.
che Handlungsfreiheit des Einzelnen eingreifen ... , gleichwohl mag die Polizei befugt sein, einen Selbstmord zu verhindern ..." 49 Nach BGH in NJW 1955 S. 1038 ist ein Gewahrsam schon dann möglich, wenn Tatsachen daraufhindeuten, daß jemand einen Selbstmord begehen will. (In diesem Fall verließ ein Ehemann seine Familie, und die Polizei hätte zurecht davon ausgehen können, daß sich Frau und Kind umbringen wollten.) 50 So im Wesentlichen auch der Tenor des BayVGH in NJW 1989 S. 1790 (mit Begründung S. 1791). Sollte eine einfache Ingewahrsamnahme nicht ausreichen, ist auch eine Fesselung bei Selbstmordgefährdung rechtmäßig. BayVGH in NJW 1990 S. 2926 f. mit vergleichbarer Begründung. 51 BayObLG in NJW 1989 S. 1816; BayVGH in NJW 1990 S. 2927; Schnupp in Die Polizei 1980 S. 341 „Selbsttötung zu verhindern ist eine staatliche Aufgabe". 52 So auch Schnupp als Polizeifuhrer aus der Praxis in Die Polizei 1980 S. 342: „Ob im Einzelfall ein Ausnahmezustand vorliegt oder nicht, kann sicherlich kaum vom einschreitenden Polizeibeamten beurteilt werden. Er muß vielmehr davon ausgehen, daß er zum Schutz des Lebens tätig wird." Im Ergebnis so auch Palder in BayVBl. 1977 S. 396 und Möller/Wilhelm, S. 23, 114. 53 Vergi, oben Fn. 7 und 8.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
Anmerkung: Eine Prüfung der Vereinbarkeit des Schutzgewahrsams mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 5 EMRK) erfolgt im Kapitel X in diesem Teil.
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam 1. Begriffsbestimmung Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam ist der Hauptanwendungsfall der gewahrsamsrechtlichen Vorschriften, da es sich insoweit um die klassische polizeiliche Arbeit der Gefahrenabwehr handelt. Für diese Gewahrsamsform 54existieren verschiedene Begriffe. Es wird vom Sicherheits 55-, Vorbeuge 56 ·, Unterbindungs 57 -, Präventiv 58 -, Sicherungs 59-, Beseitigungsgewahrsam 60 oder vom Gewahrsam aus präventivpolizeilichen Gründen 61 gesprochen. Unter all diesen verschiedenen Bezeichnungen, die je nach den Ländern bzw. Lehrbuch- und Kommentarautoren verschieden lauten, wird jedoch im Ergebnis mit unterschiedlichen Herleitungen verstanden, daß sich diese Gewahrsamsform gegen einen Störer richtet, der von einem bestimmten Verhalten oder dessen Fortsetzung abgehalten werden soll. Dabei wird die Maßnahme oft selbst in zwei Teilmaßnahmen aufgespalten, ohne daß dadurch eine weitere Eingriffsermächtigung geschaffen wird. Es wird zwischen einer präventiven und einer repressiven 62 Gewahrsamsvariante unterschieden. Die erste zielt auf die Ver54 Gesetzliche Regelungen zum Unterbindungsgewahrsam sind in allen Polizeigesetzen niedergelegt, so in: Art. 17 I Nr. 2 BayPAG; § 28 I Nr. 1 Ba-WüPolG; § 30 I Nr. 2 BerlASOG; § 15 I Nr. 2 BremPolG; § 17 I Nr. 2 BbgPolG; § 13 I Nr. 2 HamSOG; § 32 I Nr. 2 HessSOG; § 55 I Nr. 2 SOG M - V ; § 18 I Nr. 2 NGefAG; § 35 I Nr. 2 NWPolG; § 14 I Nr. 2 Rh-PfPOG; § 13 I Nr. 2 SPolG; § 22 I Nr.l SächsPolG; § 37 I Nr. 2 SOG LSA; § 204 I Nr. 2 SHLVwG; § 19 I Nr. 2 ThürPAG; auch in § 39 I Nr. 3 BGSG. 55 Samper/Honnacker, Art. 16 BayPAG Rn. 5; Pausch/Prillwitz, S. 207; Scholler/Schloer, S. 123. 56 Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 9. 57 So spricht z.B. Gusy, PolR Rn. 245 davon, daß sich in einigen Bundesländern der Sicherungsgewahrsam zum Unterbindungsgewahrsam ausgeweitet hat, meint dies aber in anderem Zusammenhang als Knemeyer, Pol- u. OrdR Rn. 147, 150; Roos, § 14 Rh-Pf POG Rn. 20; wieder in anderem Zusammenhang Reichert/Ruder, Rn. 571; Ebert/Honnacker, § 19 ThürPAG Rn. 5. 58 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rn. 236; Götz, AllgPol- u. OrdR Rn. 236. 59 Gusy, PolR Rn. 245. 60 Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 9. 61 Reiff/Wöhrle/Wolf, § 22 Ba-WüPolG Rn. 1. 62 Nicht zu verwechseln mit der repressiven Zielrichtung der Strafverfolgungsgesetze.
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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hinderung des verbotenen Verhaltens von vornherein ab, die zweite auf die Verhinderung der Fortsetzung dieses Verhaltens. 63 Im letzteren Fall ist daran zu denken, daß die Polizei durch die Ingewahrsamnahme in einen laufenden Handlungsablauf eingreift. Im weiteren sollen für diese polizeiliche Maßnahme die Begriffe des Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsams verwendet werden, da damit m.E. am besten die Aufgabe der Polizei umschrieben wird, indem bei dieser Gewahrsamsform unmittelbar bevorstehende Gefahren von vornherein unterbunden und bereits bestehende Störungen durch entsprechende Maßnahmen beseitigt werden sollen. Beispiele für den Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam sind: a) Eine Person, die schon mehrfach wegen Sachbeschädigung bestraft wurde, kündigt an, sie werde gleich eine große Schaufensterscheibe einschlagen. Eine herbeigerufene Polizeistreife nimmt diese Person vorsichtshalber in Gewahrsam. b) Jemand droht, er werde jemanden anderen töten und seine Vorgeschichte gibt hierzu ernsthaften Anlaß, so kann er in Gewahrsam genommen werden. c) Eine Gruppe vermummter Personen begibt sich mit Schlagstöcken und Molotowcocktails in Richtung einer Demonstration. Auch diese Gruppe kann in Gewahrsam genommen werden, um einen gewalttätigen Eingriff in das Versammlungsrecht zu verhindern. d) Ein Sprayer ist gerade dabei, eine Hauswand zu besprühen. Er kann in Gewahrsam genommen werden, denn bei einer Wegnahme der Spraydosen allein könnte er erneut zurückkehren und die Wand mit einer anderen Spraydose weiter besprühen. e) Während einer Antiatomkraftdemonstration werden von einzelnen Personen Gleisanlagen, auf denen abgebrannte Brennelemente in ein Zwischenlager transportiert werden sollen, mit Schneidbrennern durchtrennt bzw. der Gleiskörper unterhöhlt. Zur Verhinderung weiterer Beschädigungen werden diese Personen in Gewahrsam genommen.
Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam trifft von seiner Qualität als Freiheitsentziehung mit den Festnahmebestimmungen der Strafprozeßordnung (StPO) zur Verfolgung strafbarer Handlungen zusammen; er soll diese allerdings in keiner Weise beeinträchtigen, sondern allenfalls ergänzen 64, da er ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr, also präventiv und nicht der repressiven Strafverfolgung erfolgt. Dennoch, sind beide Gesetze (Polizeigesetze und Strafprozeßordnung) in gewisser Weise miteinander verknüpft, wie noch vereinzelt zur Sprache kommen wird, da Polizei und Strafverfolgungsbehörden auf gegenseitige Mitarbeit in personeller und organisatorischer Weise angewiesen sind.
63 64
Samper/Honnacker, Art. 16 BayPAG Rn. 5. Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 8.
5 Stoermer
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
2. Unterschiede in den Ländergesetzen / Schutzgüter dieser Gewahrsamsform Abgesehen von kleineren Unterschieden gibt es zwei Gruppen von Eingriffsvoraussetzungen für den Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam: a) Eine Gruppe geht von einer „erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" aus, also von einer generalklauselartigen Regelung.65 b) Die andere Gruppe spricht von einer „Begehung oder Fortsetzung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit." 66
Innerhalb dieser zweiten Gruppe gibt es wiederum weitere geringfügige Unterschiede, so sprechen manche Länder von einer „erheblichen Gefahr" anstatt einer „erheblichen Bedeutung." 67 Brandenburg spricht von einer „nachhaltigen Beeinträchtigung des Rechtsfriedens" statt der „erheblichen Bedeutung für die Allgemeinheit." Letztlich ist jedoch die Zielrichtung der Vorschriften der zweiten Gruppe insgesamt dieselbe, auf Feinheiten der Wortwahl innerhalb der Bezeichnungen kommt es im Ergebnis nicht weiter an. Auch Bayern wollte zunächst eine „erhebliche Gefahr" anstatt einer „erheblichen Bedeutung für die Allgemeinheit" normieren 68 , hat sich dann aber für die letztere Möglichkeit entschieden. Beide Begriffe beinhalten die gesteigerte soziale Relevanz eines entsprechenden polizeipflichtigen Verhaltens, die m.E. durch die brandenburgische Vorschrift des § 17 I Nr. 2 BbgPolG, mit der Anknüpfung an den Begriff des Rechtsfriedens am treffendsten bezeichnet wird. Neuere Gesetze geben den Polizeibeamten Orientierungsbeispiele an die Hand, 69 bei deren Vorliegen „in der Regel" von einer „bevorstehenden Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher
65 So die Regelung des damaligen § 15 PreußPVG von 1931, heute nur noch § 28 I Nr. 1 Ba-WüPolG mit den Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit und Ordnung; § 22 I Nr. 1 SächsPolG, wobei hier auf das Schutzgut der öffentlichen Ordnung verzichtet wurde. 66 So die Regelungen in den übrigen Bundesländern. 67 Bremen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. 68 Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 11 mit kurzem Bericht über die Testphase dieser Norm in Bayern. Auch § 13 des ME von 1977 spricht von einer „erheblichen Gefahr". Im Grunde ist dieser Gefahrenbegriff hier auch etwas widersprüchlich, da das Vorliegen einer Gefahr die Grundvoraussetzung für den Gewahrsam überhaupt ist und dies bereits im Rahmen der „unmittelbar bevorstehenden Begehung" geprüft wird. Die „erhebliche Bedeutung" ist als sprachliches Kriterium für eine weitere Selektion besser geeignet, wie sich später noch zeigen wird. 69 Nach Knemeyer, Pol- u. OrdR Rn. 150 hat Bayern „zur Ausräumung von Unsicherheiten bei der Gesetzesanwendung sowie unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgebotes der Polizei objektive Anhaltspunkte für ihre Gefahrenprognose gegeben"; dazu auch Knemeyer in N V w Z 1990 S. 138 ff.; Schmitt Glaeser in BayVBl. 1989 S. 129 ff.
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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Bedeutung für die Allgemeinheit" ausgegangen werden kann. 70 Es handelt sich hierbei um in Gesetzesform gegossene Verwaltungsvorschriften, die den Beamten die Arbeit vor Ort erleichtern sollen. 71 Bei diesen Beispielskatalogen ist in den Ziffern: a) Die Ankündigung oder Aufforderung zu Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung unter Verwendung oder Beisichführen von Transparenten oder Flugblättern, b) das Mitsichführen von geeigneten Waffen oder Werkzeugen, c) die „Störervergangenheit" der entsprechenden Personen.
angesprochen bzw. geregelt. Bei einer Darstellung der Schutzgüter des Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsams bietet sich daher eine Unterteilung nach den zwei verschiedenen vorgenannten Regelungsarten an.
3. Der (generalklauselartige)
Gewahrsam zur Gefahrenabwehr
Ein Gewahrsam zur Verhinderung oder Beseitigung einer erheblichen Störung für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, also eine generalklauselartige Regelung, wird als Gewahrsam zum Zwecke der Gefahrenabwehr bezeichnet.72 Diese Regelungskonzeption wird heute nur noch von Baden-Württemberg und Sachsen 3, dort jedoch ohne das Schutzgut der öffentlichen Ordnung verfolgt und knüpft an die Urkonzeption des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes aus dem Jahre 1931 an. 74 Sie stellt gegenüber der Verhinderung der Begehung oder Fortsetzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten eine komplexere
70 So heißt es in diesen Vorschriften: „die Annahme, daß eine Person eine solche Tat begehen oder zu ihrer Unterstützung beitragen wird, kann sich insbesondere darauf stützen, daß... " 71 Derartige Regelungen in Bayern Art. 17 I Nr. 2 a-c BayPAG; Brandenburg §17 1 Nr. 2 a-c BbgPolG; Sachsen-Anhalt § 37 I Nr. 2 a-c SOG LSA; Thüringen § 19 I Nr. 2 a-c ThürPAG. Der Inhalt dieser Beispiele, auch der Wortlaut, ist in allen vier Bundesländern gleich, Vorläufer war Bayern mit der Gesetzesänderung des BayPAG von 1989. Im Jahre 1996 hat auch Hamburg die Ziffer c (Störervergangenheit) als Regelbeispiel in seinen Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam gem. § 13 I Nr. 2, 2. Halbsatz HamSOG eingefugt. 72
So auch Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 284. Der Sächsische Datenschutzbeauftragte hatte in der Anhörung zum Änderungsgesetz 1994, gefragt zu einer möglichen Unbestimmtheit einer generalklauselartigen Regelung, ausgeführt, daß er und die damalige CDU-Landesregierung eine derart offene Regelung „für beide Seiten hilfreicher halte" (Wortprotokoll des Innenausschusses, S.12). 74 Die Generalklausel selbst mit den Schutzgütern öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung hatte ihren Ursprung im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794. 73
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
Eingriffsermächtigung dar 75 , da sie mehr Möglichkeiten und eine größere Flexibilität bietet, wie sich später noch zeigen wird. Auf der anderen Seite ist dieser Typus von seinen theoretischen Möglichkeiten auch sehr weit gefaßt. Bereits in anderem Zusammenhang wurde angesprochen, daß der Trend der Polizeigesetze in neuerer Zeit weg von generalklauselartigen Regelungen hin zu speziellen Einzelermächtigungen geht. 76 Diese Entwicklung hat ihren Grund in der gestiegenen verfassungsrechtlichen Anforderungen an derart intensive Grundrechtseingriffe. Teile der Literatur sehen in dieser Entwicklung gerade im Hinblick auf den Gewahrsam „einen rechtsstaatlichen Fortschritt gegenüber der alten Regelungsweise", da er der grundrechtlich gewährleisteten Freiheit der Person des Art. 2 II S. 2 GG besser Rechnung trägt. 77 Dem wird entgegengehalten, daß sich dies in den Ländern mit dem pauschalen Gewahrsam zur Gefahrenabwehr {Baden-Württemberg und Sachsen) bislang auch mit einer restriktiven Interpretation und Handhabung der bestehenden Eingriffsvoraussetzungen hat bewerkstelligen lassen. Der Gewahrsam zur Gefahrenabwehr beinhaltet zwei Schutzgüter:
a) Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit 78 umfaßt die Unversehrtheit der Rechtsordnung, den Bestand des Staates sowie die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen 79 , und zwar dort, wo er nicht explizit durch Normen 80 geschützt ist sowie schließlich die Unverletzlichkeit subjektiver Rechte und Rechtsgüter Einzelner. 81 Die Unversehrtheit der Rechtsordnung als wichtigstes Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist von herausragender Bedeutung, da mittlerweile der größte Teil des gesellschaftlichen Lebens derart durchnormiert
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So Götz, AllgPol- u. OrdR Rn. 291. Vergi, dazu die Ausführungen im ersten Teil, Kapitel I. 77 Sinngemäß so Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 12, 6. 78 Zum Begriff der öffentlichen Sicherheit mit ausführlicher Darstellung der hierunter zu verstehenden Schutzgüter vergi. Denninger in Lisken/Denninger, E Rn. 6-24; Friauf in Schmidt-Aßmann, Rn. 33 ff. Eine Legaldefinition dieses Begriffs vergleichbaren Inhaltes in §§ 2 Nr. 2 BremPolG und 3 Nr. 1 SOG LSA. 79 Gemeint ist damit im weitesten Sinne das Funktionieren der Staatsorgane und der staatlichen Verwaltung. 80 So z.B. in §§ 80 ff. StGB. 81 Gemeint sind damit private Vermögenswerte und immaterielle Rechtsgüter, wobei der Polizei hinsichtlich dieser Schutzgüter nur eine nachrangige Zuständigkeit zukommt, wenn nämlich gerichtlicher Schutz, z.B. in Form des vorläufigen Rechtsschutzes gem. §§916 ff., 935 ff. ZPO, nicht rechtzeitig zu erlangen ist oder die Verwirklichung des Rechtes dadurch wesentlich erschwert werden würde, vergi. z.B. § 2 II BaWüPolG. 76
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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ist, daß es eines Rückgriffs auf die anderen Schutzgüter in größerem Umfang nicht mehr bedarf bzw. dieser nur sehr restriktiv erfolgen sollte. Es existiert bei diesem Schutzgut keine weitere Unterscheidung zwischen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten wie bei der anderen Regelungsart des Unterbindungsgewahrsams, da beide Fälle gleichermaßen unter die Verletzung geschriebenen öffentlichen Rechtes fallen. Jede Rechtsverletzung kann, so gesehen, zu einer Ingewahrsamnahme fuhren. 82 Es kann sich daher eine Fülle denkbarer Anwendungsfälle ergeben. Bereits bei dem Verhältnis von Standardmaßnahmen zu den Generalklauseln wurde festgestellt, daß die Verwendung generalklauselartiger Regelungen grundsätzlich nicht zu beanstanden ist 83 , da die Ausfüllung dieses breiten Anwendungsspektrums in ausreichendem Maße durch Verwaltungspraxis und Rechtsprechung gewährleistet ist. Nach dem Wortlaut dieser Vorschriften kann daher eine Vorselektion der in Frage kommenden Gewahrsamsfälle nur über das einschränkende Merkmal der „erheblichen Störung" dieses Schutzgutes, also einer klassischen Verhältnismäßigkeitsprüfung, erfolgen. Eine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit ist daher grundsätzlich geeignet, einen Gewahrsam zu rechtfertigen. Auf die „Erheblichkeit" wird noch zurückzukommen sein.
b) Das Schutzgut der öffentlichen Ordnung 84 Nach heute überwiegender Meinung kann im Vergleich zu einer erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit eine Störung der öffentlichen Ordnung eine Ingewahrsamnahme nicht mehr begründen. 85 Daher hat Sachsen in seinem neueren Polizeigesetz aus dem Jahre 1991 auf einen Gewahrsam zu diesem Zwecke verzichtet. Eine Störung der öffentlichen Ordnung ist dabei gegenüber einer Störung der öffentlichen Sicherheit kein Minus, da sich sonst eine Diskussion darüber erübrigen würde, sondern ein Aliud 8 6 , was vor allem mit der „schlecht greifbaren Materie" dieses Schutzgutes quasi als „Hüter des Volksmoral" zusammenhängt. Unter der öffentlichen Ordnung ist kein fester Be-
82
So auch Friauf \n Schmidt-Aßmann, Rn. 38. Vergi, vorne im ersten Teil, Kapitel I Fn. 27 mit weiteren Nachweisen. 84 Zum Begriff der öffentlichen Ordnung vergi. Denninger in Lisken/Denninger, E Rn. 25-28; zur Entwicklung dieses Schutzgutes in den neuerlichen Polizeirechtsnovellen allgemein vergi. Götz in N V w Z 1994 S. 652 ff., 656; vergi, auch allgemein Friauf in Schmidt-Aßmann, Rn. 39 ff. Eine Legaldefinition des Begriffes der öffentlichen Ordnung ist nunmehr auch in § 3 Nr. 2 SOG LSA geregelt. 85 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rn. 236, Fn. 147; Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 12, 6; Reiff/Wöhrle/Wolf, § 22 Ba-WüPolG Rn. 8; Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn.10; Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 6; Gusy, PolR Rn. 244; Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 284; Hoffmann-Riem in Hoffmann-Riem/Koch, S. 246; Reichert/Ruder, Rn. 574. 86 Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 10 mit Verweis auf § 1 Ba-WüPolG Rn. 67. 83
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standteil von Vorstellungen und Sichtweisen der Bevölkerung zu sehen, sondern die „Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beobachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerläßliche Voraussetzung emes geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens betrachtet wird." 8 7 Das besagt gleichzeitig, daß sich die hier zugrunde gelegten „Moralvorstellungen" der Bevölkerung ständig ändern und wandeln können und demzufolge daraus natürlich eine große Unklarheit resultiert, bei der der Einzelne nicht immer genau wissen kann, ob und wo sein Verhalten noch von der Öffentlichkeit gebilligt wird oder nicht. Die Unklarheit der „Bezugseinheit" bei der Ausfüllung des Begriffs der öffentlichen Ordnung fordert demzufolge auch die Kritik an diesem Schutzgut, da „die Mehrheit der Minderheit ihre sozialethischen Auffassungen so aufzu88
zwingen versucht." Es ist somit sehr schwer, auf dieser vagen, „rechtlichmoralischen Grundlage" einen massiven Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Art. 2 II S. 2 GG durch den polizeilichen Gewahrsam zu rechtfertigen. Der Einzelne muß sich an konkreten Rechtssätzen orientieren und wissen müssen, wann er eine Grenze überschreitet, die polizeiliche Maßnahmen gegen ihn auslösen kann. Andernfalls wäre er einer Willkür in der Sache selbst ausgesetzt oder es wären lokale Unterschiede in moralischen Anschauungen für einen Eingriff entscheidend. Aufgrund des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips des Art. 20 II und I I I GG hat der Gesetzgeber ,jede Ordnung eines Lebensbereiches durch Sätze objektiven Rechts festzusetzen", die mit den Ansichten der Basis, also des Volkes, im wesentlichen übereinstimmen und allgemein gebilligt werden. 89 So lange das nicht der Fall ist, wäre die Gefahr willkürlicher, unverhältnismäßiger Eingriffe zu groß. Die Ansicht, daß sich der Gesetzgeber durch Normen wie §§ 242, 138 BGB selbst Einfallstore für sich wandelnde Ansichten offenläßt, kann hinsichtlich des Gewahrsams nicht gelten, da die Zielsetzung der BGB-Normen eme völlig andere ist und keine derart belastenden Folgen, wie eine Freiheitsentziehung, nach sich ziehen. Aus den genannten Gründen kann ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung, vor allem aus den Gesichtspunkten der Unkalkulierbarkeit und der Verhältnismäßigkeit, heute allein nicht mehr zu einer Ingewahrsamnahme führen. 90 Eine Anpassung 87
So aus dem Urteilstext des PreußOVGE 91 S. 139, 140 von 1933 „Damenboxkämpfe"; so jetzt auch fast in haltsgleich die Legaldefinition in § 3 Nr. 2 SOG LSA. 88 So Denninger in Lisken/Denninger, E Rn. 28 mit weiteren Nachweisen. 89 BVerfGE 33 S. 125, 158 f. 90 Auch das OVG Berlin in DVB1. 1971 S. 279 ff. = JR 1971 S. 392 ff. hat in dieser Weise entschieden, indem es ausgeführt hat, daß das Kleben von Plakaten mit der Aufforderung zur Teilnahme an einer ungenehmigten Demonstration nicht die polizeiliche Ingewahrsamnahme rechtfertigen könne: „Gegenüber dieser Polizeiwidrigkeit als Störung nur der öffentlichen Ordnung stellt die Entziehung eines so wichtigen und durch Art. 2 II GG besonders gewährleisteten Rechtsgutes wie der Freiheit eines Menschen, einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar." Aus dem Leitsatz der
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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der jetzt noch bestehenden Gesetzeslage in Baden-Württemberg hinsichtlich des § 28 I Nr. 1 Ba-WüPolG wäre daher als zeitgemäßere Lösung zu befürworten.
c) Die Erheblichkeit der Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung In allen Fällen muß hinzukommen, daß die „Erheblichkeit" 91 einer derartigen Störung als Ausfluß des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegeben ist. Eine erhebliche Störung ist dann gegeben, wenn eine gewisse Intensität und eine gewisse polizeiliche Bedeutung erreicht sind, die bedeutsame Rechtsgüter gefährden oder sich dies aus Umfang oder Intensität der Störung ergibt. 92 Dieses Eingrenzungskriterium muß daher alleine das leisten, was bei der anderen Form des Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsams die Unterscheidung von Straftaten und erheblichen Ordnungswidrigkeiten bewirken soll.
4. Der Gewahrsam zur Verhinderung der Begehung oder der Fortsetzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten mit erheblicher Bedeutung (von erheblicher Gefahr) für die Allgemeinheit Neben dem Gewahrsam zur Gefahrenabwehr ist die andere Normgruppe an den Musterentwurf von 1977 angelehnt und hat sich zahlenmäßig durchgesetzt, da die meisten Bundesländer, abgesehen von Baden-Württemberg und Sachsen, dieser Konzeption gefolgt sind. Der Fortschritt dieser Gesetzgebungsvariante ist der, daß ein Eingriff nicht über eine weit dehnbare Generalklausel erfolgt, sondern sich an gesetzlich sanktionierte Verhaltensweisen, also an Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aus dem Strafgesetzbuch, dem Ordnungswidrigkeitengesetz sowie an Straf- und Ordnungsbestimmungen aus anderen Gesetzen anknüpft. Damit ist eine bessere Vorhersehbarkeit und Kalkulierbarkeit einer Ingewahrsamnahme gegeben, die bei einer Störung der öffentlichen Ordnung zu Recht bemängelt wurde. Ein Verschulden oder die Schuldfähigkeit der be-
Entscheidung des OLG Karlsruhe in DÖV 1976 S. 170 ff. könnte man u.U. folgern, daß das Gericht der Ansicht ist, daß eine Ruhestörung einen Gewahrsam rechtfertigen könnte, jedoch befand das Gericht in der vorgenannten Entscheidung nur über den Rechtsweg und nicht über die Zulässigkeit eines Gewahrsam. 91 Zur Erheblichkeit: VG Freiburg in VB1BW 1986 S. 229: „ ... dies kann nur dann angenommen werden, wenn der Eintritt eines Schadens nach allgemeiner Erfahrung sofort oder in allernächster Zeit als gewiß angesehen werden muß." 92 Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 12; Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 6; Reichert/ Ruder, Rn. 574 mit weiteren Fällen und Beispielen, bei denen eine derartige „Erheblichkeit" gegeben ist.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
troffenen Person hinsichtlich der Tatbestände der in Frage kommenden Normen ist für eine polizeiliche Maßnahme nicht von Bedeutung, da diese strafrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Gefahrenabwehr grundsätzlich nicht von Belang sind. Jedoch gibt es auch bei dieser Konzeption Schwierigkeiten, gerade im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der in allen Polizeigesetzen als Handlungsmaßstab gesetzlich zugrundegelegt ist. Es wird die Frage aufgeworfen, ob bei dieser Gewahrsamsform tatsächlich alle Straftaten als Voraussetzung ausreichen oder ob „geringfügige" Straftaten davon ausgenommen werden sollten bzw. ob eine Ingewahrsamnahme in Zusammenhang mit einer Ordnungswidrigkeit überhaupt möglich sein soll. 93 Der Alternativentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes (AEPolG) von 1979 nimmt bei seiner Regelung des Gewahrsams in § 20 die Möglichkeit einer Ingewahrsamnahme wegen einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung ohne nähere Begründung völlig aus.94 Bislang hat nur der Freistaat Thüringen versucht, gesetzlich diese Frage zu beantworten, da er in § 31 V und V I seines Polizeiaufgabengesetzes über den § 19 I Nr. 2 klarstellt, daß der Polizeigewahrsam nur zur Verhinderung „gravierender Delikte" 95 eingesetzt werden darf, die dort näher spezifiziert sind. Interessant ist, daß in diesem Gesetz besonders Ordnungswidrigkeiten aus dem Bereich des Umweltschutzes und „gemeinschaftswidrige Wirtschaftsformen" als solche gravierenden Delikte angesprochen werden.
a) Straftaten Bei dem Sammelbegriff Straftaten ist nach § 12 StGB zunächst die Unterscheidung zwischen Verbrechen (Mindesstrafandrohung ein Jahr Freiheitsstrafe oder darüber) und Vergehen (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe) relevant. Es wird daher Straftaten geben, bei denen man auf den ersten Blick Bedenken haben könnte, zu einer derart einschneidenden Maßnahme, wie es der Gewahrsam als Freiheitsentzug darstellt, zu greifen.
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Zur Vereinbarkeit dieser Konzeption mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vergi. Kapitel X. 94 Vergi. Riegel in DVB1. 1979 S. 709 ff. 95 § 31 V ThürPAG zählt bei den Straftaten von erheblicher Bedeutung enumerativ Delikte aus dem Strafgesetzbuch, dem Waffen-, Betäubungsmittel- und Ausländergesetz auf. § 31 V I ThürPAG spricht von Ordnungswidrigkeiten, die „auf Grund ihrer Begehungsweise, ihrer Dauer oder Schwere eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen und geeignet sind, die Sicherheit der Bevölkerung zu beeinträchtigen. Insbesondere solche, die sich auf eine Schädigung der Umwelt oder auf gemeinschaftswidrige Wirtschaftsformen beziehen, stehen Straftaten von erheblicher Bedeutung im Sinne des Absatzes V gleich."
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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Als Beispiele werden in der Literatur genannt:96 § 248 c StGB (Entziehung elektrischer Energie), § 265 a StGB (Erschleichung von Leistungen z.B. im Personennahverkehr), § 132 a StGB (Mißbrauch von Titeln, z.B. das Führen eines falschen Doktortitels), etc. Bei näherer Betrachtung erweisen sich diese Delikte aber als gar nicht so harmlos. Man kann natürlich darüber streiten, ob das Fahren mit der Straßenbahn ohne Bezahlung ein „schweres Delikt" ist oder nicht, jedoch umfaßt der Tatbestand des § 265 a StGB auch andere Deliktsmöglichkeiten, und keiner wird das Erschleichen von Fernmeldeleistungen nach der 2. Alternative als geringfügig ansehen, wenn dabei Schäden von mehreren tausend D M auftreten können 97 , von den Folgen der unberechtigten Führung eines Titels als Vertrauenstatbestand ganz zu schweigen. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Reaktion des Gesetzgebers beim geplanten Strafrechtsänderungsgesetz verwiesen, bei dem er auf die gesellschaftlichen Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit in der Weise zu reagieren plant, daß er den Strafrahmen von Eigentumsdelikten, z.B. Diebstahl, reduzieren will und ihn gleichzeitig bei Tötungs- und Körperverletzungsdelikten anhebt. Das zeigt, daß der Bundesgesetzgeber durchaus auf die Strömungen der Zeit, wenn auch 98
nicht immer sofort, reagiert. Dazu gehört auch, Straftatbestände zu schaffen, wenn dies angebracht ist bzw. sie zu streichen, wenn sie nicht mehr in die aktuelle zeitliche Situation passen. Der Bundesgesetzgeber legt gem. Art. 74 I Nr. 1 GG abschließend fest, was er strafrechtlich sanktionieren will. Wenn der Landesgesetzgeber daher pauschal aus Gründen der „Rechtssicherheit" auf den Begriff der Straftaten verweist, übernimmt er auch gleichzeitig die Wertung des Bundesgesetzgebers. Thüringen ist in seinem Polizeigesetz einen anderen Weg gegangen, indem es über den § 31 V ThürPAG Verbrechen grundsätzlich als Straftaten von erheblicher Bedeutung klassifiziert und daneben in den Ziffern eins bis vier enumerate qualifizierte Vergehen aufführt, die nach Ansicht des Landesgesetzgebers von entsprechendem Gewicht sind. 99 Dabei sind z.B. Delikte, wie die ein96
Z.B. Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 286. Vergi. Dreher/Tröndle, StGB § 265 a Rn. 1 b. 98 Vergi. BVerwGE 45 S. 51, 59, in dem das Gericht ausführt, daß „es Sache des Gesetzgebers sei, welches Verhalten er, auch im Wandel der Zeit, für strafrechtlich relevant hält. Er kann Taten pönalisieren oder entkriminalisieren und somit dem jeweiligen Anschauungsstand der Zeit anpassen." BVerwGE 45 S. 51 ff. = Fall Rudi Dutschke, als einer der grundlegendsten Entscheidungen hinsichtlich der vorbeugenden Gefahrenabwehr. 99 Bei der Wortkonstellation „Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit", könnte man zu dem Schluß gelangen, daß der Zusatz bei den Ordnungswidrigkeiten grundsätzlich auch bei den Straftaten zu gelten haben. Dies ist aber nicht zutreffend, da eine Abgrenzung bereits durch das Wort „oder" gewährleistet, daß Straftaten und Ordnungswidrigkeiten getrennt betrachtet werden sollen. Thüringen ändert mit seiner Verweisung an dieser Deutung nichts. Berlin stellt in § 30 I Nr. 2 Beri ASOG diese Wertung durch ein Nachstellen des Wortes „Straftat" hinter die 97
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
fache Körperverletzung, der einfache Diebstahl und die einfache Sachbeschädigung nach den §§ 223, 242, 303 StGB von dem Katalog nicht umfaßt. Diese Katalogisierung ist, wie die Beispielskataloge für einen Unterbindungsgewahrsam allgemein, als Vereinfachung der polizeilichen Arbeit gedacht. Eine solche Vorgehensweise ist jedoch m.E. nach den oben genannten Gründen hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 74 I Nr. 1 GG fraglich und geht zusätzlich polizeirechtlich in die falsche Richtung, da sie unter anderem zu einer Überregulierung führt. In der thüringischen Regelung kommt damit ein doppelter Katalog zum Einsatz. In der ersten Stufe sind durch einen Eingriffskatalog die typischen Anwendungsfalle für den Unterbindungsgewahrsam festgelegt; in der zweiten Stufe sind dann noch zusätzlich die Straftatbestände, die den Gewahrsam im Hinblick auf bevorstehende Straftaten generell rechtfertigen können, zu beachten. Dabei ist zu bemängeln, daß für einen Polizisten die genaue Abgrenzung von Straftatbeständen im voraus in der Regel noch gar nicht möglich ist, weil nicht absehbar ist, welche Qualität das Verhalten des Störers annehmen wird. Es ist auch sonst nicht die Aufgabe der Polizei, eine genaue rechtliche Einordnung von Straftatbeständen vorzunehmen, da sie hierfür nicht ausgebildet ist; insofern wären ausschließlich die Gerichte gefragt. Eine Überregulierung polizeilicher Arbeit anhand zu vieler - in diesem Fall sogar gekoppelter Eingriffstabellen - kann schließlich nur eine Schematisierung zur Folge haben, die kein Gewinn sein kann, weil die sonst übliche, durch hohe Flexibilität geprägte, Abwägung durch allzu strenge Katalogvorgaben gänzlich aufgegeben wird. Straftaten sind im Grundsatz daher stets von einem solchen Gewicht, daß sie ein polizeiliches Eingreifen rechtfertigen können. Der Betroffene kann sich durch die Existenz dieser Rechtsätze auf ein mögliches polizeiliches Eingreifen einstellen. Es wäre daher wenig sinnvoll, die klare Regelung, einen Gewahrsam bei Straftaten zuzulassen, durch weitere Einschränkungen zu verwässern. Bei den in der Praxis auftretenden Zweifelsfällen wird in einer Einzelfallentscheidung ohnehin abzuwägen sein, ob ein Eingreifen verhältnismäßig wäre. Wollte man aber bereits die klare Eingriffsvoraussetzung durch Einschränkungen zusätzlich erschweren, hätte man keiner der Parteien - weder der Polizei noch den Betroffenen - einen Dienst erwiesen, da eventuelle Unklarheiten in der Praxis nicht zwingend zugunsten des Betroffenen ausgelegt werden müssen. Eine darüber hinausgehende Diskussion, ob geringfügige Straftatbestände einen Gewahrsam rechtfertigen können, widerstrebt dem Zweck einer sinnvollen Gefah-
Ordnungswidrigkeiten klar, daß nämlich dieser Zusatz begrifflich nur für die Ordnungswidrigkeiten gelten kann; Niedersachsen trennt in § 18 1 NGefAG Straftaten und Ordnungswidrigkeiten durch die Ziffern Nr. 2 a) und b) gänzlich und führt die Einschränkung bei den Straftaten nicht auf. Vergi, dazu auch Mande lartz/Sauer/Strube, § 13 SPolG Rn. 17; Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 11; Berg/Knape/Kiworr, § 30 BlnASOG S. 334.
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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renabwehr, zumal dies zusätzlich darauf hinauslaufen müßte, einen Gewahrsam zum Zwecke der Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten aufgrund der dort noch niedrigeren „strafrechtlichen Relevanz" grundsätzlich ablehnen zu müssen.
b) Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit aa) Meinungsstand hinsichtlich der Möglichkeit eines Gewahrsams bei Ordnungswidrigkeiten Auch in diesem Punkt gibt es Bestrebungen, den Gewahrsam im Hinblick auf Ordnungswidrigkeiten von vornherein mit der Argumentation auszuschließen, man könne sich nur schwerlich Verwaltungsunrecht vorstellen, welches von „erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit" sei. 100 Als weiteres Argument gegen eine Ingewahrsamnahme bei Ordnungswidrigkeiten wird immer wieder vorgebracht, daß gem. §§ 53 I S. 2 i.V.m. 46 I I I S. 1 OWiG Verhaftungen und vorläufige Festnahmen zur Erforschung von Ordnungswidrigkeiten nicht zulässig seien. Außerdem besage § 1 I OWiG, daß eine Ordnungswidrigkeit die Ahndung mit einer Geldstrafe zulassen müsse. Als Sanktionen für begangene Ordnungswidrigkeiten lasse das Ordnungswidrigkeitengesetz nur Geldbuße und Einziehung gem. §§ 17 ff und 22 ff OWiG zu. Das könne dahingehend interpretiert werden, daß im Hinblick auf Ordnungswidrigkeiten ein Freiheitsentzug gar nicht zulässig sei. 101 Gegen diese Bestrebungen werden Beispiele aus dem Umwelt-, Wasser- und Abfallrecht genannt, da dort viele Schädigungen bislang nur als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Im Bereich des Umweltschutzes hat die Sensibilität der Bevölkerung in den letzten Jahren auch extrem zugenommen, da diese Rechtsgüter die Grundlage unseres menschlichen Zusammenlebens darstellen und Schädigungen bzw. Gefährdungen der Umwelt alle Menschen gleichermaßen treffen. Eine Diskussion hinsichtlich eines möglichen Gewahrsams zur Verhinderung von Schädigungen solcher Rechtsgüter könnte erst dann obsolet werden, wenn diese aufgrund der gestiegenen Bedeutung zu Straftatbeständen aufgewertet werden würden. Unter dem Gesichtspunkt des Umweltrechts muß sich die anfängliche Skepsis, einen Gewahrsam auch bei Ordnungswidrigkeiten zuzulassen, etwas relativieren, da diese Schutzgüter für unser Zusammenleben
100
Hierzu OLG Karlsruhe in DÖV 1976 S. 170, das den Gewahrsam wegen einer Ordnungswidrigkeit wohl für möglich hält, sich sonst aber nur zu Rechtswegfragen äußert. Kritisch dazu Blankennagel in DÖV 1989 S. 689 ff., 695. 101 So auch Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 11.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
zu wichtig sind, als daß man auf die Ingewahrsamnahme eines potentiellen „Umweltschädigers" grundsätzlich verzichten dürfte und dieser nicht wiedergutzumachende Schäden anrichten könnte. 102 Viel pragmatischer ist dagegen die Sichtweise, daß der Staat grundsätzlich rechtswidriges Verhalten, egal ob Straftat oder Ordnungswidrigkeit, nicht zu dulden brauche. 103 Dabei soll eine starre Orientierung an Rechtssätzen erfolgen, die immer einen polizeilichen Eingriff rechtfertigen.
bb) Beispiele von Ordnungswidrigkeiten mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit Wenn man sich die Ordnungswidrigkeiten der einzelnen Umweltgesetze genauer anschaut, wird man feststellen müssen, daß dort nicht gerade „unschwere Eingriffe" in die Natur sanktioniert werden. So spricht z.B. § 30 I Nr. 1 BNatSchG von der Tötung besonders geschützter, wildlebender Tiere und der Zerstörung ihrer Lebensräume, § 41 I Nr. 9 i.V.m. § 32 b WHG von einer nicht ordnungsgemäßen Lagerung gefährlicher Stoffe, die eine Verunreinigungsgefahr in sich bergen 104 und § 61 I Nr. 1 AbfG 1 0 5 von einer Ablagerung von Abfällen außerhalb einer Entsorgungsanlage. Kritik muß bei diesen Gesetzen auch in Richtung des Bundesgesetzgebers gehen, der die oben genannten Schutzgüter m.E. besser durch StrafVorschriften geschützt hätte. Es ist aber in der Zwischenzeit auch reagiert worden, indem der Gesetzgeber z.B. 1993 den § 30 a BNatSchG schuf, der den bisherigen § 30 BNatSchG als Ordnungsvorschrift bei gewerbs- und gewohnheitsmäßiger Begehung zu einer Strafvorschrift aufwertete. Ein weiterer ganz wichtiger Schritt in diese Richtung war daneben Art. 20 a GG 1 0 6 , der den Naturschutz als Staatsziel im Grundgesetz niederschrieb. Dieser Auftrag an den Staat ist von bedeutender Signalwirkung auch für künftige Gesetzgebungsvorhaben. Es sind zwar auch im Strafgesetzbuch in den §§ 324 ff StGB verschiedene Schädigungen der Umwelt als Straftaten sanktioniert. Dabei geht es in § 324 StGB um Gewässer-, in § 325 StGB um Boden- und in § 326 StGB um Luftverunreinigung. Hierbei handelt es sich aber um Umwelteingriffe stärkerer Art, denn in 102
So auch Schmitt Glaeser in BayVBl. 1989 S. 133. Dies wird vertreten von Schmitt Glaeser in BayVBl. 1989 S. 133: „Ein Staat, der sich dieser Verpflichtung entzieht, wird zum Unrechtsstaat... Wolle man dem Staat untersagen, rechtswidrigem Verhalten mit rechtsstaatlichen Mitteln entgegenzutreten, würde man die Sicherheit des Staates aufs Spiel setzen." 104 Vergi, hierzu auch BVerwG in NJW 1970 S. 1890 ff. - Lagerung von Heizöl. 105 Genauer gesagt seit 1994 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz. 106 Die Vorschrift des Art. 20 a GG wurde erst im Jahre 1994 in das Grundgesetz eingefügt. 103
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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diesen Vorschriften wird von Verunreinigung, nachhaltiger Veränderung und Schädigung von Tieren und Pflanzen und anderen Sachen von bedeutendem Wert gesprochen. Diese Vorschriften sind erst seit 1980 in das Strafgesetzbuch eingeführt worden, um das Umweltbwußtsein der Bevölkerung mehr zu stärken. 107 Sie haben aber die erhoffte Wirkung bislang noch nicht richtig erfüllen können, da sie alleine eine wirksame Bekämpfung der Umweltverschmutzung natürlich nicht gewährleisen können. 108 Ein wirksamer Umweltschutz bzw. eine wirksame Prävention muß im Hinblick auf diese mehr oder weniger gewollte „Strafbarkeitslücke" daher auch auf minder hohem Deliktsniveau möglich sein, welches heute noch als Ordnungsunrecht eingestuft ist. Die thüringische Vorschrift des § 31 V I Thür PAG bietet daher, im Gegensatz zu dem oben angesprochenen verunglückten Abs. V, bei den Straftaten eine hilfreiche Orientierung an, da sie Schädigungen der Umwelt ausdrücklich als Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit bezeichnet.109 Andere vergleichbare, allgemeinbedeutsame Ordnungswidrigkeiten gibt es im Bereich der Lärmbelästigung (§117 OWiG unzulässiger Lärm), in den Vorschriften aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz (§ 62 BImSchG) sowie in dem Versammlungsgesetz (§ 29 VersG) oder - wie im thüringischen Gesetz genannt - wegen gemeinschaftswidrigen Wirtschaftsformen. 110 Denkbar sind hier Verstöße gegen das Markenrecht (z.B. § 145 MarkenG), die widerrechtliche Benutzung identischer oder nachgemachter Prüfzeichen auf Waren oder Dienstleistungen oder Verstöße gegen § 405 des Aktiengesetzes (AktG). Als weitere Beispiele wären zu nennen: § 152 des Genossenschaftsgesetzes (GenG); §§ 103, 334, 341 η des Handelsgesetzbuches (HGB) hinsichtlich vertretungsberechtigter Mitglieder von Kapitalgesellschaften in Bezug auf die Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft, den Aktionären und einer ordnungsgemäßen Buchführung; §§ 38, 39 des Gesetzes über Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) im Hinblick auf einen fairen Wettbewerb sowie § 11 des Rabattgesetzes (RabattG), § 3 Zugabeverordnung (ZugabeVO) zum Zwecke der Vermeidung von verdeckten Preisnachlässen. Letztlich wären §§2, 3 des Wirtschaftsstrafgesetzes (WiStG) anzuführen. Diese beispielhaft genannten Ordnungswidrigkeiten können im Wirtschaftsleben ungeheuere materielle bzw. finanzielle Schäden nach sich ziehen, so daß die erhebliche Bedeutung für
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Vergi. Dreher/Tröndle, StGB vor § 324 Rn. 1 und 4 mit weiteren Nachweisen. So Dreher/Tröndle, StGB vor § 324 Rn. 4: „weil ein wirksamer Umweltschutz, insbesondere angesichts von Umweltbelastungen, denen strafrechtlich schwer begegnet werden kann, ... in erster Linie von Planung und Vorsorge der Umweltverwaltung abhängt und durch das Umweltverwaltungsrecht zu regeln ist. Strafnormen können nur als ultima-ratio gelten...". 109 Vergi, dazu Ebert/Honnacker, § 19 ThürPAG Rn. 5. 110 Vergi, dazu Ebert/Honnacker, § 31 ThürPAG Rn. 11. 108
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
die Allgemeinheit bejaht werden muß. Gerade eine Verzerrung des Wettbewerbs durch unerlaubte Preiskartelle, die durch das GWB vermieden werden soll, würde die gesamte Allgemeinheit in ihrer Funktion als Verbraucher treffen.
cc) Auch Ordnungswidrigkeiten können im Grundsatz einen Polizeigewahrsam rechtfertigen Der Gesetzgeber hat durch seine bewußte Trennung von Straftaten und Ordnungsunrecht klar gestellt, daß er entsprechendes Fehlverhalten differenziert sanktionieren möchte. Es muß aber auch einleuchten, daß der Unterschied von Polizeigesetzen und dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten mit dem jeweiligen präventiven bzw. repressiven Hintergrund von solch grundsätzlicher Art ist, daß ein Gewahrsam nicht an dem Argument scheitern kann, § 46 III OWiG lasse keine Freiheitsentziehungen zu. 1 1 1 Die Unterscheidung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ist jedoch polizeirechtlich in der Weise zu verstehen, daß ein Gewahrsam im Hinblick auf Ordnungswidrigkeiten nicht der Regelfall sein kann bzw. darf. Aus diesem Grund kann die Forderung nach einer Eingriffsermächtigung bei jeglicher Art von Unrecht keinen Bestand haben. Diesem Umstand ist in den Gewahrsamsvorschriften der Polizeigesetze jedoch bereits dadurch ausreichend Rechnung getragen worden, daß eine Freiheitsentziehung wegen Ordnungswidrigkeiten nur dann zulässig ist, wenn sie von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit ist. Eine Lösung dieser Frage kann somit nur über die „erhebliche Bedeutung für die Allgemeinheit," der „Geeignetheit, den Rechtsfrieden nachhaltig zu beeinträchtigen," dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und einer exakten Beurteilung
111 So der BayVGH in BayVBl. 1990 S. 654, 658 f.: „Wertungen, die der Bundesgesetzgeber im Rahmen der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten vorgenommen hat, muß der Landesgesetzgeber im Bereich der Gefahrenabwehr nicht übernehmen ... jedoch hat er dabei die einschlägigen Grundrechte und die in Betracht kommenden rechtsstaatlichen Grenzen zu beachten". Weiter führt das Gericht auf S. 686 aus: „Ordnungswidrigkeiten braucht der Staat grundsätzlich nicht zu dulden; er darf ihnen mit rechtsstaatlichen Mitteln entgegentreten. Die Polizei hat die Aufgabe, den Einzelnen und die Allgemeinheit vor der drohenden Verletzung geschützter Rechtsgüter zu bewahren. Der Schutz vor Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit liegt daher im besonderen Interesse der Bürger. ... Gerade wenn nur Ordnungswidrigkeiten verhindert werden sollen, begrenzt aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderer Weise die Entscheidung ... Vielmehr kann es aber auch im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts Fälle mit so gravierenden Auswirkungen auf schützenswerte Rechtsgüter geben, daß der Gesetzgeber einen Gewahrsam des potentiellen Täters zulassen darf, wenn dies unerläßlich ist."
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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des Einzelfalles erfolgen. 112 Die Bedeutung einer Ordnungswidrigkeit ist immer dann für die Allgemeinheit erheblich, wenn ein Schaden für ein besonders bedeutsames Rechtsgut wie Leben, Gesundheit, Freiheit, unersetzliche Vermögenswerte, andere Rechtsgüter in erheblichem Umfang oder für den Bestand des Staates und dessen Einrichtungen zu befürchten ist oder wenn die betreffende Vorschrift ein sonstiges bedeutsames Interesse der Allgemeinheit schützt. 113 Eindeutig ist dabei zumindest, daß eine Ordnungswidrigkeit mit solch erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit dann nicht mehr gegeben ist, wenn es sich nur um eine geringfügige Ordnungswidrigkeit in Sinne des § 56 I OWiG handelt. 114 In solchen Fällen wäre eine Verhältnismäßigkeit der Mittel wohl schwer zu begründen. 115 Die vorstehend aufgeführten Beispiele haben jedoch gezeigt, daß durchaus allgemeinbedeutende Rechtsgüter heute noch lediglich durch Ordnungsvorschriften bewehrt sind. Es muß in den genannten Fällen dahingestellt sein, ob die Gesellschaft die Täter dieser Handlungen aufgrund einer Strafvorschrift oder einer Ordnungsvorschrift bestrafen möchte, da man die Gefahrenabwehr von der Sanktionierung völlig losgelöst sehen muß. Eine allgemein bedeutsame Gefahr kann auch, wie gesehen, von einer nur geringfügig bestraften Tat ausgehen. Die Polizei benötigt daher auch in diesen Fällen eine Eingriffsmöglichkeit, um auf solche Gefahren angemessen reagieren zu können. Selbstverständlich sind immer die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, und unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist eine Entscheidung zu treffen, die das Rechtsgut der persönlichen Freiheit aus Art. 2 II S. 2 GG angemessen berücksichtigt. Daher kann im Einzelfall auch in den genannten Beispielsfällen eine Ingewahrsamnahme unterbleiben, wenn sich dadurch ein grobes Mißverhältnis von Eingriff und Nutzen ergeben würde. Unter diesen Umständen läßt sich eine Stärke des erstgenannten Normsystems der pauschalen Gefahrenabwehr erkennen, weil dort eine derartige Diskussion gar nicht erst aufgekommen wäre, da sowohl Straftaten als auch Ordnungswidrigkeiten unter den Begriff der öffentlichen Sicherheit (geschriebene Rechtsordnung) gefallen wären und dann sogleich eine Lösung über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hätte erfolgen können, weil dieser Grundsatz schon 112 So auch Schmitt Glaeser in BayVBl. 1989 S. 134: „Diese entscheidet sich an Hand einer Einzelabwägung nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz bzw. der verhältnismäßigen Zuordnung der in Frage stehenden, kollidierenden Rechtsgüter mit dem Ziel ihrer Optimierung." 113 So Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 17.3.1; vergi, auch oben § 31 V I ThürPAG. 114 So auch Meixner, § 32 HSOG, Rn. 12; Meixner/Mar teil, § 37 SOG LSA Rn. 12; Roos, § 14 Rh-Pf POG Rn. 21. Solche geringfügigen Ordnungswidrigkeiten ziehen in der Regel Verwarnungsgelder nach sich. 115 § 56 OWiG erlaubt bei diesen geringfügigen Ordnungswidrigkeiten auch nur ein Verwarnungsgeld von derzeit D M 5.- bis D M 75.-.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
per se ergibt, daß der Gewahrsam nur bei besonders schwerwiegenden Ordnungswidrigkeiten angewandt werden kann. 116
5. Die Gefahr als Voraussetzung für den Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam a) „Weitere" Gefahrenprognose beim Beseitigungsgewahrsam Die beiden Formen des Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsams weisen zwei zeitliche Stufen auf, indem sie von einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr in Form einer erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bzw. Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit sprechen oder von einem bereits eingetretenen Schadenszustand, bei dem die Störung zu beseitigen bzw. die Fortsetzung entsprechender Taten zu verhindern ist. Der Beseitigungsgewahrsam wird daher in den Fällen angewandt, in denen eines der oben dargestellten Schutzgüter bereits konkret verletzt wurde und durch die Ingewahrsamnahme eine noch andauernde oder eine weiterführende zusätzliche - Schädigung vermieden werden soll. Hinsichtlich der bereits durchgeführten Tat könnte die Polizei gegebenenfalls auch eine Freiheitsentziehung auf Grundlage des § 127 StPO anordnen, wenn die dortigen Voraussetzungen der Fluchtgefahr und fehlender Identifizierungsmöglichkeiten vorliegen würden. Die polizeirechtlichen Festnahmevorschriften ergänzen demzufolge die Möglichkeiten der StPO für die Fälle, in denen keine Fluchtgefahr gegeben wäre. Darüber hinaus muß beim Beseitigungsgewahrsam auch immer eine Gefahrenprognose hinsichtlich der Wirkung der eingetretenen Störung auch für die Zukunft erstellt werden, um festzustellen, ob die Störer ohne sofortige Ingewahrsamnahme weitere Schäden anrichten könnten. Bei dem vorgenannten Beispiel 1. e), dem Beschädigen von Gleisanlagen, wäre ein solcher Fall des Beseitigungsgewahrsams gegeben, da insoweit eine weitere, fortgesetzte Schädigung von Gleisanlagen, möglicherweise auch an einem anderen Ort, verhindert werden muß. Die Einschätzung der bereits vorliegenden Störung läßt dabei einen Rückschluß auf die Notwendigkeit einer Ingewahrsamnahme zur Vermeidung einer Fortsetzung dieser Störung oder Straftat zu. Im genannten Beispiel 1. e) fällt diese Prognose zwingend pro Gewahrsam aus.
116
So im Ergebnis BVerwGE 45 S 59, welches pauschal die polizeiliche Verwahrung zur Abwehr von strafbaren Handlungen ,jeder Art" nicht für bedenklich hält, da die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme stets zu beachten wäre.
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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b) Die unmittelbar bevorstehende Gefahr beim Unterbindungsgewahrsam Als klassische polizeirechtliche Grundvoraussetzung für einen Unterbindungspwahrsam ist dagegen eine unmittelbar bevorstehende Gefahr erforderlich. 11 Es muß, mit anderen Worten, eine „akute" Gefährdung der oben jeweils genannten Rechtgüter bestehen. Die Eingriffsvoraussetzung dieser Gewahrsamsform setzt sich somit aus dem polizeilichen Gefahrenbegriff und einer zusätzlichen zeitlichen Komponente zusammen. Eine Gefahr liegt dabei immer dann vor, wenn eine Sachlage gegeben ist, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht 118 , daß in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird oder nach der Formulierung des Bundesverwaltungsgerichts, „wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut (vergi, oben Punkt 3. und 4.) schädigen wird." 1 1 9 Das zusätzliche zeitliche Kriterium, welches für den Gewahrsam notwendig ist, geht durch die erforderliche unmittelbar bevorstehende Gefahr über eine Schädigung in absehbarer Zeit hinaus. Unmittelbar bevor steht eine Gefahr immer dann, wenn die im konkreten Fall vorliegenden Tatsachen zu der Gewißheit führen, daß der Schaden sofort oder in allernächster Zukunft eintreten wird. 1 2 0 Für die Beurteilung eines Unterbindungsgewahrsams ist die Einschätzung der Gefahr von überragender Bedeutung, da sie den
117
Hierzu auch VG Frankfurt in N V w Z 1994 S. 722. Vergi, auch BVerfGE 83 S. 24, 30; Denninger in Lisken/Denninger, E Rn. 29; Friauf in Schmidt-Aßmann, Rn. 50. 1,9 BVerwGE 45 S. 51, 57. 120 Nach BVerwGE 45 S. 58 wird hier eine besondere Anforderung an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts gestellt. OVG Münster in DÖV 1954 S. 319: „ ... d.h. einer Gefahr, die nicht nur, wie bei der allgemeinen Gefahr, in naher Zeit, sondern in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist". (In diesem Fall ging es um die Einweisung eines Geisteskranken in eine Anstalt). Ebenso: OLG Celle in NJW 1963 S. 2377 ff.: „ ... ist nur zulässig, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daß innerhalb kürzester Zeit ein Schaden eintritt ... die Wahrscheinlichkeit selbst und die bloße Möglichkeit, daß dies in nächster Zeit geschehen wird, reichen nicht aus." (Auch hier ging es um die zwangsweise Unterbringung eines Geisteskranken.) Die zeitliche Komponente wird damit begründet, daß die bloße Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit eigentlich bei Jedermann" gegeben ist (S. 2378). Auch BVerwG in NJW 1970 S. 1892: „ ... bei besonderen Rechtsgüter (hier im Fall der Möglichkeit einer erheblichen Wasserverschmutzung), reicht auch eine entferntere Möglichkeit eines Schadenseintritts aus ... ", also eine Differenzierung je nach dem Schutzgut,je ... desto Formel". OVG Saarlouis in DÖV 1973 S. 864: „ ... gebietet für diese Fallgestaltung grundsätzlich zumindest eine Prognosesicherheit im Sinne einer nahezu an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit des Störungseintritts." 118
6 Stoermer
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
alleinigen Anhaltspunkt für ein polizeiliches Eingreifen im „Vorfeld" einer konkreten Schädigung der zu schützenden Rechtsgüter liefert. Zur Beurteilung der Frage, ob eine Gefahr mit „ausreichender" Wahrscheinlichkeit, also fast mit Gewißheit, besteht, müssen nach verständiger Würdigung der Sach- und Rechtslage konkrete Tatsachen und Anhaltspunkte vorliegen. Ein bloßer Eindruck von einer Gefahr, eine vage Prognose oder Verdachtsmomente reichen daher normalerweise nicht aus, da aufgrund der Verhältnismäßigkeit der Mittel ein derart intensiver Eingriff, im Hinblick auf eine dann möglicherweise doch nicht bestehende Gefahr nicht gerechtfertigt wäre. Es gibt jedoch Grenzbereiche in Gerichtsentscheidungen der letzten Zeit, die der Polizei eine gewisse - weitergehende - Prognose bei der Bewertung von Gefahrensituation zusprachen. Danach kann auch ein Gefahrenverdacht unter bestimmten Voraussetzungen eine Ingewahrsamnahme rechtfertigen. Diese Entwicklung führt in den Bereich der polizeilichen „GefahrenVorsorge". Die Unterscheidung zwischen der „normalen Gefahrenabwehr" und der vorsorglichen Polizeiarbeit liegt somit vor allem in den Anforderungen, die an den Gefahrenbegriff zu stellen sind. Während bei dem „normalen" Eingriff eine unmittelbar bevorstehende Gefahr erforderlich ist, bei der der Schadenseintritt sofort oder in allernächster Zukunft und fast mit Gewißheit zu erwarten sein muß, muß bei der Gefahrenvorsorge eine Gefahr mit lediglich hoher Wahrscheinlichkeit für bedeutende Rechtsgüter zu erwarten sein, wobei allerdings für diese Gefahrenprognose schlüssige Hinweise vorliegen müssen, so daß kein fernliegender Verdacht als Grundlage für einen Eingriff ausreichen kann. 121 Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgert das Bundesverwaltungsgericht: „Je hochwertiger das betroffene Schutzgut ist, desto niedriger darf die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sein." 122 Diese Entscheidungen werfen die Frage auf, ob sich die Polizei bei ihren Handlungen und Maßnahmen, unter anderem beim Polizeigewahrsam, von den klassischen Gefahrenbegriffen des Polizeirechts als Eingriffsvoraussetzung loslösen und im eigentlichen „Vorfeld" dieser Gefahr bereits aufgrund von begründeten Verdachtsmomenten einschreiten kann.
121
In dieser Weise auch SächsVGH in seinem vorgenannten Urteil vom Mai 1996
S. 33. 122
BVerwGE 45 S. 61; BVerwG in NJW 1970 S. 1890, 1892.
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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c) Gefahrenprognose - Gefahrenverdacht - Anscheinsgefahr Zunächst ist jedoch der Gefahrenverdacht von der Anscheinsgefahr abzu123
grenzen. Bei der Anscheinsgefahr 124 ist die polizeiliche Maßnahme nur dann zulässig, wenn im Zeitpunkt des polizeilichen Einschreitens bei verständiger Würdigung objektive Anhaltspunkte für eine Gefahr vorliegen, sich nachträglich aber ergibt, daß eine Gefahr in Wirklichkeit nicht bestand.125 Dabei sei jedoch klargestellt, daß der handelnde Polizist zunächst vom Vorliegen einer Gefahr überzeugt war. Ein Gefahrenverdacht liegt in Gegensatz dazu dann vor, wenn im Zeitpunkt des polizeilichen Einschreitens bei verständiger Würdigung des objektiven Sachverhaltes die Möglichkeit, nicht aber die Wahrscheinlichkeit (Gewißheit, Sicherheit) der Verwirklichung einer Gefahr besteht, die Polizei sich allerdings nicht sicher ist. 1 2 6 Daran schließt sich in der Regel vor der endgültigen Maß127
nähme ein Gefahrerforschungseingriff an, um festzustellen, wie sich der konkrete Einzelfall darstellt und welche die geeigneten Mittel sind, um auf eine eventuell vorliegende Gefahr zu antworten. Dieser Gefahrerforschungseingriff gilt zwar im Grundsatz im gesamten Polizeirecht, doch ist er typischerweise nicht überall anwendbar. Die Überlegung, eine solche Maßnahme vor einer endgültigen Handlung zwischenzuschalten, kann nämlich nur in den Fällen gelten, in denen auch bei anschließendem Feststellen einer Gefahr noch genügend Zeit verbliebe, eine weitergehende polizeiliche Maßnahme einzuleiten. Bei den Standardmaßnahmen, so auch für den Gewahrsam, ist dieses Mittel somit nicht immer geeignet, da hier in der Regel sofort eingeschritten werden muß und kaum Zeit für aufwendige Nachforschungen besteht. Sinnvoll kann ein Erforschungseingriff daher eher im Bereich spezieller Gefahrenabwehrgesetze, wie z.B. dem Bundesimmissionsschutzgesetz, Abfallgesetz, Atomgesetz, Bundesnaturschutzgesetz, etc. 128 oder bei Maßnahmen aufgrund der polizeili123 Ausführlich zur Abgrenzung dieser beiden Begriffe vergi, auch Brodersen in JuS 1980S. 73 f. 124 Zur Anscheinsgefahr ausführlich VG Würzburg in NJW 1980 S. 2541 ff. 125 Vergi. OVG Münster in NJW 1980 S. 139 = DVB1. 1979 S. 733 ff. 126 Denninger in Lisken/Denninger, E Rn. 38: „Nach überwiegender Ansicht löst ein Gefahrenverdacht lediglich einen Gefahrerforschungseingriff aus. Vage Vermutungen können daher nicht ausreichen ... "; so auch Friauf in Schmidt-Aßmann, Rn. 52. 127 Zum Gefahrerforschungseingriff vergi. Petri in DÖV 1996 S. 433 ff., der einen Überblick über die aktuellen Fragen zu dieser Eingriffsart bietet. 128 Zum Gefahrerforschungseingriff bei Altlasten: Breuer in NVwZ 1987 S. 751 ff. (754); Becker in N V w Z 1987 S. 781 ff.; Papier in N V w Z 1986 S. 256 ff. (257); Paetow in N V w Z 1990 S. 510 ff. (513); bei der Gesundheitsvorsorge Gallwas in NJW 1989 S. 1516 ff. (1519).
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
chen Generalklausel sein, auf die der Gefahrerforschungseingriff,
neben den
Eingriffsermächtigungen der Spezialgesetze, allgemein gestützt w i r d . 1 2 9 Es gibt Ansichten, die einen Gefahrenverdacht oder eine Gefahrenprognose befürworten und als T e i l der polizeilichen Aufgabe der Gefahrenabwehr ansehen, da hierzu auch eine „Vorfeldbeobachtung" gehört. Somit könnte u.U. auch eine berechtigte Vorhersage einer Gefahr zu einer Ingewahrsamnahme führen, da damit eine möglicherweise bevorstehende Gefahr abgewehrt werden würde, ohne daß eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts besteht. 1 3 0 Es wäre somit also allein eine Frage der Intensität des Gefahrenverdachtes, ob er zu polizeilichen Maßnahmen ausreicht oder nicht. Die Gegner dieser „Vorfeldaktivitäten" lehnen eine zu weite Ausdehnung der polizeilichen Tätigkeit in diesen Bereich grundsätzlich ab, da sie behaupten, daß eine Loslösung von der Eingriffsvoraussetzung der Gefahr nicht mehr als klassische Gefahrenabwehr verstanden werden könne, da letztlich noch gar keine „greifbare Gefahr" vorhanden sei. Die Diskussion über diese Vorfeldermittlungen hat sich in den letzten Jahren i m Rahmen des „großen Lauschangriffs"
129
Z.T. wird auch auf den Amtsermittlungsgrundsatzes im öffentlichen Recht gem. § 24 VwVfG abgestellt. 130 Verneinend: BayVGH in BayVBl. 1983 S. 436: „Der nach den Aufklärungsergebnissen allenfalls vorliegende allgemeine Gefahrenverdacht genügt für ein polizeiliches Eingreifen nicht. Die Polizei muß konkrete Anhaltspunkte für die Störereigenschaft haben." (Hier ging es um den sogenannten Fall einer „passiven Bewaffnung", bei dem von Teilnehmern einer Demonstration Teile von Brandsätzen mitgeführt wurden, die an Ort und Stelle zu Molotowcocktails zusammengesetzt werden können.) Das Gericht verneint damit die Mitschuld von Begleitpersonen, bei denen ein allgemeiner Verdacht nicht ausreichen könne. Im Anschluß an die Entscheidung eine kritische Auseinandersetzung mit der Problematik von Köhler, der die Ansicht des Gerichts in der Praxis für undurchführbar hält. So auch BVerfGE 69 S. 354: „ ... bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen." Für eine vorbeugende Maßnahme gehört eine hohe Prognose in der Wahrscheinlichkeit (S. 362); kritisch hierzu auch Burfeind, Diss. Göttingen 1993 S. 175-181. Bejahend: OVG Münster in DVB1. 1982 S. 635 ff.: „Die Polizei ist zum Einschreiten auch dann befugt, wenn lediglich der Verdacht einer Gefahr ... besteht... Die Verwirklichung dieser Gefahr abzuwarten, wäre mit dem Inhalt präventiv-polizeilichen Handelns unvereinbar gewesen ... insofern genügt der objektiv begründete Verdacht einer Gefahr." (In diesem Fall ging es um den Gefahrenverdacht bei einer Sicherstellung von Gegenständen wie Beilen, Feuerlöschern, etc., die Personen bei einer Kontrollstelle anläßlich einer Demonstration bei sich führten.) So auch BayObLG in N V w Z 1990 S. 196: „ ... in einem solchen (Verdachts-)Fall ist es nicht einmal ausgeschlossen, daß sich polizeiliche Präventivmaßnahmen nicht nur gegen den Verursacher einer Gefahr richten können, sondern auch gegen Personen richten können, die selbst nicht als Verursacher einer Gefahr in Betracht kommen." So auch OLG Nürnberg in NVwZ-RR 1991 S. 69: „ ... die Gefahr setzt wie der Tatverdacht nicht die Sicherheit, sondern ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit hinsichtlich des Eintritts voraus."
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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verstärkt, da sich den Sicherheitsbehörden mit den neuen Überwachungsmethoden auch neue Quellen und Perspektiven erschlossen haben. Jedoch ist eine nähere Beleuchtung dieser Problematik auch für den Gewahrsam von Interesse, da die Entscheidung für oder gegen diese Maßnahme immer von der Gefahreneinschätzung des jeweiligen Beamten abhängig sein wird. Er müß somit wissen, welche Anforderungen an den Gefahrenbegriff zu stellen sind und welche Prognosen dabei jeweils gegebenenfalls berücksichtigt werden können. Die Polizei selbst verweist in dieser Diskussion auf ihren Auftrag der Gefahrenabwehr und die gestiegenen Anforderungen an die Polizeiarbeit in den letzten Jahren. Bei einem Vergleich mit der gestiegenen Kriminalität und deren wachsender Professionalität kommt sie zu dem Schluß, daß in irgendeiner Form auf diese neuen Begebenheiten reagiert werden muß. Vorfeldaktivitäten seien dafür ein geeignetes Mittel.
131 6. Vorfeldaktivitäten
der Polizei
als Teil der Gefahrenabwehr?
a) Problembeschreibung 132 Wie weit sich die Polizeiarbeit in das Vorfeld eigentlicher Gefahren ausdehnen kann, wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Schon im Rahmen der Gesetzesänderung in Bayern wurde festgestellt, daß sich langsam eine Entwicklung eingestellt hat, die „eine Ingewahrsamnahme aus einer Prognose, die sich aus vagen, unbewiesenen, dem Festzunehmenden möglicherweise ganz unbekannten Verdachtsgründen zusammensetzt, zulasse. Ein vorbeugender Gewahrsam, der sich über zwei Wochen hinziehen könne, wäre nicht mehr die Abwehr einer Gefahr, deren Eintritt sofort und fast mit Gewißheit zu erwarten und deren unmittelbare Nähe Voraussetzung für den kurzfristigen Gewahrsam sei." 133 Vielmehr soll nun das mögliche Verhalten des möglichen zukünftigen Täters zur Festnahme ausreichen. Es ist somit eine Tendenz zu einer reinen 131 Eine rechtsphilosophische und rechtsgeschichtliche Betrachtung hierzu von Erhard Denninger „Der Präventionsstaat" in KJ 1988 S. 1 ff. Zu neueren Gesetzgebungstendenzen vergi, auch Moser v. Filseck in BWVPr. 1996 S. 272 ff. mit einem Resümee zu dem neuen § 26 I Nr. 6 Ba-WüPolG, der Verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrollen ermöglicht. 132 Eine Übersicht über die vorbeugende Straftatbekämpfung mit verfassungsrechtlichen Aspekten und vielen Beispielen bei Prümm in VR 1990 S. 201 ff. 133 Hirsch in ZRP 1989 S. 84 sieht die Gefahr von Mißbräuchen darin, daß durch die neue bayerische Gesetzeslage aufgrund hypothetischer Elemente auf eine unmittelbar bevorstehende Gefahr geschlossen werden könnte, wenn z.B. die „einschlägige polizeiliche Vergangenheit" des Betroffenen als Anlaß für eine Ingewahrsamnahme zu Verfügung steht. Sehr kritisch auch Wächtler in Strafverteidiger 1989 S. 410 f f , der diese „neue polizeiliche Lage" als Grund für die Verschärfung des PAG nicht als gegeben ansieht.
86
Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
„Vorbeugehaft" 134 zu erkennen, die sich von den klassischen Eingriffsvoraussetzungen allmählich loslöst, also handelt es sich um allgemeine Abschreckung mit generalpräventivem Charakter. Das polizeiliche Handeln löse sich von der künftigen Straftat los und richte sich auf den künftigen Täter aus. 135 In diesen Befürchtungen von Hirsch ist viel politischer Zündstoff enthalten, sie lassen aber auch erkennen, wo die Problembereiche liegen. Eine weiteres Problem bei dieser Frage ergibt sich auch aus einer Abgrenzung 136 zu der Strafprozeßordnung (StPO) und sich damit anschließenden Kompetenzfragen, da für den Bereich der Repression, also der StPO, dem Bund nach Art. 74 I Nr. 1 i.V.m. Art. 72 I Nr. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz zusteht und nicht den Ländern. Wäre dieser Vorfeldbereich eigentlich der StPO zuzuordnen, wären die Länder gar nicht befugt, gesetzliche Bestimmungen für diesen Bereich zu erlassen und entsprechende Interpretationen für polizeirechtliche Normen, wie für den Gewahrsam, würden sich erübrigen. Die gegenteilige Meinung geht davon aus, daß ein Vorbeugegewahrsam per se zunächst nicht zu beanstanden sei, 137 da dieser wie immer vom Einzelfall abhinge, also von einer Zweck-MittelRelation, wie dies auch vom Bundesverwaltungsgericht (E 45 S. 51 ff.) entschieden wurde. Aus diesem Konflikt haben sich zwei Positionen entwickelt, die das Vorfeld der klassischen polizeirechtlichen Gefahr entweder ausschließlich der Polizei oder der Staatsanwaltschaft zuordnen wollen. Von der Entscheidung dieser Zuständigkeitsfrage hängt es primär ab, ob sich die Polizei überhaupt mit Gefahrenprognosen im Zusammenhang mit dem Polizeigewahrsam beschäftigen kann.
b) Mögliche (Vorfeld-)Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften Die staatsanwaltschaftliche Sichtweise geht davon aus, daß der gesamte Bereich der Vorfeldermittlungen den Strafverfolgungsbehörden, also den Staatsanwaltschaften, zuzuordnen ist. Es wird daher teilweise von einem „Vordringen der Polizei auf das Terrain der Strafverfolgung" gesprochen, „welches der Staatsanwaltschaft vorbehalten sei," sowie einer gleichzeitigen „Entziehung der 134 Zur Vorbeugehaft vergi. Wächtler in Strafverteidiger 1989 S. 410 ff. mit dem gleichlautenden Aufsatzthema. Er hält diese Vorgehensweise schlichtweg für rechtswidrig und versucht, dies mit richterlichen Entscheidungen anhand verschiedener Beispiele zu belegen, die im nachhinein den Gewahrsam als rechtswidrig ansahen. 135 Hirsch in ZRP 1989 S. 85. 136 Teilweise wird bei den Vorfeldermittlungen auch als „dritte Aufgabenkategorie" der Polizei neben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung gesprochen, so bei Götz in N V w Z 1994 S. 652 ff., 655, 656; Schoch in JuS 1994 S. 393; Knemeyer/Müller in NVwZ 1993 S. 439; Vahle in VR 1990 S. 276; im Grundsatz so auch Gusy in Strafverteidiger 1993 S. 270; Schuler-Harms in DÖV 1997 S. 330. 137 Gusy, PolR Rn. 245.
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft." 1 3 8 A l s Konkurrent der Staatsanwaltschaft verwische die Polizei demnach die Kompetenzen und Grenzen zwischen der Strafprozeßordnung und den Polizeigesetzen. 1 3 9 Die eigentliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften w i r d hauptsächlich damit begründet, daß die „Vorfeldaktivitäten" in einer größeren Nähe zur Ermittlung von Straftaten stehe und daher der Bezug zur StPO näher als zu den Polizeigesetzen s e i . 1 4 0 Die dort erlangten Informationen sollen nämlich nicht zur Beseitigung einer Gefahr verwendet werden, da diese noch gar nicht existent sei, sondern zur Beschaffung von Beweismitteln und zur Einleitung eines Strafverfahrens. 141 Der Legalitätsgrundsatz des § 152 I I StPO solle den Bürger gerade durch das Erfordernis des hinreichenden Tatverdachtes vor Verdachtsermittlungen ohne konkreten Anfangsverdacht 1 4 2 schützen. Die Befürworter einer Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften befürchten, daß die Polizei nach ihrer Vorgehensweise lieber verdächtig erscheinende Personen vorsorglich überprüfen bzw. festhalten würde, auch wenn keine „konkreten" Verdachtsmomente hinsichtlich polizeilicher Gefahren vorliegen. 1 4 3 Die Grundaufgabe der Polizei, die Gefahrenabwehr, werde somit mißbraucht, u m unter Umgehung der gesetzlichen Bestim138 Wiek in DRiZ 1992 S. 217 ff., 218; Merten/Merten in ZRP 1991 S. 213 ff., 217 sprechen von einer „Grauzone", in die die Polizei nun eindringen will; auch Keller/Griesbaum in NStZ 1990 S. 419. Schoreit in MDR 1992 S. 1014 spricht von einer glatten Gesetzesumgehung durch die Polizei, die diese Kompetenzen an sich ziehen will. Stümper in Festschrift für Samper, S. 5 und 6 will die Polizei im Vorfeld nicht alleine agieren lassen, da dies einem Rechtsstaat nicht zuträglich wäre. Im Ergebnis so auch Schultz/Leppin in Jura 1981 S. 521 ff., die zwar grundsätzlich von einer gemeinsamen Zielsetzung ausgehen, allerdings keinen Zweifel an dem „Führungsanspruch der Staatsanwaltschaft" aufkommen lassen wollen. 139 So Wiek in DRiZ 1992 S. 219, der selbst als betroffener Staatsanwalt ein Herausdrängen der StA aus ihrer Leitungsfunktion sieht: „ ... daß die Polizei in immer mehr Bereichen der Kriminalität die Staatsanwaltschaft aus ihrer Leitungsrolle drängt und damit auch Einfluß auf die Ausübung des Legalitätsprinzips beanspruchen kann." 140 So auch Wolter in Strafverteidiger 1989 S. 366, der zwar davon spricht, daß dieser Bereich zwar direkt weder dem Polizeirecht noch der Strafprozeßordnung pauschal zugeordnet werden kann, er aber zumindest dem Strafprozeßrecht näher stehe. Auch Keller/Griesbaum in NStZ 1990 S. 418 f. gehen davon aus, daß hier erst noch die erforderlichen Erkenntnisse für ein konkretes Ermittlungsverfahren gewonnen werden sollen. 141 Merten/Merten in ZRP 1991 S. 219: „Eine Gefahrenabwehr im Vorfeld ist nicht gegeben, weil Gefahrenabwehr nur die Abwehr von existierenden Gefahren bedeuten kann." Im Ergebnis so auch Müller in Strafverteidiger 1995 S. 604, demzufolge seien durch die mangelnde Rechtsgrundlage Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht jedes Betroffenen gegeben. 142 Zum Anfangsverdacht als Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vergi. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 152 StPO Rn. 4: „Der Anfangsverdacht muß es nach den kriminalistischen Erfahrungen als möglich erscheinen lassen, daß eine verfolgbare Straftat vorliegt." 143 So Hund in ZRP 1991 S. 463 ff., 465: „ ... sie haben zudem die Aufgabe der Gefahrenabwehr. Dieses zweite Standbein wird nun herangezogen, um im Vorfeld operieren zu können."
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
mungen zum Schutz der betroffenen Personen ungestört im Vorfeld agieren zu können. Die Folge wäre, daß die Polizei sich von der Gefahr als Eingriffsvoraussetzung trenne und diese „Sicherungslinie" weit in die Gesellschaft vorverlege. 144 Man furchtet dabei auch eine möglicherweise schleichende Errichtung eines „Überwachungsstaates" nach dem Beispiel der DDR, da die Polizei in der Regel nicht die juristischen Kenntnisse wie die Staatsanwaltschaften 145 besitzt, um mit den Erkenntnissen dieser Vorfeldermittlungen verantwortungsbewußt umzugehen. Teilweise wird auch § 163 StPO als Begründung dafür herangezogen, daß der Polizei im Bereich der Vorfeldermittlungen nur eine untergeordnete Rolle zustehe 146 , da ihr nur eine Durchgangs- oder Erstzugriffszuständigkeit zukomme und die entscheidende Arbeit von der Staatsanwaltschaft als „Herrin des Vorverfahrens" durchgeführt werde. 147 Letztendlich laufe doch ohnehin alles auf eine Strafverfolgung mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnisse hinaus, wobei diese Verfolgung dann auch wieder generalpräventive Wirkung habe, da eine funktionierende Strafverfolgung immer auch zukünftige Täter von der Begehung weiterer Taten abschrecken werde. 148
c) Mögliche (Vorfeld-)Zuständigkeit der Polizei Die gegenteilige Sichtweise sieht die Verbrechensbekämpfung als Oberbegriff, der die Verbrechensverhütung und die Strafverfolgung gemeinsam umfaßt. 149 Eine Rechtsgrundlage für ein polizeiliches Einschreiten wurde früher in
144
So Braun in Die Polizei 1989 S. 215. Hund in ZRP 1991 S. 464: „Allein die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist eine Maßnahme, die für den Betroffenen eine erhebliche Belastung mit sich bringen kann. Sie darf daher ... nicht im Belieben staatlicher Organe stehen." Auch Wiek in DRiZ 1992 S. 221: „Der Staatsanwalt denkt aufgrund seiner Ausbildung ... " Sehr weitgehend dazu Schröder in ZRP 1991 S. 152: „Nur in der Polizei haben Beamte des höheren Dienstes in aller Regel kein Universitätsstudium absolviert... "; Reaktion dazu von Ringel in ZRP 1991 S. 31 f. 146 Nach Boldt in Lisken/Denninger, A Rn. 48 hat die Staatsanwaltschaft u.U. auch eine Kontrollfunktion gegenüber der Polizei. „Die Staatsanwaltschaft als Wächter über Gesetz und Polizei." 147 Wiek in DRiZ 1992 S. 220; zu § 163 vergi. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 163 StPO Rn. 1, nach dem die Polizei stets als verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft auftritt. Im Ergebnis so auch Stümper in FS Samper, S. 4, der eine Ausweitung des Einflusses der Staatsanwaltschaften zum Zwecke der Optimierung der Verbrechensbekämpfung (Arbeitsökonomie) fordert, um sinnlose Ermittlungen „ins Blaue hinein" zu vermeiden. So auch Schultz/Leppin in Jura 1981 S. 521 ff., 523, 528. 148 So Schröder in ZRP 1991 S. 152; Keller/Griesbaum in NStZ 1990 S. 418. 149 Vergi. Braun in Die Polizei 1989 S. 214; Kniesel/Vahle in DÖV 1987 S. 953 ff., 955; Kniesel in ZRP 1992 S. 164 f f , 165; ders. in ZRP 1989 S. 329 ff., 330; Ringel in ZRP 1992 S. 31 f.; Schoch in JuS 1994 S. 394 f. 145
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
89
der Aufgabengeneralklausel gesehen, die keine „konkrete" Gefahr erforderte. 150 Man ging davon aus, daß diese „Vorfeldgefahr" als „allgemeine Gefahr" bezeichnet wird und von den Generalklauseln der Polizeigesetze gedeckt ist, die der Polizei die Gefahrenabwehr insgesamt zuweisen. Mittlerweile sind die Landesgesetzgeber dazu übergegangen, den Präventivauftrag in den Ländergesetzen im Rahmen der Vorschriften zur Datenerfassung und zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen sowie bei den Aufgabenzuweisungen gesetzlich niederzuschreiben. 151 Das Erfordernis einer Vorfeldtätigkeit wird vor allem damit begründet, daß die heutige Kriminalität nicht mehr allein mit den Mitteln der StPO bekämpft werden könne und daher die Polizei vorarbeiten müsse, um später der Staatsanwaltschaft überhaupt ermittlungsreife Unterlagen, auf die eine Anklage gestützt werden könne, vorlegen zu können. 152 Man ist sich bei dieser Betrachtung durchaus der Rolle der „Doppelfunktionalität" der Polizei bewußt, die teilweise quasi als Zuarbeiter für die Staatsanwaltschaften fungiert. Die Strafverfolgungsbehörden sind danach auf die Vorfeldarbeit der Polizei angewiesen. Daher dürfen die Anforderungen an das Vorliegen von Gefahren nicht übertrieben werden, wenn überhaupt noch Ermittlungserfolge erreicht 153
werden sollen. Eine strikte Trennung der beiden Rechtsgebiete - Polizeirecht und Strafprozeßordnung - nach dem Aufgabenbereich sei daher nach dieser Sichtweise nicht so ohne weiteres möglich. Daneben wäre die Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr gezwungen, abzuwarten, bis sich Gefahrensituationen zuspitzen. Sie kann dann nicht mehr angemessen auf Gefahren reagieren, da ihr die erforderlichen Informationen für die richtige Bewertung der Situation nicht zur Verfügung stehen, wenn sie im Vorfeld bei den Ermittlungsarbeiten durch allzu strenge Vorgaben behindert
150
Kniesel in ZRP 1987 S. 379; Braun in Die Polizei 1989 S. 216. Vorschriften über Datengewinnung, Observation, verdeckte Ermittler, erkennungsdienstliche Maßnahmen, etc. so z.B. Art. 14 I Nr. 2, 31 I Nr.l BayPAG; §§ 13 II Nr. 2, 30 I Nr. 1 BbgPolG; 1 III, 16 III, 23 I Nr. 2, 25 II Nr. 2, 26 I Nr. 2 BerlASOG; 20 II Nr. 1 Ba-WüPolG; 11 I Nr. 2 b, 27 II, 28 I Nr. 2 BremPolG; 1 IV HessSOG; 1 I S. 3, 13 I Nr. 2, 15 I Nr. 2 NGefAG; 1 I S. 2, 14 I Nr. 2 NWPolG; 1 I S. 2; 25 a I Nr. 2; 25 b II Nr. 2; 25 c I Nr. 2 Rh-Pf POG; 10 I Nr. 2, 16 II Nr. 1 SPolG; 1 I Nr. 2 und 3, 20 I Nr. 2 SächsPolG; 2 I SOG LSA; 179 I I a SHLVwG; 2 I S. 2, 16 I Nr. 2, 32 I Nr. 1 ThürPAG. 151
152 Kniesel/Vahle in DÖV 1987 S. 955: „Die Polizei ist vielmehr darauf angewiesen, unterhalb der Schwelle des konkreten Tatverdachtes gegen eine bestimmte Person, erkannte kriminelle Szenen, in der sich potentielle Straftäter tummeln, zu beobachten, um eine sich einnistende Kriminalität in ihren Strukturen zu erkennen, übergreifende Zusammenhänge zu erfassen und durch schrittweises Sammeln von Informationen in die Lage versetzt zu werden, einen Tatverdacht zu konkretisieren." Auch Kniesel in ZRP 1989 S. 329 ff., 329; a.A. Müller in Strafverteidiger 1995 S. 606, der die Ansicht vertritt, daß eine effektive Polizeiarbeit allein nie als Grund dafür ansehen könne, staatliche, polizeiliche Spielräume zu erweitern. 153 Kniesel/Vahle in DÖV 1987 S. 956.
90
Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
worden ist. 1 5 4 Es wird somit davon ausgegangen, daß das „Vorbeugen" ein Unterfall der Gefahrenabwehr ist und daher der Vorfeldbereich vom Gefahrenabwehrauftrag mitumfaßt bzw. untrennbar mit ihm verbunden sei. 155 Das hätte zur Folge, daß die Ländergesetzgebungskompetenz für den Vorfeldbereich gegeben und Art. 74 I Nr. 1 GG nicht berührt sei. 156 Nach dieser Sichtweise bestehe dann weiter auch keine Kollision mit den §§ 152, 163 StPO, da die Schwelle des § 152 StPO nicht überschritten sei, wenn noch keine konkrete Bezugstat, wie in § 152 StPO gefordert, vorhanden sei. 157 § 81 b 2. Alt. StPO, der als „präventiver Fremdkörper" Niederschlag in der StPO gefunden hat, ist nach dieser Ansicht ebenfalls kein Indiz für eine Bundesgesetzgebungskompetenz im Vorfeld, da diese Vorschrift eigentlich materielles Polizeirecht dar158
stellt. Der Hintergrund dieser Regelung in der StPO ist die vorsorgliche Bereitstellung sächlicher Hilfsmittel für die Erforschung und Aufklärung von Straftaten. Die betroffene Person ist eigentlich nicht der Adressat von polizeilichen Maßnahmen, sondern der Beschuldigte im Sinne des § 157 StPO. Fraglich sei somit weniger die Präventivgesetzgebungskompetenz der Länder, sondern eher die Gesetzgebungskompetenz des Bundes hinsichtlich § 81 b 2. Alt. StPO. d) Funktionale Lösung der „Kompetenzfrage" Man muß sich eine Lösung der Frage über die Zulässigkeit von Vorfeldermittlungen der Polizei unter praktischen Erwägungen vorstellen. Wie gesehen,
154 So im Ergebnis auch Kniesel/Vahle in DÖV 1987 S. 956; Ipsen, NGefAR Rn. 312, der davon ausgeht, daß eine Vorverlagerung verfassungsrechtlich unbedenklich sei, solange die einzelnen Eingriffsermächtigungen rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. Es sei vom Grundgesetz ebenfalls nicht gefordert, daß polizeiliche Grundrechtseingriffe, wie sie der Gewahrsam darstelle, an das „Überschreiten von Gefahrenschwellen" geknüpft sein müssen; so im Grundsatz auch Gusy, PolR Rn. 245. 155 So Braun in Die Polizei 1989 S. 216. 156 So auch Gusy in Strafverteidiger 1993 S. 271 f , der davon ausgeht, daß der Verfassungsgeber den Bund durch den Wortlaut des Art. 74 I Nr. 1 GG bewußt auf die Strafverfolgung beschränken wollte. Ist die positive Gesetzgebungsbeflignis des Bundes nämlich nicht gegeben, ist im Grundsatz die Länderkompetenz nach Art. 70 GG einschlägig. 157 Braun in Die Polizei 1989 S. 217; Kniesel in ZRP 1987 S. 380; ders. in ZRP 1992 S. 165; ders. in ZRP 1989 S. 331; Vahle in VR 1990 S. 276; Gusy in Strafverteidiger 1993 S. 270; a.A. Schoreit in MDR 1992 S. 1015 f., der die Beantwortung der Frage hinsichtlich des konkreten Tatverdachtes dem StA überlassen möchte, der verschiedene, auch taktische, Aspekte zu dieser Beurteilung verwenden kann. Möglicherweise wäre in diesen Fällen bereits eine Strafbarkeit wegen § 30 StGB gegeben; a.A. auch Müller in Strafverteidiger 1995 S. 605. 158
So Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 81 b StPO Rn. 3 und 4; Prümm in VR 1990 S. 208; Keller/Griesbaum in NStZ 1990 S. 419; a.A. Wolter in Strafverteidiger 1989 S. 366.
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
91
verfolgen Polizei und Staatsanwaltschaft verschiedene Zielrichtungen; die Polizei soll nach ihren Auftrag präventiv, die Staatsanwaltschaft repressiv tätig werden. Aufgrund der Doppelfunktion der Polizei mit der Hilfsbeamtentätigkeit fur die Staatsanwaltschaft und der Notwendigkeit einer funktionierenden Verbrechensbekämpfung wird man beide Lösungsansätze miteinander verquikken müssen, um heutzutage überhaupt noch sinnvoll Gefahrenabwehr und Verbrechensbekämpfung gewährleisten zu können. 159 Es darf daher nicht so weit kommen, daß die Polizei erst einmal tatenlos zuschauen muß, bis sich die Dinge dergestalt zugespitzt haben, bis die für polizeiliche Maßnahmen erforderliche, konkrete Gefahr unmittelbar bevorsteht, ehe sie eingreifen kann. Zu einer optimalen Gefahrenabwehr gehört auch die erforderliche Hintergrundinformation, um in der Lage zu sein, die Gefahr richtig einzuschätzen und dann unter strenger Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die richtige Maßnahme zu treffen. Bereits in anderen Beispielen wurde verdeutlicht, daß die Polizei in der Praxis oftmals nicht die Zeit hat, ihre Maßnahmen richtig vorzubereiten (vergi, die Suizidproblematik), da die vorliegende Situation ein schnelles Handeln erfordert. Könnte sie mit entsprechendem zeitlichen Vorsprung bereits im Vorfeld Informationen sammeln, wäre sie im Zeitpunkt der Gefahr besser vorbereitet und könnte ihre Maßnahmen somit optimieren. Daneben kann ein direkter Bezug des Vorfeldbereichs zur Strafverfolgung nach der StPO bereits aus dem Grund nicht überzeugen, da letztlich noch gar keine Straftat im Sinne des § 152 II StPO vorliegt, die man verfolgen könnte. Bei all diesen Vorteilen einer Vorfeldbetrachtung ist jedoch immer auch die Kehrseite der Medaille zu betrachten, nämlich die langsame Auflösung von Schutzmechanismen zugunsten des unbescholtenen Bürgers, der nun (völlig schutzlos?) der Überwachung ausgeliefert ist. Diese Gefahr wird von den Befürwortern der polizeirechtlichen Lösung auch bedacht, demzufolge müssen Präventivmaßnahmen durch entsprechende Gesetze160 bzw. Verwaltungsvorschriften flankiert werden, um der Polizei eine Arbeit im Einklang mit dem Gesetz zu ermöglichen. 161 Eine Möglichkeit wäre die Erstellung von Prognoseka-
159
Im Schrifttum wird daher auch immer von einer Gemengelage gesprochen, so z.B. Schoreit in MDR 1992 S. 1013; Vahle in VR 1990 S. 276; Keller/Griesbaum in NStZ 1990 S. 419 sprechen davon, daß beide Gesetze ineinander greifen müssen, um eine wirksame „Strafverfolgung" zu ermöglichen - Strafprozeßordnung „cum" Polizeigesetze. Die Autoren können sich gut eine Zusammenarbeit beider Institutionen (StA und Polizei) im Vorfeldbereich vorstellen - jedoch unter der Sachleitung der Staatsanwaltschaft - gekoppelt mit Mitteilungspflichten der Polizei; so im Ergebnis auch Stümper in FS Samper, S. 8. 160 Es ist höchste Sensibilität bei der Fassung der Gesetze erforderlich, HoffmannRiem in JZ 1978 S. 336; so auch Kniesel in ZRP 1992 S. 166. 161 Vergi, hierzu Denninger in JA 1987 S. 131: „Daher bedarf die aus dem Präventionsauftrag hergeleitete Aufgabe zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der ein-
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
talogen in den Polizeigesetzen. Die Arbeit in diesem solch sensiblen Bereich erfordert daher äußerstes Fingerspitzengefühl und eine gründliche Ausbildung und Schulung der damit betrauten Beamten. Der Staat ist daneben durch die grundgesetzliche Vorgabe der Rechtsstaatlichkeit162 aus Art. 20 III GG verpflichtet, dem Recht durch geeignete Mittel Geltung zu verschaffen. Daher resultiert auch eine grundgesetzliche Verpflichtung, der Polizei geeignete Gesetze an die Hand zu geben, um dieser Aufgabe nachkommen zu können. Es kann aber nie ein Maximum von Freiheit und Sicherheit nebeneinander geben. Will man das eine, muß man Abstriche beim anderen machen. 163 Es ist aber zu bedenken, daß jeder geglückte Präventivakt die Gesellschaft vor Schäden bewahren kann. Man muß jedoch bereit sein, den Preis mit Einbußen bei Grundrechten zu bezahlen. 164 Im Grunde ist es eine Frage der aktuellen Begebenheiten bzw. der politischen Willensbildung, wie man diese Frage beantworten möchte. Nach dem 2. Weltkrieg wird man unter den Eindrücken des NS-Regimes eine andere Antwort gegeben haben, als Ende der neunziger Jahre unter dem Eindruck sprunghaft steigender Kriminalität. 165 Als Reaktion auf die Kriminalitätsentwicklung der letzten Jahre muß die Polizei in irgendeiner Form angemessen antworten, will man nicht vor diesen gesellschaftlichen Entwicklungen kapitulieren. 166 Da der Bereich der präventiven Vorfeldarbeit nach den vorangegangenen Ergebnissen als Teil der Gefahrenabwehr den Polizeigesetzen zugeordnet werden kann, ergeben sich somit auch keine kompetenzrechtlichen Schwierigkeiten, so daß davon ausgegangen werden kann, daß die Länder entsprechende Regelungen in ihren Polizeigesetzen, auch im Hinblick auf den
schränkenden inhaltlichen Konturierung, damit sie nicht zum Einfallstor für polizeiliche Omnipräsenz und Omnipotenz wird." 162 Vergi, hierzu Hassemer in Strafverteidiger 1993 S. 664; Hoffmann-Riem in JZ 1978 S. 335 ff. Die Autoren gehen an diese Frage von der Seite einer möglichen Beeinträchtigung des Rechtsstaates heran; vergi, auch Vahle in VR 1990 S. 277. Im Ergebnis so auch Schreiber in FS Samper, S. 17 f f , 23, 26, der davor warnt, die Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu unterschätzen, indem man sie nicht sofort bekämpft; ebenso Ipsen, NGefAR Rn. 312; Pfennig in Die Polizei 1980 S. 201. Brugger in VB1BW 1995 S. 454 darf wohl dahingehend verstanden werden, daß sich Rechtsstaatlichkeit und eine effektive Gefahrenabwehr wechselseitig bedingen, um die „Gesamtbalance" (Wahrung der Rechte) zu erhalten. 163
Vergi. Kniesel in ZRP 1992 S. 164 f f , 167. Anders Hoffmann-Riem in JZ 1978 S. 335: „Der Rechtsstaat leistet sich bewußt Fesseln einer effektiven Gefahrenbekämpfung. Er nimmt in Kauf, daß nicht alle Straftäter gefaßt werden können, weil anderenfalls der Verlust an Freiheitlichkeiten für alle zu hoch wäre. Es geht nicht um maximalen Schutz, sondern um ein Optimum." 165 Vergi, oben die Diagramme im Kapitel III. 166 Hassemer in Strafverteidiger 1993 S. 664 f f , der davon ausgeht, daß die Polizei mit einem ausreichenden gesetzlichen Instrumentarium ausgestattet sei und der Begriff „organisierte Kriminalität" kein Sesam-öffne-dich für ein Arsenal obrigkeitlicher Eingriffe im Namen der Gefahrenvorsorge und Verbrechensaufklärung sein dürfe. 164
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
93
Gewahrsam, erlassen dürfen. Es ist somit im Vorfeldbereich lediglich ein Unterfall der Gefahrenabwehr zu sehen; es bedarf daher gar nicht der Konstruktion einer „dritten", speziellen Aufgabenzuweisung für diesen Bereich. 167
e) Auswirkungen dieser Ergebnisse auf den Unterbindungsgewahrsam Wie dargelegt, können die Länder grundsätzlich den Bereich der Vorfeldermittlungen in ihren Polizeigesetzen berücksichtigen, da dieser untrennbar mit ihrer ureigensten Aufgabe, der Gefahrenabwehr, verbunden ist. Diese Erkenntnis schlägt sich auch bei den Voraussetzungen des Unterbindungsgewahrsams nieder. In Grenzfällen müssen auch andere - geringere - Anforderung an die Gefahrenlage ausreichen, um einen Unterbindungsgewahrsam zu begründen, d.h. es müssen auch Prognoseelemente in die „unmittelbar bevorstehende Gefahr" mit hineinspielen können. Solche Grenzfälle wären „mögliche" Gefahrdungen besonders wichtiger polizeilicher Schutzgüter. Dabei ist keinesfalls davon die Rede, daß sich die neueren Gesetze mit den Prognosekatalogen völlig von der Gefahr als Voraussetzung einer polizeilichen Maßnahme loslösen wollen, um sich tendenziell auf eine reine Vorbeugehaft hinzubewegen. Nach wie vor ist stets eine Gefahr vorausgesetzt, allerdings müssen in gewissem Umfang auch zusätzliche Prognoseelemente hinzutreten, um den Bereich der unmittelbar bevorstehenden Gefahr polizeilich ausreichend abdecken zu können. 168 Wollte man die Gefahr solange abwarten, bis sie sich konkret abzeichnet, kann es nach den heutigen Begebenheiten oftmals zu spät sein, entsprechend richtig bzw. überhaupt noch zu reagieren. Wenn potentielle Störer Anlaß zu berechtigten Gefahrenprognosen geben, ist nicht einzusehen, warum auf ein präventives polizeiliches Einschreiten verzichtet werden soll, wenn es an ihnen gelegen hätte, diesen Anschein nicht zu erwecken. Dabei stellt sich die Frage nach möglichen Grenzen und der Haltbarkeit des Erfordernisses der unmittelbar bevorstehenden Gefahr, die nach dem Wortlaut aller Polizeigesetze heute noch Vorausssetzung für den Unterbindungsgewahr167 So auch Müller in Strafverteidiger 1995 S. 603; es sind zwar neue Begriffe geschaffen worden, jedoch wurde bereits zuvor schon im „Vorfeld" gearbeitet, ohne daß es so bezeichnet wurde. 168 So auch Vahle in VR 1990 S. 277, der davon ausgeht, daß Vorfeldeingriffe nicht mehr durchgehend an die klassische Störerqualität und an das Erfordernis einer konkreten Gefahr angebunden werden können; so auch Gusy in Strafverteidiger 1993 S. 273, da seiner Ansicht nach die Gefahr nicht mehr die alleinige Voraussetzung der Maßnahme, sondern deren Feststellung das Ziel polizeilicher Aktivitäten ist; a.A. Schoreit in MDR 1992 S. 1016, der behauptet, daß der Polizei im Vorfeldbereich mangels konkreter Gefahr nichts anderes übrig bliebe, als eine Festnahme wegen bereits begangener Taten durchzuführen und dadurch die Strafverfolgung einzuleiten.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
sam ist. Daß ein Schaden immer sofort oder in allernächster Zukunft mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten werde, läßt sich konsequent nicht durchhalten. Innerhalb der Gefahrenvorsorge im Bereich unmittelbar bevorstehender Gefahren senkt sich die Eingriffsschwelle polizeilicher Maßnahmen unter die bisherige Schwelle der sicheren Gefahrendiagnose ab. Es müssen somit auch Verdachtsmomente zugelassen werden, bei denen für bedeutende Rechtsgüter eine mögliche Gefahr ausreicht, ohne daß genaue, ganz konkrete Wahrscheinlichkeitsnachweise zu erbringen sind. 169 Wie im Bereich der klassischen polizeilichen Gefahr, wird aber auch immer eine Prognose zu erstellen sein, deren untere Grenze „vertretbare" Anhaltspunkte und Hinweise 170 hinsichtlich einer möglichen Gefahr sein muß. Eine Gefahr muß daher immer im Rahmen des Möglichen und Wahrscheinlichen liegen. Eine solche geringere Wahrscheinlichkeit kann und muß in einzelnen Fällen auch unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr genügen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das Polizeirecht im Gegensatz zum Strafverfahren kein Verschulden voraussetzt und die Maßnahme, hier die Freiheitsentziehung, sofort aufzuheben ist, wenn sich herausstellt, daß keine Gefahr vorlag. Somit hat immer eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter unter Berücksichtigung des Wertungsmaßstabs des Bundesverwaltungsgerichts 171 zu erfolgen, welches die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Gefahr von der Bedeutung des möglicherweise betroffenen Rechtsgutes für die Allgemeinheit abhängig macht. Je bedeutsamer das Rechtgut für die Allgemeinheit ist, desto geringere Anforderungen sind an den Gefahrenbegriff bis zu einem vertretbaren Mindestmaß zu stellen. Auf den Gewahrsam bezogen bedeutet das, daß zeitlich je früher eingeschritten werden darf, je höherwertiger das wahrscheinlich betroffene Schutzgut ist, da ein weiteres Abwarten bis zu einer Zuspitzung der Lage im Hinblick auf die polizeiliche Aufgabe der Gefahrenabwehr in diesen Fällen nicht hingenommen werden kann. Eine Entscheidung kann aber stets nur im jeweiligen Einzelfall getroffen werden. Es wäre daher verfehlt, hinsichtlich dieses Zeitpunktes allgemeingültige Aussagen oder Richtlinien aufstellen zu wollen. Einer Mißbrauchsgefahr dieser weitergehenden Gefahreninterpretation durch die Ordnungskräfte kann schließlich durch den sich anschließenden Richterentscheid wirksam begegnet werden. Es hat sich gezeigt, daß der Polizei durch ihre Aufgabenzuweisung eine Vorfeldbefugnis zusteht, durch die der klassische polizeirechtliche Gefahrenbegriff teilweise nur abgeschwächt angewandt werden kann. Die vorgelagerte 169
So auch Petri in DÖV 1996 S. 444 f. So auch OVG Münster in DVB1. 1982 S. 644: „ ... ein durch objektive Anhaltspunkte begründeter Verdacht kann auch eine Gefahr begründen". Dabei kann auch dem BayVGH in BayVBl. 1983 S. 434 zugestimmt werden, daß ein allgemeiner Verdacht natürlich nicht ausreichen kann. 171 BVerwGE 45 S. 61. 170
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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Gefahreneinschätzung - Prognose - birgt jedoch immer das Risiko in sich, daß verschiedene Betrachter dieselbe Situation unterschiedlich beurteilen können. Es müssen daher Mittel und Wege gefunden werden, den Beamten Anhaltspunkte an die Hand zu geben, aufgrund derer sie von typischen Gefahrensituationen ausgehen können. Als Möglichkeit zur Vermeidung von Diagnosefehlern und Mißbräuchen bietet sich eine beispielhafte Aufzählung von Gefahrensituationen in Form von Eingriffskatalogen an, die der Polizei von ihrer Konzeption her bei ihrer Gefahrenprognose helfen und polizeiliches Handeln vereinheitlichen bzw. voraussehbarer machen sollen.
7. Prognosehilfen
- Orientierungskataloge
a) Einleitung Als Hilfestellung für ihre Polizeibeamten haben daher einige Bundesländer „Prognosehilfen" 172 für das Vorliegen einer Gefahr erlassen. Es handelt sich dabei eigentlich um Verwaltungsvorschriften, interne Dienstanweisungen und Richtlinien, die in den Gesetzeswortlaut übernommen wurden und die Gewahrsamsvorschriften ergänzen sollen. Bei diesen Beispielsfällen geht es von der gesetzgeberischen Idee her um Fallkonstellationen, die in Zusammenhang mit Demonstrationen vorkommen können. 173 (Zum Inhalt dieser Kataloge vergi. Kapitel V Punkt 2.) Diese Beispielsfälle zwingen allerdings keineswegs zu der Schlußfolgerung, daß bei deren Vorliegen immer auf eine Gefahr geschlossen werden kann. Es handelt sich lediglich um typische Anhaltspunkte, bei deren Vorliegen nach der allgemeinen Lebenserfahrung von einer Gefährdung gesprochen werden kann, was durch die Formulierung „daß sich die Annahme (einer bevorstehenden Gefahrdung) ... insbesondere darauf stützen kann" klargestellt wird. 1 7 4 Die Polizei ist daher immer verpflichtet, eine Einzelfallentscheidung zu treffen. 175 Nach der Verabschiedung dieser Prognosehilfen in 172
Vergi. Berner/Köhler Art. 17 BayPAG Einleitung: „ ... enthaltene Kriterien stellen der Polizei und den zuständigen Gerichten konkrete Anhaltspunkte für die Prognoseentscheidungen über das unmittelbare Bevorstehen von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zur Verfügung. Es handelt sich dabei nicht um Regelbeispiele, sondern um Prognosekriterien." Knemeyer in N V w Z 1990 S. 138 f f , 139: „Die beispielhafte Aufzählung ... ermöglicht nicht nur eine klare, sondern auch schnelle polizeiliche Entscheidung." 173 So auch die Intention des bayerischen Gesetzgebers BayLT-Ds. 11/9078 vom 6.12.1988 in den Punkten: A) Problembeschreibung und B) Lösung. 174 So Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Einleitung; Meixner/Mar teil, § 37 SOG LSA Rn. 14. 175 Nach dem BayVGH in BayVBl. 1990 S. 686 sollen diese Fallgestaltungen die Polizeiarbeit erleichtern, indem sie einige typische Anhaltspunkte „Auslegungshilfen" aufführen.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
Bayern im Jahre 1989 hat sich eine verstärkte Diskussion 176 über die Rechtmäßigkeit derartiger „Einschätzungshilfen" entfacht, da viele Kritiker glaubten, daß dem Betroffenen und nicht der Polizei Zweifelsfalle - die Gefahr betreffend - aufgebürdet werden. Es werde, so die Bedenken, in Zweifelsfällen zu der Maßnahme gegriffen, da die Einzelfallentscheidung durch die Pauschalierung der Katalogsituationen verdrängt werden würde. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich danach bei den Ziffern b) und c) dieser Kataloge, also der Begleitpersonenproblematik und der „Störervergangenheit" 177 des Betroffenen. Bei der Begleitpersonenproblematik taucht die Frage nach der Verantwortlichkeit eines „Betroffenen" für seine „Begleitpersonen" 178 auf; bei der „Störervergangenheit" nach der Qualität seiner bisherigen Auffälligkeit. Weiter wurde die mangelnde Bestimmtheit dieser Beispiele gerügt, da sie nach Auffassung der Kritiker viel zu weit gefaßt seien.
b) Ankündigung von oder Aufforderung zu Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten durch Transparente und Flugblätter Diese Prognosehilfe will einer Aufhetzung von Menschenmassen durch Pa179 rolen, Transparenten und Flugblättern vorbeugen. Die Einschätzungshilfe will dabei einer Gefahreneskalation durch ein Aufstacheln von weiteren bislang noch unbeteiligten Personen vorbeugen. Hinsichtlich der Flugblätter ist jedoch erforderlich, daß der Betroffene sie in solchen Stückzahlen bei sich führt, daß davon ausgegangen werden kann, daß sie zur Verteilung bestimmt sind. Ansonsten könnte man Personen in Gewahrsam nehmen, die lediglich Flugblätter angenommen haben. Sicherlich gäbe es bei diesen Störern auch die weniger eingriffsintensive Möglichkeit, Flugblätter und Transparente sicherzustellen und der Gefahr einer Aufhetzung von Menschen auf diese Weise zu begegnen. Bei entsprechenden Personen liegt allerdings das Risiko auf der Hand, daß sie sich in kürzester Zeit mit neuen Flugblättern und Aufschriften versorgen könnten, so daß in vielen Fällen eine Ingewahrsamnahme unumgänglich sein wird. Sollte allerdings eine Sicherstellung, z.B. bei Auffinden sämtlicher Flugblätter oder Transparente, ausreichend sein, muß eine weitergehende Ingewahrsamnahme natürlich unterbleiben. Weiter kann man davon ausgehen, daß es 176 Hirsch in ZRP 1989 S. 81 f f , 82; Blankenagel in DÖV 1989 S. 659 ff.; sehr kritisch auch Wächtler in Strafverteidiger 1989 S. 410 f f , 415 ff. 177 So Hirsch in ZRP 1989 S. 83: „Wer schon mal unliebsam aufgefallen ist, wird vorsorglich einmal festgenommen." 178 So Blankennagel in DÖV 1989 S. 690: „Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit (dieser Regelung) wäre eine glatte Untertreibung." 179 Kritisch Wächtler in Strafverteidiger 1989 S. 415: „ ... weil es in Wirklichkeit um sie gar nicht geht, sondern darum, die Menschen auszuschalten."
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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sich bei diesen Personen meist nicht um untergeordnete Störer handelt, sondern eher um Rädelsführer; folglich hätte eine Ingewahrsamnahme dieser Personen auch gleichzeitig die Schwächung übriger potentieller Störer als mögliche Mitläufer zur Folge.
c) Die Waffen- und Begleitpersonenproblematik Werden z.B. in einem Zeltlager, in einem Reisebus oder bei einer größeren Menschenmenge gefährliche Gegenstände wie Schußwaffen, Messer, Brandsätze, Äxte gefunden, die geeignet sind, eine Gefahrensituation zu begründen, so ist der Gewahrsam nach den Katalogen nicht nur bei Personen zulässig, bei denen diese Gegenstände gefunden werden, sondern auch bei „unbeteiligten" Personen, wenn deren „Begleiter" solche Gegenstände mit sich führen und sie den Umständen nach hiervon Kenntnis haben mußten. Entscheidend ist dabei eine Zuordnung dieser Gegenstände zu einer Gruppe von Personen. Dabei stellt sich die Frage nach den Merkmalen, die eine „unbeteiligte" Person zu einer polizeilich relevanten „Begleitperson" werden lassen. Eine Begleitperson muß, nach den Vorstellungen der Gesetzgeber, jemand sein, der sich mit dem Betroffenen im selben Fahrzeug oder innerhalb einer Gruppe in dessen Nähe befindet. Der Betroffene solidarisiert sich mit seinem „Begleiter" nicht nur verbal, sondern auch räumlich oder läßt seine Verbundenheit mit ihm auf andere Weise erkennen. 180 Für das Merkmal „Kenntnis haben mußte" soll es ausreichen, wenn objektiv feststellbare Umstände und polizeiliche Erfahrungen die Vermutung begründen, der Betroffene müsse wissen, daß seine Begleiter derartige Gegenstände mit sich führen und er dies hinnimmt, ohne sich aktiv davon zu distanzieren. 181 Wer sich nämlich nicht von diesen Personen distanziert, muß damit rechnen von der Polizei selbst als Störer angesehen zu werden; als jemand, der sich ebenfalls an gewaltsamen Ausschreitungen beteiligen will. Diese Waffen- und Begleitpersonenregelung wirft aber eine Reihe von Problemen auf, da hierbei der polizeirechtliche Grundsatz der vorrangigen Störer180
Definition nach Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 9. Bejahend: OLG Nürnberg in NVwZ-RR 1991 S. 67 ff., hier war bei einer gestellten Menschenansammlung auf dem Boden eine große Menge Waffen gefunden worden, denen sich diese Personen entledigt haben und nun diese Waffen keiner bestimmten Person mehr zuzuordnen war: „ ... allein die fehlende Zuordenbarkeit einzelner gefährlicher Gegenstände zu einzelnen Personen kann noch nicht dazu führen, die Voraussetzung für den Gewahrsam zu verneinen ...". Unter Verhältnismäßigkeitserwägungen kann bei der Gefahrdung höherwertiger Rechtsgüter auch die Ingewahrsamnahme „Unschuldiger" gerechtfertigt sein; vergi, auch BayObLG in NVwZ 1990 S. 194, 196. 181
Ablehnend: BayVGH in BayVBl. 1983 S. 434: „insbesondere bestand für den Kläger keine Pflicht, seine Mitreisenden auf das Mitführen von verbotenen Gegenständen hin zu überprüfen und sie davon abzuhalten." 7 Stoermer
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
Verantwortlichkeit in Frage gestellt wird. Nach der Ansicht der Gesetzgeber haben sich potentielle Störer im Vorfeld dieser Neuregelung in einer Vielzahl von Gefahrenfällen damit exculpieren können, indem sie, wenn sie z.B. nur mit Komponenten von Brandsätzen angetroffen wurden, behaupteten, keine gefährlichen Gegenstände bei sich zu fuhren bzw. innerhalb von Gruppen aussagten, ihre Begleitpersonen gar nicht zu kennen. Diese Ausreden können jedoch unter polizeirechtlichen Aspekten, die kein Verschulden erfordern, nicht hingenommen werden, da die Gewalt in den obigen Fällen von der Gruppe als Ganzes ausgeht und nicht von einzelnen Personen. Der polizeirechtliche Adressat ist daher die Gruppe, nicht die Einzelperson. Es darf daher nicht die bloße Behauptung eines Betroffenen ausreichen, seine Begleitpersonen nicht zu kennen; oder wenn er z.B. nur Teile eines Molotowcocktails mit sich führt, die Ausrede, daß er in völlig friedlicher Absicht an der Demonstration teilnehmen wolle. Diese Aussagen widersprechen polizeilicher Erfahrung, Praxis und dem gesunden Menschenverstand. Wenn verschiedene potentielle Störer in einem PKW aufgegriffen werden, wird man in der Regel annehmen müssen, daß diese sich kennen. Bei einem Reisebus182 kann dies u.U. anders bewertet werden, nicht aber, wenn er von einer homogenen Gruppe gemietet wurde. Gleiches muß gelten, wenn eine Person mit Teilen eines Molotowcocktails aufgegriffen wird. Dann liegt die Annahme nahe, daß der Brandsatz an einem anderen Ort zusammengebaut werden soll, weil die Gefahr einer Eigenverletzung bei diesen Waffen viel zu groß ist, als daß man sie bereits einsatzbereit mit sich führt. 183 Die Waffen- und Begleitpersonenregelung ist in Reaktion auf gewalttätige Demonstrationen erlassen worden, deren besondere Gefahr in einem massiven Aufreten von kleineren, gewalttätigen Gruppen und Grüppchen bestand. Aus der polizeilichen Praxis ergab sich eine Notwendigkeit, auch gegenüber Einzelpersonen in einer Gruppe vorzugehen, wenn diese versuchen, sich geschickt verbal von der Gruppe zu distanzieren. Würde man darauf verzichten, könnte jeder Betroffene behaupten, seine Begleiter nicht zu kennen bzw. sich seiner Waffen entledigen und wäre dann für die Polizei, trotz potentieller Störereigenschaft, nicht mehr greifbar. Das kann nicht in Sinne einer effektiven Gefahrenabwehr sein. Die Polizei kann eine genaue Feststellung hinsichtlich der Zugehörigkeit vor Ort auch nicht leisten, da sie aufgrund erkennbarer Merkmale entscheiden muß. Befindet sich daher ein unschuldiger Mitläufer in einer Gruppe bewaffneter Störer, liegt der Schluß näher, daß er dazugehört als die Annahme, daß er unbeabsichtigt, zufällig in diesen Personenkreis geraten ist. Sicherlich wird man dagegen bei einer erkennbar nichthomogenen Gruppe in einem Rei182
Wächtler in Strafverteidiger 1989 S. 415: „ ... und bei Kleinbussen?" Zu dieser Vorgehensweise vergi. OLG Nürnberg in NVwZ-RR 1991 S. 68; sehr kritisch zu dieser „Waffenregelung" Schwabe als Anmerkung zu OVG Münster in DVB1. 1982 S. 655, 656, bei der der Autor mögliche Fehlinterpretationen von alltäglichen Gegenständen als Waffen anmahnt. 183
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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sebus diese Begleitpersonenregelung nicht anwenden können. Daher gilt auch hier die strikte Beachtung des Obermaßverbotes. Der Fortschritt dieser Regelung liegt aber nicht unbedingt nur in dem Begleitpersonenbereich. Der Polizei wird bei dieser Prognosehilfe die Argumentationslast bezüglich der mitgeführten Gegenstände etwas erleichtert, wenn gefordert wird, daß „diese bei derartigen Taten zur Tatbegehung bestimmt sind oder erfahrungsgemäß hierfür verwendet werden." Durch diese Bestimmung können polizeiliche Erfahrungen besser umgesetzt werden, da die Polizei mit diesen Geräten, Waffen ständig konfrontiert wird und somit weiß, wozu sie verwendet werden, wie sie zusammengesetzt sind, etc. 184 Dabei können sich die Prognosehilfen durch jeweilige Änderungen der Gesetze an die aktuelle Entwicklung anpassen. Sie müssen al185
so nicht für immer festgeschrieben sein. Eine Sicherstellung dieser gefährlichen Gegenstände als weniger belastende Maßnahme wird in der Regel für eine effektive Gefahrenabwehr nicht ausreichen, da sich die potentiellen Störer in kürzester Zeit Ersatz beschaffen können. 186 Für Fälle, bei denen jedoch eine Sicherstellung, z.B. bei größeren, schwer ersetzbaren Geräten, ausreichen würde, muß eine Ingewahrsamnahme zur Gefahrenabwehr unterbleiben. d) Die „Störervergangenheit" des Betroffenen Nach den Ziffern c) der Beispielskataloge kann auch derjenige in Gewahrsam genommen werden, der bereits in der Vergangenheit mehrfach aus vergleichbarem Anlaß bei der Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung als Störer angetroffen wurde und nach den Um187
ständen eine Wiederholung dieser Verhaltensweise zu erwarten ist. Das repressive Gegenstück aus der Strafprozeßordnung stellt § 112 a I Nr. 2 StPO dar, der die Untersuchungshaft eines Beschuldigten bei der begründeten Gefahr 184 Vergi, hierzu Köhler in BayVBl. 1983 S. 434 mit Anmerkung S. 437 f.: „Es widerspricht doch jeder polizeilichen Erfahrung zu glauben ... " So auch der bayerische Gesetzgeber in seiner Begründung BayLT-Ds. 11/9078, Einzelbegründung zu Art. 17 I Nr. 2 b: „Die vom Senat vorgeschlagene Voraussetzung, daß die betroffene Person den Umständen nach Kenntnis von dem Mitführen der Gegenstände hat und dies billigt, ist in der Praxis für Polizei und Gericht nicht nachweisbar. Vielmehr müssen Polizei und Gericht anhand objektiv feststellbarer Umstände ihre Schlußfolgerungen ziehen können, ob die betroffene Person Kenntnis von dem Mitführen der Gegenstände haben mußte." 185
Anders hierzu Hoffmann-Riem in JZ 1978 S. 335: „Polizeirecht... läßt sich nicht beliebig ... bei Beseitigung der spezifischen Gefahrenlage wieder entschlacken." 186 Auch hier verweist der bayerische Gesetzgeber auf Erfahrungswerte der Polizei. Diese Gegenstände werden in der Regel in Verstecken in der Nähe von Demonstrationsorten gelagert. So können sich die Störer schnell wieder Ersatz beschaffen, wenn die Gegenstände lediglich sichergestellt werden. 187 BayLT-Ds. 11/9078 spricht von „gröblichsten mehrfachen Mißbrauchs des Versammlungsgrundrechtes in der Vergangenheit."
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
zuläßt, daß dieser vor einer rechtskräftigen Verurteilung weitere Taten nach dem Katalog des § 112 a I Nr. 1 oder Nr. 2 StPO begehen wird. Bei dieser polizeilichen Eingriffsermächtigung wird auf sogenannte „reisende Gewalttäter" abgestellt, die Demonstrationen nicht aufsuchen, um von ihren Grundrechten aus Art. 5 und Art. 8 GG Gebrauch zu machen, sondern diese als Basis für Gewalttätigkeiten nutzen wollen. 188 Diese Bekanntheit bzw. die Speicherung polizeilich relevanter Daten kann jedoch, wie bereits angesprochen, nur als Indiz gewertet werden, da darüberhinaus noch andere Gesichtspunkte hinzutreten müssen, um eine Ingewahrsamnahme zu rechtfertigen. Hier wären z.B. die unter den Ziffern a) und b) der Kataloge genannten Voraussetzungen, wie z.B. das Beisichführen von gefährlichen Gegenständen oder Flugblättern, als Indizien einschlägig; bei denen die Störervergangenheit des Betroffenen noch als zusätzliches Argument für eine Ingewahrsamnahme hinzutritt. Dabei grenzen die Eingriffsvoraussetzungen „mehrfach" und „aus vergleichbarem Anlaß" die Möglichkeiten einer willkürlichen Ingewahrsamnahme wirksam ein. Demzufolge kann nämlich eine einmalige Auffälligkeit in der Vergangenheit in einem anderen Deliktsbereich nicht als Indiz für die bevorstehende Störung herangezogen werden. Das gleiche gilt auch für eingestellte Straf- oder Bußgeldverfahren gem. §§ 170 I I StPO, 47 I OWiG. Das hat auch Konsequenzen für den Zugriff auf polizeiliche Daten für den Beamten vor Ort. Er kann in polizeilichen Dateien daher nicht eine Gesamtabfrage tätigen, bei der sämtliche Deliktsgruppen abgerufen werden; vielmehr hat er sich auf diejenigen Delikte zu beschränken, die in Verbindung mit Demonstrationen vorkommen können, z.B. Landfriedensbruch gem. §§ 125, 125 a StGB oder die Bildung krimineller Vereinigungen gem. §§ 129, 129 a StGB. Diese Störervergangenheit muß jedoch nicht darin bestehen, daß der Betroffene schon mehrfach rechtskräftig verurteilt worden sein muß. Eine polizeiliche „Auffälligkeit" in der Vergangenheit genügt. Gerade im Hinblick auf die langen Verfahrensdauern heutzutage kann eine rechtskräftige Verurteilung nicht gefordert werden, da oftmals die jüngere Vergangenheit besonders ausschlaggebend ist. Daher müssen als Grundlage für diese Prognose auch behördliche Entscheidungen, wie Bußgelder, Verwaltungsakte oder bürgerlichrechtliche Entscheidungen, wie Haus- und Platzverbote dienen können. 189 Auch bei dieser Variante ist ebenfalls stets eine Einzelfallentscheidung vorausgesetzt, da eine vorschnelle polizeiliche Maßnahme ohne einschlägige Hinweise für eine erneu-
188 Der Gesetzgeber hatte damals vor allem autonome Gruppen im Sinn, die Antikernkraftdemonstrationen als Grundlage für Gewalttätigkeiten nutzten. In letzter Zeit sei aber nur an die sogenannten „Chaostage" in Hannover erinnert, bei denen es denVeranstaltern lediglich um organisierte Krawalle ging. Zu der Reaktion auf die Chaostage in Hannover vergi, zustimmenderweise auch Waechter in NdsVBl. 1996 S. 197 ff. 189 BayLT-Ds. 11/9078, Einzelbegründung S. 5.
V. Der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam
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te Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine Rehabilitierung eines ehemaligen Straftäters nach Verbüßung seiner Strafe gegenstandslos machen würde.
e) Verhältnis der Eingriffskataloge zu Art. 8 GG; Grundsatz der Normenbestimmtheit Ein Verstoß gegen Art. 8 GG, die Versammlungsfreiheit, ist bei diesen Prognosehilfen nicht zu befürchten (obwohl die Kataloge im Hinblick auf Versammlungen erlassen wurden), da gewaltbereite „Demonstranten", die unter die Ziffern a) - c) dieser Kataloge fallen, nicht unter dem Schutz dieses Grundrechtes stehen. 190 Der Schutz vor diesen Personen kommt wiederum den anderen, wirklichen Demonstrationsteilnehmern, die von ihrem Recht in friedlicher 191
Weise Gebrauch machen, zugute (Einzelheiten in den nachfolgenden Kapiteln V I und VII). Nicht einleuchtend ist weiter der Einwand von Kritikern, die behaupten, daß die Fallbeispiele gegen den Verfassungsgrundsatz der Normenbestimmtheit verstoßen, da sie von der Tatbestandsseite her zu weit gefaßt seien. Die verfassungsmäßige Vorgabe der Normenbestimmtheit ist bei diesen Katalogen im Gegenteil mehr als erfüllt 192 , da diese Beispielsfalle die Eingriffsbefugnisse gerade so speziell wie möglich fassen 193 und damit Auslegungsunsicherheiten beseitigen sollen. Die Kataloge tendieren auch nicht zu einer Pauschalisierung zu Lasten der Betroffenen, da, wie gesehen, neben der Indizwirkung der Beispiele noch andere Indikatoren hinzutreten müssen.
8. Unerläßlichkeit
der Ingewahrsamnahme
Dieser Ausfluß aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 194 ist in den vorangegangenen Punkten bereits an einigen Stellen angesprochen worden. Die Ingewahrsamnahme ist das äußerste Mittel polizeilichen Handelns und darf daher auch nur dann eingesetzt werden, wenn dies zur Verhinderung von Schäden (Störungen der öffentlichen Sicherheit bzw. Verhinderung von Straftaten und 190 BVerfGE 69 S. 315, 359 f.: „Die Verfassung gewährleistet lediglich das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln." 191 A.A. Wächtler in Strafverteidiger 1989 S. 416 aber ohne überzeugende Begründung. 192 BayVGH in BayVBl. 1990 S. 686. 193 So auch Knemeyer, Pol- u. OrdR Rn. 150; Schmitt Glaeser in BayVBl. 1989 S. 129 ff., 130. 194 Dieser ist in allen Polizeigesetzen, gemäß den Verfassungsgrundsätzen, als Handlungsmaßstab vorgegeben.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
erheblichen Ordnungswidrigkeiten) unerläßlich ist. Gibt es weniger einschneidende Maßnahmen, wie Platzverweisungen, Sicherstellungen, Beschlagnahme von Gegenständen, etc., muß wegen der Verhältnismäßigkeit zu diesen Mitteln gegriffen werden, um die Grundrechte des Betroffenen nicht zu sehr zu beeinträchtigen. Sind diese milderen Mittel allerdings nicht erfolgversprechend, kann der Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam im Sinne einer effektiven Gefahrenabwehr stets angewandt werden. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist, als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips gem. Art. 20 II und III GG und somit als Institut von Verfassungsrang, ohnehin bei allen polizeilichen Maßnahmen anzuwenden; von daher ergeben sich beim Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam keine typischen Besonderheiten, auf die, abgesehen von den genannten Fällen, gesondert einzugehen wäre.
VI. Das Verhältnis des Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsams zum Versammlungsgesetz 7. Einleitung
195
Bislang wurde mehrfach darauf hingewiesen, daß - bei den Neuordnungen der Polizeigesetze im Zusammenhang mit dem Gewahrsam - einer der Hauptanwendungsfälle verbesserter bzw. verschärfter Normen im Bereich von gewalttätigen Versammlungen und Demonstrationen gesehen wurde. Dies ergibt sich aus den Gesetzgebungsmotiven der Länder. 196 Da aber dem Bund bezüglich des Vereins- und Versammlungsrechts gem. Art. 74 I Nr. 3 GG die Gesetzgebungskompetenz zusteht, bilden sich Berührungspunkte zu den Polizeigesetzen, weil die Länderkompetenz zum Erlaß solcher polizeirechtlicher Normen zumindest nicht eindeutig gegeben ist. Wäre in Verbindung mit Versammlungen daher eine vorrangige Bundeskompetenz gem. Art. 74 I Nr. 3 GG i.V.m. Art. 72 I GG gegeben, wären entsprechende polizeiliche Gewahrsamsregelungen mangels Gesetzgebungskompetenz der Länder rechtswidrig, denn Bundesrecht geht widersprechendem Landesrecht vor.
195 Eine allgemeine Darstellung rechtsethischer Natur zu diesem Thema von Denninger in ZRP 1968 S. 42 ff. aus der Reihe „Themen der Zeit" mit dem Titel „Demonstrationsfreiheit und Polizeigewalt", die jedoch sehr von den Eindrücken der Krawalle Ende der sechziger Jahre geprägt ist. In Reaktion darauf Guradze in ZRP 1969 S. 6 f.; vergi, hierzu auch im Überblick Burfeind, Diss. Göttingen 1993; Geis in Die Polizei 1993 S. 293 ff.; Lohse/Vahle in VR 1992 S. 321 ff. 196 Vergi, die Diskussion im Kapitel II bei der Begründung der Gesetzesverschärfung in Bayern und Sachsen.
VI. Das Verhältnis des Unterbindungsgewahrsams zum Versammlungsgesetz
2. Verknüpfungskonstellationen
103
mit dem Polizeigewahrsam
Es können sich mannigfaltige Berührungspunkte der Polizeigesetze mit dem Versammlungsgesetz ergeben. Diese können sowohl den Vorfeldbereich von Versammlungen betreffen, der durch die neueren Eingriffskataloge tangiert werden könnte, den Verlauf der Veranstaltung selbst, als auch die Auflösungsphase der Versammlung im Zusammenhang mit dem sogenannten „Polizeikessel". Oftmals bietet dabei eine Ingewahrsamnahme von Störern das einzige realistische Mittel zur Gefahrenabwehr. Bei dem Verhältnis von Polizeirecht zu Versammlungsrecht wird von Seiten der Kritiker oft von der „Polizeifestigkeit" des Versammlungsrechtes gesprochen. Diese „Polizeifestigkeit" ist allerdings von der zwangsweisen Durchsetzung versammlungsrechtlicher Maßnahmen zu unterscheiden, da das Versammlungsrecht keine Vollstreckungsregeln auf197
weist und von den zuständigen Ortspolizeibehörden insoweit auf den Polizeivollzugsdienst zurückgegriffen werden muß. Klassisches Beispiel dafür ist die zwangsweise Durchsetzung der Auflösungsverfügung nach § 15 II und III VersammlG. 198 Wenn in diesen Fällen von „Polizeifestigkeit" gesprochen wird, soll damit gemeint sein, daß den zuständigen Behörden hinsichtlich Versammlungen und Aufzügen nur die Normen des Versammlungsrechtes als Eingriffsermächtigungen zur Verfügung stehen, die dann allerdings durch die (Vollzugs-)Polizei durchgesetzt werden können. Neben der „Einkesselung", die im Anschluß gesondert anzusprechen ist, stellt sich daher die Frage nach der Anwendbarkeit der Gewahrsamsvorschriften im Zusammenhang mit Versammlungen und dem Versammlungsgesetz. Dabei sind allerdings zuerst eine Reihe von grundsätzlichen Fragen zu klären, die auf das Verhältnis des Versammlungsrechtes zum allgemeinen Polizeirecht abzielen. 3. „Polizeifestigkeit"/„Spezialitätdes
Versammlungsrechts"
a) Das Versammlungsgrundrecht des Art. 8 GG 1 9 9 und das Versammlungsgesetz Versammlungen unterliegen dem Schutz des Art. 8 GG. Das Versammlungsgrundrecht des Art. 8 GG wird jedoch nicht vorbehaltlos gewährleistet, da
197 Vergi, hierzu Burfeind, Diss. Göttingen S. 125 ff.; Eder in Die Polizei 1976 S. 256 mit einer Darstellung der einzelnen polizeilichen Befugnisse in verschiedenen Situationen. 198 Der Wortlaut der Vorschrift ist im Anhang abgedruckt. 199 Zu Einzelheiten hinsichtlich des Schutzbereichs des Art. 8 GG mit den Verknüpfungen zu anderen Grundrechten vergi, u.a. v. Mutius in Jura 1988 S. 30 f f ; Gusy in JA 1993 S. 321 ff.; Herzog in BayVBl. 1968 S. 77 ff.
104
Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
nach Art. 8 I I G G 2 0 0 Versammlungen unter freiem Himmel „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes" eingeschränkt werden können. 201 Bei der Betrachtung des Versammlungsrechtes in Zusammenhang mit den Polizeigesetzen sollen im folgenden nur die öffentlichen Versammlungen und dabei auch nur solche unter freiem Himmel betrachtet werden, da dieser Typus von den Gesetzgebungsinitiativen explizit angesprochen wurde. Private Versammlungen, wie z.B. Parteitage mit fehlender Berührung zur Außenwelt, sind zwar nicht zwingend weniger gefährlich, doch unterfallen sie nicht dem Versammlungsgesetz, weil in diesem gem. § 1 nur von öffentlichen Versammlungen die Rede ist. 202 Bei Versammlungen in geschlossenen Räumen 203 gelten die Einschränkungen des Versammlungsgesetzes, bei dem die Wechselwirkungen mit den Polizeigesetzen untersucht werden sollen, gerade nicht. Aus dem Wortlaut des Art. 8 II GG wird jedoch nicht ersichtlich, ob es sich bei der Einschränkung „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes" ausschließlich um ein Bundesgesetz, also das Versammlungsgesetz, handeln muß oder ob auch ein Landesgesetz, wie die Polizeigesetze der Länder, in Betracht kommen könnte. In diesem Fall würde sich keine Exklusivität des Versammlungsgesetzes auf diesem Gebiet ergeben. 204 Ein solches Gesetz müßte jedoch speziell auf die Einschränkung des Versammlungsgrundrechtes von Art. 8 GG zugeschnitten205, dürfte also nicht allgemeiner Natur sein. Eine Anwendbarkeit der Polizeigesetze auf Versammlungen muß aber auch aus einem anderen Grund kritisch hinterfragt werden, weil Art. 8 GG in den Katalogen der Polizeigesetze nicht als einschränkbares Grundrecht ausdrücklich aufgeführt wird. Sollte trotzdem die Möglichkeit eines Einschreitens nach den Polizeigesetzen bestehen, würde ein Verstoß gegen das Zitiergebot des 200 So VG Hamburg in N V w Z 1987 S. 829 ff., 831; VG Mainz in NVwZ-RR 1991 S. 242 ff., 243; Hofmann in N V w Z 1987 S. 769 ff., 770. 201 Im einzelnen hierzu v. Mutius in Jura 1988 S. 79 ff. Als solche Gesetze kommen unstreitig die Bannmeilengesetze des Bundes und der Länder sowie die Feiertagsgesetze in Betracht. Streitig ist die Möglichkeit der Anwendung von Straßen- und Wegerecht und des Straßenverkehrsrechts. 202 So auch Lohse/Vahle in VR 1992 S. 325. 203 Abschließend geregelt in den §§5-13 des VersammlG; vergi, hierzu auch Ketteier in DÖV 1990 S. 954 ff.; Krüger in DÖV 1993 S. 658 ff.; Herzog in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 8 GG Rn. 122 ff.; Lohse/Vahle in VR 1992 S. 324 f. Dabei ist zu beachten, daß auch solche Versammlungen grundsätzlich aufgrund der praktischen Konkordanz mit anderen Grundrechten eingeschränkt werden können (verfassungsimmanente Schranken), auch wenn der Wortlaut des Art. 8 I GG etwas anderes vermuten läßt. 204
So Geis in Die Polizei 1993 S. 294; im Ergebnis so auch Guradze in ZRP 1969
S. 6. 205 So v. Mutius in Jura 1988 S. 80; Drosdzol in JuS 1993 S. 409 ff., 411, 412; aus diesem Grunde sind auch die Straßen und Wegegesetze nicht als einschränkende Gesetze anzusehen, da es sich hierbei um allgemeine Gesetze handelt, die nicht von vornherein dazu bestimmt sind, das Versammlungsrecht einzuschränken.
VI. Das Verhältnis des Unterbindungsgewahrsams zum Versammlungsgesetz
105
Art. 19 I S. 2 GG vorliegen, welches normalerweise die Nichtigkeit entsprechender Gesetze zur Folge hätte. Sinn und Zweck dieses verfassungsrechtlichen Grundsatzes ist, daß sich der Gesetzgeber darüber im klaren ist, welche Grundrechte er durch ein Gesetz tatsächlich einschränken will. Nach verschiedenen Ansichten gibt es beim Zitiergebot allerdings auch Ausnahmen 206 , weil nach Einführung des Grundgesetzes eine restriktive Auslegung des Zitiergebotes einsetzte, um nicht allzuviele Gesetze wegen formeller Fehler für nichtig 207 erklären zu müssen. Teilweise wurde dabei von einer bloßen verfassungsrechtlichen Ordnungsvorschrift gesprochen. Diese Tendenz ist allerdings m.E. falsch, da so ein wesentlicher Verfassungsgrundsatz aufgegeben werden würde und Gesetze dann willkürlich als Grundlage von Grundrechtseingriffen jeglicher Art herangezogen werden könnten. Sollte der Schutzbereich des Art. 8 GG durch ein polizeiliches Einschreiten in den genannten Bereichen allerdings nicht tangiert werden, wäre eine fehlende Zitierung gegenstandslos. Das Versammlungsgesetz selbst ist inhaltlich gesehen spezielles Gefahrenabwehrrecht 208 und hat daher als besonderes Polizeirecht wegen des Grundsatzes „Spezialität vor Generalität" Vorrang vor den allgemeinen Polizeigesetzen 209 210 der Länder. Teilweise werden die Polizeigesetze auch als Rechtsfolgenverweisung des Versammlungsrechtes gesehen, was die Möglichkeit polizeilicher Maßnahmen auf Grundlage der Polizeigesetze zulassen würde und zusätzlich auch das oben beschriebene Problem des Zitiergebots von Art. 19 I S. 2 GG umgehen könnte. Eine Beantwortung dieser Fragen kann somit nur eine Analyse des Versammlungsgesetzes bieten. b) Die Argumente der Befürworter einer „Polizeifestigkeit" des Versammlungsrechts Das Versammlungsrecht ist nach Ansicht der Kritiker polizeilicher Maßnahmen grundsätzlich „polizeifest." 211 Unter dem Begriff der „Polizeifestig-
206
Vergi, dazu Herzog in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 19 I GG Rn. 51 ff., im Ergebnis jedoch ablehnend, Rn. 57 ff. 207 Herzog in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 19 I GG Rn. 12. 208 So auch v. Mutius in Jura 1988 S. 81. 209 Kniesel in Lisken/Denninger, H Rn. 156; a.A. Geis in Die Polizei 1993 S. 295, der diese Spezialität nur in den Teilbereichen gelten lassen will, die im Versammlungsgesetz explizit genannt sind, wie z.B. § 17 a IV VersammlG. Im übrigen könne das Polizeigesetz angewandt werden. 210 Vergi, hierzu Geis in Die Polizei 1993 S. 294. 211 So Jahn in DVB1. 1989 S. 1041; Kniesel in Lisken/Denninger, H Rn. 156; Müller, PolG Sachsen, S. 54; kritisch zur „Polizeifestigkeit" und zu diesem Begriff selbst Alberts in VR 1987 S. 298 ff.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
keit" ist zu verstehen, daß das Polizeirecht der Länder vollständig aus dem Versammlungsrecht herausgedrängt wird, also nicht angewandt werden darf. Das Versammlungsgesetz als Konkretisierung des Art. 8 I I GG ist daher abschließend und kann auch nicht durch Landesrecht ergänzt werden. Das „Mainzer Kesselurteil" 212 drückt als Beispiel hierfür aus, daß erst die Mittel des Versammlungsgesetzes völlig ausgeschöpft werden müssen, ehe auf die allgemeinen polizeirechtlichen Normen zurückgegriffen werden kann. Wenn die Mittel, die durch das Versammlungsgesetz zur Verfügung gestellt werden, nicht mehr ausreichen, um die Situation zu kontrollieren, muß zunächst gem. § 15 II VersammlG die Versammlung aufgelöst werden. Erst danach kann die Polizei aufgrund der Befügnisnormen ihrer Polizeigesetze einschreiten. Neben der „Polizeifestigkeit" des Versammlungsrechts kann die Polizei auch in der Ansammlungs- 213 und Zerstreuungsphase nicht nach Polizeirecht vorgegehen, weil der Schutzbereich von Art. 8 GG diese beiden Zeitphasen zusätzlich zu der eigentlichen Versammlung schützt, da sie zur Organisation einer Versammlung unbedingt erforderlich sind. Dazu wird auf die Neuregelung des § 17 a IV VersammlG von 1989 verwiesen, 214 die von Vorfeldmaßnahmen, wie Schußwaffen- und Vermummungsverbot spricht. 215 Der Bundesgesetzgeber habe mit dieser Vorschrift von seiner Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungswesen Gebrauch gemacht hat, also schwinde die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf die Polizeigesetze. Stelle er keine weitergehenden Befugnisse zur Verfügung, können diese nicht künstlich über die Polizeigesetze dazukonstruiert werden. Die Befürworter eines „polizeifesten" Versammlungsrechts gehen daher sowohl von einem absoluten Vorrang des Versammlungsgesetzes als auch einer extrem weiten Auslegung des Schutzbereiches von Art. 8 GG im Hinblick auf dessen zeitliche Ausdehnung vor und nach der eigentlichen Versammlung aus.
c) Die Argumente der Gegner einer „Polizeifestigkeit" des Versammlungsrechts aa) Unsicherheiten bei der Begriffsbestimmung Von dem Grundgedanken eines Vorrangs des Versammlungsrechts gehen auch die Befürworter einer polizeirechtlichen Lösung aus. Allerdings gibt es 212
Vergi. VG Mainz in NVwZ-RR 1991 S. 242 ff. So VG Hamburg in N V w Z 1987 S. 829 ff., 831. 214 § 17 a VersammlG wurde 1989 in das Versammlungsgesetz eingefügt (BGBl. I, S. 1059). 215 Vergi. Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, § 17 a VersammlG Rn. 49 mit weiteren Nachweisen. 213
VI. Das Verhältnis des Unterbindungsgewahrsams zum Versammlungsgesetz
107
schon bei der Bestimmung des Begriffs „Polizeifestigkeit" Schwierigkeiten, da keine eindeutige Definition dieses Ausdrucks existiert. Es ist nicht klar, ob von der „Polizeifestigkeit" nur die polizeiliche Generalklausel 216 oder das gesamte Polizeirecht umfaßt sein soll. Besser wäre es daher, bereits die Begriffe „Polizeifestigkeit" und „Spezialität des Versammlungsrechts" zu unterscheiden. 217 Eine „Spezialität des Versammlungsrechts" ist weitergehender, weil es hierbei erst nach einer Güterabwägung mit anderen Rechtsgütern zu Maßnahmen gegenüber einer Versammlung kommen kann.
bb) Unvollständiger
Regelungsumfang des Versammlungsgesetzes
Bei einer Durchsicht des Versammlungsgesetzes stellt man unweigerlich fest, daß die Regelungsdichte der Normen sehr dünn ist. 218 Der dritte Abschnitt, betreffend die öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge, umfaßt derzeit gerade neun Paragraphen. Daraus schließen die Gegner der „Polizeifestigkeit," daß das Versammlungsgesetz die Eingriffsmöglichkeiten nur unzureichend regelt. Ein Rückgriff auf das Polizeirecht könne daher nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, weil nur spezifische Eingriffe 219 in das Versammlungsrecht ausgeschlossen werden sollten, nicht aber Maßnahmen im Vorfeld und solche, die den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung bezweckten. 220 Das Polizeirecht müsse daher jederzeit zur Durchsetzung versammlungsrechtlicher Anordnungen oder bei Regelungslücken des Versammlungsrechtes Anwendung finden können, weil es sich hierbei um ganz normale Gefahrenabwehr und nicht um einen Eingriff in die Versammlung selbst handele. 221
216 Vergi. Dietel/Gintzel/Kniesel, § 1 VersammlG Rn. 214 mit der Möglichkeit eines Handeln aufgrund der Generalklausel in Fällen des polizeilichen Notstandes. 217 Zur exakten Unterscheidung der Begriffe „Polizeifestigkeit" und „Spezialität des Versammlungsrechtes" vergi. Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, § 15 VersammlG Rn. 38 und 39. 218 Vergi, hierzu Geis in Die Polizei 1993 S. 294 mit weiteren Nachweisen und Beispielen. Das Versammlungsgesetz enthält gerade im Hinblick auf die Polizeipflichtigkeit und die Vollstreckung der versammlungsrechtlichen Maßnahmen offensichtliche Lücken. 219 BayVGH in BayVBl. 1983 S. 434 f f , 436; OVG Münster in DVB1. 1982 S. 653 ff., 654; v. Mutius in Jura 1988 S. 88; Drosdzol in JS 1983 S. 412; Friauf in Schmidt-Aßmann, Rn. 26 a ; Gusy in JA 1993 S. 323; so im Ergebnis auch Guradze in ZRP 1969 S. 6; Eder in Die Polizei 1976 S. 256; so auch Dietel in DVB1. 1969 S. 569 ff., 569, 571 f. 220 VGH Mannheim in NVwZ-RR 1990 S. 603; Jahn in DVB1. 1989 S. 1042. 221 Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, § 17 a VersammlG Rn. 45.
108
Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
cc) Primäre Störerverantwortlichkeit
(„Brokdorf-Beschluß"
des BVerfG)
Wenn eine Versammlung einen unfriedlichen Verlauf nimmt, bietet das Versammlungsgesetz nach § 15 II VersammlG nur die Möglichkeit einer Auflösung der Veranstaltung. Der „Brokdorf-Beschluß" des Bundesverfassungsgerichts 222 hat den staatlichen Behörden jedoch sehr strenge Restriktionen bezüglich einer Auflösung von Versammlungen auferlegt. Dabei wurde insgesamt deutlich hervorgehoben, daß die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG mit der damit verbundenen freien Meinungsäußerung des Art. 5 GG staatlichen Schutz 223
vor einigen unfriedlichen Störern genießt. Die Auflösung einer Versammlung kann daher nur in ganz bestimmten Ausnahmesituationen, wie z.B. dem polizeilichen Notstand, erfolgen. 224 Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgend, muß die Polizei zuerst mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen erkennbare Störer vorgehen, bevor zur ultima-ratio-Maßnahme, der Auflösung, gegriffen werden kann. Dürfte nämlich eine Versammlung sofort aufgelöst werden, könnten einige unfriedliche Störer jede Versammlung unterlaufen und somit deren Auflösung erzwingen. 225 Die Polizei hat daher eine ordnungsgemäß angemeldete Versammlung vor Störern zu schützen und ist zunächst verpflichtet, mit entsprechenden polizeilichen Mitteln gezielt gegen einzelne Störer vorzugehen. 226 Das Versammlungsgesetz bietet aber insoweit nur die Möglichkeit, einzelne Personen bei Versammlungen nach § 18 III VersammlG und bei Aufzügen nach § 19 IV VersammlG von den jeweiligen Veranstaltungen auszuschließen, mehr auch nicht. Voraussetzung ist dabei immer eine „gröbliche" Störung 227 der Ordnung der Veranstaltung. Wenn diese Mittel allerdings keinen Erfolg versprechen bzw. weniger eingriffsintensive Maßnahmen, wie ein Einzelausschluß, nicht ausreichen können, muß ein Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht möglich sein, um eine Auflösung der gesamten Veranstaltung zu vermeiden.
222
Vergi, auch oben BVerfGE 69 S. 315 insbesondere in den Leitsätzen 2 bis 5. BVerfGE 69 S. 315, 361: „Steht kollektive Unfriedlichkeit nicht zu befürchten, ist also nicht damit zu rechnen, daß eine Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder daß der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, dann muß für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere Demonstranten oder Minderheiten Ausschreitungen begehen." 224 Vergi, hierzu v. Mutius in Jura 1988 S. 85; Geis in Die Polizei 1993 S. 296, 297. 225 So auch Burfeind, Diss. Göttingen S. 182; Geis in Die Polizei 1993 S. 296, 297; v. Mutius in Jura 1988 S. 85. 226 OVG Bremen in N V w Z 1987 S. 236, in diesen Fällen ist die Anwendung von Polizeirecht zulässig; so auch Götz in N V w Z 1990 S. 725 ff., 731. 227 Zur gröblichen Störung vergi, auch Geis in Die Polizei 1993 S. 297. 223
VI. Das Verhältnis des Unterbindungsgewahrsams zum Versammlungsgesetz
109
dd) Gleichzeitige Möglichkeit einer Auflösung nach § 15 II VersammlG Dem Spezialitätsvorrang des Versammlungsrechts steht jedoch die Heranziehung polizeilicher Befugnisse zur Beschränkung von Versammlungen dann nicht entgegen, wenn zugleich die Voraussetzungen für eine Auflösung gegeben wären. 228 Entwickelt sich eine Versammlung dergestalt, daß nunmehr Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von ihr ausgehen, kann sie gem. § 15 II VersammlG aufgelöst werden. In solchen Fällen ist neben dem Versammlungsrecht immer auch das Polizeirecht anwendbar, da es lediglich ein Zugeständnis der verantwortlichen Behörde ist, mit der möglichen Auflösung der Versammlung noch abzuwarten.
ee) Lösungsmöglichkeit nach dem Bundesverwaltungsgericht 229
Das Bundesverwaltungsgericht beschreitet einen anderen Weg. Es geht zwar im Grundsatz von einer „Polizeifestigkeit" aus, verwendet allerdings den Begriff der „Auflage" in § 15 1 und I I VersammlG als Einfallstor für polizeiliche Maßnahmen. Wenn diesen Auflagen zuwidergehandelt wird, steht der Behörde der „Gefahrenabwehrkatalog zur Verfügung, der alle nach geltendem Recht zustehenden polizeilichen Befugnisse - auch landesrechtlicher Art - umfaßt." 230 Bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die sich während der Versammlung ergeben, kann nach § 15 II VersammlG nur eine Auflösung erfolgen. Dies wirft nach dem Bundesverwaltungsgericht aber die Frage nach der Anwendbarkeit weniger belastender Mittel zur Abwehr dieser Gefahren auf, auch wenn diese Mittel in einem anderen Gesetz geregelt sind. Diese milderen Mittel sind dann den Polizeigesetzen zu entnehmen, wenn das Versammlungsgesetz nicht Gleichwertiges anzubieten hat. Das Versammlungsgesetz regelt nach dem Bundesverwaltungsgericht zwar das gesamte Versammlungsrecht abschließend; das schließt aber nicht aus, aufgrund der Verhältnismäßigkeit in Einzelfällen auf mildere Maßnahmen 231 aus dem Polizeirecht zurückzugreifen. 232 228
So Götz in N V w Z 1994 S. 652 ff., 655. BVerwGE 64 S. 55 ff. 230 BVerwG in NJW 1982 S. 1009 = BVerwGE 64 S. 55 ff. 231 Alberts in VR 1987 S. 300. 232 Vergi, hierzu BVerwG in NJW 1982 S. 1008 ff., 1009 = BVerwGE 64 S. 55 ff., z.B. die Sicherstellung von Spruchbändern und Plakaten aufgrund der entsprechenden Normen der Länderpolizeigesetze: „Die Vorschrift des § 15 VersammlG verweist insofern mit der Wendung, daß die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen kann, auf den dieser Behörde zustehenden Befugniskatalog ... daß sich die zuständige Behörde zur Abwehr der von einer Versammlung ausgehenden unmittelbaren Gefahren, aller nach geltendem Recht zur Abwehr unmittelbarer 229
110
Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
ff) Schutzbereich
des Art. 8 GG
Letztlich besteht auch große Skepsis, was die Phasen vor und nach der Versammlung betrifft, da problematisch ist, ob eine solche Ansammlungs- oder Zerstreuungsphase 233 v o m Schutzbereich des Art. 8 G G mitumfaßt i s t . 2 3 4 Zumindest nach der Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 235 ist diese Annahme nicht zwingend, da dort nur davon die Rede ist, daß das Versammlungsgrundrecht durch Vorfeldschikanen nicht zunichte gemacht werden d a r f . 2 3 6 Wegen der Überalterung bzw. der lückenhaften Regelung des Versammlungsgesetzes kann auf das Polizeirecht in diesen Zeiträumen nicht verzichtet w e r d e n . 2 3 7 N u r dort, w o das Versammlungsgesetz wie in § 1 7 a VersammlG eine spezielle Eingriffsermächtigung für das Vorfeld bereithält, muß es vorgehen. Ansonsten stehen der Behörde alle Standardmaßnahmen des Polizeirechts, auch der Polizeigewahrsam, zur Verfügung, da das Versammlungsgesetz diese zeitlichen Bereiche nicht regeln k a n n 2 3 8 , wenn der Schutzbereich des Art. 8 G G sie ebenfalls nicht mitumfaßt.
Gefahren zustehenden polizeilichen Befugnisse bedienen kann." So auch OVG Bremen in N V w Z 1987 S. 235 ff., 236; für wenig geglückt hält Alberts in VR 1987 S. 300 diese Konstruktion mit einem Plädoyer, nochmals gründlich über den Begriff der Polizeifestigkeit nachzudenken. 233 Sehr kritisch hierzu Alberts in VR 1987 S. 299, der von einem „rechtsfreien Raum" spricht, wenn auch das Auseinanderströmen von Art. 8 GG umfaßt wäre. Die Rechtsgrundlagen des Versammlungsrechts wären zu diesem Zeitpunkt bereits verbraucht, die Rechtsgrundlagen der Polizeigesetze könnten noch nicht greifen. 234 Auch Geis in Die Polizei 1993 S. 293 ff., 293, der einen folgerichtigen, konsequenten Ausschluß des Polizeirechts für völlig unzureichend hält, da der Polizei die Möglichkeiten aus dem Versammlungsrecht im Vorfeld nie für eine effektive Gefahrenabwehr ausreichen könnten, was nach seiner Ansicht zu einer „präventiven Lücke" fuhren würde, die für die Verwirklichung des Grundrechtes aus Art. 8 GG verheerende Folgen haben könnte. 235 BVerfGE 69 S. 315, 349, 350. 236 Vergi, hierzu Hofmann in N V w Z 1987 S. 769 ff.; Lohse/Vahle in VR 1992 S. 324 sehen in Vorfeldkontrollen („Voraufklärungsmaßnahmen") gerade ein effektives Mittel der Polizei, Versammlungen vor möglichen späteren Auflösungen zu bewahren; Geis in Die Polizei 1993 S. 298, der in fehlenden Vorfeldkontrollen ein viel zu hohes Risiko mit damit im Verlauf der Versammlung nicht wieder gutzumachenden Schäden und Gefahren sieht. 237 Alberts in VR 1987 S. 300. 238 So Geis in Die Polizei 1993 S. 295.
VI. Das Verhältnis des Unterbindungsgewahrsams zum Versammlungsgesetz
4. Nebeneinander von Versammlungsrecht
111
und Polizeigesetzen
a) „Polizeifester" Regelungs(kern)bereich des Versammlungsgesetzes Das Versammlungsrecht ist von seiner Konzeption her zunächst grundsätzlich „polizeifest." Die Polizeigesetze der Länder finden daher keine Anwendung. Diese „Polizeifestigkeit" ist jedoch nicht in dem Sinne zu verstehen, daß damit in allen Fällen ein Auschluß des Polizeirechts erfolgen soll, sondern muß dahingehend interpretiert werden, daß der Bund gem. Art. 74 I Nr. 3 GG von seiner Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Versammlungswesens Gebrauch gemacht hat. 2 3 9 Überall dort, wo das Versammlungsgesetz eine Regelung anbietet, ist es abschließend. An den Stellen, an denen sich jedoch gewollt oder ungewollt Regelungslücken auftun, kann auf die Polizeigesetze zurückgegriffen werden. Das Versammlungsgesetz ist ein spezielles Gefahrenabwehrrecht, welches auf die spezifischen Umstände von Versammlungen und Aufzügen zurechtgeschnitten ist. Die Regelung des § 15 VersammlG ist dabei den polizeirechtlichen Generalklauseln angeglichen. Das ist m.E. ein Indiz für eine Ergänzung des Versammlungsrechts durch die Polizeigesetze.240 Auch sonst wird im öffentlichen Recht auf die Regelungen in den allgemeinen Polizeigesetzen zurückgegriffen, wenn speziellere Gefahrenabwehrgesetze, wie Landesabfallgesetze, Landeswassergesetze, etc. keine entsprechenden Regelungen, wie z.B. hinsichtlich der Störerverantwortlichkeit anbieten; daher ergeben sich auch beim Verhältnis Versammlungsrecht zu Polizeigesetzen keine grundsätzlichen Unterschiede.
b) Das Übermaßverbot im Versammlungsrecht; keine „Polizeifestigkeit" des Versammlungsrechts bei einzelnen Störern Das Versammlungsgesetz ist mit seiner Verknüpfung zu dem Schutzbereich des Art. 8 GG eher unglücklich geregelt, da der Adressat des Art. 8 GG der einzelne Versammlungsteilnehmer ist, während das Versammlungsgesetz von der Versammlung als Menschenansammlung ausgeht.241 Aus dieser Tatsache müssen sich einige Hilfskonstruktionen ableiten lassen. Unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit läßt sich eine strikte „Polizeifestigkeit" somit ebensowenig konsequent durchhalten, da dies zur Folge haben könnte, daß eine Versammlung aufgelöst werden müßte, wenn nicht mit milderen Mitteln einzelne 239
So auch Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, § 17 a VersammlG Rn. 49. So im Ergebnis wohl auch v. Mutius in Jura 1988 S. 84, 88 und Blumenwitz in FS Samper, S. 142 Fn. 48. 241 So auch Drosdzol in JS 1983 S. 412. 240
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
Anstoßpunkte beseitigt werden könnten. Hier ist vor allem an die Mitfiihrung von Plakaten und Transparenten zu denken. Eine Sicherstellung, Einziehung, aber auch eine Ingewahrsamnahme nach den polizeirechtlichen Eingriffsermächtigungen ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sicherlich angebrachter, als die Versammlung an sich aufzulösen. Die Auflösung einer Versammlung kann daher immer nur das äußerste Mittel der Gefahrenabwehr sein, da von den verantwortlichen Behörden, auch im Hinblick auf den oben angesprochenen Brokdorf-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, zunächst alle anderen Mittel ausgeschöpft werden müssen, die weniger einschneidend sind. 242 Einzelne Störer können daher grundsätzlich mit polizeilichen Maßnahmen belegt werden, da sie den Schutz des Art. 8 GG nicht genießen. Hier wären jedoch zuerst §§18 III, 19 IV VersammlG anzuwenden, die es erlauben, die Störer von den jeweiligen Veranstaltungen auszuschließen. Wenn ein Ausschluß alleine nicht fruchtet, können weitergehende Maßnahmen nach den Polizeigesetzen getroffen werden. Es besteht daher eine verfassungsrechtliche Verpflichtung aus Art. 8 GG, eine Versammlung nicht deswegen aufzulösen, weil einzelne Störer versuchen, den friedlichen und reibungslosen Ablauf einer Versammlung oder Demonstration zu unterlaufen. 243 Das gleiche Prinzip gilt auch bei Gegendemonstrationen, da die ursprüngliche Versammlung Vorrang genießt und nicht wegen der Gegenveranstaltung, also einfach aus Gründen der Praktikabilität, aufgelöst werden darf. 244 Nimmt die Versammlung aber insgesamt einen unfriedlichen Verlauf, muß sie aufgelöst werden. Nach einer erfolgten Auflösung steht der Anwendung allgemeiner polizeilicher Maßnahmen nichts mehr im Wege, da dann der Schutz des Art. 8 GG den Versammlungsteilnehmern nicht mehr zusteht. 245
c) Einengende Interpretation des Schutzbereichs von Art. 8 GG Neben der gleichzeitigen Anwendbarkeit beider Gesetze muß auch der Schutzbereich des Art. 8 GG kritisch betrachtet werden. Die extensive Auffassung des VG Hamburg 246 , wonach auch das Entfernen der Versammlungsteilnehmer ausschließlich unter dem Schutz des Art. 8 GG steht, ist nicht vertret-
242
So auch Lohse/Vahle in VR 1992 S. 321: „ultima-ratio Prinzip" der Auflösung. So auch Burfeind, Diss. Göttingen S. 182; Lohse/Vahle in VR 1992 S. 324. 244 Lohse/Vahle in VR 1992 S. 325; dort auch eine kurze Zusammenfassung der polizeilichen Vorgehensweise hinsichtlich der Gegendemonstration, die u.U. auch wieder schutzwürdig ist. 245 Eine Grundrechtsnachwirkung aus Art. 8 GG in Form eines „Rechtes auf freien Abzug" kann nach einer Auflösung nicht mehr gelten; so auch Geis in Die Polizei 1993 S. 296. 246 VG Hamburg in N V w Z 1987 S. 829 ff. 243
VI. Das Verhältnis des Unterbindungsgewahrsams zum Versammlungsgesetz
113
bar, weil der Schutzbereich des Art. 8 GG so zu weit überdehnt werden würde. 247 Sicherlich wird die Grenze zu einer Beeinträchtigung des Art. 8 GG aber dann überschritten sein, wenn durch übermäßige Vorfeldkontrollen ein Versammeln wesentlich erschwert oder unmöglich gemacht werden würde. Diese Befürchtung wurde bereits vom Bundesverfassungsgericht geäußert, ohne daß sich daraus allerdings ein direkter Schutz des Art. 8 GG für diese Bereiche ableiten ließe. Nach der jetzigen gesetzlichen Situation muß das Polizeirecht in den Phasen vor und nach der Versammlung anwendbar sein, da sonst nicht zu verantwortende Lücken bei den behördlichen Eingriffsermächtigungen entstehen würden. Wäre nämlich die Zerstreuungsphase ebenfalls noch vom Schutzbereich des Grundrechtes umfaßt, könnte die Polizei weder nach Versammlungsrecht - da dieses nach einer Auflösung keine weitere Handhabe mehr bietet - noch bei einer „Polizeifestigkeit" auch dieses zeitlichen Bereichs nach den Polizeigesetzen vorgehen. Demzufolge muß nach einer Auflösung der Versammlung schlagartig der Schutz des Art. 8 GG entfallen, so daß andere Maßnahmen nach den Polizeigesetzen der Länder möglich werden.
d) Das Zitiergebot Aus den genannten Gründen wäre bei einer Anwendung der Polizeigesetze keine Nennung des Art. 8 GG in den Eingriffskatalogen nach dem Zitiergebot gem. Art. 19 I S. 2 GG erforderlich, da durch die Polizeigesetze das Versammlungsgrundrecht nicht zielgerichtet eingeschränkt wird, sondern auf diese Gesetze nur hilfsweise für die Fälle zurückgegriffen werden soll, in denen das Versammlungrecht keine Regelungen anbietet. 248
e) Erfordernis genauerer gesetzgeberischer Regelungen Einer Diskussion hinsichtlich einer „Polizeifestigkeit" des Versammlungsrechts hätte es dann nicht bedurft, hätte der Bund das Versammlungswesen gesetzlich detaillierter geregelt. Die derzeitige Gesetzeslage ist unbefriedigend, weil das Versammlungsgesetz der zuständigen Behörde keine ausreichende 247
So auch Niethammer in BayVBl. 1989 S. 449 ff., 454, wonach „zumindest unfriedliche, gewaltbereite Teilnehmer sich beim Entfernen nicht auf Art. 8 GG berufen können. Es liegt daher auch keine Verkürzung des Auflösungsinstruments vor, wenn solche Teilnehmer festgehalten werden. Gewalttätige Teilnehmer und Randalierer abziehen zu lassen, würde nämlich eine Potenzierung der Gefahrenlage bedeuten und der Gewahrsam wäre dann das einzige Mittel, die gegenwärtige, erhebliche Gefahr abzuwehren." 248 Anders BayVGH in BayVBl. 1990 S. 660, der davon ausgeht, daß durch die neue bayerische Gesetzgebung keine neue Eingriffmöglichkeit geschaffen wurde. 8 Stoermer
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
Handhabe zur effektiven Kontrolle einer Versammlung zur Verfugung stellt. Es wäre daher sinnvoll, das Versammlungsgesetz an den Schutzbereich des Art. 8 GG anzupassen und um eine Reihe spezifischer Eingriffsermächtigungen zu ergänzen, damit ein Rückgriff auf die Polizeigesetze insoweit nicht mehr erforderlich ist. Hier wäre der Bundesgesetzgeber gefragt. 249 Ist dieser allerdings nicht gewillt, weitergehende Regelungen zu erlassen, kann dies nur als Indiz gewertet werden, daß im übrigen Polizeirecht - somit auch der Polizeigewahrsam - zur Anwendung kommen soll.
5. Die Auflösungsverfügung
nach § 15 II VersammlG
Die versammlungsrechtliche Auflösungsverfügung ist in Verbindung mit dem Übergang zur Anwendung der Polizeigesetze250 sowie beim „Polizeikessel" von besonderem Interesse. Da die Auflösung meist in äußerst gereizter und aufgebrachter Atmosphäre ergehen wird, stellt sich die Frage nach den Anforderungen an diese Verfügung. Die Auflösungsverfügung hat die Zerstreuung der Versammlungsteilnehmer zum Ziel und ergeht in aller Regel mündlich am Ort der Veranstaltung. Sie muß deutlich zum Ausdruck bringen, daß die Veranstaltung nicht nur unterbrochen, sondern aufgelöst ist, so daß die Verpflich251 tung für die Teilnehmer, sich zu zerstreuen, klar und verständlich ergeht. Die Art und Weise der Bekanntmachung dieser Verfügung ist naturgemäß bei Versammlungen eingeschränkt, da hierbei einerseits die Situation, in der die Auflösungsverfügung ergeht, berücksichtigt werden muß, andererseits ein Medium gewählt werden muß, mit dem möglichst viele Versammlungsteilnehmer erreicht werden können. Es dürfen aber auch keine übertriebenen Anforderungen an die Erreichbarkeit der Versammlungsteilnehmer gestellt werden, weil nie allen Personen einer Demonstration sofort und gleichzeitig die Auflösung übermittelt werden kann. Letztlich wird es aber keine Alternative zu Lautsprecherdurchsagen geben, da hier die Gewähr am größten ist, daß möglichst viele Versammlungsteilnehmer hiervon Kenntnis nehmen können.
249 So Jahn in BayVBl. 1989 S. 1038 ff., 1042; Alberts in VR 1987 S. 298 ff., 301; Geis in Die Polizei 1993 S. 293, 298, der eine umfassende Novellierung des Versammlungsgesetzes mit klarer Aufgabenzuweisung fordert. Erst wenn alle Eingriffsmöglichkeiten im Versammlungsgesetz geregelt seien, könnte von einer Spezialität gesprochen werden. 250 So Dietel/Gintzel/Kniesel, § 15 VersammlG Rn. 51 : „Die wirksame Auflösungsverfügung nimmt der Versammlung, für die sie gilt, den verfassungsrechtlichen Schutz." 251 Dietel/Gintzel/Kniesel, § 15 VersammlG Rn. 45-47.
VII. Der Polizeikessel als Sonderform des Gewahrsams
115
Eine konkludente Auflösungsverfügung durch eine Einkesselung wurde bislang von der Rechtsprechung nicht anerkannt 252 , da die vorgenannten Kriterien hinsichtlich der Art und Weise der Anordnung sich zu zerstreuen, in den bislang entschiedenen Fällen nicht ausreichend bzw. gar nicht berücksichtigt wurden. Aus einem Zusammendrängen der betreffenden Personen kann nach Ansicht der Gerichte schlecht auf eine Auflösungsverfugung geschlossen werden, wenn es zur gleichen Zeit faktisch gar nicht möglich ist, dieser Verfugung durch Weggehen nachzukommen. 253 Ein Kessel bezweckt gerade das Gegenteil dessen, was die Auflösungsverfugung bewirken soll; er hält die darin befindlichen Personen zusammen. Ein Polizeikessel, wie er in den genannten Urteilen vollzogen wurde, kann daher nur im Anschluß an eine korrekte Auflösungsverfugung erfolgen, um solche Personen, die im Anschluß an diese Verfugung immer noch stören, festzuhalten, falls dies erforderlich ist.
V I I . Der Polizeikessel als Sonderform des Gewahrsams 254 1. Geschichte des Polizeikessels Eine in der jüngsten Vergangenheit häufiger aufgetretene Form des Polizeihandelns ist der schon angesprochene „Polizeikessel". 255 Es handelt sich dabei um eine gesetzlich nicht geregelte Maßnahme, die in der Öffentlichkeit laute Kritik erregt hat. Man denke an den „Münchner Kessel" anläßlich des Weltwirtschaftsgipfels 1993, bei dem eine Gruppe von Demonstranten durch Poli-
252 VG Hamburg in N V w Z 1987 S. 831: „Der auf die Teilnehmer ausgeübte Zwang, sich von dem Platz, auf den sie von den Polizeiketten gedrängt waren, nicht entfernen zu können, kann nicht auf den Willen der Beklagten schließen, die Versammlung aufzulösen. Unter der Auflösung einer Versammlung wird ein Auseinandergehen verstanden. Da hier das Gegenteil, eine Zusammenballung der Teilnehmer auf engstem Raum, gewaltsam herbeigeführt wurde, war nicht auf einen Zerstreuungswillen der Beklagten zu schließen"; so auch Hofmann in N V w Z 1987 S. 771; VG Mainz in NVwZ-RR 1991 S. 244. Anders: VG Berlin in NVwZ-RR 1990 S. 188 ff., 189, das von einer vorher erfolgten Auflösung durch mehrfache Lautsprecherdurchsagen ausging. So auch Götz in N V w Z 1990 S. 725 ff., 731: „Aber warum sollte nicht in dem Vorgehen der Polizei (der Aufforderung sich zu entfernen) konkludent auch eine Auflösung liegen?" 253 Hofmann in N V w Z 1987 S. 771; ders. später bei Hofmann-Hoeppel in DÖV 1992 S. 867 ff., 868. 254 Einen Überblick über neuere Probleme hinsichtlich des Polizeikessels mit einer Stellungnahme zum „Mainzer und Berliner Kessel" bei Hofmann-Hoeppel in DÖV 1992 S. 867 ff. 255 Hamburger Kessel 1986; Mainzer Kessel 1986; Berliner Kessel 1987; Münchner Kessel 1993.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
zeikräfte umstellt und somit neutralisiert wurde. 256 Es wurden Stimmen laut, die von dieser Maßnahme als „menschenunwürdige Vorgehensweise" sprachen, gerade im Hinblick auf das stundenlange Festhalten der Personen im Kessel, ohne entsprechende Versorgung durch die Ordnungskräfte. 257 Beim Polizeikessel wird, wie der Name schon sagt, eine Gruppe von Störern von Polizeikräften umstellt, um sie an derselben Stelle festzuhalten oder unter Polizeischutz wegzugeleiten. 258 Bereits im Kapitel V I wurde klargestellt, daß das Versammlungsrecht polizeiliche Maßnahmen, wegen der Wechselwirkung der beiden Gesetze, grundsätzlich nicht ausschließt. Es stellt sich im Zusammenhang mit dem Polizeikessel daher zum einen die Frage, ob es sich dabei um eine Form der polizeilichen Ingewahrsamnahme oder eine eigenständige andere polizeiliche Maßnahme handelt, zum anderen, ob eine solche polizeiliche Handlungsweise, wegen der besonderen, auch psychisch belastenden Umstände rechtmäßig ist.
2. Gerichtliche Entscheidungen zur „ Einkesselung " Die Rechtsprechung 259 ist in den bislang entschiedenen Fällen zu dem Ergebnis gekommen, daß besagte Kesseltaktik nicht zulässig sei, da sie, wie oben dargestellt, mit dem spezielleren Versammlungsrecht kollidiert, insbesondere wenn noch keine Maßnahme nach § 15 VersammlG erfolgt ist. Den Versammlungsteilnehmern ist somit zunächst die Möglichkeit zu geben, sich zu entfernen, um der Auflösungsaufforderung nachzukommen. In einer Einkesselung kann keine gleichzeitige konkludente Auflösung der Versammlung gesehen 256
Vergi, dazu auch das Urteil des LG München vom 28.02.1994, Az. 90 12 730/93 (Münchner Kessel), in dem das Gericht die Behandlungsweise der Demonstranten für rechtswidrig erachtete. 257 Zur Vorgeschichte und zur Situation der Betroffenen während des „Hamburger Kessels" vergi. Blau/Dammann in DuR 1986 S. 365 ff. 258 Diese Vorgehensweise wird dann als Wanderkessel bezeichnet; zur einschließenden Begleitung vergi, auch Markert/Schmidbauer in BayVBl. 1993 S. 517 f f , die die „eingeschlossene Begleitung" durch die Polizei, über die allgemeine polizeiliche Aufgabenzuweisungsnorm des Art. 11 BayPAG herleiten und für eine atypische polizeiliche Maßnahme halten. Die Autoren gehen aber nicht von der klassischen Kesselkonstellation aus, sondern beziehen sich beispielsweise auf ein Begleiten einer Fangruppe vom Bahnhof zum Fußballstadium. Diese Situation wäre nur mit dem „Wanderkessel" vergleichbar. 259 LG Hamburg in N V w Z 1987 S. 833 ff. (Hamburger Kessel); hier führt das Gericht aus, daß „das Versammlungsgesetz keine Befugnisse enthält, die es gestatten, alle Teilnehmer einer nicht aufgelösten Versammlung am Ort festzuhalten oder in Gewahrsam zu nehmen und im Zusammenhang hiermit ihre Identität festzustellen." Das Gericht sprach demnach den Betroffenen einen Schmerzensgeldanspruch zu. Das Urteil ist im Wortlaut abgedruckt in DuR 1987 S. 326 ff. Vergi, auch VG Mainz in NVwZ-RR 1991 S. 242 ff., (243); im Ergebnis so auch Gusy in JA 1993 S. 327.
VII. Der Polizeikessel als Sonderform des Gewahrsams
117
werden 260 , da die Teilnehmer gerade daran gehindert wurden, sich zu entfernen. Weiter sehe das Versammlungsgesetz auch eine Ingewahrsamnahme von 261 Versammlungsteilnehmern nicht vor. Aus diesen Gründen äußerten sich die Gerichte nicht zu der Rechtsnatur der Einkesselung als Gewahrsam und deren Rechtmäßigkeit, da sie diese Vorgehensweise wegen der subsidiären Polizeigesetze für grundsätzlich unzulässig hielten. 3. Polizeikessel als Freiheitsentziehung Nach überwiegender Auffassung 262 ist bei dieser Form polizeilichen Handelns eine Freiheitsentziehung gegeben, bei der auch alle übrigen Merkmale des Gewahrsams vorliegen. Wie am Anfang von Kapitel II dargestellt, ist beim Polizeigewahrsam nicht zwingend ein besonderer Gewahrsamsraum erforderlich. Es genügt, wenn die Freiheitsentziehung, nach der dort genannten Definition, als allseitiger Ausschluß der Bewegungsfreiheit in einem eng umgrenzten örtlichen Bereich aufzufassen ist. Diese Elemente sind allesamt beim Polizeikessel gegeben. Hinzukommt der präventive polizeiliche Zweck der Gefahrenabwehr. Demzufolge gelten für den Kessel die allgemeinen Gewahrsamsvoraussetzungen, die bei einer Vielzahl von Personen vorhanden sein müssen. Wenn davon auszugehen ist, daß es sich bei dem Polizeikessel um einen Gewahrsam, wenn auch in besonderer Form, handelt, ist im Anschluß die beson-
260 So LG Hamburg in N V w Z 1987 S. 833; VG Hamburg in NVwZ 1987 S. 829 ff., 831; vergi. Fn. 252 oben. Beide Gerichtsentscheidungen äußern sich aber nicht darüber, ob die Einkesselung eine Gewahrsamsform ist oder nicht! Zustimmend hinsichtlich beider Entscheidungen Hofmann in N V w Z 1987 S. 769 ff. 261 VG Hamburg in N V w Z 1987 S. 832. 262 Mussmann, AllgPolR Ba-Wü Rn. 202, auch hinsichtlich des „Wanderkessels", soweit die eingeschlossenen Personen die Umschließung nicht verlassen können; so auch Schenke in Steiner, Rn. 96; Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 272; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rn. 236; Scholler/Schioer, S. 125; Roos, § 14 Rh-Pf POG Rn. 7; Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 3; Reichert/Ruder, Rn. 569. So auch VG Berlin in NVwZ-RR 1990 S. 188 ff., 188 (Berliner Kessel): „Die mit der Einschließung bewirkte Beschränkung der Bewegungsfreiheit stellt sich danach nicht nur als sekundäre, kurzfristige Folge der letztlich bezweckten Durchsuchung dar, sondern gewinnt wegen der besonderen Umstände ... eine eigenständige Bedeutung. Der mit der Einschließung bewirkte Eingriff in die Bewegungsfreiheit ging über das ... übliche Maß hinaus, hat freiheitsentziehenden Charakter und könnte nur unter den normierten Voraussetzungen einer Ingewahrsamnahme gerechtfertigt sein."
Zustimmend zur rechtlichen Qualifizierung als Gewahrsam auch Hoffmann-Riem in Hoffmann-Riem/Koch, S. 246, jedoch sehr kritisch insbesondere hinsichtlich der Zulässigkeit dieser Eingriffsform und des Wanderkessels (S. 246, 250); a.A. Gusy in JA 1993 S. 327, der sowohl den Kessel, als auch die einschließende Begleitung als eine „regelmäßig unzulässige Freiheitsentziehung" ansieht.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
dere Art und Weise der Ingewahrsamnahme mit den damit verbundenen äußerst belastenden Umständen für die Betroffenen zu hinterfragen.
4. Polizeikessel zur Abwehr von Gefahren für besonders wichtige Rechtsgüter Der Polizeikessel ist, wie der Verbringungsgewahrsam, eine Reaktion der Polizei auf die Entwicklungen der letzten Jahre, insbesondere bei Großveranstaltungen. Die Polizei ist dort aufgrund ihrer meist zahlenmäßigen Unterlegenheit oftmals nicht in der Lage, eine nötige Ingewahrsamnahme von einer Vielzahl von Personen in der gleichen Art und Weise durchzuführen wie dies 263
in Einzelfällen denkbar gewesen wäre. Der Kessel bietet in diesen Fällen die Gewähr, mit einem systematischen Polizeiaufgebot, auch in Unterzahl, größere Störeransammlungen unter Kontrolle zu halten. a) Gefahr der „Miteinkesselung" von Nichtstörern Eine Voraussetzung für die Einkesselung ist aber zunächst einmal, daß es sich um eine homogene Gruppe von Störern handelt. 264 Dabei besteht jedoch immer die Gefahr, daß einzelne Nichtstörer ebenfalls von der Maßnahme mitumfaßt werden. Ein Grundsatz des Polizeirechts ist aber die primäre Inanspruchnahme von Störern. Das Versammlungsgesetz ermöglicht, wie bereits dargestellt, als Maßnahmen gegen die Versammlung selbst nur die Auflösung gem. § 15 II VersammlG. Daher muß aus Gründen der Verhältnismäßigkeit primär gegen die einzelnen Störer vorgegangen werden, um nicht gleich zu dem gravierenden Mittel einer Auflösung greifen zu müssen. Gegen die Versammlung als Ganze kann dann nur - weil sie als Nichtstörerin betrachtet werden muß - nach den besonderen Regelungen des polizeilichen Notstands vor265
gegangen werden. Dasselbe muß auch bei einer Einkesselung von Personengruppen gelten, da es sich dabei um einzelne kleine Versammlungen in der gesamten Versammlung handelt. Die Polizei kann daher eine unbestimmte Menschengruppe, unter der sich möglicherweise auch Nichtstörer befinden könnten, 263 Vergi, hierzu auch Niethammer als Polizeipraktiker in BayVBl. 1989 S. 449 ff., 455: „ ... gerade bei gewalttätigen Teilnehmern ist diese Form des Gewahrsams eine geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme zur Gefahrenabwehr." 264 Zu den Anforderungen, die an eine solche Gruppe zu stellen sind vergi, auch VG Berlin in NVwZ-RR 1990 S. 190; danach rechtfertigt eine verhältnismäßig geringe Zahl von gewaltbereiten Störern nicht, eine größere Gruppe von Demonstranten als überwiegend gewalttätig zu qualifizieren und einzukesseln. 265 Vergi, dazu auch Geis in Die Polizei 1993 S. 293 f f ; hier insbesondere den Punkt II „Probleme des Versammlungsablaufs".
VII. Der Polizeikessel als Sonderform des Gewahrsams
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nur dann einschließen, wenn hinsichtlich dieser Personen die Voraussetzung zur Inanspruchnahme polizeirechtlich nicht verantwortlicher Personen vorliegen, da diese Nichtstörer von der Einkesselung als Gewahrsam genauso betroffen werden, wie die eigentlichen Störer. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nichtstörern - nicht verantwortlicher Personen - legt § 6 I des Musterentwurfs fest. 266 Dabei ist erforderlich, daß es sich um eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr handeln muß, bei der eine Inanspruchnahme der - im Normalfall eigentlich - Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich ist und die Nichtstörer ohne erhebliche eigene Gefahrdung oder Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden können. Diese Maßnahmen dürfen nach § 6 I I des Musterentwurfs auch nur solange aufrechterhalten werden, wie eine Gefahrenabwehr auf andere Weise nicht möglich ist. Bezogen auf einen Polizeikessel bedeutet dies, daß eine Einkesselung einer Menschenmenge eigentlich nur bei einer Gefahrdung besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter erfolgen kann, da im Grunde immer die Gefahr einer Miteinkesselung von Nichtstörern im Raum steht. Wenn die Polizei bei einer solchen Gefahrenlage, die von einem Personenpulk ausgeht, nicht in der Lage ist, rechtzeitig zu unterscheiden, wer Störer ist und wer nicht, muß jedoch unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eine Einkesselung möglich sein. Dazu muß auf die vorherigen Ausführungen zum Gefahrenbegriff im Kapitel V verwiesen werden, nach denen die Sicherheit der Gefahreneinschätzung, (im vorliegenden Fall, ob es sich um eine homogene Gruppe von Störern handelt) von der Gewichtigkeit des möglicherweise gefährdeten Rechtsgutes abhängig gemacht wird. 2 6 7 Ist dieses Rechtsgut von besonderer Bedeutung für die Allgemeinheit, hätte das zur Folge, daß zu einer Einkesselung auch dann gegriffen werden könnte, wenn die Gefahr besteht, daß sich vereinzelt „unschuldige" Personen unter der Masse der in Gewahrsam genommenen Personen befinden. Nach der erfolgten Einkesselung muß allerdings unverzüglich eine nähere Überprüfung der festgehaltenen Personen erfolgen, um möglicherweise erkennbare Nichtstörer sofort wieder freizulassen. In diesen Kontext paßt auch die bereits angesprochene Begleitpersonenproblematik, bei der Personen, die sich von Störern nicht bewußt distanzieren, von polizeilichen Maßnahmen mitbetroffen werden können. Ihnen könnte dann später durch die gerichtliche Überprüfung der Freiheitsentziehung nach den Gewahrsamsvorschriften oder durch Individualrechtschutz, verbunden mit einer Entschädigung nach § 45 des Musterentwurfs sowie durch Amtshaftungsansprüche geholfen werden.
266 267
Entsprechende landesspezifische Regelungen finden sich in allen Polizeigesetzen. Vergi, oben BVerwGE 45 S. 61.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
b) Beachtung der wesentlichen Verfahrensvorschriften Ein zusätzliches Problem ist die besondere Situation der von der Einkesselung betroffenen Personen. Diese wurden in den genannten Kesselfällen oft über Stunden ohne ausreichende Versorgung (Verpflegung, Getränke, Toilettenbenutzung, etc.) festgehalten. 268 Wenn der Kessel aber eine besondere Art des Gewahrsams darstellt, müssen die allgemeinen Vorschriften über Art und Weise der Behandlung festgehaltener Personen beachtet und angewandt werden. Dazu gehört unter anderem die Belehrung über den Grund der Festnahme, die Möglichkeit mit einer Vertrauensperson Kontakt aufzunehmen, eine angemessene Versorgung während der Dauer der Maßnahme, etc. Nach den Polizeigesetzen der Länder sollen festgehaltenen Personen auch nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Freiheitsentziehung oder die Ordnung während des Gewahrsams unbedingt erfordern. 269 Unter den geschilderten Einsatzbedingungen ist es jedoch schwierig, diese Voraussetzung während der Einkesselung einzuhalten bzw. überhaupt zu ermöglichen, solange sich die Personen vor Ort noch in der Umklammerung befinden. Während dieser Umklammerung selbst können zunächst nur, wenn dies erforderlich wird, Verpflegungsmaßnahmen durchgeführt werden sowie den betroffenen Personen die Gelegenheit gegeben werden, sanitäre Einrichtungen aufzusuchen. Im Anschluß daran muß den Personen, je nach Kapazität, die Möglichkeit eingeräumt werden, mit einer Vertrauensperson Kontakt aufzunehmen. Die Auflösung des Kessels hat dann so schnell wie möglich zu erfolgen, da das Ziel der Maßnahme eine Ingewahrsamnahme der betroffenen Personen nach den gesetzlichen Vorschriften ist und nicht den Anschein einer „Strafaktion" erwecken soll. Die Polizei kann somit nicht unter Berufung auf praktische Schwierigkeiten in der Durchführung von Gewahrsamsvorschriften, diese vernachlässigen bzw. gar nicht befolgen. Man muß aber von dem Standpunkt ausgehen können, daß - bei einer grundsätzlichen Zulässigkeit eines Polizeikessels in speziellen Ausnahmefällen - der Zweck des Gewahrsams solche Beschränkungen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht erfordert und gestattet. Es kann sich somit z.B. die Benachrichtigung einer nahestehenden Person etwas verzögern, jedoch muß diese Möglichkeit grundsätzlich eingeräumt werden. Kritiker des Polizeikessels haben geäußert, daß von einer solchen Maßnahme eben abgesehen werden müsse, wenn die Polizei aufgrund ihrer personellen und materiellen Ausstattung nicht in der Lage sei, einen Gewahrsam nach den
268
Vergi, oben Fn. 257. Die Beschränkungen im Fall des Hamburger Kessels gingen nach Ansicht des Gerichtes über die gesetzlich zugelassenen Beschränkungen hinaus; vergi. LG Hamburg in N V w Z 1987 S. 834. 269
VII. Der Polizeikessel als Sonderform des Gewahrsams
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Vorschriften ordnungsgemäß durchzufuhren. 270 Eine solche Betrachtungsweise ist aber völlig wesensfremd, wenn man den Grundgedanken einer effektiven Gefahrenabwehr konsequent auch auf solche Extremfalle anwendet, in denen in Form eines Kessels gehandelt werden muß. Sicherlich gibt es Bedenken hinsichtlich hygienischer, physischer, psychischer und kommunikativer Umstände in einer solchen Umklammerung. Wenn die Polizei aber aufgrund mangelnder personeller Ausstattung keine anderen Möglichkeiten hat, Störer unter Kontrolle zu halten, muß ein solches Mittel zur Abwehr von Gefahren für besonders gewichtige Rechtsgüter zugelassen werden, sofern die Grundelemente der Ingewahrsamnahme mit den entsprechenden Schutzmechanismen für die Betroffenen gewahrt bleiben. Dazu gehört neben der ausreichenden Versorgung der Betroffenen auch die nachträgliche richterliche Überprüfung der Freiheitsentziehung gem. Art. 104 I I GG. Die Alternative wäre, mangels entsprechender, meist personeller oder sächlicher Möglichkeiten auf einen nötigen Gewahrsam zu verzichten und bewußt die Möglichkeit weiter(er) eskalierender Gefahren in Kauf zu nehmen. Den Kritikern des Polizeikessels müßte dann aber auch klar sein, daß sich der Staat als Garant für die Durchsetzung der Rechtsordnung dieser Verpflichtung nicht ohne weiteres entledigen und ein „laissez faire mangels Masse" langfristig fatale Folgen haben kann. Im Ergebnis muß somit, unter Abwägung der verschiedenen Interessen, das Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr gegenüber dem Interesse der betroffenen Personen überwiegen und ein Polizeikessel zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter 271, wie z.B. das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland bei dem vorgenannten Weltwirtschaftsgipfel, zugelassen werden, wenn eine andere, weniger einschneidende Vorgehensweise der Polizei gegen Störer aus personellen oder organisatorischen Gründen nicht möglich ist. Welches solche besonders wichtigen Gemeinschaftsgüter neben diesem Beispiel sind, wird im Einzelfall zu entscheiden sein. Mit Sicherheit sind darunter immer Leben, Gesundheit, Eigentum, etc. zu rechnen. Da jedoch in den vielen denkbaren Fällen auch ansonsten untergeordnete Rechtsgüter besondere Bedeutung erlangen können, wird die Entscheidung für oder gegen einen Kessel immer vom Einzelfall abhängig zu machen sein.
270 So LG Hamburg in N V w Z 1897 S. 834; so auch Hoffmann-Riem in HoffmannRiem/Koch, S. 246. 271 Im Ergebnis so auch Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rn. 236, die den Kessel zwar als schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit ansehen, aber „zum Schutz gewichtiger Rechtsgüter und unter strikter Beachtung des zeitlichen Übermaßverbotes" für statthaft halten.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
V I I I . Der Verbringungsgewahrsam 7. Begriff - Einleitung Der Verbringungsgewahrsam ist eine gesetzlich nicht geregelte polizeiliche Maßnahme. Unter dieser Gewahrsamsform ist zu verstehen, daß eine Person, die an einem bestimmten Ort stört, dort aufgegriffen und mit einem Polizeifahrzeug an einen anderen Ort gebracht wird, an dem sie nicht mehr stören kann. In der Praxis werden dabei meist betrunkene Obdachlose auf Aufforderung und Beschwerden von Passanten oder Geschäftsleuten von Polizeibeamten aus der Fußgängerzone einer Stadt, Parks oder von Spielplätzen entfernt und mit dem Polizeifahrzeug zum Stadtrand „verbracht". Der Begriff des „Verbringungsgewahrsams" ist also eine Wortprägung, die nicht unbedingt auf eine Ingewahrsamnahme im klassischen Sinne schließen lassen muß. Neben der Beseitigung der augenblicklichen Störung soll unter anderem auch die baldige Rückkehr der betroffenen Personen verhindert werden. Der Verbringungsgewahrsam wird auch in Zusammenhang mit Demonstrationen diskutiert, um Ansammlungen auseinanderzusplitten, Rädelsführer zu neutralisieren und somit Gefahren zu minimieren. Als Beispiel hierzu wäre das Hinausgeleiten eines vollbesetzten Busses mit Kurden an die Stadtgrenze zu nennen, um die Insassen von der Teilnahme an einer geplanten, sehr wahrscheinlich gewalttätigen Demonstration abzuhalten. Zu Beginn dieser Verfahrensweise Anfang der achtziger Jahre gab es eine verstärkte Diskussion über die Rechtmäßigkeit dieser „neuen Gewahrsamsform". Mittlerweile geht die weitaus überwiegende Ansicht davon aus, daß diese Vorgehensweise der Polizei schlichtweg, mangels Rechtsgrundlage, rechtswidrig ist. 2 7 2 Bei einer Betrachtung dieser Maßnahme stellt sich dabei zunächst die Frage, ob es sich überhaupt um eine Ingewahrsamnahme im klassischen Sinne handelt, ob möglicherweise eine Platzverweisung vorliegt oder auf welche andere Rechtsgrundlage eine solche Vorgehensweise gestützt werden könnte. Es ist dabei auch sinnvoll, zwischen den von dieser Maßnahme Betroffenen zu unterscheiden, da unter Umständen die Verbringung als Unterart der Ingewahrsamnahme gegenüber dem klassischen Polizeigewahrsam als milderes
272 Gusy, PolR Rn. 244; Mussmann, AllgPolR Ba-Wü Rn. 202; (wohl auch) Schenke in Steiner, Rn. 94 und 96; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rn. 236, Fn. 149; Pausch/Prillwitz, S. 208, die der Ansicht sind, daß eine Verbringung nur insoweit zulässig ist, als sie erforderlich ist, um den Betroffenen zum nächstgelegenen Gewahrsamsraum zu transportieren; Scholler/Schloer, § 6 V c); kritisch Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 6 und 7; Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 281; Mussmann in VB1BW 1986 S. 52 ff.; Roscher in BWVPr. 1981 S. 61 ff.; Maaß in N V w Z 1985 S. 151 ff. und VB1BW 1987 S. 287 f.; Friauf in Schmidt-Aßmann, Rn. 134; Schipper, Pol- u. OrdRSchlHst Rn. 339; Roos, § 14 Rh-Pf POG Rn. 8-10.
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Mittel anzusehen ist und somit aus Gründen der Verhältnismäßigkeit angewandt werden müßte.
2. Die typischerweise von der Verbringung betroffenen Personengruppen a) Obdachlose Von dieser Maßnahme waren bislang typischerweise Obdachlose und Demonstranten betroffen. Diese beiden Personengruppen müssen als Adressaten einer polizeilichen Maßnahme natürlich auch die allgemeinen Störereigenschaften des Polizeirechts erfüllen. Sie müssen also ein polizeilich relevantes Schutzgut gefährden. Bei Obdachlosen kann dies zumindest fraglich sein. 273 Es stellt sich nämlich das Problem, ob dieser Personenkreis überhaupt als Störer angesehen werden kann oder ob es sich dabei um eine gesellschaftliche Zeiterscheinung handelt, die von der Bevölkerung zu akzeptieren ist, eine Störung insoweit also gar nicht vorliegt. 274 Von Kritikern der Verbringungspraxis wird daher vorgetragen, daß diese Menschen weniger Störer im polizeilichen Sinne seien, als daß sie von der übrigen Bevölkerung eher als lästig und störend emp275
funden würden. Es liege vielmehr lediglich eine subjektive Abneigung gegen diese Menschen vor. Daher bestehen berechtigte Zweifel, ob der bloße Aufenthalt von Obdachlosen an irgendwelchen Orten und Alkoholkonsum alleine die Voraussetzungen einer polizeilichen Gefahr begründen können. 276 Die Kritik setzt also dahingehend an, daß die Personengruppen der Landstreicher und Obdachlosen ohnehin schon mit genügend Problemen behaftet sind und der Ver273 So Scholler/Schloer, § 6 V c): „hier ist allerdings fraglich, welche Straftat oder erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Zusammenhang mit diesem Personenkreis verhindert werden soll." Mussmann in VB1BW 1986 S. 53: „ ... Die Mehrheit der Stadtstreicher neigt allerdings nicht zu solchen Verhaltensweisen." 274 Vergi, hierzu Schioer in DVB1. 1989 S. 739 ff.: „Der Obdachlose als Störer der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit?" In diesem Aufsatz kommt der Autor in einer Stellungnahme zum Begriff der Obdachlosigkeit zu dem Ergebnis, daß freiwillige und unfreiwillige Obdachlosigkeit zwar unter den Begriff der polizeilichen Störung zu subsumieren ist, jedoch das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit und nicht das der öffentlichen Ordnung betroffen ist; so auch Eichert, Diss. Konstanz S. 68 f f , 81 (100) im Ergebnis aber ablehnend, da nach seiner Meinung die Obdachlosigkeit für sich alleine gesehen noch keine polizeilich relevante Störung darstellt. 275
In einer aktuellen Meinungsumfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der Woche fühlten sich aber nur ca. 17 % aller Befragten von Bettlern und Obdachlosen belästigt. 82 % der Befragten waren in diesem Zusammenhang sogar ausdrücklich dagegen, daß diese Personengruppen aus den Innenstädten verbannt werden sollen; vergi, dazu den Bericht „Dreckspatzen und Drecksarbeit" in Der Spiegel, Heft 24/1997 S. 48 ff. (49). 276 So Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 269 mit weiteren Nachweisen zu der Obdachlosenproblematik.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
bringungsgewahrsam wie eine Strafaktion gegen diese Personen und deren „unverschuldetes" Schicksal zu werten ist. 2 7 7 Man sollte diesen Menschen besser grundlegend helfen, als sie an den Stadtrand zu verfrachten, von dem sie ohnehin in der Regel mangels geeigneter Alternativen wieder in die Städte zurückkehren müssen. 278 Diese humanitären Erwägungen mögen zwar im Grundsatz stimmen, treffen aber das Problem der Verbringung nicht. Der Gesetzgeber hat in dieser Richtung auch durch Abschaffung des alten § 361 StGB zum 1.1. 1975, durch den die Landstreicherei, Bettelei und Obdachlosigkeit pönalisiert wurde, in entsprechender Weise gesellschaftspolitisch reagiert. Es ist aber daneben nicht Aufgabe der Polizei, Sozialpolitik zu betreiben und eine Lösung für das Problem der Obdachlosigkeit zu finden. Bei der Gefahrenabwehr muß unabhängig von den Einzelschicksalen der betroffenen Personen gehandelt werden. Wenn daher auf öffentlichen Straßen, Plätzen, in Parks oder auf Kinderspielplätzen sich ständig Ansammlungen von Obdachlosen einfinden und sich dort aufhalten, muß diesen Zuständen in irgendeiner Form Einhalt geboten werden, wenn daraus tatsächlich Gefahren resultieren, gegen die aus polizeilicher Sicht eingeschritten werden muß. Solche Gefahren sind dabei nicht der bloße Anblick der Obdachlosen oder das daraus resultierende Unbehagen, sondern vielmehr Gefahren anderer Art wie Verschmutzungen und Beschädigungen der genannten Örtlichkeiten, Belästigung von Passanten durch Pöbeln, Betteln und Randalieren, Gefährdung von Kindern durch herumliegenden Unrat auf Spielplätzen wie Glasscherben, Spritzen, etc. Letztlich meiden die Stadtbewohner als Reaktion auf solche Zustände diese Plätze oder Parks, die zu ihrer Erholung errichtet und angelegt wurden. Demzufolge machen es sich die Kritiker der Verbringung zu einfach, wenn sie behaupten, daß lediglich ein unwohles Empfinden der übrigen Bevölkerung und das Stadtbild Grund der polizeilichen Maßnahme sind. Es liegen vielmehr Gefahrdungen verschiedener Art für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, angefangen von Gesundheitsgefahrdungen durch mögliche Verletzungen von Kindern auf Spielplätzen, Eigentumsbeeinträchtigungen von Geschäftsleuten in Fußgängerzonen durch Behinderung und Belästigung der
277
Vergi, hierzu LG Mainz in MDR 1983 S. 1044 f.: „Die polizeiliche Verbringung von Stadtstreichern aus dem Stadtgebiet aufs Land ist grundsätzlich Freiheitsberaubung." Das Gericht bezeichnet diese Behandlung mit unzutreffender Begründung als „eine kränkende und entwürdigende Behandlung mit Strafcharakter, insbesondere wenn die Stadtstreicher schon wiederholt aufgefallen sind wegen vergleichsweise geringer Vorwürfe, wie Pöbeln und Randalieren." Diese Entscheidung ist m.E. emotional geprägt. Hinzu kommt bei diesem Urteil, daß sich die Richter über den angeblichen „Vertuschungsversuch" der Polizeibeamten verärgert zeigten, (S. 1045). Eine Stellungnahme zu diesem Urteil in Polizeispiegel 6/84 S. 137. 278
Vergi. Mussmann in VB1BW 1986 S. 52 ff.
VIII. Der Verbringungsgewahrsam
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Kundschaft 279 bis zu Verschmutzung und Beschädigung280 öffentlicher Einrichtungen, etc., vor. Diese Umstände spiegelt sich auch in Straf- und Ordnungsvorschriften wider; so z.B. Sachbeschädigung gem. § 303 StGB, Nötigung gem. § 240 StGB oder §§ 117, 118 OWiG in Form von unzulässigem Lärm und Belästigung der Allgemeinheit durch sogenanntes „agressives Betteln" 281 . Daneben ergeben sich möglicherweise noch Ordnungswidrigkeiten nach dem Straßenrecht der Länder wegen unerlaubter Sondernutzung ohne entsprechende Genehmigung sowie Verstöße gegen Polizeiverordnungen von Städten und Gemeinden im Hinblick auf die Benutzung öffentlicher Anlagen. Die Störereigenschaft 282 der Obdachlosen muß aus diesen Gründen bei entsprechendem Verhalten bejaht werden, da von ihnen polizeilich relevante Gefahren ausgehen können. Ob es sich dabei um Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung handelt, ist für die grundsätzliche Polizeipflichtigkeit dieser Personengruppe zunächst nicht von Bedeutung. 283 Die Tendenz geht wegen der Normverstöße allerdings in Richtung einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Ein zusätzliches Indiz für die Möglichkeit zur Ingewahrsamnahme von Obdachlosen liefert die Vorschrift des Art. 5 I lit. e der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). 2 8 4 Diese Vorschrift sieht auf europäischer Ebene diese Eingriffsmöglichkeit vor, wenn der Betroffene „Landstreicher" ist. Die Vorschrift des Art. 5 EMRK wird von den Kritikern des polizeilichen Gewahrsams immer wieder als Argumentationspotential gegen Gewahrsamsmaßnahmen angeführt. In diesem Falle liefert diese Vorschrift allerdings ein Argument für die Gegenseite. Eine weitere Schwierigkeit neben der Polizeipflichtigkeit existiert auch in verfassungsrechtlicher Sicht. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Mittel könnte die Verbringung möglicherweise als ungeeignete polizeiliche Maßnahme erscheinen, denn die Verbringung löst das Problem des Stadtstreichertums
279 Vergi, dazu den Situationsbericht aus Hamburg in Der Spiegel, Heft 24/1997 (Fn. 275) S. 49, in dem der Geschäftsführer des Hamburger Einzelhandels auf eine „Trennung von Bettelei und Einzelhandel" besteht, damit der Kundschaft ein ungetrübtes Einkaufsvergnügen - ohne dabei ein schlechtes Gewissen haben zu müssen - ermöglicht werden kann. 280 Hierzu kann auf die Mannheimer Situation verwiesen werden, in der Obdachlose öffentliche Toiletten in der Innenstadt, insbesondere die Beleuchtung darin beschädigt haben, um diese Räumlichkeiten als Schlafplätze nutzen zu können. 281 Zur Problematik des aggressiven Betteins vergi. Holzkämpfer in NVwZ 1994 S. 146 ff. 282 Vergi, hierzu auch Latzel/Lustina in Die Polizei 1995 S. 131 ff. mit einer ausfuhrlichen Auflistung möglicher Gefahren, insbesondere im Rauschgiftmilieu. 283 Näheres dazu bei den möglichen Rechtsgrundlagen der Verbringung, dort bei der Generalklausel. 284 Der Wortlaut der Vorschrift ist im Anhang abgedruckt.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
natürlich nicht. 285 Es besteht die große Wahrscheinlichkeit, daß diese Personen wieder an den vorherigen Ort zurückkehren bzw. ihr störendes Verhalten an einem anderen Ort fortsetzen. Eine geeignete Maßnahme im Sinne dieser Meinung könnte aber nur eine Resozialisierung dieser Personengruppe sein, was keine Aufgabe der Gefahrenabwehr, also der Polizei, sondern der sozialen Fürsorge ist. Allein aus polizeilicher Sicht ist die Verbringung geeignet, eine akute Gefährdung von Rechtsgütern zunächst einmal zu verhindern, zu beseitigen, also einer Gefahr entgegenzuwirken. Oftmals reicht es aus, durch eine gezielte Verbringung die Gemüter abzukühlen, Gruppen zu entzerren und dadurch die Gefahr zu beseitigen oder zumindest überschaubarer zu machen. Gefahrenabwehr kann daher nicht mit einer Problemlösung im weitesten Sinne gleichgesetzt werden. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muß die Polizei bei der Auswahl verschiedener geeigneter Mittel diejenigen Maßnahmen treffen, die den Betroffenen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigen. Eine Verbringung ist aber für Störer in der Regel weniger eingriffsintensiv als die klassische Ingewahrsamnahme bei Vorliegen einer Störung, da der Eingriff von kürzerer Dauer ist und der Betroffene an anderer Stelle sich wieder frei bewegen kann. 286 Wenn somit das Verhalten der betroffenen Personen ebenfalls einen Gewahrsam rechtfertigen würde, wäre eine Verbringung das mildere, gleichsam geeignete Mittel, das somit angewandt werden müßte. Eine Verbringung kann allerdings in solchen Fällen unverhältnismäßig sein, in denen der Betroffene sich völlig hilflos alleine überlassen wird, wenn er z.B. krank oder gebrechlich ist. In diesen Fällen müßte dann zu anderen Maßnahmen gegriffen werden.
b) Demonstranten Etwas anderes kann sich bei der Bewertung der Verbringung von Demonstranten ergeben. Wenn eine Verbringung einer größeren Zahl von Störern vom Kern der Demonstration zum Stadtrand erfolgt, ist zu fragen, ob nicht in jedem Fall ein viel milderes Mittel angewandt wurde, als wenn die Demonstranten in herkömmlichen Polizeigewahrsam - gegebenenfalls durch einen Polizeikessel genommen worden wären, wenn dabei die räumliche Trennung der Versammlungsteilnehmer unerläßlich war, um die Gefahrenlage zu beenden. Die Rechtsprechung hat eine solche Wertung teilweise in einigen Entscheidungen ange287
nommen. 285
Dies hatte in der Praxis sicher auch organisatorische Gründe, da
So Mussmann in VB1BW 1986 S. 56. So auch Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 11. 287 So z.B. BayObLG in N V w Z 1990 S. 194 f.: „Kann der unmittelbaren Gefahr, daß aus einer Menschenmenge Gewalttätigkeiten ... , nur dadurch begegnet werden, daß die Teilnehmer ... in Gewahrsam genommen werden, so kann es im Einzelfall gerechtfertigt 286
VIII. Der Verbringungsgewahrsam
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bei größeren Veranstaltungen die Kapazitäten an geeigneten Gewahrsamsräumlichkeiten bei einer größeren Zahl von festzuhaltenden Störern rasch erschöpft wären. Die Verbringung einer Gruppe von Störern als Ganzes ist besser zu handhaben, als wenn diese in kleinere Grüppchen auf verschiedene Dienstbezirke aufgeteilt werden müßte. Ein Hinausgeleiten - Verbringen - an den Stadtrand oder an eine sonstige weniger exponierte Stelle wäre dann auch aus praktischen Erwägungen zu befürworten. Aber auch in diesen Fällen muß streng darauf geachtet werden, daß eine Verbringung nicht den Eindruck einer Strafaktion erweckt. Kritiker führen dazu weiter aus, daß die Verbringung kein Minus gegenüber der Ingewahrsamnahme darstelle, sondern ein Aliud, also etwas völlig anderes sei; daher auch nicht angewandt werden dürfe. 288 Dies kann aber nach dem zur Verhältnismäßigkeit Gesagten keine Rolle spielen, da anstelle der Ingewahrsamnahme in anders gelagerten Fällen auch eine Beschlagnahme von gefährlichen Gegenständen (vergi, vorne bei den Beispielskatalogen im Zusammenhang mit der Waffen- und Begleitpersonenproblematik) als Maßnahme zur Gefahrenabwehr in Betracht kommen könnte. Auch hier wäre dann ein Aliud gegeben, welches vorzuziehen ist, wenn es weniger belastend wäre und gleichsam zum Ziel führen würde.
sein, die Betroffenen an einen anderen Ort zu verbringen, wenn damit erreicht werden kann, daß ihre Festhaltung abgekürzt wird." Vergi, hierzu auch VG Bremen in N V w Z 1986 S. 862 ff.; OVG Bremen in N V w Z 1987 S. 235 f f , hier insbesondere S. 237, auf der das Gericht zu der Verbringung lediglich Stellung nimmt, im konkreten Fall aber nicht entscheidet, da es den Fall über das Versammlungsgesetz löst: „Wird dies alles betrachtet, wird man den Aufenthalt in einem Haftraum nicht von vornherein als einen den Versammlungsteilnehmer geringer belastenden Eingriff sehen können als in dem Transport an einen etwas weiter entfernten Ort." Dies wird mit der psychischen Belastung des Eingesperrtseins und den sich daraus ergebenden Konsequenzen begründet, ebenfalls ist es dabei von großer Wichtigkeit, an welchem Ort ausgesetzt wird. Wie sind dort die Möglichkeiten mit Verkehrsmitteln wieder fortzukommen, zu telefonieren, etc.? „Jedenfalls wird eine Ingewahrsamnahme in Form eines zwangsweisen Transports zu einer vom Demonstrationsort entfernt gelegenen Stelle immer einer sorgfaltigen Abwägung aller bekannten und voraussehbaren Umstände bedürfen." Reiff/Wöhrle/Wolf, § 28 Ba-WüPolG Rn. 17 mit weiteren Nachweisen; Greiner in Die Polizei 1979 S. 93; Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 12, die die Verbringung für zulässig halten; bejahend auch Burfeind, Diss. Göttingen 1993 S. 218. 288 So Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 281 mit weiteren Nachweisen.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
3. Mögliche Rechtsgrundlagen für den Verbringungsgewahrsam a) Verbringungsgewahrsam als Unterfall des polizeilichen Gewahrsams? Bei der Beantwortung der Frage, ob die Verbringung in Polizeifahrzeugen eine „klassische Ingewahrsamnahme" ist, muß zunächst einmal festgestellt werden, ob überhaupt eine Freiheitsentziehung vorliegt. Wie im Einleitungsteil Kapitel II vorangestellt, kann eine Ingewahrsamnahme durchaus auch darin bestehen, daß der Betroffene in einem PKW festgehalten wird, da eine klassische Gewahrsamseinrichtung, wie die Gewahrsamszelle 289, nach dem weiten und vorzugswürdigen Gewahrsamsbegriff dafür nicht erforderlich ist. Es muß aber in jedem Falle eine Freiheitsentziehung vorliegen. Wichtig ist jedoch, sich dabei den Sinn dieser Maßnahme vor Augen zu halten. Die Betroffenen sollen gar nicht „festgehalten" werden, sie sollen nur von ihrem bisherigen Aufenthaltsort entfernt werden, um dann an eine weniger exponierte Stelle verbracht zu werden, an der sie sich wieder frei bewegen können. Das bedeutet, daß das Festhalten im Polizeifahrzeug nur eine untergeordnete Rolle spielt, also nur Mittel zum Zweck ist. 290 Im Vordergrund steht somit die räumliche Veränderung und nicht die Freiheitsentziehung. Demzufolge liegt keine Freiheitsentziehung, höchstens eine kurzfristige Freiheitsbeschränkung vor. 2 9 1 Eine Maßnahme, die primär auf eine Ortsveränderung ausgerichtet ist, kann somit nicht als Freiheitsentziehung gewertet werden. 292 Auch die zeitliche Komponente 293 als Merkmal der Intensität des Eingriffs ist derart
289
Anders Maaß in N V w Z 1985 S. 156 und VB1BW 1987 S. 287 f., der den Verbringungsgewahrsam als Unterfall der polizeilichen Ingewahrsamnahme scheitern läßt; so auch Roscher im BWVPr. 1981 S. 61 f f , 64. 290 So auch VG Bremen in N V w Z 1986 S. 862 ff.: „... und der Eingriff in die Bewegungsfreiheit nicht im Vordergrund der Maßnahme gestanden hat"; so auch Reichert/Ruder, Rn. 570. 291 So auch Mussmann in VB1BW 1986 S. 54 und 55: „... so kann das Aussetzen an einem anderen abgelegenen Ort keine Gewahrsamnahme sein, denn der Betroffene kann sich dort frei bewegen." 292 Mussmann in VB1BW 1986 S. 54; Roos, § 14 Rh-Pf POG Rn. 9. 293 Nach der Zwei-Stunden-Regel BayObLG in NVwZ 1990 S. 194 ff., 197; Mussmann, AllgPolR Ba-Wü Rn. 202; Faustformel: „Nicht länger als zwei Stunden"; so auch Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 275; Greiner in Die Polizei 1979 S. 92 ff., 93 spricht von einer durchschnittlichen Verbringungsdauer von max. 20-30 Minuten; so auch Hoffmann-Riem in Hoffmann-Riem/Koch, S. 250; Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 11. Verneinend: Roscher in BWVPr. 1981 S. 61 ff., 63, der Jede nicht ganz flüchtige, allseitige Aufhebung der eigenwilligen Bewegungsfreiheit ohne Rücksicht auf die Dauer als Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 II GG" ansehen will; so auch Koschwitz, Diss. Göttingen S. 43.
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beschränkt, daß man von einer Freiheitsentziehung nicht mehr sprechen kann. 294 Es liegt also im Ergebnis keine Freiheitsentziehung und daher auch keine klassische Ingewahrsamnahme vor. Die Verbringung ist somit kein Unterfall des Polizeigewahrsams 295 und kann daher nicht anhand der Vorschriften zu dieser Standardmaßnahme beurteilt werden. Demzufolge schließt sich an diese Maßnahme auch keine zwingende richterliche Überprüfung gem. Art. 104 I I GG an.
b) Abgrenzung zur Platzverweisung Fraglich ist weiterhin, ob die in vielen Polizeigesetzen geregelte Platzverweisung 296 als gesetzliche Grundlage für eine Verbringung dienen kann. Die Platzverweisung besagt in ihrem Tenor, daß die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine bestimmte Person vorübergehend 297 von einem eng umgrenzten Ort verweisen oder ihr das Betreten des Ortes verbieten kann. Satz 2 von § 12 des Musterentwurfs konkretisiert die Absicht, die hinter der Platzverweisung steht, nämlich daß diese Maßnahme insbesondere gegen solche Personen ergehen kann, die den Einsatz von Feuerwehr, Hilfs- und Rettungsdiensten behindern. Sie besagt aber nicht, einen bestimmten Ort, wie beispielsweise den Stadtrand, aufzusuchen, 298 welches der Sinn einer Verbringung als Folge einer Nichtbefolgung der Platzverweisung wäre. Schwierigkeiten könnten sich dabei auch wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes gem. § 37 I BVwVfG (entsprechend die jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen) ergeben, da die Polizei dem Betroffenen ganz genau aufgeben muß, wohin er sich zu begeben hat. Die Verbringung kann daher nicht als zwangsweise Durchsetzung einer Platzverweisung angesehen werden, da die Platzverweisung in eine aiidere 294 Schenke in Steiner, Rn. 96; Mussmann, AllgPolR Ba-Wü Rn. 202; Möller/Wilhelm, S. 114. 295 Anders Greiner in Die Polizei 1979 S. 92 ff., 93, der die Verbringung als Unterfall der Ingewahrsamnahme sieht und daher auch als Freiheitsentziehung. So im Ergebnis auch Berg/Knape/Kiworr, § 30 BlnASOG S. 332. 296 Derartige Regelungen sind in folgenden Ländergesetzen enthalten: Art. 16 BayPAG; § 29 BlnASOG; § 19 BbgPolG; § 14 BremPolG; § 12a HmbSOG; § 31 HSOG; § 52 M - V SOG; § 17 NGefAG; § 34 NW PolG; § 13 Rh-Pf POG; § 12 SPolG; § 21 SächsPolG; § 36 LSA SOG; § 201 LVwGSH; § 18 ThürPAG. Baden-Württemberg besitzt eine solche Ermächtigung derzeit immer noch nicht (Stand 5/97). In BadenWürttemberg wird dieser Fall über die Generalklausel gelöst. 297 Der Geltungszeitraum einer Platzverweisung kann allenfalls einige Stunden dauern. 298 So auch Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 269; Mussmann in VB1BW 1986 S. 53, Maaß in N V w Z 1985 S. 151 ff., 154.
9 Stoermer
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
Richtung zielt und eine solche Maßnahme, schon aus zeitlicher Hinsicht, wegen der Kurzfristigkeit der Platzverweisung (z.B. nur bis ein Feuerwehr- oder Rettungseinsatz beendet ist) nicht mehr abdecken würde. 299
c) Die Generalklausel als Grundlage für derartige Maßnahmen Letztlich gibt es die Möglichkeit, die Zulässigkeit einer Verbringung aus der Generalklausel abzuleiten, da sie, wie gesehen, keiner anderen Standardmaßnahme zugeordnet werden kann. Für ein Eingreifen aufgrund der Generalklausel ist eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich. 300 Nach dem vorstehend Gesagten ist bei entsprechendem Verhalten von Obdachlosen eine derartige Gefährdung in der Regel gegeben und nicht nur eine sittliche Mißbilligung deren Verhaltens. Die Frage, ob dabei eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegt, ist hierbei von untergeordneter Natur, da in den meisten Fällen Gesetzesverstöße gegeben sind, die unter die öffentliche Sicherheit (Schutz der Unversehrtheit der Rechtsordnung) fallen. 301 Bei Demonstranten müssen ebenfalls entsprechende Verhaltensweisen vorliegen, die eine Gefahr darstellen und ein Eingreifen rechtfertigen. Die betroffenen Personen werden in der Regel mehrfach aufgefordert, sich von den jeweiligen Stellen fortzubewegen. Kommen sie diesen Aufforderungen nicht nach, muß zu Verwaltungszwang zwecks Durchsetzung 302 dieser Aufforderungen (VA) gegriffen werden. Man kann aber auch hier wieder Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit 303 dieser Aufforderungen aufgrund der Vorschrift des § 37 I BVwVfG (entsprechend die jeweiligen landesrechtlichen Regelungen) haben, da der VA lediglich zum Inhalt hat, diese bestimmte Stelle zu verlassen, aber nicht gleichzeitig aussagt, welche andere Stelle aufzusuchen ist; 299 So z.B. auch Schenke in Steiner, Rn. 94; a.A. Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 11, der bei der Verbringung von einer zwangsweisen Durchsetzung eines Platzverweises durch unmittelbaren Zwang ausgeht. Diese Sichtweise ist allerdings nicht mit der Situation in Baden-Württemberg vergleichbar, da Sachsen im Gegensatz zu Baden-Württemberg die Platzverweisung im Katalog der polizeilichen Standardmaßnahmen geregelt hat. 300 Zu den Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vergi, auch vorne beim Unterbindungsgewahrsam. Wenn man von einer Tendenz, vom Schutzgut der öffentlichen Ordnung Abstand zu nehmen, sprechen kann, könnten die Bundesländer, die hierauf verzichtet haben (Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein) eine Verbringung darauf nicht stützen. In den meisten Fällen wird jedoch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegen, so daß diese Tendenz für die Verbringung keine Relevanz hat; vergi, hierzu auch Denninger in Lisken/Denninger, E Rn. 25. 301 So im Ergebnis auch Schioer in DVB1. 1989 S. 746. Aggressives Betteln aber nur als Störung der öffentlichen Ordnung vergi. Holzkämpfer in N V w Z 1994 S. 149. 302 Mussmann in VB1BW 1986 S. 55; zustimmend Reichert/Ruder, Rn. 570. 303 Roscher in BWVPr. 1981 S. 64.
VIII. Der Verbringungsgewahrsam
131
möglicherweise sind die Betroffenen auch dort wieder unerwünscht. Unter diesem Aspekt müßte dann dem oder den Betroffenen ein ganz bestimmter Ort oder Umkreis, z.B. Stadtrand und/oder Himmelsrichtung, genannt werden, an den er oder sie sich zu begeben hat/haben, um das Problem der mangelnden Bestimmtheit zu umgehen. Der Begriff Stadtrand oder die Aufforderung, einen Park oder Spielplatz zu verlassen, ist hier hinreichend bestimmt, weil aus ihnen der Inhalt des V A klar und unzweideutig hervorgeht. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich aus dem Grundgedanken der Spezialität und Generalität; also aus dem RückgriffVerbot auf die Generalklausel 304 ; wenn eine Maßnahme von den Standardmaßnahmen, wie vorne festgestellt, so nicht erfaßt ist. Wenn die Verbringung weder auf die Platzverweisung gestützt werden kann, noch eine besondere Form des Polizeigewahrsams ist, kann ein Rückgriff auf die Generalklausel aufgrund des Gesetzesvorbehaltes sowie der spezielleren Regelung des Gewahrsams als Freiheitsentziehung nicht in Betracht kommen. 305 Diese artverwandten Maßnahmen passen nach Ansicht der Kritiker dieser Vorgehensweise „nicht ganz", also suche man irgendeine Grundlage, um irgendwie eingreifen zu können. Für eine Subsumierung unter die Generalklausel 306 spricht aber, daß über die Generalklauseln auch söge307
nannte „neue Maßnahmen" der Polizei möglich sind. Die Polizei muß auf sich ergebende, neue Situationen reagieren können, wenn ein Sachverhalt nicht von den Standardmaßnahmen umfaßt ist. Ein Rückgriff wäre nur dann ausgeschlossen, wenn die Verbringung eine Freiheitsentziehung darstellen würde, also gerade im umgekehrten Fall, da diese aufgrund der speziellen Regelungen des Gewahrsams dann nicht mehr auf die Generalklausel gestützt werden könnte. Da sich jedoch gezeigt hat, daß gerade keine Freiheitsentziehung vorliegt, spricht nichts dagegen, die Generalklauseln als Rechtsgrundlage für die Verbringung anzunehmen. Die Ausführung der Maßnahme, also die eigentliche Verbringung, erfolgt dann zur zwangsweisen Durchsetzung der Grundverfügung - „sich von den genannten Stellen zu entfernen" - in Form des Verwaltungszwangs. Mangels anderer geeigneter, weniger belastender Alternativen 308 kommt in der Regel nur
304
Ablehnend ohne überzeugende Begründung Maaß in NVwZ 1985 S. 156, 157. So auch Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 459; Roscher in BWVPr. 1981 S. 63. 306 Im Ergebnis so auch Schioer in DVB1. 1989 S. 739 ff., 739; Reiff/Wöhr le/ Wolf, § 22 Ba-WüPolG Rn. 17; Mussmann, AllgPolR Ba-Wü Rn. 202; vergi, auch Roscher in BWVPr. 1981 S. 61 ff., 62. 307 Roscher in BWVPr. 1981 S. 62 mit der Rechtsauffassung des Landes BadenWürttemberg zu der Verbringung: „Im Rahmen des § 3 Ba-WüPolG hat die Polizei gleichsam das Recht zur „Erfindung" von Maßnahmen, so daß die Verbringung auch als neue Form polizeilichen Handelns denkbar ist." 308 Der unmittelbare Zwang ist aber nur ein Mittel des Verwaltungszwangs, das angewendet werden kann, wenn andere Zwangsmittel „nicht in Betracht kommen, keinen 305
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
die Anwendung des Zwangsmittels „unmittelbarer Zwang" 3 0 9 in Betracht. Der unmittelbare Zwang 3 1 0 ist dabei die körperliche Einwirkung auf die betroffenen Personen, meist in Form der körperlichen Gewalt, beim zwangsweisen „Geleiten" zum Dienstfahrzeug, wenn der Betroffene nicht freiwillig den Aufforderungen der Beamten, sich zu entfernen, nachkommt oder sich weigert, in das Polizeifahrzeug einzusteigen.
d) Verhältnis der Verbringung zu Art. 11 GG, dem Grundrecht auf Freizügigkeit Von den Kritikern 3 1 1 des Verbringungsgewahrsams wird oft vorgebracht, daß die Verbringung von Obdachlosen in das Grundrecht auf Freizügigkeit gem. Art. 11 GG eingreife. Die positive und negative Freizügigkeit gestattet es allen Deutschen, einen bestimmten Ort aufzusuchen oder diesen zu meiden. Von daher könnten sie an den selbstgewählten Plätzen auch verweilen bzw. daraus ein Recht herleiten, diese Orte nicht verlassen zu müssen. Dabei ist zu beachten, daß Art. 11 I GG durch den Abs. I I in vielerlei Hinsicht einge312 schränkt werden kann. In der Vergangenheit war immer wieder strittig , ob eine derartige Einschränkung auch durch Polizeigesetze, also landesrechtliche Vorschriften, erfolgen kann oder ob nur der Bund Einschränkungen durch Bundesgesetze oder Delegation vornehmen kann. Das Einfallstor für ein poli-
Erfolg versprechen oder unzweckmäßig sind." Als andere Zwangsmittel sehen die Polizeigesetze die Ersatzvornahme oder die Verhängung von Zwangsgeld vor. Da Zwangsgeld aufgrund der Mittellosigkeit der Obdachlosen i.d.R. ausscheidet sowie eine Ersatzvornahme nicht möglich ist, bleibt somit zur Durchsetzung des Verwaltungsaktes aufgrund der Generalklausel nur der unmittelbare Zwang durch körperliche Gewalt als Zwangsmittel übrig. 309 Bejahend: Mussmann in VB1BW 1986 S. 55, 57; so auch Wolf/Stephan, § 28 BaWüPolG Rn. 6. Verneinend: Maaß in N V w Z 1985 S. 157, da dies kein gesetzlich vorgegebenes Mittel des Verwaltungszwangs sei; ebenso Roscher in BWVPr. 1981 S. 63, da bei einer vorliegenden Freiheitsentziehung eine Verbringung nicht vorgesehen ist; im Ergebnis so auch Hans in Jura 1985 S. 431 ff., 436. 310 Dieser ist detailliert in den Polizeigesetzen geregelt, da die Polizei bei dessen Anwendung besondere Vorgehensweisen und Mittel zu beachten hat (z.B. genaue Bestimmungen zum Schußwaffengebrauch). 311 Mussmann in VB1BW 1986 S. 56, der den Verbringungsgewahrsam wegen dessen Eingriff in die Freizügigkeit scheitern läßt; so auch Reichert/Ruder, Rn. 570 mit erheblichen Zweifeln hinsichtlich Art. 11 GG. 312 Vergi, dazu auch Waechter in NdsVBl. 1996 S. 197 ff., insbesondere S. 199-201; im Ergebnis aber verneinend.
VIII. Der Verbringungsgewahrsam
133
zeiliches Tätigwerden könnte man aus der letzten Alternative des Abs. I I „ ... oder u m strafbaren Handlungen vorzubeugen" 3 1 3 herauslesen. Die Problematik liegt in diesem Zusammenhang aber beim Schutzbereich dieses Grundrechtes. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer Entscheid u n g 3 1 4 einmal das Grundrecht des Art. 11 GG in der Form eingeschränkt, daß dessen Schutzbereich ein „Herumziehen" als solches nicht umfasse. 3 1 5 Diese M e i n u n g konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Der Schutzbereich dieses Grundrechtes umfaßt die Aufenthalts- und Wohnsitznahme. 3 1 6 Eine Wohnsitznahme ist an den genannten Orten von Obdachlosen nicht m ö g l i c h 3 1 7 , also kann 318
es nur u m den Aufenthaltsort gehen.
Die Aufenthaltsfreiheit beinhaltet die
Freiheit, sich an jeden Ort des Bundesgebietes vorübergehend oder länger zu begeben und dort zu verweilen, ohne seinen Lebensmittelpunkt an diesem Ort zu begründen. E i n Beispiel für jeweils wechselnde Aufenthaltsorte ist das Reisen. 3 1 9 Es w i r d dabei teilweise auch vertreten, daß eine gewisse D a u e r 3 2 0 und
313 Zur Entstehungsgeschichte der Vorbehalte des Art. 11 II GG vergi. Waechter in NdsVBl. 1996 S. 197 ff., 198, zur Reichweite des Begriffs der strafbaren Handlung, S. 201 f. Dabei soll es sich nach der Entstehungsgeschichte der Norm nicht um einen reinen Kriminal-, sondern um einen weiten Präventionsvorbehalt handeln; Pieroth/ Schlink, Rn. 869 mit engeren Anforderungen. 314 BVerwGE 3 S. 308, 312: „... daß es sich bei dem Recht des freien Zuges um ein finales Grundrecht handelt, dessen immanenter Zweck nicht das Herumziehen als solches, sondern das Bestreben ist, zu einem neuen, dauernden Lebensmittelpunkt zu gelangen. Einem Landstreicher könnte daher unter Umständen die Berufung auf Art. 11 GG verwehrt sein." 315 Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 2 I GG Rn. 79 hinsichtlich des Verhältnisses der Grundrechte zum Polizeirecht: „Das Landstreichen gehört (von vornherein) nicht zum Grundrecht des freien Zuges (Art. 11 GG); das Betteln (von vornherein) nicht zum Grundrecht der freien Berufsausübung (Art. 12 GG)." 316 Vergi, hierzu Pieroth/Schlink Rn. 853 f f Die Definition stammt aus BVerfGE 2 S. 266, 273; vergi, auch Randelzhofer in Bonner Kommentar, Art. 11 GG Rn. 19 ff. Dabei muß allerdings beachtet werden, daß Art. 11 GG im Gegensatz zu anderen Bestimmungen des Grundgesetzes noch nicht allzuoft Gegenstand verfasssungsgerichtlicher Entscheidungen war und daher die Spruchpraxis des BVerfG, auf die Obdachlosigkeit bezogen, nicht repräsentativ sein muß. 317 Es müßte sich dabei um eine Adresse im Sinne des Meldegesetzes handeln. Da §§11 ff. des Melderechtsrahmengesetzes von einer Wohnung sprechen, kann eine Wohnsitznahme an den genannten Orten daher nicht möglich sein. 318 Die Wohnsitznahme und der Aufenthaltsort können jedoch nur als Ansatzpunkt für eine Schutzbereichsbetrachtung herangezogen werden. 319 Randelzhofer in Bonner Kommentar, Art. 11 GG Rn. 20. 320 Pieroth/Schlink, Rn. 853 ff. mit verschiedenen Auffassungen; teilweise soll eine Übernachtung erforderlich sein, teilweise mehrere Stunden oder ein Aufenthalt von einem gewissen Mindestmaß an Bedeutung, etc. Verneinend: Randelzhofer in Bonner Kommentar, Art. 11 GG Rn. 26, da eine zeitliche Begrenzung zu sehr an Willkür orientiert ist. Einstimmigkeit besteht jedoch dahin-
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
räumliche Einschränkung 321 von Nöten sei, um eine Abgrenzung des Art. 11 GG von der Bewegungsfreiheit des Art. 2 I GG, der allgemeinen Handlungsfreiheit, zu gewährleisten. Es ist jedoch für sich gesehen ein Unterschied, ob das Landstreichen und die Obdachlosigkeit generell vom Schutzbereich des 322
Art. 11 GG umfaßt sein sollen oder aber auch sämtliche, damit verbundene und oben geschilderte Begleitumstände. Ein Landstreicher wird sich sicherlich im Grundsatz auf Art. 11 GG berufen können, wenn damit das Herumziehen als solches gemeint sein soll und von dem Betroffenen keine Gefahren ausgehen. Die Verbringungspraxis tangiert den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 11 GG in der Form auch nicht, weil sie nicht gezielt gegen die Obdachlosigkeit gerichtet ist, und sie trägt aus polizeilicher Sicht den heutigen Umstän323
den , die für bestimmte Personenkreise ein Seßhaftwerden besonders schwierig machen, in ausreichendem Maße Rechnung. In jedem Fall kann jedoch Art. 11 GG nicht das stunden- oder tagelange Herumlungern in Parks, Fußgängerzonen, vor Kaufhäusern, auf Spielplatzen, etc. schützen, da diese Orte nicht zu den Lebenskreisen 324 der Obdachlosen gehören können und dürfen. Zum einen liegt damit ein Konkurrenzverhältnis zu anderen Grundrechten, wie dem Eigentumsgrundrecht gem. Art. 14 GG, vor, zum anderen wären hier auch die Grenzen des Allgemeingebrauchs überschritten, da die vorgenannten öffentlichen Örtlichkeiten von diesen Menschen über die Maßen strapaziert werden, so daß man von einer Sondernutzung dieser Einrichtungen sprechen kann, die nach dem öffentlichen Güterrecht genehmigungspflichtig wäre. 325 Es muß bei der Obdachlosenproblematik daher stets auch eine Abwägung des Schutzbereichs von Art. 11 GG zu diesen Rechten erfolgen. Gerade im Straßenrecht wird in diesem Zusammenhang oftmals zusätzgehend, daß die Freizügigkeit zweckneutral sein soll, da eine derartige Einengung der Grundrechtsnorm nicht gerecht werden würde. 321 Randelzhofer in Bonner Kommentar, Art. 11 GG Rn. 27 mit dem Anknüpfungspunkt der Ortschaften, Gemeindegrenzen. Die Bewegungsfreiheit innerhalb derselben soll von Art. 2 II GG geschützt werden; so auch Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 7, nach dem eine Verbringung innerhalb des Gemeindegebietes als klarer Anknüpfungspunkt keinen Eingriff in Art. 11 GG darstellen soll. 322 So mittlerweile mit Kritik zu älteren Auflagen auch Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 11 GGRn. 38. 323 Dazu auch Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 11 GG Rn. 37. 324 Als geeignetes Abgrenzungkriterium zwischen Art. 2 GG und Art. 11 GG; vergi, hierzu Randelzhofer in Bonner Kommentar, Art. 11 GG Rn. 28. Dieser Begriff definiert sich aber auch wieder durch die Anknüpfungspunkte Wohnsitz und Lebensmittelpunkt. 325 Vergi, in diesem Zusammenhang §§ 13, 16 (Gemeingebrauch/Sondernutzung) Straßengesetz Ba-Wü, sowie die Widmung gem. § 5 dieses Gesetzes. So auch Schioer in DVB1. 1989 S. 746, weiterführend dort auch Fn. 119. Kritisch hinsichtlich Sondernutzungen in diesen Fällen wegen der kommunikativen Komponente des Straßenrechts und damit verbundenen Abgrenzungsproblemen vergi. Holzkämpfer in N V w Z 1994 S. 147 f.
VIII. Der Verbringungsgewahrsam
135
lieh auf die kommunikative Funktion öffentlicher Straßen, Wege und Plätze hingewiesen, die die Grenze für eine Sondernutzung verschieben. Diese soziale Funktion setzt aber nur die Grenze von Gemeingebrauch zur Sondernutzung für die Fälle herab, in denen bei Ausnutzung dieser besonderen kommunikativen Elemente, wie z.B. bei einem Straßentheater oder beim Verteilen von Informationsmaterial, keine zusätzlichen Gefahrdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auftreten, da zu deren Vermeidung die normale Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis wiederum von Auflagen und Bedingungen abhängig gemacht werden kann. Aus den genannten Gründen ist daher durch eine Verbringung von Störern kein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 11 GG gegeben. Somit liegt auch kein Verstoß gegen dieses Grundrecht vor. Es ist daher auch nicht von Bedeutung, daß die Polizeigesetze den Art. 11 GG nicht als einschränkbares Grundrecht nennen. Übrig bleibt für die Betroffenen dann nur noch ein Eingriff in Art. 2 I GG, das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit. Eine Einschränkung dieses Grundrechts ist allerdings aus polizeilicher Sicht wegen der Schrankentrias des Art. 2 I GG unbedenklich und in den Polizeigesetzen gem. Art. 19 I S. 2 GG, dem Zitiergebot, ausdrücklich vorgesehen.
4. Notwendigkeit
von Verbringungen
Nach den vorstehenden Betrachtungen fallt der Verbringungsgewahrsam unter die polizeirechtlichen Generalklauseln als Rechtsgrundlage. Er ist als Antwort auf die derzeitigen Umstände entstanden und ist eine polizeilich notwendige und wirksame 326 Maßnahme. Auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist diese Vorgehensweise sinnvoll, um zu vermeiden, daß der Betroffene durch eine Ingewahrsamnahme, die in solchen Fällen ebenfalls möglich wäre, einen viel schwerwiegenderen Eingriff in seine Rechte erdulden müßte. Man könnte dagegen argumentieren, daß dann auf jeden Fall eine gerichtliche Überprüfung der Maßnahme stattfinden müßte. Das ist aber bei den meisten Polizeigesetzen nach der derzeitigen Rechtslage ohnehin wegen der Kürze der Ingewahrsamnahme nicht möglich (dazu später Kapitel XI). Der Betroffene kann sich jedoch auch auf eigene Initiative hin im Verwaltungsgerichtsverfahren zur Wehr setzen, wenn er der Ansicht ist, daß eine Verbringung nicht korrekt war.
326
Greiner in Die Polizei 1979 S. 94; so im Ergebnis auch Niethammer in BayVBl. 1989 S. 449 ff., 454: „Der Verbringungsgewahrsam kann deshalb bei Beachtung bestimmter Grundsätze eine zulässige polizeiliche Maßnahme sein." Vergi. Der Spiegel, Heft 24/1997 (Fn. 275) S. 50. In diesem Bericht wird davon ausgegangen, daß in Berlin und Frankfurt in den letzten drei Jahren jeweils fast 3000 Verbringungen durchgeführt wurden.
136
Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
Auch bei Obdachlosen wäre Rechtsschutz aus finanziellen Gesichtspunkten wegen einer möglichen Prozeßkostenhilfe gem. § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO nicht ausgeschlossen, stößt aber zugegebenermaßen auf andere faktische Grenzen. Bei den hier angesprochenen Persbnengruppen ist auch nach möglichen Alternativen zur Verbringung zu fragen. Bei Demonstranten wird es sich in der Regel um eine einmalige Verbringung handeln, da solche Veranstaltungen nicht immer von denselben Personen aufgesucht werden oder diese auch nicht immer am selben Platz stattfinden. Alternativen sind daher schwer zu finden, gerade wenn die Zahl der störenden Personen sehr groß ist und die örtlichen Gewahrsamskapazitäten überschreitet. Bei den Obdachlosen ist das Problem völlig anders gelagert. Es handelt sich in den Städten meist um einen festen Personenkreis, von einigen Zu- und Abwanderern („Durchreisenden") einmal abgesehen, der sich in Gruppen und Grüppchen immer an denselben Orten aufhält. Wenn diese Personen an den Stadtrand verbracht werden, muß natürlich damit gerechnet werden, daß sie alsbald zurückkehren. Die Verbringung kann daher nur als kurzfristige, ultimative Lösung angesehen werden, um die Situation erst einmal zu entspannen und Ansammlungen auseinanderzuziehen. Mehr kann die Polizei hinsichtlich ihres Aufgabenbereiches auch nicht leisten. Es gäbe weiter die Möglichkeit, diese Personen mit einem Aufenthaltsver327 bot fur bestimmte Bereiche von Städten zu belegen, um diese Menschen völlig aus den Stadtbild zu verbannen. Aber selbst Kritiker einer Verbringung werden zugeben müssen, daß eine solche Polizeiverordnung ein viel stärker belastendes Mittel ist und keine Ab- und Zugabe erlaubt, wie die einzelfallbezogene Verbringung einiger besonders störender Personen. Daneben
327
Vergi, hierzu auch Latzel/Lustina in Die Polizei 1995 S. 131 ff.: „Aufenthaltsverbot - Eine neue Standardmaßnahme neben der Platzverweisung" mit der Beschreibung eines Modellversuchs in Dortmund, der gute Resultate erbracht hat. Ein derartiges Aufenthaltsverbot darf nicht mit einer Platzverweisung verwechselt werden. Das Aufenthaltsverbot ist meist auf mehrere Wochen und Monate ausgelegt, die Platzverweisung ist von ihrer Konzeption eine Maßnahme kurzfristiger Natur; so auch Rachor in Lisken/Denninger; F Rn. 269. Zum Verhältnis Freizügigkeit und Aufenthaltsverbot vergi, auch Waechter in NdsVBl. 1996 S. 197 f f , der die Novellierung des Niedersächsischen Polizeigesetzes im Zuge der Chaos-Tage in Hannover kritisch unter die Lupe nimmt. Vergi, dazu auch die Entscheidung des VGH Ba-Wü in VB1BW 1997 S. 66 ff., in der der Gerichtshof einer Beschwerde der Stadt Stuttgart im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nicht nachkam, weil er die Polizeiverordnung der Landeshauptstadt, die die Drogenszene aus gewissen Straßenzügen und Plätzen verbannen wollte, für zu undiffenziert und daher für unverhältnismäßig hielt.
IX. Weitere Gewahrsamsformen
137
könnte man noch den Weg der „Abpachtung" 328 gehen. Damit ist gemeint, daß die Städte einen Teil ihrer öffentlichen Straßen, Plätze und Passagen an Einzelhändler verpachten. Dies hätte zur Folge, daß dort kein öffentliches Recht wie Polizeirecht und Straßenrecht mehr anwendbar wäre, sondern reines Privatrecht. In diesem Fall könnten die Pächter ihr Hausrecht nach Belieben durch private Sicherheitsdienste durchsetzen und damit ohne jegliche Differenzierung Obdachlose und Bettler entfernen lassen. Aber auch dieser Weg wäre aus den gleichen Argumenten wie die Aufenthaltsverbote ein viel stärkeres Instrument, als eine gezielte Verbringung. Aus diesen Gründen und aus dem schlichten Erfordernis der Praxis ist die Verbringung eine für die polizeiliche Arbeit notwendige Maßnahme und daher entgegen der herrschenden Meinung 329 zu befürworten, solange sich keine Anhaltspunkte für eine willkürliche und grob mißbräuchliche Anwendung dieser Vorgehensweise, die auf eine Bestrafung bestimmter Personengruppen hinausliefe, ergeben.
IX. Weitere Gewahrsamsformen In diesem Abschnitt werden noch die weiteren Möglichkeiten dargestellt, bei denen eine Ingewahrsamnahme denkbar ist. Zum Teil handelt es sich dabei um notwendige Regelungen, die lückenschließende Funktion haben, zum Teil haben sie nur eine klarstellende Aufgabe.
7. Ingewahrsamnahme Minderjähriger
und Entwichener
Nahezu alle Polizeigesetze haben den Gewahrsam von Minderjährigen 330 und Entwichenen 331 explizit in ihren Gewahrsamsnormen aufgeführt. 332
328 Vergi, hierzu Der Spiegel, Heft 24/1997 (Fn. 275) S. 50 mit dem Beispiel einer „Mall" aus Hannover. 329 Vergi, hierzu oben Fn. 272. 330 Mit Ausnahme der Länder Baden-Württemberg und Niedersachsen; auch § 39 II Bundesgrenzschutzgesetz. 331 Mit Ausnahme der Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz; auch § 39 III Bundesgrenzschutzgesetz. 332 Sie sind daher für eine Ingewahrsamnahme leges speciales; so auch Knemeyer, Pol- u. OrdR Rn. 150.
138
Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
a) Ingewahrsamnahme minderjähriger Personen Diese Regelung 333 wurde in den Ländern für notwendig erachtet, die einen Gewahrsam nur zur Verhinderung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zugelassen haben. 334 Von diesen Normen ausgehend, können Minderjährige 335 in Gewahrsam genommen werden, die sich der Obhut des Sorgeberechtigten entzogen 336 haben oder sich an Orten 337 aufhalten, an denen ihnen eine sittliche Gefahr 338 oder Verwahrlosung 339 drohen. Eine solche Situation kann nicht unter die bisher erörterten Eingriffsvoraussetzungen subsumiert werden, weil ein derartiges Verhalten für den Betroffenen weder eine Straftat, noch eine Ordnungswidrigkeit darstellt. 340 Auf die Vorstellung der einzelnen Eingriffsvoraussetzungen dieser Gewahrsamsvariante soll an dieser Stelle jedoch verzichtet werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten darstellen (weiterführend daher Fußnoten 335 - 339). Die Bundesländer mit der althergebrachten Regelung der Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung 341 können diesen Sachverhalt unter die Störung der öffentlichen Sicherheit 342 subsumieren, da in jedem Falle eine Beeinträchti333 Art. 17 I I BayPAG; § 30 I I BlnASOG; § 15 I I BremPolG; § 19 II BbgPolG; § 13 II HamSOG; § 32 I I Hess-SOG; § 55 II SOG M - V ; § 35 I I NWPolG; § 14 I I RhPfPOG; § 13 I I SPolG; § 22 I I SächsPolG; § 37 I I SOG LSA; § 204 I I SHLVWG; § 19 I I ThürPAG - Wortlaut im Anhang. 334 Vergi, auch Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 305. 335 Die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern spricht in § 55 I I S. 2 davon, daß diese Gewahrsamsform entsprechend auch für Personen anzuwenden ist, die unter Betreuung gem. §§ 1896 f f BGB stehen. Eine entsprechende Anwendung auf Heranwachsende (18-21 Jahre) läßt sich aber nicht herleiten; vergi, hierzu Hoffmann in DVB1. 1970 S. 473 ff., 478, 481. 336 Näher zur Entziehung aus der Obhut: vergi. Meixner, § 32 HSOG Rn. 21; Samper/Honnacker, Art. 16 Bay PAG Rn. 6; Berg/Knape/Kiworr, § 30 BlnASOG S. 338. Eine Entziehung ist gegeben, wenn sich der Minderjährige gegen den Willen des Erziehungsberechtigten eine gewisse Dauer an einem unbekannten Ort aufhält; auch bei einem Eingriff in das Sorgerecht durch Dritte (Entführung) so Müller, PolG Sachsen S. 115; nicht allerdings bei einem bewußten Entlassen aus der Obhut, wie z.B. bei einer Ferienreise von Jugendlichen so Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 12. 337 Der Begriff des Ortes ist hier sehr weit zu sehen; vergi. Ebert/Honnacker, § 19 ThürPAG Rn. 8. 338 Näher zur sittlichen Gefahr: vergi. Samper/Honnacker, Art. 16 BayPAG Rn. 6; Hoffmann in DVB1. 1970 S. 478; auch der Begriff der sittlichen Gefahr ist weit zu verstehen und umfaßt eine Beeinträchtigung des Minderjährigen in seiner geistigen, körperlichen und sittlichen Entwicklung. 339 In diesem Wortlaut zusätzlich zur schlichten Entziehung aus der Obhut des Sorgeberechtigten hat Bayern diesen Umstand geregelt; näher zur Verwahrlosung vergi. Samper/Honnacker, Art. 16 BayPAG Rn. 6. 340 Vergi. Roos, § 14 Rh-Pf POG Rn. 26. 341 Baden-Württemberg und Sachsen. 342 So auch Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rn. 239 mit weiteren Nachweisen.
IX. Weitere Gewahrsamsformen
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gung z.B. der §§ 1626 ff. BGB, Art. 6 GG gegeben ist, somit also die Möglichkeit der Verletzung oder Gefährdung des geschriebenen Rechts besteht.
aa) Möglicher Eingriff in die Bundesgesetzgebungskompetenz gem. Art. 741 Nr. 7 GG Es werden aber auch Bedenken gegen diese Vorgehensweise geäußert, da das Sorgerecht nicht dadurch beeinträchtigt wird, daß sich der Minderjährige ihm entzieht. Es ruht in dieser Zeit eben nur und kann vom Berechtigten nicht ausgeübt werden. Daher sei es auch nicht die Aufgabe der Polizei, dieses Sorgerecht wiederherzustellen, weil in solchen Fällen die staatliche Fürsorge zuständig sei. 343 Wegen der präzisen Regelung von § 1 des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) bestehen weiter erhebliche Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer landesrechtlichen Regelung, da eine abschließende bundesrechtliche Regelung vorliegen könnte. 344 Nach dieser Auffassung darf die Polizei nur dann einschreiten, wenn die Voraussetzungen des § 1 JÖSchG 345 vorliegen, sich also die Minderjährigen an jugendgefährdenden Orten aufhalten und die Polizei aufgrund ihrer allgemeinen Eilzuständigkeit zugreifen muß, um Schlimmeres zu verhindern. 346 Dabei ist es in Abgrenzung zum Schutz- und Unterbindungsgewahrsam nicht erforderlich, daß den Jugendlichen dort eine konkrete körperliche Gefahr droht oder von ihnen eine Gefahr ausgeht.
bb) Polizeiliches Handeln in „Amtshilfe" für die Jugendbehörden Der Bereich des Jugendschutzes unterliegt zweifellos der staatliche Fürsorge; somit steht dem Bund über Art. 74 I Nr. 7 GG die Gesetzgebungskompetenz hierfür zu. Die Polizei ist daher nicht zuständig, wenn nicht gleichzeitig ein Fall der Gefahrenabwehr vorliegt; den Ländern fehlt es insoweit an der Gesetzgebungskompetenz, diesen Bereich eigenständig in ihren Polizeigesetzen zu regeln. Zur Durchsetzung des JÖSchG, so auch in § 1 dieses Gesetzes, bedienen sich die Jugendbehörden aber der Hilfe der Polizei. 347 Diese Hilfe hat 343
So Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 306; Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 13; Roos § 14 Rh-Pf POG Rn. 27. 344 So Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 13. 345 Der Wortlaut dieser Vorschrift ist im Anhang abgedruckt. 346 Ebert/Honnacker, § 19 ThürPAG Rn. 8; Roos, § 14 Rh-Pf POG Rn. 26 sehen darin keine richtige Gewahrsamsform, sondern vielmehr eine Ergänzung zu § 1 JÖSchG in Form einer spezialgesetzlichen Platzverweisung. 347 Bsp: § 18 des Kinder- u. Jugendhilfegesetzes von Baden-Württemberg: „Zusammenarbeit von Jugendamt und Polizei" Abs. I S. 1: „Das Jugendamt berät und unter-
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
personelle und organisatorische Gründe. Man wird bei dieser Zusammenarbeit der Behörden davon ausgehen können (und müssen), daß ein Aufgreifen durch die Polizei an den jugendgefährdenden Orten bzw. die Mitnahme der Minderjährigen selbst konkludent den Jugendbehörden zuzurechnen ist und die Polizei daher lediglich in Amtshilfe gem. Art. 35 I GG, § 4 BVwVfG für die Jugendbehörde einschreitet, um den Jugendschutzgesetzen Geltung zu verschaffen. Insoweit liegt kein eigenständiges polizeiliches Handeln im Sinne der klassischen Gefahrenabwehr vor. Diese Gewahrsamsvariante ist daher kein Eingriff in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gem. Art. 74 I Nr. 7 GG, sondern hat lediglich eine Klarstellungsfunktion. Sie dient als Hilfestellung für die Polizei, da nach diesem Gesetzestyp keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit gegeben ist und sie trotzdem einschreiten können muß, um letztlich das JÖSchG besser durchsetzen zu können. Bei einer Ingewahrsamnahme von Jugendlichen ist zu beachten, daß diese nach den Durchführungsverordnungen nicht in einer Arrestzelle zulässig ist, um die Jugendlichen psychisch nicht unnötig zu belasten. Das liegt auch auf der Hand, da keine Gefährdung von den Jugendlichen ausgeht und für solche weiteren belastenden Maßnahmen kein Grund besteht. Sie sind daher unmittelbar nach dem Aufgreifen den Erziehungsberechtigten oder den Jugendämtern 3 4 8 zu übergeben. Von dieser Maßnahme ist allerdings stets eine Ingewahrsamnahme der Jugendlichen zu deren Schutz - unter den Voraussetzungen des Schutzgewahrsams - oder zur Abwehr anderer polizeilicher Gefahren zu unterscheiden, die unstreitig immer möglich ist, da hierbei Gefahrenabwehr im eigentlichen Sinne betrieben wird und die Bundeskompetenzen nicht tangiert werden.
stützt die Polizei bei der Wahrnehmung von Aufgaben zum Schutze Minderjähriger." Abs. I S. 3: „Jugendamt und Polizei sollen partnerschaftlich zusammenarbeiten." Abs. II: „Die Polizei leistet Vollzugshilfe auf Ersuchen des Jugendamtes." 348 Nach § 17 II BbgPolG kann der Minderjährige wählen, ob er zu dem Personensorgeberechtigten oder zum Jugendamt gebracht werden will. Dieses moderne Polizeigesetz berücksichtigt damit den Willen jugendlicher Menschen, die teilweise nicht ohne berechtigten Grund sich dieser Obhut des „Erziehungsberechtigten" entzogen haben und somit ihm die Chance gegeben wird, vor einer neutralen Instanz Stellung zu nehmen. Wichtig kann dies unter anderem sein, um den in den letzten Jahren stark angestiegenen Fällen von Kindesmißbrauch zu begegnen, wenn eine neutrale Stelle hiervon zumindest Kenntnis nehmen kann und die Kinder nicht gegen ihren Willen zu den Eltern gebracht werden. Nach den anderen Polizeigesetzen entscheiden die Beamten nach pflichtgemäßen Ermessen, wem der Minderjährige zu übergeben ist. Anders nur Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 13: „Die Zuführung zum Sorgeberechtigten hat nicht nur aus rechtlichen Gründen Vorrang vor der zum Jugendamt, sie ist auch regelmäßig als das gelindere und altersentsprechendere Mittel anzusehen, gegenüber der Einschaltung einer weiteren Behörde."
IX. Weitere Gewahrsamsformen
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b) Ingewahrsamnahme entwichener Personen Die Möglichkeit einer Ingewahrsamnahme entwichener Personen 349 ist aus einer regelungsbedingten Lücke in die Polizeigesetze aufgenommen worden. Bei dieser Eingriffsermächtigung können Personen, die aus dem Vollzug der Untersuchungshaft (§§ 114, 126 a StPO, 72 JGG), einer Freiheitsstrafe (§§38, 39 StGB, 17, 18 JGG) oder einer freiheitsentziehenden Maßnahme der Besserung oder Sicherung (§§ 63, 64, 66 StGB) entweder entwichen sind oder sich sonstwie ohne Erlaubnis außerhalb einer Justizvollzugsanstalt aufhalten, in Gewahrsam genommen und dorthin zurückgebracht werden. 350 Es ist hierbei nicht erforderlich, daß von diesen Personen eine „weitere Gefahr" ausgeht, die über das „unerlaubte Bewegen in Freiheit" hinausgeht. Eine solche Gewahrsamsmöglichkeit ist erst Ende der siebziger Jahre zuerst in Bayern gesetzlich geregelt worden und sollte eine Gesetzeslücke schließen, da der Ausbruch aus Gefangnissen, etc. für den „Ausbrecher" selbst kernen Straftatbestand darstellte (vergi. §§ 120, 121 StGB 3 5 1 ) und der Polizei so keine Eingriffsermächtigung für eine Ingewahrsamnahme und Rückführung dieser Personen zur Verfügung 352
stand. In diesen Fällen ist ein Unterbindungsgewahrsam nicht mehr möglich und eine Ingewahrsamnahme - behelfsweise - zum Zwecke der Identitätsfeststellung hilft wegen der damit verbundenen Kurzfristigkeit ebenfalls nicht weiter. Somit mußte dieses Schlupfloch durch eine zusätzliche spezifische Eingriffsermächtigung geschlossen werden.
349 Art. 17 I I BayPAG; § 30 I I I BlnASOG; § 15 I I I BremPolG; § 17 III BbgPolg; § 13 III HamSOG; § 32 I I I HessSOG; § 55 III SOG M - V ; § 18 I I NGefAG; § 35 I I I NWPolG; § 13 I I I SPolG; § 22 I I I SächsPolG; § 37 I I I SOG LSA; § 204 III SHLVwG; § 19 III ThürPAG - Wortlaut im Anhang. In Baden-Württemberg ist dieser Fall ebenso wie bei den Minderjährigen von der weiten Formulierung der Eingriffsvoraussetzungen des Gewahrsams umfaßt; vergi, hierzu auch Reiff/WöhrlefWolf § 22 Ba-WüPolG Rn. 11, danach wäre auch die Ingewahrsamnahme unerlaubt abwesender (mehr als 3 volle Tage) und fahnenflüchtiger Bundeswehrsoldaten gem. §§ 15, 16 des Wehrstrafgesetzes aufgrund dieser Rechtsgrundlage möglich. Zur Festnahme Fahnenflüchtiger durch die Polizei siehe auch Schnupp in Die Polizei 1976 S. 189 ff., in dem der Autor das Verhältnis Feldjäger (Militärpolizei der Bundeswehr) zur Polizei im Bezug auf die Festnahme von Bundeswehrangehörigen herausarbeitet; so auch Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn.13, die eine solche Ingewahrsamnahme ebenfalls befürworten. 350 Von dieser Ermächtigung ist allerdings nicht umfaßt, daß die Polizei Personen aufgreifen kann, die aus dem Gewahrsam einer anderen Dienststelle entwichen sind. Hier wäre ein Gewahrsam nur möglich, wenn im eigenen Dienstbezirk ein Gewahrsamsgrund gegeben wäre oder ein Amtshilfeersuchen der anderen Polizeidienststelle vorliegen würde; vergi, dazu auch Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 14. 351 Diese Straftatbestände sanktionieren nur das Verhalten in der Haft mit den damit verbundenen spezifischen Gefahrdungen. 352 Zu dieser Situation vergi. Riegel in DÖV 1979 S. 201 ff.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
aa) Möglicher Eingriff in die Bundesgesetzgebungskompetenz gem. Art. 741 Nr. 1 GG Ebenso wie bei der Problematik der Ingewahrsamnahme von Minderjährigen tauchen bei dieser Gewahrsamsform kompetenzrechtliche Fragen auf. Unbedenklich ist dabei die erste Fallvariante hinsichtlich der Untersuchungshaft, die nur Klarstellungsfunktion besitzt, da sich eine Festnahmebefugnis in diesen Fällen auch über § 127 I I StPO herleiten ließe, denn die Polizei ist nach dieser Vorschrift aus der Strafprozeßordnung zur Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen für einen Haft- oder Unterbringungsbefehl vorliegen. Insoweit haben die Länder lediglich diese Möglichkeit nach der StPO zusätzlich in den Polizeigesetzen niedergeschrieben. Dagegen ist aber eine Ländergesetzgebungskompetenz hinsichtlich der beiden anderen Alternativen (Freiheitsstrafe und freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung und Sicherung) dieser Vorschriften fraglich bzw. zu verneinen 353 , da es sich hierbei um eine Materie der Strafvollstreckung handelt, bei der nach den Vorschriften der Art. 74 I Nr. 1 GG i.V.m. §§87 StVollzG, 457 I I S. 2 StPO 354 der Bund zuständig ist und von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat. Nach diesen Vorschriften darf die Polizei von sich aus nicht einschreiten, da sie bei § 457 II StPO einen Haftbefehl 355 der Vollstreckungsbehörde sowie bei § 87 StVollzG eine entsprechende Veranlassung dieser Behörde abwarten muß. Dabei sei allerdings klargestellt, daß die vorgenannten Bedenken nur den Fall betreffen, daß der Straftäter - Ausbrecher - frei herumläuft „ohne etwas weiteres zu tun". Wenn es sich um einen besonders gefährlichen Straftäter handelt, bei dem die Begehung von weiteren Straftaten zu befürchten ist, ist die Polizei nach den Voraussetzungen des Unterbindungsgewahrsams zum Einschreiten befugt, da dann wieder ein „normaler" Fall der Gefahrenabwehr vorliegt. In allen anderen Fällen solle die Polizei nach Ansicht der Kritiker dieser Eingriffsermächtigung daher lediglich in Amtshilfe, also nicht aufgrund eigenen Rechts tätig werden 1 .. 356 können. 353 Vergi, hierzu: Seebode in Festschrift für Hans-Jürgen Bruns 1978 S. 499 ff.: „... zwar handelt es sich bei der Wiederergreifung entwichener Häftlinge grundsätzlich um eine polizei- und sicherheitsrechtliche Aufgabe ... andererseits ist entscheidend auf die Inanspruchnahme der Bundeskompetenz durch die Verabschiedung der §§ 457 StPO und 87 StVollzG abzustellen." Zustimmend auch Schwind/Böhm, § 87 StVollzG Rn. 5; Calliess/Müller-Dietz, § 87 StVollzG Rn. 2; ebenso Knemeyer, Pol- u. OrdR Rn. 150, der behauptet, daß diese Regelung systemwidrig in das Polizeirecht aufgenommen worden sei und Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 309; Roos § 14 Rh-Pf POG Rn. 28. 354 Der Wortlaut dieser beiden Vorschriften ist im Anhang abgedruckt. 355 Hierzu auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 457 StPO Rn. 11: „Die Vollziehung des Haftbefehls erfolgt durch die Polizei." 356 Seebode in FS H.-J. Bruns S. 491, 493, 500; Schwind/Böhm, § 87 StVollzG Rn. 3 und 5; Callies/Müller-Dietz, § 87 StVollzG Rn. 2.
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bb) Entwichene gehören aber zumindest „ auch " zum Bereich der Gefahrenabwehr Die Bedenken hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz der Länder können allerdings nicht überzeugen, da entlaufene Straftäter immer eine abstrakte Ge357
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fahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, auch wenn keine weiteren Gefährdungen von ihnen auszugehen drohen. Es steht m.E. eher die Bundesgesetzgebungskompetenz zu §§ 87 StVollzG, 457 II Satz 2 StPO für die Fälle in Frage, in denen sich der Flüchtige so sehr von der Vollzugseinrichtung in räumlicher und zeitlicher Hinsicht distanziert hat, daß kein „sehr gelockertes Vollzugsverhältnis" mehr vorliegt, sondern faktisch eine Unterbrechung des Vollzugs gegeben ist. 3 5 9 In diesen Fällen kann man wohl kaum noch von dem Vollzug im engeren Sinne, den der Tatbestand der beiden Vorschriften fordert, sprechen. 360 Vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist daneben auch eine funktionierende Strafvollstreckung umfaßt, weil die Gesamtheit des geschriebenen Rechts letztlich auch effektiv durchgesetzt werden muß, ohne daß durch Regelungslücken ungewollte Freiräume entstehen.361 Aus der Grundintention des Polizeirechts ist es zumindest „auch" ein Fall der Gefahrenabwehr, wenn ein entflohener Straftäter wieder festgenommen wird. Im übrigen wäre eine gerichtlich angeordnete Freiheitsentziehung nur unnötig erschwert oder vereitelt, dürfte die Polizei erst auf vorherige Anfrage bei der Vollstreckungsbehörde in Amtshilfe tätig werden 362 (z.B. wenn die Polizei zuerst von der Flucht eines Strafgefangenen Kenntnis erhält). Bereits aus diesem Aspekt macht es wenig Sinn, der Polizei in diesem Zusammenhang eine Befugnis abzusprechen, da sie im Endeffekt ohnehin als Hilfsbeamtin der Staats-
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Im Ergebnis so auch Schenke in Steiner, Rn. 97, der hierin jedenfalls „auch eine Aufgabe der Gefahrenabwehr" sieht, für welche der Bundesgesetzgeber „zumindest keine abschließende Regelung bezüglich der Polizeibefugnisse treffen dürfe." So auch Riegel in DÖV 1979 S. 201 ff., 203: „ ... so ist doch unbestreitbar, daß die Wiederergreifung zumindest auch Gefahrenabwehr im Sinne der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und damit Polizeirecht ist."; ebenso Berg/Knape/Kiworr, § 30 BlnASOG S. 339. 358
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So auch Würtenberger/Heckmann/Riggert,
Rn. 239.
Solche Bedenken auch bei Seebode in FS H.-J. Bruns S. 497 f. 360 Explizit geregelt in § 457 I I StPO und § 87 StVollzG. M.E. ist dies auch im Umkehrschluß über den § 13 V StVollzG gefordert, der davon spricht, daß (genehmigter) Hafturlaub den Vollzug nicht unterbricht; mit Sicherheit dann aber eine eigenmächtige Entziehung, wenn der Flüchtige nicht mehr ohne weiteres auffindbar ist. 361 Vergi, dazu § 2 S. 2 StVollzG: „Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten." 362 So auch Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 15; Berg/Knape/Kiworr, § 30 BlnASOG S. 339; diese Bedenken sind auch bei Seebode in FS H.-J. Bruns S. 501 dargelegt.
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anwaltschaft einen Vorführungs- oder Haftbefehl nach § 457 I I StPO ausführen muß oder gem. § 87 StVollG von den Vollzugsbehörden zur Festnahme aufgefordert wird. Aus übergeordneten Gründen der Praktikabilität und einer ohnehin gegebenen Verflechtung der Behörden durch das Prinzip der gegenseitigen Amtshilfe gem. Art. 35 I GG, § 4 BVwVfG wäre eine allzu scharfe Trennung der Kompetenzen nicht dienlich. Darüber hinaus ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Polizei durch ihre Präsenz auf der Straße und an Brennpunkten solche Personen durch Zufall aufgreift, viel zu hoch, als daß man ihr einen Erstzugriff absprechen könnte und sollte.
2. Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung eines Platzverweises Eine weitere explizit geregelte Gewahrsamsform 363 ist die Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Durchsetzung eines Platzverweises. 364
a) Erforderlichkeit dieses Gewahrsamstyps Diese spezielle Eingriffsbefugnis wurde für erforderlich erachtet, da sich an verschiedenen Beispielen gezeigt hat, daß Personen nach einer Platzverweisung mit nachfolgender zwangsweiser Durchsetzung erneut die gleichen Orte aufsuchten und ein zweites Mal dieses Ortes verwiesen werden müßten. Daher ist der Gewahrsam als letztes Mittel 3 6 5 gegen Mehrfachstörer für erforderlich erachtet worden, um sie von derartigen Wiederholungstaten 366 - „Rundläu-
363
Mittlerweile ist die Platzverweisung mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Saarland in den übrigen Bundesländern gesetzlich geregelt. 364 Art. 17 I Nr. 3 BayPAG; § 30 I Nr. 3 BlnASOG; § 15 I Nr. 3 BremPolG, wobei die bremische Regelung zusätzlich verlangt, daß das Nichtbefolgen des Platzverweises eine „erhebliche Gefahr" zur Folge haben muß; § 17 I Nr. 3 BbgPolG; § 13 I Nr. 3 HamSOG; § 32 I Nr. 3 HessSOG; § 55 I Nr. 4 SOG M - V ; § 18 I Nr. 3 NGefAG; § 35 I Nr. 3 NWPolG; § 14 I Nr. 3. Rh-PfPOG; § 22 I Nr. 4 SächsPolG; § 37 I Nr. 3 SOG LSA; § 204 I Nr. 4 SHLVwG; § 19 I Nr. 3 ThürPAG. 365 Als ultima-ratio: auch Gusy, PolR Rn. 244; Berner/Köhler, Art. 17 BayPAG Rn. 12; Roos, § 14 Rh-PfPOG Rn. 24; Berg/Knape/Kiworr, § 30 BlnASOG S. 337. So auch die Vollzugsbestimmungen von Bayern: „Da eine Platzverweisung nur vorübergehenden Charakter hat und somit in der Regel nur von kurzer Dauer ist, kommt eine längerfristige Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung einer Platzverweisung nur in besonderen Ausnahmefallen in Betracht." 366 In seiner Gesetzesbegründung so auch BayLT-Ds. 11/9078, S. 5; so auch in seiner Argumentation BayVGH in BayVBl. 1990 S. 654 ff., 687, der sogar soweit geht, daß der Staat gegen seine Verpflichtung zur Gefahrenabwehr verstoßen würde, wenn er eine Gefahr hinnehmen müsse, weil sich ein Platzverweis notfalls nicht durch eine Ingewahrsamnahme durchsetzen ließe.
IX. Weitere Gewahrsamsformen
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fen" 3 6 7 - abzuhalten. In der Literatur wird daneben häufig das Beispiel des „Gladbecker Geiseldramas" genannt, bei dem sich Journalisten trotz mehrfacher Aufforderung nicht entfernten und somit die groteske Szenerie in der Düsseldorfer Fußgängerzone heraufbeschworen, die eine mögliche Rettung der Geiseln in dieser Situation zunichte gemacht hat. Dazu besagt auch § 12 des Musterentwurfs, daß der Platzverweis gegen Personen angeordnet werden kann, die Hilfs- und Rettungsmaßnahmen behindern. Wenn diese Personen einer mehrfachen Aufforderung in Form einer Platzverweisung nicht nachkommen, ist verständlich, daß die Polizei als stärkeres Mittel mit einer Ingewahrsamnahme reagieren muß, um Rettungsarbeiten wie Feuerwehr- oder Krankennoteinsätze zu ermöglichen. Daneben hat diese Eingriffsermächtigung auch lückenschließende Funktion für die Fälle, in denen ein Verstoß gegen einen polizeilichen Platzverweis keinen Straftatbestand (z.B. § 123 StGB) oder keine Ordnungswidrigkeit darstellt, die ein Vorgehen nach dem Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam ermöglichen würde. 368
b) Möglicher Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Kritiker halten dem entgegen, daß es hierfür gar keiner Ingewahrsamnahme bedürfe. Es reiche völlig aus, derartige Rundläufe oder vergleichbare Situationen durch andere geeignete Maßnahmen wie Absperrungen zu verhindern. Daher fehle es bereits an der Erforderlichkeit für eine Ingewahrsamnahme. Auffallig ist bei den einzelnen Polizeigesetzen, daß die Eingriffsvoraussetzungen bei dieser Gewahrsamsform im Vergleich zu den oben genannten Voraussetzungen recht kurz gefaßt sind. Es ist lediglich erforderlich, daß dieser Gewahrsamstyp unerläßlich sein muß, quasi als letztes Mittel zur Durchsetzung eines Platzverweises. Allein diese gesetzliche Normierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besagt aber, daß es nur ganz wenige Fälle geben kann, bei denen das letzte Mittel denkbar und gerechtfertigt ist. Der vorgenannte Gladbeck-Fall ist ein solches Beispiel. Kritiker dieser Regelung haben natürlich recht, wenn sie der Polizei andere Alternativen hierzu vorhalten. Sicherlich hat die Polizei andere Mittel, z.B. einen Rundlauf zu verhindern, indem sie einfach die Hintertür abschließt oder durch Beamte absperrt. In außergewöhnlichen Fällen, wenn 367 Das bedeutet, daß die des Platzes verwiesenen Personen, durch die eine Tür das Gebäude verlassen und es durch die Hintertür erneut betreten. Hirsch in ZRP 1989 S. 81 f f , 82 meint, daß eine derartige Eingriffsermächtigung gar nicht vernünftig begründet werden könne. Sei die bayerische Polizei tatsächlich auf ein derartiges Instrumentarium angewiesen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können, sei sie zu bedauern. Schmitt Glaeser in BayVBl. 1989 S. 129 ff., 134 denkt wie § 12 ME vor allem an Einsätze von Feuerwehren und Rettungsdiensten, bei denen schaulustige Störer die Einsätze behindern und sich selbst gefährden. 368 Vergi, dazu Beiz, § 21 SächsPolG Rn. 6, § 22 SächsPolG Rn. 10.
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z.B. nur sehr schwache Polizeikräfte zur Verfugung stehen, kann aber ein Gewahrsam als letztes Mittel denkbar sein, und somit muß auch eine Platzverweisung durch einen Gewahrsam durchgesetzt werden können, wenn es gar nicht anders geht. 369 Er darf aus diesem Grunde nur sehr restriktiv angewandt werden, damit nicht der Eindruck aufkommt, daß es sich um eine Maßnahme mit Strafcharakter 370 für alle denkbaren Fälle handelt. Wenn es aber wenige denkbare Fälle gibt, diese Gewahrsamsform einzusetzen, kann nicht allgemein von einer theoretisch völlig unverhältnismäßigen, ungeeigneten Maßnahme gesprochen werden. Wegen des kurzfristigen Charakters der Platzverweisung erscheint ein längerfristiger Gewahrsam zu deren Durchsetzung wenig wahrscheinlich 371 , ist aber nichtsdestoweniger gesetzlich möglich. Die erforderliche Verhältnismäßigkeit der Mittel wird jedoch gegen einen längeren Gewahrsam sprechen, der über einige, wenige Stunden hinausgeht.372
3. Ingewahrsamnahme zum Schutz privater Rechte Dritter Einige 373 Polizeigesetze374 erlauben einen Gewahrsam zum Schutz privater Rechte Dritter. Es handelt sich dabei um die Durchsetzung privater Rechte nach den §§ 229, 230 III BGB 3 7 5 , der zivilrechtlichen Selbsthilfe. Im Polizeirecht kann ein solcher Gewahrsam nur subsidiär gelten, da hinsichtlich privater Rechte primär auf gerichtliche Hilfe zurückgegriffen werden muß, weil die Polizei nicht dazu eingespannt werden soll, um dem Bürger das Prozeß(kosten)risiko abzunehmen. Als Möglichkeiten der gerichtlichen Hilfe wären der Arrest oder die einstweilige Verfügung nach den §§ 916 ff. bzw. 935 ff. ZPO zu nennen, die von den ordentlichen Gerichten bei Glaubhaftmachung (§§ 920 II, 936 ZPO) entsprechender Anträge angeordnet werden können.
369 So Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 10, der von einer Zulässigkeit eines Gewahrsams zum Zwecke einer Platzverweisung dann ausgeht, wenn die Platzverweisung sonst nur mit einer „Vielzahl" von Polizeibeamten durchgesetzt werden könnte. 370 Derartige Befürchtungen sind bei Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 310 dargelegt. 371 BayLT-Ds. 11/9078, S. 5; im Tenor so auch der SächsVGH, aaO S. 41 und 42. 372 Näheres dazu später bei der Gewahrsamsdauer. 373 Mit Ausnahme von: Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, RheinlandPfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen. Kritisch zu dieser Möglichkeit Roos, § 14 Rh-PfPOG Rn. 2. In diesen Ländern könnten Maßnahmen zum Schutz privater Rechte daher nur auf die Aufgabengeneralklauseln, die dem § 1 II MEEPolG vergleichbare Regelungen enthalten, gestützt werden. 374 § 30 I Nr. 4 BlnASOG; § 15 I BremPolG; § 17 I Nr. 4 BbGPolG; § 13 I Nr. 4 HamSÒG; § 32 I Nr. 4 HessSOG; § 55 I Nr. 4 SOG M - V ; § 35 I Nr. 4 NWPolG; § 204 I Nr. 3 SHLVwG. 375 Die hamburgische Vorschrift spricht nur von § 229 BGB.
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Diese Eingriffsmöglichkeit ist, in Abgrenzung zu den Aufgabenzuweisungen in den Generalklauseln der Polizeirechte hinsichtlich privater Rechte, lediglich eine Klarstellung, da es sich hierbei eigentlich um „Jedermannsrechte" 376 handelt, bei deren Voraussetzungen jeder Betroffene einen anderen festhalten kann, wenn obrigkeitliche Hilfe 3 7 7 nicht rechtzeitig zu erlangen ist oder die Gefahr besteht, daß die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Gerade in diesen Fällen soll die Polizei als unabhängige Schnellinstanz vorläufig eingreifen können, um zu verhindern, daß zum Nachteil einer Privatperson vollendete Tatsachen geschaffen werden, da sie diese Hilfe in der Regel besser und objektiver als ein „Jedermann" im Sinne des BGB leisten kann und im Gegensatz zu den Gerichten zu jeder Tag- und Nachtzeit erreichbar ist. Auf die Eingriffsvoraussetzung der obrigkeitlichen Hilfe kommt es in den Polizeigesetzen jedoch nicht an, da die Polizei schließlich selbst diese Obrigkeit, neben den Organen der Rechtsprechung und der Zwangsvollstreckung, mitdarstellt.
4. Ingewahrsamnahme zur Feststellung der Identität 378
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Weiterhin gestatten zwei Polizeigesetze eine Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Feststellung der Identität. Es handelt sich bei dieser Eingriffsvariante, neben der Personenfeststellung, um das polizeirechtliche Gegenstück380 zu den §§ 163 b, 163 c StPO, die eine Freiheitsentziehung zur Feststellung der Identität zum Zwecke einer möglichen Strafverfolgung zulassen. Eine Überschreitung der Ländergesetzgebungskompetenzen ergibt sich daher wegen der verschiedenen Zielrichtung beider Normbereiche, wie auch in anderem Zusammenhang schon mehrfach angesprochen, nicht. Ein Anwendungsbereich für eine derartige Ingewahrsamnahme erscheint jedoch aus anderem Grunde fraglich 3 8 1 , da bereits andere Standardmaßnahmen, wie die schon erwähnte Personenfeststellung 382 und die Vorladung nach den §§ 9 und 11 des Musterent376
Jedoch muß beim „Privatmann" ein eigener Anspruch vorliegen; im einzelnen vergi, hierzu Heinrichs in Palandt, § 229 BGB Rn. 3. 377 Vergi, im einzelnen hierzu Heinrichs in Palandt, § 229 BGB Rn. 4 und 5. 378 § 28 I Nr. 3 Ba-WüPolG; § 22 I Nr. 3 SächsPolG. 379 Nicht so in Bayern, Berlin, Bremen, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg· Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. In diesen Bundesländern sind Freiheitsentziehungen zum Zwecke der Feststellung der Identität nur nach der Standardmaßnahme der Personenfeststellung zulässig. 380 Vergi, dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 163 b StPO Rn. 1. 381 Vergi. Mussmann, AllgPolR Ba-Wü Rn. 206. 382 Quasi als Äquvalent halten Drews/Wacke/Vogel/Martens in § 12 a) die Personenfeststellung und den Gewahrsam zur Identitätsfeststellung.
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Zweiter Teil : Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
wurfs, eine Freiheitsbeschränkung/Freiheitsentziehung anläßlich einer Identitätsüberprüfung regeln.
a) Abgrenzung Gewahrsam / Freiheitsentziehung zur Feststellung der Identität Die Trennlinie zu diesen bereits geregelten Maßnahmen ist allerdings der Zeitraum, in dem eine Freiheitsbeschränkung/Freiheitsentziehung stattfinden kann, da von der Personenfeststellung (Identitätsfeststellung) und der Vorladung nur kürzere Zeitspannen umfaßt sind und in den meisten Polizeigesetzen (mit Ausnahme von Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Thüringen) eine Freiheitsentziehung (nur) zum Zwecke der Feststellung der Identität maximal zwölf Stunden - in Niedersachsen sind dafür nur sechs Stunden zugelassen - nicht überschreiten darf. Es sind aber durchaus Fälle denkbar, in denen die Identität nicht so schnell festgestellt werden kann und der Gewahrsam zur Identitätsfeststellung die Zeit bis zum Anlaufen der eigentlichen Identifizierungsmaßnahmen erst einmal überbrücken soll, denn in diesen Fällen würden die von den anderen Gesetzen zugelassenen zwölf bzw. sechs Stunden 383 zunächst nutzlos verstreichen. Insoweit sind die Formen der Freiheitsentziehung (Personenfeststellung/Vorladung und Gewahrsam zur Feststellung der Identität) nicht deckungsgleich, sondern ergänzen sich gegenseitig, weil sie in einem zeitlichen Stufenverhältnis zueinander stehen. Eine Freiheitsentziehung zum Zwecke der Feststellung der Identität in Form des Gewahrsams ist daher aus diesem Grund in Baden-Württemberg und Sachsen grundsätzlich möglich. Die übrigen Bundesländer fassen eine solche Freiheitsentziehung unter den Begriff des „Festhaltens" in ihren Vorschriften zur Personenfeststellung und zur Vorladung und haben in den meisten Fällen nur die zeitlich mögliche Maximaldauer von vornherein gegenüber den Gewahrsamsvorschriften eingeschränkt. Insoweit ist es eigentlich nur eine Frage der Namensgebung, ob man die dahinterstehende Maßnahme (Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung) durch die Standardmaßnahmen Personenfeststellung/Vorladung mit entsprechender zeitlicher Restriktion von sechs bis zwölf Stunden handhaben möchte oder, wie in Baden-Württemberg und Sachsen, grundsätzlich von einer Kurzfristigkeit der Identitätsfeststellung ausgeht und nur problematische Fälle mit 383 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rn. 238 nennen dazu das Beispiel eines Obdachlosen, der ohne Ausweispapiere aufgegriffen wird und sich auch sonst keine näheren Anhaltspunkte für eine zügige Identifizierung bietet. In einem solchen Fall kann die Zeit bis zum Anlaufen geeigneter Maßnahmen z.B. Datenabgleich, Gegenüberstellungen durch einen Gewahrsam überbrückt werden, weil ansonsten der Betroffenen durch Zeitablauf wieder entlassen werden müßte, ohne daß seine Identität festgestellt werden konnte.
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dem Gewahrsam als ultima-ratio-Mittel löst. Es bestehen aber zwischen diesen beiden Regelungsvarianten keine grundsätzlichen Unterschiede, da alle Bundesländer, die die Identitätsfeststellung nicht ausdrücklich als Gewahrsam geregelt haben, ein „Festhalten" im Sinne der Personenfeststellung/Vorladung als Freiheitsentziehung eingestuft und damit dem Richtervorbehalt unterstellt haben. Nach dem Definitionsmerkmal „Hauptzweck der Maßnahme" (vergi. Kapitel II Punkt 2 a) wäre dies nicht unbedingt erforderlich gewesen, da der Hauptzweck nicht, wie beim Gewahrsam, die Freiheitsentziehung, sondern die Feststellung der Identität ist. Jedoch ist davon auszugehen, daß es sich hierbei um eine rein vorsorgliche Einstufung als Freiheitsentziehung handelt, da die Grenze von der schlichten Freiheitsbeschränkung zur Freiheitsentziehung bei diesen Maßnahmen, wie gesehen, ab einem bestimmten Zeitraum unter dem Aspekt des Abgrenzungskriteriums „Intensität und Dauer der Maßnahme" (vergi. Kapitel I I Punkt 2 b) so fließend sein kann, daß man zur Vermeidung von Unsicherheiten stets einen Richtervorbehalt für diese Fälle zwingend vorschreibt. 384
b) Besondere Schwierigkeiten hinsichtlich des Übermaßverbots bei dieser Gewahrsamsvariante Ein besonderes Problem bei dieser Gewahrsamsvariante ist das Übermaßverbot. 385 In den vorstehend genannten Gesetzen ist allerdings auch immer bestimmt, daß eine Ingewahrsamnahme nur dann möglich ist, wenn die Identität auf andere Weise durch Befragung oder Ladung nicht festgestellt werden kann. 386 Gerade nach der Verlängerung der Gewahrsamszeitdauer in Sachsen wurde durch eine nichtdifferenzierte Regelung ein Gewahrsam nur zum Zwekke der Identitätsfeststellung von theoretisch zwei Wochen möglich. Eine solche Möglichkeit ist auf den ersten Blick nicht unbedenklich und wurde vom Sächsischen Verfassungsgerichtshof in dem schon mehrfach angesprochenen Urteil vom Mai 1996 für verfassungswidrig erklärt 387 , da nach Ansicht des Gerichts
384 Vergi, dazu Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 276 und 277, der auch davon ausgeht, daß es sich hier nicht um einen von Rechtsprechung und Verfassung notwendigerweise als Freiheitsentziehung anzusehenden Fall handelt. 385 Zu den Grenzen der Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung vergi. BVerfG in N V w Z 1992 S. 767 f.: „Ein weiteres Festhalten einer Person zur Identitätsfeststellung ist nur dann verfassungsgemäß, wenn sich das verfolgte Ziel auch nach einer Befragung über die Personalien und einer Aufforderung, mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung auszuhändigen, nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erreichen läßt." 386 Vergi. Briandt/Schlabach, Rn. 126. 387 Vergi, hierzu SächsVGH Urteilstext, aaO S. 40 und 41.
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kaum Fälle denkbar sind, bei denen nur zur Identitätsfeststellung eine derart lange Zeitspanne erforderlich werden würde. 388 Tatsächlich wird es aber so sein, daß diese theoretische Höchstdauer in der Praxis nie ausgeschöpft werden wird bzw. jedes Gericht einen Gewahrsam wegen Verstoßes gegen das Übermaßverbot später für rechtswidrig erklären müßte. (Diese Bedenken hinsichtlich der theoretischen Zeitdauer sind allerdings unberechtigt, wie sich im Kapitel X I I I erweisen wird.) Diese Gewahrsamsform kann aber, nach der bestehenden Rechtslage in Baden-Württemberg und Sachsen, für eine rechtlich saubere Abgrenzung zur schlichten, kurzfristigen Personenfeststellung, die in der Regel wenige Minuten beanspruchen wird, erforderlich werden, wenn die Grenze einer kürzeren Freiheitsbeschränkung/Freiheitsentziehung durch eine längere Zeitdauer überschritten wird und die Maßnahme ansonsten erfolglos abgebrochen werden müßte. In solchen Fällen wird die Polizei dann gezwungen, eine Behandlung des Betroffenen nach den Gewahrsamsbestimmungen durchzuführen, die den Betroffenen rechtlich besser stellen. Demzufolge wird durch diese Gewahrsamsform ein besserer Schutz des Betroffenen erreicht, der stets auch die richterliche Überprüfung nach Art. 104 II GG miteinschließt, da nun klar ist, daß eine Freiheitsentziehung und nicht nur eine bloße Freiheitsbeschränkung vorliegt.
5. Ingewahrsamnahme von Abgeordneten, Diplomaten und Angehörigen der Stationierungskräfte 389 Der Vollständigkeit halber sollen auch diese Gewahrsamsmöglichkeiten angesprochen werden, die in der Praxis naturgemäß aufgrund der Quantität dieser Fälle von untergeordneter Rolle sind. Trotzdem können sie erhebliche praktische Probleme aufwerfen, da diese Personengruppen einen rechtlichen Sonderstatus genießen, der sich auf polizeiliche Eingriffsermächtigungen, teilweise in nichtvertretbarer Weise, hemmend auswirken kann.
a) Abgeordnete Das Immunitätsrecht des Art. 46 GG soll in den Abs. II, III und IV die Funktionsfähigkeit und das Ansehen des Bundestages sicherstellen. Davon umfaßt sind alle Arten der Freiheitsbeschränkung neben Art. 46 II GG, also gem. 388
Vergi, hierzu SächsVGH Urteilstext, aaO S. 41: „Ist eine Person nicht alsbald identifizierbar, dann kommt ein längerfristiger Gewahrsam nur nach speziellen Regeln des Polizei-, Ausländer-, Asylverfahrens- oder Strafverfahrensrechts in Betracht." 389 Vergi, hierzu Reiff/Wöhrle/Wolf §§ 6 Ba-WüPolG Rn. 22 ff.; 22 Ba-WüPolG Rn. 47 ff.; Denninger in Lisken/Denninger, E Rn. 71 ff.
IX. Weitere Gewahrsamsformen
151
Abs. III auch der Polizeigewahrsam. 390 Nach Art. 46 II und I I I GG bedarf die Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten 391 daher der Genehmigung des Bundestages.392 Nicht zutreffen kann dies allerdings für den Schutzgewahrsam, da den Abgeordneten dann ein Schutz versagt werden würde, der für andere Personen selbstverständlich wäre. Weiterhin muß die Polizei auch bei Gefahr im Verzug 393 handeln können, da nicht einsehbar ist, weshalb von Abgeordneten Gefahren ausgehen dürfen, die bei anderen Personen sofort polizeilich abgestellt werden können. 394 Das ergibt sich m.E. auch aus einem Umkehrschluß zu Art. 46 I I GG, 2. Halbsatz: „ ... es sei denn, daß er bei der Begehung der Tat... festgenommen wird." Der Begriff der „Begehung der Tat" des Art. 46 II GG ist mit dem „Betreffen auf frischer Tat" des § 127 I StPO gleichzusetzen. Eine unmittelbar bevorstehende polizeiliche Gefahr darf deshalb hinsichtlich der grundsätzlichen Erwägungen, überhaupt in die persönliche Freiheit eines Abgeordneten eingreifen zu können, nicht anders gehandhabt werden als ein Betreffen „in flagranti" im strafrechtlichen und strafprozessualen Sinne. Art. 46 I I I GG ist bei einer Betrachtung des Abs. IV dieser Verfassungsvorschrift allerdings eher auf die Fälle einer Freiheitsstrafe ausgerichtet, als daß sie auf den Polizeigewahrsam paßt, obwohl sie grundsätzlich auch für diesen gilt. Denkbar wäre die Anwendbarkeit des Art. 46 I I I mit dem Genehmigungsverfahren in polizeilicher Hinsicht allerdings für die Fälle des Unterbindungsgewahrsams, die sich weiter ins Vorfeld möglicher Taten ausdehnen; also in den Fällen, in denen eine Genehmigung aus zeitlichen Aspekten noch möglich wäre.
390
Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 46 GG Rn. 56; Denninger in Lisken/Denninger, E Rn. 76. 391 Zur Polizeipflichtigkeit von Abgeordneten vergi. z.B. Ba-WüGABl. 1981 S. 1008; danach sind zwar polizeiliche Maßnahmen gegenüber Abgeordneten durchaus möglich, nicht aber Freiheitsbeschränkungen. Siehe hierzu Ziffern 1.3.2.6 und 1.3.2.7 dieser Verwaltungsvorschrift. Entsprechendes gilt auch für Landtagsabgeordnete und Mitglieder des Europaparlaments. 392 Beachte insoweit auch Anlage 6 der Geschäftsordnung des Bundestages. Es gibt dabei, neben der Genehmigung Punkt A Nr. 14 (Genehmigungspflicht in besonderen Fällen), die Möglichkeit einer Vorentscheidung nach Nr. 13 (Vereinfachtes Verfahren), bei der die Genehmigung in den Fällen der Vollstreckung von Freiheitsstrafen oder von Erzwingungshaft nach den §§ 96, 97 OWiG, bei Verkehrsdelikten, Bagatellsa- chen, Strafverfolgung nach §§ 90 b II, 194 IV StGB (Beleidigungen des Bundespräsidenten oder der Gesetzgebungsorgane von Bund und Ländern) sowie zur Zeugenvernehmung nach den §§50 III StPO und 382 III ZPO im Grundsatz vereinfacht werden kann. 393 In diesen Fällen hat nach der obigen Verwaltungsvorschrift (Fn. 391) eine Güterabwägung stattzufinden. 394 Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 46 GG Rn. 25. Daher ist auch eine restriktive Auslegung dieser Verfassungsvorschrift anzuraten.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
Ein weiteres Indiz für die Möglichkeit von Freiheitsentziehungen zum Zwecke der Gefahrenabwehr könnte man auch in Anlage 6 der GeschO BT sehen, in der gem. Nr. 15 395 Schutzmaßnahmen nach dem Bundes-Seuchengesetz, also klassische präventive Maßnahmen, die auch Freiheitsentziehungen beinhalten können, eine Genehmigung des Bundestages nicht erfordern, da hierfür nicht die Aufhebung der Immunität erforderlich ist.
b) Diplomaten, Konsule und Personal dieser Vertretungen Diplomaten und Angehörige diplomatischer Missionen sowie konsularischer Vertretungen dürfen in ihrer Freiheit durch die deutsche Polizei nicht beschränkt werden. 396 Eine derartige Regelung kann aber aus den gleichen Gründen - wie bei den Abgeordneten - nicht bei Gefahr im Verzug gelten. 397 Danach ist ein Gewahrsam zum Schutz dieser Personen sowie bei einer unmittelbar bevorstehenden Gefährdung für polizeilich relevante Schutzgüter zulässig. Dies liegt auf der Hand, da selbst Diplomaten aufgrund ihrer Sonderrolle in diesem Land ihre Rechte nicht mißbrauchen dürfen und keine „Narrenfreiheit" besitzen. Sinn und Zweck der speziellen Rechte der Diplomaten und Konsule ist die Vertretung der legalen Interessen 398 ihrer Entsendestaaten auf zwischenstaatlicher Ebene mit den damit verbundenen Aufgaben, denn die Privilegien sollen in erster Linie das Funktionieren der diplomatischen oder konsularischen Missionen sicherstellen. 399 Davon ist völkerrechtlich jedoch nicht die Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten umfaßt, da dieser privilegierte Personenkreis natürlich nicht von der Pflicht entbunden sein kann, die innerstaatliche Rechtsordnung zu beachten. Ein Gewahrsam muß daher im Vorfeld einer möglichen Ausweisung 400 des Diplomaten in den genannten Fällen möglich sein. Diese Sonderrechte können
395
Nach dem Wortlaut der Nr. 15 der Anlage 6 haben Schutzmaßnahmen nach dem Bundes-Seuchengesetz notstandsähnlichen Charakter. 396 Dies ergibt sich nach dem Wiener Übereinkommen über diplomatische (von 1961 abgedruckt in BGBl. I I 1964 S. 957 ff.) und konsularische (von 1963 abgedruckt in BGBl. II 1969 S. 1585 ff.) Beziehungen. Hierzu auch GABI. 1976 S. 1 ff., 7 in Abschnitt V A.2. Ziffer d) z.B. Art. 29 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen: „Die Person des Diplomaten ist unverletzlich. Er unterliegt keiner Festnahme oder Haft irgendwelcher Art." 397 Vergi, hierzu GABI. 1976, aaO Ziffer e). 398 Vergi, dazu Art. 3 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen; so auch Denninger in Lisken/Denninger, E Rn. 72. 399 Vergi. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht 1/1 S. 274, 280, 284. 400 Vergi, dazu Art. 9 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen: Erklärung zur „persona non grata" mit der damit verbundenen Abberufung des Diplomaten durch den Entsendestaat.
X. Die Europäischen Menschenrechtskonventionen (EMRK)
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auch nur für die Interessenvertreter der Entsendestaaten gelten und nicht für untergeordnetes Botschaftspersonal.
c) Angehörige von Stationierungsstreitkräften Vergleichbares gilt auch bei Angehörigen von Stationierungsstreitkräften 401, da primär deren Behörden zuständig sind. Sie können zwar grundsätzlich als Störer in Anspruch genommen werden; Maßnahmen, die die Freiheit dieser Personen beschränken, dürfen jedoch nur bei Gefahr im Verzug vorgenommen werden. 402 Danach müssen aber unverzüglich die Behörden dieser Streitkräfte unterrichtet werden. Innerhalb der militärischen Liegenschaften der Stationierungstruppen sind nur diese und nicht die deutsche Polizei für die Gefahrenabwehr zuständig. Die deutschen Behörden können in allen anderen Fällen nur unterstützend tätig werden.
X. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 1. Art. 5 EMRK 403 und dessen Relevanz für den polizeirechtlichen Gewahrsam Eine umfassende Regelung zum Schutz der Freiheit der Person enthält auch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). 4 0 4 Für den polizeilichen Gewahrsam ist dabei Art. 5 EMRK von Bedeutung, der das Recht eines „Jeden auf Freiheit und Sicherheit" schützt. 405 Ein Hauptanwendungsfall dieser völkerrechtlichen Vorschrift ist sicherlich der kurzfristige Polizeigewahrsam. 406 Die Bundesrepublik Deutschland hat der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention durch Ratifizierungsvertrag vom 7. August 1952 zugestimmt. Sinn dieser Konvention war es, die europäische Einheit durch Wahrung und Entwicklung der Menschen-
401 Vergi, hierzu Art. V I I Abs. V Ziffer a des NATO-Truppenstatuts (von 1951 abgedruckt in BGBl. II 1961 S. 1190 ff.) sowie dem Zusatzabkommen (von 1959 abgedruckt in BGBl. II 1961 S. 1183 ff.). Hierzu auch GABI. 1964 S. 193 ff., dort S. 197 X. (Allgemeines Polizeirecht). 402 Hierzu: GABI. 1964, aaO S. 197 X. 403 Der Wortlaut dieser Vorschrift ist im Anhang abgedruckt. 404 Einen kurzen Überblick über den Inhalt des Art. 5 EMRK bietet Hantel, Diss. Berlin S. 71 ff. 405 Zum Schutzumfang der Begriffe Freiheit und Sicherheit vergi. Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 4. 406 Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 17.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
rechte und Grundfreiheiten zu festigen 407 , einen Mindeststandard an Freiheitsrechten zu garantieren sowie diese Garantie aufgrund der Erfahrungen des letzten Weltkrieges auf internationale europäische Ebene zu verlagern. 408 Dabei sollten jedoch keine neuen Menschenrechte geschaffen werden, sondern vielmehr bestehende Rechte und Überzeugungen besser verankert werden. Die EMRK soll somit auch gleichzeitig Ausdruck einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung 409 der Mitgliedsstaaten sein. 410 Es stellt sich daher auch die Frage, inwieweit die Norm des Art. 5 EMRK auf die deutschen Gewahrsamsvorschriften einfließt. Bedeutung kann Art. 5 EMRK für alle bislang angesprochenen Gewahrsamsformen haben. In der letzten Zeit kam immer wieder die Diskussion auf, ob nicht die eine oder andere Polizeirechtsnorm oder die Änderung einer solchen einen Verstoß gegen die EMRK beinhalte und damit rechtswidrig sei. Dies insbesondere deshalb, weil die Liste des Art. 5 I EMRK hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen abschließend ist. 411
2. Bedeutung der EMRK für die nationale Gesetzgebung und Rechtsprechung Art. 5 EMRK ist als Bestandteil eines völkerrechtlichen Vertrages gem. Art. 9 II GG nationalem Recht gleichzusetzen und somit ein Teil innerstaatlichen einfachen Rechts. 412 Der Konvention kommt damit in der Rechtsordnung der Bundesrepublik der Rang eines förmlichen Bundesgesetzes zu. 4 1 3 Die Men-
407
So der Abs. I I I der Präambel der EMRK. So der Abs. V der Präambel der EMRK. 409 Vergi. EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) in EuGRZ 1975 S. 91 ff. 96 (Fall Golder): „In diesem Fall ist der bedeutendste Teil der Präambel bei der Europäischen Konvention der, in dem die unterzeichneten Regierungen sich entschlossen haben ... die ersten Schritte auf dem Weg zu einer kollektiven Garantie ... verkündeter Rechte zu unternehmen." 408
4,0
Vergi, auch Koschwitz, Diss. Göttingen S. 220. Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 47. 412 Herzog in AöR Bd. 86 S. 195 ff. hält allerdings den Einfluß der EMRK in Deutschland nicht für allzu groß, da „dieses Regelwerk auf ein Grundgesetzsystem trifft, welches in seiner Geschlossenheit kaum mehr steigerbar ist"; so auch Frowein/Peukert, EMRK Einführung Rn. 12. 413 Vergi, hierzu Kirchhofen EuGRZ 1994 S. 16 ff., 25: „Platz in der Normenhierarchie". Das bedeutet hinsichtlich der Anwendung dieser Normen durch die Gerichte, daß der Grundsatz einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung gilt, wenn spätere Bundesgesetze den Geltungsbereich dieser Völkerrechtsnorm tangieren. Kirchhof weist weiter darauf hin, daß Bestrebungen, einen Verfassungsrang für die EMRK zu begründen, sich nicht haben durchsetzen können. (S. 26 mit weiteren Nachweisen) Er führt weiterhin aus (S. 31), daß das Bundesverfassungsgericht aber die Garantien der EMRK bereits des 411
X. Die Europäischen Menschenrechtskonventionen (EMRK)
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schenrechtsgarantien der EMRK begründen weiterhin Individualrechte, wie sich aus Art. 1 EMRK ergibt. 414 Nach allgemeiner Auffassung enthält das deutsche Zustimmungsgesetz einen fur die Gerichte 415 und Behörden der Bundesrepublik verbindlichen Rechtsanwendungsbefehl 416 und begründet quasi einen inhaltlichen Mindeststandard europäischen Grundrechtsschutzes, der von allen Staatsorganen zu beachten i s t 4 1 7 Das bedeutet, daß die Mitgliedsländer diesen Standard in ihren innerstaatlichen Regelungen hinsichtlich Freiheitsentziehungen aufweisen müssen. Somit haben Legislative und Judikative bei Erlaß von Gesetzen, im gegebenen Fall bei der Verabschiedung von polizeirechtlichen Normen im Gesetzgebungsverfahren bzw. bei der Kontrolle von Handlungen der Exekutive durch die Gerichte, die Maßstäbe und Grundsätze der EMRK zu achten. Entspräche eine innerstaatliche Polizeirechtsnorm demnach nicht den Grundsätzen der EMRK, wäre sie nach diesen Erkenntnissen zwangsläufig rechtswidrig; sie dürfte daher nicht angewandt werden.
3. Die Bedeutung des Art. 5 EMRK für den Schutzgewahrsam Wegen der abschließenden Regelung des Art. 5 EMRK stellt sich in diesem Zusammenhang zuvorderst die Frage, ob der Schutzgewahrsam von der EMRK gedeckt ist, da er explizit im Normtext des Art. 5 EMRK nicht aufgeführt ist. öfteren als „Quelle der Inspiration" bei der Beurteilung anderer Sachverhalte herangezogen hat. Die EMRK und die zu ihr ergangene Rechtsprechung dient allerdings auf der Grundlage einer gemeineuropäischen Menschenrechtsentwicklung auch der Vergewisserung über die Auslegung des Grundgesetzes (S. 33). In Österreich kommt der EMRK Verfassungsrang, in der Schweiz Quasiverfassungsrang zu. 414 Kirchhof in EuGRZ 1994 S. 27; vergi. Wortlaut des Art. 1 EMRK: „... sichern allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen die ... Rechte und Freiheiten zu". Das bedeutet, daß in dem betreffenden Staat auch Angehörige anderer Staaten diese Rechte geltend machen können. 415 Das Bundesverfassungsgericht legt deshalb die Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes im Lichte der EMRK aus; vergi, hierzu BVerfGE 74 S. 358 f f , 370. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die EMRK nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes führt. Dies ist eine Selbstverständlichkeit und in Art. 60 EMRK explizit geregelt. 416 So auch Koschwitz, Diss. Göttingen S. 165. 417 So der SächsVGH, aaO S. 29: „Das bedeutet allerdings nicht, daß eine innerstaatliche Verfassungsbeschwerde, so wie hier geschehen, auf die Verletzung von Vorschriften der EMRK gestützt werden kann. Dies hat zur Folge, daß innerstaatliche Vorschriften im Lichte der EMRK ausgelegt werden müssen" - „ ... er (der SächsVGH) sei daher gehalten, seiner Auslegung der Sächsischen Verfassung den Stand europäischen Grundrechtsschutzes zugrundezulegen, der sich aus dem klaren Wortlaut der EMRK sowie aus der ständigen Rechtsprechung der Europäischen Kommission und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ergibt." Im Ergebnis so auch Kirchhof in EuGRZ 1994 S. 29, weil der EMRK in Deutschland eben kein Verfassungsrang zukommt.
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
Es ist für eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Schutzgewahrsams von der Intention der Menschenrechtskonvention auszugehen, die Freiheit, Sicherheit sowie Leben und Gesundheit der Menschen schützen soll. Ein Schutzgewahrsam kann jedoch der Wertung der EMRK nicht widersprechen 418, weil dieser Gewahrsamstyp gerade zum Vorteil und Schutz des Betroffenen durchgeführt wird. Die EMRK will dagegen die Betroffenen vor anders motivierten, regelwidrigen Freiheitsentziehungen, wie bereits der Wortlaut der Vorschrift ergibt, schützen. Von daher liegt gar keine Fallkonstellation vor, die an Art. 5 EMRK zu messen ist. Dieses Ergebnis muß sich aus deutscher Sicht bereits aus Art. 2 I GG, dem Grundrecht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit sowie aus dem Prinzip einer Güterabwägung ergeben. Würde nämlich ein Schutzgewahrsam gegen die EMRK verstoßen, käme es zu einer Überlagerung - diesmal der EMRK - durch das Grundgesetz, welches in diesem Falle in der Normenhierarchie vor der EMRK stünde. Der Schutzgewahrsam spiegelt jedoch auch einen Teil der anderen EMRKSchutzgüter, wie Leben und Gesundheit (in Art. 2 EMRK geregelt) wider; es kann insoweit kein Widerspruch zur EMRK vorliegen. 419 Für die Rechtmäßigkeit entsprechender deutscher (Schutzgewahrsams-) Vorschriften ist es daher auch unschädlich, daß eine vergleichbare Regelung in der EMRK nicht vorgesehen ist.
4. Die Bedeutung des Art. 5 EMRK für den Unterbindungsbzw. Beseitigungsgewahrsam Immer wieder wurde in den letzten Jahren die Vereinbarkeit von Regelungen des Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsams mit der EMRK in Zweifel gezogen, da behauptet wurde, daß der Text des Art. 5 I lit. c EMRK einen Teil der deutschen innerstaatlichen Regelungen nicht abdecken würde. Die grundsätzliche Möglichkeit einer präventiven Freiheitsentziehung an sich ist aber von Art. 5 lit. c EMRK durch den Wortlaut der Vorschrift „...an der Begehung ... zu hindern" umfaßt. 420
418 Einen Überblick über das Verhältnis Schutzgewahrsam zur EMRK bietet Hoffmann in DVB1. 1970 S. 473 ff., 477, 478. 419 Auch zustimmend: Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 12 Nr. 6 a; Hoffmann in DVB1. 1970 S. 473 ff., 477; ebenso (wohl auch) Koschwitz, Diss. Göttingen S. 182-184 mit einer Darstellung des damaligen Streitstandes und einer zustimmenden Lösung „außerhalb der EMRK". 420 So auch Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 81.
X. Die Europäischen Menschenrechtskonventionen (EMRK)
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a) Gewahrsam zur Verhinderung von Straftaten Einigkeit besteht insoweit, daß der Gewahrsam zur Verhinderung von Straftaten in allen Fällen von Art. 5 I lit. c EMRK umfaßt ist, da bei der Subsumtion unter den Begriff „strafbare Handlungen" des Art. 5 I lit. c EMRK keine Probleme bzw. sprachliche Unklarheiten auftreten. Strafbare Handlungen (Straftaten) sind immer von solchem Gewicht, daß deren Verhinderung eine Freiheitsentziehung rechtfertigt. 421 Ein solcher Präventivgewahrsam ergeht somit im Einklang mit der EMRK. Eine Abschichtung nach bedeutsamen und weniger bedeutsamen Straftaten, wie er beim Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam teilweise gefordert wurde, ist aus Art. 5 I lit. c EMRK nicht zu entnehmen und daher nach der EMRK nicht notwendig.
b) Gewahrsam zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten Nicht eindeutig aus dem Wortlaut zu entnehmen ist jedoch die Frage, ob der Gewahrsam zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten ebenfalls von der Vorschrift des Art. 5 I lit. c EMRK umfaßt ist. 422 Falls nicht, könnte man dann möglicherweise nur noch hilfsweise davon ausgehen, daß diese Konstellation von Art. 5 lit. b EMRK (eine durch das Gesetz vorgeschriebene Verpflichtung) umfaßt sein könnte. 423 Art. 5 I lit. c EMRK spricht in seiner deutschen Übersetzung nur von „strafbaren Handlungen" 424 und nicht von Ordnungswidrigkeiten. Die entgegenstehenden Landesgesetze stünden daher im Widerspruch zu Quasi-
421 Vergi, vorne die Wertung von Straftaten beim Beseitigungs- bzw. Unterbindungsgewahrsam im Kapitel V. 422 Verneinend: Jahn in DVB1. 1989 S. 1038 ff., 1043, der eigentlich eher von einer Wortlautauslegung des Art. 5 I lit. c EMRK ausgeht, indem er behauptet, daß Ordnungswidrigkeiten, auch wenn sie von erheblicher Natur sind, nicht von dem Oberbegriff der „strafbaren Handlung" (offence, infraction) umfaßt sind, da seiner Ansicht nach damit nur mit „Kriminalstrafe" bedrohte Handlungen gemeint sein können. Weiterhin sei ein Präventivgewahrsam hinsichtlich Ordnungswidrigkeiten generell nicht unter Art. 5 I lit. b zu subsumieren, da er unter dem Begriff „specific obligation" keine Stütze fände; ebenso Blankenagel in DÖV 1989 S. 689 f f , 696, 697. Bejahend: BayVGH in BayVBl. 1990 S. 654 ff., 658, der der Auffassung ist, daß er zum einen hierüber nicht zu befinden habe, andererseits aber auch kein Verstoß gegen die obige Vorschrift gegeben sei, da sich zumindest nicht eindeutig feststellen ließe, daß hierunter nur mit „Kriminalstrafe" bedrohte Handlungen fallen sollen; so auch Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 12 Nr. 6 a; Götz, AllgPol- u. OrdR Rn. 295. 423 So z.B. BayVGH in BayVBl. 1990 S. 659. 424 Zum Begriff der strafbaren Handlung so auch Trechsel, EMRK S. 213 ff.
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Bundesrecht und wären gem. Art. 31 GG (Bundesrecht bricht - widersprechendes - Landesrecht) rechtswidrig. 425
aa) Meinungsstand hinsichtlich des Gewahrsams zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten Nach ganz überwiegender Meinung 426 stützt Art. 5 I lit. c EMRK daher auch eine Freiheitsentziehung zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten. Herzog ging in seinen damaligen Ausführungen 427 noch weiter, in denen er unter den Art. 5 I lit. c EMRK alle Verbrechen, Vergehen, Übertretungen und Ordnungswidrigkeiten des deutschen Rechts fassen wollte und zwar sowohl im Stadium des Versuchs als auch der Vollendung, denn schließlich ginge es nach dem Sinn dieser Norm darum, die Festnahme „gefährlicher Elemente" zu ermöglichen. Die Rechtsprechung der Europäischen Kommission für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte steht dieser Norminterpretation des Art. 5 EMRK nicht entgegen.428 Weiter kann auch kaum angenommen werden, daß sich die Vertragsstaaten soweit hätten binden wollen, daß sie einen präventivpolizeilichen Gewahrsam im Hinblick auf „strafbare Handlungen" in irgendeiner Form übernational noch weiter beschränken wollten. Dies würde dann immer auch davon abhängen, ob die Staaten gerade diese Unrechtsform mit Geld- oder Kriminalstrafe sanktioniert 429
haben, was in den einzelnen Ländern sehr verschieden ausfallen kann. Letztendlich wollte man Unrecht präventiv bekämpfen können. Kritiker lassen eine Interpretation zugunsten Ordnungswidrigkeiten angesichts des vermeintlich eindeutigen Wortlautes der Vorschrift des Art. 5 I lit. c EMRK nicht gelten. 430 Dies wird zum einen damit erklärt, daß einer historischen Normauslegung 431 ohnehin nur sehr beschränkte Bedeutung beizumessen 425
Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 288. Trechsel, EMRK S. 214, 215; wohl auch Koschwitz, Diss. Göttingen S. 168 mit jeweils weiteren Nachweisen; auch Götz, AllgPol- u. OrdR Rn. 295; Möller/Wilhelm, S. 114; auch SächsVGH, aaO S. 34; Bay VGH in BayVBl. 1990 S. 658, der sich zwar nicht direkt (mangels Zuständigkeit) hinsichtlich Fragen zur EMRK festlegen wollte, jedoch davon ausgeht, daß Art. 5 lit. c EMRK auch Ordnungswidrigkeiten umfassen müßte. 427 Herzog in AöR Bd. 86 S. 222. 428 So auch die Ansicht des SächsVGH, aaO S. 34. 429 So Bay VGH in BayVBl. 1990 S. 659. 430 Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 288. 431 Hinsichtlich der Auslegung der Normen der EMRK legt die Kommission dar, daß die Konvention objektiv und nicht vor dem Hintergrund des Verständnisses der Formulierungen interpretiert werden müsse. Dabei dürfen die Bestimmungen allerdings nicht so restriktiv ausgelegt werden, daß sie dem Zweck der Konvention nicht mehr gerecht 426
X. Die Europäischen Menschenrechtskonventionen (EMRK)
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sei, sowie damit, daß die EMRK, wenn man ihr überhaupt eine Bedeutung zubilligen wolle, auch innerstaatlich umgesetzt werden müsse.
bb) Auslegung des Begriffs der „Straßaren nach innerstaatlichem Recht
Handlung'
Generell schwierig ist es jedoch, vom Wortlaut der EMRK auf die Rechtmäßigkeit von deutschen Polizeirechtsnormen zu schließen, wie auch sonst eine Normauslegung nie bei der Wortlautinterpretation alleine stehenbleiben kann. Dazu muß immer noch eine Auslegung aus dem Kontext, der Geschichte und eine teleologische Interpretation kommen. Richtig ist, daß Art. 5 EMRK einen Mindeststandard garantieren soll, jedoch steht auf der anderen Seite der Leitgedanke dieser Vorschrift, daß der Betroffene durch Freiheitsentzug an der Begehung von „strafbaren Handlungen" gehindert werden soll. Für eine Auslegung des Gesetzestextes der EMRK ist daher zunächst auf die authentischen Vertragssprachen abzustellen.432 Diese sind nach Art. 66 IV Satz 2 EMRK Englisch und Französisch. In der damaligen Zeit war in der europäischen Vertragslandschaft Deutsch noch von untergeordneter Bedeutung und nicht offizielle Amtssprache wie heute in der Europäischen Union. Vom Wortlaut ausgehend, sind dann die einzelnen Vorbehalte des Art. 5 EMRK im Interesse des Betroffenen und im Sinne der EMRK eng auszulegen. 433 Im Englischen wird der Begriff der „strafbaren Handlung" mit „offence" 434 , im Französischen mit „infraction" 435 beschrieben. Eine Übersetzung dieser Begriffe ergibt, daß es sich dabei eher um Oberbegriffe als um eine detaillierte Unterscheidung zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten handelt, da beide Sprachen, ebenfalls wie die deutsche Sprache, differenzierte Ausdrücke für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in ihrem Vokabular ken-
werden würden. Der Gerichtshof bestätigte diese Auffassung der Kommission (EGMR in EuGRZ 1975 S. 91 ff., 96 f. (Fall Golder)) und legt dar, daß keine extensive Interpretation vorzunehmen sei, sondern eine, die sich am Wortlaut bzw. Sinn und Zweck der Konvention orientiere und allgemeine Rechtsgrundsätze einbeziehe. 432 Vergi, dazu Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht Rn. 368 f. 433 Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 47. 434 Nach der Übersetzung: Vergehen, Übertretung, Verstoß; eine Straftat an sich würde mit „criminal offence" zu übersetzen sein. Bereits aus dieser einfachen Übersetzung kann entnommen werden, daß der Begriff „offence" weiter gefaßt werden soll, als die Straftat an sich; so auch Herzog in AöR Bd. 86 S. 222, der „offence" als Oberbegriff ansieht. 435 Nach der Übersetzung: Übertretung. Herzog in AöR Bd. 86 S. 221 spricht von „infraction" als Oberbegriff fur sämtliche Handlungen, die mit einer über den bloßen Schadensersatz hinausgehenden staatlichen Sanktion bedroht sind, ohne daß es darauf ankäme, ob sie gegen kriminelles oder Ordnungsstrafrecht verstoßen.
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nen. 436 Hätte man also bei der Gestaltung des Vertragstextes eine Freiheitsentziehung nur zur Verhinderung von Straftaten gestatten wollen, hätte man den Wortlaut des Art. 5 I lit. c EMRK sicherlich deutlicher fassen bzw. differenzieren können. In einer Urfassung des Art. 5 I lit. c EMRK finden sich auch die Begriffe „crime" 4 3 7 und „délit" 4 3 8 , auf die in der endgültigen Fassung der EMRK absichtlich verzichtet wurde. 439 Daraus muß man die Schlußfolgerung ziehen, daß bei der Interpretation des Begriffs der „strafbaren Handlung" in allen Fällen von einer Übertretung der Gesetze im weitesten Sinne 440 auszugehen ist, wobei sich, nach dem oben Gesagten, bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes allzu geringe Überschreitungen auf nationaler deutscher Ebene durch die Gerichte ohnehin ausschalten lassen. Die Grundlage für die Beantwortung der Frage, ob nach der EMRK ein Gewahrsam auch zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten zulässig ist oder nicht, darf nach der Übersetzung nicht auf europäischer Ebene, sondern muß auf nationaler Ebene liegen. Nach den Ausführungen zur Übersetzung des Begriffs der „strafbaren Handlung" muß die Ausgestaltung dieses Begriffs durch die Unterzeichnerstaaten der EMRK erfolgen. 441 Man muß davon ausgehen, daß die Schöpfer der EMRK Übertretungen im weitesten Sinne durch Freiheitsentziehungen verhindern wollten. Dabei kann es jedoch nicht um eine Unterscheidung zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gehen, da diese in den einzelnen Unterzeichnerstaaten verschieden sanktioniert sein können. Wollte man von der Unterscheidung zwischen beiden Begehensarten ausgehen, würde es dem Zufall überlassen sein, ob in dem einen Staat eine Freiheitsentziehung möglich wäre, da das betreffende Delikt dort als Straftat klassifiziert ist, wenn in einem anderen Staat die gleiche Übertretung lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet wird. Dieses Zufallsprinzip kann jedoch von der EMRK nicht gewollt sein. Wenn man von einem einheitlichen Mindeststandard ausgeht, wird man diesen an einem Oberbegriff festmachen müssen, der durch eine Übertretung des geltenden Rechts, wie auch immer geartet, definiert sein muß. Nur eine solche Betrachtungsweise kann eine zuverlässige Handhabung der EMRK in allen Vertragsstaaten garantieren. Es ist daher in Deutschland auch ein Polizeigewahrsam zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten nach der EMRK zulässig. Eines Rückgriffs auf
436 437 438 439 440
Im Englischen: irregularity; im Französischen: irrégularité. Nach der Übersetzung: Verbrechen. Nach der Übersetzung: Delikt, Vergehen, strafbare Handlung, Straftat. Vergi, hierzu Trechsel, EMRK S. 214 mit weiteren Nachweisen. Trechsel, EMRK S. 215; kritisch allerdings Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK
Rn. 72. 441
So auch Frowein/Peukert,
Art. 5 EMRK Rn. 72.
X. Die Europäischen Menschenrechtskonventionen (EMRK)
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Art. 5 lit. b EMRK bedarf es deshalb hinsichtlich dieser Eingriffsermächtigungen nicht.
5. Die Bedeutung des Art. 5 EMRK für die übrigen deutschen Gewahrsamsformen Art. 5 EMRK sieht daneben noch andere Möglichkeiten für Freiheitsentziehungen vor. 4 4 2 Diese Ermächtigungen sind die Legitimation für die weiteren deutschen Gewahrsamsvarianten, da sie auch in irgendeiner Weise durch die in der Gesetzeshierarchie vorgehende EMRK abgesichert sein müssen.
a) Art. 5 I lit. b EMRK Art. 5 I lit. b EMRK spricht von einer Freiheitsentziehung zur „Erzwingung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung". Eine solche Verpflichtung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Form zu verstehen, daß damit keine generalklauselartige Eingriffsermächtigung 443 oder allgemeine Gehorsamsverpflichtung 444 in der Art zu sehen ist, daß jeder verpflichtet ist, alles zu tun oder zu unterlassen, was der öffentlichen Sicherheit und Ordnung schaden könnte. 445 Es muß sich dabei vielmehr um die Erfüllung einer spezifischen, konkreten Pflicht handeln, der der Betroffene bislang nicht nachgekommen ist. 4 4 6 Einige Gerichtsentscheidungen der letzten Jahre haben als solche spezifischen Pflichten anerkannt: die Verpflichtung zur Duldung gewisser strafprozessualer Ermittlungshandlungen, Duldung von Vollstreckungsmaßnahmen, Schutzgewahrsam wider Willen. 4 4 7 Die Rechtsprechung der Kommission und des Gerichtshofes steht dieser Sichtweise auch nicht entgegen; insbesondere beschränkt sie die Anwendung der obigen Vorschrift nicht auf Regelungen im Zusammenhang mit der Rechts-
442
Der Normtext dieser Vorschrift ist im Anhang abgedruckt. Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 68. 444 EGMR in EuGRZ 1983 S. 633 ff., 640 (Fall Guzzardi): „Die gesetzlichen Pflichten, sich nicht notorisch und gewohnheitsmäßig ungesetzlichen Tätigkeiten zu widmen oder sich nicht gewohnheitsmäßig der öffentlichen Moral und den guten Sitten entgegenstehenden Aktivitäten zu widmen, wurden von der Kommission als nicht genügend präzise und konkret angesehen." 445 So auch der SächsVGH, aaO S. 35 mit weiteren Nachweisen und Beispielen. 446 Vergi, dazu auch EGMR in EuGRZ 1976 S. 221 ff., 227 (Fall Engel); EGMR in EuGRZ 1983 S. 633 ff., 640 (Fall Guzzardi); vergi, auch SächsVGH, aaO S. 35 mit weiteren Hinweisen. 447 Weitere Beispiele in Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 69. 443
11 Stoermer
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
pflege. 448 Aus diesen Gründen geht der SächsVGH auch zutreffenderweise von der Vereinbarkeit der Gewahrsamsermächtigungen zum Schutz einer Person, zur Identitätsfeststellung 449 sowie des Gewahrsams zur Durchsetzung eines Platzverweises mit der EMRK aus. 450 Diese Verpflichtungen - sich auszuweisen oder einen bestimmten Ort gegebenenfalls zu verlassen - dienen in Deutschland nämlich nicht einer allgemeinen Gehorsamsverpflichtung, sondern einer übergeordneten konkreten Gefahrenabwehr. Es bestehen in der deutschen Rechtslandschaft konkrete Verpflichtungen, sich auf Aufforderung durch die zuständigen Stellen auszuweisen451 sowie Plätze 452 zu räumen. Diese gesetzlich geregelte Pflichten, die aus den Grundfesten des gesellschaftlichen Zusammenlebens resultieren, sind notwendig, da die Rechte aus dem Eigentum, dem Hausrecht, etc. in irgendeiner Form auch durchgesetzt werden müssen. Die gesetzlichen Grundlagen hierfür basieren ebenfalls nicht auf allgemeinen Generalklauseln, sondern auf konkreten Gesetzen und Normen. Daher sind Freiheitsentziehungen zur Feststellung der Identität und zur Durchsetzung einer Platzverweisung von Art. 5 lit. b EMRK umfaßt, da es sich um spezifische gesetzliche Verpflichtungen im Sinne dieser Vorschrift handelt.
b) Art. 5 I lit. d, lit. e und lit. f EMRK Weitere Eingriffsermächtigungen sehen Art. 5 I lit. d - f EMRK vor, wobei diese Liste der Eingriffsvorbehalte, wie schon gesagt, abschließend ist. Dabei ist zunächst in Art. 5 lit. d EMRK von Freiheitsentziehungen die Rede, die bei Minderjährigen zum Zwecke einer überwachten Erziehung oder einer Vorführung vor eine Behörde angeordnet wurde. 453 Diese Vorschrift ist die völkerrechtliche Absicherung der bereits betrachteten Gewahrsamsvariante von Minderjährigen, die sich der Obhut des Erziehungsberechtigten entzogen haben. In Art. 5 lit. e EMRK wird von Menschen mit ansteckenden Krankheiten, Geisteskranken, Alkoholikern, Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern gespro448 Beispiele aus den letzten Jahren: Freiheitsentziehungen zwecks der Verpflichtung, Wehrdienst zu leisten oder der Verpflichtung, eine Identitätsfeststellung zuzulassen. 449 Eine Haft zur Feststellung der Personalien wurde von der Kommission in einer neueren Entscheidung aus dem Jahre 1992 mittlerweile für rechtmäßig angesehen; K O M E 16810/90 in DR 73 S. 126 (Fall Reyntiens). 450 SächsVGH, aaO S. 35; a.A. beim Platzverweis ist Waechter in NdsVBl. 1996 S. 197 f f , 203, da sonst die Enumeration der Vorschrift keinen Sinn machen würde. 451 Das resultiert bereits aus dem Gesetz über Personalausweise, nach dem jeder Deutsche über 16 Jahren einen Ausweispapier besitzen muß, um sich ausweisen zu können sowie den Meldegesetzen. 452 Das folgt aus dem Eigentumsgrundrecht und dem Grundgedanken der Gefahrenabwehr. 453 Vergi, auch Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 84-86.
X. Die Europäischen Menschenrechtskonventionen (EMRK)
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chen. 454 Solche Eingriffsermächtigungen sind in deutschen Gesetzen, dort im Bundes-Seuchengesetz und den Unterbringungsgesetzen, geregelt. Letztlich spricht Art. 5 lit. f EMRK von Personen, denen die Einreise in ein Land verwehrt werden soll bzw. die ausgewiesen werden sollen. 455 Diese Fälle sind in Deutschland im Ausländer- und Asylverfahrensgesetz geregelt.
6. Übereinstimmung der einzelnen Gewahrsamstypen mit den Grundsätzen des Art. 5 EMRK Die vorgenannten deutschen Gewahrsamsermächtigungen stehen aus den dargelegten Gründen nicht im Widerspruch zur EMRK und sind daher aus diesem Blickwinkel rechtlich nicht zu beanstanden. Ohne eine nähere Prüfung dieser Eingriffsvoraussetzungen für eine Freiheitsentziehung erscheint es, daß die EMRK einen weitergehenden Eingriffskatalog zur Verfügung stellt, als diese Optionen von den deutschen Polizeigesetzen ausgenutzt wurde. In diesem Zusammenhang sei nur auf die dortige Möglichkeit der Freiheitsentziehung in Art. 5 lit. e EMRK bei Landstreichern verwiesen, die hierzulande beim Verbringungsgewahrsam große Schwierigkeiten bereitet hat, da das Landstreichen nach hiesigem Recht, jedenfalls ohne Hinzukommen des Kriteriums einer Gefahr, kein Gewahrsamsgrund sein kann. Bereits dadurch läßt sich feststellen, daß die deutschen Gesetze die Grundaussagen der EMRK, Freiheit und Sicherheit, teilweise überberücksichtigt haben. Eine Wortlautauslegung der EMRKVorschrifiten, wie beim Unterbindungsgewahrsam in Bezug auf Ordnungswidrigkeiten teilweise von Kritikern gefordert wurde, erscheint daher als ein etwas überstrapazierter Standpunkt, um hiesigen Meinungsströmungen mit völkerrechtlichen Argumenten begegnen zu können oder um überhaupt ein Argument dagegen in der Hand zu haben.
7. Art. 9 - Art. 11 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (CCPR) Neben Art. 5 EMRK schützt auch Art. 9 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte 456 (CCPR) die persönliche Freiheit und ist auf den polizeirechtlichen Gewahrsam anzuwenden. Dieser Pakt ist von der Bundesrepublik Deutschland am 19. Dezember 1966 ratifiziert worden, und ihm kommt als völkerrechtliches Regelwerk dieselbe Bedeutung im innerdeut454
Vergi, auch Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 87-95. Vergi, auch Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 97-100. 456 Vergi. BGBl. II 1973 S. 1534 ff. Der Wortlaut der Art. 9-11 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte (CCPR) ist im Anhang abgedruckt. 455
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Zweiter Teil: Darstellung der einzelnen Gewahrsamsformen
sehen Rechtsgefiige zu wie der EMRK. Der Inhalt des Art. 9 CCPR entspricht, abgesehen von der detaillierten Aufspaltung der Eingriffsmöglichkeiten des Art. 5 I S. 2 lit. a - f EMRK, im wesentlichen dem des Art. 5 EMRK. 4 5 7 Von daher ergeben sich auch aus dem Blickwinkel dieses Vertragswerkes keine gegenteiligen Ergebnisse für den Polizeigewahrsam, da sich die Schutzrichtung beider Regelwerke deckt. Lediglich Art. 11 CCPR spricht davon, daß niemand nur deswegen in Haft genommen werden darf, weil er nicht in der Lage ist, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen (Schuldhaft). Da hiermit allerdings zivilrechtliche Verpflichtungen gemeint sind, ist diese Vorschrift für das Polizeirecht nicht von Relevanz. Einzig Art. 10 I CCPR unterscheidet sich von der EMRK, in dem er die menschenwürdige Behandlung aller von Freiheitsentziehungen betroffenen Personen regelt. 458 Nachfolgend wird daher nur noch wegen der Regelungen des Art. 10 CCPR (später im Kapitel X I I bei der Art und Weise der Behandlung festgehaltener Personen) und einer Besonderheit in Art. 9 II CCPR (bei der Bekanntgabe des Grundes der Festnahme, ebenfalls im Kapitel XII) auf den Pakt über bürgerliche und politische Rechte erneut zurückzukommen sein. Ansonsten erfolgt hinsichtlich der CCPR jeweils nur noch ein kurzer Vermerk in den Fußnoten an den entsprechenden Stellen.
457 Vergi. Nowak, Art. 9 CCPR Rn. 10 ff. Im wesentlichen diente Art. 5 EMRK als Vorlage für die Regelung des Art. 9 CCPR. Da sich jedoch bald herausstellte, daß sich die verschiedenen Vertragsstaaten kaum auf einen vergleichbaren erschöpfenden Positivkatalog werden einigen können, hatte man die generelle Lösung des Art. 9 I S. 2 CCPR vorgezogen, daß niemand willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden dürfe. Letztendlich sollte sich der Schutzumfang beider Regelwerke jedoch weitestgehend gleichen. Hinsichtlich der konkreten Anwendbarkeit des Art. 9 CCPR auf den Polizeigewahrsam vergi. aaO, Art. 9 CCPR Rn. 17 ff., 37 ff. 458 Vergi. Nowak Art. 9 CCPR Rn. 5; Art. 10 CCPR Rn. 8. Die Vorschrift des Art. 10 II CCPR richtet sich dann aber wieder ausschließlich an Verwahrungs- (Polizeigewahrsam) und Untersuchungshäftlinge.
Dritter Teil
Gerichtliche Überprüfung der Freiheitsentziehung, Behandlung im Gewahrsam, Dauer des Gewahrsams XI. Gerichtliche Überprüfung gem. Art. 104 I I S. 1 und S. 2 GG /. Richtervorbehalt 1 und grundgesetzliche des Art 104IIGG
Vorgaben
Art. 104 II S. 1 GG verlangt eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer bei einer Freiheitsentziehung. Im Kapitel I I wurde bereits dargelegt, daß der Polizeigewahrsam stets eine Freiheitsentziehung und nicht nur eine bloße Freiheitsbeschränkung darstellt; somit ist im Grundsatz 2 gem. Art. 104 II GG eine richterliche Überprüfung zwingend vorgeschrieben. Bei einer Freiheitsbeschränkung allein ist sie im Umkehrschluß verfassungsrechtlich nicht erforderlich. Der Ursprung der Verfassungsvorschrift des Art. 104 II S. 1 GG beruht auf dem englischen Habeas Corpus-Act von 1679, der es verbot, einen englischen Untertanen ohne gerichtliche Untersuchung in Haft zu halten.3 Art. 104 II GG stellt dabei allerdings kein eigenständiges Individualgrundrecht dar, sondern erhält seine Bedeutung nur im Zusammenspiel mit Art. 2 II S. 2 GG, dem Grundrecht der Freiheit der Person.
1 Vergi, dazu Gusy in NJW 1992 S. 457 ff., (461 ff.); ebenfalls Lisken in NJW 1982 S. 1268 f. 2 Vergi, dazu den nachfolgenden Meinungsstreit. 3 Vergi, dazu Riedel in EuGRZ 1980 S. 192 ff.: „Die Habeas Corpus-Akte - 300 Jahre Tradition und Praxis einer britischen Freiheitsgarantie" mit einer geschichtlichen Aufarbeitung dieses Verfassungsgrundsatzes. Unter dem „Habeas Corpus" (du mögest einen Körper haben) verbirgt sich ein Gerichtsbefehl an einen Gefängnisdirektor, einen in seinem Gefängnis einsitzenden Häftling zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haft dem Gericht vorzuführen.
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
2. Durch die EMRK vorgegebene Mindeststandards für das gerichtliche Verfahren Die europäische Menschenrechtskonvention hat in Art. 5 in den Abs. II, III, IV EMRK Mindeststandards für die richterliche Überprüfung und die Behandlung der betroffenen Personen während der Festnahme aufgestellt. Dabei geht es in Art. 5 I I EMRK 4 um eine Unterrichtung des Betroffenen hinsichtlich der Gründe und Motive seiner Festnahme, in Art. 5 III EMRK 5 i.V.m. Abs. I lit. c um eine unverzügliche richterliche Überprüfung seiner Festnahme und in Art. 5 IV EMRK 6 um das garantierte Recht auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haft durch ein Gericht. Im Kapitel X wurde daraufhingewiesen, daß es sich bei diesen EMRK-Vorschriften um völkerrechtliche Vorgaben handelt, die von den einzelnen Landesgesetzen zwingend zu berücksichtigen sind, da sie quasi im Range von Bundesrecht stehen und Bundesrecht daher nicht widersprechen dürfen. 7 Die Berücksichtigung der EMRK durch die Länder ist allerdings bei einer Betrachtung der alten Regelung des § 15 PreußPVG 8 von 1931, also zeitlich vor Grundgesetz und EMRK, sofort ersichtlich. Dort war von Mitteilung des Grundes der Festnahme, unverzüglicher richterlicher Überprüfung sowie Unterrichtung von nahestehenden Personen noch keine Rede.
3. Die Regelungen der einzelnen Bundesländer Nahezu alle Bundesländer weisen in ihren jeweiligen Landespolizeigesetzen eigenständige Vorschriften zur Durchführung dieser gerichtlichen Überprüfung bei einer Ingewahrsamnahme auf. 9 Lediglich die Länder Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein verzichten darauf, eine Regelung beim Polizeigewahrsam selbst festzuschreiben und verweisen auf Sammelvorschriften. 10
4 Vergi, dazu Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 102; nahezu inhaltsgleich vergi, auch: Art. 9 I I CCPR; eine interessante Besonderheit ergibt sich aber später noch in Kapitel X I I wegen des fehlenden Wortlautes der „verständlichen Sprache" in Art. 9 II CCPR. 5 Vergi, dazu Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 111 ff.; nahezu inhaltsgleich vergi, auch: Art. 9 III CCPR. 6 Vergi, dazu Frowein Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 133 ff.; nahezu inhaltsgleich vergi, auch: Art. 9 IV CCPR. 7 Vergi, auch Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 312. 8 Der Wortlaut der Vorschrift ist im Anhang abgedruckt. 9 Art. 18 BayPAG; § 28 III-V Ba-WüPolG; § 16 BremPolG; § 18 BbGPolG; § 31 BlnASOG; § 13 a HamSOG; § 33 HessSOG; § 19 NGefAG; § 36 NWPolG; § 15 RhPfPOG; § 22 V I I - V I I I SächsPolG; § 14 SPolG; § 38 SOG LSA; § 20 ThürPAG. 10 Verweisungsregelungen in §§ 56 II, 29 IV SOG M - V ; §§ 204 VI, 181 IV SchlHLVwG.
XI. Gerichtliche Überprüfung gem. Art. 104 I I S. 1 und 2 GG
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Selbst wenn es gar keine Regelung in diesen beiden Gesetzen hierzu geben würde, bedürfte es einer ausdrücklichen Normierung nicht, da die richterliche Überprüfung, wie gesehen, ohnehin grundgesetzlich durch Art. 104 II GG und völkerrechtlich durch Art. 5 III EMRK vorgegeben ist und die Geltung dieser, in der Gesetzeshierarchie vorgehenden, Gesetze das Landesrecht überlagert, somit in diesem Fall auch eine fehlende landesrechtliche Regelung ersetzen würde. Die Inhalte dieser Länderregelungen sind im einzelnen etwas unterschiedlich. Der Kontext geht allerdings dahin, daß die Polizeibehörden die richterliche Entscheidung nach der Ingewahrsamnahme unverzüglich nachzuholen haben, eine solche Richterentscheidung jedoch dann nicht herbeigeführt werden braucht, wenn absehbar ist, daß sie erst nach Wegfall des Grundes für den Gewahrsam ergehen würde. Weiterhin wird die Zuständigkeit der Amtsgerichte und die Art und Weise des Verfahrens festgelegt. Einige Ländergesetze haben noch zusätzliche Details geregelt. So bestimmen Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und Niedersachsen die Rechtsbehelfsinstanzen, Baden-Württemberg zusätzlich spezielle Regeln hinsichtlich der Gerichtskosten.
4. Zuständigkeit der Amtsgerichte a) Sachliche Zuständigkeit Nach den Polizeigesetzen sind für die gerichtliche Überprüfung die Amtsgerichte zuständig. Gemäß der Natur der hier vorliegenden Rechtsfragen wäre nach allen Abgrenzungstheorien eigentlich der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 VwGO gegeben, da es sich insoweit um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt. 11 § 40 I S. 2 VwGO gestattet jedoch, öffentlichrechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts 12 durch Landesgesetz anderen Gerichten zuzuweisen.13 Von dieser Möglichkeit
11 Berner/Köhler, Art. 18 BayPAG Rn. 8 und 9; vergi, hierzu auch Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 26; Meixner, § 33 HSOG Rn. 9; Mussmann, AllgPolR Ba-Wü Rn. 210; Samper/Honnacker, Art. 17 BayPAG Rn. 5; Reichert/Ruder, Rn. 577. Nach dem BayVGH in BayVBl. 1989 S. 244 ff. unterfallen auch Maßnahmen, die in engem sachlichen Zusammenhang mit der Freiheitsentziehung stehen und freiheitsbeschränkenden Charakter haben, dieser Zuweisung. 12 Die Polizeigesetze sind wegen der Ländergesetzgebungskompetenz Landesgesetze (vergi. Kapitel I). 13 Vergi, auch Kopp, § 40 VwGO Rn. 48 ff., 49; dazu auch BVerfGE 83 S. 24 ff. insbesondere 30 f.
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
haben die Landesgesetzgeber Gebrauch gemacht.14 Art. 104 I I GG spricht ebenfalls generell nur von einer richterlichen Entscheidung. Ob diese von einem ordentlichen Gericht 15 oder einem Verwaltungsgericht ergehen muß, ist dem Grundgesetz nach nicht entscheidend16, da es auf den Richterentscheid an sich ankommt und beide Gerichtszweige, ordentliche Gerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichte, der von der Exekutive unabhängigen Judikative angehören. Diese Zuweisung an die Amtsgerichte hat mehrere praktische Gründe. Sie sind zahlenmäßig am weitesten verbreitet 17, weisen einen richterlichen Bereitschaftsdienst bzw. Notdienst auf und sind gem. § 22 GVG mit Einzelrichtern besetzt. Die Verwaltungsgerichte dagegen sind örtlich konzentriert und gehen in ihrer Regelbesetzung gem. § 5 VwGO von einer Kammerentscheidung 18 aus. Daher bietet die Zuweisung an die Amtsgerichte die Gewähr einer möglichst zügigen Entscheidung über eine Freiheitsentziehung, wie dies auch im Sinne von Art. 104 I I GG gefordert ist. Daneben sind den Amtsgerichten noch weitere Entscheidungen über andere Freiheitsentziehungen, wie z.B. §§ 115 a StPO 19 , 3 FreihEntzG zugewiesen, so daß von einer gewissen Routine und Erfahrung der Amtsrichter bei solchen Rechtsfragen auszugehen ist. Eine Konzentration dieser Aufgaben bei den Amtsgerichten ist dem Zweck des Art. 104 II GG dienlich, da sie im Normalfall eine schnellstmögliche richterliche Entscheidung gewährleistet.
b) Örtliche Zuständigkeit Zuständig sind nach den Polizeigesetzen in der Regel die Amtsgerichte, in 20
deren Bezirk der Betroffene festgehalten wird 14
bzw. die Ingewahrsamnahme
Kritisch dazu Paeffgen in NJ 1996 S. 454 ff., 455, der die Verwaltungsgerichte, besonders bei den für das öffentliche Recht typischen Abwägungsfragen, für kompetenter hält. 15 Der Begriff der ordentlichen Gerichte wird durch das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) in § 12 bestimmt. Danach wird die streitige ordentliche Gerichtsbarkeit durch die Amts-, Land-, Oberlandesgerichte und den Bundesgerichtshof ausgeübt. 16 Vergi. Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 104 Rn. 30; Berner/Köhler, Art. 18 BayPAG Rn. 9. 17 Vergi, auch Reiff/Wöhrle/Wolf, § 22 Ba-WüPolG Rn. 36; Reichert/Ruder, Rn. 577; Samper/Honnacker, Art. 17 BayPAG Rn. 5. 18 Ausnahme: § 6 VwGO bei Sachverhalten ohne besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Art sowie bei Rechtssachen ohne grundsätzliche Bedeutung. Diese Möglichkeit der Übertragung auf Einzelrichter ist allerdings erst 1993 geschaffen worden. 19 Vergi, hierzu auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 115 a StPO Rn. 1. 20 So in allen Bundesländern außer Bremen, dort kann auch der Gerichtsort der Festnahme oder der handelnden Polizeidienststelle einschlägig sein.
XI. Gerichtliche Überprüfung gem. Art. 104 I I S. 1 und 2 GG
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erfolgt ist. Diese Unterscheidung kann dann relevant werden, wenn bei Großveranstaltungen, bei denen viele Personen in Gewahrsam genommen werden, die Kapazitäten einzelner Polizeidienststellen nicht ausreichen und somit auf umliegende Gewahrsamsräumlichkeiten zurückgegriffen werden muß. Der Amtsgerichtsbezirk der Ingewahrsamnahme kann sich daher von dem Bezirk des späteren Vollzugs unterscheiden. Kleinere Bundesländer wie Berlin 1 und Hamburg haben spezielle Amtsgerichte für die richterliche Entscheidung bestimmt. Das Niedersächsische Polizeigesetz22 ermächtigt das Justizministerium, für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte ein Gericht zu bestimmen, wenn dies sachdienlich und zweckmäßig ist. Bayern 3 und neuerdings auch Niedersachsen haben in ihren Regelungen für verschiedene Situationen verschiedene Zuständigkeiten bestimmt. So ist für die gerichtliche Überprüfung während der Inhaftierung gem. Art. 18 I I I BayPAG bzw. § 19 III NGefAG das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Freiheitsentziehung vollzogen wird. Für die nachträgliche Überprüfung ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Betroffene in Gewahrsam genommen wurde. Hier können - je nach Zeitpunkt des Richterentscheids - zwei verschiedene Gerichtsstände entstehen. Teilweise wurde in diesen Fällen die Gefahr einer Verletzung des Art. 1011 GG, des Rechts auf den gesetzlichen Richter, gesehen, da es insoweit der Willkür der Polizei überlassen sei, in welchem Amtsgerichtsbezirk der Gewahrsam vollzogen wird. Es könnten sich dann Situationen ergeben, in denen vergleichbare Sachverhalte bei verschiedenen Amtsgerichten unterschiedlich beurteilt werden könnten und somit Manipulationsmöglichkeiten seitens der Polizei entstehen. Diese Bedenken sind allerdings nicht begründet, da die bloße Möglichkeit der Manipulation 24 nicht für einen Verfassungsverstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 1011 GG ausreichen kann, weil die Intention dieser Polizeirechtsnormen der Verpflichtung des Art. 104 II GG nachkommen will und das Verfahren zugunsten der Betroffenen insgesamt beschleunigen soll. 25 Von einem Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen
21 Amtsgericht Tiergarten; zu den Motiven der Zuweisung siehe Berg/Knape/Kiworr, § 31 BlnASOG S. 345 f. 22 Dort in § 19 I I I S. 3 NGefAG. 23 Zur Rechtslage hinsichtlich der Zuständigkeit der Gerichte nach der Änderung des Polizeiaufgabengesetzes 1989 vergi. BayObLG in BayVBl. 1991 S. 220 f. 24 Bay VGH in BayVBl. 1990 S. 688; a. A. Jahn in DVB1. 1989 S. 1038 f f , 1044, der die bloße Möglichkeit für einen Verstoß ausreichen läßt, da diese schwerer wiege als der Schutz des Betroffenen; so auch Hirsch in ZRP 1989 S. 81 f f , 84, der diese faktische Wahlmöglichkeit für unzulässig hält. 25 Vergi. BayLT-Ds. 11/9078 S. 6; so auch Berner/Köhler, Art. 18 BayPAG Rn. 10; Schmitt Glaeser in BayVBl. 1989 S. 129 ff., 131; so der BayVGH in BayVBl. 1990 S. 645 f f , 688, der der Auffassung ist, daß sich der Gesetzgeber bei der Bestimmung
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
Richter kann man allerdings nur dann sprechen, wenn in einer Situation im voraus nicht ersichtlich ist, welcher Richter, welches Gericht für welche Fälle zuständig sind. Eine solche Unklarheit ist aber in den genannten Fällen nicht gegeben, da jeweils genau bestimmt ist, für welchen Umstand welches Gericht zuständig ist. Speziell bei der bayerischen und der niedersächsischen Regelung stand die Zweckmäßigkeit und Beschleunigung des Verfahrens besonders im Vordergrund. Es ist auch im Hinblick auf die zeitlichen, materiellen und personellen Kapazitäten der Polizei wenig wahrscheinlich, daß bestimmte Personen extra in bestimmte Gerichtsbezirke verbracht werden, weil sich die Polizeibeamten dort eine andere rechtliche Behandlung des Betroffenen versprechen. Aus der stets zu beachtenden Verhältnismäßigkeit der Mittel ist die Ingewahrsamnahme ohnehin immer zuerst am Ort des Geschehens durchzuführen. Erst wenn die dortigen Kapazitäten nicht mehr ausreichen, kann auf weiter entfernt liegende Gewahrsamsörtlichkeiten zurückgegriffen werden. In beiden Fällen ist dann der gesetzliche Richter am Ort der Freiheitsentziehung nach Art. 101 I GG konkret genug bestimmt. Die bayerische und niedersächsische Regelung in Art. 18 III S. 2 BayPAG bzw. § 19 III S. 2 NGefAG steht zu dem oben Gesagten nicht im Widerspruch, da bei einer richterlichen Überprüfung nach erfolgter Freilassung das zeitliche Element der Unverzüglichkeit des Art. 104 II S. 2 GG nicht mehr in dem Maße ins Gewicht fällt. Aus den genannten Gründen sind die Konzentrierungen in Berlin, Hamburg und Niedersachen ebenfalls nicht zu beanstanden, da zum einen im voraus klar ist, welches Gericht zuständig ist, zum anderen eine Konzentration auf bestimmte, möglicherweise größere und stärker besetzte Amtsgerichte das Gebot des Art. 104 II GG, unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, besser gewährleisten kann als eine streng ortsgebundene Zuständigkeitsverteilung. Beide Verfassungsmaßstäbe aus Art. 101 I GG und Art. 104 II GG müssen daher in Wechselwirkung zueinander gesehen werden. Würden allerdings wider Erwarten Personen ohne sachliche Gründe an andere als die naheliegendsten Orte verbracht werden, könnte man an einen Verstoß gegen Art. 101 I GG in diesen Einzelfällen denken. Eine solche Ingewahrsamnahme wäre somit in der Regel rechtswidrig.
c) Instanzielle Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte Hinsichtlich der Beschwerdeinstanzen sind ebenfalls die ordentlichen Gerichte zuständig.26 Dies ergibt sich aus dem Freiheitsentziehungsgesetz
des Gerichtsstandes von Zweckmäßigkeitserwägungen leiten lassen kann, solange diese nicht willkürlich sind. 26 So auch das BVerwG in NJW 1989 S. 1048 f., insbesondere S. 1049.
XI. Gerichtliche Überprüfung gem. Art. 104 II S. 1 und 2 GG
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(FreihEntzG), mit dem Verweis auf das Gesetz der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG), die Beschwerdemöglichkeiten gegen die amtsgerichtlichen Entscheidungen in Form von sofortiger Beschwerde gem. §§ 7 I FreihEntzG i.V.m. 19 II FGG zum Landgericht und sofortiger weiterer Beschwerde gem. §§ 3 S. 2 FreihEntzG i.V.m. 27 I, 28 I, 29 I I FGG zum Oberlandesgericht vorsehen. Die fristgebundene sofortige Beschwerde soll dabei den zeitlich engen Zusammenhang mit der Freiheitsentziehung gewährleisten, da die Einlegungsfrist nach § 22 I FGG zwei Wochen beträgt. Bayern, Berlin und Niedersachsen haben die Möglichkeit einer sofortigen weiteren Beschwerde von der Zulassung durch das Landgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung abhängig gemacht.
5. Verfahrensvorgaben In Art. 104 II GG sind keinerlei Anforderungen 27 an die Art und Weise des gerichtlichen Verfahrens gestellt.28 Es ist in Art. 104 II S. 4 GG lediglich bestimmt, daß „das Nähere gesetzlich zu regeln" sei. Daraufhin wurde 1956 das Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FreihEntzG) verabschiedet, das in § 3 S. 2 hinsichtlich des Verfahrens auf die Vorschriften des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) von 1898 verweist. Insoweit verweisen auch die Landesgesetze in ihren Vorschriften teilweise auf das FreihEntzG oder auf das FGG selbst. Zu beanstanden ist eine solche Vorgehensweise nicht, da Art. 104 II GG nicht vorschreibt, daß eine detaillierte Verfahrensregelung in den Polizeigesetzen selbst niedergelegt sein muß. 29 Die EMRK regelt in Art. 5 selbst auch keine Verfahrenserfordernisse, setzt aber voraus, daß das Verfahren dem Betroffenen die Garantien bieten muß, die der Art und Weise der Freiheitsentziehung angemessen sind. 30 Dazu gehört vor allem gem. Art. 6 EMRK die Möglichkeit, selbst oder durch einen Anwalt Stellung vor einem Gericht zu beziehen, also rechtliches Gehör zu erhalten, wie 27
Vergi. Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 104 Rn. 31 mit dem Hinweis, daß dieses Verfahren auch vor den Verwaltungsgerichten gilt. 28 Vergi, hierzu aber die Leitsätze BVerfGE 83 S. 24: Leitsatz 1: „Das gerichtliche Verfahren ... muß darauf angelegt sein, ... alle diejenigen rechtsstaatlichen Sicherungen zu gewähren, die mit einem justizförmigen Verfahren verbunden sind. Die Eilbedürftigkeit einer solchen Entscheidung kann eine Vereinfachung und Verkürzung des gerichtlichen Verfahrens rechtfertigen, darf aber die unabhängige, aufgrund der Justizförmigkeit des Verfahrens besonders verläßliche Entscheidungsfindung nicht gefährden." Leitsatz 2: „Art. 103 I GG gewährt einen Anspruch auf Gehör gerade vor dem Gericht. Ein Dritter kann Gehör nur vermitteln ..." 29 So auch BVerfGE 83 S. 24 ff., 31 \ Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 321. 30 BVerfGE 83 S. 24 ff., 32.
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
dies auch Art. 103 I GG vorsieht. Der Umfang der gerichtlichen Überprüfung darf sich nicht nur auf Form- und Verfahrensfragen beschränken, sondern muß alle Voraussetzungen enthalten, die für eine Freiheitsentziehung wesentlich sind. 31 Daraus ergibt sich, daß das gerichtliche Verfahren bei der Überprüfung einer Freiheitsentziehung in jedem Falle die absoluten verfassungsrechtlichen Grundlagen beinhalten muß. Bei dem FreihEntzG ist anzumerken, daß dieses Gesetz für alle Arten von Freiheitsentziehungen gilt, auch für die Unterbringung von psychisch kranken Menschen. Naturgemäß sind daher einige Verfahrensweisen, wie die Anhörung von Angehörigen oder Dritten gem. § 5 II, I I I FreihEntzG, für den Polizeigewahrsam von untergeordneter Bedeutung, da sie in der Praxis und auch aufgrund der angestrebten Kurzfristigkeit der Maßnahme wenig sinnvoll und praktikabel sind. Eine Entscheidung des Amtsgerichts ergeht gem. § 3 FreihEntzG nur auf Antrag der Verwaltungsbehörde, also der Polizeibehörde. Hierbei ist immer eine konkrete und individuelle Entscheidung zu treffen, bei der der Betroffene grundsätzlich mündlich gem. § 5 I FreihEntzG zu hören ist. 32 Dies ist ein Ausfluß von Art. 103 I GG, dem Grundrecht auf rechtliches Gehör vor Gericht. Wenn der Betroffene es wünscht, ist nach § 13 FGG möglicherweise auch ein Anwalt hinzuzuziehen. Über § 12 FGG gilt im FGG-Verfahren der Amtsermittlungsgrundsatz 33, demzufolge hat der Richter den Sachverhalt von Amts wegen zu ergründen. Den Amtsgerichten kommt in allen Fällen keine Überprüfungskompetenz in strafrechtlicher Hinsicht zu, da sie sich nur mit der aktuellen Freiheitsentziehung und nicht mit möglichen strafprozessualen und strafrechtlichen Konsequenzen zu befassen haben.34 Das Verfahren vor dem Amtsgericht ist gem. §§3 FreihEntzG, 8 FGG, 169 ff. GVG nicht öffentlich.
31 Vergi. Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 148 mit weiteren Nachweisen; zu den Anforderungen an ein solches Verfahren vergi, auch HessVGH in NJW 1984 S. 822. 32 Dies ergibt sich bereits aus Art. 103 I GG, dem Grundrecht auf rechtliches Gehör (vergi, auch BVerfGE 83 S. 24 (35)). Dabei ist auf den Zustand des Betroffenen zu achten; ist er nicht in der Lage, einem Verhör zu folgen, hat sich der Richter den Betroffenen zumindest anzuschauen (BVerfGE 58 S. 208 (223)). Er darf erst recht nicht anstatt des Betroffenen die Polizeibeamten vernehmen, die ihn festgenommen haben. Sinn und Zweck dieser Vorgehensweise ist natürlich, daß sich der Richter persönlich sein eigenes, umfassendes Bild der Umstände, die zu einer Freiheitsentziehung führen sollen, macht, da er diese dann auch zu verantworten hat. Zum rechtlichen Gehör vergi, auch Koschwitz, Diss. Göttingen S. 110 ff. und Gusy in NJW 1992 S. 462. 33 Vergi, hierzu BVerfGE 83 S. 24 (32); eine schlichte Plausibilitätsprüfung der von der Polizei vorgetragenen Gründe kann daher nicht ausreichen (S. 33). Der Richter hat vielmehr selbst die Gründe zu erforschen, zu entscheiden und die Verantwortung für die Freiheitsentziehung zu übernehmen. 34 Vergi. Berner/Köhler, Art. 18 BayPAG Rn. 11.
XI. Gerichtliche Überprüfung gem. Art. 104 II S. 1 und 2 GG
6. Problematik der „ Unverzüglichkeit
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a) Grundsatz der vorherigen richterlichen Anordnung bei Freiheitsentziehungen Grundsätzlich ist eine richterliche Entscheidung über eine Freiheitsentziehung vor der Maßnahme zu treffen. 35 Das ergibt sich bereits aus dem Umkehrschluß des zweiten Satzes des Art. 104 II GG, da eine „Anordnung", wie der Wortlaut der Vorschrift besagt, naturgemäß nur im voraus erfolgen kann. Nur wenn dies aus den tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, ist die richterliche Entscheidung sodann unverzüglich nachzuholen. 36 In der polizeilichen Praxis wird es allerdings selten dazu kommen, daß bereits im voraus diese richterliche Entscheidung eingeholt werden kann, weil es sich bei der Gefahrenabwehr in der Regel um kurzfristige, nicht absehbare Maßnahmen handeln wird. Art. 104 GG gilt jedoch für alle Arten von Freiheitsentziehungen aufgrund verschiedener Gesetze. Gerade im Hinblick auf Unterbringungen sowie in strafprozessualen Verfahren kann dort in den meisten Fällen eine vorherige Anordnung erfolgen, da sich die Notwendigkeit der Maßnahme schon frühzeitig abzeichnet. Im Polizeirecht jedoch ist die nachträgliche, unverzügliche Entscheidung aus der Natur der Sache der Hauptanwendungsfall 37, da die Eilkompetenz der Exekutive faktisch zur Regel geworden ist. 38 Nach der Schilderung der Umstände, speziell beim Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam, wird dies besonders anschaulich, da den Polizeibeamten bei der täglichen Arbeit die Hände gebunden wären, wären sie auf eine vorherige Anordnung angewiesen. Das spätere Herbeiführen 39 der unverzüglichen Entscheidung nach der Festnahme ist folglich eine Amtspflicht; ein entsprechender Antrag des Betroffenen ist daher nicht erforderlich. 40
35
Vergi, hierzu Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 104 GG Rn. 23; Leibholz/Rinck/Hesselberger, Art. 104 GG Rn. 231 ff.; auch Gusy in NJW 1992 S. 457 f f , 462; Koschwitz, Diss Göttingen S. 132. 36 Der Beginn des Zeitraumes, innerhalb dessen diese unverzügliche Entscheidung einzuholen ist, beginnt bereits mit der Freiheitsentziehung (Festnahme) und nicht erst mit dem Einsperren in eine Gewahrsamszelle; vergi, auch Gusy in NJW 1992 S. 462. 37 So auch Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 313. 38 So auch Lisken in ZRP 1981 S. 236. 39 Ein Herbeiführen dieser Entscheidung ist dann abgeschlossen, wenn die Entscheidung ergangen ist, nicht dagegen bei einem Anhängigmachen oder einer Bitte um Entscheidung; vergi, hierzu Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 34; a.A. Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 19. 40 Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 314; Berner/Köhler, Art. 18 BayPAG Rn. 3.
174
Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
b) Zeitliche Eingrenzung des Begriffs der „Unverzüglichkeit" aa) Keine Vergleichbarkeit mit der „ Unverzüglichkeit" des § 1211 BGB möglich Der Rechtsbegriff der „Unverzüglichkeit" bereitete bislang vielfach große Schwierigkeiten, da sich in seiner zeitlichen Unbestimmtheit die Frage nach vertretbaren Obergrenzen auftat. § 121 I BGB bietet eine dementsprechende Regelung, nach welcher „Unverzüglichkeit" einem Handeln „ohne schuldhaftes Zögern" gleichgesetzt wird. Die Regelungsabsicht der beiden Vorschriften in § 121 I BGB und Art. 104 II S. 2 GG ist jedoch völlig verschieden und kann daher nicht gleichgesetzt werden. 41 Die Handlungsweise eines Privatrechtsindividuums, das mit der Anfechtung eines Rechtsgeschäfts seine eigenen Interessen verfolgt, ist mit der Komplexität staatlichen Handelns und der damit verbundenen Verknüpfung verschiedener staatlicher Stellen in zeitlicher Hinsicht nicht vergleichbar. Im Zivilrecht geht es in § 121 I BGB um eine Ausschlußfrist, innerhalb deren ein Recht geltend gemacht werden kann, im Verfassungsrecht bei Art. 104 II GG um die Entziehung der Bewegungsfreiheit eines Menschen, die ein detailliertes Kontrollverfahren nach sich zieht. Bei § 121 I BGB muß eine Privatperson lediglich eine Willenserklärung abgeben, während sich Art. 104 II S. 2 als ein Zusammenspiel dreier Parteien darstellt, dem Störer, der Polizei als Exekutive und dem Amtsgericht als Judikative. Aus der grundsätzlichen Verschiedenheit der Zielrichtung beider Vorschriften verbietet sich daher eine analoge Anwendung des § 121 I BGB zur zeitlichen Eingrenzung des Begriffs der „Unverzüglichkeit" in Art. 104 I I GG.
bb) Keine Anhaltspunkte aus Art. 5 III EMRK für deutsche Verhältnisse Art. 5 III i.V.m. Art. 5 I lit. c EMRK bestimmen fur die Fälle des Unterbindungsgewahrsams ebenfalls die unverzügliche Vorführung, ohne daß dabei zeitliche Rahmen abgesteckt werden. Diese Vorschrift soll daher den Mitgliedsstaaten in gewissem engen Rahmen einen Ermessensspielraum zur Verfügung stellen, da diese Fristen in den Vertragsstaaten sowohl aufgrund der gesetzlichen als auch der tatsächlichen Umstände variieren können. 42 Allerdings sind in diesem Zusammenhang bereits einige Entscheidungen gefallen, in de-
41
Vergi, auch Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 104 GG Rn. 38: „ ... da diese Zeitspanne den anders gelagerten Verhältnissen des öffentlichen Rechts nicht gerecht wird." Als Anhaltspunkt müsse daher „ohne jede vermeidbare Säumnis" genommen werden; a.A. Mande lartz/Sauer/Strube, § 14 SPolG Rn. 9; Ebert/Honnacker, § 20 ThürPAG Rn. 1. 42 So Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 111.
XI. Gerichtliche Überprüfung gem. Art. 104 I I S. 1 und 2 GG
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nen von drei bis vier Tagen die Rede war. In einem Fall waren Fristen von vier Tagen und sechs Stunden bzw. sieben Tagen nach der EMRK nicht mehr tolerabel. Auffällig ist, daß bei diesen Entscheidungen von derart langen Zeiträumen gesprochen wird, die in Deutschland - wie nachfolgend noch zu diskutieren sein wird - teilweise als Obergrenze für einen Polizeigewahrsam, selbst nach Richterentscheid, gehandelt wurden. Als Ausfüllung des Begriffs der „Unverzüglichkeit" hierzulande wären sie somit nicht diskutabel. Die EMRK bzw. Entscheidungen aufgrund des Art. 5 I I I EMRK taugen daher ebenfalls nicht als Maßstab für deutsche Verhältnisse. 43
cc) Art. 104 II S. 3 GG konkretisiert
den Satz 2 auf eine überschaubare Größe
Das Grundgesetz gibt gleichsam keinen Aufschluß darüber, in welchem zeitlichen Rahmen eine solche „Unverzüglichkeit" vorliegt. Brandenburg sieht als Konkretisierung dieses Zeitraums in seinem Polizeigesetz44, mit einer Gewahrsamsdauer von max. vier Tagen, vor, daß spätestens innerhalb von 24 Stunden eine „Anhörung" vor dem Richter erfolgen muß. § 115 a StPO spricht bei einer vergleichbaren Situation, der Vorführung eines Beschuldigten vor den Haftrichter, auch von einer „Unverzüglichkeit", die spätestens am Tage nach dem Ergreifen abläuft. 45 Die Rechtsprechung hat sich in den letzten Jahren 46 dahingehend festgelegt, daß eine unverzügliche richterliche Entscheidung dann gegeben ist, „wenn deren Herbeiführung ohne jede Verzögerung vonstatten gehe, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen ließe". 47 Die „4843
Vergi, dazu Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 111 ff.; EGMR 145-B S. 32 Ziffer 58 f.; K O M E 2894/66 in CD 21 S. 69, 70 (Fall Brogan u.a.). Hinsichtlich der CCPR vergi. Nowak, Art. 9 CCPR Rn. 38, der davon ausgeht, daß sowohl die EMRK als auch die CCPR offen lassen, was unter „unverzüglich" zu verstehen ist. 44 Dort in § 18 I S . 1 BbgPolG. 45 Vergi, hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 115 a StPO Rn. 4, wonach diese Vorführung ohne jede vermeidbare Verzögerung zu erfolgen habe, insbesondere dürfe sie nicht zugunsten weiterer polizeilicher Nachforschungen hinausgezögert werden. 46 Zur Rechtslage vor 1970 vergi. Koschwitz, Diss. Göttingen S. 95 ff. Er ging noch davon aus, daß innerhalb der 48-Stunden-Frist überhaupt keine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden müßte (S. 103, 128), wenn auch innerhalb dieser Frist wieder die Freilassung erfolgt. Diese Ansicht ist heute angesichts der wachsenden Sensibilität gegenüber staatlichen Eingriffen nicht mehr vertretbar. 47
So BVerwGE 45 S. 51, 63; Drews/Vogel/Wacke/Martens; § 12 b); Gusy, PolR Rn. 249, nach dessen Ansicht ist damit ein Polizeigewahrsam von mehr als drei Stunden ohne Richterentscheid unzulässig. Reiff/Wöhrle/Wolf § 22 Ba-WüPolG Rn. 33 sprechen von einem Zeitraum von zwei bis drei Stunden. Das OVG Münster in NJW 1980 S. 138 ff. = DVB1. 1979 S. 733 ff. erklärte eine Ingewahrsamnahme für rechtswidrig, da eine richterliche Entscheidung nicht sofort herbeigeführt wurde, obwohl der betreffende Beamte einen längeren Gewahrsam beabsichtigte und der zuständige Richter zu dieser Zeit erreichbar war. Das Gericht geht folglich davon aus, daß ein beabsichtigter Ge-
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
Stunden-Regelung48" des Art. 104 II S. 3 GG konkretisiert den Satz 2 des Grundrechtsartikels hinsichtlich der „Unverzüglichkeit" auf einen absehbaren Zeitrahmen, der den Bedürfnissen des Betroffenen ausreichend gerecht wird.
dd) Kein amtsgerichtlicher Dauerdienst erforderlich - allgemeine Dienststunden - Bereitschaftsdienst an Sonn- und Feiertagen Sachliche Gründe für eine solche Verzögerung können sowohl im Verhalten der Polizei 49 als auch des Festgenommenen50 liegen oder durch die Organisation der Justiz 51 bedingt sein. Was die Justiz betrifft, sind in der letzten Zeit verschiedene Entscheidungen ergangen, die besagen, daß jedenfalls kein richterlicher Dauerdienst an den Amtsgerichten eingeführt werden muß, um möglichst zu jeder Tages- und Nachtzeit ständig einen Richter verfügbar zu halten. 52 Die Erreichbarkeit des Richters während der allgemeinen Dienststunden sei daher ausreichend; ein weitergehender Dauerdienst ließe sich auch nicht aus Art. 104 II GG herausinterpretieren. 53 Die richterliche Entscheidung kann nachgeholt werden, sobald das Gericht innerhalb der der Polizei eingeräumten Frist des Art. 104 II S. 3 GG dienstbereit ist. 54 Hiergegen sind jedoch Einwände erhoben worden, weil bei einer solchen Auslegung dann die Reichweite des Art. 104 II GG von den jeweiligen Dienstwahrsam von mehr als zwei bis drei Stunden rechtswidrig ist, wenn kein Richterentscheid herbeigeführt wird (dort auch mit weiteren Nachweisen); sich anschließend Reichert/Ruder, Rn. 576. 48 Gemeint ist damit der übliche Fristablauf hinsichtlich des eigentlichen Polizeigewahrsams bis zum Ablauf des auf die Ingewahrsamnahme folgenden Tages. 49 Beispielsweise aufwendige Transporte oder Vernehmungen durch die Polizei; nicht aber verwaltungsinterne Unzulänglichkeiten oder Unfähigkeit einzelner Beamter. 50 Dies ist z.B. dann der Fall, wenn der Festgenommene durch sein eigenes Verhalten das Verfahren verzögert, das eigentlich seinem Schutz dient. 51 In einer neueren Entscheidung VG Frankfurt „Hütchenspielerentscheidung" in N V w Z 1994 S. 720 ff., 724. In dieser Entscheidung weist das Gericht daraufhin, daß es in Frankfurt außer dem Wochenenddienst keinen amtsgerichtlichen Bereitschaftsdienst gibt; daher reiche eine sofortige Vorführung vor den Richter während der darauffolgenden Dienststunden im Hinblick auf eine „Unverzüglichkeit" aus. Anders könnte dies aber nach Ansicht des Gerichts aussehen, wenn sich derartige Gewahrsamsfälle zu später Stunde häufen, weil die Polizei sicher ist, zu dieser Zeit keinen Richter mehr anzutreffen und dies bewußt miteinkalkuliert (S. 724). 52
So auch Koschwitz, Diss Göttingen S. 117, der jedoch von Seiten der Polizei argumentiert, die ebenfalls nicht immer sofort, im Sinne von unverzüglich, reagieren kann. Vergi, auch Listen in ZRP 1980 S. 148 im Hinblick auf einen möglichen Verzicht auf eine nachträgliche richterliche Überprüfung. 53 BVerwGE 45 S. 51, 63 f.; Meixner, § 33 HSOG Rn. 4; im Ergebnis so auch Berg/Knape/Kiworr, § 31 Bin ASOG S. 345. 54 Berner/Köhler, Art. 18 BayPAG Rn. 3.
XI. Gerichtliche Überprüfung gem. Art. 104 II S. 1 und 2 GG
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zeiten der Amtsrichter und von deren zufalliger Erreichbarkeit abhinge.55 In diesem Zusammenhang wurde auch an die richterliche Unabhängigkeit hinsichtlich Terminierung und Anwesenheit bei Gericht erinnert. Diesen Einwänden kann allerdings nicht gefolgt werden, da sie dem Grundsatz des Art. 104 II GG nicht gerecht werden und in der Praxis nicht durchführbar sind. Wollte man einen Dauerdienst aus dieser Verfassungsvorschrift herausinterpretieren, müßte an allen Amtsgerichten eine ständige Verfügbarkeit mindestens eines Richters zu jeder Tages- und Nachtzeit gewährleistet sein. Ein solcher Dauerdienst kann allenfalls in Großstädten Sinn machen, da dort die Anzahl der möglichen Fälle entsprechend größer ist. Die Verfassungsvorschrift soll aber nicht den Ausnahmefall regeln, sondern soll ein allerorts mögliches Regelungskonzept aufstellen. Wäre es den Vätern des Grundgesetzes darauf angekommen, die Unverzüglichkeit als Zeitraum von wenigen Stunden zu sehen, hätte man sich bereits damals zu einer konkreteren Regelung entschließen können. Wenn aber mit dem Bundesverwaltungsgericht 56 davon auszugehen ist, daß der Satz 3 des Art. 104 II GG den Zeitrahmen ohnehin auf ein überschaubares Maß einengt, muß zusätzlich noch Spielraum für jeweilige landesspezifische und organisatorische Regelungen sein. Da es stärker und schwächer strukturierte Landstriche gibt, würde bei letzteren ein Dauerdienst zu einem unverhältnismäßigen Aufwand führen. Man wird sich aber darauf einigen können, daß im gesamten Bundesgebiet zu den allgemeinen Dienststunden die Gerichte besetzt und Richter verfügbar sind. Dieser Zeitraum bildet eine einheitliche Basis für die verbindliche Eingrenzung der „Unverzüglichkeit" aus Art. 104 II S. 2 GG. Zu normalen Dienstzeiten der Gerichte kann ein Zeitraum von zwei bis drei Stunden von dem Zeitpunkt der Freiheitsentziehung bis zur richterlichen Entscheidung als vertretbar angesehen werden. 57 Dabei soll es sich nicht um einen absoluten Fixwert handeln. Auch in diesen Zeiten können durchaus sachliche Gründe, die in der Natur des Falles liegen, Verzögerungen rechtfertigen. Diese Gründe können sich auch zugunsten des Betroffenen auswirken, wenn der Richter sich zunächst ein umfassendes Bild von der Lage machen muß oder z.B. ein Dolmetscher hinzugezogen wird. Im Grunde kann es eigentlich nur am Wochenende oder an Feiertagen zu längeren Wartezeiten kommen. Es ist daher Aufgabe der Justizverwaltungen, in diesen Zeiten eine ausreichende richterliche Verfügbarkeit zu gewährleisten 58; sonst läuft der Staat Gefahr, potentielle
55 So die Kritik bei Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 315; Roos, § 15 Rh-Pf POG Rn. 12. 56 Vergi, oben Fn. 53. 57 Vergi, auch oben Fn. 47. 58 So Gusy, PolR Rn. 249, der jedenfalls einen solchen Notdienst zumindest an Wochenenden für faktisch erforderlich hält.
12 Stoermer
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
Störer freilassen zu müssen, nur weil keine Richter verfugbar sind und die Polizei diese Personen aufgrund der ihr vorgegebenen Höchstfrist des Art. 104 II S. 3 GG nicht länger in Gewahrsam halten kann. Ist die Justizverwaltung allerdings nicht in der Lage, eine solche „unverzügliche richterliche Entscheidung" nach den obigen Kriterien herbeizufuhren, ist der Betroffene zwingend zu entlassen, da ihm nicht die Konsequenzen einer überlasteten oder nicht besetzten Justiz aufgebürdet werden dürfen. 59 Eine vergleichbare Situation gibt es bei der Untersuchungshaft, bei der gem. § 121 I StPO über sechs Monate hinaus nur eine weitergehende Haft möglich ist, wenn ein Urteil in dieser Zeit aufgrund der besonderen Schwierigkeiten des Falles nicht ergehen konnte, jedoch nicht wegen Überlastung der Gerichte. 60 Auch in diesem Fall dürfen organisatorische Mängel nicht zu Lasten des Beschuldigten gehen. Zusammenfassend kann somit festgestellt werden, daß im Grunde während der Woche und an Sonn- und Feiertagen zumindest tagsüber Richter verfugbar sein müssen, um die Garantien des Art. 104 I I GG zu gewährleisen. Darüberhinaus ist kein weitergehender Dauerdienst erforderlich, um dem Betroffenen garantieren zu können, sofort nach der Festnahme dem Richter vorgeführt zu werden. Wartezeiten im Rahmen weniger Stunden sind in solchen Fällen vertretbar und widersprechen den Verfassungsgrundsätzen nicht.
7. Nachträgliche gerichtliche Überprüfung
oder Rechtsschutz?
a) Es wurde noch keine amtsgerichtliche Überprüfung eingeleitet aa) Entscheidung durch das Amtsgericht Es wurde bisher angenommen, daß mit Entlassung des Betroffenen die Erledigung der Hauptsache eintritt, da die Beschwer, die Freiheitsentziehung, weggefallen ist 61 und deshalb kein Interesse mehr an einer richterlichen Entscheidung besteht.62 Die Polizeigesetze der einzelnen Bundesländer sehen da-
59
Vergi, hierzu auch Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 316. Vergi, hierzu auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 121 StPO Rn. 1 und 22. 61 Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 46 mit weiteren Nachweisen; BayObLG in BayVBl. 1986 S. 666 f., 666; a.A. Berner/Köhler, Art. 18 BayPAG Rn. 11; Niethammer in BayVBl. 1989 S. 450. 62 Nach einem neueren Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juni 1997 (Az. 2 BvR 126/91 - nicht veröffentlicht) ist diese Annahme so nicht mehr uneingeschränkt zutreffend, da das Gericht in diesem Zusammenhang seine bisherige Rechtsprechung aufgibt und nun davon ausgeht, daß im Hinblick auf Art. 19 IV GG „ein Rechtsschutzinteresse auch in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe gegeben ist, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die 60
XI. Gerichtliche Überprüfung gem. Art. 104 II S. 1 und 2 GG
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her allesamt vor, daß eine richterliche Überprüfung dann nicht zu erfolgen hat, wenn anzunehmen ist, daß der Grund der Ingewahrsamnahme vor dieser Überprüfung wieder weggefallen ist, also der Betroffene wieder auf freien Fuß gesetzt worden ist. Das ergibt sich auch aus den Grundsätzen der EMRK. 6 3 Das Absehen von einer gerichtlichen Entscheidung verkürzt dann den Aufenthalt des Festgehaltenen im Gewahrsam, da dieser nicht noch den Richterentscheid abwarten muß. Diese Vorgehensweise ist m.E. auch unbedenklich, da die Freiheitsentziehung nicht künstlich in die Länge gezogen werden darf, weil man glaubt, die Formalie 64 des Richterentscheides noch während der Freiheitsentziehung nachholen zu müssen. Wenn der Betroffene vor einer gerichtlichen Entscheidung freigelassen wurde, stellt sich die Frage, ob erne gerichtliche Überprüfung auch noch im nachhinein zu erfolgen hat oder nicht.
bb) Verzichtbarkeit Meinungsstand
auf eine nachträgliche gerichtliche
Überprüfung?
Die vorherrschende Meinung in der Literatur lehnt eine nachträgliche Überprüfung ab, da diese sich aus dem Wortlaut des Art. 104 II GG nicht herleiten lasse.65 Die Folge einer zwingenden nachträglichen Überprüfung wäre, daß auch in den Fällen, in denen der Betroffene überhaupt kein eigenes Interesse an einem Richterentscheid habe 66 , dieser zwingend erfolgen müsse und die Ge-
gerichtliche Entscheidung ... kaum erlangen kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, daß der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden - wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden - Grundrechtseingriffs (auf eigene Initiative?) gerichtlich klären zu lassen. Tiefgreifende Grundrechtseingriffe kommen vor allem bei Anordnungen in Betracht, ... wie in den Fällen des ... Art. 104 II GG. Zu der Fallgruppe tiefgreifender Grundrechtseingriffe, die ihrer Natur nach häufig vor möglicher gerichtlicher Überprüfung schon wieder beendet sind, gehört auch der vorbeugende richterlich bestätigte Polizeigewahrsam." 63 Vergi. Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 133 mit weiteren Nachweisen in Fn. 308; danach kann bei einer kurzen Freiheitsentziehung eine gerichtliche Überprüfung unterbleiben, wenn sie aufgrund der Kürze der Haftzeit nicht möglich war. 64 So z.B. bei Scholler/Schioer, S. 127. 65 Götz, AllgPol- u. OrdR Rn. 293; Gusy, PolR Rn. 249; ders. in NJW 1992, S. 457 ff., 462; Schenke in Steiner, Rn. 98; Scholler/Schloer, S. 127; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rn. 241, Fn. 160 und 161; Meixner, § 33 HSOG Rn. 6; Hantel, Diss. Berlin S. 181 f.; Koschwitz, Diss. Göttingen S. 138 f.; Reiff/Wöhrle/Wolf § 22 BaWüPolG Rn. 35; Samper/Honnacker, Art. 17 BayPAG Rn. 3; Wolf/Stephan, § 28 BaWüPolG Rn. 36 und 46; Meixner/Martell, § 38 SOG LSA Rn. 8; Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 21; so auch BayObLG in BayVBl. 1986 S. 667 mit dem Hinweis auf die gebotene Schnelligkeit des Verfahrens. 66 So z.B. bei Schenke in Steiner, Rn. 98.
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
richte folglich unnötig hinsichtlich Zeit und Kosten in Anspruch genommen werden würden. Art. 104 I I S. 1 GG spreche nur von einer Entscheidung über die „Zulässigkeit und Fortdauer" der Freiheitsentziehung und nicht von einer Rechtmäßigkeitsprüfung an sich. 67 Aus diesen Umständen könne aus dem Wortlaut des Art. 104 I I GG keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Vorgabe herausgelesen werden, jede beendete Freiheitsentziehung dem Richter vorzulegen. Eine Überleitung zum Individualrechtsschutz müsse nach vorgenannter Ansicht den Rechten des Betroffenen, der immer noch ein Interesse an einer gerichtlichen Überprüfung des Falles hat, in ausreichendem Maße Rechnung tragen. Niedersachsen bestimmte ursprünglich in dem unlängst geänderten § 19 I S. 3 NGefAG, daß bei einem Gewahrsam von nicht länger als acht Stunden keine Überprüfung zu erfolgen braucht. Dauert die Freiheitsentziehung allerdings länger als acht Stunden, muß das Gericht auch dann entscheiden, wenn sich der Betroffene nicht mehr in Gewahrsam befindet. 68 Auch Hamburg hat kürzlich mit dem § 13 a I I S. 3 HamSOG eine neue Regelung verabschiedet, in der festgelegt ist, daß dem Betroffenen das Beschwerdeverfahren vor dem Amtsgericht auch dann zusteht, wenn bei einem bereits beantragten gerichtlichen Verfahren für die Fälle des Unterbindungsgewahrsams und des Gewahrsams zur Durchsetzung einer Platzverweisung die Beschwer vor der Entscheidung fortgefallen ist. Bayern und Berlin haben in Art. 18 I I BayPAG und § 31 II BlnASOG bestimmt, daß die festgehaltene Person innerhalb eines Monats nach der Freilassung die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung beantragen kann, wenn hierfür ein berechtigtes Interesse besteht.69 Zuständig sind auch hier die Amtsgerichte 70 , hinsichtlich der Rechtsmittel gegen diese Entscheidungen die Landgerichte. Niedersachsen griff diese Regelungsart in seinem neuen § 19 I I S. 1 NGefAG auf und bestimmte, daß eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung ebenfalls vom Betroffenen oder bei Minderjährigkeit von dessen gesetzlichem Vertreter beantragt werden kann, wenn die Freiheitsentziehung länger als acht Stunden angedauert hat oder ein sonstiges
67
So z.B. bei Würtenberger/Reckmann/Riggert, Rn. 241 Fn. 161. Anders im Hinblick auf den Begriff „Entscheidung" statt „Anordnung" Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 318. 68 Vergi, dazu Ipsen, NGefAR Rn. 370, der erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 19 I S. 3 NGefAG dahingehend äußert, weil der Landesgesetzgeber in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gem. Art. 74 Nr. 1 GG im Hinblick auf die eigentliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für diese Fälle eingegriffen habe. 69 Zu dem weiteren Verfahren hinsichtlich der Instanzen vergi, auch BayObLG in BayVBl. 1988 S. 541 ff. 70 Nach BayLT-Ds. 11/9078, S. 4 hatte dies der bayerische Gesetzgeber ganz bewußt im Widerspruch zu der damals herrschenden Ansicht sozusagen als Klarstellung so bestimmt, da er der Ansicht war, daß dem Betroffenen der Rechtsschutz nicht gänzlich entzogen werden dürfe (S. 6).
XI. Gerichtliche Überprüfung gem. Art. 104 II S. 1 und 2 GG
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berechtigtes Interesse hierfür besteht. Bayern und Berlin gehen daher grundsätzlich von der Verzichtbarkeit einer gerichtlichen Überprüfung aus. Sie steht dem Betroffenen aber zu, wenn dieser ein berechtigtes Interesse nachweisen kann. Niedersachsen stellt mit seiner Acht-Stunden-Regelung oder dem sonstigen berechtigten Interesse eine vermittelnde Position dar. Weiter wird jedoch in den drei letztgenannten Fällen davon ausgegangen, daß dem Betroffenen, wenn er schon aus dem Gewahrsam entlassen ist und dennoch eine Entscheidung begehrt, es ihm selbst - auf eigene Initiative - zuzumuten ist, einen entsprechenden Antrag bei Gericht zu stellen.71 Die Befürworter einer zwingenden nachträglichen Überprüfung entgegnen, daß eine nachträgliche Überprüfung auch ohne besonderes Feststellungsinteresse des Betroffenen nachgeholt werden 72
müsse. Eine andere Ansicht geht von einer zwingenden Verpflichtung zu einer nachträglichen Überprüfung aus, da Art. 104 II GG eine konstitutive Wirkung habe, also nicht bloß eine Genehmigung oder Bestätigung einer Verwaltungsentscheidung darstelle. 73 cc) Erforderlichkeit
einer nachträglichen richterlichen
Überprüfung
Man könnte annehmen, daß ein Verzicht auf eine richterliche Überprüfung mit der Verweisung auf den Verwaltungsrechtsweg, wie von der überwiegenden Ansicht 74 so gesehen, der Situation genügen könne, jedoch muß dabei beachtet werden, daß unter Rechtsschutz keine Überprüfung von Amts wegen zu verstehen ist, sondern der eigentliche Individualrechtsschutz auf Veranlassung und Kostenrisiko 75 des Betroffenen geht, denn der „Rechtsschutzrichter" wird auf Kosten des Betroffenen, der „Eingriffsrichter" von Amts wegen auf Staats-
71 Berner/Köhler, Art. 18 BayPAG Rn. 7; so auch Koschwitz, Diss. Göttingen S. 138 f.: „Der Betroffene wird sich schon zur Wehr setzen, wenn er der Ansicht ist, daß die Maßnahme rechtswidrig war." 72 So Lisken in ZRP 1981 S. 235 f., 236: „Es geht aber verfassungsrechtlich nicht an, auf die nachträgliche Entscheidung des an sich zuständigen „Eingriffsrichters" zu verzichten und für das Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen noch ein weitergehendes Entscheidungsinteresse zu fordern." Dies hätte seiner Ansicht dann auch zur Folge, daß der Richtervorbehalt des Art. 104 II GG völlig ausgehöhlt werden würde. 73 So die Kritik bei Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 318 mit weiteren Nachweisen. 74 Götz-, AllgPol- u. OrdR Rn. 559; so auch Schenke in Steiner, Rn. 98 mit der Möglichkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage; Mussmann, AllgPolR Ba-Wü Rn. 210; Ρausch/Prillwitz, S. 210; Meixner, § 33 HSOG Rn. 8 und 14; Meixner/Martell, § 38 Rn. 8 und 14; Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 26 und 46; Ebert/Honnacker, § 20 ThürPAG Rn. 10. So auch der HessVGH in NJW 1984 S. 821 ff.; wenn jedoch bereits eine amtsgerichtliche Entscheidung ergangen ist, ist ein weiterer Gang vor die Verwaltungsgerichte nicht möglich. 75 Diese Ansicht vertritt Lisken in ZRP 1981 S. 236.
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
kosten tätig. 76 Art. 104 I I S. 1 GG schreibt vor, daß nur der Richter, als von der Exekutive unabhängiges Organ, über Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung zu befinden hat. Daraus läßt sich ableiten, daß nach der Intention des Grundgesetzes zumindest während der Freiheitsentziehung der Exekutive nicht alleine die Verantwortung dafür überlassen sein sollte. 77 Der Richter soll überprüfen, ob zum Zeitpunkt der Freiheitsentziehung die erforderlichen Voraussetzungen vorgelegen haben oder jetzt noch vorliegen. Er soll jedenfalls von laufenden Freiheitsentziehungen schnellstmöglich Kenntnis erhalten. Es sprechen daher zumindest keine zwingenden Gründe dagegen, der Judikative auch im nachhinein bereits beendete Gewahrsamsfälle anzutragen. 78 Die überwiegende Meinung sieht die Verzichtbarkeit, diese Fälle vor Gericht zu bringen - zwar nicht direkt ausgesprochen -, in einer überflüssigen Arbeitsbelastung der Gerichte durch beendete Freiheitsentziehungen, an deren Klärung keiner mehr ein Interesse hat. Richtig ist zweifellos, daß der Verlust der persönlichen Freiheit, wenn auch nur für kurze Zeit, ohnehin nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. 79 Jedoch kann man auch nicht völlig außer acht lassen, daß hier ein grundgesetzlich vorgeschriebener Richtervorbehalt ersatzlos gestrichen werden soll. Dieser Ansicht ist im Ergebnis auch Götz* 0, der annimmt, daß Art. 104 I I GG zumindest „auch" ein Rechtsschutzverfahren der Betroffenen mitbeinhaltet, welches nicht völlig übergangen werden kann. Es muß daher in jedem Falle nach der Beendigung der Freiheitsentziehung eine richterliche Überprüfung erfolgen. Diese müßte zwar dann nicht mit denselben zeitlichen Kriterien einer „Unverzüglichkeit" geschehen. Zumindest
76 So Listen in NJW 1979 S. 1992 f., in Reaktion auf BGH in NJW 1979 S. 882 mit dem Hinweis, daß der Richter nicht nur die Rechtmäßigkeit der Freiheitentziehung zu überprüfen, sondern auch die Verantwortung dafür zu übernehmen habe; so auch HessVGH in NJW 1984 S. 821 f f , 822 mit weiteren Nachweisen; Gusy in NJW 1992 S. 461. 77 Prinzip der „staatlichen Selbstkontrolle"; vergi, auch Listen in ZRP 1980 S. 146; die Exekutive kann daher nur in Notfallen ohne vorherige richterliche Entscheidung vorgehen. Würde man aber in diesen Fällen auf die richterliche Nachkontrolle verzichten, wäre dann tatsächlich ein richterlicher Dauerdienst (vergi, vorne Kapitel X I Nr. 6 „Problematik der Unverzüglichkeit") erforderlich, um vor der Maßnahme den Erfordernissen des Art. 104 II GG Genüge zu tun (S. 148). Im Ergebnis so auch Mandelartz/ Sauer/Strube, § 14 SPolG Rn. 2; Roos, § 15 Rh-PfPOG Rn. 9. 78
So Rachor in Lisken/Denninger mit der konstitutiven Sichtweise des Art. 104 II S. 1 GG, vergi, oben Fn. 73. 79 So auch Listen in ZRP 1980 S. 148. 80 Götz, AllgPol- u. OrdR Rn. 559 spricht davon, daß Art. 104 II GG natürlich kein Rechtsschutzverfahren ist, aber zumindest ein Rechtsschutzinteresse des Betroffenen „mitkonsumiert". U.U. ein „auch-Rechtsschutzverfahren"?; a.A. Listen in ZRP 1980 S. 145 und 148, da es sich hier aus der Natur der Sache nicht um ein Rechtsschutzverfahren im Sinne des Art. 19 IV GG handele, weil es nicht um eine „Streitentscheidung" nach richterlicher Anhörung gem. Art. 103 GG gehe.
XI. Gerichtliche Überprüfung gem. Art. 104 II S. 1 und 2 GG
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sollte aber in nächster Zeit der Betroffene benachrichtigt werden, damit dieser im nachhinein erkennen kann, daß eine Überprüfung seiner Freiheitsentziehung erfolgt ist und keine willkürliche Maßnahme der Polizei vorlag. So ist auch eine gewisse Rückmeldung polizeilicher Arbeit möglich, da der Richter die Vorgänge zu Gesicht bekommt. Art. 104 I I GG fordert zwar selbst keine Kontrolle polizeilicher Arbeit, gibt aber dem Richter gewisse Rückschlüsse hierauf. 81 Die derzeitige Rechtslage in Bayern, Berlin und Niedersachsen könnte man allenfalls als Kompromiß in die richtige Richtung ansehen, der trotzdem im Hinblick auf Art. 104 I I GG die Rechte des Betroffenen ungerechtfertigt verkürzt. Hamburg kommt dem Erfordernis einer nachträglichen gerichtlichen Überprüfung mit seinem neuen § 13 a I I S. 3 HamSOG von 1996 - trotz dessen Einschränkungen - derzeit am nächsten. Dem Beschluß des BVerfG (Az. 2 BvR 126/91, vergi. Fn. 62) kommt m.E. daher, wegen der Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung, große Bedeutung zu, da er im Rahmen des Rechtsschutzinteresses deutlich klarstellt, daß bei „tiefgreifenden Grundrechtseingriffen" - wozu auch der Polizeigewahrsam gehört - das Interesse des Betroffenen an einer nachträglichen richterlichen Überprüfung der Freiheitsentziehung wegen Art. 19 IV GG, der „Effektivität des Rechtsschutzes", nicht von vornherein verneint werden kann. Dies bedeutet zwar nicht, daß nach Ansicht des BVerfG nun grundsätzlich eine gerichtliche Überprüfung der Freiheitsentziehung im nachhinein stattfinden muß. Diese darf jedoch einem Betroffenen, der sich gegen einen Eingriff in seine Rechte wehren will, nicht mehr mit dem Argument verweigert werden, daß sich der Eingriff zwischenzeitlich durch die Freilassung erledigt hat und (nur) deshalb keine Überprüfung mehr möglich ist, weil er daran kein Interesse mehr haben kann. Das Erfordernis der nachträglichen Überprüfung würde danach nur vom Willen des Betroffenen abhängen, ob er sich gegen den Eingriff zur Wehr setzen oder die Sache nach der Freilassung auf sich beruhen lassen will. Diese Tendenz hatten allerdings die neueren Gesetze in Bayern, Berlin, Niedersachsen und Hamburg bereits zuvor in ihren Regelungen - zumindest zum Teil vorweggenommen.
81
So auch Lisken in ZRP 1981 S. 236, der eine richterlichen Kontrolle nur dann als sinnvoll ansieht, wenn wirklich jede Freiheitsentziehung dem Richter auch bekannt wird. Gusy in NJW 1992 S. 463 weist auf eine Gefahr einer Verkennung von Sinn und Zweck des Art. 104 GG im „Gerichtsalltag" hin. Im Ergebnis so auch Roos, § 15 Rh-Pf POG Rn. 9, der von einem wenigstens „aktenmäßigen Vorlegen" der Sache zur richterlichen Entscheidung spricht.
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
dd) Zumindest hilfsweise „ Sichtung" der Fälle zur Vermeidung grob mißbräuchlicher Ingewahrsamnahmen der Polizei durch eine außenstehende Behörde Sinn, Zweck und Erforderlichkeit des Richtervorbehaltes wurde vorstehend hinreichend erörtert. Hilfsweise könnte man sich jedoch noch mit einer Alternative anfreunden. Es gibt bei mißbräuchlicher Anwendung des Polizeigewahrsams Berührungspunkte, auch nach Aufhebung des alten § 341 StGB, der Freiheitsberaubung im Amt, zur „einfachen" Freiheitsberaubung gem. § 239 StGB. 82 Da es aus den verschiedensten Gründen innerhalb der Polizei keine Kontrollinstanz 83 gibt, könnte man sich als Zwischeninstanz die Staatsanwaltschaft vorstellen. Diese Behörde wäre neben der Polizei eine Kontrollstelle und könnte bei der Polizei protokollierte Freiheitsentziehungen auf mögliche Rechtsmißbräuche sichten und dann gegebenenfalls ein Ermittlungsverfahren gem. §§ 152 I, II; 160, 161 StPO einleiten. Zugegebenermaßen werden solche Mißbrauchsfälle in der Praxis sehr selten vorkommen, jedoch könnte diese Vorgehensweise einen Kompromiß darstellen, wenn es ansonsten gar keine Überprüfung mehr gäbe, weil der Betroffene - wie von der herrschenden Meinung dargestellt - mangels Interesse an einer Überprüfung auf Individualrechtsschutz verzichtet. Eine spätere Überprüfung durch Behördenleiter wäre in jedem Falle kein Äquivalent zu einer Prüfung durch eine außenstehende Behörde, da der Vorgang auf diesem Weg behördenintern bliebe.
ee) Rechtsschutz durch das Verwaltungsgericht Im Falle daß das Amtsgericht, nach der derzeitigen Rechtslage, nicht zwingend entscheiden muß, wäre der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben. Die geeignete Klageart vor den Verwaltungsgerichten ist wegen der zwischenzeitlichen Erledigung der Beschwer 84, also der Freiheitsentziehung^ die Fortsetzungsfeststellungsklage (FFK). Diese muß allerdings in Analogie 85 zu § 113 I S. 4 VwGO erfolgen, da die Erledigung bereits vor Klageerhebung
82 Vergi. Dreher/Tröndle, § 239 StGB Rn. 1 und 8; LG Mainz in MDR 1983 S. 1044 f.; eine Freiheitsberaubung im Amt wäre danach u.U. trotzdem noch strafschärfend. 83 Innerhalb der Polizei sind Dienstgrade des mittleren Polizeivollzugsdienstes befugt, eine Ingewahrsamnahme vorzunehmen. Innerhalb der Polizeiorganisation gibt es jedoch keine Überprüfungsinstanz - wie Dienstgrade im gehobenen oder höheren Polizeivollzugsdienst - , die später zwingend eine Rechtmäßigkeitskontrolle der Maßnahmen durchführen. 84 Vergi, hierzu Kopp, § 113 VwGO Rn. 51 ff. 85 Vergi, hierzu Kopp, § 113 VwGO Rn. 47.
XI. Gerichtliche Überprüfung gem. Art. 104 II S. 1 und 2 GG
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eingetreten ist. Bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage 86 gem. § 113 I S. 4 analog VwGO hat der Kläger sein berechtigtes Interesse 87 an der Feststellung darzulegen. In Bayern und Berlin ist der Weg zu den Verwaltungsgerichten nicht möglich, da auch hier ein weitergehendes Verfahren den ordentlichen 88
Gerichten zugewiesen ist ; ebenso in Niedersachsen mit der angesprochenen Acht-Stunden-Regelung. Hamburg legt fur die nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme in § 13 a I I S. 4 HamSOG ausdrücklich den Verwaltungsrechtsweg fest. b) Es wurde bereits eine gerichtliche Überprüfung durch das Amtsgericht durchgeführt aa) Amtsgerichtliche Entscheidung während der Freiheitsentziehung Nach bereits erfolgter Überprüfung der Freiheitsentziehung durch die Amtsgerichte stellt sich die Überlegung nach einer zweiten Instanz.89 Es ist zwar, wie in Art. 104 II GG gefordert, eine gerichtliche Überprüfung erfolgt, es fragt sich jedoch, ob es noch eine weitere Nachprüfungsinstanz für den Betroffenen im nachhinein, diesmal durch die Verwaltungsgerichte, geben muß. Um dies beantworten zu können, muß unterschieden werden, zu welchem Zeitpunkt die bereits getroffene amtsgerichtliche Entscheidung ergangen ist. Eine bis zum Zeitpunkt der Entlassung ergangene Entscheidung während der Freiheitsentziehung kann nicht in Rechtskraft erwachsen, da sie immer nur die augenblicklichen Umstände der Freiheitsentziehung umfaßt, die sich ständig
86
Zur Fortsetzungsfeststellungsklage allgemein vergi. Kopp, § 113 VwGO Rn. 47 ff. Zum berechtigten (Fortsetzungsfeststellungs-)Interesse allgemein vergi. Kopp, § 113 VwGO Rn. 57 ff. Nach VGH Ba-Wü in VB1BW 1986 S. 308 ff., 309 soll es genügen, daß die Behandlung geeignet war, das Ansehen in der Öffentlichkeit herabzusetzen - Rehabilitierungsinteresse. BayObLG in BayVBl. 1989 S. 699 ff., wonach ein berechtigtes Interesse in der Regel beim bayerischen amtsgerichtlichen FGG-Verfahren besteht, wenn der Betroffene, der vor einer gerichtlichen Entscheidung freigelassen wurde, Schadensersatzansprüche geltend machen will - Wiedergutmachungsinteresse. Nach dem BVerfG, vergi, oben Fn. 62 kommt nun noch eine weitere Fallgruppe, die der tiefgreifenden Grundrechtsbeeinträchtigung, in Betracht, die unter anderem bei einem beendeten Polizeigewahrsam gegeben ist. 87
88 Vergi, oben BVerwG in NJW 1989 S. 1048 f., 1049; vergi, auch bei Berner/Köhler, Art. 18 BayPAG Rn. 8 mit einer Darstellung der alten Rechtslage in Bayern vor der Änderung des PAG 1989; dies hätte aber nach dem Beschluß des BVerfG (vergi. Fn. 62) zur Folge, daß die Kriterien zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch bei den ordentlichen Gerichten Gültigkeit haben müßten. 89 Verneinend: HessVGH in NJW 1984 S. 822; BayObLG in NJW 1986 S. 667.
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
ändern können und somit nicht rechtskraftfähig sind. 90 Der Gang vor die Verwaltungsgerichte muß daher möglich sein 91 , da noch kein abschließendes Urteil über die „Rechtmäßigkeit" der Freiheitsentziehung an sich, sondern nur über die „Zulässigkeit und Fortdauer" ergangen ist. Kritiker behaupten zwar, daß bei einer erfolgten gerichtlichen Überprüfung vor der Entlassung eine spätere Überprüfung nicht mehr möglich ist. 92 Aus den genannten Gründen hinsichtlich der Rechtskraft der Entscheidung und der Notwendigkeit einer nachträglichen gerichtlichen Überprüfung muß der Betroffene zumindest einmal im nachhinein die Freiheitsentziehung abschließend gerichtlich nachprüfen lassen können. Dies wäre bei einem Gerichtsentscheid während der Freiheitsentziehung nicht gegeben, so daß dem Betroffenen der Verwaltungsrechtsweg offenbleiben muß.
bb) Amtsgerichtliche Entscheidung nach Ende der Freiheitsentziehung Bei einer Freilassung nach einem Gerichtsentscheid ist eine abermalige gerichtliche Überprüfung nicht zulässig.93 Die amtsgerichtliche Entscheidung ist insoweit mit Rechtskraft ausgestattet, da keine Entscheidung über die „Fortdauer" einer Freiheitsentziehung ergangen ist, sondern über die „Rechtmäßigkeit" einer bereits beendeten Freiheitsentziehung, bei der alle entscheidungserheblichen Tatsachen bekannt waren. 94 Würde das an sich zuständige Verwaltungsgericht eine solche Frage entschieden haben, würde diese Entscheidung nach § 121 VwGO auch in Rechtskraft erwachsen sein, da es sich insoweit um ein echtes öffentlich-rechtliches Verfahren handelt. Eine solche Bindungswirkung kann nicht dadurch entfallen, daß der Rechtsstreit an die ordentlichen Gerichte verwiesen wurde; deren Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit einer durch die Polizei angeordneten Freiheitsentziehung muß deshalb auch Bindungswirkung fur spätere Verfahren zukommen. 95 Wenn also bereits ein ordentliches Gericht nach der Entlassung entschieden hat, kann keine erneute
90
Vergi. BayObLG in BayVBl. 1988 S. 541 ff., 541 mit weiteren Nachweisen zur Rechtskraft; später auch BayObLG in BayVBl. 1989 S. 245. 91 A.A. z.B. Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 46, wonach generell der Weg zu den Verwaltungsgerichten ausgeschlossen sein soll. 92 So auch Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 46. Ausschluß einer ansonsten zulässigen Fortsetzungsfeststellungsklage nach der VwGO. 93 Vergi. BayObLG in BayVBl. 1991 S. 220 f.; HessVGH in NJW 1984 S. 821 ff. 94 So BayObLG in BayVBl. 1986 S. 666 f. in der alten Rechtsprechung vor der Gesetzesänderung, in der Fortentwicklung durch BayObLG in BayVBl. 1988 S. 541; BayObLG in BayVBl. 1989 S. 699 ff., 700; BayObLG in BayVBl. 1991 S. 221. 95 So das BayObLG in BayVBl. 1988 S. 541 mit weiteren Nachweisen zur Rechtskraft; Berner/Köhler, Art. 18 BayPAG Rn. 11; Niethammer in BayVBl. 1989 S. 450; Bassenge/Herbst, § 31 FGG Rn. 5; Burnii 1er/Winkler, § 31 FGG Rn. 2.
XI. Gerichtliche Überprüfung gem. Art. 104 I I S. 1 und 2 GG
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Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung durch die Verwaltungsgerichte erfolgen. Diese Rechtskraftwirkung wird in der Literatur oftmals mit dem Schlagwort bezeichnet, daß Art. 104 II GG „kein Schutz gegen den Richter, sondern durch den Richter" bietet. 96 Baden-Württemberg schließt in § 28 IV S. 4 Ba-WüPolG eine Anfechtungsklage ausdrücklich aus 97 , wenn eine Entscheidung über die sofortige Beschwerde ergangen ist und bestimmt in § 28 V Ba-WüPolG, daß derjenige die Gerichtskosten zu zahlen hat, bei dem sowohl in der Überprüfungs- als auch in der Beschwerdeinstanz der Gewahrsam für zulässig erklärt wurde. Es ist daher auch für die normale Erstüberprüfung zu zahlen, wenn der Gewahrsam rechtmäßig war. Hiervon kann aber in Ausnahmefällen abgesehen werden. Es gibt jedoch auch Stimmen, die den grundsätzlichen Ausschluß des Rechtsschutzes für bedenklich halten, auch wenn bereits der „Eingriffsrichter" entschieden hat. 98 Es ist m.E. jedoch nicht erforderlich, nach einer bereits erfolgten gerichtlichen Überprüfung Betroffenen abermals eine Überprüfungsinstanz zuzugestehen, da sich dies weder aus dem Art. 104 II GG noch aus Art. 19 IV GG herleiten läßt. Nach der Intention der Normen ist eine Freiheitsentziehung richterlich zu überprüfen; ist dies erfolgt, ist der Norm damit Genüge getan. Art. 19 IV GG gewährt ebenfalls nur das Recht auf Zugang zu einem Gericht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 99 ist allerdings die Ausgestaltung des Verfahrens dem Gesetzgeber überlassen. Ein mehrinstanzliches Überprüfungsverfahren kann aus diesem Verfahrensgrundrecht daher nicht hergeleitet werden. Dem Bedürfnis des Betroffenen nach einer abschließenden richterlichen Überprüfung der Freiheitsentziehung ist in den Fällen mit bereits erfolgter amtsgerichtlichen Entscheidung in ausreichendem Maße nachgekommen worden.
96
So auch BayObLG in BayVBl. 1986 S. 667; BayVBl. 1988 S. 541. Vergi, hierzu auch Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 46; Götz, AllgPol- u. OrdR Rn. 559; Roos, § 15 Rh-Pf POG Rn. 18; Pausch/Prillwitz; S. 209; Berg/Knape/ Kiworr, § 32 BlnASOG S. 350. 98 So Lisken in ZRP 1981 S. 236. 99 Vergi. BVerfGE 4 S. 74, 94 f.; BVerfGE 73 S. 339, 374. 97
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
X I I . Behandlung der betroffenen Person während des Gewahrsams 1. Einleitung Alle Bundesländer weisen in ihren Polizeigesetzen Regelungen auf, die die Behandlung festgehaltener Personen normieren. 100 Es handelt sich hierbei um Amtspflichten gegenüber dem Betroffenen, die bei Mißachtung eine Amtspflichtverletzung darstellen können. 101 Auch hier sind die Vorschriften der einzelnen Länder vergleichbar, wie dies auch bei der richterlichen Entscheidung der Fall ist. Sie laufen im Tenor darauf hinaus, daß dem Betroffenen unverzüglich der Grund seiner Festnahme mitzuteilen ist und ihm gleichsam unverzüglich die Gelegenheit eingeräumt werden muß, mit einer Vertrauensperson Kontakt aufzunehmen. Weiterhin soll die Unterbringung abgesondert von Straf- und Untersuchungshäftlingen erfolgen und dem Betroffenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Freiheitsentziehung und die Ordnung während des Gewahrsams unbedingt erfordern. Einige Länder haben weiterhin die Verpflichtung zur Belehrung 102 und die Möglichkeit einer erforderlichen ärztlichen Versorgung 103 gesetzlich geregelt.
2. Rechte des Ingewahrsamgenommenen zu Beginn des Gewahrsams a) Bekanntgabe des Grundes der Festnahme Bereits in Art. 5 I I EMRK ist bestimmt, daß dem Betroffenen unverzüglich die Gründe seiner Festnahme mitzuteilen sind. Daher bestimmen auch fast alle Polizeigesetze, daß der Betroffene über diese Gründe zu unterrichten ist. Der Betroffene soll sich mit den Hintergründen seiner Festnahme befassen können. An die „Unverzüglichkeit" hinsichtlich dieser Verpflichtung sind allerdings
100 Art. 19 BayPAG; § 28 II Ba-WüPolG; § 17 BremPolG; § 19 BbgPolG; § 32 BlnASOG; 13 b HamSOG; § 34 HessSOG; § 56 SOG M - V ; § 20 NGefAG; § 37 NWPolG; § 16 Rh-PfPOG; § 22 I V - V I SächsPolG; § 15 SPolG; § 39 SOG LSA; § 205 SHLVwVG; § 21 ThürPAG. 101 Berner/Köhler, Art. 19 BayPAG Rn. 1. 102 Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Schleswig-Holstein; Bayern mit Hinweis auf die Aussageverweigerungsmöglichkeit; genauso Berlin, Bremen; Sachsen mit der Gelegenheit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten (Rechtsanwalt). 103 Brandenburg und Sachsen; diese ärztliche Versorgung ist allerdings in jedem Falle auch in den anderen Bundesländern durchzuführen, wenn es erforderlich ist; vergi. Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 29.
XII. Behandlung der betroffenen Person während des Gewahrsams
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andere Anforderungen zu stellen als an die richterlichen Entscheidung104, da diese nur von der Polizei abhängt und nicht noch zusätzlich von einem Richter. Einigkeit besteht daher, daß diese Mitteilung möglichst sofort, also möglichst schon bei der Festnahme zu erfolgen hat. Ist der Betroffene jedoch nicht aufnahmefähig, ist ihm der Grund zum frühestmöglichen Zeitpunkt bekanntzugeben. Die Art und Weise der Mitteilung soll dabei in einfacher, untechnischer und verständlicher Weise erfolgen. Schwierigkeiten ergeben sich bei Ausländern, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, da aus den Vorschriften nicht klar hervorgeht, ob die Mitteilung übersetzt werden muß. 105 Der Sinn und Zweck dieser Vorschriften besteht darin, daß sich der Betroffene auf seine Verteidigung einstellen kann. Art. 5 II EMRK spricht davon, daß der Betroffene in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme unterrichtet werden muß. 106 Interessant ist, daß sich die ansonsten im wesentlichen inhaltsgleiche CCPR an dieser Stelle bewußt von der EMRK unterscheidet, da in Art. 9 I I CCPR gerade nicht von einem Unterrichten in verständlicher Sprache die Rede ist. 107 Nach dem Bundesverfassungsgericht (E 40 S. 95 ff.) hat ein Ausländer in Deutschland grundsätzlich die gleichen Verfahrensrechte wie jeder Deutsche. Das bedeutet allerdings nicht, daß der Betroffene z.B. Anspruch auf Übersetzung einer Rechtsmittelbelehrung in seiner Heimatsprache hat. 108 Er soll nur in die Lage versetzt werden, von seinen Verfahrensrechten Gebrauch machen zu können. Dies läßt sich aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens gem. Art. 2 I GG und Art. 20 III GG ableiten. Keiner soll aufgrund seiner sprachlichen Unkenntnis dem Gerichtsverfahren nicht folgen können. Das hat aber nicht zur Konsequenz, daß dem Betroffenen ein sprachlicher „Rundumservice" in den Zeiträumen vor und nach der Verhandlung angeboten werden muß. 1 0 9 Nach den §§ 184 GVG, 8 FGG, 23 I VwVfG ist letztlich die
104
Nach Berner/Köhler, Art. 19 BayPAG Rn. 2 kann hier auf § 121 I BGB, also „ohne schuldhaftes Zögern", zurückgegriffen werden; so auch Mussmann, AllgPolR BaWü Rn. 212; Reichert/Ruder, Rn. 581; Meixner, § 34 HSOG Rn. 1. 105 Bejahend: OLG Frankfurt in NJW 1980 S. 1238. 106 K O M E 2689/65 in CD 22 S. 48, 67 (Fall Delcourt); ausreichend sei eine für den Betroffenen verständliche Vernehmung vor dem Richter. 107 Vergi, dazu Nowak,, Art. 9 CCPR Rn. 33. Während der Beratungen zu diesem Vertragspakt ist nämlich befürchtet worden, daß eine Verpflichtung, die Mitteilung in „verständlicher Sprache" vorzunehmen, die Unverzüglichkeit dieser Mitteilung an sich gefährden könnte. 108 BVerfGE 42 S. 120, 125 in Ergänzung zu BVerfGE 40 S. 95. In diesem Beschluß ging es allerdings darum, ob dem Ausländer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (im Hinblick auf eine möglicherweise unverschuldeten Fristversäumnis) gewährt werden kann. 109 So OLG Frankfurt in NJW 1980 S. 1239; OLG Stuttgart, ebenfalls in NJW 1980 S. 1238. Hier wurde entschieden, daß ein ausländischer Verurteilter selbst für die Ko-
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
Amtssprache bei Gericht und Verwaltung deutsch. Ein Hinweis könnte Art. 6 III lit. e EMRK entnommen werden, bei dem ein Angeklagter die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers verlangen kann, wenn er die Verhandlungssprache des Gerichts nicht verstehen oder sich in ihr ausdrücken kann. §§185 GVG, 9 FGG fordern aber für deutsche Gerichtsverfahren nur, daß während der Verhandlung vor Gericht ein Dolmetscher hinzugezogen werden muß. 110 Dabei ist allerdings zu beachten, daß Art. 6 III lit. e EMRK eine ganz andere Tragweite beschreibt als Art. 5 II EMRK. Es geht bei der Mitteilung des Grundes beim Polizeigewahrsam nicht um eine Gerichtsverhandlung, die eine Verurteilung eines Angeklagten nach sich ziehen kann, sondern um eine Situation im Vorfeld einer Verhandlung. Wenn der Betroffene nach Art. 104 I I S. 2 GG ohnehin zwingend dem Richter vorgeführt werden muß, gehen ihm bis zu diesem Zeitpunkt noch keine unwiederbringlichen Verfahrensrechte verloren. Demzufolge muß eine Übersetzung nur dann erfolgen, wenn dies in Anbetracht der Situation vertretbar und angemessen erscheint, also ein Dolmetscher ohne größere Probleme zu beschaffen ist. Eine generelle Verpflichtung zur Übersetzung der Festnahmegründe durch die Polizei bereits bei der Festnahme kann in Anbetracht der zu erstrebenden Kurzfristigkeit des Polizeigewahrsams nicht verlangt werden 111 oder muß von den Umständen des Einzelfalles, möglicherweise je nach Verfügbarkeit von Dolmetschern, abhängig gemacht werden. Erst bei der Vorführung vor einen Richter wird man einen Dolmetscher zur Verfügung stellen müssen, da ab diesem Zeitpunkt verfahrensrechtliche Gesichtspunkte, gerade im Hinblick auf das rechtliche Gehör gem. Art. 103 I GG, Art. 6 III lit. e EMRK, welches bei der Polizei noch keine Rolle spielt, zutage treten.
b) Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit einer nahestehenden Person Der betroffenen Person muß die Möglichkeit gegeben werden, mit einer nahestehenden Person Kontakt aufzunehmen. Das ergibt sich aus Art. 104 IV GG. Sinn dieser Vorschrift ist es zu vermeiden, daß Personen spurlos verschwin-
sten der Übersetzung des Urteilstextes aufzukommen hat; vergi, auch Gummer in Zöller, ZPO, § 184 GVG Rn. 6; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 184 GVG jeweils mit weiteren Nachweisen. 110 Zu Einzelheiten vergi. Gummer in Zöller, ZPO, §§ 184, 185 GVG; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, §§ 184, 185 GVG. 111 Im Ergebnis so auch Frowein/Peukert, Art. 5 EMRK Rn. 9 mit dem Hinweis auf die damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten; so auch Nowak, Art. 9 CCPR Rn. 33; je nach Verfügbarkeit auch Roos, § 16 Rh-PfPOG Rn. 2.
XII. Behandlung der betroffenen Person während des Gewahrsams
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den. 112 Niedersachsen gestattet in § 20 II NGefAG auch die Hinzuziehung dieser benachrichtigten Person zur Beratung mit dem Betroffenen. Dabei ist dieses Recht dann ausgeschöpft, wenn eine Person benachrichtigt wurde. Es besteht daher kein Anspruch auf Benachrichtigung mehrerer Personen. Eine Ausnahme von dieser Vorgehensweise bildet hier Brandenburg, das in § 19 II BbgPolG zusätzlich die Benachrichtigung eines Rechtsbeistandes gestattet. Wer diese zu benachrichtigende Person ist, ist im Tenor dieser Vorschriften eigentlich unbedeutend. Es muß sich lediglich um eine Person handeln, die das Vertrauen des Betroffenen genießt. Dies kann daher auch ein Rechtsanwalt sein. Zwecks Kontaktaufnahme muß dem Betroffenen ein Telefon oder Fax zur Verfügung gestellt werden, weil andere Kommunikationsmittel naturgemäß weniger in Betracht kommen. Eine Ermächtigungsgrundlage, die es erlaubt, die Kosten für Telefongespräche, Faxe, etc. von dem Betroffenen einzufordern, ist nicht ersichtlich. Die Kosten fallen daher der Polizeibehörde zu Last. 113 Einschränkungen des Grundsatzes der Unterrichtung können sich daraus ergeben, daß mit einer Kontaktaufnahme die Zweckgefährdung der Maßnahme einhergehen könnte. 114 Einschränkungsmöglichkeiten sind demnach auch in allen Gesetzen geregelt. 115 Es fragt sich jedoch, ob solche Einschränkungen Sinn machen, da diese Situation nicht mit der Verdunkelungsgefahr bei der Untersuchungshaft gem. § 112 II Nr. 3 StPO zu vergleichen ist. Relevant kann eine Kontaktsperre daher sinnvollerweise nur in der Fallkonstellation des Gewahrsams zur Verhinderung bevorstehender Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten sein 116 , da eigentlich nur in diesen Fällen eine negative Außenwirkung auftreten kann. Eine solche Kontaktsperre ist aber auch dann nicht möglich, wenn der Betroffene Verbindung zu einem Rechtsanwalt aufnehmen will, da von diesem in der Regel keine weitere Gefahrdung ausgehen wird 1 1 7 oder zu erwarten ist.
112 So auch Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 104 GG Rn. 43 mit dem Hinweis, daß diese Vorschrift auch für die Angehörigen erlassen wurde; so auch Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 16. 113 Anders Samper/Honnacker, Art. 18 BayPAG Rn. 5; Ebert/Honnacker, § 21 ThürPAG Rn. 5. Roos, § 16 Rh-PfPOG Rn. 10 ist der Auffassung, daß bei diesem Recht natürlich kein kostenloses (Dauer-)Telefonieren gemeint sein kann, differenziert aber je nach finanzieller Situation der betroffenen Personen. 114 Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 104 GG, Rn. 43 nimmt an, daß diese Mitteilung stets zu erfolgen habe. Es müsse bei einer Gefahrdung dann jedenfalls die entsprechende Auswahl bei der zu benachrichtigenden Person getroffen werden. 115 Mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz. 116 Vergi, hierzu die Normen von Bremen und Hamburg, die eine Kontaktsperre nur zur Verhinderung von Straftaten zulassen. 117 So auch Gusy, PolR Rn. 250.
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
Möchte der Betroffene von diesem Recht keinen Gebrauch machen, ist das Recht damit verwirkt. 118 Insbesondere besteht für die Polizei im Normalfall keine Verpflichtung, dieses Recht für den Betroffenen auszuführen und selbst die Benachrichtigung zu übernehmen. 119 Das ist nur dann der Fall, wenn der Betroffene zu einer Benachrichtigung nicht in der Lage ist und diese nicht seinem mutmaßlichen Willen widerspricht. In solchen Fällen muß die Polizei die Benachrichtigung übernehmen. 120 Die Polizei muß auch stets die Benachrichtigung selbst übernehmen, wenn sich der Betroffene weigert und er minderjährig bzw. unter Pfleg- oder Vormundschaft steht. Dann ist in jedem Fall der gesetzliche Vertreter zu benachrichtigen, auch wenn der Betroffene dies nicht wünscht. Unberührt von diesen Regelungen bleibt die Benachrichtigungspflicht bei einer richterlichen Freiheitsentziehung gem. Art. 104 IV GG, die von den Landesgesetzen nicht modifiziert werden kann.
c) Belehrung des Betroffenen Der Betroffene ist hinsichtlich seiner Rechtsbehelfe zu belehren und es muß daraufhingewiesen werden, daß er sich nicht zu den Gründen seiner Festnahme zu äußern 121 braucht. Beide Verpflichtungen ergeben sich zum einen aus strafprozessualer Hinsicht, da nie ausgeschlossen werden kann, daß sich eine erste polizeiliche Vernehmung im Sinne des § 136 StPO ergibt, bei der sich die Polizei ein Bild von der entsprechenden Situation machen bzw. im nachhinein aufgrund der Aussagen - nach Mitteilung an die Staatsanwaltschaft und auf deren Veranlassung - ein Strafverfahren eingeleitet werden kann. Zum anderen ergibt sich diese Verpflichtung aus den übergeordneten Gründen der Fairness und Waffengleichheit, weshalb der Betroffene nicht als „hilfloses Subjekt staatlicher Gewalt" erscheinen soll. Hierzu kann auch der Grundsatz der Fürsorgern^ Betreuungspflicht der Polizei herangezogen werden. 122
118
Anders Gusy, PolR Rn. 250, da der Betroffene auf dieses Recht, schon in Hinblick auf die Angehörigen, nicht verzichten könne; so auch Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 104 GG Rn. 43. 119 So auch Pausch/Prillwitz, S. 208. Anders ist die Rechtslage in Rheinland-Pfalz; gem. § 16 II S. 3 Rh-PfPOG hat hier die Polizei die Benachrichtigung auf Wunsch des Betroffenen zu übernehmen; vergi. Roos, § 16 Rh-PfPOG Rn. 5. 120 Vergi, hierzu Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 332; Beiz, § 22 SächsPolG Rn. 16 schlägt in diesem Zusammenhang allerdings vor, wenigstens andere Polizeidienststellen zu unterrichten, um „sinnlose Suchaktionen" zu verhindern. 121 Hinsichtlich seiner Personalien ist er allerdings verpflichtet, Angaben zu machen; vergi. § 111 I OWiG. 122 Vergi, hierzu Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 329.
XII. Behandlung der betroffenen Person während des Gewahrsams
193
Die Belehrung hat umfassend zu erfolgen und alle Bereiche wie Richterentscheid, nachträgliche Überprüfung, Fristen, etc. zu erfassen. 123 Die Belehrung muß sich auch darauf erstrecken, ob eine richterliche Entscheidung eingeholt werden oder ob hierauf verzichtet werden soll, damit sich der Betroffene darauf einstellen kann. Bei all diesen Belehrungen sind besondere Formvorschriften nicht zu beachten.124 Aus Beweisgründen sollte der Betroffene allerdings etwaige Einverständnisse oder erfolgte Belehrungen schriftlich bestätigen.
3. Art und Weise der Behandlung von Personen während des Gewahrsams a) Unterbringung des Betroffenen 125 Bereits durch Art und Weise der Freiheitsentziehung unterscheidet sich derjenige, der sich in Polizeigewahrsam befindet, von dem, der in Straf- oder Untersuchungshaft einsitzt (vergi, insoweit auch § 119 StPO, der regelt, daß der Untersuchungshäftling nicht zusammen mit Strafgefangenen untergebracht werden darf). Der Polizeigewahrsam dient der Gefahrenabwehr und nicht der Strafverfolgung 126 ; daher kann die Polizei die Haftbedingungen auch nicht gleichsetzen. Vielfach wird es allerdings vorkommen, daß bezüglich der Qualität der Hafteinrichtungen eine Justizvollzugsanstalt (JVA) besser ausgestattet ist als die schlichte Gewahrsamszelle in einer Polizeidienststelle. Der Gedanke, der hinter dieser Überlegung der getrennten Unterbringung steht, bezweckt jedoch auch einen Schutz des Betroffenen vor Strafhäftlingen, die dessen Gesundheit gefährden könnten. 127 Wenn jedoch die räumlichen Unterbringungs-
123
Vergi, hierzu Rachor in Lisken/Denninger,
F Rn. 328; Beiz, § 22 SächsPolG
Rn. 15. 124
A.A. Samper/Honnacker, Art. 18 BayPAG Rn. 3 mit der Forderung nach Schriftform der Belehrung wegen § 58 I VwGO. 125 Keine eigenständigen Regelungen besitzen Baden-Württemberg und Bremen. 126 Vergi, hierzu auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 119 StPO Rn. 4. Dies ist, auch im Hinblick auf den Ausfluß der strafprozessualen Unschuldsvermutung, als Vorzug gedacht; so auch Müller, PolG Sachsen S. 115, der zutreffenderweise davon ausgeht, daß es sich beim Gewahrsam lediglich um „Sicherung" und nicht um Strafe handelt. Durch diese Regelungen ist auch Art. 10 II a CCPR Genüge getan, der zwar expressis verbis nur von Beschuldigten und Verurteilten ausgeht (insoweit also ausdrücklich nur eine getrennte Unterbringung von Untersuchungshäftlingen und Strafgefangenen nach deutschem Recht - vergi. § 119 StPO - erfordern würde), jedoch vom Sinn her zwischen Verurteilten und Nichtverurteilten unterscheiden will; vergi, dazu auch Nowak, Art. 10 CCPR Rn. 7 f f , insbesondere Rn. 8 mit dem Hinweis der Anwendbarkeit auf „Verwahrungshäftlinge". 127
So in § 39 I I I SOG LSA: „ ...oder (mit) solchen Personen, von denen eine Gefahrdung für Leib und Leben für die festgehaltene Person zu besorgen ist". § 56 III 13 Stoermer
194
Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
möglichkeiten nicht ausreichen, ist nach der Sollform dieser Vorschrift dennoch eine Unterbringung in solchen Räumlichkeiten zulässig, wenn anderenfalls eine erforderliche Unterbringung mangels Platz unterbleiben müßte. 128 Weiterhin müssen Männer von Frauen sowie Gesunde von Kranken mit ansteckenden Krankheiten 129 getrennt untergebracht werden; teilweise sollen auch Jugendliche und Erwachsene separiert werden. 130 Der Sinn dieser Vorschriften resultiert aus der Fürsorgepflicht des Staates fur den Betroffenen während des Gewahrsams; dem Betroffenen soll durch die Freiheitsentziehung kein - weiterer - physischer und psychischer Schaden zugefügt werden. Allerdings kann es auch in diesen Fällen Ausnahmen geben, so z.B. beim Familiengewahrsam 131, bei der Abschiebung von Asylsuchenden oder während Extremsituationen, wie bei dem Polizeikessel.
b) Weitere Beschränkungen Dem Betroffenen dürfen nur solche weiteren Beschränkungen auferlegt werden, die zur Durchführung des Gewahrsams zwingend erforderlich sind. Solche Beschränkungen sind z.B. die Abgabe von Geld, Wertsachen und das Anlegen von Fesseln 132 ; insbesondere auch die Wegnahme von entsprechend gefährlichen Gegenständen, wie Krawatten, Gürtel, Taschenmesser bei Suizidenten. Möglich ist auch eine Durchsuchung der in Gewahrsam genommenen Person hinsichtlich Waffen, Drogen oder sonstigen Dingen oder Gegenständen, die eine ordnungsgemäße Durchführung des Gewahrsams erschweren oder unmöglich machen würden. Dabei ist immer auch an die Obhutspflicht der Polizei zu denken, die für das Wohl der festgehaltenen Person für die Zeit der Freiheitsentziehung verantwortlich sind. 133 Daneben muß stets die Menschenwürde gem. Art. 1 GG im Vordergrund stehen; daher verbieten sich Schikanen,
SOG M V fordert aus diesem Grunde wohl auch eine getrennte Unterbringung von Suchtkranken. 128 Berner/Köhler, Art. 19 BayPAG Rn. 8. 129 So § 1 DVO Ba-WüPolG. 130 Durch den Art. 10 II b CCPR ergibt sich eine zwingende Verpflichtung der Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen, die allerdings auch nicht kritiklos geblieben ist, vergi, dazu Nowak, Art. 10 CCPR Rn. 19. 131 In Ausnahmefallen kann das anders sein; so z.B. beim „Familiengewahrsam" bei Ehegatten und minderjährigen Kindern. Solche Konstellationen sind bei abgelehnten auszuweisenden Asylbewerbern mit Familie denkbar z.B. § 1 DVO Ba-WüPolG; vergi, dazu auch Moser v. Filseck in BWVPr. 1994 S. 267 ff., 269. 132 Vergi, hierzu OLG Köln in NJW 1990 S. 3280; hier allerdings bei einem psychisch Kranken wegen Personalmangels allein nicht zu begründen. 133 So auch ausdrücklich Schipper, Pol- u. OrdRSchlHst Rn. 339; vergi, auch Gusy, PolR Rn. 251.
XIII. Zeitdauer der Ingewahrsamnahme
195
wie eine Unterbringung auf engstem Raum (z.B. in Stehzellen) oder in ungeheizten, feuchten, dunklen und nichtbelüftbaren Zellen. 134 Art. 104 I S. 2 GG konstatiert auch, daß festgehaltene Personen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden dürfen. Dies erscheint aus der heutigen Sichtweise als Selbstverständlichkeit, ist jedoch im Hinblick auf die Zustände des nationalsozialistischen Regimes zu sehen, wo solche Praktiken an der Tagesordnung waren und so heute noch in einigen Ländern, auch in Europa, vor allem immer wieder in der Türkei angemahnt werden.
X I I I . Zeitdauer der Ingewahrsamnahme 1. Einleitung / Entwicklungen der letzten Jahre 135 In den letzten Jahren haben sich zwei Neuerungen hinsichtlich der Zeitdauer des Gewahrsams ergeben. Dabei ging es um die Verlängerung der Gewahrsamsdauer in den Bundesländern Bayern und Sachsen auf bis zu zwei Wochen. Der Musterentwurf des einheitlichen Polizeigesetzes ging in § 16 1 3 6 ursprünglich nur von der Möglichkeit aus, daß „die Polizei aus eigener Machtvollkommenheit einen Gewahrsam nur für die Dauer bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen anordnen kann." Was darüber hinausgeht, muß von einem Richter aufgrund eines „anderen Gesetzes" angeordnet werden. Die Regelung des § 16 Musterentwurf wird oftmals auch als sogenannte „48-Stunden-Frist" bezeichnet. Das ist jedoch irrtümlich, da man fälschlicherweise daraus schließen könnte, daß diese Frist in allen Fällen voll ausgeschöpft werden könnte, was aber nicht der Fall ist, wie sich noch zeigen wird.
134
Vergi, dazu Müller, PolG Sachsen S. 115. Im Zusammenhang mit der Menschenwürde des Art. 1 GG kann auch auf Art. 10 I CCPR verwiesen werden, der davon spricht, daß „Jedem, dem seine Freiheit entzogen ist, menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden muß"; vergi, dazu auch Nowak, Art. 10 CCPR Rn. 7 ff. 135 Eine neuere Abhandlung dazu bei Lisken in ZRP 1996 S. 332 ff.: „Freiheitsentziehungsfristen im Polizeirecht". 136 Der Wortlaut dieser Vorschrift ist im Anhang abgedruckt.
196
Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung 2. Die Regelungen der einzelnen
Bundesländer
a) Dauer des Gewahrsams Die Regelungen der Bundesländer sind i m H i n b l i c k auf die Dauer des Gewahrsams verschieden. 1 3 7 Einige Länder gestatten einen Gewahrsam bis zum Ende des auf die Ergreifung folgenden Tages 1 3 8 , andere haben ihn generell auf 24 Stunden reduziert. 1 3 9 Weiter gibt es Regelungen m i t v i e r 1 4 0 , z e h n 1 4 1 oder v i e r z e h n 1 4 2 Tagen nach einer richterlichen Entscheidung. Teilweise gelten auch innerhalb dieser zeitlichen Grenzen wiederum Höchstgrenzen für bestimmte
137 Daher wird von Lisken in ZRP 1996 S. 332 die Forderung nach einer bundeseinheitlichen Harmonisierung vorgebracht, die sich an Art. 104 I I S. 3 GG orientieren sollte. Er gibt aber keine Antwort darauf, wie das, im Hinblick auf die Kompetenzverteilung, geschehen soll. 138 Vergi. Art. 20 Nr. 3 Bay PAG; § 28 I I I S. 1 Ba-WüPolG; § 33 I Nr. 3 BlnASOG; § 18 I S. 1 BremPolG; § 20 I Nr. 3 BbgPolG; § 13 c I Nr. 3 HamSOG; § 35 I Nr. 4 HessSOG; § 55 V S. 2 SOG M - V ; § 21 S. 1 Nr. 3 NGefAG; § 38 I Nr. 3 NWPolG; § 22 V I I S. 4 SächsPolG; § 40 I Nr. 3 SOG LSA; § 204 V S. 2 SHLVwVfG; § 22 Nr. 3 ThürPAG. Diese Frist ist auch in § 15 II des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes von 1931 bestimmt. 139 So nur die Regelungen in Rheinland-Pfalz und Saarland in den §§ 17 Nr. 3 RhPfPOG; 161 Nr. 3 SPolG, nach denen eine festgehaltene Person in jedem Fall spätestens 24 Stunden nach dem Ergreifen freizulassen ist. Eine weitere Unterschreitung dieser Höchstgrenze ist auch in § 35 I Nr. 2 HessSOG bestimmt. Hiernach ist der Betroffene dann zwingend nach Ablauf von 24 Stunden zu entlassen, wenn bis dahin noch keine richterliche Überprüfung stattgefunden hat; vergi, dazu auch Mandelartz/Sauer/Strube, § 16 SPolG Rn. 1; Roos, § 17 Rh-Pf POG Rn. 1. 140 So die Regelung in Brandenburg und Sachsen-Anhalt §§ 20 I Nr. 3 S. 3 BbgPolG; 40 I Nr. 3 SOG LSA; neuerdings auch in Niedersachsen gem. § 21 S. 2 NGefAG. Auch in der Urversion des sächsischen Polizeigesetzes waren vier Tage vorgesehen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Regelung des Landes Brandenburg. Auch hier geht man zunächst von einer Höchstdauer von 48 Stunden aus, wenn jedoch „Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Betroffene Straftaten gegen Leib oder Leben nach den §§ 125, 125 a StGB (Land- bzw. schwerer Landfnedensbruch) oder nach den §§ 26, 27, 28 des Versammlungsgesetzs (Abhalten verbotener oder nicht angemeldeter Versammlungen und Aufzüge; Führung von Waffen; Verstöße gegen Uniform- und politisches Kennzeichenverbot) begehen oder sich hieran beteiligen wird", ist aufgrund richterlicher Entscheidung eine Fortdauer der Freiheitsentziehung bis zu vier Tagen zulässig. Der brandenburgische Gesetzgeber hat somit auf Tendenzen bei gewaltsamen Demonstrationen und Ansammlungen reagiert. In derselben Art und Weise ist auch die Gesetzesverschärfung in Niedersachsen als Reaktion auf die Chaos-Tage in Hannover und die Zustände im Zusammenhang mit den Castor-Transporten zu werten. 141 So die Regelung in Thüringen gem. § 22 Nr. 3 S. 2 ThürPAG; vergi, dazu Ebert/Honnacker, § 22 ThürPAG Rn. 5. 142 So die Regelungen in Bayern, Baden-Württenberg und Sachsen, Art. 20 Nr. 3 BayPAG; §§ 22 I I I S. 3 Ba-WüPolG; 22 V I I S. 3 SächsPolG.
XIII. Zeitdauer der Ingewahrsamnahme
197
Arten von Freiheitsentziehungen. 143 Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein haben gar keine gesetzlichen Höchstgrenzen vorgesehen 144, da dort die Fortdauer der Freiheitsentziehung nicht von einer richterlichen Entscheidung aufgrund eines „anderen, Gesetzes" abhängig gemacht wird. Das Bundesgrenzschutzgesetz bestimmt bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen im Rahmen des Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsams ebenfalls eine Höchstdauer von vier Tagen. 145
b) Gründe für eine sofortige Beendigung des Gewahrsams Unabhängig von zeitlichen Höchstgrenzen regeln alle Polizeigesetze Umstände, unter denen festgehaltene Personen unverzüglich wieder freizulassen sind. Neben der Überschreitung von zeitlichen Höchstgrenzen sind das der Wegfall des polizeilichen Grundes 146 sowie die Unzulässigkeit der Fortdauer der Freiheitsentziehung nach Richterentscheid. 147 Ein zusätzlicher, in den Gesetzen nicht explizit aufgeführter Freilassungsgrund ist, daß eine unverzügliche richterliche Überprüfung (vergi. Kapitel XI), wie in Art. 104 I I S. 2 GG gefordert, nicht möglich ist oder nicht durchgeführt wurde. Diese Beendigungsgründe stellen aber nur eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar, da eine Freiheitsentziehung in allen Fällen nicht länger als unbedingt notwendig andauern darf; ist sie demnach nicht mehr erforderlich, muß unverzüglich eine Freilassung erfolgen.
143 Dabei handelt es sich um die gesetzliche Normierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Freiheitsentziehung zum Zwecke der Identitätsfeststellung, der in den Vorschriften der §§ 33 I I BlnASOG, 18 I I BremPolG; 20 I I BbgPolG; 13 c II HamSOG; 35 I I HessSOG; 38 I I NWPolG; 181 I I I SHLVwG; 16 II SPolG; 40 I I SOG LSA mit einer Höchstgrenze von höchstens 12 Stunden angegeben ist; § 21 Nr. 3 S. 2 NGefAG spricht davon, daß eine Freiheitsentziehung zum Zwecke der Feststellung der Identität nicht länger als 6 Stunden dauern „soll". Hierbei handelt es sich jedoch nur um einen Richtwert, der möglichst anzustreben ist. 144
§ 18 I Nr. 3 BremPolG, § 55 V SOG M - V , § 204 V SHLVwG. Vergi, dort die §§ 39 I Nr. 3; 42 II S. 2 BGSG; diese Vier-Tages-Regelung ist jedoch nur im Zusammenhang mit den §§ 125, 125 a (Landfriedensbruch) und § 240 (Nötigung) StGB möglich. 146 § 28 III S. 1 Ba-WüPolG; § 55 V S. 1 SOG M - V ; § 22 V I I S. 5 SächsPolG; § 204 V S. 1 SHLVwG. 147 Art. 20 Nr. 1 u. 2 BayPAG; § 20 I Nr. 1 u. 2 BbgPolG; § 33 I Nr. 1 u. 2 BlnASOG; § 18 I Nr. 1 u. 3 BremPolG, hier auch in Nr. 2, wenn die Fortdauer der Freiheitsentziehung unverhältnismäßig wäre; § 13 c I Nr. 1 u. 2 HamSOG; § 35 I Nr. 1 u. 3 HessSOG; § 21 Nr. 1 u. 2 NGefAG; § 38 I Nr. 1 u. 2 NWPolG; § 17 Nr. 1 u. 2 RhPfPOG; § 16 I Nr. 1 u. 2 SPolG; § 40 I Nr. 1 u. 2 SOG LSA; § 22 Nr. 1 u. 2 ThürPAG. 145
198
Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung c) Indizien zur Festlegung zeitlicher Obergrenzen beim Polizeigewahrsam
Eine absolute Grenze, was die Dauer des Polizeigewahrsams ohne Richterentscheid betrifft, w i r d verfassungsrechtlich von Art. 104 I I S. 3 G G vorgegeben. Danach darf die P o l i z e i 1 4 8 aus „eigener M a c h t v o l l k o m m e n h e i t " 1 4 9 niemanden länger in eigenem Gewahrsam 1 5 0 halten als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen. 1 5 1 Daraus hat sich ein Streit entwickelt, ob es dem Landesgesetzgeber überhaupt möglich ist, einen längeren Polizeigewahrsam festzusetzen, als in Art. 104 I I S. 3 G G vorgegeben i s t . 1 5 2 Aus dem Wortlaut dieser Verfassungsnorm läßt sich jedoch keine Aussage herleiten, ob ein Polizeigewahrsam auf Grundlage der Polizeigesetze nicht auch länger als diese vorgegebene Frist dauern kann. Es müßte dann allerdings gem. Art. 104 I I S. 1 und S. 2 G G zwingend eine richterliche Entscheidung dazukommen. 1 5 3 Die europäische Menschenrechtskonvention setzt in Art. 5 E M R K ebenfalls keine zeitlichen
148 Zum Polizeibegriff vergi. Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 104 GG Rn. 40; Hantel, Diss. Berlin S. 37-39. Dabei ist umstritten, was oder wer unter dem Begriff der „Polizei" zu verstehen ist. Teile der Literatur verstehen hierunter nur die Vollzugspolizei (organisatorische Sichtweise), z.B. Holtkotten in Bonner Kommentar, andere: alle Polizei- und Ordnungsbehörden (funktionelle Sichtweise), z.B. Dürig in Maunz/ Dürig/Herzog/Scholz. Letztere Ansicht ist gerade im Zusammenhang mit der Freiheitsentziehung vorzugswürdig, da sie die Schutzrichtung dieser Norm ausweitet. Vergi, auch Schenke in Steiner, Rn. 2-10; Friauf in Schmidt-Aßmann, Rn. 19 f f ; vergi, auch Fn. 37 im ersten Kapitel. 149 Der Begriff der „eigenen Machtvollkommenheit" erscheint etwas antiquiert. Er besagt, daß die Polizei aufgrund eines eigenen Gesetzes - also die Polizeigesetze der Länder - eine Freiheitsentziehung selbst anordnet - also auch nicht im Auftrag einer anderen Behörde lediglich ausführt - und diese dann auch selbst vollzieht. 150 Einige Schwierigkeiten bereitet der Begriff des „eigenen Gewahrsams". Dieser liegt zweifellos vor, wenn sich jemand in der „tatsächlichen Gewalt der Polizei", also auf einer Polizeidienststelle unter unmittelbarer Kontrolle der betreffenden Polizeibehörde befindet; so auch Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 104 GG Rn. 40. Weiter kann dieser eigene Gewahrsam aber auch dann bestehen, wenn die Polizei eine Einweisung verfügt. Die Anstaltsleitung ist dann nämlich nur ausführendes Organ. Maßgeblich für den eigenen Gewahrsam der Polizei ist somit, daß die Polizei die Herrschaft und die Verantwortung über die Freiheitsentziehung behält. 151
Mißverständlich wird in diesem Zusammenhang oft auch von der sogenannten „48-Stunden-Frist" gesprochen. Diese Ausdrucksweise suggeriert, daß diese Frist zwingend ausgeschöpft werden muß, also bis zum Ende des auf die Ergreifung folgenden Tages bzw. immer 48 Stunden dauert, was so natürlich falsch ist. Näher zur Frist auch Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 104 GG Rn. 41: „Art. 104 Abs. I I S. 3 GG als absolute zeitliche Obergrenze, allerdings nur expressis verbis, was die Polizei betrifft." Auch Hantel, Diss. Berlin S. 37 spricht bei dieser Frist von einer „absoluten Höchstfrist", was die Polizei betrifft. 152
Verneinend Götz, AllgPol- u. OrdR Rn. 294: „ ...von dieser Rechtslage abweichend haben ... einen längeren Gewahrsam gestattet. 153 So der Wortlaut der Polizeigesetze.
XIII. Zeitdauer der Ingewahrsamnahme
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Obergrenzen für eine Freiheitsentziehung fest und kann daher auch nicht als Richtlinie herangezogen werden. Eine Antwort auf die Frage nach einer zeitlichen Obergrenze könnte ein Blick auf die geschichtlichen Hintergründe 154 der Verfassungsnorm des Art. 104 I I S. 3 GG geben. Diese Vorschrift wurde im Grundgesetz unter dem Eindruck der Ereignisse der Willkürherrschaft des nationalsozialistischen Regimes in die Verfassung eingebracht, um die Bürger vor ungerechtfertigten Eingriffen von Polizei und anderen Staatsorganen zu schützen. Es sollten keine Menschen mehr auf unbestimmte Zeit verschwinden dürfen. Zielrichtung war die Bekämpfung einer mißbräuchlichen „Schutzhaft," wie die Festhaltung politischer Gegner, zumeist in Konzentrationslagern. Letztlich sollte daher nur der sachlich und persönlich unabhängige Richter aufgrund rechtsstaatlicher Gesetze, nach einem mit wesentlichen formellen Garantien ausgestatteten Verfahren, über die Entziehung der Freiheit entscheiden können. In den Polizeigesetzen ist bei der Dauer der Freiheitsentziehung in Zusammenhang mit einer richterlichen Entscheidung von „anderen Gesetzen" die Rede. Diese anderen freiheitsentziehenden Gesetze sind beispielsweise die §§112 ff. StPO (die Untersuchungshaft), die Unterbringungsgesetze 155 der Länder, § 57 Ausländergesetz (Abschiebehaft), die §§ 11 FreihEntzG i.V.m. 37 II BSeuchenG. Die beiden letztgenannten Gesetze gehen von einer Zeitdauer von sechs Wochen aus, die nicht überschritten werden soll. Dadurch wird deutlich, daß andere Gesetze mit einem Richterentscheid weitaus längere freiheitsentziehende Maßnahmen gestatten als die Polizeigesetze. Das könnte einen längeren Polizeigewahrsam, der durch einen Richter auf Grundlage der Polizeigesetze angeordnet wird, in einem anderen Licht erscheinen lassen. Fest steht danach eigentlich nur, daß die Polizei aufgrund eigener Einschätzung der Lage und eigener Entscheidungsbefugnis die ihr durch Art. 104 I I S. 3 GG vorgegebene Frist von sich aus nicht überschreiten, wohl aber unterschreiten darf. Wie die Fristfrage bei einem Richterentscheid zu beurteilen wäre, beantwortet Art. 104 I I GG nicht.
3. Gerichtsentscheidungen zur Gewahrsamsdauer Mit den Tendenzen um die Verschärfung der Polizeigesetze haben sich in den letzten Jahren zwei bedeutsame Gerichtsentscheidungen befaßt, unter ande-
154 Informationen zur Geschichte dieser Norm bei Dürig in Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 104 GG Rn. 2; Koschwitz, Diss. Göttingen S. 103-105; auch Listen in ZRP 1996 S. 333. 155 Zur Unterbringung psychisch Kranker und zur verfassungsmäßigen Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen vergi, auch BayVGH in NJW 1993 S. 1520 ff.
200
Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
rem auch m i t der Verlängerung der Gewahrsamsdauer auf bis zu zwei Wochen. Die „Ursprungsregelung" des zweiwöchigen Polizeigewahrsams gibt es in Baden-Württemberg
schon seit dem 1. 4. 1956, wurde aber seitdem niemals Ge-
genstand einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung. Sie galt demnach ftir die Gesetzgeber i n Bayern und Sachsen (wohl?) als unbedenklich. 1 5 6 Erst m i t der N o v e l l i e r u n g 1 5 7 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes i m Jahre 1 9 8 9 1 5 8 hat sich die Diskussion u m diese Zeitdauer entfacht und wurde schließlich, neben anderen Aspekten, Gegenstand einer Popularklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof. I m Vorfeld der bayerischen Gerichtsentscheidung wurden starke K r i t i k gegen die neue Gesetzeslage vorgebracht. Jahn 159
gab zu bedenken, daß das neue Gesetz die Unterschiede zwischen re-
pressiver und präventiver Freiheitsentziehung verwischen würde. Hirsch
160
äu-
ßerte kompetenzrechtliche Bedenken i m H i n b l i c k auf strafprozessuale Regelungen und Blankenagel 161
sprach von einem Rückschritt in alte Zeiten m i t un-
verhältnismäßigen M i t t e l n sowie massiven Grundrechtsverstößen. Die Befürworter der Gesetzesänderung hielten die neuen Möglichkeiten für unbedenk-
156
Vergi, hierzu Wolf/Stephan, § 28 Ba-WüPolG Rn. 36. Zu den Motiven dieser Gesetzgebungsnovelle vergi. BayLT-Ds. 11/9078. 158 BayGVBl. 1989 S. 79 f. 159 Jahn in DVB1. 1989 S. 1038 ff., der kritisiert, daß das bisherige Polizeirecht nur Verhaltensmaßregeln für die Polizei aufgestellt und den Richter (bis auf die Kontrolle) außen vor gelassen habe. Diese Systematik werde durch die Möglichkeit durchbrochen, daß der Richter einen weitergehenden Gewahrsam aufgrund Polizeirechts anordnen könne (S. 1043); damit werde der Unterschied zwischen repressiver und polizeilich präventiver Freiheitsentziehung verwischt (S.1044). 157
160
Hirsch in ZRP 1989 S. 81 ff., der bereits die theoretische Möglichkeit eines 14tägigen Gewahrsams zum Zwecke der Identitätsfeststellung im Hinblick auf § 163 c III StPO mit einer Höchstfrist von 12 Stunden für verfassungswidrig hält (S. 82); weiterhin könne die Polizei und nicht die Staatsanwaltschaft, wie es richtig wäre, über Art und Weise des Vollzugs des Gewahrsams entscheiden, auch wenn der Richter der Fortdauer der Freiheitsentziehung zugestimmt hat. Der „Polizeigewahrsam aus eigener Machtvollkommenheit der Polizei" werde daher im striktem Widerspruch zu Art. 104 II S. 3 GG faktisch ausgedehnt und sei demnach verfassungswidrig (S. 84). 161 Blankenagel in DÖV 1989 S. 689 ff., der von einer „zwingenden Kurzfristigkeit" des Polizeigewahrsams spricht, wolle man nicht alte Verhältnisse wie der „Schutzhaft" aus dem Dritten Reich wieder aufleben lassen (S. 692). Weiterhin sei bei einer derart langen Zeitdauer ein Verstoß gegen Art. 2 II GG, dem Freiheitsgrundrecht gegeben, da hier irreparable Schäden durch einen nichtgerechtfertigten Freiheitsverlust entstehen können (S. 693). Zusätzlich fehle es einer derartigen Regelung an der Erforderlichkeit, da der Polizei zwei Tage genügen sollen, um Informationen zu sammeln, damit der Richter daraufhin über eine Untersuchungshaft nach der StPO entscheiden kann (S. 694). Schließlich werde man regelmäßig von einer UnVerhältnismäßigkeit eines so langen Gewahrsams ausgehen müssen (S. 695, 696); „ M i t Kanonen auf Spatzen schießen."
XIII. Zeitdauer der Ingewahrsamnahme
201
lieh, da keine Grundrechtsverstöße ersichtlich seien und die neue Gesetzeslage nur Rechtsklarheit für Ausnahmefälle schaffen würde. 162 Im Jahre 1994 wurde dann auch das Polizeigesetz in Sachsen novelliert 163 und unter anderem ebenfalls mit der Möglichkeit eines zweiwöchigen Polizeigewahrsams ausgestattet. Auch in Sachsen wurde die Novelle des Polizeigesetzes in Form einer abstrakten Normenkontrollklage, die 41 Mitglieder des Sächsischen Landtages beantragten, Gegenstand einer Klage vor dem Leipziger Verfassungsgerichtshof. 164 Beide Gerichtsentscheidungen kommen hinsichtlich der Gewahrsamsdauer teils zu vergleichbaren, teils zu konträren Ergebnissen. 165 Wegen der Vergleichbarkeit beider Gerichtsentscheidungen sollen diese im folgenden genauer betrachtet werden.
a) Das bayerische Urteil aus dem Jahre 1990 aa) Kein Verfassungsverstoß hinsichtlich der möglichen Zeitdauer des Gewahrsams Der Bayerische Verfasssungsgerichtshof sah in der Gesetzesnovelle keinen offensichtlichen Verfassungsverstoß, wie dies von der Klägerseite behauptet wurde. Der Gerichtshof hatte demnach im Vorfeld dieser Entscheidung auch den Vollzug der Novelle des Polizeiaufgabengesetzes im einstweiligen Anordnungsverfahren 166 nicht ausgesetzt. In seiner Hauptsacheentscheidung167 führt
162
Zustimmend zur Gesetzesänderung in Bayern: Beckstein in ZRP 1989 S. 287 ff., der nicht von einer Regel, sondern einer Höchstfrist für Ausnahmefalle spricht (S. 288); Knemeyer in N V w Z 1990 S. 138 ff., der im Gegensatz zu Blanke nage l einen Verstoß gegen die Bundesgesetzgebungskompetenz hinsichtlich Art. 11 GG schlicht verneint (S. 140). Ebenfalls sei kein Verstoß gegen Art. 104 II GG ersichtlich (S. 140). Eine vernünftige Lösung sei in jedem Falle über die Verhältnismäßigkeit zu suchen. Von daher könne man durchaus von einer „Kurzfristigkeit des Gewahrsams" sprechen (S. 141); Niethammer in BayVBl. 1989 S. 449 f f , 455, da ein derart langer Gewahrsam aufgrund von speziellen Begebenheiten erforderlich sein kann; Schmitt Glaeser in BayVBl. 1989 S. 129 f f , der die 2-Wochen-Regelung für unbedenklich hält, da andere Gesetze aufgrund deren der Richter einen weitergehenden Gewahrsam anordnen könne, durchaus längere Freiheitsentziehungen zulassen (S. 134). Er geht sogar so weit, daß eigentlich nur ein Gewahrsam ohne Beschränkung einer Höchstdauer der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht des Staates gerecht wird (S. 135). 163 SächsGVBl. 1994 S. 929. 164 Vergi. Kapitel I, Fn. 2 und Fn. 3. Das Urteil beschäftigt sich neben dem Gewahrsam noch mit anderen Aspekten aus der Novellierung des Polizeigesetzes, so mit Datenerhebung, Rasterfahndung, etc. 165 Vergi, auch Paeffgen in NJ 1996 S. 454 ff. mit einem kurzen Vergleich beider Entscheidungen. 166 Bay VGH, Az. Vf. 3-VII-89 und Vf. 4-VII-89 in BayVBl. 1989 S. 496 ff.
202
Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
er aus, daß kein Verstoß gegen die Vorschrift des Art. 102 II S. 3 der Bayerischen Landesverfassung, als Äquivalent zu Art. 104 I I S. 3 GG, gegeben sei, da die dortige zeitliche Grenze von 48 Stunden nicht für eine Freiheitsentziehung durch einen Richter gelten könne. Diese Vorschrift sei nur zur zeitlichen Be168 schränkung für einen allein von der Polizei verfügten Gewahrsam bestimmt. Die Entscheidung eines Richters könne somit keinesfalls mit der der Polizei gleichgesetzt werden. Der Richter habe bei seiner Bemessung einer zeitlichen Höchstgrenze vielmehr andere Eckpfeiler der Verfassung zu beachten, nämlich die Freiheit der Person nach Art. 2 II S. 2 GG - in entsprechender Form die bayerische Regelung - sowie das rechtsstaatliche Übermaßverbot. Das zur Überprüfung gestandene Gesetz habe jedoch keines der beiden Grundrechte verletzt. Die Freiheit der Person sei zwar ein sehr hochstehendes Verfassungsgut, welches gerade im Hinblick auf eine Entziehung sehr genau geprüft werden müsse; „gleichwohl lasse sich jedoch nicht feststellen, daß die gesetzliche Höchstdauer von zwei Wochen 169 für einen Gewahrsam zur Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit gegen das Grundrecht der Freiheit gem Art. 2 I I S. 2 GG verstoße." 1 7 0 Dies gebiete die staatliche Aufgabe der Gefahrenabwehr. Das Gericht führt dazu weiter aus, daß „das Ziel, solche Taten im Rahmen der Befugnisse des Polizeiaufgabengesetzes abzuwenden, schwerer wiege, als das Interesse potentieller Täter, von polizeilichen Eingriffen zur Verhinderung dieser Taten verschont zu bleiben." Weiter seien auch Gefahrenlagen denkbar, bei denen man mit der Höchstfrist reagieren müsse. 171 Die Bemessung der Gewahrsamsdauer sei dann wiederum eine Frage der Verhältnismäßigkeit, die der Richter in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen habe. Somit sei hinsichtlich der neuen gesetzlichen Möglichkeiten im Ergebnis weder eine Beeinträchtigung der Freiheit der Person gem. Art. 2 I I S. 2 GG noch ein Verstoß gegen das Übermaßverbot gegeben.
167
BayVGH, Az. Vf. 3-VII-89 in BayVBl. 1990 S. 654 ff. = N V w Z 1991 S. 664 ff. So auch Berner/Köhler, Art. 20 BayPAG Rn. 6. Selbst Blankenagel in DÖV 1989 S. 691 als Kritiker der längeren Gewahrsamsdauer vertritt die Ansicht, daß „eine Interpretation der 48-Stunden-Frist als Höchstfrist auch für eine richterliche Entscheidung zwar unter einigen interpretatorischen Verrenkungen möglich, historisch jedoch nicht haltbar" sei. Dort Fn. 16 mit weiteren Nachweisen. 169 Nach dem Willen des bayerischen Gesetzgebers soll diese Höchstfrist auch nur in absoluten Ausnahmefällen ausgeschöpft werden; vergi, auch BayLT-Ds. 11/9078, Einzelbegründung zu Art. 19 Nr. 3 BayPAG. 170 So der Urteilstext, aaO S. 689. 171 Das Gericht äußert sich jedoch nicht näher dazu, welche Gefahrenlagen diesen Höchstgewahrsam rechtfertigen sollen; a.A. Lisken in ZRP 1996 S. 334: „Wenn solche Fälle lediglich denkbar sind, heißt dies noch lange nicht, daß Rahmenvollmachten für alle Fälle zu erteilen sind." 168
XIII. Zeitdauer der Ingewahrsamnahme
203
bb) Keine Abstufung der möglichen Höchstdauer nach dem Gewahrsamstyp erforderlich Die bayerische Gewahrsamsnorm läßt diesen Höchstgewahrsam von vierzehn Tagen grundsätzlich für alle Gewahrsamsvarianten gleichsam zu. Das Gericht hatte diese Möglichkeit nicht beanstandet, da die Verantwortung für die verfassungsgemäße Auslegung der Norm, im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit, dem zuständigen Richter obliege. Eine abgestufte Differenzierung je nach Anwendungsfall sei daher gesetzlich nicht erforderlich, da sie ohnehin in jedem Fall durch die Verhältnismäßigkeit der Mittel als Handlungsmaßstab in den Polizeigesetzen zu beachten sei. 172
b) Das sächsische Urteil aus dem Jahre 1996 Etwas anders hat der Sächsische Verfassungsgerichtshof auf die Normen173 kontrollklage hin entschieden. Im Klageantrag ging es neben anderen Aspekten des Sächsischen Polizeigesetzes um die Normenklarheit und Normenbestimmtheit des § 22 SächsPolG sowie um einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Möglichkeit eines vierzehntägigen Gewahrsams wurde von dem sächsischen Gericht ebenfalls nicht beanstandet. Die Verfassungswidrigkeit von Teilen dieser Vorschrift sah das Gericht jedoch darin, daß die theoretische Möglichkeit besteht, daß die Höchstfrist auf alle Gewahrsamstatbestände gleichermaßen angewandt werden kann. aa) Keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich eines vierzehntägigen Gewahrsams Hinsichtlich der Rechtsfolge, grundsätzlich einen vierzehntägigen Gewahrsam zu verhängen, hatte das Gericht keine Bedenken 174 , da es, ohne diese Frage weiter zu problematisieren, davon ausging, daß die zeitliche Beschränkung des Art. 104 II S. 3 GG nur für einen polizeilich verhängten Gewahrsam gilt, nicht aber dann, wenn ein Richter die Fortdauer der Freiheitsentziehung angeordnet hat. Soweit besteht also noch Übereinstimmung mit der bayerischen Entscheidung von 1989.
172 So der Urteilstext, aaO S. 690: „Die Gewahrsamstatbestände sind in den einzelnen Vorschriften rechtsstaatlich hinreichend bestimmt; aus ihnen und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich hinreichend, ftir welche Dauer ein Gewahrsam im Einzelfall unerläßlich ist." 173 Die Urteilsgründe zum Gewahrsam finden sich im Urteilstext unter Punkt D, S. 31-43. 174 Vergi. Urteilstext, S. 36.
204
Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
bb) Erfordernis
einer abgestuften Höchstgrenze nach dem Gewahrsamstyp
Bei der einheitlichen Festlegung dieser Obergrenze auf alle Gewahrsamstatbestände hatte das Gericht jedoch Bedenken. 175 Nach Ansicht des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes muß der Gesetzgeber, wenn er sich schon entscheidet, die einzelnen Eingriffsvoraussetzungen aufzufächern, dies auch bei den Rechtsfolgen tun. Es sei daher erforderlich, jeweils einzelne angemessene Rechtsfolgen zu normieren 176 , da sich die Tatbestände sowohl in den Voraussetzungen als auch nach ihrem Schutzzweck unterscheiden. 177 Das gebieten die Grundsätze der Normenbestimmtheit und der Verhältnismäßigkeit. Während das Gericht einen vierzehntägigen Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam für rechtmäßig und vorstellbar hielt, war es der Ansicht, daß ein gleich langer Schutzgewahrsam kaum vorstellbar sei. 178 Ebenfalls sei eine derartig lange Zeitdauer einer Freiheitsentziehung zum Zwecke der Identitätsfeststellung sowie zur Durchsetzung einer Platzverweisung 179 nicht vertretbar, da hierfür vernünftigerweise keine Anwendungsfälle denkbar seien; beim Platzverweis ergebe sich dies zusätzlich durch den kurzfristigen Charakter der Platzverweisung. Abschließend 180 stellte das Gericht fest, daß die Möglichkeit eines vierzehntägigen Gewahrsams wohl nur in äußerst seltenen Fällen zum Schutze überragend wichtiger Gemeingüter angewandt werden dürfe. Daher sei die gesetzliche Möglichkeit mit dieser Zeitspanne operieren zu können, grundsätzlich nicht zu beanstanden. Auch insoweit besteht Übereinstimmung mit der bayerischen Entscheidung.
175
Vergi. Urteilstext, S. 36: „Der Gesetzgeber hat insoweit den Einschätzungs-, Wertungs- und Beurteilungsspielraum nicht gewahrt, der ihm bezüglich der Auswirkungen, der in dem Gesetz vorgesehenen Maßnahmen in einer ungewissen Zukunft gebührt." 176 Vergi. Urteilstext, S. 38: „Die Normanwender müssen der Entscheidung des Gesetzgebers für eine pauschale Höchstgrenze in Bezug auf alle Tatbestandsvarianten die verbindliche Wertung entnehmen, es handele sich im Hinblick auf die zu schützenden Gemeinwohlinteressen um Eingriffsbefugnisse mit jeweils gleichem Gewicht und damit durchweg um Sachverhalte, bei denen sich im einzelnen Anwendungsfall ein Gewahrsam von 14 Tagen als erforderlich und angemessen erweisen könnte." 177 Anders Schenke in DVB1. 1996 S. 1393 ff., 1393, der davon ausgeht, daß eine fehlerfreie Anwendung der Verhältnismäßigkeit sowie die Ermessensausübung der Polizei ein ausreichender Garant für eine angemessene Höchstgrenze sei. 178 Nach Schenke, aaO S. 1393 ff. ist dies nicht überzeugend, da § 22 V I I S. 5 SächsPolG mit der Zweckerreichung ausreichende Sicherheit gegen einen Mißbrauch dieser Gewahrsamsvarianten biete. Eine exakte Grenzziehung sei daher angesichts der Vielgestaltigkeit der in Betracht kommenden Fallkonstellationen nicht möglich. 179 Schenke, aaO S. 1394 mit dem Hinweis, daß diese Argumentation nicht nachvollziehbar sei, da hier ein längerer Gewahrsam durchaus denkbar wäre und nicht mit einer zwingenden „Kurzfristigkeit der Platzverweisung" verneint werden könne. 180 Vergi. Urteilstext, S. 42 und 43.
XIII. Zeitdauer der Ingewahrsamnahme
205
4. Die Argumente für und gegen eine über Art. 104 IIS. 3 GG hinausgehende, längere Gewahrsamsdauer a) Die Argumente der Befürworter einer kurzen Gewahrsamsdauer Vielfach wird angenommen, daß es sich bei der Natur des Polizeigewahr181
sams um eine kurzfristige Maßnahme handeln muß. Begründet wird dies damit, daß die Polizei aufgrund einer Ersteinschätzung der Situation, der Erkenntnisphase, naturgemäß nicht in der Lage ist, z.B. innere Motive des Betroffenen oder weitere Tatsachen in Betracht zu ziehen, die sich erst nach einiger Zeit herausstellen können. Die Polizei entscheidet daher erst einmal aufgrund äußerer, offensichtlicher Umstände, wie z.B. mitgeführter Gegenstände. Demzufolge gestattet man der Polizei einen Gewahrsam, um die vorliegende Situation erst einmal genauer zu realisieren, sich damit vertraut zu machen und gleichzeitig den vermeintlichen Störer von entsprechenden Handlungen abzuhalten. Für weitergehende Maßnahmen können diese ersten Indizien jedoch nicht ausreichen. Demzufolge dürfe sich ein Polizeigewahrsam auch nicht über mehrere Tage oder gar Wochen erstrecken. 182 Einzelne denkbare Fälle, in denen eine längere Gewahrsamsdauer gerechtfertigt sein könnte, können letztlich kein Grund sein, generell einen längeren Gewahrsam zuzulassen.183 Zu dem gleichen Ergebnis kommen die Gegner eines längeren Gewahrsams auch im Hinblick auf die polizeiliche Aufgabenzuweisung der Gefahrenabwehr. Der Polizeigewahrsam diene in der Regel der Verhinderung unmittelbar bevorstehender Störungen. 184 Bei einem bis zu vierzehn Tage andauernden Gewahrsam könne von einer solchen akuten Gefahrenlage nicht mehr gesprochen werden. 185 Bei Geisteskrankheit, triebhaftem Verhalten oder anderen vergleichbaren latenten Gefahren seien ohnehin die Freiheitsentziehungsgesetze der Länder und nicht die Polizeigesetze einschlägig. Schwierig sei bei einem Zwei-Wochen-Gewahrsam dann auch die Abgrenzung zu § 112 a StPO, der U-Haft bei Wiederholungstätern, da diese Vorschrift aufgrund der strengeren
181
Vergi, hierzu Rachor in Lisken/Denninger, F Rn. 341. Blankenagel in DÖV 1989 S. 692: „Aus dieser temporär wie situativ eng umgrenzten Gestalt einer polizeilichen Lage folgt die Natur des Polizeigewahrsams als kurzfristige Maßnahme." Paeffgen in NJ 1996 S. 454 ff., 456: „ ...so erkennt man, welch grobschlächtiges Instrument die polizeiliche Prognose als Kriterium für einen derart gewichtigen Grundrechtseingriff ist." Vorsichtig argumentiert Gusy, PolR Rn. 245, der davon ausgeht, daß der polizeiliche Grund für ein Aufheben des Gewahrsams „in jedem Fall deutlich früher als zwei Wochen wegfallen" müsse. 182
183 184 185
Listen in ZRP 1996 S. 334; Paeffgen in NJ 1996 S. 456. Vergi, dazu den Gefahrenbegriff vorne beim Unterbindungsgewahrsam. So z.B. Kutscha in NJ 1994 S. 545 ff., 546.
206
Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
Tatbestandsvoraussetzungen vorgehe. 186 Es bestehe keine Relation mehr zwischen Polizeirecht und Strafrecht, meint Lisken kritisch, da man „heutzutage schon allerlei anstellen müsse, um zu einer Mindestfreiheitsstrafe zu gelangen und nicht nur zu einer Geldstrafe." 187 Aus diesen Gründen müßten der Polizei zwei Tage, der bisherige Standard aus Art. 104 II S. 3 GG, genügen, um ausreichende Informationen für die weitergehende Entscheidung eines Richters, wie z.B. für eine Untersuchungshaft, zu beschaffen. 188 Damit würde auch der Eindruck einer Strafaktion 189 der Polizei vermieden werden. Auch eine richterliche Ent-scheidung über einen weitergehenden Polizeigewahrsam könne nicht allzuviel leisten, da sie notwendigerweise künstlich auf das von der Polizei beigebrachte Material verkürzt sei. Demzufolge dürfe sie auch nicht als Rechtfertigung für eine längere Gewahrsamsdauer überschätzt werden. 190
b) Die Argumente der Befürworter einer langen Gewahrsamsdauer Die Befürworter eines längeren Gewahrsams sehen die durch Art. 104 II S. 3 GG vorgegebene Frist als ungenügend an. Die Gewahrsamsdauer des alten § 15 II PreußPVG, der als Grundlage der neueren Polizeigesetze gilt, sei für eine effektive Gefahrenabwehr in der heutigen Zeit zu kurz. 191 Zu denken wäre an einen Lösungsansatz, der sich an den Fristen des Art. 115 c II Nr. 2 GG 1 9 2 von vier Tagen orientiert. Diese Vorschrift stellt eine Fristverlängerung für Richter dar, die im Verteidigungsfall an der Einhaltung der üblicherweise vorgegebenen Fristen gehindert sind. 193 Ein Verstoß gegen Art. 2 II GG sei bei einem längeren Gewahrsam ebenfalls nicht ersichtlich, da andere Gesetze weitaus längere Freiheitsentziehungen als zwei Wochen erlauben. 186 Vergi, hierzu auch Lisken in ZRP 1996 S. 333, der daraus interpretieren möchte, daß ein längerer Polizeigewahrsam dann auch nur bei Wiederholungstätern zulässig sein soll; so auch Kutscha in NJ 1994 S. 546. 187 So Lisken in ZRP 1996 S. 334 mit weiteren Nachweisen. 188 Blankenagel in DÖV 1989 S. 694. 189 So Kutscha in NJ 1994 S. 545 ff., 546. 190 So Paeffgen in NJ 1996 S. 454 ff., 455. 191 Vergi, hierzu Koschwitz, Diss. Göttingen S. 73 und 74. 192 Wortlaut im Anhang; hierzu auch Hantel, Diss. Berlin S. 42 und 43; ebenfalls Blankenagel in DÖV 1989 S. 694. 193 Vergi, hierzu auch Herzog in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 115 c II Nr. 2 GG Rn. 39-42; zu den gesetzgeberischen Motiven Rn. 41. Diese Vier-Tages-Frist war jedoch bereits damals umstritten; es wurden Alternativvorschläge von drei Tagen bis einer Woche vorgebracht. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß diese vier Tage nur der äußerste Rahmen für eine Gesetzgebung des Bundes ist. Es ist ihm durchaus gestattet, diese Frist auch zu unterschreiten; hierzu auch Herzog, aaO Rn. 42 zu den verschiedenen Fristen Art. 115 c GG Fn. 4aufS. 14.
XIII. Zeitdauer der Ingewahrsamnahme
207
5. Stellungnahme zum Problem der Gewahrsamsdauer a) Möglichkeit einer längeren Gewahrsamsdauer jenseits von Art. 104 II S. 3 GG aa) Kein Widerspruch
zu Art. 104 IIS. 3 GG
In Übereinstimmung mit den beiden Gerichtsentscheidungen und Teilen der Literatur regelt Art. 104 I I S. 3 GG nur den klassischen Polizeigewahrsam, der von der Polizei angeordnet und durchgeführt wird. Daher kann diese Norm nicht gleichfalls als Grenze für eine richterliche Entscheidung angesehen werden. Ein Richterentscheid kann mit einer polizeilichen Entscheidung nicht gleichgesetzt werden, da der Richter als unabhängiger Außenstehender eine andere Sichtweise der Dinge hat wie die Polizei, die aus der Situation heraus entscheiden muß. Der Richter kann aufgrund seiner Rechtskenntnisse verfassungsrechtlichen Vorgaben besser Geltung verschaffen. Als Argument dafür kann auch die Entstehungsgeschichte der Norm herangezogen werden. Wenn Art. 104 GG in Reaktion auf das nationalsozialistische Regime entstanden ist, so ist dessen Intention, willkürliche polizeiliche, aber nicht richterliche Übergriffe zu verhindern. 194 Der Justiz, als unabhängige dritte Gewalt im Staat, kann und darf mehr Vertrauen hinsichtlich Unabhängigkeit und Rechtskunde entgegengebracht werden. Eine Überlagerung der Verfassungsnorm des Art. 104 II S. 3 GG gilt daher nur für die Polizei. Sie ist, wie dargestellt, auch durchgängig in allen Polizeigesetzen berücksichtigt worden. Das oft vorgebrachte Argument von der zwingenden Kurzfristigkeit des Polizeigewahrsams überzeugt nur in der Weise, daß dessen Zeitdauer so weit wie möglich verkürzt wird, also unnötige Freiheitsentziehungen, die über den beabsichtigten Zweck hinausgehen, in jedem Fall verhindert werden müssen. Dabei handelt es sich aber ohnehin um eine Selbstverständlichkeit, da im Polizeirecht grundsätzlich die Eingriffsintensität so gering wie möglich gehalten werden muß. 195 Von einer grundsätzlichen Kurzfristigkeit, zwingend beschränkt auf 48 Stunden, auszugehen, wäre daher genauso falsch, wie einen unbeschränkt langen Polizeigewahrsam zuzulassen. Eine über die Frist des Art. 104 II S. 3 GG hinausgehende Freiheitsentziehung ist daher - gekoppelt mit einer richterlichen Entscheidung - prinzipiell möglich.
194
Vergi. Fn. 154 oben. Im Grundgedanken so auch Schenke in DVB1. 1996 S. 1393 f f , der davon ausgeht, daß bei einer strikten Anwendung der polizeilichen Handlungsmaxime auch ohne vorgegebene Höchstgrenzen vernünftige Ergebnisse denkbar seien. 195
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
bb) Kein Widerspruch
zu anderen Grundrechten oder Bundeskompetenzen
Etwaige Verstöße einer längeren Gewahrsamsdauer gegen Verfassungsnormen, speziell in bezug auf Art. 2 II S. 2 GG 1 9 6 sind nicht ersichtlich, da das Grundrecht der Freiheit der Person nicht uneingeschränkt gilt und somit in allen Polizeigesetzen auch als einschränkbares Grundrecht genannt ist. Insbesondere kann ein möglicher Verstoß gegen Art. 2 II S. 2 GG wegen irreparabler Schäden nicht überzeugen, da es von einer willkürlichen Grenzziehung abhinge, ab wann noch verträgliche Schäden entstünden und ab wann nicht mehr. Nach der zutreffenden Ansicht des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes überwiegt das Interesse der Gefahrenabwehr gegenüber der grundsätzlichen Freiheit der Person; das übrige ergibt sich schließlich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ebenfalls liegt kein Konkurrenzverhältnis zur Strafprozeßordnung 197 mit damit verbundenen kompetenzrechtlichen Problemen vor, da keine Verwischung der Grenzen zwischen repressiver und präventiver Freiheitsentziehung durch einen längeren Polizeigewahrsam erfolgt. Dem Argument, daß ein längerer Polizeigewahrsam repressive Züge bekommt und zum Mittel der Strafverfolgung wird, kann nicht gefolgt werden, wenn dabei ausschließlich präventive Zwecke verfolgt werden. Beide Bereiche sind nach wie vor strikt voneinander getrennt. Auch der Hinweis auf das Verhältnis zu § 112 a StPO 198 , der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr, kann kein zwingender Grund für einen kurzen Polizeigewahrsam sein, da von dieser Vorschrift nach Abs. I Nr. 2 nur gewisse, gravierende Deliktsbereiche, wie z.B. schwere Körperverletzung und Raub umfaßt sind. Die Untersuchung des Unterbindungsgewahrsams hat aber gezeigt, daß auch Ordnungswidrigkeiten eine polizeiliche Freiheitsentziehung prinzipiell rechtfertigen können. Die Zielrichtung der StPO geht bekanntermaßen in eine andere Richtung. Außerdem ist eine Verurteilung im Strafprozeß auch nicht immer tatbezogen, da oftmals eine erneute Geldstrafe verhängt wird, nur weil die Haftkapazitäten der Justizvollzugsanstalten erschöpft sind. Daraus eine Wertigkeit der Freiheitsrechte für das Polizeirecht abzuleiten, wäre verfehlt, da selbst bei der Repression oftmals praktische Erwägungen entscheidungserheblich sind. Wenn man nun davon ausgehen kann, daß die Landesgesetzgeber aufgrund ihrer Gesetzgebungskompetenz zur Gefahrenabwehr
196
Anders Jahn in DVB1. 1989 S. 1042, 1043; Blankenagel in DÖV 1989 S. 693. Hirsch in ZRP 1989 S. 82, 84 mit Hinweis auf § 163 c StPO. 198 Vergi, dazu BVerfG in NJW 1966 S. 243 ff. insbesondere S. 244, mit anderer Wertung als bei Hirsch oben, da hier auch eindeutig die Strafverfolgung nach Ansicht des Gerichts im Vordergrund steht; auch Hufnagel, Diss. Würzburg S. 117 sieht aufgrund des Katalogs in § 112 a StPO keine Kollision zwischen Strafprozeßrecht und Polizeirecht, da der Polizeigewahrsam auch die im Katalog nicht genannten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten erfassen kann. 197
XIII. Zeitdauer der Ingewahrsamnahme
209
einen längeren Gewahrsam gesetzlich bestimmen können, stellt sich die Frage nach einer zeitlichen Obergrenze.
b) Keine Möglichkeit einer exakten Bestimmung von zeitlichen Obergrenzen Es gibt zwar Ansatzpunkte für eine solche zeitliche Fixierung, jedoch ist m.E. eine exakte Bestimmung einer Obergrenze nicht möglich. Sie muß sich in jedem Einzelfall aufgrund einer genauen Überprüfung der jeweiligen Umstände ergeben. Die Lösung der Frage ist daher, wie so oft bei Problemstellungen des öffentlichen Rechtes, in einer Abwägung der Aspekte, also in einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu suchen. 199 Die angedeutete Möglichkeit der Vier-Tages-Grenze im Verteidigungsfall kann lediglich als Anhaltspunkt dienen und hat wohl in einigen Ländern 200 den Ausschlag gegeben, die Höchstgrenze auf vier Tage festzusetzen. Die Zielsetzung dieser Norm ist mit den normalen Begebenheiten im Friedensfall nicht zu vergleichen. Bei Art. 115 II Nr. 2 GG ist lediglich den Umständen einer personell geschwächten Justiz im Verteidigungsfall Rechnung getragen, in welchen die sonst gültige Fristen nicht mehr eingehalten werden können. Der Bundesgesetzgeber müßte von dieser Möglichkeit zusätzlich erst noch durch Gesetz Gebrauch machen. Diese Vorschrift hat daher allenfalls Vorschlagscharakter, kann also nicht als oberstes Limit für eine polizeiliche Freiheitsentziehung angesehen werden. Andere Gesetze, die ebenfalls Freiheitsentziehungen zulassen, gehen teilweise von größeren Zeitspannen aus und dienen letztlich im weitesten Sinne auch einer Gefahrenabwehr, wie z.B. die Unterbringungsgesetze. 201 Man könnte zwar annehmen, daß es dem Betroffenen gleichgültig ist, aufgrund welcher Rechtsgrundlage er festgehalten wird, jedoch unterscheiden sich die Formen der Unterbringung 202 und die Zielsetzung 203 dieser Freiheitsentziehungen 199 Eine teilweise geforderte Fixierung verschiedener Obergrenzen wie z.B. von Lisken in ZRP 1996 S. 333 ist daher nicht sinnvoll. 200 Vergi. Fn. 140; beim Bundesgrenzschutzgesetz Fn. 145 oben. 201 Vergi, hierzu z.B. Ausländergesetz, Strafprozeßordnung, Unterbringungsgesetze, Bundes-Seuchengesetz mit unbegrenzten Zeiträumen oder Sechs-Wochen-Fristen (vergi, die entsprechenden Vorschriften der Gesetze oben in Kapitel II Nr. 5). 202 Der Polizeigewahrsam kann wohl nicht mit der Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt oder in Gefangnissen verglichen werden, zumal die meisten Polizeigesetze ausdrücklich eine gesonderte Unterbringung getrennt von Straf- oder Untersuchungshäftlingen anordnen. 203 Eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung nach den Vorschriften der StPO dient der Strafverfolgung, eine Unterbringung nach den Unterbringungsgesetzen setzt eine geistige Erkrankung bzw. Störung voraus. Es ist somit keine direkte Vergleichbarkeit mit der Gefahrenabwehr gegeben. Von daher können die dort vorgegebenen Zeitspannen auch nicht als Anhaltspunkte für das Polizeirecht angenommen werden.
14 Stoermer
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
so wesentlich von denen der Polizeigesetze, daß sie ebenfalls nicht als Maßstab für eine mögliche zeitliche Obergrenze taugen. Wie eine Durchsicht der Gesetzgebungsmotive in Bayern 0 4 und Sachsen 05 erkennen läßt, ist die Zwei-Wochen-Regelung ebenfalls nur eine fiktive Ober206
grenze , um den Zeitraum nach oben hin irgendwie abzustecken. Dabei hatte man sich ersichtlich an der älteren Regelung von Baden-Württemberg orientiert. Diese Zeitspanne ist daher ebenfalls nur ein Gedankenkonstrukt und erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Man hätte sich genauso auf eine, drei oder vier Wochen einigen können. Nach dem bisher Gesagten hätte auch eine solche Obergrenze theoretisch Gültigkeit haben können. Die Obergrenze des Gewahrsams ist also fast willkürlich 2 0 7 zu bestimmen und orientiert sich einzig an dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 208 Manche gesetzlichen Regelungen haben daher, wie dargestellt, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bereits in den Gesetzeswortlaut aufgenommen, indem sie eine Freiheitsentziehung zum Zwecke der Identitätsfeststellung in den meisten Fällen auf zwölf Stunden beschränken. Dabei ist von einer durchschnittlichen Zeitdauer ausgegangen worden, in der nach den heutigen Methoden mit den Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung eine Identifizierung durchführbar ist. 2 0 9 Hierbei ist jedoch auch zu berücksichtigen, daß sich in der jetzigen Zeit zwar im Polizeialltag einige Erleichterungen ergeben haben, die eine Identifizierung schneller ermöglichen als früher; der Polizei ist es durch die gewachsenen Anforderungen und Fülle an Aufgaben aber auch nicht immer möglich, stets sofort zu reagieren. Sinn und Zweck der Vorschrift des Art. 104 II S. 3 GG muß es aber bleiben, daß die Polizei in der Zeit, die ihr für einen Gewahrsam aus eigener Machtvollkommenheit zusteht, die Situation abschließend klären kann. Wenn das nämlich nicht möglich ist, ist im Anschluß daran entweder die betroffene Person wieder freizulassen oder der zuständige Richter zu benachrichtigen, daß dieser aufgrund der in der Zwischenzeit gesammelten Informationen gegebenenfalls einen weitergehenden Gewahrsam auf einer anderen rechtlichen Grundlage anordnen kann.
204
BayLT-Ds. 11/9078, Einzelbegründung S. 4: „... soll aufgrund der Erfahrungen ... der Rechtslage in Baden-Württemberg angepaßt werden." 205 SächsLT-Ds. 1/4095 im Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung zur Gesetzesänderung wird seitens der Initiatoren ständig auf die Rechtslage in BadenWürttemberg verwiesen. 206 In Sachsen wurde im Vorfeld der Diskussion auch eine mögliche Sieben-TageRegelung vorgeschlagen. 207 So auch Listen in ZRP 1996 S. 332. 208 Im Ergebnis so auch Schenke in DVB1. 1996 S. 1394. 209 Ipsen, NGefAR Rn. 371 spricht davon, daß für solche polizeilichen Tätigkeiten ein „normaler Arbeitstag" in aller Regel ausreichen dürfte.
XIII. Zeitdauer der Ingewahrsamnahme
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Man hat sich bei der Identitätsfeststellung sichtlich an § 163 c StPO orientiert, der ebenfalls nur eine maximale Freiheitsentziehung von zwölf Stunden zuläßt. 210 Es ist im Ergebnis m.E. aber sehr fraglich, ob eine derartige freiwillige Limitierung einer zeitlichen Obergrenze tatsächlich Sinn macht, wenn möglicherweise die Maßnahme deswegen in schwierigen Einzelteilen aus Zeitgründen nicht zum Ziel fuhrt. Die bisherige angelaufene (Teil-)Maßnahme wäre somit sinnlos gewesen oder die Polizei könnte, bedingt durch den Zeitdruck, zu oberflächlicher Arbeit gezwungen werden. Da sich die Zeitgrenze bei der Identitätsfeststellung aber letztlich nur zum Schutz der Betroffenen auswirkt, ist sie aus diesem Blickwinkel nicht weiter zu beanstanden. Man hätte es in diesen Fällen aber auch bei der Zeitspanne des Art. 104 I I S. 3 GG belassen können. Bei einer Platzverweisung sind auch kaum Fälle vorstellbar, in denen zwecks Durchsetzung ein vierzehntägiger Gewahrsam erforderlich sein könnte. Hier kann es sich allenfalls um wenige Stunden handeln, da die Platzverweisung selbst von kurzfristiger Natur ist. 211 Das bedeutet jedoch nicht zwingend, daß die schlichte Möglichkeit einer längeren Zeitdauer gleich die Verfassungswidrigkeit einer Norm zur Folge hätte. Vergleichbares trifft auch für den Schutzgewahrsam zu, da kaum Konstellationen denkbar sind, bei denen ein Schutzbedürftiger aufgrund der Polizeigesetze mehrere Tage festgehalten werden müßte. Ist eine Person derart „hilflos", sind ohnehin mittelfristig andere Lösungen zu suchen. Von daher wird sich der Zeitraum im Hinblick auf diese Eingriffsvarianten in der Regel deutlich unter der Zwei-Wochen-Grenze abspielen. Bei einem Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam sind dagegen durchaus Fälle denkbar, in denen eine vierzehntägige Zeitspanne für eine effektive Gefahrenabwehr erforderlich werden könnte. Diese Situation könnte sich gerade bei den oft angesprochenen Großveranstaltungen ergeben, bei denen Störer zur Vermeidung bevorstehender oder weiterer Gefährdungen in Gewahrsam genommen werden müssen, da diesen Gefahren aus den verschiedensten Gründen nicht anders als durch eine Freiheitsentziehung begegnet werden kann. Eine derart lange Zeitdauer ist daher für diese Eingriffsvariante nicht zu beanstanden. Wenn man die Verschiedenheit der Gewahrsamstypen mit den unterschiedlichen Eingriffsvoraussetzungen und Zielrichtungen betrachtet, könnte man zwar an eine weitere Abstufung der Höchstgrenzen, neben den in einigen Gesetzen schon beschränkten Freiheitsentziehungen zum Zwecke der Identitätsfeststellung, denken. Den Ausführungen des Sächsischen Verfassungsgerichts210
Vergi, dazu auch Roos, § 18 Rh-Pf POG Rn. 6, der die rheinland-pfälzische Gewahrsamsvorschrift, die einen Gewahrsam zum Zwecke der Identitätsfeststellung von 24 Stunden zuläßt, als verfassungswidrig im Hinblick auf die Vergleichbarkeit mit § 163 c StPO ansieht. 211 Anders Schenke in DVB1. 1996 S. 1394.
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Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
hofes mit der Forderung nach einer abgestuften Höchstgrenze je nach Anwendungsfall aus Gründen der Normenbestimmtheit und Verhältnismäßigkeit ist aber nicht zuzustimmen, da sie, von den derzeit bestehenden Normen ausgehend, nicht erforderlich ist. c) Der Grundsatz der Normenbestimmtheit Der Grundsatz der Normenbestimmtheit entstammt dem Rechtsstaatsprinzip und fordert, daß klar erkennbar sein muß, was die einzelnen Normen vorschreiben. Diese Voraussetzung muß bei der detaillierten Regelung des § 22 SächsPolG hinsichtlich der aufgefächerten Tatbestandsseite bejaht werden. Lediglich Strafgesetze müssen gem. Art. 103 I I GG aus Gründen der Rechtssicherheit Tatbestände und Rechtsfolgen noch bestimmter umschreiben. Der Sinn ist darin zu sehen, daß für den Rechtsunterworfenen von vornherein feststehen soll, was wie sanktioniert wird, damit er sein Verhalten entsprechend darauf auszurichten kann. Dies kann aber wegen der Verschiedenheit von Strafverfolgung, einschließlich der Sanktionierung, im Gegensatz zu den Polizeigesetzen dort nicht gleichermaßen gelten. 212 Bei den sonstigen Gesetzen, wie auch bei den Polizeigesetzen, genügt daher eine hinreichende, nicht unbedingt größt213
mögliche Bestimmtheit der Rechtsfolgen. Nach dem Bundesverfassungsgericht sollen „die Rechtsunterworfenen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochenen Rechtsfolgen vorliegen." 214 Die Anforderungen an die Polizeigesetze dürfen daher nicht übertrieben werden. Durch das Bestimmtheitsgebot ist der Gesetzgeber nämlich nicht verpflichtet, alles genauestens zu regeln; vielmehr kann er sich auch unbestimmter Rechtsbegriffe (wie z.B. § 242 BGB, Treu und Glauben) und Generalklauseln bedienen. Eine nähere Ausgestaltung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln erfolgt dann über die Verwaltungspraxis und die Rechtsprechung. Wäre der Gesetzgeber gezwungen, alles akribisch im Vorfeld zu regeln, wäre dies gleichzeitig ein gesetzgeberischer Rückschritt, da er sich in Details ergehen müßte, die er in der Regel nicht abse215
hen kann. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß ein gewisses Maß an Unbestimmtheit jeder polizeirechtlichen Regelung anhaftet. Die Trennlinie von Bestimmtheit zu Unbestimmtheit kann daher nur ein extremes Maß an Mehrdeutigkeit sein. 216 Dieses extreme Maß trifft allerdings bei der sächsischen Gewahrsamsregelung weder auf die Tatbestands- noch auf die Rechtsfolgenseite zu. Die Zwei-Wochen-Grenze läßt keinen Zweifel daran, daß es sich nach dem 212 213 214 2,5 216
Im Grundsatz so v. Münch, Staatsrecht Rn. 453; Stein, Staatsrecht § 18 III Nr. 3. Vergi. Stein, Staatsrecht § 18 I I I Nr. 3. BVerfGE 59 S. 104, 114. Vergi, v. Münch, Staatsrecht Rn. 453. Vergi. Stein, Staatsrecht § 18 I I I Nr. 3.
XIII. Zeitdauer der Ingewahrsamnahme
213
Willen des Gesetzgebers zum einen um eine absolute Obergrenze handeln soll, zum anderen verlangt das Übermaßverbot ohnehin, den Zeitraum einer Freiheitsentziehung so kurz wie irgend möglich zu halten. Demzufolge erfordert eine Norm wie § 22 SächsPolG hinsichtlich des grundsätzlichen Erfordernisses der Normenbestimmtheit keine detaillierte, abgestufte Regelung je nach Gewahrsamstyp auf der Rechtsfolgenseite, wenn die Tatbestandsseite so präzise, wie im vorliegenden Fall gegeben, geregelt ist und sich eine Obergrenze gesetzgeberisch ohnehin nicht exakt festlegen läßt.
d) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit In der Vorschrift des § 22 SächsPolG ist die Verhältnismäßigkeit bereits im Normtext enthalten. Eine Maßnahme ist gem. § 22 V I I S. 5 SächsPolG aufzuheben, wenn der Zweck erreicht ist. Es ist daher nicht erforderlich, diese Prämisse dann nochmals bei den einzelnen Eingriffsvoraussetzungen speziell niederzuschreiben. Die Flexibilität, die die Verhältnismäßigkeit in sich birgt, würde dann verlorengehen 217, wenn man noch weitergehende Regelung fordern würde. Es macht aus praktischen Erwägungen heraus auch keinen Sinn, vom Gesetzgeber zu erwarten, daß dieser angesichts der Fülle der in Frage kommenden Fallvarianten eine exakte zeitliche Limitierung jeder einzelnen Fallvariante herausarbeiten kann. Mit der Vorgabe der Zweckerreichung ist bereits ein Teil des Rahmens festgelegt, mit dem Übermaßverbot kommt der zweite Teil dazu. Beide Grundsätze zusammen bilden einen ausreichend bestimmten und präzisen Zeitrahmen für jeden Einzelfall. Die Anwendungsbeispiele, die in den §§ 20 I Nr. 3 BbgPolG und 42 I S. 2 BGSG in bestimmten Fällen einen über Art. 104 II S. 3 GG hinausgehenden Gewahrsam von maximal vier Tagen gestatten, sind dabei, wie die angesprochenen Eingriffskataloge beim Unterbindungsgewahrsam, nur eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Hilfestellung für die Anwender dieser Vorschriften, quasi vom Normgeber selbstauferlegte Schranken. Der Gesetzgeber kann dann noch zusätzlich - als eine dritte Möglichkeit der Beschränkung - unabhängig vom Gewahrsamstyp eine maximale Höchstgrenze festlegt. Dies ist, wie gesehen, in einigen Bundesländern mit Regelungen von vier, zehn und vierzehn Tagen geschehen. Welcher Höchstgrenze er sich bedient, ist dann eigentlich von untergeordneter Bedeutung, solange sie sich in einem Rahmen bewegt, der noch im weitesten Sinne von der Gefahrenabwehr 217 Schenke in DVB1. 1996 S. 1394: „Es will schwerlich einleuchten, weshalb der Einsatz des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit der ihm eigenen, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung tragenden Elastizität, anders als sonst im Polizeirecht, in vorliegenden Zusammenhang unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgebotes zu beanstanden sein soll."
214
Dritter Teil: Überprüfung, Art und Weise, Dauer der Freiheitsentziehung
getragen werden kann. Erst wenn diese Grenze überschritten ist, wird ein weitergehender Polizeigewahrsam aufgrund der Wechselwirkung zur Strafprozeßordnung verfassungswidrig. Ohne sich auf eine exakte Zeitgrenze festzulegen, könnte man bei einem Zeitraum von vier Wochen aufwärts von einem derartigen Verfassungsbruch sprechen. Bei solchen Zeiträumen ist die polizeilich relevante Gefahr, auch bei Gefährdungen von gewichtigen Rechtsgütern, derart gering, daß man von einer geeigneten polizeilichen Maßnahme nicht mehr sprechen kann. In solchen Fällen gibt es weniger einschneidende Maßnahmen (z.B. Beobachtungen, Abhörmaßnahmen), um angemessener auf eine fernliegende Gefahr zu reagieren, will man dann überhaupt noch von einer polizeilichen Gefahr sprechen.
e) Ergebnis Als Ergebnis kann man festhalten, daß die Möglichkeit einer vierzehntägigen Freiheitsentziehung in absoluten Ausnahmefällen gerechtfertigt sein kann. Dabei muß allerdings immer eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Fortdauer der Freiheitsentziehung eingeholt werden. Bei dieser Zeitgrenze handelt es sich um eine willkürliche Beschränkung, die von Erfahrungswerten aus dem Polizeialltag geprägt ist. In Ausnahmefällen könnte möglicherweise noch ein längerer Zeitrahmen erforderlich sein, jedoch haben sich die Gesetzegeber selbst diese Obergrenze auferlegt, die allerdings annähernd allen auftretenden Situationen gerecht werden wird und folglich einzuhalten ist. Die Praxis hat jedoch gezeigt und wird auch in Zukunft zeigen, daß von dieser Ermächtigung so gut wie nie Gebrauch gemacht wird. 2 1 8 Der weitaus größte Teil aller Fälle des Polizeigewahrsams wird sich auch nach einer richterlichen Überprüfung im Bereich der vorgegebenen Frist des Art. 104 I I S. 3 GG, also bis zum Ablauf des auf die Ergreifung folgenden Tages, abspielen. 219 Eine weitere Diskussion, bei welcher absoluten zeitlichen Höchstdauer die Grenze zur Verfassungswidrigkeit polizeirechtlicher Vorschriften gegeben sein wird, ist höchst spekulativ und soll an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden. Eine derartige Grenzziehung kann nur am Gefahrenbegriff festgemacht werden, der auch, wie festgestellt, in gewisser Weise variabel ist und auf die jeweilige zeitliche Situation bezogen gesehen werden muß.
218
Dies war zumindest die einhellige Ansicht der Befürworter dieser Lösung in Bayern und Sachsen. 219 So auch Hoffmann-Riem in Hoffmann-Riem/Koch, S. 246.
XIII. Zeitdauer der Ingewahrsamnahme
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Man wird also im Bezug auf exakte Höchstgrenzen weitere Gesetzgebungsvorhaben und damit verbundene höchstrichterliche Entscheidungen abzuwarten haben.
Vierter
Teil
Schlußwort / Anhang 1. Schlußwort Die vorangegangenen Ausführungen haben einen Überblick über den polizeirechtlichen Gewahrsam gegeben und die damit verbundenen Probleme und Entwicklungen aufgezeigt. Dabei wurde im Rahmen der Entwicklung immer wieder auf Verschärfungstendenzen bei der Gesetzgebung in den letzten Jahren hingewiesen. Die anfangs dargestellte Entwicklung der Kriminalität in Deutschland zwingt die Sicherheitskräfte, in geeigneter Form auf Gefahren zu reagieren und erfordert neue Antworten durch den Gesetzgeber. Das Sächsische Polizeigesetz, welches wegweisende Neuerungen einführen sollte, ist nach Ansicht des dortigen Verfassungsgerichtshofs allerdings mit einigen dieser Antworten über das Ziel hinausgeschossen. Eine Verschärfung der Polizeigesetze, wie damals in Bayern 1988 anläßlich der Großdemonstrationen von Atomkraftgegnern, hat in der letzten Zeit (Frühjahr 1997) im Hinblick auf die gewaltsamen Ausschreitungen bei den Castor-Transporten 1, die nur durch ein riesiges Polizeiaufgebot mit bis zu 30.000 Polizisten möglich waren, erneut an Aktualität gewonnen. Bei solchen Anlässen zeigen sich allerdings auch die Grenzen polizeilicher Möglichkeiten. Ein Daueraufgebot von mehreren zehntausend Polizisten kann nicht die richtige Lösung zur Durchsetzung politischer Ansichten sein, seien sie auch noch so legitim. 2 Ob die Gesetzesverschärfungen der jüngsten Vergangenheit in den übrigen Fällen allerdings den gewünschten Erfolg bringen, bleibt abzuwarten, da ein gewisser Zeitraum für eine abschließende Beurteilung beobachtet werden muß. Jedenfalls stehen die Veränderungen, wie z.B. die
1
Vergi, dazu Greiner in Die Polizei 1997 S. 138 mit einem kurzen Situationsbericht. Im Hinblick auf die Chaos-Tage in Hannover und die Castor-Transporte hatte auch Niedersachsen sein Gefahrenabwehrgesetz hinsichtlich des polizeilichen Gewahrsams 1996 verschärft. Dabei wurden die Regelungen bezüglich der gerichtlichen Überprüfung der Freiheitsentziehung zu Lasten der Betroffenen verändert und die höchstmögliche Gewahrsamsdauer auf vier Tage ausgeweitet. 2 Vergi, dazu auch Blumenwitz in FS Samper, S. 142; auch schon Pfennig in Die Polizei 1980 S. 197, 201 mit einem Zitat des Altbundespräsidenten Scheel im Rahmen eines Vortrags vor der Polizei-Führungsakademie in Hiltrup; hinsichtlich der CastorTransporte so auch Greiner in Die Polizei 1997 S. 138.
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang
217
Verlängerung der Gewahrsamsdauer und die Schaffung der Prognosekataloge, im Einklang mit geltendem Recht. Der Unterbindungsgewahrsam, um den es sich in den meisten Fällen einer polizeilichen Ingewahrsamnahme handeln wird, erfordert immer eine „unmittelbar bevorstehende Gefährdung" und eine „erhebliche Bedeutung" der genannten Rechtsgüter für die Allgemeinheit. Hierbei wurde festgestellt, daß durch die grundsätzliche polizeiliche Aufgabenzuweisung der Gefahrenabwehr durchaus differenzierte Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Gefahreneintritts sowie an deren zeitliche Nähe zu stellen sind. Je nach Bedeutung des möglicherweise gefährdeten Rechtsgutes sinken auch die Anforderungen, die an die Qualität der Gefahr zu stellen sind. Dabei wird teilweise das Vorfeld von Gefahrensituationen tangiert, welches aber gleichfalls der Zuständigkeit der Polizei unterliegt. Letztlich wird in vielen Fällen des Polizeigewahrsams eine Antwort über die Notwendigkeit oder Unnötigkeit nur von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abhängig zu machen sein, die in allen Polizeigesetzen als Grundlage polizeilichen Handelns vorgeschrieben ist. Gerade diese Verhältnismäßigkeit3 ist, wie in vielen Bereichen des öffentlichen Rechts, der Garant dafür, daß für den Betroffenen vertretbare Ergebnisse und Lösungen gefunden werden, da sich nicht jeder Lebensbereich völlig durchnormieren läßt und somit ein Rückgriff auf generalklauselartige Regelungen unverzichtbar ist und bleiben wird, um auf die sich ständig ändernden Bedingungen einzelfallbezogen und angemessen reagieren zu können. Wie weit der Schutz durch die Polizei, z.B. beim Schutzgewahrsam hinsichtlich der Selbstmordproblematik, gehen soll oder welche Kompetenzen ihr beim Unterbindungsgewahrsam zugesprochen werden sollen und können, ist neben der gesetzgeberischen Entscheidung vor allem auch eine gesellschaftliche und politische Grundsatzentscheidung. Es stellt sich dabei die Frage, welche Gefahren die Gesellschaft für andere Rechtsgüter mit in Kauf nehmen möchte, wenn sie der Polizei weitergehende Rechte einräumen will. Diese Wechselwirkung liegt in der Natur der Sache. Es liegt auf der Hand, daß eine größtmögliche Sicherheit nicht ohne Einbußen an anderer Stelle verwirklicht werden kann. Möchte man mehr Prävention, geht dies zwangsläufig nur auf 3
Vergi, hierzu z.B. Schenke in DVB1. 1996 S. 1394. Kritisch Leisner in NJW 1997 S. 636 ff.: „Abwägung überall - Gefahr für den Rechtsstaat". In diesem Aufsatz nimmt der Autor Stellung zu einem wachsenden Fortschreiten der Abwägung im deutschen Recht. Er sieht dieses Fortschreiten sehr kritisch, da aufgrund wachsender Generalklauseln und Verwaltungsermessen die Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Maß aller Dinge zu werden scheine, insbesondere weil die Rechtsprechung, gerade die des BVerfG, zur näheren Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur substanzlose „Worthülsen" zur Verfügung stelle. Eine Überfrachtung von Verhältnismäßigkeitserwägungen würde zwangsläufig zu einer Abkehr vom Rechtsstaat führen, da dort die geschriebenen Gesetze gelten müßten und nicht der abwägende Mensch. Die Gefahr einer Zufallsjurisprudenz könne daher schon jetzt nicht mehr geleugnet werden.
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Vierter Teil: Schlußwort / Anhang
Kosten einer größeren Transparenz der Gesellschaft durch die Sicherheitsorgane. Es ist somit bei der Gesetzgebung, Gesetzesauslegung und Gesetzesanwendung mit äußerster Sensibilität vorzugehen, um keine Vergleiche mit Polizeistaaten aufkommen zu lassen. Die Möglichkeit, weitergehende polizeiliche Vorgehensweisen mit derzeit bestehenden Gesetzen zu rechtfertigen, wird eines Tages daher an Grenzen stoßen und völlig neue Eingriffsermächtigungen erfordern. Ob man diese Kompetenzen nur der Polizei oder anderen Organen, wie Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz oder Bundesnachrichtendienst zugestehen soll, muß dann, neben der reinen Kompetenzzuordnung, auch mit der Funktionalität vereinbar sein. Zumindest sollte man der Polizei die Kompetenzen zugestehen, die mit ihrem Gefahrenabwehrauftrag eng zusammenhängen. Unabhängig davon gilt die Rechtsstaatlichkeit als grundlegendes Ordnungsprinzip des Grundgesetzes in Art. 20 III GG für den Staat und über Art. 28 I GG auch für die Länder und verpflichtet diese, dem Recht Geltung zu verschaffen. Somit muß der Staat seine Sicherheitskräfte mit den entsprechenden rechtlichen und materiellen Mitteln ausstatten, damit sie dieser Aufgabe auch nachkommen können. Die Entwicklung der Polizeigesetze ist daher, auch im Hinblick auf diese Aufgabe, den Erfordernissen der Praxis anzupassen. Es ist der Polizei das Instrumentarium an die Hand zu geben, welches sie für die Bewältigung ihrer Aufgaben braucht.
2. Anhang a) Gewahrsamsnormen Im folgenden ist der Wortlaut der verschiedenen Gewahrsamsnormen wiedergegeben, soweit sich die Vorschriften voneinander unterscheiden und der Inhalt im Hinblick auf die vorangegangenen Ausführungen von Interesse ist.
1. Europäische Menschenrechtskonvention Artikel 5 Abs. I Jeder Mensch hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Wege entzogen werden: a) wenn er rechtmäßig nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht in Haft gehalten wird;
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang
219
b) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird wegen Nichtbefolgung eines rechtmäßigen Gerichtsbeschlusses oder zur Erzwingung der Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung; c) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird zum Zwecke seiner Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde; sofern hinreichender Verdacht dafür besteht, daß der Betreffende an der Begehung einer strafbaren Handlung oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu verhindern; d) wenn es sich um die rechtmäßige Haft eines Minderjährigen handelt, die zum Zwecke überwachter Erziehung angeordnet ist, oder um die rechtmäßige Haft eines solchen, die Zwecks Vorführung vor die zuständige Behörde verhängt ist; e) wenn er sich in rechtmäßiger Haft befindet, weil er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten bildet, oder weil er geisteskrank, Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder Landstreicher ist; f) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, weil er daran gehindert werden soll, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist. Abs. II Jeder Festgenommene muß unverzüglich und in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme und über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden. Abs. III Jede nach der Vorschrift des Abs. I c festgenommene oder in Haft gehaltene Person muß unverzüglich einem Richter oder einem anderen, gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten vorgeführt werden. Er hat Anspruch auf Aburteilung innerhalb einer angemessenen Frist oder Haftentlassung während des Verfahrens. Die Freilassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden. Abs. IV Jeder, der seiner Freiheit durch Festnahme oder Haft beraubt ist, hat das Recht, ein Verfahren zu beantragen, in dem von einem Gericht unverzüglich über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden wird und im Falle der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird. Abs. V Jeder, der entgegen den Bestimmungen dieses Artikels von Festnahme oder Haft betroffen worden ist, hat Anspruch auf Schadensersatz.
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang 2. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
Artikel 9 Abs. I Jedermann hat ein Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit. Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Niemand darf seiner Freiheit entzogen werden, es sei denn aus gesetzlich bestimmten Gründen und unter Beachtung des im Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens. Abs. I I Jeder Festgenommene ist bei seiner Festnahme über die Gründe der Festnahme zu unterrichten und die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen sind ihm unverzüglich mitzuteilen. Abs. III Jeder, der unter dem Verdacht einer strafbaren Handlung festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, muß unverzüglich einem Richter oder einer anderen zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Amtsperson vorgeführt werden und hat Anspruch auf ein Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung aus der Haft. Es darf nicht die allgemeine Regel sein, daß Personen, die eine gerichtliche Aburteilung erwarten, in Haft gehalten werden, doch kann die Freilassung davon abhängig gemacht werden, daß für das Erscheinen zur Hauptverhandlung oder zu einer anderen Verfahrenshandlung und gegebenenfalls zur Vollstreckung des Urteils Sicherheit geleistet wird. Abs. IV Jeder, dem seine Freiheit durch Festnahme oder Haft entzogen ist, hat das Recht, ein Verfahren vor einem Gericht zu beantragen, damit dieses unverzüglich über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheiden und seine Entlassung anordnen kann, falls die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist. Abs. V Jeder, der unrechtmäßig festgenommen oder in Haft gehalten worden ist, hat einen Anspruch auf Entschädigung.
Artikel 10 Abs. I Jeder, dem seine Freiheit entzogen ist, muß menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden.
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang
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Abs. II a Beschuldigte sind, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, von Verurteilten getrennt unterzubringen und so zu behandeln, wie es ihrer Stellung als Nichtverurteilte entspricht; Abs. II b jugendliche Beschuldigte sind von Erwachsenen zu trennen, und es hat so schnell wie möglich ein Urteil zu ergehen. Abs. I I I Der Strafvollzug schließt eine Behandlung der Gefangenen ein, die vornehmlich auf ihre Besserung und gesellschaftliche Wiedereingliederung hinzielt. Jugendliche Straffällige sind von Erwachsenen zu trennen und ihrem Alter und ihrer Rechtsstellung entsprechend zu behandeln.
Artikel 11 Niemand darf nur deswegen in Haft genommen werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen.
3. Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz von 1931 §15 Voraussetzungen der polizeilichen Verwahrung Abs. I Personen in polizeiliche Verwahrung zu nehmen sind die Polizeibehörden nur dann befugt, wenn diese Maßnahme erforderlich ist: a) zum eigenen Schutze dieser Personen, b) zur Beseitigung einer bereits eingetretenen Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Gefahr, falls die Beseitigung der Störung oder die Abwehr der Gefahr auf andere Weise nicht möglich ist. Abs. II Die in polizeiliche Verwahrung genommenen Personen müssen, soweit es sich nicht um gemeingefährliche Geisteskranke handelt, spätestens im Laufe des folgenden Tages aus der polizeilichen Verwahrung entlassen werden. Abs. III Die vorstehenden Bestimmungen gelten nicht für Auslieferungs- und Ausweisungsangelegenheiten.
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Vierter Teil: Schlußwort / Anhang 4. Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes von 1977 §13 Gewahrsam
Abs. I Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen wenn 1. das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib und Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet oder 2. das unerläßlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr zu verhindern. Abs. II Die Polizei kann Minderjährige, die sich der Obhut der Sorgeberechtigten entzogen haben, in Gewahrsam nehmen, um sie den Sorgeberechtigten oder dem Jugendamt zuzuführen. Abs. III Die Polizei kann eine Person, die aus dem Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Justizvollzugsanstalt aufhält, in Gewahrsam nehmen und in die Anstalt zurückbringen.
§14 Richterliche Entscheidung Abs. I Wird eine Person aufgrund von § 13 festgehalten, hat die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen. Der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung bedarf es nicht, wenn anzunehmen ist, daß die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes für die polizeiliche Maßnahme ergehen würde. Abs. II Für die Entscheidung nach Abs. I ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Person festgehalten wird. Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen.
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang
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§ 15 Behandlung festgehaltener Personen Abs. I Wird eine Person aufgrund von § 13 festgehalten, ist ihr unverzüglich der Grund bekanntzugeben. Abs. II Der festgehaltenen Person ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, einen Angehörigen oder eine Person ihres Vertrauens zu benachrichtigen, soweit dadurch der Zweck der Freiheitsentziehung nicht gefährdet wird. Unberührt bleibt die Benachrichtigungspflicht bei einer richterlichen Freiheitsentziehung. Die Polizei soll die Benachrichtigung übernehmen, wenn die festgehaltene Person nicht dazu in der Lage ist, von ihrem Recht nach Satz 1 Gebrauch zu machen und die Benachrichtigung ihrem mutmaßlichen Willen nicht widerspricht. Ist die festgehaltene Person minderjährig, entmündigt oder unter vorläufige Vormundschaft gestellt, so ist in jedem Falle unverzüglich derjenige zu benachrichtigen, dem die Sorge für die Person obliegt. Abs. III Die festgehaltene Person soll gesondert, insbesondere ohne ihre Einwilligung nicht in demselben Raum mit Straf- oder Untersuchungsgefangenen untergebracht werden. Männer und Frauen sollen getrennt untergebracht werden. Der festgehaltenen Person dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Freiheitsentziehung oder die Ordnung im Gewahrsam erfordert.
§16 Dauer der Freiheitsentziehung Die festgehaltene Person ist zu entlassen, 1. sobald der Grund für die Maßnahme der Polizei weggefallen ist, 2. wenn die Fortdauer der Freiheitsentziehung durch die richterliche Entscheidung für unzulässig erklärt wird, 3. in jedem Falle spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen, wenn nicht vorher die Fortdauer der Freiheitsentziehung aufgrund eines anderen Gesetzes durch richterliche Entscheidung angeordnet ist.
5. Polizeigesetz für Baden-Württemberg § 28 Gewahrsam Abs. I Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn
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Vierter Teil: Schlußwort / Anhang
1. auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht verhindert oder eine bereits eingetretene erhebliche Störung nicht beseitigt werden kann, oder 2. der Gewahrsam zum eigenen Schutz einer Person gegen drohende Gefahr für Leib und Leben erforderlich ist und die Person a) um Gewahrsam nachsucht oder b) sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in einer hilflosen Lage befindet oder c) Selbstmord begehen will, oder 3.) die Identität einer Person auf andere Weise nicht festgestellt werden kann. Abs. II Dem in Gewahrsam Genommenen sind der Grund dieser Maßnahme und die gegen sie zulässigen Rechtsbehelfe unverzüglich bekanntzugeben. Abs. III Der Gewahrsam ist aufzuheben, sobald sein Zweck erreicht ist. Er darf ohne richterliche Entscheidung nicht länger als bis zum Ende des Tags nach dem Ergreifen aufrechterhalten werden. Eine richterliche Etscheidung über den Gewahrsam ist unverzüglich herbeizuführen. In der Entscheidung ist die höchstzulässige Dauer des Gewahrsams zu bestimmen; sie darf nicht mehr als zwei Wochen betragen. Abs. IV Für die Entscheidung nach Abs. III S. 3 ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk eine Person in Gewahrsam genommen ist. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Gegen die Entscheidung des Gerichts findet diie sofortige Beschwerde statt. Ist eine Entscheidung des Gerichts ergangen, so ist die Anfechtungsklage ausgeschlossen. Abs. V Für die Gerichtskosten gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Vorschriften über die Kostenordnung. Kosten werden....
6. Bayerisches Polizeiaufgabengesetz Art. 17 Gewahrsam Abs. I Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn
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1. das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib und Leben erforderlich ist, insbèsondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet oder 2. das unerläßlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern; die Annahme, daß eine Person eine solche Tat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird, kann sich insbesondere darauf stützen, daß a) sie die Begehung der Tat ankündigt oder dazu aufgefordert hat oder Transparente oder sonstige Gegenstände mit einer solchen Aufforderung mit sich fuhrt; dies gilt auch für Flugblätter solchen Inhalts, soweit sie in einer Menge mitgeführt werden, die zur Verteilung geeignet ist, oder b) bei ihr Waffen, Werkzeuge oder sonstige Gegenstände gefunden werden, die ersichtlich zur Tatbegehung bestimmt sind oder erfahrungsgemäß bei derartigen Taten verwendet werden, oder ihre Begleitperson solche Gegenstände mit sich führt und sie den Umständen nach hiervon Kenntnis haben mußte, oder c) sie bereits in der Vergangenheit mehrfach aus vergleichbarem Anlaß bei der Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit als Störer betroffen worden ist und nach den Umständen eine Wiederholung dieser Verhaltensweise zu erwarten ist; oder 3. das unerläßlich ist, um eine Platzverweisung nach Art. 16 durchzusetzen. Abs. II Die Polizei kann Minderjährige, die sich der Obhut der Sorgeberechtigten entzogen haben oder sich an Orten aufhalten, an denen ihnen eine sittliche Gefahr oder Verwahrlosung droht, in Gewahrsam nehmen, um sie den Sorgeberechtigten oder dem Jugendamt zuzuführen. Abs. III Die Polizei kann eine Person, die aus dem Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Vollzugsanstalt aufhält, in Gewahrsam nehmen und in die Anstalt zurückbringen. Art. 18 Richterliche Entscheidung Abs. I Wird eine Person auf Grund von Art. 17 festgehalten, hat die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen. Der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung bedarf es nicht, wenn anzunehmen ist, daß die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde. 15 Stoermer
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Vierter Teil: Schlußwort / Anhang
Abs. II Ist die Freiheitsentziehung vor Erlaß einer richterlichen Entscheidung beendet, kann die festgehaltene Person, bei Minderjährigen auch ihr gesetzlicher Vertreter, innerhalb eines Monats nach Beendigung der Freiheitsentziehung die Feststellung beantragen, daß die Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen ist, wenn hierfür ein berechtigtes Interesse besteht. Der Antrag kann bei dem nach Abs. III S. 2 zuständigen Amtsgericht schriftlich oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle dieses Gerichts gestellt werden. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist eine weitere sofortige Beschwerde nur statthaft, wenn das Landgericht sie wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zuläßt. Abs. III Für die Entscheidung nach Abs. I ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Freiheitsentziehung vollzogen wird. Für die Entscheidung nach Abs. II ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Person von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde. Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen.
Art. 19 Behandlung festgehaltener Personen Abs. I Wird eine Person auf Grund von Art. 17 festgehalten, ist ihr unverzüglich der Grund bekanntzugeben; sie ist über die ihr zustehenden Rechtsmittel zu belehren. Zu der Belehrung gehört auch der Hinweis, daß eine etwaige Aussage freiwillig erfolgt. Abs. I I Der festgehaltenen Person ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, einen Angehörigen oder eine Person ihres Vertrauens zu benachrichtigen, soweit dadurch der Zweck der Freiheitsentziehung nicht gefährdet wird. Unberührt bleibt die Benachrichtigungspflicht bei einer richterlichen Freiheitsentziehung. Die Polizei hat die Benachrichtigung zu übernehmen, wenn die festgehaltene Person nicht in der Lage ist, von ihrem Recht nach S. 1 Gebrauch zu machen und die Benachrichtigung ihrem mutmaßlichen Willen nicht widerspricht. Ist die festgehaltene Person minderjährig, entmündigt oder unter vorläufige Vormundschaft gestellt, so ist in jedem Fall unverzüglich derjenige zu benachrichtigen, dem die Sorge für die Person obliegt. Abs. III Die festgehaltene Person soll gesondert, insbesondere ohne ihre Einwilligung nicht in demselben Raum mit Straf- oder Untersuchungsgefangenen untergebracht werden. Männer und Frauen sollen getrennt untergebracht werden. Der festgehaltenen Person dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Freiheitsentziehung oder die Ordnung im Gewahrsam erfordert.
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang
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Art. 20 Dauer der Freiheitsentziehung Die festgehaltene Person ist zu entlassen, 1. sobald der Grund fur die Maßnahme der Polizei weggefallen ist, 2. wenn die Fortdauer der Freiheitsentziehung durch die richterliche Entscheidung für unzulässig erklärt wird, 3. in jedem Fall spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen, wenn nicht vorher die Fortdauer der Freiheitsentziehung durch richterliche Entscheidung angeordnet ist. In der richterlichen Entscheidung ist die höchstzulässige Dauer der Freiheitsentziehung zu bestimmen; sie darf nicht mehr als zwei Wochen betragen.
7. Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für Berlin § 30 Gewahrsam Abs. I Nr. 1 - vergi. § 13 Abs. I Nr. 1 MEPolG Nr. 2 - vergi, inhaltlich § 13 Abs. 1 Nr. 2 MEPolG Nr. 3 das unerläßlich ist, um eine Platzverweisung durchzusetzen, Nr. 4 das unerläßlich ist, um private Rechte zu schützen, und eine Festnahme oder Vorführung der Person nach den §§ 229, 230 Abs. I I I des BGB zulässig ist. Abs. II - vergi. § 13 Abs. II MEPolG Abs. III - vergi. § 13 Abs. III MEPolG
§ 31 Richterliche Entscheidung Abs. I - vergi. § 14 Abs. I MEPolG Abs. II - vergi. BayPAG Art. 18 Abs. II S. 1 Abs. III Für Entscheidungen nach den Abs. I und I I ist das Amtsgericht Tiergarten zuständig. S. 2 - vergi. BayPAG Art. 18 Abs. III S. 3 S. 3 - vergi, inhaltlich BayPAG Art. 18 Abs. II S. 4
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Vierter Teil: Schlußwort / Anhang § 32 Behandlung festgehaltener Personen
Abs. I - vergi. BayPAG Art. 19 Abs. I Abs. II - vergi. § 15 Abs. II MEPolG, wobei das Berliner Gesetz von 1992 bereits auf die neue Rechtsfigur der Betreuung abstellt. Abs. III - vergi. § 15 Abs. III MEPolG
§ 33 Dauer der Freiheitsentziehung Abs. I - vergi. § 16 Abs. I MEPolG Abs. II Eine Freiheitsentziehung zum Zwecke der Feststellung der Identität darf die Dauer von insgesamt zwölf Stunden nicht überschreiten.
8. Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei im Land Brandenburg §17 Gewahrsam Abs. I Nr. 1 - vergi. § 13 Abs. I Nr. 1 MEPolG Nr. 2 - vergi. § 13 Abs. I Nr. 2 MEPolG; allerdings wird hier nicht von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Gefahr gesprochen, sondern von Ordnungswidrigkeiten, die hinsichtlich ihrer Art und Dauer geeignet sind, den Rechtsfrieden nachhaltig zu beeinträchtigen. 2. Halbsatz - vergi. BayPAG Art. 17 Abs. I Nr. 2 (Beispielskatalog) Nr. 3 - vergi, die entsprechende Berliner Regelung Nr. 4 - vergi, die entsprechende Berliner Regelung Abs. II - vergi. § 13 Abs. II MEPolG zusätzlich S. 2: Die Zufuhrung zum Sorgeberechtigten kommt nicht in Betracht, wenn sich der Minderjährige an das Jugendamt wenden will. Abs. III - vergi. § 13 Abs. I I I MEPolG
§18 Richterliche Entscheidung Abs. I Wird eine Person ... hat die Polizei unverzüglich, spätestens innerhalb von vierundzwanzig Stunden eine richterliche Anhörung, sowie unverzüglich eine richterliche Entscheidung ... Rest vergi, inhaltlich § 14 Abs. I MEPolG.
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang
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Abs. II - vergi. § 14 Abs. I I MEPolG
§19 Behandlung festgehaltener Personen Abs. I - vergi. BayPAG § 19 Abs. I S. 1 Abs. II - vergi, die entsprechende Berliner Regelung; zusätzlich explizit die Möglichkeit, einen Rechtbeistand nach Wahl beizuziehen. Abs. III - vergi. § 15 Abs. I I I MEPolG Abs. IV Sind medizinische Behandlungen erkennbar erforderlich oder benötigt der Betroffene Medikamente, sind unverzüglich Maßnahmen einzuleiten, die auch die ärztliche Begutachtung der Gewahrsamsfähigkeit umfassen.
§ 20 Dauer der Freiheitsentziehung Abs. I Nr. 1 u. 2 - vergi. § 16 Abs. I Nr. 1 u. 2 MEPolG Nr. 3 S. 1 - vergi. MEPolG S. 2 Über das Ende des Tages nach dem Ergreifen hinaus kann die Fortsetzung der Freiheitsentziehung aufgrund dieses Gesetzes durch richterliche Entscheidung nur angeordnet werden, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Betroffene Straftaten gegen Leib und Leben oder Straftaten nach den §§ 125, 125 a StGB oder nach den §§ 26, 27 oder 28 des VersammlG begehen oder sich hieran beteiligen wird. In der Entscheidung ist die höchstzulässige Dauer der Freiheitsentziehung zu bestimmen; die Dauer der Freiheitsentziehung aufgrund dieses Gesetzes darf vier Tage nicht überschreiten. Abs. II - vergi, die entsprechende Berliner Regelung
9. Bremisches Polizeigesetz §15 Gewahrsam Abs. I Die Polizei darf eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerläßlich ist Nr. 1 zum Schutz der Person gegen eine ihr drohende Gefahr für Leib und Leben, weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet oder sich töten will, Nr. 2 - vergi. § 13 Abs. I Nr. 2 MEPolG
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang Nr. 3 zur Durchsetzung einer Platzverweisung, deren Nichtbefolgung eine erhebliche Gefahr zur Folge hätte. Die Ingewahrsamnahme ist weiterhin zulässig zum Zwecke der Vorführung gem. den §§ 229, 230 I I I des BGB. Abs. II - vergi. § 13 Abs. I I MEPolG Abs. III - vergi, sinngemäß § 13 Abs. III MEPolG Abs. IV - vergi, sinngemäß § 15 Abs. III MEPolG
§16 Richterliche Entscheidung Abs. I und Abs. II - vergi, sinngemäß § 14 Abs. I MEPolG Abs. III Für die Entscheidung nach Abs. I ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Person festgehalten, zur Dienststelle verbracht oder in Gewahrsam genommen wird. S. 2 - vergi. § 14 Abs. I I S. 2 MEPolG
§17 Rechte bei Freiheitsentziehungen Abs. I S. 1 - vergi. § 15 Abs. I MEPolG S. 2 Sie ist darüber zu belehren, daß sie sich zur Sache nicht äußern braucht. Ferner ist sie über die zulässigen Rechtsbehelfe zu belehren. Abs. II u. Abs. III - vergi, sinngemäß § 15 Abs. II MEPolG mit dem Zusatz: ... oder einen Rechtsanwalt zu benachrichtigen oder hinzuzuziehen.
§18 Dauer der Freiheitsentziehung Abs. I - vergi. § 16 Abs. I MEPolG mit dem Zusatz Nr. 2 wenn die Fortdauer der Freiheitsentziehung unverhältnismäßig ist. Abs. II - vergi, die entsprechende Berliner Regelung
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang
231
10. Hamburgisches Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung §13 Gewahrsam von Personen Abs. I - vergi, sinngemäß die Bremische Regelung jedoch ohne „...oder sich töten will" Abs. II u. Abs. III - vergi. § 13 Abs. II u. III MEPolG
§ 13 a Richterliche Entscheidung Abs. I - vergi. § 14 Abs. I MEPolG Abs. II S. 1 Für die Entscheidung nach Abs. I ist das Amtsgericht Hamburg zuständig. S. 2 - vergi, sinngemäß § 14 Abs. I I S. 2 MEPolG S. 3 In den Fällen einer nach § 13 Absatz 1 Nummer 2 oder 3 beantragten Freiheitsentziehung ist das Beschwerdeverfahren auch nach Fortfall der Beschwer zulässig. S. 4 Für die nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen nach § 13 bleiben die Verwaltungsgerichte zuständig.
§ 13 b Behandlung festgehaltener Personen Vergi. § 15 MEPolG
§ 13 c Dauer der Freiheitsentziehung Abs. I - vergi. § 16 MEPolG Abs. II - vergi, die entsprechende Berliner Regelung
11. Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung § 32 Gewahrsam Abs. I Nr. 1 u. Nr. 2 - vergi. § 13 Abs. I MEPolG Nr. 3 u. 4 - vergi, sinngemäß die Berliner Regelung hinsichtlich Platzverweisung und privater Rechte Abs. II u. Abs. III - vergi. § 13 Abs. II u. Abs. III MEPolG
232
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang § 33 Richterliche Entscheidung
Vergi. § 14 MEPolG
§ 34 Behandlung festgehaltener Personen Vergi. § 15 MEPolG mit Berücksichtigung des Betreuungsgesetzes
§ 35 Dauer der Freiheitsentziehung Abs. I - vergi. § 16 MEPolG jedoch zusätzlich Nr. 2 spätestens vierundzwanzig Stunden nach dem Ergreifen, wenn sie nicht vorher dem Richter zugeführt worden ist. Abs. II - vergi, die entsprechende Berliner Regelung
12. Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern § 55 Gewahrsam von Personen Abs. I bis Abs. I I I - vergi, die Hessische und Berliner Regelung Abs. IV Maßnahmen nach den Absätzen I bis III dürfen nur Polizeivollzugsbeamte vornehmen Abs. V - vergi, inhaltlich § 16 MEPolG Nr. 1 u. Nr. 3
§ 56 Verfahren
bei amtlichem Gewahrsam
Abs. I Wird eine Person in Gewahrsam, Verwahrung oder Haft genommen oder untergebracht (amtlicher Gewahrsam), so sind ihr unverzüglich der Grund der Maßnahme und die zulässigen Rechtsbehelfe bekanntzugeben, es sei denn, die Bekanntgabe wirkt sich für die Person nachteilig aus. Abs. II Verweisungsregelung, inhaltlich vergi. § 14 MEPolG und § 15 II MEP01G Abs. III u. Abs. IV vergi, inhaltlich § 15 III MEPolG mit dem Zusatz: nicht in einem Raum ... mit Suchtkranken.
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang
233
13. Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz § 18 Gewahrsam Die Verwaltungsbehörden und die Polizei können ... Abs. I Nr. 1 u. Nr. 2 - vergi. § 13 Abs. I MEPolG Nr. 3 - vergi, sinngemäß die Berliner Regelung hinsichtlich der Platzverweisung Abs. II - vergi. § 13 Abs. III MEPolG
§19 Richterliche Entscheidung Abs. I - vergi. § 14 Abs. I MEPolG Abs. II Ist die Freiheitsbeschränkung vor Erlaß einer gerichtlichen Entscheidung beendet, so kann die festgehaltene Person, bei deren Minderjährigkeit auch ihr gesetzlicher Vertreter, innerhalb eines Monats nach Beendigung der Freiheitsbeschränkung die Feststellung beantragen, daß die Freiheitsbeschränkung rechtswidrig gewesen ist, wenn diese länger als acht Stunden angedauert hat oder fur die Feststellung ein sonstiges berechtigtes Interesse besteht. S. 2 - 4 - vergi, die entsprechende Bayerische Regelung in Art. 18 Abs. II S. 2 - 4 BayPAG Abs. III - vergi, die entsprechende Bayerische Regelung in Art. 18 I I I S. 1 - 2 BayPAG Zusätzlich § 19 Abs. III S. 3 Das Justizministerium wird ermächtigt, durch Verordnung die Zuständigkeit einem Amtsgericht für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte zu übertragen, sofern dies für eine sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung der Verfahren zweckmäßig ist. Abs. IV Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften des Niedersächsischen Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit.
§ 20 Behandlung festgehaltener Personen Vergi. § 15 MEPolG mit Berücksichtigung des Betreuungsgesetzes
234
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang §21 Dauer der Freiheitsbeschränkung
§ 21 S. 1 - vergi. § 16 S. 1 MEPolG, jedoch Nr. 3 ohne den Zusatz „aufgrund eines anderen Gesetzes" und zusätzlich S. 2 In der richterlichen Entscheidung ist die höchstzulässige Dauer der Freiheitsbeschränkung zu bestimmen; sie darf nicht mehr als vier Tage betragen. S. 3 Eine Freiheitsbeschränkung zum Zwecke der Feststellung der Identität soll nicht länger als sechs Stunden dauern.
14. Nordrhein-Westfalisches Polizeigesetz § 35 Gewahrsam Abs. I Nr. 1 u. Nr. 2 - vergi. § 13 Abs. I MEPolG Nr. 3 u. Nr. 4 - vergi, die Berliner Regelung hinsichtlich Platzverweisung und privater Rechte
Abs. II u. Abs. III - vergi. § 13 Abs. II u. Abs. III MEPolG
§ 36 Richterliche Entscheidung Vergi. § 14 MEPolG
§37 Behandlung festgehaltener Personen Vergi. § 15 MEPolG
§ 38 Dauer der Freiheitsentziehung Abs. I - vergi. § 16 MEPolG Abs. II - vergi, die entsprechende Berliner Regelung
Vierter Teil : Schluß wort / Anhang
23 5
15. Rheinland-Pfalzisches Polizei- und Ordnungsgesetz §14 Gewahrsam Abs. I Nr. 1 u. Nr. 2 - vergi. § 13 Abs. I MEPolG Nr. 3 - vergi, die entsprechende Berliner Regelung hinsichtlich der Platzverweisung Abs. II - vergi. § 13 Abs. II MEPolG
§15 Richterliche Entscheidung Vergi. § 14 MEPolG
§16 Behandlung festgehaltener Personen Vergi. § 15 MEPolG mit Berücksichtigung des Betreuungsgesetzes
§17 Dauer der Freiheitsentziehung Vergi. § 16 MEPolG, jedoch bei Nr. 3: in jedem Fall binnen vierundzwanzig Stunden seit der Festnahme....
16. Saarländisches Polizeigesetz §13 Gewahrsam Vergi. § 13 MEPolG, jedoch in Abs. I Nr. 1 zusätzlich:.... oder sich töten will
§14 Richterliche Entscheidung Vergi. § 14 MEPolG
§15 Rechte bei Freiheitsentziehungen Vergi, sinngemäß § 15 MEPolG
§16 Dauer der Freiheitsentziehung Abs. I Pfalz
vergi. § 16 MEPolG mit der gleichen Modifikation wie oben in Rheinland-
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang Abs. II - vergi, die entsprechende Berliner Regelung
17. Polizeigesetz des Freistaates Sachsen § 22 Gewahrsam Abs. I Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn 1. auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit nicht verhindert oder eine bereits eingetretene erhebliche Störung nicht beseitigt werden kann, oder 2. das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib und Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet, oder Selbstmord begehen will, oder 3. die Identität einer Person auf andere Weise nicht festgestellt werden kann, oder 4. dies unerläßlich ist, um einen Platzverweis nach § 21 durchzusetzen. Abs. II - vergi, sinngemäß § 13 Abs. II MEPolG Abs. III - vergi, sinngemäß § 13 Abs. III MEPolG Abs. IV Der in Gewahrsam genommenen Person ist unverzüglich der Grund der Maßnahme sowie der gegen sie zulässige Rechtsbehelf bekanntzugeben und Gelegenheit zur Beiziehung eines Bevollmächtigten zu geben. Abs. V - vergi. § 15 Abs. I I MEPolG mit Berücksichtigung des Betreuungsgesetzes Abs. V I S. 1 - vergi, sinngemäß § 15 Abs. I I I MEPolG 5. 2 - Gibt ihr Gesundheitszustand Anlaß zur Besorgnis, so ist eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen. Abs. V I I S. 1 u. S. 2 - vergi, sinngemäß § 14 Abs. I MEPolG S. 3 - In der Entscheidung ist die höchszulässige Dauer des Gewahrsams zu bestimmen, sie darf nicht mehr als zwei Wochen betragen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Der Gewahrsam darf ohne richterliche Entscheidung nicht länger als bis zum Ende des folgenden Tages aufrechterhalten werden. Der Gewahrsam ist in jedem Falle aufzuheben, sobald sein Zweck erreicht ist. Abs. V I I I - vergi. § 14 Abs. II MEPolG
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang
237
18. Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt §37 Gewahrsam Vergi. § 17 BayPAG
§ 38 Richterliche Entscheidung Vergi. § 14 MEPolG
§ 39 Behandlung festgehaltener Personen Vergi. § 15 MEPolG mit Berücksichtigung des Betreuungsgesetzes
§ 40 Dauer der Freiheitsentziehung Nr. 1 - Nr. 3 S. 1 - vergi. § 16 MEPolG S. 2 In der richterlichen Entscheidung ist die höchstzulässige Dauer der Freiheitsentziehung zu bestimmen; sie darf nicht mehr als vier Tage betragen. Abs. II - vergi, die entsprechende Berliner Regelung
19. Landesverwaltungsgesetz für Schleswig-Holstein § 204 - Gewahrsam von Personen und § 205 - Verfahren
bei amtlichem Gewahrsam
Vergi, sinngemäß die oben skizzierte Regelung von Mecklenburg-Vorpommern
20. Thüringer Gesetz über Aufgaben und Befugnisse der Polizei
§19 Gewahrsam Vergi, sinngemäß Art. 17 BayPAG; lediglich Verweis auf § 31 mit einer genaueren Erklärung bzw. Katalogisierung von erheblichen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten.
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang § 20 Richterliche Entscheidung Vergi. § 14 MEPolG
§ 21 Behandlung festgehaltener Personen Vergi. § 15 MEPolG mit Berücksichtigung des Betreuungsgesetzes
§ 22 Dauer der Freiheitsentziehung Vergi. § 16 MEPolG jedoch nach Nr. 3 ein Satz 2 eingefügt: S. 2 In der richterlichen Entscheidung ist die höchstzulässige Dauer der Freiheitsentziehung zu bestimmen; sie darf nicht mehr als zehn Tage betragen.
21. Bundesgrenzschutzgesetz § 39 Gewahrsam Abs. I Nr. 1 u. Nr. 3 - vergi. § 13 Abs. I MEPolG Nr. 2 unerläßlich ist, um eine Platzverweisung durchzusetzen Abs. II u. Abs. III - vergi. § 13 Abs. II u. Abs. I I I Abs. IV Der Bundesgrenzschutz kann eine Person in Gewahrsam nehmen, um einem Ersuchen, das eine Freiheitsentziehung zum Inhalt hat, nachzukommen.
§ 40 Richterliche Entscheidung Vergi, sinngemäß § 14 MEPolG mit zusätzlichem Abs. III, bezogen auf § 39 Abs. IV
§41 Behandlung festgehaltener Personen Vergi. § 15 MEPolG
§ 42 Dauer der Freiheitsentziehung Abs. I S. 1 - vergi. § 16 MEPolG
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang
239
S. 2 Die Fortdauer der Freiheitsentziehung kann auf Grund dieses Gesetzes nur in den Fällen des § 39 Abs. I Nr. 3 durch richterliche Entscheidung angeordnet werden, wenn eine Straftat nach den §§ 125, 125 a StGB oder eine gemeinschaftlich begangene Nötigung nach § 240 StGB begangen worden ist und Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Betroffene sich an einer solchen Straftat beteiligt hat oder beteiligen wollte und ohne die Freiheitsentziehung eine Fortsetzung dieser Verhaltensweise zu erwarten ist. In der Entscheidung ist die höchstzulässige Dauer der Freiheitsentziehung zu bestimmen; sie darf nicht mehr als vier Tage betragen. Abs. II - vergi, oben Zwölf-Stunden-Frist bei Identitätsfeststellung
b) Sonstige Vorschriften §15 Versammlungsgesetz Abs. I Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Abs. II Sie kann eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Abs. I gegeben sind. Abs. III Eine verbotene Versammlung ist aufzulösen.
§ 1 des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit Halten sich Kinder oder Jugendliche an Orten auf, an denen ihnen eine unmittelbare Gefahr für ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl droht, so haben die zuständigen Behörden oder Stellen die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen treffen. Wenn nötig, haben sie die Kinder und Jugendlichen 1. zum Verlassen des Ortes anzuhalten, 2. einem Erziehungsberechtigten zuzuführen oder, wenn kein Erziehungsberechtigter erreichbar ist, in die Obhut des Jugendamtes zu bringen. In schwierigen Fällen haben die zuständigen Behörden oder Stellen das Jugendamt über die jugendgefährdenden Orte zu unterrichten.
240
Vierter Teil: Schlußwort / Anhang §87 Strafvollzugsgesetz
Ein Gefangener, der entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Anstalt aufhält, kann durch die Vollzugsbehörde oder auf ihre Veranlassung hin festgenommen und in die Anstalt zurückgebracht werden.
§457 Strafprozeßordnung Abs. I... Abs. II Die Vollstreckungsbehörde ist befugt, zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe einen Vorführungs- oder Haftbefehl zu erlassen, wenn der Verurteilte auf die an ihn ergangene Ladung zum Antritt der Strafe sich nicht gestellt hat oder der Flucht verdächtig ist. Sie kann einen Vorführungs- oder Haftbefehl auch erlassen, wennn ein Strafgefangener entweicht oder sich sonst dem Vollzug entzieht. Abs. III Im übrigen hat in den Fällen des Abs. I I die Vollstreckungsbehörde die gleichen Befugnisse wie die Strafverfolgungsbehörde, soweit die Maßnahmen bestimmt und geeignet sind, den Verurteilten festzunehmen. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist auf die Dauer der noch zu vollstreckenden Freiheitsstrafe besonders Bedacht zu nehmen. Die notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen trifft das Gericht des ersten Rechtszuges.
Artikel 115 c Abs. II Grundgesetz Abs. II Soweit es die Verhältnisse während des Verteidigungsfalles erfordern, kann durch Bundesgesetz für den Verteidigungsfall 1. bei Enteignungen.... 2. für Freiheitsentziehungen eine von Art. 104 Abs. II S. 3 und Abs. III S. 1 abweichende Frist, höchstens jedoch eine solche von vier Tagen, für den Fall festgesetzt werden, daß ein Richter nicht innerhalb der für Normalzeiten geltenden Frist tätig werden konnte.
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Sachwortverzeichnis Abgeordnete 150
Castortransporte 37, 216
Abgrenzung
CCPR
-
Freiheitsentziehung
zur
(internationaler Pakt über bürgerliche
Freiheitsbe-
und politische Rechte) 163 f., 189
schränkung 25 f. „Abpachtung" 137 allgemeine Eingriffs- oder Gehorsamsverpflichtung 161 Alternativentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes 72 Amtshaftungsanspruch 62 Amtshilfe 139, 142 Amtspflicht 188 Aufenthaltsverbot 136 Auffälligkeit 55, 100 Auflösungsverfugung einer Versammlung 114
Chaostage 106, 216
Dauer des Gewahrsams 196 ff. Demonstration 37, 102 ff. -
in Verbindung mit dem Verbringungsgewahrsam 126
Diplomaten 152 Dolmetscher 190
Eilkompetenz der Exekutive 173 Eingriffsrichter 181 Eingriffsschwelle 93 ff. Einheitsprinzip 23
bayerischer VGH 201 ff.
Entscheidungsnotstand 60
Begleitpersonen 97
Entwichene Straftäter 141
Beispielskataloge 65, 95 ff.
Entwicklungsstufen des Gewahrsams 18
Bekanntgabe des Grundes der Festnahme
Erfindung polizeilicher Eingriffsermäch-
188
tigungen 131
Belehrungspflicht 192 f.
Ethik 57, 59
Bereitschaftsdienst 176 ff.
Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 153 ff., 167, 174, 190, 198
Beseitigungsgewahrsam 64 f., 80 -
siehe auch Unterbindungsgewahrsam
Exculpation von Begleitpersonen 98
Bestimmtheitsgrundsatz 101, 129, 212 f. Brokdorfbeschluß des BVerfG 108, 110
Flugblätter 96 Fortsetzungsfeststellungsklage 184
250
arverzeichnis
Freiheit der Person 22, 29, 52
Gewahrsam
Freiheitsbeschränkung 22, 26, 29
-
als Standardmaßnahme 20
-
-
Definition 25
Freiheitsentziehung 26, 29
-
als Freiheitsentziehung 26
-
-
-
als Oberbegriff 30
beim Polizeikessel 117
enger und weiter Gewahrsamsbegriff 30
keine Freiheitsentziehung beim Verbringungsgewahrsam 128
-
Verbringungsgewahrsam 122 f f
bei der Identitätsfeststellung 148 f.
-
von Minderjährigen 138 f f
Freiheitsentziehungsgesetz 30
-
von entwichenen Straftätern 141 ff.
Freizügigkeit 132 ff.
-
zur Durchsetzung eines Platzverweises 144
-
zur Feststellung der Identität 147
-
zum Schutz privater Rechte 146 f.
-
-
bei Landstreichern 134
„Frustration der Polizei" 47
-
Gefahrenabwehrauftrag 46
von Abgeordneten, Diplomaten und Angehörigen der Stationierungskräfte
Gefahrenbegriff
150 ff.
-
Leib und Leben 53
-
beim Beseitigungsgewahrsam 80
-
beim Unterbindungsgewahrsam 81 ff.
-
unmittelbar 81 f.
-
bei der Ingewahrsamnahme von ent-
bevorstehende
Gewahrsamseinrichtung 30 f f , 120 f.
Gefahr
Gewaltkriminalität 38 Gladbecker Geiseldrama 145 Grundrechtsbeschränkung 22 f. Grundrechtseingriffe 22 f.
wichenen Straftätern 143 Gefahrenprognose 83, 93 ff. -
Prognosekataloge 95
Gefahrerforschungseingriff 83 Generalklausel 21, 67, 107, 131 -
als Grundlage für den Verbringungsgewahrsam 130 ff.
gerichtliche Überprüfung der Freiheitsentziehung 165 ff. Gesetzgebungskompetenz Bund / Länder 16, 74, 86, 90, 102, 111, 132, 139, 142 gesetzlicher Richter 169, 202
habeas-corpus-Akte 165 hilflose Lage 56 ff.
Identitätsfeststellung 147 -
zeitliche Obergrenzen 210 f.
Intensität / Schwere der Maßnahme 27 Interessenabwägung -
beim Unterbindungsgewahrsam 90 ff.
-
beim Versammlungsgesetz 111 ff.
-
beim Polizeikessel 118 ff.
-
beim Verbringungsgewahrsam 135 ff.
Sachwortverzeichnis Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 163 ff., 189
251
Polizeikessel 115 ff. -
Irrtum 55
keine konkludente Auflösungsverfugung 115
polizeirechtliche Sichtweise Kataloge 67, 95 ff. Kontaktaufnahme mit nahestehenden Personen 190 Kriminalitätsentwicklung 34 ff.
-
beim Selbstmord 61 als erkennbarer Ansatzpunkt fur polizeiliches Handeln 61 ff.
-
funktionaler Lösungsansatz beim Unterbindungsgewahrsam 90 ff.
Lauschangriff 84
Minderjährige 138 ff. Molotowcocktail 98
-
beim Verbringungsgewahrsam 135 bei der Festnahme von entwichenen Straftätern 143 f.
-
Musterentwurf eines einheitlichen Poli-
bei der Festlegung zeitlicher Obergrenzen für
zeigesetzes 17, 71
den Gewahrsam
205,
207 ff. Prävention 32 f., 85 ff.
Nationalsozialisten 92, 199, 207
-
Nichtstörer 108 f., 118 f. Normenbestimmtheit 101, 212 f.
im Zusammenhang mit der Bestimmung zeitlicher Obergrenzen für den Gewahrsam 208
primäre Störerverantwortlichkeit 108 Obdachlose 123 ff.
private Rechte 146
öffentliche Ordnung 61, 69
Prognose 80, 82, 95
-
Kritik 69 f.
öffentliche Sicherheit 61, 68 ordentliche Gerichte 170 f. Ordnungswidrigkeiten 71 f., 75 ff., 125 -
in Verbindung mit der EMRK 157 ff.
Rechtskraft 185 ff. Rechtsschutzinteresse 179 ff. Rechtssicherheit 73 Rechtsstaat 46, 70, 102 -
Personenfeststellung 27 Platzverweis 144 ff. -
zeitliche Obergrenzen 210 f.
„Polizeifestigkeit" 103 ff. -
Nebeneinander von Polizei- und Versammlungsrecht 111 ff.
Verpflichtung zur Durchsetzung geltenden Rechts 48, 92, 216 ff.
Reisebus 98, 122 Richtervorbehalt 165 ff. Rundläufe 144
sächsischer VGH 15, 203 ff.
252
arverzeichnis
Schematisierung 74
Übermaßverbot 99, 101
Schutzgewahrsam
-
-
Vergleich der Landesgesetze 50
-
„insbesondere" 51
-
echter und unechter Schutzgewahrsam 52
-
und EMRK 155
-
zeitliche Obergrenzen 211
-
-
-
-
-
als „unabhängige" Kontrollinstanz 184
Stadtrand -
als Anküpfungspunkt 131
Stadtstreicher 134 -
in Verbindung mit der EMRK 163 f.
Standardmaßnahme 18, 20 f. Sterbehilfe 59 Störereigenschaft 97 -
Problem bei Stadtstreichern 123 ff.
Störervergangenheit 108 -
„reisende Gewalttäter" 100
Strafaktion 120, 137
beim Gewahrsam zur Durchsetzung
beim Gewahrsam zur Feststellung der
bei Beendigung des Gewahrsams 197 bei der Bestimmung zeitlicher Höchstgrenzen 201 ff., 213
Sondernutzung
Staatsanwaltschaft 86 ff.
125,
Identität 149
-
von Parks durch Stadtstreicher 134
Verbringungsgewahrsam
eines Platzverweises 145
-
-
beim 135
Selbstmord 57 ff., 61 und Strafrecht 59
im Zusammenhang mit dem Versammlungsrecht 111 ff.
Überprüfung
der
Freiheitsentziehung
165 ff. Überregulierung 74 Überwachungsstaat 48, 88, 94, 218 ultima-ratio 108, 149 Umweltdelikte 37, 42 f., 72, 75 f. unabhängige Justiz 207 Unglücksfall 59 f. unmittelbarer Zwang 24, 132 Unterbindungsgewahrsam 64 ff. -
Begriff 64
-
Vergleich der Landesgesetze 66 ff.
-
und EMRK 156 ff.
Unterbringung
der betroffenen
Person
193
Straftaten 72 ff.
Unterbringungsgesetze 33 f., 199, 209
Strafverfolgung 65
Unverzüglichkeit der richterlichen Über-
Strafvollstreckungsbehörden 142 f.
prüfung 173 ff.
Transparente 96
verbindliches innerstaatliches Recht 155
Trennungsprinzip 23
Verbringungsgewahrsam 122 ff.
Treu und Glauben 212
Verdacht 83 ff.
Sachwortverzeichnis Verhältnismäßigkeit 57, 70, 71, 78, 99,
253
Wiedervereinigung 35
101, 111 f., 118, 125, 135, 145, 149, 197, 201 ff., 213 Versammlungsgesetz 102 ff.
zeitliche Höchstgrenzen des Gewahrsams 195 ff., 197
-
Zitiergebot 22, 104 f., 113
Verbindung mit den Polizeigesetzen 96, 102 ff., 115, 126,216
Zumutbarkeit der eigenständigen Rechtsverfolgung 181
Verschärfung gesetzlicher Bestimmungen -
Notwendigkeit 46, 216 f.
Zustand, den die freie
Verteidigungsfall 209 Verwaltungsakt 130 f. Volkszählungsurteil 21
Zuständigkeit für die Ingewahrsamnahme 23 -
Vorfeld 17, 82, 84, 85 ff. -
Willensbestim-
mung ausschließenden 54 ff.
für das Vorfeld polizeilich relevanter Gefahren 86 ff.
Problembeschreibung 85 ff.
-
bei Minderjährigen 139
im Zusammenhang mit dem Versamm-
-
bei entwichenen Straftätern 141
-
bei Stationierungsstreitkräften 153
lungsgesetz 106
Wackersdorf 36 Waffen 97
Zweifelsfälle 61, 95 ff.