Der Medici-Papst Leo X. und Frankreich: Politik, Kultur und Familiengeschichte in der europäischen Renaissance [Illustrated] 3161477693, 9783161477690, 9783161585692

Der Pontifikat des Medici-Papstes Leo X. (1513-1521) war von weltpolitischer Bedeutung und stellt auch kulturell einen H

186 27 65MB

German Pages 617 [623] Year 2002

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
GÖTZ-RÜDIGER TEWES: Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X. Ursachen, Formen und Folgen einer Europa polarisierenden Allianz
THOMAS MAISSEN: Ein Mythos wird Realität. Die Bedeutung der französischen Geschichte für das Florenz der Medici
LORENZ BÖNINGER: René II. von Lothringen und Karl VIII. Anmerkungen zur Frankreich-Politik Lorenzo de’ Medicis (ca. 1483–1492)
KLAUS PIETSCHMANN: Opus Leone decimo dignum. Die Heiligsprechung des Francesco di Paola und die Frankreich-Politik Leos X.
CHRISTINE TAUBER: Italianità am Hofe von François Ier (1515–1521)
MICHAEL ROHLMANN: Kunst und Politik zwischen Leo X. und Franz I.
MICHAEL ROHLMANN: Gemalte Prophetie. Papstpolitik und Familienpropaganda im Bildsystem von Raffaels „Stanza dell’Incendio“
BRAM KEMPERS: ‘Sans fiction ne dissimulacion’. The crowns and crusaders in the Stanza dell’Incendio
MICHAEL P. FRITZ: „pieno d’una certa argutia gioconda et sottile [...]“. Kardinal Bibbiena und die hohe Kunst der Diplomatie
HARALD WOLTER VON DEM KNESEBECK: Buchkultur im Spannungsfeld zwischen der Kurie unter Leo X. und dem Hof von Franz I.
ADALBERT ROTH: Französische Musiker und Komponisten am päpstlichen Hof unter Leo X.
CHRISTINA STRUNCK: Bilderdiplomatie zwischen Palazzo Vecchio und Palais du Luxembourg. Die Frankreichkontakte Leos X. in Darstellungen des Cinque- und Seicento
Register
Recommend Papers

Der Medici-Papst Leo X. und Frankreich: Politik, Kultur und Familiengeschichte in der europäischen Renaissance [Illustrated]
 3161477693, 9783161477690, 9783161585692

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe Begründet von Heiko A. Oberman Herausgegeben von Berndt Hamm in Verbindung mit Johannes Helmrath, Jürgen Miethke und Heinz Schilling

19

Der Medici-Papst Leo X. und Frankreich Politik, Kultur und Familiengeschäfte in der europäischen Renaissance

herausgegeben von

Götz-Rüdiger Tewes und

Michael Rohlmann

Mohr Siebeck

GÖTZ-RÜDIGERTEWES, geboren 1958; 1991 Promotion; seit 1997 Privatdozent an der Universität Köln; 1997-98 Gastdozent am Deutschen Historischen Institut in Rom; 19992001 Vertretungsprofessuren in Köln und Bochum; z.Zt. als Privatdozent für Geschichte des Mittelalters in Köln. MICHAEL ROHLMANN, g e b o r e n 1964; 1990 P r o m o t i o n ; 1 9 9 1 - 9 5 S t i p e n d i a t d e r Max-

Planck-Gesellschaft; 1996-97 Assistent am Kunsthistorischen Institut der Universität Köln; 1997-2001 Assistent der Bibliotheca Hertziana in Rom (Max-Planck-Institut).

978-3-16-158569-2 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

ISBN 3-16-147769-3 ISSN 0937-5740 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe)

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2002 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden.

VORWORT

Dieser Band sammelt die Beiträge der von den beiden Herausgebern veranstalteten Tagung über den „Medici-Papst Leo X. und Frankreich", die vom 9.-11. September 1999 in Rom stattfand. Wir bedanken uns ganz herzlich bei den damaligen Direktoren des Deutschen Historischen Instituts in Rom und der Bibliotheca Hertziana, Arnold Esch, Christoph Luitpold Frommel und Elisabeth Kieven, für ihre großzügige Gastfreundschaft und Unterstützung, mit der wir für jeweils einen Tag in den Räumen ihrer Institute die Tagung durchfuhren konnten. Peter Godman hatte dankenswerterweise den Ertrag der Vorträge resümiert, Herr Frommel mit einer abschließenden Führung zum Thema „San Luigi dei Francesi und die Medici-Planung um die Piazza Navona" dem Symposion eine visuellkonkrete Anschauung und Bereicherung gegeben. Finanziert wurde die Tagung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, der wir ebenso unseren Dank aussprechen möchten. Für die Aufnahme des Bandes in die Reihe „Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe" haben wir deren Herausgebern, Berndt Hamm, Johannes Helmrath, Jürgen Miethke, Heiko A. Oberman (j) und Heinz Schilling, für die Bereitschaft zur Produktion des Buches Herrn Verleger Georg Siebeck ganz herzlich zu danken. Die Herstellerin des Mohr Siebeck Verlages, Frau Martina Tröger, half uns bei der Fertigstellung der Druckvorlage des Bandes, Michael P. Fritz bei der Korrektur der Texte. Beiden gilt ebenso unser Dank. Michael Rohlmann

Götz-Rüdiger Tewes

Inhaltsverzeichnis Vorwort Einleitung

GÖTZ-RÜDIGER TEWES

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X. Ursachen, Formen und Folgen einer Europa polarisierenden Allianz

11

THOMAS MAISSEN

Ein Mythos wird Realität. Die Bedeutung der französischen Geschichte für das Florenz der Medici

117

LORENZ BÖNINGER

René II. von Lothringen und Karl VIII. Anmerkungen zur Frankreich-Politik Lorenzo de' Medicis (ca. 1483-1492)

137

KLAUS PIETSCHMANN

Opus Leone decimo dignum. Die Heiligsprechung des Francesco di Paola und die Frankreich-Politik Leos X

151

CHRISTINE TAUBER

Italianità am Hofe von François Ier (1515-1521)

171

MICHAEL ROHLMANN

Kunst und Politik zwischen Leo X. und Franz 1

199

Vili

Inhaltsverzeichnis

MICHAEL ROHLMANN

Gemalte Prophetie. Papstpolitik und Familienpropaganda im Bildsystem von Raffaels „Stanza dell'Incendio"

241

BRAM KEMPERS

'Sans fiction ne dissimulacion'. The crowns and crusaders in the Stanza dell'Incendio

373

MICHAEL P. FRITZ

„pieno d'una certa argutia gioconda et sottile [...]". Kardinal Bibbiena und die hohe Kunst der Diplomatie

427

HARALD WOLTER VON DEM KNESEBECK

Buchkultur im Spannungsfeld zwischen der Kurie unter Leo X. und dem Hof von Franz 1

469

ADALBERT ROTH

Französische Musiker und Komponisten am päpstlichen Hof unter Leo X

529

CHRISTINA STRUNCK

Bilderdiplomatie zwischen Palazzo Vecchio und Palais du Luxembourg. Die Frankreichkontakte Leos X. in Darstellungen des Cinque- und Seicento

547

Register

591

Einleitung Leo X.: Der erste Medici auf dem Papstthron, in einem Jahrzehnt von unbestritten weltpolitischer Dimension! Der strahlende Glanz der Familie ging auf die Gestalt dieses Papstes über, der als zweitgeborener Sohn des Lorenzo il Magnifico den Vornamen Giovanni erhalten hatte. Bei aller Faszination, die er auf Zeitgenossen wie auf spätere Forscher der unterschiedlichsten Disziplinen ausübte - viele Versuche, Charakter, Persönlichkeit und Handeln dieses Medici zu erfassen, mündeten meist in Schlagworten, reinen Etiketten. So hieß man ihn den Friedliebenden (aber nur vor der kontrastreichen Folie seines kriegerischen Vorgängers Julius II ), den Kunstsinnigen (wer will das bestreiten?), den Jagdliebhaber (hieraus machte er nie einen Hehl), den Familienförderer (wovor einige Historiker den Papst gern in Schutz nehmen wollten), den Musikästheten (eine doch wieder viel zu selten thematisierte Seite), und all das mit Recht und recht großer Einigkeit. Andere Bereiche wiederum wurden sehr kontrovers beurteilt, etwa seine eigentliche Aufgabe als Papst, seine Kirchenpolitik, und damit verbunden das gesamte Feld der Diplomatie Leos X. Hatte er die vielfältigen Reformwünsche erfaßt und konnte er sie überhaupt würdigen? Hatte er die beginnende lutherische Reformation in ihrer Sprengkraft für die römisch-katholische Kirche begriffen oder unterschätzt? Besaßen diese Fragen überhaupt jenes Gewicht, das er anderen unbestritten beimaß? War er als Papst ein guter Hirte oder kümmerte er sich nur um bestimmte Teile seiner Herde? Angesichts vieler wichtiger Fragen und divergierender Antworten ist es überaus erstaunlich, wie selten die historische Forschung sich überhaupt intensiver mit Giovanni de' Medici bzw. Papst Leo X. beschäftigt hat! Man darf sogar konstatieren: Eine angemessene, die neueren Ergebnisse der verschiedenen Forschungsdisziplinen berücksichtigende Biographie gibt es bisher nicht. Die letzte wissenschaftliche Gesamtuntersuchung ist der in vielem tendenzielle Band von Pastors „Geschichte der Päpste". 1 Über ihn hinaus ist man oft gezwungen, auf William Roscoes „Leben und Regierung des Papstes Leo des Zehnten" vom Beginn des 19. Jahrhunderts

1

LUDWIG FREIHERR VON PASTOR, G e s c h i c h t e der Päpste i m Zeitalter der R e n a i s s a n c e

und der Glaubensspaltung von der Wahl Leos X. bis zum Tode Klemens' VII. (1513— 1534). 1. Abteilung: Leo X. (Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. 4/1), 5.-7. Aufl. Freiburg 1923.

2

Einleitung

zurückzugreifen. 2 Ein bis heute nicht ersetztes Standardwerk bietet G. B. Picotti, „La giovinezza di Leone X", 3 das - wie der Titel ankündigt - allerdings nur die Jugend Giovannis bis zum Beginn des Exils 1494 behandelt. Freilich ist eine Dominanz der Zeit bis 1492 bzw. 1494 bei der Literatur zu den Medici generell zu konstatieren. Die Ära Lorenzos des Prächtigen erhält dabei qualitativ wie quantitativ einen weit überproportionalen Anteil. Es wäre müßig, all die einschlägigen Titel aufzuführen. N u r für jene (und eine frühere) Periode ist denn bezeichnenderweise auch ein Werk vorhanden, das sich den für die Medici wie für alle Florentiner schlechthin grundlegenden Frankreichbeziehungen widmet: B. Busers mangels Neuerem immer noch einschlägige, quellennahe Studie über „Die Beziehungen der Mediceer zu Frankreich während der Jahre 1434-1494 in ihrem Zusammenhang mit den allgemeinen Verhältnissen Italiens", die 1879 in Leipzig erschienen war. Lorenzos Tod 1492 bzw. die Exilierung der Medici zwei Jahre später boten jedoch auch hier einen Einschnitt, der bis heute nicht überwunden wurde und deshalb eben auch die vielfältigen, äußerst engen und mit Blick auf die übrige europäische Staatenwelt recht exklusiven Verbindungen Leos X. zu Frankreich und vice versa einer genaueren Betrachtung vorenthielt. Geradezu charakteristisch für die Forschungssituation ist es, daß selbst in dem jüngst publizierten Tagungsband „Passer les monts: Français en Italie - l'Italie en France (1494-1525)" das Verhältnis zwischen dem ersten Medici-Papst und Frankreich in den (durchweg instruktiven) Aufsätzen kein einziges Mal thematisiert wird! 4 Nur auf vier von 420 Seiten wird Leo X. überhaupt erwähnt; für die Präsenz der Italiener in Frankreich und die der Franzosen in Italien zwischen 1494 und 1525 scheint er, scheinen die Frankreichbeziehungen der Medici bedeutungslos zu sein - welch ein Irrtum! Der Vernachlässigung Leos X. durch die Historiker steht eine Bevorzugung durch die Kunsthistoriker gegenüber, gelten die großen Aufträge des Medicipapstes doch als Höhepunkte der Renaissancekunst. Zwar fehlt auch hier ein Überblickswerk, aber nahezu jedes Projekt des Papstes hat in der jüngeren Forschung reiche Aufmerksamkeit gefunden. Ein Schwerpunkt dieser Studien lag auch auf der politischen Dimension der Werke, dabei machte sich jedoch das weitgehende Fehlen historischer Studien bemerk-

2 W I L L I A M R O S C O E , The life and pontificate of Leo the Tenth, 4 Bde., Liverpool / London 1805. 3 G. B. P I C O T T I , La giovinezza di Leone X, il Papa del Rinascimento, Milano 1928 (Nachdruck Roma 1981). 4 Passer les monts: Français en Italie - l'Italie en France (1494-1525). X e colloque de la Société française d'étude du Seizième Siècle, hg. von JEAN B A L S A M O (Bibliothèque Franco Simone 25), Paris / Fiesole 1998.

Einleitung

3

bar. Aus der kaum noch zu überblickenden Flut von Detailstudien ragt John Shearmans glänzende Untersuchung zu Raffaels für die Sixtinische Kapelle bestimmten Teppichen heraus, die einen umfassenden Überblick über die Inhalte mediceischer Herrschafitspanegyrik bietet. 5 Daneben sind vor allem Rolf Quednaus Arbeiten über die Stanza dell' Incendio 6 und die Sala di Costantino 7 zu nennen, die Bücher von Nicole Dacos und Bernice F. Davidson zu Raffaels Loggien 8 , von Julian Kliemann und Janet CoxRearick zur mediceischen Familienpropaganda in Poggio a Caiano 9 . Für den Historiker kaum weniger interessant als die Ausstattungen von Papstund Mediciresidenzen sind die Bilddekorationen von Festen und Herrschereinzügen, die oft unmittelbarer auf das politische Tagesgeschehen ausgerichtet waren; vor allem John Shearman, Fabrizio Cruciani, Ilaria Ciseri und Anthony Cummings haben sie studiert. 10 In vielen dieser Untersuchungen finden sich Hinweise auf die Bedeutung Frankreichs für Leo X.: Kunstwerke thematisierten die Rolle Franz' I., dienten als Mittel der Diplomatie, rahmten und deuteten politische Ereignisse oder bezeugten den Status Frankreichs an der Kurie. Doch solange man diese verstreuten Nachrichten nicht miteinander verknüpft, bleiben Ziele, Ausmaß und Einzigartigkeit der „Kunstpolitik" Leos X. gegenüber Frankreich im Dunkeln. Allein Sheryl E. Reiss und Janet Cox-Rearick haben dazu in Teilbereichen bereits wichtige Vorarbeiten geleistet. Reiss würdigt umfassend die Kunstpatronage der neben dem Papst wichtigsten Person der Medicipartei, des Kardinals Giulio de' Medici, und läßt dessen enge Verbundenheit mit Frankreich deutlich werden. 11 Cox-Rearick analy-

5 JOHN SHEARMAN, Raphael's Cartoons in the collection of Her Mayesty the Queen and the tapestries for the Sistine Chapel, London 1972. 6 ROLF QUEDNAU, Päpstliches Geschichtsdenken und seine Verbildlichung in der Stanza dell'Incendio, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 35 (1984), S. 83-128. 7 ROLF Q U E D N A U , Die Sala di Costantino im Vatikanischen Palast, Hildesheim / New York 1979. 8 NICOLE D A C O S , Le Logge di Raffaello. Maestro e bottega di fronte all'antico, Rom 2 1986; Bernice F. Davidson, Raphael's Bible. A Study of the Vatican Logge, University Park / London 1985. 9 JULIAN KLIEMANN, Politische und humanistische Ideen der Medici in der Villa Poggio a Caiano. Untersuchungen zu den Fresken der Sala grande, Dissertation Hamburg 1 9 7 6 ; JANET COX-REARICK, Dynasty and Destiny in Medici Art. Pontormo, Leo X , and the two Cosimos, Princeton 1984.

10

JOHN SHEARMAN, The Florentine Entrata of Leo X, 1515, in: Journal of the War-

burg and Courtauld Institutes 3 8 , 1 9 7 5 , S. 1 3 6 - 1 5 4 ; FABRIZIO CRUCIANI, Teatro nel Rinascimento. Roma 1 4 5 0 - 1 5 5 0 , Rom 1 9 8 3 ; ILARIA CISERI, L'ingresso trionfale di Leone X in Firenze nel 1 5 1 5 , Florenz 1 9 9 0 ; ANTHONY M. CUMMINGS, The Politicized Muse. Music for Medici Festivals, 1 5 1 2 - 1 5 3 7 , Princeton 1 9 9 2 . 11 SHERYL E. REISS, Cardinal Giulio de' Medici as a Patron of Art, Dissertation Princeton University 1992

4

Einleitung

siert in einem monumentalen Werk die Kunstsammlung Franz' I. und bettet dessen Erwerbungen italienischer Malerei auch in die Geschichte seiner Kontakte zu Leo X. ein.12 Überhaupt ist die französische Seite in dem Beziehungsgeflecht ItalienFrankreich ungleich besser erforscht als die mediceische. Robert W. Scheller hat in einer Reihe von Aufsätzen die französische Herrschaftssymbolik und -propaganda vor allem bei den unmittelbaren Vorgängern Franz' I. untersucht und gezeigt, welch zentrale Rolle Italien für die Herrscher bei ihren imperialen Zielen spielte und wie sie und ihre Zeitgenossen dies in Literatur und Kunst thematisierten. 13 Für Franz I. leistet ähnliches die große Studie von Anne-Marie Lecoq „François I er imaginaire". 14 Allerdings bleiben bei Lecoqs auf Politik und Propaganda des französischen Königs gerichteter Arbeit die Interessen und Strategien Leos X. und seiner Familie weitgehend ausgeblendet. Wird die Leo-Frankreich-Thematik also in der Medici-Forschung in ihrer Relevanz verkannt, so in den FrankreichStudien einseitig verzerrt. Die Entscheidung, dieses Thema mit einem interdisziplinären Symposion aufzugreifen, wurzelte in vielen gemeinsamen, fruchtbaren und zu wechselseitigem Staunen fuhrenden Gesprächen der beiden Herausgeber über Leo X., die schließlich zu der Überzeugung führten, ihre je besonderen historischen bzw. kunsthistorischen Überlegungen mit anderen Kollegen zu vertiefen. Der historischen Entwicklung sowie Bedingungen, Vorgeschichten, Inhalten und Chancen wie Risiken des Bündnisses zwischen dem Medici-Papst und Frankreich widmet sich der Beitrag von GÖTZ-R. TEWES, der dabei personelle Verflechtungen zwischen dem Medici-Kreis und der französisch-savoyischen Elite beleuchtet, die nicht nur auf politischer, sondern ebenso z.B. auf wirtschaftlich-finanzieller Ebene verliefen und lange vor dem Pontifikat Leos X. herausgebildet und gepflegt wurden. Sie bildeten maßgebliche Grundlagen für die profranzösische Politik Leos X., die trotz gewisser Rücksichtnahmen in eine immer stärkere Abkehr von 12 JANET COX-REARICK, The Collection of Francis I: Royal Treasures, Antwerpen / New York 1996; vgl. DIES., Sacred to profane: diplomatic gift of the Medici to Francis I, in: Journal of Medieval and Renaissance Studies 24, 1994, S. 239-258 13 ROBERT W. SCHELLER, Imperiales Königtum in Kunst und Staatsdenken der französischen Frührenaissance, in: Kritische Berichte VI/6 (1978), S. 5-24; DERS., Imperial themes in art and literature of the early French Renaissance: the period of Charles VIII, in: Simiolus 12, 1981/82, S. 5-69; DERS., Ensigns of authority: French royal symbolism in the age of Louis XII, in: Simiolus 13, 1983, S. 75-141; DERS., Gallia cisalpina: Louis XII and Italy 1499-1508, in: Simiolus 15, 1985, S. 5-60; DERS., L'union des princes: Louis XII, his allies and the Venetian campaign 1509, in: Simiolus 27, 1999, S. 195-242. 14 ANNF.-MARIE LECOQ, François Ier imaginaire. Symbolique et politique à l'aube de la Renaissance française, Paris 1987.

Einleitung

5

Spanien und dem spanischen Habsburg mündete - bis die Dominanz Kaiser Karls V. zu neuen Allianzen zwang. Eine wichtige, gleichsam strukturelle Bedeutung besaßen in diesem Kontext die mythischen und realen Konnotationen, die Florenz mit der fränkisch-französischen Geschichte verbanden. Diesem traditionellen Guelfentum der Florentiner, die den Wiederaufbau ihrer Stadt gern auf Karl den Großen zurückführten, wendet sich THOMAS MAISSEN ZU. Die Medici hatten im 15. Jahrhundert ihre Verehrung Karls des Großen eng mit ihrer Anlehnung an das französische Königshaus verflochten, durften - mit einem Ausdruck würdigender Anerkennung - die französische Lilie in ihrem Wappen tragen. Leo X. hat sich seinerseits immer wieder in eine verbindende (und vielleicht auch verpflichtende) guelfische Tradition gestellt und evidentermaßen die kaiserlichen Ambitionen des französischen Königs anerkannt und unterstützt - dies aber vor dem Hintergrund konkreter dynastischer, politischer und ökonomischer Interessen. Diese hatte auch der große Lorenzo de' Medici geschickt in und durch Frankreich ausgebaut, man denke nur an die Bedeutung der Medici-Filiale in Lyon, die eben weder im aragonesisehen Königreich Neapel noch in Spanien und erst recht nicht in Deutschland ein Äquivalent besaß. LORENZ BÖNINGER faßt jedoch nicht nur diese wirtschaftlichen, sondern vor allem die politischen Interessen Lorenzos ins Auge, der trotz aller Bindungen an Frankreich und trotz der französischen Unterstützung nach dem Pazzi-Attentat eine direkte militärische Intervention der Franzosen in Italien zu vermeiden suchte. Besonderes Geschick verlangte diese Intention, als Papst Innozenz VIII. in seiner Auseinandersetzung mit König Ferrante von Neapel einen Italienzug des lothringischen Herzogs förderte und Lorenzo seine hervorragenden Beziehungen zu Innozenz VIII. wie zu König Karl VIII. von Frankreich mit dem offensichtlichen Widerstreben gegen eine militärische Intervention in Einklang bringen mußte. Zu jener Zeit lebte in fast intimer Nähe zum französischen Herrscher ein aus Kalabrien stammender Eremit in Frankreich, Francesco di Paola, der wegen seiner Frömmigkeit und seines (tatsächlichen wie geglaubten) Wirkens in der Folge das Ansehen eines französischen Nationalheiligen erhielt. Mit seiner von französischer Seite wie von Leo X. selbst mit Nachdruck und einer gewissen Exklusivität betriebenen Kanonisation befaßt sich KLAUS PIETSCHMANN. Die Heiligsprechung stellte ein Prestigevorhaben von großer politischer Programmatik für die französische Krone dar, war aber auch mit hohen Kosten verbunden und sah sich gewichtiger politischer Opposition gegenüber. Gegner der Kanonisation - welche nicht zufällig im Vorfeld der Kaiserwahl von 1519 stattfand, bei der Leo X. eben eindringlich für König Franz I. eintrat! - kamen nicht nur wie zu erwarten aus dem spanischen Lager, sondern offenbar erstaunlicherweise sogar aus

6

Einleitung

den eigenen, französischen Reihen. Dennoch besaß diese einzige von Leo X. durchgeführte Heiligsprechung eine starke politische Symbolik, sowohl die Verbindung des Medici-Papstes mit Frankreich als auch die Ansprüche der französischen Krone auf die süditalienische Heimat des neuen Heiligen illustrierend. Symbolik und Herrschaftsrepräsentation stehen im Beitrag von CHRISTINE TAUBER im Mittelpunkt, bezogen auf die frühen Herrschaftsjahre König Franz' I. während des Medici-Pontifikates (also von 1515— 1521) und die Frage, ob die Italianità am französischen Hof in jener Phase schon so intensiv gepflegt wurde wie es später geschah. Gegen geläufige Vorstellungen entwickelt Tauber ihre These, daß Franz I. in den Jahren ungestörter Herrschaft in Oberitalien, bis zur verlorenen Schlacht von Pavia 1525, auf die Rezeption italienischer Motive bei der Herrschaftsrepräsentation und Selbstdarstellung verzichten zu können glaubte, und daß er erst ab 1525/26 Italianità instrumentalisierend nach Frankreich transferierte. Darüberhinaus geht es aber auch grundsätzlich um die Kompatibilität italienischer und französischer Zeichen- und Symbolsysteme, um deren Funktionalität - wobei dem Selbstverständnis des französischen Königs als rex christianissimus, der (besonders nach der Niederlage bei der Kaiserwahl 1519) in seiner Christusbezogenheit über dem Kaiser steht, (vielleicht gerade) unter Franz I. eine hervorragende Bedeutung zukam. MICHAEL ROHLMANN skizziert, wie vielfältig die Medici unter Leo X. in ihren Frankreich-Beziehungen Kunstwerke politisch benutzten. Der Einsatz von Kunst erfolgte innerhalb bestimmter Gattungen, die jeweils eigenen Traditionen und Gesetzen folgten, von ephemerem Festschmuck bis hin zu der dauerhaften Bilddekoration päpstlicher Regierungsräume, von der Förderung französischer Stiftungszentren in Rom bis hin zu der Verschickung von diplomatischen Kunstgeschenken und programmatischen Altarbildern nach Frankreich. Die ästhetische Faszinationskraft der neuen römischen Kunst der Hochrenaissance förderte bei alldem die Akzeptanz der in den Bildern vermittelten politischen Botschaften. Wie die dargestellten Inhalte war zugleich auch die Kunst etwa eines Raffael selbst eine Botschaft, die die französische Malerei für Jahrhunderte prägen sollte. 15 Zentrale Bedeutung in der künstlerischen Bildstilisierung des Verhältnisses Leos X. zu Franz I. nimmt die Ausmalung der Stanza dell'Incendio im Vatikanpalast ein, der sich zwei Studien widmen. ROHLMANN versucht die verschiedenen Faktoren zu rekonstruieren, die Programmgenese und Aussehen der Ausmalung geprägt haben. Vor diesem Hintergrund fügen sich die bildlichen Verweise auf Franz I. ganz in den Kontext einer me15 Raphael et l'art français (Ausstellungskatalog: Paris, Grand Palais 1983/84), Paris 1983; MARTIN ROSENBERG, Raphael and France. The Artist as Paradigm and Symbol, University Park , Pennsylvania 1995.

Einleitung

1

diceischen Familienpropaganda. Porträts des Königs visualisieren den Aufstieg der Medici in den europäischen Hochadel an der Seite Frankreichs. Die Entdeckung, daß Leo dabei auf einen älteren Florentiner Freskenzyklus zurückgreifen ließ, weitet den Blick über den Bereich ästhetischen Genusses, politischer Propaganda und Statusrepräsentation hinaus auf bildmagische Bedeutungsaspekte, eine Sphäre höherer Realitätskraft, die Leo X. und das damalige Bildpublikum mit Kunstwerken verbinden konnten. BRAM KEMPERS baut auf dieser Medici-Interpretation der Bilder modifizierend auf. Kernpunkt ist dabei ein bislang als „Krönung Karls des Großen" gedeutetes Fresko. Aus der von Raffael gezeigten Kronenform schließt Kempers, daß es sich nicht um eine Kaiserkrönung handele, sondern um eine vielseitig interpretierbare „Krönung Franz' I. durch Leo X ", eine anspielungsreiche poetische Erfindung vor dem Hintergrund von Kreuzzugsplanungen, bei denen eine Einheit christlicher Herrscher unter französischer Leitung angestrebt gewesen sei. Die Medici-Präsenz in den Bildern bringt Kempers über Rohlmanns Deutung hinaus mit den dargestellten Kronen in Zusammenhang und sieht in ihnen Hinweise auf territoriale Herrschaftsansprüche, die sich auf die Toskana und die Romagna beschränkten. Die Botschaften der Bilder seien bewußt verrätselt, um ihr poetisch und rhetorisch gebildetes kuriales Publikum unterhaltsam zu aktivieren und zu interaktiver Entschlüsselungsleistung zu animieren. Einen geist- und anspielungsreichen Umgang mit Malerei auf diplomatisch-höfischer Bühne thematisiert auch MICHAEL P. FRITZ. Im Mittelpunkt steht Raffaels Bildnis einer schönen jungen Frau, das Kardinal Bibbiena in Frankreich Franz I. zum Geschenk machte. Bibbiena sollte als päpstlicher Legat den König zu einem Kreuzzug bewegen. Seine Abschiedsgabe erinnerte den Herrscher aber nicht an den Türkenkrieg, sondern - nicht ohne Witz - an ein mißlungenes „Schelmenstück", bei dem Franz einst vergeblich versucht hatte, die Geliebte des spanischen Vizekönigs entführen zu lassen. Hier zeigt sich im persönlichen Verhältnis zwischen Kardinal und König eine „hohe Kunst der Diplomatie", bei dem die Beteiligten jenseits ernster Machtinteressen oder würdig-politischer Bildbotschaften vor allem galantes Spiel und geistreich-hintersinnige Selbstbestätigung genossen. Unter den Geschenken zwischen Leo und Franz scheinen Bücher gefehlt zu haben, was angesichts der an beiden bibliophilen Höfen hoch entwikkelten Buchkultur zunächst überrascht. HARALD WOLTER VON DEM KNESEBECK bietet einen Überblick über die zeitgenössische Buchkunst und weist zwischen Nord und Süd kulturelle Verbindungen nach, die bei Leo und Franz schließlich in eine Art von Konkurrenzverhältnis bezüglich der translatio studii mündeten. Kostbare Handschriften wurden zu seltenen, wohl gehüteten Schätzen, die daher nicht an die Gegenseite weitergegeben

8

Einleitung

wurden. Nur als gemaltes Objekt, das der Papst auf Raffaels Gemälde „Leo X. und die Kardinäle Giulio de' Medici und Luigi de' Rossi" in den Händen hält, konnte eine Bilderhandschrift zwischen den Medici und Frankreich zu einer politischen Botschaft werden. Enge kulturelle Verbindungen lassen sich zwischen dem Papst und Frankreich auch auf dem Gebiet der Musik feststellen. ADALBERT ROTH zeigt, wie stark das Repertoire der päpstlichen Sängerkapelle von französischen Kompositionen geprägt war. Der Pontifikat Leos X. markierte dabei den Höhepunkt einer unter Alexander VI. begonnenen Entwicklung. Leo ernannte sogar einen Franzosen zum Leiter des Kapellkollegiums. Auch unter den Sängern hatten die Franzosen die Flamen und Franco-Flamen als größte Gruppe abgelöst. Dabei begann sich jedoch ebenfalls schon leise Geschmackskritik zu äußern, die einen angenehm-süßen Gesang der Italiener dem „gelehrten" Stil der Franzosen vorzog. Wie die mediceische Nachwelt im späteren 16. und frühen 17. Jahrhundert das Verhältnis zwischen Leo X. und Franz I. interpretierte, untersucht CHRISTINA STRUNCK. Dabei analysiert sie die Ausmalung der Sala di Leone X in der großherzoglichen Residenz des Palazzo Vecchio, die Festdekorationen zur Hochzeit von Ferdinando de' Medici mit Christine von Lothringen und das Cabinet dore der Maria de' Medici im Pariser Palais du Luxembourg. Strunck legt dar, mit welchen künstlerischen Mitteln die Ereignisse der Vergangenheit in den Bildern jeweils ganz unterschiedlich gedeutet und stilisiert wurden, um einer veränderten aktuellen politischen Situation zu entsprechen. Je nachdem, ob Florenz gerade mit Frankreich oder Spanien paktierte, wandelte sich auch das gemalte Geschichtsbild. Dabei treten deutliche Unterschiede der Bildhistorie zur literarischen Geschichtsschreibung hervor. Die Bildererzählung öffnete Deutungsfreiräume, um ungestraft Botschaften zu formulieren, die in textlicher Präzisierung und Festschreibung Widerspruch gefunden und diplomatische Probleme bereitet hätten. Die vom Publikum eine stärkere und spekulativere Interpretationsanstrengung einfordernde Malerei sicherte den Bildern einen größeren Freiraum für Geschichtsmanipulation. Gewiß: Der vorliegende Band kann nicht alle der mit Leo X. verbundenen Forschungsprobleme thematisieren. Er konzentriert sich zudem ganz auf das Verhältnis des Medici-Papstes zu Frankreich und man könnte ihm vorwerfen, er blende die Beziehungen zu anderen Nationen und Mächten weitgehend aus. Diese sind natürlich existent, freilich von anderer Qualität. Die Fokussierung auf die Medici-Frankreich-Achse ist eine sachlich gerechtfertigte, aus der Politik des Medici-Papstes selbst resultierende Konsequenz. Leo X. schenkte eben keine Raffaelgemälde nach Deutschland oder Spanien, die Medici schickten dorthin keine Altargemälde. Nur

9

Einleitung

den französischen König ließ der Papst in seinen Gemächern porträtieren, nur den vom französischen Königshaus präsentierten, „französisch" gewordenen Mönch Francesco di Paola sprach er mit einem forcierten Kanonisationsprozeß heilig. Im Vatikan sangen vornehmlich französische Sänger französische Kompositionen; die Medici feierten französische Hochzeiten, sie entschieden sich bei diesen in den europäischen Hochadel hinaufführenden Prunk- und Prestige-Treppen für die französischen, obwohl spanische ebenso zur Verfugung standen und andere Häuser den Glanz und die Macht der nun mit dem Papstwappen ausgezeichneten Florentiner Familie sicherlich auch gern in ihren Räumen gewußt hätten. Ihre dringend und immer dringlicher benötigten Finanzmittel schöpften die Medici und ihre befreundeten, verwandten Bankiers ganz überwiegend aus dem französischen Königsreich, nicht aus dem spanischen oder gar deutschen und erst recht nicht aus dem englischen - mit jener so schwer zu durchschauenden Vermengung von eigenem Druck und französischem Angebot, von privaten und allgemeinen Interessen. Derart exklusiv konnte die Medici-Politik in der Folge, auch unter einem erneuten Medici-Papst, Clemens VII., nicht bleiben - doch dies gäbe mehr als genug Stoff für einen weiteren Band. Michael Rohlmann

Götz-Rüdiger Tewes

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X. Ursachen, Formen und Folgen einer Europa polarisierenden Allianz* GÖTZ-RÜDIGER TEWES

INHALT: I. D A S A B K O M M E N S. 13; 1. Ludwig X I I . , Leo X . und Leonardo Bartolini, der Bankier des Papstes S. 14; II. BEDINGENDE GRUNDLAGEN S. 23; 1. Frankreichs Kurienpolitik und die Medici S. 23; 2. Die Lyoner Bartolini-Bank S. 27; 3. Kardinal Federico Sanseverino als Freund der Bartolini und Medici S. 34; 4. Die Bartolini-Bank als „Erbe" der Medici-Bank S. 39; 5. Der Transport von Geld und Kunst über die Lyoner BartoliniBank S. 43; 6. Die Medici im Exil S. 44; a) Piero de' Medici, die Lyoner Medici-Bank und der Sturz in Florenz S. 46; b) Freunde der exilierten Medici S. 50; c) Piero, Giuliano und Giovanni de' Medici als Exilierte S. 52; d) Giovanni de' Medici zwischen Julius II. und Frankreich: Die Schlacht von Ravenna S. 54; 7. Der Medici-Papst und Frankreich: Verständigungsgründe S. 59; III. D I E A L L I A N Z S. 65; 1. Das Attentat S. 66; 2. Mailand S. 68; 3. Der Vertrag von Viterbo / Mailand S. 74; 4. Mailands Benefizien S. 75; 5. Familienpolitik: die Heirat des Giuliano de' Medici S. 78; 6. Allianz mit Frankreich und Distanz zu Spanien S. 83; 7. Mittelsmänner S. 86; a) Die Savoyer S. 87; b) Die Sanseverino S. 88; c) Die Salviati S. 93; d) Die Trivulzio S. 96; e) Luigi de' Rossi S. 97; 8. Das Deutsche Reich S. 102; - Kaiserwahl und Lutherfrage S. 104; IV. E I N R E S Ü M E E S. 115

Ein einziger Satz in einem Brief, den Kardinal Giulio de' Medici am 19. Januar 1519 an den Legaten der Kurie am französischen Hof, Bernardo Dovizi da Bibbiena, schrieb, ein Satz faßte zusammen, was seit Jahren schon Realität war und europäische Geschichte prägte: Ma diventando Nostro Signore, com 'è decto, un corpo medesimo col Re Cristianissimo, confida bene potere fare qualche opera ad questo proposito, che sarà grata a Sua Maestà} Dem französischen König willfährig zu sein, weil er, Papst Leo X., im Begriff sei, ein und derselbe Körper mit dem König zu werden, das war keine diplomatisch geschönte, kontingente oder gar in* Michael P. Fritz und Michael Rohlmann danke ich für die Durchsicht des Manuskripts. 1 Vgl. I Manoscritti Torrigiani donati al R. Archivio Centrale di Stato di Firenze, ed. C. Guasti, in: Archivio Storico Italiano, serie III, [hier zit. „ASI"], 19 (1874), S. 16-76, 221-253; 20 (1874), S. 19-50, 228-255, 367-408; 21 (1875), S. 189-235; 23 (1876), S. 3-33, 404-422; 24 (1876), S. 5-31, 209-225; 25 (1877), S. 3-18, 369-403; 26 (1877), S. 177-203, 361-416; hier ASI 25, S. 16 (Brief vom 19.1.1519).

Götz-Rüdiger

12

Tewes

haltsleere Wendung. Dennoch greift sie in einem Punkt zu kurz: Nicht nur ein Teil dieses Körpers handelte für den anderen, beide handelten füreinander - nicht immer synchron, nicht immer mit gleich starken Kräften, auch ist diese Freundschaft nicht romantisch zu verklären, doch das Ganze war, so erscheint es, eines der engsten, intensivsten und perfektesten do ut des-Systeme, die im ausgehenden Mittelalter existierten. In der Forschung wurde und wird es in dieser Form ignoriert; lediglich partiell wird es erfaßt. Die Bestandteile, die Voraussetzungen und die Tragweite dieses fast symbiotischen Prozesses lassen sich m.E. aber nur erfassen, wenn man nicht allein die bekannte Führungsspitze der Medici und der französischen Krone ins Auge faßt, sondern außer dem Kopf auch alle anderen Glieder und Organe dieses zusammenwachsenden Körpers. Um das Bild zu wechseln: Notwendig ist eine prosopographisch, also personengeschichtlich ausgerichtete Untersuchung des gesamten handlungstragenden Netzwerkes. Dies schließt Verengungen auf eine nur politische Geschichte oder Wirtschaftsgeschichte aus - und es muß sie ausschließen. Das Handeln der Menschen erfolgte gerade in der vielschichtigen Welt der Renaissance niemals eindimensional und es ist sowohl als solches wie auch in seinen Bedingungen nicht in isolierten Bezügen zu erfassen, wie sie ein sektorierender Zugriff des Historikers formt, vor allem nicht in dem hier zu behandelnden Kontext. Die ältere, aber auch - wie es jüngst in der Studie von Maurizio Gattoni zum Ausdruck kommt - neuere Forschung hat sich bei der Bearbeitung des Themas freilich einseitig und oft unter selektiver Sichtung der diplomatiehistorischen Quellen primär den politischen Ereignissen zugewandt. 2 Den Voraussetzungen und Motiven solcher Handlungen auf politischer Ebene kann man sich aber nur dann angemessen nähern, wenn man gleichsam die tragenden Sub-Ebenen des politischen Par-

2

Vgl. M A U R I Z I O G A T T O N I , Leone X e la geo-politica dello stato pontificio (15131521) (Collectanea Archivi Vaticani 47), Città del Vaticano 2000. Durch Gattonis Weg politischer Geschichtsschreibung, ausschließlich Schriftstücke des politisch-diplomatischen Verkehrs zu berücksichtigen und auf der Basis eines eindimensionalen, staatsorientierten Politikverständnisses völlig isoliert wiederzugeben, wird der vielschichtige und komplexe sachlich-personelle Unterbau politischen Handelns ausgeblendet, ja sogar als unbedeutend behauptet - etwa S. 250: „Così anche la mia scelta di distinguere la politica ecclesiastico-amministrativa (benefici, rendite, giuspatronati, nomine etc.) da quella macro-politica, inerente al governo dello Stato, [...] è derivata dalla mia opinione secondo la quale, generalmente, la dimensione economica ha avuto un corso naturale indipendente dagli sconvolgimenti politici [...]". Dieser „Staat" gewinnt so eine gleichsam monadische Autarkie, die sich nur als ahistorisch erweisen kann - beispielhaft in Gattonis Konzept illustriert, jeden abgeschlossenen Vertrag in seinem Wortlaut undifferenziert als für sich gültigen Ausdruck eines handlungsbestimmenden politischen Willens darzustellen.

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

13

ketts erfaßt und berücksichtigt - was über den personalen Zugriff tatsächlich möglich erscheint. Zugleich müssen den diplomatiehistorischen Quellen kritisch andere Quellen wie wirtschaftshistorische oder auch die der bildenden Kunst gegenübergestellt werden, da sie Tatsachen und handlungsleitende Zusammenhänge aufzeigen können, vor denen sich Äußerungen politischer Korrespondenz entweder als substanzlos oder als substanzhaltig erweisen. Die Studie wird also ein komplexes, vielschichtiges Bild geben, ohne daß es komplett würde, da dieses Netzwerk in einem größeren Forschungsprojekt exakter erschlossen werden muß. Zugleich gilt es, sich vor bequemen statischen Zustandsbeschreibungen zu hüten: Die erschlossenen Handlungszusammenhänge zeichnen sich durch Dynamik aus, werden immer aber auch - in komplexen, deshalb faszinierenden Bedingungsverhältnissen - von gewachsenen Strukturen und Traditionen getragen. Das bezeugen schon unsere Protagonisten ausdrücklich! Zur besseren Orientierung wird dieser Beitrag chronologisch in drei Teile gegliedert. Ausgangspunkt sind Ereignisse des Jahres 1513, also im ersten Regierungsjahr Leos X., weil sie in entscheidender Weise die Weichen für die Zukunft stellten. Dies aber war nur möglich, weil man 1513 nicht erst neue Gleise verlegen mußte, sondern sich auf vorhandenen bewegen konnte. Welche bereits existenten personellen und sachlichen Elemente seit Pontifikatsbeginn integriert oder neu belebt wurden, um die Allianz mit Frankreich umzusetzen, soll im zweiten Teil zeitlich rückgreifend dargestellt werden. Im abschließenden dritten Teil werden dann für den gesamten Pontifikat Leos einzelne Formen und Handlungsresultate des mächtigen neuen Körpers thematisiert. Ein wesentliches Ziel der Ausführungen wird darin bestehen, die Grundlagen und Inhalte der Medici-Frankreich-Allianz in ihren Auswirkungen sowohl für die beginnende Reformationsgeschichte als auch für die Verfestigung des habsburgisch-französischen Dualismus aufzuzeigen, der dann ebenso wie die Reformation die Geschichte Europas in der Frühen Neuzeit entscheidend prägen wird.

I. Das Abkommen Es ist eine alte und weit verbreitete, vor kurzem etwa noch von McManamon vertretene Ansicht, die Allianz der Medici mit Frankreich sei erst Anfang 1515 gestiftet worden, mit der Hochzeit zwischen Leos Bruder Giuliano und Filiberta von Savoyen, der Schwester Luises von Savoyen bzw. der Tante von König Franz I., oder gar erst - so jüngst Boucher und Gattoni - unter machtpolitischem Zwang nach des Königs großem Sieg bei Ma-

14

Götz-Rüdiger

Tewes

rignano im September 1515.3 Aber dieses den Zeitgenossen wie späteren Historikern klar vor Augen stehende Ereignis war nicht Beginn, sondern Folge eines bereits zwei Jahre vorher geschlossenen, auf älteren Traditionen aufbauenden Bündnisses, das den Forschern freilich kaum bekannt sein konnte, weil es auch den Zeitgenossen weitgehend unbekannt blieb. Einer der wenigen Schlüssel liegt im Vatikanischen Archiv, und er öffnet den Blick auf ein Abkommen, in dem es um Benefizien und um Geld ging, um Geheimverträge und um neue Allianzen. 1. Ludwig XII., Leo X. und Leonardo Bartolini, der Bankier des Papstes Am 12. Oktober 1513 stellte Leo X. eigenhändig ein Mandat aus, mit dem er einem gewissen Leonardo Bartolini bestätigte, daß dieser ihm, dem Papst, einen Kredit von 20.000 Kammerdukaten gegeben habe und daß dieser Kredit ausschließlich über die künftigen Einnahmen aus den Annaten- und Servitien-Zahlungen des französischen Königreiches getilgt werden solle.4 Zugleich ordnete Leo an, der päpstliche Kämmerer und alle anderen zuständigen Beamten der Kammer mögen Bartolini ohne die sonst notwendigen Mandate direkt alle Frankreich betreffenden Bullen aushändigen, bis über die aus ihnen resultierenden Gebühren an die Kurie die Summe von 20.000 Dukaten getilgt sei. Was hier ganz nüchtern erklärt und angeordnet wurde, was wie ein normaler Finanzvorgang im Umfeld der kurialen Pfründenvergabe erscheint, ist tatsächlich ein außergewöhnlicher, ein ungeheuerlicher Vorgang, der in der Kuriengeschichte seinesgleichen sucht. Dies weniger we3 Vgl. JOHN W. MCMANAMON, Marketing a Medici regime: the funeral oration of Marcello Virgilio Adriani for Giuliano de' Medici (1516), in: Renaissance quarterly 44 (1991), S. 1-41, hier S. 17f. Für die wohl noch häufiger geäußerte Auffassung, der Beginn des Bündnisses sei erst nach der noch anzusprechenden Schlacht von Malignano im September 1515 anzusetzen, nolens volens bedingt durch den Erfolg Franz' I., der dann den Papst zum Konkordat von Bologna Ende 1515/Anfang 1516 gleichsam gezwungen habe, siehe etwa JACQUELINE BOUCHER, Les Italiens à Lyon, in: Passer les monts: Français en Italie - l'Italie en France (1494-1525). X e colloque de la Société française d'étude du Seizième Siècle, hg. von JEAN B A L S A M O (Bibliothèque Franco Simone 25), Paris / Fiesole 1998, S. 39-46, hier S. 45 („Léon X ne noua de relations avec la France qu'après la victoire de celle-ci à Marignan"); neuestens GATTONI, Leone X (wie Anm. 2), etwa S. 12f., 13 lf., 249 (doch behauptet Gattoni auf S. 245 wiederum, Leo X. habe sich noch Anfang 1516 mit Blick auf politische Allianzen alle Optionen offen gehalten. Daß solche Auffassungen unhaltbar sind, sollte das Folgende erweisen ). 4 Archivio Segreto Vaticano [zitiert: ASV], Camera Apostolica, Diversa Cameralia 63, fol. 138v; vgl. GÖTZ-RÜDIGER TEWES, Die römische Kurie und die europäischen Länder am Vorabend der Reformation (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 95), Tübingen 2001, S. 279, zum Kontext S. 257-301.

Die Medici und Frankreich

im Pontiflkat Leos X.

15

g e n d e s f i n a n z i e l l e n V o l u m e n s der K r e d i t e ; a u ß e r d e m ü b e r 2 0 . 0 0 0 g a b Bartolini d e m Papst nochmals im September

1 5 1 4 u n d im Januar

1515

Kredite v o n 5 . 0 0 0 b z w . 1 0 . 0 0 0 Kammerdukaten, die auf die g l e i c h e W e i s e z u t i l g e n w a r e n . 5 S i n g u l ä r w a r e n die K r e d i t e v o r a l l e m w e g e n der U m s t ä n d e , der R i s i k e n u n d der P e r s o n d e s d i e s e W a g n i s s e a u f s i c h n e h m e n d e n G l ä u b i g e r s . D e n n L e o n a r d o di Z a n o b i B a r t o l i n i w a r seit s e i n e r J u g e n d u n d ü b e r a l l e a u c h s c h w i e r i g e n Jahre h i n w e g e i n e r der e n g s t e n B e g l e i t e r u n d Vertrauten Giovanni de' M e d i c i s . 6 D e r 1464 geborene Leonardo stammte a u s d e m p a t r i z i s c h e n F l o r e n t i n e r G e s c h l e c h t der B a r t o l i n i S a l i m b e n i , d i e in der A r n o s t a d t seit d e m 14. Jahrhundert als K a u f l e u t e , B a n k i e r s ,

Politiker

u n d in m i l i t ä r i s c h e n F u n k t i o n e n tätig w a r e n , sehr o f t d i e h ö c h s t e n Ä m t e r der S t a d t b e k l e i d e t e n und s e i t d e m 15. Jahrhundert z u d e n e n g s t e n u n d w i c h t i g s t e n V e r b ü n d e t e n der M e d i c i g e h ö r t e n . 7 V o r a l l e m B a r t o l o m e o di Lionardo Bartolini, der 1444 geborene Vetter z w e i t e n Grades unseres L e o n a r d o di Z a n o b i B a r t o l i n i , ü b t e an der S e i t e d e s mit i h m v e r w a n d t e n L o r e n z o il M a g n i f i c o mit der B a r t o l i n i - B a n k m a ß g e b l i c h e n E i n f l u ß a u f d i e F l o r e n t i n e r M ü n z - u n d G e l d p o l i t i k aus; b e i d e B a n k e n k o o p e r i e r t e n n a c h w e i s l i c h e n g m i t e i n a n d e r . 8 L e o n a r d o di Z a n o b i s o l l t e o f f e n s i c h t l i c h n i c h t

5

Vgl. TEWES, Die römische Kurie (wie Anm. 4), S. 279-282. Vgl. M E L I S S A M. B U L L A R D , Filippo Strozzi and the Medici. Favor and finance in sixteenth-century Florence and Rome, Cambridge usw. 1980, S. 96; DIES., „Mercatores Florentini Romanam Curiam Sequentes" in the early sixteenth Century, in: Journal of Medieval and Renaissance Studies 6 ( 1 9 7 6 ) , S. 5 1 - 7 1 , hier S. 6 7 und Anm. 6 8 . 7 Die bis heute maßgebliche Arbeit zu den Bartolini, vor allem zur Familiengeschichte, stammt von ILDEFONSO DI S. LUIGI, Istoria Genealogica della famiglia de' Salimbeni di Siena e de' Marchesi Bartolini Salimbeni di Firenze, in: DERS., Delizie degli Eruditi Toscani, vol. XXIII/2 (= appendice al tomo XXIII), Firenze 1786. Die genealogischen Verknüpfungen und die Angaben zu den einzelnen Personen sind im großen und ganzen zutreffend; viele Einzelheiten deuten darauf hin, daß er nicht nur ältere Chroniken, sondern auch Dokumente und Quellen im Privatarchiv der Bartolini Salimbeni benutzt hat, das sich bis ins 20. Jahrhundert im gleichnamigen Florentiner Palazzo befunden hatte; zu diesem Archiv u. Anm. 41. Zur Geschichte und Stellung der Familie Bartolini ist jetzt ergänzend zu konsultieren: M I C H A E L L I N G O H R , Der Florentiner Palastbau der Hochrenaissance. Der Palazzo Bartolini Salimbeni in seinem historischen und architekturgeschichtlichen Kontext, Worms 1997, bes. S. 49-55. Bei TEWES, Die römische Kurie (wie Anm. 4), ist auf S. 275, 411 und 428 bedauerlicherweise die falsche Namensform „Salimbene" statt „Salimbeni" benutzt worden, doch führten die Bartolini - soweit zu erkennen ist - im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert diesen Zusatz noch nicht. 6

8 Vgl. M A R I O B E R N O C C H I , Le monete della repubblica fiorentina, I - V (Arte e archeologia 5 - 7 , 11, 24), Firenze 1974-1985, hier I: Il libro della zecca. Revisione del testo, note e introduzione a cura di Renzo Fantappiè; und II: Corpus nummorum Florentinorum, s.v.; zu den intensiven Verbindungen zwischen der Bank des Bartolomeo di Lionardo Bartolini und der Medici-Bank vgl. ferner A L F R E D VON R E U M O N T , Lorenzo de' Medici, il Magnifico, I—II, 2. Aufl. Leipzig 1883, hier II, S. 299 (Lorenzo de' Medici als

16

Götz-Rüdiger

Tewes

seinem - auch den neuplatonischen Florentiner Humanisten nahestehenden - Vater in dessen politisch-militärischem Aufgabenfeld folgen, sondern die Banktradition des Hauses Bartolini fortführen. 9 So wurde er 1486 von NofTeilhaber der Bartolini-Bank); ALISON BROWN, Public and Private Interest: Lorenzo, the Monte and the Seventeen Reformers, in: Lorenzo de' Medici. Studi, a cura di GIAN C. GARFAGNINI (Istituto Nazionale di Studi sul Rinascimento. Studi e testi 27), Firenze 1992, S. 103-165, hier S. 109, 128-130 (revidiert in:); DIES., The Medici in Florence. The exercise and language of power (Italian Medieval and Renaissance Studies 3), Firenze usw. 1992, hier S. 174-176, bes. Anm. 64, 70, S. 185; DIES., Lorenzo and Guicciardini, in: Lorenzo the Magnificent. Culture and Politics, ed. by MICHAEL MALLET and NICHOLAS MANN (Warburg Institute Colloquia 3), London 1996, S. 281-296, hier S. 287, 292-294; MELISSA M. BULLARD, Lorenzo il Magnifico: Image and Anxiety, Politics and Finance (Istituto Nazionale di Studi sul Rinascimento. Studi e Testi 34), Firenze 1994, S. 183 Anm. 110. Der 1444 geborene Bartolomeo di Lionardo Bartolini war in erster (kinderloser) Ehe seit 1465 mit Marietta di Giovanni di Antonio de' Medici verheiratet; 1471 heiratete er Piera di Francesco di Papi, eine Tochter des mit Marsilio Ficino bef r e u n d e t e n H u m a n i s t e n ; v g l . ILDEFONSO DI S. LUIGI, D e l i z i e ( w i e A n m . 7), S. 3 5 1 - 3 5 3 .

Zusammen mit seinem Verwandten und Kompagnon Lorenzo de' Medici und mit Giuliano di Francesco Salviati war er 1490/91 einer der wichtigen Ufficiali di Monte, den der Medici (vermutlich nicht ohne Wissen des Bartolini) entgegen der öffentlichen Zweckbestimmung zugunsten seiner desaströsen privaten Finanzsituation mißbraucht haben soll; vgl. BROWN, The Medici in Florence, a.a.O., (S. 185 zu Bartolini als Ufficiale); DIES., Lorenzo and Guicciardini, a.a.O. (mit weiterer Lit.). 9 Lorenzo de' Medici hatte Leonardos Vater Zanobi di Zanobi di Lionardo Bartolini in den 60er Jahren mit dem Amt des podestà in Fucécchio (Fucechi) betraut, wo er sich wohl so gut bewährte, daß er in den 70er Jahren mit dem höchst verantwortungsvollen Amt des capitaneus der wichtigen nordwestlichen Festung Sarzana betraut wurde, die als Exklave auf Genueser Territorium für die Florentiner Republik eine Schlüsselrolle einnahm. Die Bartolini-Bank unter Führung des genannten Bartolomeo di Lionardo Bartolini war im übrigen - in wiederum enger Kooperation mit der Medici-Bank - am Bau und an der Restaurierung auch der Festung von Sarzana beteiligt; vgl. BROWN, Lorenzo and Guicciardini (wie Anm. 8), S. 292f. Nach all dem wundert es nicht, wenn Zanobi Bartolini in seinen Briefen an Lorenzo de' Medici immer wieder die Bedeutung und die Erfolge seiner Spione hervorhebt, die er im übrigen - das vergißt er nicht zu betonen - aus seiner eigenen Tasche bezahlte. Vgl. etwa Archivio di Stato [AS] Firenze, Medici avanti il Principato [MAP], filza XX, Nr. 375, 625; filza XXXIII, Nr. 800, 938, 944, 1002, 1041; vgl. auch ANDRÉ ROCHON, La jeunesse de Laurent de Médicis (1449-1478), Paris 1963, S. 582 Anm. 26; ILDEFONSO DI S. LUIGI, Delizie (wie Anm. 7), S. 248f. Zanobis Nähe zu den Humanisten ergibt sich aus der Tatsache, daß der dem Ficino-Kreis nahestehende Kaufmann Tommaso Benci seine Volgare-Übersetzung des Pimandro von Hermes Trismegistos, die wiederum Marsilio Ficino ins Lateinische übersetzt hatte, dem nobile et preclaro Homo Zanobi di Zanobi bartolini widmete; vgl. ARNALDO DELLA TORRE, Storia dell'Academia Platonica di Firenze, Firenze 1902 (ND Torino 1968), S. 555. Die literarischen Interessen Zanobis finden auch eine kurze Erwähnung bei DALE KENT, Cosimo de' Medici and the Fiorentine Renaissance. The Patron's Oeuvre, New Häven / London 2000, S. 71. Die Bankierstradition der Bartolini wurde vermutlich von dem 1353 geborenen Bartolomeo di Lionardo Bartolini, dem Bruder von Zanobis Vater bzw. Leonardos Groß-

Die Medici und Frankreich im Pontißkat Leos X.

17

ri Tornabuoni, d e m Leiter der M e d i c i - B a n k in R o m , in A b s t i m m u n g mit d e m M a g n i f i c o als h o f f n u n g s v o l l e N a c h w u c h s k r a f t an s e i n e Seite g e h o l t , sollte aber vorher, da er e t w a s massicciato sei, bei d e m H u m a n i s t e n U g o lino V e r i n o ( V i e r i ) den kulturellen S c h l i f f erhalten, also bei j e n e m G e lehrten, der g e r a d e erst mit der Carlias auf „ o f f i z i e l l e n f r a n z ö s i s c h e n und Florentiner W u n s c h " ein v e r g i l i s c h e s E p o s über Karl den G r o ß e n g e schrieben hatte, in w e l c h e m die Florentiner in e w i g e r Treue z u Frankreich und die M e d i c i als Ritter an Karls S e i t e stehen. 1 0 In R o m b e w ä h r t e sich L e o n a r d o Bartolini w i e erwartet dann so gut, daß er N o f r i s T o c h t e r Franc e s c a heiraten durfte, eine V e r w a n d t e Giovanni und G i u l i o de' M e d i c i s s o m i t . 1 1 S c h o n bald war L e o n a r d o auch in j e n e s v o n Politik, F i n a n z e n und B e n e f i z i e n b e s t i m m t e Kräftefeld e i n g e b u n d e n , das z w i s c h e n den M e d i c i -

vater Zanobi di Lionardo, begonnen, der - in zweiter Ehe später mit Giovanna Cavalcanti verheiratet - seit ca. 1368 an der Kurie in Avignon und danach in Florenz eine Bank betrieben hatte; vgl. zu ihm und seinem 1373 geborenen Bruder Zanobi di Lionardo Bartolini: I L D E F O N S O DI S. L U I G I , Delizie (wie Anm. 7), S. 165-272. 10 Zu Vieris Carlias vgl. den Beitrag von Thomas Maissen in diesem Band, S. 127; ferner: U G O L I N O V E R I N O , Carlias. Ein Epos des 15. Jahrhunderts, erstmals herausgegeben von N I K O L A U S T H U R N (Humanistische Bibliothek. Texte und Abhandlungen, Reihe II. Texte, 31), München 1995 (S. 11: vermutlich hatte Vieri auch Giovanni de' Medici unterrichtet). Zu dem Brief, mit dem Nofri Tornabuoni im Dezember 1486 Lorenzo de' Medici bat, ihm den jungen, noch „rauhen", „ungeschliffenen" Leonardo Bartolini nach einem mehrmonatigen (humanistischen) Bildungsschliff in die römische Filiale zu schikken, vgl. BULLARD, Lorenzo il Magnifico (wie Anm. 8), S. 157f. und Anm. 11: A Giovanni [Tornabuoni] schrivo che mi mandi un giovane e nomino quello de ' Bartolini, il quale ... che gli ara le pratiche de li amici nostri potreno poi farlo passare inanzi a Vieri che 'è un vero bisogna pure che sia un pocho massicciato e abbi qualche chostume di qui che tutto piglierà in 4 o 6 mesi... e se voi mi manderete quello de ' Bartolini chome dicho ne resterò sodisfatto perché anchora voi possiate stare chol animo più posato ...; vgl. auch TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 276 und Anm. 68. 11 Zur Ehe Leonardos mit Francesca Tornabuoni, einer Cousine zweiten Grades von Giovanni de' Medici und seinen Brüdern Piero und Giuliano, vgl. I L D E F O N S O DI S. L U I G I , Delizie (wie Anm. 7), S. 250f. Am bekanntesten von ihren fünf Söhnen und drei Töchtern wurde der 1508 geborene Onofrio, der von Leo X. schon 1518 mit gerade 10 Jahren als Nachfolger des noch zu nennenden Kardinals Raffael Riario, des Mitverschwörers gegen den Medici-Papst (s.u. S. 66f.), zum Administrator des Erzbistums Pisa bestimmt wurde; ebd. S. 251-265 (mit falschem Geburtsjahr); vgl. auch K O N R A D E U B E L (Hg.), Hierarchia catholica medii (et recentioris) aevi, III: saeculum XVI ab anno 1503 complectens, editio altera hg. von L U D W I G S C H M I T Z - K A L L E N B E R G , Münster 1923 (ND Padova 1960), S. 274, wo er - vermutlich durch die entfernte Verwandtschaft zu den Medici als „Honofrius de Bartholinis (de Medicis)" bezeichnet wird. Zum Alter Onofrios, den Leo X. durch die gemeinsame Tornabuoni-Linie als secundum carnem afflnis noster bezeichnete, vgl. A N G E L O M E R C A T I , Frammenti di una corrispondenza di Giovanni Rucellai nunzio in Francia (1521), in: Archivio della R. Società Romana di Storia Patria 71 (1948), S. 1-47, hier S. 41f. und Anm. 7.

18

Götz-Rüdiger

Tewes

Filialen von Lyon und Rom zum Wohle Frankreichs und der Medici aufgebaut worden war. 12 Für die Kreditgeschäfte von 1513 bis 1515 ist jedoch zunächst wichtiger, daß Leonardo schon damals, als Novize in der römischen MediciBank, das Scheitern des großen appalto erlebte, mit dem Papst Innozenz VIII. in großem Stil seit 1486 über Jahre hinweg Kredite gegen Spiritualieneinnahmen eintrieb. 13 Doch damals war der jährliche Kredit von 54.000 Dukaten (in Bargeld und Textilien) von zunächst neun, dann 47 Kreditoren aufgebracht worden, und die Tilgung sollte durch alle Servitien- und Annateneinnahmen des ganzen christlichen Erdkreises erfolgen. Aber das reichte nicht! Fast alle Kreditoren machten Verluste, z.T. erhebliche wohl auch deshalb, weil die jährlichen Spiritualien-Gesamteinnahmen mit ca. 40-50.000 Dukaten nur knapp das Kreditvolumen erreichten. Papst Alexander VI. hatte dieses wagemutige Geschäft denn auch nicht mehr erlaubt. 1513 aber beginnt ein einziger Bankier, eine Summe von insgesamt 35.000 Dukaten nur gegen die zukünftigen, naturgemäß schwankenden geistlichen Einkünfte eines Königreiches an den Papst zu verleihen. Das Ungewöhnliche dieses scheinbar tollkühnen Schrittes wird noch deutlicher, wenn man den kirchenpolitischen Hintergrund jener Jahre betrachtet. Seit 1510 hatte König Ludwig XII. in seiner Auseinandersetzung mit Papst Julius II. die Grenzen seines Königreiches gegenüber Rom geschlossen! Mit einer königlichen Ordonnanz verbot er am 16. August 1510 allen Klerikern und Untertanen seines Reiches in schärfster Form, sich wegen irgendwelcher Benefizienangelegenheiten an die römische Kurie zu wenden. 14 Denn das so an den Papst gelangende Geld diene nur dessen Krieg mit Frankreich. Diese Abgrenzung gegenüber Rom wurde noch verhärtet: Ludwig

12 Vgl. TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 276f. Weitere Aktivitäten Leonardo Bartolinis nach 1486 werden noch wiederholt zur Sprache kommen. 13 Die maßgeblichen Untersuchungen zu diesem umfassenden Kreditgeschäft stammen von Bullard; vgl. MELISSA M. BULLARD, Farming Spiritual Revenues: Innocent VIII's Appalto of 1486, in: Renaissance Studies in Honor of Craig Hugh Smyth, edited

by ANDREW MORROGH et al., Firenze 1985, S. 2 9 - 4 2 ; DIES., Raising Capital and Fun-

ding the Pope's Debt, in: Renaissance Society and Culture. Essays in Honor of Eugene F. Rice, Jr., edited by JOHN MONFASANI / RONALD G. M U S T O , New York 1991, S. 23-32; DIES., Lorenzo il Magnifico (wie Anm. 8), S. 189-214; vgl. ferner TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 280f. 14 Ordonnances des rois de France de la troisième race, vol. XXI (1497-1514), ed. J. M. PARDESSUS, Paris 1849 (ND Farnborough 1968), S. 436-439. Zu König Ludwig XII. jetzt: BERNARD QUILLIET, Louis XII, Père du Peuple, Paris 1986, doch mißt Quilliet den Beziehungen des Königs zu Papst Leo X. offensichtlich keine größere Bedeutung bei, da sie kaum Erwähnung finden.

Die Medici und Frankreich im Pontißkat

LeosX.

19

XII. initiierte mit g a l l i k a n i s c h g e s i n n t e n Prälaten 1511 das als s c h i s m a t i s c h a n g e s e h e n e K o n z i l v o n Pisa g e g e n Julius II.; dieser b e r i e f im G e g e n z u g im Juli 1 5 1 1 die V. L a t e r a n s y n o d e ein; L u d w i g ließ dann im April 1 5 1 2 den Papst a b s e t z e n und verbot im Juni 1 5 1 2 n o c h m a l s den Erwerb v o n Gratialund Justizbriefen an der Kurie. 1 5 F r a n z ö s i s c h e Kleriker w u r d e n nun durch das v o n Pisa über M a i l a n d nach L y o n v e r l e g t e K o n z i l mit B e n e f i z i e n ausgestattet; die A m t s t r ä g e r des K ö n i g r e i c h e s hatten die B e f o l g u n g der g e nannten O r d o n n a n z e n z u überwachen. A l s L e o X. im März 1513 seinen Pontifikat antrat, w a r diese für das Papsttum untragbare Situation n o c h nicht geändert, erst recht nicht gelöst. Z w i s c h e n M ä r z und Oktober 1513 muß sich j e d o c h das Verhältnis z w i s c h e n Frankreich und d e m Papsttum in das v ö l l i g e G e g e n t e i l verkehrt haben, in e i n e h ö c h s t e x k l u s i v e B i n d u n g , die das e n o r m e R i s i k o s c h o n d e s ersten B a r t o l i n i - K r e d i t e s tragbar machte. U n d L e o X. und seine U m g e b u n g w a r e n trotz hoher A u s g a b e n kühle, rationale Rechner; G i o v a n n i und G i u l i o de' M e d i c i b l i e b e n auch als Kardinäle und P ä p s t e Sprosse einer K a u f m a n n s - und B a n k i e r s f a m i l i e . W a s also war g e s c h e h e n ? E v i d e n t ist, daß der w i d e r s p e n s t i g e S o h n der Kirche, L u d w i g XII., sich durch die W a h l L e o s

15 Einschlägig: N E L S O N H. M I N N I C H , The Fifth Lateran Council (1512-17). Studies on its Membership, Diplomacy and Proposais for Reform (Variorum Collected Studies 392), Aldershot usw. 1993; DERS., The Healing of the Pisan Schism (1511-13), in: Annuarium Historiae Conciliorum 16 (1984), S. 59-192 (ND mit neuen Anhängen in: DERS., The Fifth Lateran Council, a.a.O. S. 59-197*); DERS., Art. „Lateran V", in: Theologische Realenzyklopädie 20 (1990), S. 489-492. Druck der Quellen zum Pisanum, das von der päpstlichen Seite als conciliabulum bezeichnet bzw. abgewertet wurde, und zur V. Lateransynode: JOANNES D. M A N S I , Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, XXXII: Ab anno MCDXXXVIII ad annum MD IL, Paris 1902, Sp. 561-578, 649-1002. Die zweite, u.a. das Verbot des Romverkehrs erneuernde Ordonnanz vom 16. Juni 1512 findet sich in: Ordonnances des rois de France, vol. XXI (wie Amn. 14), S. 475f. Zur Sache und zur Kontrolle des Benefizienverkehrs mit Rom durch den französischen König bzw. seine Amtsträger vgl. TEWES, Römische Kurie, S. 286f., 330-348. Bekanntlich hatte, um ein besonders spektakuläres Beispiel anzuführen, bereits König Philipp IV., der Schöne, in seinem Kampf mit Papst Bonifaz VIII. 1296 die Grenzen des französischen Königreiches nicht nur, aber auch für den Transfer kirchlicher Einnahmen nach Rom schließen lassen, indem er neben Waffen, Pferden und sonstigen Kriegssachen vor allem die Ausfuhr von gemünztem und ungemünztem Gold, Silber und anderem Edelmetall sowie die von Edelsteinen und anderen Wertgegenständen ohne schriftliche Zustimmung des Königshofes verbot. Aus der umfangreichen Literatur zu diesem Konflikt vgl. hier nur JOSEPH R. STRAYER, The Reign of Philip the Fair, Princeton, New Jersey, 1980, 251f.; JEAN FAVIER, Frankreich im Zeitalter der Lehnsherrschaft 1000-1515 (Geschichte Frankreichs 2), Stuttgart 1989, S. 268; JÜRGEN M I E T H K E , Philipp IV. der Schöne, 1285-1314, in: Die französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII., 888-1498, hg. von JOACHIM E H L E R S / H E R I B E R T M Ü L L E R / B E R N D S C H N E I D MÜLLER, München 1996, S. 203-230, 399-401, hier S. 218.

Götz-Rüdiger

20

Tewes

X. veranlaßt sah, seine antipäpstliche Politik zugunsten einer propäpstlichen aufzugeben. Der Medici konnte ihm offensichtlich etwas geben, was Julius II. nicht geben konnte bzw. nicht zu geben bereit war. Um was es sich dabei handeln könnte, werden wir nach und nach aufzuzeigen versuchen. Wie sehr Ludwig XII. gewillt war, die Brücke nach Rom wieder aufzubauen, zeigt schon die Auswahl des Diplomaten, der die Abkehr vom schismatischen Pisanum und die Anerkennung des Laterankonzils einleiten und vertraglich absichern sollte. Ludwig entschied sich im Frühsommer 1513 für den französisch-savoyischen Diplomaten Claude de Seyssel, der nicht nur ein unbedingter Wahrer königlich-französischer Interessen war, sondern auch ein Freund des neuen Papstes, humanistisch gebildet und mit guten Verbindungen zur kulturellen und politischen Elite Italiens. 16 Claude de Seyssel besaß von Beginn an die Erlaubnis, im Namen des Königs dem Pisanum abzuschwören, doch bei der heiklen Frage der Benefizienproblematik bestand Ludwig XII. darauf, von Fall zu Fall persönlich zu entscheiden. Eilboten verkehrten also zwischen Rom und dem französischen Hof, der sich meist in Amiens aufhielt. Den Vermittlern zwischen Papst und König kamen die wohl entscheidenden Funktionen zu. Neben Seyssel waren dies in Rom besonders der noch genauer zu betrachtende italienische Kardinal Federico Sanseverino für Frankreich, dann die mit Seyssel befreundeten Giuliano de' Medici, der Bruder des Papstes, und Luigi de' Rossi, der Vetter Leos, der durch den Papst nach der PetrucciVerschwörung 1517 zum Kardinal promoviert wurde und der an der Seite Leos X. und Kardinal Giulio de' Medicis durch Raffael porträtiert worden ist. 17 Auf Rossi ist noch zurückzukommen. Am französischen Hof ist uns Roberto Acciaiuoli als maßgeblicher Vermittler bekannt. 1 8 Die Boten lösten sich fast in fliegendem Wechsel ab; Leo setzte Ludwig zeitlich unter Druck und Acciaiuolo bestärkte den König, der Papst würde ihm schon

16

Grundlegend: ALBERTO CAVIGLIA, Claudio di Seyssel (1450-1520). La vita nella storia de' suoi tempi (Miscellanea di Storia Italiana, 3. serie, 23), Torino 1928, hier S. 255-285; vgl. auch A. CHARON, Art. „Seyssel, Claude de", in: Lexikon des Mittelalters VII (1995), Sp. 1821 (Lit.). 17 Zur Freundschaft Seyssels mit Giuliano de' Medici und Luigi de' Rossi vgl. CAVIGLIA, Claudio di Seyssel (wie Anm. 16), S. 273f., 276; zwischen Seyssel und dem Kardinal Sanseverino bestand offensichtlich eher ein Konkurrenzverhältnis um die Vertretung der französischen Sache (vgl. etwa ebd. S. 311f.). 18 Zu den Vermittlern vgl. MINNICH, The Healing of the Pisan Schism (wie Anm. 15), S. 123-126, 161f. (zur führenden Rolle des Kardinals Federico Sanseverino und seines Bruders Galeazzo; zu ihnen im folgenden noch genaueres). Zu diesen frühen Vermittlungen, die etwa in einem bedeutungsvollen Brief Giulio de' Medicis an Giuliano de' Medici vom 31.3.1513 in den politisch-diplomatischen Kontext gestellt werden, s. auch unten Anm. 89.

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

21

sehr weit entgegenkommen, wenn Ludwig nur die Spiritualiensache im Sinne der Kurie entscheiden würde. Darum ging es! Der König lenkte ein, Mitte September 1513 gab er seine Einwilligung, die über den Agenten Seyssels am 4. Oktober 1513 in Rom eintraf und in der er zustimmte, daß er und alle Teilnehmer dem schismatischen Pisanum entsagen und das Laterankonzil anerkennen würden; der Papst sicherte ihm dagegen zu, die vom Pisanum vorgenommene Benefizienvergabe als rechtmäßig zu betrachten und sie - falls gewünscht - an der Kurie zu bestätigen. Nur ein milder, jede Demütigung vermeidender Tadel traf den schlecht beratenen König, zum großen Erstaunen des englischen Königs und des Kaisers. 19 Diese am 9. Oktober öffentlich bekannt gemachten Abmachungen konnten jedoch nicht alles gewesen sein. In seinem letzten Brief muß Ludwig XII. auch jenes geheim gehaltene Abkommen gebilligt haben, das nun in völliger Umkehr von der bisherigen antikurial-gallikanischen Politik die Benefizien des Königreiches Frankreich nicht nur der päpstlichen Provisionsgewalt überließ, sondern sie vielmehr sogar für die Teilfinanzierung des Medici-Haushaltes freigab. Sonst hätte Leo X. niemals am 12. Oktober 1513 jenes motu /voprzo-Mandat erlassen können, mit dem er die Tilgung des vermutlich unmittelbar nach dem 4. Oktober gewährten 20.000 Dukatenkredites aus der Kasse seines Hausbankiers allein aus den Annaten- und Servitienzahlungen des französischen Königreiches anordnete. Außer einer Stärkung des Hauses Medici und der päpstlichen Kassen war damit vor allem aber auch - in einem Vorgriff auf das französischpäpstliche Konkordat von Bologna (1516) - die endgültige Aufhebung der gallikanisch-antipäpstlichen Pragmatischen Sanktion von Bourges (1438) eingeleitet, in der z.B. päpstliche Benefizienvergaben und jede Annatenzahlung nach Rom verboten worden waren. 20 Schon am 26. Oktober 1513 erließ Ludwig ein Mandat, mit dem er die Sendung von Delegierten nach Rom ankündigte, die über die Pragmatische Sanktion von Bourges verhandeln sollten, die bekanntlich mit dem Konkordat von Bologna 1516 defini-

19

Vgl. M I N N I C H , The Healing of the Pisan Schism (wie Anm. 15), S. 127-129, 165168; zur Reaktion des englischen Königs und des Kaisers, dem in der päpstlich-französischen Übereinkunft die Hauptschuld am Entstehen des Pisanum bzw. conciliabulum zugeschrieben wurde, siehe: DERS., The protestatio' of Alberto Pio (1513), in: Societä, politica e cultura a Carpi ai tempi di Alberto III Pio, in: Atti del Convegno Internazionale (Carpi, 19-21 Maggio 1978), a cura di R J N O A V E S A N I et al. (Medioevo e Umanesimo 46), I, Padova 1981, S. 261-289 (ND in: M I N N I C H , The Fifth Lateran Council [wie Anm. 15], S. 261-289). 20 Diese Verfügungen der Pragmatischen Sanktion von Bourges sind freilich faktisch schon früh, nämlich bereits unter König Karl VII. und dann insbesondere unter der folgenden Regierung von König Ludwig XI. außer Kraft gesetzt worden; hierzu eingehend T E W E S , Römische Kurie, passim.

22

Götz-Rüdiger

Tewes

tiv, aber gegen erbitterten Widerstand des Parlaments und der Universität zu Paris, aufgehoben wurde. 21 Die Hüter der „Magna Charta" des Gallikanismus durften aber offensichtlich 1513 noch nicht erfahren, daß ihr gallikanischer Gral faktisch bereits zu Grabe getragen worden war, daß große Summen an Annaten-Geldern das Land verließen, um in den Kassen des Papstes bzw. seines Hausbankiers Leonardo Bartolini zu enden - worüber jene erstaunlicherweise aber selbst nach 1516 ganz offensichtlich weitgehend nichts wußten! 22 Das umfassende Kredit-gegen-Benefizien-Geschäft funktionierte in den folgenden Jahren tatsächlich, dies zeigen die Akten der päpstlichen Kammer eindringlich. Schon am 24. Dezember 1513 erfolgte die ersten Rückzahlung. 23 Das wahre Skandalum aber wurde den Akten und der Nachwelt nicht anvertraut. Hunderte und aberhundert französische Pfarrkirchen denn aus diesen Seelsorgebenefizien und aus Prioraten, nicht aus Kanonikaten, kam fast das gesamte Annatengeld - , die durch eine Resignation ihres Inhabers in die Hände des Papstes vakant wurden und sofort durch päpstliche Provision in den Besitz des vom Vorgänger gewünschten Kandidaten, meist eines Verwandten, gingen, all diese Pfarreien und die aus ihnen resultierenden Annaten bzw. Annatenobligationen wurden nicht in den Kammerregistern verzeichnet. 24 Leonardo Bartolini verfugte offen21 Zur Delegation vom Oktober 1513: MINNICH, The Healing of the Pisan Schism (wie Anm. 15), S. 151. 22 Aus den Verhandlungen des Königs und seiner wichtigsten Räte mit den aus den Reihen des Parlaments zu Paris stammenden Kritikern des Konkordates von Bologna ergibt sich, daß die Konkordatsgegner noch nach Abschluß des Konkordats von einem der Pragmatischen Sanktion entsprechenden Annatenverbot für Frankreich ausgingen bzw. erst durch das Konkordat dessen Aufhebung oder Aushöhlung befürchteten. Die königliche Seite ließ die Kritiker offenbar bewußt im unklaren und deutete - wie 1518 nur vage auf das letztlich seit Jahrzehnten bestehende Faktum hin, indem sie das Argument vorbrachte, ein Krieg koste erheblich mehr als jene évacuation de l 'argent; vgl. R O G E R D O U C E T , Étude sur le gouvernement de François IER dans ses rapports avec le Parlement de Paris, I: 1515-1525, Paris 1921, S. 84-114, 125f„ 133, 146f.; JULE THOMAS, Le concordat de 1516, ses origines, son histoire au XVI e siècle, I—III, Paris 1910, hier II, S. 122-124, 381; TEWES, Römische Kurie, S. 125 und Anm. 52, S. 164, 285f. und Anm. 94, 95 (mit weiterer Literatur, etwa zu gleichlautenden Urteilen in der jüngeren Forschung über die Annatenfrage, die in frappierender Weise den Meinungen der Konkordatsgegner aus dem Parlament gleichen). 23 Der Thesaurar ließ dabei 19 Introitus-Posten verzeichnen, die durch Leonardo Bartolini bei der Kammer eingezahlt worden waren und die sofort ad exitum zur Tilgung seines Kredites umgebucht wurden; vgl. ASV, Camera Apostolica, Introitus et Exitus 551, fol. 55r-57r (introitus), 159r (exitus). Die zweite entsprechende Buchung erfolgte am 28.2.1514; vgl. Introitus et Exitus 551, fol. 70v-74v (introitus), 174v (exitus); TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 282. 24 Ausführlich hierzu: TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 282-284.

Die Medici und Frankreich im Pontiflkat Leos X.

23

sichtlich nicht nur über die entsprechenden Bullen ohne die sonst übliche Kontrolle durch die apostolische Kammer. Darüberhinaus mußten die Franzosen bzw. ihre Prokuratoren vor ihm statt auf der Kammer die Obligation zur Zahlung der Annaten leisten, um in den Besitz der Bullen zu gelangen; er, Bartolini, nahm auch die Annatenzahlungen direkt in Empfang und leistete nicht vor der Kammer, sondern wohl nur vor seinem Papst Rechenschaft darüber. Daß damit auch entscheidende, vorgeschriebene Kontrollelemente der Kurie umgangen bzw. ausgeschaltet wurden und bei vielen Provisionen bestehendes Kirchenrecht zum Vorteil des französischen Königs und seiner Entourage, seiner zentralen Amtsträger, aufgehoben wurde, ist nicht nur dem Historiker klar, es wird auch von den Beteiligten wiederholt angedeutet.

II. Bedingende Grundlagen Uns aber, und damit kommen wir zum zweiten Teil, interessiert zunächst, welche bestehenden Strukturen erneuert wurden, wie Bartolini gleichsam aus dem Stand die Tilgung seines Kredites praktisch umsetzte. Es muß eine enorme logistische Kraftanstrengung gewesen sein: Er mußte die Bullen verteilen, sämtliche Annatenobligationen für die niederen Benefizien, vor allem Pfarrkirchen, selbst in Empfang nehmen, er mußte die Zahlungen kontrollieren, und dies alles sowohl in Rom wie in Frankreich. Ohne vorhandene Strukturen und Mittel hätte dieses Unternehmen niemals erfolgreich angegangen und bewältigt werden können. Welche waren es? Es gibt aufgrund der prosopographischen Analyse zahlreiche Hinweise, daß Bartolini personelle und geschäftliche Verbindungen erneuerte, wieder aufnahm, die unter Lorenzo de' Medici geschaffen worden waren und von herausragender Qualität waren. Bevor auf die einzelnen Glieder dieser Verbindung einzugehen ist, muß kurz das generelle kirchenpolitische Verhältnis Frankreichs zur Kurie erläutert werden. 1. Frankreichs Kurienpolitik und die Medici Die grundlegende Voraussetzung für die geschäftliche Symbiose der Medici mit Frankreich bestand in der gezielten Öffnung des französischen Königreiches und der Dauphine für das päpstliche Provisionsgeschäft unter König Ludwig XI. 25 Er brach seit 1461 mit der antikurialen, auf der Prag25 Vgl. 176-189.

TEWES,

Römische Kurie (wie Anm. 4), passim, bes. S. 121-123, 162-173,

Götz-Rüdiger

24

Tewes

matischen Sanktion fußenden Politik seines Vorgängers. Ganz ausdrücklich erklärte er, daß dadurch jährlich 300.000 Dukaten in die päpstlichen Kassen fließen würden, daß dies aber nur dann geschehen würde, wenn er vom Papst entsprechende Gegenleistungen erhielte: do ut des.26 Ich gebe Dir Geld, damit Du mir meine Bischofskandidaten gegen aufsässige DomKapitel durchsetzt, mir Kardinäle ernennst, den Zehnten bewilligst, damit Du auch kirchenrechtlich etwas anrüchige Benefiziengeschäfte zugunsten meiner Klientel und meiner Amtsträger bestätigst und so fort. König Ludwig XI. gab den Weg nach Rom jedoch nicht ohne weiteres frei. Diese Öffnung war eine systematisch und strengstens kontrollierte: Jedes Provisionsgeschäft mußte vom König und von seinen hierfür eingesetzten hohen Beamten genehmigt werden, auf mehreren Stufen mußte durch Notariatsinstrumente die Legitimität nachgewiesen werden, Ausländer kamen nur mit königlichem Placet auf französische Benefizien. 2 7 Auch hier entfaltete sich der moderne Staat. Doch Ludwig brauchte darüber hinaus gleichsam verlängerte Arme, Arme, die bis Rom und in die kurialen Schaltstellen reichten. Denn auch in Frankreich gab es nicht die einst intendierte „nationale" Zentralbank, die den Finanzverkehr mit der Kurie übernahm und die königliche Interessen in Rom hätte wahrnehmen können. 28 Neben anderen Florentiner Banken bot sich offensichtlich besonders unter Lorenzo de' Medici zunehmend die Medici-Bank als Interessenvertreter des Königtums an. Der Synergie-Effekt dieser Verbindung wuchs beträchtlich, als auch der Frankreich sehr nahe stehende Papst Innozenz VIII. sich seit (spätestens) 1487, dem Jahr der Hochzeit zwischen dem Papstsohn Franceschetto Cibo und Lorenzos 26

Vgl. C. Lucius, Pius II. und Ludwig XI. von Frankreich, 1461-1462 (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 41), Heidelberg 1913, S. 91; CLAUDIA MÄRTL, Kardinal Jean Jouffroy (T 1473). Leben und Werk (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 18), Sigmaringen 1996, S. 132f. ; TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 210f. 27 Vgl. TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 330-348. 28 Nachdem sich Ludwig XI. mit Regierungsbeginn 1461 aktiv der Kurie zuwandte, versuchte er, über Jacques Cœur eine Art französische Zentralbank für den Finanzverkehr mit der Kurie aufzubauen. Doch als dieser Versuch 1462 scheiterte, vertraute er einigen wenigen italienischen Banken diesen Aufgabenbereich an, wobei der Königshof selbst offenbar die Medici bevorzugte; vgl. RENÉ GANDILHON, Politique économique de Louis XI, Paris 1941, S. 356-364. Es scheint allerdings, als ob auch die französischen Benefiziaten mehrheitlich die Medici-Bank in Lyon für ihre Zahlungen an Rom benutzten; vgl. zu dieser noch nicht eingehend untersuchten Thematik B. BUSER, Die Beziehungen der Mediceer zu Frankreich während der Jahre 1434-1494 in ihrem Zusammenhang mit den allgemeinen Verhältnissen Italiens, Leipzig 1879, S. 258; RAYMOND DE ROOVER, The Rise and Decline of the Medici Bank, 1397-1494 (Harvard Studies in Business History 21), Cambridge/Mass. 1963, S. 302.

Die Medici und Frankreich

im Pontifikat Leos X.

25

Tochter Maddalena de' Medici, also während der Regentschaft König Karls VIII. bzw. der anfangs bis ca. 1491 für ihn regierenden Anne und Pierre de Beaujeu, mit den Medici verbündete. So wuchs der Medici-Bank in Lyon ebenso wie der in Rom immer mehr die Aufgabe zu, die Benefiziengeschäfte und die Politik im Interesse aller drei Parteien zu organisieren. Zusätzlich wurden jedoch Medici-Vertraute in zentrale kuriale Ämter befördert. Dies betraf vor allem Dominicus de Attavantis aus jener in Castel Fiorentino und Florenz ansässigen Familie, die auf wirtschaftlicher, politischer und künstlerischer Ebene mit dem Medici-Netz verbunden war. Zu nennen wären für das 15. Jahrhundert etwa der Serviten-Mönch Paolo Attavanti, der eine Geschichte seines Ordens in Form eines Dialoges zwischen seinem Ordenslehrer Salvini und Piero di Cosimo de' Medici schrieb, und natürlich Attavante Attavanti, einer der besten Miniaturenmaler der Renaissance, der in freundschaftlich-geschäftlicher Beziehung zu Lorenzo de' Medici und Marsilio Ficino stand, die viele seiner Hauptwerke in Auftrag gaben, denen wir wiederum Porträts der Auftraggeber verdanken. 29 Der seit ca. 1466 in Rom im Dienst der Medici stehende Dominicus übernahm offenbar mit der Neuordnung der römischen Medici-Bank seit 1487 das Amt eines für kirchliche Finanzsachen zuständigen Kammernotars. 30 Und in völlig außergewöhnlicher Exklusivität besorgte er in dieser wichtigen Position als Bürge und Prokurator die Benefiziengeschäfte der königlichen Amtsträger Frankreichs. 31 Kein französischer Kurialer ist zu finden, der eine annähernd vergleichbare Prokuratorentätigkeit vorzuweisen hätte! Welch risikoreiche Vertrauensstellung das für den Florentiner war, zeigt sich darin, daß er als Bürge z.B. für jede finanzielle Obligation dieser Franzosen persönlich haftete. Vieles weist zudem darauf hin, daß Dominicus zugleich eine Funktion im Kontrollsystem des Königs erfüllte. Denn als Prokurator regelte er auffallend viele Revokationsmandate seiner Auftraggeber, mit denen schon erteilte kostspielige Benefizienresignationen revoziert, widerrufen wurden - offenbar, weil sie den königlich-staatlichen Interessen widersprachen. 32 Weitere Beteiligte an diesen Bürgschafts- und Prokurationsaufträgen für Franzosen waren z.B. Nofri Tornabuoni als Leiter der römischen MediciBank (seit ca. 1486), Ludovicus Lotti als sollicitator in bancho de Medicis, Dominicus de Juvenibus, Carolus de Attavantis und Franciscus Dominici

29 Zu Paolo und Attavante de Attavantis sowie zu weiteren Angehörigen der zur engeren Klientel der Medici zählenden Familie vgl. hier TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 266-269 (Lit ); eine Monographie zur Familie steht aus. 30 TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 268f. 31 Hierzu und zum folgenden: TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 260-265. 32 TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 269, 345-348.

26

Götz-Rüdiger Tewes

de Attavantis. 33 Dieser Sohn des Dominicus führte dann die Tätigkeit seines Vaters im ersten Medici-Pontifikat unter Leo X. fort. Welche Bedeutung die geschilderte Funktion des Medici-Apparates hatte, wird nur klar, wenn man berücksichtigt, daß aus Frankreich in jener Zeit die mit weitem Abstand größte Summe an Annaten nach Rom kam. 34 Und dabei kennen wir einen riesigen Posten gar nicht: Die vor dem päpstlichen Datar ausgehandelten Beträge für die teuren Dispense und die anderen durch meist aushandelbare Kompensationen zu bezahlenden Gnaden sind nicht zu eruieren, da die Akten der Datarie nicht bzw. nur äußerst rudimentär überliefert sind. 35 Gerade die französischen Kleriker erhielten in unvergleichlich hoher Zahl Dispense, mit denen sie unvereinbare Seelsorgebenefizien kumulieren durften - das war ein Teil des antagonistischen, fast symbiotischen do ut ofes-Systems, welches eben auch mit der neuen Allianz von 1513 zum Vorteil beider Seiten wiederbelebt wurde. 36 Angesichts dieser herausragenden finanziellen Bedeutung Frankreichs für die Kurie wird verständlich, welche Katastrophe es für Rom bedeutete, wenn wie 1510 und 1512 durch königliche Ordonnanz verordnet - für die Franzosen der Weg nach Rom gesperrt wurde. Ein Fazit läßt sich vor dem hier nur zu skizzierenden Hintergrund ziehen: Wer als französischer König das Papsttum und seine Möglichkeiten für die monarchischen, dynastischen und nationalen Interessen kontrolliert instrumentalisieren wollte, der war seit den 80er Jahren auf diesen gewachsenen, mit den französischen Herrschaftsträgern und ihren Intentionen verflochtenen Apparat der Medici angewiesen. Das wird 1513 mit aller Macht deutlich. Doch weist vieles darauf hin, daß die entscheidenden personalen und technischen Strukturen nicht erst mit Beginn des Pontifikates von Leo X. geschaffen oder nach 20jähriger Unterbrechung völlig neu aktiviert wurden, sondern auch während der Exilszeit der Medici mit Leben erfüllt und benutzt wurden. Es bleibt allerdings vieles von dem im dunkeln, was zwischen 1494 und 1512/13 geschah; schon die schlechte, aus existentiellen Bedrohungen resultierende Quellenlage erschwert die Er-

33 Zu diesen und anderen Personen als (auffallend oft als Gruppe hervortretenden) Prokuratoren für Franzosen vgl. TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 270-272, 296. 34 Vgl. TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 198-224, 243-256. 35 Vgl. W. v. HOFMANN, Forschungen zur Geschichte der kurialen Behörden vom Schisma bis zur Reformation, I: Darstellung, II: Quellen, Listen und Exkurse (Bibliothek des Kgl. Preuss. Historischen Instituts in Rom 12), Roma 1914, hier I, S. 86-101, II, S. 134-136; FELICE LITVA, L'attività finanziaria della Dataria durante il periodo Tridentino, in: Archivum historiae pontificiae 5 (1967), S. 79-174. 36 Vgl. TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), passim.

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

27

hellung der Exilsjahre ungemein.37 Einige Indizien w e r d e n freilich sichtb a r , u n d sie w e i s e n o f f e n s i c h t l i c h a u f t r a g e n d e B r ü c k e n g l i e d e r z w i s c h e n E x i l s - u n d P o n t i f i k a t s b e g i n n d e r M e d i c i hin. 2. Die Lyoner

Bartolini-Bank

D i e R i c h t u n g d e r U n t e r s u c h u n g e r g i b t sich b e r e i t s a u s a l l g e m e i n e n , l o gisch deduzierbaren Überlegungen, die von dem F a k t u m des Z u s a m m e n b r u c h s der M e d i c i - B a n k u m 1495/97 ausgehen. D a die M e d i c i - B a n k nach d e m E n d e des Exils 1512 nicht wie Phönix aus der Asche aufstieg, hätte L e o X . d a s so e x k l u s i v e w i e r i s k a n t e , ü b e r p o t e n t i e l l e S p i r i t u a l i e n z a h lungen aus F r a n k r e i c h abgesicherte Kreditgeschäft von 1513 niemals abgeschlossen, wenn er dabei auf konkurrierende oder gar feindliche Banken a n g e w i e s e n g e w e s e n w ä r e . E r m u ß t e sich a l s o a u f ein b e f r e u n d e t e s B a n k haus stützen können, und dieses m u ß t e mit sachlich z w i n g e n d e r N o t w e n -

37

Sowohl die im Medici-Archiv befindlichen Briefe als auch die Briefsammlungen von engen Vertrauten der Medici weisen für die Jahre 1494 bis 1512 bezeichnende Lükken auf; vgl. etwa die Briefe des Leonardo Bartolini in: Biblioteca Nazionale Centrale [in der Folge: BNC] Firenze, Ginori Conti, 29/92 (6). Überaus vielsagend und das Schweigen der Quellen erklärend ist ein Brief des Luigi Lotti aus Rom an Niccolò Michelozzi in Florenz vom 19.9.1497, der nach der Ermordung bzw. Hinrichtung der wichtigen, noch in Florenz verbliebenen Medici-Vertrauten Lorenzo Tornabuoni, Bernardo del Nero, Niccolò Ridolfi, Giovanni Cambi und Gianozzo Pucci im August 1497 geschrieben wurde: Ser Niccolo mio hon. Io non ho scripto ad voi, ne voi ad me già è buono tempo, et credo habiamo facto bene, considerato che his temporibus saria buono non sapere, scrivere et diventare muto; vgl. BNC Firenze, Ginori Conti, 29/83, c. 77. Zu den gut dokumentierten Hinrichtungen von 1497 vgl. hier nur L U C A L A N D U C C I , Ein florentinisches Tagebuch, 1450-1516, nebst einer anonymen Fortsetzung 1516-1542, übersetzt, eingeleitet und erklärt von M A R I E H E R Z F E L D , I / I I (Das Zeitalter der Renaissance: Ausgewählte Quellen zur Geschichte der italienischen Kultur, I. Serie, Bd. V/VI), Jena 1912/13 (Neuausgabe Düsseldorf-Köln 1978), I, S. 209-214 (mit dem ausführlichen Kommentar von Herzfeld; im Zuge dieser drastischen Maßnahmen gegen den Medici-Kreis ist am 24.8.1497 auch Leonardo Bartolini offiziell aus Florenz verbannt bzw. zum Rebell erklärt worden - man wußte also sehr genau um dessen führende Position). Eindrucksvolle Selbstzeugnisse zu den Gefahren, denen auch ein weniger prominenter Medici-Vertrauter in Florenz nach Ende 1494 ausgesetzt war, bei G U I D O P A M P A L O N I (Hg ), I ricordi segreti del Mediceo Francesco di Agostino Cegia (1495-1497), in: Archivio Storico Italiano 115 (1957), S. 188-234, bes. S. 196f., 230f. (Cegia wurde denn auch am 16.12.1497 nach dem Prozeß vom August gegen die Medici-Anhänger in Florenz hingerichtet). Wie sehr Leonardo Bartolini seine Exilierung getroffen hatte, läßt er teilweise in seinen Briefen durchblicken, so etwa am 3.12.1513 an den väterlichen Freund Niccolò Michelozzi: et se pure qualchuno volessi pure obstinatamente darmi carico, haro patientia, perche sendo io un tratto stato fuoruscito, mi sono accomodato a sopportare ogni cosa; vgl. BNC Firenze, Ginori Conti, 29/92 (6), Nr. 22.

Götz-Rüdiger

28

Tewes

digkeit in Frankreich etabliert sein. Da das Kreditgeschäft nun über seinen Hausbankier Leonardo Bartolini lief, liegt es nahe, zunächst nach Zeugnissen für die Existenz einer Bartolini-Bank in Lyon zu suchen. Diese Zeugnisse müssen zugleich eine dauernde Präsenz der Bartolini in Lyon plausibel machen und damit die Voraussetzung bieten können, daß die BartoliniBank die Frankreich-Geschäfte der Medici weiterführte und somit für jene Kontinuität sorgte, auf deren Grundlage das Kreditgeschäft mit den französischen Annaten und Servitien ab 1513 so eindrucksvoll einsetzen konnte. Zugleich ist aus der aufgezeigten, unter dem Magnifico nachhaltig intensivierten Verflechtung zwischen der französischen Krone und dem Haus Medici eine weitere Bedingung zu erschließen, die auf der Tatsache der wechselseitigen Beziehung beruht. Denn dieses Bankhaus, das die Geschäftsinteressen der Medici in Frankreich nach 1495/97 fortführen sollte, mußte nicht nur das Vertrauen der Medici besitzen, sondern auch das der französischen Krone und ihrer Elite unter den Amtsträgern. Da der vom französischen König gewollte Finanzverkehr an die Kurie notwendigerweise und an vorderster Stelle in das umfassende Kontrollsystem des mit Rom betriebenen Benefizienwesens eingebunden war, mußte das neue Bankhaus mit seinen personalen Kräften in Rom und Frankreich das gleiche Vertrauensverhältnis zur Krone erworben haben wie die Medici. Untersucht man die um 1500 in Lyon existierenden italienischen Banken, die den Medici nahegestanden haben könnten, fällt in der Tat sofort eine Familie auf: die der Bartolini. Schon zu Lebzeiten des Lorenzo il Magnifico ist auch sein Freund Bartolomeo di Lionardo Bartolini in Lyon nachweisbar. Der Magnifico zählte den Zecca-Provisor und älteren Vetter zweiten Grades unseres Leonardo di Zanobi nicht nur zu seinen engeren Freunden, sondern war überdies auch als Teilhaber an dessen Firma und Bank beteiligt. 38 1487 gehörte Bartolomeo zu jenen Florentinern, welche die Statuten der Florentiner Nation in Lyon unterzeichneten. 39 Er hatte eine dauerhafte Filiale seiner Bank in Lyon eingerichtet; 1495 wird sie, Bartolomeo Bartolini e compagni di Lione, beispielsweise im bilancio der römischen Medici-Bank als einer ihrer Gläubiger genannt. 40 Da diese Lyoner 38

Siehe zu Bartolomeo di Lionardo Bartolini o. S. 15 u. Anm. 8. Vgl. GINO MASI, Statuti delle colonie fiorentine all'estero (sec. XV-XVI), Milano 1941, S. 200: Io B(ar)t(olome)o Bartolini a propio, e per nome di ser Gianni, ò gurato e sopradeti chapitoli, e prometo oservare quanto per essi si chontiene questo dì primo di febraio 1487 in Lione. 40 Vgl. ARMANDO SAPORI, Il „Bilancio" della filiale di Roma del Banco Medici del 1495, in: Archivio Storico Italiano 131 (1973), S. 163-224, hier S. 202, Nr. 218. Außer der Filiale von Lyon wird in dieser Bilanz auch das Stammhaus in Florenz aufgeführt, die Gesellschaft des Bartolomeo Bartolini e compagni di Firenze. Bei BOUCHER, Les Italiens (wie Anm. 3), sind die Bartolini nicht erwähnt, freilich dürfte es sich bei der Florentiner 39

Die Medici und Frankreich

im Pontißkat Leos X.

29

Filiale in der Bilanz der auf das Kuriengeschäft konzentrierten MediciBank in Rom als Kreditor begegnet, liegt der Schluß nahe, daß die Lyoner Bartolini-Bank generell und bereits zu Lebzeiten des Magnifico mit der Medici-Bank bei der Abwicklung des französischen Finanz Verkehrs mit der Kurie kooperierte - so wie sie es ja nachweislich in Florenz tat. Entscheidend ist nun aber die Frage, wer aus der Bartolini-Familie diese Stellung in Frankreich behaupten oder gar ausbauen konnte, und zwar auf einer königsnahen, Vertrauen schaffenden Ebene. Es sind Söhne des Bartolomeo di Lionardo Bartolini, die zweifellos dieser Aufgabe gerecht wurden. An erster Stelle ist der 1475 geborene Leonardo di Bartolomeo Bartolini zu nennen, der die meiste Zeit seines Lebens nicht in Florenz, sondern in Frankreich lebte, und dort vor allem in Lyon. Er widmete sich vornehmlich dem Ausbau der Lyoner Filiale der väterlichen Bank und schaffte es, auch nach dem Sturz der Medici das Vertrauen der Florentiner Republik zu behalten, so daß das Medici-feindliche Florenz ihn 1505 zu seinem Prokurator machte, mit einer Vollmacht, Geschäfte mit allen Personen, Städten und Königen abschließen zu dürfen, die wohl in erster Linie Frankreich betrafen. Leonardo di Bartolomeo Bartolini, seine Brüder und weitere für die Lyoner Bank wirkende Bartolini standen seit ca. 1496, also seit dem Zusammenbruch der Medici-Bank, über diese Lyoner Bartolini-Bank mit dem französischen Königshof, mit führenden Vertretern der königsnahen französischen Elite - von denen offenbar Thomas de Foix-Lautrec, Bischof von Tarbes, Sohn des Jean de Foix-Lautrec, die engste, eine geradezu innige Geschäftsfreundschaft zu der Bartolini-Bank unterhielt - sowie mit dem savoyischen Herzog, der auch ein Konto bei ihnen besaß, und anderen Partnern in diesem Herzogtum in dichten und vertrauensvollen Geschäftsverbindungen. In diese waren mit Lorenzo Spinelli, Dominicus de Attavantis, den Pandolfini, Lanfredini, Ridolfi, Salviati und weiteren wichtige Mitglieder des engeren Medici-Kreises, einflußreiche Kontinuitätsträger eingebunden! 4 1 Wir wis-

Bankiersfamilie „Zanobi" (ebd. S. 41) um den noch zu nennenden Sohn des Bartolomeo Bartolini als den (nach 1513) Verantwortlichen der Lyoner Bartolini-Bank handeln. 41 Als überaus aufschlußreich (nicht nur) für diese Fragen erwies sich die Konsultation des Privatarchivs der Familie Bartolini Salimbeni in der Villa di Collina bei Vicchio (künftig zitiert als APB), für deren Erlaubnis ich dem für das Archiv verantwortlichen Prof. Arch. Lorenzo Bartolini Salimbeni ganz herzlich zu danken habe. Eine erschöpfendere Erschließung der reichhaltigen Archivalien war bis zum Abschluß dieses Manuskripts leider ebensowenig möglich wie eine erschöpfendere Integration der bisherigen Ergebnisse in diesen Text, so daß die hier gleichsam als Extrakt präsentierten Angaben zur Lyoner Bartolini-Bank ausdrücklich als vorläufig zu bewerten sind; ausführlicher wird in einem größeren Beitrag zu den Medici und Bartolini auf sie einzugehen sein (vgl. u. Anm. 66). Das angesprochene Prokurationsmandat stammte vom 16.10.1505; ein Re-

30

Götz-Rüdiger

Tewes

sen zugleich, daß dieser Leonardo di Bartolomeo Bartolini in Lyon schon vor 1495/97 mit der Seidengesellschaft der Medici in geschäftlicher Verbindung stand, und daß er zusammen mit Antonio della Pieve eine Handelsgesellschaft betrieb, die mit der Gesellschaft eines (ansonsten recht unbekannten) Medici, des Francesco di Giuliano di Giovenco de' Medici,

gest in APB, Inventario delle pergamene (attenenti alla famiglia), I, 2, 16.10.1505. Zu seinem Prokurator machte Leonardo di Bartolomeo (neben Pietro di Giovanni Bottegari) bezeichnenderweise den noch zu nennenden, damals in Lyon lebenden Florentiner Kaufmann Francesco Naldini, mit dessen Gesellschaft, der in Toulouse ansässigen Handelsgesellschaft Francesco et Domenico Naldini e compagni, die Bartolini-Bank während des Medici-Exils in engsten Geschäftsbeziehungen stand; s. zu ihm u. Anm. 129, 159. Vgl. zur Prokuratorernennung des Leonardo di Bartolomeo auch (die etwas irrigen) Angaben bei ILDEFONSO DI S. LUIGI, Delizie (wie Anm. 7), S. 354f„ der ihn mit dem in Avignon lebenden Kaufmann Bartolomeo di Niccolô Bartolini verwechselte. Die Geschäftsbeziehungen zu der französischen Elite sind bisher v.a. aus dem großen, seit dem 1.1.1513 (1512 nach Florentiner Stil) geführten, aber auch Vorgänge aus früheren Jahren erfassenden Rechnungsbuch der (noch genauer vorzustellenden) Gesellschaft des Giovanni Bartolini und Erben des Leonardo di Bartolomeo Bartolini zu eruieren, die nach dem Ende des Medici-Exils ihren Hauptsitz offenbar nach Florenz verlegte, ihre älteren Filialen in Mailand und Lyon aber weiterführte; vgl. APB, Nr. 202. Hier ist auch ein Großteil des für Thomas de Foix geleisteten Zahlungsverkehrs zu finden. Schon dessen Vater Jean, immerhin auch Träger des exklusiven königlichen Michaelsordens, zu dessen Ritter 1520 ebenfalls Thomas ernannt wurde, war ein Partner der Bartolini-Bank; Thomas de Foix-Lautrec hatte am 18.8.1509 als Bischof von Tarbes dem in Lyon wohnhaften Leonardo di Bartolomeo Bartolini sein gesamtes Bistum für zunächst drei Jahre gegen die Zahlung eines jährlichen Zinses von 4.000 Turonesen übertragen, zugleich hatte er Leonardo am gleichen Tag zu seinem Prokurator ernannt, um die Einkünfte seines Bistums und seiner Kommendatarabtei Scala Dei, Diözese Tarbes, zu verwalten; vgl. APB, Inventario delle pergamene, I, bolle 2, 18.8.1509. Sein Vater Jean begegnet schon 1505/06 in noch nicht im einzelnen zu klärenden Finanzgeschäften mit der BartoliniBank, die offenbar über den Mailänder Kaufmann Pierantonio de Fossano liefen und die päpstliche Provisionsbullen seines Sohnes Thomas betrafen; vgl. ebd. I, bolle 2, 16.4.1505 (hier Erwähnung der Zugehörigkeit zum Michaelsorden); I, 2 (non attenenti alla famiglia), 6.2.1506. Zu Thomas de Foix-Lautrec, als Herr von Lescun seit 1515 einer der wichtigsten Feldherrn von König Franz I. für die italienischen Kriege und 1516 — vermutlich signifikanterweise - Papst Leo X. bei dessen Krieg um Urbino helfend, vgl. hier nur die Notizen bei ROMAN D'AMAT, Art. „Foix-Lautrec (Thomas de Grailly de)" (XXXIV. Foix), in: Dictionnaire de biographie française 14 (1979), Sp. 218f. (ebd. Sp. 216 auch knappe Angaben zu Jean de Foix-Lautrec). Die Integration der genannten „alten" Medici-Freunde und -Partner, von denen noch mehr zu nennen wären, ist ebenfalls aus den Rechnungsbüchern der Bartolini-Gesellschaft im APB ersichtlich. Zum Teil führten sie schon vor 1500 Konten bei der Lyoner Bartolini-Bank, zum Teil waren sie in umfangreiche und sachlich vielfältige Partnerschaften eingebunden, die allerdings zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Manuskripts noch nicht genauer entschlüsselt werden konnten, weshalb es hier mit dem Hinweis sein Bewenden haben muß.

Die Medici und Frankreich im Pontifìkat Leos X.

31

kooperierte, der offenbar vornehmlich (zumindest nach 1500) im Exporthandel von Wolle nach Frankreich und in die Levante sein Geld verdiente; Francescos anzunehmender Bruder Antonio aber wirkte immerhin als Kassierer in der römischen Filiale der Medici-Bank. 42

42 Zur Verbindung mit dem Seidengeschäft der Medici: Im bilancio della ragione della seta di Piero de' Medici e compagni von 1495/97 - auch hier trug Lorenzo Tornabuoni als Erbe der Medici-Bank seit 1494 Verantwortung; vgl. u. Anm. 55, 70 u. S. 40 begegnet Leonardo Bartolini di Lion per danno di cambi mit einem geringeren Betrag (39 Florenen) als Schuldner; in der Spalte der Gläubiger wird mit einem höheren Betrag von 457 Florenen die Gesellschaft seines Vaters, des Bartolomeo Bartolini e compagni del Bancho aufgeführt; vgl. A L B E R T O CECCHERELLI, Il linguaggio dei bilanci. Formazione e interpretazione dei bilanci commerciali, con appendice sul trattamento fiscale del bilancio, 2. erw. Aufl. Firenze 1941, S. 50-53. Zur Kooperation der Gesellschaft des Leonardo di Bartolomeo Bartolini und des Antonio della Pieve mit der des Francesco di Giuliano de' Medici vgl. Catalogue of the Medici Archives consisting of rare autograph letters, records and documents 1084-1770, including one hundred and sixty-six holograph letters of Lorenzo the Magnificent. The Property of the Marquis Cosimo de' Medici and the Marquis Averardo de' Medici, London 1918, Nr. 752 (häufige Erwähnung der Gesellschaft des Leonardo di Bartolomeo Bartolini in den Geschäftsbüchern des Francesco de' Medici für die Jahre 1503-1505, die den Wollhandel nach Frankreich und in die Levante bezeugen; Antonio della Pieve und Leonardo di Bartolomeo Battolino erscheinen als Agenten bzw. Geschäftspartner, welche die Verschiffung und den Transport der Wolle für Francesco organisierten, bezahlten und diesem dann in Rechnung stellten); D O M E N I C O G I O F F R È , Gênes et les foires de change de Lyon à Besançon (Affaires et gens d'affaires 21), Paris 1960, S. 134, Nr. 74, S. 173, Nr. 253. Zu Francesco di Giuliano di Giovenco, einem entfernten Cousin der Florenz beherrschenden Medici, vgl. die knappen Angaben bei DE ROOVER, Rise and Decline (wie Anm. 28), S. 15, 385 (genealogische Tafel): Er habe von 1450 bis 1528 gelebt und habe geschäftlich zwischen 1476 und 1491 mit zwei Banken des selteneren und unbedeutenderen Typus des banco a minuto in Verbindung gestanden, die v.a. Juwelen gegen Kredite verkauften und Kredite gegen die Sicherheit von Juwelen vergaben, darüberhinaus aber auch Geld tauschten. Sein Vater Giuliano di Giovenco de' Medici aus einer älteren Medici-Linie sei (ebenfalls) im Wollhandel tätig und trotz der für Florenz schlechten Konjunktur in diesem Gewerbe sehr erfolgreich gewesen: ebd. S. 167. Francesco di Giuliano di Giovenco und Lorenzo di Piero di Cosimo de' Medici stammten beide in der jeweils sechsten Generation von dem 1318 gestorbenen Averardo de' Medici ab; Francesco di Giuliano gehörte also wie der Magnifico zu dem Medici-Zweig von Cafaggiolo. Zu Francesco und seinem Vater Giuliano di Giovenco de' Medici vgl. auch DERS., Labour Conditions in Florence around 1400: Theory, Policy and Reality, in: Florentine Studies. Politics and Society in Renaissance Florence, ed. by N I C O L A I RUBINSTEIN, London 1968, S. 277-313, hier S. 299 und 302, Anm. 3 (doch scheint mir De Roovers Urteil, Giovenco de' Medici und seine Nachfahren seien in der Wollindustrie geblieben und hätten sich niemals im internationalen Handels- und Bankgeschäft engagiert, revisionsbedürftig zu sein). Bemerkenswerterweise zählte zu den Geschäftspartnern der Gesellschaft von Francesco di Giuliano di Giovenco de' Medici und Bastiano di Lionardo Bruni & Co. auch ein Mitglied der Attavanti-Familie, Giovanni d'Attavante, womit das hier relevante personale Bezie-

32

Götz-Rüdiger

Tewes

A l s N a c h f o l g e r d e s 1 5 1 3 k i n d e r l o s g e s t o r b e n e n L e o n a r d o di B a r t o l o m e o übernahmen seine Brüder Giovanni, Zanobi, Gherardo und Lorenzo d i e G e s e l l s c h a f t u n t e r d e m N a m e n Giovanni ed eredi di Lionardo Bartolini e compagnia di Lione - m i t d e m a u s d r ü c k l i c h e n S c h w e r p u n k t a u f d e m Frankreich-Geschäft.43 In den beiden Jahrzehnten nach 1500 wirkten weit e r h i n P i e r f i l i p p o di B e r n a r d o di N i c c o l ö B a r t o l i n i u n d P i e r o di M a r c o di L i o n a r d o B a r t o l i n i f ü r die B a r t o l i n i - B a n k - e r s t e r e r b e s o n d e r s in L y o n , T o u l o u s e u n d a m k ö n i g l i c h e n H o f , l e t z t e r e r e t w a d e z i d i e r t als M i t g l i e d d e r F l o r e n t i n e r ( K a u f m a n n s - u n d B a n k i e r s - ) N a t i o n in L y o n . 4 4 O b w o h l d i e g e n a u e Struktur dieser Bartolini-Gesellschaft noch nicht im einzelnen zu e r u i e r e n ist, k a n n d o c h s c h o n m i t S i c h e r h e i t f e s t g e s t e l l t w e r d e n , d a ß sie g e r a d e f ü r d i e Z e i t d e s M e d i c i - E x i l s in e i n e r e r s t a u n l i c h e n , z a h l r e i c h e F a milienmitglieder integrierenden Geschlossenheit agierte und funktionierte.

hungsgeflecht weiter verdichtet wird; vgl. Catalogue of the Medici Archives, a.a.O. Nr. 745. Antonio de' Medici, cassiere der römischen Medici-Bank, wird in deren Bilanz von 1495 als solcher erwähnt und durch Sapori mit Antonio di Giuliano de' Medici aus dem Zweig des Giovenco identifiziert; vgl. SAPORI, Il bilancio (wie Anm. 40), S. 192 und Anm. 103. 43 Die genannten vier Brüder waren persönlich als Mitgesellschafter zu je einem Viertel an der Gesellschaft des Leonardo di Bartolomeo beteiligt; als in Lyon ansässige Erbengesellschaft bestimmten sie am 10.1.1513 ihren Bruder Zanobi zu ihrem Prokurator, um alle eventuellen Streitigkeiten zwischen ihnen, die in der Stadt Florenz und in Frankreich auftreten könnten, zu schlichten und um ihre Interessen zu vertreten; vgl. APB, Inventario delle pergamene (attenenti alla famiglia), I, 2, 10.1.1513. Instruktiv zu diesen und weiteren Bartolini-Gesellschaften sind die entsprechenden Rechnungsbücher im APB. Zur Gesellschaft des „Giovanni di Bartolomeo Bartolini und Erben des Leonardo di Bartolomeo" vgl. auch G I U S E P P E M O L I N I , Documenti di Storia italiana, copiati su gli originali autentici e per lo più autografi esistenti in Parigi, I, Firenze 1836, S. 101103; GIOFFRÈ, Gênes et les foires de change (wie Anm. 42), S. 202, 204, 207f. (und S. 44 zur Gesellschaft des Bernardo Bartolini & Co.). Leonardos Bruder Giovanni di Bartolomeo ist nicht nur als Bankier bekannt, sondern auch als Erbauer des Bartolini-Palastes an Santa Trinita in Florenz; vgl. zu diesem LINGOHR, Der Florentiner Palastbau (wie Anm. 7), s.v. 44 Nachweise in den Rechnungsbüchern (etwa Nr. 197-200, 202) und im Inventario delle pergamene des APB. Mit Zeugnis für die Anwesenheit des Piero Bartolini auf der Versammlung der Florentiner Nation 1501/02 zur Abfassung und Promulgation neuer Statuten; A. ROUCHE, La Nation florentine à Lyon au commencement du XVI e siècle, Lyon 1912 (Separatdruck aus: Revue d'Histoire de Lyon 1 [1912]), S. 55; R I C H A R D GASCON, Grand commerce et vie urbaine au XVI e siècle: Lyon et ses marchands (environs de 1520 - environs de 1580) (Civilisations et Sociétés 22), 2 Teile Paris 1971, S. 907. Knappe Angaben zu Pierfilippo und Piero Bartolini auch bei I L D E F O N S O DI S. LUIGI, Delizie (wie Anm. 7), S. 313, 33 lf. (besonders Piero di Marco übte z.B. 1514 und 1525/26 auch hohe politische Ämter in Florenz aus, während Pierfilippo im squittirlo der Jahre 1524/25 immerhin für solche vorgesehen war).

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

33

Den Bedeutungshorizont vertiefen dabei selbst Verwandte, die nicht primär im Handel tätig waren, doch ebenfalls in engeren Verbindungen zu Frankreich standen und offensichtlich ein der Bartolini-Gesellschaft positives Klima im Medici-feindlichen Florenz bewahren halfen. Einer jener Angehörigen war ein Cousin von Leonardos Vaters Bartolomeo di Lionardo Bartolini: der 1456 geborene Giovanni Battista Girolamo di Niccolö Bartolini. 45 Dieser hatte seine Jugendjahre in Frankreich verbracht, vorwiegend mit einer militärischen Ausbildung. Als einer der Befehlshaber der Florentiner Truppen war er - offenbar primär in den Jahren 1499 und 1500 - an der Seite der verbündeten, unter dem Befehl von Jean de Polignac, dem Herrn von Beaumont, stehenden Franzosen an den jahrelangen Kämpfen der Florentiner um Pisa beteiligt. 46 Ende 1500 wurde Giovanni Battista Bartolini sogar Gonfaloniere, was auch mit dem Medici-günstigeren Klima nach der Verbrennung Savonarolas 1498 zusammenhängen könnte. 47 Ungeachtet des anzunehmenden Zerwürfnisses mit Piero de' Medici ist er nach der Restitution der Medici-Herrschaft wiederum als militärischer Befehlshaber und als commissario di guerra, etwa in Borgo San Sepolchro, auf der Seite der Medici zu finden, die er auch bei den Kämpfen um Urbino unterstützte. Unmittelbarer und vermutlich folgenreicher waren freilich die Frankreich-Bindungen der Brüder des Leonardo di Bartolomeo Bartolini. Der 45 Vgl. zu ihm I L D E F O N S O DI S. L U I G I , Delizie (wie Anm. 7), S. 288-303 (die angegebenen Daten stimmen nicht immer); F R A N C E S C O G U I C C I A R D I N I , Ricordanze, in: Ders., Opere, a cura di V I T T O R I O DE CAPRARIIS, Milano usw. 1953, S. 5-22, hier S. 13-15 (zu Ämtern in Florenz in Jahren 1508/09); LINGOHR, Der Florentiner Palastbau (wie Anm. 7), S. 50, 53 (Giovann Battista habe zeitweise zu den gemäßigten Medici-Gegner gehört). Der Vater von Giovanni, Niccolò di Bartolomeo, um 1400 geboren, war im Bank- und Kaufmannsgeschäft tätig und bekleidete hohe Ämter in Florenz; Giovannis Großvater, Bartolomeo di Lionardo, 1353 geboren, war (wie gesagt) mit 15 Jahren nach Avignon gegangen, um bei Simone de' Guardi eine Banklehre zu machen, er heiratete in zweiter Ehe Giovanna Cavalcanti; vgl. zu beiden ILDEFONSO DI S. L U I G I , a.a.O. S. 227234, 272-285; u. o. Anm. 9. 46 Vgl. G I U S E P P E M . M E C A T T I , Storia cronologica della città di Firenze, II, Napoli 1 7 5 5 (ND 1 9 7 8 ) , S. 4 9 6 - 5 0 1 ; F R A N C E S C O G U I C C I A R D I N I , Storia d'Italia", in: D E R S . , Opere di Francesco Guicciardini, a cura di E M A N U E L L A S C A R A N O , II (libri I-X), III (libri XI-XX), Torino 1 9 8 1 , hier II, S. 4 8 7 - 4 9 3 (V,l); L A N D U C C I , Ein florentinische Tagebuch (wie Anm. 37), II, S. 19-48 (zu den französisch-florentinischen Kämpfen um Pisa

1499/1500). 47 Vgl. MECATTI, Storia cronologica (wie Anm. 46), S. 501. Dieser Bartolini blieb während der „republikanischen" Phase der Florentiner Stadtgeschichte um 1500 offensichüich im engeren Zirkel der Machtträger, denn am 12.3.1512 schlug ihn der Rat der 24 für das Amt der dieci di balìa vor; vgl. A U G U S T I N R E N A U D E T , Le concile gallican de Pise-Milan. Documents florentins (1500-1512) (Bibliothèque de l'Institut Français de Florence, 1er série, 7), Paris 1922, Nr. 587, S. 648.

Götz-Rüdiger

34

Tewes

dem Klerikerstand angehörende, ca. 1493 geborene Lorenzo di Bartolomeo Bartolini hatte zusammen mit seinem Privatlehrer Gianpiero Machiavelli und mit Battista, dem Sohn des Papstbankiers Leonardo di Zanobi Bartolini, von 1513 bis 1519 in Valence und vornehmlich in Paris studiert, lebte dabei eine Zeit seines Lebens auch in Lyon, wo er ja gleichzeitig Teilhaber an der dortigen Bartolini-Bank war. Er besaß eine ausgesprochen humanistische Bildung und zählte denn auch erwiesenermaßen zu den Freunden des französischen Humanisten Christopherus Longolius, der im übrigen mindestens von 1516 bis 1519 ein guter „Kunde" der Lyoner BartoliniBank war. 4 8 Lorenzos 1485 geborener Bruder Zanobi di Bartolomeo Bartolini verstärkte hingegen die kaufmännische Tradition der Familie, und zwar schon vor 1520 in Florenz wie in Lyon. 4 9 So führte er wichtige Finanztransaktionen zwischen den Medici und dem französischen Königshaus durch, auf die später noch ausführlicher einzugehen ist.

3. Kardinal Federico Sanseverino als Freund der Bartolini und Medici Von größter, im einzelnen noch gar nicht abzuschätzender politischer, finanz- wie kirchenpolitischer Bedeutung erscheinen die der Forschung bisher offenbar völlig unbekannten Aktivitäten der Bartolini-Gesellschafl in Savoyen und Mailand sowie ihre mehr als engen Verbindungen zu dem bereits genannten Kardinal Federico di Sanseverino, der aus dem im Herzogtum Mailand wie im Königreich Neapel verwurzelten Hochadelsgeschlecht der Sanseverino stammte, mit den Sforza verwandt war und uns bereits als Verhandlungsführer Frankreichs zur Lösung der Pisaner Konzilsproblematik 1513 bekannt ist - darüberhinaus aber selbst als der (nach unserer Einschätzung) seit spätestens 1500 einflußreichste und engagierteste Interessenvertreter Frankreichs an der Kurie zu den führenden Köpfen

48

V g l . ILDEFONSO DL S. LUIGI, D e l i z i e ( w i e A n m . 7), S. 3 5 5 - 3 6 1 ; TH. SIMAR, Chri-

stophe de Longueil, humaniste (1488-1522), Louvain usw. 1911, S. 75, 80, 158, 180. Anschauliche Einblicke in die Studienreise der beiden Bartolini erlaubt das hierüber geführte Rechenbuch des Lorenzo, vgl. APB, Nr. 369 (fol. 29v/30r zu Longolius in seinen Beziehungen zur Bartolini-Bank). Der Verf. beabsichtigt eine Edition dieses Bandes. 49 Vgl. etwa APB, Inventario delle pergamene (attenenti alla famiglia), II, 2, 18.4.1513, I, 5, 12.3.1514, und I, 3, 24.9.1520 (Zanobi bezeichnet sich in seinen Prokurationsmandaten als Florentiner Kaufmann, wohnhaft in Lyon!); Nr. 202, fol. 194v (Beleg für 1516, daß Zanobi offensichtlich „geschäftsführend" an der Spitze der Lyoner Bartolini-Bank steht); vgl. zu ihm ferner ILDEFONSO DI S. LUIGI, Delizie (wie Anm. 7), S. 379-401; ALFRED SPONT, Semblançay: la bourgeoisie financière au début du XVI siècle, Paris 1895, S. 185, Anm. 5; R. CANTAGALLI, Art. „Bartolini Salimbeni, Zanobi", in: Dizionario Biografico degli Italiani 6 (1964), S. 63 lf.; PHILIPPE HAMONT, L'argent du roi. Les finances sous François Ier, Paris 1994, S. 158, Anm. 138, S. 233.

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

35

d e s s c h i s m a t i s c h e n K o n z i l s zu z ä h l e n ist. 5 0 D i e n e u e n F o r s c h u n g e n i m B a r t o l i n i - A r c h i v z e i g e n e i n d r u c k s v o l l , d a ß F e d e r i c o S a n s e v e r i n o seit s p ä t e s t e n s 1 5 0 3 g r ö ß e r e F i n a n z g e s c h ä f t e mit d e r G e s e l l s c h a f t d e s L e o n a r d o di B a r t o l o m e o B a r t o l i n i b e t r i e b u n d seit ca. 1 5 0 9 s o g a r d i e g e s a m t e V e r w a l t u n g seiner F i n a n z e n (bzw. zumindest den Großteil) der Bartolini-Bank, v.a. i h r e m S i t z in L y o n , a n v e r t r a u t h a t t e . D i e s b e t r a f i n s b e s o n d e r e s e i n e E i n n a h m e n und A u s g a b e n , die aus d e m Besitz seiner mailändisch-oberitalienischen, savoyischen und französischen Benefizien resultierten - und d i e s s e l b s t in d e n J a h r e n 1 5 1 1 b i s 1 5 1 3 , in d e n e n e r d u r c h P a p s t J u l i u s II. z u m Schismatiker erklärt worden war!51 Aus diesen vertrauensvollen Ge-

50 Zu Federico Sanseverino, einem der Söhne des berühmten Söldnerführers Roberto Sanseverino, gibt es keine einschlägige Studie; außer in diesem Beitrag werde ich in einer bald folgenden größeren Studie die Bedeutung dieses Kardinals und seiner engeren Verwandten darstellen, insbesondere mit Blick auf den epochalen Italienfeldzug Karls VIII. 1494 und auf ihre Rolle für die Medici-Frankreich-Allianz, in welche auch die mit den Medici wie Sanseverino verwandten Orsini eingebunden waren, weshalb die Angaben zu den Sanseverino hier auf den entsprechenden Kontext beschränkt werden. Federico war im März 1489 zusammen mit Giovanni de' Medici durch Papst Innozenz VIII. zum Kardinal erhoben worden: KONRAD EUBEL (Hg.), Hierarchia catholica medii aevi, II: ab anno 1431 usque ad annum 1503 perducta, editio altera Münster 1914 (ND Padova 1960), S. 21. Die schon im Vorfeld des Pisanums erkennbare tragende, sogar initiierende Rolle des Kardinals Sanseverino (auch und besonders vor König Ludwig XII.) zeigt sich z.B. in den von Renaudet publizierten Florentiner Quellen äußerst anschaulich; vgl. RENAUDET, Le concile gallican (wie Anm. 47), etwa Nr. 40, 62, 80, 92 (die in Mailand befindlichen Kardinäle wünschen Anfang Juli 1511 den am königlichen Hof wirkenden Sanseverino zwecks Reputation des Konzils nach Italien zurück, doch dieser glaubt, am Hof effektiver für die Sache wirken zu können), 96, 109. Zu Sanseverino und dem Pisanum s. auch die oben Anm. 15-19 angegebene Lit. 51 Aus dem Jahr 1503 ist ein Dokument überliefert, in welchem sich der Kardinal Federico Sanseverino zusammen mit Giovanantonio Rovellini verpflichtet, den bei der Gesellschaft des Leonardo di Bartolomeo Bartolini ed eredi aufgenommenen Kredit von 3.000 Kammerdukaten zurückzuzahlen; vgl. APB, Inventario dell pergamene (attenenti alla famiglia), II, 1, 14.1.1503. Aufgrund der bisherigen Forschungen im Archivio Bartolini läßt sich feststellen, daß die Bartolini-Bank spätestens seit 1509 über ihre Filialen in Lyon und Mailand Konten für den Kardinal führte, auf denen vergleichsweise sehr umfangreiche Finanztransaktionen durchgeführt wurden; vgl. etwa APB, Nr. 200, 202. Es ist freilich nicht auszuschließen, daß noch Belege für ein früheres Konto zu finden sind. Die Mailänder Filiale wurde offenbar bald nach 1500 (also unter der französischen Hegemonie!) durch Leonardo di Bartolomeo eingerichtet und nach Leonardos Tod 1513 offensichtlich vornehmlich von Gherardo Bartolini beaufsichtigt. Dieser jedenfalls trug nach Federicos Tod 1516 die Hauptlast von dessen Schuldenberg, der gut 33.500 Kammerdukaten betrug, wobei allein Gherardo dem Kardinal zu dessen Lebzeiten 16.500 Kammerdukaten geliehen hatte; vgl. APB, Inventario delle pergamene (attenenti alla famiglia), I, 3, 19.1.1521; I, bolle 2, 26.7.1516 (so in Erlassen Leos X. erklärt, mit welchen er Gherardo die Rückzahlung jenes Kredites erleichtern wollte). Die Finanzverwaltung der

36

Götz-Rüdiger

Tewes

s c h ä f i t s b e z i e h u n g e n h e r a u s ü b e r t r u g F e d e r i c o S a n v e r i n o 1 5 0 6 d i e ein J a h r v o r h e r e r h a l t e n e K o m m e n d a t a r a b t e i .v. Maria Intermontes (Entremont) und d a s P r i o r a t v o n U g i n e , b e i d e in S a v o y e n g e l e g e n , g e g e n e i n e j ä h r l i c h e P e n s i o n v o n 5 0 0 D u k a t e n an G h e r a r d o u n d L o r e n z o B a r t o l i n i , d e r d i e s e B e n e f i z i e n s e i t 1 5 0 7 allein b e s a ß . 5 2 D a m i t ist d a s B e d e u t u n g s s p e k t r u m j e d o c h bei w e i t e m n o c h n i c h t u m r i s s e n . V o n e n t s c h e i d e n d e r R e l e v a n z ist d i e B e o b a c h t u n g , d a ß d i e B a r t o l i n i S a n s e v e r i n o - V e r b i n d u n g e n auf einer älteren Freundschaft des Sanseverino z u d e n M e d i c i a u f b a u e n . B e r e i t s M i t t e d e r 9 0 e r J a h r e , als d i e M e d i c i - B a n k noch existierte, hatte Federico Sanseverino Finanzgeschäfte über die von d e n T o r n a b u o n i u n d L e o n a r d o di Z a n o b i B a r t o l i n i g e l e i t e t e r ö m i s c h e M e d i c i - B a n k a b g e w i c k e l t - w o b e i e r m i t L e o n a r d o di Z a n o b i B a r t o l i n i n i c h t nur wegen finanzieller A n g e l e g e n h e i t e n in e i n e m p e r s ö n l i c h e n K o n t a k t s t a n d - u n d n o c h i m M ä r z 1 4 9 5 w a r e r bei d e r r ö m i s c h e n M e d i c i - B a n k in

Bartolini für den Sanseverino bezog sich, soweit aus den Rechnungsbüchern zu ersehen ist, wesentlich auf Einnahmen und Ausgaben, die aus Federicos Funktion als Bischof von Maillezais (1481-1508/11?) und Erzbischof von Vienne (1497-1515) sowie aus dem Besitz weiterer großer Benefizien resultierten. Zu späteren Folgen der Verschuldung Federico Sanseverinos bei den Bartolini vgl. auch u. S. 89f., Anm. 152. 52 Die genauen Modalitäten sind schwer zu erschließen. 1505 übertrug Julius II. dem Sanseverino die Abtei Entremont in Kommende; am 21.4.1506 trat der Kardinal diese Abtei und das Priorat von Ugine an Gherardo und Lorenzo Bartolini gegen eine Pension ab, für deren Zahlung ihr Bruder Leonardo als Prokurator wirkte; am 29.4.1506 gab der Papst Gherardo die Abtei in Kommende, der sie am 6.7.1510 per Zession an Lorenzo abtrat, doch datiert bereits vom 20.9.1508 ein Dokument, mit dem Herzog Karl von Savoyen die Aufgabe der Abtei durch Gherardo zugunsten seines Bruders Lorenzo bestätigte, der freilich schon seit dem 1.1.1507 die Pension an den Kardinal Sanseverino bezahlte; vgl. APB, Inventario delle pergamene, I, bolle 2, 21. und 29.4.1506; II (attenenti alia famiglia), 1, 6.7.1510; II, 2, 9.3.1505; II, 2, 20.9.1508; zu den frühen Pensionszahlungen des Lorenzo vgl. APB, Nr. 369, fol. 14v. Die diesbezüglichen Daten bei Ildefonso und (auf ihm fußend) Cantagalli scheinen revisionsbedürftig; vgl. ILDEFONSO DI S. LUIGI, Delizie (wie Anm. 7), S. 355-361 (zu Lorenzo), 370-379 (zu Gherardo Bartolini); R. CANTAGALLI, Art. „Bartolini Salimbeni, Gherardo", in: Dizionario Biográfico degli Italiani 6 (1964), S. 630f. Das in der Diözese Genf gelegene Augustinerkloster de Intermontibus blieb im Besitz der Familie Bartolini, denn am 1.7.1517 zahlte Iamortius Bartolini durch Riccardus de Milanensibus, der häufiger für den französisch-savoyischen Benefizienraum wirkte, 17 Dukaten an Servitien für den Besitz des Klosters; vgl. ASV, Camera Apostolica, Introitus et Exitus 557, fol. 40r; zu Riccardus de Milanensibus vgl. THOMAS FRENZ, Die Kanzlei der Päpste der Hochrenaissance (1471-1527) (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 63), Tübingen 1986, S. 438, Nr. 2025. Zur Abtei Entremont vgl. auch Gallia Christiana, Cond. BARTHOLOMAEUS HAURÉAU, tom. XVI, Paris 1865, Sp. 503-506; T. DE MOREMBERT, Art. „Entremont", in: Dictionnaire d'histoire et de géographie ecclésiastiques 15 (1963), Sp. 509-511 (doch in beiden Artikeln die irrige Angabe, der Kardinal Philippe de Luxembourg habe von 1486-1519 dem Kloster als Kommendatarabt vorgestanden).

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

37

deren B i l a n z mit einer Schuld v o n 9 2 0 D u k a t e n v e r z e i c h n e t , e i n e m Kredit, den er - s o e x p l i z i t v e r m e r k t - direkt über P i e r o d e ' M e d i c i erhalten hatte, das m i t t l e r w e i l e a u s F l o r e n z e x i l i e r t e Oberhaupt d e s H a u s e s M e d i c i , und in d e s s e n R ü c k z a h l u n g man b e z e i c h n e n d e r w e i s e k e i n e P r o b l e m e sah. 5 3 D a b e i w i r d m a n b e r ü c k s i c h t i g e n m ü s s e n , daß dieser m a i l ä n d i s c h e S a n s e v e r i n o Z w e i g über P i e r o s S c h w i e g e r m u t t e r Caterina S a n s e v e r i n o mit den M e d i c i in e i n e m V e r w a n d t s c h a f t s v e r h ä l t n i s stand. 5 4 Z u g l e i c h , und da wird e s n o c h spannender, erfahren v o m M ä r z 1 4 9 5 , d a ß dieser Kardinal S a n s e v e r i n o der selbst e i n e n Kredit v o n 8 . 0 0 0 K a m m e r d u k a t e n g e g e b e n valuta di franchi 1.500.55 D i e s e n Kredit b e w i l l i g t e er

w i r aus der B i l a n z M e d i c i - B a n k auch hatte, und z w a r per den M e d i c i o f f e n -

53 Von einem (offenbar nicht singulären) Treffen mit dem Kardinal Sanseverino berichtet Leonardo Bartolini in einem Brief an Piero di Lorenzo de' Medici vom 13.3 .1494 (1493 nach dem von Bartolini benutzten Florentiner Stil), in welchem er Piero informiert, daß er sich wie von diesem gewünscht sofort mit dem Kardinal, dem Freund des Hauses, wegen eines von diesem gewünschten Kredites in Verbindung gesetzt habe. Am 25.3.1494 konnte Leonardo dem Medici berichten, daß der Kardinal per ordine Pieros den Kredit von 1.000 Dukaten erhalten habe; vgl. ASF, MAP, filza XIX, Nr. 350 und 575; eine Andeutung auch bei G. B. PICOTTI, La giovinezza di Leone X, il Papa del Rinascimento, Milano 1928 (ND Roma 1981), S. 527, Anm. 28. Zu Sanseverino als Schuldner der Medici im März 1495: SAPORI, Il bilancio (wie Anm. 40), S. 190, Nr. 87 (Federigho cardinale di Sancto Giorgio, anzi San Severino. Costui fe ' servire Piero de ' Medici et crediamo saranno buoni danari. - d. 920,13). Es bleibt vorerst offen, ob es sich hierbei um den Kredit vom März 1494 handelt (bei dem dann schon gut 80 Dukaten getilgt worden wären) oder um einen weiteren, ebenfalls von Piero angeordneten. Zur Exilierung Pieros und seiner Brüder im November 1494, die insbesondere ein Mitglied des savoyischen Herzogshauses und Pieros Schwiegermutter Caterina Sanseverino aufzuheben bzw. zu lindern suchten, s. u. S. 46-52. 54 Deutliche Zeugnisse finden sich z.B. in einem Brief von Federicos Bruder Gaspare di Roberto, genannt Fracasso, an Piero de' Medici, den er als affinis bezeichnete und dem er bon parente sein wollte; vgl. AS Firenze, MAP, filza LX, Nr. 539 (Juni 1493). Das konnte freilich nicht verhindern, daß beide sich - wie 1498 geschehen - während der Kriegswirren nach 1495 auch militärisch gegenüberstehen konnten; vgl. MAP, filza LXXXIV, Nr. 212 (Oktober 1498: Piero auf der Seite der Venezianer gegen das von Mailänder Truppen unter dem Kommando von Gaspare unterstützte Florenz). Wie das Verwandtschaftsverhältnis der Mailänder Sanseverino zu der wenig bekannten Caterina Sanseverino im einzelnen aufgebaut war, konnte noch nicht eruiert werden. 55 SAPORI, Il bilancio (wie Anm. 40), S. 205, Nr. 244 (Siamo ublighati al cardinale di San Severino a d. 8000 di Camera per valuta di franchi 1500 per pagare ducati 800 alla Natività passata et ducati 800 a Resurrexo proximo, et così successive ogni Natale et Resurrexo aitanti fino alla 'ntera somma, et tucto s'è facto a stanza de' nostri dì Lione); vgl. hierzu auch S. 208f., Nr. 265 (A stanza del cardinale di San Severino habiamo promesso a Niccolò Borgherini ducati 1.080 per tempo a dì primo di gennaio passato che si hanno a difalchare delle promessa di ducati 8.000 d'oro facta al prefato cardinale per cagione della pensione di Nerbone), 266 (A stanza del decto habiamo promesso a ' Nerli

Götz-Rüdiger

38

Tewes

sichtlich in der für das Haus und die Bank dramatischen Situation kurz vor dem Exil der Medici, denn die erste Rückzahlungs-Rate von 800 Dukaten sollte am voraufgegangenen Weihnachten erfolgen, die zweite am kommenden Osterfest; zu jenen beiden Festen sollten auch die anderen Raten gezahlt werden, bis die Gesamtsumme beglichen wäre. Besonders aufmerksam werden wir jedoch vor allem deswegen, weil die Verpflichtung bzw. das Versprechen der römischen Medici-Bank zur Rückzahlung des Kredites auf Wunsch der Lyoner Medici-Bank erfolgte, a stanza de' nostri di Lionel Federico Sanseverino hatte demnach schon 1494 ebenfalls enge Verbindungen zur Lyoner Medici-Bank und damit vermutlich auch nach Savoyen; er hatte offensichtlich der Lyoner Filiale diesen recht großen Kredit gewährt. Über den reinen Tatbestand hinaus verweist der Kredit Federico Sanseverinos für die angeschlagenen Medici in sehr anschaulicher Weise auf wirkmächtige Handlungszusammenhänge und Beweggründe, die bisher unbekannt waren und als solche sowie in ihren tiefgreifenden Konsequenzen nach und nach, hier auch nur annäherungsweise, zu erschließen sind. Einen Verdichtungsstrang offenbart der Hinweis, daß auch die mit ihm verwandte Caterina Sanseverino, Gräfin von Tagliacozzo, die Mutter von Pieros Frau Alfonsina Orsini, mit der römisch-neapolitanischen Medici-Bank bzw. mit deren Leiter in Neapel, Giuliano di Giorgio Ridolfi, in einer geschäftlichen Verbindung stand.56 Die guten Beziehungen der Medici-Filiale in Lyon nach Savoyen sollten im Jahr des Sturzes der Medici 1494 noch von größter Bedeutung für das Schicksal des Hauses Medici werden. Denn wie im Zusammenhang mit der di Corte per tempo a Pasqua di Resurrexi ducati 520 che s'hanno a difalchare della promessa facta al sopradecto cardinale). Diese 520 Dukaten, die man im Auftrag des Kardinals den Nerli (Benedetto e Iacopo de ' Nerli e compagni di Corte) zu zahlen versprochen hat, werden noch in einem Brief Leonardo (di Zanobi) Bartolinis an Lorenzo di Giovanni Tornabuoni in Florenz vom 7.9.1495 aufgelistet, in welchem Bartolini dem Tornabuoni als Erben der Bank des Lorenzo de' Medici bzw. des Piero di Lorenzo offenbar eine Aufstellung von Verbindlichkeiten u.a. der römischen und neapolitanischen Medici-Bank präsentierte; vgl. AS Firenze, MAP, filza XIVC, Nr. 91. Zu Lorenzo Tornabuoni als Leiter der Medici-Bank in Neapel (seit Anfang der 90er Jahre), die unter der Obhut der römischen Medici-Filiale stand bzw. mit dieser eine Einheit bildete, sowie als Leiter und Erbe der Medici-Bank s. DE ROOVER, Rise and Decline (wie Anm. 28), S. 169, 191-193, 2 5 9 - 2 6 1 , 367 und s.v. 56

Vgl. ASF, MAP, filza LXXX, Nr. 146 (s.a., Neapel: Die sindici der Stadt Hostumi (wohl das heutige, nordwestlich von Brindisi gelegene und damals in Sanseverino-Besitz befindliche Ostuni), die der Caterina Sanseverino, contessa di Tagliacozzo, gehörte, berichten dieser über eine von ihr angeordnete geschäftliche Unterredung mit dem von ihr instruierten Magnifico Messer Juliano Rondulfì, gubernatore del bancho et nostro proteptore\ zu Giuliano Ridolfi vgl. PICOTTI, Leone X (wie Anm. 53), S. 121; DE ROOVER, Rise and Decline (wie Anm. 28), S. 259-261. Zu Caterina Sanseverino s. u. S. 46, 50f.

Die Medici und Frankreich im Pontiflkat Leos X.

39

Exilierung der Medici noch genauer erörtert werden muß, hatte die prospanische Haltung Pieros nicht nur die traditionell enge und existentiell wichtige Verbindung mit Frankreich belastet, sondern hatte auch die politischen und geschäftlichen Gegner der Medici ermutigt, diese zu vernichten. Doch gerade in Savoyen wird die Lyoner Medici-Bank dann ein vorerst rettendes Refugium finden, das den Medici auch nach dem Untergang ihrer Bank eine wichtige Voraussetzung für den Wiederaufstieg bot - offenbar durch Übertragung zentraler Funktionen auf die Bartolini-Bank. Untrennbar damit verknüpft ist die politische Dimension. Denn der Hof des savoyischen Herzogshauses, aus dem bekanntlich König Franz I. stammt, wird in entscheidender Weise dafür sorgen, daß der von manchen gewollte freie Fall des Hauses Medici, dessen Ruin, vermieden werden kann. Die Savoyer werden damit zugleich eine Schlüsselrolle bei der erneuten Bindung der Medici an Frankreich einnehmen. 5 7 Maßgeblich daran beteiligt waren die Bartolini und die Sanseverino.

4. Die Bartolini-Bank als „Erbe " der Medici-Bank In Kreditunternehmungen wie jenen mit dem Kardinal Federico Sanseverino, an denen die mit den Medici kooperierende Bartolini-Bank in Lyon durchaus bereits beteiligt gewesen sein kann, sowie in der noch vor dem Ende des Medici-Exils bzw. dem Beginn des Medici-Pontifikats nachweisbaren Funktion der Bartolini-Bank als Hausbank des so entschieden profranzösischen Kardinals sind wesentliche Ursachen und Notwendigkeiten für jene Kontinuität zu sehen, die von den Bartolini als Erben der MediciAktivitäten in Frankreich gesichert wurde. Die Existenz der Bartolini-Bank in Lyon bedeutete demnach nicht allein, daß der Medici-Kreis aktuell wie potentiell über die banktechnischen Strukturen für die Fortsetzung der finanziellen Aktivitäten in Frankreich sowie zwischen Frankreich und der Kurie verfugte. Darüberhinaus konnte (und sollte, so darf man annehmen) die Lyoner Bartolini-Bank auch für die so entscheidende Bewahrung personeller Kontakte sorgen, was vor allem die Sicherung bzw. den Erwerb von Vertrauen im königsnahen Personenkreis bedeutete. Denn noch für die 90er Jahre ist bekannt, daß große Teile der kirchlichen und politischen Elite Frankreichs, beginnend beim König, entweder Geld bei der MediciBank angelegt oder Kredite bei ihr aufgenommen hatten, während die Medici - auch als Sicherheit - zahlreiche päpstliche Bullen für diese Debitoren in ihrer Hand hielten. 58 Ob das ebenfalls in Lyon florierende Bankhaus 57

Siehe zu diesen wichtigen Vorgängen unten S. 46-52. Schlagend sind in der Bilanz der römischen Medici-Bank von 1495 die zahlreichen Belege für Franzosen, denen über die Lyoner Bank - oft gegen päpstliche Bullen - Kre58

40

Götz-Rüdiger

Tewes

der Altoviti in die französischen Finanzgeschäfte der Medici eintrat, ist noch zu untersuchen; doch der in Rom tätige Bankier Antonio Altoviti, verheiratet mit einer Nichte von Papst Innozenz VIII., wirkte nachweislich für die römische Medici-Filiale auf diesem Feld. 59 Und mit Sicherheit ist das Haus der Florentiner Salviati in Lyon und im Verbund mit den Bartolini sehr aktiv gewesen, dazu später mehr. Als ebenso gesichert darf gelten, daß die Bartolini-Bank in Florenz wie Lyon eine - wie auch immer formierte - Einheit mit der Medici-Bank bildete, weshalb sie auch deren Interessen fortfuhren konnte. Fassen wir die teilweise schon angesprochenen, bisher dargelegten Indizien für diesen zentralen Sachverhalt zusammen. Aufgrund der neueren Forschungen, vor allem von Melissa Bullard, ist die über Teilhaberschaften aufgebaute Allianz zwischen der Medici-Bank und der Bank des Bartolomeo di Lionardo Bartolini nicht zu bezweifeln. Diese Bartolini-Bank war jedoch nicht nur in Florenz präsent, sondern seit spätestens den 80er Jahren auch in Lyon, wo sie - wie neuere Erkenntnisse aus dem Privatarchiv der Bartolini mehr als eindrucksvoll zeigen - hauptsächlich von Bartolomeos Sohn Leonardo und nach dessen Tod 1513 von seinen Brüdern gefuhrt wurde. Die bisher verfugbaren Zeugnisse belegen noch für die 90er Jahre eine festere Verbindung beider Banken. Wegen des drohenden Niedergangs der MediciBank hat man das Finanzgeschäft allerdings offensichtlich durch das weiterhin florierende Seidengeschäft abgestützt, wobei man sich an in ähnlichen Gewerbszweigen engagierten Unternehmen von Verwandten des Magnifico und seiner Söhne, wie dem des im Wollhandel tätigen Francesco di Giuliano di Giovenco de' Medici, allem Anschein nach anschloß oder diese in die eigenen Handels- und Finanzgeschäfte integrierte. Denn als einer der wichtigsten Gläubiger wie Schuldner des seit 1494 von Lorenzo Tornabuoni (als Erbe der Firma Piero di Lorenzo de' Medici et Co.) betriebenen, lukrativen Seidengeschäfts der Medici fungierte die Gesellschaft des Bartolomeo di Lionardo Bartolini et Co., sowohl in Form ihrer Florentiner als auch Lyoner Filiale - die wiederum wie gesagt mit der Firma des Francesco di Giuliano de' Medici zusammenarbeitete. 60 Räumlich

dite gegeben wurden; vgl. S A P O R I , II bilancio (wie Anm. 40), passim S . 174-224; T E W E S , Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 292. Bezeichnenderweise dominiert das FrankreichGeschäft, während für Spanien, Deutschland oder Italien so gut wie keine Zeugnisse zu finden sind. 59 Vgl. T E W E S , Römische Kurie (wie Anm. 4), S . 264f. (Lit.) sowie S . 273. 60 Vgl. zur Beteiligung der Bartolini am Seidengeschäft der Medici: ASF, MAP, filza CXXXVI, c. 7v (s. dort bes. fol. 8r-9r); vgl. D E R O O V E R , Rise and Decline (wie Anm. 28), S. 191-193.

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

41

haben sich die Bartolini- und Medici-Verantwortlichen zweifellos in jenem Jahrzehnt einen konsolidierenden Schwerpunkt in Savoyen geschaffen. Die Übertragung der Interessen und Verpflichtungen der Medici-Bank auf die Bartolini-Bank, die durch die 1497 erfolgte Hinrichtung des Lorenzo Tornabuoni, dem Verwalter der Medici-Finanzen, vermutlich noch gebotener war, läßt die Wahrscheinlichkeit als sehr groß erscheinen, daß die Bartolini das französische Benefiziengeschäft der Medici als deren Hausbank übernahmen, wobei sie eine analoge Vertrauensstellung bei einem wichtigen Teil der französischen Elite gewannen, wie sie einst Lorenzo de' Medici besaß. Anders wäre auch kaum zu erklären, warum unser römischer Leonardo di Zanobi Bartolini, immerhin langjähriger Partner seines Verwandten Lorenzo Tornabuoni, schon ab spätestens Juni 1513, also Monate vor dem Abschluß des Vertrages zwischen Ludwig XII. und Leo X. im Oktober 1513, der auch das schismatische Pisanum beendete, zahlreiche Servitienzahlungen als Bürge oder Prokurator für Bischöfe und Äbte der königlich-französischen patria auf der apostolischen Kammer einzahlte, und nur für sie!61 Leider fehlen die Bände dieser Obligationes communes für die vorangegangenen Jahre 1510-13, um kontrollieren zu können, ob Leonardo Bartolini diese Position schon vor Beginn des Medici-Pontifikates eingenommen hatte. Weiterhin belegt ein Brief Leonardo (di Zanobi) Bartolinis vom 20. April 1513 an Niccolö Michelozzi, daß der Bankier bereits zu dieser Zeit auch den jeweils über Florenz laufenden Postverkehr zwischen Lyon und Rom sowie Savoyen und Rom für das Haus Medici organisierte, besser noch: zu perfektionieren versuchte. 62 Für die Abwicklung des französi61

Vgl. ASV, Camera apostolica, Obligationes pro Communibus Servitiis 13, zu Obligationen, die von Leonardo Bartolini vor dem Oktober 1513 auf der apostolischen Kammer geleistet wurden, z.B. fol. 2r (Leonardus Bartolinus mercator Florentinus nomine Philippi Heuraent pro communi monasterii s. Petri de Burgolio OSB Andegaven. dioc., due. 710 iuxta reduetionem Francie, 17.6.1513), 10r (Leonardus Bartolini nomine Jacobi episcopi Eduen. pro communi monasterii s. Labuomarii Biesen. OSB Carnoten. dioc., due. 1.500 iuxta reduetionem Francie, 17.7.1513), 41r (Leonardus Bartolini mercator Florentinus nomine Stephani Phaquier pro communi monasterii s. Stephani de Dunone OSA Lingonen. dioc., due. 700 iuxta reduetionem Francie, 17.6.1513), 76r (Leonardus Bartolini nomine Ludovici Guillardi electi Tornacen. pro communi diete ecclesie, due. 5.000 iuxta reduetionem Francie, 17.7.1513), 86r (Leonardus Bartolini nomine Johannis de Torre te s pro communi monasterii bM. de [Lücke im Text] OSA Xanctonen. dioc., due. 1.000 ad statim). Vgl. zur Sache und zu den Reduktionen bei Servitienzahlungen für Bistümer und Klöster der französischen patria: Tewes, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 140f., 145, 293f. 62 Vgl. BNC Firenze, Ginori Conti, 29/92 (6), Nr. 9. In diesem langen Brief an Michelozzi schildert Leonardo Bartolini gleich als erstes die Probleme beim Postverkehr zwischen den offensichtlich schon im April 1513 für die Medici zentralen Routen von

42

Götz-Rüdiger

Tewes

s e h e n F i n a n z v e r k e h r s an die Kurie war die O p t i m i e r u n g dieser F o r m v o n Infrastruktur eine der vordersten N o t w e n d i g k e i t e n , d o c h konnte L e o n a r d o Bartolini a u f e n t s p r e c h e n d e n familiären E r r u n g e n s c h a f t e n aufbauen. Ents c h e i d e n d e Stützen w a r e n ihm in l o g i s t i s c h e r H i n s i c h t die s c h o n w ä h r e n d d e s M e d i c i - E x i l s auch für die L y o n e r B a r t o l i n i - B a n k arbeitenden A n g e h ö rigen der a u f Kurierdienste spezialisierten F a m i l i e D e l V a n t a g g i o s o w i e mit B l i c k a u f d e n kurialen Finanztransfer b e f r e u n d e t e Bankiers w i e sein V e r w a n d t e r Gherardo Bartolini, den wir über das s a v o y i s c h e B e n e f i z i u m früh mit d e m Kardinal S a n s e v e r i n o in V e r b i n d u n g bringen konnten, denn Gherardo wird u n s in den AnnatenregiStern der Kurie für den S e p t e m b e r 1 5 1 3 als mercator Lugdunensis vorgestellt; er hatte also v o n L y o n aus die A n n a t e n o b l i g a t i o n für e i n e n Kleriker aus Parma ü b e r n o m m e n . 6 3

Lyon und Savoyen über Florenz nach Rom (et prima [diro] queste nostre poste servono tanto male, che glie una verghongna), wobei insbesondere die chavalchate et staffette, die von den corrieri aus Savoyen benutzt wurden, wegen ihrer Ineffizienz Sorge bereiteten: Sie starteten drei Tage früher als jene aus Lyon und kamen eine Woche später an. Bartolini sah die Lösung generell in einer besseren, angemessenen Bezahlung der Leute nur so könne man für wichtige Dienste auch gute Leistungen erhalten. Er wolle die angebrachte Erhöhung des Lohns von 3 auf 7 Golddukaten pro Person persönlich vornehmen, brauchte aber noch die Einwilligung des Florentiner Magistrats, die Michelozzi in die Wege leiten sollte. Unabhängig davon hatte Bartolini jedoch, so hob er hervor, schon viele Hunderte von Dukaten aus seiner Tasche für die Florentiner Republik, d.h. letztlich für das Medici-Regiment, in die Bezahlung der Kuriere gesteckt. Zur angemessen Bezahlung äußerte er sich auch am 20.11.1513, als die Postboten sich über seit 3 Monaten ausstehende Löhne bei ihm beklagten und er ihnen Recht gab: et in verità conosco, che hanno ragione et non vi possono servire con fede et con sollecitudine non sendo pagati, perche sono tutti poveri huomini et non si possono valere del soldo loro al tempo et patischono assai; ebd. Nr. 21. 63 II Vantaggio wurde schon 1507/08 durch die Bank des Leonardo di Bartolomeo Bartolini e compagni di Lione bezahlt; vgl. APB, Nr. 199, fol. 3v, 5v, 14v. 1512 oder 1513 z.B. waren a chausa della roba dell Vantaggino 90 Dukaten durch die Lyoner Bartolini-Bank zu zahlen - eine etwas undurchschaubare Transaktion, in die sowohl der in Rom wirkende Leonardo di Zanobi Bartolini als auch Giovanni Pandolfini e compagni di Roma und Gherardo Bartolini involviert waren; vgl. APB, Nr. 202, fol. 21r, 173v. Verantwortlich für die oben in Anm. 62 genannten Defizite bei der Postzustellung waren mit Bartolomeo und Luca del Vantaggio eben die anzunehmenden Häupter dieser Familie, deren Dienste Leonardo di Zanobi mit höheren Gehältern aus der eigenen Tasche und schließlich auch der Kasse des Papstes zum Vorteil der Florentiner Republik und der Medici-Kurie tatsächlich verbessern konnte, vgl. BNC Firenze, Ginori Conti, 29/92 (6), Nr. 11 (1.5.1513), 22 (3.12.1513). Zu Gherardo Bartolini hinsichtlich der Annatenzahlungen vgl. ASV, Camera apostolica, Annatae 57, fol. 123v (die Obligation für die aus der Provision mit der Pfarrkirche s. Martini de Nuceto in der Diözese Parma, Pfründwert 100 Kammergulden, zu leistende Annatenzahlung erfolgte am 10.9.1513; offenbar wegen eines intrusus wurde erst am 29.5.1516 die fallige Summe bezahlt).

Die Medici und Frankreich im Pontiflkat Leos X.

5. Der Transport von Geld und Kunst über die Lyoner

43

Bartolini-Bank

Weil es sachlich in diesen Kontext gehört - nämlich als Beweis für die erfolgreiche Etablierung der Bartolini-Bankiers als Nachfolger und Interessenwahrer der untergegangenen Medici-Bank in Frankreich und als schlagendes Beispiel für die Konsequenzen dieses Vorgangs! sollen schon an dieser Stelle zwei aufschlußreiche Zeugnisse aus einem späteren Jahr zu dem gerade genannten Zanobi Bartolini und zur Bartolini-Gesellschafit in Lyon angeführt werden. Als Lorenzo de' Medici, der Herzog von Urbino, am 31. Dezember 1518 in französischer Sprache eine Quittung über den Empfang von 25.000 Turnosen aus der Kasse des französischen Königs bzw. seines Schatzmeisters Thomas Bohier ausstellt, da erklärt er, daß er diese Summe erhalten habe par les mains de sire Zenoby Bertholin marchant florentin demeurant a Lyon64 Die in Lyon ansässigen Bartolini bildeten demnach auf der finanziell-wirtschaftlichen Linie der Vernetzung einen ganz entscheidenden Knotenpunkt. Aber damit nicht genug! Auch für den Transport herausragender Kunstwerke aus Rom an den französischen Königshof bedienten sich die Medici der von den Bartolini in Lyon aufgebauten Organisationsstrukturen. Zwei der unbestritten großartigsten Kunstwerke der Renaissance, die beiden von Raffael gemalten, heute im Louvre in Paris befindlichen Bilder „Die Heilige Familie" und „Der Hl. Michael im Kampf mit dem Teufel" waren vom Papst und seinem Neffen Lorenzo de' Medici Anfang 1518 bei der Lichtgestalt unter den Renaissancekünstlern in Auftrag gegeben worden, um sie als politische Geschenke von höchster Symbolkraft an König Franz I. und seine Frau senden zu lassen. Der heikle Transport dieser Kostbarkeiten, bei dem alles gelingen mußte, erfolgte über die BartoliniGesellschaft in Lyon, und offenbar auch der weiterer Raffael-Bilder. 65 64 Vgl. M O L I N I , Documenti (wie Anm. 43), S. 71f.; sowie oben Anm. 49 zu Zeugnissen über Lyon als Wohnort des Zanobi di Bartolomeo Bartolini. 65 Vgl. V I N C E N Z O G O L Z I O , Raffaello nei documenti, nelle testimonianze dei contemporanei e nella letteratura del suo secolo, Città del Vaticano, zweite Aufl. 1971, S. 66-68 (Nr. 10: Goro Gheri am 3.6.1518 an Lorenzo de' Medici: havete facto bene a dirizzargli alti Barthalini a Lione, dove troveranno ordine quello haranno a fare\ 12); J O H N S H E A R M A N , Alfonso d'Este's Camerino, in: G I U L I A N O B R I G A N T I (Hg.), „II se rendit en Italie": Etudes offertes à André Chastel, Roma 1987, S. 209-229, hier bes. die Quellenauszüge auf S. 228, Nr. 18-20, 22: Auch das für die Hochzeit des Lorenzo de' Medici mit Madeleine de la Tour d'Auvergne von Raffael angefertigte Porträt des Bräutigams ist im Februar 1518 mit einem Kurier über Lyon an den französischen Königshof geschickt worden, also über eben jenen seit langem bestehenden, von Leonardo Bartolini schon seit dem April 1513 perfektionierten Postweg. Raffael hatte neben den angesprochenen beiden Bildern offensichtlich noch weitere Bilder für Frankreich gemalt, denn am 1. Juni spricht Baldassare Turini da Pescia, der päpstliche Datar, in einem Brief aus Rom an

44

Götz-Rüdiger

Tewes

6. Die Medici im Exil Man sieht, streng sektoral läßt sich die personelle wie sachliche Erforschung dieses Netzwerkes und seiner Handlungsresultate kaum betreiben, und die chronologischen Markierungen sind bereits übersprungen. Doch bevor wir uns dem Pontifikat Leos X. näher zuwenden, muß das Problem der Exilszeit der Medici thematisiert werden. Erstaunlicherweise gehört

Goro Gheri in Florenz von 7 bis 9 Lasten bzw. Kisten für die Bilder, die zu den Bartolini in Lyon transportiert werden sollten (Li quadri che ha facti Raphaello da Urbino si sono assettati bene et per mano di Raphaello di Vitale si rimeranno domane che saranno some da vij in viiij Et si sono adiritti alli Bartholini di Lione; der Brief befindet sich in AS Firenze, MAP, filza 144, Nr. 144). (Ich danke Michael Fritz für den Hinweis auf die obigen Bartolini-Belege!) Zur Sache vgl. auch JANET C O X - R E A R I C K , Sacred to profane: diplomatic gifts of the Medici to Francis I, in: Journal of Medieval and Renaissance Studies 24 (1994), S. 239-258, hier S. 239-247; DIES., The Collection of Francis I: Royal Treasures, Antwerpen 1995, S. 77f. zu den Geschenken Leos X. an Franz I., S. 191-199 (zur Allianz zwischen Franz I. und Leo X. und deren Festigung auf künstlerischer Ebene), S. 201-207 (speziell zu Raffaels Bild der Heiligen Familie, S. 205f. zum Transport dieses und der anderen Bilder vom 2.6.1518 bis ca. 10.8.1518 von Rom auf dem Landweg über Florenz nach Lyon zu den Bartolini, wobei in diesen Quellen kein bestimmtes Mitglied der Familie genannt wird; Cox-Rearick aber sieht ohne Erläuterung in dem Empfänger Gherardo Bartolini, offenbar aufgrund seiner Funktion als Schatzmeister des Mitauftraggebers Lorenzo de' Medici - ohne eine Beteiligung des Gherardo ausschließen zu wollen [s.u.], ist doch sicherlich die Gesellschaft der Bartolini gemeint gewesen, die in Lyon damals in erster Linie von dem dort lebenden Zanobi vertreten wurde, s.o. Anm. 49), S. 207-211 (zum Hl. Michael, in dem die Person des französischen Königs versinnbildlicht war, zumal gerade Franz I. den gleichnamigen Orden neu belebte, nicht zuletzt durch zwei Wallfahrten 1518 zum Mont-Saint-Michel und durch die Hervorhebung des Hl. Michael während der viermonatigen Feiern der Taufe des Dauphin), S. 211214 (zum mitgesandten Bild der Hl. Margarethe von Giulio Romano, das vermutlich zu Ehren der gleichnamigen Schwester des Königs gemalt wurde), S. 214-217 (zum ebenfalls nach Lyon über die Bartolini versandten Porträt der Vizekönigin von Neapel, das noch bis in jüngste Zeit - so auch von Cox-Rearick - irrigerweise mit Giovanna d'Aragona identifiziert worden ist, doch Isabel de Requesens darstellt); zur Chronologie der Bildersendungen nach Frankreich vgl. den Beitrag von Michael Fritz in diesem Band, bes. Anm. 30; zur Identität der Vize-Königin ebd. Anm. 45, sowie DERS., La véritable identité de La Vice-Reine de Naples par Giulio Romano et Raphael, in: Le tableau du mois nos 1 à 50 (1993-1998), Musée du Louvre, département des peintures, introd. par Jean-Pierre Cuzin, Paris 2000, n° 37, S. 159-162. Gherardo Bartolini organisierte in Frankreich über die Schaltstelle der Bartolini-Bank in Lyon die finanzielle Vorbereitung der Hochzeit Lorenzos; vgl. B A R T O L O M E O CERRETANI, Ricordi, a cura di G I U L I A N A B E R T I (Istituto Nazionale di Studi sul Rinascimento. Studi e testi 29), Firenze 1993, S. 348 (zu den Ausstattungskosten des Lorenzo vor dessen Abreise nach Frankreich am 20.3.1518: Ultimamente fatto 15 mila ducati ne spese 10 mila in Firenze di drappi e vestire et 5 mila ne rimesse a Lione al suo tesauriere, il quale era Gherarddo di Bartolomeo Bartolini che havevano ragione a Lione).

Die Medici und Frankreich im Pontiflkat Leos X.

45

d i e s e für das K ü n f t i g e so e n t s c h e i d e n d e P h a s e zu den am s c h l e c h t e s t e n e r f o r s c h t e n P e r i o d e n der M e d i c i - G e s c h i c h t e . Hier m ü s s e n w i r u n s freilich a u f w e n i g e zentrale A s p e k t e beschränken, und dabei primär a u f die Frankr e i c h - B e z ü g e . 6 6 E i n e s wird man generell f e s t s t e l l e n dürfen: E b e n s o w e n i g w i e die M e d i c i v o n d e n Franzosen, sondern v o n Florentinern aus F l o r e n z vertrieben w u r d e n , e b e n s o w e n i g standen sie w ä h r e n d der E x i l s z e i t a u f Seiten der G e g n e r Frankreichs. D i e a m b i v a l e n t e s t e Haltung hat dabei sicherlich Piero d e ' M e d i c i eing e n o m m e n , der als ältester, aber - w i e ein b e k a n n t e s D i k t u m s e i n e s V a t e r s L o r e n z o g e n a u s o w i e das Urteil v i e l e r anderer feststellt - w e n i g e r g e e i g n e ter S o h n die Führung d e s H a u s e s M e d i c i seit 1 4 9 2 ü b e r n o m m e n hatte. 6 7 B i s zu seiner E x i l i e r u n g aus F l o r e n z im N o v e m b e r 1 4 9 4 spielte er z w e i f e l l o s recht deutlich, j e d o c h die f u n d a m e n t a l e n w i r t s c h a f t l i c h e n Interessen e b e n s o w i e die p o l i t i s c h e n Traditionen der M e d i c i und Florentiner n e g i e rend, mit der s p a n i s c h e n Karte, o h n e die F r a n z o s e n zu nachhaltigen G e g nern zu m a c h e n . 6 8 A n d e r s w ä r e auch nicht einsichtig, w a r u m es g e r a d e der

66 Der Verf. bereitet zur Exilszeit der Medici und zu den personellen wie sachlichen Ursachen ihrer erfolgreichen Überwindung - und damit auch zu den Verbindungen der Medici mit den Bartolini, Sanseverino und Orsini - eine größere Studie vor, die als Forschungsprojekt von der Gerda Henkel Stiftung gefördert wird. Einige Ergebnisse dieser Projektarbeit können bereits in den vorliegenden Aufsatz einfließen. 67 Zur Einschätzung Pieros als eines tyrannischen, arroganten und schlechte Ratgeber suchenden Potentaten vgl. etwa F R A N C E S C O GUICCIARDINI, Storie fiorentine, in: Opere di Francesco Guicciardini, a cura di E M A N U E L L A L U G N A N I SCARANO, I, Torino 1 9 7 0 , S. 5 9 - 2 4 5 , hier S. 1 0 8 - 1 1 1 , die trotz der kritischen Haltung Guicciardinis mit der vieler anderer übereinstimmt; vgl. etwa PHILIPPE DE C O M M Y N E S , Memoiren. Europa in der Krise zwischen Mittelalter und Neuzeit, in neuer Übertragung hg. von F R I T Z E R N S T , Stuttgart 1972, S. 300. Zum bekannten Diktum Lorenzos etwa LANDUCCI, Ein florentinisches Tagebuch (wie Anm. 37), II, S. 236, Anm. 1. 68 Zu den prospanischen Neigungen Pieros, die wohl zu einem gut Teil aus entsprechenden (aber schon Mitte der 90er Jahre grundlegend geänderten) Haltungen seiner Orsini-Verwandten resultierten, vgl. etwa LANDUCCI, Ein florentinisches Tagebuch (wie Anm. 37), I, S. 101-103 und 101, Anm. 2; GUICCIARDINI, Storie fiorentine (wie Anm. 67), S. 114-116; eindringlich: DERS., Storia d'Italia (wie Anm. 46), II, S. 91-158 (I, 2-9). (Doch hat Guicciardini die Bindungen Piero de' Medicis an die Aragonesen möglicherweise - aus seiner dezidierten pro-französischen Haltung heraus - überzeichnet, denn wenn Piero nach 1494 dauernden Anlaß zum Mißtrauen gegeben hätte oder eine politische Konversion nicht glaubhaft hätte machen können, wäre er sicherlich nicht zu einem der wichtigsten Mitstreiter für die französische Sache in Italien geworden.) Vgl. ferner COMMYNES, Memoiren (wie Anm. 67), 300f.; eine präzise Analyse der Position Pieros und anderer bei PICOTTI, Leone X (wie Anm. 53), S. 557-563. Sehr wichtig erscheint mir Picottis Hinweis (S. 561), daß Piero, der bekanntermaßen alles andere als die kaufmännische Begabung seiner Ahnen geerbt hatte, mit seiner Mißachtung der eben an Frankreich gebundenen wirtschaftlichen und finanziellen Interessen sowohl der Medici

46

Götz-Rüdiger

Tewes

französische König und seine Umgebung waren, die das von seinen florentinischen Gegnern für ihn vorgesehene Schicksal entscheidend erleichterten.

a) Piero de' Medici, die Lyoner Medici-Bank und der Sturz in Florenz Resümieren wir kurz den teils bekannten, teils aber kaum thematisierten Handlungsgang und dessen Hintergründe. Piero hatte sich mit seiner prospanischen Politik viele Feinde gemacht, insbesondere die traditionell in Frankreich verwurzelten Florentiner Kaufleute und Bankiers, dann das Mailänder Herzogshaus, natürlich die französische Krone und offensichtlich nicht wenige in seiner eigenen Familie. Diese Entfremdung zu Frankreich nutzten einige Medici-Gegner aus, um mit Mailänder Hilfe die wirtschaftliche Grundlage der Medici in Frankreich zu zerstören, indem deren Bankhaus in Lyon vernichtet werden sollte. Insbesondere der Florentiner Gesandte und Medici-Gegner Piero Capponi nutzte seine Stellung am französischen Hof, um im Zusammenspiel mit dem Medici-feindlichen, mächtigen Guillaume Brifonnet, Bischof von Saint-Malo, die distanzierte Haltung Pieros zum französischen Marsch auf Neapel so zu dramatisieren, daß der König im Juni 1494 die Ausweisung der Lyoner Medici-Bank anordnete - welche Interessen dabei zugleich maßgeblich waren, wird leicht aus der Tatsache erkennbar, daß die Capponi seit langer Zeit erbitterte Konkurrenten der Medici im französischen Finanz- und Benefiziengeschäft waren! 6 9 Die Medici-Bank fand dann aber in Chambery, der bedeutenden Re-

als auch der anderen Florentiner Kaufleute gleichsam eine Sackgasse betrat, denn eine wirtschaftlich-finanzielle Verwurzelung der Medici im Königreich Neapel ist von den Aragonesen nachhaltig gestört und verhindert worden. Hiermit mußte Piero aber jene Kräfte des Medici-Hauses wie die Tornabuoni und Bartolini vor den Kopf gestoßen haben, denen die Sicherung der finanziellen Zukunft des Hauses oblag. Bezeichnend ist denn auch die harte Kritik von Pieros Ehefrau Alfonsina Orsini an seiner die Interessen der Medici und von Florenz verratenden, ein 19-jähriges Exil verursachenden antifranzösischen Politik; siehe unten Anm. 109. Ebenso soll Alfonsinas Mutter Caterina Sanseverino mit Pieros politischer Haltung ganz und gar nicht einverstanden gewesen sein; vgl. Y V O N N E L A B A N D E - M A I L F E R T , Charles VIII et son milieu (1470-1498). La jeunesse au pouvoir, Paris 1975, S. 207f. Caterina wird folgerichtig eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen mit dem französischen Hof im November 1494 in Florenz einnehmen; die Hintergründe ihrer antispanischen Handlungsintentionen werden von mir in dem angekündigten Beitrag zu den Sanseverino eingehender beleuchtet. 69 Vgl. die gute und vertiefende Darstellung der Vorgänge im Juni 1494 und ihrer Vorgeschichte bei BUSER, Die Beziehungen (wie Anm. 28), S. 323-332, 547-550; und bei Philippe Commynes in dessen Memoiren: In Pieros (im April 1494 abgereisten) Gesandtschaft an den in Lyon befindlichen König habe sich mit Piero Capponi ein energischer Feind des Medici befunden; und Capponi habe im Zusammenhang mit dem von

Die Medici und Frankreich im Pontißkat Leos X.

47

Piero zu übermittelnden Wunsch nach Verständnis für das Bündnis zwischen Florenz und Ferrante von Neapel, das für Florenz im Falle eines nach Italien kommenden Königs von Frankreich aber keine Wendung gegen die Franzosen bedeuten solle, seinen Gesandtschaftsauftrag noch schärfer formuliert, als er schon war; zudem habe Capponi Ratschläge zum Sturz Pieros in Florenz gegeben und habe die Verbannung der Florentiner mit denen hier die Medici-Partei gemeint war - aus Frankreich empfohlen; vgl. COMMYNES, Memoiren (wie Anm. 67), S. 301 (obwohl ohne genaue Datierung, wird die Zuordnung aus dem Kontext ersichtlich). Instruktive Quellen zu den Capponi und Brigonnet in: GIUSEPPE CANESTRINI / A B E L DESJARDINS (Hg.), Négociations diplomatiques de la France avec la Toscane, I, Paris 1859; vgl. bes. die Zeugnisse des Florentiner Botschafters Francesco della Casa an Piero de' Medici über den Bischof Brigonnet und die Capponi, etwa (S. 277f.) vom 28.2.1494 (zu Brigonnet: mai amò la nazione nostra, natura vario e fallace, corrotto da sua speranza del cappello [er bekam den Kardinalshut am 16.1.1495]; le quali cose sono principal causa del male nostro di qua)\ (S. 291) vom 17.4.1494 aus Lyon (zu den Capponi: ogni dì troviamo qualche riscontro che questi Capponi e loro giovanni vi danno carico, e secretamente aggravono il male nostro; ma spero abbiate mandato di qua Piero [Capponi] con sì buona concia, che non piglierà altra tintura. Nondimanco abbiateci buona considerazione!); analog schon am 12.11.1493 (S. 342f.) der Florentiner Gesandte Gentile Becchi, Bischof von Arezzo, aus Tours an Piero de' Medici über den mächtigen Brigonnet, den selbstbewußten, selbstgefälligen und gefürchteten Feind von Florenz und der Medici: È il più falso uomo, inimico di nostra nazione, e massimo di Pietro; ebd. S. 393f. zwei Dokumente zu geheimen Treffen zwischen Brigonnet und Piero Capponi, bei denen der Bischof dem Florentiner Geld und Leute anbot, um Pieros Regentschaft in Florenz zu stürzen. Zu der Verbindung zwischen den Capponi und Brigonnet vgl. ferner BUSER, a.a.O., S. 552 (Lorenzo Spinelli am 26.8.1494 aus Chambéry: Il principale de capponi sempre si truova con sanmalo ...!). Ebenso eindeutig berichtet der Chronist Piero Parenti für den gleichen Zeitraum von der außergewöhnlichen Freundschaft zwischen den Capponi, hier Pieros Bruder Neri di Gino, und dem vescovo di San Malo, also Guillaume Brigonnet; vgl. P I E R O DI M A R C O PARENTI, Storia fiorentina. I: 1476-78, 1492-96, a cura di A N D R E A M A T U C C I (Istituto Nazionale di Studi sul Rinascimento. Studi e testi 33), Firenze 1994, S. 129, Anm. zu Zeile 502. Zu noch im Pontifikat Leos X. manifesten Spannungen zwischen den Brigonnet und Medici s. auch u. S. 111 und Anm. 196. Piero Capponi zählte in der Folge tatsächlich zu den maßgeblichen Kräften bei dem Sturz der Medici-Herrschaft und in den anschließenden Florentiner Regierungen; vgl. etwa LANDUCCI, Ein florentinisches Tagebuch (wie Anm. 37), s.v.; GUICCIARDINI, Storie fiorentine (wie Anm. 67), s.v.; DERS., Storia d'Italia (wie Anm. 46), II, S. 184f. (I, 16) und s.v. Eine besondere Brisanz gewinnen jene Vorgänge durch den mit ihnen verbundenen wirtschaftlichen Aspekt. Denn die Capponi waren seit den 70er Jahren die wohl gefährlichsten Konkurrenten der Medici im Frankreich-Geschäft und besaßen ebenfalls eine Bankfiliale in Lyon; vgl. PICOTTI, Leone X (wie Anm. 53), S. 558, 582f., 595-597; DE ROOVER, Rise and Decline (wie Anm. 28), S. 30f., 310. Daß diese Florentiner Konkurrenten der Medici die wirtschaftlichen Folgen der Ausweisung sehr genau kannten und kalkuliert hatten - bei dem großen Finanzvolumen hätten die Medici nun ihre Gläubiger sehr rasch auszuzahlen, kämen aber nur äußerst schwer an das Geld ihrer Schuldner - wird aus entsprechenden Informationen des mailändischen Gesandten Barbiano deutlich; vgl. unten Anm, 71 sowie den instruktiven Bericht Cosimo Sassettis vom 22.6.1494 aus Chambéry an Piero de' Medici: B U S E R ,

48

Götz-Rüdiger

Tewes

sidenzstadt der H e r z ö g e v o n S a v o y e n und damit in g e w i s s e r W e i s e auch L u i s e s v o n S a v o y e n , eine s i c h e r e Z u f l u c h t . 7 0 D o c h P i e r o s G e g n e r n reichte d i e s e Vertreibung aus d e m f r a n z ö s i s c h e n K ö n i g r e i c h n o c h nicht; aus mailändischer Q u e l l e w i s s e n wir, daß man bereits A n f a n g Juli nun auch die A u s w e i s u n g der M e d i c i - B a n k aus S a v o y e n ins A u g e faßte. 7 1 N u r z w e i M o n a t e später - aber z w e i M o n a t e v o r der tatsächlichen E x i l i e r u n g der M e d i c i aus F l o r e n z ! - war allen B e t e i l i g t e n klar, daß die Florentiner das tun würden, w a s auch K ö n i g Karl VIII. w ü n s c h t e , daß sie Piero de' M e d i c i verbannen w ü r d e n ; d i e s sei nur eine F r a g e der Zeit und h ä n g e mit d e m j e w e i l i g e n Stand d e s f r a n z ö s i s c h e n V o r m a r s c h e s z u s a m m e n . 7 2 W e n n sich a l s o Piero, den f r a n z ö s i s c h e n W u n s c h nach D u r c h q u e r u n g und N u t z u n g d e s Florentiner Territoriums überbietend, im O k t o b e r 1 4 9 4 z u Karl VIII. b e g a b , u m ihm w i c h t i g e Florentiner F e s t u n g e n und Städte w i e Sarzana, P i s a und L i v o r n o a u s z u h ä n d i g e n , Orte v o n strategischer B e -

a.a.O., S. 547-550 (... Che circa al danno, che credo che sia stato la più potente cagione che abbi mosso chi a persuaso al re defarvi questa violenza ...). 70 Vgl. G U I C C I A R D I N I , Storia d'Italia (wie Anm. 46), II, S. 138f. (I, 6); D E R O O V E R , Rise and Decline (wie Anm. 28), S. 309-311: Als König Karl Vili, im Juni 1494 das gesamte Personal der Lyoner Medici-Bank - darunter auch der meist in Savoyen sich aufhaltende Franzose Pierre Fossier - des Landes verwies, weil Piero de' Medici ihm anläßlich des französischen Italienzuges nach Neapel die Durchquerung des Florentiner Territoriums verweigert habe, zogen die Medici-Bankiers nach Chambéry in Savoyen, in die herzogliche Residenzstadt, von wo sie nach dem Ende von Karls Italienzug wieder nach Lyon zurückkehren konnten. Nach Pieros Exilierung aus Florenz im November 1494 wurde diese wichtige Medici-Filiale von einem Konsortium aus Lorenzo di Giovanni Tornabuoni, Cosimo Sassetti und Lorenzo Spinelli übernommen. Die Hinrichtung Lorenzo Tornabuonis als Medici-Anhänger im August 1497 in Florenz bedeutete für die Lyoner Medici-Bank das Ende. 71 Vgl. BUSER, Die Beziehungen (wie Anm. 28), S. 332f., 550 (so schrieb der mailändische Gesandte Carlo Barbiano am 3.7.1494 von Lyon aus, die wirtschaftlichen Folgen für die Medici unterstreichend: Cosi erano partiti li oratori fiorentini cum li agenti per Medicis, et per quanto ho inteso da alcuni fiorentini che non sono molto amici al Meo. Pyero, questa licentia data ali agenti soy, li sara di gran iactura, perche havendo a pagare et ricevere in questo reame grande summa de dinari, sarano astrecti pagare el debito senza dilatione et li crediti non porrano ritrare senza grandissima difficulta. Et perche essi agenti se sono firmati tenere el bancho suo a Chiamberi, loco dela IIIma duchessa de Savoya, quando ala Exc"a V. paresse chel se facesse opera dal canto di qua, che questo Chrre instasse cum sua che la li licentiasse anche ley dal paese suo per darli magior perdita, essendo dala Cels. V. avisato del parere suo lo exequiro cum ogni studio et diligentia possibile.). 72 Vgl. BUSER, Die Beziehungen (wie Anm. 28), S. 553 (Lorenzo Spinelli am 4.9.1494 aus Chambéry an Cosimo Sasseti: Il re va a Bolongnia ho a quella volta. Sera con openione, che fiorentini chacciono piero et in su questo fa il re gran fondamento [...] ami detto un amicho, che il re e sollecitato di costi con promessa, che quando sara a Modena, e fiorentini manderano via il magnificho).

Die Medici und Frankreich

im Pontifikat Leos X.

49

deutung für Florenz, lange heiß umkämpft und den Florentinern fast heilig, dann muß man in dieser kopflosen Handlung offensichtlich das Bemühen sehen, den von seinen Gegnern vorbereiteten Sturz zu vermeiden und sich Karl VIII. endlich als Verbündeter zu präsentieren. 7 3 Doch seine überstürzte Aktion kam zu spät, war natürlich auch in der Form verfehlt. Der schon von den Zeitgenossen als entscheidend hervorgehobene Punkt sei gewesen, daß dies eigenmächtig und ohne Absprache mit der Signoria geschehen sei. Während Lorenzo de' Medici bei wichtigen politischen Entscheidungen stets die Existenz politischer Gremien und Gruppen respektiert und in den Entscheidungsprozeß so integriert habe, daß diese partizipierten, aber nicht grundsätzlich gegen ihn bestimmen konnten, habe Piero dieses Spiel entweder noch nicht gelernt oder schlechthin als nicht notwendig erachtet. Diese gängige, auf der Darstellung von Chronisten wie Guicciardini fußende Analyse der Hintergründe des Medici-Sturzes übersieht freilich dessen lang und intensiv vorbereitete Planung, in welcher die Ausweisung der Medici-Bankiers aus Lyon einen zentralen Baustein darstellte. Vermutlich hätte sich Piero im Sommer und Herbst 1494 nur noch durch die Wandlung zu einem Florentiner Alexander die Möglichkeit verschaffen können, den von seinen Feinden und ihm selbst geschürzten gordischen Knoten mit einem diplomatischen Schwerthieb durchschlagen zu können. Die Florentiner Signoria hatte nun aber auf breiter Front die Grundlage, Piero zur Verantwortung zu ziehen. Da machte der junge Medici seinen zweiten großen Fehler, indem er nicht argumentierte, sondern mit einem bewaffneten Gefolge unter Führung seines Verwandten Paolo Orsini in Florenz erschien. Das von Savonarola zusätzlich aufgeputschte Volk stellte sich so feindlich gegen die Medici, daß diesen nur die Flucht blieb. Sofort folgte die Verurteilung. Piero de' Medici und seine jüngeren Brüder, darunter auch der Kardinal Giovanni, wurden verbannt und zu Rebellen, d.h. Feinden der Republik, erklärt. Das bedeutete mehr als nur eine Exilierung. Denn ein ungemein hohes Kopfgeld wurde auf sie ausgesetzt: 2.000 Gulden für ei-

73

Vgl. hierzu und zur folgenden Vertreibung der Medici aus unterschiedlichen Per-

s p e k t i v e n e t w a : BARTOLOMEO CERRETANI, Storia f i o r e n t i n a , a cura di GIULIANA BERTI

(Istituto Nazionale di Studi sul Rinascimento. Studi e testi 31), Firenze 1994, S. 196224; PARENTI, Storia fiorentina (wie Anm. 69), S. 100-146; GUICCIARDINI, Storia d'Italia (wie Anm. 46), II, S. 170-180 (I, 14, 15); LANDUCCI, Ein florentinisches Tagebuch (wie Anm. 37), I, S. 104f., 107-113. Spezieller zur Rolle der Tornabuoni beim Untergang der Medici-Bank: ARMANDO SAPORI, La cacciata di Piero di Lorenzo il Magnifico da Firenze: Giovanni Tornabuoni e la filiale di Roma del Banco Medici, in: Spoleczeristwo Gospodarka Kultura. Studia ofiarowane Marianowi Malowistowi w czterdziestolecie pracy naukowej, Warszawa 1974, S. 303-318.

Götz-Rüdiger

50

Tewes

nen getöteten Medici-Rebellen, 5.000 für die Überführung eines lebenden. 74 b) Freunde der exilierten Medici Erstaunlicherweise war es nun Karl VIII., der gleich nach seinem Einmarsch in Florenz in einem selten thematisierten Freundschafts-Vertrag mit der Republik auch die Exilsbedingungen für die Medici verbesserte, da die Signoria nicht zur Revision ihrer Verurteilung bereit war. 75 In den Quellen wird sehr deutlich, wer besonders nachhaltig für die Medici und für Piero eingetreten ist, nun aber für einen an die Sache Frankreichs gebundenen Piero: Es ist Philippe de Bresse, der Onkel Karls VIII. und Bruder eines früheren Herzogs von Savoyen, der 1496 selbst den Herzogstitel tragen, aber schon 1497 sterben wird. Er wohnt bei Lorenzo di Giovanni Tornabuoni, dem Verantwortlichen für die in Chambery residierende französische Medici-Filiale; und in das gleiche Haus ziehen Pieros Frau Alfonsina Orsini und ihre Mutter Caterina Sanseverino, die nach der Flucht Pieros zunächst im Konvent von Santa Lucia Zuflucht gefünden hatten und denen der Medici-Palast, in welchem Karl VIII. während seines Florentiner Aufenthaltes wohnte, verwehrt war. 76 Ohne bereits die tatsächlichen Ursachen für diese überaus deutungsreiche Konstellation nennen zu können, erscheint es doch mehr als plausibel, in ihr den möglichen Zufall als nicht

74

So die Angaben bei MECATTI, Storia cronologica (wie Anm. 46), S. 474. Zum Aufenthalt Karls VIII. in Florenz: GUICCIARDINI, Storie fiorentine (wie Anm. 67), S. 127-130; ausführlicher: DERS., Storia d'Italia (wie Anm. 46), II, S. 180186 (I, 16) (doch wenig zu den Medici-freundlichen Punkten im Freundschaftsvertrag mit Florenz); auch von sozialgeschichtlichem Interesse: LANDUCCI, Ein florentinisches Ta75

gebuch

( w i e A n m . 3 7 ) , I, S. 1 0 5 - 1 0 7 , 1 1 4 - 1 2 6 ; MECATTI, Storia c r o n o l o g i c a ( w i e A n m . 4 6 ) , S. 4 7 3 - 4 7 6 . Z u d e n v e r s c h i e d e n e n D r u c k e n d e s Vertrages v g l . LABANDE-

MAILFERT, Charles VIII (wie Anm. 68), S. 296, Anm. 424. 76 Vgl. vor allem LABANDE-MAILFERT, Charles VIII (wie Anm. 68), S. 292, 295; deuüiche Hinweise auf die tragende Rolle des Philippe de Bresse bei LANDUCCI, Ein florentinisches Tagebuch (wie Anm. 37), I, S. 117f., Anm. 3, S. 123; GUICCIARDINI, Storia d'Italia (wie Anm. 46), II, S. 181 (I, 16: Né mancava tra i principali del suo [Karls VIII.] consiglio chi alla restituzione di Piero de' Medici lo confortasse, e specialmente Filippo monsignore di Brescia[sic], fratello del duca di Savoia, indotto da amicizie private et da promesse). Auch im August 1494 wollte Philippe de Bresse zwischen König Karl VIII. und Piero de' Medici Frieden stiften; vgl. BUSER, Die Beziehungen (wie Anm. 28), S. 552f. (so im Bericht Lorenzo Spinellis vom 26.8.1494 aus Chambéry: II s. di brescia a pratichato di fare pacie [...] Möns, di brescia e di parere di fare chapacie al re, chella pacie li sara utile). Zu Philippe de Bresse als Vertreter der profranzösischen Linie im savoyischen Herzogshaus vgl. auch CAVIGLIA, Claudio di Seyssel (wie Anm. 16), S. 44-51.

Die Medici und Frankreich

im Pontißkat

Leos X.

51

wirksam zu behaupten. In Savoyen bzw. Chambéry fand wie gesagt die von Lorenzo Tornabuoni geleitete Medici-Bank in Gestalt ihrer Lyoner Filiale 1494/95 die entscheidende, nämlich substanzwahrende Zuflucht; mit dieser Medici-Bank standen Caterina und ihr ebenso profranzösischer Verwandter Kardinal Federico Sanseverino in enger geschäftlicher Verbindung; die vom Untergang bedrohte, mittlerweile in Chambéry residierende Lyoner Medici-Filiale erhält offensichtlich Ende 1494 - und vermutlich nach dem Übergang Piero de' Medicis ins französische Lager durch Federico Sanseverino einen Kredit von 1.500 Franken bzw. 8.000 Kammerdukaten; zu der (früher mit der Medici-Bank verbundenen, diese offensichtlich nach der Hinrichtung von Lorenzo Tornabuoni 1497 maßgeblich weiterfuhrenden) Bartolini-Bank entwickelt Federico Sanseverino um oder kurz nach 1500 ein umfassendes, vertrauensvolles und geradezu freundschaftlich-intimes Geschäftsverhältnis, das vor allem die Räume Frankreich, Savoyen, Mailand und Rom umfaßt! Zugleich dürfte in diesem Zusammenhang der Tatsache, daß mit Giulio Sanseverino ein Bruder des Kardinals maggiordomo Luises von Savoyen gewesen ist bzw. wurde, der dann in Frankreich zum „maestro di campo", „capitano di gente d'arme" und Ritter des exklusiven Michael-Ordens aufstieg, einiges Gewicht zuzumessen sein. 77 Auf dem Boden einer gewachsenen, weit über Florenz hinausgreifenden Interessengemeinschaft und -Verflechtung gründet also das beherzte Eintreten von Philippe de Bresse, Caterina Sanseverino, donna di autorità e governoì, und Alfonsina Orsini für die Sache der exilierten Medici. 78 Ihnen wird der anwesende Kardinal Federico Sanseverino geholfen haben, der über Piero einen Kredit der Medici-Bank erhielt, diese aber selbst mit ei-

77

V g l . z u d e n m i l i t ä r i s c h e n Ä m t e r n in Frankreich BERARDO CANDIDA GONZAGA,

Memorie delle famiglie nobili delle provincie merdidionali d'Italia, I-VI, Napoli 1875 (ND Bologna 1965), hier II, S. 122 (ohne Datierung, vermutlich unter Franz I.); zu Giulio Sanseverino als Vertrautem Luises von Savoyen: CAVIGLIA, Claudio di Seyssel (wie Anm. 16), S. 311 (wann Giulio Sanseverino die Position eines Haushofmeisters erlangte, wird nicht gesagt; genannt wird er für die Zeit um 1510). 78 Zu Alfonsina Orsini und zu der von Autorität und Herrschaftswillen getragenen Rolle ihrer Mutter Caterina Sanseverino im November 1494 vgl. PARENTI, Storia fiorentina (wie Anm. 69), S. 135f. (mit negativer Bewertung dieser Bemühungen: la mogliera di Piero de ' Medici colla madre, donna di autorità e governo, inoltre Lorenzo Tornabuoni, Giannozzo Pucci, e li altri complici di Piero, a niente altro attendevano che con subornazione, corruttele e tutte altre vie iniquissime, persuadere a ' governatori del Re che ingiustamente Piero de ' Medici cacciato suto era di Firenze)', vgl. auch NATALIE TOMAS, Alfonsina Orsini de' Medici and the ,problem' of a female ruler in early sixteenth-century Florence, in: Renaissance Studies 14 (2000), S. 70-90, hier S. 75f. (generell aber mit fragwürdigen Urteilen zu den größeren politischen Zusammenhängen).

Götz-Rüdiger

52

Tewes

nem achtmal höheren Betrag unterstützte. 79 Auch wenn sie es mit dem König nicht schaffen, bei den Florentinern die Restituierung der MediciHerrschaft und die Rückkehr Pieros zu erlangen, so gelingt es ihnen nach längerem Verhandeln doch, daß günstigere Bedingungen für die Medici in den Vertrag aufgenommen werden. Bemerkenswert ist die Regelung, daß die exilierten Medici die Erlaubnis bekamen, sich im Lager des französischen Königs aufhalten zu dürfen, sofern es außerhalb des Florentiner contado und distretto läge. 80 Das Kopfgeld wurde durch Karls Intervention aufgehoben. 81 Die Güter von Piero und Giuliano de' Medici blieben zwar konfisziert, doch sollten sie offenbar nach Begleichung der MediciSchulden erstattet werden. Wert legte der König darauf, daß man Alfonsina Orsini ihre Aussteuer von mindestens 3.000 Dukaten zurückgebe.

c) Piero, Giuliano und Giovanni de' Medici als Exilierte Piero de' Medici, der „Unglückliche", kämpfte in den nächsten Jahren mit den französischen Truppen, sofern sie in Italien waren, gegen die Spanier und starb dabei 1503 bei der Überquerung des Flusses Garigliano, nicht unweit von Monte Cassino, wo sich sein Grab befindet. 82 Giuliano, der 79

Zur Anwesenheit des Kardinals Sanseverino, der mit dem Kardinal Ascanio Sforza im November als päpstlicher Legat zum französischen König nach Florenz kam, vgl. PARENTI, Storia fiorentina (wie Anm. 69), S. 120; zur finanziellen Unterstützung Pieros durch den Sanseverino s. o. S. 37f. und Anm. 55. Federicos Bruder Galeazzo Sanseverino war zur gleichen Zeit als Abgesandter des mailändischen Herzogs, seines Schwiegervaters, in Florenz, scheint aber - wie ein Brief vom 21.11.1494 von dort nahelegt - zumindest gegenüber Ludovico il Moro zu jener Zeit noch die kritische mailändische Haltung gegenüber Piero de' Medici vertreten zu haben; vgl. AS Milano, Sforzesco, Firenze 940, 21.11.1494. 80 Vgl. die Angaben bei LANDUCCI, Ein florentinisches Tagebuch (wie Anm. 37), I, S. 125f.; GUICCIARDINI, Storia d'Italia (wie Anm. 46), II, S. 185 (I, 16); MECATTI, Storia cronologica (wie Anm. 46), S. 475f. 81 Allerdings haben die Florentiner im September 1495 nach dem Abzug Karls VIII. aus Italien und als Reaktion auf Rückkehrversuche Piero de' Medicis erneut ein Kopfgeld von 4.000 Dukaten für seinen Tod auf ihn ausgesetzt; zwei Monate später wurde im November auch für die Tötung seines Bruders Giuliano ein Kopfgeld von 2.000 Goldflorenen versprochen; vgl. LANDUCCI, Ein florentinisches Tagebuch (wie Anm. 37), I, S. 165f., 168; G I U L I A N O D E ' M E D I C I , Duca di Nemours: Poesie, a cura di GIUSEPPE FATINI, F i r e n z e 1939, S. X V . 82 Zu Piero de' Medici an der Seite der Franzosen vgl. die Hinweise bei L A N D U C C I , Ein florentinisches Tagebuch (wie Anm. 37), I, S. 136, 149f. sowie S. 151f., Anm. 3 (bei Rückzug 1495 im Heer der Franzosen), II, S. 114f., Anm. 3 (Garigliano); G U I C C I A R D I N I , Storia d'Italia (wie Anm. 46), II, S. 610f. (VI, 7) (Garigliano); FATINI, Giuliano de' Medici (wie Anm. 81), S. XXII. Weitere Zeugnisse zu den verschiedenen Aufenthalten Pieros etwa in Rom und Bracciano bei seinen Orsini-Verwandten oder in Venedig und Mai-

Die Medici und Frankreich im Pontißkat

LeosX.

53

B r u d e r P i e r o s und G i o v a n n i s , fand während des E x i l s für l a n g e Z e i t in Frankreich Z u f l u c h t , g l e i c h s a m unter der Obhut L u d w i g s XII., den er auch nach 1 5 1 3 w ä r m s t e n s verehrte; während einer p o l i t i s c h e n M i s s i o n am k ö n i g l i c h e n H o f w o h n t e er - m ö g l i c h e r w e i s e in B e g l e i t u n g s e i n e s Bruders G i o v a n n i - A n f a n g 1 5 0 1 b e z e i c h n e n d e r w e i s e im H a u s des Kardinals F e d e rico S a n s e v e r i n o in B l o i s . 8 3 Z w i s c h e n z e i t l i c h hielt er sich an der Seite des f r a n z ö s i s c h e n B o t s c h a f t e r s in politischer M i s s i o n in Italien auf, w o er im H e e r der F r a n z o s e n k ä m p f t e . Fast f o l g e r i c h t i g erscheint da seine ( n o c h näher a n z u s p r e c h e n d e ) H o c h z e i t 1515 mit Filiberta v o n S a v o y e n , der S c h w e ster v o n L u i s e v o n S a v o y e n , die nicht zuletzt als Mutter v o n Franz I. d i e s e V e r b i n d u n g und den A u f s t i e g der M e d i c i in den e u r o p ä i s c h e n H o c h a d e l förderte. N u r über den Kardinal G i o v a n n i , der nach P i e r o s T o d E n d e 1 5 0 3

land finden sich bei Sanuto; vgl. MARINO SANUTO, I Diarii, a cura di RINALDO FULIN u.a., Venezia 1879-1902 (ND Bologna 1969), hier vol. I-IV, s.v.; vgl. G. L. MONCALLERO, Il cardinale Bernardo Dovizi da Bibbiena, umanista e diplomatico (1470 1520). Uomini e avvenimenti del rinascimento alla luce di documenti inediti (Biblioteca dell'„Archivum romanum", ser. I: Storia - Letterature - Paleografia, 35), Firenze 1953, S. 178-180. 83 Vgl. MOLINI, Documenti (wie Anm. 43), S. 64f. und Arnn. (zu Brief Giulianos vom 30.8.1513 an König Ludwig XII.); LANDUCCI, Ein florentinisches Tagebuch (wie Anm. 37), II, S. 76, Anm. 2 (Giuliano erhielt 1501 lange Audienzen beim französischen König, während den Florentiner Gesandten die kalte Schulter gezeigt wurde); FATINI, Giuliano de' Medici (wie Anm. 81), S. XII-XXXIII (doch wenig zu Giulianos Frankreichaufenthalten); MONCALLERO, Il cardinale Bibbiena (wie Anm. 82), S. 180. Der Aufenthalt Giulianos im Haus des Kardinals Sanseverino sowie der mutmaßliche Giovanni de' Medicis werden von venezianischen Gesandten bezeugt; vgl. SANUTO, I Diarii (wie Anm. 82), III, Sp. 1401 (4.2.1501; aus Florenz erfahre man, Juliano è andato in Franzo, si dice etiam il cardinal di Medici, per parlar al roy acciò sij col voler dil ducha Valentino), 1430 (am 31.1.1501 aus Blois: Der Kardinal Sanseverino sei nach einem Besuch seines Bistums Maillezais an den königlichen Hof zurückgekehrt; item, za tre zorni è venuto lì Juliano di Medici, alozato in caxa dil cardinal di San Severin). Von einem (vor 1507 stattgefundenen) Aufenthalt am königlichen Hof in Frankreich oder an dem Hof der Luise von Savoyen in Amboise läßt Baldassare Castiglione Giuliano de' Medici im Libro del Cortegiano sprechen, wo er Franz von Angouléme, den möglichen künftigen König, kennengelernt habe; vgl. BALDESAR CASTIGLIONE, Il libro del Cortegiano, a cura di WALTER BARBERIS (Biblioteca Einaudi 40), Torino 1998, S. 89f. (1/42; der Herausgeber vermutet in dem Aufenthalt Giulianos am königlichen Hof vor 1507 eine Erfindung Castigliones, da es dafür keine Beweise gebe. Nach den Belegen für einen Aufenthalt im Jahr 1501 möchte ich das Zeugnis bei Castiglione sogar als das für einen weiteren werten, da der am 12.9.1494 geborene Franz bei Giulianos Besuch in Blois Anfang 1501 gerade erst 6 Jahre alt war, Giuliano aber im .Cortegiano' offensichtlich nicht von einem kleinen Kind sprach: ritrovandomi alla corte, vidi questo signore e parvemi che, oltre alla disposizion della persona e bellezza di volto, avesse nell'aspetto tanta grandezza, congiunta però con una certa umanità, che 7 reame di Francia gli dovesse sempre parer poco).

Götz-Rüdiger

54

Tewes

das Haus Medici führte, wissen wir sehr wenig aus diesen Jahren. Im August 1499 begann er - incognito und verkleidet - von Venedig ausgehend über Innsbruck, wo man ihn im September kurzzeitig festhielt, eine mehrmonatige Reise nach Frankreich, die ihn auch nach England führte; Ende Februar 1500 wußte man ihn jedoch schon wieder zurück und in Genua befindlich. 84 Generell kann man wohl sagen, daß seine Möglichkeiten, zum Wiederaufstieg der Familie beizutragen, sich primär aus seinem kirchlichen Rang ergaben. Hierbei stand ihm wie allen Medici und ihren Verbündeten allerdings Papst Alexander VI. feindlich gegenüber, 85 während sie unter Julius II. eher gefördert wurden. d) Giovanni de' Medici zwischen Julius II. und Frankreich: Die Schlacht von Ravenna Problematisch wurde das enge Verhältnis der Medici zu Frankreich, als Julius II. in diesem Land seinen Hauptfeind sah und der Konflikt zwischen den beiden Mächten durch das vor allem von Frankreich getragene Konzil von Pisa zu eskalieren drohte. Als päpstlicher Kardinallegat in der Romagna (Ernennung am 1. Oktober 1511) beispielsweise wurde Giovanni de' Medici unmittelbar in diese Auseinandersetzung verwickelt und hatte gegen Frankreich zu agieren, was ihn nach der Niederlage gegen die Franzosen bei Ravenna 1512 denn ja auch in die französische Gefangenschaft führte. Doch deutet schon eine genaue Analyse der zwischen dem Kardinal und seinem in Rom wirkenden Sekretär Bernardo Dovizi da Bibbiena gewechselten Briefe eindringlich darauf hin, daß sie gegenüber dem offensichtlich mißtrauischen Papst bestehende Bindungen an Frankreich bzw. zu Personen, die dem Feind des Papstes nahestanden, verschleiern mußten. Sehr anschauliche Einblicke ergeben sich insbesondere dann, wenn der das

84

Vgl. SANUTO, I Diadi (wie Anm. 82), II, Sp. 1036, 1060, 1312; III, Sp. 135 (Piero de' Medici befand sich im Februar 1499 in Mailand, Giuliano in Bologna, Pieros Frau Alfonsina Orsini in Rom). Wenig Erhellendes zu dieser Zeit bei MAX-EUGEN KEMPER, Leo X. - Giovanni de' Medici (1513-1521), in: Hochrenaissance im Vatikan, 1 5 0 3 1534. Kunst und Kultur im Rom der Päpste I, Ausstellungskatalog, Bonn 1999, S. 30-47, hier S. 33 (doch als „Deutschlandreise" wird man die Reisetage innerhalb des Deutschen Reiches kaum bezeichnen können); zu dieser Reise vgl. auch MONCALLERO, Il cardinale Bibbiena (wie Anm. 82), S. 175-178. 85 Instruktiv die Feststellung des in Rom lebenden Medici-Agenten Luigi Lotti am 2.1.1493 gegenüber Niccolò Michelozzi in Florenz: Salvus sis. Nel nome del vostro diavolo, et non si può fare con papa Alexandro, come si faceva con papa Innocentio\\ vgl. B N C Firenze, Ginori Conti, 29/83, c. 73; Zeugnisse für die feindliche Haltung des Borgia-Papstes zu den Medici und zur Medici-Bank auch bei PICOTTI, Leone X (wie Anm. 53), S. 4 6 5 - 4 7 3 .

Die Medici und Frankreich im Pontiflkat Leos X.

55

Pisaner K o n z i l für Frankreich mit anführende und auch s o n s t die französis c h e n Interessen in Italien mit aller M a c h t vertretende Kardinal F e d e r i c o S a n s e v e r i n o - d e m Papst Julius II. ein Verräter und mehr als ein D o r n i m A u g e ! - die M e d i c i u m H i l f e und U n t e r s t ü t z u n g bat. M a n spürt f ö r m l i c h aus D o v i z i s B r i e f e n , w i e er an der Kurie eine d i p l o m a t i s c h - k u n s t v o l l e Gratwanderung v o r z u n e h m e n hatte, u m die n a c h w e i s l i c h e n , a u f e i n e m o f f e n s i c h t l i c h e n ( u n s n u n aber e i n s i c h t i g e n ) Vertrauensverhältnis beruhenden K o n t a k t e z w i s c h e n d e m z u m S c h i s m a t i k e r erklärten S a n s e v e r i n o und d e m M e d i c i herunterzuspielen - w o b e i die d a m a l i g e a n t i f r a n z ö s i s c h e , p r o s p a n i s c h e H a l t u n g B i b b i e n a s d e m G a n z e n e i n e z u s ä t z l i c h e pikante N o t e gab.86

86 Am deutlichsten wurde der Zwang, jede Verbindung zu Sanseverino vor dem Papst verheimlichen zu müssen, von Bibbiena wohl in einem Brief vom 20.12.1511 an Giovanni de' Medici mit Blick auf die geplante Privation Sanseverinos als Kardinal ausgesprochen: San Severino entrò con li scysmatici in pontificale a Milano. Guardi S. S. R.ma non avere et non mandarli [sc. dem Kardinal Sanseverino] una mìnima ambasciata che se S. S. lo sapessi non lo lavria l'acqua di Po' [se. del Po]; MONCALLERO, Il cardinale Bibbiena (wie Anm. 82, S. 291 (S. 281-318 umfassend zur Zeit der Legation Giovanni de' Medicis in der Romagna, S. 281-292, 304f. speziell zu Sanseverino); die Briefe Bibbienas sind gedruckt in: G. L. MONCALLERO (Hg.), Epistolario di Bernardo Dovizi da Bibbiena, I: 1490-1513, II: 1513-1520 (Biblioteca dell'„Archivum romanum", ser. I: Storia - Letteratura - Paleografia, 44, 81), Firenze 1955-1965, hier I, S. 428 (die heiklen Textstellen waren natürlich chiffriert); die Briefe Bibbienas an Giovanni de' Medici als Legaten der Romagna ebd. auf S. 253-505. Die Originale befinden sich im AS Firenze, Carte Strozziane, ser. I, filza 5 und 6; vgl. etwa filza 5, doc. 55 (gedruckte allgemeine Rechtfertigung des wegen der Teilnahme am Pisanum inkriminierten Kardinals Sanseverino vom 23.12.1511), 56 (Brief des Sanseverino an Kardinal Giovanni de' Medici, aus Mailand, vom 16.1.1512, wegen Bitte um Hilfe bei Einigung Sanseverinos mit Papst Julius II.), 72 (Bibbiena am 4.3.1512 an Kardinal Giovanni: Papst wünsche, daß er sich mit spanischer Hilfe Sanseverino entgegenstelle, damit dieser nicht mit Truppen in Bologna einmarschieren könne); filza 6, fol. 57v (Bibbiena am 23.10.1511 an Kardinal Giovanni: er habe von einem Gefolgsmann des Kardinals Sanseverino einen Brief von diesem an Giovanni de' Medici erhalten, den er aus Pflichtgefühl geöffnet und dem Papst gezeigt habe, der ihn nicht sehen, aber den Inhalt hören wollte); fol. 58r (Kopie des vorher genannten Briefes des Kardinal Sanseverino an Kardinal Giovanni in Bologna, vom 16.10.1511 aus Brunecken in Tirol: Sanseverino habe aus Briefen des Medici an ihn vernommen, wie dieser sich bei Julius II. für ihn eingesetzt habe, weiterhin Rechtfertigung seiner Haltung), fol. 61r/v (Bibbiena an Kardinal Giovanni, 24.10.1511, wegen Festnahme und Verhör eines Boten des Kardinals Sanseverino, dem der Papst die Kardinalswürde entzogen hatte), fol. 65r (Ludovicus Canossa am 27.10.1511 an Kardinal Giovanni u.a. wegen gleicher Sache), fol. 156r/v (Bibbiena am 21.11.1511 an Kardinal Giovanni über Gespräch mit Papst, der ihm Einzelheiten mitteilte, die der Bote des Sanseverino im Verhör preisgab). Ein Großteil der wichtigen Passagen war chiffriert, ist aber von Moncallero (ohne Preisgabe des Schlüssels) dechiffriert worden; vgl. MONCALLERO, Il cardinale Bibbiena, a.a.O., S. 281; Druck der an den Medici gerichteten Sanseverino-Briefe

56

Götz-Rüdiger

Tewes

Obwohl in der Forschung offenbar noch nie in Erwägung gezogen, erscheint es mir überaus wahrscheinlich, daß es der Kardinal Federico Sanseverino im Juni 1512 selbst war, der dem nach der Schlacht von Ravenna (11. April 1512) unter seiner Aufsicht stehenden, gefangenen Kardinal Giovanni de' Medici die Flucht ermöglichte 87 - denn Federico war eben

auch bei RENAUDET, Le concile gallican (wie Anm. 47), Nr. 339, 537. Angesichts der guten Kontakte des Sanseverino zu Giovanni de' Medici, die auf feste Verbindungen und Verwandtschaft zurückgingen und die nach dem Tod von Julius II. sofort wieder offen gepflegt wurden, mußte Bibbiena Julius II. stets davon überzeugen, daß der Medici hier auf der päpstlichen Seite stand, denn offenbar folgte die Medici-Partei damals der Einsicht, daß man nur mit päpstlich-spanischer Hilfe die Macht in Florenz zurückerlangen könne - vor allem nach dem Bekenntnis der Florentiner zum schismatischen Konzil von Pisa. Eine analoge präventive Vorsicht galt mit Blick auf die mit den Medici verwandten und verbündeten Orsini, die für Frankreich standen und von denen z.B. Roberto Orsini Anfang 1512 nach Frankreich reiste, um dem König und den schismatischen Kardinälen seine Unterstützung im Kampf gegen Julius II. zu versichern; vgl. den entsprechenden Bericht des Bartholomeo Della Rovere vom 5.2.1512 an Kardinal Giovanni: ASF, a.a.O., filza 5, doc. 61; zu ihm auch häufig in den Briefen Bibbienas: MONCALLERO, Epistolario, a.a.O., s.v. Bibbiena machte freilich auf der Grundlage seiner - noch anzusprechenden (vgl. unten S. 65, 68f.) - bekannten prospanischen Neigung von seiner Aversion gegen die Franzosenfreunde, insbesondere gegen Sanseverino, keinen Hehl; vgl. etwa MONCALLERO, Il cardinale Bibbiena, a.a.O., S. 284; bzw. DERS., Epistolario, a.a.O., I. S. 271 (doch waren Moncallero die vielfaltigen guten Beziehungen zwischen Federico und anderen Sanseverino und den Medici offenbar nicht bekannt). 87 Generell erscheint eine passive Duldung der Flucht Giovanni de' Medicis durch die Franzosen schon aufgrund der bekannten Fakten sehr plausibel, denn wenn ihnen an einer Überführung und Einkerkerung des prominenten Gefangenen in Frankreich gelegen gewesen wäre, hätte man ihn nach dem Aufbruch von Mailand besser und strenger bewacht. Der Kardinal Federico Sanseverino war als Legat des Pisaner Konzils für die Romagna bei der großen Schlacht von Ravenna einer der wichtigsten Heerführer auf französischer Seite gewesen (grandissimo di corpo e di vasto animo, coperto dal capo insino a ' piedi d'armi lucentissime, faceva molto più l'ufficio del capitano che di cardinale o di legato; GUICCIARDINI, Storia d'Italia [wie Anm. 46], II, S. 758) und hatte dem Kardinallegaten Medici direkt gegenübergestanden, der nach der Niederlage nach Mailand gebracht worden war, wo das Konzil inzwischen tagte, und der dort unter direkter Aufsicht Sanseverinos stand. Dieser war es denn auch, der dem Medici die Erlaubnis gab, aus der Haft heraus mit seinem Cousin Giulio de' Medici in Verbindung zu treten; vgl. GUICCIARDINI, a.a.O., S. 768. Als die Franzosen Anfang Juni Mailand Richtung Frankreich verließen, unterstand der Medici immer noch dem Sanseverino, der mit dem Hauptheer mit großer Eile voranritt und seinem Gefangenen gestattete, im langsamer vorankommenden Restheer zu reisen - was Giovanni de' Medici dann letztendlich bei der Überquerung des Po bei Pieve del Cairo die Flucht erlaubte; vgl. G Ö R A N STENIUS, The Prisoner Turned Pope. A Medicean Miracle in Raphael's Stanze, in: Opuscula Instituti Romani Finlandiae I (1981), S. 83-102, hier bes. S. 88-90 (mit umfangreicher Literatur; ich danke Michael Rohlmann für den freundlichen Hinweis auf diesen Aufsatz und für dessen Zusendung). Diese anzunehmende Förderung der Flucht durfte natürlich nicht bekannt werden.

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

57

nicht nur mit G i o v a n n i verwandt, er hatte der M e d i c i - B a n k nicht nur nach der E x i l i e r u n g mit e i n e m g r o ß e n Kredit g e h o l f e n , er hatte darüberhinaus die für die e x i l i e r t e n M e d i c i fundamental w i c h t i g e B a r t o l i n i - B a n k zu seiner H a u s b a n k u n d z u m V e r w a l t e r seiner b e d e u t e n d s t e n B e n e f i z i e n g e macht, auch und g e r a d e in den Jahren des s c h i s m a t i s c h e n P i s a n u m , und er hatte d e m in M a i l a n d inhaftierten Medici-Kardinal sogar p e r s ö n l i c h über die B a r t o l i n i - B a n k 2 0 0 scudi d'oro di sole z u k o m m e n l a s s e n ! 8 8 A u c h bei d i e s e m zentralen A s p e k t d e s M e d i c i - F r a n k r e i c h - B ü n d n i s s e s z e i g t sich dann nach B e g i n n d e s P o n t i f i k a t e s v o n L e o X., als die v o n p o l i t i s c h e n und k i r c h e n p o l i t i s c h e n Z w ä n g e n g e f o r m t e M a s k e z u n e h m e n d deutlicher heru n t e r g e n o m m e n w e r d e n durfte, w i e die M e d i c i in Wahrheit und auf w e l c h f e s t e m F u n d a m e n t sie zu d e m S a n s e v e r i n o standen. S o berichtet G i u l i o de'

88

Die Fülle und Dichte der die beiden Kardinäle verbindenden Faktoren ist geradezu überwältigend und eben besonders für jene kritischen Jahre des Pisanum in keiner Weise reduziert oder neutralisiert worden. Diese Beziehungslinien umfassen u.a. das Verwandtschaftsverhältnisses zwischen beiden, das langjährige freundschaftlich-vertrauensvolle Geschäftsverhältnis zwischen den Sanseverino und den Medici-Bartolini, das mit der die Medici-Interessen behauptenden Bartolini-Bank bzw. -Familie - die nota bene zum Kreis der engsten Getreuen der exilierten Medici zu zählen ist! - sogar noch entscheidend vertieft wurde: zu erinnern ist daran, daß Federico Sanseverino seine großen savoyischen Benefizien an Gherardo und Lorenzo Bartolini übertrug, daß er deren Bruder Leonardo die komplette Finanzverwaltung seiner Bistümer und Abteien anvertraute. Diesem hatte Federico zudem Ende September 1510, als Leonardo sich längere Zeit in Mailand aufhielt, auch die Verwaltung der Güter seiner bei Mailand gelegenen Zisterzienserabtei Morimondo übergeben; als Julius II. diese Abtei im Februar 1512 dem Medici-Kardinal gab, beauftragte dieser seinen Bankier und Prokurator Leonardo di Zanobi Bartolini sowie die Mailänder Bartolini-Bank, die Einkünfte aus der Abtei für ihn einzuziehen; im Dezember 1513 bewilligte Leo X. Gherardo Bartolini und seinen Brüdern diese Einnahmen, doch ist schon in jenem Jahr und den folgenden auch Federico Sanseverino erneut an ihnen beteiligt; vgl. APB, Inventario delle pergamene, I, bolle 2, 27.9.1510; (attenenti alla famiglia) II, 1, 21.12.1513; Nr. 202, fol. l l v , 62r, 93v und öfter; SANUTO, I Diarii (wie Anm. 82), XIII, Sp. 470 (zu Julius II. und Morimondo); vgl. zum Gesagten auch oben S. 34-38 und Anm. 50-56. Der überlieferte briefliche Kontakt zwischen Federico Sanseverino und Giovanni de' Medici während des Pisanum muß vor diesem hier nur zu skizzierenden Hintergrund interpretiert werden; die später als Wunder verklärte Befreiung des Medici aus der Gefangenschaft hat m.E. in eben diesen Verbindungen ihre realen Wurzeln, die nicht von ungefähr sofort nach Pontifikatsbeginn wiederum sichtbare Früchte trugen - aber auch schon vor der Wahl des Medici: der sich in Frankreich am königlichen Hof befindende, zum Schismatiker erklärte Sanseverino-Kardinal erfuhr über den von der Florentiner und Lyoner Bartolini-Bank beauftragten wie bezahlten Kurier Pietro di Borgho im Februar 1513 sowohl von der Krankheit seines Feindes Julius II. als auch von dem Tod des Papstes, um danach sofort über Lyon nach Italien zu reisen!; vgl. APB, Nr. 202, fol. 4v; Sanseverinos Aufenthalt am Hof im Januar und Februar 1513 und seine Abreise nach Italien über Lyon und Marseille ergibt sich auch aus SANUTO, I Diarii (wie Anm. 82), XV, Sp. 526f., 551, 554f.; XV, Sp. 11, 13, 33, 38, 58.

58

Götz-Rüdiger

Tewes

M e d i c i u n z w e i d e u t i g in e i n e m B r i e f v o m 31. M ä r z 1513, also nur w e n i g e T a g e nach der am 19. M ä r z erfolgten K r ö n u n g G i o v a n n i s , d e m F l o r e n z r e g i e r e n d e n G i u l i a n o de' M e d i c i , w i e man in V e r b i n d u n g mit einer energ i s c h forcierten p o l i t i s c h e n A n n ä h e r u n g an Frankreich den bereits in F l o renz b e f i n d l i c h e n Kardinal S a n s e v e r i n o unterstützt und ihn rehabilitieren will, dabei aber nicht z u schnell und zu o f f e n v o r g e h e n darf, u m mit B l i c k a u f d i e G e g n e r d e s S a n s e v e r i n o und der M e d i c i nicht in Mißkredit z u g e raten; w ä h r e n d B r i e f e G i u l i a n o s v o m M a i und Juni 1513 klar sein g r o ß e s E n g a g e m e n t für die Interessen Frankreichs und d e s S a n s e v e r i n o b e z e u g e n . 8 9 D i e s e s o f o r t i g e und g r u n d l e g e n d e A n n ä h e r u n g an Frankreich und

89 Zum Brief Giulios: AS Firenze, Carte Strozziane, ser. I, filza 3, fol. 210r-211r. Generell ging es in diesem Brief und in vorangegangenen Schreiben Giulios an Giuliano (vgl. etwa ebd. fol. 203r-205r/v) um die sehr erfolgreich verlaufenden Verhandlungen mit Frankreich, wo Roberto Acciaiuoli für Florenz und die Medici als Diplomat wirkte, sowie speziell um eine bestimmte pratica dello accordo universale, die Leo X. auf jeden Fall wollte. Giulio hebt dabei hervor, daß Giuliano in seiner Korrespondenz mit Frankreich die außerordentlich schwierige Situation des Papstes berücksichtigen müsse, der die Christenheit in jeder Hinsicht in tiefer Zerrissenheit vorfinde. Man sei für alle künftigen Aufgaben auf den französischen König und die französische Nation angewiesen, dürfe aber auch nicht jene Kräfte verprellen, die sich mit Leos Vorgänger verbunden hätten; darüberhinaus gelte es mit viel Diskretion, considerare lo stato dela citta nostra et Ii oblighi antiqui di Francia et nuovi con altri. Trotz aller gebotener Vorsicht dürfte Giuliano jedoch gegenüber dem französischen König freimütig das Wohlwollen des Papstes äußern, allerdings: senza dare ne scripta ne copia\ Weitgehend im Geheimen mußten also diese frühen Verständigungen mit Frankreich verlaufen, und sie waren unmittelbar mit dem Schicksal der beiden in Florenz zurückgehaltenen schismatischen Kardinäle Bernardino Carvajal (der eigentlich erklärtermaßen als Anhänger des Kaisers agierte, nun aber für die französische Sache stand) und Federico Sanseverino verflochten, von denen aber nur letzterer die politische Ebene der päpstlich-französischen Allianz in dauerhafter Weise verkörperte. Denn direkt im Anschluß an jene allgemeinen Anweisungen an Giuliano klärte Giulio ihn auf, wie der Papst die Problematik mit den beiden Kardinälen beurteilte. Leo X. habe nicht gewollt, daß die zwei Kardinäle so schnell nach Rom kämen, um nicht gezwungen zu sein, mit Blick auf die Würde des Hl. Stuhls harte Maßnahmen gegen sie ergreifen zu müssen. Nicht zuletzt wegen der gegenseitigen Zuneigung, als man im jugendlichen Alter war (was nur auf Sanseverino bezogen sein kann), habe er gewollt, daß sie dort (in Florenz) verblieben und sich in Kleidung und Benehmen so verhielten, daß sie Gnade verdienten. Dies sei umso wichtiger, als die Begnadigung mit dem Kardinalskollegium und den Alliierten abgesprochen werden müßte, die sich dazu nicht verpflichtet fühlten. Giulio kam dann wieder auf die Verhandlungen mit dem König zurück und betonte, daß man dessen Botschafter gern empfange, besonders wenn er bestimmte Versprechungen bringe. Darüberhinaus habe der Papst - und das ist eine ganz erstaunliche Maßnahme angesichts der politischen Lage und der bisherigen Urteile in der Forschung - angeordnet, che per la via di Genua si aprino le strade accio che possino venire liberamente et fanti et lettere et faccende et prelati et chi vorra venire o alle expeditione o al concilio [laterano] a fine che tutto'l mondo intenda, quäle e lo animo suo

Die Medici und Frankreich im Pontiflkat Leos X.

59

U m k e h r u n g der Politik v o n Julius II. ist in der F o r s c h u n g nicht nur nicht g e s e h e n , sondern v ö l l i g g e g e n s ä t z l i c h g e w e r t e t worden. 7. Der Medici-Papst

und Frankreich:

Verständigungsgründe

W i e die V e r s t ä n d i g u n g im e i n z e l n e n verlief, ist noch w e i t g e h e n d unklar. D a ß e s sie gab, daß sie konkrete E r f o l g e zeitigte, ist unabweisbar. L e o nardo Bartolini als der für die F i n a n z e n d e s P a p s t e s m a ß g e b l i c h e M a n n hätte nicht bereits i m Juni 1513 als B ü r g e und Bankier die Servitienzahl u n g e n für die f r a n z ö s i s c h e n Prälaten ü b e r n e h m e n können, w e n n es k e i n e g r u n d s ä t z l i c h e E i n i g u n g g e g e b e n hätte. Er, der die i m m e n s e n A u s g a b e n , die mit d e m P o n t i f l k a t auf das H a u s M e d i c i z u k a m e n , zu einem g r o ß e n Teil aus e i g e n e r T a s c h e bestritt b z w . mit Krediten finanzierte, der die A n sprüche der z a h l r e i c h e n Gläubiger w i e eine r i e s i g e Last a u f s e i n e Schultern verso il Re et verso il Regno\ Im Gegenzug müsse der König das Laterankonzil und die päpstliche Würde anerkennen. Man kann angesichts dieser Quelle kaum den Eindruck vermeiden, daß Leo X. Ende März 1513 Ludwig XII. von Frankreich bei seinem Plan einer Rückeroberung Mailands nicht nur ermuntert, sondern sogar dazu aufgefordert hat. Zur Sache vgl. etwa L. S I M F . O N I , Le signorie, 2 Teile Milano 1 9 5 0 , hier S . 8 1 0 - 8 1 2 (exemplarisch die irrige Behauptung eines Hasses des Medici gegen Frankreich). Zur Wiedereinsetzung der beiden Kardinäle vgl. auch M I N N I C H , The Healing of the Pisan Schism (wie Anm.

15), S.

103-111.

Die Briefe Giulianos sind überliefert in BNC Firenze, Ginori Conti 2 9 / 4 1 . Aus Rom schrieb er z.B. am 5. und 8. Mai über die Sache der beiden Kardinäle, denen er immer seine volle Unterstützung versprochen habe und die sich seines erfolgreichen Einsatzes für sie an der Kurie sicher sein könnten. Schon damals ging es konkret auch um eine von Spanien zu billigende Rückeroberung Mailands durch Frankreich, die Giuliano unterstützte, aber - wie eben auch der Papst und Giulio de' Medici - nicht mit Nachteilen für Florenz und das Medici-Papsttum behaftet sehen wollte. (Dies hatte z.B. Niccolò Michelozzi für Florenz befürchtet, den Giuliano am 10.5. wegen eines „kontraproduktiven" Einsatzes harsch tadelte, da der Papst und er, Giuliano, bessere Informationen hätten, nach welchen Florenz und der Kirchenstaat bei einer Eroberung Mailands durch die Franzosen nicht zu leiden hätten. Und man wird hinzufügen dürfen: von den Franzosen in Mailand wird auch die dortige Bartolini-Bank profitiert haben, mit der Leo X., die Sanseverino und alle Bartolini in unterschiedlicher, aber intensiver Weise verbunden waren!) Freilich fühlte man sich schon der Ehre wegen zu einer Rücksichtnahme auf die Spanier verpflichtet - per haversi operato a benefìtio nostro nel 'entrare in casa; vgl. ebd. die Briefe vom 9 . und 1 0 . 5 . 1 5 1 3 . Bezeichnend für die langen und tiefen Bindungen des Sanseverino zu den Medici, daß er nach seiner Abreise aus Frankreich (zusammen mit Carvajal) König Ludwig XII. drängte, Giuliano de' Medici zum Ritter des Michaelsordens zu ernennen, und daß er nach seiner Restitution als Kardinal dem Papst am Festtag von Peter und Paul allein und demonstrativ beim Hochamt ministrierte; vgl. Lettres du roy Louis XII avec plusiers autres lettres, Mémoires et Instrucüons écrites depuis 1504 jusques et compris 1514, vol. I-IV, Brüssel 1712, hier IV, S. 105, 172 (aus Briefen des Jacques de Banissis bzw. Jacques Annocque an Margarethe von Österreich).

60

Götz-Rüdiger

Tewes

g e l a d e n hatte, er wird, er m u ß die F r a n k r e i c h - A l l i a n z aus seinen B e d ü r f n i s s e n heraus kräftig g e f ö r d e r t haben. 9 0 D e n n außerhalb d e s K i r c h e n s t a a t e s (und w o h l mit e r h e b l i c h e n E i n s c h r ä n k u n g e n des Florentiner Territoriums) b e s a ß er nur in Frankreich d i e M ö g l i c h k e i t der E i n f l u ß n a h m e a u f die ras c h e R ü c k z a h l u n g seiner Kredite. D a b e i ist zu berücksichtigen, daß B a r t o lini außer j e n e n unmittelbar mit f r a n z ö s i s c h e n Spiritualienzahlungen verk n ü p f t e n K r e d i t e n v o n i n s g e s a m t 3 5 . 0 0 0 K a m m e r g u l d e n d e m Papst g l e i c h in d e n ersten M o n a t e n d e s M e d i c i - P o n t i f i k a t e s die e n o r m e S u m m e v o n 4 9 . 4 8 0 K a m m e r g u l d e n in prompta et numerata pecunia zur V e r f ü g u n g g e s t e l l t hatte! 9 1 S o m i t ist e s L e o n a r d o Bartolini, der nach der Wahl G i o v a n n i s z u m Papst das g r ö ß t e P r o b l e m zu l ö s e n hat: die b e ä n g s t i g e n d leeren K a s s e n der M e d i c i , seiner V e r w a n d t e n . Er regelt die F i n a n z i e r u n g der a u f w e n d i g e n

90 Vgl. BNC Firenze, Ginori Conti 29/92 (6), Nr. 11 (1.5.1513 - die Kredite für Leo X.: sono denari, che sono usciti di borsa mia\); und bes. Nr. 22 (3.12.1513: et i carichi, che mi sono dati del tenere in mano i denari di cotesti creditori, sono contro a ragione et molte volte interviene che uno è condemnato a torto et se bene io sono suto ministro ad fare dare le robe et denari quando ero costi, non sono pero obligato a nessuno satisfare di mio et per fare offitio di huomo da bene per conservare le honore a chi tocha et conservare quelli creditori, costa sa Jacopo Salviati che si è trovato presente et mezano tutte le opere mia et potrarmi fare fede la fatica ne ho durata et che assegnamenti io ne ho hauti, li quali sono tutti in pie et Jacopo prefato lo sa che ne participa per due. V". et vi può certificare, che per conservare le sopradette cose io sono in sull'i interessi di qualche miglioro di due. non possendo con li detti assegnamenti soplire, quali la maggior parte sono in piedi et se nessuno di quelli creditori ne vuole, sono per consegnarli ad ogni suo piacere, et cosi offerite ne mi da brigha lo faccino intendere ad chi piace loro et in tutte le actione mia si troverà, che io ho fatto offitio di huomo da bene et non mi godo niente di quello di persona et hocci messo del mio come ad chi 'l vorrà vedere posso monstrare [...]; vgl. auch B U L L A R D , Mercatores Florentini (wie Anm. 6), S . 67, Anm. 68; D I E S . , Filippo Strozzi (wie Anm. 6), S. 96, Anm. 14; T E W E S , Römische Kurie (wie Anm. 4 ) , S. 291. 91 ASV, Cam. Ap., Div. Cam. 63, fol. 246r/v; Intr. et Ex. 552, fol. 34v (ad introitum a Leonardo Bartholino), 69v (ad exitum vero Sanctissimo Domino Nostro)'. Diese Summe von gut 50.000 Gulden hatte Bartolini dem Papst bis zum 15.8.1513 für dessen persönliche Bedürfnisse zur Verfugung gestellt bzw. gleich für diesen an verschiedene Kaufleute weitergeleitet; mit einem Motuproprio vom 25.5.1514 wurde Leonardo mit der genannten Summe auf der Kammer als Gläubiger registriert, der Betrag sollte aus den introitus ipsius camere spirituales et temporales beglichen werden und wurde am 21.7.1514 durch den Thesaurar verbucht. Die genaue Einnahmequelle wurde aber nicht angegeben. Die in Leonardos Brief vom 3.12.1513 (vgl. oben Anm. 90) angesprochene Last von mehreren Tausend Dukaten, die er als persönlichen Kredit dem Papst gegeben habe, wird sich auch auf diesen Kredit beziehen. Fragmentarische Hinweise zu den Finanzaktivitäten Bartolinis an der Kurie bei M E R C A T I , Frammenti (wie Anm. 11), hier S. 41f., Anm. 7.

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

61

Krönungsfeierlichkeiten; 92 er bewertet im März 1513 in der Wir-Form den massenweisen Andrang von Florentiner Bittstellern: Selbst wenn wir nur zehn Prozent dieser Brigade zufriedenstellen würden, wären wir bald bankrott.93 Von der Finanzmisere des Medici ist nicht zuletzt er betroffen. Mit der Freude über die Restitution der Medici in Florenz verknüpft sich die Sorge, wie seine bisherigen Kredite für den Kardinal und jungen Papst zu tilgen seien. Fast selbstverständlich fällt sein Blick auf die toskanische Metropole: Aus dem Florentiner Haushalt sollen Leos bisherigen Schulden an ihn beglichen werden. 94 Er wird diese Möglichkeit zusammen mit Giovanni und Giulio auf ihre Praktikabilität abgewägt haben. Schnell müssen sie auf eine viel bessere, früher ja schon intensiv praktizierte und mit Blick auf die Lyoner Bartolini-Bank - sowie vermutlich einer vorausschauenden Einbeziehung der Mailänder Bartolini-Filiale! - bestens umzusetzende Lösung gekommen sein: Frankreichs immenses, auf seinen Kirchen beruhendes finanzielles Potential! Die hiermit zwangsläufig verbundene politische Dimension war für Leonardo Bartolini keine fremde Welt; er hatte seine politischen Fähigkeiten mehrfach unter Beweis gestellt und wäre ohne sie wohl kaum der Bankier des mächtigen Medici geworden. Seine Briefe während der Exilszeit demonstrieren Einsicht und eigenständige Initiativen bei politischen Fragen. 95 So wundert es nicht, daß er schon am 16. September 1512 nach 92

Die Kosten wurden wesentlich durch einen Kredit über 75.000 Dukaten getragen, den Bartolini im Namen des Papstes im August 1513 von den Pächtern der Alaungruben bei Tolfa erhielt; vgl. O. MONTENOVESI, Agostino Chigi banchiere e appaltatore dell'allume di Tolfa, in: Archivio della R. Deputazione Romana di Storia Patria n.s. 3 (1937), S. 107-146, hier S. 109, 128f.; vgl. auch R O S E M A R Y D E V O N S H I R E J O N E S , Francesco Vettori. Fiorentine Citizen and Medici Servant (University of London Historical Studies 34), London 1972, S. 102 und Anm. 113. 93 Vgl. BNC Firenze, Ginori Conti 2 9 / 9 2 (6), Nr. 2 ; vgl. B U L L A R D , Filippo Strozzi (wie A n m . 6), S. 7 4 ; DEVONSHIRE JONES, F r a n c e s c o Vettori (wie A n m . 92), S. 100, 104;

TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 291. 94 BNC Firenze, Ginori Conti 29/92 (6), Nr. 11 (1.5.1513: aus den beim Entscheidenden oft nur angedeuteten Erläuterungen Bartolinis geht hervor, daß aus seiner borsa erhebliche Summen stammen, die eigenüich aus öffentlichen Mitteln hätten kommen müssen, weshalb eine Rückvergütung dal publico erfolgen müsse; daher sein Aufruf an Michelozzi als Verbindungsmann zur Florentiner Regierung: fatemene riborsare et pensate che 'l publico costi habbia ad essere dal papa bonificato in cose di maggiore inportanza)\ vgl. oben Anm. 90 und die angegebene Literatur. 95 Dies wird besonders anschaulich in einem aus Rom geschriebenen Brief Leonardos an Giulio de' Medici vom 18.12.1511, als er Giulio zwecks entsprechender Gegenmaßnahmen davon informiert, daß Luigi de' Rossi dem Bischof des süditalienischen Troia, Giannozzo Pandolfini (der damals offensichtlich in Konkurrenz zu Giovanni de' Medici trat), nicht nur überaus detailliert über die Angelegenheiten Giulios und Kardinal Giovannis, sondern vor allem über le cose di Toscana berichtet hatte - und hier hätte er et-

62

Götz-Rüdiger

Tewes

d e m E i n z u g d e s Kardinals Giovanni in F l o r e n z durch das n e u e M e d i c i f r e u n d l i c h e P a r l a m e n t in die B a l i a g e w ä h l t wurde, d o c h m u ß t e L e o n a r d o Bartolini das A m t für kurze Zeit in die H ä n d e G i u l i a n o de' M e d i c i s l e g e n , w e i l er fiir G i o v a n n i w i c h t i g e A u f g a b e n in R o m zu e r l e d i g e n hatte. 9 6 1516 w u r d e ihm gar als Säule der M e d i c i - R e g i e r u n g mit d e m A m t d e s Gonfaloniere di Giustizia das h ö c h s t e politische A m t in Florenz übertragen; 9 7 z u g l e i c h w i r k t e er - sein breites W i r k u n g s s p e k t r u m anreißend - e b e n s o als „ c o m m i s s a r i o d e l l e fabbriche" des P a p s t e s und übertrug - o f f e n b a r im K o n t e x t dieser F u n k t i o n - R a f f a e l aus d e m B e s i t z der Kanoniker v o n Sankt Peter ein S t ü c k Land an der V i a Giulia in der N ä h e der K i r c h e San G i o v a n n i dei Fiorentini in E m p h y t e u s e . 9 8 Wir w e r d e n , das G e s a g t e syn-

was zu viel geplaudert, offenbar um sich den Bischof gefällig zu machen, weshalb er, Leonardo, diese verräterischen Zeilen gestrichen habe, ohne damit bestimmte Andeutungen ganz vermeiden zu können; vgl. AS Firenze, Carte Strozziane, ser. I, 3, fol. 185r 186v, hier 186r. 96 Vgl. I L D E F O N S O DI S. L U I G I , Delizie (wie Anm. 7), S. 250f. Zu Leonardo Bartolini und dem bereits als Bankier in Lyon genannten Piero di Bernardo Bartolini als Mitgliedern der ersten Gruppe von Medici-Anhängern, die im September 1512 noch vor dem Kardinal de' Medici nach Florenz zurückkehrte, vgl. CERRETANI, Ricordi (wie Anm. 65), S. 287 und S. 289 (Giovanni de' Medici ernennt Leonardo am 18.9.1512 mit zwei weiteren Angehörigen der Familie zum Kommissar für die Verpflegung der noch bei Prato liegenden Truppen). Leonardo Bartolini wurde auch in eigens für die Medici angefertigten Listen über die ihnen unbedingt treuen und für Regierungsfunktionen geeigneten Aristokraten der einzelnen Quartiere für das von S. Maria Novella aufgeführt, neben z.B. Giovanni Tornabuoni, Jacopo Gianfigliazzi und Roberto Acciaiuoli; vgl. G I O V A N N I SILVANO, ,Vivere civile' e .governo misto' a Firenze nel primo Cinquecento (Il mondo moderno e contemporaneo 2), Bologna 1985, S. 122f., Anm. 19. Zur allgemeinen Problematik bei der Ämterbesetzung durch die neu restituierte Medici-Herrschaft vgl. etwa H. C. BUTTERS, Governors and Government in Early Sixteenth-Century Florence, 15021519, Oxford 1985, S. 187-225. 97 Vgl. R O S E M A R Y DEVONSHIRF. J O N E S , Lorenzo de' Medici, Duca d'Urbino „Signore" of Florence?, in: Studies on Machiavelli, hg. von M Y R O N P . G I L M O R E , Firenze 1972, S. 299-315, hier S. 305f.; BULLARD, Filippo Strozzi (wie Anm. 6), S. 34; BUTTERS, Governors (wie Anm. 96), S. 292f. 98 Vgl. GOLZIO, Raffaello (wie Anm. 65), S. 108-112 (Pachtvertrag vom 24.3.1520; Leonardo Bartolini hatte das Land vorher zu den gleichen Bedingungen in Emphyteuse gepachtet und übertrug es nun per cessionem auf Raffael; die im Regest Golzios angegebene Funktion Bartolinis als commissario delle fabbriche di Papa Leone ist anderen Quellen entnommen), S. 149f. (Notariatsakt vom 13.7.1523 wegen des von Raffael testamentarisch seinem Cousin Giovanni Battiferro überlassenen Grundstücks); zu Leonardo Bartolini als Baukommissar Leos X., der zwischen 1519 und 1520 mit Raffael zusammengearbeitet habe und der während des Pontifikates von Leo auch am Bau der Florentiner Nationalkirche San Giovanni dei Fiorentini beteiligt war, vgl. LINGOHR, Der Florentiner Palastbau (wie Anm. 7), S. 216.

Die Medici und Frankreich im Pontiflkat Leos X.

63

thetisierend, in Leonardo Bartolini eine der maßgeblichen handlungsleitenden Kräfte des Medici-Pontifikates sehen müssen. Doch Frankreich war nicht nur wegen seines finanziellen Potentials, wegen seiner geistlichen Einkünfte für die Medici der entscheidende Partner. Zugleich ging es um politische Erwägungen, die freilich von den ökonomischen nicht getrennt werden können: Wer war am besten geeignet, die Schutzmacht der Medici bei ihren dynastischen und politisch-territorialen Ambitionen zu bilden? Auch hier konnte sich aufgrund der kulturellen und politisch-guelfischen Traditionen sowie der auf wirtschaftlichen Bindungen aufbauenden politischen Interessen und Vertrauensverhältnisse nur Frankreich anbieten. In Spanien besaßen nicht die Medici, sondern die konkurrierenden Genuesen eine feste und traditionelle Basis; und selbst im aragonesischen Neapel fand die Medici-Bank wie gesagt weder (wirtschafts-) politische Unterstützung noch dauernden Erfolg. Und das Deutsche Reich spielte in dieser Hinsicht erst recht keine Rolle. Auf der anderen Seite konnten die Medici den Franzosen seit dem März 1513 etwas ganz Entscheidendes anbieten, das schon Ludwig XI. und Karl VIII. bei Lorenzo de' Medici erfolgreich und intensivst gesucht hatten: die Förderung königlicher Interessen in geistlichen bzw. benefizialen Angelegenheiten durch einen Papst, den nun aber die Medici selbst stellten. Die vom Papst verschafften Vorteile betrafen den König etwa bei Bistumsbesetzungen und seine ihm nahestehenden Amtsträger und deren Familien bei der Vergabe von Benefizien aller Art - hauptsächlich aber Priorate und Pfarrkirchen - sowie der Gewährung von Dispensen und vielfältigen Reservationsrechten von Pfründen. Hier profitierten beide: Das Königtum durch die Entlastung der Pensionskassen mittels geistlicher Institutionen in Frankreich und durch die materielle Absicherung und Bindung seiner Elite; das Papsttum durch hohe Einnahmen aufgrund von Gebühren und Kompositionen sowie durch die faktische Anerkennung seines geistlichen Jurisdiktionsprimates. Trotz vieler gegenteiliger Behauptungen bei den Zeitgenossen und in der neueren Forschung waren Frankreich und das Papsttum auf diesen Feldern in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die engsten Partner." Mit der Papstwürde in der Hand besaßen die Medici ungleich bessere Möglichkeiten, als sie unter Lorenzo de' Medici bestanden. Darüber waren sich beide Parteien im klaren, das wurde auch so gesagt und wird von uns noch genauer ausgeführt. Deshalb wollte Ludwig XII. 1513 explizit und früh die zwischen Ludwig XI. und Lorenzo de' Medici geknüpfte Allianz fortführen; deshalb kam es zu jener Union, die der Diplomat Claude de 99

Umfassend und differenzierend dargestellt bei Anm. 4).

TEWES,

Römische Kurie (wie

64

Götz-Rüdiger

Tewes

Seyssel schon im Sommer 1513 mit dem schönen Bild umschrieb, die reinen Lilien von Frankreich, wie sie nur der König trage, sollten nun zwischen die Falle der Medici eingefügt werden, dekoriert und überwölbt durch die päpstliche Tiara. 100 Dieser neue Körper wurde getragen durch die miteinander verbundenen Kräftefelder in Rom, Florenz und Frankreich. Aus ihm heraus erwuchs schon im September und Oktober 1513 die Lösung der Pisaner Konzilsproblematik, die bezeichnenderweise, aber zum verständlichen Erstaunen Englands und Deutschlands, die völlige Absolution des französischen Königs beinhaltete und die Schuld der römischen Kurie unter Julius II. zuwies, der als Opfer schlechter Ratgeber bezeichnet wurde, sowie dem Kaiser. 101 Dafür willigte der französische König ein, daß er und alle Teilnehmer des Pisanum dem schismatischen Konvent entsagen und dem Laterankonzil beitreten würden. Der Papst wiederum wollte die vom Pisanum vergebenen höheren Benefizien nachträglich in päpstliche umwandeln, sofern der König der Provision zustimmte; die entsprechenden niederen Benefizien konnten nach einer abiuratio Conciliabuli Pisani entweder vom ordentlichen Kollator in partibus oder ebenfalls durch päpstliche Provision vergeben werden. Doch muß Ludwig XII. schon spätestens im Juni 1513 die Provision höherer Benefizien durch den Papst genehmigt haben, wie die frühen, oben genannten Servitienzahlungen Leonardo Bartolinis für diese Providierten beweisen. 102 Konsequent war denn auch das Mandat Ludwigs XII. vom 26. Oktober 1513, in welchem er die Sendung von Delegierten nach Rom ankündigte, die über die Pragmatische Sanktion von Bourges verhandeln sollten, denn faktisch hatte man schon 1513 das im Konkordat von Bologna 1516 verhandelte Ergebnis vorweggenommen bzw. die unter Ludwig XI. begonnene, 1510 bis 1512 unterbrochene Rompolitik erneuert. 103

100 Y G [ C A V I G L I A , Claudio di Seyssel (wie Anm. 16), S. 269 (igigli di Franza puri et senza alchuna differentia come Ii porta el Re solo et non altro ... inserti tra le palle dei Medici decorati et obombrati de la tiara papale). 101 Grundlegend: M I N N I C H , The Healing of the Pisan Schism (wie Anm. 15), bes. S. 111-131, 150f.; vgl. T E W E S , Römische Kurie (wie Anm. 4 ) , S. 285-290 (Lit ). Die maßgeblichen Vermittler waren - wie oben ausgeführt (s. S. 20f.) - auf französischer Seite der Savoyer Claude de Seyssel, der dem französischen König wie den Medici eng verbundene Diplomat, sowie der Kardinal Federico Sanseverino, wobei Giuliano de' Medici ebenfalls die französische Sache unterstützte. 102 Vgl. oben S. 41 und Anm. 61. 103 Zu dem königlichen Mandat vom 26.10.1513, dem Anfang Oktober 1514 der Vorschlag Ludwigs XII. folgte, die Pragmatische Sanktion (wie bereits unter Ludwig XI. 1472 geschehen) durch ein Konkordat zu ersetzen, vgl. M I N N I C H , The Healing of the Pisan Schism (wie Anm. 15), S. 15 lf. Ausführlich zur gesamten Thematik: T E W E S , Römische Kurie (wie Anm. 4), passim.

Die Medici und Frankreich

im Pontißkat

Leos X.

65

III. Die Allianz Wir wenden uns nun ganz dem Pontifikat Leos und damit dem dritten Teil zu, strukturieren dabei aber mehr nach sachlichen als chronologischen Aspekten. Beginnen wir mit der politischen Dimension, die in der Forschung die größte Aufmerksamkeit erhielt. Die Beurteilung der Politik des Medici fuhrt jedoch häufig deshalb zu Fehlinterpretationen, weil man den Inhalt diplomatischer Quellen unkritisch als Verlautbarung tatsächlicher Intentionen liest, ohne die oft genug dahinterstehende Fehlinformation der nicht zu den engeren Verbündeten zählenden Parteien zu erkennen und ohne die fundamentalen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, auf deren Grundlage auch der zeitweilige Anschluß an eine gegen Frankreich gerichtete Allianz keine generelle Abkehr von diesem Land bedeutete. Aufgrund vieler, bisher teils schon angesprochener Gründe konnte die politische und dynastische Zukunft der Medici, und hier standen sie fest auf Florentiner Boden, nur in einem Bündnis mit Frankreich liegen. In den Spaniern sahen die maßgeblichen Mitglieder des Hauses Medici - bis auf wenige Ausnahmen wie Piero de' Medici vor Ende 1494 und Bernardo Dovizi da Bibbiena vor (spätestens) 1518 - weder frühere noch künftige Garanten ihres weiteren Aufstiegs; korrespondierend mit dem Phänomen, daß die Medici-Bank im spanischen Einflußbereich nie fester oder erfolgreich Fuß fassen konnte. Wenn man sich zeitweilig mit den Spaniern verbündete, dann aus taktischen Erwägungen politischer Klugheit oder aus zwingender Notwendigkeit wie 1512 bei der Rückkehr nach Florenz und später unter einem allzu mächtigen Kaiser Karl V. 1 0 4

104 Bezeichnend für die Grundhaltung ist das Zeugnis eines Medici-Getreuen (des Aloisius Guicci) vom 31.8.1517, als man während der Kämpfe um das Herzogtum Urbino auf spanische Truppen unter dem Vizekönig angewiesen war, in diesen aber keine natürlichen Verbündeten sehen konnte; vgl. AS Firenze, Carte Strozziane, ser. III, filza 109, Nr. 89. Guicci beklagte sich gegenüber Federico Strozzi, daß der Vizekönig sich nicht an die vertraglichen Bestimmungen halte; u.a. solle er das Medici-Territorium und das der Kirche verlassen, sonst trage er pericolo della vita. Noi habbiamo sempre intexo, che questo Vice Re va barando et che è un ribaldo. In der Medici-Partei galt der spanische Vizekönig also als ein Betrüger und Schurke; und die Anhänger der Medici hatten nicht nur hier merkliche Schwierigkeiten, ihn jetzt als Alliierten anzuerkennen. Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext ebenso das fast völlige Fehlen wirtschaftlicher Beziehungen zum aragonesischen Königreich Neapel, wo die Medici-Bank massiv behindert wurde, und zur Iberischen Halbinsel; vgl. PICOTTI, Leone X (wie Anm. 53), S. 561; DE ROOVER, Rise and Decline (wie Anm. 28), S. 254-261. Traditionell enge Wirtschaftsbeziehungen nach Süditalien und Spanien pflegten die Konkurrenten aus Genua; vgl. TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 99, Anm. 27, S. 304, Anm. 4, S. 318, Anm. 42 (Lit ). - Zum dezidiert prospanischen und - in konsequenter Analogie - an-

Götz-Rüdiger

66 1. Das

Tewes

Attentat

D i e g r u n d l e g e n d e D i s t a n z zu den spanischen R e i c h e n ist sehr w a h r s c h e i n lich durch e i n e n V o r g a n g verschärft w o r d e n , der in d i e s e m K o n t e x t o f f e n s i c h t l i c h n i e thematisiert wird: die V e r s c h w ö r u n g v o n 1 5 1 6 / 1 7 g e g e n L e o X . und der m i ß g l ü c k t e G i f t a n s c h l a g a u f ihn. 1 0 5 D e n n das v o n d e m S i e n e s e r Kardinal A l f o n s o Petrucci im S o m m e r 1 5 1 6 angezettelte Attentat w u r d e a l l e m A n s c h e i n nach m a ß g e b l i c h v o n den Spaniern gefördert, u m damit z u g l e i c h d i e v o r h e r mit ihnen verbündete, nun aber unter der K o n t r o l l e der M e d i c i s t e h e n d e R e p u b l i k Siena erneut unter ihre Vorherrschaft zu bringen. Petrucci konspirierte z u s a m m e n mit s e i n e m Bruder, der in N e a p e l w o h n t e ; die Spanier traten dabei als Schutzherren d e s S i e n e s e r Kardinals a u f und b e r e i t e t e n mit ihm und den anderen V e r s c h w ö r e r n die R ü c k e r o b e r u n g S i e n a s auch n o c h nach d e m S e p t e m b e r 1 5 1 6 vor, als der durch e i n e n Arzt d u r c h z u f ü h r e n d e Gifitanschlag f e h l s c h l u g ; eine w i c h t i g e Stütze

tifranzösischen Wirken des Bernardo Dovizi da Bibbiena vgl. MONCALLERO, IL cardinale Bibbiena (wie Anm. 82), etwa S. 374-386, 397f., 403, 408-423; erst 1518 habe Bibbiena mit seiner Legation nach Frankreich (zu ihr ebd. S. 463-493) seine Haltung gründlich geändert - wie mir scheint, möglicherweise aber auch schon 1517 vor dem Hintergrund der Petrucci-Verschwörung (denn ohne eine schon einige Zeit bestehende politische „Konversion" Bibbienas hätten ihn die Medici in dieser entscheidenden Phase kaum zum Legaten für Frankreich ernannt); vgl. zur prospanischen Politik Bibbienas ferner etwa HILDE REINHARD, Lorenzo von Medici, Herzog von Urbino, 1492-1515. Ein biographischer Versuch unter besonderer Berücksichtigung der Vermittlerrolle Lorenzos zwischen Leo X. und Franz I. von Frankreich im Jahre 1515, Diss. Heidelberg, Freiburg/Br. 1935, S. 36f., 42. Die profranzösische Fraktion im Haus Medici wurde hingegen - so Moncallero, der die Interessen und die Bedeutung der Bartolini nocht nicht kannte - vor allem von Giulio und Giuliano de' Medici sowie von Alfonsina Orsini angeführt; MONCALLERO, a.a.O., S. 377f. Auffallig und bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß - wie aus entsprechenden Briefen in atmosphärischer Dichte deutlich wird - Leonardo Bartolini zu Giulio de' Medici offenkundig ein wesentlich besseres Verhältnis besaß als zu Bibbiena, der auch kaum in die geschäftlichen Konsequenzen der profranzösischen oder einer möglichen prospanischen Allianz eingeweiht gewesen zu sein scheint; vgl. etwa die von gereizten Vorwürfen geprägten Äußerungen Bibbienas über Bartolini in: AS Firenze, Carte Strozziane, ser. I, filza 5, doc. 26 (17.10.1511); von MONCALLERO, Epistolario (wie Anm. 86), nicht aufgenommen! 105

Einschlägig zu dieser Verschwörung: ALESSANDRO FERRAJOLI, La congiura dei cardinali contro Leone X (Miscellanea della R. Società Romana di Storia Patria 7), Roma 1 9 1 9 ; v g l . f e r n e r d i e ä l t e r e n A u s f ü h r u n g e n v o n LUDWIG FREIHERR VON PASTOR,

Ge-

schichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance und der Glaubensspaltung von der Wahl Leos X. bis zum Tode Klemens' VII. (1513-1534) (Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters 4), I: Leo X., 5.-7. Auflage Freiburg/Br. 1923, S. 116-134; sowie FABRIZIO WINSPEARE, La congiura dei cardinali contro Leone X (Biblioteca dell'Archivio Storico Italiano 5), Firenze 1957; und neuestens GATTONI, Leone X (wie Anm. 2), S. 187-213.

Die Medici und Frankreich im Pontiflkat

LeosX.

67

w a r e n ihnen die mit den M e d i c i , Orsini und S a n s e v e r i n o v e r f e i n d e t e n , aber mit den A r a g o n e s e n v e r b ü n d e t e n C o l o n n a . 1 0 6 A l s alles e n t s c h e i d e n d aber erscheint, daß die v o n mehreren Kardinälen und v o n M i t g l i e d e r n der Fam i l i e D e i l a R o v e r e g e t r a g e n e V e r s c h w ö r u n g die P a p s t e r h e b u n g d e s Kardinals R a f f a e l R i a r i o z u m Z i e l hatte. D i e s e r mit den D e i l a R o v e r e v e r w a n d t e Riario w a r aber nicht nur ( w e n n auch v e r m u t l i c h u n s c h u l d i g ) Z e u g e des Attentats der P a z z i a u f L o r e n z o il M a g n i f i c o und seinen dabei e r m o r d e t e n B r u d e r G i u l i a n o g e w e s e n ; er b e s a ß vor allem - w a s L e o X. bekannt g e w e sen sein m u ß - die e n g s t e n persönlichen, p o l i t i s c h e n und b e n e f i z i a l e n V e r b i n d u n g e n nach S p a n i e n ! 1 0 7 J e d e m Kenner der Kurie m u ß t e klar g e w e s e n

106

Zu den Verschwöreren gehörte Prospero Colonna; in dem Colonna-Stammsitz Genazzano fand Alfonso Petrucci Zuflucht. Zu der Feindschaft der Colonna zu den Sanseverino, Orsini und Medici siehe meinen Hinweis unten Anm. 203. 107 Vgl. TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 73f„ 103f„ 317-319, 327 (z.B. war Girolamo Riario, Statthalter in Imola und - nicht zuletzt als einer der maßgeblichen Hintermänner beim Pazzi-Attentat - einer der Todfeinde Lorenzo de' Medicis, sogar ein angeheirateter Verwandter von König Ferdinand von Aragon; der im Dienste von Raffael Riario stehende Jacobus Cardellus - aus einer Familie aus Imola, die im Dienst der Riario stand - wirkte in Rom für die Katholischen Könige und wurde von diesen naturalisiert; der ebenfalls für die spanischen Angelegenheiten agierende Raffael Riario schließlich besaß außer italienischen vor allem spanische Benefizien (offenbar keine französischen!), darunter auch das ihm vom König zugebilligte Bistum Salamanca. Auf die umfangreiche Literatur zu der zugleich von den Deila Rovere und Riario getragenen Pazzi-Verschwörung kann hier nicht eingegangen werden; auffallend ist jedoch, daß man bei der Verhaftung des Raffael Riario Ende Mai 1517 zunächst vermutete, Leo X. habe sich dabei mit Blick auf das Pazzi-Attentat von alter Rache leiten lassen; vgl. PASTOR, a.a.O. S. 122. Doch in allen einschlägigen Untersuchungen zur Verschwörung bis hin zu der von Gattoni ist die tiefere Bedeutung des geplanten Attentats, nämlich in seinen Folgen für Spanien, das von einem Riario-Papst nur profitieren konnte, nicht erkannt worden. Gattoni versucht vielmehr trotz unverkennbarer Belege für die spanische Unterstützung der Verschwörer die Beteiligung der Aragonesen und den beabsichtigten Giftanschlag herunterzuspielen, interpretiert die in Anfuhrungszeichen gesetzte „congiuratio" gar als eine machiavellistische Konstruktion der Medici (S. 208f), die dem Ziel gedient habe, das faktisch neu erworbene Siena generell und besser halten zu können. (Immerhin wies Gattoni auf Motive der Spanier hin, denen die von Leo X. verweigerte militärische Hilfe 1515 im Kampf gegen Franz I. und der zwischen dem Papst und Frankreich im Oktober 1515 geschlossene Vertrag von Viterbo ein Dorn im Auge gewesen seien; vgl. GATTONI, Leone X [wie Anm. 2], S. 188.) Eine zeitgenössische, die Rolle des Riario recht deutlich unterstreichende Beschreibung: BARTOLOMEO CERRETANI, Dialogo della mutatione di Firenze, a cura di RAUL MORDENTI (Temi e testi, nuova serie 34), Roma 1990, S. 119-121. Leonardo Bartolini, satellite di Papa Leone, war im übrigen bei der Hinrichtung von zwei Handlangern der Verschwörer - des Marc'Antonio Nini und des Arztes Battista da Vercelli, der im Zuge der Kurierung der Fistel Leos X. das Gift verabreichen sollte - am 25.6.1517 beteiligt, als er die auf einem Karren durch Rom geführten

68

Götz-Rüdiger

Tewes

sein, daß mit einem Papst Raffael Riario die gesamte bisher auf Frankreich ausgerichtete Kurienpolitik entschieden und nachhaltig zugunsten der spanischen Interessen geändert worden wäre. 2. Mailand Die (gewollte) Notwendigkeit, sich Frankreich als Protektor anzuschließen, wurde durch die französischen Kämpfe um das Herzogtum Mailand für die Medici trotz der oft beklagten, vermeintlich janusköpfigen Diplomatie Leos X., vornehmlich in den Jahren 1514/15, sicherlich eher verstärkt als relativiert, denn eine Feindschaft der Franzosen, wie sie Julius II. bewirkte und in Kauf nahm, konnte sich der Medici-Papst schon aus kirchenpolitischen und finanziellen Gründen überhaupt nicht erlauben. 108 Dies galt insbesondere nach dem Sieg Frankreichs über die für unbesiegbar gehaltenen Schweizer in der Schlacht von Marignano am 14. September 1515, welcher die Rückeroberung des im Sommer 1512 verlorenen Herzogtums Mailand für Frankreich bedeutete. Auch wird man an der gängigen Behauptung zweifeln müssen, Leo X. habe zur Sicherung von Parma und Piacenza im Vorfeld von Marignano ganz auf das Schweizer Pferd und das antifranzösische Bündnis gesetzt, während sein Neffe Lorenzo und sein Bruder Giuliano mehr auf Ausgleich mit den Franzosen gedrängt hätten. Nicht zu bestreiten ist jedoch, daß Bernardo Dovizi da Bibbiena zum Ärger vieler im Haus Medici damals noch seine antifranzösische, prospanische Haltung kultivierte und mit Nachdruck gegen die Intentionen der für den Ausbau der Allianz mit Frankreich wirkenden Medici auf den Ab-

Delinquenten begleitete und am Reden hinderte, bevor die Hinrichtung und Vierteilung auf dem Platz vor der Engelsbrücke erfolgte; vgl. GATTONI, a.a.O., S. 221. 108 Zu erinnern ist an den Kreditvertrag zwischen Frankreich und Leonardo Bartolini bzw. Leo X., der den Papst in gewisser Weise erpressbar gemacht hatte, denn der französische König hätte nur - wie 1510-1512 geschehen - die Grenzen für die Benefiziaten seines Landes schließen müssen, um den Hausbankier des Papstes, aber darüberhinaus generell die auf Frankreichs Kirchen und Kleriker angewiesene päpstliche Finanzpolitik in elementare Schwierigkeiten zu bringen. Aus der umfangreichen Literatur zu den äußerst verwickelten, oft undurchschaubaren und hier nicht im einzelnen zu erörternden diplomatischen und politischen Vorgängen jener Jahre in Oberitalien vgl. hier nur SIMEONI, Le signorie (wie Anm. 89), S. 814-823 (sehr summarisch); gründlich, aber mit der Tendenz, Leo X. als Wahrer der „weltlichen und moralischen Unabhängigkeit des Heiligen Stuhles" darzustellen und von bestimmenden nepotistischen Motiven im politischen Handeln freizusprechen: PASTOR, Geschichte der Päpste (wie Anm. 105), S. 54100 (das Zitat auf S. 176 im Kontext der noch anzusprechenden Kaiserwahl); aus florentinischer Perspektive: BUTTERS, Goveraors (wie Anm. 96), S. 244-275; ferner GATTONI, L e o n e X ( w i e A n m . 2), S. 5 7 - 1 4 1 .

Die Medici und Frankreich im Pontifikat

LeosX.

69

schluß eines Bündnisses mit Spanien und dem Kaiser hinarbeitete. 109 Die Franzosen in Mailand waren für das Haus Medici das entscheidende Korrektiv zu den Spaniern im Süden und das Mittel zur Erhöhung des eigenen Hauses. Noch för das Frühjahr und den Sommer 1515 zeigen Dokumente, daß Leo den schon aufrüstenden Franzosen nicht - wie immer wieder zu lesen ist - zurückhielt, daß er dessen militärische Intervention in Italien 109

Zur Rolle des Bibbiena, des eigentlichen Architekten der im Februar 1515 vorläufig geplanten päpstlich-spanischen Allianz: MONCALLERO, II cardinale Bibbiena (wie Anm. 82), S. 403. Differenzierend zum gesamten Kontext: DEVONSHIRE JONES, Francesco Vettori (wie Anm. 92), S. 109-120. Auch bei PASTOR, Geschichte der Päpste (wie Anm. 105), S. 67-83, wird deutlich, daß Leo X. sich in den Jahren 1514 und 1515 bis zur neue Tatsachen schaffenden Schlacht von Marignano mehr als nur halbherzig an den verschiedenen Allianzen mit Spanien, dem Kaiser und den Schweizern zur Abwehr der Franzosen beteiligte - fast gezwungen durch die Weigerung Frankreichs, auf die Krone von Neapel zu verzichten, die Leo X. im Interesse des Kirchenstaates nicht akzeptieren konnte. Zur Verärgerung der Spanier über die fehlende Hilfe Leos im Jahr 1515 auch (knapp) GATTONI, Leone X (wie Anm. 2), S. 188, doch ohne dies in den vorausgehenden Ausführungen problemorientiert darzustellen. Bezeichnend für diesen päpstlichen Unwillen, offen gegen Frankreich zu kämpfen: Keine der verschiedenen Parteien wußte im Sommer 1515 von einer definitiven Unterschrift des Papstes auf einem entsprechenden Vertrag; und auch die Forschung fand keinen Quellenbeleg; vgl. immer noch PASTOR, a.a.O. S. 76, Anm. 2; und MONCALLERO, a.a.O., S. 409f. (der Papst habe die Liga mit Spanien und dem Kaiser nie abgeschlossen); zu den Verträgen des Papstes vom März und August 1515 mit Spanien, dem Deutschen Reich, der Schweiz und Mailand, in denen aber kein Angriff gegen die „Feinde" Frankreich und Venedig festgeschrieben war, siehe hingegen GATTONI, a.a.O., S. 111, 121 (doch ohne Erörterung, ob es sich um Vertragsentwürfe oder ratifizierte Verträge handelte). Ob Leo X. tatsächlich an eine Eroberung Neapels durch Frankreich glaubte, und ob ihn dies in die Arme der antifranzösischen Liga trieb, wie PASTOR, ebd. S. 74, annimmt, scheint mir sehr zweifelhaft. Denn viel eher fürchteten die Medici offenbar im Frühjahr 1515, daß der habsburgische Erzherzog Karl den neapolitanischen Thron besteigen könnte und hofften hier auf französische Hilfe; vgl. den instruktiven Brief des Gesandten in Frankreich, Lodovico Canossa, vom 23.4.1515, in: Documenti riguardanti Giuliano de' Medici e il Pontefice Leone X, a cura di TOMMASO GAR, in: Archivio Storico Italiano, Appendice 1 (1842-44), S. 291-324, hier S. 311-317. Der zweifellos am stärksten zu Spanien neigende Vertreter der MediciPartei, Kardinal Bernardo Dovizi da Bibbiena, wurde freilich von den Anhängern Frankreichs im Haus Medici wegen der daraus resultierenden Verantwortungslosigkeit und der desaströsen Folgen für die Medici auch hart kritisiert; vgl. etwa MONCALLERO, a.a.O., S. 414 (mit deutlichem Unverständnis für die Kritik); AS Firenze, MAP, filza 137, Nr. 652: Alfonsina Orsini am 11.8.1515 an ihren Sohn Lorenzo mit Blick auf Bibbienas antifranzösischen Einfluß an der Kurie: Dem Kauz Bibbiena dürfe nicht erlaubt werden, das Haus Medici ein zweites Mal in den Ruin zu treiben; man dürfe Pieros Fehler einer Opposition zu Frankreich nicht wiederholen, der den Medici 19 Jahre Exil eingebracht habe; außerdem sei Florenz der Krone Frankreich ergeben; vgl. hierzu auch DEVONSHIRE JONES, a.a.O. S., 114; keine Ewähnung dieser Kritik bei GATTONI, a.a.O. Zu Bibbiena siehe auch den Beitrag von Michael Fritz in diesem Band.

70

Götz-Rüdiger

Tewes

nicht - e t w a als W a h r e r d e s p o l i t i s c h e n G l e i c h g e w i c h t s o d e r gar „nationaler" U n a b h ä n g i g k e i t - fürchtete und zu verhindern suchte, sondern daß er ihn in F o r t s e t z u n g der seit 1513 i m m e r w i e d e r praktizierten Politik vielm e h r g e r a d e z u einlud, ihn drängte, Mailand zurückzuerobern, daß Franz I. aber e i n e n E i n m a r s c h z u m d a m a l i g e n Zeitpunkt aus militärischen E r w ä g u n g e n für nicht ratsam hielt, es bei g e e i g n e t e r G e l e g e n h e i t aber sofort tun de la detta impresa w ü r d e - et che quando guadagnasse il Papa, farebbe [die E r o b e r u n g M a i l a n d s ] quello che Sua Santità lo consigliasse ,110 Äußerst instruktiv wird d i e s e s zentrale, h a n d l u n g s l e i t e n d e A x i o m einer g a n z a u f Frankreich s e t z e n d e n M e d i c i - P o l i t i k in e i n e m B r i e f G i u l i o de'

no Ygi Documenti riguardanti Giuliano de' Medici (wie Anm. 109), S. 306-317 (9. und 23.4.1515, der Nuntius Canossa aus Paris an Giulio de' Medici), hier bes. S. 310, 313f: Eine genaue Lektüre zeigt, daß - anders als meist behauptet - der Papst es ist, der den Franzosen fast ungeduldig zum Einmarsch drängt, denn der zu äußerster Geheimhaltung angehaltene Canossa spricht im Namen des Papstes den König immer wieder auf la impresa di Italia an, und die französische Seite antwortet, daß man nichts anderes wolle und nicht zögere, sondern nur den geeigneten Augenblick abwarte, und daß man nach dem sicheren Erfolg die für beide Seiten beste Lösung finden werde (S. 310): Hoggi io sono stato con questa Maestà et con la Matre, li quali unitamente mi hanno detto che assai desideravano venire a particulari con N. S.; et che quanto a la impresa di Italia, non aspettavano se non occasione di poterla fare, et che Sua Maestà non havea altro desiderio se non questo, et che ogni hora che detta occasione venisse non la perderebbono, et fusse a qual si voglia tempo, ma che quando anche tale occasione mancasse, che era totalmente resoluto farla l'anno che viene [...] et intendendo Sua Santità li pensieri nostri et noi li sui, potremo resolverci a quello fusse il meglio. Und nochmals (S. 313f.): Quanto a la impresa di Italia, da pochi di in qua publicamente si dice per la corte et per li grandi, che il Cristianissimo è resoluto non la fare questo anno. Pure sempre a me ha detto Sua Meastà che non desiderava altra cosa che di fare la detta impresa, et che ogni occasione che li venisse la farebbe: ma che bene è vero, che stando le cose come stanno, li parea difficile farla hora; et che quando guadagnasse il Papa, farebbe de la detta impresa quello che Sua Santità lo consigliasse.) Wenn der Papst Frankreich energisch, gar drohend von einem Einmarsch abgeraten hätte, wären diese Äußerungen völlig unlogisch. Ebensowenig stimmt, daß Frankreich sich damals „schroff von dem Papst distanziert hätte (wie z.B. Pastor behauptet); man hatte lediglich (und berechtigterweise) das tollkühne Anliegen der Medici abgelehnt, den Papstbruder Giuliano auf den Thron von Neapel zu bringen und dann dessen Stellung an der Spitze eines „Hexenkessels" von Staat zu verteidigen; ebensowenig konnte Frankreich grundsätzlich auf den Anspruch auf Neapel verzichten, stellte aber dessen militärische Umsetzung als vorerst nicht realisierbar dar. Die Quellen dieser Monate zeigen vielmehr, daß beide Seiten sich wegen der Eroberung Mailands längst einig geworden waren, daß man sich dabei gegenseitig abstimmte, und daß Leos vorgebliche Teilnahme an der antifranzösischen Allianz eine aus taktischen Gründen erfolgte Farce darstellte. Im übrigen hatte der Papst König Ludwig XII. wahrscheinlich schon 1513 (s.o. Anm. 89), sicherlich 1514 zur Eroberung Mailands aufgefordert; vgl. PASTOR, Geschichte der Päpste (wie Anm. 105), S. 70, und S. 74 zur irrigen Interpretation der Canossa-Briefe aus dem Frühjahr 1515.

Die Medici und Frankreich im Pontiflkat Leos X.

71

Medicis vom 20. August 1515 an Giuliano de' Medici und Jacopo Salviati in Florenz erläutert und erklärt.111 Im Auftrag des Papstes bietet er diesen gleichsam ein Resümee der Frankreich-Beziehungen, um damit auch die offizielle Politik der Florentiner Signoria zu lenken: et per più chiara informatione vostra si repetirà un poco le cose passate ad ciò che la loro signorie sappino in che modo Sua Beatitudine si è governata et maxime in questa praticha di Francia. Am Beginn seines Pontifikates habe Leo X. le cose franzese in einem Zustand vorgefunden, der mehr Mitleid als Neid oder Angst erregte. Um den Franzosen Gunst zu erweisen, habe er noch vor Beendigung des vom Pisaner Konzil ausgelösten Schismas die schismatischen Kardinäle restituiert und den König mit seinen gallikanischen Prälaten absolviert und in die Kirche reintegriert. Giulio de' Medici und Leo X. sehen sich, sehen ihre päpstliche Politik demnach als ein von Sorge um Frankreich getriebenes Handeln; und auch in der Staatenpolitik begreifen sie sich gleichsam als Retter der bedrohten, armen Franzosen. Denn als man ferner gesehen habe, in welch großer Gefahr sich das französische Königreich durch die Kriege mit England, Spanien und der Schweiz befunden habe, habe der Papst seine Nuntien mit all seiner Autorität überallhin geschickt, um die Angriffslust zu mildern und um Frieden zu stiften. Sogar die Schweizer habe er davon überzeugen können, daß la ruina di Francia nur ihre eigenen Feinde groß machen würde. Bemerkenswert ist nun, daß Giulio in diesem Kontext seiner Wohltaten für Frankreich auch die kirchlichen Gunsterweise anspricht, die Leo X. bei päpstlichen Gnaden, Dispensen und der Besetzung von Benefizien di grandissima im-

111 Gedruckt: F R A N C E S C O N I T T I , Documenti ed osservazioni riguardanti la politica di Leone X, in: Archivio della R. Società Romana di Storia Patria 16 (1893), S. 181-231, hier S. 210-215. Hier eine ausführlichere Paraphrase des wichtigen Dokumentes, weil dieses nur im engsten Führungskreis der Medici zirkulierende Schriftstück im Gegensatz zu den diplomatiegeschichtlichen Quellen durch seine Subjektivität einen sehr anschaulichen Einblick in die wahren Motive und Ziele der Medici-Politik gibt, weil es von der Forschung zu wenig Beachtung fand und weil es eine focussierende Bestätigung der vorherigen und folgenden Entwicklung gibt. Die intensive Verständigung zwischen Leo X. und Ludwig XII. sowie der entscheidende Aspekt, daß der Papst den Franzosen - so explizit - stimuliert habe, a fare la impresa [die Eroberung Mailands], wird schon von Guicciardini hervorgehoben; vgl. GUICCIARDINI, Storia d'Italia (wie Anm. 46), III, S. 1173 (XII, 7). Der in dem Text ersichtliche Primat äußerster Geheimhaltung für das politische Handeln der Medici-Regierung wird - wie hier mehrfach durch Quellenzeugnisse zu betonen ist - auch bei anderen bedeutenden Ereignissen ersichtlich, nicht zuletzt bei den Verhandlungen zwischen Leo X. und Franz I. im Dezember 1515 in Bologna, bei denen u.a. das Konkordat zwischen diesen beiden Mächten erörtert und beschlossen wurde und von denen außer den an den Verhandlungen Beteiligten niemand etwas erfuhr; vgl. etwa PASTOR, Geschichte der Päpste (wie Anm. 105), S. 96f.; R. J. KNECHT, Renaissance Warrior and Patron: The Reign of Francis I, Cambridge 1994, S. 82.

72

Götz-Rüdiger

Tewes

portantia immer gratis und freiwillig zur Zufriedenheit und Ehre des Königs gewährt habe. Ausfuhrlich kommt Giulio sodann auf die französische Eroberung Mailands zu sprechen. König Ludwig XII. habe ihn 1514 von diesem Plan informiert und ihn um Unterstützung gebeten. Leo X. habe aus mehreren Gründen zugeraten: wegen der Absicht, als steuernde Kraft beteiligt zu sein; wegen der ewigen Verehrung der Florentiner und des Hauses Medici für Frankreich; wegen der Hoffnung, aus der schnellen und unblutigen Eroberung könnten honore et commodo publico et privato für jeden Beteiligten, also Frankreich und Papsttum(l), resultieren. Diese päpstliche Intention habe man freimütig, aber unter höchster Geheimhaltung bekannt gegeben. Doch hätten sich die Franzosen höchst undankbar erwiesen, perchè la decta impresa non si fece] Stattdessen hätten sie, um höhere Reputation zu erhalten und Zwietracht zu sähen, die Sache immer weiter hinausgezögert, bis die anderen Fürsten davon Notiz erhalten hätten - mit der Folge, daß der Papst dadurch in solch eine Gefahr geriet, daß er mehr als nur eine Nacht schlaflos blieb. Durch den Tod Ludwigs XII. und die Thronbesteigung von Franz I. seien die Voraussetzungen jedoch verbessert worden. Aufgrund der engen Verwandtschaft des Königs mit den Medici und aus Vernunftgründen habe der Papst nun entschieden auf Frankreich gesetzt und wünschte aus den genannten Motiven eine vollständige Vereinigung mit Franz I., der sich zusammen mit seiner Mutter dem Hl. Stuhl gegenüber äußerst ergeben gezeigt habe, der inständig die Konföderation suchte, und von dem er daher noch bessere Konditionen erhoffte als von Ludwig XII. Deshalb habe er den Bischof Lodovico Canossa als Nuntius nach Frankreich gesandt, um die Absichten und Wünsche der päpstlichen Seite darzulegen, doch habe der Papst seine Beteiligung von der Durchführung des Unternehmens noch im Jahr 1515 und - unter Androhung der Exkommunikation - von der absoluten Geheimhaltung abhängig gemacht. Aus zwei Gründen sei man freilich zornig auf den König. Zum einen habe er auf die päpstlichen Wünsche nicht so reagiert wie erwartet, zum anderen aber und vor allem habe Franz I. das unter dem Postulat der Geheimhaltung Geäußerte weitergegeben, z. B. an den Kardinal Federico Sanseverino und an seine beiden Botschafter in Rom. Der Papst habe dieses Verhalten des Königs auf seine Jugend und Unerfahrenheit als Monarch zurückgeführt und wie ein Liebender neue Verhandlungen aufgenommen, in welchen er u.a. den dauernden Besitz von Parma und Piacenza sowie einen Verzicht Frankreichs auf eine Eroberung Neapels zu Lebzeiten Ferdinands von Spanien forderte. Trotz der diffidentia zwischen Frankreich und dem Papsttum, die sich aus der Uneinigkeit bei den Verhandlungszielen ergab und die den Papst im Sommer 1515 auf die Seite der Liga zwang, habe Leo X. die Florentiner Regierung aufgefordert, Gesandte nach Frankreich zu

Die Medici und Frankreich im Pontiflkat Leos X.

73

entsenden, um als Vermittler in Anbetracht der immer noch existierenden animi uniti für eine Aufhebung der disitnione zu agieren und um Franz I. von den guten Absichten des Papstes zu überzeugen - doch sollten diese es geheim halten, per la importantia de le cose. Leo X. also ist unter Maßgabe größter, die eigene Sicherheit gewährender Geheimhaltung der Treibende, er rechnete früh, im Grunde seit Pontifikatsbeginn, mit einer Rückgewinnung Mailands durch Frankreich, hoffte sogar auf sie und wollte la impresa mitgestalten, um dabei möglichst stark die Interessen des Hauses Medici durch Frankreich fördern zu lassen; und er wäre kein Medici, wenn er nicht auch ganz praktische Interessen dabei verfolgt hätte. Es ging neben den territorialen Fragen, die sich um Neapel und die oberitalienischen Städte drehten, schon im April 1515 nicht zuletzt um das Salz aus dem an der Adria im Kirchenstaat gelegenen Cervia, das ein französisch gewordenes Mailand exklusiv zu einem angemessenen Preis importieren sollte - so wie es dann ja tatsächlich im Vertrag von Viterbo am 13. Oktober 1515 festgeschrieben wurde. 112 Man glaubt gar nicht, mit welchem Nachdruck dieser Punkt über Jahre hinweg in den diplomatischen Verhandlungen eine zentrale Rolle spielte. 113 112 Documenti riguardanti Giuliano de' Medici (wie Anm. 109), S. 315 (23.4.1515: Della cosa del sale ho parlato con Madama et con Robertet. In effecio concludono, che lassato il Reame, il Cristianissimo farà tutto quello che N. S. vorrà.). Wegen dieses wichtigen ökonomischen Aspektes hatte Canossa also damals - fast 5 Monate vor der tatsächlichen Eroberung - mit den beiden wohl wichtigsten Beratern des Königs gesprochen, mit der Königinmutter Luise von Savoyen (der Schwester von Giulianos Ehefrau Filiberta) und mit dem allmächtigen Florimond Robertet, dem Schatzmeister des Königs. Vgl. zu ihm C. A. M A Y E R , Florimond Robertet: Italianisme et renaissance française, in: DERS., Clément Marot et autres études sur la littérature française de la renaissance, Etudes réunies et éditées par T R E V O R P E A C H et P A U L I N E M. S M I T H , Paris 1993, S. 339-353 (Robertet durch seine Italienaufenthalte als wichtiger Förderer des italienischen Renaissancestils in Frankreich, sein Schloß in Bury gilt als einer der ersten reinen Renaissancebauten in Frankreich; zur Sache vgl. auch den Aufsatz von C. Tauber in diesem Band); K N E C H T , Renaissance Warrior (wie Anm. 111), s.v. 113 Ygi c t w a i Manoscritti Torrigiani, in: ASI 24 (wie Anm. 1), S. 211f. (der Vizekanzler Giulio de' Medici am 28.11.1518 an Bernardo Dovizi da Bibbiena als Kardinallegaten und Gesandten in Frankreich: La cosa de ' sali, capitulata et approbata da quella Maestà, come la passi et di che importanza sia, a V. S. non bisogna dirlo; che secondo lo scrivere vostro, havendone parlata più volte, dubitate che non se ne habbi fastidio. Et pure il Re è obbligato ad prestare favore che si possi condurre una certa rata di sale fuor di quello di Cervia; el quale essendo condocto in su li confini de lo stato dì Milano, basta la vista a ' Genovesi ad vietare a un Papa, coniunctissimo col Re di Francia loro Signore, che decto sale non vadi più avanti. Li Venitiani, che a le septimane passate volentieri ci facevono vendita di 4mila mogia (et non sife' il mercato perchè non si havea bisogno di tanta somma), adesso, che hanno inteso questa difficultà, o che da altri sono suti advertiti, non vogliono concedere di venderne mille. Sono pure cose strane che ne li

Götz-Rüdiger

74 3. Der

Vertrag

von Viterbo

/

Tewes

Mailand

E i n e n w e i t e r e n A u s d r u c k s e i n e s i n s g e s a m t p r o f r a n z ö s i s c h e n Taktierens stellt L e o s E n t s c h l u ß dar, s o w o h l im A u g u s t 1515 als auch am 2. S e p t e m ber, also e i n e i n h a l b W o c h e n v o r der Schlacht v o n Marignano, über seinen n e u e n V e r w a n d t e n H e r z o g Karl v o n S a v o y e n , den im S e p t e m b e r B i s c h o f L u d w i g C a n o s s a unterstützen sollte, e i n e n Friedens- und B ü n d n i s v e r t r a g mit Franz I. a b z u s c h l i e ß e n . 1 1 4 D e r kam dann kurz darauf t a t s ä c h l i c h z u stande. N u r einen M o n a t nach M a r i g n a n o w u r d e die n e u e K o n f ö d e r a t i o n der M e d i c i mit d e m f r a n z ö s i s c h e n K ö n i g am 13. Oktober 1 5 1 5 in d e m Vertrag v o n V i t e r b o b z w . Mailand b e s i e g e l t , der in der F o r s c h u n g freilich s e l t e n erwähnt w i r d . 1 1 5 B e m e r k e n s w e r t ist dabei, daß dieser Vertrag nicht

capitoli, chiari, si trovi queste difficulté; et che, dove il Re ha ad prestare favore con tucti li vicini, che non li sono subditi, che lo lassino passare et faccino ogno commodità ec.; quella Maestà permetta che li vasalli sui impedischino questo transito, così a la scoperta. Analog: ebd. S. 217-219 (Giulio an Bibbiena, 10.12.1518: Ne la causa de ' sali V. S. non allenti un punto di diligentia, perchè ci va troppo interesse di N. S., per lo honore et per lo utile; et se questa cosa non passassi bene, si potria ne le altre bavere poca speranza); ASI 25, S. 16 (Giulio an Bibbiena, 19.1.1519: La opera vostra facta per la cosa del sale non potria essere più grata a N. S., non solo per lo honore et utile de la Sede apostolica, che sapete quanto è grande; ma perchè se in questo havessino mancato, non li pareva poter prestare fede nè a le capitulationi facte nè che si havessino ad fare. Però non la abbandonate punto finché non sia posata in tucto.) 114 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 180, 184; N i m , Documenti (wie Anm. I l i ) , S. 215-218: „Minuta d'istruzione di Giuliano de' Medici a Raffaello Girolami", 25.8.1515: Voi ne andrete a Turino o dove intenderete essere la excellentia del duca di Savoia con più celerità che vi sarà possibile et presentatovi innanzi a quella ricercherete subito secreta audientia [...] E necessario fare intendere al Christianissimo come sua excellentia vole exxer bono mediatore in assectar le cose fra Nostro Signore et Sua Maestà essendo questo proprio offìtio di sua excellentia per lo interesse et vinculo comune, et che la spera poter comporre le difficultà che &c. per il merito nostro, che non ha al mondo altro desiderio che vedere el papa et il re essere una medesima cosa [...]; vgl. auch PASTOR, Geschichte der Päpste (wie Anm. 105), S. 77, 81; SIMEONI, Le signorie (wie Anm. 89), S. 817. 115 Gedruckt bei J. DUMONT, Corps universel diplomatique du droit des gens; contenant un recueuil des traitez d'alliance, de paix, de treve, de neutralité, de commerce, d'échange etc., faits entre les Empereurs, Rois, Princes, et Etats de l'Europe depuis Charlemagne jusques à présent, tome IV/1, Amsterdam 1726, S. 214; sowie bei GATTONI, Leone X (wie Anm. 2), S. 291f.; vgl. zum Vertrag ebd. S. 129f.; vgl. auch I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 400, Nr. 84, 85: Der Vertrag ist im Namen des Papstes von Herzog Karl von Savoyen und Lodovico Canossa, Bischof von Tricarico, sowie von Antonio da Prato (Antoine du Pré), Großkanzler Frankreichs, im Namen von Franz I. ausgehandelt worden; am 13.10.1515 wurde er in Viterbo von Leo X. ratifiziert, am 19.10.1515 in Mailand von Franz I.; siehe ferner JULE THOMAS, Le concordat de 1516, ses origines, son histoire au XVI e siècle, I—III, Paris 1910, hier I, S. 1, 305f.; bei

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

75

allein zwischen Leo X. oder dem Papsttum und dem König geschlossen wurde, sondern ausdrücklich zwischen König Franz I., dem Papst Leo X., der Republik von Florenz, Lorenzo, Giuliano und dem ganzen Haus Medici. So galt der vom König zugesicherte Schutz dem Papst und dem Kirchenstaat, der civitas und respublica Florentina, dem gesamten Haus Medici, das von seinen Vorgängern mit der französischen Lilie im Wappen geehrt und geschmückt wurde - kein nebensächliches Faktum offenbar - , sowie besonders Giuliano, dem Verwandten des Königs durch seine Heirat mit dessen Tante, und Lorenzo, wo immer sie sich als Herrscher jetzt und zukünftig aufhalten würden. Franz verpflichtete sich zudem - wie seit Monaten geplant - , den gesamten Salz-Bedarf des Herzogtums Mailand zu einem angemessenen Preis nur aus den päpstlichen Salinen des Kirchenstaates, d.h. der von Cervia, zu decken. Leo dagegen versprach Franz I., das Herzogtum Mailand zu schützen und Parma und Piacenza aufzugeben, um deren Besitz er intensiv verhandelt hatte. Als Gegenleistung und angemessene Kompensation für die Aufgabe von Parma und Piacenza wurde Giuliano de' Medici im Umfeld dieser Verhandlungen, aber ohne Aufnahme in den Vertrag, das französische Herzogtum Nemours versprochen, mit einer jährlichen Pension von 8.000 Franken. 116 Ich sehe darin nicht das Abkommen zwischen einem Gewinner und einem Verlierer. Denn Franz sicherte nicht nur den Schutz bestehender Rechte zu, sondern scheint die künftige Expansion der Medici schon hier getragen zu haben. 4. Mailands

Benefizien

Die neue militärische Dynamik hatte Franz I. nun aber nachdrücklich nach Italien gebracht. Der Hüne von König hatte mit Marignano eines der großen nationalen Daten in das kollektive Gedächtnis der Franzosen gemeißelt. 117 Doch was bewog ihn auf diesem Höhepunkt, den von seinem Schwiegervater Ludwig XII. begonnenen Weg noch stärker zu befestigen, sprich: die Interessengemeinschaft mit dem Medici-Papsttum zu einem CAVIGLIA, Claude de Seyssel (wie Anm. 16), S. 278 (falsches Datum 1513), 334 (Druckfehler 9.10. für Unterschrift des Königs). Übergangen wurde der Vertrag etwa bei KNECHT, Renaissance Warrior (wie Anm. 111), S. 82; vgl. zu ihm auch u. S. 84. 116 Vgl. LANDUCCI, Ein florentinisches Tagebuch (wie Anm. 37), II, S. 299, Anm. 4 (der venezianische Botschafter in Florenz konnte am 2.1.1516 vermelden, daß der König von Frankreich Giuliano das Herzogtum Nemours verliehen habe); J. N. STEPHENS, The Fall of the Florentine Republic 1512-1530, Oxford 1983, S. 101; KNECHT, Renaissance Warrior (wie Anm. 111), S. 82. 117 Vgl. hier nur JEAN MEYER, Frankreich im Zeitalter des Absolutismus 1515-1789 (Geschichte Frankreichs 3), Stuttgart 1990, S. 17f., 163f.; KNECHT, Renaissance Warrior (wie Anm. 111), S. 62-87.

76

Götz-Rüdiger

Tewes

Korpus zu verdichten? Man fuhrt in diesem Zusammenhang meist die dynastischen und territorialen Ansprüche bzw. Rechte in Italien an, die am besten durch das Papsttum gewahrt werden konnten. Mir scheint, dahinter stand mehr; und ganz oben stehen die Benefizien. Nehmen wir nur die flächenmäßig nicht übermäßig große Diözese Mailand: Sie bildete unter allen Diözesen des Erdkreises damals den stärksten benefizialen Partner der päpstlichen Kanzlei; zudem wurde - ähnlich wie in Frankreich - das Pfründengeschäft im Herzogtum hervorragend verwaltet, hier etwa durch die Institution des economato,118 Es lag ganz in der Tradition des französischen Königtums seit Ludwig XI., nun auch das so ungemein bedeutende Benefizienreservoir in Mailand nach dem französischen Muster für die finanzielle Versorgung und die soziale Bindung seiner - französischen wie italienischen! - Klientel und Amtsleute auszuschöpfen. Ohne den Papst als „Herrn der Spiritualien" ging das aber nicht. Und Leos Hand über Mailand beinhaltete offensichtlich mehr, als gesagt wurde. Es wurde allem Anschein nach sogar eine capitolazione über die Vergabe der Benefizien im Herzogtum Mailand zwischen dem Papst und Franz I. abgefaßt, deren Inhalt leider noch nicht zu eruieren ist.119 Aus den für die Jahre 1518/19 vorliegenden Briefen Giulio de' Medicis geht unzweideutig hervor, daß gerade in Mailand die päpstlichen Gnadenerweise den Boden der vorgeblich universalen, objektiven kirchenrechtlichen Bestimmungen weit unter sich gelassen hatten. Jeden Tag erweise der Papst dem König, seinen Freunden und Dienern Gnaden, die Bitten seien erpresserisch und maßlos. Es gehe um Benefizien, die noch nicht einmal vakant seien, und es würden diejenigen ermordet, die deswegen rechtliche Mittel einlegten. 120 Am meisten erboste Giulio offenbar das 118 Vgl. T E W E S , Römische Kurie (wie Anm. 4), passim, bes. S. 85f. (die Erzdiözese Mailand, also nicht die Kirchenprovinz, weist von allen Diözesen des Orbis christianus im Pontifikat Leos X. - Grundlage sind dessen erste drei Jahre - die meisten Kanzleikontakte auf), 132. In dieser Studie Ausführliches zur Kurien- und Benefizienpolitik der französischen Könige. 119 Vgl. I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 186: Capitolazione ira il Re di Francia e il Pontefice, per la collazione dei benefizi ec., nel Ducato di Milano: , Licet Duces omnes et Principes Mediolani '; als Entwurf, hier ohne Datum. 120 Instruktiv Giulios Brief vom 11.11.1518 an Bibbiena, im Zusammenhang mit der Klage über tägliche, fast erpresserische Bitten der Franzosen an den Papst, wodurch statt riposare - questo parentado et amicitia di Francia zur Folge hat: onde in cambio di quiete et honore, sempre lì pare trarne fastidio et inquietudine. Und: A Milano non si tiene più conto del Papa nè de la nota nè de le bolle nè de ' brevi o altre ragioni. Circa lo spirituale, pigliono per forza la tenuta et li fructi de' benefitii non solo vacanti, ma de' vivi et dì quelli che sono stati in possessione parecchi anni: amazono quelli che vi portono citationi; danno sententie come pare a loro, executoriali, o altre simil cose, iuridiche et ordinarie ec. Di poi ricevono di grafia la facultà di potere nominare, conoscere et

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

11

Bestreben, das aus Vakanzen an der Kurie resultierende päpstliche Reservationsrecht durch Nominationsfakultäten in Mailand aufzuheben, was der Papst während der Konkordatsverhandlungen in Bologna zugestanden hätte. Das würde, so Giulio, auch in Frankreich und in der Bretagne nicht gelten; und selbst in seinem, Giulios Fall, mache der Papst hier keine Ausnahme. Ein maßloses Begehren, obwohl bzw. gerade weil die französischen Könige im weltlichen wie geistlichen Bereich unendliche Privilegien und Gnaden von einem - um Ärger zu vermeiden - zu nachgiebigen Papst erhalten hätten; und man könne bei Gott nur hoffen, daß Papst Leo nicht zu Lebzeiten all diese Schulden bezahlen müsse und daß seine Nachfolger ihn nicht dafür verurteilen würden, daß er für die Könige zuviel getan habe!121 Leo gab dann wohl doch in vielem wieder nach, mit dem Resultat, so Giulio, daß die römische Kirche in Mailand nichts anderes als ein Witz geworden sei, ein lächerliches Gebilde, una derisione122 Der Papst habe bei den Spiritualienwünschen aus Mailand alles, aber auch alles genehmigt, aber jetzt reiche es, man wolle davon nichts mehr hören!123 Und wieder einige Tage später: per conto de le cose spirituali de Milano sei alles genehmigt worden, was nur möglich ist: et piü avanti non si puö andare in alcun modo\124 Man hört aus den Quellen geradezu den verzweifelten Aufschrei Giulios.

indicare , in benefltialibus il che è tucto contrario a le opere loro. Perchè, se credono che il Pontefice sia signore de lo spirituale et a lui stia disponerne ec., non doverrieno presummere di deliberarne contro a la volontà et honore suo [...]; I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 24 (wie Anm. 1), S. 29f.; vgl. ferner ebd. S. 211, 216, 218, 222 (20.12.1518: N. S. ha concesso, de le petitioni di Milano circa a lo spirituale, tucte quelle cose che è possibile concedere, per monstrare in ogni caso lo animo suo verso del Re, ma con intentione che di queste cose non lì sia più parlato)', ASI 25 (wie Anm. 1), S. 5, 9, 12. 121 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 24 (wie Anm. 1), S. 29-31. Die von Giulio Angeklagten beriefen sich offensichtlich auf das Konkordat von Bologna, um für Mailand die Reservation „apud sedem" in Frage zu stellen. Wer dahinter stand, ist schwer zu sagen, weil dieses Verfahren, über kuriale Resignationen in den Besitz der gewünschten Benefizien zu kommen, in Frankreich ja gerade zur Annäherung an die Kurie geführt hat. Wenn es der gleiche königsnahe Kreis war - worauf manches hindeutet - , dann sah er sich in Mailand offenbar - anders als in Frankreich - nicht in seinen Intentionen von den ordentlichen Kollatoren bedroht, so daß man auf den Sicherheit schaffenden „Umweg" über die Kurie glaubte verzichten zu können. 122 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 24 (wie Anm. 1), S. 30, 211. 123 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 24 (wie Anm. 1), S. 222. 124 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 25 (wie Anm. 1), S. 5.

Götz-Rüdiger

78 5. Familienpolitik:

Tewes

die Heirat des Giuliano de'

Medici

Weiteres spricht dafür, daß es sich bei dem Vertrag von Viterbo vom Oktober 1515 nicht um den Beginn einer Koalition handelte, sondern um eine Zwischenstufe auf dem Weg zur Verdichtung, Vervollständigung des Körpers, der Allianz. Denn die Verknüpfung der politischen Interessen der Medici und Frankreichs kam ja auch vorher, in den zwei Jahren zwischen dem Kreditvertrag vom Oktober 1513 und dem Vertrag von Viterbo, nicht zum Erliegen; ebenso stellt der Regierungsantritt Franz' I. keinen Bruch dar. Papst Leos X. Bestreben, seinen engeren Verwandten und seiner Familie weitere Territorien und dynastischen Aufstieg zu verschaffen, prägt von Beginn an seinen Pontifikat; jede entsprechende Entscheidung besaß dabei erhebliche Auswirkungen auf die großen politischen Allianzen. 125 Dabei ist zu berücksichtigen, daß hier nicht alle Betroffenen und Führenden der Casa Medici in die gleiche Richtung strebten. Unverkennbar hatte z.B. Lorenzo de' Medici ähnlich seinem Vater anfangs eine spanische Eheverbindung präferiert, doch wurden seine Intentionen durch Leo X. und Kardinal Giulio de' Medici nachhaltig umgeformt. 126 Immer wieder wurden auch Besitzungen in Süditalien in Erwägung gezogen, doch stets wegen der unsicheren Umgebung und des zu geringen Finanzgewinns zur Seite geschoben oder - wie im Fall der Krone von Neapel für Giuliano - von den Franzosen als undurchführbar und phantastisch abgelehnt. 127 Verhandlungen mit dem spanischen König bedeuteten 125

So hatte Leo X. beispielsweise zwischen Dezember 1513 und März 1514 mit dem spanischen König verhandelt, um Giuliano mit einer aus dem Königreich Neapel oder aus Spanien stammenden Adligen zu verheiraten; vgl. Fatini, Giuliano de' Medici (wie Anm. 81), S. LXII-LXIX. Das Herzogtum Urbino wurde 1516/17 für den Papstneffen Lorenzo mit großem militärischem und finanziellem Aufwand erobert, obwohl der legitime Herrscher Francesco Maria della Rovere mit Frankreich verbündet war; hier duldeten die Franzosen den Angriff der Medici auf Urbino, der mit der Weigerung Francescos, seinem päpstlichen Lehnsherrn vor der Schlacht von Marignano in der antifranzösischen Allianz beizutreten (in der sich dann gerade der Papst ganz im Hintergrund hielt), formal begründet wurde; zu dieser oft behandelten Thematik jüngst aus politisch-militärischer Sicht: GATTONI, Leone X (wie Anm. 2), S. 155-182. 126 Ygi |j l c vielen Zeugnisse im Briefwechsel Lorenzos in AS Firenze, Carte Strozziane, ser. I, filza 3, fol. 39r (10.2.1514, Bitte an Giulio um Erlaubnis, Ehewünsche Richtung Spanien auszurichten), fol. 39v-40r (10.2.1514, Lorenzo an seine Mutter Alfonsina, daß er Wandel der Intentionen wegen Eheverbindung zur Kenntnis nehme), fol. 40v-41r (14.2.1514, Lorenzo an Alfonsina, daß man nach der guten Wahl für Giuliano nun doch an eine ähnliche Verbindung für ihn denken möge). Nach Reinhard, Lorenzo von Medici (wie Anm. 104), S. 35-37, habe Lorenzo schon 1514 politisch für Frankreich votiert. 127 Vgl. oben Anm. 110 zu Neapel. Im Dezember 1513 ging der Papst - zumindest dem Schein nach - auf den spanischen Vorschlag ein, Giuliano mit einer Tochter aus höchstem spanischen Adel zu verheiraten; vgl. REINHARD, Lorenzo von Medici (wie

Die Medici und Frankreich im Pontifikat

LeosX.

damit aber alles andere als eine politische Hinwendung zu den wie es oft in der Forschung gedeutet wird. Viel eher waren sie bewußtes Druckmittel gegenüber Frankreich. Möglicherweise ist gische Drängen der Medici bei den Franzosen, den Papstbruder

79 Spaniern, wohl ein das enerGiuliano

Anm. 104), S. 39f. Nachdem der Vertrag über die Hochzeit Giulianos mit Filiberta von Savoyen abgeschlossen war, soll Leo X. kurzzeitig geplant haben, seinen Neffen Lorenzo mit der Tochter des Vizekönigs von Neapel, Ramon de Cardona, zu verheiraten; so FATINI, Giuliano de' Medici (wie Anm. 81), S. LXX; R E I N H A R D , a.a.O., S. 40. Ende 1518, also schon ganz im Kontext der Kaiserwahl, bei der die Medici-Kurie unter keinen Umständen die spanisch-habsburgischen Intentionen unterstützen wollte, ging es um ein Territorium für den 1510 geborenen illegitimen Sohn Giulianos, Ippolito, das der spanische König Karl - offenbar um den Papst in der Kaiserfrage zu gewinnen - den Medici im Königreich Neapel anbot: Ma questa cosa di Sulmone è provincia troppo dura, di troppo peso, et di pochissima utilità a un gentilhommo, perchè è loco più presto da essere recto et governato da un Re che da un barone; perchè li homini vi sono seditiosi, in parte poco obedienti, et da non star facilmente sotto un signore: et insomma, Hippolito saria per haverne poco godimento, et il Re assai fastidio. Et per questo Sua Santità ricorderebbbe et desiderebbe qualche altra cosa che fussi di meno fumo et più quieta. Et eximando quelli Stati, ne ha messo in una nota questi sei lochi, ponendo da parte e principali come è Sulmona, Malfetta, Iuvenazo, Surrento, Vico, La Cava, et simili; et così lassando indreto di quelli altri infimi et bassi. Ma ha disegnato questi come mediocri, cioè con tucte le loro apartinenzie de la entrata ordinaria de ' baroni et de' fochi et de ' sali [...]; I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 25 (wie Anm. 1), S. 3 (Giulio de' Medici an Kardinal Egidio da Viterbo in Spanien, 24.12.1518); zum Werben der Spanier um die Medici: ebd. S. lOf. (Giulio an Bibbiena in Frankreich, 13.1.1519). Doch bezeichnend, wie die Medici, hier Kardinal Giulio am 10.12.1518 an Bibbiena, gleichzeitig die verbündeten Franzosen davon in Kenntnis setzen: Non voglio obmettere di ricordare a V. S. [Bibbiena] dui punti, in caso che si habbi ad venire a più strecta intelligentia col Cristianissimo. [...] L'altra, che il Re Catholico, in su la morte, a 'dì passati, de la Regina di Napoli, havea promesso a N. S. dare a Hippolito nostro uno stato nel Reame di ducati VI mila d'oro: nè si intende, per conto de la electìone del Catholico, di investitura o di mandare la corona a Cesare; chè questo sarebbe poi un altro conto a parte, di maggiore valuta. Et se il Papa hora si restringerà di novo con Francia, et darà parole a questi altri, Sua Santità perderà queste et de l'altre cose. Et però V. S. examini se, perdendo da un canto si potessi in qualche modo acquistare da l'altro, sanza torre però il grado a N. S.\ vgl. I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 24 (wie Anm. 1), S. 218; analog: ebd. S. 221 (20.12.1518: questi Spagnoli [...] offerano di presente cose grandi, et in particulare uno stato nel Regno di Napoli di XV o XX mila ducati), S. 225 (21.12.1518, mit Blick auf die Spanien-feindliche Haltung in der Kaiserfrage und das Bündnis mit Frankreich: l'altra consideratione [...] è la perdita manifesta che farà N. S. de lo stato che il Re Catholico vole dare, di presente, nel Regno di Napoli, di XV o XXmila ducati, libero, necto et senza alcuna servitù; el quale exalterebbe la Casa nostra et stabilirebbe l'altre cose de la Excellentia del Duca. Et se bene, a ' li dì passati, fu da loro promesso uno stato di VImila ducati per Hippolito, fu avanti che si venisse a questi meriti, et ordinariamente in su la morte de la Regina di Napoli, Bibbiena soll dem französischen König die große Problematik für die Medici klar machen und um eine Entschädigung verhandeln.).

Götz-Rüdiger

80

Tewes

auf den Thron v o n N e a p e l z u bringen, e b e n f a l l s aus e i n e m p o l i t i s c h e n Kalkül erfolgt, d i e s e m als A u s g l e i c h für die a n z u n e h m e n d e W e i g e r u n g Frankreichs e i n e adäquate K o m p e n s a t i o n in Frankreich zu v e r s c h a f f e n . D e n n g l e i c h s a m i m Schatten v o n S o n d i e r u n g e n im K ö n i g r e i c h N e a p e l w u r d e n im Februar 1 5 1 4 die G e h e i m v e r h a n d l u n g e n mit L u d w i g XII. intensiviert, u m d i e s e m das im S o m m e r 1 5 1 2 v e r l o r e n e H e r z o g t u m M a i l a n d ( d e s s e n R ü c k e r o b e r u n g durch die N i e d e r l a g e bei N o v a r a im April 1513 g r a n d i o s g e s c h e i t e r t war) z u r ü c k z u v e r s c h a f f e n und u m dafür G i u l i a n o mit einer f r a n z ö s i s c h e n A d l i g e n z u verheiraten. 1 2 8 M ö g l i c h e r w e i s e , darauf deutet ein Q u e l l e n z e u g n i s hin, hatten die M e d i c i sogar s c h o n im N o v e m b e r 1 5 1 3 e n t s p r e c h e n d e S o n d i e r u n g e n am s a v o y i s e h e n H e r z o g s h o f v o r g e n o m m e n . 1 2 9 M i t Sicherheit aber standen sie in j e n e r Zeit mit d e m H o f v o n S a v o y e n in e n g e m K o n t a k t - und über die Bartolini als ihre H a u s b a n k i e r s und Freunde s c h o n seit v i e l e n Jahren. 1 3 0 A l s g a n z e n t s c h e i d e n d e r w e i s t

128

Vgl. o. S. 72; FATINI, Giuliano de' Medici (wie Anm. 81), S. LXIX-LXXIII, XCIIlf. (zu den Heiratsvereinbarungen und Kosten); s. auch (mit Bezug auf Guicciardini) PASTOR, Geschichte der Päpste (wie Anm. 105), S. 70 (Ludwig XII. habe Leo X. 1514 die Eroberung von Neapel für das Papsttum oder für Giuliano in Aussicht gestellt); GUICCIARDINI, Storia d'Italia (wie Anm. 46), III, S. 1170 (XX, 6), S. 1173 (XII, 7). Lodovico Canossa kann am 23.4.1515 aus Paris an die Medici berichten, daß der König dem Papst als Ausgleich für Neapel und wohl auch für Parma und Piacenza gern eine (territoriale) Erhöhung Giulianos in Frankreich oder an einem anderen Ort in Aussicht stellen möchte; vgl. Documenti riguardanti Giuliano de' Medici (wie Anm. 109), S. 316. 129 AS Firenze, Carte Strozziane, ser. I, filza 3, fol. 22r: Lorenzo di Piero de' Medici am 17.11.1513 an Kardinal Giulio de' Medici: Mando al si una lettera havuta da Francesco Naldini di Lione accio che la S. V. vega quello, che scrive della sorella del Duca di Savoia, perche iudico a proposito che quella l'intenda et sappia. Unklar ist hier, ob es sich bei der Schwester des Herzogs um Luise, die Mutter von Franz (I.), handelt, oder um die künftige Braut Filiberta. Zu dem in Lyon wirkenden Francesco Naldini, dem langjährigen Partner der Bartolini, s. auch o. Anm. 41 und u. Anm. 159. 130 Am 9.1.1514 unterrichtet Lorenzo de' Medici den Kardinal Giulio über eine Nachricht von Raffaello Girolami, nach der diesem während seines Aufenthaltes an der Kurie durch Leo X. eine Gefälligkeit für einen seiner Brüder erwiesen worden sei, nämlich una reserva di 500 ducati nello stato di Savoia. In dieser Benefizienangelegenheit solle der Kardinal für den Girolami intervenieren; vgl. AS Firenze, Carte Strozziane, ser. I, filza 3, fol. 33v. Bald darauf sandten die Medici bzw. Lorenzo Raffaello Girolami als Botschafter zum Herzog von Savoyen, wobei beide 1515 im Vorfeld der Schlacht von Marignano auch von Giuliano de' Medici als wichtige Vermittler zwischen der Kurie und Frankreich eingesetzt wurden; vgl. I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 361 (über einen Brief aus Florenz vom 25.8.1515 nomine illustrissimi Capitanei Raphaello Ieronimi, - „Giuliano de' Medici, scrivendo al Girolami oratore dal [nicht: del] Duca di Savoia, parla di metter d'accordo il Papa col Cristianissimo, a mediazione del comune parente Duca di Savoia "; hierzu schon oben Anm. 114; der Brief bei NITTI, Documenti (wie Anm. 111), S. 215-218. Wenn der 1496 im Rechnungsbuch der Lyoner Bartolini-Bank als deren Geschäftspartner verzeichnete Francesco Girolami mit Raffaello verwandt war,

Die Medici und Frankreich im Pontifikat

LeosX.

81

sich dabei - so wie vorher und wie in Zukunft - ihr personeller Stützpunkt in Lyon, über den die gesamte Kommunikation läuft, die wiederum, wie gesehen, von Leonardo Bartolini organisiert wurde. Giulianos Frau wurde sogar eine Hochadlige, und die Mutter des nächsten Königs, Luise von Savoyen, spielte eine maßgebliche Rolle bei der Wahl Filibertas von Savoyen, ihrer Schwester, ebenso wie Herzog Karl III. von Savoyen, ihr gemeinsamer Bruder. Bereits im Februar 1514 war il parentado grundsätzlich geregelt, aber Außenstehenden gegenüber streng geheim gehalten worden.131 In einem Vorvertrag vom 10. Mai 1514 einigte man sich über die finanzielle Seite; am 14. November 1514 wurde schließlich der Vertrag unterzeichnet, in welchem Leo seinem Bruder wegen des sozialen Ranges der Verbindung die gewaltige und schmerzhafte Summe von 100.000 Dukaten zusichern mußte. Am 10. Februar 1515, also in den Anfangsmonaten der Regierung von Franz I., wurde die Hochzeit des künftigen Herzogs von Nemours gefeiert, zwei Tage später das Dotie-

ginge auch diese Verbindung auf eine ältere, von den Bartolini aufgebaute oder weitergeführte Tradition zurück; vgl. APB, Nr. 197, fol. 54v/55r. Der Herzog von Savoyen unterhielt engste Beziehungen zu dieser Bank; vgl. vorerst ebd., fol. 4r. 131 Instruktiv für die berechnenden Intentionen der Medici: AS Firenze, Carte Strozziane, ser. I, filza 3, fol. 40v-41r: Lorenzo de' Medici dankt seiner Mutter Alfonsina Orsini am 14.2.1514 wegen der Nachricht über die beabsichtigte Heirat Giulianos mit Filiberta von Savoyen. Et se il Duca la vuol dare con quelle conditioni, che dice V. S., non mi pare, che sia da recusarla, perche lei e pur nobile et di sorte da farvi qualche vantaggio da un altra, che non sia legiptima o che il padre o fratelli suoi habbino uno stato intrespoli come questi altri, et 30 o 40 mila ducati non doveranno dare briga a N. S., perche non Ii manchera modo. Wie wir sehen werden, wird der Herzog den Preis für diese Heiratsverbindung noch kräftig erhöhen, und Leo X. wird sie so wichtig sein, daß er ihn zu zahlen bereit ist. Ob ihm die Finanzierung dann aber immer noch keine Mühe bereitete, ist sehr zu bezweifeln; s. hierzu auch REINHARD, Lorenzo von Medici (wie Anm. 104), S. 45. Vgl. zum weiteren Gang der Verhandlungen wegen des parentado di Savoia aus der Sicht bzw. Kenntnis Lorenzos, wobei dieser oft von einer Verbindung mit Savoyen und Spanien spricht: ebd. fol. 44v (18.2.1514), fol. 44v-45v (20.2.1514: quasi concluso), fol. 46r (20.2.1514); vgl. ferner CAVIGLIA, Claudio di Seyssel (wie Anm. 16), S. 287f., 294-296: An den Verhandlungen war auch der Kardinal Sanseverino maßgeblich beteiligt! Der venezianische Botschafter beklagte sich, daß außer dem engeren Kreis der Medici niemand etwas wisse; es sei nicht mehr wie unter Papst Julius II., wo man alles erfahren habe. Bei Caviglia wird Karl III., ein jüngerer Bruder von Luise von Savoyen, im übrigen stets unter Bezug auf zeitgenössische Quellen als Karl II. bezeichnet, doch dieser amtierte in der neueren Forschung als Sohn des 1489 gestorbenen Herzogs Karl I. unter der Vormundschaft seiner Mutter Bianca bis zu seinem frühen Tod 1496, als ihm der genannte Philippe de Bresse, sein Großonkel, für kurze Zeit bis 1497 folgte. Karl III., der Sohn des Philippe de Bresse, trat 1504 die Herrschaft des Herzogtums Savoyen an.

Götz-Rüdiger

82

Tewes

rungs-Instrument für die Summe ausgestellt, von der 25.000 Dukaten sofort überwiesen werden mußten. 132 Zwischen Februar 1514 und Februar 1515 ging es also um hohe Ehren und viel Geld. Und nun schauen wir auf die Chronologie der päpstlichfranzösischen Kreditgeschäfte. Auch wenn sie nicht unmittelbar der teuren Finanzierung des dynastischen Aufstiegs gedient haben sollten, sind sie von ihr doch nicht zu trennen. Nach dem ersten vom Oktober 1513 ließ sich Leo den zweiten allein auf Frankreichs Spiritualien bezogenen Kredit am 20. September 1514 von seinem Hausbankier Bartolini geben, gut vier Monate nach dem Ehe-Vorvertrag vom Mai, den dritten Kredit am 26. Januar 1515, wenige Tage vor der Hochzeitsfeier; alle diese drei Kredite von insgesamt 35.000 Dukaten gegen französische Servitien und Annaten, von denen die meisten aus Provisionen mit Pfarrkirchen resultierten, wobei die betreffenden Bullen von der Kanzlei direkt in Bartolinis Hand übergingen - je mehr Bullen und Annaten, desto besser, aber mehr wurden es nachweislich vor allem dann, wenn die Provisionen mit höchst simonistischen Reservationen von Pfründeinnahmen und Regressus-Rechten verbunden waren und vom Papst genehmigt wurden. 133 Auch an dieser Stelle hätte man ein bedrücktes Stöhnen Giulio de' Medicis erwarten können, über diese Form der Teilfinanzierung des Eintritts der Medici in den europäischen Hochadel, aber Giulio klagte nur, wenn die Franzosen das päpstliche Re132

Vgl. I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 399 (11.11.1514: der noch näher anzusprechende Jacopo Salviati beauftragt als Prinzipal seiner in Lyon ansässigen Bank seine Frau Lucrezia de' Medici, Schwester von Leo X., sich bei Herzog Karl von Savoyen und bei Filiberta, dessen Schwester, zur Zahlung von 100.000 Dukaten zu verpflichten, zahlbar innerhalb von 3 Jahren als Ausgleich für die Mitgift der Filiberta, umzuwandeln in Immobilien per sicurezza della dote: das Ganze gemäß der Form des Heiratsvertrages, contratto di sponsali „per verba de futuro", zwischen Giuliano und Filiberta vom 10.5.1514); ebd. S. 361 (zum Vertrag vom 12.2.1515, abgeschlossen im savoyischen Schloß zu Turin; die Zahlungsverpflichtung übernahm Jacopo Salviati für die Medici, er hatte 25.000 Dukaten oder scudi di sole sofort zu zahlen, den Rest in 3 Jahresraten); ebd. S. 361 (3.12.1515: in der Kammer des Kardinals Giulio de' Medici im apostolischen Palast Vertrag zwischen den Kardinälen de' Pucci (dem Datar) und Giulio, um Schaden von Jacopo Salviati zu ziehen, der aus seiner Obligation wegen der für Filiberta an den Herzog von Savoyen zu zahlenden 100.000 Dukaten erwachse). Nach dem Tod Giulianos am 17.3.1516 gab es einen Konflikt um die noch ausstehenden Raten; 1518 wurde offenbar noch die 2. Rate an Filiberta bezahlt, dann die Sache beigelegt. Zu den Einzelheiten vgl. auch FATINI, Giuliano de' Medici (wie Anm. 81), S. LXIXLXXIII, XCIIIf.; MONCALLERO, Il cardinale Bibbiena (wie Anm. 82), S. 396-398. Im übrigen hatten die Medici die sich nach dem Tod ihres Mannes nach Savoyen bzw. Frankreich zurückziehende Filiberta mit einer Instruktion vom 1.7.1516 fragen lassen, ob sie nicht noch einmal in eine Eheverbindung mit einem Medici eintreten wolle, doch lehnte sie bedauernd ab; vgl. I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 36 lf. 133

Vgl. hierzu TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), S. 278-284, 294-297.

Die Medici und Frankreich im Pontißkat Leos X.

83

servationsrecht a u s h e b e l n w o l l t e n . U n d L e o war existentiell a u f d i e s e G e l der a n g e w i e s e n . N o c h m a l s : E i n e P r o v o k a t i o n d e s f r a n z ö s i s c h e n K ö n i g s durch k r i e g e r i s c h e U n t e r n e h m u n g e n auf der S e i t e v o n d e s s e n G e g n e r n etw a im V o r f e l d v o n M a r i g n a n o , die w i e unter Julius II. zur S c h l i e ß u n g der G r e n z e n für die B e n e f i z i a t e n geführt hätte, k o n n t e er sich gar nicht leisten.

6. Allianz

mit Frankreich

und Distanz

zu

Spanien

N e i n , d i e s e b e i d e n w a r e n längst v o n e i n a n d e r abhängig, b e i d e profitierten v o n e i n a n d e r . Z u s a m m e n f a s s e n d soll g e z e i g t werden, w o dies w e i t e r h i n m a n i f e s t wurde, mit z u m Teil gravierenden F o l g e n für die e u r o p ä i s c h e G e schichte. S c h o n die Attribute, A d j e k t i v e und U m s c h r e i b u n g e n , mit d e n e n d i e s e A l l i a n z , U n i o n , L e g a , K o n f ö d e r a t i o n , d i e s e e w i g e amicizia versehen wurde, sind s o e i n d e u t i g w i e singulär: D e r Papst sei coniunctissimo col Re di Franzia, das H a u s M e d i c i , F l o r e n z und Frankreich s e i e n un corpo, una cosa medesima;134 aufgrund dieser U n i o n , d i e s e s g e m e i n s a m e n K ö r p e r s

134 Schon im September 1514 erklärte Leo X., als er seinem Vertrauten Luigi de' Rossi eine ebenfalls vom königlichen Beichtvater beanspruchte Klosterkommende in der Diözese Rennes verschaffen wollte: Nunc in tanta nostra coniunctione atque amicicia nihil minus expectari debuit quam quicquam nobis a carissimo fllio nostro Ludovico Francorum Rege christianissimo esse negatum\ ASV, Arm. XLIV, vol. 5 (Brevia ad principes), fol. 84r/v; s. hierzu auch u. Anm. 177. Explizit von einer festen und blühenden Allianz spricht auch Luise von Savoyen im Kontext des Treffens von Bologna in ihrem Journal", ihrer ganz persönlichen Lebens-Chronik: Le jeudi 13 de décembre 1515, le pape Léon célébra la messe en présence de mon fils; et le vendredi suivant fut tenu consistoire, et l'alliance confirmée, laquelle depuis a esté affermée et fiorentinée par ledit Uon, gentil lieutenant et apostre de Jésus-Christ; Journal de L O U I S E DE S A V O Y E , duchesse d'Angoulesme, d'Anjou et de Valois, mère du grand roi François premier, in: Nouvelle collection des mémoires pour servir à l'histoire de France, depuis le XIII e siècle jusqu'à la fin du XVIII e , par M M . M I C H A U D et P O U J O U L A T , Bd. V, Paris 1838, S. 83-93, hier S. 90 (sonst findet sich in dieser Chronik nichts zur Verbindung ihres Sohnes mit dem Papsttum oder zu ihrer - nicht zu bestreitenden - eigenen politischen Rolle.) Vgl. zur Postulierung und Umschreibung der Allianz ferner die zahlreichen Belege in I Manoscritti Torrigiani, z.B. in: ASI 23 (wie Anm. 1), S. 410 (Kardinal Giulio an Bibbiena in Frankreich [so auch bei den folgenden Zitaten], 14.8.1518: per respecto de lo amore filiale che Sua Santità porta al Re Cristianissimo, et per la confederatione che ha seco, et per il novo parentado contracto [sc. Hochzeit zwischen Lorenzo di Piero de' Medici und Madeleine de la Tour d'Auvergne], li pare correre seco una medesima fortuna), ebd. S. 417f. (27.8.1518: havendo Sua Santità facto il parentado con Francia et diventato seco una medesima cosa, li pare, oltre al benefitio comune, che ogni alteratione et dispiacere che ricevessi hora el Cristianissimo, toccassi non meno a questa Sancta Sede et a Sua Beatitudine che a la Maestà Sua), ASI 24 (wie Anm. 1), S. 211 (28.11.1518: un Papa coniunctissimo col Re di Francia), ebd. S. 215f. (3.12.1518: poi che una volta [N. S.] si è inclinato et unito con sua Maestà, et così sì starà constante: et quando tro-

84

Götz-Rüdiger

Tewes

durchlaufe man auch das gleiche Glück wie Schicksal. 135 Und es ist höchst erstaunlich, wie diese Verschmelzung immer weiter getrieben wurde. Man kann kaum noch nachzählen, wie oft sich die Diplomaten Frankreichs und der Medici trafen, um den Vertrag von Viterbo zu bestätigen, zu ergänzen, zu erneuern, auszubauen und zu perfektionieren. So im November 1516,136 zwischen Februar und April 1517, 137 dann erneut im Januar 1519 und im Oktober 1519. 138 vassi riscontro, di novo si unirebbe et colligherebbe più strectamente, riposandosi in su la fede et juramento di Sua Maestà, et in su una certa ragione naturale, che per exaltarlo et farli bene, non havessi ad patire et a ricevere danno o vergogna), ASI 25 (wie Anm. 1), S. 16 (19.1.1519: Ma diventando N. S., com'è decto, un corpo medesimo col Re Cristianissimo, confida bene potere fare qualche opera ad questo proposito, che sarà grata a Sua Maestà), S. 388 (Kardinal Giulio an die Nuntien in Frankreich, u.a. Giovanni Rucellai, 8.9.1520: Pechè essendo noto a tucto el mondo la fede et benivolentia et strecta coniunctione che è fra loro [sc. Frankreich und der Medici-Kurie], ASI 26 (wie Anm. 1), S. 182 (1520, undatierte Instruktion für den nach Frankreich gehenden Nuntius Giovanni Rucellai: „Nella prima udienza assicurerà il Re della buona amicizia del Papa, il quale" ha collocato in Sua Maestà ogni sua speranza delle cose de la Sede apostolica et di quelle di Firenze et de la Casa sua et de li amici ec., et ha facto fermo proposito che lo animo, le deliberationi, li Stati, l'auctorità et ogni fortuna sia comune). 135 Correre una medesima fortuna: I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 20 (wie Anni. 1), S. 23 (10.2.1516, Kardinal Giulio an Lodovico Canossa); ASI 23, S. 410 (14.8.1518 an Bibbiena, s.o. Anm. 134); ASI 25, S. 398 (1.10.1520, in einer kritischen Phase an Nuntius Giovanni Rucellai in Frankreich: Certificandoli [sc. den König und die Königinmutter] che se Sua Santità non li amassi, et non havessi voluto correre con loro una medesima sorte, et non si riposassi di aver sempre ad essere da loro difeso, adiutato et honorato in ogni sua occurrentia, non piglierebbe dispiacere di queste cose: perchè se havessi altrove volto el suo pensiero, et posto in altro Principe la sua speranza, li darebbono poca noia). Wenn ich recht sehe, hat Leo X. bzw. Giulio de' Medici von einer solchen Symbiose sonst nur mit Blick auf sein Verhältnis zu seiner Heimatstadt Florenz gesprochen; vgl. N i m , Documenti (wie Anm. 111), S. 214 (in jenem Leos Bindung an Frankreich resümierenden Brief Giulios vom 20.8.1515: et se da qui inanzi epsa [quella città di Firenze] si scoprirà in favore di sancta Chiesa et d'un papa che è con quella una cosa medesima ...; Sua Beatitudine le [le lor signorie di Firenze[ exhorta bene et prega si voglino adiutar franchamente per la salute comune et torre seco una medesima sorte ...). 136 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 402 (3.11.1516, „Amboise. Lettera credenziale di Francesco I per Guglielmo vescovo di Lodcve e di Meaux, e Dionigi vescovo di S. Malo, da lui deputati in suoi oratori a trattare e concludere lega con papa Leone X, la Comunità di Firenze, Lorenzo duca d'Urbino e tutta la casa dei Medici"). 137 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 185 bzw. 402 (18.2.1517, „Roma, nel Palazzo apostolico. Contratto di lega [confederazione e amicizia perpetua] tra il Re di Francia e il papa Leone X, a forma dei capitoli precedentemente fermati tra Carlo duca di Savoia e Lodovico vescovo di Tricarico [se. Lodovico Canossa], in nome del Papa, e Antonio da Prato, gran cancelliere di Francia, in nome del Re "), S. 403 (8.4.1517: „Apud S. Marcum de Fossatis. Francesco I ratifica i capitoli della lega con-

Die Medici und Frankreich im Pontiflkat

LeosX.

85

Z u g l e i c h , und das wird man in s e i n e n K o n s e q u e n z e n verstärkt b e r ü c k s i c h t i g e n m ü s s e n , w a r man sich - in g l e i c h s a m komparativer A n a l y s e sehr b e w u ß t , daß d i e s e z u s y m b i o t i s c h e n F o r m e n sich a u s w a c h s e n d e Allianz korrelativ und z w a n g s l ä u f i g eine A b w e n d u n g v o n den anderen g r o ß e n M ä c h t e n E u r o p a s bedeutete, eigentlich: eine B r ü s k i e r u n g - i n s b e s o n d e r e Spaniens, das die M e d i c i - K u r i e sich z u m g e f ä h r l i c h s t e n F e i n d g e m a c h t hatte. D e n n w ä h r e n d Frankreich P r i v i l e g i e n im Ü b e r f l u ß erhalten hätte, habe man d i e s e g r o ß e s p a n i s c h e M a c h t trotz e n e r g i s c h e n D r ä n g e n s v o n allen ihr z u s t e h e n d e n päpstlichen G n a d e n und G u n s t b e w e i s e n a u s g e s c h l o s sen. 1 3 9 D u r c h die a u ß e r g e w ö h n l i c h e und ehrliche L i e b e z u m f r a n z ö s i s c h e n

tratta con Leone X, la Repubblica di Firenze, il Duca d'Urbino e la casa de' Medici, a dì 18 febbraio." Hinzugefügt waren in Kopie der Vertrag von Viterbo als päpstliches Dokument und das entsprechende, vom König am 19.10.1515 in Mailand unterschriebene Dokument). 138 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 186 (20.1.1519, „Parigi, nel palazzo detto ,Le Torneles'. Lega tra il Papa, i Fiorentini e il Duca d'Urbino, con tutta la Casa Medici, et il Re Cristianissimo. [...] Oltre la firma del Re, vi sono autografe queste righe. ,Nous ferons pour noutre Saynt Pere et le Saynt Syege plus de fayt que par parole'."), (22.10.1519: „Amboise. Lega. - Con questi capitoli si conferma la Lega precedente [sc. vom 20.1.1519], e s'obbliga il Papa a non permettere, senza il consenso del Cristianissimo, che chi è investito della Corona imperiale tenga in feudo il Regno di Sicilia ,citra Farum'; stando al divieto fattone da Clemente IV: e s'obbligono pure il Papa ed il Re a non far lega con Carlo re di Spagna. Promette poi il Cristianissimo di difendere il Papa con le Repubbliche di Firenze e di Siena, per terra e per mare ec.; e poiché il Cattolico negherebbe al Papa le trecento lance o le due triremi, che si era obbligato dare per l'investitura del regno di Sicilia, il Re di Francia s'obbliga di darle lui. Il tutto con sicurtà scambievole di centomila ducati data dal Papa e di trecentomilia dal Re."). 139 Auch hierzu finden sich in den Briefen von Kardinal Giulio de' Medici eindringliche Zeugnisse. Vgl. I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 24 (wie Anm. 1), S. 211-213 (Giulio an Bibbiena, 28.11.1518: Nostro Signore [. ..] dubita forte che il Cristianissimo ricerchi Sua Santità che si scopra ad impedire la electione del Catholico, et nieghi a Cesare di mandarli la corona ec., perchè si facci l'uno et l'altro inimico; et la rottura si facci di sorte, che a posta di Sua Beatitudine non si possi riconciliare; ad ciò che questa Sancta Sede et Sua Santità resti in tucto ad discretione de ' Franzesi. [...] li [sc. dem Papst] dorrà essere tractato a questo modo da quelli [sc. den Franzosen] che naturalmente ha sempre amati, et ad instantia di chi non si è curato perdere tucti questi altri), S. 215 (3.12.1518: quando Sua Santità si troverrà in necessità, et bavere offeso tucti questi altri, ad petitione di Francia), S. 224 (21.12.1518: eindrucksvolles, aber im Kontext der Kaiserwahl anzusprechendes Zeugnis über die negativen Folgen der profranzösischen Politik der Medici; vgl. u. S. 108 und Anm. 188); ASI 25 (wie Anm. 1), S. 382 (16.2.1519: Et nondimeno perchè il Papa procedeva sinceramente et in verità col Re [Franz I.], sanza adulatione o fictione, ha sempre ricordato paternamente che se Sua Maestà non potessi obtenere per sè, non lassassi ad fare nulla perchè fussi un altro che il Re Catholico; anzi reputassi, per la importantia dì quel grado et per li pericoli che ne poteano advenire, quasi el medesimo che se fussi la persona sua. Cosi, in contrario, ha

86

Götz-Rüdiger

Tewes

König habe er, der Papst, die aller anderen Fürsten verloren,140 mehr noch: wegen Frankreich habe er bald (1519), habe er tatsächlich (1520) die ganze Welt zum Feind.141 Sobald Frankreich seine Schutzrolle vernachlässigte bzw. nicht mehr wahrnehmen konnte, blieb auch diesen Medici keine andere Wahl mehr, als sich mit den Spaniern zu arrangieren, wollte man nicht alles riskieren. Dies wird nach der Kaiserwahl 1519, die völlig gegen die Interessen der Medici verlief, mehr als deutlich werden. 7. Mittelsmänner Ein konstitutives Element nahmen in der Medici-Frankreich-Allianz die in der Forschung stark vernachlässigten „Mittelsmänner" ein, besser: die einflußreichen Personen an der Seite der Herrschenden, welche durch ihre Interessen, Bindungen und Intentionen die zunehmende Polarisierung oft noch verschärften. 142 Vor allem aber trugen und dynamisierten sie in konstitutiver Weise den Handlungsfluß zwischen den Mächten, verdichteten sie die Allianz, indem sie durch so komplexe wie stabile personale und sachliche Verflechtungen - gleich einem unter der sichtbaren Oberfläche wachsenden Pilzgeflecht - die nur scheinbar monadenhaften Mächtekörper aneinander banden, nicht verschmolzen, aber doch durch ein dominierendes gemeinsames, handlungsleitendes Interesse zu einer Einheit zusammenführten. Stellen wir wichtige wie auch exemplarische Vertreter dieses Typus heraus, einiges bereits Angesprochene focussierend.

excluso li Spagnoli d'ogni gratta et favore che potessino expectare, non obstante le offerte et instantie che hanno facto: il che potete pensare con che animo habbino inteso)\ 140 Vgl. I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 24 (wie Anm. 1), S. 213 (28.11.1518, Kardinal Giulio an Bibbiena in Frankreich: et ad instantia di chi non si è curato perdere tucti questi altri). 141 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 25 (wie Anm. 1), S. 12 (13.1.1519, Kardinal Giulio de' Medici an Bibbiena: ... quando ci saremo per loro conto facto inimici tucto il mondo)-, ASI 25 (wie Anm. 1), S. 399 (1.10.1520, Kardinal Giulio an den Nuntius in Frankreich, Giovanni Rucellai, vor dem Hintergrund einer Krise zwischen den Medici und Frankreich: Et la S. V. ricordi al Re [Franz I.] modestamente che, havendo N. S., per amore di Sua Maestà, factosi inimici tucti questi altri Principi, con tenere poco conto di loro, et offesoli etiam più volte quando è accaduto, non si viene hora a Sua Santità essere pagata di questa moneta). 142 Richtungweisend mit Blick auf die Bedeutung dieser vermittelnden, auf mittlerer Ebene stehenden Kräfte: M E L I S S A M. B U L L A R D , The Power of Middlemen, in: D I E S . , Lorenzo il Magnifico (wie Anm. 8), S. 215-233.

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

87

a) Die Savoyer Eine von mehreren Schlüsselrollen scheint mir der (von der Forschung für diese Periode bisher viel zu sehr vernachlässigte) Herzogshof in Savoyen einzunehmen. Herzog Karl III. von Savoyen tritt vor allem vor der Schlacht von Marignano (14.9.1515) als Vermittler zwischen dem Papst und Franz I. auf, 143 um anschließend als Verwandter des Papstes für diesen den Vertrag von Viterbo vorzubereiten und auszuarbeiten. 144 Seine Schwester Luise, wie Karl III. ein Kind eben jenes Grafen Philippe de Bresse, der den Medici 1494 nachhaltig half, Luise, die Mutter von Franz I., sticht aus fast allen einschlägigen Dokumenten als erster, wichtigster, vertrautester und wohlwollendster Ansprechpartner der Medici und ihrer Gesandten hervor. 145 Die wohl erstaunlichste, in der Forschung freilich selten thematisierte Gegenleistung Leos X. für das Haus Savoyen bestand sicherlich in der Erhebung der savoyischen Städte Chambery (vorher zur Diözese Grenoble gehörig) und Bourg-en-Bresse zu Diözesen (Mai 1515), wobei besonders die Erhöhung des zum Erzbistum Lyon gehörenden Bourg-en-Bresse Konflikte hervorrief und zahlreiche Zeugnisse in den vatikanischen Quellen hinterließ. Diesem neuen Bistum sollten offenbar all jene Orte zugehören, die Teil der Diözese Lyon waren, aber auf dem savoyischen Territorium der Grafschaft Bresse lagen. Auch wenn das Prestigevorhaben letztlich am Widerstand von Franz I. scheiterte - in Angriff genommen wurde es und in den vatikanischen Quellen gibt es noch 1518 zahlreiche Belege dafür, daß dieser Plan weiter verfolgt wurde. 146

143 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 180. Vgl. PASTOR, Geschichte der Päpste (wie Anm. 105), S. 77 (zu jener Quelle), 81 (Anfang September 1515), 91 (am 2.12.1515 Einladung des Savoyers zur Teilnahme an der Zusammenkunft von Bologna); GATTONI, Leone X (wie Anm. 2), S. 123. Zu ähnlichen Verhandlungen mit Kardinal Federico Sanseverino als französischem Interessenvertreter in jenen Jahren ebd. S. 69 (1514), 81 (kurz vor Marignano). Federico Sanseverino wünschte im Januar 1515 sogar, nicht nur an der Kurie, sondern in ganz Italien als Prokurator für die französischen Interessen zu wirken; vgl. MONCALLERO, II cardinale Bibbiena (wie Anm. 82), S. 400; vgl. hierzu auch u. Anm. 150. 144 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 184f. 145 Vgl. vor allem die Briefe des Nuntius Lodovico Canossa an den Kardinal Giulio de' Medici sowie dessen Briefe an den Kardinallegaten Bibbiena in Frankreich, die in Documenti riguardanti Giuliano de' Medici (wie Anm. 109), S. 306-317, in einer Auswahl abgedruckt sind. Die Königinmutter, madama genannt, ist nicht nur eine ebenso wichtige politische Adresse wie der König selbst, sondern oft genug auch bei Krisen eine ausgleichende, für die Medici-Interessen eintretende Kraft. 146 Vgl. CAVIGLIA, Claudio di Seyssel (wie Anm. 16), S. 333, 335f., 341. Beide Orte wurden mit einer Bulle vom 21.5.1515 zu Bischofssitzen erhoben, doch scheint nur die Erhöhung von Bourg-en-Bresse ernsthafter verfolgt worden zu sein. Aber auch zu Bourg

Götz-Rüdiger

88 b) Die

Tewes

Sanseverino

Einen engen Bezug zum savoyischen Territorium, besonders aber zum französischen Königshaus, besaßen viele fuhrende Mitglieder des mailändischen Zweigs der Familie Sanseverino, die bereits im Zusammenhang mit den Bartolini genannt wurde. 147 Eine so einflußreiche wie, daran gemessen, für unsere Zeit unbekannte Familie: Aus dem Geschlecht der im Königreich Neapel seit normannischer Zeit ansässigen Hochadelsfamilie stammend, waren sie traditionell proangiovinisch und meist, mit fast allen nur eine kurze Notiz in: Gallia christiana, ed. D . P A U L U S P I O L I N , IV, Paris usw. 1876, Sp. 181 („Ecclesia B. M. de Burgo in Bressia, sollicitante Sabaudiae duce, cathedralis dignitate cohonestata fuit diplomate anni 1515, mense Julio a Leone X. papa. Sed paulo post suppressus est novus episcopatus exigente Francisco I. Francorum rege..."); gar keine Erwähnung z.B. im Dictionnaire d'Histoire et de Géographie Ecclésiastiques und anderen Standardwerken. Die Auflösungsbulle für beide Neugründungen wurde im Oktober 1516 erlassen, kann aber nicht allseits Anerkennung gefunden haben. Obwohl eingehendere Forschungen zu diesen Bistumserhebungen noch ausstehen, sollen wegen der Bedeutung für unseren Kontext hier schon einige Hinweise zu den doch recht forcierten Bemühungen um Bourg-en-Bresse gegeben werden. Leo X. hatte das Projekt sehr ernst genommen. Im Sommer 1515 hatte er den Thesaurar, die Kammerkleriker und -notare, die Sollizitatoren der Kanzlei und die Skriptoren des Kurienarchivs angewiesen, daß alle apostolischen Briefe super erectione olim opidi Burgi Breissie tunc Lugdunen, dioc. et illius parochialis ecclesie b.M. in cathedralem ecclesiam ac in ea prepositure et aliarum dignitatum etc. ad instantiam dilecti filii nobilis viri Caroli Sabaudie ducis erectorum etc. gratis auszustellen seien. Die vorher an die mensa des Doms zu Lyon gebundenen Rechte sollten an Bourg-en-Bresse übertragen werden, der mensa des neuen Bistums sollten das Benediktinerkloster b. M. Ambionaci und dessen Sakristei, die Pfarrkirchen .v. Johannis Aventurarum et s. Stephani Gizineci dicte Lugdunen, dioc. auf Dauer uniert werden; dieses neu errichtete Bistum sollte dann wiederum von Ludovicus de Correvedo, Oberhaupt des savoyischen Bistums St-Jean-de-Maurienne, auf Lebenszeit übernommen werden, wobei er keine Annaten und Servitien zu zahlen brauchte; vgl. ASV, Camera apostolica, Diversa Cameralia 65, fol. 56r/v (ohne Datum, doch auf den Sommer 1515 einzugrenzen). In den (lückenhaften) Annatenregistern, die ich für den Pontifikat Leos genauer untersucht hatte, wird dem status nascendi dadurch Rechnung getragen, daß dort mit Blick auf die Diözesenzuordnung annatenpflichtiger Benefizien sowohl von Lugdunen. seu Burgien. dioc. als auch nur von Burgien. dioc. bzw. von Burgien. olim Lugdunen. dioc. gesprochen wird, dies aber noch in den Jahren 1516 bis 1518; vgl. ASV, Camera apostolica, Annatae 58 (Oktober bis Dezember 1516), fol. 12v, 26r; Annatae 59 (Januar bis Juli 1517), fol. 34r (Burgien. olim Lugdunen, dioc., 17.2.1517), 41r, 57r, 83r, 89r, 92r, lOlv, 144v, 145v, 166v, 169v, 176v (wegen Pnorat v. Desiderii Offie OSB Burgien. olim Lugdunen, dioc., 11.7.1517, diese Bezeichnung auch wiederholt, aber nicht konsequent in folgenden Quellen); Annatae 60 (Juli 1517 bis März 1518), fol. 33r, 40v, 45r, 75v, 91v, 92v, 145r, 155v, 173v, 182r. 147

Da, wie oben (Anm. 66) angemerkt, der Verf. im Kontext eines Medici-Projektes auch eine ausführliche Studie zu den Sanseverino und ihren Frankreichbindungen vorbereitet, sollen hier nur wenige aufschlußreiche Hinweise gegeben werden.

Die Medici und Frankreich im Pontißkat Leos X.

89

F a m i l i e n z w e i g e n , erbitterte G e g n e r der Spanier. 1 4 8 A u f den Kardinal F e d e rico S a n s e v e r i n o als Schuldner und v o r allem als g r o ß z ü g i g e n G l ä u b i g e r der M e d i c i - B a n k in den 9 0 e r Jahren, als a n s c h l i e ß e n d g e r a d e z u f a m i l i ä r e n „ G r o ß k u n d e n " und Freund der i m innersten M e d i c i - Z i r k e l operierenden B a r t o l i n i - B a n k , als f ü h r e n d e n T e i l n e h m e r d e s s c h i s m a t i s c h e n K o n z i l s v o n P i s a - L y o n , auf s e i n e V e r b i n d u n g zu Giovanni de' M e d i c i und a u f s e i n e R e h a b i l i t i e r u n g durch L e o X. im Juni 1513 sind wir bereits e i n g e g a n g e n . 1 4 9 Er agierte dann w e i t e r h i n - s o für den Oktober 1 5 1 3 b e z e u g t , d o c h e b e n falls u n m i ß v e r s t ä n d l i c h und mit z a h l r e i c h e n B e l e g e n bereits seit 1 5 0 0 / 1 5 0 1 - als Protektor der f r a n z ö s i s c h e n A n g e l e g e n h e i t e n an der Kurie. 1 5 0 Z u g l e i c h b e a u f t r a g t e ihn aber auch der Papst, b e s t i m m t e p o l i t i s c h e Fragen mit d e m K ö n i g s h a u s zu klären. 1 5 1 F e d e r i c o resignierte im Januar 1 5 1 5 sein E r z b i s t u m V i e n n e , u m s e i n e n Bruder A l e s s a n d r o S a n s e v e r i n o a u f den Stuhl d i e s e s in der D a u p h i n e l i e g e n d e n , b i s an das Territorium S a v o y e n s sich erstreckenden E r z b i s t u m s z u bringen - und A l e s s a n d r o wird e b e n f a l l s „Kunde" der B a r t o l i n i - B a n k , die aber auch w e g e n der i m m e n s e n S c h u l d e n s e i n e s Bruders an ihn herantritt. 1 5 2 W e l c h e n R a n g F e d e r i c o in Frankreich

148

Vgl. G. VITOLO, Art. „Sanseverino", in: LexMa 6, Sp. 1366f. (der am Aufstand der Barone gegen König Ferrante von Neapel teilnehmende Großadmiral Antonello floh nach Frankreich, wo er maßgeblich dazu beitrug, daß Karl VIII. 1494 seinen Italienzug unternahm); ferner P. MARGAROLI, Art. „Sanseverino (Lugano)", in: ebd., Sp. 1367f.: Der Sanseverino-Zweig der Grafen von Caiazzo stellte im 15. Jahrhundert bedeutende Söldnerfiihrer im Herzogtum Mailand; zum besser erforschten süditalienischen Zweig s. ferner RAFFAELE COLAPIETRA, I Sanseverino di Salerno: Mito e realtà del barone ribelle (Collana di studi storici salernitani 1), Salerno 1985. 149 S. oben S. 20, 34-38, 54-59 und Anm. 17-18, 50-55, 86-89. 150 Vgl. SANUTO, I Diarii (wie Anm. 82), III, Sp. 1632 (März 1501: in Rom erwarte man den Kardinal Sanseverino, vien per haver in protetion le cosse dil re di Franzo). Federico, der Mailänder, muß Ende 1500 als nunmehr unzweideutiger Parteigänger Frankreichs in das Königreich gekommen sein, denn spätestens im Januar 1501 war er in seinem Bistum Maillezais gewesen, im Februar nahm er in seinem Haus in Blois den am französischen Hof weilenden Giuliano de' Medici als Gast auf (s.o. Anm. 83); a.a.O., IV, Sp. 573 (Kardinal Sanseverino z.B. 21.12.1502 als Sprecher des französischen Königs an der Kurie); für 1513:1 Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 398f. 151 So im April 1515, als der Nuntius Canossa von der Königinmutter berichtet, che dapoi di li a 3 giorni Monsignor il Gran Maestro li [se. madama] habbi mostrati li medesimi particulari scripti da Santo Severino, di commissione (sì come Sua Signoria dice) di N. S., senza tante excomunicationi; vgl. Documenti riguardanti Giuliano de' Medici (wie Anm. 109), S. 313 (23.4.1515). 152 Vgl. EUBEL, Hierarchia III (wie Anm. 11), S. 333 (dort Alessandro irrig als „nepos" statt Bruder des Federico bezeichnet), richtig z.B. in einem Breve Leos X. vom 8.3.1518; vgl. ASV, Arm. XXXIX, vol. 32, fol. 146r. Dieses Breve führt uns wieder tief in die (oben ausführlich angesprochenen) Verbindungen zwischen den Medici, den Bartolini und den Sanseverino. Denn Leo X. muß Gherardo Bartolini ermahnen, den Erzbi-

90

Götz-Rüdiger

Tewes

einnahm, s p i e g e l t sich schlaglichtartig in Z e u g n i s s e n v o n D i p l o m a t e n und h o c h g e s t e l l t e n R e i s e n d e n in Frankreich, die in G a i l l o n im prächtigen, seit 1 5 0 1 unter E i n b e z i e h u n g v o n R e n a i s s a n c e f o r m e n u m g e b a u t e n S c h l o ß d e s ( 1 5 1 0 v e r s t o r b e n e n ) Kardinals G e o r g e s d ' A m b o i s e , d e s F r e u n d e s und m a ß g e b l i c h e n Vertrauten v o n K ö n i g L u d w i g XII., an repräsentativer Stelle unter d e m G e w ö l b e der b e e i n d r u c k e n d e n E r d g e s c h o ß l o g g i a l e b e n s n a h e Terracotta-Statuen der f r a n z ö s i s c h e n K ö n i g e Karl VIII. und L u d w i g XII., der K ö n i g i n A n n e de B r e t a g n e , d e s Bauherrn und eben auch d e s Kardinals F e d e r i c o S a n s e v e r i n o neben Vertretern d e s f r a n z ö s i s c h e n H o c h a d e l s v o r fanden!153 D e r N e f f e v o n F e d e r i c o und A l e s s a n d r o S a n s e v e r i n o , Roberto, Graf v o n C a i a z z o , sollte 1 5 1 8 Ippolita heiraten, die T o c h t e r v o n F r a n c e s c h e t t o Cibo und M a d d a l e n a d e ' M e d i c i , der S c h w e s t e r d e s P a p s t e s - ein m a ß g e b l i c h am f r a n z ö s i s c h e n K ö n i g s h o f verhandelter parentado, der v o n L e o X. si-

schof Alessandro von Vienne nicht weiter wegen bestimmter Schulden zu bedrängen, obwohl Gherardo die facultas besaß, sich und anderen Gläubigern des 1516 verstorbenen Kardinals Federico Sanseverino das ihnen zustehende Geld aus kirchlichen Einkünften seines Bruders und Nachfolgers als Erzbischof von Vienne bis zu einer Summe von 1.000 Dukaten zu besorgen; zu den Schulden Federicos bei der Bartolini-Bank s.o. Anm. 51; zu Alessandro als deren „Kunden" vgl. etwa APB, Nr. 202, fol. 148v. 153 Vgl. zur (frühesten) Beschreibung des Schlosses durch den mantuanischen Gesandten Jacopo Probo d'Atri aus dem Frühjahr 1510: R. WEISS, The Castle of Gaillon in 1509-10, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 16 (1953), S. 1-12, 351; zur Schilderung des Antonio de Beatis, des Chronisten der Europareise des Kardinals Luigi d'Aragona, vgl. LUDWIG PASTOR (Hg.), Die Reise des Kardinals Luigi d'Aragona durch Deutschland, die Niederlande, Frankreich und Oberitalien, 1517-1518, beschrieben von Antonio de Beatis (Erläuterungen und Ergänzungen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes IV/4), Freiburg/Br. 1905, S. 128-130 (als Begleiter des französischen Königs und seines Hofes logierte der spanische Kardinal im September 1517 in Gaillon); z u m S c h l o ß s e l b s t v g l . e t w a WOLFRAM PRINZ / RONALD G . KECKS, D a s f r a n z ö s i s c h e

Schloß der Renaissance. Form und Bedeutung der Architektur, ihre geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen (Frankfurter Forschungen zur Kunst 12), Berlin 1985, S. 82-85 und bes. 481-488. Georges d'Amboise war seit 1494 Erzbischof von Rouen; dieses Amt konnte er übernehmen, weil der im August 1493 zum Administrator des Erzbistums bestellte junge Kardinal Federico Sanseverino sein Amt resignierte; vgl. EUBEL, Hierarchia II (wie Anm. 50), S. 225. Hier dürfte es einen ersten engeren Kontakt zwischen dem Sanseverino und d'Amboise gegeben haben, dem unter Ludwig XII. einflußreichsten Staatsmann Frankreichs. Das an der Seine in der Normandie gelegene Schloß Gaillon war traditionell Sommersitz der Erzbischöfe von Rouen; Georges d'Amboise hatte es seit 1501 mit enormem Finanzaufwand umbauen und erweitern lassen, integrierte dabei zunehmend vor allem bei Ornamenten und Skulpturen die Vorbilder der italienischen Renaissance, die er durch seine Teilnahme an den Italienzügen der französischen Könige seit 1494 schätzen gelernt hatte.

Die Medici und Frankreich im Pontiflkat Leos X.

91

cherlich aus p o l i t i s c h e n Gründen g e w o l l t war. 1 5 4 R o b e r t o s V a t e r Gianfranc e s c o , C o n t e di C a i a z z o als ältester der v i e l e n S ö h n e d e s b e r ü h m t e n S ö l d nerfuhrers R o b e r t o S a n s e v e r i n o , w e c h s e l t e als erster der militärisch w i r k e n d e n S ö h n e i m S e p t e m b e r 1 4 9 9 aus m a i l ä n d i s c h e n g a n z in f r a n z ö s i s c h e D i e n s t e ; sein s c h o n v o n Karl VIII. h e i ß u m w o r b e n e r Bruder G a l e a z z o Sans e v e r i n o , S c h w i e g e r s o h n und L i e b l i n g d e s L o d o v i c o il M o r o , blieb d i e s e m länger loyal, stieg dann aber seit 1 5 0 3 / 0 4 u m s o rasanter in h ö c h s t e Ä m t e r Frankreichs auf, w u r d e Grand ecuyer d e s K ö n i g s , d.h. verantwortlich für d e s s e n Pferde, S t a l l u n g e n und die R e i t a u s b i l d u n g der j u n g e n A d l i g e n d e s H o f e s , und starb 1 5 2 5 in der Schlacht v o n P a v i a . 1 5 5 W i e s e i n e Brüder war

154 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 23 (wie Anm. 1), S. 27f. (die Einwilligung zu dieser über den französischen Königshof zu schließenden Ehe wollte Leo allerdings nicht mit dem gewünschten Kardinalat für Alessandro Sanseverino, den Erzbischof von Vienne, verbinden: El reverendissimo cardinale Cibo [Innocenzo Cibo, Sohn des Francescetto] vi scriverrà del parentado che altre volte si è tractato de la sorella sua col figliuolo del Conte di Caiazo. N. S. haria molto caro che si concludessi; et però V. S. facci ogni opera et favore che habbi effecto. Altra volta questi del Conte voleano promessa da N. S. che faria cardinale lo Archiepiscopo di Vienna, zio di questo Signore, et a Sua Santità non è parso fare il parentado con questa obligatione. Potete ben dire che quando poi saranno parenti, potria per amore succedere questa et de l'altre cose; et tarnen non vi obligate; so Kardinal Giulio am 17.6.1518 an Bibbiena in Frankreich). Offensichtlich fand die Hochzeit tatsächlich statt, wie aus einem prachtvollen Kodex hervorgeht, den Giovanni Ambrogio Noceto 1519 als Geschenk für Franz I. illustrierte und in dem sich das französische Mailand als gallische Gründung dichterisch gepriesen - unter den zahlreichen Porträts hochstehender Mailänder Damen auch eine Ippolita, Gräfin von Caiazzo, sowie eine Ippolita Sanseverino befinden; eine dieser beiden (vermutlich die erste) dürfte die Tochter der Maddalena Medici bzw. die Nichte des Papstes sein; vgl. die Abbildungen in: GINO FRANCESCHINI, Le dominazioni francesi e le restaurazioni sforzesche, in: Storia di Milano, Vili: Tra Francia e Spagna (1500-1535), Milano 1957, S. 83-333, hier S . 223, 225; sowie (in Auswahl): C A T E R I N A S A N T O R O , I codici miniati della Biblioteca Trivulziana, Milano 1958, S. 45f„ Nr. 48, und tav. XXXVI-XXXVII. Nicht mehr zu konsultieren war: G I U L I A B O L O G N A , Tutte le dame del re. Ritratti di dame milanesi per Francesco I di Francia [di] Giovanni Ambrogio Noceto, Milano 1989. 155 Gianfrancesco, der wie seine anderen Brüder schon immer deutliche Sympathien für Frankreich gezeigt hatte, ging noch während der Eroberung Mailands durch Ludwig X I I . auf dessen Seite über; vgl. etwa S A N U T O , I Diarii (wie Anm. 82), I I , Sp. 1254 (5.9.1499: il conte di Cajazo si ha fato homo franze.se): 1264, 1343; III, 31; Chroniques de Louis X I I , par J E A N D ' A U T O N , hg. von R É N É DE M A U L D E LA C L A V I È R E , I - I V , Paris 1889-1895, hier I, S. 85. Doch schon am 2.9.1501 starb er bei den Kämpfen um Neapel; SANUTO, a.a.O., IV, Sp. 97, 107. Zu Galeazzo Sanseverino vgl. etwa FRANCESCHINI, Le dominazioni francesi (wie Anm. 154), S. 87, 218-220; Storia di Milano VI: L'età sforzescha dal 1450 al 1500, Milano 1956, s.v.; V I I I (wie Anm. 154), s.v.; K N E C H T , Renaissance Warrior (wie Anm. 111), s.v.; C A S T I G L I O N E , IL libro del Cortegiano (wie Anm. 83), S. 57f. (1/25, zu Galeazzo als „Grande Scudiere" des französischen Königs und exzellentem Reiter). Galeazzo, der nach der Gefangennahme seines Schwiegervaters Lodovico

92

Götz-Rüdiger

Tewes

G a l e a z z o e b e n f a l l s den M e d i c i seit l a n g e m verbunden; als Vertrauter und capitano generale d e s H e r z o g s L o d o v i c o S f o r z a gehörte er dann beis p i e l s w e i s e i m S e p t e m b e r 1 4 9 6 z u s a m m e n mit G i u l i a n o de' M e d i c i und seinem Bruder Gianfrancesco Sanseverino zum Gefolge des mailändischen H e r z o g s bei d e s s e n V e r h a n d l u n g e n mit d e m Kaiser in V i g e v a n o . 1 5 6 N a c h s e i n e m v ö l l i g e n W e c h s e l v o n der Seite des 1 5 0 0 b e s i e g t e n S f o r z a a u f die d e s f r a n z ö s i s c h e n K ö n i g s z ä h l e n G a l e a z z o und sein Bruder F e d e r i c o im S o m m e r 1 5 1 3 - b e i d e per Eilkurier in direktem K o n t a k t miteinander stehend - nicht nur z u den für unseren K o n t e x t so w i c h t i g e n Vermittlern der p ä p s t l i c h - f r a n z ö s i s c h e n E i n i g u n g nach d e m K o n z i l v o n Pisa, sondern o f fenbar zu deren e n e r g i s c h e n B e f ü r w o r t e r n . 1 5 7 D i e Information, daß die Bartolini zu H a u s b a n k i e r s d e s Kardinals F e d e r i c o S a n s e v e r i n o und zu S a c h w a l t e r n seiner B e n e f i z i e n wurden, lukrative und prestigeträchtige B e n e f i z i e n in S a v o y e n v o n ihm erhielten und bis zu s e i n e m T o d s e i n e B a n kiers b l i e b e n , wird man v o r d e m hier nur skizzierten Hintergrund d e m n a c h k a u m nüchtern, sondern v i e l m e h r g l e i c h s a m elektrisiert zur K e n n t n i s nehmen.

il Moro für einige Zeit am Hof König Maximilians im Exil lebte, muß zwischen Februar 1503 und Januar 1504 (als er an der Seite des Kardinals Amboise in Lyon einritt) in französische Dienste eingetreten sein; zu erschließen aus SANUTO, I Diarii (wie Anm. 82), IV, Sp. 696 (Februar 1503); V, Sp. 734 (Januar 1504). König Karl VIII. wollte Galeazzo schon während dessen Gesandtschaft an den königlichen Hof in Lyon im Frühjahr 1494 in seinen Dienst nehmen, doch band er den loyal Gebliebenen durch die Verleihung des exklusiven Michaelsordens an das Königtum; vgl. AS Milano, Sforzesco 552, 553, passim. Noch 1502 gab es in dem kleinen Kreis des königlichen Eliteordens nur 4 NichtFranzosen, nämlich die 4 Italiener Lodovico II, Markgraf von Saluzzo, Francesco Gonzaga, Markgraf von Mantua (seit Oktober 1499 Ritter des Ordens; seine Schwester Barbara war mit Gianfrancesco Sanseverino verheiratet, dessen Familie überhaupt starken Rückhalt in Mantua fand), Giangiacomo Trivulzio und Galeazzo Sanseverino; vgl. SANUTO, a.a.O., IV, Sp. 239. 1503 wurde Giangiordano Orsini durch Ludwig XII. in den Orden aufgenommen, dem in gleichfalls programmatischer Intenüon zur Förderung der französischen Italienpolitik weitere Adlige des Sanseverino-Medici-Kreises folgten, doch hierzu ausführlicher in einer späteren Studie. 156 Vgl. SANUTO, I Diarii (wie Anm. 82), I, S. 308. Zu Giuliano de' Medici als Gast des Federico Sanseverino in dessen Haus in Blois 1501 vgl. o. Anm. 83. 157 Sehr instruktiv hier der Brief des französischen Gesandten an der Kurie, Louis de Forbin, vom August oder September 1513, gedruckt bei MINNICH, The Healing of the Pisan Schism (wie Anm. 15), S. 16 lf. (App. III). Im übrigen begegnet auch Forbin in den Rechnungsbüchern der Lyoner Bartolini-Bank als deren Kunde, so 1515 neben vielen anderen hohen Amtsträgern wie Kardinal Louis d'Amboise als Schuldner; vgl. APB, Nr. 202, fol. 148v.

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

93

c) Die Salviati Eine zentrale Position im Medici-Netzwerk kam schließlich auch Jacopo (Giacomo) di Giovanni di Alamanno Salviati zu, oder besser: der Gesellschaft der Salviati. Der zur politischen Führungsschicht von Florenz zählende Patrizier ist bekannt: Verheiratet mit Leos Schwester Lucrezia, deren mit Giovanni delle Bande Nere (de' Medici) verheiratete Tochter Maria Salviati dann Mutter von Cosimo I. de' Medici wurde, ein Kaufmann und zur Spitze der europäischen Hochfinanz zählend. 1 5 8 Seltener hört man von der Rolle der Salviati-Gesellschaft in Lyon. Was die Medici-Bank bis 1494 leistete, setzten Jacopo und der 1510 gestorbene Alamanno (di Averardo di Alamanno) Salviati in zweifelloser Kooperation sowohl mit Leonardo di Zanobi Bartolini als auch mit den Söhnen des Bartolomeo Bartolini in Rom wie in Lyon bereits während des Medici-Exils fort. In Lyon wurde der zentrale Angelpunkt der Medici-Frankreich-Allianz auf dem Gebiet der Diplomatie, Finanzen und Kommunikation aufgebaut, wobei noch unklar ist, wie die Bartolini-Salviati-Gesellschaft im einzelnen organisiert und strukturiert war und wie die Aufgabenverteilung in ihr bzw. zwischen den Partnern geregelt wurde. Die unter dem Namen der Salviati laufende Lyoner Dependance der Medici-Herrschaft nahm auch für die Organisation des diplomatischen Verkehrs und der Nachrichtenübermittlung eine zentrale Bedeutung ein. Fast jeder Medici-Gesandte, Bote und Kurier, aus Rom kommend oder dorthin reisend, hielt in Lyon im Salviati-Hof. Hier wurde der Briefverkehr organisiert, der in der Regel mit chiffrierten Briefen und äußerst geheim - so Giulio de' Medici -per le solite mani de ' Salviati er-

folgte -parenti

et cose nostre159

158 VGL E T W A S T E P H E N S , The Fall (wie Anm. 1 1 6 ) , s.v.; B U T T E R S , Governors (wie Arnn. 9 6 ) , s.v.; M. L U Z Z A T I , Art. „Salviati", in: Lexikon des Mittelalters 7 ( 1 9 9 5 ) , Sp. 1 3 2 2 F ; P I E R R E H U R T U B I S E , Une famille témoin: les Salviati, Roma 1 9 8 5 ; D E R S . , Salviati, in: Die grossen Familien Italiens, hg. von V O L K E R R E I N H A R D T , Stuttgart 1 9 9 2 , S.

475-479.

159 Zahlreiche Zeugnisse für das Kommunikationszentrum in I Manoscritti Torri giani, vgl. etwa ASI 23 (wie Anm. 1), S. 15, 416; ASI 25 (wie Anm. 1), S. 6, 15, 375f.; ASI 26 (wie Anm. 1), S. 180 (in Anweisung Giulio de' Medicis an den neuen Nuntius in Frankreich, Giovanni Staffileo, Bischof von Sebenico, 3.8.1517: „A Lione, alloggerà in casa Salviati", perchè sono parenti et cose nostre; et da un Francesco Maldini, che è li al governo del banco, potrete intendere dove si trova la Corte, et havere da lui qualche adviso, perchè è homo che ha pratiche assai; et parlare seco de li spacci che accedessi fare, perchè per le loro mani il più de le volte vi manderemo le lettere nostre), 182. Francesco Naldini stand schon Ende 1513 mit dem savoyischen Herzogshof in Verbindung (s.o. Anm. 129, aber auch Anm. 41). Sein Vater war Tuchhändler und Francesco hatte als Leiter der Salviati-Bank in Lyon so hohen Respekt und so viel Vertrauen bei den Medici gewonnen, daß Leo X. und Giulio de' Medici ihm 1518 das höchste Florentiner Amt, das

Götz-Rüdiger

94

Tewes

Ebenso nahm die Salviati-Bank in Lyon für die finanzielle Seite des Frankreich-Bündnisses eine Schlüsselfunktion ein. Über die Salviati und Lyon läuft der finanzielle Teil der Eheverbindung mit Filiberta von Savoyen. Jacopo persönlich und seine Frau Lucrezia bürgen im November 1514 und nochmals Anfang 1515 bei Karl von Savoyen für die einzubringenden 100.000 Dukaten, von denen Jacopo 25.000 Dukaten sofort zu zahlen hatte. 160 An einem ausgezeichneten Verhältnis zu Frankreich mußte Jacopo Salviati vor allem seit 1515 liegen. Denn zum einen war er als päpstlicher Thesaurar der Romagna für die Produktion und den Verkauf des Salzes zuständig, und von den Verkaufserlösen außerhalb des Kirchenstaates erhielt er ein Viertel des Gewinns, immerhin ca. 15.000 Dukaten jährlich - wodurch mit Blick auf Mailand die Frankreich-Beziehungen der Medici-Kurie nach dem Vertrag von Viterbo zugleich klingende Münze für ihn bedeuteten; zum anderen wurde er schon im Dezember 1516 durch seinen Schwager Leo X. zum Kommissar der ersten decima ernannt, die der Papst Franz I. während des Treffens von Bologna im Dezember 1515 für

des Gonfaloniere di Giustizia, verschaffen wollten, obwohl er nicht in Florenz lebte und dort noch keine politischen Rechte und niedrigere Ämter erworben hatte, weshalb Goro Gheri bei entsprechender Durchsetzung negative politische Konsequenzen für die Medici in Florenz voraussah; vgl. hierzu B U T T E R S , Governors (wie Anm. 96), S. 291; S T E P H E N S , The Fall (wie Anm. 116), S. 92. Zu Francesco Naldini als Repräsentanten der SalviatiBank in Lyon und personalem Kommunikationsknotenpunkt s. auch HURTUBISE, Une famille témoin (wie Anm. 158), S. 142, Anm. 22, S. 146, 219, Anm. 80. Unbekannt war bisher Naldinis Funktion (bzw. die des in Toulouse und Lyon ansässigen Handelshauses von Francesco und Domenico Naldini) als langjähriger Partner der Bartolini-Bank, bevor er zum Repräsentanten der Salviati-Bank in Lyon wurde (vgl. o. Anm. 41); ebenso die geschäftliche Verbindung zwischen den Bartolini und den Salviati, die schon vor 1510 über Alberto Salviati (bei Hurtubise, a.a.O., nicht aufgeführt), Alamanno (di Averardo di Alamanno) und Jacopo (di Giovanni di Alamanno) Salviati bzw. über die Gesellschaft des Alamanno Salviati e compagnia di Lione lief, und die ab 1513 offenbar mit der Gesellschaft des Giovanni und Erben des Leonardo di Bartolomeo Bartolini sowie mit den Aktivitäten des Leonardo di Zanobi Bartolini noch enger verknüpft wurde; vgl. APB, Nr. 202, fol. 4r; ferner z.B. Nr. 199, fol. 108r, 149v/150r; Nr. 369, fol. 17r, 23v.; Inventario delle pergamene (attenenti alla famiglia), I, 5, 28.6.1510, 12.3.1514; u. o. Anm. 90. Die Eheverbindungen zwischen Alamannos Sohn Piero und Ginevra Bartolini (Salimbeni) sowie zwischen seiner Tocher Cassandra und Averardo Bartolini (Salimbeni) dürften vor diesem Hintergrund zu bewerten sein; vgl. HURTUBISE, ebd. S. 229f., 498. Dieses Geflecht muß freilich noch eingehend analysiert werden, desungeachtet erscheint Naldinis Eintritt in die Salviati-Bank schon nach jetzigem Erkenntnisstand geradezu wie ein Aufgabenwechsel innerhalb eines größeren Hauses. Eher allgemein zur Lyoner Salviati-Gesellschaft im 16. Jahrhundert: M I C H E L E C A S S A N D R Ò , Le fiere di Lione e gli uomini d'affari italiani nel Cinquecento, Firenze 1979. (Ich danke Lorenz Böninger für seine Informationen zu diesem schwer zu beschaffenden Band.) 160

Vgl. oben Anm. 132.

Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X.

95

e i n e n ( n i e ernsthaft in E r w ä g u n g g e z o g e n e n ) K r e u z z u g g e w ä h r t hatte und die d e m f r a n z ö s i s c h e n K ö n i g fast 4 0 0 . 0 0 0 P f u n d E i n n a h m e n , d e m M e d i c i V e r w a n d t e n durch s e i n e B e t e i l i g u n g i m m e r h i n n o c h z w i s c h e n ca. 1 9 . 0 0 0 und 3 8 . 0 0 0 P f u n d b e s c h e r t e - w o m i t ein w e i t e r e s Mal bestätigt wird, daß dieser M e d i c i - P a p s t an so gut w i e jeder G u n s t für Frankreich direkt oder indirekt partizipierte. 1 6 1 E n d e 1 5 1 8 sollte J a c o p o Salviati die S u m m e v o n erneut 1 0 0 . 0 0 0 D u k a t e n verwalten, die Franz I. d e m Papst innerhalb v o n vier Jahren zur V e r f ü g u n g stellen mußte, und zwar aus den durch seinen z w e i t e n Z e h n t e n e i n z u s a m m e l n d e n G e l d e r n . 1 6 2 Sachlich w a r d i e s e V e r p f l i c h t u n g mit j e n e r verknüpft, durch die Franz I. sich zur Z a h l u n g v o n 1 0 0 . 0 0 0 D u k a t e n für L o r e n z o , den H e r z o g v o n Urbino, anläßlich d e s s e n H o c h z e i t mit M a d e l e i n e de la Tour d ' A u v e r g n e v e r p f l i c h t e t e und v o n denen der K ö n i g im D e z e m b e r 1 5 1 8 2 5 . 0 0 0 T u r n o s e n p f ü n d durch den in L y o n s e ß h a f t e n Florentiner K a u f m a n n Zanobi Bartolini, d.h. über die Bartolini-Bank, bezahlte.163

161 Zu Salviati als Thesaurar der Romagna: BUTTERS, Governors (wie Anm. 96), S. 215f.; zu diesem Amt, zu dem des Kommissars für die décima und zu den genannten Summen: HURTUBISE, Une famille témoin (wie Anm. 158), S. 140-142, 146; von den Einnahmen des Salzmonopols profitierten zudem die Teilhaber der Salviati-Bank in Lyon (wie offensichtlich Francesco Naldini) und Vertraute des Papstes wie der Kammerkleriker Francesco Armellini (vgl. ebd. S. 141f., Anm. 18, 19). Zum Kreuzzugszehnten vgl. auch I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 177 (Genehmigung zur Erhebung des Zehnten mit Bulle vom 17.5.1516), 179 (zu der schon in Bologna bewilligten décima für die crociata, Datum irrig 1514, richtig: 1516); ASI 21, S. 192f. (14.11.1517, drei Bullen wegen Verlängerung der ersten crociata und wegen der décima in Frankreich sowie im Herzogtum Mailand); PASTOR, Geschichte der Päpste (wie Anm. 105), S. 99; KNECHT, Renaissance Warrior (wie Anm. 111), S. 86. 162 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 187; vgl. auch PASTOR, Geschichte der Päpste (wie Anm. 105), S. 184 (mit einer Bulle vom 1.12.1518 wurde der zweite Kreuzzugszehnt gewährt, über dessen Einnahmen wiederum Franz I. frei verfügen konnte - doch erneut nicht ohne Verknüpfung mit den finanziellen Interessen der casa Medici). 163 Vgl. MOLINI, Documenti (wie Anm. 43), S. 71f„ und oben S. 43; PASTOR, Geschichte der Päpste (wie Anm. 105), S. 184; KNECHT, Renaissance Warrior (wie Anm. 111), S. 188 (um die Summe an den Herzog von Urbino zahlen zu können, verschuldete sich Franz I. bei den Lyoner Bankiers - also offenbar ebenso bei den Bartolini); I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 23 (wie Anm. 1), S. 7 (10.4.1518, Giulio de' Medici an Giovanni Staffileo, u.a. über die Vorgänge in Lyon: Franz I. habe Goldstoffe und Kredite bei den Florentiner Kaufleuten in Lyon konfisziert [sie], zum großen Schaden der dortigen Florentiner Nation und besonders de Ii primi amici et servitori di Casa nostral). Obwohl PASTOR, a.a.O., den „schmählichen Mißbrauch mit den für den Türkenkrieg gesammelten Geldern" kritisiert, scheint er die Interessenverflechtung der Medici und der französischen Krone bei den kirchlichen Finanzen Frankreichs verkannt zu haben.

Götz-Rüdiger

96 d) Die

Tewes

Trivulzio

F a s z i n i e r e n d ist e s z u betrachten, w i e auch andere w i c h t i g e Vermittler v o n ihrer P o s i t i o n profitieren dürfen und w i e sie damit v e r d i c h t e n d e K n o t e n p u n k t e im N e t z w e r k bilden. G a n z g e n a u w u r d e dabei a b g e w o g e n , w e l c h e V o r t e i l e m a n für w e l c h e G n a d e erhielt: D i e v o n M a i l a n d nach Frankreich a u f s t e i g e n d e n T r i v u l z i o - u m eine markantes B e i s p i e l zu w ä h l e n - w e r d e n v o m Papst als w i c h t i g e r Teil der k ö n i g s n a h e n Elite e b e n deshalb privilegiert, u m sie damit explizit zu obligieren; sie sollten sich v e r p f l i c h t e t fühlen, für den Papst b e i m K ö n i g einzutreten. Oder mit den rationalen, kühl a b w ä g e n d e n M e d i c i - W o r t e n : Heute, nach d e m T o d d e s Giovanni G i a c o m o Trivulzio, der in M a i l a n d - trotz mancher, aber zu v e r n a c h l ä s s i g e n d e r F e h l e r - als G u e l f e und amico vecchio naturale für die M e d i c i g e w i r k t hätte, 1 6 4 m ü s s e m a n sich mit Ehre und S o r g e um all die anderen d i e s e s H a u s e s kümmern. E s seien viele, in allen P r o f e s s i o n e n v o n guter Qualität, b e s o n d e r s der N e f f e , alle natürlich Freunde und D i e n e r des K ö n i g s ; und w e n n man s o l c h e D i e n e r mit B e n e f i z i e n , A n s e h e n und Kredit versorgt: la

164

I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 180 (in der oben zitierten Anweisung Giulio de' Medicis an den neuen Nuntius Staffileo: In Mailand solle er sich zu Giovan Giacomo Trivulzio und zum General von Mailand begeben, offerendo, exhortando et pregando le lor Signorie ad continuare ne li amorevoli offitii che hanno dimostro in favore di N. S. et de la Excellentia del Duca, et ringratiando di quello hanno fatto fino a rao[!]); vgl. auch ASI 24, S. 26 (Giulio an Bibbiena, 30.10.1518: Trivulzio als Partner der Medici, Lautrec (Odet de Foix-Lautrec), der beim König an Kredit verliere, und Galeazzo Visconti als latente Gegner; und dann sehr aufschlußreich: N. S., quanto efficacemente può, vi rachomanda el signor lo. Iacomo [Trivulzio], et desidera che lo adiutiate quanto sìa possibile, advertendo nondimeno che il troppo favore vostro non li nocessi: ma potete rachomandarlo per parte di Sua Santità fino ad un certo termine; dipoi monstrare che tucto ricordate per benefìtio loro, perchè li meriti del prefato Signore et de la casa sua et de la Parte guelpha sono noti a tucto el mondo; et se ha mancato in qualche cosa del debito suo, questo poi è noto a pochi[\\, et la fama ne' populi et ne le città dove sono le parti, sapete quanta forza habbi et quanto carico et mala gratia possi fare a Sua Maestà, ruinando chi ha facto loro tanti servita. Et certo N. S. si move ad rachomandarlo non meno per conto del Cristianissimo che del signor Io. Iacomo; con ciò sia cosa che de ' ghibellini non sì possono fidare, et li amici vecchi naturali (se bene fanno qualche errore) non è da volerli perdere et ruinare). Vgl. auch FRANCESCHINI, Le dominazioni francesi (wie Anm. 154), S. 218-220: Der am 5.12.1518 in Chartres gestorbene Trivulzio hatte kurz vor seinem Tod an Ansehen beim König verloren, während sein Konkurrent Galeazzo Sanseverino, dessen Güter die Trivulzio zeitweilig erhalten hatten und nach Galeazzos Eintritt in französische Dienste nicht wieder herausgeben wollten (einer ihrer von Giulio de' Medici angesprochenen Fehler?), an Prestige gewann. Nicht mehr zu konsultieren war: L. Arcangeli, Gian Giacomo Trivulzio marchese di Vigevano e il Governo francese nelle Stato di Milano (1499-1518), in: Vigevano e i territori circostanti alla fine del Medioevo, a cura di G. Chittolini, Milano 1997, S. 15-80.

Die Medici und Frankreich im Pontißkat Leos X.

97

loro servitù è fidele et fructuosa; et che si reputerà obligato di tucto el beIn ähnlicher W e i s e sollten die päpstlichen G n a d e n , ne che ricerveranno.165 vor a l l e m A b l ä s s e u n d D i s p e n s e , an k ö n i g s n a h e F r a n z o s e n im V o r f e l d und während des zur V e r s t ä n d i g u n g über das Konkordat führenden T r e f f e n s in B o l o g n a A b h ä n g i g k e i t e n s c h a f f e n . 1 6 6 D a w o l l t e der K ö n i g nicht nachstehen und versprach N i c c o l ò di Piero Ardinghelli aus L e o s K l i e n t e l in B o l o g n a f r a n z ö s i s c h e B e n e f i z i e n im Wert v o n 5 0 0 D u k a t e n . 1 6 7

e) Luigi

de ' Rossi

Einer der e i n f l u ß r e i c h s t e n v o n jenen, die mit j e e i n e m B e i n in Italien und in Frankreich standen, ein enger Florentiner M e d i c i - V e r w a n d t e r , ist sicherlich Luigi d e ' R o s s i g e w e s e n , der sich gar um 1 5 1 4 als clericus Lugdunensis b e z e i c h n e t e , 1 6 8 der also ein Kleriker d e s f r a n z ö s i s c h e n K ö n i g reichs war, denn als S o h n d e s Filialleiters der M e d i c i - B a n k , L e o n e t t o de' R o s s i , den L o r e n z o il M a g n i f i c o mit seiner natürlichen S c h w e s t e r Maria verheiratet hatte, hatte er offenbar seine frühen Lebensjahre in L y o n verbracht und d i e s e W u r z e l n nicht verdorren, sondern neu w a c h s e n l a s s e n . 1 6 9

165 I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 24 (wie Anm. 1), S. 222f. (20.12.1518: N. S. si è molto contristato de la morte de lo illustre signore Io. Iacomo [Trivulzio], che lo amava come figliuolo; et per respecto anchora del Cristianissimo, parendoli habbi facto perdita grande. Hora poi [...] Ji S ricorda amorevolmente che si facci honore et careze a tucti li altri di quella casa. E quali, perchè sono molti et di buone qualità et in ogni professione, et naturalmente amici e servitori del Cristianissimo, è da tractarli in modo che si intenda quanto tal morte li sia dispiaciuta, come N. S. in verità tiene per certo; et pigliare particulare protectione del nepote, et tirare avanti de li altri che possino et sappino servire il Re; et distribuire fra loro le lance che avea quella bona memoria. Perchè li tempi et le cose si mutano, come la experientia ci insegna; et quando simili servitori sono beneficati et hanno reputatone et credito, la loro servitù è fidele et fructuosa. Sua Santità ricorda questi particulari, non manco per amore di Sua Maestà, anchor che sia superfluo, che per affectìono porti a questi signori Triultii, benché la porti grande; et che si reputerà obligato di tucto el bene che riceveranno). 166 Fast gebündelt enthalten in ASV, Arm. XXI, voi. 79. 167 Vgl. I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 26 (wie Anm. 1), S. 179, 181 (noch am 3.8.1517 Anweisung an Nuntius Staffileo, den König an die Umsetzung seines Versprechens zu erinnern); ASI 24 (wie Anm. 1), S. 220 (analog an Bibbiena am 11.12.1518). 168 So Ende 1514 in einem noch genauer anzusprechenden motu /?/-opr;o-Mandat Leos X. (wegen einer Gebührenbefreiung für alle per dilectum filium Ludovicum de Rossis clericum Lugdunen, consanguinensem nostrum geleisteten Obligationen zur Zahlung der Annaten und Servitien im einzelnen genannter Benefizien in Frankreich, Savoyen und der Republik Florenz); vgl. ASV, Camera apostolica, Diversa Cameralia 64, fot. 126r/v; s.u. Anm. 171. 169 Zu den Familienverhältnissen Luigi de' Rossis vgl. G . PIERACCINI, La stirpe dei Medici di Cafaggiolo, I—III, Firenze 1924, hier I, S. 145f. Bei D E R O O V E R , Rise and De-

98

Götz-Rüdiger

Tewes

Als sein Vater 1485 wegen Mißwirtschaft und ausstehender hoher Schulden bei seinen Partnern das erste Mal in Florenz ins Gefängnis mußte, wurde Luigi in den Medici-Haushalt aufgenommen, wo er die gleiche Bildung wie Giovanni und die anderen Kinder erhielt. Seine Bindungen nach Frankreich und Savoyen sind dadurch aber nicht gelöst worden, im Gegenteil. Aus den vatikanischen Quellen wird eindrucksvoll deutlich, daß Luigi de' Rossi über hervorragende Beziehungen zum savoyischen Herzogshof und zum französischen Königshof verfugt haben mußte. Schon im ersten Pontifikatsjahr Leos X. sehen wir ihn in der Diözese Grenoble an der Seite von Claude de Seyssel, eben einem der für unser Thema maßgeblichen Handlungsträger. 170 In diesen Jahren 1513/14 besaß bzw. beanspruchte er kraft päpstlicher Provision: das Augustinerkloster Omnium Sanctorum in der Stadt Angers mit Einkünften von 150 Kammerdukaten bzw. -gülden, ein Priorat in der Diözese Le Mans, das Augustinerpriorat s. Georgii in Sabaudia in der Diözese Grenoble (200 Dukaten), das Augustinerpriorat s. M. in Aquis in der Diözese Genf (300 Dukaten), das Augustinerpriorat s. Juliani in der Diözese St-Jean-de-Maurienne (60 Dukaten), die Pfarrkirche de Jareron in der Diözese Lyon (40 Dukaten), den Plebanat s. Ipoliti Castri Florentin. (ca. 300 Dukaten), das Benediktinerkloster s. Salvatoris de Rothorno mit der Sakristei in der Diözese Vannes (50 Dukaten), eine Pension von 400 Dukaten aus den Einkünften des Zisterzienserklosters Chiaravalle in der Diözese Mailand, eine Pension über 350 Dukaten aus den Einkünften des Zisterzienserklosters v. M. de Chassania in der Diözese Lyon und den dritten Teil der Einkünfte des Benediktinerklosters 5. Nicolai Machorin.[\] dioc.\ alle daraus resultierenden Obligationen gegenüber der apostolischen Kammer wurden durch den Papst, seinen Verwandten, aufgehoben. 171

cline (wie Anm. 28), wird er irrig als Enkel des Lionetto bezeichnet. Doch auch in zeitgenössischen, Medici-nahen Quellen wird er eindeutig als Luigi di Lionetto de' Rossi identifiziert; vgl. etwa CERRETANI, Ricordi (wie Anm. 65), S. 266. 170 Ygi ASV, Indici 350, XXII anni I (Seyssel, der hier als [episcopus] electus von Marseille bezeichnet wird, und Rossi erhielten zusammen vom Papst eine Bulle für einen Ablaß, der all jenen gewährt wurde, die sich an der Instandhaltung und Reparatur ecclesìe prioratus Beate Marie oppidi Aquen. OSA beteiligten). Zu Rossi als Intermediator zwischen Frankreich und der Medici-Kurie bei den Verhandlungen im Sommer 1513 s. auch CAVIGLIA, Claudio de Seyssel (wie Anm. 16), S. 273f.; bei GATTONI, Leone X (wie Anm. 2), keine Erwähnung des Luigi de' Rossi. 171 ASV, Camera apostolica, Diversa Cameralia 64, fol. 126r/v (ohne Datum, offensichtlich Ende 1514); zum Benefiz (ein Priorat) in Le Mans vgl. ASV, Indice 278, XI Anni I (i. e. Reg. Vat. 1001), zu fol. 303, Cenomanen., Ludovicus de Rossis, de prioratü).

Die Medici und Frankreich im Pontiflkat

LeosX.

99

Für den B e s i t z dieser B e n e f i z i e n , z u denen n o c h b e d e u t e n d e in g e n a u d i e s e m R a u m h i n z u k a m e n , 1 7 2 hätte R o s s i als nicht-französischer Kleriker zumindest einen Naturalisierungsbrief v o m französischen K ö n i g bekomm e n h a b e n m ü s s e n , aber auch als L a n d e s k i n d bedurfte man v o r d e m H i n tergrund einer u m f a s s e n d e n k ö n i g l i c h e n K o n t r o l l e bei der B e s e t z u n g franz ö s i s c h e r B e n e f i z i e n durch die Kurie bei s o l c h e x p o n i e r t e n Pfründen einer fürstlichen P r o t e k t i o n und Z u s t i m m u n g . 1 7 3 D a ß R o s s i b e i d e s b e s a ß , z e i g e n nähere D e t a i l s , e t w a zur Inbesitznahme des K l o s t e r s Omnium Sanctorum in Angers. Luigi de' R o s s i zahlte hierfür auf der K a m m e r am 2 1 . 2 . 1 5 1 4 die Servitien v o n 9 0 D u k a t e n , berichtete v o n e i n e m Konkurrenten ( i n t r u s u s ) , wird hierbei aber e r s t a u n l i c h e r w e i s e als electus Lugdunen, bezeichnet.174 A l s u n a n g e f o c h t e n e r E r z b i s c h o f v o n L y o n galt bisher i m m e r Franciscus de R o h a n , der d i e s e s b e d e u t e n d e Erzbistum v o n 1 5 0 0 bis zu s e i n e m T o d 1 5 3 6 regierte, 1 5 1 4 aber o f f e n s i c h t l i c h in R o s s i e i n e n ( v o m D o m k a p i t e l o d e r v o m K ö n i g unterstützten?) O p p o n e n t e n fand. 1 7 5 Ein w e i t e r e s Detail: E i n i g e

172

Vgl. etwa ASV, Camera apostolica, Annatae 58, fol. 29r (20.11.1516, Pension vom Zisterzienserkloster b. M. Cassanie in der Diözese Lyon - die Obligation leistet bezeichnenderweise Franciscus Dominici de Attavantis, der an der Kurie auch die Frankreich-bezogenen Aufgaben seines Vaters übernahm); Annatae 59, fol. 39r und lOOv (Pension vom Priorat Pauli de s. Paulo OSB in der Diözese Genf, 21.2.1517, Obligation ohne Gebühren), fol. 166r (Reservierung des Priorats s. Petri Megune OSB in der Diözese Genf, 500 Dukaten Einkünfte!, referente Francisco de Attavantis, 21.6.1517); Annatae 60, fol. 9v (der Genfer Kleriker Michael Guylhoci erhält zwei Pfarrkirchen und ein Kanonikat in der Diözese Lausanne mit Gesamteinkünften von 100 Gulden, weil Luigi de' Rossi diese in Kommende besessenen Benefizien per cessionem aufgab, 15.7.1517). Weitere Benefizien in anderen Ländern oder Räumen sind bis auf eine Ausnahme für Rossi in den genannten Quellen nicht nachweisbar; in dem kursorisch untersuchten Indice-Band 278 sind noch Benefizien in den Diözesen Fiesole und - als Ausrutscher Calahorra (Kanonikat) verzeichnet. Der Benefizienanspruch in der nordkasti Ii sehen Diözese Calahorra geht vermutlich auf eine Intervention des aus diesem Raum stammenden Brevenschreibers Johannes de Ortega (Ortigosa) iun. zurück, der familiaris continuus commensalis des Papstes und Rossis war; vgl. ASV, Camera apostolica, Diversa Cameralia 64, fol. 126r/v; Frenz, Kanzlei (wie Anm. 50), S. 375, Nr. 1260, 1261. 173 Zur Kontrolle der päpstlichen Provisionen seitens des französischen Königs vgl. TEWES, Römische Kurie (wie Anm. 4), s.v. 174 ASV, Camera apostolica, Obligationes pro Communibus Servitiis, vol. 13, fol. 2v. 175 EUBEL, Hierarchia II (wie Anm. 50), S. 182. Franciscus hatte als Administrator des Bistums Angers und Abt von s. Albini ebendort engere Verbindungen nach Angers, sein Vater Pierre de Rohan (1451-1513) war im übrigen Marschall von Frankreich, seigneur de Gié, Herzog von Nemours und fungierte bis 1506 nicht ohne Spannungen als Beschützer und Aufsicht über Franz I. und dessen Mutter Luise von Savoyen an deren Hof in Amboise - wo möglicherweise auch Giuliano de' Medici als Gast weilte; vgl. auch Gallia Christiana (wie Anm. 146), IV, S. 181; zu Pierre de Rohan etwa KNECHT, Renaissance Warrior (wie Anm. 111), S. 4, 8 (zu Giuliano in Amboise oder unbestimmt

100

Götz-Rüdiger

Tewes

der g e n a n n t e n B e n e f i z i e n R o s s i s , e t w a die Priorate und Pfarrkirchen in den D i ö z e s e n G r e n o b l e , G e n f , B e l l e y und L y o n mit e i n e m G e s a m t w e r t v o n 1 . 0 0 0 D u k a t e n , erhielt dieser nach d e m am 12. April 1513 e r f o l g t e n T o d d e s B i s c h o f s v o n G e n f , Charles de S e y s s e l ( ! ) , und z w a r s c h o n am 17. April 1 5 1 3 , w o b e i A l o i s i u s de R o s s i s hier e r s t a u n l i c h e r w e i s e ( n o c h ? ) als F l o r e n tiner Kleriker b e z e i c h n e t wird. 1 7 6 D a R o s s i d i e s e B e n e f i z i e n S e y s s e l s tats ä c h l i c h in B e s i t z n e h m e n konnte, ist das Placet d e s s a v o y i s c h e n H e r z o g s h o f e s u n b e d i n g t als g e g e b e n a n z u s e h e n . A b e r selbst Luigi de' R o s s i m u ß t e sich an den Papst w e n d e n , u m d e s s e n U n t e r s t ü t z u n g z u erhalten, w e n n ein Vertrauter d e s K ö n i g s d a s s e l b e B e n e f i z beanspruchte w i e er, und er m u ß t e w i e generell alle f r a n z ö s i s c h e n U n t e r t a n e n das P l a c e t d e s K ö n i g s für den B e s i t z f r a n z ö s i s c h e r P f r ü n d e n beantragen - und R o s s i b e s a ß fast nur solc h e a u f f r a n z ö s i s c h e m und s a v o y i s c h e m Territorium. 1 7 7

am königlichen Hof, beschrieben in Castigliones ,Libro del Cortegiano', 1/42), I l i ; zu Giuliano und dem Zeugnis bei Castiglione vgl. o. Anm. 83. 176 ASV, Camera apostolica, Annatae 57, fol. 15r (irrtümlich hat der Schreiber die Priorate s. Georgii de Sabaudia, s. M. in Aquis und s. Pauli de s. Paulo als Pfarrkirchen bezeichnet, gebührenfreie Obligation am 29.4.1513); zu Carolus de Seyssel als Bischof von Genf: EUBEL, Hierarchia III (wie Anm. 11), S. 201 (auf ihn folgte im M i 1513 der illegitime Herzogssohn Johann von Savoyen, der auch Presbyter der Diözese Angers war). Luigi de' Rossi gehörte folgerichtig denn auch zu den exponierten Befürwortern der - die Medici-Frankreich-Allianz erheblich fördernden - Hochzeit Giuliano de' Medicis mit Filiberta von Savoyen; vgl. CAVIGLIA, Claudio di Seyssel (wie Anm. 16), S. 294f. (Rossi sei die Seele dieser Hochzeitsverbindung gewesen; zugleich habe er kräftig an der Ausschaltung der spanischen Option gearbeitet); MONCALLERO, IL cardinale Bibbiena (wie Anm. 82), S. 397. 177 Vgl. ASV, Arm. XLIV, vol. 5 (Brevia ad principes), fol. 84r/v (im September 1514 Ermahnung bzw. Bitte an König Ludwig XII., den Thronfolger Franz von Angoulème und seine Frau Claudia, Herzogin der Bretagne, um Ludovicus de Rossis, secundum carnem consanguineus und camerarius secretus pape, den Besitz des Benediktinerklosters .v. Salvatoris de Rothono in der bretonischen Diözese Rennes zu ermöglichen, auf das trotz päpstlichen Provisionsrechts bzw. -anspruchs der königliche Beichtvater Gullielmus Parvi OP Rechte geltend machte; Leo X. scheute sich dabei nicht, den König an dessen Verpflichtungen zu erinnern, die sich aus der Medici-Frankreich-Allianz ergäben: Nunc in tanta nostra coniunctione atque amicicia nihil minus expectari debuit quam quicquam nobis a carissimo fìlio nostro Ludovico Francorum Rege christianissimo esse negatum\ Am 13.1.1519 reichte der Vizekanzler Giulio de' Medici eine förmliche Bitte Rossis um ein königliches Placet wegen eines Benefizienbesitzes an den Kardinal Bibbiena als Legaten in Frankreich weiter: Il Reverendissimo de ' Rossi mi ha dato un memoriale per un ,placet ' che desidera dal Re, el quale vi mando con questa, perchè V. S. meglio possi servirlo: benché non credo habbi bisogno d'altro che dì essere lassato in possessione, et che Sua Maestà scriva a li sui ministri che ve lo conservino; vgl. I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 25 (wie Anm. 1), S. 13. Als Rossi im August 1518 Probleme wegen einer Abtei in der bis zu diesem Jahr, formal bis zum 9.2.1519 von den Engländern besetzten Diözese Tournai hatte - wobei hier offensichtlich auch der allmächtige

Die Medici

und Frankreich

im Pontißkat

Leos X.

101

Trotz aller Zuneigung des Papstes zu Luigi de' Rossi zählte dieser an der Medici-Kurie offenbar nicht zu den wichtigsten politischen Kräften des Papstes, und möglicherweise auch nicht zu den allerengsten persönlichen Vertrauten. Wenn er dennoch auf dem berühmten Gemälde Raffaels, das den porträtierten Leo X. mit den beiden Kardinälen Giulio de' Medici und Luigi de' Rossi im Hintergrund zeigt, abgebildet wurde, dann hatte das vermutlich mit dem Bestimmungszweck des Bildes zu tun. Denn es wurde bekanntlich eigens für die Hochzeit von Leos Neffen Lorenzo de' Medici mit Madeleine de la Tour d'Auvergne gemalt, hing bei der Feier im September 1518 über dem Bankett und vertrat gewissermaßen den abwesenden Papst und seine beiden Cousins. 178 Angesichts des aufgezeigten Kontextes scheint mir die These vertretbar, daß Rossi als der Französischste des Medici-Kreises gleichsam symbolisch die französische Ausrichtung der Medici demonstrieren sollte, anläßlich einer Hochzeit, welche die MediciFrankreich-Allianz einem Höhepunkt zuführte. Denn die sonst übliche Erklärung, er sei als „Nepot" des Papstes, als entfernter Vetter, aus rein dynastischen Gründen und wegen seiner hohen Würde als Familien-Kardinal zu jener Ehre der Porträtierung gekommen, scheint mir zu kurz gegriffen. Giulio de' Medici ist an Leos Seite zu sehen, weil er der mächtigste und engste Vertraute Giovannis seit langem gewesen ist. Von solch vertrauten Beratern in hohem kirchlichen Rang gab es aber nach Giulio mehrere wie Lorenzo Pucci, Bernardo Dovizi da Bibbiena oder den Medici-Verwandten

Lordkanzler Kardinal Wolsey involviert war - , mußte allerdings der in England weilende Kardinallegat Lorenzo Campeggi eingeschaltet werden: Monsignore reverendissimo de ' Rossi scrive a V. S. la alligata lettera, per certa sua facienda per una Abbatia ne la diocesi di Tornai; et havendosi ad restituire, desiderebbe che il Re di Francia lo trovassi in possessione: la qual cosa essendo senza preiuditio di Eboracense [se. Wolsey], N. S. desiderebbe che ne fussi compiaciuto. La S. V., con la dexterità sua, ne usi diligentia, ad ciò che il Cardinale de ' Rossi habbi questo obligo con la Maestà del Re [di Francia] et con il prefato Eboracense; chè veramente ogni benefitio che se li fa è ben collocato: et farete cosa gratissima a Sua Santità, che sapete quanto ama el decto Cardinale de Rossi; vgl. I Manoscritti Torrigiani, in: ASI 23 (wie Anm. 1), S. 416; zu Tournais Riickerwerb von den Engländern: Knecht, Renaissance Warrior (wie Anm. 111), S. 170. 178 Vgl. etwa JAMES H. BECK, Raphael and Medici „State Portraits", in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 38 (1975), S. 127-144, hier S. 132 und Anm. 6 (zum Brief der Alfonsina Orsini vom 8.9.1518 über das Bild und seine Funktion bei der Feier: la Pictura di N. S. et Monsignor reverendissimo de ' Medici et Rossi, el Duca la fece mectere sopra alla tavola dove mangiava la Duchessa et li altri signori, in mezo, che veramente rallegrava ogni cosa); RICHARD SHERR, A new document concerning Raphael's portrait of Leo X, in: The Burlington Magazine 125 (1983), S. 31f. (der Transport des Bildes lag in der Verantwortung jenes Rafaello di Vitale, der im Juni des gleichen Jahres schon den Transport der für den französischen König gemalten Raffael-Bilder zu den Bartolini in Lyon organisierte); KEMPER, Leo X. (wie Anm. 84), S. 39 und Anm. 71.

Götz-Rüdiger Tewes

102

Innocenzo Cibo, die auch alle drei bei der ersten Promotion am 23. September 1513 in den Kardinalsrang erhöht wurden. Rossi kam hier erst sehr viel später, bei der fünften Promotion im Juli 1517, zum Zuge. 179 Auch in wichtigen politischen Missionen, etwa als Nuntius oder Legat, ist er nicht zu sehen. Aber als eine Art Personifizierung der vielschichtigen, Individuelles mit Strukturellem verbindenden Allianz der Medici mit Frankreich und einem französisch ausgerichteten Savoyen wird man ihn herausheben dürfen. 8. Das Deutsche

Reich

Ein bestimmendes Prinzip der Frankreich-Allianz war neben alten, als natürlich bezeichneten Traditionen (der Karls-Mythos, das guelfische und damit antighibellinische, antikaiserliche Florenz als Verbündeter der Franzosen, enge Handelsbeziehungen der Florentiner nach Frankreich) und neben persönlichen Bindungen und Freundschaften das von beiden Seiten rational auf seine Effektivität kalkulierte do ut ¿fes-System, das von der Kurie mit Blick auf das Deutsche Reich nicht einmal in Erwägung gezogen wurde; aus dem Pontifikat Leos X. ist mir keine Quelle bekannt, in welcher ein Amtsträger des deutschen Königs oder eines deutschen Fürsten in ähnlicher Weise wie die exemplarisch vorgestellten Trivulzio von diesem Papst als amici mit benefizialen Gunsterweisen und sonstigen Gnaden bedacht worden wären. Das berechnende Nützlichkeitsdenken regierte auch bei den Benefizien in Mailand: Sie wurden mit Nachdruck an die Zusage Frankreichs gebunden, die aus den Medici-Territorien in Reggio und Modena exilierten Rebellen nicht aufzunehmen, sondern zu verfolgen. 180 Trotz aller Klagen über vermessene französische Ansprüche darf nicht vergessen werden, daß im Gegenzug auch der gesamte engere Medici-Kreis von Frankreich profitierte, von seinen reichen Benefizien und von den finanziellen Gewinnen der französischen Kurienbeziehungen - und eben nicht von Spanien oder gar vom Deutschen Reich. Doch die Kaufmannsmentalität der Medici prägte nicht nur das Frankreich-Bündnis, sondern ist allgemein zu konstatieren. Fast amüsiert nimmt man dieses an ökonomischer Effizienz ausgerichtete Abwägen zur Kenntnis, etwa in Instruktionen wie jener der Medici-Kurie vom 23. Januar 1519 (also im unmittelbaren Vorfeld der Königswahl) an Kardinal Cajetan in Deutschland wegen der zu gewinnenden Kurfürsten von Sachsen oder 179

V g l . EUBEL, H i e r a r c h i a III ( w i e A n m . 1 1 ) , S.

13-16.

180 Ygj jjjg zahlreichen Zeugnisse in: I Manoscritti Torrigiani; bes. in: ASI 24 (wie Anm. 1), S. 216 (3.12.1518), 218f. (10.12.1518); vgl. auch ASI 23 (wie Anm. 1), S. 408, 412.

Die Medici und Frankreich

im Pontiflkat

Leos X.

103

Brandenburg: examinando bene dove il favore et le parole vostre possino fare fructo, et non spendere la moneta di Nostro Signore nè scoprire lo animo suo senza profitto\m Oder etwas kryptischer am 30.1.1519 in der gleichen Sache an Bibbiena, bezogen auf das kostspielige Werben des französischen Königs um die Stimmen der Kurfürsten: Je mehr man in diesem Fall ausgebe, desto weniger werde man ausgeben und desto mehr erwerben.182 Diese so komplexe do ut u — £ 2 3 c c o o s= >>

X DJ •u o U

"O " 3

— N s o cd "C ri"

m

Q, 0) O 00 * 5 C ¡/3 JC —. . £ u '. X) 3 X) -r- •S > < F— N £

232

Michael

Rohlmann

A b b . 3 Raffael. „Papst Leo X. zwischen den Kardinälen Giulio de' Medici und Luigi de' Rossi", Öl auf Holz, 154 x 119 cm, Florenz, Uffizien

Kunst und

Abb. 4

Politik

233

Maarten van Heemskerck, Vedute des N e u b a u s der Peterskirche mit der

. . C a p p e l l a del re di F r a n c i a " , Z e i c h n u n g , 1 7 x 3 1 , 1 c m , B e r l i n , S t a a t l i c h e M u s e e n Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett 79D2a, fol. 54r

Abb. 5

R o m , T r i n i t à dei M o n t i , V i e r u n g s g e w ö l b e

234

Michael

Rohìmann

Abb. 8 Jean de Chenevières, Relief mit Symbolen der Freien Künste, Rom, San Luigi dei Francesi

235

Kunst und Politik

-c c u a ra cn s > o o > e CS 1) Z 'S. a e •— öS© £ c Oöoc • s- Dh Xt M ss 's — o -D Ol) _1 _ u c O

Buchkultur

521

•S 3 «

£¡ S tñ

i.- n . = 0 —1 ;= 3 > N . O SO o —

^ o w c

s- o 3r- CK «

5

_ "O ^ i3 ra > c J '-S "O .h ^ ta U o =

.. ^ "e a ^ 4 g .s 5 — .t: £ «s s = ^ 2 4 t? -a o U •ifi

c € £ o > cO < « a> > Dc g m 2? J " S Sí ^ Ö J

o =5 § ja 'u CL> -a -a